Einsamer Engel von YvaineLacroix ================================================================================ Kapitel 7: Devil dressed in White --------------------------------- Lange Zeit saß ich so da und ließ meine Gedanken schweifen. Ich hatte Angst vor der in meinen Augen unweigerlichen Begegnung zwischen Victor und dem Phantom. Was wenn Erik dabei etwas zustieß? Wenn er starb, dann würde ich mir das nie verzeihen. Dafür bedeutete er mir viel zu viel. Natürlich wusste ich, dass er meisterlich mit jeder Art von Waffen umgehen konnte und sich im Opernhaus auskannte wie kein anderer. Und es war durchaus kein Gerücht, dass noch nie jemand der tödlichen Schlinge seines Zauberlassos entkommen war. Doch ich wusste auch, dass Victor hervorragend mit dem Degen und seiner Pistole umgehen konnte. Und er würde eiskalt abdrücken, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Ich erbebte bei dem Gedanken an Victor. Er hatte mich wiederholt geschlagen, um meinen Willen zu brechen und mir bis ins kleinste Detail erzählt, was er mit mir anstellen würde, wenn ich endlich seine Frau geworden war. Er begehrte mich und wollte mich besitzen, da ich das Ebenbild meiner Mutter war, die er über alles geliebt, aber niemals bekommen hatte. Ich hasste die lüsternen Blicke, die er mir immer zuwarf. Doch ich war unendlich erleichtert, dass er niemals versucht hatte sich mir auf unsittliche Art und Weise zu nähern. Wenn er gewollt hätte, dann wäre ich nun schon lange nicht mehr unberührt und er hätte mich sicher immer wieder benutzt um seine Lust zu befriedigen. Schnell verscheuchte ich diese scheußlichen Gedanken. Ich wollte nicht an diesen brutalen Mann denken, der in mir keinen Mensch sah, sondern lediglich ein wertvolles Objekt, das ihm mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten von großem Nutzen sein würde und mit dem man seinen Spaß haben konnte. Schließlich erhob ich mich seufzend und machte mich auf die Suche nach Erik. Ich fühlte mich hungrig und wollte ihn fragen ob er eine Kleinigkeit zu essen für mich hatte. Als ich aus dem Raum heraus trat, legte sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter. Vor Schreck zuckte ich zusammen, woraufhin die Hand sofort wieder zurückgezogen wurde. „Ich wollte dich nicht erschrecken, Emilie,“ vernahm ich die wohlklingende Stimme des Phantoms. Er blickte mich entschuldigend an und ich meinte abwehrend: „Ist nicht weiter schlimm.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er sich galant vor mir verbeugte und mir die Hand entgegen streckte. „Darf ich Sie um die Ehre bitten mit mir zu dinieren?“ fragte er formvollendet. Verblüfft starrte ich ihn einen Moment lang an. Dann lachte ich. Er hob indigniert seine Augenbraue und ließ seine Hand wieder sinken. „Darf ich erfahren was daran so komisch sein soll?“ wollte er leicht verärgert wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun ja,“ meinte ich schließlich lächelnd. „Ich lache, weil du offenbar meine Gedanken erraten hast. Ich wollte dich gerade suchen, um dich nach etwas Essbarem zu fragen.“ Nun musste auch er lachen und mir wurde ganz warm ums Herz bei diesem voll tönenden Klang. Es war unglaublich wie sehr ihn so etwas Einfaches wie ein Lachen verändern konnte. Er wirkte gelöst und seine Augen hatten wieder dieses unglaublich sanfte Glühen, welches ich so anziehend fand. Ich wusste, dass er in seinem bisherigen Leben nicht viel zu lachen gehabt hatte und fand es deshalb umso schöner, dass er sich in meiner Gegenwart so entspannt und erheitert geben konnte. Freudig hakte ich mich bei ihm unter. „Wie war das nun mit dem Dinner?