Kill this Killing Man II von Kalea (Höhen und Tiefen) ================================================================================ Kapitel 1: Ein ruhiger Sommer ----------------------------- 1) Ein ruhiger Sommer Sam betrat die Küche, nahm sich eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter den Hahn der Kaffeemaschine. Während er darauf wartete, dass sein Latte Macchiato fertig wurde, ließ er seinen Blick über die freie Fläche hinter dem Haus wandern. Zu Beginn des Sommers hatten sie einen Platz gebraucht, auf dem sie das Material für den Umbau lagern konnten und diese Fläche freigeräumt. Jetzt, da alles verbaut war, war hier ein Stück Rasen, umgeben von einigen Beerensträuchern und Obstbäumen. Es gab einen Teich, in dem, zwischen einigen Seerosen versteckt, ein Rosenkranz lag und eine Grillecke mit Tisch und Bänken. Dean kam in sein Blickfeld und er musterte ihn unweigerlich. Er trug nur eine alte, mit Farbe bekleckerte, an einigen Stellen eingerissene Hose, die locker auf seinen Hüften hing. Die Muskeln, die unter der Haut arbeiteten, waren deutlich zu sehen. Deans Haare waren von der Sonne ausgeblichen und ein paar Nuancen heller als normal. Seine sonnengebräunte Haut ließ die grünen Augen noch stärker leuchten. Sein Bruder sah in diesem Sommer wirklich rattenscharf aus. Das hatte er in den letzten Wochen des Öfteren zu hören bekommen, wenn sich die jungen Frauen scharenweise an ihn heranmachen wollten. Dean war diesen Offerten natürlich nicht abgeneigt gewesen und hatte so manche Nacht auswärts verbracht. Am Morgen danach stand er jedoch immer wieder auf der Matte und hatte sich voll und ganz in den Umbau gestürzt. Diese Arbeit hier hatte ihm sichtlich Spaß gemacht. Er nahm sich seine Tasse und wollte gerade wieder in dem neuen Büro verschwinden, als er Bobby seinen Namen rufen hörte. Er trat auf die Veranda und schaute zu dem Freund. „Was gibt’s?“ „Du könntest mal den Tisch decken und nach den Kartoffeln schauen. Salat steht im Kühlschrank und wo das Brot ist, weiß du ja.“ Sam tat wie ihm geheißen, auch wenn er in der neuen Küche immer noch das eine oder andere suchen musste. Immer wieder huschte sein Blick durch die offen stehende Tür ins Wohnzimmer. Sie hatten bei dem Umbau ganze Arbeit geleistet und ihn wunderte auch heute noch, dass Bobby das so gewollt und sein Bruder so ausgeführt hatten. Er selbst hatte dabei nur den Handlanger geben können. Handwerkliche Arbeiten waren nicht so sein Ding. „Wie weit bist du?“, fragte er seinen Bruder, als er ein volles Tablett nach draußen jonglierte. „Fast fertig. Wann gibst Essen?“ „War ja klar, dass du danach fragst“, grinste er. Dean würdigte seinen Bruder keines Blickes. Bald darauf legte er den Pinsel weg und musterte seine Arbeit kritisch. Er fand keine Mängel. Eine halbe Stunde später saßen die drei Männer am Tisch und ließen sich ihr Grillfleisch schmecken. Gus kreiste immer wieder um die kleine Gruppe, auf der Suche nach einem unbeobachteten Stück, dass er stehlen konnte, doch an diesem Abend hatte er keine Chance, so holte er sich ein Stück Brot von Sams Teller. „Du alter Dieb“, schimpfte der lachend. Letztendlich konnte aber auch er dem Vogel nicht lange böse sein. „Du solltest eben nicht so trödeln“, grinste Dean breit und schob sich das letzte Stück in den Mund. „Sowas musste ja von dir kommen, aber ich schlinge mein Essen trotzdem nicht so runter. Ich genieße lieber. Außerdem ist schlingen ungesund!“ „Und ich genieße das Gefühl eines vollen Bauches.“ Im Gegensatz zu Sam wusste er sehr genau was Hunger war und wie es sich anfühlte mit knurrendem Magen einschlafen zu müssen, wenn John mal wieder viel später kam als vorausgesagt und das Geld, das er dagelassen hatte, schon lange aufgebraucht war. Seine oberste Prämisse war es immer gewesen, seinen kleinen Bruder mit allem zu versorgen. Da blieben seine Bedürfnisse schon mal auf der Strecke. Es war nicht oft passiert, aber selbst die wenigen Male hatte genügt, um ihn das nagende Gefühl im Bauch nie wieder vergessen zu lassen. Sam wusste nichts davon, genauso wenig wie Bobby und er würde es ihnen auch nie erzählen. Aber das war einer der losen Steine gewesen, die das Podest des großen John Winchesters letztendlich zum Einsturz gebracht hatte. Jetzt war da nur noch ein großer Schutthaufen. Müll und Staub, der ihm auf der Seele lastete, den er aber noch nicht so ganz beiseite schieben konnte. Noch war John sein Vater, auch wenn er diese Bezeichnung nicht mehr verwenden wollte, da der sie in seinen Augen einfach nicht verdient hatte. Bobby schaute lächelnd zwischen seinen Jungs hin und her. Er mochte es, wenn sie sich so kabbelten. Ganz automatisch wanderte sein Blick dann zu der vollkommen veränderten Fassade seines Hauses. Sie hatten an dem vorderen Teil des Wohnzimmers ein Stück angebaut. Aus diesem Stück und einem Teil des alten Wohnzimmers war das Büro entstanden, das jetzt der Recherche gegen das Übernatürliche, aber vor Allem als richtiges Büro dienen sollte, denn er hielt weiterhin an seinem Plan fest, öfter mal einen Wagen wieder aufzubauen. Da das Wohnzimmer aber seine alte Länge behalten sollte, hatten sie am anderen Ende ebenfalls angebaut. Das untere Bad war erneuert, schon fast zu einer Wellnessoase gemacht und die Küche in dem Zuge auch gleich noch um zwei Meter verbreitert worden. Da nun das Obergeschoss so gar nicht mehr zum Untergeschoss passen wollte, hatten sie die Schlafzimmer auch gleich noch vergrößert. Dieser Sommer hatte wirklich ein tiefes Loch in seine Kasse gerissen, aber die Materialkosten waren fast komplett von dem gedeckt worden, was er für die beiden umgebauten Wagen bekommen hatte. Ausgeführt hatten sie die Arbeiten fast komplett alleine. Deans Jahre in diesem Sanierungsunternehmen hatten sie mehr als ausgezahlt. Der Junge war ein Segen! Genau wie Sam auf seine Weise. Jetzt hatte er überall neue Möbel und sein ganzes Haus roch nach Holz, Tapete und Farbe. Er fühlte sich hier mehr als wohl, fehlten ihm eigentlich nur noch seine Jungs, die für immer blieben, zu seinem Glück. Doch das würde wohl nie passieren, denn selbst wenn die beiden nicht mehr jagen gehen würden, würden sie sich wohl schwerlich beide hier einen Job suchen. Nein, so wie es war, war es gut! Sein Blick glitt über Dean. Was hatte John dem Jungen eigentlich alles verwehrt, als er ihn zur Jagd gezwungen hatte? Dean war ein hervorragender Mechaniker und Handwerker, und aus seinem Zeugnis ging hervor, dass er auch ein guter Techniker hätte werden können. Und Sam? Der hatte Jura studieren wollen und so, wie er sich in die Recherchen stürzte, hätte auch er es weit bringen können. Die Brüder hätten geachtete Bürger dieses Landes werden können, wenn John nicht so verbohrt gewesen wäre. Und wieder einmal überlegte er, ob er nicht hätte energischer widersprechen sollen, wenn er wieder einmal miterleben musste, wie John Winchester seine Söhne drillte. Doch dann hätte er die Jungs vielleicht nie wieder zu Gesicht bekommen. So war es ihm wenigstens hin und wieder einmal vergönnt gewesen, seinen Jungs so etwas wie Ferien zu bereiten. Zufrieden lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und genoss den Abend. Ein paar Tage später scheuchte ein Gewitterguss sie ins Haus. Dean war als Erster oben und hatte das Bad mit Beschlag belegt, um zu duschen. Sam stand grummelnd und frierend vor der Tür. Er hatte gar nicht gemerkt, dass es so kalt geworden war. Gut, die letzten Tage waren schon nicht mehr so warm gewesen, doch jetzt fror er ja richtig. Es wurde wohl doch Herbst. Immerhin war schon September! „Mach hin!“, blaffte er gegen die Tür und ging in sein Zimmer, um sich wenigstens schon ein paar trockene Sachen aus dem Schrank zu holen. Er hatte gerade alles auf das Bett gelegt, als Dean auch schon gegen seine Tür klopfte. „Kannst“, rief der und verschwand, um sich was Trockenes anzuziehen. Schnell holte Sam sich noch einen Pullover aus dem Schrank und lief dann ins Bad. Das heiße Wasser prasselte auf seine kalte Haut. Langsam entspannte er sich. Seine Gedanken begannen zu wandern. Der Sommer war gut gewesen. Dean und er hatten sich wieder richtig zusammengerauft. Sie hatten zwar nicht noch einmal über die Zeit, als sein Bruder die Seele mit einem Fünfjährigen getauscht hatte, geredet, aber das war auch nicht mehr wichtig gewesen. Kaum hatten sie mit dem Umbau begonnen, war sein Großer wie ausgewechselt gewesen. Er hatte keine Albträume mehr, nur noch über die Arbeiten gegrübelt und an die Zeit davor keinen Gedanken mehr verschwendet, was er eigentlich schade fand, aber Dean war ein Meister in Verdrängung und vielleicht war es ja so für ihn am Besten, zumal er sich wirklich nicht daran zu erinnern schien. Wenn er ehrlich zu sich war, war er auch froh darüber. Seine Leistungen als großer Bruder waren alles andere als rühmlich gewesen und das, was diese Familie mit Deans Seele gemacht hatte auch nicht. Nein, wenn diese Zeit aus Deans Gedächtnis gelöscht worden war, dann sollte es gut sein. Er würde diese Narben nicht wieder aufreißen und hoffte, dass es auch kein Anderer tun würde. Was Sam nicht wusste war, dass Dean doch darüber nachdachte. Die Feuerwehrautos, die jetzt auf dem Regal über seinem Schreibtisch standen und auch der Esel, der auf der kleinen Couch saß, erinnerten ihn immer wieder an die Zeit, in der er nicht Herr seines Körpers gewesen war, an die Zeit, die er in seinen Erinnerungen nicht wirklich greifen konnte. Da waren weiterhin nur Farben und Gefühle wie Angst und Schmerzen und ein paar Fetzen, die hin und wieder aus der Dunkelheit auftauchten. Er wusste, dass er mal unendlich gefroren hatte, weil er klatschnass gewesen war, aber das Warum konnte er sich nicht erklären. Er wusste aus den Erzählungen, dass er Gus angeschleppt hatte und er wusste ebenfalls aus Erzählungen von dem Glas, in das Bobby Regenwürmer gepackt hatte, weil er die hatte behalten wollen. Er hatte danach gefragt, als sie das Glas mit dem gut durchmischten Boden beim Ausräumen gefunden und auf der Wiese ausgekippt hatten. Und er konnte sich an eine Plasmakugel erinnern. Der Junge, Kyle, hatte erheblich mehr Probleme mit dieser Zeit. Seine Seele war ja komplett in ihm gewesen und so hatte der Kleine alles voll miterlebt, das Ende des kopflosen Reiters, eine Entführung durch Dämonen. Alleine schon, dass diese kleine Seele plötzlich in einem erwachsenen Körper war musste sie vollkommen verstört haben. Immerhin schien es ihm inzwischen wenigstens halbwegs wieder gut zu gehen. Er lebte seit kurzem mit seiner Familie in der Nähe der Psychologin, damit die sich weiterhin um ihn kümmern konnte. Sie hatten es wohl auf Schadstoffe in der Umwelt geschoben, auf die der Junge so reagiert hatte und dieser Gefahr wollten ihn die Eltern nicht mehr ausgesetzt wissen. Sie waren schleunigst umgezogen. Trotzdem fühlte sich Dean schuldig. Er hatte das Leben des Jungen gefährdet. Wegen ihm hatte der Kleine leiden müssen! Dieses Wissen bestärkte ihn wieder einmal darin, mit seinem Leben so weiter zu machen wie bisher. Jeder den er näher in sein Leben lassen würde, wäre ein potentielles Opfer und das wollte und konnte er niemandem antun. Es reichte ja schon, dass Sam und Bobby sein Leben teilten, aber die wussten sich wenigstens zu verteidigen! Wütend schlug Dean die Schranktür zu. Es brachte nichts, wenn er hier stand, halbnackt und frierend und über Dinge nachdachte, für die er keine Erklärung fand und zu denen er keinen Bezug hatte. Er musste einfach hinnehmen, dass sein Körper von einem Kind besetzt gewesen war und dass das eben anders reagiert hatte, als er je in seinem Leben. Und er fragte sich, wann Sam ihn mit Fragen bombardieren würde. Seinem Bruder konnte eigentlich nicht entgangen sein, wie oft er in Gedanken versunken vor sich hin grübelte. Nichts desto Trotz hatten sich während des Umbaus immer wieder Gedanken über ein Leben ohne die Jagd eingeschlichen und er hatte immer wieder darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, sesshaft zu werden. Sam und er hätten sich hier eine Wohnung suchen und Sammy weiter studieren können, doch dann hatten entweder Pamela oder Carol angerufen und von den langsamen Fortschritten Kyles erzählt und er fühlte sich noch schuldiger und hatte die Idee schnell wieder fallen gelassen. Aber so schnell ließ sie sich wohl nicht verdrängen. Der Sommer war, zumindest was das Übernatürliche anging, richtig ruhig gewesen und er war wirklich dankbar dafür, hatten sie so den Umbau ohne Probleme hinter sich bringen konnten. Aber er wusste auch, dass das nicht so bleiben würde. Irgendwann würde das Übernatürliche wieder zuschlagen und dann mussten sie gewappnet sein. Und doch! Der Sommer hatte ihm gefallen und tief in ihm die Sehnsucht nach einem normalen Leben geweckt. Warum sollten sie es nicht doch versuchen? Er würde dem Bösen noch bis zum Wochenende Zeit geben und wenn es bis dahin ruhig geblieben war, mit Sam und Bobby reden. Mal sehen, was die dazu sagten. Noch einmal atmete der Winchester durch und ging dann nach unten. Er holte ein paar Bier und Chips aus der Küche und machte es sich auf der Couch gemütlich. Gelangweilt schaltete er durch die Kanäle. Noch kam nichts Vernünftiges. „Hast du mal wieder nur an dich gedacht?“, murrte Sam und deutete auf die Chips. „Och Sammy! Darfst heute auch den Film aussuchen“, versuchte Dean seinen kleinen Bruder grinsend wieder gnädig zu stimmen. „Da kommt eine Reportage über …“ „Wir hatten von Film geredet. Reportagen fallen eindeutig nicht darunter!“ „Dann schalt um. Auf HBO kommen „The Untouchables““, sagte Sam und warf seinem Bruder die Fernbedienung zu. Er sah das Blitzen in Deans Augen. Sein Bruder liebte diesen Film. Manchmal war es so einfach ihn glücklich zu machen. Kapitel 2: Dean und die Frauen ------------------------------ 2) Dean und die Frauen Frisch rasiert kam Dean die Treppe herunter gepoltert und schaute kurz in die Küche. „Bin dann mal weg“, ließ er verlauten. „Okay“, brummelte Bobby, stellte die Kaffeemaschine an und drehte sich zu seinem Jungen um. Seine Augen glitten über Dean. ‚Nicht schlecht‘, stellte er in Gedanken stolz fest. Immerhin hatte er auch seinen Teil dazu beigetragen, den Jungen bis hierher zu bekommen. “Ziehst du alleine los?“ Wenn die Frauen nicht auf den Bengel fliegen, dann wüsste er es auch nicht. “Ja. Sam hat sich hinter irgendwelchen Büchern vergraben. Er will keine Hilfe und ich würde ihm eh alles nur durcheinander bringen, seine Worte! Da wollte ich mich nicht aufdrängen.“ Dass es ihm doch irgendwie schmerzte, dass Sam ihn aus seinen Recherchen ausschloss, würde er nie zugeben, aber es war so. Früher hatte sein kleiner Bruder ihm erzählt, was er suchte. Warum jetzt nicht. „Dann bis morgen!“ , verabschiedete Bobby den Winchester. Irgendwie fühlte es sich mehr als komisch an, wenn sich sein erwachsener Junge bei ihm abmeldete, weil er mal wieder durch die Kneipen ziehen, wahrscheinlich eine Eroberung machen und bei der übernachten würde. War das normal? Bei Teenagern ja, aber hier bei ihnen? Die Jungs waren schon seit Jahren erwachsen und Dean eigentlich schon solange er ihn kannte. Er hörte die Schritte, die sich entfernten und lächelte. Diese wenigen Worte Deans hinterließen ein warmes Gefühl in seinem Inneren. Er wollte ihn informieren und das machte ihn stolz. Bobby hörte noch, wie die Tür ins Schloss fiel und gleich darauf der Motor des Impalas mit einem satten Röhren zum Leben erwachte. Sein Lächeln wurde breiter. Er hatte nie Kinder gewollt, aus Angst, dass sie eine solche Kindheit haben könnten wie er, weil er selbst, trotz aller guten Vorsätze, vielleicht doch so geworden wäre, wie sein Vater, ein Schläger und Säufer. Hier und jetzt hatte er jedoch genau das. Kinder. Eine richtige Familie. Okay, fast eine richtige Familie. Es fühlte sich gut an. Er haderte zwar noch immer damit, dass er Karen damals nicht schützen konnte und sie, um sich selbst zu schützen, erschießen musste und er wünschte sich noch immer, dass das alles nicht passiert wäre, aber ohne dieses furchtbare Ereignis hätte er seine Jungs nie kennen gelernt. Vielleicht war es ja wirklich so, dass aus etwas Schlechtem auch etwas Gutes entstehen konnte? Hier und jetzt wollte er es gerne glauben. Bobby nahm sich seinen Kaffee und trank einen Schluck. Er stellte eine weitere Tasse unter die Maschine und drückte die Taste für Milchkaffee. Er wollte mal schaun, was Sam da so Wichtiges trieb, dass er nicht mit raus wollte. Obwohl es gar nicht mal so selten war, dass Dean alleine loszog, und dann auch über Nacht weggeblieben war. Sam hatte sich an diesen Abenden meistens mit einem Buch zu ihm ins Wohnzimmer gesetzt. Lesen interessierte ihn wohl mehr als Alkohol und Frauen. In dieser Beziehung konnten die Brüder nicht unterschiedlicher sein. “Hey“ , sagte Bobby und stellte die Tasse neben der Tastatur ab. Sam schaute auf den dampfenden Kaffee und blickte dann zu Bobby. “Danke! Wie komme ich zu der Ehre?“ “Dean meinte, du würdest über Büchern brüten und da dachte ich mir, dir könnte ein Kaffee gut tun.“ “Ja. Den kann ich wirklich gut brauchen.“ Sam nahm die Tasse, sog das Aroma mit geschlossen Augen in sich auf und trank einen Schluck, bevor er sich wieder seinen Recherchen zuwandte. „Was suchst du? Kann ich dir helfen?“, fragte Bobby interessiert. „Nein, ich denke ich hab es. Ein Jäger hat es mit einer Vetala zu tun und wusste nicht weiter. Ellen hat ihn hierher verwiesen. Er hatte heute Morgen angerufen. Du warst mit Dean draußen. Ich will ihn gleich noch anrufen, ich denke ich hab alles zusammen.“ „Er soll vorsichtig sein. Die jagen zu zweit“, sagte der Ältere ruhig. “Die Zweite hält sich meistens im Hintergrund und ist so nicht zu erkennen.“ Sam sackte regelrecht auf seinem Stuhl zusammen und starrte den Freund aus großen Augen an: „Woher weißt du das?“ „Dean hatte mal mit welchen zu tun.“ „Wieso weiß ich dann nichts davon?“, fragte er angefressen. Enttäuschung machte sich in ihm breit. „Du warst auf dem College, damals.“ Der Jüngere nickte geknickt. Er war wohl selbst schuld an seinem Unwissen. Er hätte ihn einfach mal fragen sollen! Aber nein. Er hatte sich nie offen dafür interessiert, was Dean in der Zeit gemacht hatte und sein Bruder würde von sich aus nicht darüber sprechen, denn er würde nie mit Erfolgen prahlen und über Misserfolge würde er noch weniger reden. Außerdem war die Zeit für ihn nicht so toll gewesen, wenn man mal von Dave, und seinem Unternehmen zur Sanierung alter Häuser, in dem er wohl nicht nur seinen Frust losgeworden war, absah, soviel wusste er immerhin. Sie sollten wirklich mehr miteinander sprechen! Auch über solche Sachen, dann hätte er sich die ganze Sucherei ersparen können. „Ich rufe ihn nur noch schnell an, dann kümmere ich mich wieder um deine Bibliothek.“ „Willst du nicht langsam mal Schluss machen? So bekomme ich ja ein schlechtes Gewissen!“, sagte Bobby leicht verlegen. „Lass mal. Ich mache es gerne und solange du mich mit Kochen verschonst, ist alles gut.“ „Damit kann ich leben“, grinste Bobby verschmitzt. „Ist Dean los?“, wechselte Sam das Thema. „Ja. Warum bist du nicht mit?“ „Ich wollte ihm nicht im Weg stehen.“ „Du wolltest was nicht? Ihm im Wege stehen?“ Bobby klang mehr als nur leicht irritiert. „Ja, nein. Ich & Wenn Dean rausgeht & Meistens dauert es nicht lange, bis er eine vollbusige Blondine am Arm hat. Ich gönne ihm das wirklich. In dieser Richtung war er im letzten Jahr viel zu ruhig. Wenn ich mit bin, dann hält er sich zurück. Oder er versucht mich zu verkuppeln. Aber ich bin nicht wie er. Ich brauche Vertrauen und will sie richtig kennen lernen. Nicht nur ... naja. Und ich will auch nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Ich ...“ Sam brach ab. Er konnte nicht fassen, dass er mit Bobby ein solches Gespräch führte. Der sagte nichts dazu, sondern nickte nur verstehend. Der Junge sah auch nicht so aus, als wollte er eine Antwort darauf. „Mach nicht mehr zu lange“, sagte er also nur und ging ins Wohnzimmer. Dean schaute sich in der Bar um. Sie war richtig gemütlich eingerichtet. Er hatte sie erst vor wenigen Tagen entdeckt, als sie wegen einer Baustelle einen anderen Weg vom Baumarkt zu Bobbys Schrottplatz nehmen mussten, aber er nahm sich vor, auf jeden Fall öfter mal herzukommen. Er hatte noch einen Platz an der Theke gefunden und sein erstes Bier vor sich. So konnte er es eine Weile aushalten und vielleicht würde er ja nicht lange allein bleiben. Er trank einen Schluck. Eine rassige Brünette war vor weniger als einer Minute an die Theke, schräg gegenüber seines Platzes, getreten und bestellte sich gerade einen Cocktail. Sie ließ ihrem Blick über die Gäste schweifen. Schon fast magisch wurde der von dem blonden Fremden angezogen. Sie nahm sich ihr Glas und ging zu ihm. Mit einem Lächeln stellte sie sich als Emilia vor. Es war nach Mitternacht. Mit äußerlich vollkommen ruhig lenkte Dean sein Baby über die nächtlich stillen Straßen. Aus den Boxen dröhnte Metallica. Seine Finger trommelten auf dem Lenkrad mit. Den Abend hatte sich er eigentlich anders vorgestellt gehabt. Er war kurz davor gewesen, mit Emilia zu ihr zu fahren, doch als er von der Toilette kam, fand er sie in einer nicht wirklich freundlichen Diskussion mit ihrem Freund, wie er wenige Minuten später ungewollt aus ihren Disput erfuhr, weil sie ihre Meinungsverschiedenheit nicht sonderlich leise ausgetragen hatten und sein Hocker noch immer neben ihrem stand. Dean hatte sich noch ein Bier bestellt und seinen Blick über die anwesenden Frauen gleiten lassen, die Lust auf eine heiße Nacht war ihm allerdings vergangen. Die Kleine hatte ihn angemacht und auf Teufel komm raus mit ihm geflirtet und dann hatte er feststellen müssen, dass er nur als Notnagel hatte herhalten sollen! Er war sich so benutzt vorgekommen. Und in ihm brodelte es noch immer. Schnell hatte er sein Bier ausgetrunken, gezahlt und war aus der Bar verschwunden. Vielleicht war es doch keine gute Idee, öfter hierher zu kommen. Der Mond stand fast noch in seiner ganzen Fülle am Himmel. Die Straße wand sich durch ein ruhiges Wohngebiet. Die Gegend schien etwas bessergestellte Bewohner zu beherbergen. Die Häuser standen weiter auseinander und waren von üppigen Gärten umgeben, soweit er das im Licht der wenigen Straßenlaternen und seiner Scheinwerfer sehen konnte. Plötzlich begann der Motor zu stottern und erstarb nach wenigen Metern ganz. „Nicht schon wieder!“, stöhnte er und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Viel zu deutlich stand ihm noch der kopflose Reiter vor Augen, der ihn vor dem Impala köpfen wollte und dessen Ende er nicht wirklich mitbekommen hatte. Schade eigentlich. Aus den Lautsprechern drang nur noch statisches Rauschen. Er schaltete das Radio aus und schaute sich suchend um. Nichts. Die Straße lag so ruhig da, wie er es von einem Wohngebiet erwartete. Wider besseren Wissens drehte er den Zündschlüssel. Noch nicht mal der Anlasser gab ein Geräusch von sich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Erst die Kleine, die ihn verarscht hatte und jetzt auch noch ein Geist! War wohl wirklich nicht sein Tag! Erneut schaute er sich um. Er konnte noch immer keinen Geist sehen. Aber das hieß nichts. Hier in der Gegend musste einer sein. Und zwar ein verdammt mächtiger, wenn der auf so eine Entfernung sein Baby lahmlegen konnte. Dean stieg aus, umrundete den Impala und holte sich die Schrotflinte und sein EMF, das er sofort einschaltete. Das kleine Gerät erwachte geräuschvoll und heftig blinkend zum Leben. Langsam drehte sich Dean einmal um seine Achse und ging dann zum Haus. In dieser Richtung war der deutlichste Ausschlag. Es lag vollkommen im Dunkeln, was aber angesichts der späten Stunde wohl kein Wunder war, selbst ohne den Geist. Vorsichtig schlich er am Zaun entlang und suchte einen Weg hinein. Im hinteren Bereich war der Zaun lose und er schlüpfte hindurch. Routiniert und jede Deckung ausnutzend schlich er durch den Garten doch außer ein paar Bäumen und Sträuchern gab es hier nichts, was seine Aufmerksamkeit weckte. Am hinteren Ende des Gartens sah er die Umrisse einer Hütte. Nein! Die würde er sich vornehmen, wenn er den Garten komplett kontrolliert hatte. Ein erstickter Schrei, der aus der Hütte zu kommen schien, ließ ihn innehalten. Kurz hielt er das EMF in diese Richtung. Das Gerät überschlug sich regelrecht. Er schaltete es aus und steckte es in die Tasche. Wieder hörte er einen erstickten Schrei, der trotz dem er kaum zu hören war, eindeutig gequält klang. Rasch untersuchte Dean die Umgebung der Hütte und warf einen Blick durch ein zugestaubtes Fenster. Vor dem Hintergrund eines weiteren Fensters und nur durch das Mondlicht erhellt, sah er einen Menschen in der Mitte des Schuppens stehen. Sie trug ein Nachthemd mit einigen Rüschen und ihre Haare waren dunkel und etwas länger als schulterlang. Eine Frau, also. Sie stand mit dem Rücken zu dem Fenster, durch das er schaute. Ihre Hände waren über ihrem Kopf mit einem Seil zusammengebunden und wahrscheinlich an einem Haken an einem Deckenbalken eingehängt. Dunkle Spuren ließen den Schluss zu, dass sie blutete. Vor ihr lief ein ziemlich blasser Typ aufgebracht hin und her. Er fuchtelte einem fleckiges Messer in der Hand herum und schien einen Monolog zu halten. Dean hatte den Geist gefunden. Schnell schlich der Winchester zur Tür und hoffte, dass sie geölt war und kein Geräusch von sich geben würde, wenn er sie öffnete. Trotzdem hielt er die Schrotflinte schussbereit. Er griff den Knauf und drehte ihn in Zeitlupe. Kapitel 3: Ein wirklich wütender Geist -------------------------------------- 3) Ein wirklich wütender Geist Dieses Mal hatte er Glück. Lautlos schwang die Tür auf. „Hey, Blödmann!“, rief er. Der Typ drehte sich zu ihm um und starrte irritiert auf die Schrotflinte. Seine Züge verzerrten sich vor Wut und er hob den Arm. Dean drückte ab, und der Geist zerstob in alle Richtungen. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, ging er zu der Frau. Er schob seine Waffe in den Bund, legte einen Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich. „Alles wird gut. Ich bin hier um Ihnen zu helfen. Keine Angst“, erklärte er ihr ruhig. Er streckte sich und versuchte einer Hand ihre Fesseln vom Haken zu lösen. Sie schien ihn entweder nicht gehört oder nicht verstanden zu haben, oder sie glaubte ihm schlichtweg nicht, was er ihr auch nicht verübeln konnte, und begann sofort sich in seinem Arm wie ein Aal zu winden und um sich zu treten. „Lassen Sie mich los!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Hey Lady, ich will Ihnen helfen!“, versuchte er noch einmal sie zu beruhigen. Seinen Worten schienen nicht bis zu ihr durchzudringen. Sie versuchte weiterhin frei zu kommen. Letztendlich war es wohl nur seine größere Kraft, die sie etwas ruhiger werden ließ. Dean brauchte einen Moment, bis er sie befreit hatte und wieder loslassen konnte. Sofort versuchte sie so viel wie möglich Abstand zu ihm zu bekommen. Ihre Beine trugen sie jedoch nicht richtig und sie strauchelte. „Wow“, ließ er verlauten und fing sie auf. Hektisch schaute er sich nach einer Sitzmöglichkeit für sie um. Auf die Werkbank wollte er sich nicht unbedingt heben. Die sah nicht sonderlich sauber aus und sie blutete noch immer. Das musste er sich auch unbedingt ansehen. Leider fand er nichts Besseres. Am Liebsten würde er sie sofort zum Impala bringen und erst einmal von hier verschwinden. Wenn sie in Sicherheit war, konnte er sich in Ruhe um den Geist kümmern. Doch er wollte sich wenigstens vergewissern, wie es ihr ging. Ihre Augen huschten unruhig durch den Raum. Sie zitterte! Fror sie nur oder hatte sie schon soviel Blut verloren? Stand sie unter Schock? Außerdem musste er noch sicher stellen, dass es kein weiteres Opfer gab, das der Typ terrorisieren könnte. Viel Zeit blieb ihm allerdings nicht dafür. Er hatte viel zu wenig Munition dabei und keine Möglichkeit herauszubekommen wer der Kerl war und woher er kam. Vorsichtig drängte er sie zu der Werkbank und hob sie darauf. Kurz schaute er ihr ins Gesicht und versuchte ihre Mimik zu entschlüsseln, doch ihre Miene war starr und undurchdringlich. Sie hatte sich nicht mehr gewehrt, sich aber auch nicht verängstigt an ihn gedrängt. „Ich bin Dean“, stellte er sich ruhig vor, während er die Handschellen knackte. „Wie heißen Sie?“ „Jody“, antwortete sie nach einem kurzen Zögern. „Jody Mills“ „Wie fühlen Sie sich, Jody?“ „Was war das? Ich meine, der Mann … Ich weiß, … ich meine, ich glaube dass er tot ist! Ich habe seine Leiche gesehen. Ich …“ Sie presste ihre Arme vor ihren Bauch. „Wieso war er hier und was haben Sie mit ihm gemacht? Sie haben geschossen und ich denke Sie haben ihn auch getroffen. Aber hier liegt keine Leiche!“, wurde sie immer hysterischer. Dean hatte sie inzwischen so gut es ihm möglich war untersucht und festgestellt, dass die Wunden zwar nicht an sich gefährlich waren, aber stark bluteten und sehr schmerzhaft sein mussten. Der Typ wollte sie verletzten und leiden lassen! „Sie wissen wer er war?“, fragte er ruhig. „Glenn Bellows. Er war … Warum fragen Sie?“ Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke und musterte ihn zu ersten Mal aufmerksam. Die Wunden an Armen und Beinen schien sie im Moment gar nicht wahrzunehmen. Der Winchester legte seine Hand auf ihre und stoppte so die rastlosen Bewegungen. Sie blickte ihn fragend an. Doch statt zu antworten, begann der Winchester sich Jacke, Hemd und T-Shirt auszuziehen. „Was wird das?“, fragte sie irritiert und starrte fasziniert auf das Spiel der Muskeln unter seiner Haut. Ihr Mann kam langsam in die Jahre und hatte, als Schreibtischtäter, wie er sich selbst gern bezeichnete, zu wenig Zeit für Sport und zuviel Spaß am Essen. Langsam ging er aus der Form. „Sie sind verletzt!“, antwortete er und drückte ihr das Shirt vor den Bauch. „Fest draufdrücken!“ „Mein Mann! Er hat … Er wollte …“, begann sie und rutschteg von der Bank. „Ich muss zu ihm!“ „Wow! Nicht so stürmisch! Wir gehen gemeinsam ins Haus. Sie bleiben immer in meiner Nähe und tun, was ich Ihnen sage, okay?“ „Ich muss zu meinem Mann!“, erklärte sie bestimmt und versuchte sich an Dean vorbeizuschieben. „Ma’am? Der Typ ist noch da draußen! Sie werden tun was ich sage!“ „Aber er sollte nicht hier sein!“ Dean seufzte. Genau das war ja das Problem! Jodys Augen richteten sich auf den Winchester. „Wo ist er? Wieso konnte er hier sein?“, fragte sie und ihre Stimme klang schon wieder sehr sicher. „Weg, für den Augenblick, und wir sollten ebenfalls so schnell wie möglich hier verschwinden. Aber vorher will ich mir Ihre Verletzungen anschauen und auch nach Ihren Mann sehen.“ Sie nickte. Für den Moment erkannte sie seine größere Autorität an. Er schien zu wissen was er tat und was hier passierte und er hatte etwas an sich, dass ihn vertrauenswürdig machte. „Kommen Sie“, sagte Dean. Sich immer wieder sichernd umsehend brachte er sie so schnell wie möglich ins Haus. „Wo ist das Bad?“, wollte er wissen, kaum dass er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. „Da vorn“, antwortete sie, doch als er sie durch die Tür drängen wollte, blieb sie stehen und wandte sich der gegenüberliegenden Tür zu. „Nein! Zuerst versorgen wir Ihre Wunden!“, erklärte er hart. Jody wand sich aus seinem Griff und wollte trotzdem in den Raum. „Ich sagte NEIN! Zuerst sind ihre Wunden dran.“ Sie versuchte noch einmal an ihm vorbei zu kommen, doch er vertrat ihr den Weg. Widerstrebend fügte sie sich und ließ sich ins Bad schieben. „Haben Sie Salz?“, wollte Dean zusammenhanglos wissen. „Was hat das …?“ „Haben Sie?“, drängte er. „In der Küche, neben dem Kühlschrank rechts, ganz oben“, erklärte sie und deutete in die Richtung, in der dieser Raum lag. „Sie bleiben hier!“, wies er sie an, lief in die angegebene Richtung und suchte sich das Gewünschte. Jody blickte ihm überlegend hinterher. Wer war der Kerl? Wieso war der so plötzlich hier und hatte auch sofort etwas dabei, was Bellows verschwinden ließ. Wohin war der überhaupt verschwunden und wie? Woher wusste Dean, was er tun musste und wie er ihn kriegen konnte? Und wozu zum Teufel brauchte der Salz? Diese ganzen Fragen zu haben und keine Antworten zu bekommen, machte sie verrückt. Sie musste sich beschäftigen, stand auf und suchte sich Verbandsmaterial für ihre Wunden. Außerdem brauchte sie dringend saubere Kleidung und so ging sie doch ins Schlafzimmer. Im Bett fand sie ihren Mann, mit durchgeschnittener Kehle. Das Bettzeug war blutdurchdränkt. Sie schlug sich die Hände vor den Mund, um nicht laut schreien zu müssen. Ihre Zähne gruben sich in den Handballen. Erstickt wimmernd stand sie zitternd vor dem Bett. Ihre Welt war in tausend Scherben zerbrochen und sie hatte keine Ahnung, ob sie die je wieder kitten könnte. Bis jetzt hatte sie sich an dem Gedanken an ihren Mann aufrecht gehalten, doch bei diesem Anblick brach ihre Fassade zusammen und da half es auch nicht, dass sie diesen Anblick gewöhnt sein müsste, als Sheriff der Stadt. Haltlos rannen die Tränen über ihre Wangen. Leise fluchend suchte Dean in der Küche nach dem Salz und rannte, kaum dass er die Packung in den Händen hielt, zurück zum Bad. Er kam bis in den Flur als sich der Geist vor ihm materialisierte. Die Waffe hochreißen und abdrücken war eins. Wieder zerplatzte der Kerl vor seinen Augen. Doch er würde ihn so nicht allzu lange aufhalten können, sondern eher noch wütender machen. Sie mussten hier weg. Hauptsache er folgte ihnen nicht zu Bobby, obwohl sie ihn da sicherlich besser in Schach halten konnten. Er ging ins Bad. Missbilligend zog er eine Augenbraue hoch, Jody war nicht da. „Verdammt“, knurrte er und begann sie zu suchen. Sie war nur bis in das Zimmer gegangen, in das sie schon die ganze Zeit gewollt hatte. Ein kurzer Blick genügte ihm, um sich zu vergewissern, dass der Mann, der dort in seinem Blut lag, nicht mehr lebte. Unsanft packte er sie am Arm und drehte sie zu sich herum. „Was soll das, Lady?“, fragte er barsch, die Tränen ignorierend. Wenn sie hier lebend rauskommen wollten, musste sie tun, was er sagte. So leid ihm ihr Verlust auch tat, jetzt war nicht die Zeit zum Trauern! „Ich brauche saubere Kleidung. Außerdem wollte ich wissen, wie es meinem Mann geht!“, fuhr sie ihn an und versuchte sich loszureißen. Sein Tonfall ließ ihren Widerstand neu erwachen. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? „Er ist tot! Und wenn Sie nicht tun was ich Ihnen sage, dann werden Sie das auch bald sein!“ „Woher wollen Sie das wissen? Wieso sind Sie gerade jetzt hier auf …?“ Bellows erschien hinter ihr, packte sie brutal an den Haaren und zerrte sie nach hinten. Sie stolperte, verlor ihren Halt und stürzte. Damit machte sie das Schussfeld für den Winchester frei, der das sofort ausnutzte. Er feuerte und wieder zerplatzte der Geist. Doch nicht für lange. Fast sofort tauchte er vor Dean wieder auf und fing sich noch eine Salzladung ein. Sie rappelte sich langsam wieder auf und starrte ihn verwirrt an. Hektisch lud der Winchester nach. Wenn der Kerl noch nicht genug hatte, dann hatten sie wirklich ziemlich schlechte Karten. Doch dieses Mal schienen sie Glück zu haben. „Suchen Sie sich ein paar Sachen. Ein paar mehr! Wir müssen hier weg, wenn wir die Nacht überleben wollen!“ Er schaute sie eindringlich an. Dabei fiel sein Blick auf ihren Bauch. Die Wunde blutete noch immer! ‚Verdammt!’, fluchte er in Gedanken. Darum musste er sich zuerst kümmern. Jody nickte kurz. Diese Attacke hatte sie aus ihrem Tief gerissen, und dass er ‚wir’ gesagt hatte, flößte ihr neuen Mut ein. Schnell riss sie eine Schranktür auf und holte sich einige Teile heraus. „Ich hab alles“, sagte sie, nachdem sie noch an ihrem Nachttisch war. „Okay, ins Bad. Ich will mir die Wunde an Ihrem Bauch ansehen.“ Sie nickte. Sie hatte zwar versucht, sich ihre Schmerzen nicht anmerken zu lassen, aber das änderte nichts daran, dass sie das Gefühl hatte, das Messer stecke noch immer in der Wunde. Außerdem fühlten sich ihre Beine immer mehr wie Pudding an. Dean dirigierte sie auf dem Toilettendeckel, gegenüber der Tür. Hastig, trotzdem aber mit der notwendigen Ruhe, sicherte er Tür und Fenster. „Wenn er auftaucht, einfach draufhalten und abdrücken“, erklärte er ruhig und gab ihr seine Schrotflinte. „Die ist nicht mit Schrot geladen“, stellte sie fest, nur um überhaupt etwas zu sagen und sich von der bevorstehenden Untersuchung abzulenken. Außerdem war sie neugierig, was er da für Patronen verschoss. Die Ladungen hinterließen keine Spuren! „Nein. Können Sie sich an den Wand lehnen?“ „Womit dann?“ Sie tat wie ihr geheißen und biss die Zähne zusammen. Doch seine Finger glitten sanft und trotzdem kraftvoll an den Kanten der Schnittwunde entlang. „Mit Steinsalz“, erklärte er ruhig weiter und säuberte die Wunde. „Wieso Steinsalz?“ „Mein Bruder würde Ihnen jetzt einen Vortrag halten von wegen der Reinheit des Salzes und dass das deshalb wirkt. Mir reicht, dass es wirkt und die Mistkerle für eine Weile ausschaltet.“ „Was für Mistkerle?“ „Die Wunde ist verdammt tief und müsste eigentlich genäht werden. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Sie in einem Krankenhaus sicher wären“, umging er die Antwort. Sie würde schon noch früh genug erfahren, womit sie es hier zu tun hatten. „Und wo wäre ich Ihrer Meinung nach sicher?“ „Ich denke ich nehme Sie mit zu uns. Dann überlegen wir weiter.“ Er klebte den letzten Streifen Heftpflaster fest. „Das sollte erstmal halten. Ich warte draußen während Sie sich umziehen. Es wäre besser, wenn Sie die Tür offen lassen, falls der Kerl doch auftauchen sollte.“ Sie nickte nur und begann sich zu waschen, während Dean seinen Posten vor der Tür bezog. Kapitel 4: Fröschchen --------------------- 4) Fröschchen Gerade als sie die Tür mit einem: „Ich bin soweit“, öffnete, erschien Bellows neben Dean. Was bildete sich dieser Kerl ein? Sie war seine Beute! Sie war schuld an seinem Tod! Sie hatte ihn geschnappt! Jetzt sollte sie leiden, wie er gelitten hatte! Wütend stieß er den Typen von sich. Noch bevor der Winchester reagieren konnte, wurde er von den Füßen gerissen und prallte schmerzhaft gegen die Wand. Zum Glück schien der Geist nicht zur cleversten Sorte zu gehören. Er ließ von dem Jäger ab, kaum dass er ihn aus dem Weg wähnte und wandte sich seinem Opfer zu. Breit grinsend schwebte er auf sie zu. Die Salzlinie vor der Tür stoppte seine Pläne jäh. Wieder und wieder versuchte er gegen sie anzurennen. Inzwischen hatte sich Dean aufgerappelt, seine geprellte Schulter gestreckt, die Schrotflinte gegriffen und zielte auf den Geist. „Runter“, brüllte er und dieses Mal schwang auch in seiner Stimme eine gehörige Portion Wut mit. Kein verdammter Geist ging so mit ihm um! Er feuerte und Bellows zerplatzte. Noch zweimal musste er auf ihn schießen, bis der Typ genug zu haben schien. „Der muss verdammt wütend auf Sie sein“, überlegte er und musterte sie kurz. Sie hatte sich bequeme Kleidung angezogen und noch ein weiteren Bündel in der Hand, dass er ihr abnahm. Stumm dirigierte er sie zur Haustür hinaus. „Mein Wagen steht am der Straße“, sagte er und zeigte nach vorn. Sie nickte nur und rannte los. Doch schon nach wenigen Schritten machte sich ihre Verletzung äußerst schmerzhaft bemerkbar. Sie presste den Arm gegen den Bauch und versuchte so flach wie möglich zu atmen. Dieser Dean war direkt hinter ihr, überlegte sie und fühlte plötzlich seine Hand auf ihrem Rücken und die Kraft, mit der er ihren Lauf unterstützte. Er schien es wirklich ernst damit zu meinen, ihr helfen zu wollen. Nur ein paar Minuten später drängte er sie auf den Beifahrersitz des Impala und schlug die Tür zu. Er nahm sich nicht die Zeit um den Wagen herum zu laufen, sondern rutschte kurzerhand über die Motorhaube. Noch einmal schaute er sich sichernd um, stieg ein und schob den Zündschlüssel in das Schloss. Im Stillen betete er, dass sein Baby anspringen würde. Er drehte den Schlüssel. Mit einem satten Brummen erwachte die schwarze Schönheit zum Leben. Dean atmete erleichtert auf und drückte aufs Gas. Mit wedelndem Heck schoss der Impala auf den Asphalt. Erst als sie genügend Abstand zu Jodys Haus hatten, gestattete er sich ein erleichtertes Aufatmen. Sie musste den Typen ja mehr als nur ein bisschen verärgert haben. Womit nur? Hatte sie ihn getötet? Nein! Sie schien zwar sehr nervenstark und hart im Nehmen zu sein, aber das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Was war es dann? Er verdrängte diese Gedanken. Seine Neugier musste noch warten, bis sie wieder halbwegs zur Ruhe gekommen war. Die wenigsten Menschen hätten das so weggesteckt. Vielleicht stand sie unter Schock? „Jody?“, fragte er leise. Langsam drehte sie ihren Kopf zu ihm. Ihre Augen schimmerten fiebrig, Schweiß stand auf ihrer Stirn und sie war blass. “Wie geht es Ihnen?“ Statt einer Antwort schaute sie auf ihren Bauch. Langsam nahm sie den Arm von der Wunde. Ihr T-Shirt war blutig rot. „Okay! Ich bring Sie zu einem Arzt!“ Er zögerte nur kurz, setzte dann den Blinker und bog an der nächsten Ecke ab. Hier stand ein Leben auf dem Spiel, da war ihm der Schönheitsschlaf des guten Doc’s egal. Wenig später half er Jody aus dem Impala. „Geht‘s, oder soll ich Sie tragen?“ Energisch schüttelte sie den Kopf. Dean grinste und stützte sie auf dem Weg zur Haustür. Er legte seinen Finger auf die Klingel, nicht gewillt, eher wieder loszulassen, bis ihnen geöffnet wurde. Ein noch immer drahtig aussehender Mann mit grauen Schläfen riss wütend die Tür auf. Er trug eine bequeme Freizeithose und eine Strickjacke, die er in seiner Eile falsch zugeknöpft hatte. „Was soll das?“, bellte er und starte auf die Frau vor sich. „Fröschchen, was machst du denn hier?“, fragte er überrascht. Dean blickte ihn mit großen Augen an. „Fröschchen?“, formte er mit den Lippen und grinste breit. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht „Fröschchen“ nennen sollst, Rave?“, flüsterte sie mit schmerzverzerrter Mine. „Ich werde dich solange so nennen, wie du dich darüber so herrlich darüber aufregst.“ „Sie ist verletzt worden“, schaltete sich der Winchester in das Geplänkel ein. Fragend blickte Dr. Ralf Jamesson den Winchester an. Erst jetzt waren ihm ihre ungesunde Hautfarbe und die kleinen Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe aufgefallen. „Ein Geist“, erklärte Dean ruhig. „Okay. Bring sie rein. Links rum!“, sagte er, nun ganz Profi. Dean öffnete die Tür und sah die Liege in der Mitte des Raumes. Ohne weiter zu fragen brachte er sich dahin und half ihr dabei, sich darauf zu setzen. „Leg dich hin“, sagte der Arzt. Er schnitt das stellte er nach einem kurzen Blick auf Deans Erstversorgung fest. Der nickte nur und ließ sich auf einem Stuhl, der in einer Ecke stand, nieder. Hier waren sie in Sicherheit, da konnte er für eine Weile in seiner Aufmerksamkeit nachlassen. Er schloss die Augen und ließ seine Gedanken laufen. Dr. Jamesson hatte er im vergangenen Sommer kennen gelernt, als der plötzlich vor Bobbys Tür gestanden und verkündet hatte, dass er wieder im Land sei und auch wieder praktizierte. Er war ein alter Freund seines Ziehvaters. Ein alter Schulfreund, soviel hatte Dean aus der Unterhaltung mitbekommen. Und Jamesson wusste, was Bobby wirklich tat. „Dean?“ Die Stimme des Arztes ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Hatte er geschlafen? „Ja?“ Er erhob sich augenblicklich und streckte sich etwas umständlich. „Es war gut, dass ihr hergekommen seid“, sagte er und winkte dem Winchester, ihm nach draußen zu folgen. „Sie wird wieder?“, fragte Dean. „Ja. Etwas Ruhe und gute Pflege und sie steht bald wieder auf ihren Beinen. Jody ist hart im Nehmen.