October to May von Earu (Intermezzo With A Stranger) ================================================================================ Kapitel 21: Fruits of Chaos --------------------------- 4. Mai … Alles wie immer, war mein letzter Gedanke gewesen, ehe ich an diesem Morgen wieder im Land der Träume versunken war. Es war noch halb in der Nacht gewesen, auch wenn es schon langsam hell geworden war. Ein paar Stunden später, als man es dann wirklich als Morgen oder fast schon als Vormittag bezeichnen konnte, sah das leider etwas anders aus. Sehr anders. Aber wenigstens … wachte ich auf. Als ich die Augen öffnete, stach mir das Licht beinahe schmerzhaft ins Gesicht, da Gackt sich letzte Nacht tatsächlich nicht bemüht hatte, die Jalousien herunterzulassen. Reflexartig kniff ich daher nicht nur die Augen zu, sondern schirmte sie auch mit der rechten Hand ab und murrte außerdem unzufrieden. Dabei ließ ich natürlich Gackts Hand los, die noch immer auf meinem Bauch lag … und veranlasste ihn anscheinend auch dazu, mich fester in seine Umarmung zu ziehen. Ich war immer noch ziemlich müde und etwas umnachtet, sodass ich wie letzte Nacht schon nicht wirklich realisierte, was wir da taten, als ich mich auf seine Reaktion hin ebenfalls enger an seinen Körper schmiegte. Ich konnte dann sogar Gackts Atem in meinem Nacken spüren, was mich milde lächeln ließ. Und das wurde dann auch noch etwas breiter und sehr viel schmutziger, als ich spürte, wie etwas Hartes gegen mein Gesäß drückte. Es erinnerte mich an die zahlreichen Gelegenheiten in unserer Beziehung, da wir gemeinsam im selben Bett aufgewacht waren und uns zur Begrüßung des noch jungen Tages erst einmal uns selbst und unseren Bedürfnissen gewidmet hatten – egal, ob wir nun richtig Sex gehabt hatten oder nicht. Es war einfach wunderbar gewesen, so voller Zuneigung, und nach der letzten Nacht und dem atemberaubenden Sex, nach dem ich mich so gesehnt hatte, war es nun auch wieder so. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und ich war wirklich glücklich … für ungefähr zwei Sekunden, denn dann strömte auf mich ein, was ich in der letzten Nacht so erfolgreich verdrängt hatte: Ich hatte mich so sehr danach gesehnt, Gackt endlich wieder nahe sein zu können, weil wir uns vor ungefähr drei Monaten getrennt hatten. Und ich lag nur hier, weil er mich quasi angebettelt hatte, dass wir wieder Freunde wurden. Ich hatte mich geweigert und schließlich unter der Bedingung eingewilligt, dass wir die Grenze der Freundschaft um nichts in der Welt überschritten – also keine Flirterei, keine Küsse, kein Fummeln und erst recht kein Sex. Kein Sex! Augenblicklich fühlte ich mich überhaupt nicht mehr wohl in meiner momentanen Position, in Gackts Armen und dazu auch noch splitterfasernackt. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, doch es war nicht das gute Gefühl, das Gackt in der Vergangenheit oft genug in mir ausgelöst hatte. Stattdessen war es pure, bittere Reue – Reue über das, was wir getan hatten, was ich getan hatte. Schließlich war ich es gewesen, der alle Vorsicht fahren gelassen und das Intermezzo von letzter Nacht überhaupt erst angezettelt hatte. Ich erinnerte mich an alles, an jedes Detail, ob nun gut oder schlecht, und die Erinnerung sagte mir, dass Gackt eindeutig nicht damit gerechnet hatte, so von mir überfallen zu werden. Dabei konnte ich ihm natürlich genauso vorwerfen, dass er nicht mehr dagegen getan hatte, als ein bisschen verwundert zu sein. Aber im Augenblick empfand ich es als viel schlimmer, dass ich meine eigenen Regeln gebrochen hatte. Selbst wenn Gackt mich zurückgehalten hätte, wäre es vorbei gewesen. Und das war es, was absolut niemand mehr leugnen konnte – am allerwenigsten ich selbst. Die Blase, in die ich mich eingeschlossen hatte, die alles hatte abprallen