“ fragte ich keck und strahlte ihn an. Er erwiderte mein Lächeln und meinte dann: „Lass dich überraschen.“ Gemeinsam schritten wir in die geräumige Nische, in der sich das Bett befand und mir stockte jäh der Atem, bei dem Anblick, der sich mir bot. In der Nähe des Bettes hatte Erik einen Tisch mit zwei Stühlen aufgestellt, der üppig gedeckt war. Dutzende Kerzen spendeten ihr Licht und legten einen sanften Schimmer einem Schleier gleich über den Raum. Ich trat näher und staunte über die vielen Köstlichkeiten, unter denen sich die silbernen Teller und Platten förmlich zu biegen schienen. Da gab es einen goldbraun gerösteten Fasan garniert mit in Honig glasierten Möhrchen, herrlich saftig aussehende Schweinemedaillons, die auf einem Beet aus grünen Bandnudeln ruhten, zarten Lachs in einer cremigen Sauce umgeben von goldgelben Petersilienkartoffeln und mehr Süßspeisen, als ich jemals zuvor an einem Ort gesehen hatte. „Wo hast du das alles her?“ wollte ich verwundert von ihm wissen und fuhr mit den Fingern sacht über die blütenweiße Tischdecke aus Damast. Ich hatte mit einer kleinen Mahlzeit gerechnet und nicht mit einem so opulenten Mahl. Wo mochte er bloß all diese delikat aussehenden Speisen her haben? Er lächelte mich geheimnisvoll an, als ich schließlich den Blick hob. „Das bleibt mein Geheimnis.“ Ganz der vollendete Gentleman zog er mir einen der Stühle zurück, so dass ich mich setzen konnte. „Vielen Dank,“ murmelte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Insgeheim war ich jedoch ein wenig enttäuscht darüber, dass er meine Frage so geschickt beantwortet hatte ohne dabei irgendetwas preiszugeben. Ich hätte gerne gewusst woher die Speisen stammten und wie er sie beschafft hatte. Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe, eine Angewohnheit aus meiner Kindheit, die ich nie ganz abgelegt hatte. Ich war so sehr in meinen Gedanken versunken, dass mir entging mit was für einem begehrlichen Blick er auf meine volle Unterlippe starrte, die ich zwischen meinen Zähnen gleichmäßig hin- und herschob. Hätte ich es gesehen, hätten meine Wangen sicherlich vor Verlegenheit geglüht, denn ich war solch offensichtliche Bekundungen des männlichen Wohlwollens nicht gewohnt. Als seine heftige Gefühlswallung schließlich bis in mein Innerstes drang, sah ich irritiert auf und ließ von meiner Unterlippe ab. Er räusperte sich einmal um sich wieder zu fangen und fragte dann brüsk: „Wolltest du nun etwas essen oder nicht?“ Meine Wangen verfärbten sich bei seinen harschen Worten jäh rot. „Entschuldige bitte, ich war in Gedanken,“ erklärte ich leise. „Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich wollte dich nicht so anfahren. Bitte verzeih mir,“ bat er mich sogleich und überrascht schaute ich in seine grauen Augen, die seine ehrliche Reue offenbarten. Diese einfache Entschuldigung für die etwas unhöfliche Art, mit der er seine durchaus berechtigte Frage hervor gebracht hatte, zauberte wieder ein Lächeln auf mein Gesicht. Er schien in meiner Gegenwart sehr darum bemüht höflich und zuvorkommend zu sein und darüber freute ich mich sehr. Wenn er so freundlich war wie jetzt und seine Augen mich voller Wärme betrachteten, dann konnte ich alles um mich herum vergessen und fühlte mich unglaublich wohl und geborgen. „Ich bin dir nicht böse, Erik. Ist schon in Ordnung.