15 Jahre von Alaiya ([Digimon Tamers] One-Shot Sammlung) ================================================================================ 1986 - Getrennte Wege --------------------- Rob seufzte, während er seine Akten zusammenräumte und in einen Umzugskarton packte. Es waren die letzten Sachen, die noch hier waren. Den Karton unter einen Arm geklemmt, ging er nach draußen, um auch diese Sachen in den Kofferraum seines Autos zu stellen, etwas, wofür Curly ihn mit einem leicht vorwurfsvollen Blick bedachte. Sie sagte nichts, doch wenn er bedachte, wie oft sie sich in den letzten zwei Jahren darüber beklagt hatte, dass die Amerikaner selbst dann ein Auto benutzen, wenn ihr Ziel nur einen Block entfernt war, war dies gar nicht nötig. Nachdem er den Kofferraum zugeklappt und wieder abgeschlossen hatte, ging er in das kleine Gebäude zurück. Ohne die Computer, persönlichen Gegenstände und Akten auf den Tischen wirkte der Raum seltsam gespenstisch. Natürlich war er rational genug, um zu wissen, dass dieses Gefühl alle offenbar unbewohnten Räume an sich hatten, aber dennoch war es ihm schwer ums Herz. „Kopf hoch, Dolphin“, erklang die vertraute Stimme Taos hinter ihm. Daisy, die neben ihrem Schreibtisch kniete und selbst noch einige Unterlagen aus aus diesem holte, um sie in eine Kiste zu packen, sah von ihrer Arbeit auf. „Man, es ist schon verdammt schade“, murmelte Babel, der an die Wand gelehnt noch einen Kaffee trank (das einzige technische Gerät, was noch in den Räumen zu finden war, war eine Kaffeemaschine). Rob atmete tief durch. „Es war klar, dass wir nicht ewig Sponsoring bekommen würden“, meinte er. „Davon abgesehen hätten wir so nicht mehr lange weiter arbeiten können“, stimmte Curly zu. Sie sah ihn bedauernd an. Natürlich war es auch bevor die Sponsoren ihre Unterstützung aufgegeben hatten, klar geworden, dass sich ihr Projekt dem Ende näherte. Curly hatte eine Anstellung in Texas gefunden, Daisy hatte ihr Studium beinahe abgeschlossen und Tao hatte eine Frau und zwei Kinder in Japan, die er versorgen musste. „Tja, aber schade ist es ja doch“, meinte Babel. „Ich mein, so wirklich sind wir ja nie fertig geworden.“ „Die meisten Projekte scheitern“, erwiderte Daisy sachlich, die sich nun aufgerichtet hatte. Rob sah die junge Frau an. Er war sich immer noch nicht sicher, was es war, doch etwas an ihr hatte sich verändert. Und Rob kam nicht umher zu vermuten, dass es etwas mit dem Vorfall, der vor zwei Monaten geschehen war, zu tun hatte. Der Ordnungsdienst hatte es als die Folge von Randalen abgetan, doch Rob hatte das Gefühl, das etwas anderes passiert war und das Daisy etwas damit zu tun hatte. Denn seit diesem Tag war sie anders gewesen. Abweisender. Doch vielleicht machte er auch vollkommen falsche Annahmen. Schweigen herrschte in der kleinen Gruppe. Wohl auch, weil sie alle wussten, dass dies vorerst ein Abschied war. Wer wusste schon, ob sie als Gruppe jemals wieder zusammenfinden würden? „Wann fliegst du eigentlich?“, fragte Curly an Tao gewandt. „Am Samstag“, erwiderte der Chinese. „Und dann wirst du in Tokyo weiterstudieren?“ „Ich werde arbeiten und nebenbei studieren.“ Was nur verständlich war, immerhin musste er eine Familie ernähren. Wieder senkte sich ein unsicheres Schweigen über die Gruppe und dieses Mal war es Daisy, die dieses brach. „Wo ist eigentlich Shibumi?“ „Er hat seine Sachen schon vor ein paar Tagen ausgeräumt“, erwiderte Rob. „Wieso?“ Daisy hob eine 5‘‘-Diskette in einer blauen Hülle hoch, die offenbar auf dem Schreibtisch des Japaners gelegen hatte. Tao nahm der jungen Frau die Diskette ab und betrachtete sie. „Entelechia“, las er die Aufschrift auf der Hülle. Er runzelte die Stirn. „Ich glaube, das ist eine von meinen“, sagte er dann. „Ich habe sie wahrscheinlich nur da abgelegt.“ Seine Augen trafen Daisys Blick. „Ach so“, erwiderte die junge Frau daraufhin. „Du solltest sie mitnehmen.“ „Ja, wahrscheinlich.“ Tao nickte nachdenklich und steckte die Diskette ein. „Und jetzt?“, fragte Curly. Rob seufzte noch einmal schwer und ließ seinen Blick über den leeren Raum wandern, in dem sie so viele Stunden der letzten zwei Jahre damit zugebracht hatten, eine eigene Welt zu erschaffen. „Ich denke, das war alles.“ 1991 - Kinder ------------- Wie immer zur Rushhour war die tokyoter U-Bahn bis zum Zerplatzen gefüllt. Dicht an Dicht standen die Menschen, die meisten mit den Händen an den Halteschlaufen oder -stangen, manche aber gänzlich zwischen anderen Körpern eingequetscht. Viele in Anzügen und Uniformen, manche mit Jacken oder Mänteln bekleidet. Da es in den letzten Tagen kühler geworden war und sich so eine Erkältungswelle über Tokyo ausbreitete, trugen einige Mundschutz, teilweise um andere nicht anzustecken, teilweise um sich selbst vor fremden Keimen zu schützen. Janyuu trug eine offene Jacke über seinem Anzug, schützte sich jedoch sonst nicht vor Kälte oder Keimen. Er stand in der Nähe einer Tür und sah ungeduldig auf die Uhr, während der Zug im dunklen Tunnel um eine Biegung fuhr, was die Fahrgäste deutlich spürten. Seine Augenbrauen zogen sich beim Blick auf das Ziffernblatt zusammen, ganz so als wäre seine Armbanduhr daran Schuld, dass er noch nicht dort war, wo er hinwollte. Natürlich hatte er nicht frei bekommen – nicht einfach so. Ihr Projekt hatte sich schon verzögert (nicht, dass es etwas