lassen, was mich hätte stutzig werden lassen, war im Endeffekt doch noch geplatzt, und ließ mich mit der kalten, grausamen Wahrheit zurück. Aber auch mit dieser Erkenntnis war es noch nicht vorbei, denn ich fühlte mich mittlerweile so unwohl, dass ich nicht anders konnte, als – wieder einmal – die Flucht ergreifen zu wollen. Ich wollte einfach nur weg, doch das ging schlecht, da Gackt mich immer noch im Arm hielt. Jede Bewegung, die ich machte, bekam er mit und würde sicherlich wach sein, noch bevor ich all meine Kleider vom Boden aufgelesen und angezogen hatte. Doch noch bevor ich meine Fluchtgedanken überhaupt richtig in Angriff nehmen konnte, wurde mir noch etwas klar: Es war vorbei und es würde nichts nützen, wenn das nur einer von uns beiden wusste … also, richtig wusste und die Gründe kannte. Im Klartext hieß das, dass ich nicht gehen durfte, ehe ich nicht mit Gackt darüber gesprochen und alles geklärt hatte. Ich durfte mich diesmal nur nicht wieder um den Finger wickeln lassen … wobei ich bezweifelte, dass Gackt das diesmal schaffen würde. Es war zu spät, es war kaputt. Frustriert schloss ich die Augen und atmete noch einmal tief durch, um mich dafür zu wappnen, was ich gleich würde tun müssen. Und ich konnte jetzt schon spüren, wie sich in meinem Hals ein dicker Kloß bildete und meine Augen feucht wurden. Alles in mir sträubte sich mit Kräften, dass ich diesen Schlussstrich zog … und gleichzeitig wusste ich doch, dass es das Beste war – es war das pure Chaos. Ich wischte mir noch einmal über die Augen und massierte mir kurz die Nasenwurzel, ehe ich mich aufrichtete und eine Hand nach Gackt ausstreckte. Eigentlich hatte ich ihn an der Schulter wachrütteln wollen, doch im letzten Moment entschied ich mich dafür, es nicht zu tun. Stattdessen nutzte ich die letzte Gelegenheit für Zärtlichkeiten aus und strich im sanft durch seine verstrubbelten Haare und über die Wange. Er schlief so friedlich und ahnte gar nicht, was gleich geschehen würde – und das machte es nur schwerer, bei meiner Entscheidung zu bleiben und nicht ins Wanken zu geraten. Ich wollte nicht … aber es musste sein, rief ich mir ins Gedächtnis. „Gackt … Gacchan“, sagte ich schließlich leise und strich ihm weiter über die Wange, zeichnete seine Lippen und seine Nase nach, „Gacchan, du musst aufwachen … ich muss dir was sagen.“ So wie ich mich zuvor schon gesträubt hatte, wünschte ich mir jetzt verzweifelt, dass er die Augen nicht aufschlug, um mir zuzuhören. Es tat jetzt schon so furchtbar weh, dass es kaum auszuhalten war. Wie würde es sich nur anfühlen, wenn ich mich dann tatsächlich von ihm trennte? Ich würde es bald erfahren, denn meine Versuche, Gackt aus dem Traumland zu wecken, fruchteten endlich, obgleich ich vielleicht nicht sonderlich hartnäckig gewesen war. Wie ich vorhin auch, rieb er sich über das Gesicht – doch er wollte nur den Schlaf aus den Augen bekommen und nicht Tränen fortwischen. „Guten Morgen“, begrüßte er mich dann, setzte sich auf und schenkte mir eines seiner atemberaubenden Lächeln, die mich sonst immer in ein Hochgefühl versetzt hatten. Die dafür gesorgt hatten, dass ich mich mehr und mehr in ihn verliebte. Doch heute war es anders – und das schien auch Gackt zu bemerken, denn dieses herrliche Lächeln verschwand ziemlich schnell, nachdem er mich angesehen hatte. „Was ist los?“, fragte er stattdessen. Der Kloß in meinem Hals verhinderte, dass ich ihm klar antworten konnte. Aus meinem Mund kam nur ein erbärmliches Krächzen, eine Mischung aus verschiedenen Lauten … ich wusste auch gar nicht, wie ich es richtig anfangen sollte. Und das war dabei herausgekommen. „Hyde …“, sofort war Gackt bei mir, lehnte sich nach vorne und legte seine Hände auf meine Wangen. „Was ist denn los?“, wiederholte er, „geht es dir nicht gut?