“ Meine Augen leuchteten im Kerzenschein in einem intensiven Grün und ich hatte keine Ahnung welch verheerende Wirkung dieser unschuldige Blick auf sein Seelenheil hatte. Schließlich löste er den Blick von meinem Gesicht und meinte leichthin: „Wollen wir dann jetzt speisen?“ Mir entging jedoch der leicht raue Tonfall nicht, der in seiner Stimme mitschwang und ich fragte mich woher das kam. Da ich viel zu sehr mit meinen eigenen verwirrenden Empfindungen, die mich in seiner unmittelbaren Nähe überkamen, beschäftigt war, bekam ich von seinen inneren Aufruhr dieses Mal nichts mit. Ich nickte unfähig ein Wort zu sagen. Schweigend tat ich mir etwas von dem verführerisch duftenden Lachs und den Petersilienkartoffeln auf meinen Teller. Ich piekste ein kleines Stück Fisch auf meine Gabel und führte es zum Mund. Erik beobachtete mich aufmerksam und ich war mir seines durchdringenden Blickes überdeutlich bewusst. >Warum er mich wohl so merkwürdig ansieht?< fragte ich mich noch, bevor ich das Stückchen Fisch bedächtig in meinen Mund schob. Das zarte Filet zerging mir förmlich auf der Zunge und es schmeckte wahrhaftig noch besser als es ausgesehen hatte. Ich schloss genießerisch die Augen und seufzte wohlig. So etwas Fantastisches hatte ich schon sehr lange nicht mehr gegessen und ich würde jeden weiteren Bissen gewiss ebenso genießen wie den ersten. Sein leises Lachen ließ mich die Augen jäh wieder aufreißen. Meine Wangen wurden vor Verlegenheit rot, als ich sah, dass er sich köstlich auf meine Kosten amüsierte. Mit gesenktem Haupt nahm ich einen kräftigen Schluck von dem Wein, den er mir zuvor eingegossen hatte. Der Alkohol floss langsam meine Kehle hinab und nach ein paar weiteren Schlucken breitete sich eine angenehme Wärme in meinen Gliedern aus. Dieser Wein war wirklich vorzüglich wie alles andere auch was er mir vorgesetzt hatte. Doch woher hatte er all diese Dinge? Diese Frage ließ mir keine Ruhe und ich überlegte wie ich ihm eine zufriedenstellende Antwort entlocken konnte. „Es scheint als würden dir das Essen und der Wein schmecken. Das freut mich.“ Er lehnte sich zufrieden zurück und schwenkte den Inhalt seines Weinglases leicht hin und her. „Ja, es schmeckt wirklich ausgezeichnet. Vielen Dank.“ Ich schenkte ihm ein scheues Lächeln. „Mich würde nur interessieren, woher du...“ Als ich seine Miene sah, die sich bei jedem meiner Worte zunehmend verdüsterte, brach ich mitten im Satz ab und biss mir auf die Zunge. Er war zornig, weil ich es wagte wieder nach etwas zu fragen, dass er nicht verraten wollte. „Entschuldige,“ wisperte ich dann, um ihn zu besänftigen. „Ich wollte nicht so unverschämt sein.“ Verstohlen betrachtete ich ihn unter meinen langen Wimpern hindurch und war erleichtert, als seine Gesichtszüge wieder weicher wurden und sein plötzlicher Zorn verrauchte. „Schon gut. Wenn du nicht weiter danach fragst, werde ich es dir vielleicht eines Tages erzählen,“ winkte er ab und nahm einen Schluck von seinem Wein. Danach stellte er das Glas beiseite. „Lass uns nun aber mit dem Essen fortfahren, bevor alles kalt wird.