außergewöhnliches war) und das Jahr neigte sich dem Ende zu, so dass es ohnehin schwer gewesen wäre frei zu bekommen. Darüber hinaus jedoch betrachtete in seiner Firma man die Geburt eines Kindes nicht als Grund, warum ein Mann frei nehmen sollte – schon gar nicht, wenn es das dritte Kind war. Immerhin lebten sie in einem Land, wo viele Familien nur ein, maximal zwei Kinder hatten. Familien mit drei Kindern waren selten – gerade hier in Tokyo, wo Platz rar war und entsprechend kostete, wurde er von einigen mit etwas, das an Mitleid erinnerte, angesehen, wenn er ihnen von der Geburt seines dritten Kindes erzählte. Janyuu selbst konnte dies nicht verstehen. Er war froh, dass hier in Japan eine Familie mehrere Kinder bekommen durfte, wenn sie nur wollte. Es war nicht, wie in seiner Heimat, wo die Geburten kontrolliert wurden und Familien mit mehr als einem Kind strafen zahlen mussten. Doch nun war er bereits seit zwanzig Minuten auf dem Weg zum Krankenhaus. Nicht nur, dass er zu allem Überfluss noch hatte warten müssen, bis sein Vorgesetzter eine Zwischenbilanz der neuen Software abgesegnet hatte, er hatte auch mehrere U-Bahnen abwarten müssen, bis er eine erwischt hatte, die Platz für ihn hatte. Und da Mayuri in einem außerhalb von Zentraltokyo gelegenem Krankenhaus das Kind zur Welt brachte, zog sich seine Reise unangenehm in die Länge. So sah er schon wieder auf die Uhr und stieß ein leises, ungeduldiges Stöhnen aus, das den Zug jedoch natürlich nicht beschleunigte. Janyuu mochte Kinder. Schon als Jugendlicher hatte er Kinder gemocht und gehofft später selbst welche haben zu können. Vielleicht war dies unterbewusst – neben seinem Drang zum Abenteuer – einer der Gründe gewesen, warum er Hongkong verlassen und im Ausland zu studieren begonnen hatte, obwohl dies bedeutet hatte, Familie und Freunde zurücklassen zu müssen. Doch er hatte es bis heute nicht bereut. Nicht das Studium im Ausland, noch die Tatsache, dass er eine Japanerin geheiratet hatte, deren Familie (vor allem deren Vater) ihm gegenüber zuerst sehr misstrauisch eingestellt war. Endlich blieb die mittlerweile nicht mehr ganz so volle Bahn an einer nun oberirdischen Haltestelle in Edogawa stehen, wo Janyuu zügig zusammen mit einigen anderen ausstieg. Er beherrschte sich, nicht zu rennen, da dergleichen an Bahnsteigen ungern gesehen war, doch ging er zumindest zügigen Schrittes zum Ausgang der Station, die direkt zwischen Stadtpark und Krankenhaus gelegen war. Seine Schritte wurden immer hastiger, nachdem er die Straße überquert hatte und schließlich auf den Eingang des Krankenhauses zulief, wo sich die Glastür automatisch öffnete. Erst drinnen verlangsamte er seinen Gang wieder und ging auf eine der Rezeptionistinnen zu, die gerade frei war. „Guten Tag, entschuldigen Sie bitte“, begann er förmlich, da er mittlerweile sehr wohl wusste, wie viel Wert man hier auf Förmlichkeit legte. Die Dame sah auf. „Ja, bitte?“ „Meine Frau, Lee Mayuri, sollte gerade im Kreissaal sein“, erklärte er der jungen Frau. „Könnten Sie bitte fragen, ob ich zu ihr kann?“ „Natürlich, warten Sie doch bitte einen Moment“, erwiderte die Rezeptionistin förmlich, hob einen Telefonhörer und wählte eine kurze – fraglos Hausinterne – Nummer. Nachdem offenbar jemand abgehoben hatte, wechselte sie einige kurze Worte mit demjenigen am anderen Ende der Leitung, ehe sie auflegte. „Ihre Frau befindet sich bereits wieder auf der Station. Sie können zu ihr gehen.“ „Vielen Dank.“ Janyuu seufzte. Er hatte also die Geburt seines dritten Kindes verpasst. Gut, zugegebener Maßen hatte er es beinahe erwartet. So stieg er nun also in den Aufzug, um zur Geburtstation zu gelangen. Dabei kam er nicht umher, da er allein in der Aufzuggondel war, etwas nervös sein Gewicht von ein Bein auf das andere zu verlagern. Als der Aufzug schließlich hielt, ging er schnellen Schrittes zur Station, wo eine der Schwestern, die auch dort gewesen war, als er Mayuri vor zwei Tagen hergebracht hatte, ihn erkannte. „Ihre Frau ist seit einer Viertelstunde wieder auf Station“, meinte sie und lächelte ihn an. „Es ist alles ganz problemlos gelaufen. Herzlichen Glückwunsch.“ „Vielen Dank“, erwiderte er. „Kann ich Mayuri sehen?“ Die Schwester nickte. „Natürlich.“ Durch eine Geste bot sie an, ihn auf das Zimmer zu führen, doch da er bereits dabei gewesen war, als Mayuri eingecheckt hatte, war das kaum nötig. Mit klopfendem Herzen ging er das letzte Stück zur Tür des Zimmers, in dem seine Frau war. Als er die Hand nach der Klinke ausstreckte, hörte er das Schreien eines Babys. Er öffnete die Tür. Dort saß seine Frau, ganz offensichtlich vollkommen ermüdet, auf dem Bett und wiegte das Baby in den Armen, das – obwohl es sicherlich ebenfalls von der Geburt geschafft war – offenbar weit davon entfernt war zu schlafen, wie normal beinahe alle Kinder taten. Mayuri bemerkte Janyuu und hob den Kopf, um ihn müde anzulächeln. „Es sieht so aus, als hätten wir einen kleinen Schreihals“, meinte sie scherzhaft, wobei ihre Stimme jedoch sehr matt klang. „Es tut mir so leid, dass ich nicht da sein konnte“, brach es aus Janyuu heraus. Seine Frau schüttelte nur den Kopf. „Mach dir keine Gedanken.“ Sie gähnte. „Es ist alles ganz Problemlos gegangen. Der Kleine konnte es offenbar kaum erwarten, auf die Welt zu kommen.