“ Ich schüttelte den Kopf und schluckte dabei heftig, in der Hoffnung, den Kloß vertreiben und endlich zu Wort kommen zu können. Es tat wieder weh. „Keine Sorge“, wollte Gackt mich beruhigen, „ich bin da. Sag mir einfach, was los ist und wir finden eine Lösung. Ich versprech's dir.“ Und dann drückte er mir einen kurzen Kuss auf den Mund – wohl in der Hoffnung, dass es mir dann leichter fallen würde, ihm von meinen Problemen zu erzählen. Ein kurzer Kuss war es nur, weil ich nach hinten zurückwich und mich komplett von ihm losriss, sobald ich seine Lippen auf meinen gespürt hatte. Ich wusste nicht, ob das schon Zeichen genug war, um Gackt darauf zu bringen, um was es mir ging, aber ich wollte mir darüber auch keine Gedanken machen. Es durchzuziehen, es ihm zu sagen, würde all meine Kraft kosten; ich konnte also nichts davon mit sinnlosen Überlegungen verschwenden. Es dauerte noch ein paar Momente, in denen wir beide schwiegen und ich stattdessen noch ein paar Mal schluckte, um meine Kehle zu befreien. Es wirkte endlich, wenn es auch nicht allzu viel brachte. Trotzdem war ich endlich in der Lage, Worte auszusprechen und Sätze zu formen, so schrecklich und verzweifelt sie auch klingen mochten: „Ich … es geht nicht mehr. Wir können … wir können das nicht mehr machen.“ „Was?“, hakte Gackt tonlos nach, doch ich wusste, dass er genau verstanden hatte, worum es mir ging. Er konnte nicht so dumm oder blind sein, um es wirklich nicht zu ahnen. Vielleicht spielte er nur auf Zeit oder … konnte sich einfach nur nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es gleich vorbei sein würde. So wie ich. Es tat ihm weh. So wie mir. „Uns sehen“, antwortete ich, nachdem ich noch einmal einen tiefen Atemzug hatte nehmen müssen, um das jetzt möglichst in einem Rutsch durchziehen zu können. Denn ich glaubte nicht, dass ich noch einmal die Kraft dazu haben würde. Es ging hier schließlich nicht darum, die Sache auszudiskutieren. Ich kannte Gackts Standpunkt nur zu genau und meinen sogar noch besser. Und trotzdem musste ich etwas tun, das dem widersprach … ich würde es tun. „Wir hatten ausgemacht, dass wir nur Freunde sind und nichts anderes.“ „Sind wir doch auch“, beteuerte Gackt, „das war nur ein Ausrutscher, eine einmalige-“ „Nein, war es nicht!“, platzte ich daraufhin heraus und sah ihn so fest an, wie ich nur konnte. Das war nicht so leicht, denn Tränen begannen nun, mir die Sicht zu verschleiern, „es war vielleicht ein Ausrutscher, aber es wird keine einmalige Sache bleiben, wenn wir uns weiter sehen. Ich liebe dich, Gacchan, ich liebe dich immer noch und … und vielleicht sogar mehr als vorher. Ich hab gehofft, dass es mit der Zeit einfach weggeht, aber das ist es nicht … und das wird es auch nicht, wenn wir weiter so tun, als wäre nie was zwischen uns gewesen!“ Tränen strömten mir jetzt über die Wangen und tropften auf die Bettdecke und meine Hände in meinem Schoß. „Du kannst mich nicht lieben und das wird sich auch nicht ändern. Und es reicht mir einfach nicht, wenn … wenn ich dich nicht ganz haben kann. Ich halt das nicht mehr aus!“ Danach schwiegen wir für einen Moment, in dem ich die Faust gegen meinen Mund drückte und diesmal überall hin blickte, nur nicht zu Gackt. Ich wusste, dass ich ihm damit ebenso weh tat wie mir, und das wollte ich nicht sehen. Ich hatte Angst vor dem, was kommen würde – ganz gleich, was es war. Wahrscheinlich würde er sauer sein, dass ich erst mit ihm schlief und ihn dann von mir wegstieß. Doch seine tatsächliche Reaktion hatte ich nicht erwartet. „Es tut mir leid.“ „Was?“ Nun schaute ich doch zu ihm. „Es tut mir leid“, sagte er noch einmal, „ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Ich hab dir ja selbst noch gesagt, dass du anderen keine unnötigen Hoffnungen machen sollst, als wir uns kennengelernt haben. Und jetzt bin ich auch nicht besser.