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen und so widmete ich mich wieder den Köstlichkeiten auf meinem Teller. Nach dem Lachs probierte ich noch etwas von dem Fasan und den glasierten Möhrchen, die so verlockend aussahen. Nachdem ich zum Abschluss genüsslich eine kleine Portion Mousse au Chocolat verzehrt hatte, fühlte ich mich angenehm gesättigt und zufrieden, ganz so wie ein Kätzchen, das den Sahnetopf hatte leer schlecken dürfen. Ich stieß einen leisen Seufzer aus, bevor ich mich dann behaglich ein wenig zurücklehnte. Seitdem ich das Dessert gegessen hatte, spürte ich Eriks Blicke unablässig auf mir und das mir schon wohlbekannte Kribbeln in der Magengrube war zurückkehrt. Normalerweise hätte mich seine ungeteilte Aufmerksamkeit nervös gemacht, doch ich hatte zwei Gläser Wein getrunken und mein Verstand war leicht benebelt, so dass es mich nicht weiter störte. Ganz im Gegenteil. Ich genoss es sogar so von ihm betrachtet zu werden. Es war ein herrliches Gefühl und momentan wollte ich es nicht missen. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass du mich endlich darüber aufklärst warum dieser Victor hinter dir her ist. Meinst du nicht auch?“ Seine Stimme drang in mein Bewusstsein und riss mich aus dem Zustand wohliger Trägheit, in dem ich mich befand. Einen Moment lang runzelte ich irritiert die Stirn, dann erfasste ich den Sinn seiner Worte und setzte mich wieder aufrecht hin. Ich suchte seinen Blick und fand ihn. Er musterte mich voller Interesse und wartete auf eine Antwort auf seine Frage. „Das ist eine lange Geschichte,“ begann ich vorsichtig. Er ließ ein kurzes amüsiertes Lachen ertönen. „Wir haben Zeit,“ meinte er dann schlicht und ich wusste natürlich, dass er recht hatte. Es war wirklich besser, wenn er über die Hintergründe meiner Flucht und Victors entschlossener Verfolgung meiner Person Bescheid wusste. Er hatte jedes Recht dazu, denn er steckte bereits tief mit drin. Zögernd begann ich ihm alles zu erzählen; zunächst noch etwas stockend, aber je länger ich sprach desto einfacher wurde es und schließlich sprudelten die Worte nur so aus mir hervor. „Ich war 15 Jahre alt als mein Vater starb. Victor, einer seiner langjährigen Geschäftspartner, ging oft bei uns Zuhause ein und aus. Nach der Beerdigung bot er mir an mich bei sich aufzunehmen und für mich zu sorgen. Schließlich kannte er meinen Vater schon sein ganzes Leben lang und die beiden waren befreundet. Zumindest glaubte mein Vater das. Ich jedoch hatte ihn noch nie besonders leiden können, weil ich spürte, dass das alles lediglich Fassade war. Doch da er testamentarisch auf Wunsch meines Vaters zu meinem gesetzlichen Vormund bestimmt worden war, blieb mir keine andere Wahl. Ich willigte ein. Und das war, wie ich später schmerzlich erfahren musste, ein großer Fehler.“ Ich hielt inne und meine Augen glänzten feucht, bei den Erinnerungen, die meine Worte heraufbeschworen. „Wenn ich mich damals nur nicht so sehr von meiner unsäglichen großen Trauer hätte leiten lassen, dann hätte ich seine Absichten gespürt und wäre die letzten fünfeinhalb Jahre nicht seine Gefangene gewesen.“ Erik schien aufzuhorchen. „Was willst du damit sagen?“ fragte er und beugte sich ein Stück vor. „Dass er dich weggesperrt hat?“ „Ja,“ antwortete ich schlicht. „Er hat mich wie einen Vogel in einem goldenen Käfig behandelt. Ich war auf seinem Anwesen gefangen und konnte das Grundstück nicht verlassen. Überall hatte er seine Männer postiert, die mit Argusaugen jeden meiner Schritte beobachteten. Es war furchtbar. Und das alles nur, weil er mich wollte.