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15 Jahre

[Digimon Tamers] One-Shot Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der erwachsene Charakter in Digimon Tamers, der mich mit Abstand am meisten Fasziniert, ist Shibumi, aka Mizuno Gorou. Ich vermute hinter ihm bis heute einen Asperger, da er klassische Asperger Verhaltensweisen zeigt. Nicht zuletzt merkt man bei ihm, dass er eigentlich in seiner ganz eigenen Welt lebt und nur ab und an mit der äußeren Welt interagiert. Daher kann ich mir vorstellen, dass es für ihn nicht einmal so schlimm gewesen ist, als er sich auf einmal nach einem Autounfall in der digitalen Welt wiederfand.
Diese Geschichte spielt allerdings vor dem Autounfall - und vorrangig in Shibumis Kopf. Komplett anzeigen

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1993 - Welten

Wer unvorbereitet in die Wohnung gekommen wäre, hätte wohl gedacht, dass hier ein Hikikomori leben würde. Überall lagen Verpackungen von Fastfood herum, wie auch leere Blechdosen, die den Aufschriften nach zu schließen einmal Softdrinks und Kaffee enthalten hatten. Zwischen all diesem Müll lag auch das ein oder andere ungewaschene Kleidungsstück, so wie auch einige Zeitschriften, die allerdings nicht, wie vielleicht ein etwaiger Besucher intuitiv erwartet hätte, weder Manga, noch halbnackte Damen beinhalteten, sondern Artikel über neue Entwicklungen auf dem Computermarkt.

Nun, bei dem Eindruck, den die kleine Wohnung in ihrem aktuellen Zustand erweckt hätte, konnte man recht sicher sagen, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, dass ihr Bewohner lieber auf Besuch verzichtete.

Mizuno Gorou war kein Hikikomori – noch hätte er gewusst, was dies sein sollte, hätte man ihn gefragt. Er hatte einen Beruf, verdiente selbstständig Geld und hatte nicht das geringste Problem damit, das Haus zu verlassen. Zwar tat er dies nicht besonders häufig, doch das lag eher daran, dass er oft von Zuhause aus arbeitete – immerhin lebte er in einem der wenigen Apartmenthäuser Tokyos, die bereits einen Internetanschluss hatten.

Doch auch wenn er kein Hikikomori war, bevorzugte er es allein zu sein und zu arbeiten. Er war nie sonderlich erpicht auf sozialen Umgang gewesen und hatte sowohl während seines Studiums, als auch während seines Studiums in den US die Einsamkeit bevorzugt. Es war nicht so, dass er wirklich ein Problem mit anderen Menschen oder der Welt vor seiner Wohnungstür gehabt hatte. Er fürchtete sie nicht. Aber das da draußen war nicht seine Welt. Das war sie nie gewesen.

Seine Welt hatte er schon immer woanders gefunden. Doch was er früher in Büchern gefunden hatte – und während seiner Schulzeit hatte er viel gelesen – fand er nun in seinem Computer. Die Wahrheit war, dass seine Arbeit, die sich mit der Entwicklung von Computerprogrammen für wirtschaftlich veranlagte Unternehmen befasste, nicht sonderlich interessant war und er meist weit weniger Zeit für seinen Teil dieser Arbeit benötigte, als veranlagt. Auch das war nicht seine Welt – nur seine Arbeit.

Seine Welt war etwas anderes. Eine echte Welt.

Ja, die Welt, mit der Mizuno Gorou, der von sich selbst meist nur als „Shibumi“ dachte, seine Zeit größtenteils verbrachte, war echt, real – eine wirkliche Welt. Zumindest sah Shibumi sie so an.

Sicher, diese Welt – seine Welt – bestand aus Daten, doch war sie von Wesen bewohnt, die denken konnten und sich ihrer selbst bewusst waren. Auch diese bestanden aus Daten, aus scheinbar endlosen Folgen von Einsen und Nullen, wenn man so wollte, doch für Shibumi bestand kein Zweifel daran, dass diese Wesen ein Bewusstsein hatte.