“ „Das muss sie auch.“ „Was ist passiert?“ „Ein verdammt wütender Geist hatte sie in der Mangel. Er hat ihren Mann getötet und wollte sie gerade umbringen, als ich dazukam.“ „Oje, auch das noch. Vor einem Jahr wurde ihr Sohn von einem Betrunkenen überfahren. Er war sechs“, erklärte er, als er Deans fragendes Gesicht sah. „Sie hatten ewig dafür gekämpft überhaupt ein Kind bekommen zu können.“ Der Winchester fuhr sich müde mit der Hand über das Gesicht. Menschen konnten sich genug Schlimmes antun, auch ohne dass etwas Übernatürliches seine Hand im Spiel hatte. „Warum Fröschchen?“, fragte er zusammenhangslos. „Sie ist mit meiner kleinen Schwester in die Klasse gegangen. Die beiden sind noch immer beste Freundinnen, soweit das über tausend Meilen möglich ist. Es war in der Grundschule. Meine Schwester war damals lang und dürr und hat bei der Schulaufführung einen Storch gespielt, der hinter einem kleinen, etwas pummeligen, grünen Fröschchen her war. Seitdem nenne ich sie so und sie regt sich immer wieder herrlich darüber auf.“ Er lachte breit und Dean fiel mit ein. „Hier, gib ihr die in den nächsten Tagen, gegen die Schmerzen.“ Er reichte dem Winchester eine Packung Schmerzmittel, die der sofort in seiner Tasche verschwinden ließ. „Rave?“, kam es leise aus dem Zimmer. Die Männer gingen zu Jody. „Du solltest dich noch schonen!“, sagte der Arzt. „Ich …“, sie wusste nicht wirklich, was sie wollte. Die Schmerzen in ihrem Körper waren verschwunden, aber die Schmerzen in ihre Seele wüteten dafür umso schlimmer. „Ich möchte nicht alleine sein“, sagte sie leise. „Müssen Sie nicht“, antwortete Dean ihr und wandte sich dann sofort an den Arzt. „Ich nehme sie mit.“ Jamesson nickte nur. Dean verschwand kurz, um ihr das Bündel Kleidung aus dem Impala zu holen, dass sie von ihrem Zuhause mitgenommen hatte und half ihr vorsichtig, sich wieder anzuziehen. „Danke, Doc!“ „Nicht der Rede wert, und grüß den alten Brummbären!“ „Mach ich!“ Dean brachte sie zurück zum Wagen und half ihr auf den Beifahrersitz. Er ließ sich hinter das Lenkrad seines Babys fallen, schloss die Tür vorsichtig und schob den Schlüssel ins Schloss. Mit dem so typischen Grollen erwachte die nachtschwarze Schönheit zum Leben. Gemächlich rollte er seinem derzeitigen Zuhause entgegen. Bald setzte Dean den Blinker und bog auf Bobbys Schrottplatz ein. „Singers Schrottplatz?“, fragte sie schwach. Was wollten sie denn hier? „Der sicherste Platz, den ich kenne“, erwiderte er. War ja klar, dass sie den Schrottplatz kannte, immerhin wohnte sie hier. Also würde sie auch Bobby kennen. ‚Bobby Singers Haus? Sicher?‘, überlegte sie skeptisch. Das Haus eines stadtbekannten Tunkenboldes erschien ihr nicht gerade sehr sicher und der Schrottplatz bot tauschende Möglichkeiten für jemanden, sich zu verstecken. Hier war wohl nichts sicher! Aber Dean hatte sehr überzeugt geklungen und so wie es ihr im Moment ging, würde sie wohl alleine nicht sehr weit kommen. Sie hätte protestieren und darauf bestehen sollen, dass sie bei Rave blieb, als er aufgebrochen war. Da wäre sie mit Sicherheit sicherer gewesen, doch jetzt war es zu spät für solche Überlegungen. Und sie musste zugeben, dass Dean ihr bis jetzt nichts versprochen hatte, was nicht auch der Wahrheit entsprochen hätte. Er bremste und stieg aus. Irritiert musterte sie das Haus. Es lag zwar im Dunkeln, doch sie war sich sicher, dass es vor ein paar Monaten, als sie zuletzt hier gewesen war, anders ausgesehen hatte. Außerdem wohnt Singer doch alleine, oder? Dieser Dean hatte von einem Bruder gesprochen. Wie gehörten die hierher? Wo war sie hier nur reingeraten? Dean hatte seinen Wagen umrundet. Sie öffnete die Tür und nahm seine Hilfe dankbar an. Der Winchester führte sie in den Flur. „Erst eine Pause, oder können wir die Treppe gleich in Angriff nehmen?“ „Ich glaube nicht, dass ich die überhaupt schaffe“, nuschelte sie leise. „Auch kein Problem.“ Dean lachte und hob sie vorsichtig auf seine Arme. Ohne ein Anzeichen von Anstrengung trug er sie nach oben und legte sie in sein Bett. „Das Bad ist hinter der Tür gleich gegenüber“, sagte er und legte die Decke über sie. Ihr Zittern wollte nicht aufhören. Er nahm den Quilt von der Couch und legte auch den noch über sie, zog sich den Sessel ans Bett und setzte sich. Langsam wurde ihr Zittern weniger und sie schlief ein. Auch ihm fielen immer wieder die Augen zu. Eine ruhige Nacht war ihm allerdings nicht beschieden. Immer wieder wurde sie unruhig. Nicht so sehr, dass sie aufwachte, aber genug, um den Jäger zu wecken. Die Sonne kletterte langsam über den Horizont und versprach einen schönen Tag. Dean hörte wie Bobby aufstand und im Bad verschwand. Er erhob sich und zog seine Schuhe wieder an, die er irgendwann in der Nacht unter sein Bett gekickt hatte, um es sich auf den Sessel etwas bequemer zu machen. Die Decke, die er sich während dieser Aktion auch noch geholt hatte, legte er ans Fußende seines Bettes und steckte sich ausgiebig. Er fühlte Jodys Blick auf sich. „Hey, wie geht’s Ihnen?“, wollte er leise wissen. Sie versuchte sich aufzusetzen. „Bleiben Sie noch liegen. Wie wäre es mit Frühstück am Bett?“ Sam, der gerade in diesem Augenblick ins Bad wollte bekam nur den letzten Teil seines Satzes mit. Brachte Dean jetzt schon seine Eroberungen mit hierher? Darüber würden sie wohl gleich mal reden müssen! Kapitel 5: Deans "Eroberung" ---------------------------- 5) Deans „Eroberung“ Dean hatte seinen Bruder nicht bemerkt. Er ging nach unten. „Morgen“, grüßte er und Bobby starrte ihn ungläubig an. Wieso war der Junge schon so munter? Obwohl schon wohl eher falsch war. So wie er aussah, hatte er noch nicht geschlafen. „Hast du Hunger?“, fragte er und nahm sich vor, ihm während des Frühstücks etwas genauer auf den Zahn zu fühlen. „Denke schon!“, sagte Dean und fügte noch hinzu: „Ich muss gleich mit euch reden.“ „Okay?“ Fragend hob der Hausherr eine Augenbraue, ließ es aber ansonsten erst einmal auf sich beruhen. Dean würde reden, wenn er soweit war. Der ältere Winchester stellte eine Tasse unter die Kaffeemaschine und drückte den Knopf. An die Theke gelehnt wartete er darauf, dass das heiße Gebräu durchgelaufen war. Von oben waren Schritte zu hören und Dean schob eine weitere Tasse unter die Maschine. „Alter, bringst du deine Errungenschaften jetzt schon mit hierher?“, begann Sam, kaum dass er die Küche betrat. „Ich dachte du …“ Jetzt hielt auch Bobby inne und schaute zu Dean. Der atmete tief durch. So hatte er das Ganze nicht beginnen wollen, aber wenn Sam es schon rausposaunte. „Hab ich je eine Frau mitgebracht?“, wollte er wissen, ohne sich umzudrehen. Sam überlegte und schüttelte dann den Kopf. Aber wie sollte er sich die Frau dann erklären? „Nein, aber warum ist sie dann hier?“ Wieder hörten sie oben Schritte. Dean drehte sich um, gab seinem Bruder einen Milchkaffee mit Vanillearoma und holte eine vierte Tasse aus dem Schrank, bevor er die Tür nun endgültig schloss. „Das würde mich jetzt auch interessieren“, schaltete sich nun auch Bobby ein. „Ich dachte, ich bring ein wenig Glanz in diese Mauern“, grinste Dean und reichte ihm die Tasse. „Als ob es hier nicht schon genug glänzt“, grummelte der gutmütig. Sein Haus war ja kaum noch wiederzuerkennen. „Also, warum ist sie hier?“ „Als ich an ihrem Haus vorbeifuhr streikte mein Baby. Kurz und gut: Ein verdammt wütender Geist hat ihren Mann getötet und war gerade dabei, das Gleiche mit ihr zu tun, als ich sie fand. Ein Glenn Bellows. Aber frag mich nicht woher sie ihn kennt. Soweit hab ich sie noch nicht ausgefragt. Ich wollte sie erstmal in Sicherheit bringen. Außerdem ist sie verletzt. Wir waren die Nacht noch bei Jamesson.“ „Du sagst er war ein Geist?“, fragte Bobby nach. „Einer der ganz wütenden Sorte. Ich hab zum Schluss drei Salzladungen gebraucht, damit er für eine Weile verschwand.“ „Wer war ein Geist?“, fragte eine weibliche Stimme. Die Köpfe der Männer drehten sich zu ihr. „Das ist Jody M…“, begann der Blonde seine Vorstellung. „Sheriff Mills?“, platzte ihm Bobby dazwischen. Das konnte ja nur in die Hose gehen! „Sheriff?“ „Du hast den Sheriff mit hierher gebracht?“, fragte Sam geschockt. Was würde jetzt passieren? Ein Vertreter der Staatsmacht in Bobbys Haus! Er wollte sich das Ausmaß dessen gar nicht ausmalen. Der Sheriff wusste jetzt um Bobbys Nebenberuf! Würde sie dichthalten? „Tut mir ja leid, Sammy, aber sie hatte keinen Stern am Nachthemd! Außerdem war es mir in dem Moment sowas von egal. Sie brauchte Hilfe!“ Er hielt ihr eine Tasse Kaffee hin, die sie dankend annahm. Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. Sie inhalierte das Aroma, nahm einen Schluck und dann ließ sie ihren Blick durch die Küche wandern. Auch hier war alles neu. Im ganzen Haus roch es nach Farbe, Holz und Tapetenleim. Was war hier los und wer waren die beiden, die jetzt wohl bei Singer wohnten? Wer waren Sammy und Dean? „Wie geht es Ihnen?“, wollte Dean wissen und setzte sich mit seiner Tasse Kaffee in der Hand an den Tisch. Sam begann sich sein Müsli zuzubereiten. „Nicht besonders, denke ich.“ „Oben liegen Tabletten. Sie sollten sich noch ausruhen.“ „Ich würde gerne nach Hause und mich um meinen Mann kümmern.“ „Nein! Solange der Kerl da noch rumspukt, werden Sie nirgendwohin gehen, schon gar nicht in ihr Haus. So leid es mir auch tut!“, bestimmte Dean energisch. „Bellows. Was wissen Sie über ihn? Was will der von Ihnen?“, hakte er auch gleich noch nach. „Ich bin Jody!“, wechselte sie abrupt das Thema. „Dean und das ist mein kleiner Bruder Sam. Bobby werden … kennst du ja.“ „Kleiner Bruder?“, fragte sie und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Es gab Zeiten, da war er klein und niedlich!“ „Ist aber sicher schon lange her, das „klein““, stellte sie fest und Dean schnaubte amüsiert. „Ich überlege die ganze Zeit, woher ich diesen Namen kenne: Bellows“, schaltete sich Bobby in die Plänkelei ein. „Mein erster großer Fall als Sheriff. Er war ein Vergewaltiger, hat die Frauen misshandelt, bevor er sie letztendlich tötete. Ich hab ihn gestellt, kurz bevor das FBI hier aufgetaucht ist, durfte den Ruhm aber an die abtreten, obwohl sie damit nichts zu tun hatten!“ Der Hass der zwischen den einzelnen Behörden herrschte, war nur zu deutlich in ihrem Tonfall zu spüren, und dieses Mal wohl kein Mythos. „Jetzt erinnere ich mich daran. Der Typ hatte einige, wirklich unappetitliche Angewohnheiten“, ließ er verlauten. „Ja, er wurde verurteilt und saß im Landesgefängnis in Springfield“, fuhr sie fort. „Warum da?“, wollte Sam wissen. „Es konnte nie ausgeschlossen werden, dass er nicht vielleicht doch einen Komplizen hier aus der Gegend hatte.“ Noch konnte sie sich auf Fakten konzentrieren, die sie hatte und auf ihren Kaffee, doch die Fragen wurden immer brennender. Wer waren Dean und dieser Sam? War Singer wirklich nur ein einfacher, verschrobener, versoffener Schrottplatzbesitzer? Zumindest den Alkohol konnte sie im Moment klar ausschließen. Die Männer wirkten mehr als nüchtern. Wie standen die drei zueinander? Und vor allem: Was lief hier? Ihr geschultes Auge nahm eine große Vertrautheit zwischen den Männern wahr und sie schienen sich fast blind zu verstehen. „Okay, damit ist auch klar, warum er sich an dich ran macht. Du hast ihn verhaftet. Das ist schon mal ein Motiv, das ihn hierher gebracht haben könnte“, meinte Sam und sein Bruder nickte. „Aber ich habe ihn tot in einem Sarg liegen sehen!“, platzte ihr jetzt der Kragen. „Wieso redet ihr von ihm, als ob er noch leben würde?“ Dean holte tief Luft. Er wusste, dass Bellows ein Geist war und für Sam und Bobby war das ebenfalls klar, nicht allerdings für den Sheriff. Sie hatte es bisher nur mit Menschen zu tun. Mit bösartigen Menschen, aber mit lebenden. „Bellows ist ein Geist. Ein wirklich bösartiger, wütender Geist. Geister können nur entstehen, wenn ein Mensch stirbt und er weder ins Licht geht oder dahin, wohin sie sonst verschwinden und wenn er den Eindruck hat, noch etwas erledigen zu müssen.“ „Erledigen? Was denn. Micht töten? Und dieses Licht? Das ist doch nur eine Einbildung!“ „Wir haben es gesehen“, erklärte Sam mit einer Ernsthaftigkeit, die sie schlucken ließ. Er erinnerte sich an Molly. Sie war ins Licht gegangen und ein Blick zu Dean zeigte ihm, dass er wohl ebenfalls an sie dachte. „Aber es gibt keine Geister!“ „Leider doch. Es gibt auf dieser Welt vieles, was es nicht geben dürfte. So wie du dich um die Lebenden kümmerst, die das Gesetz brechen, so kümmern wir uns um die Toten, die nicht ins Licht gegangen sich und um die anderen übernatürlichen Kreaturen“, versuchte Sam zu erklären. „Ihr wollt mir jetzt nicht weismachen, dass es Hexen und Vampire gibt.“ Hilfesuchend blickte sie zu dem älteren Bruder. Er hatte ihr geholfen und er schien ihr im Moment am vertrauenswürdigsten zu sein. „Die und noch viele Andere!“, sagte Dean. „Außer Bigfoot. Es sei denn, du zählst ihn hier dazu.“ Er zeigte auf Sam. So ganz konnte er sich diesen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst. Traurig schaute er sie an. Er wünschte, dass sie Recht hätte, dann hätten Sam und er ein anderes Leben leben können, genau wie Bobby und die ganzen anderen Jäger. Keiner von ihnen hätte die Verluste erleiden müssen, die sie in dieses Leben getrieben hatten. „Aber woher wusstest du, dass er da war?“, stellte sie die Frage, die ihr schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. „Geister lösen ein paar physikalische Phänomene aus, die sie verraten. Plötzliche Kälte, statisches Rauschen im Radio oder Fernseher und eben auch, dass Autos einfach stehen bleiben. Und genau das ist gestern Nacht passiert. Deshalb wusste ich, dass irgendwo ein Geist sein musste. Es ist nicht der erste, der mein Baby so ausschaltet“, fügte er noch hinzu. Sie wollte es noch immer nicht glauben. Ja, sie hatte den Geist gesehen und die Kälte gefühlt und ja, Dean hatte ihn vertreiben können. Sie hatte gesehen, wie er nach einem Treffer mit dem Steinsalz flackernd verschwand und er hatte sie verletzt. Trotzdem! Sie war Sheriff! Ein realistisch denkender Mensch. Geister gab es nicht, konnte es einfach nicht geben! Und doch schienen diese drei Männer das als gegeben hinzunehmen. Warum? Waren sie verrückt? Sie benahmen sich eigentlich ganz normal! Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte! Aber sie musste auch zugeben, dass diese drei Männer, dass Dean wohl der einzige Grund war, warum sie noch lebte. Außerdem war sie auch neugierig. Hier tat sich eine Welt auf, die ihr vielleicht auch erklären konnte, warum manche Verbrechen nicht aufzuklären waren, zumindest nicht von ihr. „Und wieso wisst ihr davor?“, fragte sie und schaute zu Dean. Der tauschte einen kurzen Blick mit seinem Bruder, dann sagte er: „Wir sind damit aufgewachsen.“ Trauer flackerte für einen Augenblick über sein Gesicht, doch bevor sie diese Gefühlsregung wirklich erfassen konnte, hatte er sich schon wieder im Griff und seine Innerstes hinter der Maske des in sich ruhenden Jägers versteckt. Vorsichtig presste sie sich ihren Arm vor den Bauch. „Du solltest dich hinlegen“, sagte Bobby, der sie genau beobachtet hatte. „Am Besten nimmst du mein Bett. Da ist es ruhiger“, schlug Sam vor. „Hast du Hunger?“, wollte der Hausherr wissen und half ihr beim Aufstehen. „Nicht wirklich, aber ich weiß, dass ich etwas essen muss, um wieder auf die Beine zu kommen.“ „Besondere Wünsche?“ „Wenn du hast? Tomatensuppe mit Reis? Die hat meine Großmutter schon meiner Mutter gemacht, wenn sie krank war. Die hilft immer“, antwortete sie voller Überzeugung. Dean japste erstickt, stellte seine Tasse hart auf den Tisch und stand so hektisch von seinem Stuhl auf, dass der fast nach hinten kippte. „Ich schau nach unseren Waffen“, warf er in den Raum und schon schlug die Tür hinter ihm zu. „Was war das denn?“, fragte Bobby irritiert. „Haben wir was Falsches gesagt?“ Sam holte tief Luft. „Tomatensuppe mit Reis. Die hat Mom immer gemacht, wenn es ihm nicht gut ging, oder wenn er krank war.“ „Und woher weißt du das? Ich meine, Mary … “ „Das muss kurz nach der Shtriga gewesen sein. Ich war acht oder neun. Ich hatte mich total erkältet und durfte nicht aufstehen. Dean jonglierte ein Tablett an mein Bett, auf dem ein Teller mit Tomatensuppe mit Reis stand und erklärte voller Stolz, dass er die extra für mich gekocht hätte und sie mir bestimmt helfen würde, weil Mom die immer für ihn gemacht hätte, wenn er so krank war und ihm wäre es danach immer besser gegangen. Die Suppe hat mir nicht sonderlich geschmeckt und ich hab ihm das auch gesagt. Er hat nie wieder Suppe für mich gemacht. Zumindest keine Tomatensuppe mit Reis.“ Jetzt klang auch Sam traurig. Wieder etwas wofür er bei seinem Bruder eigentlich Abbitte leisten müsste. „Ich bring ihm seinen Kaffee. Er hat ja noch nicht mal gefrühstückt“, sagte er und nahm die Tasse. Bobby nickte verstehend und half ihrem Gast nach oben. „Wieso hat ihre Mutter die Suppe nicht selbst für Sam gemacht?“, fragte sie als sie die Treppe geschafft hatten. Bobby musterte sie. Aus ihren Augen sprach wirkliches Interesse, so dass er ihr die Antwort nicht verweigern wollte. „Mary“, er deutete auf eines der gerahmten Fotos an der Wand, „ist gestorben, als Sam ein halbes Jahr alt war. Dean war fast fünf. Ich glaube er hat jede Erinnerung an sie ganz tief in sich gespeichert. Er redet nie über sie. Schon als Kind hat er versucht für Sam und ihren Vater stark zu sein und dieses Thema vermieden, obwohl es ihn schier zerrissen haben muss. Ich denke, er hat ihren Tod nie richtig verwunden.“ „Ein Unfall?“ „Ein Dämon.“ Bobby schüttelte den Kopf. Warum erzählte er ihr das? Das ging doch nun wirklich nur die Brüder etwas an. Aber irgendwie hatte er bei ihr den Eindruck, dass er es ihr erzählen könnte, dass sie es nicht ausplaudern würde. Er half ihr, sich hinzulegen. „Ich schau mal, was sich in Bezug auf ein Essen machen lässt“, versprach er noch und verschwand wieder nach unten. Er wollte nicht weiter reden. Auch ihm ging das Thema, selbst nach so vielen Jahren, noch viel zu nahe. Dämonen. Sie hatten Mary getötet und sie hatten Karen in in Monster verwandelt, das er sich gezwungen sah zu töten. Nur das er immerhin schon erwachsen war und wenn auch keine wirklich schöne, aber doch wenigstens eine Kindheit gehabt hatte. Im Gegensatz zu den Brüdern. Kapitel 6: Wir suchen eine Leiche --------------------------------- 6) Wir suchen eine Leiche „Hey“, sagte Sam leise und hielt seinem Bruder eine Tasse hin. Er hatte ihn am anderen Ende des Schrottplatzes, an eines der Wracks lehnend und Kiesel unter ein anderes kickend, gefunden. „Es tut mir leid“, sagte er leise und hielt ihm die Tasse hin. Ein kurzer Blick streifte ihn und er las die stumme Bitte in den grünen Augen dieses Thema nicht anzuschneiden und er nickte kurz. „Danke“, nuschelte der ältere Bruder und drehte die Tasse unschlüssig in den Händen. „Hast du Hunger?“, wollte Sam ruhig wissen. „Nein, ich ...“ Sam nickte nur. „Ich werd mal reingehen und versuchen, ob ich etwas über Jodys Geist finde.“ Er wollte seinen Bruder nicht drängen. Der würde schon kommen, wenn es zu essen gab. Dafür schien er einen siebten Sinn zu haben. „Und ich sollte mich um die Waffen kümmern.“ Dean trank seine Tasse in einem Zug leer und löste sich von dem Wagen. Gemeinsam gingen sie zurück. „Ich könnte dir helfen“, sagte Sam beiläufig und wurde ungläubig von seinem Bruder gemustert. „Was? Nur weil ich es nicht gerne mache, heißt das nicht, dass ich es nicht kann“, forderte er Dean heraus. Er würde ihn jetzt nicht alleine lassen. Nicht nach diesem emotionalen Tiefschlag. Sie waren am Impala angekommen und Dean holte die erste Tasche aus dem Kofferraum. „Beweise es!“, sagte er rau und reichte diede an Sam weiter. Der nickte. Er hatte zwar noch immer keine Lust, Waffen zu reinigen, das hatte sich in den letzten Jahren nicht geändert, aber heute würde er bei seinem Bruder bleiben. Dean hatte sich von diesem Frontalangriff auf sein Innerstes noch nicht wieder erholt und er wollte ihm moralischen Beistand leisten. Vielleicht schaffte er es ja so, dass der sich ihm mehr öffnete. Und vielleicht schaffte er es ja auch, dass Dean irgendwann einmal Gefühle zeigen konnte? Langsam ging er zum Haus zurück. Er betrat die Küche und stellte die Tasche ab. Schnuppernd hob er die Nase. Hier roch es nach Hühnerbrühe. Fragend blickte er zu Bobby. „Hatte keinen Reis im Haus“, sagte der nur und beide wussten auch so, dass er, selbst wenn welcher da wäre, die nicht gemacht hätte. Nicht heute. „Kannst du für Dean einen seiner heißgeliebten Burger machen? Ich möchte ihn lieber nicht mit meinen Kochkünsten in den Hungertod treiben“, bat Sam leise und Bobby grinste. „Wer stirbt eines Hungertodes?“, wollte Dean wissen und schloss die Tür hinter sich. „Du wahrscheinlich, wenn wir dich nicht bald füttern“, brummelte der Hausherr und wie zur Bestätigung knurrte Deans Magen. Sam grinste und blickte zu seinem Bruder, der so unschuldig schaute, dass er einen Lachanfall bekam, in den die beiden anderen auch mit einfallen mussten. „Deinen Magen solltest du als Phänomen anmelden. Der reagiert aufs Wort“, stellte der jüngste Winchester kaum verständlich fest. Dean knuffte ihn in den Arm. „Mistkerl“, brummelte er. „Idiot!“ Verhalten gähnend wischte sich Dean über die Augen und verteilte Waffenöl auf seinem Gesicht. Sam sah auf und wollte ihn eigentlich fragen, ob er die letzte Nacht überhaupt geschlafen hatte, doch dessen Kriegsbemalung ließ ihn die Frage vergessen und loslachen. Irgendwie schien sich sein Bruder heute vorgenommen zu haben, für die Belustigung aller zu sorgen. „Was?“, fragte Dean verständnislos. „Ich verstehe ja, dass du in deinem Alter anfangen musst Pflegeprodukte zu benutzen, um dein Aussehen zu behalten und ich weiß auch, dass Waffenöl eine pflegende Wirkung hat, aber mal ganz ehrlich: Richtige Hautcremes wären doch besser, oder?“, grinste Sam breit. „Wir sollten mal losfahren und den nächsten Kosmetikladen entern. Die Verkäuferinnen sind bestimmt nett!“ Dean schüttelte den Kopf, rieb sich noch einmal über das Gesicht und verwischte die Ölspuren dabei großzügig. Er zuckte mit den Schultern und kümmerte sich weiter um die Waffen. Er war zu müde für eine passende Erwiderung. Erst als alle Waffen wieder ordentlich im Impala verstaut waren, verschwand er im Bad. Gähnend kam er zurück in die Küche und wollte sich einen weiteren starken Kaffee holen, doch Sam schob ihn beiseite. „Was soll das?“, wollte er irritiert wissen. „Wenn wir heute Nacht den Geist vernichten wollen, brauche ich dich wenigstens halbwegs wach.“ „Ich bin wach!“ „Ja, du hältst dich mit Koffein munter und suchst wahrscheinlich schon nach Streichölzern. Im Moment gibt es für dich hier nichts zu tun!“ Fragend blickt Dean ihn an. „Leg dich hin und schlaf ein paar Stunden. Bis zum Abend ist es eh nicht mehr lange. Ich werd inzwischen mal sehen, was ich über unseren Geist alles rausbekomme.“ Träge nickend verzog sich Dean in sein Zimmer. Drei Stunden später kam er in die Küche zurück. Sein erster Gang führte ihn zur Kaffeemaschine. „Was gefunden?“, wollte er wissen und ließ sich Sam gegenüber nieder. „Bellows ist vor vier Monaten gestorben. Ein paar der Gefangenen haben wohl rausgefunden, weswegen er saß. Es schien ihnen nicht gefallen zu haben. Sie haben ihm das angetan, was er mit den Frauen gemacht hatte. Er ist einen Tag später im Gefängniskrankenhaus an den Verletzungen gestorben. Seine Leiche wurde zur Beerdigung freigegeben.“ „Weißt du auch wo?“ „Ich denke auf dem gefängniseigenen Friedhof. Hier sind keine Kontakte angegeben, weder Angehörige noch Freunde.“ „Okay, dann sollten wir losfahren und ihn ins Nirvana schicken“, erklärte Dean. Schnell trank er seine Tasse leer und verließ das Haus. Es galt einen Geist zu vernichten. Sam folgte ihm, nachdem er Bobby Bescheid gegeben hatte. Für einen kurzen Augenblick zerschnitten zwei Scheinwerfer die Dunkelheit und tauchten den Eingang des Friedhofes in helles Licht. Die hellen Kreise glitten weiter und erstarben Sekunden später, genau wie das Motorengeräusch. Kurz knirschte noch der Sand unter den Rädern, dann herrschte Stille, die gleich darauf durch das Knarzen der Scharniere beim Öffnen der Wagentüren unterbrochen wurde. Sichernd schauten sich die beiden Männer um, holten zwei Taschen aus dem Kofferraum und gingen zum Eingangstor. Sie zwängten sich durch die Lücke in der Tür und trennten sich. Schnell setzten die nächtlichen Geräusche wieder ein. Grillen zirpten und irgendwo schrie ein Uhu. Doch schon bald verstummten auch diese und wurden durch die erwachenden Vögel ersetzt. Ein schmaler Streifen Licht zeigte sich am Horizont und riss die dunklen Gestalten, die über den Friedhof gingen, aus ihrer Deckung. Die Schritte der Männer waren schleppend und jeder weitere Grabstein, auf dem nicht der Name des gesuchten Mannes, oder zumindest seine Daten standen, schien sie noch ein wenig müder zu machen. Als die Sonne sank, hatten sie sich von Bobby aus auf den Weg nach Springfield gemacht. Da sie nicht riskieren wollten, dass der Wagen irgendwem auffiel. Sie hatten schon so lange unter dem Radar von Polizei und FBI hindurch tauchen können, dass sie sich berechtigte Hoffnungen machten, dass kein Hahn mehr nach ihnen krähte, selbst wenn der von ihnen gehört haben sollte, bevor Hendricksen sie aus den Datenbanken der Behörde gelöscht hatte. Das wollten sie unter keinen Umständen ändern. Ihr Leben war auch so schon kompliziert genug. Das Ziel dieser nächtlichen Tour, Bellows‘ Leiche zu verbrennen, hatten sie noch nicht erreicht, einfach, weil es keine Leiche gab. Zumindest nicht auf den drei Friedhöfen, die sie in der Nacht abgesucht hatten. Dean warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und machte sich dann auf den Weg zurück zum Impala. Auch hier gab es kein Grab auf dem Bellows‘ Name stand. „Verdammt! Und jetzt?“, fragte er frustriert. „Jetzt statten wir auch noch dem letzten Friedhof hier in der Nähe einen Besuch ab und dann sehen wir weiter.“ Ergeben nickte Dean und startete den Wagen. Er hatte verdrängt, wie frustrierend die Suche sein konnte. Den Sommer über hatten sie sich mit Alltäglichkeiten beschäftigt und das Übernatürliche in Ruhe gelassen, so wie es sie in Ruhe gelassen hatte. Doch jetzt hatte es wieder zugeschlagen und alles in ihm drängte danach, es so schnell wie möglich zu vernichten. Der Sommer, die Ruhe und die damit verbundenen Gefühle waren vergessen und Dean wieder ganz der Jäger, den John aus ihm gemacht hatte. Auch der letzte Friedhof war ein Schlag ins Wasser gewesen. Bellows‘ Leiche war nicht zu finden. Oder nicht mehr in Springfield. Aber eigentlich war ihnen schon klar gewesen, dass es wohl eine längere Suche werden würde, nachdem sie ihn auf dem Friedhof gleich neben der Haftanstalt nicht gefunden hatten. Trotzdem hatten sie nichts unversucht lassen wollen. „Wir sollten zu Bobby fahren und von da aus weiter suchen“, versuchte Dean vor allem sich Mut zuzusprechen. Sam nickte und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Dean ließ den Motor an, drehte die Musik auf und lenkte den Wagen auf die Straße. Ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit beschlich Sam. Egal wie verquer es da draußen gerade zuging, hier im Impala, mit seinem großen Bruder auf dem Fahrersitz neben sich, war seine Welt in Ordnung. Diese Gedanken sollte er seinem Bruder besser nie mitteilen. Der würde ihn ein Leben lang damit aufziehen. Obwohl es ja stimmte, auch wenn er es für ein paar Jahre verleugnet hatte und auch wenn er öfter abgehauen war. Sein Zuhause war bei Dean. Ohne ihn würde er sich kein Leben aufbauen wollen. Blieb nur die Frage, wie er ihn zu einem richtigen Leben überreden konnte. Wie hatte Ukpik gesagt? Dean war wie ein Wolf, der sein Revier noch nicht gefunden hatte. Ob er es je fand? Gab es überhaupt Wölfe, die ein Leben lang einsam durch die Wälder streiften? Nein! Es war egal, ob es einsame Wölfe gab. Dean war vielleicht ein Wolf aber nicht einsam. Immerhin hatte er in Bobby und ihm so etwas wie ein Rudel. Und noch wollte er selbst die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie doch noch sesshaft werden konnten. Immerhin waren sie diesen Sommer nicht einmal jagen gegangen. Mit einem Schnauben rutschte er etwas tiefer, lehnte den Kopf an die Scheibe. Noch im Einschlafen versprach er sich, dass er seinen Bruder fragen würde, wie er zu einem normalen Leben stand, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab. Der Impala rollte vor dem Haus aus und Sam richtete sich auf. Wenn der Motor verstummte, war das für ihn wie ein Wecksignal. Viel zu oft hatte er in dem Wagen geschlafen. Erst als Kind auf der Rückbank und in den letzten Jahren auf dem Beifahrersitz. Er streckte sich und stieg aus. Bobby stand mit einem Kunden auf dem Hof. Immer wieder deuteten sie gestikulierend auf etwas, dass, sollte man ihn je nach seiner Meinung fragen, Sam unverblümt als Schrotthaufen bezeichnen würde und das auf einem Anhänger stand. Dean ließ seinen Blick nur kurz über besagten Schrotthaufen gleiten und beeilte sich dann, seinem Bruder zu folgen. Er wollte jetzt nur noch einen Kaffee. Bobby würde ihn dann schon aufklären, was mit dem 1973 Chevrolet Caprice passieren sollte. „Ihr gehört ins Bett“, stellte Bobby fest, kaum dass er die Küche betreten hatte. „Hm“, gab Dean von sich, ohne jedoch Anstalten zu machen, sich irgendwie bewegen zu wollen. Er starrte weiterhin in seinen Kaffee und versuchte zu einer Entscheidung zu kommen, was er jetzt zuerst tun sollte, wenn er nur nicht so müde wäre. „Du wirst Sheriff Mills noch mindestens eine Nacht beherbergen müssen. Bellows‘ Leiche war nicht in Springfield. Wir müssen weiter suchen. Vielleicht hatte er ja doch einen Angehörigen, der die Leiche abgeholt und irgendwo begraben hat“, erklärte Sam und fuhr fort: „Ich will gleich versuchen noch etwas tiefer in die Datenbanken des Gefängnisses einzutauchen. Irgendwo muss doch ein Vermerk sein, wohin die Leiche verschwunden ist. Hoffen wir mal, sie haben sie nicht an irgendein Krankenhaus gespendet.“ „Du meinst, es könnten mehrere Menschen mit seinen Organen rumlaufen?“ Vor Deans Augen spielten sich gerade Horrorszenen ab. Einen Typ, der als Geist auf der Erde herum lief und dessen Teile in etlichen Menschen weiter existierten, würden sie nicht stoppen können. „Wenn er Organspender war? Aber sie haben ihn nicht gerade freundlich behandelt. Hoffen wir mal, dass seine Organe, selbst wenn, nicht mehr zu verwenden waren“, sagte Bobby ernst. „Möchtest du ein Organ eines Vergewaltigers?“, wollte Sam wissen. „Dir wird wohl keiner sagen, woher das Organ kommt, und wenn du zwischen so einem und dem Tod wählen kannst, werden sich wohl viele für ein Leben entscheiden“, überlegte Bobby. „Und jetzt geht ihr ins Bett! So seid ihr eh zu nichts zu gebrauchen! Vor Allem du nicht, Dean. Also los!“, fuhr Bobby dazwischen. Träge nickte Dean, blieb aber weiterhin sitzen. Für ihn kam es einem Versagen gleich, jetzt einfach so schlafen zu gehen. Und auch wenn er wusste, dass das eigentlich Schwachsinn war, so fühlte es sich doch genau so an. „Dean!“, wurde der alte Jäger lauter. Erschrocken zuckte der zusammen und hob jetzt endlich den Kopf. „Hast du noch Hunger?“ Der ältere Winchester schüttelte den Kopf. Nein, er wollte nichts essen! „Geh ins Bett! So bist du niemandem eine Hilfe.“ Kapitel 7: Ein Geständnis ------------------------- 7) Ein Geständnis Nur Minuten später standen die Brüder vor dem oberen Bad und schauten sich an. „Hast du eine Decke für mich, ich leg mich unten auf die Couch“, sagte Sam, dem gerade erst wieder aufgegangen war, dass sein Bett ja belegt war. „Geh in mein Bett“, erwiderte Dean müde. „Aber du brauchst…“ Er wollte nicht schon wieder bevorzugt werden. „Geh, Sammy. Ich find schon einen Platz!“ Sam nickte ergeben und wandte sich um. Er hatte diese besondere Art Entschlossenheit in Deans Augen gesehen, die er immer zeigte, wenn etwas nicht so gelaufen war, wie es sollte. Sein Bruder würde sich nicht von seinem Vorschlag abbringen lassen und er wollte nicht noch mehr Zeit mit sinnlosen Diskussionen vertun, dafür war er wirklich zu müde und Dean auch. Traurig ließ er den Kopf hängen. Warum musste sein Bruder nur immer wieder so reagieren? Warum musste sich Dean noch immer für jedes Misslingen die Schuld geben? Denn genau das war der Grund für seine Aussage. Dean hatte versagt und dafür bestrafte er sich. Wenn er doch endlich einen Weg finden könnte, seinem großen Bruder das auszutreiben! Er sollte wirklich bald mal mit ihm über ein sesshaftes Leben reden. Dann würden auch diese unsinnigen Schuldzuweisungen aufhören! Dean musste endlich aus diesem Teufelskreis raus, oder er würde daran kaputt gehen und das wollte er mit allen Mitteln verhindern! Zufrieden mit seiner Entscheidung ließ er sich auf die Matratze fallen und war keinen Augenblick später eingeschlafen. Dean kam aus dem Bad und stand etwas unschlüssig in der Tür seines Zimmers. Sam schlief schon und er wollte ihn nicht stören. Aber er hatte auch keine Lust nach unten zu gehen und sich auf die Couch zu legen. So bekloppt es sich jetzt selbst in seinen eigenen Ohren anhörte, er wollte bei seinem Bruder bleiben. Sams ruhige Atemzüge würden am ehesten dafür sorgen, dass seine Gedanken nicht noch länger Achterbahn fuhren und er schlafen konnte. Er legte sich auf den Bettvorleger, zog sich die Tagesdecke vom Fußende seines Bettes und wickelte sich darin ein. Schon bald war auch er eingeschlafen. Jody erwachte langsam. Irgendetwas machte sie misstrauisch. Mit geschlossenen Augen lauschte sie auf die Geräusche des Hauses. Die waren so ganz anders, als sie es gewohnt war. Außerdem waren da noch die Gerüche nach Farbe und Tapetenleim. Wo war sie? Schnell fiel ihr alles wieder ein. Der Geist, Dean und sein Bruder Sam und … Robert Singer. Sie war bei ihm auf dem Schrottplatz. Das Haus sah irgendwie vollkommen verändert aus und die beiden jungen Männer schienen bei ihm zu wohnen. Jody atmete ein paar Mal ruhig durch und hörte dabei in sich hinein. Ihrem Bauch schien es gut zu gehen. Sie fühlte die Wunde kaum. „Okay, Zeit zum Aufstehen“, murmelte sie und setzte sich vorsichtig auf. Ihr Blick glitt durch den l-förmigen Raum. Eine große Fensterfront ging auf einen Balkon hinaus. In der Nische standen eine gemütliche Couch mit Tisch und zwei Sesseln. Es gab einen Schreibtisch, ein halb gefülltes Bücherregal, das Bett und einen Kleiderschrank, aber außer den Bildern an der Wand keine weiteren persönlichen Dinge, die auf den Bewohner schließen ließen. Auf dem Nachttisch lagen Tabletten und eine Flasche Wasser stand daneben. Entweder kannten sich die Männer mit Verletzungen aus, oder sie waren einfach sehr aufmerksam. Sie nahm eine Tablette und machte sich dann langsam auf die Suche nach ihren Gastgebern. Vielleicht gab es ja schon etwas Neues von Bellows. Vorher jedoch musste sie dringend ins Bad. Die Tür zu Deans Zimmer stand offen und sie warf unweigerlich einen Blick hinein, als sie aus dem Bad kam. Das Zimmer war ähnlich geschnitten, wie das seines Bruders, allerdings stand hier anstelle der Couch das Bett, halb verdeckt von einem Schrank, der wohl als Sichtschutz dienen sollte. Auch hier gab es einen Schreibtisch und ein kleines Bücherregal, in dem zwei Lego-Feuerwehrtrucks standen. Auf der Couch saß ein Plüschesel und ein Quilt, mit dem Bild eines Pferdes in der Mitte, lag ebenfalls darauf. Neben dem Bett, auf dem Fußboden, lag eine Tagesdecke. Dean hatte wohl keine Lust gehabt, sie wegzuräumen, als er ins Bett gegangen war. Plötzlich bewegte sich dieses Bündel. Überrascht trat sie näher und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Dean schlief auf dem Boden vor seinem Bett und Sam lag darin! Hatte sie ihm die Schlafstatt weggenommen? Aber wieso schlief dann Dean auf dem Boden? Gab es kein weiteres Bett in dem Haus? Das schlechte Gewissen machte sich in ihr breit. Sie drehte sich zur Tür und wollte den Raum verlassen, um mit Bobby zu reden. Ihr Blick blieb an einigen gerahmten Fotos hängen, die wieder Mary zeigten. Es waren mehr als bei Sam. Was hatte Robert Singer gesagt? Dean war fast fünf als seine Mutter starb. Sie schluckte. Ihr Sohn war sechs, als er bei einem Autounfall ums Leben kam. Schnell verdrängte sie die Erinnerungen. Neben den Fotos hingen Chaps, ein Staubmantel und ein Cowboyhut. Was die wohl für eine Bedeutung hatten? Die Männer hatten wohl schon einiges erlebt, überlegte sie. Hinter ihr raschelte es. Sie fühlte sich ertappt und flüchtete regelrecht aus dem Raum. Langsam ging sie nach unten, einen Arm vor ihren Bauch gepresst. Das Treppensteigen machte sich doch ziemlich heftig in der Wunde bemerkbar und zeigte ihr, dass sie noch lange nicht so fit war, wie sie dachte. Sie fand den Hausherrn in seinem Büro, auf den Bildschirm des PC starrend. Leise wandte sie sich um und ging in die Küche. Mit einer Tasse für sich und einer für Bobby kam sie zurück in das Büro. Sie wusste, wie er seinen Kaffee mochte. Es war nicht das erste Mal, dass sie hier welchen trank und sich so etwas zu merken, war Teil ihres Berufes. „Hey“, grüßte sie leise und stellte sie Tasse ab. Kurz blickte Bobby auf und sah die Tasse. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wonach suchst du?“ „Bellows‘ Leiche war nicht in Springfield“, informierte er sie ruhig. „Ihr lasst mich also noch nicht nach Hause zurück?“ „Tut mir leid, nein. Aber ich hoffe, dass wir heute noch weiter kommen.“ „Gut. Ich möchte euch nicht länger als unbedingt nötig Unannehmlichkeiten bereiten.“ „Du bereitest uns keine Unannehmlichkeiten!“ „Dean schläft neben seinem Bett auf dem Boden!“, empörte sie sich. „Also ich nenne das schon Unannehmlichkeiten!“ Bobby verdrehte nur die Augen. Das war mal wieder typisch für den Jungen. „Wahrscheinlich hat Sam schon geschlafen und er wollte ihn nicht wecken“, nuschelte er kaum verständlich. „Bitte?“, fragte sie drängend. Bobby schnaufte und starrte auf die Tastatur. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf. „Was?“ Ihr war seine Reaktion nicht entgangen. „Das ist kompliziert.“ Er schaute auf und blickte in Augen, aus denen ein ehrliches Interesse sprach, aber auch Unverständnis über das Gesehene. „Das ist mehr als nur kompliziert. Ich denke ich muss da weiter ausholen.“ „Ich laufe nicht weg. Schon vergessen, mein Haus wird von einem Geist heimgesucht“, sagte sie und lächelte schief. So ganz konnte sie das noch nicht glauben. Schon gar nicht, dass es ihr so einfach über die Lippen ging. „Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen kann.“ „Ich kann schweigen.“ Bobby blickte ihr in die Augen und nickte. Die Geschichte der Jungs war nicht wirklich ein Geheimnis. „Mary wurde von einem Dämon getötet. Das hat John, den Vater der Jungs, aus der Bahn geworfen. Er hat angefangen Fragen zu stellen und er hat Antworten bekommen. Die richtigen Antworten, oder die falschen, wie immer man das sehen will, und er hat Rache geschworen. Schon bald begann er auf der Suche nach dem Mörder durch das Land zu ziehen. Er wollte oder konnte die Kinder nicht verlassen, aber er konnte sie auch nicht komplett auf die Jagd mitnehmen. Dafür waren sie noch viel zu klein. Also ließ er sie immer länger, auf sich gestellt, in irgendwelchen Motelzimmern. Die Verantwortung für ihr Leben lag auf Dean. Er hat sich um alles gekümmert. Um Essen, um Geld, um Kleidung und um John, wenn der verletzt wieder bei ihnen auftauchte. Dean ist ein absoluter Familienmensch. Er wird alles tun, damit der Rest seiner Familie heil und zusammen bleibt und seine oberste Priorität ist Sams Wohlergehen. Es gibt nichts, was er dafür nicht zu tun bereit wäre. Wenn es Sam gut geht, geht es ihm gut. Als sie noch klein waren, waren die Jungs hin und wieder hier. Manchmal für Tage, manchmal für Wochen und in dieser Zeit habe ich versucht ihnen so viel Freiraum und Kindheit wie möglich zu gewähren. Ich denke, sie haben es genossen, aber kaum war John ebenfalls hier, ging der Drill wieder los und Dean hat sich ohne zu fragen untergeordnet. Er hat seinen Dad abgöttisch geliebt, hat ihn auf ein Podest gestellt und einen Superhelden aus ihm gemacht. Es ist schwer für ihn, sich aus diesen Mustern, aus dieser Denkweise zu lösen. Das alles ist ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass er es nicht einmal merkt.“ Traurig blickte er aus dem Fenster. Er hätte gerne mehr getan. Jody starrte in ihre Tasse. Sie wusste nichts zu sagen, und sie war sich sicher, dass Worte hier vollkommen fehl am Platz waren. Das waren Erinnerungen, die sie nicht teilen konnte, aber sie hatte aus den wenigen Worten hören können, wie sehr ihr Gegenüber die Brüder mochte. „Was ist mit deinem Haus passiert? Als ich das letzte Mal hier war, sah es noch vollkommen anders aus“, schnitt sie ein vollkommen anderes, nichts desto Trotz interessantes Thema an. „Kaputte Rohre und Dean!“ Verwirrt blickte Jody den Mann hinter dem Schreibtisch an. „Die Wasserrohre zum oberen Bad waren dicht. Es führte kein Weg daran vorbei, sie zu erneuern. Dean hat den Vorschlag gemacht, gleich das ganze Bad zu sanieren. Aus dem Bad ist das Obergeschoss geworden.“ „Und hier unten?“ „Das kann ich dir gerne später erzählen, jetzt sollte ich mich erst einmal um deinen Geist kümmern.“ Sie nickte bekümmert. Ihr Geist. Sie konnte gut und gerne auf „ihren“ Geist verzichten. Hätte der sich nicht ein anderes Opfer suchen können? Nein. So etwas wünschte sie niemandem. Warum konnte der nicht einfach tot sein und bleiben, wie jeder andere Tote auch! „Ich komme mir ziemlich überflüssig vor, kann ich irgendetwas tun?“ „Wie geht es deinen Verletzungen?“ „Es ist auszuhalten. Ich will mich nicht schon wieder hinlegen“, beantwortete sie auch gleich noch die Frage, die sie in seinen Augen lesen konnte. „Ich könnte was kochen“, schlug sie vor, nicht dass er sie doch noch nach oben schickte. „Kochen ist gut. Dean hat immer Hunger.“ E lächelte. „Ich kann ja mal sehen, was ich finden kann.“ „Pass aber auf, dass Gus seinen Schnabel nicht überall reinsteckt.“ „Gus? Wer ist Gus?“ „Eine Krähe, die seit ein paar Monaten hier lebt. Wir haben ihn als Küken gefunden und auf gepäppelt. Er hat hier in der Nähe sein Nest samt Familie. Aber er kommt immer mal wieder hierher und bettelt um Futter.“ „Okay?“, sagte sie und schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich zieh mir was … Ich hab ja gar nichts hier“, stellte sie fest. „Ich könnte dir was borgen?“, meinte er und ging nach oben. Wenig später stand Jody in einem Hemd von Bobby in dessen Küche und schnibbelte, während er wieder hinter seinem Rechner verschwand und weiter nach dem Verbleib von Bellows‘ Leiche suchte. Kapitel 8: Irish Stew --------------------- 8) Irish Stew Sam erwachte. Er setzte sich auf und streckte sich ausgiebig. Sein Blick wanderte durch das Zimmer. Deans. Sofort machte sich das schlechte Gewissen in ihm breit. Sein Großer hatte ihm mal wieder das bessere Bett überlassen. Wo war er? War er nach unten gegangen? Er streckte sich noch einmal und wollte aufstehen. Fast wäre er auf seinen Bruder getreten, der vor seinem Bett lag. „Verdammt, Dean! Warum? Warum tust du das?“, murmelte er. Vorsichtig erhob er sich und kniete sich neben seinen Bruder. „Dean!“, forderte er und rüttelte ihn an der Schulter. Sofort setzte der sich auf und schaute sich suchend um. Seine Instinkte meldeten keine Bedrohung. Wie auch, war das Haus doch der sicherste Ort auf der Welt. Sie hatten schließlich jedes Fenster und jede Tür mit Salz gesichert und nicht sichtbare Dämonenfallen an allen Eingängen gezeichnet. „Was?