“ Ich sah wie sich seine Augenbraue hob. „Ich bin anscheinend das Ebenbild meiner Mutter, die Victor aufs Heftigste begehrt hat, obwohl er genau wusste, dass er nie eine Chance bei ihr haben würde. Sie hatte nur Augen für meinen Vater und er selbst war damals etliche Jahre zu jung für sie. Sobald er also merkte, dass ich meiner Mutter immer mehr zu ähneln begann, stellte er mir nach und umwarb mich auf scheinbar ehrenwerte Art und Weise. Ich dachte das ungute Gefühl, welches mich in seiner Gegenwart immer beschlich, wäre auf meine Antipathie ihm gegenüber zurückzuführen, aber da hatte ich mich geirrt. Er verstand es wirklich gut seine wahren Absichten zu verbergen, so dass ich zunächst völlig im Dunkeln tappte. Ich traute ihm zwar nicht, aber begann mich an seine Art zu gewöhnen und somit ließ auch meine Wachsamkeit ihm gegenüber nach. Und das war ein großer Fehler.“ An dieser Stelle machte ich eine Pause und spielte gedankenverloren mit dem Stil meines Weinglases. Meine Finger zitterten leicht und so legte ich meine Hand schließlich auf das makellose weiße Tischtuch, um das Glas nicht aus Versehen zu zerbrechen. Den Blick hielt ich gesenkt, da ich nicht wollte, dass Erik die Tränen sah, die in meinen Augen schimmerten. Ich wusste nicht wie ich mit meiner Erzählung fortfahren sollte. Es wühlte mich enorm auf wieder an die Zeit zu denken, in der ich Victor hilflos ausgeliefert war. Er hatte mich zwar niemals angerührt, um sich an mir zu vergehen, aber es gab auch noch genug andere Wege einem Menschen Schmerz zuzufügen wie ich bitterlich am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Als sich eine warme Hand über meine legte, hob ich doch den Blick und sah geradewegs in Eriks Augen, die mich voller Mitgefühl betrachteten. Zart begann er mit dem Daumen über meinen Handrücken zu streichen und diese unschuldige Berührung jagte angenehme kleine Schauer durch meinen ganzen Körper. „Was hat er dir angetan, Emilie?“ fragte er nach einer Weile sanft und zog seine Hand langsam wieder zurück, um einen Schluck von seinem Wein zu nehmen. Ich starrte auf meine nunmehr unbedeckte Hand und schien einen Moment lang nicht in der Lage auch nur einen Ton herauszubringen. Erst als ich einen zittrigen Atemzug tat, wurde ich wieder etwas ruhiger und konnte ihm eine Antwort geben. „Nachdem er testamentarisch die Gewalt über mich gewonnen und mich in seine Villa gebracht hatte, offenbarte Victor mir was er nun mit mir vorhatte. An meinem 21. Geburtstag wollte er mich zu seiner Frau nehmen. Bis es soweit war durfte ich mich nur auf seinem Grund und Boden bewegen und keinen Kontakt mehr zur Außenwelt haben. Diese Eröffnung war ein großer Schock für mich und ich war ohnmächtig vor Wut darüber, dass meine Sinne zu sehr von der Trauer um meinen Vater benebelt waren, so dass ich nicht gespürt hatte, was er plante. Noch in derselben Nacht unternahm ich meinen ersten Fluchtversuch, doch ich kam nicht sehr weit. Victor hatte überall Wachen aufstellen lassen und als sie mich zu ihm brachten, waren seine Gesichtszüge vor Wut verzerrt über meine ungehörige Tat. Und die volle Wucht seines Zorns ließ er mich auch spüren. Er stieß mich brutal zu Boden, holte etwas aus seinem Schrank heraus und dann... dann...“ Meine Stimme versagte und mein Körper begann unkontrolliert zu beben. Ich konnte nichts dagegen tun, dass mir Tränen die Wangen hinab liefen und unaufhörlich auf meine Hände tropften, die sich in den Stoff meines Kleides gekrallt hatten. Die Erinnerung an das, was Victor mir damals angetan hatte, war einfach zu schrecklich, als das ich hätte gelassen bleiben können. Schutzsuchend schlang ich die Arme um meinen Körper und begann mich sacht vor- und zurückzuwiegen, um mich wieder zu beruhigen. Es half ein wenig und als ich es schließlich wieder wagte Erik anzusehen, bemerkte ich, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Und obwohl ich eindeutig fühlte, dass meine Worte ihn in Rage versetzt hatten, bemühte er sich seine nächste Frage in ruhigem Tonfall zu stellen. „Was war dann, Emilie?