October to May von Earu (Intermezzo With A Stranger) ================================================================================ Kapitel 2: Halloween Party -------------------------- Eineinhalb Jahre zuvor, 29. Oktober … „Woah, wir haben seit gerade mal vier Wochen wieder Vorlesungen und ich brauch jetzt schon wieder Ferien“, stöhnte Tetsu, während er an seinen Haaren herumnestelte, um die Spange mit dem Federschmuck endlich zum Halten zu bringen. Er tat das nun schon seit geschlagenen zehn Minuten, schaffte es aber einfach nicht. Vielleicht hätten wir doch ein Mädchen fragen sollen, ob es uns half – eine von Kens Flammen vielleicht, wobei ich bezweifelte, dass er sie für so etwas fragen würde. Am Ende wollte sie noch mit zu der Party kommen und dann müsste er den gesamten Abend mit ihr verbringen, anstatt sich wieder auf die Jagd zu begeben. Und das war ihm zu stressig, das wusste jeder von uns. „Du hattest doch erst Ferien“, erinnerte ich Tetsu und wandte mich dabei nicht vom Spiegel ab, da ich gerade mit Eyeliner herumhantierte und mir auf keinen Fall noch die Augen ausstechen wollte. Und den ganzen Abend mit einem schwarzen Schatten darunter herumzulaufen, weil man sich vermalt hatte, war auch nichts, auf das ich besonders scharf war. So langsam kam mir die Idee, dass wir uns alle als Frauen verkleideten, reichlich blöd vor. „Ich hatte zumindest den gesamten letzten Monat frei.“ „Ja~~“, stimmte Tetsu mir zu, zog das Wort dabei aber so lang, dass ich genau wusste, dass da noch etwas kommen würde. Und natürlich lag ich damit richtig: „Du hast ja auch nicht bis zum letzten Tag noch Hausarbeiten schreiben müssen. Die haben mir eine Deadline genau auf den letzten Tag im alten Semester gelegt und-“ „Wenn du dich mehr reingehängt hättest, hättest du die aber nicht unbedingt ausreizen müssen“, unterbrach ich ihn altklug und streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus. Tetsu, der direkt hinter mir stand und gelegentlich auch einen Blick auf sein Abbild warf, bekam das natürlich mit und zeigte mir bei einem selbst für ihn schon zu liebreizenden Grinsen den Finger. Ich lächelte daraufhin nur und widmete mich wieder meinen eigenen Problemen: dem Eyeliner und der Tatsache, dass es danach auch noch nicht getan wäre, sondern direkt im Anschluss mit dem Lidschatten weitergehen würde. Die Idee kam mir auf einmal noch viel blöder vor als eben noch … na, zumindest hatte ich mich nicht damit herumschlagen müssen, wie man eine ebenmäßige Grundierung in sein Gesicht bekam, denn mir war schon von mehreren meiner Kommilitoninnen gesagt worden, dass ich eine tolle Haut hätte und allgemein auch sehr hübsch für einen Mann wäre. Von denen, die mich direkt für eine Frau gehalten hatten, einmal ganz abgesehen. Dabei trug ich fast ausschließlich sehr männliche Kleidung – dunkle Jeans, dunkle Shirts oder Hemden, schwere Boots und manchmal sogar eine Krawatte in Kontrastfarbe. Lange Haare hatte ich auch nicht, sondern trug einen recht kurzen und auch unspektakulären Männerhaarschnitt. Heute sah das dann schon ganz anders aus und es würde mich eher wundern, wenn die Leute direkt auf Anhieb merkten, dass ich eben kein Mädchen war. Ich hatte mir von einer Bekannten einen kurzen, rot-schwarz karierten Faltenrock geliehen, eine Krawatte und einen Blazer derselben Musterung, dazu eine weiße Bluse mit kurzen Ärmeln und ein paar schwarze Loose Socks. Mein Outfit komplettierte eine hellbraune Langhaarperücke, ein paar blinkende Teufelshörnchen aus einem Kostümshop und natürlich meine schwarzen Boots, die ich immer trug. Neben denen hatte ich mich auch nicht von meiner üblichen Unterwäsche trennen können. Denn es war zwar Halloween und ich sah mehr denn je wie ein Mädchen aus, aber das hieß noch lange nicht, dass ich deswegen in ein spitzenbesetztes Höschen schlüpfen würde. Außerdem war nur Halloween und da musste ich ja nicht hundertprozentig authentisch auf der Party aufkreuzen, also störte ich mich nicht daran, dass meine Shorts zu sehen waren, sobald ich das Bein etwas zu hoch hob. Wahrscheinlich würde es sogar ganz lustig werden, zu beobachten, wie den ganzen Perverslingen die Kinnlade herunterfiel, wenn sie bei einem Blick unter mein Röckchen bemerkten, dass ich gar nicht echt war. „Doiha, hilf mir doch mal!“, wurde ich dann von einem jammernden Tetsu aus meinen Gedanken gerissen, „das Teil will einfach nicht halten!“ „Ach, Tet-chan“, seufzte ich, legte aber nur allzu bereitwillig den Eyeliner beiseite und stand auf, um ihm zur Hand zu gehen. Und um festzustellen, dass er den gleichen Eindruck auf mich machte wie ich auf mich selbst: Er hatte sich in ein Cocktailkleidchen geworfen, sich einen Bob als Perücke besorgt und sich sogar in Netzstrumpfhosen und Hochhackige gezwängt. Und damit sah er beinahe täuschend echt aus, sodass ich mir ziemlich sicher war, dass ihn nachher in dem schummrigen Licht der Bar, in die wir wollten, direkt einer anmachen würde, haha. Als ich mir für einige Momente das Gesamtkunstwerk Tetsu besehen und ihm die Haarspange abgenommen hatte, wurde mir allerdings plötzlich bewusst, dass ich mich dabei auch nicht besser anstellen würde als er selbst. Nicht, dass ich unfähig wäre, bei jemand anderem eine Spange im Haar (oder eben in der Perücke) zu befestigen, allerdings wusste ich absolut nicht, wo ich sie hinstecken sollte, denn überall auf seinem Kopf wäre sie zu viel gewesen. Ratlos schaute ich in sein Gesicht, zog eine Schnute und er schaute ähnlich verwirrt zurück. Dann ließ ich meinen Blick noch etwas weiter sinken, bis ich zu den falschen Brüsten kam, für die er einen trägerlosen BH mit jeder Menge Klopapier ausgestopft hatte, … und bekam eine Idee. Ich klemmte die Spange genau dorthin, wo eins der dünnen Trägerchen sein Kleidchen festhielt, sodass jetzt Tetsus Dekolleté statt seiner Haare dekoriert wurde. Dies wurde dann auch mit einem leichten Schnips gegen meine Nase quittiert. „Hideto Takarai, was fällt dir ein, mir an die Brust zu fassen!“, empörte sich mein bester Freund gespielt, „das macht man als Mann mit Manieren bei einer echten Lady nicht.“ „Einspruch, Euer Ehren“, erwiderte ich daraufhin nur lässig, „erstens bin ich im Moment kein Mann und zweitens sehe ich weit und breit nirgends eine echt Lady. Die Dragqueen hier vor mir kann ja wohl unmöglich als eine solche durchgehen. In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, beantrage ich einen Freispruch auf allen Ebenen.“ „Habe ich was nicht mitbekommen oder hast du plötzlich von Kunst zu Jura gewechselt, du mieser, kleiner Klugscheißer?