“ Janyuu lächelte. Er ging auf das Bett, das nahe am Fenster stand, zu und reckte den Kopf, um zwischen den Tüchern den Kopf des Neugeborenen zu sehen. Mayuri bemerkte das. Sie verlagerte ihr Gewicht ein wenig und hielt ihm dann vorsichtig das Baby entgegen, das er nicht minder vorsichtig entgegen nahm. Noch immer schrie das Kind, während Janyuu sich setzte und es an seine Brust zog, doch seine Schreie klangen kraftvoll und gesund. „Na, du“, flüsterte Janyuu mit verträumten Lächeln auf dem Gesicht. „Du hättest ruhig auf deinen Vater warten können.“ Auf einmal, wie es bei Babys so war, hörte das Kind auf zu Schreien. Mayuri gab ein müdes Lachen von sich. „Na wunderbar, er mag dich jetzt schon mehr.“ „Ich glaube, er hat nur zu müde zum Schreien“, antwortete Janyuu und wiegte das Kind seicht hin und her, wobei sich dessen Züge entspannten. Er sah in das Gesicht des Babys, das ganz offenbar nun langsam in den Schlaf hinüberglitt. „Jenrya“, flüsterte er dann den Namen des Kindes und sah seine Frau selig lächelnd an. 1993 - Welten ------------- Wer unvorbereitet in die Wohnung gekommen wäre, hätte wohl gedacht, dass hier ein Hikikomori leben würde. Überall lagen Verpackungen von Fastfood herum, wie auch leere Blechdosen, die den Aufschriften nach zu schließen einmal Softdrinks und Kaffee enthalten hatten. Zwischen all diesem Müll lag auch das ein oder andere ungewaschene Kleidungsstück, so wie auch einige Zeitschriften, die allerdings nicht, wie vielleicht ein etwaiger Besucher intuitiv erwartet hätte, weder Manga, noch halbnackte Damen beinhalteten, sondern Artikel über neue Entwicklungen auf dem Computermarkt. Nun, bei dem Eindruck, den die kleine Wohnung in ihrem aktuellen Zustand erweckt hätte, konnte man recht sicher sagen, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, dass ihr Bewohner lieber auf Besuch verzichtete. Mizuno Gorou war kein Hikikomori – noch hätte er gewusst, was dies sein sollte, hätte man ihn gefragt. Er hatte einen Beruf, verdiente selbstständig Geld und hatte nicht das geringste Problem damit, das Haus zu verlassen. Zwar tat er dies nicht besonders häufig, doch das lag eher daran, dass er oft von Zuhause aus arbeitete – immerhin lebte er in einem der wenigen Apartmenthäuser Tokyos, die bereits einen Internetanschluss hatten. Doch auch wenn er kein Hikikomori war, bevorzugte er es allein zu sein und zu arbeiten. Er war nie sonderlich erpicht auf sozialen Umgang gewesen und hatte sowohl während seines Studiums, als auch während seines Studiums in den US die Einsamkeit bevorzugt. Es war nicht so, dass er wirklich ein Problem mit anderen Menschen oder der Welt vor seiner Wohnungstür gehabt hatte. Er fürchtete sie nicht. Aber das da draußen war nicht seine Welt. Das war sie nie gewesen. Seine Welt hatte er schon immer woanders gefunden. Doch was er früher in Büchern gefunden hatte – und während seiner Schulzeit hatte er viel gelesen – fand er nun in seinem Computer. Die Wahrheit war, dass seine Arbeit, die sich mit der Entwicklung von Computerprogrammen für wirtschaftlich veranlagte Unternehmen befasste, nicht sonderlich interessant war und er meist weit weniger Zeit für seinen Teil dieser Arbeit benötigte, als veranlagt. Auch das war nicht seine Welt – nur seine Arbeit. Seine Welt war etwas anderes. Eine echte Welt. Ja, die Welt, mit der Mizuno Gorou, der von sich selbst meist nur als „Shibumi“ dachte, seine Zeit größtenteils verbrachte, war echt, real – eine wirkliche Welt. Zumindest sah Shibumi sie so an. Sicher, diese Welt – seine Welt – bestand aus Daten, doch war sie von Wesen bewohnt, die denken konnten und sich ihrer selbst bewusst waren. Auch diese bestanden aus Daten, aus scheinbar endlosen Folgen von Einsen und Nullen, wenn man so wollte, doch für Shibumi bestand kein Zweifel daran, dass diese Wesen ein Bewusstsein hatte. Diese Wesen waren Digimon. Digitale Monster. Sie waren das, was aus seiner Zeit in den USA übrig geblieben war. Damals hatte er zusammen mit einigen anderen Studenten angefangen in einem Projekt angefangen diese Welt und diese Wesen zu entwickeln – doch hatten sie eine andere Welt schaffen wollen, als er. Ihre Vision war ein Spiel mit sehr simplen künstlichen Intelligenzen gewesen, die sich zwar innerhalb ihres Spiels auf vorgegebenen Faden entwickeln können sollten, jedoch nie zu mehr fähig sein sollten. Es sollte den Schein einer echten Welt erwecken – nicht mehr. Doch Shibumi hatte von Anfang an eine gänzlich andere Vision gehabt. Und so wurde nun seine Welt von Digimon bevölkert, die sich frei entwickelten und die mehr als irgendetwas in der künstlichen Welt vor seiner Haustür nach dem Gesetz des Stärkeren lebten. Angetrieben von einer Macht, die er nach Platons innerer Kraft Entelechia genannt hatte, kämpften sie gegeneinander, absorbierten die Daten ihrer besiegten Gegner und entwickelten sich weiter und immer weiter. Doch das war nicht alles. Seine digitalen Monster waren nicht nur fähig, nach einem Script miteinander und mit einem Menschen vor einem Computer zu interagieren, sondern dies wissentlich und frei zu tun. Sie waren sich nicht nur ihrer selbst, sondern auch ihres digitalen Zustandes bewusst. Shibumi dachte von der Welt der digitalen Monster als seine Welt. Jedoch nicht in dem Sinne, dass er sich als Gott der Welt sah. Viel mehr war es eine Welt, die seinen Vorstellungen entsprach. Jedoch gehörte die Welt nicht