“, fragte er verschlafen. „Geh ins Bett!“ „Und deshalb weckst du mich? Ich hab hier ganz gut geschlafen!“ „Dean, es ist dein Bett. Du solltest auch darin liegen!“ Leise grummelnd kämpfte sich der ältere Winchester auf die Beine, er war zu müde, um länger zu protestieren, und ließ sich auf sein Bett fallen. Er schnaufte noch kurz, seine Arme umschlossen das Kissen und schon war er wieder eingeschlafen. Sam schüttelte den Kopf. Er würde auch darüber noch mit seinem Bruder reden müssen, wollte er doch nicht immer wieder bevorzugt werden. Vorsichtig breitete er noch die Decke über den Älteren und verließ den Raum. Kurz warf er einen Blick in sein Zimmer und fand es verlassen. In aller Ruhe suchte er sich saubere Kleidung und ging duschen. Frisch rasiert kam er nach unten. „Hey, wie geht es dir?“, erkundigte er sich bei Jody, die in einem Topf rührte. „Ganz gut, denke ich.“ „Was wird das? Das riecht gut.“ Er warf einen Blick in den Topf. „Irish Stew. Meine Mutter stammt aus Irland. Sie hat das Rezept mitgebracht.“ „Wenn das so schmeckt wie es riecht, kann ich nur hoffen, dass genug da ist“, lachte der jüngere Winchester. „Warum?“ Sam schwieg. Sie würde die Antwort noch früh genug erfahren. „Wie lange brauchst du noch?“ „Noch bestimmt eine Stunde.“ Sam nickte. So lange würde er aushalten. Er machte sich einen Kaffee und ging gleich darauf mit seiner Tasse zu Bobby in Büro. „Wie siehts aus?“ „Dich schickt der Himmel“, stöhnte Bobby. „Ich komme einfach nicht in die Gefängnisdatenbank.“ „Dann lass mich mal ran“, sagte Sam und rutschte auf den Stuhl, den Bobby ohne Weiteres räumte. „Essen ist fertig“, rief Jody aus der Küche Richtung Büro. „Das klingt gut, ich sterbe vor Hunger“, antwortete Dean und kam die letzten Stufen herunter. Etwas verlegen schaute sie ihm entgegen. Was sollte sie jetzt sagen? Immerhin hatte sie gesehen, dass er auf dem Boden geschlafen hatte! Sollte sie überhaupt etwas sagen? Durfte sie es so einfach übergehen? Doch Dean strahlte sie so breit an, dass jegliche Bedenken fort gewischt wurden. „Was gibt es denn?“ „Irish Stew“ Er überlegte kurz. ‚Das war jetzt aber nicht das mit dem Magen und den Innereien, oder? Aber sowas hatte Bobby nicht im Haus! Nicht mal Gus wurde mit sowas gefüttert.‘ Dean öffnete sich ein Bier und stellte die anderen Flaschen auf den Tisch. Erwartungsvoll ließ er sich auf seinem Stuhl nieder. Sam und Bobby betraten die Küche. Auch sie setzten sich und Jody begann das Essen auf den Tellern zu verteilen. Schnuppernd hob Dean die Nase. Das roch lecker! Mehr brauchte er nicht zu wissen. „Ich hoffe es schmeckt“, sagte Jody und setzte sich. „Haut rein!“ So etwas ließ sich der ältere Winchester nicht zweimal sagen. Schnell schob er sich einen Löffel voll in den Mund. Er kaute kurz und schluckte. Sofort schob er den nächsten Löffel hinterher. „Dasch ischt gut“, verkündete er kauend und strahlte die Köchin breit an. „Du kannscht öftersch kochen!“ In Rekordzeit leerte sich der Teller und wurde noch schneller wieder aufgefüllt. „Na wenn das kein Kompliment ist?“, lachte Bobby. Jody freute sich still, dass ihre Kochkünste ankamen und über den guten Appetit des älteren Bruders. Der Jüngere war beim Essen wohl eher bedächtiger. „Wie wäre es mit Nachtisch?“, wollte Bobby etwas später wissen. „Was hast du?“, fragte Dean während er mit einem Stück Brot den Topf auswischte. „Apfelkuchen. Ich war vorhin welchen holen.“ Schon wieder leuchteten Deans Augen vor Freude. „Hast du denn noch Hunger?“ Jody überlegte gerade wo Dean das ließ. Er war alles andere als dick und das bei den Mengen, die er in sich hinein schaufelte! „Kuchen geht immer“, übernahm Sam das Antworten. Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Der junge Mann gefiel ihr immer besser, nicht nur, dass er sie gerettet hatte. Er aß auch mit Genuss, was sie kochte. Ihr Mann hatte eher vegetarisch gelebt, während sie auf die handfeste Küche ihrer Mutter stand. Bei dem Gedanken an ihren Mann wurde ihre Kehle eng. Sie musste unweigerlich schlucken. Was passierte jetzt mit ihm? Wann konnte sie wieder ins Haus? Sie musste sich doch um die Beerdigung kümmern! Wie sollte sie seinen Tod überhaupt erklären? Wie konnte sie es? ‚Ein Geist hat meinen Mann getötet`, würde ihr ja wohl niemand abnehmen. Zumindest keiner ihrer Untergebenen und Vorgesetzten. Und das FBI schon mal gar nicht. Sie würde sich wohl einen neuen Job suchen müssen, wenn sie nicht, was viel wahrscheinlicher wäre, in Gefängnis landen würde. „Ich habe Bellows` Leiche gefunden“, riss Sam sie aus ihren Grübeleien. „Und das sagst du jetzt erst?“, platzte Dean hervor, stellte seine Flasche ab und funkelte ihn wütend an. „Warum sollte ich es eher sagen. Wir können eh erst heute Nacht los um ihn zu verbrennen.“ „Wo ist er? Ich meine, wir müssen doch bestimmt ein Stück fahren, oder?“ „Nein, er ist in Lennox beerdigt. Eine Elisa Morell hat die Auslieferung seiner Leiche beantragt. Sie muss wohl eine Tante von ihm sein.“ Die Brüder schauten zu Jody. „Ich weiß nicht. Der Name sagt mir irgendetwas, aber ich weiß nicht mehr was“, sagte sie leise. „Der Fall ist einfach zu lange her.“ „Eine Tante“, stellte Dean mit einem Unterton in der Stimme fest, der aussagte, dass er alles vermutete, nur nicht die wirkliche Bedeutung des Wortes. „Ich hab nicht weiter nach ihr gesucht. Mir war die Leiche wichtiger“, erklärte Sam. „Solange sie keine alte Hexe ist, die seine Taten schon zu seinen Lebzeiten kontrolliert hat“, nuschelte Dean und sein Bruder warf ihm einen fragenden Blick zu. Dean hatte Hexen schon vor seinem Seelentausch gehasst. Jetzt waren sie wahrscheinlich das ultimative Böse für ihn, mindestens so schlimm wie der Gelbäugige und Lilith zusammen! „Ich kann versuchen es herauszubekommen“, bot Sam sich an. „Lass mal. Das merken wir noch früh genug.“ Sam nickte. Ja, sie würden es noch früh genug erfahren. Trotzdem war ihm lieber, er wusste womit er es zu tun hatte, bevor es ihn eiskalt erwischte. „Ich werde trotzdem das Internet mal nach ihr durchsuchen. Vielleicht finde ich ja was. Strafzettel, Büchereiausweis, keine Ahnung. Jeder hinterlässt Spuren.“ Dean schüttelte nur den Kopf. Das war sein Bruder. Sam musste den Dingen auf den Grund gehen. So war er schon immer gewesen. Er wollte wissen, wie alles zusammenhing und warum die Dinge so waren, wie sie waren. Ihm selbst reichte es zu wissen, dass sie bösartig und übernatürlich waren und wie er sie vernichten konnte. Lächelnd schaute er seinem Bruder nach. „Was wird mit deinem Mann? Ich meine, hast du dir schon überlegt, wie du seinen Tod erklären willst?“, wandte er sich an den Sheriff. Sie schluckte. Bisher hatte sie es so gut es ging vermieden, an ihn zu denken. Sie hatten ihre Differenzen gehabt, vor Allem nach dem Tod ihres Sohnes Sean. Aber sie liebte Owen, ihren Mann, doch! Und trotzdem hatte sie ihn alleine gelassen. Er musste wegen ihr sterben und sie hatte ihn in seinem Blut liegen lassen. Tränen bildeten sich in ihren Augen. „Es ist nicht deine Schuld“, sagte Dean ruhig und legte seine Hand auf ihre. Jody hob den Blick und schaute in verständnisvolle grüne Augen. „Glaub mir, ich kenne mich damit aus. Auch wenn es sich so anfühlt. Du kannst nichts dafür. Bitte versuche dir das nicht ewig vorzuhalten. Es ist schwer, aber noch kannst du es schaffen.“ „Aber ich hätte bleiben sollen!“ „Dann wärst du jetzt vermutlich tot und Bellows würde sich neue Opfer suchen. Wieso warst du eigentlich in der Hütte?“ „Ich weiß nicht, wie ich dahin gekommen bin. Ich war noch im Bad als ich meinen Mann schreien hörte. Ich wollte ins Schlafzimmer. Plötzlich war es eiskalt und dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf und alles wurde schwarz. Ich bin in der Hütte wieder zu mir gekommen. Da stand Bellows vor mir und mein Atem kondensierte. Mir war so kalt! Er hat immer wieder geflackert und ich dachte, dass ich bestimmt eine Gehirnerschütterung haben müsste, oder in einem Albtraum gefangen bin. Sowas konnte es nicht geben. Kein Mensch flackerte! Immer wieder hat er mich mit dem Messer verletzt. Und er hat gelacht! Er war wahnsinnig! Oh mein Gott, Owen!“ Weinend schlug sie die Hände vors Gesicht. Bis jetzt hatte sie sich ganz gut gehalten. Sie war ein Cop und als solcher hatte sie schon einige schlimme Dinge erlebt, aber das jetzt? Das betraf sie persönlich! Und genau jetzt war ihr plötzlich bewusst geworden, dass sie nun ganz allein war und vor einer ungewissen Zukunft stand. Mit einem Mal war das alles zu viel. Bobby betrat die Küche mit einer Flasche Whiskey und drei Gläsern. Er wusste, dass das kein Allheilmittel war, aber das Brennen im Hals lenkte für einen Augenblick von den seelischen Schmerzen ab. Vielleicht war das ja auch ein Grund warum die meisten Jäger die er kannte zumindest sehr nahe daran waren, Alkoholiker zu werden. Sein Blick glitt über den älteren der Winchester-Brüder. Dean hatte mit diesen wenigen Worten mehr von sich preisgegeben, als sie bemerkt hatte. Seine Augen streiften die des Winchester und er konnte sehen, dass sich Dean seiner Worte sehr wohl bewusst war. Aber er sah auch das Bedauern oder die Resignation darüber, dass er selbst seinem Rat wohl nicht folgen konnte. Bobby nickte. Auch er kämpfte immer wieder, vor allem in ruhigen Nächten, mit seinen Schuldgefühlen. Einen geliebten Menschen an das Übernatürliche zu verlieren, egal ob wie Jody, die nur hilflos zusehen konnte, oder John, Dean und inzwischen auch Sam, die ihren Verlust durch Rache versuchten erträglicher zu machen. Egal ob der Tod des geliebten Menschen einen ereilte wie ein Blitz aus heiterem Himmel oder man ihn selbst tötete. Unverständnis, Wut, Trauer und das Gefühl versagt zu haben, blieben. Aus einem Impuls heraus legte Bobby seine Hand auf ihre. Kapitel 9: Eine gewagte Idee ---------------------------- 9) Eine gewagte Idee Schweigend warteten die Männer, bis sich Jody sich ein wenig beruhigt hatte und sie unsicher anschaute. Doch sie sah keine Verachtung für ihre Schwäche. Sie sah bei beiden nur Verständnis und Trauer, die nur jemand empfinden konnte, der selbst in dieser Situation gewesen war. In diesem Moment verstand sie zwar noch nicht, was genau ein Jäger war, aber sie verstand, was die Männer dazu getrieben haben musste, Jäger zu werden. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, schniefte kurz und versuchte gleich darauf ein entschuldigendes Lächeln. Mit einem Schluck kippte sie ihren Whiskey hinunter und schob das Glas zu Bobby. „Kann ich noch einen bekommen?“, fragte sie mit rauer Stimme und er füllte ihr Glas wieder auf. Sie zog das Glas zu sich. Lange starrte sie in die goldene Flüssigkeit. „Was kann ich denn machen? Niemand wird mir glauben, dass ich meinen Mann nicht getötet habe.“ „Wir glauben dir!“, sagte Bobby. „Ja, aber ihr spielt in meiner Welt keine bedeutende Rolle. Ihr seit Kleinkriminelle, die mit Waffen rumlaufen, in Büchereien einbrechen und die ich hin und wieder verhafte.“ Dean zog eine Augenbraue hoch und blickte den Freund fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern und grinste entschuldigend. „Wie wichtig ist dir ein Ort zum Trauern?“, fragte Dean ruhig. „Es geht, warum?“ „Die Gasleitung könnte defekt sein und das Gas explodierte als er sich einen Kaffee kochen wollte.“ „Ich hatte gestern und heute frei. Ich hätte Zuhause sein müssen!“ Eine Weile herrschte Schweigen. Bobby blickte von ihr zu Dean und sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Der Junge brütete einen Plan aus, oder er war schon dabei sich zu überlegen, wie er ihn am besten präsentieren konnte. „Spuck es aus!“, forderte er. „Ich weiß nicht. Das wird euch wahrscheinlich nicht gefallen.“ „Spuck es aus“, forderte Bobby noch einmal und betonte dabei jedes Wort. Auch Jody blickte ihn an. „Was habe ich denn noch zu verlieren?“ „Deinen Ruf? Dein Zuhause, dein Ansehen?“ „Das ist doch eh schon alles ruiniert. Egal was du für eine Erklärung bietest, ich kann nur gewinnen. Ohne eine glaubhafte Erklärung werde ich demnächst im Gefängnis sitzen. Und dann …“ Sie ließ den Satz offen und doch wusste jeder, was sie sagen wollte. Dean holte tief Luft. Die Idee, die in seinem Kopf herumspukte war gewagt, aber was sollte es. Wer nicht wagte, der nicht gewann. „Was, wenn du mit dem alten Brummbären hier ein Verhältnis hättest?“ Sofort wollten beide Zuhörer protestieren doch Dean wehrte sie mit einer Handbewegung ab und fuhr fort: „Deine Ehe war nach dem Tod eures Sohnes am Ende, nur noch für die Öffentlichkeit und das Wichtigste, du warst die letzten Tage hier. Dass Sam und ich hier wohnen weiß keiner. Dass wir hier sind auch niemand. Es weiß ja kaum einer, dass es uns überhaupt gibt. Für die Menschen hier gibt es also kein Hindernis für ein paar schöne Stunden. Bobby hat dich nach Hause gebracht und du warst gerade dabei das Haus zu betreten, als das Gas explodierte und du bist von herumfliegenden Glassplittern getroffen worden. Bobby war sofort bei dir und hat dich zu einem Arzt gebracht und die Feuerwehr angerufen. Er konnte nicht mehr tun, da das Haus lichterloh brannte. Wie gesagt, es ist verrückt und zumindest dein Ruf ist dann im Eimer, Jody. Aber du hättest deine Freiheit, deinen Beruf und den sinnlosen Tod deines Mannes erklärt. So und jetzt könnt ihr mich steinigen oder rauswerfen!“ Dean blickte schief grinsend von einem zur anderen. „Ich weiß nicht“, sagte Bobby nach einer Ewigkeit. So schlecht fand er die Idee an sich nicht, aber was würde Sheriff Mills dazu sagen? Irgendwie war es ihm wichtig, sie nicht zu überfahren. „Und wie soll das denn mit der Explosion gehen?“, wollte sie wenig überzeugt wissen. „Ich bin Automechaniker und Jäger. Ich denke das würde ich hinkriegen.“ „Zuerst sollten Sam und ich aber diesen Bellows vernichten.“ „Das machen wir heute Nacht“, schaltete sich der jüngere Winchester, in der Tür stehend ein. Er blickte sich in der Runde um und sah den Whiskey. „Hab ich was verpasst?“ „Bobby hat mit Jody ein Verhältnis“, sagte Dean. „Bobby hat was?“ „Dean!“ „Ich hab kein …“, reagierten die anderen der Reihe nach. „Naja, wir haben überlegt, wie Jody am besten aus der Sache rauskommt. Das und der Vorschlag einer Gasexplosion in Jodys Haus zur Beseitigung der Leiche ihres Mannes waren mein Beitrag dazu.“ „So schlecht klingt das gar nicht“, überlegte Sam. „Sam!“, polterte Bobby. „Warum nicht. Die Leiche deines Mannes muss erklärt werden, sonst bist du auf ewig eine Gejagte und wenn du nicht in unser Business einsteigen und nur noch in Motelzimmern leben willst, macht es so am meisten Sinn“, stimmte er seinem Bruder zu. „Was ist dabei? Wenn das Haus weg ist, musst du irgendwo wohnen. Sam und ich verkrümeln uns und du wohnst für eine Zeit hier. Platz wäre genug, oder in einem Motel und ihr besucht euch hin und wieder. Das wird schon gehen. Immerhin kratzt ihr euch nicht die Augen aus. Nach einer Weile lasst ihr es im Sande verlaufen und irgendwann war es nur eine Episode in eurem Leben. Die meisten Menschen werden es schon verstehen, denke ich. Du brauchtest Zuspruch nach dem Tod deines Sohnes und Bobby war schon länger alleine. Irgendwie hat sich da was ergeben …“ „Du schaust eindeutig zu viele Seifenopern, oder kam das bei Dr. Sexy?“, stichelte Sam gutmütig. „Woher soll ich denn wissen, wie Menschen reagieren? Ich hatte nie ein Leben im Gegensatz zu gewissen anderen Personen!“, fauchte der ältere Bruder, sprang auf und verließ die Küche. Sam starrte auf die zuschlagende Tür und schaute dann zu Bobby, doch der zuckte nur mit den Schultern, als wollte er sagen: Das hast du verbockt, jetzt bieg es auch wieder grade. „Ich werd mal nach ihm schauen“, sagte er leise und folgte seinem Bruder. „Was war das denn?“, fragte Jody interessiert. Bobby schüttelte traurig den Kopf und hoffte, dass sie es auf sich beruhen lassen würde. Doch sie tat ihm den Gefallen nicht. „Er hat gesagt ’wie Menschen reagieren’. Aber er ist doch auch ein Mensch!“ „Er ist einer der besten und menschlichsten Menschen, die ich kenne. Ich würd jederzeit mein Leben in seine Hände legen.“ „Aber warum sagt er dann sowas?“ „Dir das zu erklären, würde dich in eine Welt führen, von der du besser nichts weißt.“ „In dieser Welt bin ich doch schon gelandet.“ „Du hast noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt!“ „Und wenn ich es trotzdem wissen möchte?“ Bislang war er für sie nur das, was sie Dean vorhin schon gesagt hatte. Ein Kleinkrimineller mit Hang zu Alkoholismus, den sie hin und wieder verhaftete. Und jetzt saß sie hier bei ihm, in einem neu renovierten Haus, dass er sich mit zwei Brüdern zu teilen schien und stellte fest, dass der Mann eben nicht nur ein einfacher Kleinkrimineller war. Natürlich war da mit Sicherheit noch so etwas wie das Stockholm-Syndrom, auch wenn er sie nicht entführt sonder ihr geholfen hatte. Diese Hilfe, die sie ihr gaben, machten ihn mit Sicherheit auch noch ein bisschen interessanter. Außerdem war sie schon immer neugierig gewesen und hier bot sich ihr ein Blick auf eine Welt, die parallel zu ihrer existierte und der vielleicht einige ungelöste Fälle erklären könnte. Herausfordernd sah sie ihn an. „Dean war von klein auf in die Recherche und die Fälle seines Vaters involviert. Er musste sich um Sam kümmern, er hat John versorgt, wenn der verletzt wiederkam. Dean war immer der Starke in der Familie. Er hat immer versucht diesen Rest der Familie zusammen zu halten und Sam eine halbwegs heile Familie zu geben. Das Kind musste in dem Moment erwachsen sein, als John wenige Wochen nach Marys Tod mit der Jagd auf den Mörder begann. Er musste schon als Kind ein Jäger sein und wurde von seinem Vater zum perfekten Soldaten ausgebildet, neben Schule und der Aufsicht über Sam. Er kennt Familienleben nur aus dem Fernsehen. Aber das Traurigste ist, dass Dean eher zu verstehen scheint, wie das Übernatürliche tickt, als die Reaktionen von Menschen. Menschen sind für ihn unberechenbar. Er kann sie lesen, sie manipulieren aber er weiß nicht, wie es hinter dem weißen Gartenzaun zugeht und ich denke, tief in ihm drin wünscht er sich, dass zu wissen. Er hat mit Sicherheit ein paar Erinnerungen an die Zeit bevor seine Mom starb, die genau diesen Wunsch in ihm tief verankert haben. Ich ...“, er schüttelte den Kopf. Deans Innenleben war kompliziert. „Das ist … Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und jetzt?“ „Jetzt warten wir, dass er das Thema mit sich ausmacht und wieder ins Haus zurückkommt.“ „Aber wir müssen doch ...“ „Nein. Wir werden ihn nicht darauf ansprechen“, fiel ihr Bobby ins Wort, „denn wenn wir ihn drauf ansprechen, macht er auf dem Absatz kehrt. Dean kann und konnte mit Gefühlen noch nie gut umgehen und mit Erinnerungen auch nicht. Er muss von selbst reden wollen, sonst macht er für immer dicht.“ Sie nickte zwar, konnte es aber nicht verstehen. Daran würde sie noch eine ganze Weile zu knabbern haben. Wie konnte man seine Kinder so behandeln? „Und jetzt?“, wollte sie wissen. „Kommt drauf an, was Du zu Deans Vorschlag sagst?“ „So verkehrt klingt er gar nicht. Auch wenn ich nicht weiß, ob uns jemand ein Verhältnis abnimmt. Auf jeden Fall ist es besser, als im Gefängnis zu landen, für etwas, das ich nicht getan hab.“ Sam war inzwischen durch die Reihen der Wracks gegangen und hatte nach seinem Bruder Ausschau gehalten. Er hatte ihn in der hintersten Ecke des Schrottplatzes gefunden. „Dean?“ Langsam drehte sich sein Bruder um. Doch Sam konnte sehen, dass seine Gedanken noch ganz woanders waren. Fragen würde jetzt nichts bringen, dass wusste er aus Erfahrung, also setzte er sich einfach daneben und wartete. Entweder würde Dean reden, oder aber er würde einfach aufstehen und wieder ins Haus gehen. Egal was, er wollte seinem großen Bruder dabei Gesellschaft leisten. Früher hatten sie oft einfach nur auf der Motorhaube des Impalas gesessen und mit einer Flasche Bier schweigend in den Sternenhimmel geschaut. Er warf einen kurzen Blick auf seinen Bruder und fragte sich woran der wohl dachte. Dean hatte schon fast verzweifelt versucht nicht an seine Vergangenheit, an seine verkorkste Kindheit, zu denken. Doch er hatte keinen Erfolg gehabt. Damals war es ihm gar nicht so vorgekommen, als wäre seine Kindheit verkorkst gewesen. John war seine Familie, sein großes Vorbild. John wusste alles und er hatte immer Recht. Und jetzt? Er hatte noch immer keine Ahnung davon, was das richtige Leben ausmachte, aber jetzt begann er sich zu wünschen, dieses Leben nicht nur aus dem Fernsehen zu kennen. Der Sommer hatte ihm gezeigt, dass es auch ohne Monster ging. Aber wollte er das? Durfte er das, war wohl die richtigere Frage. Egal was er sich wünschte, das Leben der Menschen war wichtiger als seine Wünsche. Leben waren immer wichtiger als das, was ein Winchester sich wünschte. Sam war ausgebrochen und er hatte ihn bewundert für seinen Mut und gehasst dafür, dass er ihn alleine gelassen hatte. Er war sich noch immer nicht darüber klar, ob er sich diesen Schritt getraut hätte und er wusste nicht, ob er wütend oder neidisch sein sollte. Verdammt! Er hatte doch gedacht, dass er dieses Gedankenchaos schon lange hinter sich gelassen hätte, aber dieser Sommer hatte so vieles wieder ans Licht gezerrt, von dem er gedacht hatte, es vergessen oder wenigstens verdrängt zu haben. Diese Monate ohne Übernatürliches und mit dem, was er vielleicht gerne gemacht hätte, wenn er bei Dave, im Baugewerbe, hätte bleiben können, hatten die Frage nach einem normalen Leben in seinem Kopf immer präsent sein lassen. Immer wenn er sich dazu durchgerungen hatte endlich mit Sam und Bobby zu reden, war ein Anruf von Carol gekommen. Sie hatte ihnen von den Fortschritten und Rückschlägen Kyles erzählt und er war sich sicherer denn je, dass er nicht das Recht hatte, sich zurückzuziehen und die Menschen schutzlos dem Bösen zu überlassen und er war sich sicherer den je, dass er nur ein Jäger sein konnte. Aber ein paar Tage später hatte er wieder zu zweifeln begonnen. Er war nie wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Jetzt waren da Jody und Bellows und der Versuch sie möglichst unbeschadet aus diesem Dilemma zu befreien. Er atmete tief durch. Zuerst einmal mussten sie Bellows ins Nirgendwo schicken und dann würde er weitersehen. Und da war noch etwas, das er erledigen musste. „Was hältst du davon, wenn wir dem alten Brummbären etwas Ruhe gönnen und uns für ein paar Tage verziehen?“, fragte er. Sam starrte ihn irritiert an. Damit hatte er jetzt überhaupt nicht gerechnet. „Wo willst du hin?“ „Wir waren ewig nicht mehr auf einem Konzert. Außerdem wollte ich schon voriges Jahr nach El Paso.“ „Und wann willst du los?“ „Ich denke wir packen und fahren gleich weiter, wenn der Fall erledigt ist.“ Sam nickte. Er wusste nicht, was er denken sollte. Das kam jetzt ziemlich plötzlich. Aber auf der anderen Seite hatte er sich schon seit Tagen damit gerechnet, dass Dean nicht mehr stillsitzen konnte. Sie waren hier so gut wie fertig. Wenn er länger darüber nachdachte fand er es wirklich erstaunlich wie lange es sein Bruder hier an einem Stück ausgehalten hatte. Aber sie konnte nicht ewig bei Bobby hocken und sich vor der Welt und ihren Monstern verstecken. „Dann lass uns Bescheid sagen und packen.“ Sam stand auf. Langsam ging er zum Haus zurück. Kapitel 10: Aufbruch -------------------- 10) Aufbruch Kurz nach Sam betrat auch Dean die Küche. „Wir brechen gleich auf“, sagte er ruhig und ließ Bobby aufhorchen. „Ihr macht was?“ „Ihr Turteltauben wollt doch bestimmt ein paar ruhige Tage haben“, grinste er schief. „Deswegen müsst ihr doch nicht von hier verschwinden“, schaltete sich jetzt auch Jody ein, die so langsam begriff, worum das Gespräch ging. „Ich will euch nicht vertreiben.“ „Das tust du nicht. Sam und ich wollen mal wieder auf ein Konzert und ich möchte endlich nach El Paso.“ „Dann müsst ihr wohl fahren“, sagte Bobby mit ein wenig Wehmut in der Stimme. „Ich kann auch in ein Motel gehen“, schlug Jody vor, die ja nicht wissen konnte, was es mit El Paso auf sich hatte. „Musst du nicht“, erwiderte Dean. „Aber ich nehme dir dein Bett weg.“ „Bestimmt nicht. Sam und ich haben schon beengter geschlafen. Mach dir darüber keinen Kopf.“ Dean wandte sich ab und folgte seinem Bruder nach oben um ebenfalls zu packen. „Ich wollte sie nicht vertreiben“, sagte sie leise. „Das hast du wirklich nicht. Die Jungs waren noch nie so lange an einem Ort und vielleicht kommen sie ja auch bald wieder.“ „Du magst sie wirklich.“ „Sie sind wie meine eigenen Kinder.“ Schon bald hatten die Brüder ihre Taschen gepackt und mit ihren Taschen in der Küche. „Passt auf euch auf“, sagte Bobby und zog Sam in eine Umarmung. „Du auch, Bobby.“ Der jüngere Winchester trat zurück und ließ seinen Bruder zu ihrem Ziehvater. „Und meldet euch nicht erst wieder wenn ihr in der Patsche sitzt“, verabschiedete er sich von seinem Großen und drückte ihn fest an sich. Seine Art ihm zu sagen, wie sehr er Sam und ihn mochte, ohne es auszusprechen. „Wir dich auch, Bobby!“ Dean hatte ihn trotzdem richtig verstanden. Er warf seinem Bruder einen Blick zu, fasste seine Tasche fester und ging zur Tür. Ein paar Minuten später rollte der Impala vom Hof. Dean warf im Rückspiegel noch einen Blick auf das Haus, das ihm Zuflucht war, und etwas, das einem Zuhause am Nächsten kam. Äußerlich ruhig lenkte er den Impala auf die Straße. Dieses unbestimmte Gefühl verschwand und machte der Vorfreude Platz endlich wieder auf der Straße zu sein. Aber irgendwie schien diese Freude kleiner als früher. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Jody und setzte sich an den Küchentisch. „Warten, dass die Jungs sich melden und dann sollten wir überprüfen, ob der Geist verschwunden ist und das mit deinem Mann klären.“ „Willst du Deans Vorschlag denn annehmen?“ „Hast du einen besseren?“ „Nein. Ich habe auch keinen anderen. Nicht wenn du dein Leben hier weiter leben willst.“ „Erzählst du mir, was mit deinem Haus passiert ist?“ „Die Skizzen, die in meinem Büro hängen waren der Anfang. Dean hat sie gemacht, aus Langeweile und weil ich einen Satz darüber fallen ließ, dass ich ein Büro brauchen könnte. Und nachdem er es mir erklärt und ich dem zugestimmt hatte, meinte er nur, dass das wohl eher ein größerer Umbau werden würde. Wie Recht der Junge hatte. Es war ein größerer Umbau und ich hab mich mehr als einmal gefragt, ob wir das Haus nicht besser hätten abreißen und neu bauen sollen. Aber jetzt sind wir fertig. Gut, einige Kleinigkeiten fehlen noch, aber das hat Zeit. Nur Sam hat es die ganze Zeit nicht geschafft sein Geburtstagsgeschenk einzuweihen.“ „Was war das Geburtstagsgeschenk?“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er daran dachte wie lange sie den Jungen zappeln ließen, bevor sie seinen Ehrentag überhaupt erwähnt hatten. Sam tat ihm im Nachhinein noch leid, aber an dem Tag war wirklich nichts wie geplant gelaufen. „Das kleine Zimmer oben. Dean hatte die Idee. Wir haben ihm ein kleines Fitnessstudio eingerichtet. Du kannst gerne mal hochgehen.“ „Und die Kartons, die in deinem Büro stehen?“, fragte sie interessiert und bewies die gute Auffassungsgabe, die sie als Sheriff haben musste. „Das sind Bücher, die ich für die Recherchen brauche, Bücher über Mythologien, Märchen, heilige und dämonische Wesen aus aller Welt. Sam und ich haben begonnen sie zu katalogisieren. Wir hoffen, dass wir Lösungen schneller finden können oder die Monster identifizieren. Oft genug rufen mich auch andere Jäger an, die Hilfe erbitten. Ich hab mich zwar in meinem Chaos zurechtgefunden, aber eben nur ich.“ „Du bist also so eine Art Koryphäe auf dem Gebiet?“ „Naja, ich hab schon eine Weile damit zu tun und so sammelt sich eben Einiges an Wissen an.“ „Hast du die ganzen Bücher in dem Büro?“ „Nein, wir haben oben eine Art Bibliothek eingebaut. Da sind sie sicherer. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, öfter mal wieder an Autos zu arbeiten. Solche Bücher offen hier stehen zu haben, ist dann wirklich nicht sinnvoll.“ Sie hatten den hinteren Teil des oberen Flures abgetrennt und zu einer geheimen Bibliothek umgebaut, die nur von Sams und Bobbys Schlafzimmer aus zu betreten war und die sie mit allen, ihnen bekannten Maßnahmen, gegen Eindringlinge jeder Art gesichert hatten. Er erhob sich und holte sich einen weiteren Kaffee. Sein Blick wanderte über die beleuchtete Terrasse. Ein leises Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Vor ein paar Tagen war er mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf eben diese Terrasse getreten. Dean hatte ihn nicht bemerkt gehabt. Er stand mit freiem Oberkörper in der Sonne und strich das Geländer. Plötzlich kam Gus angesegelt. „Ach hau ab du Nervensäge“, schimpfte Dean auf den Vogel, der sich immer wieder auf dem frisch gestrichenen Handlauf niederlassen wollte. Gus schlug ein paar Mal mit den Flügeln und landete dann etwas weiter von Dean entfernt. „Hau ab hier, oder ich rupf dich zum Abendessen!“, maulte der Winchester. Da hatte er nicht mehr an sich halten können und losgelacht. Dean drehte sich zu ihm um und blickte ihn böse an. Seine Augen funkelten jedoch verräterisch. „Wer hat diesen Hans Huckebein eigentlich aufgelesen?“, wollte Dean wissen. „Immer der der fragt, Dean, immer der der fragt.“ „Ich habe es geahnt“,stöhnte der theatralisch. „Kannst du diesen Unglücksraben nicht irgendwie beschäftigen bis die Farbe wenigstens halbwegs getrocknet ist?“ „Ich denke da fällt mir was ein.“ Er war in die Küche zurückgegangen und gleich darauf mit einem Bier wieder gekommen. „Hier mach mal ´ne Pause und ich bereite in der Zwischenzeit das Grillfleisch vor. Dann hängt er spätestens beim Grillen bei mir rum.“ Dean hatte die Flasche genommen und sich auf der Hollywoodschaukel nieder gelassen. Mit weit von sich gestreckten Beinen hatte er die Kühle des Bieres genossen. Sein Blick war unfokussiert zu dem Wald hinter seinem Haus gegangen. Wenig später war er mit mehreren Schüsseln beladen zum Grill gegangen. Er hatte den Vogel gerufen und ihn mit dem von ihm so geliebten Brei aus Obst und Fleisch gefüttert und Dean hatte genügend Ruhe zum Streichen. Gut, dass der Vogel so berechenbar war. Er lächelte in sich hinein und Jody schweig. Sie wollte die Erinnerungen nicht stören. Sam rutschte etwas weiter nach vorn und lehnte seinen Kopf gegen das Seitenfenster. Er wollte nicht schlafen. Dafür war die Fahrt nun wirklich zu kurz, aber er wusste auch nicht, was er sonst tun sollte, außer zu entspannen. Der Motor des Impala grollte beruhigend und aus den Boxen kam Metallica in einer angenehmen Lautstärke. Ausgiebig musterte er das Gesicht seines Bruders, das sich in der Frontscheibe widerspiegelt. Freute sich Dean über diesen Fall? Wollte er wieder jagen oder hatte er sich an das sesshafte Leben gewöhnt? Eigentlich fiel es ihm nie wirklich schwer seinen Bruder zu lesen, oder zumindest dessen Gedanken und seine Einstellung zu erahnen. Dafür waren sie viel zu lange zusammen unterwegs. Doch jetzt musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, was Dean wollte. Angestrengt versuchte er sich zu erinnern, ob Dean in diesem Sommer je vom Jagen geredet hatte. Woran er sich allerdings sehr gut erinnerte, waren Deans Schuldgefühle immer wenn Carol oder Pam angerufen und von Kyle erzählt hatten. Sie wollten immer wieder wissen, ob Dean sich an etwas erinnern würde, was ihnen vielleicht weiterhelfen konnte, doch sein Bruder hatte das Telefon immer schnell wieder an ihn zurückgegeben und sich dann für eine halbe Ewigkeit in sich selbst zurückgezogen und mit sich und der Welt gehadert. Selbst jetzt hatte sich Dean nicht zu seinen Plänen geäußert. „Was hältst du davon, wenn wir wirklich mal wieder auf ein Konzert gehen?“, fragte der ältere Winchester und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Ungläubig blickte er seinen Bruder jetzt direkt ins Gesicht. Der drehte die Musik leiser. „Wir waren schon ewig nicht mehr auf einem Konzert.“ „Warum nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. Er hatte diese Idee nicht wirklich ernst genommen, aber Dean wohl schon. Und wie er schon sagte: Warum nicht? Warum nicht mal wieder zurück zu etwas, das für sie normal war? Wenn sie diesen Bellows erledigt hatte, würde er nach einem Konzert suchen. „Wenn wir mit dem Fall fertig sind, willst du dann gleich weiterziehen, oder erst wieder zurück zu Bobby?“, fragte Sam so beiläufig wie möglich. Eine ganze Weile war nur das Grollen des Motors zu hören und Sam war sich schon sicher, dass er keine Antwort erhalten würde, obwohl Dean das Gespräch noch nicht durch einen Griff zum Lautstärkeregler abgewürgt hatte. „Das mit El Paso war nicht nur so dahingeredet. Ich wollte mich schon seit wir wieder zurück sind vergewissern, dass ich Amos und die Harrisons nicht in unsere Welt gerissen habe. Und dann ...“, ließ Dean alles Weitere offen. Auch Sam schwieg. Nur das Schnurren des Impala, die leisen Klänge aus dem Radio und das Klappern der Tasten des Laptops waren zu hören. ‚Es ist fast so, als wäre der Sommer nur ein Traum‘, überlegte Dean und fragte sich mal wieder, was er wirklich wollte. Was konnte er tun, wenn Sam wieder studierte? Wenn sie bei Bobby blieben, wäre das wohl keine Frage, aber wenn Sam auf eine andere Uni wollte, auf eine, bei der er bessere Chancen hatte? Soweit er wusste, gab es Unis mit wesentlich besserem Ruf als South Dakota. Wollte er Mechaniker sein, ein Leben lang unter Autos liegen und ölverschmiert nach Hause kommen? Er drehte die Lautstärke etwas höher und trommelte den Takt leise auf dem Lenkrad mit. Wenn sie nach El Paso wieder bei Bobby waren, würde er mit beiden über ihre Zukunft zu reden, nahm er sich fest vor. Sie mussten ja nicht gleich ganz mit dem Jagen aufhören, aber sie mussten auch nicht von einem Fall zum nächsten hetzen. Er stellte sich etwas zwischen dem letzten Sommer und dem Jahr davor vor. Jetzt allerdings war Jodys Sicherheit wichtiger und er richtete seine volle Aufmerksamkeit wieder auf den Fall. Schon bald passierten sie das Ortseingangsschild von Lennox. „Da vorne ist ein Motel“, sagte Sam und sein Bruder lenkte den Impala auf den Parkplatz. Sie brauchten nicht lange um einzuchecken. Das Zimmer war erstaunlich nichtssagend eingerichtet, außer vielleicht, dass man an den nicht vorhandenen Blümchen erkennen konnte, dass der Besitzer dieses Motel die wohl auch nicht im Überfluss mochte. Dean ließ sich auf das vordere Bett fallen. „Wann willst du los?“, fragte er und blickte zu Sam. Der schüttelte innerlich den Kopf. Wie schnell sie doch wieder in ihre alten Rollen gefallen waren. „Der Friedhof ist nicht weit. Nach Mitternacht denke ich.“ „Okay“, nickte Dean und ließ sich in die Waagerechte fallen. Schnell war er eingeschlafen. Neidisch blickte Sam auf seinen Bruder. Er konnte zwar auch fast überall schlafen, Dean jedoch übertraf ihn darin um Längen. Und er war fast noch schneller wieder wach und einsatzbereit, wenn es sein musste. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder und fuhr seinen Rechner hoch. Ein paar weitere Recherchen konnten nie von Nachteil sein, nicht das die Tante nicht doch noch eine Hexe war! Er hatte bis jetzt zwar nichts gefunden, aber besser war besser. Eine Hexe im Jahr reichte vollkommen. Kapitel 11: Ein Abschied ------------------------ 11) Ein Abschied Wieder einmal huschten die Lichtkegel von zwei Taschenlampen über Grabsteine. Dieses Mal mussten die beiden Jäger jedoch nicht lange suchen, bis sie das richtige Grab gefunden hatten. Und dieses Mal war eines der wenigen Male in denen Dean keine Lust hatte als Erster zu graben. Dieses Mal nahm er statt seiner üblichen Schere Papier. Überrascht zog Sam eine Augenbraue hoch. Was war das denn? Der ältere Winchester zuckte nur mit den Schultern, drückte ihm den Spaten in die Hand und lehnte sich an einen Baum, der ganz in der Nähe stand. Trotzdem wechselten sie sich natürlich beim Graben ab. Schon bald stieß Sam auf das Holz des Sarges. Er holte aus. Beim vierten Schlag brach der Deckel und er erweiterte das Loch soweit, dass der Körper vor ihnen lag. Kaum war er aus dem Loch geklettert, kippte Dean Salz und Benzin in den Sarg, zündete ein Streicholzbriefchen an und warf es auf den Toten. „Verreck du Aas! Aber diesmal endgültig!“, sagte er ohne große Emotionen in der Stimme. Die Flammen schlugen hoch. Im Licht des herunterbrennenden Feuers holte Dean sein Handy aus der Tasche. Er drückte zwei Tasten und hielt das kleine Gerät dann an sein Ohr. „Erledigt“, sagte er nur und klappte das Telefon wieder zu. „Lass uns zusehen, dass wir hier fertig werden.“ Dean nahm den Spaten und begann das Grab wieder zu füllen. „Sie haben die Leiche verbrannt“, erklärte Bobby und stand auf. Sofort stellt auch Jody ihre Tasse ab und trat neben ihn. „Was wird das?“, wollte er wissen. „Du hast gesagt, es ist vorbei!“ „Sie haben die Leiche verbrannt, ja. Aber das heißt nicht, dass es wirklich vorbei ist.“ „Was willst du damit sagen? Muss ich mich weiter vor diesem Typen fürchten?“ „Ich hoffe nicht! Wenn Bellows sich allerdings an etwas anderem festhält, dann ist es mit dem Verbrennen nicht getan. Dann müssen wir weiter suchen!“ „Woran kann sich so ein Geist denn noch festhalten?“, fragte sie ungläubig. „An allem, was ihm etwas bedeutet haben könnte.“ „Leichen verbrennen und dann vielleicht noch die ganze persönliche Habe suchen ohne zu wissen, ob es etwas bringt. Wer macht denn so einen Job?“ „Du wühlst doch auch im Leben der Menschen.“ „Auch wieder wahr. Aber ich muss keine Leichen verbrennen.“ Bobby nahm sich seine Jacke und ging zur Tür. Wieder folgte sie ihm. „Du solltest hier bleiben.“ „Nein! Niemand sagt mir was ich tun soll. Es ist mein Haus und ich werde mitkommen!“ „Jody, er könnte dich umbringen!“ „Dann passt du auf mich auf. Oder noch besser: Gib mir auch eine Waffe und ich verteidige mich selbst.“ Bobby schüttelte den Kopf. Auf der einen Seite bewunderte er sie für ihre Courage, auf der anderen Seite wusste sie nicht, womit sie sich hier anlegte. Das war keiner ihrer üblichen Verdächtigen. Doch er sah auch, dass er sie nicht aufhalten konnte. Mit einem tiefen Atemzug nickte er. „Aber du tust was ich sage und wann ich es sage. Und keine Alleingänge, bevor wir nicht wissen, das er wirklich weg ist.“ Er grinste schief. „Was?“ „Das wollte ich schon immer mal zu einem Cop sagen“, lachte Bobby, wurde aber sofort wieder ernst. „Also?“, hakte er nach. „Ich mache was du sagst.“ „Dann los.“ Vorsichtig näherten sie sich dem Haus. Jodys Herz schlug ihr bis zum Hals. Hier hatte sie gelebt, gelacht, geliebt und geweint. Hier hatte sie ihren Sohn ins Bett gebracht und mit ihm gespielt. Hier war das Zuhause ihrer Familie. Hier hatte sie sich wohl gefühlt und hier war das Schlimmste passiert, was sie sich je hatte vorstellen können. Ein Mörder war in ihr Heim eingedrungen, hatte ihr den Mann genommen und ohne Deans unerwartete Hilfe wäre auch sie nicht mehr am Leben. Jetzt konnte sie nur noch Abschied von ihrem Mann nehmen und dann Bobby die Erlaubnis geben, ihr Zuhause für immer zu zerstören, damit sie leben konnte! Das war doch verrückt! Wie konnte sie leben, wenn ihr Leben so vollkommen auf den Kopf gestellt und ihre Vergangenheit ausgelöscht wurde? Wo war ihre Zukunft? Was würde danach mit ihr passieren und wie sollte es überhaupt weitergehen? Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Noch nie war sie so dem Wohlwollen und der Meinung anderer ausgesetzt. Halt suchend griff sie nach Bobbys Arm. „Alles okay bei dir?“, wollte der sofort besorgt wissen. „Ich …“, versuchte sie sich zu erklären, doch ihr fehlten die Worte. „Willst du doch lieber nicht mitkommen oder sollen wir noch warten? Ich meine ich kann verstehen, wenn du noch Zeit brauchst, auch wenn wir das so schnell wie möglich durchziehen sollten.“ „Nein, ich … es geht schon wieder. Mir war nur etwas schwindelig“, wiegelte sie ab und ging mit energischen Schritten auf das Haus zu. „Wie lange brauchst du?“, wollte der Jäger wissen, nachdem sie ihm die Küche gezeigt und er einen Blick in das Schlafzimmer geworfen hatte. Fragend schaute sie ihn an. Wofür Zeit? „Du willst dich bestimmt verabschieden, oder?“ „Ja, ich … ich wollte noch einige Sachen packen.“ „Nimm auch Fotos mit und die wichtigen Unterlagen.“ „Die wichtigen Papiere liegen bei der Bank. Aber Fotos sind eine gute Idee. Danke.“ Bis jetzt hatte sie sich ihre Fassung noch bewahren können, doch als sie langsam das Schlafzimmer betrat und auf die übel zugerichtete Leiche ihres Mannes zuging, brachen die Dämme. Haltlos liefen die Tränen über ihre Wangen. Ihre Schultern bebten. Hilflos schlug sie ihre Hände vors Gesicht. Ihre Knie geben nach und sie sank neben ihrem Mann auf den Boden. Ihre ganze Welt war zusammengebrochen. Bobby warf noch einen besorgten Blick auf die Frau, die ihn im Moment so gar nicht an den sonst so taffen Sheriff erinnerte, der ihn schon ein paar Mal verhaftet hatte. Wie gerne würde er ihr helfen, doch das war nichts, was er ihr abnehmen konnte. Durch dieses Tal musste sie selbst gehen. Er konnte ihr höchstens eine Hand als Stütze reichen, aber sie musste zugreifen. Der Jäger wartete noch, ob sie sich noch einmal äußern würde, dann ging er in die Küche. Der Geist war bis jetzt noch nicht wieder erschienen, also sollten die Knochen wohl das gewesen sein, was ihn hier und jetzt gehalten hatte. Wenigstens darum mussten sie sich also keine Gedanken mehr machen. Schnell rief er Dean an und gab Entwarnung. „Danke Bobby“, grummelte der ältere Winchester müde. „ Mit uns brauchst du die nächsten Tage nicht rechnen. Wir fahren gleich weiter nach El Paso. Du hast also freie Bahn bei ihr.“ Das Grinsen, das Deans Gesicht bei diesen Worten zierte, konnte Bobby nur zu gut hören. „Ich komm dir gleich hin!“, schimpfte er. „So schnell bist du nicht. Außerdem wartet eine Frau auf dich, alter Schwerenöter.“ Er grummelte sich etwas in den Bart, das selbst er wohl kaum verstanden hatte, legte das Telefon weg und begann den Gasanschluss des Herdes zu manipulieren. Zwei Stunden später waren sie wieder auf dem Weg zum singerschen Schrottplatz. Sie wollten das Wenige sicher verstauen, bevor sie zu ihrem Haus zurück fahren und die Umwälzung ihres Lebens offiziell beginnen würden. Viel zu schnell bogen sie auf den Schrottplatz ein. Während der ganzen Fahrt hatte Jody hin und her überlegt. Immer wieder hatte sie Deans Idee verworfen und schon Luft geholt, um Bobby zum Wenden zu bewegen. Bobby war ein netter Kerl und auch die Brüder, die scheinbar in dem Haus ein und aus gingen, als wären sie Singers Kinder, würde sie ohne weiteres ins Herz schließen können. Aber sie hatte doch eine Familie. Sie hatte einen Sohn und einen Mann, die beide jetzt tot waren! Und immer hatte sie ohne ein Wort wieder ausgeatmet. Sie wollte ihren Mann neben ihrem Sohn beerdigen und sie wollte ihr Leben nicht im Knast verbringen müssen. Aber dafür musste sie diese Scharade mitmachen. Wie viele Menschen waren wohl vor ihr schon zu solchen Lügen gezwungen gewesen und wie viele würde es noch treffen? „Jody?“, durchdrang Bobbys Stimme plötzlich ihre wirren Gedanken. Sie drehte ihm ihren Kopf langsam zu und blickte ihn fragend an. „Wir sind da. Steigst du mit aus?“ Er hatte die Verwirrung in ihren Augen gesehen und er konnte sich denken, womit sie kämpfte. „Ich … Wie halten die Anderen das aus?“, fragte sie zusammenhanglos. „Keine Ahnung. Wir machen den Job und verschwinden wieder. Niemand hat uns gerne um sich, wenn das Übernatürliche erst einmal vernichtet ist.“ Er wusste trotzdem wovon sie sprach. „Aber ihr habt ihnen das Leben gerettet!