“ „Quod era demonstrandum – keine Lady“, fiel mir dazu nur ein, ich grinste Tetsu noch einmal breit an und setzte mich wieder hin, um mein Gesicht weiter bearbeiten zu können. Ich musste mich immerhin noch mit dem Lidschatten abmühen, auch wenn ich dazu nicht wirklich Lust hatte. „Du brauchst übrigens auch noch Make-up. Bedien dich ruhig an dem Kram da. Haruka hat so viel Zeug, dass sie es mir geschenkt hat. Ist doch ziemlich nett von ihr, oder?“ „Sehr sogar“, pflichtete Tetsu mir bei und begann, in dem kleinen Täschchen zu wühlen, in dem die ganzen 'Basics' steckten, wie Haruka es mir gesagt hatte. Mit der Hälfte davon hatte ich auf Anhieb erst einmal gar nichts anfangen können und im Internet nachschauen müssen, wozu man das alles brauchte. Und ich hatte plötzlich eine Art Verständnis für Frauen entwickelt, wenn sie dafür länger im Bad brauchten als ich. Wobei ich trotzdem noch nicht ganz verstand, wie man sich das täglich antun konnte. Die meisten Mädchen, die ich kannte, sahen so aus, als würden sie auch ohne Make-up gut aussehen. Aber das sahen sie wohl anders als ich. Tetsu jedenfalls beließ es nicht dabei, mir nur zuzustimmen, sondern ließ schon wieder ein paar seiner berühmten und außerdem bemühten Andeutungen fallen: „Sag mal, versteht ihr euch eigentlich sehr gut – du und Haruka? Ich meine, wenn sie dir schon ihre Sachen schenkt. Du hättest sie ja einladen können, mit zu der Party zu kommen, meinst du nicht?“ Bei solchen Sätzen verdrehte ich eigentlich immer die Augen und schaute Tetsu anschließend mit einem Blick vollkommenen Unverständnisses an. Diesmal ging das jedoch nicht, da ich ein Auge geschlossen hatte und auch durch das andere nur gerade so sehen konnte, was ich da tat, während ich mir schwarzen Lidschatten auf die Augen klatschte. Smoky Eyes sollten es werden. Aber ob ich es auch hinbekommen würde, war noch sehr fraglich. Selbst wenn ich mich im Internet durch zig Tutorials für so was geschlagen hatte. Stattdessen seufzte ich nur, während ich versuchte, mich von meinem Tun nicht großartig ablenken zu lassen. „Wir können uns ganz gut unterhalten, aber meistens ist das eher Smalltalk oder Unikram. So eng sind wir also nicht und ich denke auch nicht, dass ich daran interessiert wäre, mit ihr etwas anzufangen. Mal davon abgesehen …“ Und jetzt sah ich ihn doch an, vielleicht sogar ein bisschen vorwurfsvoll. „… bei mir hält doch sowieso nichts sonderlich lange. Ich bin da fast wie Ken-chan … nur dass der es direkt drauf anlegt, nach spätestens zwei Wochen schon wieder jemand anderen zu haben.“ „Mensch, Doiha, wenn du es nicht versuchst, dann kann das natürlich auch nichts werden. Und sag mir jetzt bitte nicht, dass du Megumi immer noch nachtrauerst – das war vor dreieinhalb Monaten und ihr geht’s bestimmt schon wieder super!“ „Ach, so ein Quatsch!“, wiegelte ich daraufhin allerdings sofort ab, „mir geht es doch gar nicht um Mei-chan direkt. Allerdings glaube ich so langsam, dass ich irgendeinen Knacks hab, der verhindert, dass meine Beziehungen länger als ein halbes Jahr dauern.“ „Da könntest du recht haben“, stimmte Tetsu mir zu, woraufhin ich ihn sicherlich anguckte wie ein Auto. Wer konnte denn auch damit rechnen, dass Tetsuya Ogawa einem plötzlich zustimmte, obwohl man gerade pessimistisch drauf war?! Aber natürlich dachte er gar nicht daran, mich in diesem Glauben zu lassen: „Wenn du mehr Zeit in deine Freundinnen und dafür weniger in Arbeit stecken würdest, wäre das schon mal ein ganz guter Anfang. Du bis einfach so ein Streber, dass die Mädels über lang oder kurz keine Lust mehr darauf haben, ständig auf dich warten zu müssen.“ „Das ist doch Blödsinn, ich kann schließlich nicht-“, echauffierte ich mich schon, wurde aber jäh unterbrochen. „Ich hab ja auch nicht gesagt, dass du die Uni vernachlässigen sollst. Aber du solltest dir mal Gedanken über eine gesunde Balance aus Arbeit und Privatleben machen. So, wie du dich immer auf den Kram stürzt, hast du zwar hinterher viel freie Zeit, aber derweil sind die Mädchen schon zum nächsten Kerl gerannt, weil du dich vorher immer nur zwischen deinen Büchern verkrochen hast. Schau mich doch nur an!“ „Sagt der, der im Moment auch solo ist und generell alles auf den letzten Drücker erledigt“, warf ich ein, wurde aber ignoriert. „Ich nehme mir die Zeit für meine Liebste und es wird mir auch immer sehr gedankt. Dass es mit Hitomi schlussendlich nicht geklappt hat, kam durch widere Umstände. Wenn sie jetzt nicht dieses Jahr im Ausland machen würde, wären wir wahrscheinlich immer noch zusammen.“ „Hm …“, erwiderte ich darauf leicht abwesend, weil ich mich während seines Vortrages schon wieder meinem Make-up gewidmet hatte. Es wurde so langsam Zeit, sonst tauchte Ken schon ausgehbereit hier auf und wir wären immer noch nicht fertig – auch wenn eben nur noch ein paar Kleinigkeiten fehlten. Und als hätte er es geahnt, ging die Klingel an meiner Tür. „Geh mal bitte, Tet-chan“, murmelte und hielt mein linkes Auge mit dem Zeigefinger an den Wimpern fest, sodass es geschlossen blieb und ich gleichzeitig das andere komplett aufmachen und gucken konnte, was ich da eigentlich trieb. Das klappte eigentlich ganz gut. Zumal ich mich mit Pinseln (auch wenn es Kosmetikpinsel waren) ganz gut anstellte, also würde ich es mit dem rechten Auge auch gleich so machen. Doch kaum, dass ich mit dem ersten richtig fertig war, stampfte Tetsu zurück ins Zimmer und zog eine Schnute, als hätte man ihm die letzte Banane vor der Nase weggefuttert. „Was ist denn?“, fragte ich, ließ den Pinsel sinken und legte die Stirn in Falten. „Ken-chan, der Idiot, hält sich nicht an unsere Abmachung“, motzte mein bester Freund, stellte sich mitten in den Raum und verschränkte demonstrativ die Arme vor der ausgestopften Brust, während er der Tür böse Blicke zuwarf. Und noch bevor ich weiter nachfragen konnte, schlenderte Ken auch schon durch besagte und mit bösen Blicken bedachte Tür. Des Rätsels Lösung war sogar ziemlich offensichtlich: Er trug keine Frauenkleider so wie Tetsu und ich, sondern hatte sich in einen fast schon piekfeinen Anzug geworfen, der ihm zugegebenermaßen sehr gut stand. Sein Hemd hatte er auch nicht richtig zugeknöpft und auf seiner Nase saß eine große Sonnenbrille. Es fehlten nur noch ein paar Tattoos, dann hätte er glatt als Yakuza durchgehen können. Trotzdem – wie Tetsu es bereits gesagt hatte – war das gegen unsere Abmachung. „Wolltest du dich nicht zu Hause umziehen?“, hakte ich deswegen auch besonders freundlich nach. „Wo ist denn dein Kostüm?“ „Right here, my darling“, flachste Ken allerdings, hob die Sonnenbrille ein paar Zentimeter an und zwinkerte mir zu, ehe er zur ernsthaften Version der Erklärung ansetzte, „dachte mir, dass Mädelsaufreißen in dem Kleid nicht so laufen würde. Dafür bin ich jetzt euer fescher Begleiter. Brauch ja jedes hübsche Mädchen.“ „Oho, Ken-chan macht einen auf Sugar Daddy“, war mein – ebenfalls reichlich unernster – Kommentar dazu. „Spendierst du uns dann wenigstens auch die Drinks?