“ „Ach, Gacchan!“ Ich konnte es nicht fassen. Es war als ob, egal was er tat, ich mich einfach nur noch mehr in ihn verlieben konnte. Er war so lieb, so unendlich lieb – auch jetzt noch! – dass jeglicher Zorn, den ich auch nur ansatzweise hätte verspüren können, sofort verpuffte. Ich wünschte mir nur, dass er sich auch in mich verliebt hätte, das wäre dann wahrscheinlich das Glück meines Lebens gewesen. Aber nein, das war mir nicht vergönnt. Warum konnte er mich nur nicht lieben? Warum nicht? „Warum?“, fragte ich dann auch noch halblaut – eher für mich selbst als für irgendjemand anderen. Er schien es trotzdem verstanden zu haben, denn er antwortete mir und klang dabei so aufrichtig, wie ich es mir nur vorstellen konnte: „Ich weiß es nicht. Da ist so viel … aber …“ „Aber es reicht nicht“, vollendete ich seinen angefangenen Satz und schaute ihm nun doch wieder in die Augen. „Nein, das ist es auch nicht“, widersprach Gackt mir jedoch. „Ich bin gerne mit dir zusammen, nur … es fühlt sich nicht wie sonst an, wenn ich in jemanden verliebt war. Es ist … ich kann es nicht genau sagen … Ich hätte mich wirklich gerne in dich verliebt, allein schon weil du es verdient hast … und weil du mir wirklich viel bedeutest, das musst du mir glauben!“ Ich nickte an dieser Stelle stumm. Zu mehr war ich nicht fähig, denn auch wenn seine Worte mir helfen sollten, so taten sie mir doch nur noch mehr weh und zeigten mir, dass es nicht einmal einen winzigen Funken Hoffnung für mich gab … oder je gegeben hatte. „Ich hab drauf gewartet, dass es passiert, aber es kam einfach nicht.“ „Hm …“, brummte ich. Das war es dann also. Alles war gesagt, wir konnten niemandem mehr etwas vorlügen – weder uns gegenseitig noch uns selbst. Der Moment des Abschieds war gekommen. Stumm stand ich auf und schlüpfte in meine Sachen, die auf dem Fußboden verstreut gelegen hatten. Dabei drehte ich ihm den Rücken zu, denn ich fühlte mich noch immer sehr labil. Der Schmerz in meinem Inneren betäubte mich etwas, aber … ich traute mir einfach nicht wirklich. Und dennoch konnte ich nicht einfach so gehen, ohne einen richtigen Abschied, einen letzten Augenblick, der nur uns beiden gehörte und sich nie aus unserem Gedächtnis löschen würde. Denn so sehr ich mir misstraute, so sehr vertraute ich Gackt – noch immer. Dazu räusperte ich mich, um meine Kehle erneut freizumachen, hockte mich mit einem Knie zurück auf die Matratze und streifte dann das schwarze Armband aus Onyx-Kugln ab, das ich in der letzten Zeit so gut wie immer getragen hatte. Und Gackt reagierte haargenau so wie ich es mir vorgestellt hatte. „Ich kann das nicht zurücknehmen“, sagte er, noch bevor ich es ihm geben konnte, „ich hab es dir geschenkt und ich will, dass du es behältst … als Erinnerungsstück.“ Mir gefiel, was ich da hörte, und doch … und doch war mir nur zu bewusst, dass ich mich nicht darauf einlassen durfte. Ich durfte mich nie wieder in auch nur der geringsten Weise auf Gackt Camui einlassen – und sei es drum, dass es nur um ein Armband ging. „Ich würde nicht von dir loskommen“, entgegnete ich, nahm seine Hand und legte das Schmuckstück hinein, ehe ich sie mit meinen umschloss. Erneut schien Gackt es zu verstehen, denn er widersprach nicht. Er ließ einfach es nur zu, gönnte mir diesen Moment. Vielleicht ahnte er aber auch schon, was ich als Nächstes vorhatte. Er hielt vollkommen still, als ich mich nach vorn lehnte, um ihm einen Abschiedskuss zu geben. Es war der sanfteste Kuss, den wir je miteinander geteilt hatten, und wenn es nicht das Ende gewesen wäre, dann hätte ich sicherlich nicht genug davon bekommen können. Seine Lippen strichen nur federleicht über meine, als ob er Angst hätte, dass ich zu Staub zerfallen könnte, sobald er mehr Intensität und Leidenschaft hineinlegte. Nun … vermutlich lag er