“ „Trotzdem würde uns niemand zu einer Party einladen! „Hey, das sind Monsterjäger. Die haben letztens einen Poltergeist bei mir verjagt.“ Wie klingt das denn? Keiner will sich zum Gespött der Leute machen. Außerdem leben die meisten Jäger auf der Straße. Sie haben weder eine feste Adresse noch ein festes Einkommen.“ „Und wie haltet ihr das aus? Ich meine ihr lebt mit solchen Phänomenen. Wie schafft ihr das?“, brach es aus ihr heraus. „Komm mit rein. Das sollten wir wirklich nicht hier und nicht jetzt diskutieren. Ich habe dir ja schon gesagt, dass du nicht mal einen Bruchteil von unserem Leben gesehen hast. Aber jetzt ist wirklich nicht die Zeit um darüber zu reden. Später, wenn du alles überstanden hast und dein Leben wieder in geregelten Bahnen läuft, können wir gerne darüber reden, wenn es dich dann noch interessiert. Heute sollten wir erst einmal zusehen, dass wir dein Leben wieder in diese Bahnen gelenkt bekommen.“ Zögerlich nickte sie blieb aber noch immer sitzen. „Oder willst du alles rückgängig machen?“ Er konnte sie nur zu gut verstehen. Sie war vollkommen durcheinander. Ihre Welt hatte plötzlich jegliche Grenzen verloren. Doch wenn sie jetzt nicht schnellstens handelte, wäre sie verloren. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gestand sie leise. „Komm erst mal mit rein. Wir verstauen deine Sachen und dann setzen wir uns hin und ich erkläre dir noch einmal wie alles laufen soll.“ „Du musst mir nichts erklären. Rein von den Fakten habe ich alles verstanden und finde es auch richtig. Nur meine Intuition, mein Gespür und der Sheriff in mir können sich damit nicht abfinden. Sie sind sich sicher, dass es da noch einen andere Weg geben muss!“ „Es gibt keinen anderen Weg. Außer, du erzählst jedem die Wahrheit und lässt dich einweisen.“ Er holte ihre Tasche aus dem Kofferraum und ging ins Haus. Die Tür ließ er angelehnt. Bobby hatte sich das zweite Glas Whiskey eingegossen, als sie ins Wohnzimmer trat. Er konnte sehen, dass sie wieder geweint hatte. Sie tat ihm leid. Sie sah schon jetzt vollkommen fertig aus und doch hatte sie das Schwerste noch vor sich. Irgendwie war er froh, dass Caren, oder besser der Dämon in ihr, ihn so schnell angegriffen hatte, dass er nur reagieren und nicht auch noch über sein Tun nachdenken konnte. Dafür war er, auch wenn das jetzt selbst für ihn vollkommen falsch klang, dankbar und er war auch dankbar, dass er später die Jungs kennen lernen durfte. Mit Caren hätte er sich die Freude Vater zu werden verwehrt, aus Angst, so zu werden wie sein Vater. Und wenn seine Frau noch leben würde, wäre John nie mit zwei kleinen Jungs, einer davon noch fast ein Baby, zu ihm gekommen. Er hätte diese beiden wundervollen Menschen nie aufwachsen und sie ein Stück ihres Lebens begleiten können. Trotzdem schmerzte ihr Tod ihn noch immer. „Kann ich auch einen haben?“, fragte sie und deutete auf die Flasche. Sofort stand der Jäger auf und holte ein weiteres Glas. Während er den Flaschenverschluss aufdrehte, musterte er sie aufmerksam. Ja, sie hatte geweint. Die Spuren der Tränen standen ihr noch deutlich im Gesicht, auch wenn sie versucht hatte, diese Spuren zu verwischen. Er wandte den Blick wieder dem Glas zu, in das er die goldgelbe Flüssigkeit fließen ließ. Wortlos schob er ihr das Glas hin. Sie leerte es in einem Zug. Erst danach ließ sie sich auf einen Sessel fallen. „Wird es je leichter?“, wollte sie unsicher wissen. „Nicht wirklich.“ „Und wie lebt ihr damit?“ „Wir sehen das Böse, das wir vernichten und das es danach keine Opfer mehr geben wird. Und wir reden uns immer wieder ein, dass wir nicht alle retten können.“ „Hilft das?“ „Es dämpft am Anfang die größten Schuldgefühle und wenn man es sich lange genug einredet, dann hilft es den meisten.“ „Den Meisten?“, krampfhaft hielt sie sich an diesem Gespräch fest, musste sie sich doch so nicht mit ihrem Dilemma befassen. „Und du und Dean und Sam?“ „Sam ist da ziemlich rational. Er weiß, dass wir nicht alle retten können. Es gefällt ihm nicht, aber da er das nicht ändern kann, tut er alles, um so viele wie möglich zu retten. Dean? Der sieht in jedem Toten ein persönliches Versagen. Egal wie oft wir ihm sagen, dass es nicht so ist. Es ist auch egal, dass er es weiß. Er sieht jedes Opfer als seine Schuld an.“ „Und du?“ „Ich denke ich stehe da mehr auf Sams Seite.“ Jody nickte nur und rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her. „Du willst es nicht tun“, stellte Bobby ruhig fest. „Nein, natürlich nicht! Owen ist mein Mann. Ich liebe ihn. Ja, wir hatten unsere Differenzen, vor allem seit Seans Tod, aber trotzdem kann ich ihn doch nicht einfach so …“ „Es geht hier nicht um deinen Mann!“, fuhr er ihr laut dazwischen. „Es geht hier einzig und allein um dein Leben. Dein Mann ist schon seit zwei Tagen tot. Ermordet von einem wütenden Geist, der mit dir dasselbe vorhatte. Wenn du den Rest deines Leben im Gefängnis oder in der Psychiatrie verbringen willst? Bitte. Dann blasen wir das Ganze ab. Aber ich denke, du bist ein guter Mensch und noch dazu ein verdammt guter Cop. Du hast weder das eine noch das andere verdient!“ Sie starrte ihn mit großen Augen an. Wie konnte er es wagen an ihr und ihrer Ehe zu zweifeln? Aber dann drangen seine Worte in ihr Bewusstsein und sie blickte ihn schuldbewusst an. Er wollte ihr nur helfen. Er hatte nicht mal an ihrer Ehe gezweifelt. Er hatte ihr nur gesagt, wie es aussah. Traurig ließ sie den Kopf hängen. Kapitel 12: Das Ende oder ein Anfang? ------------------------------------- 12) Das Ende oder ein Anfang? Warum musste ihr das alles passieren? Immer wieder kreiste dieser eine Gedanke durch Jodys Kopf. „Das hat nichts mit Dir zu tun“, erriet Bobby ihre Gedanken. „Bellows hat Furchtbares getan und dafür hat er seine gerechte Strafe bekommen. Er ist, aus welchem Grund auch immer, noch nicht zur Hölle gefahren. Er ist gestorben und davor hat er sich so in seine Wut hineingesteigert, dass es ihm gelungen ist sich von seinem Körper zu lösen UND hierher zu kommen. Er hat die furchtbaren Taten begangen und niemand hat ihn gezwungen. Er wollte das so und er war das Arschloch! Nicht du und nicht die Frauen, die er geschändet hat. Und doch ist es ihm gelungen dein Leben zu zerstören. Willst du ihn so gewinnen lassen?“ „Nein“, sagte sie leise. Nein. Sie wollte ihn nicht so gewinnen lassen. Aber sie wollte auch ihren Mann nicht so verraten. Doch ihr blieb nichts anderes übrig. „Du wirst ihn nicht verraten.“ Ihre Emotionen standen ich deutlich ins Gesicht geschrieben und er hatte das Gefühl in sein Spiegelbild zu schauen. Wie oft hatte er genau mit diesen Gedanken zu kämpfen gehabt. Und auch heute kamen sie manchmal noch hoch. „Woher …?“ „Caren“ „Oh!“ Schweigend leerten sie ein weiteres Glas. Mit einem leisen Klock stellte Bobby seines dann auf der Tischplatte ab. „Und?“ „Was und?“, fragte sie leise, ohne ihren Blick zu heben. „Sollen wir das Ganze abblasen?“ „Nein. Ich will leben. Ich will diesem Arschloch nicht die Genugtuung geben noch ein Leben zerstört zu haben und ich will in keiner Zelle landen.“ „Gut, dann los.“ Jody nickte kurz, starrte aber weiterhin auf ihr Glas. Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper und sie erhob sich. „Lass es uns hinter uns bringen, bevor ich es mir noch einmal überlege.“ Bobby nickte. Er nahm seine Jacke vom Haken und ging zu seinem Wagen. Noch einmal fuhren sie in dieser Nacht die Strecke zu ihrem Haus. „Wir sollten uns dann wohl jetzt wie ein Liebespaar benehmen“, sagte sie leise, kaum dass er am Straßenrand parkte und die Zündung ausgeschaltet hatte. „Das sollten wir wohl.“ Beide starrten unsicher auf ihre Hände. „Halte dich links. Da müsstest du vor den herumfliegenden Splittern halbwegs sicher sein“, sagte er etwas heiser und drehte seinen Kopf zu ihr. Nach Caren war er nie wieder mit einer Frau zusammen gewesen, aus Angst, dass auch ihr so etwas passieren könnte und weil er sehr lange um sie getrauert hatte. Jetzt fühlte er sich in Jodys Nähe einfach nur unsicher. Was sollte er tun? Zögerlich hob er seine Hand und legte sie an ihre Wange. Auch sie hob ihre Hand, legte sie auf Bobbys und schmiegte sich kurz in die Berührung. „Danke“ abrupt löste sie sich von ihm, drehte sich zur Tür und stieg aus. Sie straffte sich und ging dann mit festen Schritten auf ihr Haus zu, schob den Schlüssel in das Schloss. Kurz erstarrte sie. Noch einmal atmete sie durch. Energisch drehte sie den Schlüssel und öffnete die Tür. Für Sekunden passierte nichts. Jody schaute noch einmal zur Straße und machte dann den ersten Schritt in ihr Zuhause. Ein ohrenbetäubender Knall kam aus der Küche. Das ganze Haus schien Luft zu holen. Eine Feuersäule schoss durch den Flur ins Wohnzimmer und überall regnete es Trümmerteile. Etwas traf sie an der Seite und am Arm. Das Feuer jaulte durch das Erdgeschoss. Bobby hatte, kaum dass sie die Beifahrertür hinter sich geschlossen hatte, den Zündschlüssel herumgedreht. Der Motor war angesprungen und er lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Immerhin wusste er ja nichts davon, dass ihr Haus gleich explodieren sollte. Er wusste es aber doch! Er zwang seine Gedanken regelrecht auf die Straße, denn sonst wäre er ihr hinterher gerannt und hätte sie davon abgehalten in das Haus zu gehen. Er wollte nicht, dass sie verletzt wurde. Doch das würde alles verraten. Und dann sah er im Rückspiegel einen grellen Flammenball aus den Fenstern schießen. Gleich danach grollte der Explosionsdonner durch die Siedlung. Er stoppte seinen Wagen wieder, sprang heraus und wählte noch im Laufen die Nummer des Notrufes. Er hetzte durch den Vorgarten, schoss die wenigen Stufen hoch. Hektisch schaute er sich um. Überall züngelten Flammen. „Jody“, schrie er in das Knistern und Knacken des Feuers. Suchend wandte er sich nach rechts. Nichts! „Jody!“, brüllte er erneut und bahnte sich jetzt den Weg zum ehemaligen Wohnzimmer. Es lag der Küchentür genau gegenüber. Hier war das Feuer zuerst hinein geschossen. Bobby fand sie in den Trümmern der Tür liegend. Er hatte gehofft, dass sie nicht so weit hinein gelangen würde. Hastig schob er die Bretter des Türblattes beiseite, zog er sie an sich und trug sie nach draußen. So vorsichtig wie möglich legte er sie auf den sicheren Rasen und begann sie zu untersuchen. In der Ferne hörte er die Sirenen, die beständig näher kamen. Überall in ihrer Kleidung war das Glas der Scheibe der Tür. Ihre gesamte Vorderseite war mit Schnitten regelrecht übersät. Blut durchtränkte ihre Bluse. Bobby wagte fast nicht diese beiseite zu ziehen, um nachzusehen, denn dabei würde er ihr weitere Schmerzen breiten. Doch er musste Gewissheit haben. Musste er sie zu Ralf Jamesson schaffen, um die alten Schnitte vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen? Wie weit war ihr Plan aufgegangen? Schon fast zärtlich zog er ihre Bluse beiseite. Sie musste sich noch von der Explosion weggedreht haben, war aber von deren Wucht in die Glasscheibe der Wohnzimmertür geschleudert worden. Dieser Teil ihres Planes hatte fast zu gut geklappt. Die alten Wunden, die Bellows ihr zugefügt hatte war durch die neuen Wunden kaum noch zu erkennen. „Sir, bitte gehen Sie zur Seite“, hörte der Jäger plötzlich eine Stimme neben sich und er wurde von der Hand, die sich jetzt auf seine Schulter legte nach hinten gezogen. Erstaunt blickte er sich um. Wo kamen die ganzen Feuerwehrleute her? Klar er hatte sie angerufen, aber er hatte nicht mitbekommen, dass sie am Haus eingetroffen waren. Tatenlos musste er mit ansehen wie sie Jody untersuchten, ihr jede Menge Verbände anlegten und sie dann auf eine Trage legten. Er fühlte sich so hilflos. „Wohin bringen Sie sie?“, wollte er von einem Sanitäter wissen. „Sie können uns folgen“, sagte der Mann, stieg hinten ein und schloss die Türen. Im Krankenhaus angekommen wurde Bobby auf einen der unbequemen Stühle komplimentiert. Schnell schrieb er eine SMS an Sam und Rave und stellte sich dann auf ein längeres, unbequemes Warten ein. Wie üblich erwachte Sam als Erster. Er warf einen Blick auf sein Handy und lächelte zufrieden. Das hatte ja mal geklappt, Jody konnte ihren Beruf weiterhin ausüben und Bobby hatte vielleicht endlich wieder jemanden, der sich hin und wieder nach ihm erkundigte. Jemanden, der weder ein Jäger war, noch zur Familie Winchester gehörte. In aller Ruhe ging er duschen und machte sich dann auf ihr Frühstück zu besorgen. Schnell war Sam wieder zurück. Er legte die Tüten auf den Tisch und begann Kaffee zu kochen. In aller Ruhe deckte er den Tisch. Die Maschine gurgelte den letzten Tropfen des schwarzen Heißgetränkes in die Kanne. Er holte sich Milch, kippte sie großzügig in die Tasse und füllte das Ganze mit Kaffee auf. Das feine Aroma verbreitete sich langsam im Raum. Sam machte es sich auf einem Stuhl gemütlich und heftete seinen Blick auf die schlafende Gestalt seines Bruders. Viel zu lange hatte er auf das wundervolle Schauspiel eines langsam erwachenden Deans verzichten müssen. Jetzt wollte er es endlich wieder einmal ganz in Ruhe genießen. Langsam wurde der ältere Winchester unruhig. Die Decke rutschte etwas tiefer und Dean drehte sich auf den Rücken. Schnuppernd weiteten sich seine Nasenflügel. Mit noch immer geschlossenen Augen setzte er sich auf, streckte sich kurz und rieb sich die Augen. Nicht dass das etwas brachte. Deans Augen waren noch immer fast geschlossen, als er zum Tisch tapste und sich auf den zweiten freien Stuhl fallen ließ. Sam schob ihm eine Tasse Kaffee in die suchenden Hände und während der einfach abwartete, dass sich Deans Lider langsam öffneten und er bereit sein würde, den Tag zu beginnen, fragte er sich, wie es sein Bruder immer wieder schaffte, sich blind in den Zimmern zu orientieren. Gut, die waren meistens ähnlich eingerichtet. Trotzdem gab es in jedem Raum genügend Ecken, an denen er sich Zehen oder Schienbeine stoßen konnte und wie er es schaffte, auf die Sekunde wach zu sein, wenn es nötig war. Die Tasse leerte sich in dem selben Maße, wie sich Deans Augen öffnete. Sam grinste breit. Er liebte dieses Schauspiel. Er stand auf, holte die Kanne und füllte Deans Tasse nach. Die Kanne brachte er zurück auf die Wärmeplatte und bei dieser Gelegenheit auch gleich die Tüten mit ihrem Frühstück zum Tisch. Eine der Tüten schob er seinem Bruder vor die Nase. „Hier, damit du mir nicht vom Fleisch fällst“, grinste er. Der ältere Winchester schaute kurz auf, blickte dann in die Tüte und begann fast schon mechanisch zu essen. Er war also immer noch nicht wach, stellte Sam in Gedanken fest. Nach der zweiten Tasse und dem ersten Bagel wurde Deans Blick klarer. „Bobby hat sich gemeldet. Alles erledigt“, sagte der Jüngere ruhig. „Wie geht es ihm und wie geht es Jody?“, fragte Dean sofort. „Keine Ahnung. Er hat gegen drei nur eine SMS geschrieben. Ich wollte ihn später mal anrufen.“ „Okay. Und was machen wir jetzt?“ „Du wolltest nach El Paso.“ „Yap.“ „Dann lass uns fahren, Zeit genug haben wir ja.“ Dean nickte und verfiel dann wieder in Schweigen. Noch einmal schaute sich der ältere Winchester im Zimmer um, ob sie nichts vergessen hatten. Eigentlich war das unmöglich, aber ihm war dieses Verhalten so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er nicht anders konnte. Er schloss die Tür und drehte sich zu seinem Baby um. Sam stand an die Tür gelehnt und telefonierte. „Danke, dir auch, grüß Jody und gute Besserung“, hörte Dean ihn noch sagen und dann stopfte der das Handy in die Tasche und faltete sich auf dem Beifahrersitz zusammen. „Jody wurde bei der Explosion ziemlich schwer verletzt, hat die Operation aber gut überstanden“, informierte er seinen Bruder. „Das klingt ganz gut“, sagte Dean und nahm sich vor heute Abend mit Bobby zu reden. Er wollte selbst hören, wie es ihr ging. Ruhig glitt der nachtschwarze Impala über die Straßen. Es passierte selten genug, dass niemand ihre Hilfe brauchte und sie eine Fahrt nur zu ihrem Vergnügen machten, dementsprechend genossen sie die. Sam hatte seinen Kopf an die Seitenscheibe gelehnt und blickte auf die vorbeiziehende Landschaft. Der Motor brummte gleichmäßig entspannend und im Radio lief Rockmusik. Allerdings so leise, dass er sich anstrengen musste, um zu hören wer da sang. Doch Dean schien damit kein Problem zu haben. Er trommelte den Rhythmus auf dem Lenkrad mit. Er wusste, dass er jetzt eigentlich in Internet recherchieren müsste, oder wenigstens nach einem Konzert suchen, doch in Moment wollte er einfach die Landschaft genießen, wer wusste schon, wann ihnen der nächste Fall über die Füße laufen würde. Noch waren sie offiziell Jäger, oder? Kapitel 13: Eine abrupte Unterbrechung -------------------------------------- @ Vanilein - Vielen Dank für Deinen Kommi. Freue mich immer wie ein Schneekönig, wenn ich ein Feetback bekomme. Danke! 013) Eine abrupte Unterbrechung Sam lehnte sich zurück und genoss die Natur, die an ihnen vorbei flog. Die Sonne schien durchs Fenster und wärmte einen Teil seines Bauches und sein linkes Bein. Dean hatte das Radio auf eine angenehme Lautstärke eingestellt und spulte Meile um Meile routiniert ab. Es gab nichts, was diese schon fast greifbare Idylle störte. Okay, er würde Bobby samt Haus und Schrottplatz vermissen, war das doch inzwischen mehr Zuhause als er je hatte. Sein erster fester Wohnsitz, wenn man so wollte, denn die kleine Studentenwohnung, die er sich mit Jess geteilt hatte, wollte er nicht als Zuhause bezeichnen, auch wenn er damals gehofft hatte, dass es das werden würde, immerhin waren sie erst ein paar Wochen vor ihrem Tod eingezogen. Die Zeit war einfach zu kurz um es dazu werden zu lassen. Aber wenn er ganz ehrlich zu sich war, dann genoss er das hier noch mehr als bei Bobby zu sein. Hier gab es nur Dean und ihn. Niemand rief an, um eine Auskunft über irgendwelche Monster zu bekommen. So gerne er auch recherchierte, es nur noch zu tun, wäre auf Dauer nichts für ihn. Außerdem war es schön sich wieder mehr bewegen zu können, denn bei Bobby hatte er doch mehr das Haus gehütet und für andere Jäger recherchiert. Was sollte er auch auf dem Schrottplatz helfen. An Autos schrauben lag ihm einfach nicht! Okay, hier saß er auch nur auf dem Beifahrersitz, aber spätestens in El Paso würden sie wieder zu Fuß unterwegs sein. Und vielleicht gab es ja in einem der Motels auch einen Fitnessraum. Da fiel ihm ein, dass er den bei Bobby so gut wie gar nicht genutzt hatte. Sowas Blödes aber auch. Sauer schüttelte er den Kopf. „Woran denkst du?“, fragte Dean sofort. „Du sollst auf die Straße gucken“, grummelte Sam gutmütig. „Tue ich doch!“ „Und wieso …“ „Ich hab trotzdem immer ein Auge auf dich!“ „Das wird deinen Verehrerinnen aber überhaupt nicht schmecken. Außerdem bin ich dein Bruder!“, grinste Sam jetzt breit. „Du weißt genau wie ich das meine!“, maulte Dean. „Dass du mich liebst!“ Dean schaute jetzt direkt zu seinem Bruder. Sein Blick war ernst und selbst Sam konnte die Antwort darin lesen. Ja Dean liebte ihn, wie er wohl nur wenige Menschen in seinem Leben je geliebt hatte. Er erwiderte den Blick seines Bruders mit der gleichen Ernsthaftigkeit und nickte kurz. Schlagartig legte sich ein breites Grinsen auf Deans Gesicht. Er wackelte aufreizend mit den Augenbrauen. „Du bist so ein Idiot“, schimpfte Sam lachend. „Mistkerl“, konterte der Ältere pflichtschuldig. Sam schüttelte den Kopf. Wie schnell es sein Bruder doch schaffte, aus einer ernsten Angelegenheit wieder etwas Lustiges zu machen. „Weißt du schon in welches Konzert wir wollen?“ „Nein noch nicht, danach werd ich heute Abend mal suchen“, erwiderte Sam und holte seinen Laptop aus seinem Rucksack von der Rückbank. Er klappte ihn auf und schon flogen seine Finger über die Tasten. „Was machst du?“, wollte Dean nach einer Weile wissen und warf einen Blick auf den Bildschirm. Das sah nach einer Datei aus. „Ich dachte mir, wir könnten für unsere Fälle auch eine Art Datenbank anlegen. Die spiele ich dann bei Bobby auf dessen Rechner, oder drucke sie aus. Vielleicht kann das ja mal einem anderen Jäger helfen.“ „Du solltest Archivar werden und nicht Anwalt!“ „Dean! Ich denke es ist wichtig, dass wir unsere Erfahrungen aufschreiben. Wir haben Vieles aus Dads Tagebuch lernen können, aber wir haben auch viele Fehler gemacht, die wir vielleicht vermieden hätten, wenn wir auch von anderen Jägern hätten lernen können.“ Dean überlegte kurz. „Dann solltest du sie aber auch ins Internet stellen. Vielleicht sogar eine eigene Seite aufmachen und andere Jäger ermutigen, dass sie ihre Fälle auch da mit reinschreiben, oder sie dir schicken, damit du sie aufnehmen kannst. Und du müsstest die Seite, oder zumindest bestimmte Bereiche schützen, nicht dass noch irgendwelche Spinner damit Dämonen rufen oder Monster erschaffen.“ Erstaunt schaute Sam seinen Bruder an. Er hatte zwar auch schon an etwas in der Art gedacht, so detailliert war er dabei allerdings noch nie geworden. „Du bist gut!“, stellte er ehrlich fest. „Naja“ „Nein, Dean. Nimm das Kompliment an! Du bist es, ohne Wenn und Aber.“ Wieder blickte Sam aus dem Fenster und überlegte sich, wie er anfangen sollte und wie er diese Seite gestalten konnte. Seine Gedanken liefen in alle möglichen Richtungen. Er schloss die Augen und rief sich zur Ordnung. So würde das nie was werden! Zuerst würde er ihre Fälle aufschreiben und dann konnte er über die Internetseite nachdenken! Kurz sammelte er seine Gedanken, rief ein neues Dokument auf und begann zu tippen. Immer wieder blickte Dean kurz zu seinem kleinen Bruder, der vollkommen in seiner Arbeit versunken war und jedes Mal huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er drehte das Radio noch etwas leiser und wandte sich wieder der Straße zu. In Gedanken versuchte er zu erkunden, ob oder was ihm an ihrem bisherigen Leben so gefiel, oder ob ihn das ruhige Leben bei Bobby und ohne weitere Monsterjagden mehr reizen würde. Er kam zu keinem Ergebnis. Aber vielleicht musste er das ja auch nicht. Warum konnte er nicht beides haben? Sie könnten sich bei Bobby zur Ruhe setzen und nach einer eigenen Wohnung und einem eigenen Leben suchen. Sam könnte wieder studieren und er das Geld mit dem Renovieren von alten Wagen verdienen. Dean nahm sich vor in El Paso mit Sam zu reden. Mal sehen, wie sein kleiner Bruder das aufnehmen würde. Sie mussten ja nicht komplett mit jagen aufhören. Hin und wieder könnten sie noch ein Monster erledigen und sich vielleicht ganz langsam aus dem Geschäft zurückziehen. Sie mussten nicht einsam auf der Straße enden. Mit sich und der Welt zufrieden konzentrierte er sich jetzt vollkommen auf das Fahren. Das Radio spielte „Its a wonderful world“ von Sam Cooke. Leise pfiff er den Titel mit. Immer weiter trug sie der Impala satt grollend nach Süden. Aus dem Radio kam leise Rockmusik. Sam erwachte langsam und streckte sich träge. Er hatte an der Datenbank gearbeitet, aber irgendwann hatte er den Rechner einfach wieder auf die Rückbank gelegt und die Fahrt genossen, bis er eingeschlafen war. „Na, auch endlich ausgeschlafen“, fragte Dean ruhig. Ein Lachen schwang in seiner Stimme mit. Sam öffnete die Augen, setzte sich auf und blickte zu Dean hinüber. „Wo sind wir?“ Er hatte doch „Nicht weit von Rocky Ford. Ich dachte wir übernachten hier, aber wenn du schon ausgeschlafen bist …“, stichelte der Ältere gutmütig und fügte ein: „Sag du noch einmal, ich wäre verschlafen!“, an. „Weiß auch nicht“, nuschelte Sam. „Irgendwie war das einschläfernd.“ „Ich bin also einschläfernd. Na danke!“ „Du weißt genau, wie ich das meine. Sonst recherchiere ich, aber jetzt fahren wir einfach nur zum Vergnügen von einem Ort zum anderen. Das ist …“ „… einschläfernd“, beendete Dean den Satz. „… ungewohnt!“, sagte Sam. „Das heißt also, du willst wieder jagen?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht …“ Ein Mädchen sprang plötzlich aus der Dunkelheit des Straßenrandes vor den Impala. Dean rammte das Bremspedal mit aller Macht gegen das Bodenblech. Seine Hände umkrampften das Lenkrad als er versuchte, den Wagen auf der Straße zu halten. Auch Sam stemmte seine Füße in das Bodenblech und versuchte sich am Türgriff festzuhalten. „Verdammt“, presste der Ältere zwischen den Zähnen hervor, als der Impala zum Stehen gekommen war. Hastig riss er die Tür auf und stieg aus. „Bist du lebensmüde!“, fuhr er die Kleine an. „Ich … Mein Freund! Der Totengräber will ihn ermorden!“, schrie sie panisch, packte Dean am Ärmel und wollte ihn hinter sich her ziehen. „Dein Freund wird was?“, fragte der ältere Winchester ruhig und hielt sie fest. „Der Totengräber ist mit der Axt hinter ihm her! Bitte! Sie müssen ihm helfen!“ Dean wechselte einen Blick mit seinem Bruder bevor er nickte: „Okay, wo?“ „Da hinten in dem Haus!“ Sam hatte inzwischen ihre Waffen aus dem Kofferraum geholt und reichte Dean eine Schrotflinte und eine Packung Ersatzpatronen. Das Mädchen erstarrte kurz, als sie die Waffen sah, nickte dann aber. „Zeig uns den Weg“, bat Dean ruhig. Die Kleine trat die ganze Zeit schon von einem Bein auf das andere. Sie atmete erleichtert auf und rannte einen schmalen Weg entlang, den die Brüder erst jetzt zwischen den Sträuchern am Straßenrand überhaupt wahrnahmen. Sie schalteten ihre Taschenlampen ein und folgte ihr zu einem Haus, das früher einmal recht ansehnlich gewesen sein musste. „Er ist da drin. Im Obergeschoss, glaube ich“, flüsterte sie und wischte sich die Nase an ihrer Jacke ab. „Zumindest war er da, als der Totengräber erschien. Ich weiß nicht was passiert ist und wieso es Cameron traf. Wir waren so viele“, stammelte sie und konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten. „Die anderen sind einfach weggerannt.“ „Du bleibst hier, egal was geschieht!“, wies der ältere Winchester sie an und schob sie hinter einen Baum. Er nickte seinem Bruder zu und gemeinsam begannen sie langsam auf das Haus zuzugehen. Wortlos übernahm er die Führung. Jede Stufe prüfte er vorsichtig, bevor er sein Gewicht darauf verlagerte und so die Treppe zur Veranda hinaufstieg. Oben drückte er sich neben der Tür an die Wand. Ein kurzer Blick zu Sam und der folgte genauso lautlos. Gemeinsam durchsuchten sie im Erdgeschoss Zimmer für Zimmer. Dieses uralte Haus war fast leer. Nur hier und da standen ein paar Möbelreste herum. Ein Herd, ein Büfett und ein Bettgestell. Die boten kaum etwas zum Verstecken. Die Brüder fanden jedoch weder den Freund der Kleinen noch diesen ominösen Totengräber. Auch von oben gab es keine Geräusche. Das Haus lag wie ausgestorben. Hatte die Kleine sie etwa verarscht? Mit einem Blick deutete Sam an, dass er die Treppe nach oben nehmen wollte. Dean nickte und richtete seine Waffe auf den oberen Absatz. Wenn hier wirklich ein Mörder rum lief, würde er den Teufel tun und Sammy alleine da hochgehen lassen. Dicht an die Wand gepresst nahm Sam eine Stufe nach der anderen, denn die Treppe sah alles andere als vertrauenerweckend aus. Auf halber Höhe gab Sam seinem Bruder ein Zeichen, dass er den Absatz jetzt sicher im Blick hatte. Dean folgte ihm. Ohne in ihrer Wachsamkeit nachzulassen, nahmen sie die letzten Stufen nach oben in Angriff. Plötzlich erschien vor ihnen auf dem Absatz ein Mann. „Verschwindet hier, elendes Gesindel! Ihr werdet sie nie bekommen! Sie gehört mir. Sie gehören alle mir!“, brüllte er und schwang seine Axt. Sam richtete sich auf, verlagerte sein Gewicht etwas weiter zur Mitte der Stufe, um besser zielen zu können und brach durch das morsche Holz. Mit einem erstickten Aufschrei fiel er nach unten. „Sammy“, schrie Dean erschrocken und versuchte seinen kleinen Bruder irgendwie zu fassen zu bekommen. Er erwischte zwar dessen Ärmel, doch Sam war zu schwer, als das er ihn hätte halten können. Aus den Augenwinkeln sah er die auf ihn zu schwingende Axt. Er duckte sich, riss die Schrotflinte hoch und schoss. Die Axt schlug kurz über seinem Kopf in die Wand ein und der Kerl zerstob. Ohne sich weiter um seinen Gegner zu kümmern stürmte Dean die Treppe hinunter. Egal wer oder was da oben war, jetzt war nur noch sein kleiner Bruder wichtig. Der lag am Fuß der Kellertreppe und regte sich nicht. „Sammy, hey“, keuchte er leise. Hastig und doch so vorsichtig wie möglich tastete er nach einem Puls. Erleichtert atmete er auf, als er den fand. Er hielt die Taschenlampe auf Sams Körper gerichtet. Blut fand er keins, das hieß aber nicht, dass sein Bruder nicht doch schwer verletzt war und so begann er nach der Ursache der Bewusstlosigkeit zu suchen. Sam hatte eine dicke Beule am Hinterkopf und eine ausgerenkte Schulter. Sollte er die sofort einrenken? Nein, er würde lieber warten, bis Sam wieder bei Bewusstsein war, auch wenn das mehr Schmerzen bedeutete. Es war sicherer. „Komm schon, Sammy“, bettelte er und strich ihm ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Unruhig wartete er darauf, dass sein Bruder endlich die Augen aufschlug. Immer wieder huschte sein Blick zum Treppenabsatz, nicht dass der Kerl plötzlich vor ihnen auftauchte. Kapitel 14: Und weit und breit kein Krankenhaus ----------------------------------------------- 14) Und weit und breit kein Krankenhaus Zischend zog Sam die Luft durch die Zähne und blinzelte. „Hey“, sagte Dean erzwungen ruhig und atmete tief ein. „Wie geht es dir?“ „Meine Rippen“, keuchte der Jüngere und tastete mit seiner Hand über die Seite. „Gebrochen oder geprellt?“, wollte der Ältere besorgt wissen. Er hatte nichts gefühlt, aber wenn Sam innere Verletzungen hatte, konnte er das auch nicht. Wenigstens hatte Sam weder Blut in Mund noch in der Nase. „Keine Ahnung, es tut verdammt weh.“ Dean hielt ihm seinen Arm hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Wieder zuckte Sam zusammen. „Deine Schulter ist auch ausgerenkt“, erklärte Dean leise. „Danke. Jetzt fühle ich es auch“, keuchte Sam ungehalten. „Kannst du sie wieder einrenken?“ „Hier?“ „Je eher desto besser.“ „Bei drei.“ Sam nickte und versuchte sich auf den kommenden Schmerz vorzubereiten. „Eins“, begann Dean zu zählen. Schnell zog er Sams Oberarm nach unten und drehte ihn nach außen. Mit einem dumpfen Knirschen sprang das Gelenk wieder in seine Pfanne. Sam stöhnte und biss die Zähne fest zusammen. Noch ein paar Mal atmete er tief durch, dann war der Schmerz soweit abgeklungen, dass er sich traute seine Augen wieder zu öffnen, ohne, dass die Tränen sofort über sein Gesicht rannen. Als er auch seiner Stimme wieder traute, fragte er: „Was ist mit dem Jungen?“ „Keine Ahnung. Ich hab nichts gehört. Da oben ist alles ruhig.“ Sam zog die Augenbrauen zusammen und musterte seinen Bruder irritiert. „Entschuldige bitte, aber du warst mir gerade wichtiger!“ „Wie lange war ich weg?“ „Ein paar Minuten.“ „Hilf mir hoch“, bat Sam. Sofort stand Dean neben ihm und wartete, bis er sich soweit auf ihm abgestützt hatte, dass sie den Aufstieg in Angriff nehmen konnten. „Meinen Knöchel hab ich mir wohl auch verstaucht“, schimpfte er und versuchte den Fuß so wenig wie möglich zu belasten. Schwer auf seinen Bruder gestützt, schaffte er es ungelenk bis ins Erdgeschoss zu hoppeln. „Such den Jungen, ich …“ Er war wütend auf sich. Dieser Totengräber war gefährlich und er konnte seinem Bruder keine Deckung geben. Das fraß gewaltig an ihm, doch es war nicht zu ändern. „Und sei vorsichtig!“, flüsterte er in die Dunkelheit. Er ließ sich schwer keuchend an einer Wand zu Boden sinken. Seine Beine fühlten sich wie Pudding an und ihm war übel. Dean winkte nur ab. Jetzt wieder voll konzentriert schlich er weiter nach oben. Die Schrotflinte hatte er im Anschlag. Die Taschenlampe hielt er an den Lauf gepresst. Er wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Noch immer stand die Kleine hinter dem Baum. Sie schwankte zwischen Angst und Sorge. Sollte sie hier noch weiter warten oder sollte sie reingehen? Der Schuss, den sie vor einer Weile gehört hatte, hatte ihr die Panik noch tiefer in die Knochen getrieben. Die Angst um ihren Freund wurde immer stärker. Sie atmete noch einmal durch und löste sich von dem Stamm. Langsam lief sie zu dem Haus. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie auf der Veranda stand. Sollte sie weiter gehen? Die Nacht lag ruhig. Irgendwo rief eine Eule und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht länger alleine sein und so überwand sie ihre Angst und betrat das Haus erneut. Im Gegensatz zu dem Erdgeschoss war das obere Stockwerk regelrecht leer. Schon im zweiten Raum fand Dean den Jungen. Er lag, leicht verrenkt, an der Wand unter dem Fenster. Noch immer war von dem Totengräber nichts zu hören oder zu sehen. Sollte ihn das Salz so geschwächt haben? Daran wollte Dean eigentlich nicht glauben, nahm es aber gerne zur Kenntnis. Umso schneller konnte er hier raus. Er beeilte sich, auch noch die restlichen Zimmer zu kontrollieren und ging dann zu dem Jungen zurück. Vorsichtig zog er ihn hoch und legte ihn sich über die Schulter. Die Stufe auf der Sam durchgebrochen war auslassend, ging er nach unten. Sam richtete sich leise keuchend auf. Er hatte sich gerade erbrochen. Die Magensäure brannte noch in seinem Hals. Und noch immer war ihm übel. An der Tür nahm er eine Bewegung wahr und richtete seine Waffe die Stelle. Die Kleine, die sie hergeholt hatte, betrat in das Haus. „Was machst du denn hier?“, fragte er. Sie schrie leise auf, bevor sie sich die Hand vor den Mund schlagen konnte. Sam schaltete seine Taschenlampe ein. „Komm her“, forderte er sie auf. Kurz zögerte sie und trat dann zu ihm. „Was ist mit Ihnen?“ Bevor Sam antworten konnte, kam Dean die Treppe herunter. Sein Blick fiel auf das Mädchen. „Was willst du denn hier?“, fragte er sie ungehalten und rümpfte die Nase. Sofort ging sein besorgter Blick zu Sam. „Ich … Draußen …“ Mit einer Handbewegung würgte Dean ihr Gestammel ab. Vielleicht konnte sie ja Sam helfen, dann wäre ihre Eigenmächtigkeit wenigstens zu etwas nütze. „Wie geht es dir?“, fragte er ihn leise. „Ich bin okay!“ „Ja klar, Sammy!“ Dean schüttelte missbilligend den Kopf. „Kannst du ihm aufhelfen?“, wollte er gleich darauf von ihr wissen. Sie nickte und versuchte ihm so gut es ging zu helfen. Dean wartete bis Sam auf wackeligen Beinen stand, schob seine Last in eine bessere Position und drehte sich zur Tür. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte Sam leise keuchend, als er endlich stand. „Aimee.“ „Hallo Aimee. Ich bin Sam und das ist mein Bruder Dean.“ „Hey“, lächelte sie schüchtern. „Haben wir jetzt genug Konversation getrieben oder wollt ihr noch ein Kaffeekränzchen veranstalten?“, grummelte der ältere Winchester. „Dean, wir …“ „Ja, ja. Schon gut. Lasst uns hier zuerst verschwinden.“ Er holte sein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es aufflammen. „Was hast du vor?“ „Die Hütte abbrennen, was sonst?“ „Nein! Nicht! Was wenn die Hütte ihn bannt und das was ihn im Hier und Jetzt hält nicht hier drin ist?“ „Du kannst einem auch jeden Spaß verderben“, knurrte Dean, steckte sein Feuerzeug weg und schob den Jungen erneut etwas höher. „Wie geht es dir wirklich?“, fragte er ernst. „Solange ich nicht lachen muss …“ „Wie geht es Cameron?“, schaltete sich Aimee ein und machte einen Schritt auf Dean zu. Wieder zog Sam die Luft schmerzhaft zwischen den Zähnen hindurch. „Dein Freund ist bewusstlos. Wir bringen ihn in ein Krankenhaus“, erklärte Dean, „und jetzt lass uns hier verschwinden.“ Sie nickte und half dem jüngeren Winchester aus dem Haus. Auf dem Weg zum Impala blieb Aimee immer wieder plötzlich stehen oder versuchte sich umzudrehen, um wenigsten einen Blick auf ihren Freund erhaschen zu können. Und jedes Mal verkrampfte sich Sam, wenn diese Bewegungen an seinen Rippen zerrten, oder er seinen Fuß unnötig belasten musste. „Je öfter du stehen bleibst, umso später bekommt dein Freund Hilfe,“, schimpfte Dean hinter ihr und schob sie einfach weiter. Er hatte es satt immer wieder auf sie aufzulaufen. Außerdem sah er, dass das seinem kleinen Bruder Schmerzen bereitete. Und der Junge auf seiner Schulter wurde auch nicht leichter, je länger er ihn tragen musste. Er wollte aber auch nicht vor ihnen gehe, denn so hätte er Sam nicht mehr im Blick und könnte vielleicht nicht schnell genug reagieren, wenn der Hilfe brauchen sollte. „Aber ich will doch nur …“ „Ich will auch“, erklärte der ältere Winchester hart, „etwas essen, ein Bier und ins Bett. Stattdessen muss ich mich hier über verrückte Jugendliche ärgern, die sich an Orten rumtreiben, an denen sie nichts zu suchen haben.“ „Dean, bitte“, versuchte Sam die Wogen etwas zu glätten. Die Kleine schwieg jetzt endgültig und lief mit Sam zum Impala. Kurz bevor sie den Wagen erreichten, begann Sam erneut zu würgen. Er schaffte es noch sich von ihr zu lösen. Würgend und hustend fiel er auf die Knie und erbrach sich erneut. „Sammy?“ So schnell wie nur irgend möglich schaffte Dean den Jungen in den Wagen und schob ihn auf die Rückbank. „Bleib bei ihm“, wies er die Kleine an, obwohl er ihr das nicht extra hätte sagen müssen und beeilte sich wieder zu seinem Bruder zu kommen. Er konnte allerdings auch nichts weiter tun, als nur hilflos daneben zu stehen und zu warten bis Sam sich beruhigt hatte. Endlich hörte das Würgen auf. Sam keuchte gequält und ließ sich erschöpft nach hinten fallen. Sofort wurde er von seinem Bruder aufgefangen und gehalten. „Kannst du aufstehen?“, fragte Dean nach einer Weile. Er wollte hier weg. Der Junge hatte sich noch immer nicht gerührt und die Nähe zu dem Geisterhaus behagte ihm auch nicht. Nicht, wenn Sam so hilflos war und er sich mehr auf seinen Bruder konzentrierte als auf ihren Schutz. „Geht schon“, sagte der jüngere Winchester und kämpfte sich, mit der Hilfe seines großen Bruders auf die Beine. Langsam gingen sie die letzten Schritte zum Impala und Sam ließ ich dankbar auf seinen Sitz fallen. „Geht’s so oder brauchst du ´ne Kotztüte?“, wollte Dean mit einem spitzbübischen Grinsen wissen. „Idiot“ „Mistkerl“ „Wo ist das Krankenhaus?“, wandte er sich gleich darauf an die Kleine. „Wir haben hier nur ein medizinisches Zentrum.“ „Egal. Dein Freund und mein Bruder brauchen Hilfe.“ Sie nickte zögerlich, lotste ihn aber ohne weitere Fragen durch den Ort. Eine halbe Stunde später parkte Dean vor der Klinik. Der Parkplatz war noch gut gefüllt. Er verdrehte die Augen. Diese Nacht würden sie wohl auf unbequemen Stühlen in Gesellschaft etlicher Kranker verbringen. „Kannst du eine Liege für deinen Freund besorgen?“, wollte Dean von Aimee wissen. Er wartete noch ihr Nicken ab und ging dann ohne zu zögern zur Beifahrertür um seinem Bruder auf die Beine zu helfen. Aimee rannte zur Anmeldung. Gleich darauf kam sie mit einem Pfleger mit einer Liege wieder. Gemeinsam mit Dean legte er den Jungen darauf. „Was ist mit ihm?“, wollte er wissen und prüfte die Vitalzeichen. „Ich hab ihn so gefunden“, erklärte Dean. „Wann war das?“ „Vor fast einer Stunde?“ „Und es hat Sie nicht dazu bewogen vielleicht einen Krankenwagen zu rufen?“, wollte der Pfleger barsch wissen. „Hat es nicht. Ich hätte eh herkommen müssen. Mein Bruder braucht ebenfalls Hilfe! Außerdem bezweifle ich, dass sie viel schneller gewesen wären!“ Dean war sauer. Er versuchte Sam so gut zu stützen, dass sie mit der Liege und dem Pfleger Schritt halten konnten. Ganz gelang ihnen das nicht. „Was ist mit ihrem Bruder?“, wurden sie von einer Ärztin empfangen, als sie den Warteraum betreten hatten. Sie hatte wohl schon mit dem Pfleger gesprochen. „Gehirnerschütterung, die Schulter war ausgerenkt und seine Rippen sind mindestens geprellt. Außerdem kann er rechts kaum auftreten.“ „Wie ist das passiert?“ „Er ist durch eine Treppe gebrochen.“ „Sie kriechen in Abrisshäusern rum?“ Ihr Blick wandelte sich von freundlich interessiert zu distanziert bis kalt. „Ich hab sie gebeten Cameron zu helfen“, schaltete sich Aimee jetzt ein. „Sag mir jetzt nicht, dass ihr in der alten Tischlerei ward.“ „Doch, wir wollten … Ich meine, ich wollte ja nicht mit. Ich hab Cameron noch gewarnt, aber die anderen haben mich ausgelacht und gesagt, dass wir sonst nicht mehr mit ihnen rumhängen dürfen.“ Sie begann zu weinen. „Wie oft habe ich euch gesagt, dass es da gefährlich ist! Diese verdammte Legende! Wie viele wollen sich in dem Haus noch wer weiß was einfangen oder sämtliche Knochen brechen? Gott sei Dank soll dieses verfluchte Haus endlich abgerissen werden!“, redete sie sich in Rage. Sam schnappte nach Luft. Ihm war schon wieder schlecht. „Okay“, beendete die Ärztin ihre wütende Ansprache, „bringt Cameron in die Zwei und Sie gehen in mein Büro. Gleich links. Ich komme so schnell wie möglich. Eva, gib ihnen noch ein paar Schalen mit!“, wandte sie sich noch schnell an die Schwester am Empfang und verschwand mit wehendem Kittel. Dean hatte seinen Bruder gerade erst auf den Stuhl vor dem Schreibtisch gedrängt, als auch schon der Pfleger ins Zimmer kam. „Ich soll Sie zum Röntgen bringen“, erklärte er Sam und wollte ihm auf helfen. Der Winchester nickte dankbar und stemmte sich mit dessen Hilfe umständlich in die Höhe. Kaum stand er, griff er auch schon haltsuchend nach der Stuhllehne. Seine Beine waren immer noch wie Pudding und vor seinen Augen drehte sich alles. Dean sah, was mit seinem Bruder los war. Mit einem Schritt war er neben ihm und griff zu. Ruhig wartete er ab, bis sich Sam soweit gefangen hatte, dass er mit dem Pfleger gehen konnte. „Danke“, nuschelte der jüngere Winchester, griff in seine Hosentasche und holte sein Portemonnaie heraus. Kurz kramte er darin herum und reichte Dean eine Karte. Der warf einen Blick darauf, zog fragend die Augenbrauen zusammen, nickte aber. „Wo ist der Röntgenraum?“ „Den Gang runter, ganz links. Sie können aber auch hier warten, ich bringe Ihren Bruder wieder hierher.“ „Danke“ Dean blickte Sam noch einmal aufmunternd in die Augen, dann ging er zur Anmeldung. Kapitel 15: Suchet, so werdet ihr finden ---------------------------------------- 15) Suchet so werdet ihr finden Erstaunt starrte die Schwester auf die kleine Plastekarte. „Sie sind versichert, Mr. McInnes?“ „Ist das ein Fehler?“, wollte Dean irritiert wissen. „Nein, sicher nicht! Ich wunder mich nur, da die Patienten, die zu uns kommen, selten versichert sind. Die Versicherten gehen lieber in ein richtiges Krankenhaus nach Pueblo. Wie leben hier zum größten Teil von Spenden.“ Er schob die Karte noch ein Stück weiter zu ihr. „Unser Onkel besteht auf einer Krankenversicherung. Er hat zu viele Familien daran kaputt gehen sehen, dass einer krank wurde.“ „Ihr Onkel ist ein sehr weiser Mann.“ Der Winchester grinste nur und begann die Formulare auszufüllen. „Kommen Sie bitte mit?“, riss der Pfleger Dean aus seinen Gedanken. Er hatte sich, nachdem die Formulare ausgefüllt waren, vor dem Zimmer der Ärztin niedergelassen, da niemand auf sein Klopfen reagierte. Er wollte nicht in einem fremden Zimmer hocken. Dean blickte ihm fragend entgegen. „Ich bringe Sie zu Ihrem Bruder.“ „Was ist mit ihm?“, fragte Dean besorgt. „Wir haben ihm eine Infusion gelegt.“ Ohne weitere Erklärungen führte der Pfleger ihn in den hinteren Bereich des Zentrums und klopfte an eine Tür. „Dr. Mahlkemper kommt gleich zu Ihnen, wenn sie alle Ergebnisse hat.“ „Danke“, erwiderte Dean und betrat das Zimmer, in dem Sam auf einem Bett lag. Ein Infusionsständer, an dem ein Beutel mit klarer Flüssigkeit hing, stand neben ihm. Er war noch halb voll. Die Flüssigkeit tropfte langsam in seine Vene. „Hey“, sagte Dean leise und strahlte ihn warm an. „Hey“ Sams Stimme klang heiser und leicht schleppend. „Wie geht’s dir?“ „Die Schmerzen sind fast weg.“ Er versuchte sich aufzusetzen. „Du bleibst schön liegen!“, bestimmte Dean, war mit wenigen Schritten bei ihm und drückte ihn wieder in die Waagerechte. „Woher hast du die Versicherungskarten?