“, hakte Tetsu daraufhin noch immer leicht säuerlich nach, auch wenn er einem sonst binnen kürzester Zeit verzieh und generell relativ selten überhaupt sauer auf einen wurde. Und Ken schien das auch nicht entgangen zu sein. „Sicher doch, Honey“, sagte er darauf direkt, „insofern ich es bezahlen kann. Ein Bier für jeden von euch zwei Süßen ist drin, alles andere würde leider mein Budget übersteigen.“ „Du bist so ein Halsabschneider, Ken-chan“, war mein Beitrag zu der Diskussion, ehe ich mich wieder an mein Make-up machte. Im Hintergrund stritten sich die beiden anderen noch etwas weiter. Und dann durfte ich auch noch Tetsu anmalen, weil sich herausstellte, dass der darin gleich vollkommen unbegabt war. Wie konnte man nur so Bass spielen und dann nicht mal einen Pinsel richtig halten können? Eine Stunde später kamen wir dann endlich in der Bar an, deren Schlage wirklich die Hölle gewesen war. Einerseits war sie endlos lang gewesen und außerdem hatte ich nicht bedacht, dass ich mit meinem kurzen Röckchen vielleicht auch besser eine Strumpfhose oder Leggins oder irgendwas in der Art angezogen hätte. Es war Ende Oktober, damit eben auch schon schweinekalt draußen und wir mussten warten, dass wir endlich reinkamen. Und ich schwöre, hätte der Typ an der Tür gesagt, sie seien voll und würden keine Leute mehr reinlassen, ich hätte ihn angesprungen und so lange angeschrien, bis er für uns eine Ausnahme gemacht hätte. Wobei ich mir noch nicht einmal ganz so sicher war, ob er das nicht sogar schon getan hatte. Denn nach uns kam nur noch eine Fünfergruppe Mädchen in nicht gerade verdeckenden Maid-Outfits herein, ehe ein „Wir sind voll!“ über die Köpfe der noch wartenden Menge hinweggerufen wurde. Und wir waren mit einem „meine Damen“ durchgewunken worden. Hm … scheinbar hatte sich die ganze Mühe bereits jetzt gelohnt. Auf alle Fälle hatte der Kerl nicht gelogen, denn drinnen konnte man sich kaum bewegen, ohne mindestens zwei andere Leute mit einzubeziehen. Tanzen würde da sicherlich kaum drin sein, wenn sich nicht bald ein guter Teil davon irgendwohin verzog, wo es ruhiger war. Wir brauchten dann auch wieder gefühlte Ewigkeiten, um an die Bar zu kommen und uns das versprochene Bier von Ken spendieren zu lassen. Und ich hatte das Gefühl, dass mir allein auf diesem Weg bereits vier Leute an den Hintern gegriffen hatten. Mit unserem Bier und außerdem noch jeweils einem Cocktail bewaffnet, weil wir uns so schnell nicht noch mal um einen der drei Barkeeper prügeln müssen wollten, bezogen wir eine halbe Stunde später woanders Stellung. Dabei konnten wir gerade so noch einen Tisch ergattern, an dem direkt vor uns jemand aufstand und seine fast leeren Gläser stehen ließ. Ich lief voraus und stürzte mich nur eine Sekunde vor einem Mädchen im Gal-Look auf einen der drei Stühle, grinste sie dann noch süffisant an und trällerte: „Sorry, hier sitzen ich und meine Freunde.“ Der Blick in ihrem Gesicht, als sie hörte, dass ich gar keine Frau war, war absolut göttlich. Inklusive des zu dicken Make-ups entgleiste ihr absolut alles im Gesicht und sie zog beleidigt ab. Das war es allemal wert, dass ich ein bisschen von meinem Cocktail verschüttet hatte. Einen Schluck von meinem Bier nehmend konnte ich dann auch gemütlich darauf warten, dass Tetsu und Ken sich zu mir gesellen würden. Das dauerte jedoch noch etwas, da Tetsu auf den hohen Hacken wohl doch nicht so gut zurecht kam, wie er es sich gedacht hatte. In meiner Wohnung hatte er es noch ganz gut hinbekommen, aber seitdem wir aus der U-Bahn gestiegen waren, beschwerte er sich fast nur noch über seine Füße, die jetzt wohl höllisch weh taten. So auch, als er es dann endlich zu mir und unserem frisch eroberten Tisch geschafft hatte: „Ich glaube, ich suche mir ein Mädchen, dass in Schlafanzug und Pantoffeln hergekommen ist – und dann tausche ich die Sachen mit ihr. Gott, tun mir die Füße weh! Und du solltest übrigens nicht wie ein Bauarbeiter am Tisch sitzen, wenn du einen Rock trägst, Doiha-chan. Man sieht deine Shorts und das ist leider reichlich unattraktiv.“ Damit ließ er sich auf einen der verbleibenden beiden Stühle fallen und schien dann irgendwie seine Füße so ausrichten wollen, dass sie sich möglich entspannen konnten. Zumindest guckte er dabei immer wieder nach unten, als ob er etwas überprüfen wollte. Ich folgte derweil seinem Rat, verlagerte mein Gewicht etwas mehr auf eine Seite und schlug damenhaft ein Bein über das andere. Allerdings vermisste ich Ken immer noch … und das sollte erst einmal auch so bleiben, denn als ich mich bei Tetsu erkundigte, wo er unseren Aufreißer gelassen hatte, entgegnete der nur grinsend, warum ich das überhaupt noch fragen müsste. Natürlich hatte er sich mit seinem Bier und dem Cocktail direkt auf das erste weibliche Wesen gestürzt, das er hatte erblicken können. Dabei war der Cocktail natürlich für seine potentielle Eroberung und hatte aus diesem Grunde auch nicht süß und rosa genug sein können. Und ich hatte mich schon gewundert, was er damit wollte … „Also bleiben heute nur wir beide übrig“, schloss ich daraus, „insofern du mich nicht auch noch verlassen willst.“ „Ach, wo denkst du nur hin, Doiha-chan?“, erwiderte Tetsu, rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl umher und nahm dabei einen Schluck von seinem Drink. „Ich bin schließlich nicht Ken-chan, der keine Freunde mehr kennt, sobald er einen kurzen Rock sieht.“ „Na, dann haben wir ja heute das beste Mittel zur Hand, um ihn wieder zurückzuerobern“, bemerkte ich grinsend und zupfte an meinem Faltenröckchen, wobei ich jedem im Umkreis, der gerade herschaute, meine Unterwäsche präsentierte. Tetsu stimmte mir zu und auch in mein Lachen mit ein. Er hatte es ja selbst nicht ganz so krass gemeint, wie es geklungen hatte. Ken-chan war tatsächlich schnell verschwunden, wenn es um die holde Weiblichkeit ging – wir bekamen es ja gerade erst wieder live mit – allerdings wäre er sofort zur Stelle, sollte etwas vorfallen … und das auch ohne, dass wir die Röcke lüpften. Allerdings stellte sich recht schnell heraus, dass Tetsu – zumindest an diesem Abend – doch nicht ganz so zuverlässig war, wie er von sich behauptet hatte. Eine gute Stunde später, in der wir uns über den Lärm hinweg unterhalten, uns über andere Gäste ausgelassen und langsam unsere Getränke vernichtet hatten, verkündete mein bester Freund, dass er es nicht länger in dem Fummel aushielt und sich lieber von zig Leuten auf die nackten Füße treten ließ, als auch nur eine weitere Minute in diesen Schuhen und der Strumpfhose zu verbringen. Damit stand er auf, stakste schlingernd davon in Richtung Klo und kam für eine Ewigkeit nicht wieder. Ich sah derweil gefühlte hundert Mal auf mein Handy, denn ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, die Halloweenparty allein mit meinen Drinks am Tisch zu verbringen und von allen anderen verlassen zu werden. Das Kinn in meine Hand stützend, überlegte ich eine weitere halbe Stunde danach schließlich, ob ich nicht doch einen meiner beiden Freunde suchen sollte, um ihnen zu sagen, dass ich schon nach Hause ging, als mich eine fremde Stimme ansprach: „Na, was macht ein kleines Teufelchen wie du denn so allein hier?