Diese Wesen waren Digimon. Digitale Monster. Sie waren das, was aus seiner Zeit in den USA übrig geblieben war. Damals hatte er zusammen mit einigen anderen Studenten angefangen in einem Projekt angefangen diese Welt und diese Wesen zu entwickeln – doch hatten sie eine andere Welt schaffen wollen, als er.

Ihre Vision war ein Spiel mit sehr simplen künstlichen Intelligenzen gewesen, die sich zwar innerhalb ihres Spiels auf vorgegebenen Faden entwickeln können sollten, jedoch nie zu mehr fähig sein sollten. Es sollte den Schein einer echten Welt erwecken – nicht mehr.

Doch Shibumi hatte von Anfang an eine gänzlich andere Vision gehabt. Und so wurde nun seine Welt von Digimon bevölkert, die sich frei entwickelten und die mehr als irgendetwas in der künstlichen Welt vor seiner Haustür nach dem Gesetz des Stärkeren lebten.

Angetrieben von einer Macht, die er nach Platons innerer Kraft Entelechia genannt hatte, kämpften sie gegeneinander, absorbierten die Daten ihrer besiegten Gegner und entwickelten sich weiter und immer weiter.

Doch das war nicht alles.

Seine digitalen Monster waren nicht nur fähig, nach einem Script miteinander und mit einem Menschen vor einem Computer zu interagieren, sondern dies wissentlich und frei zu tun. Sie waren sich nicht nur ihrer selbst, sondern auch ihres digitalen Zustandes bewusst.

Shibumi dachte von der Welt der digitalen Monster als seine Welt. Jedoch nicht in dem Sinne, dass er sich als Gott der Welt sah. Viel mehr war es eine Welt, die seinen Vorstellungen entsprach. Jedoch gehörte die Welt nicht ihm, sondern den Digimon.

Dies konnte jedoch nichts daran ändern, dass er schon seit guten fünf Jahren darüber fantasierte, diese Welt irgendwann einmal selbst betreten können – und sei es nur virtuell. Er wollte über mehr, als seine Tastatur mit dieser Welt interagieren, und sei es nur für einen Versuch.

Denn eine Sache hatte ihn nicht losgelassen in den letzten Jahren: Kurz bevor ihr Projekt aufgelöst worden war, war etwas vermeintlich unerklärbares geschehen. Etwas, das er zwar hatte erreichen wollen, das jedoch selbst er nicht erklären konnte.

Die anderen hatten es nicht glauben wollen, hatten es rationalisiert, doch er wusste, was damals geschehen war: Eins der digitalen Monster hatte sich in der Realität materialisiert. Es hatte zumindest zum Teil einen realen Körper aufgebaut – wie auch immer das möglich gewesen war. Doch das wirklich faszinierende daran war, dass das Wesen dies nur dank einer Sache geschafft hatte: Entelechia. Seiner inneren Kraft. Seines Willens.

Shibumi fragte sich, was passieren würde, würden mehrere dieser Kreaturen es schaffen, ihren Weg in die Realität zu finden.

Er war Japaner und in den späten 50ern geboren. Seine ganze Kindheit über war er mit Filmen konfrontiert worden, in denen riesige Dinosaurier, riesige Motten und andere Ungeheuer japanische Großstädte – meist Tokyo – angriffen und verwüsteten. Und rein logisch musste doch so etwas geschehen, würden sich mehr Digimon materialisieren. Immerhin war ihr Ziel ihre Stärke zu beweisen und in ihrer Welt kämpften sie darum. Sie lebten nach dem Gesetz des Stärkeren. Dem Gesetz ihrer Welt.

Doch wenn sie in der materiellen Welt existieren würden... In der Welt, die mittlerweile von ganz anderen Gesetzen beherrscht wurde... Würden sie dann noch immer so handeln?