“, wollte er von seinem kleinen Bruder wissen. „Hat Bobby mir in die Hand gedrückt, bevor wie nach Lennox gefahren sind. Er meinte, dass die nicht schaden könnten.“ „Wir hatten doch eine Krankenversicherung!?“ „Ja, die hab ich inzwischen gekündigt. Diese hier ist wesentlich umfangreicher“, erklärte Sam. „Woher hat Bobby das Geld. Ich meine, ich will ihm nicht noch mehr auf der Tasche liegen, als wir es eh schon tun!“ „Er zahlt was und ein Teil kommt von dem Geld, dass wir ihm letztes Jahr gegeben haben“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. Dean nickte. Er wollte noch etwas fragen, doch da klopfte es und die Ärztin betrat den Raum. „Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mahlkemper. Ich bin hier die leitende Ärztin.“ „Wow. Du hast Chefarztbehandlung!“, frotzelte Dean. „Ich kann auch wieder …“, sagte sie müde und deutete auf die Tür. Sie hatte eine 24-Stunden-Schicht hinter sich und absolut keinen Nerv mehr, für irgendwelche dumme Witze. Sie wollte nur noch hier fertig werden und dann duschen und ins Bett. „Nein. Bitte entschuldigen Sie. Wie geht es meinem Bruder?“, lenkte Dean sofort ein. „Ihr Bruder hat eine leichte bis mittelschwere Gehirnerschütterung. Eine Rippe ist angebrochen, sein rechtes Fußgelenk geprellt, genau wie ein paar weitere Rippen. „Ich würde ihn gerne zur Überwachung zwei oder drei Tage hier behalten.“ „Ich will aber nicht …“, schaltete sich Sam ein und setzte sich auf. Wieder wurde er von Dean auf die Liege zurück gedrückt. „Bleib hier, Sammy. So nutzt du mir auch nichts.“ „Aber du …“ „Ich verspreche dir auch ganz brav zu sein“, grinste der ältere Winchester breit. „Idiot!“ „Ruh dich aus. Ich such mir ein Zimmer und bring dir morgen Frühstück, oder kann man das Essen hier genießen?“, wandte er sich gleich noch an die Ärztin. Seine Erfahrungen mit Krankenhausessen waren nicht wirklich gut, und das wollte schon etwas heißen! „Wenn sie nicht nur von Toast leben wollen? Unser Budget ist ziemlich ausgereizt.“ Sie lächelte etwas gequält. „Okay. Danke, Doc. Kann ich Sie zu einem Kaffee einladen?“ „Ich hab noch genug zu tun!“ „Und wenn sie mal Feierabend machen?“ „Bis dahin werden Sie wahrscheinlich schon im Bett liegen!“, konterte sie. „Das bezweifle ich. Aber Sie werden doch wohl mal frei haben?“ Dean setzte sein schönstes Lächeln auf. „Ich bin in festen Händen!“ „Wir müssen es ihm ja nicht sagen“, schlug Dean mit einem Zwinkern vor. „Morgen?“ Sie verdrehte die Augen. Der Typ schien nicht locker lassen zu wollen. „Und Sie kennen bestimmt auch ein Cafe hier, in dem es nicht nur Kaffee gibt, der wie Spülwasser schmeckt.“ „Morgen zum Lunch im „Fiesta““, schlug sie vor. „Okay. Danke Doc.“ Sie nickte noch kurz und verschwand. „Was war das denn? Hast du es so nötig?“, fragte Sam gereizt, kaum dass die Tür hinter ihn ins Schloss gefallen war. „Dann hätte ich ihr vorgeschlagen, auf sie zu warten!“ „Und warum …“ „Weil sie etwas über diese Tischlerei und den Typen zu wissen scheint.“ „Oh“, machte Sam, das war ihm wohl entgangen. „Ruh dich aus! Wir sehen uns morgen“, schlug Dean in versöhnlichem Ton vor. Im Auto sitzend überlegte der ältere Winchester, was er jetzt tun sollte. Fuhr er gleich noch einmal zu dem Haus und schaute sich da genauer um oder versuchte er erst mehr Informationen zu bekommen. Sammy würde erst recherchieren wollen. Doch die Nacht war günstig und was sollte ihm ein Geist, von dem er wusste, dass er da war, tun können? Allerdings hatte Dr. Mahlkemper von Toten gesprochen. Unschlüssig starrte er auf die Fassade des medizinischen Zentrums. Okay, er würde es mal auf die Sammy-Art probieren, obwohl es ihm schon in den Finger kribbelte und er nur zu gerne noch einmal in das Haus gehen würde. Aber das konnte er morgen auch noch und ein paar Informationen mehr waren bestimmt nicht hinderlich. Er startete den Wagen und fuhr zu dem Motel, an dem sie auf dem Weg hierher vorbeigekommen waren. Vorsichtig kreiste Dean seine verspannten Schultern. Er streckte sich, rieb sich müde über die Augen und blickte auf seine Uhr. Inzwischen war es fast vier und er hatte alles und nichts gefunden. Der Mann, der das Haus erbaut hat, hieß Konrad Brauer. Er war ein deutscher Tischler, der um 1890 an diesen Ort gezogen war. Woher er kam, wusste niemand. Aber er sprach schon ganz gut englisch. Er hatte eine Frau, die als sehr freundlich und wunderschön beschrieben wurde und vier Söhne. Seine Tischlerei lief hervorragend und er kam zu bescheidenem Wohlstand. Außerdem kümmerte er sich um die Beerdigungen in Rocky Ford. ‚Deshalb nannten sie ihn wohl „Totengräber“‘, überlegte Dean. Brauer soll ein verschlossener Mensch gewesen sein, der aber, wenn er die Menschen erst kannte regelrecht auftaute und dann sehr fröhlich und offen auf seine Mitmenschen zuging. Seine Söhne soll er mit strenger Liebe erzogen haben und bald nach der Fertigstellung des Hauses war sein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen. Ihm wurde eine Tochter bekommen. Der Mann hatte ein Hobby. Marionetten. Er schnitzte sie selbst und bei Dorffesten oder zu Geburtstagen führte er mit seiner Frau zusammen kleine Stücke auf. Alles schien perfekt zu sein, bis die kleine Sophia schwer erkrankte und trotz aller Bemühungen starb. Von da an soll sich der Mann verändert haben. Er wurde jähzornig, mürrisch und ungerecht. Niemand konnte es ihm mehr Recht machen. Seine Söhne hielten es nicht mehr lange bei ihm aus. Sie verschwanden bald vollkommen aus der Gegend. Selbst seine Frau soll es irgendwann nicht mehr mit ihm ausgehalten haben. Auch sie verschwand von einem Tag auf den anderen. Danach wurde er kaum noch im Ort gesehen, bis irgendwann ein paar Jungs beim Holz sammeln an dem Haus vorbei gekommen waren und die Tür offen vorgefunden hatten. Neugierig hatten sie das Haus betreten. Es war bis auf einige verschlossene Kisten leer. Und es soll nach Schwefel gerochen haben. Zumindest diesen letzten Fakt bezweifelte Dean. Allerdings hatte er einige Geschichten gefunden, in denen behauptet wurde, dass Brauer mit dem Teufel im Bunde gestanden haben soll und dazu würde diese Äußerung wieder passen. Immerhin wussten die wenigsten Menschen, dass der Teufel keine Verträge schloss. Er gähnte. So langsam sollte er Schluss machen. Er hatte Sammy versprochen ihm Frühstück zu bringen und er wollte sich mit der Ärztin treffen. Vielleicht hatte die ja noch ein paar Informationen für ihn. So wie sie reagierte, als die Kleine, Aimee, erzählt hatte, wo sie gewesen waren, musste sie mehr über dieses Haus wissen. Dean klappte seinen Laptop zu, stand auf und räumte seine Tasse in die Küche. Sich streckend ging es ins Bad. Schon bald lag er im Bett. Eigentlich sollte sein Bruder neben ihm liegen. Bei Bobby war es inzwischen normal in einem eigenen Zimmer zu leben, im Motel allerdings war das noch immer irgendwie surreal. „Nacht Sammy“, flüsterte er in die Dunkelheit und schloss seine Augen. Schwungvoll schloss Dean die Tür des Impalas. Er balancierte das mit einer Tüte und zwei Bechern Kaffee beladene Tablett durch das, schon wieder, vollbesetzte Wartezimmer und war, noch bevor die Schwester, die an der Anmeldung stand, ihn aufhalten konnte, im Gang zu den Zimmern verschwunden. Kurz hielt er inne, um an die Tür zu klopfen, hinter der er seinen kleinen Bruder wusste, bevor er die öffnete und ins Zimmer trat. „Zimmerservice“, rief er fröhlich. „Es ist kurz nach acht und ich bringe Ihnen Ihr bestelltes Frühstück.“ Sam blinzelte träge. Er war zwar schon seit einiger Zeit wach, hatte aber gedöst. Hier gab es ja sonst nichts für ihn zu tun. „Ich hab Croissants, Rührei mit Speck, Müsli, Milch und Kaffee“, sagte Dean und zog den Nachttisch ans Bett, um alles darauf abzuladen. Er nahm sich einen Becher und ließ sich auf der Bettkante nieder. „Christo“, versuchte Sam misstrauisch und setzte sich auf. Irritiert schaute Dean ihn an und klimperte unschuldig mit den Lidern. „Was hast du angestellt?“, fragte Sam offen heraus und nahm sich die Tüte. „Wieso muss ich was angestellt haben?“ „Weil du um diese Zeit nie so fröhlich bist“, stellte der Jüngere misstrauisch fest. „Also kann das nur heißen, dass du etwas angestellt hast.“ „Darf ich mich nicht freuen, meinen kleinen Bruder besuchen zu dürfen?“ Demonstrativ zog Dean eine Schmollschnute. „Doch, aber … Du warst doch in dem Haus!“, vermutete Sam. „Nein, war ich nicht.“ „Was dann?“ Es machte ihn richtig kribbelig nicht zu wissen, warum Dean so aufgekratzt war. Forschend schaute er ihm ins Gesicht. „Ich bin von hier aus ins Motel gefahren und heute Morgen von da aus hier her. Mit einem Zwischenstopp bei einem Diner, um dein Frühstück zu besorgen. Das Motel liegt übrigens an der Elmstreet. Wenn das nichts zu bedeuten hat.“ „Du bist übermüdet“, platzte Sam hervor. „Du wirst aufgedreht, wenn du zu wenig Schlaf hattest!“ „Kannst du bitte aufhören mich analysieren zu wollen?“ Dean verdrehte genervt die Augen. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kontrollieren. Mir ist einfach nur langweilig hier.“ „Dann schlaf dich aus, nerve die Schwestern oder mach, was immer man im Krankenhaus machen kann.“ „Ich will aber hier nichts machen. Ich will hier raus!“ „Du darfst raus, wenn die Ärztin es erlaubt! Du kannst mir so nicht helfen. Ich brauche dich gesund und aufmerksam um mir den Rücken zu decken. So bist du viel zu sehr abgelenkt.“ „Dann versprich mir aber, dass du nicht alleine losziehst!“ „Du willst also, dass ich im Motel rumsitze, während Menschen zu Schaden kommen könnten?“ „Ich meine doch nur … Ich will nicht, dass …“ „Vergiss es Sam.“ Dean erhob sich und ging zur Tür. „Ich bring dir was zum Mittag!“ Kapitel 16: Geistergeschichten ------------------------------ 16 Geistergeschichten Traurig schaute Sam auf die Tür, die sein Bruder ziemlich geräuschvoll geschlossen hatte. Wie konnte das denn so falsch laufen? Er machte sich wirklich Sorgen. Dean war in gewisser Weise ein Draufgänger und er wäre lieber an seiner Seite. Irgendetwas ging in dem Haus vor sich. Verdammt! Warum hatte er sich von diesem Geist auch so erschrecken lassen? Wütend schlug er die Decke zurück, schob die Beine aus dem Bett und stand auf. Das ging doch schon mal ganz gut! Er machte einen Schritt. Der Schmerz jagte von seinem Knöchel durch sein Bein. Sein Knie gab nach. Ungeschickt versuchte er sich am Bett abzustützen. Seine geprellten Rippen stießen gegen das Bettgestell, Der Schmerz ließ ihn aufstöhnen, seine Sicht verschwand und er ging endgültig zu Boden. Tränen der Wut drängten sich in seine Augen und er fluchte leise vor sich hin. Dean hatte Recht. Er war nutzlos! Mühsam kämpfte er sich wieder in sein Bett und versuchte sich zu beruhigen, nicht dass hier gleich noch ein Trupp Ärzte und Schwestern auftauchte! Die Geräte, an die er angeschlossen war, waren allerdings nicht so freundlich, seinen erhöhten Puls und die ungesunde Atemfrequenz zu ignorieren. Keine Minute nachdem er wieder im Bett lag, klopfte es an der Tür und noch bevor er „Herein“ sagen konnte, kam eine Schwester ins Zimmer. Ihr Blick glitt fragend über den Winchester. „Ich wollte nur mal ins Bad“, versuchte er mit einem Lächeln so ruhig wie möglich zu sagen. Es gelang ihm nicht wirklich. Sie nickte verstehend und lächelte: „Warten Sie, ich helfe Ihnen“, sagte sie und gab ihm Hilfestellung beim Aufstehen und auf dem Weg ins Bad. „Hier kommen Sie allein zurecht?“ „Das hoffe ich doch“, knirschte er beschämt. Dean war zur Bibliothek gefahren und hatte versucht da mehr über Brauer und seine Familie zu erfahren. Leider gab es kaum etwas, was er nicht auch im Internet gefunden hatte. Lediglich eine Todesanzeige der kleinen Sophia hatte er entdeckt und vielleicht ein halbes Jahr später eine Beschwerde über eine schlampig ausgeführte Arbeit. Sein Handy machte sich vibrierend in seiner Hose bemerkbar. Bevor er sich in die Bücher und Zeitungen vertiefte, hatte er den Alarm eingeschaltet, nicht dass er sein Date verpasste. Außerdem wollte er Sam vorher ja noch etwas zu essen und ein Buch mitbringen. Er hatte auch schon die richtige Literatur im Sinn. Die würde seinen kleinen Bruder eine Weile beschäftigen. Eine knappe Stunde später kurvte er auf den Parkplatz des medizinischen Zentrums, stellte den Impala dicht am Eingang ab und betrat den Warteraum. Die Luft war fast zum Schneiden und alle Plätze besetzt. Einige Patienten saßen auf zwei Liegen, die wohl als Sitzgelegenheiten hierher gebracht worden waren. Die Schwester schaute auf, erkannte Dean und ihre Miene wurde deutlich freundlicher. Der neue Besucher war genau das, ein Besucher. Dean lächelte ihr zu und verschwand in dem Gang zu den Zimmern. „Ich bring dir dein Essen und etwas Unterhaltung“, sagte er ohne weitere Begrüßung und stellte alles auf dem Nachtisch ab. Er wollte sich die Laune nicht wieder verderben lassen. Die war schon nicht die beste. „Danke“, sagte Sam leise. Sofort musterte Dean ihn alarmiert. Sein Bruder war blasser als heute Morgen. „Was ist mit dir?“, wollte er besorgt wissen. Hatten die Ärzte was übersehen? „Ich wollte nur … ins Bad“, versuchte Sam zu beruhigen. „Du wolltest nicht nur ins Bad! Du wolltest hier raus!“ „Ich …“ „Hör auf! Du bist ein schlechter Lügner!“ Seufzend nickte Sam. „Ich mache mir halt Sorgen! Ich liege hier rum und kann dir nicht helfen!“ „Du hilfst mir, wenn ich weiß, dass du hier „rumliegst“, wie du so schön festgestellt hast. Dann weiß ich, dass Du in Sicherheit bist.“ Aber …“ „Sammy, bitte! Hör auf. Es ist nicht der erste Fall, den ich alleine bearbeite und vielleicht auch nicht der letzte. Auch wenn ich das alles andere als toll finden würde. Wir können es im Moment nicht ändern, also ruh dich aus und werd gesund. So, und jetzt iss deinen Keks. Ich hab dir auch was zu lesen mitgebracht.“ Neugierig wagte Sam einen Blick auf das doch recht dicke Buch. Wer wusste schon, was Dean da angeschleppt hatte. „Die Illias?“ „Du hast dich damals beschwert, dass ihr sie nur kurz angelesen habt.“ „Das weißt du noch?“ „Sammy …“ „Ja, du weißt noch alles, was mich betrifft“, schnitt der seinem Bruder das Wort ab. „Deshalb musst du jetzt aber kein Trübsal blasen. Wenn du der große Bruder gewesen wärst, würde es dir bestimmt auch so gehen.“ Sam zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Wäre er auch so ein guter großer Bruder gewesen? Vor ein paar Monaten hatte er in der Rolle mächtig versagt. Bobby war viel schneller mit der Kinderseele klar gekommen, als er. „Versprichst du mir wenigstens, dass du auf dich aufpasst?“ „Ich tu mein Bestes, okay?“ Sam nickte. Was blieb ihm auch übrig. Sein Fuß streikte. Ohne Hilfe würde er hier nicht rauskommen. Aber er nahm sich vor, mit der Ärztin zu sprechen, was passieren musste, damit er hier schnellstmöglich wieder raus durfte. „Ich muss los“, sagte Dean und stand auf. „Ich komm heute Abend nochmal rein.“ Wieder nickte Sam. „Danke“, murmelte er und griff nach dem Salat. Langsam begann er zu essen. Der Winchester betrat das „Fiesta“ und schaute sich um. Es roch herrlich nach gegrillten Maiskolben, Chilli und Fleisch. Sein Magen meldete sich grollend zu Wort. Außer Kaffee und einem labberigen Sandwich hatte er an diesem Tag noch nichts gegessen. Obwohl er zu früh war, saß Dr. Mahlkemper schon an einem Tisch und winkte ihm zu. „Hallo Doc“, grüßte er lächeln und setzte sich zu ihr. „Waren Sie schon bei Ihrem Bruder?“, wollte sie ohne weitere Einleitung wissen. „Ja, hab ihm was zu Essen und zu Lesen gebracht. Er langweilt sich furchtbar.“ „Dann sollten wir ihn so schnell wie möglich entlassen.“ „Sobald er sich wieder selbstständig bewegen kann, ja.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ „Dass er einen Ausflug versucht hat?“ „Und sein Fuß es ihm übel genommen hat?“ „Genau das“, grinste Dean breit. „Wie kommt es, dass Sie in ihrem Alter noch mit Ihrem Bruder unterwegs sind?“, wechselte sie das Thema. „Das ist eine längere Geschichte.“ Er wurde von dem Kellner unterbrochen, der nach ihrem Wünschen fragte und ihnen die Karten brachte. Nachdem sie bestellt hatten, wartete Dr. Angelika Mahlkemper noch auf eine Antwort, die der Winchester ihr jedoch nicht zu geben bereit war. Stattdessen lenkte er das Gespräch auf ein anderes Thema. „Wieso waren sie gestern so sauer, dass Aimee und Cameron mit ihren Freunden in diesem alten Haus waren?“ „Reicht es Ihnen nicht, dass Ihr Bruder deswegen jetzt im Krankenhaus liegt?“, wollte sie verständnislos wissen. „Wenn ich ihm dazu später noch eine herrliche Geistergeschichte erzählen kann? Nein.“ „Sie stehen auf Geistergeschichten?“ „Wir hatten keine sehr beständige Kindheit“, begann Dean ein wenig auf die Tränendrüse zu drücken. „Wir waren viel unterwegs. Immer wieder neue Städte und neue Schulen. Kaum Zeit um überhaupt Freunde zu finden. Fast überall haben wir Gruselgeschichten aufgefangen, die wir uns dann zu Einschlafen erzählt haben. Irgendwie hat sich das eingebrannt. Es war unsere Stabilität. Wenn wir an einem neuen Ort sind und eine neue Geschichte aufschnappen können, tun wir das.“ „Es ist nicht die Geistergeschichte, die mir Sorgen bereitet. Allerdings ist die schuld, dass immer wieder Menschen in dieses verfluchte Haus laufen. Es ist eher das, was dieses Haus mit einigen von ihnen macht.“ „Ein Haus macht etwas?“, wollte der Winchester neugierig wissen. Angelika schüttelte den Kopf und griff nach ihrem Glas, ohne jedoch daraus zu trinken. Sie drehte es nur immer wieder zwischen ihren Händen. Der Kellner kam und brachte ihnen ihr Essen. „Sie können mich doch nicht mit einem Kopfschütteln abspeisen wollen?“, fragte Dean zwischen zwei Bissen und schaute sie mit dem winchestertypischen Dackelblick an. „Sie haben meine Frage ja auch nicht beantwortet“, konterte sie lächelnd. Der Winchester atmete durch. „Wie gesagt hatten wir eine sehr unstete Kindheit. Oft hatten wir nur uns. Jetzt fahren wir zu einer Tante. In ein paar Tagen ist der Todestag unserer Mom. Sie starb als wir noch ganz klein waren. An dem Tag versucht der Rest der Familie immer zusammenzukommen.“ Seine Augen verloren jeden Glanz und schienen irgendwo in die Ferne gerichtet zu sein. Sie schluckte. Diese Erinnerungen hatte sie nicht aufwühlen wollen. „Es tut mir leid“, sagte sie leise. Dean blinzelte, schluckte und schaute ihr ins Gesicht. Er nickte kurz und widmete sich dann bedächtig wieder seinem Essen. „Es ist schon so ewig her“, warf er in den Raum. Angelika war sich sicher, dass er sie nur beruhigen wollte. Schweigen breitete sich an dem Tisch aus. Endlich legte auch der Winchester sein Besteck weg. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so langsam gegessen hatte. Aber er wollte den Schein wahren und das Essen war wirklich hervorragend, sodas es kein Problem war, so langsam zu genießen. „Sie wollten wissen, was ich zu dem Haus weiß?“, begann Dr. Mahlkemper ruhig. „Wenn Sie es mir noch erzählen wollen?“ Jetzt war es an ihr, tief Luft zu holen. Mit leiser Stimme begann sie zu erzählen: „Ich war sechzehn. Es war in den Sommerferien. Mein Freund, Fletcher, hätte in ein paar Wochen aufs College gehen sollen, 1000 Meilen weit weg. Wir haben den Sommer genossen, bis seine Freunde auf die Idee kamen eine Nacht in dem Brauer-Haus zu verbringen. Wir waren zehn, Jungs und Mädchen, haben Feuer im Kamin gemacht, Marshmellows geröstet und uns Gruselgeschichten erzählt. Es war lustig, bis einer ein Geräusch hörte. Die Jungs sind aufgestanden und durch das Haus gelaufen. Ein paar der Mädchen sind mitgegangen. Plötzlich schrie eines von ihnen entsetzt auf. Die blanke Panik klang in ihrer Stimme. Und dann brach das Chaos aus. Alle rannten durcheinander. Emmet schrie nach Fletcher. Ich wollte zu ihm, doch Ellen hat mich zurückgehalten. Christian drängte uns nach draußen und irgendwann, es kam mir vor wie Stunden, kamen auch die anderen mit meinem Freund. Er war bewusstlos. Keiner hatte gesehen, wie es passiert war.“ Sie schluckte und starrte auf ihr fast leeres Glas. „Er kam kurze Zeit später zu sich und hat etwas von einem Geist erzählt. Wir haben ihn ins Zentrum gebracht. Er hatte eine leichte Gehirnerschütterung. Nichts Schlimmes. Eigentlich. Drei Tage später ist er ins Koma gefallen und nicht wieder aufgewacht.“ „Das tut mir leid.“ „Es ist schon so lange her.“ „Und Sie meinen, dass das was mit dem Haus zu tun hat?“ „Ich weiß es nicht. Viele verbringen eine Nacht in dem Haus und ihnen passiert nichts. Aber hin und wieder gibt es ähnliche Fälle wie Fletcher.“ „Inwieweit ähnlich?“ Deans Neugier war geweckt. Angelika atmete tief durch. „Sie fallen ins Koma. Ihre Herzfrequenz ist unnatürlich hoch und steigt immer weiter. Irgendwann hält das Herz diesen Stress nicht mehr aus und sie sterben. Es gibt keine Gemeinsamkeiten bei den Patienten, außer der Tatsache, dass sie vermutlich alle in diesem Haus waren.“ „Vermutlich?“ „Bei einigen war es nicht zu klären. Ein guter Freund ist Arzt in dem Krankenhaus und er war damals auch dabei als Fletcher … Er kämpft schon seit Jahren dafür, dass das Haus endlich abgerissen werden soll. Jetzt scheint sich etwas zu tun. Da draußen soll ein neues Wohngebiet mit Einkaufsmeile entstehen. Wenn nicht alles an diesem einen Architekten hängt“, seufzte sie und ließ offen, was genau sie damit meinte. Ihr Blick fiel auf die Uhr. „Ich muss los“, sagte sie und erhob sie.“ Vielen Dank für das Essen.“ „Gern geschehen.“ Dean lächelte. Das Gespräch hatte ihm einige neue Hinweise gegeben. Dr. Angelika Mahlkemper lief an ihm vorbei zum Ausgang. Er griff ihr Handgelenk. „Was könnte an diesem Architekten hängen?“, hakte er nach. „Er hatte einen Unfall. Ich hoffe, er hat einen Partner, der das Projekt weiterführt.“ „Danke. Grüßen Sie Sam. Ich komme heute Abend wieder“, verabschiedete er sich von ihr. Sie nickte lächelnd und verließ das Restaurant eilig. Der Winchester bestellte sich noch einen Kaffee. Kapitel 17: Sie ... ------------------- @ Vanilein - Das Konzert - hm. Ich halte mich bedeckt. Aber Du hast Recht - zur Ruhe kommen sie so schnell wohl nicht. Vielen Dank für Deinen Kommi. LG Kalea 17) Sie ... Nachdem er ihr Essen bezahlt hatte, machte er sich auf den Weg zu dem Geisterhaus. Er wollte sich das Ganze endlich einmal bei Licht betrachten. Vielleicht fand er ja auch etwas über den Architekten heraus, von dem die Ärztin gesprochen hatte. Langsam fuhr er an der Stelle vorbei, an der der Weg zu diesem Haus abzweigte. Überall standen Bäume und Sträucher. Hier konnte er den Impala gut verstecken, sodass er niemandem auffallen würde. Gegenüber des Weges war ein Schild aufgebaut worden, das auf das neue Baugebiet hinwies und jede Menge freie Grundstücke anbot. Wohnen im Grünen Dean schnaubte. Wenn die zum Bauen erst mal sämtliche Bäume abgeholzt hatte, wäre das Grün die längste Zeit grün gewesen. Er zuckte mit den Schultern. Ihm sollte es egal sein. Er musste nur dafür sorgen, dass in dem Geisterhaus niemand mehr zu Schaden kommen konnte. Oder sollte er besser warten bis Sam mit ihm …? Nein, bis Sam soweit war, dass er ihn wieder gefahrlos zu einer Jagd mitnehmen konnte, würden noch einige Tage vergehen. Er wollte seinen Bruder keiner unnötigen Gefahr aussetzen und genau das würde er tun, wenn er ihn hierher mitnahm. Diesen Fall musste er wohl alleine regeln! Er stellte den Impala hinter ein paar Büschen ab, holte sich seine Taschenlampe und die Schrotflinte und ging zu dem Haus. Langsam umrundete er es und die daneben stehende Werkstatt, die er bei der Dunkelheit letzte Nacht gar nicht bemerkt hatte. Jetzt, bei Licht betrachtet, machte das Haus zwar einen trostlosen Eindruck, mit seinen leeren Fensteröffnungen, aber das es seit über achtzig Jahren leer stehen sollte, sah man ihm so nicht an. Hier und da hing ein Fensterladen schief in seinen Angeln und auf dem Dach fehlte die eine oder andere Schindel, aber sonst? Er hätte vermutet, dass ein Haus, wenn es so lange leer steht, nicht mehr als ein Haufen morscher Bretter wäre. Hier lag mehr in der Luft als nur ein Geist. Deans Nackenhärchen stellten sich auf. Das Haus zuerst, entschied Dean. Wieder prüfte er jede Stufe bevor er sein ganzes Gewicht darauf verlagerte und so Stufe für Stufe die Treppe zur Veranda erklomm. Er betrat den Raum und schaute sich um. Das hier schien wirklich Küche und Esszimmer zugleich gewesen zu sein. Ein Kohleherd stand in einer Ecke und an der Wand daneben war ein Büfett. Vom Rest der Einrichtung war nichts mehr zu sehen. Der Raum daneben war bis auf den Kamin gänzlich leer. Außerdem gab es noch einen Raum mit jeder Menge Regale, wohl ein Vorratsraum und einen weiteren Raum, in dem ein Bettgestell stand. Auch hier gab es nichts Verdächtiges. Dean verließ das Schlafzimmer und blickte auf die Treppe. Kurz überlegte er, ob er jetzt zuerst nach oben, oder in den Keller gehen sollte und entschied sich für oben. Da war er ja am Vortag schon gewesen und soweit er sich erinnerte, waren die meisten Räume leer. Vorsichtig stieg er die Stufen hinauf. Das Loch, durch das Sam in die Tiefe gerauscht war, sah bei Licht fast noch gefährlicher aus. Es starrte ihn an, wie ein riesiges Maul, das auf frische Beute lauerte. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er daran dachte, was Sammy noch alles hätte passieren können. Das nächste Mal würde er wieder vorgehen! Hier hatte dieser Brauer sie überrascht. Dean atmete tief durch. Ruhe breitete sich in ihm aus. Er stieg die letzten Stufen hoch und begann routiniert Raum für Raum zu untersuchen. Nichts. Die Zimmer lagen ruhig und leer. Nichts deutete auf ihren untoten Bewohner hin. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht. Unzählige Fußabdrücke verrieten allerdings, dass es hier jede Menge Besucher gegeben hatte. Wieder im Erdgeschoss angekommen, streute er eine Linie Salz vor die Treppe. Vielleicht half es ja. Er schaltete seine Taschenlampe ein und ging die Treppe in den Keller hinunter. Die Schrotflinte im Anschlag und die Taschenlampe gegen den Lauf gepresst lief er zur ersten Tür. Er drehte sich in den Raum. Hier, genauso wie im nächsten Raum fand er nichts, außer einer Luke nach oben, das war wohl der Zugang für die Kohlen. Ein weiterer Raum reichte bis unter die Treppe. Im hintersten Winkel stand eine Truhe. Dean ließ sich auf die Knie nieder und kroch soweit, bis er sie erreichen und nach vorn ziehen konnte. Er löste die Riegel und öffnete den Deckel. In der Truhe lagen Marionetten. Er legte die Schrotflinte beiseite, packte die oberste am Bein und zog sie heraus. Im Schein der Taschenlampe offenbarte sie ihre ganze Hässlichkeit. Ein alter Mann mit eingefallenen Wangen und tiefen Furchen im Gesicht starrte ihn griesgrämig an. Fast schien es, als ob die Augen vor Hass Blitze sprühen würden. Aber das konnte ja wohl schlecht sein! Trotzdem sah diese Puppe sehr echt aus. Die Ähnlichkeit zu Brauer, so wie er ihn auf den wenigen Bildern im Internet gesehen hatte, war unverkennbar. Der Alte schien sein Handwerk wirklich verstanden zu haben. ‚Chucky, die Monsterpuppe‘ Er schüttelte den Kopf und richtete seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt. Die Puppe beiseite legend griff er zur nächsten, als ein kalter Hauch seinen Nacken streifte und sich die Härchen auf seinem Körper aufrichteten. Sofort nahm er seine Schrotflinte zur Hand und drehte sich um. Schon aus den Augenwinkeln sah er den Geist hinter sich stehen und drückte ab. Der alte Brauer zerstob in alle Richtungen. Augenblicklich warf er die Puppe wieder in die Kiste. Feiner Staub wurde aufgewirbelt und reizte ihn zum Niesen. Dean zog die Nase hoch und warf den Deckel zu. Er kroch ein Stück weiter zur Tür und erhob sich, als der Alte schon wieder vor ihm erschien. Noch bevor er sich richtig aufrichten und die Waffe hochreißen konnte stieß der ihn nach hinten. Sein Kopf schlug gegen eine Treppenstufe. Noch im Fallen richtete er die Waffe auf den Mann und drückte ab. Wieder zerstob Brauer. Hart landete er auf dem Boden. Seine Waffe und die Taschenlampe entglitten seiner Hand und sein Blickfeld zerfaserte immer mehr. Schwarze Schlieren waberten vor seinen Augen. Er kämpfte gegen lauernde Dunkelheit. Um nichts in der Welt wollte er jetzt bewusstlos werden. Wer wusste schon, was der Alte dann mit ihm machen würde? Er blinzelte gegen die Dunkelheit. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel einen Geist neben sich stehen. Mühsam versuchte er zu seiner Waffe zu kommen. Ein wütendes Knurren entrang sich seiner Kehle, als er sich noch etwas weiter streckte und endlich den Kolben der Schrotflinte mit den Fingerspitzen erreichte. Er zerrte die Waffe zu sich heran, lud sie durch und feuerte, noch bevor er das bleiche Wesen richtig sehen konnte. Sie zerstob in alle Richtungen. Erschöpft ließ sich Dean gegen die Truhe in seinem Rücken sinken und versuchte mit aller Kraft nicht in die lockende Dunkelheit abzutauchen. Immer wieder zwang er sich tief durchzuatmen. Sie war weg. Sie … Sein Gehirn begann zu arbeiten. Sie! Der zweite Geist war eine Frau! Sie hatte ihn nicht angegriffen! Sie hatte einfach nur dagestanden und nach oben gezeigt! Wollte sie ihm etwas zeigen? Langsam klärte sich seine Sicht wieder und er rappelte sich auf. Dean sammelte sein Gewehr und die Taschenlampe auf und machte sich auf den Weg nach oben. Wieder durchsuchte er sämtliche Räume. Da war nichts, was ihm nicht schon vorher aufgefallen wäre. Das Bettgestell, der Kamin, der Herd und das Büfett. Er leuchtete jede Bodendiele ab, ob da nicht vielleicht ein loses Brett wäre. Er untersuchte Tür- und Fensterrahmen und öffnete jede Schranktür. Selbst in dem alten Kohleherd schaute er nach. Hatte er sich getäuscht? War es doch Brauer gewesen? Aber der hätte ihn doch sofort wieder angegriffen, oder? Hier war nichts! Frustriert schlug er die obere Schranktür zu, die er gerade noch untersucht hatte. Ein eisiger Hauch traf seinen Rücken und wieder richteten sich seine Nackenhaare richteten. Er umfasste seine Waffe fester. Sich umdrehen und auf die bleiche Erscheinung zielen war eins, doch er drückte nicht ab. In einiger Entfernung stand sie da und zeigte auf das Büfett. „Aber hier ist nichts!“, knurrte er. Plötzlich flackerte sie und verschwand. Im selben Augenblick materialisierte sich Brauer neben Dean, rammte ihm die Faust in die Seite und schlug die Schrotflinte nach oben. Der Winchester keuchte und ließ die Waffe fallen. Sofort packte Brauer ihn am Kragen und zerrte ihn rückwärts. Hastig versuchte er sich am Büfett festzuhalten. Etwas löste sich unter seinem Griff und er verlor gänzlich den Halt. Mit einem bösartigen Lachen schleuderte Brauer ihn gegen den Herd. In Deans Schultern explodierten heiße Feuerbälle. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Er sah Brauer auf sich zukommen. Seine Hand tastete nach einer Art Waffe, mit der er sich verteidigen konnte. Polternd viel etwas um. Es klang metallisch. Brauer stand neben ihm, öffnete seine Faust und begann auf die Handfläche zu pusten. Deans suchende Hand fühlte einen runden Griff. Sofort schlossen sich seine Finger darum und er schwang den Arm nach vorn. Der Geist zerplatzte in einer gelblichen Staubwolke, die langsam auf den Winchester herab rieselte. Erleichtert schloss Dean die Augen und ließ sich gegen den Kohleherd sinken. Die Dunkelheit überrannte ihn. Stöhnend richtete sich Dean etwas auf. Seine Schultern protestierten schmerzhaft gegen die Bewegung. Er blinzelte und rieb sich träge über seine Augen. Um ihn herum herrschte vollkommene Dunkelheit. Was war passiert? Wo war er? Langsam tastete er sich vorwärts. Seine Hand stieß gegen Holz. Das Büfett! Er stemmte sich auf die Knie und tastete sich weiter. Endlich fanden seine Finger den Schaft seiner Schrotflinte und daneben lag auch seine Taschenlampe. Er betätigte den Schalter und atmete erleichtert auf, als der Raum in ein diffuses Licht gehüllt wurde. Wie lange hatte er hier gelegen? Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass fast drei Stunden vergangen waren, seit er das Haus betreten hatte. Was hatte dieser Brauer mit ihm gemacht? Ein Schauer rann über seinen Rücken. Wieder blickte er sich um. Von den Geistern war keine Spur. Noch einmal leuchtete er über das Büfett. Er zog die Augenbrauen zusammen. Etwas war anders. Dean trat näher heran und untersuchte den Schrank. Unter der Arbeitsfläche stand ein Stück Brett hervor. Er umfasste es und rüttelte leicht daran. Es rutschte ein wenig weiter heraus. Dean blickte sich noch einmal um, dann zog er er heraus. Leise schleifend bewegte sich das Brett. An der hinteren Seite war eine Aussparung. Dean leuchtete in den Spalt. Etwas lag darin. Er griff sich den Schürhaken und zog dieses Etwas heraus. Es war ein Buch. Alt und an den Ecken leicht zerfleddert. Ohne einen Blick hinein zu werfen, schob er es sich hinten in den Bund seiner Jeans und brachte das Brett wieder an seinen Platz. So langsam sollte er sich beeilen. Sam würde schon auf ihn warten und sich unnötig Sorgen machen. Außerdem sollte er vorher duschen, wenn er so aussah, wie er sich fühlte, dann wollte er Sam lieber nicht unter die Augen treten. Kapitel 18: Ein Buch und tausend Fragen --------------------------------------- 18) Ein Buch und tausend Fragen „Sorry, Sammy. Ich hab mich festgelesen“, entschuldigte sich Dean, kaum dass er den Raum betreten hatte. „Du hast dich festgelesen? Wo warst du?“, fragte der ungläubig. „In der Bibliothek. Ich wollte sehen, was es noch über den Ort gibt, an dem die alte Tischlerei steht und ich hab nach dem Architekten gesucht, der das Projekt ausführen sollte.“ „Warum nach dem?“ „Der hatte einen Unfall. Ich hab gehofft mehr über diesen und den Architekten zu erfahren. Da mein ganz privater Hacker zurzeit keine Zeit für mich hat …“ Dean grinste schief. „Du weißt genau, dass ich hier liege, weil Du …“ „Nein, nicht weil ich es will, sondern weil die Ärztin sagt, dass es besser ist und weil ich davon überzeugt bin, dass sie Recht hat. Was willst du denn im Motel anderes machen? Außerdem wäre ich nicht immer da, wenn du Hilfe brauchst.“ „Ist ja schon gut. Ich will trotzdem hier raus.“ „Hast du die Illias denn schon durch?“ „Kann ich hexen?“ „Manchmal bin ich mir da nicht so sicher?“, frotzelte Dean und entlockte seinen Bruder ein Lächeln. „Was ist denn mit dem Architekten?“, wurde der Jüngere sofort wieder ernst. „Er hat einen Unfall verschuldet, ist von der Straße abgekommen und in einen Schulbus gerast. Es gab Gott sei Dank nur fünf Verletzte. Zwei Kinder mussten zur Überwachung eine Nacht im Krankenhaus bleiben, sonst nur Prellungen und Schürfwunden. Der Architekt hat es nicht so gut erwischt. Er starb noch an der Unfallstelle. Allerdings, so die Aussage der Journalisten, konnten die Pathologen nichts feststellen, was zu diesem Unfall geführt haben könnte. Er hatte weder Drogen noch Alkohol im Blut.“ „Vielleicht war er übermüdet?“, vermutete Sam. „Möglich. Deswegen will ich morgen nach Pueblo und mit jemandem in seinem Büro und im Krankenhaus reden.“ Sam nickte und schaute auf seine Decke. „Lass den Kopf nicht hängen. Beim nächsten Fall bist du wieder mit dabei!“ „Du willst also weiter jagen?“ „Hast du eine bessere Idee?“, fragte Dean interessiert. Hatte Sam vielleicht auch darüber nachgedacht auszusteigen? Wollte er ein normales Leben führen? Studieren? Bevor Sam allerdings antworten konnte, klopfte es an der Tür. „Herein?“ Der Jüngere klang nicht gerade begeistert, immerhin hätte sich ihm hier eine Chance geboten, über ihr zukünftiges Leben zu reden. „Oh, schön dass Sie auch da sind, Mr. MacInnes“, begrüßte Dr. Mahlkemper Dean. „Hallo Doc.“ „Ich wollte mal sehen, wie es Ihnen hier bei uns geht, James.“ Sie lächelte Sam freundlich an. „Geht so“, konnte sich der jüngere Winchester nicht verkneifen. Sein Bruder grinste breit. „Wir werden Sie morgen noch einmal untersuchen und wenn alles gut aussieht und Sie mir versprechen, dass Sie sich schonen, dann dürfen Sie morgen nach Hause.“ „Sind Sie sicher, Doc?“ „Sie sollten aber nicht gleich weiter fahren. Zumindest keine allzu langen Strecken, und Fliegen möglichst auch noch nicht.“ „Wie viel Zeit braucht er noch?“, wollte Dean wissen. „Zwei oder drei Tage Ruhe und dann sollten Sie soweit wieder fit sein. Falls sich allerdings noch Beschwerden einstellen, möchte ich Sie bitten wieder hierher, oder zu einem anderen Arzt zu gehen.“ Sam nickte. Das klang doch schon mal vielversprechend. „Wann werden Sie mit den Untersuchungen brauchen?“, hakte Dean nach. Immerhin wollte er den Tag ja in Pueblo verbringen. Zumindest einen großen Teil des Tages. „Zwei bis drei Stunden?“ „Ich wollte morgen nach Pueblo. Kann ich ihn danach abholen?“ „Natürlich. Nette Patienten behalten wir gerne länger hier.“ Sie lachte und zwinkerte Dean zu. „Und Zahlende erst Recht.“ Jetzt grinste auch der ältere Winchester wieder. Nur an Sam schien diese kleine Spitze vorbei gegangen zu sein. Er schaute fragend zu seinem Bruder. „Erklär ich dir gleich“, erwiderte der. „Wir sehen und dann morgen, James“, sagte sie und wandte sich zur Tür. „Und vielen Dank für das Gespräch, Deacon.“ „Gern geschehen“, entgegnete Dean verdattert und lächelte sie freundlich an. „Sie bedankt sich also für das Gespräch?“, stichelte Sam, kaum dass sie den Raum verlassen hatte. „Und?“ „Seit wann bedankt sich jemand bei dir für ein Gespräch?“ „Du hast doch gehört, dass sie verheiratet ist, oder? Wir haben uns nur nett unterhalten. Sie hat mir erzählt, warum sie auf Aimee so sauer war und wollte wissen, warum wir zusammen unterwegs sind. Ich hab ihr was von einer Tante erzählt, zu der wir fahren, weil sich der Todestag unserer Mutter jährt und wir das immer im Familienkreis begehen. Was sollte ich denn sonst sagen?“ Sam zuckte mit den Schultern. Er fand es nur komisch, dass sein Bruder sich wirklich nur mit einer Frau unterhalten haben sollte. Normalerweise kam ein Gespräch bei ihm eher zu kurz. „Und was war das mit den zahlenden Patienten?“, lenkte er ein. „Ich war bei der Anmeldung und die Schwester war vollkommen von den Socken, dass wir eine Krankenversicherung haben. Sie wurde gleich viel freundlicher.“ „Du willst also morgen nach Pueblo?“ „Ja, ich wollte mich da mal umhören.“ „Können wir das nicht machen, wenn ich wieder raus bin?“ „Du hast doch gehört, du sollst dich noch schonen.“ „Das heißt aber nicht, dass ich in Watte gepackt werden muss!“ „Nein, aber das kann ich morgen noch machen. Danach darfst du deinen Laptop wieder quälen. Der wird sich eh schon überflüssig vorkommen. Vielleicht sollte ich ihn exorzieren, bevor du ihn wieder in Betrieb nimmst?“ „Du bist ein Idiot, Dean.“ „Mistkerl!“ Die Brüder grinsten sich an. „Okay, ich bringe dir morgen dein Hühnerfutter und fahre dann nach Pueblo. Sobald ich wieder hier bin, hole ich dich ab.“ Sam nickte. Was blieb ihm auch anderes übrig. „Dann bis morgen, kleiner Bruder. Ärgere die Schwestern nicht zu sehr und lass dich nicht von Bettwanzen beißen.“ Dean lächelte warm und machte sich auf den Weg zum Motel. Er wollte sich unbedingt noch das Buch anschauen, das er in dem Haus gefunden hatte. Er hatte es nach dem Duschen wieder in seine Hosentasche gesteckt und es schien ihm regelrecht ein Loch da hinein zu brennen. Auf dem Weg zum Ausgang begegnete er Dr. Mahlkemper. „Wie geht es Cameron?“, wollte er wissen. „Wir haben ihn gestern entlassen. Jetzt heißt es warten. Noch geht es ihm gut“, erwiderte sie und versuchte optimistisch auszusehen. Verloren starrte Sam auf die geschlossene Tür. Er fühlte sich ausgeschlossen und er hatte seinem Bruder gegenüber ein schlechtes Gewissen. Dean war schon wieder in der Bibliothek gewesen und das wo er doch so ungern las. Nicht mal das konnte er ihm abnehmen. Außerdem kam sein Bruder immer wieder her und brachte ihm was etwas zu essen. Die Schwester versorgten ihn zwar mit Kaffee und heute hatte es auch selbstgebackenen Kuchen gegeben, aber sie hatte auch durchblicken lassen, dass sie wirklich froh war, dass Dean für sein leibliches Wohl sorgte. Hoffentlich durfte er morgen endlich hier raus. So schlimm konnte es nicht sein, im Motelzimmer herumzuliegen. Da hatte er seinen Computer. Er konnte recherchieren und Dean wenigstens diese Arbeit abnehmen. Zur Not konnte er auch noch fernsehen. Und nach einem Konzert wollte er auch noch suchen. Hoffentlich gab es eins, über das sein Bruder sich so richtig freuen würde. Er ließ sich in die Kissen sinken. Frustriert hämmerte er mit der Faust auf seine Matratze. Die Erschütterung jagte durch seinen Körper bis in die Schulter und ließ ihn das Gesicht verziehen. Nicht mal seiner Wut konnte er Ausdruck verleihen! Er nahm sich das Buch, schlug es auf und vertiefte sich wieder in die Illias. Dean strich sich über seinen vollen Bauch. Er war von Sam aus noch bei einem chinesischen Imbiss vorbeigefahren und hatte sich gebratene Nudeln und ein Sixpack Bier mitgenommen. Das Buch war, kaum dass er das Zimmer betreten hatte, auf dem Bett gelandet und wartete jetzt darauf gelesen zu werden. Er war regelrecht hibbelig endlich zu erfahren, was damals passiert war und vor Allem, wie er es stoppen konnte. Schnell setzte er noch eine Kanne Kaffee an, nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich auf sein Bett. Er öffnete das Buch und … starrte entsetzt auf die Buchstaben. Das Schriftbild sah wunderschön aus, fast wie gemalt. Nur lesen konnte er kein Wort. Frustriert nahm er einen großen Schluck Bier. Er stellte die Flasche ab und fuhr sich müde über das Gesicht. Das würde eine lange Nacht werden, dabei hatte er gehofft, den Fall noch diese Nacht lösen zu können. ‚Okay, Dean. Ganz langsam. Was weißt Du von dieser Familie?’, überlegte er und begann sich die Fakten noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Brauer war Deutscher und um 1890 hierher gezogen. Das musste also deutsch sein. Außerdem wusste er, dass die Deutschen damals nicht mit lateinischen Buchstaben schrieben. Alte deutsche Schrift. Gab es jemanden, der diese Schrift lesen konnte? Sam vielleicht und Bobby! Aber konnte er Bobby stören? War der vielleicht noch bei Jody? Die beiden schienen sich ja ganz gut verstanden zu haben. Unruhig begann Dean im Zimmer auf und ab zu laufen. Er holte sich seinen Laptop und durchsuchte das Internet nach dieser Schrift. Zehn Minuten später war er um eine Illusion ärmer. Diese Schrift würde er nicht alleine knacken können. Nicht in dieser Nacht. Viel zu viele Buchstaben sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Er brauchte doch Hilfe. Leise murrend holte er sein Handy hervor, ließ sich wieder auf sein Bett fallen und wählte Bobbys Nummer. Schon nach dem zweiten Klingeln ging der Freund dran. „Hallo Dean“, grüßte er ruhig. „Hey, wie geht’s Jody?“, begann er. „Gut. Sie muss noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, aber die Wunden sind nicht so schlimm, wie sie aussahen und heilen gut, soweit ich das sagen kann. Außerdem lassen ihre Kollegen sie noch im Ruhe.“ „Das klingt sdoch ganz gut. Sag ihr einen Gruß von uns.“ „Deswegen rufst du aber nicht an.“ „Nein, ich …“ „Was ist los? Wo ist Sam?“ „Er ist in einem medizinischen Zentrum.“ „Er ist wo?“, fragte Singer ungläubig. „In einem Krankenhaus. Wir hatten einen Zusammenstoß mit einem verdammt wütenden Geist.“ „Ich dachte ihr wolltet nach El Paso. Wie kommt ihr da an einen wütenden Geist?“ „Uns ist ein Mädchen vor den Impala gesprungen. Sie und ihr Freund wollten wohl mit ein paar anderen die Nacht in einem Geisterhaus verbringen. Der Geist erschien und die Truppe verschwand. Bis auf ihren Freund. Den muss der Typ wohl erwischt haben. Er war bewusstlos, als ich ihn fand.“ „Und was ist mit Sam?“ „Das Haus steht schon ziemlich lange leer. Sammy ist durch die Treppe gebrochen. Er hat sich die Schulter ausgerenkt, ein paar Rippen geprellt und den Fuß verstaucht. Ich hab ihn in dem Zentrum gelassen. So ist er mir ja doch keine Hilfe.