“ Ich schreckte etwas auf, aber nicht sehr, denn direkt darauf setzte sich mir ein junger Kerl gegenüber, dessen Gesicht zur Hälfte von einer weißen Maske verborgen war. Dazu trug er einen altmodischen, schwarzen Anzug und einen dazu passenden, schwarzen Umhang. Ein Blinder hätte erkannt, dass er als Phantom der Oper unterwegs war. Und ich wusste auch nicht recht, ob ich angesichts des Anmachspruches lachen oder genervt die Augen verdrehen sollte. Selbst ich wusste, dass der so abgedroschen war, dass ihn absolut keine Frau hören wollte, auch wenn er nicht so schlimm war wie diese „Geht’s dir gut? Du musst gefallen sein, denn du bist ein Engel auf Erden“-Sache. Aber es kam doch recht nahe heran. Ich überlegte trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – ob ich mir nicht noch einen letzten Scherz mit ihm erlauben wollte, bevor ich ging. Wer so schlechte Anmachen benutzte, musste außerdem mal den Korb seines Lebens bekommen, um es in Zukunft besser zu machen. Ja, das würde sicher auch lustig werden. Ich räusperte mich noch einmal, machte mich dann bereit, meine Stimme in etwas höhere Tonlagen zu befördern, und begann bewusst schüchtern: „Hm … meine Freunde haben mich leider sitzen lassen. Und du?“ Dann wartete ich auf seine Reaktion. Jetzt würde ich sehen, ob ich noch etwas hier blieb oder direkt abhaute, weil er mich durchschaut hatte und es dann nichts mehr brachte, irgendwelche unsinnigen Spielchen zu spielen. Aber er schien absolut nichts zu merken, sondern lächelte und lehnte sich, auf den Tisch gestützt, etwas weiter an mich heran. „Ich bin allein hier“, antwortete er mir, was ich ihm allerdings nicht ganz glaubte. Man ging nicht alleine auf Halloween-Partys. Man ging eigentlich überhaupt nicht alleine auf Partys. „Und schaue, was sich so ergibt.“ „Aha … wie heißt du denn überhaupt?“, trieb ich unser kleines Gespräch weiter voran und bemühte mich, dabei alles möglichst mädchenhaft zu formulieren. „Gackt. Und du?“ „Hy-“, wollte ich schon sagen, unterbrach mich aber selbst. Wenn er meinen Namen – und sei es nur der Spitzname – hörte, würde er sofort wissen, was los war. Daher verbesserte ich mich sofort auf: „… Hachiko.“ Das hatten Tetsu und ich uns schon vorher ausgedacht, damit wir uns später damit ansprechen könnten: Hachiko und Tetsuko. „Freut mich, Hachiko“, sagte Gackt und griff systematisch nach meiner Hand – doch nicht, um sie zu schütteln, sondern um sie an seine Lippen zu ziehen und einen kurzen Kuss auf meine Fingerknöchel zu hauchen. Das erstaunte mich wiederum so sehr, dass ich gar nicht richtig reagieren konnte. „Äh …“, machte ich nur und ließ dabei auch meine Tonlage etwas entgleisen, überspielte dies aber so schnell wie möglich mit einem schüchternen Kichern. Als ich mich wieder einigermaßen gefangen und Gackt meine Hand losgelassen hatte, suchte ich dann mein Heil im Angriff: „Und … wie läuft es denn bisher so? Hast du jemand Netten gefunden?“ „Natürlich“, antwortete er darauf in einem Ton, der das nur noch unterstrich, „ich sitze schließlich hier mit dir. Das heißt dann wohl, dass heute mein Glückstag ist, meinst du nicht auch?“ Urgs, Schleimer! Aber ich blieb brav in meiner Rolle, blickte leicht betreten zu Boden und versuchte sogar, ein bisschen rot zu werden. Ob das auch klappte, bezweifelte ich allerdings stark, und dachte mir im selben Zug, dass es hier sowieso niemand so richtig sehen würde. Ich konnte ja noch nicht einmal Gackts Augenfarbe ausmachen, sondern nur sehen, dass es definitiv nicht braun war. Er deutete es wohl als Interesse an seiner Person, dass ich sein Gesicht so ausgiebig musterte. Ich wusste es nicht, aber auf alle Fälle spornte es ihn zu noch größerem Bullshit an, der so offensichtlich aufgesetzt war, dass ihn auch der letzte Vollidiot noch durchschaut hätte. „Darf ich dir was verraten, Hachiko?“, griff Gackt das Gespräch dann wieder auf, woraufhin ich stumm nickte und fragend aussah, „du bist wirklich das schönste Mädchen hier. Ich glaube, ich bin schon dabei, mich in dich zu verlieben.“ Ich musste so dermaßen aufpassen, dass ich nicht plötzlich laut zu lachen anfing. Das würde der Brüller des Tages werden, wenn ich das später oder morgen Tetsu und Ken erzählte. Oh mein Gott, nein … wir kannten uns noch nicht einmal eine viertel Stunde und schon machte der Kerl mir ein halbes Liebesgeständnis. Was lief bei dem nur falsch. Ich hüstelte kurz und wollte dem armen Kerl aus Mitleid schon sagen, dass das hier alles nur ein Scherz und ich gar keine Frau wäre, aber er schnitt mir das Wort ab, ehe ich auch nur Luft holen konnte: „Ich würde gerne mit dir tanzen, Hachiko, und dich küssen.“ Wie bitte? Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Für einige ziemlich lange Sekunden sagte keiner von uns beiden noch etwas. Gackt blickte mich erwartungsvoll an und ich sah sicherlich aus wie ein Auto. Es musste so sein, auch wenn Gackt diesbezüglich nichts sagte. Die Zeit rann dahin und ich sagte immer noch nichts zu seinem … nannten wir es einmal Angebot. Aber was sollte ich auch? Das hier war definitiv das Seltsamste, das mir in meinem gesamten, bisherigen Leben passiert war. Und ich hatte auch von noch niemandem gehört, der jemals mit so etwas konfrontiert gewesen wäre. Ich fand das alles nur urkomisch und total bekloppt. Je länger ich mir den Irrwitz der Situation durch den Kopf gehen ließ, desto bescheuerte wurde es. Und dann gab es wirklich kein Halten mehr. Es war einfach zu viel für mich und einen Abend. Ich konnte nicht mehr … also brach ich tatsächlich in Gelächter aus, das so laut war, dass sich die Leute an den Nachbartischen noch zu uns umdrehten. Mir liefen die Lachtränen über die Wangen und ruinierten dabei wahrscheinlich mein sorgsam aufgetragenes Make-up. Ich hielt mir den Bauch, krümmte mich und schüttelte immer wieder den Kopf, während ich damit beschäftigt war, genug Luft zu holen und nicht an meinem Lachen zu ersticken. „Nein …“, japste ich, noch immer heftig nach Luft schnappend, „nee … Gac- … Gackt, das …“ Ich gab es erst einmal auf und lachte nur weiter. Um mich wenigstens etwas zu beruhigen, brauchte ich auch eine ganze Weile und immer, wenn ich den jungen Kerl ansah, der mir gegenüber saß und anscheinend immer noch geduldig auf eine Antwort wartete, packte mich eine neue Welle. Es dauerte wirklich geschlagene fünf Minuten, ehe ich den nächsten wenigstens halbwegs geraden Satz herausbrachte: „Sei ehrlich … du hast … hast eine Wette verloren … oder?