Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 2: Das Wort "Schwuchtel" -------------------------------- Der Dienstag begann, wie der Montag endete: Mit dem Gespött seiner Mitschüler. Zwar hatte Luca gestern Glück gehabt und es war ihm gelungen, seinem Stiefvater aus dem Weg zu gehen, aber das besserte seine Lage nicht wirklich. „Verschwinde, du Schwuchtel", rief Thomas quer über den Schulhof, „Du verpestest unsere Luft!" Leonie, die neben ihm stand kicherte. „Ja, verpiss dich, bevor du noch jemand mit deiner Widerlichkeit ansteckst!" Aber die beiden waren nicht mehr allein. Jan und Martin, Jans Banknachbar, hatten sich ihnen angeschlossen. Jetzt gingen sie nicht mehr zu zweit, sondern zu viert auf Luca los. Der Sechzehnjährige versuchte, an ihnen vorbei in das Schulgebäude zu gehen, als ihm Thomas das Bein stellte. Luca, der damit nicht gerechnet hatte, fiel der Länge nach hin und schlug sich seine Knie auf. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen und konnte diese nur mit Mühe zurückhalten. Wenn er weinte, würden sie sich nur noch schlimmer über ihn lustig machen, das wusste er. Deshalb stand er zügig wieder auf und lief an den vieren vorbei in sein Klassenzimmer, wo er sich auf seine Bank fallen ließ. Die Tränen, die er nicht länger zurückhalten konnte, begannen, ihm über das Gesicht zu laufen und er schluchzte leise. Hoffentlich betrat keiner das Zimmer, denn noch war er allein hier. Doch das Glück schien nicht auf seiner Seite zu sein, denn nur wenige Minuten nach ihm, wurde die Tür geöffnet. Luca sah nicht auf und wusste deshalb nicht, wer eintrat. Er vernahm nur die Schritte, die an ihm vorbei zur anderen Seite des Klassenzimmers gingen. Schnell wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Er wollte vor den Anderen nicht als Heulsuse dastehen. Dann sah er zu der Person, die das Zimmer betreten hatte. Es war Nicholas, der sich gerade auf seinen Platz setzte und ihn keines Blickes würdigte. Zum Glück. Luca wusste nicht, was er getan hätte, wenn der andere ihn darauf angesprochen hätte. Aber es wären wohl eh nur dumme Beleidigungen gewesen. Der Tag zog sich nur schleppend hin. Luca bemühte sich, Thomas und dessen neu gefundenen Freunden aus dem Weg zu gehen. Heute gelang es ihm, aber wer wusste, wie lange sein Glück noch hielt? Als er zu Hause ankam, stand das Auto seines Stiefvaters, er weigerte sich, den Mann als seinen Vater zu bezeichnen, nicht vor dem Haus. Er war also noch auf Arbeit, oder bei einem seiner Kollegen. Hoffentlich hatte er heute Abend gute Laune, wenn er nach Hause kam. Als Luca am Mittwoch aufwachte, wusste er, er würde diesen Tag hassen und das lag nicht am Wetter. Draußen schien die Sonne und er fühlte sich, als wolle sie ihn auslachen. Musste das Wetter ihm auch noch in den Rücken fallen? Konnte es an diesem bescheuerten Tag nicht regnen, und am besten an jedem folgenden Mittwoch auch, für den Rest des Schuljahres? Heute hatte er Sport. Er hasste Sport. Nicht, weil er besonders schlecht darin war, sondern weil das Mobbing seiner Mitschüler im Sportunterricht immer am schlimmsten war. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, einfach im Bett liegen zu bleiben und zu schwänzen. Aber dann müsste er den ganzen Tag zu Hause bleiben und das wollte er ebenfalls nicht. Also zwang er sich, das Bett zu verlassen und machte sich für die Schule fertig. Mit seiner Schultasche und seinen Sportsachen bepackt, schlich er leise durch das Haus, damit er seinen Stiefvater nicht weckte. Der Sechzehnjährige gähnte. Er hatte in der Nacht nicht besonders viel geschlafen. Sein Stiefvater war erst spät zurückgekehrt und hatte sich mit seiner Mutter lautstark gestritten. Anschließend hatte er in Lucas Zimmer gewollt, doch Luca hatte vorsorglich die Tür von innen verschlossen. Eine Weile hatte sein Stiefvater an der Tür gerüttelt und Luca hatte schon befürchtet, er würde die Tür eintreten. Doch dann hatte er es aufgegeben und war schlafen gegangen. An der Turnhalle angekommen, stellte sich ihm das nächste Problem. Die Jungs hatten die Tür versperrt und wollten ihn nicht hineinlassen. Er