“ „Und was ist mit dem Geist?“ Dean überlegte kurz und begann dann von seinen Ermittlungen und dem zu erzählen, was ihm heute Nachmittag in dem Haus passiert war. „Und jetzt habe ich das Buch hier und kann kein Wort lesen. Es ist in deutscher Kurrentschrift geschrieben!“, erklärte er sein Dilemma. „Sam müsste ein Programm auf seinem Laptop haben, das diese Schrift in lateinische Buchstaben übersetzen kann. Wir haben vor einer halben Ewigkeit schon mal so ein Problem gewälzt.“ „Danke Bobby!“ „Wenn du Hilfe brauchst, ruf an.“ Wortlos legte Dean auf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Was würde er nur ohne Bobby machen? Er brauchte etwas länger, bis er das Programm auf Sams Laptop gefunden hatte. Die einzelnen Seiten einzuscannen und durch ein Übersetzungsprogramm laufen zu lassen dauerte noch länger, und das obwohl er sich auf die letzten dreißig Seiten beschränkt hatte. Es war schon nach Mitternacht, als er endlich beginnen konnte, das Buch zu lesen. Aber selbst jetzt war es nicht wirklich einfach. Etliche Wörter passten nicht in den Zusammenhang, doch solange es nur um das Leben der Familie ging, war ihm das egal. Er überflog die Zeilen nur. Kapitel 19: Ein Gruselkabinett ------------------------------ 19) Ein Gruselkabinett Inzwischen war es fast fünf und Dean hatte das Buch noch immer vor der Nase. Immer wieder rieb er sich seine brennenden Augen und versuchte die verspannten Schultern zu lockern. Immer wieder musste er einen Absatz erneut lesen oder nach anderen Wörtern suchen, um ihn überhaupt verstehen zu können, doch so langsam lösten sich Einzelheiten aus der Geschichte. Der Tod seiner Tochter hatte den alten Brauer fast wahnsinnig werden lassen vor Kummer. Er hatte sich spätestens da mit dunklen Mächten eingelassen. In der Nacht war dieser unheimliche Mann wieder hier gewesen. Gemeinsam mit meinem Mann ist er in der Werkstatt verschwunden. Ich habe gehört, wie sie in einer fremdartigen Sprache Beschwörungen murmelten. Feuer flammte auf und ich habe gesehen, wie sich Schatten zusammenzogen. Ich dachte mein Herz würde aufhören zu schlagen. So schnell ich nur konnte, bin ich ins Haus zurück gelaufen und zu Bett gegangen. Mein Mann kam in dieser Nacht nicht mehr. Heute Morgen habe ich ihn in der Werkstatt gefunden. Er sah furchtbar aus. Auf der Werkbank vor ihm lag eine neue Marionette. Sie glich unserer Sophia bis aufs Haar. Dean war sich sicher, dass Brauer sich mit einem Dämon eingelassen hatte. Wieder habe ich Konrad mit Sophia reden hören, doch wie immer, wenn ich die Werkstatt betrete, liegt vor ihm nur diese gottlose Marionette! Was hat er nur getan? Er schläft kaum noch und läuft herum wie ein Getriebener. Georg unser Ältester hat sich heute gegen ihn gestellt, hat ihm erklärt, dass er es nicht mehr aushält, im Dorf wie ein Aussätziger behandelt zu werden, und uns verlassen wird. Er hat um seines Vaters Segen gebeten. Und ein paar Seiten weiter standen weitere erschreckende Zeilen. Heute ist auch Hartmuts Platz leer geblieben. Auch er hatte, seinen Brüdern gleich, den Vater um seinen Segen gebeten, auch er wollte diesen Ort der Trauer verlassen und auch ihm hatte Konrad diesen Segen verwehrt. Und wieder liegt eine neue Marionette in der Werkstatt. Wie lange wird es noch dauern, bis auch ich auf dieser Werkbank liegen werde? Dean ließ sich erschöpft nach hinten fallen. Er hatte genug gelesen. Zu gerne würde er sich jetzt einfach hier zusammenrollen, ein paar Stunden schlafen und dann Sammy holen. Doch er war ein Jäger und als solcher durfte er sich eben nicht nur nach seinen Wünschen richten. Für ihn stand fest, dass dieser Brauer einen Pakt geschlossen hatte. Warum er aus seiner Familie Marionetten gemacht hat, wollte sich ihm nicht erschließen. Fest stand jedoch, dass er alle Puppen verbrennen musste und zwar möglichst noch in dieser Nacht. Er gähnte, steckte sich noch einmal und holte sich seine Jacke. Dean parkte den Impala wieder hinter Sträuchern, hinter denen er ihn schon am vergangenen Nachmittag abgestellt hatte und bewaffnete sich mit Schrotflinte, Salz und einem Kanister voll Benzin. Geräuschlos schlich er durch die Dunkelheit ins Haus. Den Kamin sicherte er mit Dämonenfallen und einer breiten Salzlinie ab und entfachte ein Feuer darin. Hier würde er jede einzelne Puppe verbrennen. Als das Feuer brannte, ging er in den Keller. Einen Exorzismus murmelnd kippte er Salz in die Truhe und schleppte sie dann nach oben. Ein paar Stufen protestierten ächzend, als er mit seiner Last auf sie trat und bei zweien befürchtete er, dass er, gleich Sam, durchtreten würde. Wie konnte eine Kiste voller Puppen nur so schwer sein? Erleichtert atmete er auf, als die Kiste vor dem Kamin, innerhalb der schützenden Dämonenfallen stand. Wenn der Dämon, mit dem Brauer seinen Pakt, oder was auch immer, geschlossen hatte, jetzt nicht durch den Kamin kam, sollte er hier sein Vernichtungswerk in Ruhe beenden können. Von jeder Marionette machte er mehrere Fotos. So echt wie die aussahen, hatten die vielleicht ja reale Vorbilder, die sie so vielleicht finden konnten, immerhin waren einige dieser Puppen mit Jeans oder Hemden bekleidet, die es damals eigentlich noch nicht gegeben haben konnte. Danach bestreute er sie noch einmal mit Salz und exorzierte sie, bevor er sie in den Kamin warf. Endlich war nur noch die Puppe des alten Brauer übrig. Ein letztes Mal ratterte Dean den Exorzismus herunter, kippte ordentlich Salz darüber und warf sie in das tanzende Feuer. Wie auch bei den anderen Marionetten leuchtete das Feuer grell blau auf, als sie die Flammen erfassten. Das Holz knackte und die Flammen tanzten über den Körper, bis der in der Mitte zerbarst und eine zähe schwarze Masse brodelnd aus dem Inneren drang. Deans Nackenhaare richteten sich auf und ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Durch den Schornstein drang ein gequältes Stöhnen und trieben Flammen und Asche in Deans Richtung. Erschrocken ließ er sich fallen. Durch die Mauern dröhnte ein gehässiges Lachen. „Wir werden ja sehen, wer hier zuletzt lacht“, knurrte der Winchester. Er wartete noch bis das Feuer fast runtergebrannt und von den Marionetten nur noch glimmende Stücken übrig waren, dann schob er die Truhe bis an den Kamin und schüttete etwas Benzin darüber. Gierig leckten die Flammen daran. Dean nahm sich den Benzinkanister und ging zur Kellertreppe. Großzügig schüttete er den Brandbeschleuniger darüber und warf ein brennendes Streichholzbriefchen hinterher. Bellend erwachten die Flammen zum Leben. Der Winchester verließ das Haus und schaute sich um. Das Nebengebäude, in dem er die Werkstatt vermutete, war zu weit weg. Die Flammen würden wohl kaum bis dahin reichen. Er warf noch einen sichernden Blick ins Haus. Noch war vom den sich langsam ausbreitenden Feuer nicht viel zu sehen. Noch hatte er Zeit bis die Feuerwehr eintreffen würde. Die Tasche mit den Waffen auf der Schulter zurechtrückend ging er zu dem Nebengebäude hinüber. Der Schein seiner Taschenlampe zuckte über die Wände. Auch hier hatte der Verfall kaum sichtbare Spuren hinterlassen. Nichts ließ darauf schließen, dass auch dieses Haus schon Jahrzehnte ohne Bewohner war. Der Winchester legte seine Hand an die Tür und drückte sie vorsichtig etwas weiter auf. Die Angeln protestierten laut knarrend. Automatisch zuckte Dean zusammen. Eigentlich konnte ihn hier keiner hören, trotzdem war ihm dieses Geräusch, obwohl er es erwartet hatte, unangenehm. Der Schein seiner Taschenlampe wanderte langsam durch den Raum und traf die Werkbank, die vor einem Fenster stand. Deans Nackenhaare stellten sich auf und ein unangenehmes Kribbeln rann über seinen Körper. Hier war das Übernatürliche mit Händen greifbar! Während der ganze Raum aussah, als ob hier schon ewig niemand mehr gewesen war, alles war von einer dicken Staubschicht überzogen, von der Decke und in den Ecken hingen Spinnweben wie Schleier, sah diese Werkbank aus, als hätte sie jemand nur für eine kurze Pause verlassen. Die Messer und Meißel waren blank poliert und ein kurzer, prüfender Griff verrieten ihm, dass sie so scharf waren, als wären sie gerade erst geschliffen worden und am Fenster lag ein Holzstück, dass schon einige Konturen eines Körpers erkennen ließ. Das Schlimmste jedoch war ein fertig gestellter Körper und ein grob bearbeiteter Kopf, der noch mit niemandem eine Ähnlichkeit aufwies, dessen Konturen jedoch schon gut erkennbar waren. Wangenknochen, Augen, Nase. Er wollte nicht wissen, was sich hier abspielte. Voller Abscheu erschauerte er. Ohne weiter nachzudenken holte er das Salz aus seiner Tasche und verteilte es über der angefangenen Puppe und der Werkbank, den Rest streute er in dem Raum aus. Einen Exorzismus runterrasselnd ertränkte er die Werkbank mit dem restlichen Benzin. Kaum war er fertig, entzündete er einen alten Lappen und warf ihn auf die Puppe. Schnell griff das Feuer um sich. Im flackernden Tanz der Flammen sah es fast so aus, als ob sich der kopflose Körper vor Schmerzen wand. Pfeifend und knackend zerbarsten die hölzernen Teile der unfertigen Puppe fast gleichzeitig. Wieder quoll diese schwarze, teerartige Pampe aus dem Riss. Fasziniert starrte Dean auf das Schauspiel, das sich ihm hier bot. Ein erleichtertes Stöhnen lief durch die Werkstatt. Und wieder stellten sich Deans Nackenhaare auf. Wie konnten diese Aktivitäten hier nur so lange unentdeckt bleiben? Das Feuer leckte an den staubtrockenen Holzwänden. Die schwarze, teerige Masse brodelte. Eine riesige Stichflamme fauchte Dean entgegen, als diese sich entzündete und zwang ihn auf den Boden. Hastig kroch er aus der Feuerhölle. Auch das Haus brannte inzwischen lichterloh. Er hetzte zu seinem Wagen. Ungesehen brachte er den Impala auf die Straße und trieb ihn in halsbrecherischer Geschwindigkeit weg von dem flammenden Inferno. Auf keinen Fall wollte er damit in Verbindung gebracht werden. Eine Stunde später fuhr er, in aller Ruhe, auf die Brandstelle zu. Rot-blaue Lichter zuckten durch den erwachenden Morgen. Feuerwehren versperrten fast die gesamte Straße. Noch waren die Löscharbeiten in vollem Gange. Unbeachtet erreichte er ihr Motel und ließ sich, nach einer ausgiebigen Dusche wenigstens für ein paar Stunden in sein Bett fallen. Unter der Dusche hatte sich Dean überlegt, dass er jetzt viel lieber für ein paar Stunden ins Bett kroch, als nach Pueblo zu fahren und Ärzte und Architekten zu belästigen. Der Fall war erledigt. Niemand würde mehr in dem Haus zu Schaden kommen. Warum also noch weiter bohren und sich vielleicht doch noch verdächtig machen? Wenn Sammy unbedingt noch mehr Einzelheiten wollte, könnten sie immer noch losziehen, zumal er diese Art der Ermittlungen eh lieber seinem kleinen Bruder überließ. Der konnte das einfach besser. Dean‘s Handy war kurz davor vom Nachtisch zu fallen, als es dem Winchester endlich gelang seine Augen einen Spalt breit zu öffnen. Er fühlte sich noch immer wie erschlagen. Immerhin schaffte er es, sein Handy vor dem Sturz auf den Boden zu retten. Sich kurz streckend kämpfte er sich auf die Füße und begann sich anzuziehen. Immer wieder musste er gähnen und er beschloss, dass er diese Nacht mit Sicherheit in seinem Bett und schlafend verbringen würde. Aber jetzt wollte er seinen kleinen Bruder holen und mit ihm essen gehen. Sein Magen hing ihm bis in die Kniekehlen. Er warf sich noch ein paar handvoll Wasser ins Gesicht und machte sich dann auf den Weg. „Du bist schon zurück?“, fragte Sam ungläubig, als Dean sein Zimmer betrat. Er hatte höchstens die Ärztin erwartet. „Ich war gar nicht los“, antwortete der Ältere und unterdrückte ein Gähnen. „Du … Was ist mit dir?“, unterbrach sich Sam und musterte seinen Bruder intensiv. Dean sah alles andere als gut aus. „Bin okay.“ „Dean, bitte! Nicht schon wieder diese Lüge.“ Der ältere Winchester verdrehte nur die Augen. „Ich hab heute Morgen die Feuerwehr gehört. Der Einsatz geht nicht zufällig auf dein Konto?“ Über Deans Gesicht huschte ein Koboldgrinsen. Doch viel zu schnell wurde er wieder ernst. „Erzählst du mir warum du nicht nach Pueblo gefahren bist und warum die Feuerwehr ausrücken musste?“ „Der Fall ist erledigt. Niemand wird mehr in dem Haus zu Schaden kommen!“ „Aber wir waren uns doch einig, dass du das Haus nicht abbrennen solltest!“ „Du warst dir einig. Ich hab lediglich zugestimmt, dass ich das Haus an dem Tag nicht abbrenne.“ „Und wenn der Totengräber jetzt frei ist?“ „Ist er nicht!“, erklärte Dean ernst. „Woher willst …“ Ein kurzes Klopfen unterbrach Sam. „Oh, Mr. MacInnes, Sie sind auch schon hier“, begrüßte Dr. Mahlkemper den älteren Winchester. „Hallo Doc. Wie sieht’s aus? Kann ich die Nervensäge noch hier lassen, oder haben Sie genug von ihm?“ Dean zwinkerte ihr zu. Sam schnaufte beleidigt. „Wenn es nur darum ginge, aber ich wäre schon froh, das Bett wieder frei zu bekommen.“ „Das heißt also, dass er gesund ist?“ „So würde ich das auch wieder nicht sagen.“ Sie lachte die Brüder offen an und wandte sich dann an Sam. „Versprechen Sie mir, dass Sie sich schonen! Keine langen Autofahrten, keine langen Spaziergänge und in Abrisshäusern sollten sie auch nicht rumkriechen.“ „Das hatte ich nicht vor“, erklärte Sam und schaute zu seinem Bruder, der nur kurz mit den Schultern zuckte. Ein Flackern war in dessen Augen zu sehen, und er fragte sich, was sein Bruder hatte. „Schonen Sie sich noch ein paar Tage und legen den Fuß hoch, dann sollten Sie wieder fast wie neu sein.“ „Danke Dr. Mahlkemper.“ Sie nickte, reichte den Brüdern die Hand zum Abschied und verschwand mit wehendem Kittel. „Hast du Hunger?“, wollte Dean wissen, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte. „Ich denke schon.“ „Du denkst schon? Wie kann man nicht wissen, ob man Hunger hat?“ Dean schaute etwas unglücklich zu seinem Bruder. Entschuldigend blickte Sam seinen Bruder an. Klar, dass der mit so einer wagen Äußerung nichts anfangen konnte. Dean hatte immer Hunger. „Du reagierst wie jemand, der mehr als einmal hungern musste.“ Ein Grinsen huschte über Sams Gesicht, bis Deans Blick ihn streifte. Für einen Lidschlag lag etwas in dessen Augen, dass Sam als „was weißt du schon“ identifizierte. „Du weißt was Hunger ist“, stellte er erschrocken fest. „Aber wann?“ „Ist das nicht egal? Ich würde gerne jetzt was essen gehen!“ Sam nickte betrübt. Wieder etwas, das sein Bruder in sich hineinfraß. Er rutschte vorsichtig zum Bettrand und stellte die Füße vorsichtig auf den Boden. „Könntest du mir meine Sachen geben oder soll ich so mitkommen?“, versuchte er die Stimmung etwas aufzulockern. „Hätte doch mal was oder?“, ging Dean auch sofort darauf ein. Er stand auf, schob seinen Stuhl beiseite und ging zu dem einzigen Schrank. „Hier. Brauchst du Hilfe?“ „Ich hoffe nicht“, erwiderte Sam und begann sich umzuziehen. „Ich warte draußen und …“ „Kannst du hier bleiben? Ich weiß nicht, ob ich meinem Knöchel viel zumuten kann.“ Dean nickte. Zu gerne hätte er jetzt wenigstens einen, wenn auch widerlichen, Automatenkaffee getrunken, nur um überhaupt die Augen offen zu halten. Was war nur mit ihm los? Ja, er hatte in den letzten Nächten wenig Schlaf bekommen, aber deswegen dürfte er doch nicht so müde sein, oder? Kapitel 20: Sam staunt ---------------------- 20) Sam staunt Endlich saßen sie im „Fiestas“ und warteten auf ihre Bestellungen. Dean hatte einen großen Kaffee vor sich stehen, dessen Aroma er mit geschlossenen Augen in sich aufnahm, und Sam hielt sich an seinem Latte fest. „Verrätst du mir was über den Fall?“, fragte der Jüngere leise. Er hatte Dean eigentlich fragen wollen, wann der den Hunger kennen gelernt hatte, aber das konnte er sich ja fast denken. Immerhin kam Dad selten zu der von ihm angesagten Zeit und er war sich sicher, dass das Geld, auch als Dean noch ein Kind war, wohl nicht üppiger ausgefallen war, als in den späteren Jahren. Nur das sein Bruder damals wohl noch weniger Möglichkeiten hatte, welches zu besorgen. Er selbst hatte immer etwas zu essen bekommen, selbst wenn es oft nur Cornflakes waren. Doch was war mit Dean? Hatte der immer genug zu essen gehabt? Wohl nicht. „Was willst du denn wissen?“, fragte der Ältere und rieb sich die Schläfen. Langsam bekam er Kopfschmerzen. „Fang doch einfach am Anfang an. Was hat dir Dr. Mahlkemper erzählt. Du wolltest sie doch wegen ihres Wutausbruches fragen.“ „Sie hat mir erzählt, dass die Jugend das Haus schon ewig als eine Art Mutprobe ansieht. Immer wieder verbringen die Teenies eine Nacht da. Sie hat mir erzählt, dass ihr Freund nach so einer Nacht ins Koma gefallen und gestorben ist. Ob es allerdings einen Zusammenhang zwischen dem Haus und dem Koma ihres Freundes gibt, kann ich nicht sagen. Es scheint aber wohl immer wieder Fälle gegeben zu haben, dass Menschen, die in dem Haus waren, danach in ein unerklärliches Koma gefallen sind und starben. Das wollte ich eigentlich heute im Krankenhaus erfragen, aber mir ist gestern was in die Hände gefallen, das den ganzen Fall aufgeklärt hat und ich hab dem Treiben ein Ende bereitet.“ Ein breites Grinsen legte sich auf Deans Gesicht. „Was hast du gefunden?“, fragte Sam neugierig. Dean holte Luft, schwieg jedoch, da der Kellner ihnen ihr Essen brachte. Erst als der wieder weg war und Dean den ersten Bissen im Mund hatte, erklärte er: „Ich habe ein Tagebuch gefunden. Das Tagebuch der Ehefrau des Totengräbers, wie Aimee ihn genannt hatte.“ „Meinst du, er war wirklich Totengräber?“ „Ich hab keine Ahnung. Vielleicht? Es gab lange Bretter in der Werkstatt, die durchaus für einen Sarg passend gewesen wären, aber sie könnten auch für alles andere verwendet werden.“ „Hast du das Tagebuch gelesen?“ „In Auszügen.“ „Nur in Auszügen?“ „Immerhin soviel, dass ich die Puppen und das Haus heute Nacht verbrennen konnte!“ „Puppen? Ich glaube du solltest wirklich in Ruhe erzählen!“, grinste Sam verlegen. Sein Bruder förderte ja immer neue Details zu Tage! „Ja, Puppen. Genauer Marionetten. Dieser Brauer hat Marionetten geschnitzt. Hatte ich dir das nicht schon erzählt?“ „Ich …“ „Jedenfalls war Brauer Tischler und wohl ein angesehener Bürger dieser Gemeinde. Er hatte Marionetten gefertigt. Sahen wirklich gut aus, die Dinger. Er hat zusammen mit seiner Frau damit auf Festen gespielt. Aber das tut hier nichts zur Sache. Er hatte mit seiner Frau vier Söhne und sie bekamen Jahre später noch eine Tochter. Sie soll sein ganzer Stolz gewesen sein! Die Kleine starb. Woran? Keine Ahnung. Brauer hat sich nach ihrem Tod verändert. Und, soweit ich das Tagebuch verstanden habe, hat er einen Pakt geschlossen, um die Kleine wieder zu bekommen. Der Dämon hat ihn gelinkt. Wie auch immer er das angestellt hat. Es gab eine Marionette, die aussaht wie sie und die scheint zumindest für ihn auch gelebt zu haben. Seine Frau schreibt, dass sie ihren Mann mit ihr reden gehört hat, wenn sie allerdings in die Werkstatt kam, war da nur ihr Mann und diese Puppe. Nach und nach verschwanden die Söhne und dann wohl auch sie. In der Kiste gab es Puppen, die Brauers Familie sein könnte. Es gab auch eine Marionette, die genau wie der Geist aussah, der dich attackiert hat.“ „Gab?“ „Ja, ich hab sie exorziert. Jede einzeln und sie dann verbrannt.“ Solange er sich voll auf die Fakten konzentrieren konnte, fühlte er sich nicht ganz so erschlagen. Sam nickte traurig. Er hätte sich diese Puppen schon gerne angesehen. „Ich hab sie fotografiert, falls du sie dir anschauen willst. Was mich stutzig werden ließ: Es gab auch Puppen, die von der Kleidung her eher in unsere Zeit passen würden.“ „Hast du von denen auch Bilder?“ „Hab ich Sammy, hab ich.“ Er gähnte erneut. „Sag mal, wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ „Heute Morgen, nachdem ich das Haus abgefackelt hab.“ „Und die Nacht davor?“ „Auch etwa um die Zeit.“ „Wenn wir hier fertig sind, fahren wir ins Motel und du schläfst dich aus!“, bestimmte der Jüngere energisch. „Yes, Sir!“ „Dean, du …“ Sie schauten sich an und beide fühlten sich unwohl in ihrer Haut. „Ich will nicht, dass du mich so nennst, nicht mal im Spaß, und ich will nicht, dass du etwas tust, nur weil ich es sage. Ich bin nicht Dad, okay!“ Der Ältere schloss die Augen und nickte. Es hatte lustig klingen sollen, war aber wohl alles andere als das gewesen. Kaum sichtbar schüttelte Sam den Kopf. Sein Blick ruhte auf seinem Bruder, der endlich in seinem Bett lag und schlief. Wenn er nicht vor ein paar Minuten ein Machtwort gesprochen hätte, würde der wohl immer noch wie ein aufgeschrecktes Huhn durch ihr Zimmer laufen und ihm irgendetwas bringen, das er vielleicht brauchen könnte. Laptop, Drucker, Handy, Fernbedienung, noch einen Laptop und das Tagebuch lagen auf dem Bett. Kaffeekanne, Kekse, Milch und eine Tasse standen auf dem Nachttisch und Dean hatte ihm mehrfach das Versprechen abgenommen, dass er ihn wecken würde, sollte er etwas brauchen. Er hatte es ihm auch gegeben, aber nicht vor, es auch zu halten. Dean war fahrig und überdreht und sah nicht wirklich gut aus. Wenn er es irgendwie vermeiden konnte, würde er ihn in den nächsten Stunden nicht aus seinen Träumen reißen. Beschäftigung hatte er genug. Zuerst spielte er die Fotos der Puppen auf seinen Rechner und während die Bilder übertragen wurden, warf er schon mal einen Blick in das Tagebuch. Wie Dean in der Nacht vorher starrte er fasziniert auf die Seite ohne auch nur ein Wort erkennen zu können. Sein Bruder hatte das gelesen? Wie? Ob Bobby etwas wusste? Er angelte nach seinem Handy und wählte die Nummer des alten Freundes. So würde er nicht ewig damit verbringen herauszufinden, was das für eine Schrift war. Es klingelte eine Weile, dann ging die Mailbox dran. „Hey, Bobby, hier ist Sam. Bitte melde dich mal bei mir“, sprach der Winchester ihn aufs Band und legte dann wieder auf. ‚Dann eben erst die Bilder’, überlegte er das Buch wieder zuklappend. Inzwischen waren die auf seinem Rechner. Er hackte sich ins Stadtarchiv, öffnete das Programm für die Gesichtserkennung, das er sich vor einer halben Ewigkeit mal für einen Fall auf den Rechner geladen hatte, gab einige Befehle ein und ließ das Programm suchen. Jetzt hieß es warten. Leise seufzend ließ er sich gegen das Kopfteil seines Bettes fallen. Wieder huschte sein Blick zu Dean. Er hatte doch nur zwei Tage im Krankenhaus gelegen? Was hatte Dean in dieser Zeit alles getrieben? Sein Bruder war sich so sicher gewesen, dass er das Haus abgefackelt hatte, also musste er genug ermittelt haben. Nur wie? Was war das für eine Schrift? ‚Brauer’ Der Name klang deutsch. Er kam mit seinen Überlegungen nicht weiter, denn in diesem Moment klingelte sein Telefon. Hastig griff er danach. Auf keinen Fall wollte er riskieren, dass er Dean damit weckte. „Hallo Bobby“, meldete er sich etwas atemlos. „Sam!“ „Wie geht’s Jody?“ „Was habt ihr nur immer mit ihr?“ „Weil sie ein Fall war? Weil sie uns nicht egal ist und weil sie dir nicht egal ist? Du bist ein großer Teil unseres Lebens, Bobby. Wir möchten auch an deinem Leben teilhaben.“ Verlegen räusperte sich der alte Jäger. Er wusste, dass er den Jungs nicht egal war. Er wusste, dass sie sich bei ihm wohl fühlten. Das musste niemand erwähnen. Aber es zu hören tat trotzdem mehr als gut. „Erklär mir lieber erst mal, wie es dir geht.“ „Ich bin soweit okay. Der Fuß ist noch leicht geschwollen und meine Rippen werde ich auch noch ein paar Tage merken. Aber sonst geht’s mir ganz gut. Ich kann nur noch keine großen Sprünge machen und soll mich noch schonen, sagt die Ärztin. Und Dean befolgt ihren Rat natürlich buchstabengetreu. Du kennst ihn ja. Und wie geht es Jody jetzt?“, hakte Sam lächeln nach. „Sie ist genervt. Ihre Kollegen haben sie schon ein paar Mal verhört, auch wenn sie es nicht so ausgedrückt haben. Die Leiche ihres Mannes ist noch nicht freigegeben worden. Sie muss weiterhin im Krankenhaus bleiben, weil die Wunden eben nicht in zwei Tagen heilen und sie langweilt sich.“ Sam schnaufte amüsiert. „Was?“, wollte Bobby wissen. „Nichts. Ich stelle nur gerade fest, dass sie dir wirklich nicht egal ist, außerdem klingt das auch irgendwie nach Dean.“ „Deswegen hast du mir aber nicht auf die Mailbox gesprochen!“, wechselte der alte Jäger das Thema. Der Winchester grinste breit. „Nein. Ich wollte wissen, ob Dean mit dir über den Fall gesprochen hat.“ „Was ist mit ihm? Warum fragst du ihn nicht selbst?“, wollte Bobby alarmiert wissen. „Er schläft und ich wollte ihn nicht wecken.“ „Er schläft? Jetzt?“ „Ja. Er hat in den zwei Tagen die ich im Krankenhaus verbringen musste, unseren Fall gelöst. Ich bin nur neugierig.“ „Wie seid ihr da überhaupt rein geraten?“ „Ein Mädchen ist uns vor den Impala gesprungen und hat von einem Geist geredet, der ihren Freund bedrohen würde.“ „Ja, Dean hat gestern nach Schriften gefragt. Er meinte, dass es deutsche Kurrentschrift sein müsste und ich hab ihm gesagt, dass du ein Programm auf dem Rechner hättest.“ „So weit war ich mit meinen Überlegungen noch gar nicht. Danke, Bobby. Du hast mir geholfen!“ „Okay. Immer gern“, erwiderte der ältere Jäger. Kaum hatte Sam aufgelegt, durchsuchte er beide Rechner, ob Dean seine Kopien noch irgendwo gespeichert hatte. Er hatte Glück. Die letzten Seiten des Tagebuches waren in einer Datei abgelegt, genauso wie die sehr unzureichenden Übersetzungen. Wie hatte Dean nur so schnell sein können? Sofort stöpselte er seinen Kombidrucker an den Laptop und begann die restlichen Seiten des Tagebuches einzuscannen. Er wollte das Buch zu gerne komplett lesen. Wie kam ein Mensch nur dazu einen Pakt mit einem Dämon zu schließen? Ob es auch hier um Liebe ging, so wie bei Dean? Aber war Liebe dann wirklich etwas Schönes, wenn sie Menschen doch immer wieder in die Arme von Dämonen treiben konnte? Er schüttelte den Kopf. In diese Richtung wollte er seine Gedanken nicht laufen lassen. Liebe war etwas Gutes, nur leider wurde das zu oft vom Bösen ausgenutzt! Dean erstarrte regelrecht. Seine Atmung setzte aus. Mit einem erstickten Keuchen riss er die Augen auf und versuchte sich zu orientieren. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und sein Magen schien ein großer Klumpen zu sein. Er rieb sich unwirsch über die Augen. Besorgt blickte Sam zu seinem Bruder. „Dean?“ Dean schaffte es nur langsam, sich von diesem Albtraum zu lösen. Der Blick, den ihm sein Vater damals zuwarf, als er wie versteinert auf die Strigha gestanden hatte, die Sammy das Leben aussaugen wollte, ging ihm auch heute noch durch und durch, und er fühlte sich klein und minderwertig. „Dean?“, fragte Sam erneut. „Hm“ Kurz blinzelte der Ältere, schloss aber gleich wieder die Augen. Normalerweise sollte er wenigstens für den Moment hellwach sein. Das Gegenteil war der Fall. Endlich setzte er sich auf und rieb sich erneut über die Augen. „Was ist los?“, wollte Sam besorgt wissen. „Hab nur schlecht geträumt!“ Sam legte den Kopf schief und musterte seinen Bruder. Er sah noch immer nicht besser aus, als vor ein paar Stunden. „Was machst du?“, fragte Dean seinerseits. „Ich versuche zu verkraften, was du in zwei Tagen alles herausbekommen hast. Das ist Wahnsinn, Dean!“ Der zog skeptisch die Augenbraue hoch. „Nein wirklich. Ich bin echt beeindruckt was du hier geschafft hast. Ich hätte es nicht besser gekonnt“, erklärte er noch einmal ernst, sah er doch, wie es hinter Deans Stirn arbeitete. Unwirsch schüttelte der Ältere seinen Kopf und stand auf. „Ich besorg uns was zu essen“, sagte Dean und begann sich anzuziehen. Er musste hier raus. Dieser Blick seines Vaters war noch viel zu präsent. Zumal er wieder einmal nicht richtig auf Sam aufgepasst hatte. Jetzt wünschte er sich nur, dass andere Eindrücke und die Konzentration beim Fahren dieses Gefühl der Schuld wieder verschwinden lassen würden. „Einen besonderen Wunsch? Hier gibt es mexikanisch, chinesisch oder lieber normales Essen?“ „Wir haben Sandwiches hier“, warf Sam ein. „Nein, ja. Ich will mich einfach etwas bewegen“, erklärte Dean und gähnte. „Solltest du nicht besser weiter schlafen?“ „Das kann ich nachher auch noch!“, erwiderte der Ältere leicht gereizt. „Okay, okay!“, lenkte Sam ein und hob beschwichtigend die Hände. „Ich hätte gerne chinesisch.“ Dean nickte kurz, griff nach seinem Schlüssel und verschwand. Kapitel 21: Erkenntnisse ------------------------ Bin gut erholt aus meinem Urlaub zurück und freue mich auf ein besseres Jahr als 2013 mit viele guten Ideen und dem einen oder anderen Review ;-) @ Vanilein: Vielen Dank für Deinen Kommi. natürlich werde ich Dir nicht verraten, was mit Dean passiert. Das würde ja die Spannung verderben. ;-) Ein gesundes neues Jahr wünsche ich euch. LG Kalea Auf geht’s: 21) Erkenntnisse ‚Was war denn in Dean gefahren?’, fragte sich Sam und rutschte zur Bettkante. Er musste dringend mal ins Bad. Vorsichtig setzte er seinen Fuß auf den Boden und versuchte probeweise ihn zu belasten. Die Schmerzen blieben aus. Langsam, seinen gesunden Fuß nutzend, stemmte er sich in die Höhe. Noch ging alles gut und er wurde mutiger. Die Muskeln seines rechten Beines zitterten vor Anstrengung, als er sein Gewicht immer weiter auf das linke Bein verlagerte. Sein Fußgelenk fand diese Beanspruchung alles andere als toll und jagte einen stechenden Schmerz durch sein Bein bis hinauf ins Rückenmark. Schnell stand er wieder nur auf seinem rechten Bein. „Okay“, murmelte er leise. „Dann eben ganz langsam.“ Mehr hüpfend als laufend überbrückte er die Distanz zum Badezimmer. Erleichtert ließ er sich wieder auf sein Bett fallen. Sein Knöchel pochte, doch er hatte es sich schlimmer vorgestellt und war sich ziemlich sicher, dass er mit dem richtigen Verband und seinen festen Schuhen morgen ganz gut laufen können würde. Er wollte nicht noch einen Tag im Bett verbringen, egal was Dean dazu meinte. Sam schob den Deckel seines Laptops wieder komplett auf und schaute auf das Übersetzungsprogramm. Es war fast fertig. Er war gespannt, was ihm das Tagebuch, das Dean gefunden hatte, alles erzählen würde und er hoffte, dass es halbwegs lesbar war. Immerhin hatte er es hier nicht nur mit deutsch sondern auch noch in einer alten Ausdrucksweise und einer Handschift zu tun. Bis das jedoch soweit war, konnte er nachschauen, was seine Gesichtserkennung so zu Tage gefördert hatte. Nacheinander verglich er die Bilder aus dem Stadtarchiv mit Deans Fotos. Die Brauers hatte er sehr schnell zuordnen können, da es eine historische Seite gab, auf der auch die Legende dieser Familie aufgegriffen worden war. Außerdem hatte er noch zwei Bildern Namen zuordnen können. Mehr hatte die Stadt nicht hergegeben. Er wandte sich dem Archiv der hiesigen Zeitung zu und hatte schnell wieder einen Namen. Blieben noch elf Fotos, zu denen er noch nichts wusste. Die Fotos, deren Personen jetzt einen Namen hatten, benannte er um und speicherte sie in einer eigenne Datei, in der er auch die Fakten eintrug, die er bisher zu den Personen gefunden hatte. Dabei kristallisierte sich ein Verdacht heraus der so furchtbar war, dass er dem er eigentlich nicht nachgehen wollte. Er hoffte nur, dass Dean wirklich das Richtige verbrannt und diesen Bösen nicht Tür und Tor geöffnet hatte. Wieder schaute er auf seinen Laptop. Das Programm brauchte noch ein paar Minuten, aber im Moment hatte er eigentlich auch noch genug zu tun. Gebannt hockte Sam vor Deans Rechner und starrte auf den Bildschirm, als der Ältere wieder ins Zimmer kam. „Hey“, sagte der und ging sofort in die Küche. Eine Weile werkelte er stumm. „Willst du im Bett essen oder soll ich den Tisch decken?“, wollte Dean plötzlich neben Sams Ohr wissen. Der Jüngere zuckte zusammen und hätte fast dessen Laptop von seinen Beinen gefegt. „Himmel! Erschrick mich doch nicht so!“ „Schon was gefunden?“ „Einiges, aber noch nichts Konkretes.“ Er drehte den Rechner zu seinem Bruder. „Kann ich mir das nachher anschauen? Ich würde erst gern was essen“, erklärte der Ältere ruhig. „Klar!“ „Und wo?“ „Auf dem Tisch?“ „Das hatte ich dich gerade schon gefragt, aber keine Antwort bekommen“, maulte Dean. Sam warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Er legte den Rechner beiseite und humpelte unter den kritischen Blicken des Älteren langsam zum Stuhl und ließ sich darauf fallen. Nach dem Essen räumte Dean den Tisch ab und brachte noch zwei Bier mit. „Kannst du deinen Laptop mitbringen?“ „Bist du jetzt schon multilaptopfähig?“, fragte der Ältere grinsend. „Nein, aber ich kann zwei beschäftigen“, lachte Sam breit. „Okay? Was hast du?“ „Die Datei ist offen. Vielleicht sagt dir ja einer der Namen etwas.“ Sam drehte seinen Rechner zu seinem Bruder, der sich sofort in die Daten vertiefte. Es dauerte nicht lange bis Dean wieder aufschaute. „Oh Gott“, sagte er leise und unterdrückte ein weiteres Gähnen. „Was ist?“, wollte Sam neugierig besorgt wissen. „Flatcher Mulder. Er war der Freund von deiner Dr. Mahlkemper. Sie hat mir erzählt, dass er von Brauer angegriffen worden war. Und John Reidy war der Architekt, der das neue Baugebiet betreute. Möglich, dass der auch da war.“ „Reidy ist bei einem Unfall gestorben.“ „Ja, er hat einen Schulbus gerammt“, bestätigte Dean. „Hast du sonst noch jemanden?“ „Einen Ty Tracker. Er starb mit siebenunddreißig Jahren. Seine Mutter hatte ihn im Kuhstall gefunden. Er lag neben den Futtertrögen. Was er genau hatte und warum er da umgekippt ist, konnte nie geklärt werden. Das ist in den 1940ern gewesen.“ „Hast du sonst noch eine Gemeinsamkeit gefunden?“ „Außer, dass du sie fotografiert hast? Nein.“ „Kannst du mal die Mondphasen prüfen, vielleicht tauchte dieser Brauer ja immer zu bestimmten Zeiten auf.“ „Du suchst nach einer Erklärung, warum nur sie gestorben sind?“ „Ja, immerhin waren etliche da und die wenigsten sind in der Freaksammlung gelandet.“ „Ich werde das nachher noch untersuchen. Du solltest dich wieder hinlegen. Du siehst immer noch nicht fit aus.“ „Ich kann doch nicht den ganzen Tag schlafen“, protestierte Dean. „Warum nicht? Wir haben hier nichts zu tun.“ „Kann ich dir nicht irgendwie helfen?“ Dean wollte noch nicht wieder ins Bett. Er wollte nicht wieder träumen. „Warum schaust du dir nicht das Spiel an?“ „Spiel?“ Dean zuckte mit den Schultern. Warum nicht. Alles war besser als noch einmal so einen Traum zu haben. Er nahm sein Bier und machte es sich auf seinem Bett gemütlich. Weit nach Mitternacht klappte Sam seinen Rechner zu und rieb sich die Augen. Ungefähr die Hälfte des Tagebuches hatte er gelesen und ihn schauerte es, wenn er nur daran dachte. Hier waren sie auf etwas gestoßen, dass vor über hundert Jahren begonnen haben musste und es war nichts Gutes. Er blickte zu Dean hinüber, der noch immer voll bekleidet in einer halb sitzenden Stellung auf seinem Bett lag und schlief, die leere Bierflasche lag an seinen Oberschenkel gelehnt. Er würde ihn wecken müssen, wollte er nicht riskieren morgen einen unleidlichen Bruder ertragen zu müssen. Vorsichtig erhob er sich und humpelte ins Bad. Mit einem stützenden Verband und festem Schuhwerk sollte er den nächsten Tag eigentlich überstehen können. Er wollte unbedingt in dem Büro des Architekten vorbei und wenn möglich auch ins Krankenhaus. Vielleicht fiel ihm bis dahin ja noch ein, worauf er sich dem Arzt gegenüber berufen könnte. Seuchenschutz vielleicht? Soweit er herausgefunden hatte, war dieser Cameron am frühen Abend eingeliefert worden. Sam ging zu seinem Bruder hinüber und rüttelte ihn leicht am Arm. Es tat ihm leid, dass er Dean wecken musste, doch heute ging es nicht anders. Er konnte ihn nicht abheben, nicht ohne selbst fest zu stehen. „Was?“, grummelte der Ältere verschlafen. „Zieh dich aus und geh ins Bett.“ „Hat das nicht Zeit bis morgen?“, nuschelte der Ältere. „Nein“, Sam musste lachen, „das hat keine Zeit. Komm schon. Du kannst doch gleich weiter schlafen.“ „Du bist eine Nervensäge!“, maulte Dean und setzte sich auf. „Und jetzt?“ „Jetzt stehst du ganz auf, ziehst dich aus und dein Schlafzeug wieder an“, erklärte Sam so ruhig es nur ging, auch wenn er eigentlich vor Lachen fast platzte. Dean schien das Gesagte so langsam aufzugehen. Er stand auf und befolgte Sams Rat. Schnell war er wieder im Bett verschwunden. „Schlaf gut, Dean!“, wünschte Sam noch und legte sich ebenfalls hin. So schnell wie sein Bruder fand er jedoch keinen Schlaf. Immer wieder ging ihm das, was er in dem Tagebuch gelesen hatte durch den Kopf. Die erste Zeile hatte sich regelrecht in sein Gehirn eingebrannt. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich lebe! Elisabeth Brauer, die Frau des „Totengräbers“, schien eine für diese Zeit sehr aufgeschlossene, gebildete Frau gewesen zu sein. Er hatte bis jetzt nicht in Erfahrung bringen können, wie sie aufgewachsen war, welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehörte und woher sie kam. Sie war von einem durchgehenden Pferdegespann erfasst worden und hätte, zumindest ihrer Meinung nach, sterben müssen, doch sie lebte. Sie hatte ihren Mann darauf angesprochen, hatte ihn gebeten, dass er ihr sagte, dass er keine Dummheit begangen hätte, doch er war ihr ausgewichen und hatte nur immer wieder betont, dass er sie nicht hätte sterben lassen können. Er und die vier Söhne brauchten sie doch. Elisabeth hatte sich damit abgefunden. Ihre Umgebung allerdings nicht. Immer öfter und immer offener hetzten die Nachbarn gegen sie und ihre Familie. Zu guter Letzt mussten sie ihre Habseligkeiten packen und weiterziehen. Sie hatten sich in Rocky Ford niedergelassen. Niemand wusste hier von ihrer Vergangenheit und sie konnten wieder glücklich leben, wenn da nicht immer wieder dieser unheimliche Freund ihres Mannes aufgetaucht wäre, mit dem der dann in seiner Werkstatt verschwand und manchmal tagelang nicht wieder herauskam. Wenn dieser Freund weg war, sah ihr Mann jedes Mal alt und erschöpft aus. Immer wieder drängte sie in ihn. Immer wieder fragte sie, doch er wiegelte jedes Mal ab. Ihrer Söhne und ihres Lebens zuliebe, sollte sie es gut sein lassen. Sam schüttelte sich, wie konnte der Brauer sich nur auf so einen Typen einlassen. Ob es ein Dämon war? Hatte der Brauer einen Pakt angeboten, um seine Frau wieder zu bekommen? War die Bezahlung eine andere, als seine Seele nach zehn Jahren? Gab es das, oder waren Dämonen immer nur auf Seelen aus? Wieso hatte Dean eigentlich nur ein Jahr bekommen? Wieso wollten ihn die Dämonen so schnell? Hatte Dean einfach nur schlecht verhandelt? Unwirsch schüttelte er diesen Gedanken ab. Dean hätte sich bestimmt nicht auf einen schlechten Deal eingelassen, wenn er einen guten hätte bekommen können. Es musste etwas anderes dahinter stecken, aber was? Hatten die Dämonen Angst, dass sie den Deal in diesen zehn Jahren ohne Probleme hätten brechen können? Wollten sie Dean so unbedingt in der Hölle? Warum? Wenigstens hatten sie diesen Deal auch so gebrochen. Mit viel Glück, aber Dean war frei! Also mit wem hatte Brauer da gehandelt? Die Menschen hier wisperten vom Teufel. Luzifer schloss keinen Pakt, aber vielleicht einer seiner direkten Vertrauten? Schnaufend drehte er sich auf die Seite. So kam er nicht weiter. Vielleicht ergab der Rest des Tagebuches morgen ja einen Sinn oder einen weiteren Verdächtigen. Jetzt sollte er endlich schlafen, sonst wäre er genauso müde wie Dean. Wie üblich war Sam am Morgen vor Dean wach und das, obwohl der so viel später ins Bett gekommen war. Er warf einen Blick auf seinen Bruder, der noch tief unter den Decken vergraben lag. Musste er sich Sorgen machen? Er schlug seine Decke zurück und nahm sich vor, seinen Bruder heute etwas genauer im Auge zu behalten. Sein Verdacht zerschlug sich, als er vom Frühstück holen zurück war. Dean war wach, hatte Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt. „Solltest du nicht eigentlich noch im Bett bleiben?“, fragte der Ältere mit vorwurfsvollem Ton. „Ich dreh durch, wenn ich hier noch länger eingesperrt bin!“ „Du bist nicht …“ „Nein, aber raus darf ich auch nicht!“, beschwerte sich Sam schärfer als gewollt. Dean zuckte nur mit den Schultern und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er hatte keine Lust auf längere Diskussionen. Hinter seiner Stirn schien sich ein Specht eingenistet zu haben. „Hast du noch was rausgefunden?“ Vielleicht half es ja, wenn er sich ablenkte? „Ich hab einen Teil des Tagebuches gelesen. Elisabeth hat es geschrieben. Brauers Frau. Ihr erster Satz war, dass sie nicht mehr leben dürfte. Sie wusste nicht, was passiert war, aber sie schob es auf einen Freund ihres Mannes, der ihr unheimlich vorkam.“ „Ich hab auf einen Dämon getippt. Hab die Puppen mit Salz bestreut und jede einzelne exorziert, bevor sie zu Kaminholz wurden.“ „Könnte aber auch ein Hexer gewesen sein. Oder eine Gottheit, die sich von Seelen ernährt? Wenn ich da an Burkitsville denke? Die wollten euch opfern.“ Dean nickte nur. Das waren noch Zeiten. Damals war seine Welt noch halbwegs in Ordnung. Nicht, dass sie das jetzt nicht wäre. Jetzt war es nur anders. „Und was hast du heute vor, wenn ich dich nicht länger in dem Zimmer halten kann?“, wollte Dean wissen. „Ich würde gerne mit jemandem im Büro des Architekten reden und vielleicht noch im Krankenhaus vorbei. Ich hab noch einigen deiner Fotos Namen zuordnen können und die meisten von ihnen sind im Krankenhaus gestorben. Okay, die meisten in den letzten Jahren. Davor waren es alle möglichen Todesursachen.“ „Fangen wir mit dem Architekten an. Und wenn dein Fuß dann noch belastbar ist, fahren wir weiter. Aber ich will, dass du mir sagst, wenn etwas ist. So wichtig ist das hier auch nicht mehr. Das Haus ist abgebrannt und die Puppen sind auch den Flammen anheimgefallen. Also Ende gut, alles gut, würde ich sagen.“ „Dean, ich möchte doch nur …“ „Du willst es nur verstehen, ist schon klar. Trotzdem ist mir deine Gesundheit wichtiger.“ Sam grinste und nickte sofort. Kapitel 22: Absolut nichts Neues -------------------------------- 22) Absolut nichts Neues Keine Stunde später waren sie auf dem Weg nach Pueblo, zu dem Architekturbüro. „Wie viele Puppen konntest du denn zuordnen?“, wollte Dean wissen. „Sieben von den neunzehn und die Brauers. Weiter reichten die Archive nicht zurück. Oder wir müssten selbst suchen gehen.“ „Das muss aber nicht sein, oder?“ „Nein. Keine Angst Dean, ich glaube nicht, dass du deine Zeit in verstaubten Archiven verbringen musst.“ „Danke, du bist zu gütig!“ „Idiot“ „Mistkerl“ Dean lenkte den Wagen auf einen der freien Parkplätze vor dem Bürokomplex. „Viel ist ja hier nicht los!“, stellte er leise fest. Gemeinsam stiegen die Brüder aus und schlugen, fast synchron ihre Türen zu. Sam grinste. Um einen ruhigen und sicheren Gang bemüht, lief er auf die Tür zu, wo ihn sein Bruder schon erwartete. Die Sprechanlage schnarrte und nachdem Dean ihr Anliegen vorgetragen hatte, wurden sie eingelassen. „Melinda Bench. Wir kann ich ihnen helfen?“ Eine ältere, kräftig gebaute, nichts desto trotz elegant gekleidete Dame empfing die Brüder in dem Architekturbüro. „Wir kommen vom Anwaltsbüro Stanton und Sohn. Mein Name ist Sam Stanton und das ist mein Partner Dean Smith“, stellte Sam sie erneut vor. Melinda nickte nur kurz. „Mr. Hogarty war in einen Unfall mit einem Schulbus verwickelt, bei dem er unglücklicherweise verstarb“, begann Sam ruhig. „Wir wurden von einigen Eltern beauftragt, die meinen, dass Mr. Hogarty diesen Unfall verschuldet hat.“ „Mr. Hogarty ist ein sehr umsichtiger Fahrer gewesen. Diese Verdächtigungen sich haltlos!“, schimpfte sie empört. „Wir müssen diesem Verdacht nachgehen.“ „Ich habe der Polizei schon alles erzählt!“ „Wir haben den Bericht gelesen, würden aber gerne mit Ihnen reden“, sagte Sam. Mrs. Bench holte tief Luft und nickte. „Sie sagen, Mr. Hogarty war ein umsichtiger Fahrer. Sind Sie schon mal mit ihm mitgefahren?