“ Ich benutzte dabei auch nicht mehr die verstellte Stimme. Er sollte schließlich schon gemerkt haben, dass er mit der Tour bei mir auf absolut verlorenem Posten kämpfte und hier nichts reißen konnte. Da konnte er ruhig wissen, dass ich noch nicht einmal eine Frau war … aber er merkte es scheinbar immer noch nicht. „Äh … nein, das ist keine Wette. Es ist mein Ernst“, meinte er in einem ziemlich aufrichtigen Tonfall, soweit ich es beurteilen konnte. „Okay, dich gleich nach einem Kuss zu fragen, war wohl ziemlich übertrieben …“ „Das kannst du aber laut sagen“, warf ich immer noch ein wenig giggelnd ein, stützte den rechten Ellenbogen auf die Tischplatte und legte mein Kinn in meine Hand. Wenn ich nun auch nicht mehr lachte, so tat das breite Grinsen, das auf meinen Lippen lag, dafür doch ganz schön weh. „… aber tanzen würde ich trotzdem ganz gerne mit dir“, vollendete Gackt seinen angefangenen Satz. „Wäre das denn okay für dich?“ Ich seufzte daraufhin leicht und schüttelte kaum merklich den Kopf. Süß war es ja schon, wie sehr er sich hier ins Zeug legte, obwohl er doch sehen musste, dass er schon verloren hatte. Ich sollte ihm wohl ein kleines Zugeständnis machen: „Du könntest mir einen Cocktail spendieren und dann sehen wir eventuell weiter, wie die restliche Abendplanung aussieht. Wie klingt das für dich?“ „Nicht schlecht, würde ich sagen.“ Himmel, so langsam bekam ich das Gefühl, dass der Kerl wirklich allein hier war, weil er entweder keine Freunde hatte, oder doch welche hatte, sich aber vor ihnen nicht mit seinen grottenschlechten Anmachkünsten blamieren wollte. Am liebsten hätte ich ihm ein Schild mit der Aufschrift Welpenschutz umgehangen, damit er es später nicht bei irgendeiner Tussi probierte, die ihn tatsächlich noch ausnutzte … okay, ich war im Moment auch nicht ganz fair zu ihm, aber ich würde ihn direkt nach dem Drink aufklären und in die Wüste schicken. Als wir beide aufstanden, um uns gemeinsam zur Bar zu bewegen, bemerkte ich erst einmal, wie groß Gackt eigentlich war. Er konnte nicht älter sein als ich, überragte mich aber um mehr als einen Kopf, sodass ich, der ich mich manchmal schon mies fühlte, wenn Ken neben mir aufragte, jetzt kurz davor stand, Komplexe zu bekommen. Dafür würde ich ihn aber auch nicht aus den Augen verlieren, bemerkte ich, als Gackt sich vor mir durch die Menge schob, die sich mittlerweile zwar beträchtlich gelichtet hatte, aber trotzdem noch recht dicht war. Auf unserem Weg blickte er sich auch immer wieder nach mir um, ob ich noch da war oder schon verlorengegangen war, was bei meiner Größe durchaus leicht passieren konnte. Aber ich konnte meist selbst dafür sorgen, dass ich bei meinen Leuten blieb. Ich hängte mich dann einfach an irgendwelche Rücksäcke und Taschen oder hakte mich auch schon mal unter, wenn der Platz es zuließ. So auch heute, denn ich hatte schon bei unserem Tisch nach Gackts Umhang gegriffen und hielt diesen so fest, als würde es um mein Leben gehen. Als er das bemerkte, blieb er jedoch kurz stehen und griff nach meiner freien Hand, um unsere Finger ineinander zu verschränken und so anscheinend ein sichereres Gefühl zu haben. Ich hob darüber zwar eine Augenbraue, ließ mir aber weiter nichts anmerken. In ein paar Schritten würde er mich sowieso wieder loslassen müssen. Gackts schiere Körpergröße hatte hier drinnen auch noch einen zweiten Vorteil. Er konnte nicht nur nicht verlorengehen, sondern an der Bar auch über alle anderen hinweg rufen, was er haben wollte. Und wenn da ein langes Elend neben ein paar abgebrochenen Zwergen, wie ich einer war, stand, dann wurde das lange Elend natürlich zuerst bedient. So dauerte es auch keine fünf Minuten, bis ich einen weiteren Cocktail in der Hand hielt – ein knallgrüner war es – und Gackt eine simple Cola. „Bist du immer so abstinent?“, fragte ich, als er mich wieder ein Stück von der Bar weggezogen und mir zugeprostet hatte. „Wenn ich kann, dann nicht“, antwortete er. „Aber?“ „Ich hab noch einen ziemlich langen Heimweg. Den will ich nicht betrunken gehen müssen. Du scheinst aber schon ganz gut dabei zu sein.“ „Hehe“, lachte ich erst einmal und nahm wie demonstrativ einen Schluck von meinem Cocktail. „Da könntest du recht haben. Ich muss aber auch nicht allein nach Hause gehen. Meine Freunde begleiten mich.“ Zumal ich zwar sicherlich etwas angeheitert sein mochte, aber noch lange nicht betrunken war. „Ach so …“, meinte Gackt langsam und sah sich nun am Zug, mir Fragen zu stellen, „und wo sind sie im Augenblick? Du willst mir doch wohl nicht sagen, dass sie dich allein gelassen haben?“ „Doch haben sie. Aber bevor du dir deswegen irgendwas vornimmst, kann ich dich gleich vorwarnen: Ich hab jahrelang Kampfsport gemacht; ich leg dich aufs Kreuz, bevor du mich auch nur angefasst hast.“ Trotz meiner harten Worte, dekorierte ich das Gesagte wieder mit einem süffisanten Lächeln und pflückte dann die Scheibe Sternfrucht von meinem Glas, um sie mir in den Mund zu schieben und beim Kauen genüsslich die Augen zu schließen. Hmmm~ ich liebte Sternfrucht. Als ich Gackt wieder ansah, schaute er mich fast schon entgeistert an. „Ich hatte nicht vor, irgendetwas gegen deinen Willen zu tun“, wandte er verteidigend ein, „ich wollte mich nur mit dir unterhalten und vielleicht mit dir tanzen, wenn du nichts dagegen hast. Das ist wirklich schon alles.“ Im Grunde war er eigentlich schon wieder süß, so ernst wie er mich nahm. Und entgegen seiner Worte musste er doch mindestens so angetrunken sein wie ich, denn ich redete nun schon die ganze Zeit über vollkommen normal – nicht mehr bewusst verstellt oder durch mein Gelächter verzerrt. Aber Gackt hatte immer noch nichts dazu gesagt. Und wenn er die Wahrheit gesagt hatte und tatsächlich nicht betrunken war, dann musste er zumindest etwas an den Ohren haben. Eigentlich konnte man doch gar nicht überhören, dass meine Stimme die eines Mannes war. Nun, wenn er es tatsächlich so sehr ignorieren würde, dann würde ich ihm später den Schock seines Lebens versetzen, wenn ich die kleine Komödie auflöste. Das würde noch witziger werden, als ich gedacht hatte. „Okay“, meinte ich schließlich, nahm ihm seine noch halbvolle Cola ab und stellte unsere beiden Gläser auf einen Sims, der auch schon von anderen Gästen als Ablage für leere oder fast leere Gläser benutzt worden war. Und ein paar Meter weiter war eine der raren Kellnerinnen auch schon dabei, diese einzusammeln und Platz für neue zu schaffen. Wir würden unsere Gläser also später nicht wiedersehen, aber ich hatte ohnehin nicht vor, aus einem Glas zu trinken, das eine Weile unbeaufsichtigt herumgestanden hatte. „Wie jetzt?