Zumal es vielleicht noch einen anderen Antrieb gab. Immerhin war das Herz eines jeden Digimons – der Digicore, wie sie es genannt hatten – immer noch ein Programm, wenngleich eines, das sich selbst verändern konnte. Und dieses Programm war einmal von ihnen geschrieben worden und wurde von bestimmten Informationen beherrscht. Und Digimon sollten ursprünglich nun einmal wirklich virtuelle Spielkameraden sein – Spielkameraden für Kinder. Wie würden sich also reale Digimon gegenüber von Kindern in der Welt der Menschen verhalten?

Das war eine Frage, die Shibumi brennend interessierte.

Und so schrieb er in seiner freien Zeit an einem Algorithmus, der dies vielleicht irgendwann einmal ermöglichen würde – zumindest in der Theorie. Ein Algorithmus, der es den Digimon erlauben sollte, frei zwischen Welten zu wechseln – irgendwann einmal.

Und dann?

Nun, das würde er dann sehen, oder?

Es war ja nur ein Experiment. Und Experimente konnten, bekanntlich, immer scheitern.

Shibumi sah auf die Uhr, über seinem Schreibtisch an der Wand hing. Es verwunderte ihn nicht, das der Abend schon weit vorangeschritten war, denn er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er beim Arbeiten jedwedes Zeitgefühl verloren konnte.

Dennoch spürte er langsam nagenden Hunger in seinem Magen.

Langsam stand er auf und seufzte – zumindest innerlich. Zwar hatte er keine Abneigung gegen die Welt vor seiner Haustür, nur kostete es ihn dennoch jedes Mal Überwindung die Welt in seinem Computer hinter sich zu lassen.

Dann fragte er sich, wie es wohl wäre in dieser Welt zu leben – mit Leib und Seele. In einer digitalen Welt, in der man nicht einmal essen musste.

Bei dem Gedanken hätte er beinahe gelacht.

Dann nahm er seine Jacke von der Lehne seines Stuhls, um in jene Welt zu gehen, in der er Essen kaufen konnte. Sein Ziel war der nur zwei Blöcke entfernte Supermarkt, wo es mehr als genug Instant Produkte gab.

Jedoch sollte sein Weg an diesem Abend in eine ganz andere Welt führen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Caliburn
2014-01-27T15:34:11+00:00 27.01.2014 16:34
Sehr schön geschrieben, das muss ich dir lassen. :) Shibumi war schon immer irgendwie der interessanteste Charakter des Wild Bunch gewesen. Ohne Frage.
Wie du ihn in diesem Kapitel dargestellt hast, gefällt mir wirklich sehr. Er war schon immer etwas "wunderlich", wie manche es sagen würden.
Und auch schon Shibumi scheint den Gedanken zu haben, dass sich die Digimon zu den Kindern näher fühlen als zu den Erwachsenen. Yeah. ^^
Antwort von:  Alaiya
27.01.2014 16:36
Danke wieder für den Kommentar :3
Ich würde Shibumi nicht mal als "wunderlich" bezeichnen, sondern einfach nur als klassischen Asperger ^^" Ich bin mir ehrlich gesagt sogar recht sicher, dass Konaka ihn als Asperger geschrieben hat. Aber man sagt es ja nicht laut, ne?
Von:  Rozarindo
2013-12-29T16:37:14+00:00 29.12.2013 17:37
Du hast die Atmosphäre, die in seinem Zuhause herrscht, gut dargestellt. Ich denke, dass ich zu jenen Personen zählen würde, die ungern seine Besucher wären ;D
Seine Gedankengänge finde ich sehr komplex, dennoch nachvollziehbar - liegt wohl daran, dass du einfach super mit Worten umgehen kannst.
Wiedereinmal ein gelungener OS mit ausgeklügelten Denkvorgängen und einer hervorragenden Charakterisierung.


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