“, wollte Dean wissen. Er begann sich in dem Büro umzusehen. Eingehend studierte er die Urkunden und Bilder von verschiedensten Häusern an den Wänden. „Ja. Es kam vor, dass wir abends sehr lange arbeiten mussten. Dann hat er mich nach Hause gefahren, weil er nicht wollte, dass ich so spät noch mit dem Bus unterwegs war.“ „Gab es in letzter Zeit auch solche Abende?“ „Nein, nicht in den letzten Wochen. Es ist sehr ruhig auf dem Immobilienmarkt. Kredite brechen weg. Die Krise breitet sich immer weiter aus.“ „Und das betraf auch dieses „Wohnen-im-Grünen“-Projekt in Rocky Ford?“, fragte Dean. „Ja. Die Stadt hat den Auftrag bis auf unbestimmte Zeit storniert. Es gab nur noch zwei Interessenten für die über dreißig Grundstücke.“ „Wie hat Hogarty das verkraftet?“ „Es war nicht einfach.“ „Hat er die Grundstücke besichtigt...“ „Natürlich, was denken Sie denn?“, erklärte sie ungehalten. „War erauch in dieser alten Tischlerei?“ „Vielleicht. Ich habe davon wirklich keine Ahnung. Was hat das überhaupt ...“ „Die stornierten Aufträge, hat er seinen Frust im Alkohol ertränkt?“, bohrte Sam weiter. „Nein!“, erklärte sie energisch. „Hat er irgendwelche anderen Drogen genommen?“ „Sie wollen ihm doch auch nur die Schuld in die Schuhe schieben!“ „Wir wollen niemandem etwas in die Schuhe schieben. Aber ich muss das fragen“, versuchte Sam sie zu besänftigen. „Es ist mir egal, was sie müssen. Ich werde nicht zusehen, wie Sie das Andenken an einen guten Menschen in den Schmutz ziehen und mit Füßen treten! Gehen Sie!“ „Wir …“, versuchte Sam es noch einmal. „Bitte gehen Sie!“, erwiderte sie noch einmal und öffnete den Brüdern die Tür. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben“, versuchte Sam wenigstens einen höflichen Abgang. „Das ist ja wohl voll in die Hose gegangen“, stellte Dean ruhig fest, nachdem sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen geschlossen hatten. „Naja, immerhin wissen wir, dass er wahrscheinlich keine Drogen genommen hat.“ „Und in der Tischlerei gewesen sein könnte. Es hilft uns aber nicht weiter!“ Der Fahrstuhl entließ sie im Erdgeschoss und sie gingen zum Impala. Sam atmete tief durch und ließ sich auf seinen Sitz fallen. Sein Fuß schmerzte, wenn auch noch verhalten, aber er wollte ja unbedingt noch ins Krankenhaus. Da sollte er sich besser nichts anmerken lassen, sonst würde Dean ihn postwendend wieder zurück in ihr Motel bringen. „Wie geht es dir?“, fragte der Ältere auch prompt. „Im Gelenk zieht’s leicht, aber nicht schlimm.“ „Nichts, was dich davon abhalten könnte, auch noch ins Krankenhaus zu gehen“, stellte Dean ruhig fest. „Nein. Nichts!“ „Und als was willst du da auflaufen?“ „Was hältst du von Gesundheitsamt?“ „Gesundheitsamt“, stellte Dean skeptisch fest. „Warum nicht?“ Der Ältere zuckte mit den Schultern. Warum eigentlich nicht. „Dann sollte ich uns wohl neue Ausweise machen.“ Dean ließ sich auf seinen Sitz fallen, startete den Wagen und lenkte ihn in den Verkehr. „Da drüben ist ein Copyshop.“ Sam zeigte auf ein Werbeplakat gleich gegenüber der Kreuzung, an der sie vor der Ampel warteten, dass einen Rabatt auf jede Kopie versprach. „Was soll ich denn mit so einer blöden Tasse?“, schimpfte Dean und warf sein Danke-Schön-Geschenk achtlos auf die Rückbank. Die Tasse hüpfte zweimal und landete im Fußraum. Sam prustete los. Bis jetzt hatte er noch an sich halten können, doch Deans Gesicht, als der Typ hinter der Kasse ihm die Tasse regelrecht aufgedrängelt hatte, war unbezahlbar. „Du weißt, dass Scherben nicht zwangsläufig Glück bringen?“ „Scherben bringen nie Glück! Genauso wenig wie dieses blöde Kleeblatt. Das ist Aberglaube. Wie Knoblauch bei Vampiren. Alles Schwachsinn!“ „Dean! Lass es gut sein. Menschen brauchen solche Symbole. Es hilft ihnen. Wie die Märchen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ „Das mag ja sein. Aber wir WISSEN! Wir brauchen keine sinnlosen Symbole. Eine Schrotflinte mit Steinsalz ist etwas Reales. Etwas das wirklich hilft! Außerdem, was soll ich mit einer Tasse? Im nächsten Motel stehen lassen? Wir brauchen kein Geschirr. Wir haben nicht mal einen Schrank in den wir das stellen könnten!“ „Dean! Woher soll der Verkäufer das denn wissen? Normale Menschen freuen sich über solche Geschenke.“ „Wir sind nicht normal und wenn das normal sein bedeutet, dann will ich auch nicht normal sein!“ Sam holte tief Luft, sagte aber nichts mehr. Warum regte sich sein Bruder nur so über eine einfache Tasse mit einem vierblättrigen Kleeblatt auf? Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und schaute zu seinem Bruder, bis auch der endlich eingestiegen war und sie sich wieder in den fließenden Verkehr eingeordnet hatten. Im Krankenhaus baute Sam sich vor dem Tresen auf und wenn Dean sich nicht noch über diese bekloppte Tasse aufgeregt hätte, wäre ihm vielleicht aufgefallen, wie respekteinflößend sein kleiner Bruder sein konnte. „Gesundheitsamt, Dr. Samuel Cooper, mein Kollege Dr. Deacon Hillman. Wir suchen den behandelnden Arzt vom Cameron Tracker.“ Dean erstarrte, als der Name fiel. Cameron war im Krankenhaus? Aber er hatte doch diese angefangene Puppe verbrannt! Sollte die überhaupt dessen Seele aufnehmen? Das würde er mit Sam klären müssen. „Warum, wenn ich fragen darf?“ „Das, Schwester Irene, klären wir mit ihm persönlich.“ Unfreundlich musterte sie Sam einen Augenblick, bevor sie etwas in ihren PC tippte. „Dr. Bowlegs kommt, sobald er es ermöglichen kann“, informierte sie die Brüder kühl. „Danke“ Sam blickte zu Dean und dann zu einigen freien Stühlen in einer etwas uneinsichtigen Ecke. Gemeinsam gingen sie dahin. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass Cameron hier ist?“, wollte der Ältere ungehalten wissen, kaum dass sie saßen. „Ich hab es gestern Nacht gelesen, als ich mich in die Dateien des Krankenhauses gehakt habe. Warum fragst du?“ „Wir haben Cameron aus dem Haus geholt, schon vergessen?“ „Nein“, Sam guckte schuldbewusst. „aber dann hab ich das Tagebuch angefangen und war davon mehr als geschockt. Es tut mir leid, Dean!“ „Schon okay. Ich hätte es nur gern gewusst.“ Der Jüngere nickte und starrte auf seine Hände. War ja klar, dass Dean sich für den Jungen verantwortlich fühlte. Warum hatte er nicht daran gedacht es ihm zu sagen? Klar, das Tagebuch hatte ihn mehr als geschockt, aber darüber hätte er das nicht vergessen dürfen! Schweigend saßen die Brüder auf ihren Stühlen und starrten Löcher in den Boden. „Sie sind vom Gesundheitsamt?“ Ein weißbekittelter Mann, der unverkennbar indianischer Abstammung war, trat zu ihnen. „Dr. Cooper und mein Kollege Dr. Hilmann“, stellte Sam sie noch einmal vor. „Dr. George Bowlegs. Ich bin der behandelnde Arzt von Cameron Tracker. Was wollen sie wissen und wieso sind sie eigentlich hier?“ „Tracker ist nicht der erste Patient, den sie hier mit diesen Symptomen haben“, stellte Sam ruhig fest. „Gehen wir in mein Büro“, bat der Arzt und wies ihnen den Weg. „Irene, wir sind in meinem Büro, bitte jetzt keine Störungen“, bat er die Schwester und ging zum Fahrstuhl. „Nehmen sie Platz“, forderte der Arzt die Brüder in seinem Büro auf und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. „Also was wollen sie wissen und wieso kommen sie jetzt?“ „Wir wissen, dass Sie immer wieder Patienten mit diesen Symptomen haben und so langsam machen wir uns Sorgen, dass sich das zu einer Epidemie auswachsen könnte.“ „Für eine Epidemie sind die Abstände zu unregelmäßig und es sind zu wenige Fälle. Gott sei Dank.“ Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Arztes und Dean fragte sich, ob er wirklich an Gott glaubte, oder ob es für ihn einfach nur eine Redewendung war. „Was meinen Sie, ist die Ursache?“ „Wenn wir das wüssten! Die Patienten fallen ins Koma. Ihre Herzfrequenz steigt stetig an, bis das Herz diesen Stress nicht mehr aushält und versagt. Wir haben bei diesen Patienten die Hirnströme gemessen und wir gehen davon aus, dass sie träumen.“ „Halluzinogene, also?“, hakte Dean nach. „Wären eine Möglichkeit. Genau wie Drogen.“ „Wenn es Drogen wären, müsste es dann nicht mehr solcher Fälle geben? Ich bezweifle, dass nur so wenig von diesem Stoff im Umlauf ist!“, sagte Sam. „Genau wie Halluzinogene. Es kann auch ein Mix aus einer Drogen und einem bestimmten Getränk sein.“ „Haben Sie keine Tests gemacht?“ „Natürlich haben wir auf alles getestet, was wir uns nur vorstellen konnten. Wir haben nichts im Blut der Patienten gefunden. Außerdem hat die Anamnese nichts ergeben. Keiner der Patienten war am Abend vorher auf einer Party oder hat irgendetwas Ungewöhnliches gegessen.“ „Sie haben also keine Anhaltspunkte.“ „Nein.“ „Und dass einige dieser Patienten in einem leer stehenden Haus in Rocky Ford gewesen sein sollen?“, versuchte Dean den Arzt aus der Reserve zu locken. „Wenn das das Problem verursacht haben soll, dann werden wir demnächst keine Patienten mehr mit diesen Symptomen haben. Das Haus ist vor einem Tag abgebrannt“, verwarf der Arzt diese Theorie schief grinsend. „Können sie uns die Akten der anderen Patienten heraussuchen lassen?“, bat Sam und erhob sich. „Ich werde eine Schwester bitten, sie ihnen auszudrucken, soweit wir sie schon in der EDV haben. Die restlichen Akten können wir ihnen zuschicken.“ „Damit können wir leben“, lächelte Dean ruhig. Ruhig stellte Dean seine schwarze Schönheit auf dem Motelparkplatz ab. „Wie geht es dir?“, fragte er und schaute zu seinem Bruder. „Alles gut!“, knirschte Sam und versuchte seinen Fuß zu bewegen. „Das sieht nicht so aus.“ „Dean! Ich bin erwachsen!“ „Entschuldige, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Was ist los mit dir?“ „Nichts, ich …“ Er zuckte mit den Schultern. Er wusste ja selbst nicht, warum er so sauer war, vielleicht weil ihn sein Fuß mehr behinderte, als er es wahr haben wollte? Vielleicht aber auch nur, weil sie an diesem Tag nichts erreicht hatten, was sie nicht auch vorher schon wussten? „Mir geht’s gut!“, erklärte er noch einmal mit fester Stimme und hoffte, dass er so sicher klang, wie es sollte. Er war sich ja selbst nicht sicher. Dean blickte noch einmal fragend und zuckte dann mit den Schultern. „Wenn du meinst!“ „Ich bin erwachsen! Ich kann auf mich aufpassen!“ Er schluckte. Das hatte jetzt härter geklungen, als er es beabsichtigt hatte. Betreten starrte er auf seine Hände. Er gab sich einen Ruck, öffnete energisch die Tür und kämpfte sich aus seinem Sitz. So normal wie möglich ging er zu ihrem Zimmer, da er fühlen konnte, wie sich Deans Blick in seinen Rücken bohrte. Kapitel 23: Wirklich kein guter Morgen -------------------------------------- 23) Wirklich kein guter Morgen Dean atmete tief durch. Dass Sam seine Hilfe so kategorisch abgelehnt hatte, schmerzte irgendwie. Es war einfach nicht richtig, ihn um einen normalen Gang bemüht zu sehen, ohne eingreifen zu dürfen. Aber Sam war alt genug und er wollte als Erwachsener behandelt werden. Diesen Wunsch wollte er respektieren, so gut er konnte. Er tauchte in den Fond des Impala, und angelte nach den Tüten mit ihrem Essen. Sein Blick fiel auf die Tasse mit dem Kleeblatt, die im Fußraum lag. Schnaubend angelte er mit spitzen Fingern danach. Er würde sie in den Kofferraum verbannen und vergessen! Und irgendwann würde er die Scherben aufkehren kehren! Schnell packte er einige Waffen in eine Tasche. Die konnte er gleich noch pflegen. Sam warf die Mappe auf sein Bett und ließ sich auf die Matratze sinken. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Ja, sein Fuß schmerzte und ja, er war sauer, aber auf sich! Wieso ließ er seinen Frust dann an Dean aus? Er zerrte an seinem Schnürsenkel. Die Schleife löste sich und … „Verdammt!“, fluchte er laut und starrte wütend auf den Doppelknoten, der nun anstelle der Schleife seinen Schuh verschloss. Er zerrte sich seine Jacke vom Körper und den Schlips vom Hals und warf beides über das Fußende seines Bettes. Nach der Mappe greifend rutschte er auf seinem Bett ans Kopfende, schob sich ein Kissen in den Rücken und zwang sich die Patientenblätter zu lesen. Dean betrat das Motelzimmer in dem Augenblick, als Sams Jacke vom Bett rutschte. Verwundert schaute er auf das Kleidungsstück. Sein Blick wanderte zu seinem Bruder. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, als er dessen Füße sah. Hatte sein Kleiner etwa schon wieder einen Schuh verloren? Er wollte gerade etwas sagen, doch Sam war von einer Aura umgeben, die nichts Gutes verhieß und er schluckte die Worte herunter, die ihm auf der Zunge lagen. Wortlos stellte er die Waffentasche neben sein Bett, brachte das Tablett zum Tisch und stellte die Kaffeemaschine an. Während er den Tisch deckte, warf ihm Sam immer wieder einen Blick zu, doch noch traute der sich nicht, ihn anzusprechen. „Kommst du essen?“, fragte er, als er wieder einen dieser Blicke auf sich spürte und blickte Sam offen an. Der nickte und kämpfte sich vom Bett. Langsam hoppelte er zum Tisch. „Doch zu viel zugemutet?“, konnte sich Dean diese Spitze nicht verkneifen. „Jetzt reib ruhig noch Salz in die Wunde!“ „Das tust Du selbst schon zur Genüge.“ Eine Weile schwieg der Jüngere betreten, bevor er Dean direkt ansah. „Es tut mir leid!“ „Was? Dass ich Recht hatte, oder dass du dich selbst mit Vorwürfen quälst?“ „Dass ich dich so angefahren hab. Du kannst am Wenigsten dafür!“ „Naja, ich hätte dich nicht …“ „Du kannst am Wenigsten dafür!“ Dean nickte nur und griff nach einem Burger. Mit einem weiteren Blick auf Sam biss er hinein und wandte sich dann ganz dessen Verzehr zu. Er wollte nicht mehr über vertane Gelegenheiten nachdenken. Das brachte nie etwas, außer dass seine Stimmung auch noch auf einen Tiefpunkt sank. Unaufdringlich und ohne ein Wort zu verlieren half er seinem Bruder nach dem Essen wieder aufs Bett und zog ihm, nachdem er den Knoten gelöst hatte, den zweiten Schuh auch noch aus. „Ich hätte auch selbst …“ Sam schämte sich dabei in Grund und Boden, doch er ließ ihn gewähren. Stunden später ließ er das Buch sinken. Es war furchtbar, was er gelesen hatte. Wie konnte ein Mensch seiner Familie nur so etwas antun? Dieser Konrad Brauer musste entweder hoffnungslos leichtgläubig oder von Grund auf böse gewesen sein. Auch wenn er letzteres nicht wirklich glauben wollte. Elisabeth Brauer hatte an dem Abend, an dem sie nur noch allein mit ihrem Mann zu Abend aß, all ihren Mut zusammengenommen und ihn zur Rede gestellt. Sie hatte eine Antwort auf ihre Fragen gefordert und sie hatte sich auch nicht von dessen Argument, dass es sie ihr Leben kosten würde, von dieser Forderung abbringen lassen. Mit Tränen in den Augen hatte ihr Mann ihr erzählt, dass er nach ihrem Unfall vollkommen verzweifelt gewesen war und dass er seinen Kummer im Saloon ertränkt hatte. Ein Mann war auf ihn zugekommen und hatte ihm noch den ein oder anderen Drink ausgegeben. Er war immer betrunkener geworden und wusste auch nicht mehr was er erzählte. Dabei muss wohl auch seine Liebe zur Schnitzerei zur Sprache gekommen sein. Dieser Mann hatte ihm regelrecht Honig ums Maul geschmiert und ihn gebeten einige Marionetten zu schnitzen. Er hatte ihm sogar gesagt, wem sie ähnlich sehen sollten. Am nächsten Tag war er mit wahnsinnigen Kopfschmerzen aufgewacht. Elisabeths Kommentar, dass ihm das nur Recht geschehen wäre, hatte Sam mit einem Lächeln quittiert. Oft genug hatte er denselben Gedanken, wenn Dean mal wieder mit einem Kater aufwachte. Konrad hatte die Puppen geschaffen und diesem Mann übergeben. Der hatte sie geprüft, etwas in einer fremden Sprache gemurmelt und sie ihm wiedergegeben. Er sollte sie aufbewahren. Egal, was er mit ihnen machen würde, er durfte sie nur nicht verbrennen, Und dann hatte der Mann diese Puppen bezahlt, indem er Elisabeth wieder ins Leben gezwungen hatte. Mit der Ankündigung wiederzukommen war der danach verschwunden. Der Kerl war nicht nur einmal zurückgekommen. Immer wieder hatte er Konrad gezwungen, Puppen für ihn zu fertigen und immer hatte er Wege gefunden, sich Brauer gefügig zu machen. Selbst als seine Söhne aufbegehrten, hat der noch zu diesem Teufel gehalten. Doch jetzt war er dieses Lebens nur noch überdrüssig. Er konnte und wollte so nicht mehr weiter machen. Natürlich hatte der schwarzäugige Mann wieder gedroht, doch es war Konrad egal. Er wollte nur noch, dass es aufhört. Also hatte er eine Puppe von Elisabeth und eine von sich geschaffen und sie in der Werkstatt auf die Werkbank gelegt. Mit der Hoffnung auf Frieden wollten die Eheleute ins Bett gehen. Diese Hoffnung hatte sich wohl nicht erfüllt. Zumindest für Brauer nicht. Soweit er wusste, hatte der seine Frau um ungefähr sechs Monate überlebt. Wie sehr es ihn belastet haben musste, wollte Sam sich nicht vorstellen. Trotzdem hatte der das Leben seiner Kinder, seiner Frau und etlicher anderen Menschen in die Fänge der Dämonen getrieben. Aber selbst dafür hatte er wohl schon lange gebüßt, denn der Winchester vermutete, dass Brauer, wenn vielleicht auch unwissentlich, einen Pakt geschlossen hatte. Das Buch beiseite legend, schaute Sam zu seinem Bruder, der friedlich unter seinen Decken vergraben schlief. Sie hatten an diesem Abend nicht mehr miteinander gesprochen. Er hatte sich in den Patientenakten und danach in Elisabeths Tagebuch verkrochen und Dean hatte ihre Waffen gereinigt und noch eine Weile ferngesehen. Eigentlich war es ein Abend wie sie schon unzählige in ihrem Leben erlebt hatten. Trotzdem hatte die Stille etwas Bedrückendes gehabt. Er nahm sich vor, sich morgen noch einmal bei Dean zu entschuldigen. Ausgiebig streckte sich Sam unter seiner Decke. Er bewegte seinen Fuß ein paar Mal. Zufrieden mit dem Ergebnis schlug er die Decke zurück und setzte sich auf. Sein erster Blick ging zu Dean, der wie üblich, noch tief schlafend und das Kissen umarmend, auf dem Bauch lag. Sein zweiter Blick ging zum Fenster, dass ihm einen Parkplatz mit zwei Wagen und ein Stück grauen Himmels zeigte. Heute würde es wohl nicht richtig hell werden. Der Herbst hatte sie endgültig erreicht. Er rutschte zur Bettkante, schob die Beine über die Kante und stemmte sich in die Höhe. Vorsichtig belastete er seinen Fuß immer mehr. Ein leichtes Ziehen war alles, was noch an seinen Treppensturz erinnerte und er hoffte, dass es heute auch so blieb. Der Fall war erledigt und er wollte nicht noch einen Tag hier vergeuden. Auch wenn er nicht wusste, was sie in El Paso erwartete. Obwohl Dean da bestimmt keine Probleme haben würde. Seine Erinnerungen waren wohl eher positiv, oder? Waren sie das? Er hatte ihm mit seiner Ablehnung verdammt weh getan. Unwirsch schüttelte Sam den Kopf. Es brachte nichts, sich hier und jetzt den Kopf zu zermartern. Wenn sie da waren, würde er Dean nochmal darauf ansprechen, irgendwann in einer Bar, wenn sein großer Bruder nicht mehr ganz nüchtern war. Sam schloss die Tür und strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Zu den grauen Wolken hatten sich auch noch Wind und leichter Nieselregen gesellt, während er unterwegs war, um ihnen Frühstück zu besorgen. Bei dem Wetter jagte man nicht mal einen Hund vor die Tür. Er legte die Tüten auf den Tisch und beeilte sich, aus der nassen Jacke zu kommen. Dean schien diesen Tag auf seine ganz eigene Art genießen zu wollen. Er schlief noch immer. Ein paar Minuten wollte Sam ihm noch geben, dann würde er ihn wecken und wenn Dean wirklich noch weiter schlafen wollte, dann würden sie eben noch einen Tag hier bleiben, obwohl er dazu keine große Lust verspürte. „Komm schon, Dean, der Kaffee wird kalt!“, versuchte Sam seinen Bruder zu wecken, doch der reagierte nicht. Er zog ihm die Decke weg, fasste seinen Fuß und zerrte kurz daran. Nichts. „Verdammt noch mal, Dean! Es reicht. Beweg jetzt endlich deinen Arsch aus dem Bett!“ Von Dean kam keine Reaktion. „Dean!“, brüllte er ihn an, packte unsanft dessen Arm und drehte ihn auf den Rücken. Deans Kopf rollte zur Seite. Die Panik fraß sich durch Sams Brustkorb. „DEAN, verdammt noch mal! Wach auf! Hörst du mich? Dean! Hör auf mit dem Scheiß!“ Er hielt seinen Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn heftig. Deans Kopf pendelte von einer Seite zur anderen. Erschrocken ließ er ihn los. Was machte er hier nur? Was war mit seinem Bruder? Klar, Dean schlief lange und gerne und er konnte wohl auch tief und fest schlafen, aber nicht hier und nicht so, dass er noch nicht mal durch diese schmerzhaften Berührungen zu wecken war! Er wischte sich frustriert über das Gesicht und ließ sich auf Deans Bettkante nieder. ‚Was jetzt?’ Seine Kehle verengte sich immer mehr. Sie hatten in diesem Sommer so eine schon fast himmlische Ruhe genossen und jetzt sollte es so weiter gehen, wie es im Frühjahr geendet hatte? ‚Hör auf zu jammern, Sam’, wies er sich in Gedanken zu recht. Er holte noch einmal tief Luft und rieb sich über die Augen. Das hier musste er wie einen normalen Fall behandeln, sonst würde er für niemanden eine Hilfe sein können. Zuerst einmal legte er Dean wieder richtig in sein Bett und deckte ihn zu. Danach holte er sich die Patientenakten und die Kanne voller Kaffee, setzte sich an den Tisch und zwang sich, jede einzelne Akte noch einmal gründlich zu lesen. Das Essen war vergessen. Drei Stunden war er auch nicht viel weiter. Er hatte lediglich Dr. Bowlegs Aussagen bestätigt bekommen. Alle Patienten hatten eine erhöhte Hirnaktivität in den Bereichen, die für das Träumen zuständig waren und ihre Herzfrequenz stieg stetig an. Dr. Bowleg hatte die Vermutung geäußert, dass sie Albträume hatten. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Alle Patienten waren früher oder später gestorben, weil ihr Herz diese Dauerbefeuerung nicht mehr ausgehalten hatte. Soweit durfte er es bei Dean auf keinen Fall kommen lassen. Träume! Albträume! Da er davon ausgehen konnte, dass die Ärzte in dem Krankenhaus auch alles getan hatten, um diese Patienten zu retten und wenn er seinen schon fast brutalen Übergriff auf Dean heute Morgen bedachte, war der wohl nicht einfach so zu wecken. Er stand auf und ging zu seinem Bruder. Vorsichtig fühlte er dessen Puls. Noch schlug sein Herz ruhig und gleichmäßig. Konnte Dean sich selbstständig aus diesen Träumen befreien? Vielleicht, aber wenn er ihm helfen konnte, würde das wohl nicht schaden, oder? Kapitel 24: Früheste Erinnerungen --------------------------------- 24) Früheste Erinnerungen Er angelte sein Handy aus der Hosentasche und wählte Bobbys Nummer. „Hallo Sam“, meldete sich der Jäger nach einem Klingeln. „Hey. Hast du nix zu tun?“ „Rufst du Schlaumeier nur an um mich das zu fragen?“ „Nein, ich … entschuldige!“ „Schon gut, Junge“, erwiderte der Ältere und seiner Stimme war anzuhören, dass er zumindest breit schmunzeln musste. „Bobby, ich … es geht um Dean!“ „Was hat der Bengel denn nun schon wieder angestellt. Ich dachte ihr hättet den Fall abgeschlossen, oder seid ihr schon an etwas Neuem dran?“ „Nein, es ist immer noch der gleiche Fall. Das heißt, eigentlich sind wir damit fertig. Der Dämon ist gebannt und das Haus verbrannt. Es wird keine neuen Opfer geben. Allerdings wirkt das, was der Dämon oder dieser Brauer angerichtet haben noch nach.“ „Das heißt? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ Bobbys Stimme hatte einen besorgten Klang angenommen. „Naja, was auch immer da mit den Opfern passiert ist, es hat Dean auch erwischt.“ „Und du weißt nicht wie.“ „Nein. Aber es läuft darauf hinaus, dass die Opfer sterben. Sie schlafen, träumen und wachen nicht wieder auf. Ich vermute, dass es Albträume sind. Ihr Herzschlag beschleunigt sich immer mehr und irgendwann ist es diesem Stress nicht mehr gewachsen und setzt aus. Dean schläft und ich bekomme ihn nicht wach.“ „Wie lange schon?“ „Irgendwann in der Nacht, denke ich. Weißt du, wo ich eine Traumwurzel herbekomme?“ „Du willst dich in seine Träume einschleichen und ihn dazu bringen aufzuwachen?“ „So hatte ich mir das gedacht.“ „Und was wenn es dir nicht gelingt? Du bist ihm da auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“ „Und was soll ich dann tun? Zusehen, wie er langsam stirbt? So einen Tod hat er nicht verdient!“ „Darum geht es doch gar nicht, Sam. Natürlich hat Dean sowas nicht verdient. Ich denke nur, du solltest das nicht alleine machen. Mal abgesehen davon, dass ich niemanden in eurer Nähe weiß, der die Traumwurzel haben könnte.“ „Hast du denn eine andere Idee, wie ich zu Dean durchdringen kann?“ „Ich habe nicht gesagt, dass es keine Traumwurzel gibt, ich habe gesagt, dass ich in eurer Nähe niemanden weiß. Ihr seid doch noch in Rocky Ford?“ „Ja, sind wir. Und was heißt das jetzt?“ „Dass ich mich auf die Socken mache, die Wurzel hole und zu euch bringe. Dann kann ich euch überwachen und notfalls eingreifen, wenn was schiefzugehen droht.“ „Danke. Wann meinst du, dass du hier bist?“ „Morgen früh ist realistisch.“ „Okay.“ „Du klingst nicht begeistert.“ „Nein“, gab Sam ehrlich zu, „eher wäre mir wesentlich lieber.“ „Ich schau, was sich machen lässt, okay?“ „Danke.“ „Pass auf Dean auf.“ „Mach ich und du auf dich!“ Erleichtert und enttäuscht steckte er sein Telefon wieder in die Tasche. Bobby würde kommen und er würde so schnell wie möglich kommen, leider war das immer noch viel zu lange hin. Morgen früh erst. „Halt durch Dean, bitte!“ Er zog die Decke über seinem Großen zurecht und ging wieder zu seinem Platz. Die folgenden Stunden waren für Sam wie alter, ausgelutschter Kaugummi. Er surfte durch das Internet, ohne etwas von dem Gelesenen zu behalten. Er versuchte einen ihrer Fälle in eine Datei zu schreiben und verwarf sie wieder, weil er selbst nicht mehr verstand, was er da geschrieben hatte. Er zwang sich dazu ein paar Reportagen zu schauen, aber auch hier konnte er nicht wirklich folgen. Die einzigen Lichtblicke in diesen Stunden waren die Momente, an denen er Deans Puls kontrollierte und feststellen konnte, dass der noch immer ziemlich ruhig und gleichmäßig war. Für Bobby hingegen rannte die Zeit und kroch doch gleichzeitig unendlich langsam dahin. Er hatte, kaum dass er aufgelegt hatte, mit einem Freund telefoniert, der ihm die Traumwurzel besorgen wollte. Allerdings hatte der sich ein paar Stunden ausgebeten. Gut nur, dass der in etwa in gleicher Richtung wohnte, in der er zu seinen Jungs musste. In aller Ruhe packte er seine Tasche und fuhr ins Krankenhaus zu Jody. Bisher war er fast jeden Tag bei ihr gewesen und das nicht nur, um ihre Tarnung aufrecht zu halten. Jetzt wollte er ihr wenigstens Bescheid sagen, dass er ein paar Tage nicht kommen würde. Er erzählte ihr nicht, warum genau er den Brüdern helfen wollte, aber sie schien auch so zu spüren, dass es ihm wichtig war und wünschte ihm viel Glück. Endlich, als die Sonne erneut über den Horizont kletterte und den Tag mit einem blankgeputzten Himmel begrüßte, klopfte Bobby an die Tür zum Zimmer seiner Jungs. Zwar hatte Sam dieses Klopfen sehnsüchtig erwartet, trotzdem ließ es ihn, als es endlich ertönte, zusammenzucken. Er sprang regelrecht von dem Stuhl hoch, auf dem er die letzten Stunden neben Deans Bett verbracht hatte und stolperte zur Tür. „Hey Bobby“, begrüßte er den Freund und ließ ihn ein. „Sam.“ Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, fiel Sam dem Jäger um den Hals. „Bin ich froh, dich endlich zu sehen.“ „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ „Ich weiß. Trotzdem waren die letzten Stunden der Horror. Hast du die Wurzel?“ „Wäre ich sonst hier?“ „Nein, ich … entschuldige! Wo hast du sie, ich mach gleich Wasser …“ „Sam! Du bist vollkommen überdreht! Willst du dich nicht erst mal ein paar Stunden hinlegen und ausruhen?“, versuchte Bobby den Winchester zu beruhigen. „Ich hab keine Zeit dazu! Dean liegt schon seit über einem Tag so da. Die anderen Opfer sind nach zwei bis drei Tagen gestorben. Ich weiß nicht … Wir haben einfach keine Zeit!“ „Dean ist stark, Sam. Er ist nicht so schnell klein zu kriegen“, versuchte der Jäger seinen Jungen zu beruhigen, auch wenn er sich genau solche Sorgen machte und er dessen Aufregung nur zu gut verstehen konnte. Es nutzte ihnen nur nichts, wenn sie wie aufgescheuchte Hühner hier herumliefen. „Wir haben aber auch wesentlich mehr Material für Albträume in unserem Leben gesammelt.“ Betrübt nickte Bobby. „Was hast du vor?“ „Mit Hilfe der Traumwurzel in Deans Traum gehen und ihn rausholen.“ „Das klingt einfach.“ Sam nickte.“ „Und wenn es das nicht ist?“ „Dann folgst du mir. Gemeinsam sollten wir ihn wohl überreden können aufzuwachen, oder?“ „Okay“, brummelte Bobby zustimmend. Auch wenn er auf ein paar Stunden Erholung gehofft hatte, bevor sie sich in dieses Unternehmen stürzen würden. Er konnte Sams Unruhe nur zu gut verstehen. Schnell hatten sie einen Tee aus der Wurzel zubereitet. Sam rupfte seinem Bruder noch ein paar Haare aus und setzte sich dann auf sein Bett. „Wie lange soll ich Dir Zeit lassen?“, wollte Bobby noch wissen. „Einen Tag höchstens. Wenn Deans Puls allerdings unregelmäßig wird oder in ungesunde Höhen steigt, dann folge mir bitte sofort.“ „Viel Glück“, nuschelte der Alte und Sam nickte kurz, setzte die Tasse an und kippte das widerliche Zeug in einem Zug herunter. Wie schon damals, als sie Bobby in seinem Traum gesucht hatten, schien sich im ersten Moment nichts getan zu haben. Er hockte noch immer auf seinem Bett und sah zu, wie sich der Freund auf den Stuhl an Deans Bett setzte. Dieses Mal allerdings wusste er, dass das schon Teil seines Traumes war. Er stand auf und ging zur Tür. Mit einem letzten Blick auf seinen träumenden Bruder drückte er die Klinke herunter, öffnete die Tür und ging hindurch. Augenblicklich stand er in einem blau gestrichenen Raum. Es gab bunte Gardinen an den Fenstern und Bilder an den Wänden. Auf dem Bett lag eine Tagesdecke mit dem gleichen Muster, wie die Gardinen. Neben ihm war ein Regal, in dem Kinderbücher standen. Auf dem Boden hockte ein kleiner Junge und spielte mit einer Rennbahn. „Dean?“, hörte er die Stimme einer Frau. Sofort blickte er zur Tür. Auch der Kleine schaute auf. Die Klinke wurde heruntergedrückt und das Türblatt schwang auf. Seine Mom trat herein. Schnell drückte Sam sich etwas tiefer in den Schatten des Kleiderschrankes. Sie dürfte ihn nicht sehen können, denn es war Deans Erinnerung. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen. „Dean? Hast du Hunger?“, fragte sie und lächelte den Jungen an. Der nickte. Er ließ die Rennbahn Rennbahn sein und trat zu ihr. Gemeinsam gingen sie nach unten in die Küche. Sam folgte ihnen und blieb in der Küchentür stehen. Lächelnd sah er, wie sein vielleicht vierjähriger Bruder auf den Stuhl kletterte. Hier würde er sich nicht bemerkbar machen. Diese Erinnerung wollte er nicht zerstören. Mal abgesehen davon: Wie sollte er diesem kleinen Kerl erklären, dass er träumte und aufwachen musste? Nein, das hier wollte auch er genießen gab es ihm doch einen Einblick in eine Kindheit, die Dean hütete, wie einen Schatz. Es machte ihn aber auch traurig, denn ohne den Dämon hätte er das hier auch haben können. Er schaute zu, wie Mom seinem Bruder Milch in ein Glas goss. „Soll ich die dir Rinde abschneiden?“, wollte sie von dem Jungen wissen. Dean nickte und sie griff sofort zu dem Messer und befreite das Brot von der ungeliebten Kante. Das Klingeln des Telefons riss nicht nur Sam aus seinen Betrachtungen. Auch Mary zuckte zusammen. Sie schob Dean den Teller hin. Zärtlich strich sie ihm über den Kopf, strubbelte durch seine Haare und ging zu dem klingelnden Apparat. „Nein John“, hörte er seine Mutter sagen. Sie klang alles andere als begeistert. Dean drehte sich auf seinem Stuhl zu seiner Mom. Der kleine Körper schien sich anzuspannen und Sam fragte sich, wann das wohl passiert war und was hier noch kam. War diese Erinnerung doch nicht so schön? „Darüber werden wir jetzt nicht schon wieder reden“, erklärte sie kategorisch. Dean rutsche auf seinem Stuhl unruhig hin und her. „Zeit zum Nachdenken? Worüber? Hier warten zwei Jungs auf dich“, fragte sie sauer. „Na schön, dann nicht. Es gibt nichts weiter zu sagen!“ Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel. Sam zuckte zusammen. Er hatte immer angenommen, dass die Ehe seiner Eltern glücklich gewesen war und jetzt musste er so etwas mit anhören? Das klang alles andere als glücklich. Allerdings konnte er seinen Gedanken nicht wirklich nachhängen. Seine Aufmerksamkeit wurde wieder von Dean gefangen genommen. Der Kleine war von seinem Stuhl gerutscht und lief jetzt zu seiner Mom. Sie ging vor ihm in die Hocke und er fiel ihr regelrecht um den Hals. „Ist schon gut, Mom. Dad liebt dich“, sagte er leise und drückte sie fest. „Ich lieb dich auch. Ich werd dich nie verlassen.“ Er drückte sich noch fester an sie und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Auf seinem Platz an der Tür kam sich Sam wie ein Eindringling vor. Das hier war nie für seine Augen bestimmt gewesen, auch wenn er jetzt wusste, dass er zu der Zeit schon gelebt hat. „Weißt du was?“, sagte Mary leise. „Du bist mein kleiner Engel!“ Sie schob Dean ein Stückchen von sich weg, strich ihm sanft über die Wange und lächelte. „Wie wäre es mit 'nem Stück Kuchen?“, wollte sie aufgesetzt fröhlich wissen und ging sofort zum Kühlschrank. Sam schüttelte den Kopf und überlegte, wie oft Dean wohl noch den Kopf für Dad hingehalten hatte? Kapitel 25: Flagstaff --------------------- @ Vanilein - Ja ich liebe diese Erinnerung auch. Die musste einfach hier mit rein. 25) Flagstaff Plötzlich änderte sich die Szenerie. Irritiert schaute er sich um. Dieses Bild kam ihm wage bekannt vor, aber er konnte es nicht einordnen. Sein Bruder stand ein paar Meter vor ihm. Dunkle Wasserflecken machten sich auf seinen Schultern breit und die Haare klebten ihm am Kopf. Er musste schon eine ganze Zeit durch den noch immer fallenden Regen gelaufen sein. Aber warum? Der Impala stand auf dem Parkplatz. Daneben war ein heruntergekommener Pickup geparkt. Er wollte gerade auf seinen Bruder zugehen, um sich endlich bemerkbar zu machen, als er sah, wie der seine Schultern straffte und zur Tür ging. Ohne zu zögern öffnete er sie und betrat den Raum. Sofort stand auch Sam in dem kärglich eingerichteten Zimmer. Es erinnerte ihn immer mehr an Holbrook. „Hey“, grüßte Dean Bobby, der am Tisch saß und eine Tasse Kaffee in der Hand hielt. „Hallo, w...“, begann der Freund, wurde aber sofort von John unterbrochen, der gerade aus dem Bad kam. „Wo kommst du jetzt her?“, wollte der älteste Winchester auch sofort ungehalten wissen. „Ich ...“, begann Dean leise. „Und wo ist Sam?“, ließ John seinen Sohn nicht einmal zu Wort kommen. „Ich hab ihn den ganzen Tag gesucht“, versuchte Dean zu erklären. „Du hast ihn gesucht … Das heißt also er ist nicht bei dir?“ „Nein, Sir.“ „Und warum nicht?“, John wurde immer lauter. „Er ist weggelaufen.“ „Wann?“ „Vorgestern, als ...“ „Wie kann dein Bruder weglaufen, wenn du doch den Befehl hast ihn nicht aus den Augen zu lassen?“ Bobby erhob sich und ging nach draußen. Sam konnte sehen, wie gerne er eingegriffen hätte, doch das durfte er hier nicht. „Ich hab versucht Geld zu besorgen, damit ich ...“ „Ich habe euch Geld dagelassen. Das hätte reichen müssen, bis ich wieder hier bin! Wozu brauchtest du dann welches?“ Jetzt fiel es Sam wieder ein. Sie waren wirklich in Holbrook. Er hatte mit einem Klassenkameraden und dessen Eltern in ein Museum fahren wollen und sein Bruder hatte es ihm nicht gestattet. Er hatte zum Fußball spielen gehen wollen und Dean hatte es ihm verboten, weil Dad an dem Tag angeblich wiederkommen wollte. Er war es aber nicht. Sie hatten sich die ganzen Tage immer wieder gestritten. Worüber konnte er heute nicht mehr sagen und dann, als Dean ihm gesagt hatte, dass er nochmal weg müsste und er seine Hausaufgaben machen sollte, hatte es ihm gereicht. Er hatte seinen Rucksack gepackt und war weggerannt. „Du wolltest vor vier Tagen wieder da sein“, versuchte Dean einen kaum hörbaren Einwurf. „Jetzt ist es also meine Schuld, dass du nicht auf deinen Bruder aufpassen kannst?“ Dean zuckte wie unter einer Ohrfeige zusammen. Er starrte unsicher auf den Boden. „Nein, Sir“ „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“, forderte der älteste Winchester. Langsam hob Dean den Blick. „Du hast durch deine Unfähigkeit deinen Bruder verloren, jetzt sieh zu, dass du ihn wieder findest.“ „Ja, Sir!“ „Und lass dich ja nicht wieder blicken, bevor du ihn gefunden hast!“ John bedachte seinen Sohn mit einem Blick, der so voller Endtäuschung und Verachtung war, dass Dean zusammenzuckte, als hätte er einen weiteren Schlag einstecken müssen. Sam schluckte unbehaglich. Er war damals einfach nur froh gewesen, endlich diesen ewigen Gängelungen seines Bruders und damit auch denen seines Vaters entkommen zu sein. Heute sah er, was das seinem Bruder angetan hatte. Kurz fragte er sich, ob sich das hier jetzt auch für ihn zu einem Albtraum entwickelte. Er sah, wie sein Bruder den Kopf hängen ließ und aus dem Zimmer schlurfte. Sofort stand auch er wieder auf dem Parkplatz, auf dem Bobby auf Dean wartete. „Ich lasse den Pickup hier auf dem Parkplatz. Du weißt, wo der Schlüssel liegt. Wenn du Sam gefunden hast, fahrt ihr zu mir. John und ich kommen auch dahin“, redete Bobby eindringlich auf Dean ein und schob ihm mehrere Scheine in die Jackentasche. „Ich kann das nicht annehmen“, versuchte Dean das Geld zurückzugeben. „Du wirst es brauchen“, wehrte Bobby ab. Dean schniefte nur kurz, zog die Schultern gegen den strömenden Regen hoch und lief davon. Sam folgte ihm wie ein Schatten. Immer wieder überlegte er sich, wie er sich seinem Bruder zu erkennen geben könnte, doch wie sollte Dean ihm glauben? In seinen Augen war er gerade mal ein Teenager. Wie sollte er ihm erklären, dass er inzwischen ein erwachsener Mann geworden war? Seine Umgebung verschwamm und er fand sich an der Greyhound-Busstation von Holbrook wieder. Dean ging auf den Schalter der Busstation zu, straffte seine Schultern und holte ein Foto hervor. Sam stellte sich neben ihn, als der das Foto durch den Schlitz schob und die Frau so voller Hoffnung anschaute, dass die nicht anders konnte, als ihn anzulächeln. „Wie kann ich dir denn helfen?“, wollte sie wissen. „Haben Sie den Jungen schon mal gesehen? Vor ein paar Tagen vielleicht?“ „Nein, tut mir leid. Ich hatte Urlaub und hab heute gerade erst wieder angefangen.“ Der Winchester sackte regelrecht in sich zusammen. Das hier war seine letzte Hoffnung gewesen. „Aber ich kann meine Kollegin fragen. Die kommt in ein paar Stunden. Willst du dann noch mal wiederkommen?“ „Ich warte solange“, sagte Dean leise. Was blieb ihm auch anderes übrig. Er hatte die ganze Stadt abgesucht. Wenn er hier keine Spur von Sam fand, dann wusste er nicht mehr weiter. Er ging in die Wartehalle und ließ sich auf einem Stuhl nieder, der eher außerhalb der üblichen Reisenden stand. Zitternd zog er die Füße auf die Sitzfläche und legte seine Arme darum. Er fror erbärmlich. Die letzten zwei Tage hatte es fast ununterbrochen geregnet und er hatte keine Möglichkeit gehabt, seine Kleidung zu trocknen. Mit einem Seufzen blickte Sam auf seinen Bruder. Er hatte inzwischen herausgefunden, dass Dean ihn nicht sehen konnte. Einige Male war er vor ihm hin und her gelaufen, ohne dass der reagiert hatte. Er hoffte nur, dass er sich bemerkbar machen konnte, wenn es soweit war. Im Moment wusste er nicht einmal, wie er Dean erklären sollte, dass er sein kleiner Bruder war. Für ihn war er noch immer ein ganzes Stück kleiner und sah anders aus. So würde er ihn wohl eher für einen Dämon halten, ihm aber bestimmt nicht glauben. Die nette Kassiererin kam in den Wartebereich und schaute sich suchend um. Schnell hatte sie den Jungen entdeckt. Ihr Blick glitt musternd über die Gestalt. Sie machte die letzten Schritte auf ihn zu und sprach ihn an: „Dir ist doch kalt!“ Erschrocken riss Dean den Kopf hoch. Ein verwirrter Ausdruck lag in seinen Augen. „Nein Ma’am. Es geht“, antwortete er, da sie wohl darauf zu warten schien. „Komm mit. Wie haben eine Heizung und eine Couch, auf der du dich etwas hinlegen kannst.“ „Nein, ich will nur wissen, ob mein kleiner Bruder … Dann verschwinde ich wieder“, wiegelte Dean ab. „Bis dahin kannst du dich aber auch in unserem Aufenthaltsraum aufwärmen“, ließ sie seine Erklärung nicht gelten. Die Aussicht auf Wärme brachte Deans Widerstand ins Wanken. Er nickte ergeben, stemmte sich in die Höhe und folgte ihr. Für Sam war es schön zu sehen, dass es Menschen gab, die sich seines Bruders annahmen, wenn es seine Familie schon nicht tat. Er hatte sich damals absolut keine Gedanken über Dean oder seinen Vater gemacht, oder darüber, wie sie sein Verschwinden aufnehmen würden. Er hatte sich nur gut gefühlt. Keiner, der ihm etwas verbot. Keiner, der etwas von ihm wollte. Er hatte in den Tag hinein gelebt, sich hin und wieder etwas zu essen gestohlen und seine Freiheit genossen. Die Kassiererin drückte Dean auf einen Stuhl, hantierte kurz an einer Kaffeemaschine und schob ihm einen Becher dampfenden Kakao in die klammen Finger. „Trink in Ruhe und dann gehst du da nach hinten“, deutete sie auf eine Tür, „ziehst deine nassen Klamotten aus und verschwindest unter der Dusche. Danach kannst du dich hinlegen bis meine Kollegin kommt. So wie du aussiehst, kannst du ja kaum noch gerade stehen.“ Verwirrt schaute Dean zu ihr auf. „Hier wechseln die Fahrer. Einige schlafen hier, bevor sie am nächsten Tag weiter fahren“, erklärte sie ruhig. „Jetzt sind alle weg. Wir haben also mindestens ein Bett frei.“ „Danke“, nuschelte Dean und widmete sich seinem Kakao. Kaffee wäre ihm lieber gewesen, aber er wollte ihre Gastfreundschaft nicht noch weiter strapazieren. Wieder flackerte das Bild. Die Kassiererin rüttelte Dean an der Schulter, um ihn zu wecken. Sofort richtete der sich auf und blickte sie fragend an. „Meine Kollegin ist da. Deine Kleidung liegt trocken auf dem Stuhl.“ „Danke“, sagte Dean, strahlte sie warm an und erhob sich, um sich anzuziehen. Gleich darauf kam eine andere Kassiererin in den Aufenthaltsraum. „Du suchst jemanden?“, wollte sie wissen und nahm sich eine Tasse Kaffee. „Ja, meinen Bruder.“ Dean kramte das Bild hervor. „Der Kleine war vor ein paar Tagen da. Es muss Nachmittag gewesen sein. Er lief unruhig hier herum und als ich ihn ansprach, wohin er den wollte, hat er eine Fahrkarte nach Flagstaff gekauft.“ „Flagstaff?“ „Ja.