“, hakte Gackt verwirrt nach. Er machte doch nicht etwa jetzt schon schlapp? „Wir tanzen“, klärte ich ihn in einem Tonfall auf, der die Selbstverständlichkeit meiner Worte unterstrich, „das wolltest du doch, oder? Dann musst du jetzt auch mitkommen.“ „Ach so … freut mich.“ „Na, geht doch!“ Und diesmal war ich es, der ihn bei der Hand nahm und hinter sich her zog. Ich führte ihn auf die Tanzfläche und durch die Menge hindurch zu einem Fleck, der mir nicht ganz so überlaufen schien wie der Rest. Dann drehte ich mich wieder zu ihm um, ließ seine Hand dabei aber nicht los, sondern begann einfach so, mich zu der Musik zu bewegen. Es war Musik, die ich normalerweise ziemlich schrecklich fand – irgendeine Dance-Pop-Schnepfe, deren einziger Hit nun schon seit Wochen in Radio und Fernsehen rauf und runter dudelte … Namie Otsuka oder so – aber zum Tanzen machte sie sich ganz gut. Das hinderte Gackt jedoch nicht daran, in seinen Bewegungen trotzdem ziemlich steif zu wirken. Allerdings bleib das nicht lange ein Problem. Schon der nächste Song schien ein extrem beliebter zu sein und ganz plötzlich verdichtete sich die Meute auf der Tanzfläche wieder, sodass ich enger an Gackt gedrängt wurde. Es wurde auf diese Weise ein wenig unangenehm, seine Hand weiter festzuhalten, also ließ ich sie schließlich doch los und fasste ihn stattdessen bei der Schulter … und spürte, wie seine Hände sich nur kurz danach an meine Hüfte legten. Ich blickte ihn einen Moment lang mit hochgezogener Augenbraue an, sah ihn grinsen und musste darauf ebenfalls etwas schmunzeln. Und so nah, wie ich ihm im Moment war, konnte ich auch endlich erkennen, dass seine Augen blau waren. Kontaktlinsen, schoss es mir kurz durch den Kopf, aber dann war der Gedanke auch schon wieder verschwunden und ich übergab mich wieder der Musik und den Beats, die durch meinen ganzen Körper vibrierten. In dieser Situation schien Gackt das Loslassen auch endlich leichter zu fallen. Er wirkte nun nicht mehr ganz so steif wie eben noch. Ich konnte ihn ab und an sogar leise auflachen hören … und es war so ansteckend, dass ich ebenfalls nur grinsen konnte. Wahrscheinlich würde ich die Fassade nicht mehr lange aufrechterhalten können … Trotzdem trieb ich es noch ein wenig weiter, indem ich meine Hand auch von Gackts Schulter nahm, dafür aber beide Arme um seinen Hals schlang und mich noch dichter an ihn schmiegte. Ob er es jetzt merken und entsetzt zurückspringen würde? Nein, das tat er nicht – zum Glück, denn ich merkte gerade, wie gut er roch, obwohl wir hier in einer verrauchten Bar waren. Aber vielleicht roch Gackt auch gerade wegen des ganzen Gestankes nach Rauch, verschüttetem Alkohol und verschwitzen Menschen so gut. Ich fragte mich, ob das Parfum war oder sein natürlicher Geruch, und lehnte mich dabei unbewusst noch etwas weiter vor, um an der einzigen freien Stelle an seinem Hals zu schnüffeln, die nicht von seinem Kostüm bedeckt wurde. Er lachte daraufhin wieder etwas. Und dann führte er seine Hände von meiner Hüfte nach hinten auf meinen Rücken und ließ sie erst einmal knapp über meinem Hintern liegen. Mit einer begab er sich aber schnell weiter auf Wanderschaft, an meiner Wirbelsäule entlang bis hoch zwischen meine Schulterblätter. Dort schien sie dann erst ihr Ziel erreicht zu haben. Und einen Moment später wusste ich auch, wieso – als er den Kopf etwas drehte und sein warmer Atem über meine Wange strich. Ich versuchte nun auch, ihn wieder anzusehen, aber sein Gesicht war dafür zu nah und außerdem konnte ich aus den Augenwinkeln heraus erkennen, dass er ohnehin die Lider geschlossen hatte. Doch es kam nichts weiter, er zögerte. Er zögerte, obwohl er doch vorhin so geradeheraus gefragt hatte, ob er mich küssen durfte. War das vorhin also doch alles nur leeres Gerede gewesen? Wollte er bis hierhin mitmachen und nicht weiter? Wollte er mich genauso aus der Reserve locken wie ich ihn und schauen, wie weit zu gehen ich bereit war? Er sagte nichts und machte auch sonst keine Anstalten, mir irgendwelche Zeichen zu geben, dass wir den Scheitelpunkt jetzt erreicht hatten. Na schön, dachte ich, das war es also. Ich hätte es in diesem Moment gut sein lassen können, hätte lachen und ihn dann einfach stehenlassen können. Oder ich hätte auch nett sein, ihm noch eine Cola ausgeben und mich richtig vorstellen können. Aber ich tat es nicht. Die Atmosphäre zwischen uns war bereits so aufgeladen, dass ich es einfach nicht konnte. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob ich wirklich auf Männer stand. Wenn jemand gut küssen konnte, dann konnte mir das nur recht sein, und ich war sowieso der Meinung, dass bei der Liebe andere Dinge wichtiger waren als das Geschlecht. Ich hatte dabei eben nur noch nie so richtig über mich selber nachgedacht … und würde es jetzt auch nicht tun. Man konnte es auf den Alkohol, Gackts Geruch oder die wohlige Wärme seines Körpers an meinem schieben. Oder auf eine Mischung aus allem. Auf alle Fälle nahm ich die Sache jetzt in die Hand: Ich überbrückte die letzten Zentimeter, die uns trennten, und küsste seine Lippen. Und selbst jetzt zog Gackt nicht zurück. Ganz im Gegenteil! Er schien es als meine Erlaubnis aufgefasst zu haben, dass er nun doch das tun durfte, was ich ihm vorhin noch verwehrt hatte, denn er gab sich mit dem oberflächlichen Kuss nicht zufrieden, sondern versuchte direkt, sich mit der Zunge Einlass in meinen Mund zu verschaffen. Seine Küsse waren etwas forsch, dafür aber genauso verlangend. Und ich forcierte es im Grunde nur noch, indem auch ich nicht absprang, sondern eine Hand in seinen Haaren vergrub und ihn so weitgehend fixierte. Trotzdem hatte er noch genug Raum, den Kopf zu bewegen und den Winkel zu verändern. Uhn~ wo hatte er bloß so küssen gelernt? Nur die Maske störte irgendwann ein bisschen, sodass ich sie ihm am liebsten heruntergerissen hätte. Aber er ließ mich nicht, denn immer, wenn ich mich von seinen Lippen lösen wollte, um den nötigen Platz dazu zu haben, kam er mir augenblicklich nach und ließ mich nicht gehen. Stattdessen korrigierte er die Position seiner Hand noch etwas nach unten und schob sie auf meinen Hintern. Er ließ sie sogar noch etwas weiterwandern, sodass ich nur einige Momente darauf seine Fingerspitzen an meinem Oberschenkel spüren konnte und noch etwas später fast seine ganze Hand ihren Weg unter meinen Rock gefunden hatte. Dass ich Shorts trug, schien ihn dabei herzlich wenig zu stören. Mich sowieso nicht, aber auch die Tatsache, dass wir hier mit zig anderen kostümierten Leuten auf einer Tanzfläche standen, knutschten und Gackt schon dabei war, mich halb auszuziehen, ging eher unreflektiert an mir vorbei. Es war mir schlichtweg egal, was die anderen dachten, denn ich hatte hier schließlich meine eigene Mission: Nämlich immer noch herauszufinden, wie weit Gackt mit mir gehen würde. Ich brannte regelrecht darauf. Man konnte ja nicht einfach Schluss machen, wenn man sicher schon mehr als die Hälfte des Weges gegangen war, oder? Oder? Genauso egal war mir auch die Musik, die mittlerweile gespielt wurde. Im Nachhinein hätte ich es noch nicht einmal mehr sagen können, wenn der DJ plötzlich meinen Lieblingssong von meiner Lieblingsband aufgelegt hätte. Und bei dem konnte ich eigentlich noch nicht einmal mehr still sitzenbleiben, wenn ich ich ihn hörte, sondern sprang meistens sofort auf und tanze quer durch die Gegend. Aber diesmal nicht. Im Moment nervte es mich eher, dass die Leute um uns herum tanzten und uns dabei immer wieder anrempelten. Und Gackt schien das auch so zu sehen, denn nach einer gefühlten Ewigkeit löste er sich doch von mir und raunte mir atemlos zu: „Komm mit.