damit sogar richtig. Ich hatte nie herausgefunden, wie er es anstellte, aber immerhin war Gackt sehr gut in der Lage, in mir zu lesen wie in einem offenen Buch. Nur dieses eine Mal nicht – nur einmal hatte er mich nicht zu deuten vermocht und dafür hatte er sich gerade den wohl wichtigsten Teil unserer verdrehten Beziehung ausgesucht. Wenn ich das umgekehrt auch gekonnt hätte, wäre dann irgendetwas anders verlaufen? Wäre ich weniger verletzt worden oder vielleicht sogar gar nicht? Wären Gackt und ich dann nur normale Freunde geworden, die ab und zu etwas miteinander unternahmen, um Zeit totzuschlagen oder weil sie die Anwesenheit des anderen schätzten? Ich wusste es nicht und im Grunde war es auch unfair, dass Gackt so viel mehr über mich zu wissen schien als ich über ihn. Doch das Herz will, was das Herz will, und in meinem Fall hatte es sich damit so derbe auf die Schnauze gelegt, wie es schlimmer nicht gehen könnte. Es gab keinen anderen Ausweg, als diesen … Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden, denn wir wussten beide, dass es nicht mehr zu reparieren war. Wortlos richtete ich mich auf, ließ Gackt los, dessen Finger meinen langsam entglitten, und ging ebenso wortlos hinaus in den Flur. Vorne an der Tür zog ich mir die Schuhe an und weinte dabei, ohne auch nur einen einzigen Laut zu machen. Kein Wimmern, kein Klagen – ich musste stark sein … stark werden, denn ich konnte mir nur zu genau vorstellen, durch welche Hölle ich in den nächsten Wochen gehen würde. Und ich war froh, dass Gackt taktvoll genug war, um mich allein gehen zu lassen. Die frische Luft, die mir um die Nase wehte, als ich hinaus auf die Feuertreppe trat, um meinen üblichen Rückweg anzutreten, tat unglaublich gut. Es fühlte sich an, als ob ich seit Wochen keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt hätte und jetzt endlich … frei wäre. Diese Gedanken und dieses Gefühl schmeckten ein wenig bitter, denn es kam mir so vor, als würde ich Gackt ein Unrecht antun. Er hatte mich nie in einen Käfig gesperrt, sondern ich selbst hatte das getan. Er hatte mir die Wahl gelassen und ich hatte mich darauf eingelassen. Während mich meine Füße die Metallstufen hinabtrugen, spürte ich, wie etwas in meiner Hosentasche vibrierte, und nur eine halbe Sekunde später, ertönte auch eine kurze Melodie. Mein Telefon; ich hatte eine Nachricht bekommen und blieb auf Höhe des zweiten Stockwerks stehen. Mit ein wenig Angst, steckte ich die Hand in die Tasche, um das Handy herauszufischen. Sollte Gackt womöglich … doch meine Panik war unbegründet. Es war nicht Gackt, der mir direkt nach dem Verlassen seiner Wohnung etwas hinterherschicken wollte, sondern Tetsu: Kommst du heute Abend mit einen trinken? Diese Arbeit macht mich sonst noch wahnsinnig! Seine Abschlussarbeit, natürlich. Was sollte ihn am frühen Vormittag auch sonst die Laune derartig verderben? Ich gluckste leise und es fühlte sich ebenfalls befreiend an. Schnell tippte ich eine Antwort. Hast du irgendwas Bestimmtes im Auge? Seine Rückmeldung kam nur Sekunden nach meiner: Nope, einfach nur saufen. Und Ken-chan beim Aufreißen zusehen. Bist du dabei? Ich schrieb ihm, dass er mit mir rechnen konnte und schickte die Nachricht ab, ehe ich mein Adressbuch aufrief und dort nach einer ganz bestimmten Nummer suchte. Das Menü zeigte mir mehrere Optionen an – anrufen, Nachricht senden, Bild und Ton zuweisen, kopieren, verschieben und schließlich … Wollen Sie den Kontakt GACKT unwiderruflich löschen? Ja … das wollte … musste ich. Und das tat ich auch. Jetzt war ich wirklich frei und konnte mich aufmachen – hinein in das Leben nach meinem Intermezzo mit einem Fremden. Leb wohl, Gacchan, hoffentlich wird dein nächster Versuch besser als der, den wir mitienander hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)