ihm, sondern den Digimon. Dies konnte jedoch nichts daran ändern, dass er schon seit guten fünf Jahren darüber fantasierte, diese Welt irgendwann einmal selbst betreten können – und sei es nur virtuell. Er wollte über mehr, als seine Tastatur mit dieser Welt interagieren, und sei es nur für einen Versuch. Denn eine Sache hatte ihn nicht losgelassen in den letzten Jahren: Kurz bevor ihr Projekt aufgelöst worden war, war etwas vermeintlich unerklärbares geschehen. Etwas, das er zwar hatte erreichen wollen, das jedoch selbst er nicht erklären konnte. Die anderen hatten es nicht glauben wollen, hatten es rationalisiert, doch er wusste, was damals geschehen war: Eins der digitalen Monster hatte sich in der Realität materialisiert. Es hatte zumindest zum Teil einen realen Körper aufgebaut – wie auch immer das möglich gewesen war. Doch das wirklich faszinierende daran war, dass das Wesen dies nur dank einer Sache geschafft hatte: Entelechia. Seiner inneren Kraft. Seines Willens. Shibumi fragte sich, was passieren würde, würden mehrere dieser Kreaturen es schaffen, ihren Weg in die Realität zu finden. Er war Japaner und in den späten 50ern geboren. Seine ganze Kindheit über war er mit Filmen konfrontiert worden, in denen riesige Dinosaurier, riesige Motten und andere Ungeheuer japanische Großstädte – meist Tokyo – angriffen und verwüsteten. Und rein logisch musste doch so etwas geschehen, würden sich mehr Digimon materialisieren. Immerhin war ihr Ziel ihre Stärke zu beweisen und in ihrer Welt kämpften sie darum. Sie lebten nach dem Gesetz des Stärkeren. Dem Gesetz ihrer Welt. Doch wenn sie in der materiellen Welt existieren würden... In der Welt, die mittlerweile von ganz anderen Gesetzen beherrscht wurde... Würden sie dann noch immer so handeln? Zumal es vielleicht noch einen anderen Antrieb gab. Immerhin war das Herz eines jeden Digimons – der Digicore, wie sie es genannt hatten – immer noch ein Programm, wenngleich eines, das sich selbst verändern konnte. Und dieses Programm war einmal von ihnen geschrieben worden und wurde von bestimmten Informationen beherrscht. Und Digimon sollten ursprünglich nun einmal wirklich virtuelle Spielkameraden sein – Spielkameraden für Kinder. Wie würden sich also reale Digimon gegenüber von Kindern in der Welt der Menschen verhalten? Das war eine Frage, die Shibumi brennend interessierte. Und so schrieb er in seiner freien Zeit an einem Algorithmus, der dies vielleicht irgendwann einmal ermöglichen würde – zumindest in der Theorie. Ein Algorithmus, der es den Digimon erlauben sollte, frei zwischen Welten zu wechseln – irgendwann einmal. Und dann? Nun, das würde er dann sehen, oder? Es war ja nur ein Experiment. Und Experimente konnten, bekanntlich, immer scheitern. Shibumi sah auf die Uhr, über seinem Schreibtisch an der Wand hing. Es verwunderte ihn nicht, das der Abend schon weit vorangeschritten war, denn er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er beim Arbeiten jedwedes Zeitgefühl verloren konnte. Dennoch spürte er langsam nagenden Hunger in seinem Magen. Langsam stand er auf und seufzte – zumindest innerlich. Zwar hatte er keine Abneigung gegen die Welt vor seiner Haustür, nur kostete es ihn dennoch jedes Mal Überwindung die Welt in seinem Computer hinter sich zu lassen. Dann fragte er sich, wie es wohl wäre in dieser Welt zu leben – mit Leib und Seele. In einer digitalen Welt, in der man nicht einmal essen musste. Bei dem Gedanken hätte er beinahe gelacht. Dann nahm er seine Jacke von der Lehne seines Stuhls, um in jene Welt zu gehen, in der er Essen kaufen konnte. Sein Ziel war der nur zwei Blöcke entfernte Supermarkt, wo es mehr als genug Instant Produkte gab. Jedoch sollte sein Weg an diesem Abend in eine ganz andere Welt führen. 1997 - Erinnerung ----------------- „Also...“, begann Sarah, ganz so, als hätte sie schon eine Weile darauf gewartet, diese Frage zu stellen. „Wie läuft es mit Dave? Ihr seid jetzt vier Mal ausgegangen!“ Linda sah sie über ihren Milchshake hinweg entgeistert an. Natürlich war sie auf diese Frage vorbereitet gewesen – immerhin kannte sie ihre ehemalige Mitbewohnerin sehr gut – doch die begeisterte Neugierde in den Augen der 32jährigen gab ihr das Gefühl mit einer Teenagerin am Tisch zu sitzen. Mit ihrem Strohhalm rührte sie ein wenig in ihrem eigenen Milchshake. „Es läuft gut... Denke ich...“, antwortete sie vage. Sie hatte bereits mit der Enttäuschung gerechnet, die sich nun auf Sarahs Gesicht ausbreitete. „Okay? Das ist alles?“ Noch einmal seufzte Linda. „Na ja, wie du schon gesagt hast: Wir sind erst vier Mal ausgegangen.“ „Na, aber du wirst ja wohl eine Meinung zu ihm haben“, empörte sich Sarah und zog einen Schmollmund, der sie noch mehr wie eine 16jährige wirken ließ. Etwas, das durchaus ironisch wirkte, da sie für einen Besuch in der Mall übermäßig fein gekleidet war, da sie gerade erst aus dem Büro gekommen war. Deshalb war ihr Haar auch noch immer zu einem Knoten gebunden, der normal eigentlich streng gewirkt hatte, zusammen mit ihrem Gesichtsausdruck aber eher eine Parodie seiner selbst war. Linda, deren Haar kurz geschnitten war, lächelte matt. „Na ja, er ist nett.“ „Und?“, bohrte Sarah weiter. „Was, und?“ „Na, glaubst du, es ist mehr drin?“ Daisy seufzte und rührte wieder in ihrem Milchshake. Dann, um einer Antwort auszuweichen, trank sie einen Schluck, und beobachtete die vorbeigehenden Leute. „Na ja...