“ Mir ging es sehr nahe, dass er eine so heftige Reaktion auf meinen Bericht zeigte. Verstört schloss ich die Augen und überlegte wie ich ihm beibringen konnte was Victor getan hatte, ohne dass er die Kontrolle über seinen Zorn verlor. Wenn er jetzt schon dermaßen aufgebracht war, wie würde er dann erst reagieren, wenn er erfuhr auf welche Art und Weise Victor mich misshandelt hatte? Ich schluckte einmal schwer, bevor ich meine Augen wieder öffnete und mit leiser Stimme die drängende Frage des Phantoms beantwortete: „Dann hat er mir das Kleid vom Rücken gerissen und mich... ausgepeitscht.“ Vor meinem inneren Auge sah ich wieder Victors teuflisches Grinsen, als er mit der Peitsche ausholte und diese mit voller Wucht auf meinen Rücken niedersausen ließ. Ich hörte mich schreien, spürte den brennenden Schmerz und die ersten Blutstropfen, die hervorquollen als meine zarte Haut aufplatzte. Zwischen den einzelnen Hieben hatte ich ihn angefleht er möge aufhören, doch er kannte kein Erbarmen und hatte immer und immer wieder zugeschlagen bis ich vor Schmerzen die Besinnung verlor. Schaudernd rieb ich über meine Schläfen, um die grauenhafte Erinnerung zu verscheuchen. Erik verfolgte jede meiner Bewegungen mit seinen Blicken. Sein ganzer Körper war angespannt wie eine Bogensehne und seine grauen Augen funkelten unheilvoll. „Dieser elende Bastard! Für diese Tat werde ich ihn umbringen.“ Ich erschrak über die Eiseskälte und Entschlossenheit mit der er diese Worte hervorbrachte und ich zweifelte keine Sekunde lang, dass er auch tun würde was er sagte. Aber das durfte er nicht! Das war nicht richtig! Ich wollte protestieren, doch er gebot mir mit einer resoluten Bewegung seiner Hand zu schweigen. „Nein, nichts was du sagen willst kann mich davon abhalten diesen Bastard seiner gerechten Strafe zukommen zu lassen. Er wird eines Tages durch meine Hand sterben und dafür büßen was er dir angetan hat. Ob es dir nun gefällt oder nicht, so wird es sein.“ Mit diesen Worten erhob er sich und verließ die Nische. Sein Umhang flatterte hinter ihm her, als er davon eilte und die plötzliche Bewegung der Luft brachte ein paar Kerzen zum Flackern. Ich saß wie gelähmt auf meinem Stuhl und starrte blicklos auf die Reste des opulenten Mahls, welches Erik mir aufgetischt hatte. Was hatte ich nur getan? Jetzt würde Erik nichts unversucht lassen, um seine Worte in die Tat umzusetzen und die offene Konfrontation mit Victor war nun nur noch eine Frage der Zeit. Ich stöhnte gequält auf und barg mein Gesicht in den Händen. Ich hatte keinen Racheengel gewollt, der stellvertretend für mich Vergeltung übte. Alles was ich wollte war ein Mann, der mich beschützte und nicht zuließ, dass Victor mir jemals wieder etwas Vergleichbares antun konnte. Gab es denn wirklich keinen Weg dies zu erreichen, der frei von jeglicher Gewalt war? Es dauerte lange bis ich mich wieder regte. Von den vielen Grübeleien und den zwei Gläsern Wein war ich auf einmal unendlich müde und so erhob ich mich und ließ mich erschöpft in die weichen Kissen des Bettes sinken. Kurz darauf war ich auch schon eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)