klopfte zwei Mal, bevor er es aufgab und sich gegen die Wand, der Tür gegenüber, lehnte. Irgendwann würde schon ein Mitschüler oder ihr Lehrer kommen und dann konnte er hinein. Das dachte er zumindest. Doch jedes Mal, wenn einer seiner Mitschüler an ihm vorbeikam, wurde zwar dieser hinein gelassen, die Tür danach aber so schnell wieder geschlossen, dass er keine Chance hatte, hineinzukommen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Lehrer zu warten und das konnte dauern. Luca rutschte an der Wand herunter und blieb auf dem Boden sitzen. Schon wieder kamen ihm die Tränen hoch. Er hasste sich dafür, dass er so schwach war, dass er sich nicht wehren konnte, dass er schon wieder heulte. Warum war er nur so ein Schwächling? Die Außentür der Turnhalle ging auf und Schritte näherten sich ihm. Er sah nicht auf, wollte nicht, dass die Person, die die Turnhalle gerade betreten hatte, seine Tränen sah. Vor ihm stoppten die Schritte. „Was sitzt du hier so blöd rum?", vernahm er Nicholas' Stimme. Er klang genervt. Erschrocken sah Luca auf und bemerkte, dass Nicholas nicht allein war. Neben ihm stand René. Kamen die Beiden jeden Tag zusammen zur Schule? Nicholas musterte zuerst Luca, dann die Tür. Dann versuchte er, diese zu öffnen. Als sich nichts tat, klopfte er kräftig dagegen. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet und Thomas' Kopf lugte heraus. Als er Nicholas und René erblickte, öffnete er sie ganz und ging einen Schritt zur Seite. René trat ein, aber Nicholas blieb in der geöffneten Tür stehen. „Was hat das zu bedeuten?" Er deutete auf Luca, der immer noch heulend auf dem Boden, vor der Tür, saß. Verwundert blickte Luca seinen schwarzhaarigen Mitschüler an. Half dieser ihm etwa? Thomas schnaubte. „Der bleibt schön da draußen! Am Ende bespannt die kleine Schwuchtel uns noch, während wir uns umziehen. Soll er doch zu den Mädchen gehen. Denen guckt er wenigstens nichts ab." Nicholas packte Thomas am Kragen und stieß ihn gegen die immer noch geöffnete Tür. „Würdest du das wiederholen?", fragte er leise mit bedrohlich klingender Stimme. „Hey ganz ruhig", antwortete Thomas ihm erschrocken, „Ich meine doch nur die kleine Schwulette da unten!" Nicholas' Griff verfestigte sich und er hob Thomas einige Zentimeter vom Boden. „Das weiß ich. Aber trotzdem fühl ich mich angesprochen. Woran mag das nur liegen?" Die Schüler in der Umkleide schnappten erschrocken nach Luft, alle bis auf René. Es schien fast, als hätte dieser Nicholas' Reaktion bereits erwartet. Auch Luca war erschrocken. „Was ist los?", fuhr Nicholas fort, „Willst du dich nicht entschuldigen? Ich mag es nicht, wenn man so über mich spricht. Da werde leicht zornig und dann tu ich Dinge, die ich vielleicht später bereue. Willst du das?" Luca hielt den Atem an. Hatte er gerade richtig gehört? Aber das bedeutete ja, Nicholas war ebenfalls schwul, genau wie er. Thomas schluckte. „Nein", japste er, „ich-" Nicholas unterbrach ihn: „Nein, du willst dich nicht entschuldigen oder nein, es tut dir leid?" „Es tut mir leid", keuchte Thomas. Nicholas lockerte seinen Griff, bevor er den Jungen in die Umkleide stieß. „Pass in Zukunft besser auf, was du sagst. Noch einmal kommst du nicht so einfach davon! Haben wir uns verstanden?" Thomas landete auf seinem Hintern. Er griff an seinen Hals, der wohl schmerzte. „Ja", murmelte er kleinlaut. „Wie bitte?", Nicholas hielt sich eine Hand ans Ohr, „Kannst du das wiederholen? Ich habe dich nicht gehört." „Ja", antwortete Thomas, diesmal etwas lauter. Nicholas drehte sich zu Luca, der wie versteinert am Boden saß. Er packte den Blonden und schubste ihn in die Umkleide. Dann warf er ihm seine Sporttasche vor die Füße. In der Umkleide war es ruhig. Keiner sagte etwas und als Nicholas die Umkleide ebenfalls betrat, wichen sie vor ihm zurück. Einige verließen sogar ihre Plätze, um nicht neben ihm sitzen zu müssen. Nur René blieb. Und die Zwillinge. Luca nutzte die Ruhe, um sich schnell umzuziehen. Seine Trainingsjacke brauchte er ausnahmsweise nicht. Er musste heute nichts verdecken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)