“, murmelte sie, nicht sicher was sie überhaupt antworten sollte. Schließlich besann sie sich. „Du klingst ja so, als würdest du mich unbedingt über die Haube bringen wollen!“ „Nimm es mir nicht übel, Daisy, aber du bist halt nun mal 36... Und ich will nicht, dass du irgendwann ganz allein...“ Sie unterbrach sich und schien nachzudenken. „Okay, das klang blöd. Aber, na ja, Daisy, willst du nicht auch eine Familie haben?“ Linda zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht“, murmelte sie. „Jedenfalls nicht so dringend, dass ich mich jemanden nur aus dem Grund an den Hals schmeiße.“ Für einen Moment sah es so aus, als wollte Sarah einen weiteren Einwand bringen, doch dann schwieg sie und seufzte. „Na ja, am Ende musst du es selbst wissen. Ich meine halt nur...“ „Ja, ja, ich weiß schon“, erwiderte Linda und bemerkte, dass sie genervter klang, als sie es beabsichtigte. Sie brachte ihre Stimme unter Kontrolle und meinte dann sanfter: „Ich weiß, dass du es ja nur gut meinst. Aber vielleicht bin ich ja nicht für das Familienleben geschaffen.“ Sarah nickte, offenbar unsicher, was sie sagen sollte, und Linda wandte sich wieder den Menschenmassen zu, die sich durch den Gang zwischen der Snackecke der Mall und den aneinander gereihten Läden hindurchdrängten. Doch eigentlich sah sie die Menschen nicht. Stattdessen dachte sie über Dave, der eigentlich David hieß, nach. Dave arbeitete als Professor an der Universität, hatte sie aber bei ihrem letzten Softwareprojekt mit Intel unterstützt. Er hatte sie vor drei Wochen das erste Mal zu einem Date eingeladen und soweit kamen sie gut miteinander aus. Etwas, das sie überraschte, wenn sie bedachte, dass er der erste Mann war, mit dem sie seit drei Jahren ausgegangen war. Dennoch: Das war sie Sarah gesagt hatte, stimmte: Sie wollte einfach nichts überstürzen. Außerdem fühlte sie sich mit ihrer Arbeit im Moment vollkommen ausgelastet – auf eine gute, befriedigende Art. „Lass uns weitergehen, ich wollte noch etwas schauen“, meinte sie schließlich zu Sarah, während sie selbst bereits aufstand. Die andere Frau ließ ein entgeistertes Stöhnen hören, stand aber ebenfalls auf. „Wo wolltest du den noch hin?“ „Elektro-Fachhandel“, erwiderte Linda kurz. „Du bist echt ein Geek“, murmelte Sarah. „Da wunderte es mich ja auch nicht...“ Für den Rest des Satzes nuschelte sie so sehr, dass ihre Freundin sie nicht verstehen konnte. „Kein Geek, ein Informatiker“, meinte sie mit einem Lächeln. „Ist das nicht dasselbe?“ Sarah sah sie mit frechem, herausfordernden Blick an, doch Linda grinste nur. „Nur, wenn Wirtschaftswissenschaftler automatisch Sesselpupser sind.“ Statt etwas zu antworten, zuckte Sarah nur mit den Schultern und strich sich eine Strähne ihres dunklen Haares, die sich aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf gelöst hatte, aus dem Gesicht. „Wie du meinst...“ So folgte sie Linda, während diese sich auf den Weg zum Elektronikgeschäft machte, das auf der Ostseite der Mall lag. Doch sie hatten nur die Hälfte der Strecke geschafft, als etwas, das sie nur unterbewusst wahrnahm, Linda aufhorchen ließ. „Ha, mein Metal Greymon ist halt doch stärker, als dein Tyrannomon! Es ist das stärkste Digimon von allen!“ Es war ein Junge, der gesprochen hatte, nicht älter als 10Jahre. Zusammen mit einem weiteren Jungen, saß er vor einem Spielzeugladen, in der Hand ein kleines, eckiges Gerät, das an ein Tamagotchi erinnerte. „Daisy?“, fragte Sarah, als Linda stehen blieb. Doch der Blick der anderen Frau war auf das Gerät in den Händen des Junge gerichtet. „Digimon...“, murmelte sie. Und für einen Augenblick fühlte sie sich um mehr als zehn Jahre in die Vergangenheit versetzt, zu der Zeit, als sie noch studierte und zusammen mit ihren Freunden an einem Projekt arbeitete – an einem Projekt, um künstliche Intelligenzen als Spielpartner für Kinder zu erschaffen. Künstliche Intelligenzen, die sie Digimon genannt hatten. Ja, damals hatten sie Pläne gehabt, dass die Digimon mit Kindern über tragbare Interfaces kommunizieren können sollten. Interfaces, die sie „Arc“ genannt hatten – Arche – wie im biblischen Mythos. Und das kleine, grau-rote Gerät in der Hand des Jungen, sah zwar sehr anders aus, als jenes Arc, doch waren einige Charakteristika deutlich zu erkennen. „Daisy, was ist denn?“, fragte Sarah und dieses Mal drang ihre Stimme in den Geist ihrer Freundin fort. „Digimon“, meinte sie, wenngleich sie immer Gedankenversunken wirkte. „Seit wann...?“ „Ach, die Geräte sind seit sicher zwei Monaten schon draußen. Ich habe Sammy eins zum Geburtstag geholt“, plauderte Sarah unbesorgt. „Mein Neffe“, erklärte sie, als sie Lindas fragenden Blick sah. Linda nickte nur, erwiderte aber nichts, während sie nun auch ein Schild mit der Aufschrift „Digimon“ und einem stilisierten Logo im Laden erkennen konnte. „Was ist damit?“, fragte Sarah, ließ ihre Freundin aber gar nicht antworten. „Warte mal, hießen so nicht auch die Dinger, an denen ihr damals an der Uni gearbeitet habt?“ Daraufhin nickte Linda, dieses mal bestätigend. „Ja. Ich wusste gar nicht, dass sich die Idee verkauft hat...“ „Sicher, dass es dasselbe ist?“, meinte Sarah zweifelnd, doch noch einmal nickte ihre Freundin. „Ja, wir hatten damals auch ein Tyrannomon und ein Metal Greymon... Und einige andere Greymon...