“ „Hm“, brummte ich zustimmend, nicht minder um Atem ringend, ließ mich dann von ihm bei der Hand nehmen und von der Tanzfläche führen. Ich hatte keine Ahnung, wohin er wollte, war ich doch unerwartet beschäftigt damit, dass mein Mund nun erst einmal nichts mehr zu tun hatte. Nur am Rande bekam ich mit, dass wir an den Sofas vorbeizogen, die sowieso alle besetzt waren. Und gerade, als ich mich dann doch zu fragen begann, wo er eigentlich mit mir hin wollte, hielt er an, zog mich wieder an sich heran und drückte mich anschließend mit dem Rücken gegen eine Wand. „Kalt“, murmelte ich leise, kam aber nicht dazu, mich großartig darüber beschweren zu können, da Gackt mich gleich wieder vereinnahmte. Er strich mir die falschen Haare aus dem Gesicht und steckte sie hinter mein Ohr, schenkte mir dann ein anzügliches Lächeln und küsste mich in dem Augenblick, als ich die Situation in die Hand nehmen wollte, weil ich genervt davon war, dass er mich trotzdem noch so ewig warten ließ. Nach unserem Ortswechsel musste Gackt nun seine Hände wieder neu auf mir platzieren, allerdings schien ihm das ganz recht zu sein, denn er ging nun sogar noch direkter vor als vorhin auf der Tanzfläche. Er machte gar keine Anstalten mehr, sich erst zögerlich vorzutasten, sondern schob ohne Umschweife seine rechte Hand wieder unter meinen Rock und streichelte meinen Hintern, während er die linke auf meine Hüfte legte. Letzteres tat er nicht, um mich bei sich zu halten – das hatte er gar nicht nötig, denn er fixierte mich bereits mit seinem Körper an der Wand und bot uns auf diese Weise gleichzeitig Schutz vor den Blicken der anderen. Nicht, dass es mich jetzt auch nur einen Deut mehr gejuckt hätte. Meine Hände hatte ich erst wieder auf Gackts Schultern gelegt, aber nun, da unsere Küsse mich erneut so vereinnahmten, legte ich sie auf seine Wangen. Zumindest wollte ich das, denn die blöde Maske hinderte mich schon wieder daran. Und diesmal setzte ich mich auch durch, fasste sie an den Rändern und zog sie nach oben weg, sodass ich noch nicht einmal den Kuss dazu unterbrechen musste. Das verbesserte die Situation ungemein und ich fühlte mich augenblicklich noch etwas wohler als ohnehin schon. Oh Gott, er machte das so unglaublich gut! So gut, dass ich leise murrte, als er meine Lippen wieder freigab und stattdessen damit begann, meinen Hals mit Küssen einzudecken. Aber auch dieses Gefühl erwies sich ziemlich schnell als befriedigend genug, um mir ein genüssliches Seufzen zu entlocken. Ich ließ mich vollkommen gegen die Wand sinken und legte den Kopf schief, um Gackt einen besseren Zugang zu meinem Hals zu geben, damit er mich noch weiter verführen konnte. Und ich nahm nur allzu bereitwillig in Kauf, dass sich gleichzeitig die Hand, die ohnehin schon hinten unter meinem Rocken steckte, jetzt auch noch in meinen Unterwäsche hineinstehlen wollte. Dumm an der ganzen Sache war nur, dass Gackt mich nun nicht mehr komplett verdeckte und just in diesem Augenblick jemand an uns vorbeiziehen musste, der mich kannte. „Doiha?!“, wurde ich von der ziemlich verwirrt klingenden Person angesprochen, „was machst du denn da?“ Ich erschrak so sehr, dass ich komplett starr wurde und entsetzt die Augen aufschlug, um Tetsu direkt vor mir stehen zu sehen. „Tet-chan!“, rief ich nicht minder fassungslos und starrte ihn an. Gackt war der Letzte unter uns, der irgendetwas mitschnitt, und musste auch erst von mir an der Schulter gerüttelt werden, damit er aufhörte, mich zu küssen. Wie er so begriffsstutzig hatte sein könne, war mir absolut schleierhaft, da er doch quasi an meinem Hals klebte und merken müsste, wie steif ich plötzlich geworden war. „Was'n los?“, fragte er mich, sah dann aber, dass ich an ihm vorbei blickte und drehte sich nun auch um, „oh … eine Freundin von dir?“ „Freund“, korrigierte ihn Tetsu umgehend, noch bevor ich den Mund aufmachen konnte. Und er wirkte ziemlich mürrisch dabei. Ob es wohl etwas damit zu tun hatte, dass er ein bisschen zerzaust aussah? „Freund?“, hakte Gackt allerdings nach und beugte sich etwas in seine Richtung – wohl um näher dran zu sein und besser hinsehen zu können. „Ja, doch!“, grantelte Tetsu weiter und hatte anscheinend überhaupt nicht die Geduld für irgendwelche großartigen Erklärungen. Stattdessen zog er sich einfach seine Perücke vom Kopf, die ohnehin schon etwas schief saß, und wandte sich dann wieder mir zu, „Doiha, ich will nach Hause. Kommst du mit?“ „Äh …“, machte ich erst einmal und musste wirklich stark überlegen, was allerdings durch meine momentane Lage nicht unbedingt einfach war. In der letzten … halben Stunde? … ich konnte es noch nicht einmal genau sagen – in der Zeit, in der ich mit Gackt zusammen gewesen war, hatte ich mein Hirn offensichtlich ausgeschaltet und musste es jetzt erst wieder in Gang kriegen. Denn für gewöhnlich hätte ich sofort zugesagt, schließlich war Tetsu mein bester Freund und augenscheinlich auch in keiner sonderlich guten Verfassung. Aber jetzt, wo ich zu keinem klaren Gedanken fähig war … da hörte ich mich nur Unverständliches murmeln, „also, eigentlich-“ „Sag mal, was treibst du da eigentlich?“, unterbrach er mich jedoch perplex und rutschte mit seinem Blick zu meiner Hüfte hinunter, wo noch immer Gackts Hand lag und sich halb unter meine Bluse geschoben hatte, „und seit wann fummelst du mit … einem anderen Kerl?“ „Äh …“, machte ich wieder und stotterte dann auch weiter nur herum, „Tet-chan … ich weiß eigentlich gar nicht …“ „Na, spar es dir“, verzichtete er auf den Rest meiner Antwort, „ich will nur nach Hause. Ken-chan ist auch nirgends zu finden.“ „O-okay“, stimmte ich schließlich zu und wich einen Schritt zur Seite, weg von Gackt, woraufhin er mich natürlich loslassen musste. Der schaute mich nun ziemlich enttäuscht an, aber auch etwas … schuldbewusst? Warum er das tat, realisierte ich, als er fragte: „Sorry, wenn du jetzt Schwierigkeiten wegen mir hast. Ich dachte nicht, dass du mit jemandem zusammen bi-“ „Doiha!