“ Ein Schauder lief ihr bei diesen Worten über den Rücken, doch sie bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen. „Na ja, dann hat euch wohl jemand die Idee abgekauft“, antwortete Sarah und zuckte mit den Schultern. „Magst du es dir ansehen?“ Sie zeigte in Richtung des Ladens. Für einen Moment zögerte Linda, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich war nur überrascht.“ „Dann können wir weiter?“ „Ja.“ Noch einmal sah Linda auf das Gerät in den Händen des Kindes, riss sich dann aber los und setzte ihren Weg fort. Nur waren ihre Gedanken nun ganz woanders. Denn wenn sie an ihre Zeit an der Universität, speziell an ihre Zeit mit dem Wild Bunch dachte, dann kam ihr noch eine andere Erinnerung. Die Erinnerung an eine Nacht, in der sie über ihre Arbeit die Zeit vergessen hatte, wie es ihr schon immer gern passiert war. Sie hatte damals solche Angst gehabt... Doch dann erinnerte sie sich noch an etwas anderes. Das ist nicht möglich, erinnerte sie sich. Die Digimon sind nur Programme. Es war nur ein Streich. Nur ein paar Studenten, die einen über den Durst getrunken hatten! Und mit dem Gedanken verdrängte sie die Erinnerung, auch wenn sie tief in ihrem Herzen wusste, dass es doch kein Scherz gewesen war, und das ihre Realität nicht ganz so einfach war, wie sie es sich wünschte. 1998 - Alice ------------ Zu sagen, sie wachte auf, wäre unpassend gewesen, denn sie hatte nicht geschlafen. Nun, vielleicht hatte sie doch geschlafen. Sie wusste es nicht zu sagen. Das einzige, was sie wusste, war, dass ein schwerer, dichter Nebel sie umgab. Wo war sie und wie war sie hierher gekommen? Auch das wusste sie nicht, denn ihre Erinnerung schien in denselben Nebel gehüllt, wie ihre Umgebung. Es war seltsam. Das letzte, an das sie sich erinnerte, waren ihre Eltern, mit denen spazieren gegangen war. Doch da hatte die Sonne geschienen und der Himmel war klar gewesen. „Mum? Dad?“, fragte sie mit zittriger Stimme in den Nebel hinein, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Etwas war einfach nicht so, wie es sein sollte, auch wenn sie nicht hätte sagen können, was. Da ihr kaum eine andere Wahl blieb, beschloss sie schließlich einen Schritt voran zu machen. Zumindest schien der Boden unter ihren Füßen fest zu sein. Es schien beinahe, als wäre der Boden aus Stein, doch da sie ihn nicht sehen konnte, war es ihr unmöglich, sicher zu sein. So holte sie tief Luft und machte einen weiteren Schritt, dann noch einen. Sie streckte die Arme vor sich aus und tastete mit ihren Füßen immer wieder nach dem Boden. Da sie nicht wusste, wo sie war, konnte sie auch nicht sagen, ob es nicht irgendwo Klippen oder Hindernisse gab. Sie spürte etwas wie Angst in sich hochkommen, während sie sich Schritt für Schritt durch den Nebel tastete und doch nicht voran zu kommen schien. Was für eine seltsame Welt ist das?, schoss es ihr durch den Kopf, ehe sie auf einmal inne hielt. Wie kam sie überhaupt darauf, dass es eine „Welt“ war? Doch obwohl sie eigentlich wusste, dass es keine andere Welten geben konnte – nun, zumindest mit der Sicherheit, mit der es eine Zehnjährige wusste, die ihre Cousine dafür belächelte, noch an den Weihnachtsmann zu glauben – war sie sich nun sicher, nicht mehr auf der Erde zu sein, die sie kannte. Irgendetwas an ihrer Umgebung war dafür zu... anders... „Mum? Dad?“, rief sie noch einmal in den Nebel hinein, doch bekam sie noch immer keine Antwort. Würde sie jemals wieder nach Hause zurückfinden? Ein weiterer Schritt. Noch einer. Eigentlich konnte sie auch einfach stehen bleiben. Was machte es für einen Unterschied? Noch ein Schritt. Da hielt sie inne. Sie meinte, etwas gehört zu haben, doch konnte sie nicht genau sagen, was es war. Beinahe hielt sie den Atem an, um besser lauschen zu können. Sie war sich nicht sicher, ob sie etwas, was in diesem Nebel lebte, fürchten sollte oder nicht. Sie dachte schon, dass sie sich das Geräusch vorher nur eingebildet hatte, als sie es wieder hörte. Es war das unschuldige Lachen eines Kindes. Also gab es doch Menschen hier? „Ist da wer?“, rief sie in den Nebel hinein. Erneut erklang das Lachen. Es schien mehr als ein Kind zu sein und es schien von rechts von ihr zu kommen. So wandte sie sich in die Richtung und rief erneut: „Ist da wer? Wo bin ich hier? Ich glaube, ich habe mich verlaufen?“ Ein weiteres Lachen, doch es schien sich zu entfernen. Sie zögerte. So oder so ähnlich begannen einige Horrorfilme von denen sie gehört hatte. Aber auf der anderen Seite, waren solche Filme nicht besonders realistisch, oder? Und sie musste einen Weg hier heraus finden. Also nahm sie sich ein Herz. „Wartet doch!“, schrie sie in den Nebel und lief los. „Wartet, bitte! Helft mir! Ich habe mich verlaufen und ich weiß nicht...“ Sie verschluckte den Rest des Satzes vor Schreck. Sie fiel. Irgendwo musste doch eine Klippe gewesen sein. Und nun fiel sie. Unwillkürlich kniff sie die Augen zusammen, schrie aber nicht. Und dann, nach keinem all zu langen Sturz (auch wen es ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war), kam sie auf harten Boden auf. Doch sie spürte keinen Schmerz. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah sich um. Nun war sie nicht mehr von Nebel umgeben. Stattdessen saß sie auf weißen, irgendwie unwirklich aussehendem Felsen unter einem unnatürlich blauen Himmel. Wie konnte das sein? Vorsichtig stand sie auf. Sie konnte problemlos stehen und schien unverletzt zu sein. Doch sollte sie nicht eigentlich... Während sie sich umsah, hielt sie inne. Wo war sie überhaupt runter gefallen? Denn nirgendwo schien eine Klippe zu sein. Alles, was es auf der flachen, steinigen Ebene, auf der sie sich befand, zu geben schien, waren kleinere Felsformationen in verschiedensten Formen. Erneut hörte sie das Lachen, dieses Mal viel näher, als zuvor. Und als sie sich in die Richtung, aus der die Stimmen kamen, umsah, erkannte sie auch wer – oder viel mehr „was“ lachte, und wurde sich dessen bewusst, dass sie sicherlich nicht mehr in ihrer Welt war. Es war eine Gruppe bestehend aus drei Wesen, die sie am ehesten wohl als Elfen beschrieben hätte, auch wenn sie so anders waren, als die Elfen und Feen in Märchenbüchern und Filmen. Es waren drei Wesen, die an kein Tier, das sie kannte, erinnerten. Sie schienen in einem goldenen Licht zu leuchten, hatten breite Münder, eine Art Antenne auf dem Kopf und lange, breite Arme, die sei zu benutzen schienen, um zu fliegen. Es war unwirklich. Nun bemerkten diese Wesen sie und flogen zu ihr rüber, während sie unablässig dasselbe klare, unschuldige Lachen hören ließen. War das ihre Art zu kommunizieren? Zwei der Wesen nahmen sie bei den Händen und schienen sie wohin führen zu wollen, während das dritte Wesen voraus flog. Und aus irgendeinem Grund ließ sie es geschehen. Wie war sie nur hierher gekommen? Noch immer versuchte sie sich zu erinnern. Sie war mit ihren Eltern im Park gewesen. Es war ein Sonntag – ein kühler Sonntag im März. Sie hatten zu einem Café gehen wollen. Und dann? Weiter und weiter lief sie über die unwirkliche Ebene, angeführt von seltsam unwirklichen Wesen aus einer anderen unwirklichen Welt. Wo war sein nur? Und dann sah sie ein anderes Wesen. Keine weitere Fee, sondern etwas anderes, größeres. Etwas, das aussah, wie ein riesiger Hase. Ein riesiger Hase mit weiten Hosen und einem violetten Schal, der vor einer Art Brücke zu sitzen schien. Auf einmal sah er zu ihr hinüber und richtete sich auf. Er schien auf zwei Beinen stehen zu können. In dem Moment, wo er sie erblickte, ließen die beiden Feen ihre Hände los und flogen von dannen, so dass sie unschlüssig gute zweihundert Fuß von dem Hasen entfernt stehen blieb. Dieser fixierte sie noch immer mit seinen Augen. Wieso hatten die Feenwesen sie hierher geführt? Sollte sie mit dem Hasen „reden“? War das nicht abstrus? Doch was sollte sie sonst machen? Wie sollte sie sonst herausfinden, wo sie war? Also machte sie einen Schritt auf den Hasen zu. Und dann einen weiteren. Ihre Gedanken schienen langsam klarer zu werden, stellte sie fest. Sie erinnerte sich, wie sie an der Seite ihrer Eltern vor dem Park gestanden hatte. Auch erinnerte sie sich an etwas, das sehr laut gewesen war, auch wenn sie beim besten Willen nicht sagen konnte, was es war. Und dann? Schwärze. Doch eine Sache war da noch. Die besorgten Gesichter ihrer Eltern. Und... Eine weiße Decke? Sie hatte den Hasen beinahe erreicht, während dieser sie nicht aus den Augen ließ. „Du bist ein Mensch?“, sprach dieser mit der tiefen Stimme einer älteren Frau. Dabei war es eine Frage, keine Feststellung. „Ja“, erwiderte sie vorsichtig. „Ich bin Alice und... Ich weiß nicht, wo ich hier bin.“ „Wie bist du hierher gekommen?“, fragte der Hase weiter, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Das weiß ich auch nicht“, antwortete sie. „Ich weiß doch nicht, wo ich bin. Kannst du mir helfen...“ Sie hielt inne, da sie nicht wusste, wie sie das Wesen ansprechen sollte. Der Hase schien ihre Worte zu bedenken und bückte sich schließlich zu ihr hinab. „Menschen sollten nicht hier sein“, sagte er dann. „Das hier ist keine Welt der Menschen. Du bist in der digitalen Welt, der Welt der Digimon.“ „Digimon?“, fragte sie. Etwa die Digimon, von denen ihr Vater ihr erzählt hatte, als sie ein Kind war? Die Digimon, die ihr Großvater versucht hatte, an einem Computer in einem Spiel zu bauen? Aber das konnte doch gar nicht sein! „Du solltest wieder in deine Welt zurückgehen, Mensch Alice“, meinte der Hase dann. Sie zögerte. „Aber ich weiß nicht wie“, antwortete sie. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke. Oder viel mehr eine Erkenntnis. Etwas, dass bereits die ganze Zeit unterschwellig in ihrem Bewusstsein gedämmert hatte. „Ich kann nicht“, flüsterte sie. Dort bin ich gestorben. 1999 - Abenteuer ---------------- Ohne anzuhalten, rannte der achtjährige Junge die Straße zum Park hinab, während die Nachmittagssonne warm zwischen die Häuser des Handelsdistriktes in Nishishinjuku fiel. Er rannte so schnell, dass er beinahe in eine ältere Frau, die offenbar gerade eingekauft hatte, hineinlief. Hastig entschuldigte er sich und legte schließlich das letzte Stück hinein. „Hey!“, rief er, während er auf dem Spielplatz am Rand des Parks stehen blieb und seinen besten Freund an einem Klettergerüst entdeckte. „Man, du bist aber spät...“, weiter kam der andere Junge, der etwas größer war, als der Junge, der gerade erst auf den Spielplatz zum Stehen gekommen war. Dann lachte er los. „Was soll das, Hirokazu!“, rief der Neuankömmling, doch der andere Junge brauchte etwas, ehe er sich beruhigte. Auch ein dritter Junge, der auf dem Spielplatz gewartet hatte, sah nun den gerade angekommenen und kicherte unter vorgehaltener Hand. „Was?!