“, erinnerte mich Tetsu daran, dass wir ja gehen wollten. Sein Ton war dabei so strikt und mein Hirn immer noch so mit Hochfahren beschäftigt, dass ich ohne jeglichen weiteren Kommentar mit einem Nicken zustimmte. Wahrscheinlich wäre es auch sinnlos gewesen, irgendwie zu protestieren, denn Tetsu war so dermaßen schlecht gelaunt, dass ich mich schon fragte, wer er war und was er mit meinem besten Freund gemacht hatte. Und kaum, dass ich einen weiteren Schritt in seine Richtung gemacht hatte, griff er auch schon nach meinem Handgelenk und schleifte mich – selbst eher stampfend als gehend – in Richtung Ausgang. Ich warf noch einen Blick über die Schulter zu Gackt, der mich ebenso fassungslos anschaute wie ich mich fühlte und mir außerdem noch nachrief: „Warte mal! Gibst du mir wenigstens noch deine Telefon-“ Aber dann waren wir in der lauten Bar schon außer Hörweite und er folgte uns auch nicht. Und ein klein wenig missfiel mir das sogar. Draußen an der frischen Luft kam mein Hirn dann endlich etwas in Schwung, sodass ich wieder zu vollständigen Sätzen fähig war und auf Tetsus Fragen antworten konnte. Allerdings wartete er damit ein paar Minuten, in denen wir bereits den Weg zur U-Bahn einschlugen. „Was war das denn für einer?“, hakte mein bester Freund nach, nachdem ich ja vorhin in der Bar kaum ein Wort herausbekommen hatte. „Gackt heißt er.“ „Und sonst?“ „Keine Ahnung. Er hat sich einfach zu mir an den Tisch gesetzt, nachdem ihr weg wart, und mich zugequatscht. Er hat mich für ein Mädchen gehalten und eine der dümmsten Anmachen vom Stapel gelassen, die ich je gehört habe. Ich hab dann ein bisschen mitgespielt und ihn ein bisschen verarschen wollen und nachdem er mir was zu trinken spendiert hat … kam dann irgendwie eins zum anderen“, endete ich etwas ratlos. „Aha“, machte Tetsu darauf und schwieg für ungefähr eine Minute, ehe er sein 'Verhör' fortführte, „und du bist zwischendurch nicht auf die Idee gekommen, ihm zu sagen, dass du gar kein Mädchen bist?“ „Ich bin davon ausgegangen, dass er es selbst hören kann. Man muss schon ziemlich doof sein, um das nicht zu bemerken“, redete ich mich heraus … auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber irgendwie musste ich ja mein Gesicht wahren, selbst wenn es vor meinem besten Freund war. „Es war laut da drin, Doiha-chan“, war jedoch Tetsus trockener Kommentar dazu. „Ach, Quatsch! Wir haben uns doch die ganze Zeit unterhalten können, ohne schreien zu müssen … jedenfalls nicht zu viel.“ „Na, die ganze Zeit habt ihr euch bestimmt nicht unterhalten“, erinnerte mich mein bester Freund an das, was ich einen Großteil der Zeit mit Gackt getrieben hatte, „mal ganz davon abgesehen: Du hast ihn doch sicher nicht mit einem Mädchen verwechselt. Kannst du mir sagen, seit wann du was mit anderen Kerlen anfängst?“ „Nein“, sagte ich schlicht. „Aha … muss ich mir denn Sorgen machen? Hat er dir vielleicht irgendwas ins Glas getan, damit er das mit dir machen kann? Du stehst doch gar nicht auf so was.“ „Keine Sorge, alles in Ordnung. Ich hab den Cocktail direkt vom Barkeeper bekommen“, seufzte ich, „aber ich weiß doch auch nicht, was da los war. Es war ja schon irgendwie niedlich, wie sehr er sich ins Zeug gelegt hat, um mich rumzukriegen. Ich hab doch auch nur Theater spielt und wollte gucken, wann er abspringt. Ich wollte was zum Lachen haben, nachdem ihr alle weg wart.“ „Sorry deswegen … aber anscheinend ist er nicht abgesprungen.“ „Hast du ja gesehen. Er muss allerdings schon ganz schön taub gewesen sein, wenn er es tatsächlich immer noch nicht gerafft hat, was ich denn eigentlich bin.“ „Das erklärt trotzdem nicht wirklich, wieso du-“ „Ach, Mensch, Tet-chan!“, grätschte ich ihm ins Wort und versetzte ihm einen Schlag gegen den Oberarm, „hör doch endlich mal auf! Ich hab keine Ahnung! Was ist denn eigentlich mit dir passiert? Wieso wolltest du unbedingt gehen?“ „Hättest dich wohl gerne noch ein bisschen mit deinem Gacchan beschäftigt?“, neckte er mich weiter mit einem Grinsen. Oh, dieser Idiot! Manchmal konnte er wirklich so schadenfroh sein, dass es nicht mehr feierlich war. Ich grummelte gefährlich: „Erstens ist das nicht Gacchan, zweitens ist es nicht meiner, drittens werde ich ihn höchstwahrscheinlich nie wiedersehen und viertens lenkst du ab. Spuck es schon aus!“ „Ach, gegen deine Story ist das eigentlich absoluter Bockmist. So ein schmieriger, nerviger Arsch ist ein bisschen sehr aufdringlich gewesen und wollte die ganze Zeit unbedingt, dass ich mit ihm aufs Klo gehe, damit er – und das ist jetzt O-Ton – mir sein Paket zeigen kann. Es würde unter Garantie meine Welt erschüttern und jeden Kerl, den ich vor ihm hatte, wie ein absolutes Weichei der untersten Schublade aussehen lassen. Ich hab ihm dann gesagt, dass ich noch nie einen Kerl hatte, weil ich selber einer sei. Er wollte mir natürlich nicht glauben, hat mich weiter genervt und mir blieb dann natürlich nichts anderes übrig, als ihm eine zu verpassen. Da hat er es mir dann endlich geglaubt, ist allerdings auch ziemlich sauer geworden, und du kennst mich ja: Ein Feldherr muss wissen, wann es am besten ist, sich zurückzuziehen.“ „Ah~“, machte ich verstehend und nickte, „er sucht immer noch nach dir und du hast Angst, dass er dir auch eine reinhaut.“ „So in der Art. Aber würdest du nicht auch dein Heil in der Flucht suchen, wenn so einer hinter dir her ist?“ „Ich hab Kampfsport gemacht, Tet-chan, denk dir den Rest“, kommentierte ich grinsend, worauf ich – wie immer – ein leicht genervtes Augenrollen gepaart mit einem Seufzen erntete. „Ja ja, du bist Super-Doiha“, bestätigte er mir nickend, aber nur, um mir direkt wieder eins reinzuwürgen, „und trotzdem hast du es geschafft, dich heute von einem anderen Kerl einwickeln zu lassen und ...“ Als er meinen Mörderblick sah, den ich sofort aufsetzte, entschied er sich jedoch dazu, mich nicht noch weiter zu reizen und seine eigene Haut zu retten. „… hat sich's denn wenigstens gelohnt?“ „Na ja … er konnte schon ganz gut küssen“, musste ich daraufhin zugeben. „Aber sonst war da absolut nichts.“ „Also, als nichts würde ich das nicht unbedingt bezeichnen. Es sah eher so aus, als würde er dich heute noch flachlegen, wenn euch nicht jemand gestört hätte.“ „Jemand … red keinen Quatsch! So was lass ich garantiert nicht mit mir machen. Es wird auch nicht mehr vorkommen, da kannst du Gift drauf nehmen. Und mit ihm schon gar nicht … er weiß ja nicht, wer ich wirklich bin.“ „Hmmm …“ „Was soll das jetzt schon wieder heißen?!“ „Ach, nichts.“ Für den Rest des Weges zur U-Bahn schwiegen wir. Ich war auch viel zu sehr damit beschäftigt, nicht rot zu werden, weil mir so langsam klar wurde, was ich da eigentlich getan hatte … und wie peinlich es mir war. tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)