“, empörte sich der erste Junge. „Was hast du da auf dem Kopf, Takato?“, fragte schließlich Hirokazu, noch immer atemlos vom Lachen. Takato griff sich verwirrt auf den Kopf und zupfte an der Brille herum, die er dort befestigt hatte. Es war eine Art Fliegerbrille aus Plastik, die offenbar aus einem Merchandiseladen oder vielleicht irgendeinem Spielemagazin kam. „Was soll daran lustig sein?“, meinte er schließlich. „Das ist eine Fliegerbrille, wie die von Taichi!“ Erneut brachen die beiden anderen Jungen in Gelächter aus und brachten Takato dazu zu erröten. „Warum lacht ihr?“ „Na ja“, meinte jetzt der dritte Junge, der andere als die anderen beiden schwarzes Haar hatte und zudem eine Brille trug. „Ich meine, du und Taichi?“ Erneut kicherte er leise. „Was?“ Takato sah ihn nun wirklich empört an. „Wenn ich in die digitale Welt kommen würde, hätte ich auch ein Agumon!“ „Hättest du nicht!“, erwiderte Hirokazu frech. „Du hättest wahrscheinlich...“ Er pausierte, um nachzudenken. „Ein Numemon!“ „So ein Blödsinn!“, rief Takato aus, schien sich dann aber zu beruhigen. „Wenn ich ein Numemon hätte“, meinte er dann ruhiger, „dann hättest du ein Scumon!“ „Hmpf!“ Nun verschränkte Hirokazu seine Arme. „Nein, ich hätte ein Agumon!“ „Niemals!“, meinte nun auch der dritte Junge. Er grinste frech. „Ich finde, ein Scumon passt schon ganz gut zu dir!“ „Oder ein Gekomon!“, pflichtete Takato dem bei. Dies stieß jedoch weniger auf Protest von seinem Freund. „Gekomon finde ich eigentlich ganz cool! Vor allem ist Tonosama Gekomon ziemlich stark!“ „Aber Metal Greymon wird es besiegen!“, meinte Takato herausfordernd. „Hmm, das werden wir sehen!“ Der dritte Junge – sein Name war Kenta – verschränkte nun auch die Arme. „Natürlich wird Metal Greymon es besiegen!“ Er überlegte. „Es sei denn, Togemon entwickelt sich auch!“ „Was will Togemon denn gegen Tonosama Gekomon ausrichten?“, erwiderte Hirokazu. „Togemon ja nicht, aber Palmon‘s Perfect-Level!“, entgegnete Kenta. „Das wird auch nicht stärker sein“, beharrte wiederum Hirokazu. Takato seufzte. So hatte er sich diesen Nachmittag nicht vorgestellt. „Wir werden ja sehen, was passiert“, meinte er daher vorsichtig, was ihm jedoch nur zwei wütend wirkende Blicke einbrachte. „Wer glaubst du denn, würde gewinnen, Takato?“, fragte Hirokazu. Unsicher sah Takato zwischen den beiden hin und her. „Ich... Ich warte lieber ab.“ „Na, Tonosama Gekomon wird sicher besiegt werden, wenn es böse ist“, meinte Kenta nun altklug. „Bisher haben die auserwählten Kinder ja jedes böse Digimon besiegt.“ „Hmpf“, machte Hirokazu, wusste darauf aber auch nichts zu entgegnen. „Na ja, wenn Hirokazu ein Gekomon haben will, dann bekomme ich Agumon als Partner!“, meinte Kenta daraufhin und sah verträumt gen Himmel. „Aber ich wollte doch Agumon haben!“ Takato sah ihn schmollend an. „Ich habe sogar eine Fliegerbrille.“ „Du kannst doch Gabumon haben!“, schlug Kenta – offenbar wohlwollend vor. Takato ließ die Schultern hängen. „Aber ich mag Agumon lieber! Weil Greymon cooler ist, als Garurumon!“ „Natürlich ist es das“, stellte Hirokazu fest. „Deswegen sollte es auch mein Partner sein! Weil ich bin deutlich der coolste hier in der Runde!“ So wäre es wohl noch eine ganze Weile hin und her gegangen, hätte Takato nicht kleinbei gegeben. „Na gut“, seufzte er. „Dann habe ich eben...“ Er überlegte für einen Moment. „Dann habe ich eben Patamon! Weil Angemon verdammt stark ist!“ „Und ich...“, begann Kenta und überlegte ebenfalls. „Du solltest Gomamon nehmen!“, meinte Hirokazu. „Mit der Brille siehst du ja auch beinahe aus wie Jyou!“ „Gar nicht war...“, grummelte Kenta und schob seine Brille zurecht. „Ähm, dann nehme ich Tentomon!“ „Also mit Koushiro hast du aber gar nichts gemein.“ Hirokazu sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Kenta zuckte mit den Schultern. „Darum geht es aber doch nicht, oder?“ „Na, vielleicht nicht“, meinte Hirokazu schließlich, nachdem es erst so ausgesehen hatte, als wollte er widersprechen. Bald waren die drei Jungen zumindest gedanklich in jener anderen Welt versunken, die sie aus dem Fernsehen kannten. Auf einmal waren sie auf der Insel File, wo sie gegen allerhand gegnerische Digimon kämpften. Dabei digitierten ihre imaginären Digimonpartner, während sie den Infinity Montain (der in der realen Welt nur ein nicht einmal mehr als zwei Meter hohes Klettergerüst war) bestiegen, und wurden zu immer stärkeren Digimon. „Glaubt ihr“, begann Takato, als er ein wenig mit seinen Freunden auf der Spitze des Klettergerüsts verschnaufte, „dass es echte Digimon geben könnte?“ Hirokazu zuckte mit den Schultern. „Wer weiß?“ Doch Kenta schüttelte den Kopf. „Wie soll das denn gehen. So ein Digimon würde sicher eine Menge Speicherplatz verbrauchen und das ginge doch gar nicht. Außerdem könnten so Digimon sicher nicht in die reale Welt kommen.“ „Du bist langweilig“, grummelte Hirokazu. „Vielleicht geht die digitale Welt ja über Computer und sowas hinaus!“ „Wie soll das denn möglich sein?“, erwiderte Kenta. „Wahrscheinlich hast du Recht“, seufzte Takato. „Aber wäre es nicht dennoch toll? Echte Abenteuer mit einen echten Digimonpartner...“ Hirokazu lachte. „Und ich wäre der beste Tamer von allen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)