“ „Dann hätte ich auch gerne eine“, erklärte Dean und kramte Geld aus der Tasche. Die nächsten Tage brachte Sam damit zu, Dean bei seiner Suche zu beobachten. Jeder noch so kleine Misserfolg schien sich zu einer Katastrophe auszuwachsen und wirkliche Erfolge waren nicht in Sicht. Ein paar Mal hatte er sich seinem Bruder in den Weg gestellt, doch der war nur um ihn herumgelaufen. Selbst als er ihn angerempelt hatte, hatte Dean zwar auf ihn reagiert, sein Blick war jedoch eher unfokussiert durch ihn hindurch gegangen. Er würde ihn also regelrecht festhalten müssen, um ihn zu zwingen, sich mit ihm zu befassen. So sehr er sich auch wünschte, dass Dean endlich aufwachte, so sehr gönnte er ihm aber auch den Erfolg, ihn gefunden zu haben, zumal er wusste, dass Bobby in der realen Welt auf sie Acht geben würde. Allerdings wurde es ihm nicht leicht gemacht, dieses Vorhaben auch wirklich durchzuziehen, als er sah, wie Dean sich, schon wieder bis auf die Haut durchnässt, in einem Hauseingang verkroch, um ein paar Stunden Ruhe zu finden. Es hatte die ganze Zeit fast nur geregnet. Damals waren ihm diese zwei Wochen eher wie ein Wimpernschlag vorgekommen. Heute bettelte er um jede vergangene Stunde. Inzwischen hatte Dean die halbe Stadt abgesucht. Er war immer wieder zur den Orten zurückgekehrt, an denen er Sam vermutete. Museen, die Bibliothek und eine wissenschaftliche Ausstellung. Sam schüttelte den Kopf. Sein Bruder hatte eine hohe Meinung von ihm. Er war nie an diesen Orten gewesen. In diesen zwei Wochen hatte er es einfach nur genossen allein zu sein. Er war damit zufrieden gewesen, dass ihm niemand sagte was er zu tun oder lassen hatte. Sobald die Museen und die Bibliothek ihre Pforten schlossen, machte sich Dean auf, und durchstreifte die Randgebiete der Stadt. Und da fand er ihn dann auch. Der kleine Sam kam gerade von einem Beutezug, wie er es nannte, zurück. Er hatte einem dicken Mann einen kleinen Teil seiner Einkäufe entwendet, als der nicht hingesehen hatte. Stolz drückte er seinen Schatz unter seiner Jacke an seinen Bauch. Zwiebelringe und Cola und ein paar Kauknochen für Bones, seinen Hund. Der Golden Retriever war eines Morgens plötzlich da gewesen und da er sich schon immer einen Hund gewünscht hatte, hatte er es nicht übers Herz gebracht, ihn wieder wegzuschicken. Dean, der die Hütte in der Sam lebte, gerade wieder verlassen hatte, sah ihn kommen und duckte sich hinter einen Sandhaufen. Er konnte sein Glück kaum fassen. In der Hütte hatte er jede Menge bunter Postkarten gefunden, Pizzakartons und es hatte nach Hund gerochen. Diese Hütte hätte jeder bewohnen können, aber nie im Leben hätte er auf Sam getippt. Obwohl ihn ein unerklärliches, warmes Gefühl dazu bewegen wollte, hier zu bleiben. Er wartete, bis Sam in der Hütte verschwunden war und schlenderte ruhig zur Tür. Wie sehr musste er sich zusammenreißen, um nicht zu rennen. „Hey“, grüßte er, kaum dass er die Tür geöffnet hatte und eingetreten war. Erschrocken starrte ihn der kleine Sam an. „Wir sollten hier verschwinden.“ „Nein. Vergiss es. Ich werde nicht mitkommen. Ich bin hier glücklich!“, schrie der Kleine wütend. Dean nickte nur. Er lehnte sich an die Tür und ließ sich auf den Boden sinken. „Dann bleibe ich auch hier“, sagte er, lehnte seinen Kopf an das Holz und schloss die Augen. Er war viel zu müde, um zu streiten. Sam konnte sich noch gut an seine Gefühle damals erinnern. Wie sehr hatte er Dean in diesen Minuten gehasst. Heute sah er wie erschöpft sein Bruder war. Er hatte sich nicht an der Tür niedergelassen, um ihn zu ärgern oder zu kontrollieren. Er war einfach zu fertig, um noch länger stehen zu können. Nur die Suche nach ihm und die Hoffnung ihn zu finden hatten seinen Bruder noch aufrecht gehalten. Letztendlich hatte er nachgegeben. Was war ihm auch anderes übrig geblieben. Die Fenster waren vernagelt und sein Bruder hockte an der Tür. Für ihn gab es kein Entkommen. Sie waren zurück nach Holbrook gefahren, hatten Bobbys Pickup genommen um nach Sioux Falls zu kommen. „Wieso hat das so lange gedauert“, war Dean damals von John angefahren worden, kaum dass sie durch die Tür getreten waren. „Was habt ihr die ganze Zeit getrieben?“, hatte John noch mehr Salz in die Wunde gestreut und Dean mit einem Blick gemustert, der diesem wahrscheinlich wie eine weitere Ohrfeige vorgekommen sein musste. Noch heute konnte er sich an die Endtäuschung und Missachtung erinnern, die darin gelegen hatte. Kapitel 26: Nightmare on Elm-Street ----------------------------------- 26) Nightmare on Elmstreet Plötzlich hörte er leises Kichern. Er schaute sich um und sah ein Zimmer, das hell gestrichen war. Es gab zwei weiße Türen und an einer Wand stand ein Doppelbett. Er war wohl so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sich Deans Traum erneut veränderte. Neben dem Bett sah Sam einen kleinen Jungen stehen, der seinen Teddy ganz fest an sich gepresst hielt. Mary hatte ihre Hand unter der Decke hervorgestreckt und hielt ihn an Zipfel seines Oberteils fest. „Sch. Daddy schläft noch“, sagte sie und hob die Decke ein Stück. „Komm rein!“ Schnell krabbelte der Kleine unter die Decke und kuschelte sich an seine Mom. Wie schon bei dem ersten Traum, den er miterleben durfte, ging Sam das Herz auf. Dieses Familienidyll zu sehen tat ihm unendlich gut und er sog dieses kleine Stückchen Normalität in sich auf, um es nie wieder zu vergessen. Auf der anderen Seite war es jedoch weitere verlorene Zeit. Dean war zu klein, um ihm begreiflich zu machen, dass er träumte. Außerdem wollte er auch diese Erinnerung nicht durch sein Eingreifen zerstören. Er versuchte sich zu entspannen. Dieser Traum würde Dean wohl nicht töten. Sam trat einen Schritt zurück, lehnte sich gegen die Wand in seinem Rücken und genoss das, was er sah. Immer wieder verschwamm seine Sicht, was wohl hieß, dass Dean immer wieder wegdämmerte, aber nicht wirklich einschlief. Und dann klärte sich seine Sicht mit einem Mal komplett und er hörte den kleinen Jungen quicken. John war aufgewacht. Er hatte sich leise zu seiner Frau gedreht und seine Hand an Deans Rücken geschoben. Sofort begann er ihn zu kitzeln. Dean strampelte und wand sich. „Ni… nich“, japste er und versuchte sich zu wehren. „Mommy, ich … Hilfe“, kicherte er kaum hörbar. „Na warte“, grummelte John lachend und hob seinen Jungen mit einer Hand hoch. Wieder zappelte Dean und John griff mit beiden Händen zu, nicht dass der Kleine noch herunterfiel. „Mommy“, bettelte Dean lachend. Endlich erbarmte sie sich seiner und begann ihren Mann zu kitzeln, bis John seinen Sohn vorsichtig ins Bett plumpsen ließ. Sam lächelte wehmütig. Von so einer Szene hatte Dean ihm mal erzählt. Das musste im vorigen Jahr gewesen sein, als sie den Geisterhund gejagt hatten. Damals nach seinem Beinahe-Höllenaufenthalt hatten sie sich so nahe gestanden wie schon lange nicht mehr. Ob er diese Zeit zurückholen konnte? In seinen Erinnerungen schwelgend merkte Sam wieder nicht, dass sich seine Umgebung erneut änderte. Er stand in einem dunklen Zimmer. Ein Nachtlicht neben der Tür verbreitete ein wenig Licht, sodass er sehen konnte, dass es Deans Kinderzimmer war. Also gab es wohl noch eine dieser Kindheitserinnerungen? Eine weitere schöne hoffentlich! Der kleine Körper im Bett regte sich. Er schob sich unter der Decke hervor und setzte sich auf die Bettkante. Von unten kamen laute Stimmen. Es klang nicht freundlich. Dean stand auf, schlich zur Tür und schob sie auf. Sofort wurden die Stimmen lauter. „Ich brauche hin und wieder meine Freiheit“, hörte er John aufgebracht sagen. „Freiheit?“, erwiderte Mary ungläubig, „Werd endlich erwachsen, John. Du hast eine Familie. Du hast einen Sohn! Dean fragt jeden Abend nach dir, aber du musst ja deine Freiheit genießen!“ Der kleine Junge lief zur Treppe und setzte sich auf die oberste Stufe. „Ich war doch nur ein Bier trinken! Was ist an einem Bier so schlimm?“ „Es ist nicht das Bier! Du bist nie da, wenn ich Dean ins Bett bringe.“ „Er wird doch ...“ „Er ist kein Rekrut, der dankbar dafür ist, wenn du ihn nicht bemerkst. Dean bettelt nach deiner Liebe und Zuneigung. Er will, dass du ihm die Gute Nacht Geschichte vorließt. Er will mit dir spielen. Wie lange wird das noch so sein? Wir haben nur so wenig Zeit mit unseren Kindern, bis sie ...“ Sam konnte nichts mehr verstehen. Leicht panisch schaute er sich um. Was passierte hier? Er hörte, dass seine Eltern noch immer stritten, aber er verstand kein Wort mehr. Irritiert blickte er zu Dean und dann begriff er warum. Der Kleine hielt sich die Ohren zu. Er hatte seinen Teddy neben sich gelegt und presste seine Fäuste vor seine Ohren. Und dann knallte eine Tür. Sofort kam Leben in den Jungen. Er griff seinen Teddy und lief in sein Zimmer. Auf seiner Bettkante sitzend, wartete er. Worauf konnte Sam nicht sagen. Doch schon bald hörte er Schritte die Treppe hinaufkommen. Hastig kroch Dean unter die Decke und stellte sich schlafend. Die Tür seines Zimmers öffnete sich leise und Mary trat ein. Sie zog die Decke glatt und strich ihrem Sohn über das Haar. „Du bist mein kleiner Engel“, flüsterte sie leise und Sam konnte hören, das sie geweint hatte. Sie streichelt Dean noch einmal über den Kopf und verließ das Zimmer so leise, wie sie gekommen war. Sofort setzte Dean sich auf. Er wartete und schon wieder wusste Sam nicht worauf. Aber es erschreckte ihn, dass er genau zu wissen schien, was er tat. Und dann rutschte der kleine Dean vom Bett, klemmte sich seinen Bären unter den Arm und tapste mit bloßen Füßen in das Schlafzimmer seiner Mom. Im Licht der Straßenlaterne vor dem Fenster konnte Sam sehen, dass Mary noch nicht schlief. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. So hatte sie sich ihre Ehe wohl nicht vorgestellt. „Hey“, flüsterte sie leise und legte ihre Hand an Deans Wange. „Du bist ja ganz kalt.“ „Ich hab schlecht geträumt“, log der Kleine. „Dann komm.“ Sie hob ihre Decke und rutschte etwas weiter zur Mitte. Dean krabbelte ins Bett und drängte sich an ihren runden Leib. Eng kuschelte er sich an und Mary legte ihren Arm um den kleinen Körper. Zärtlich strich sie ihm über die Wange, während Dean seine Hand vorsichtig auf ihren Bauch legte. „Schläft Sammy schon?“, wollte er leise wissen. „Wie kommst du denn auf Sammy?“ „Du hat doch gesagt, dass ein Junge Samuel und ein Mädchen Samantha heißen soll. Ich will lieber einen Bruder.“ „Der wird am Anfang aber noch ganz klein sein. Es wird wohl ein paar Jahre dauern, bis du mit ihm spielen kannst.“ „Dann pass ich solange auf ihn auf. Und auf dich auch, Mom. Ich werde dich nie verlassen!“ „Mein kleiner Engel“, flüsterte sie in die Dunkelheit und legte ihren Arm um den kleinen Körper. Sam sah, wie sich ein Lächeln auf das kleine Gesicht legte. Wehmut schlich sich in sein Herz. Wie lange wollte Dean ihn schon beschützen und wie lange nannte er ihn schon Sammy. Er warf noch einen Blick auf das schlafende Kind und sah, dass sich seine Umgebung erneut zu verändern begann. Er blickte auf seinen Bruder und betete, dass er nicht noch so eine Erinnerung miterleben musste. Bestand Deans Kindheit denn nur aus solchen Begebenheiten? Wie konnte er ihm denn je wieder unbefangen gegenübertreten? Konnte er so tun, als wüsste er das alles nicht? Seine Eltern hatten sich gestritten, und das nicht nur einmal. Hatte Dean es vergessen oder hatte er es nur verdrängt? Kam es erst durch diesen Zauber, Fluch, oder was immer versuchte Dean zu töten, an die Oberfläche? Würde sich sein Bruder daran erinnern? Aber wenn noch mehr von Deans Erinnerungen so aussahen, wieso hing er dann so sehr an jeder einzelnen? Diese Frage war einfach zu beantworten und Sam wunderte sich, warum er sie sich überhaupt gestellt hatte. Weil Dean ihre Mom geliebt hatte und weil er sie noch immer liebte. Mom hatte ihn nie hintergangen. Sie hatte ihn nie belogen und sie war ihm in so jungen Jahren genommen worden. Dad war da wohl nur ein schlechter Ersatz gewesen und doch hatte Dean auch ihn bedingungslos geliebt. Dieses Mal brauchte Sam nicht lange, um sich zu orientieren. Es war ein kleiner See in der Nähe von Richmond Hill. Diese besprühte Steinkombination war einzigartig. Ruhig ließ er seinen Blick schweifen. Er sah sich dabei zu, wie er mit Dean um die Wette schwamm, bis die Aufmerksamkeit seines großen Bruders von etwas anderem abgelenkt wurde. Lea kam über die Wiese gelaufen. Mit wenigen Zügen war Dean am Ufer und stieg aus dem Wasser. Sam sah, wie sein jüngeres Ich weiter seine Bahnen zog und ging zu dem Baum an dessen Stamm sich die beiden niedergelassen hatten. „Hast du schon mal über den Abschlussball nachgedacht?“, fragte Lea und Sam hielt den Atem an. Sie hatte Dean gefragt? Sie musste ihm noch mehr bedeutet haben, als er angenommen hatte, denn bisher war es noch keiner Frau gelungen, seinen Bruder zum Tanzen zu bewegen. „Ich weiß nicht, Lea. Du würdest dich mit mir nur blamieren!“, erwiderte der ältere Winchester. Über Sams Gesicht huschte ein Lächeln. Immerhin schien sich sein Bruder wirklich Gedanken darüber gemacht zu haben. Ja, Lea war schon jemand ganz besonderes. „Wir könnten üben?“, antwortete sie mit einem Lächeln in der Stimme. „Ich kann nicht tanzen“, versuchte er sich irgendwie rauszureden. „Dean, du hast eine Körperbeherrschung, um die ich dich ehrlich beneide!“ Seufzend schaute der ältere Winchester sie an. Vielleicht ließ sie sich ja doch noch erweichen? Wohl eher nicht. „Aber nicht hier!“, bestimmte er und Sam grinste schon wieder breit übers ganze Gesicht. „Du bist ein Engel“, lachte Lea. „Wenn das andere nur auch so sehen würden!“, grummelte Dean und lehnte sich an den Stamm in seinem Rücken. „So befolgst du also meine Befehle?“, ertönte plötzlich Johns wutentbrannte Stimme. Sofort sprang Dean auf. „Dad, ich …“ „Ich will nichts hören, Dean!“ Auch Sam trat um den Baum herum. Wieso war Dad plötzlich hier? Der hatte in dieser Erinnerung absolut nichts zu suchen. Begannen sich Deans Träume zu verändern? „Geh aus dem Weg, Sohn. Sie lenkt dich ab“, sagte John und zielte auf Lea. „Dad, nein!“, protestierte Dean erschrocken und machte noch einen Schritt vor das Mädchen. „Geh zur Seite, Dean. Das ist ein Befehl!“, knurrte der älteste Winchester wütend. „Nein!“ „Du hast es nicht anders gewollt!“ Die Waffe in Johns Hand zielte ein wenig höher. „Nein“, schrien beide Sams und rannten los. Der Schuss peitschte über die Wiese und Dean und Lea brachen tödlich getroffen zusammen. John würdigte seinen sterbenden Sohn keines Blickes. Er fing nur den kleinen Sam ab und zerrte den sich wehrenden Jungen ungerührt hinter sich her. Der erwachsene Sam kniete sich neben seinen Bruder, zog ihn auf seinen Schoß und legte seine Hand unter dessen Wange. „Es tut mir so leid, Dean!“, flüsterte er immer wieder. „Lea?“ Umständlich versuchte Dean sich zu ihr umzudrehen. „Sie ist nur leicht verletzt“, log Sam, „aber sie steht unter Schock. Lass ihr ein paar Minuten.“ Leise stöhnend holte der Winchester Luft. Sein Blick suchte Sams Gesicht. Für einen kurzen Moment lag Erkennen in den grünen Augen, und Sam war sich sicher, dass Dean ihn wirklich wahrnahm, vielleicht konnte er ihn ja jetzt … Doch fast sofort trübten sich seine Augen ein und wurden gleich darauf starr. „Sammy?“, flüsterte Dean mit dem letzten bisschen Atem aus seiner Lunge. Kapitel 27: Du träumst ! ------------------------ @ Vanilein - Hab ich Dean umgebracht? Hm... Die Antwort folgt auf dem Fuße... ;-)) 27) Du träumst! Alles um Sam herum verschwand in einem schwarzen Nichts. Einen Augenblick lang fühlte Sam noch das Gewicht seines Bruders auf seinen Knien, doch auch das verschwand und ließ ihn orientierungslos und verwirrt zurück. Hektisch tastete er den Boden ab, soweit er ihn, so kauernd, erreichen konnte. Alles fühlte sich glatt, aber irgendwie schwammig an. Nichts, was er wirklich zuordnen konnte. War er in Deans Kopf? Dann würde er in seinem Gehirn hocken. Nein! Daran wollte der nicht denken! Sollte er aufstehen und versuchen einen Ausgang zu finden? Aber wie? Am sichersten wäre es wohl, wenn er hier sitzen bleiben würde und darauf wartete, bis Dean endlich weiter träumte, oder noch besser aufwachte, obwohl das wohl eher nicht passieren würde. Die anderen Patienten waren auch nicht erwacht. Bewusst langsam atmend hockte er in der Finsternis und versuchte sich zu beruhigen. Es gelang ihm nicht wirklich. Immer wieder kreisten seine Gedanken um seinen Bruder. Was war mit Dean? War er gestorben? Wer im Traum starb erwachte doch! Zumindest war das damals so, als der Dschinn Dean gefangen hielt. Allerdings war das wohl eher ein Wunschtraum, den anderen Patienten war das nicht vergönnt gewesen! Dass Dean also einfach so aufwachte stand wohl nicht zur Debatte. Würde er bis in alle Ewigkeit hier sitzen? Nein! Bobby würde kommen. Er musste nur warten. Müde rieb sich Bobby über die Augen. Inzwischen hatte er mehr als 36 Stunden in den Knochen und würde gerne ein paar Minuten schlafen, doch das konnte er nicht, nicht solange seine Jungs in Gefahr waren. Er stand auf, ließ die Schultern kreisen und ging zur Kaffeemaschine. Vielleicht half ihm das Koffein noch eine Weile durchzuhalten. Mit einem Becher des heißen Muntermachers kam er zu den Betten zurück und erstarrte. Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Aber was? Bobby musterte seine Jungs genauer. Doch während Sam noch ganz ruhig dalag, schien Dean regelrecht erstarrt zu sein. Hastig lief er zu dem Jungen, stellte seine Tasse auf dem Nachttisch ab und tastete nach einem Puls, Das Pochen unter seinen Fingern blieb aus. Sofort schlug er die Decke zurück und legte seine Hände auf Deans Brustkorb. Gerade als er mit der Herzdruckmassage beginnen wollte, bäumte sich Deans Körper auf. Gierig zog er Luft in seine Lungen und sackte zurück auf die Matratze. Hoffnungsvoll musterte Bobby den Winchester. Würde er jetzt erwachen? Nichts passierte. Die Brüder lagen noch immer regungslos in ihren Betten. Er seufzte frustriert, deckte Dean wieder zu und nahm sich seinen Kaffee vom Nachttisch. Niedergeschlagen ließ er sich auf seinen Stuhl fallen. Hoffentlich fand Sam bald einen Zugang zu seinem Bruder! Langsam lichtete sich das Dunkel um Sam und das allumfassende Schwarz wandelte sich in grau. Er stand auf und versuchte etwas zu erkennen, doch noch konnten die Umrisse alles und nichts bedeuten. Wie sehr er es hasste, zu warten! Und dann, von einem Augenblick auf den anderen, stand er plötzlich auf einer sonnenüberfluteten Wiese neben einer Bank und blickte auf einen großen See. Die Blätter der Bäume raschelten leise im Wind und ein paar Schmetterlinge flatterten in der leichten Brise. Nichts hier ließ auf eine lauernde Gefahr schließen und so ließ er seinen Blick ruhig schweifen. Auf einer Decke, wenige Schritte von der Bank entfernt lag sein Bruder mit zwei Kindern vor sich und schlief. Eine junge Frau mit blonden, langen Haaren saß neben ihm und schien seinen Schlaf zu bewachen. Irritiert runzelte Sam die Stirn. Wer war sie und wann hatte sein Bruder Zeit für eine Familie? War das jetzt ein Wunschtraum? Einer der sich zu dem ultimativen Albtraum entwickelte? Für sich entschied Sam, dass es keinen weiteren Traum mehr geben würde. Das hier musste aufhören. Dean musste endlich aufwachen! Energisch ging auf die Decke zu. Er hockte sich neben seinen Bruder und wollte ihm gerade die Hand auf die Schulter legen, als er die Frau erkannte! Gut, dass ihn so niemand sah. Seine Hand schwebte noch immer kurz über seinem Bruder und wahrscheinlich stand sein Mund offen. Vor ihm auf der Decke saß seine Mom. Sie war so wunderschön! Nein! Diese Erinnerung konnte und wollte er seinem Bruder nicht zerstören, obwohl er sich keinen Reim darauf machen konnte. Dean war erwachsen. Nicht viel jünger als jetzt und er lag hier auf einer Decke mit seiner Mom und zwei kleinen Kindern! Vorsichtig zog er seine Hand weg und ging, darum bemüht nur kein Geräusch zu machen, um die Decke herum. Dieser Traum wurde ja immer sonderbarer! Der kleine Junge, der sich so fest an Dean presste war Dean in klein, vielleicht vier Jahre alt. Also basierte dieser Traum auf einer realen Erinnerung! Und wieder einmal fragte er sich, was sein großer Bruder noch alles von seiner frühesten Kindheit wusste. Wie viele Erinnerungen an ihre Mom hatte der gespeichert und was hatte der alles verloren und er selbst nie haben dürfen. Tränen drängten sich in seiner Augen und er wandte sich abrupt ab. Vielleicht half ihm ja ein Spaziergang. Zu schade, dass Dean den Dämon schon erschossen hatte. Er hätte es liebend gern selbst gemacht. Er wandte sich Richtung See. Nur nicht zu weit weg, damit er sofort eingreifen konnte, sollte sich dieser Traum ähnlich entwickeln, wie der davor. Eine Weile bewunderte Sam die Sandburg mit breitem Burggraben und Hafen, die schon bald von den Wellen verschlungen werden würde. Schade, dass er so etwas nicht konservieren konnte. Die Sonne senkte sich zum Horizont und Dean half seiner Mom alles im Kinderwagen zu verstauen. Sam stand wenige Schritte neben ihm. Sobald Mary gegangen war, würde er Dean begreiflich machen, dass das hier nur ein Traum war und er endlich aufwachen musste! Er schaute zu, wie Dean Mary fest umarmte. „Sag Sam, dass ich ihn liebe”, hörte Sam sie sagen. In seinem Kopf blitzte eine Erinnerung auf. Konnte das sein? War das der Ort an den sich Dean während seines Komas vor etwas mehr als einem Jahr geflüchtet hatte? ‚Soll ... Mom … liebt’, hatte er damals zu ihm gesagt. War das der Grund dafür? „Du wirst immer mein Großer bleiben. Ich liebe dich, Dean. Ich habe mit dir einige der schönsten Momente meines Lebens erleben dürfen. Dass kann uns keiner nehmen”, sprach Mary weiter und er fühlte einen Stich im Herzen. Ja. Dean war Moms Sohn. Er war nur das Baby. Klein und zu nichts zu gebrauchen. Er durfte Mom nie kennenlernen, so wie Mom diese schönen Momente nie mit ihm erleben durfte. Warum nur hatte sich dieser verdammte Dämon seine Familie ausgesucht?!? Er hat ihnen wirklich alles genommen! Alles, was ein normales Leben ausmachte. Energisch verbot sich Sam alle weiteren Gedanken. Es gab noch andere wie ihn und die hatten noch weniger Glück! Er war, soweit er das wusste, der einzige von Azazels Psychokids, der überhaupt noch lebte. Mary schob den Kinderwagen über den Sand davon und sein Bruder setzte sich auf die Bank. Jetzt war die Zeit zum Handeln! Er ging zu der Bank, baute sich vor Dean auf und umfasste seine Schultern. „Dean!“, sagte er fordernd und schüttelte ihn leicht. Unwirsch versuchte der ältere Winchester die störenden Hände zur Seite zu wischen. Woher kamen die überhaupt? „Dean!“, forderte Sam erneut. „Was?“ irritiert blickte der auf und schaute in das Gesicht seines Bruders. Was wollte der denn hier? Wie kam Sam hierher und was wollte er von ihm? „Du träumst!“, erklärte der Jüngere unverblümt. „Ich weiß!“ Jetzt war es an Sam fragend zu schauen. Doch schnell wurde ihm bewusst, dass Dean ja auch hier träumte. Wieso er das allerdings wusste, war ihm trotzdem ein Rätsel. „Nein!“, begann er noch einmal. „Du träumst wirklich.“ „Ich weiß!“, knurrte der ältere Winchester ungehalten, stand auf und schüttelte Sams Arme ab. „Ich weiß, dass ich träume. Oder aber sie lassen mich alle schönen Erinnerungen noch einmal erleben, damit mir auch wirklich bewusst wird, was ich alles verloren habe.“ „Wer sind sie?“, unwirsch schüttelt Sam den Kopf. Es war egal. Er musste Dean wecken! „Nein, Dean. Du träumst einfach nur. Du musst nur aufwachen, dann …“ „Hör auf, Sam! Es reicht. Du musst es mir nicht auch noch unter die Nase reiben. Ich weiß, dass ich träume und ja, es ist mein letzter Tag hier. Ich wollte mich nur noch verabschieden, dann könnt ihr mit mir machen was ihr wollt. Ihr habt mich. Ich habe den Pakt geschlossen und ich werde nicht mehr weglaufen!“ Dean schnaufte wütend. „Dean!“ Sam hob beschwörend die Hände. „Das ...“ „Was wollt ihr eigentlich alle von mir. Ruby, Mom, du. Findet ihr es toll mich in der Hölle zu wissen?“ „Nein, Dean, bitte“, versuchte Sam noch einmal verzweifelt zu seinem Bruder durchzudringen. „Das hier ist nicht real!“ „Das weiß ich auch!“ Genervt verdrehte Sam die Augen. Wie sollte man jemanden wecken, der wusste, dass er träumte, sich aber in einen anderen Traum wähnte? ‚Oh man, das klingt ja selbst für mich bekloppt‘, überlegte er und startete einen weiteren Versuch: „Bitte. Hör mir zu! Du träumst. Das hier ist nicht die Zeit nach dem Höllenhund. Das ist über eineinhalb Jahre her. Du liegst in einem Motelzimmer in Rocky Ford. Du hast einen Geist vernichtet, der mit einem Dämon im Bunde war. Der hat irgendetwas mit dir gemacht.“ „Ich liege in einem Motelzimmer in, wo? Rocky Ford? Klar! Und den Einhörnern schießen …“ „Verdammt Dean! Bitte versuch dich zu erinnern! Dieser Geist, Konrad Brauer, hat etwas mit dir gemacht, was er auch mit anderen gemacht hat. Du schläfst und hast Albträume, die dich irgendwann umbringen werden.“ „Ich habe Albträume? Das hier war aber kein Albtraum. Das war eine meiner schönsten Erinnerungen!“, wütend trat Dean zur Seite und wandte sich in Richtung Wald. „Und jetzt lass mich gehen. Ich habe ein Versprechen einzulösen!“ Schnell war Sam wieder an seiner Seite. „Nein, Dean bitte denk nach! Warum sollte ich sonst hier sein?“ „Damit ich mein Versprechen auch wirklich einhalte?“ „Welches Versprechen?“ „Dass ich hier verschwinde und endlich in die Hölle komme?“ „Warum, wenn du doch eh in der Hölle bist, sollten die Dämonen dir diesen Ort lassen? Warum sollten sie das hier nicht einfach stürmen und dich hier rausreißen?“ „Sie haben mich sicher und wissen, dass ich weiß, dass das hier nur ein Aufschub ist.“ „Sie wollten dich so unbedingt, dass du nur ein Jahr bekommen hast, meinst du, sie würden dir dann noch die Zeit zum Träumen lassen?“, versuchte Sam Dean zu verunsichern. „Wieso bin ich dann hier?“, forderte Dean seinen Bruder heraus. „Nach dem Höllenhundangriff hast du im Koma gelegen. Es war lange nicht abzusehen, ob du es schaffen würdest. Bobby und ich haben Tag und Nacht an deinem Bett gesessen und auf ein Wunder gehofft. Irgendwann ist Ruby aufgetaucht. Sie hat etwas mit dir gemacht. Sie meinte, dass du an einem schönen Ort wärst und dass du nicht glauben wolltest, dass du lebst. Sie hat nie gesagt, wo du bist, meinte aber, dass du selbst aufwachen wollen musst. Und genau darum bitte ich dich jetzt auch. Wach auf, Dean!“ Der ältere Winchester atmete tief durch und blickte sich noch einmal um. Der See, die Bank. Alles war noch, wie er es aus seiner Erinnerung kannte. Aber was, wenn Sam Recht hätte? „Und wo sind wir dann, wenn nicht in der Hölle?“ Er würde das Spiel einfach eine Weile mitspielen. Vielleicht führte es ja zu etwas. „In deinem Kopf!“, konterte Sam sofort. „Du bist in meinem Kopf?!?“ Diese Aussicht fand der Ältere alles andere als toll. „Als ich dich nicht wecken konnte, habe ich Bobby angerufen. Der hat die Traumwurzel besorgt und ist hergekommen. Er wartet jetzt in unserem Zimmer und wenn du nicht bald aufwachst, kommt er auch noch her.“ „Ich mag euch beide ja echt gerne, aber in meinem Kopf will ich euch wirklich nicht haben!“, erklärte Dean kategorisch. Sam grinste. Eine fast schon Liebeserklärung seines Bruders bekam er nur äußerst selten zu hören. Auch wenn er wusste, dass Dean ihn und Bobby als seine Familie betrachtete und ihm nichts heiliger war als diese. Wieder schaute Dean auf den See und überlegte. Konnte es sein, dass Sam Recht hatte? Träumte er nur, dass er träumte? Plötzlich flackerte der See und verschwand. Die Brüder standen sich in einem weißen Raum gegenüber. „Und jetzt?“, wollte Dean unsicher wissen. „Jetzt musst du einfach nur aufwachen!“ Kapitel 28: Gefühlsbewältigung á la Dean ---------------------------------------- 28) Gefühlsbewältigung á la Dean Nach einer Weile Schweigens bückte sich Dean und holte das Messer, das er am Knöchel trug, hervor. „Was soll das werden?“, fragte Sam misstrauisch. „Wer im Traum stirbt, wacht auf.“ „Nein Dean. Das stimmt sonst vielleicht, aber hier definitiv nicht!“ „Warum?“, wollte der Ältere irritiert wissen, schließlich hatte er schon erlebt, dass das stimmte. „Weil ich …“ Sam schluckte unbehaglich. „Weil du was?“, hakte Dean sofort nach. Wenn Sam ihm schon so eine Geschichte auftischte, dann sollte er auch Klartext reden! „Weil ich gesehen habe, wie Dad dich erschossen hat!“ „John hat mich nie auch nur angeschossen!“ „Nein, aber deine Erinnerungen ändern sich. Ich denke, das hat mit diesem Brauer und dem Dämon zu tun und damit, dass die ihre Opfer mit Alpträumen so lange quälen, bis deren Herz den Stress nicht mehr aushält und sie sterben.“ „Erinnerungen? Was hast du noch alles gesehen?“ Jetzt war es an dem Älteren sich unbehaglich zu fühlen. Reichte es nicht, dass Sam in seinem Kopf war? „Ich hab dich …“ „Nein, lass es. Im Moment will ich es, glaube ich, nicht wissen. Es reicht mir schon, dass du in meinem Kopf bist!“, grummelte er. „Und wie hast du dir das jetzt vorgestellt, wenn sterben ausfällt?“ „Keine Ahnung. Wach einfach auf!“ „Leichter gesagt als getan.“ „Bitte Dean. Du kannst das! Wenn nicht, hängen wir hier auf ewig fest.“ „Alles, nur das nicht! Nicht mit dir in meinem Kopf. Wer weiß, was du noch alles ausgräbst.“ Dean grinste schief und begann langsam hin und her zu laufen. „Und jetzt?“, wollte der Ältere nach einer Weile wissen. Bis jetzt hatte sich nichts geändert! „Keine Ahnung“, gab Sam ehrlich zu. „Toll.“ Unruhig setzte Dean seine Wanderungen fort. Gerade als Sam etwas sagen wollte, begann sein Bruder vor seinen Augen zu verschwimmen. „Dean!“, keuchte er entsetzt und richtete sich auf. Sein Blick huschte durch den Raum, bis er an Bobbys Gestalt hängen blieb. „Bobby?“, fragte er mit zitternder Stimme und wandte sich zum Bett seines Bruders um, der noch immer bewegungslos unter der Decke lag. „Sam“, sagte der alte Jäger und in seiner Stimme klang die Freude mit, die er empfand wenigstens einen seiner Jungs wach vor sich zu sehen. „Was ist mit Dean?“, wollte er auch sofort wissen. „Ist er noch nicht wach?“, alarmiert sprang Sam aus seinem Bett und überbrückte den knappen Meter zu Deans Schlafstatt. Er hat sich noch nicht gerührt.“, informierte er kurz. „Er hat mich aus seinem Traum geschmissen, also müsste er doch aufwachen, oder?“ „Eigentlich schon.“ In dem Moment richtete sich der ältere Winchester mit einem tiefen Atemzug auf. „Verdammter Mist“, knurrte er und atmete noch einmal tief durch. Sam ließ ihm nicht die Zeit noch mehr zu sagen, geschweige denn sich zu fragen, was genau passiert war. Er zog seinen großen Bruder in eine feste Umarmung, die der, nach anfänglichem Zögern auch erwiderte. Still genoss es Bobby, seine Jungs wieder vereint zu sehen. „Ich geh dann mal rüber und leg mich ein paar Stunden hin“, machte er auf sich aufmerksam, nachdem die Winchesters sich voneinander gelöst hatten. „Ja, danke Bobby“, sagte Sam warm und strahlte den alten Jäger glücklich an. Mit belegter Stimme bedankte sich auch Dean. Er musste die Situation erst einmal für sich sortieren. Zu viele Emotionen fluteten durch seinen Körper und das Wissen, das Sam einiges davon mitbekommen hatte, machten ihn ganz kribbelig. „Haben sich Mom und Dad wirklich so oft gestritten?“, platzte Sam auch sofort hervor, kaum dass die Tür hinter Bobby ins Schloss gefallen war. Dean verdrehte die Augen. Mussten sie jetzt wirklich darüber reden? Er schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Ungelenk stakste er zum Bad. „Wie lange …?“ wollte er heiser wissen und drehte sich kurz vor der Tür wieder zu seinem Bruder um, der ihn noch immer mit großen Augen erwartungsvoll anschaute. „Fast zwei Tage“, antwortete Sam leise. Die Hoffnung in seinen Augen erlosch. Sofort meldete sich Deans schlechtes Gewissen, hatte er sich doch vorgenommen, offener zu seinem Bruder zu sein. „Sie haben immer wieder gestritten. Es wurde etwas besser als du kamst“, erwiderte er und fügte ganz leise hinzu: „Für eine Weile.“ „Ich dachte immer, dass es eine wundervolle Ehe war.“ „Als sie tot war, war sie es.“ „Und du hast alles mitbekommen?“, irgendwie wollte er, dass sein Bruder jetzt verneinte. Es tat ihm leid, dass selbst diese Zeit für Dean wohl doch nicht so schön gewesen war, wie er immer angenommen hatte. „Das Meiste, denke ich, auch wenn sie das wohl nicht wahrhaben wollten.“ „Es tut mir leid.“ „Warum? Du kannst doch nichts dafür!?!“ „Ich finde es trotzdem furchtbar. Kein Kind sollte seine Eltern streiten sehen. Ich dachte immer, dass diese Zeit der reinste Sonnenschein war. Ich war neidisch auf dich!“ „Solange ich wach oder im Zimmer war, haben sie nie gestritten. Ich hab oft versucht länger wach zu bleiben, weil ich dachte, dann hätten sie keine Zeit dazu.“ Ein trauriges Lächeln huschte über Deans Gesicht. „In der ersten Zeit nachdem sie ... hab ich mir manchmal, wenn es ganz schlimm war, gewünscht, dass Dad und nicht Mom gestorben wäre und ich hab versucht mir auszumalen, wie wir dann gelebt hätten. Aber dann wurdest du größer und ich hatte jemanden, der mich ablenkte.“ Sam stand auf, trat vor seinen Bruder und zog ihn erneut in eine feste Umarmung. „Du bist der beste große Bruder, den ich mir wünschen konnte!“, flüsterte er gegen dessen Schulter. Dean lächelte traurig. Er legte seine Arme um Sam und drückte kurz zu, bevor er sich löste. „Das diese Anhänglichkeit deinerseits jetzt aber nicht zum Dauerzustand wird. Damit, dass ich meinen kleinen Bruder aufgezogen hab, kann ich bei den Weibern zwar punkten, aber wenn die dich sehen, glaubt mir das keine mehr.“ Er grinste breit. „Du bist unmöglich!“, schimpfte Sam froh darüber, dass sein Bruder ihm den erneuten Gefühlsausbruch nicht nachtrug. „Könntest du mich jetzt trotzdem ins Bad lassen, bevor hier ein Unglück passiert?“ „Oh“, machte Sam und trat einen Schritt zurück. Schnell verschwand Dean im Bad und ließ sich schwer auf den Toilettendeckel fallen. Seine Ellenbogen stellte er auf die Knie und legte den Kopf in seine Hände. Er musste seine Gefühle jetzt unbedingt sortieren und die Erinnerungen möglichst wieder dahin verbannen, wo sie hergekommen waren. Hatte er doch wirklich gehofft, all das vergessen zu haben. Sein Leben war nie perfekt gewesen, aber in all den Jahren hatte er die Lüge der wundervollen Jahre, in denen Mom noch lebte, selbst vor sich aufrecht erhalten können. Dieses Kartenhaus war nun in sich zusammengestürzt, und er stand mal wieder vor einem Schutthaufen. Bestand sein Leben denn nur noch daraus? Lügen? Müll, Scherben und Schutt? Bedächtig entledigte er sich seines Schlafzeugs und drehte die Dusche an. Vielleicht spülte das Wasser ja auch die Erinnerungen weg? Selbst über das Rauschen des Wassers hörte Dean das Klopfen an der Tür. „Dean“, tönte es dumpf. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht und drehte das Wasser ab, Äußerlich ruhig griff er nach einem Handtuch und begann sich abzutrocknen. Das Wasser hatte nichts weggespült. Im Gegenteil, langsam kamen die Erinnerungen was er alles geträumt hatte. Blieb nur die Frage was davon Sam gesehen hatte. „Was?“, wollte er etwas unwirsch wissen. „Wollte nur hören, ob alles in Ordnung ist?“, verteidigte sich Sam. Der ältere Winchester schnaufte nur abfällig. Nichts war in Ordnung. Das Trugbild des in sich ruhenden Kriegers für das Gute war wie eine Seifenblase geplatzt. Diese Träume, und das Wissen um die Anwesenheit Sams in diesen Träumen, hatte ihn bis in seine Grundfesten erschüttert. Dabei wusste er noch nicht mal, was der alles gesehen hatte. Ob er ihn fragen sollte? Nein, besser nicht. Er wollte es nicht hören. Diese Erinnerungen wieder brühwarm auf dem Tisch zu haben reichte schon. Die Frage war nur, wie er sie wieder loswerden konnte? Er wickelte sich das Handtuch um die Hüften und verließ das Bad. „Ich bin okay“, beantwortete er den fragenden Blick seines Bruders, ging zur Kommode und suchte sich frische Sachen zusammen. Hastig hüllte er sich in mehrere Lagen Kleidung. Er wusste, dass er die meiste Zeit von Mom geträumt hatte, doch es waren nicht die schönen Erinnerungen, die er manchmal in sich wach rief, wenn seine Welt im Chaos zu versinken drohte oder er haltlos von einem Fall zum anderen taumelte. Ruby hatte Recht gehabt. Diese Erinnerungen schmerzten, aber sie hinterließen auch ein warmes Gefühl in seinem Bauch. Doch genau das fehlte. Hier hatte er nur einen schalen Geschmack im Mund, der immer schlimmer zu werden schien und ihm die Kehle zuschnürte. Er brauchte Bewegung. Er musste hier raus! „Ich …“, begann er und brach kopfschüttelnd ab. Sam hatte keine Lügen verdient. Allerdings wollte er ihm auch nicht sagen, dass er sich unter seinen Blicken noch immer nackt und schutzlos fühlte. „Ich geh einen trinken!“ Traurig nickte der Jüngere. Was hatte er erwartet? Dean würde diese Erinnerungen bestimmt nicht noch einmal mit ihm durchgehen. Er würde sich so lange betrinken, bis der Alkohol jedes einzelne Gefühl in ihm abgetötet haben würde oder er eine vollbusige Schönheit fand, mit der er die Nacht verbringen konnte, oder beides. „Ruf an, falls ich dich abholen soll“, bot er leise an. Dankbar und zugleich traurig schaute Dean seinen Bruder an, während er nach seiner Jacke griff und aus dem Zimmer verschwand. Gleich darauf erwachte der Impala grollend zum Leben und entfernte sich mit aufheulendem Motor. Sam ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er hatte Dean um die Erinnerungen an ein Leben mit ihrer Mom beneidet und jetzt musste er feststellen, dass selbst diese Erinnerungen nicht ungetrübt waren. Immer wieder hatte er sich gewünscht, mehr von Mom und aus der Zeit vor seiner Geburt zu erfahren, doch jetzt wäre er froh, wenn er diese Erinnerungen seines Bruders nicht miterlebt hätte. Seine Eltern waren so lange zusammen gewesen, bevor sie sich für Kinder entschieden hatten und doch war ihr Dad immer wieder ausgebrochen und hatte seine Freiheit gesucht. Wie schlimm musste das für Dean gewesen sein? Wie sehr hatte sich der kleine Kerl schon damals bemüht die Fehler seines Vaters auszugleichen! Sein Bruder war harmoniesüchtig, auch wenn er es nie zugeben würde, und als er selbst ein Teenager war, hatte er ihn für jeden einzelnen Versuch die restliche Familie Winchester zusammenzuhalten, gehasst. Nur um sich zu beschäftigen, begann er das Wenige wegzuräumen, das überhaupt in ihrem Zimmer herumlag. Dean hatte sich, kaum dass er den Pub betreten hatte, umgesehen. Er ging zur Bar und ließ sich an einem Ende nieder. Schnell hatte er Bier und einem Whiskey vor sich stehen. Er war sich sicher, dass genügend Alkohol und eine Nacht in den Armen einer willigen Frau ihn am schnellsten vergessen lassen würde, was der Fluch Brauers, oder was auch immer ihn dazu gebracht hatte, seine tief vergrabenen Erinnerungen noch einmal erleben zu müssen. Eigentlich waren es ja nicht einmal diese Erinnerungen die er vergessen wollte, es war Sams Präsenz, die er bei jedem kleinen Stückchen Vergangenheit zu fühlen glaubte, auch wenn er wusste, dass Sam diese gar nicht gesehen hatte. Aber nicht nur das schnürte ihm die Kehle zu, diese Erinnerungen überhaupt noch einmal erleben zu müssen, obwohl er sie tief in sich vergraben und wirklich vergessen hatte. Doch jetzt waren sie wieder da und schmerzten. Hätte er mehr tun können, um seine Eltern an diesen Streits zu hindern? Hätte Mom noch leben können, wenn John hinter seiner Familie gestanden hätte? Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, ob John an diesem Abend da gewesen war. Ja, an diesem Abend hatte der ihn ins Bett gebracht und sogar eine Geschichte vorgelesen. Doch die Abende davor war er nicht zu Hause gewesen. Wütend kippte er den Whiskey hinunter und orderte sich einen weiteren. Nein, auch eine willige Frau würde diese Erinnerungen nicht tilgen und das Feuer des Hasses auf dieses aufgezwungene Leben nicht löschen können. Heute würde er seine Gefühle im Alkohol ersäufen. Kapitel 29: Friedlich ist nicht gleich friedlich ------------------------------------------------ @ Vanilein: Das normale Leben? Das wird wohl noch auf sich warten lassen... 29) Friedlich ist nicht gleich friedlich Endlich ertönte Sams Handy und ließ ihn doch zusammenzucken. Er hatte vor einer Weile damit begonnen, die Fakten ihres Falles aufzuschreiben und war danach dazu übergegangen, sich Gedanken über die Webseite zu machen. Dean hatte einige gute Ideen losgelassen. Er angelte nach seinem Telefon und blickte auf das Display. Lächelnd nahm er das Gespräch an. „Wo steckst du?“, wollte er nur wissen. „Pastime, La Junta“, nuschelte Dean. “Ich komm dich holen.” Eine halbe Stunde später betrat Sam den Pub und versuchte seinen Bruder zu finden. Seine Größe war dabei ein echter Vorteil. So konnte der die in kleinen oder größeren Gruppen stehenden Menschen gut überblicken. Außerdem gab es eigentlich nur zwei Plätze, an denen er seinen Bruder vermutete. Entweder in einer dunklen Ecke mit einer heißen und willigen Frau oder an der Bar, und genau an der fand er ihn auch. Allein in einer Ecke sitzend. Irgendwie hatte er eher damit gerechnet, dass Dean eine Frau abschleppen würde und er hätte es ihm gegönnt, aber scheinbar war ihm nicht danach. Sofort bahnte er sich wenig freundlich einen Weg durch die Menschen. „Hey“, machte er seinen Großen auf sich aufmerksam. „Schammy“, nuschelte Dean und strahlte ihn an. „So ganz alleine unterwegs?“, fragte er beiläufig und blickte sich um. „Isch lieb doch nur disch!“, grinste Dean und drängte sich dichter an seinen kleinen Bruder. „Okay! Du hast genug!“, erklärte Sam lachend und winkte den Barkeeper heran, um nach der Rechnung zu fragen. Schnell hatte er den offen stehenden Betrag aus seiner Brieftasche geholt und dem Mann mit einem guten Trinkgeld in die Hand gedrückt. Er zog seinen Bruder noch etwas fester an sich und bahnte ihnen einen Weg durch die Massen. Vor der Tür atmete er tief durch. Die Luft in dem Pub war zum Schneiden gewesen. „Es tu-t mir leit!“, sagte Dean plötzlich und blieb stehen. „Was tut dir leid?“ Etwas ratlos schaute Sam zu seinem Großen. „Dass-s su dasss miterleben muss-stesss.“ „Was?“ so sehr sich der Jüngere auch anstrengte, er kam nicht darauf, was sein Bruder jetzt meinte, war schließlich nicht das erst Mal, dass der zu viel getankt hatte. „Die Schreiterei-in. Su hässes das nie erfah-hren sol-len.“ „Das ist nicht deine Schuld.“ Es ging also doch noch um die Erinnerungen, die er miterlebt hatte. „H-Hab wirk-lich vers-sucht su verkes-sen. Und wen-n isch aufisch ge-w-wartet hät-te ...“ Sam musste schlucken. Tränen drängten sich in seine Augen. Warum nur musste Dean die Schuld wieder bei sich suchen? Er umfasste Deans Schultern und wartete, bis der seinen Kopf hob und versuchte ihn anzuschauen. „Du hast das Sterben hier beendet und kannst nun wirklich nichts dafür, dass Brauer dich auch noch erwischt hat. Außerdem tut es mir leid, nicht eher einen Weg gefunden zu haben, dich zu wecken“, sagte er energisch und schob seinen Bruder auf die Beifahrerseite. „Hmpf“, machte Dean und zuckte mit den Schultern. „Na komm, ich bring dich zurück. Dann schläfst du deinen Rausch aus und morgen ist die Welt schon wieder freundlicher“, versuchte er eine Zuversicht zu verbreiten, die er nicht fühlte. Das einzige, was Dean morgen haben würde, wäre ein ausgewachsener Kater. Er drängte den Älteren auf den Beifahrersitz, schloss die Tür und ging um den Wagen herum. Vorsichtig lenkte Sam den Impala auf die Straße und zurück nach Rocky Ford. In ihrem Motelzimmer ließ sich Dean ohne Gegenwehr ins Bett bugsieren. Vorsichtshalber stellte Sam noch einen Eimer neben den Nachttisch und legte sich dann ebenfalls hin. Lange lag er noch wach, grübelte und starrte auf die Umrisse seines Großen. Warum holte sie ihre Vergangenheit immer wieder ein? Warum ließ sie das Schicksal nicht einfach ihre Arbeit machen? Es war doch auch so schon schwer genug dieses Leben zu leben. Sie halfen, ja. Aber früher oder später würden sie kein Glück mehr haben und einer von ihnen sterben. Er konnte nur hoffen, dass sie ihren Ausstieg vorher schafften und genau das nie passieren würde. Nicht in diesem Leben. Beständiges Klopfen weckte Sam am nächsten Morgen. Er kämpfte sich aus dem Bett und ging zur Tür. „Hey, Bobby“, grüßte er, nachdem er sich vergewisserte hatte, wer vor der Tür stand und ließ den Freund ein. „Ich hab Frühstück mitgebracht“, erklärte der und legte die Tüten auf den Küchentresen. „Deans kannst du gleich in den Kühlschrank legen. Den bekommen wir bestimmt nicht aus dem Bett.“ „Schläft er schon wieder?“, wollte Bobby alarmiert wissen. „Nein. Er ist nur gestern in einer Bar versumpft“, beruhigte Sam den Freund. Der ließ seinen Blick über das Bett gleiten, auf dem Dean, unter Decken vergraben, lag. „So schlimm?“ „Schlimmer.“ Sam deckte den Tisch. „Ich hab immer gedacht, dass es, als Mom noch gelebt hat, das reinste Paradies auf Erden gewesen sein muss“, begann Sam beim Frühstück. „Aber das war es nicht?“ „Mom und Dad haben immer wieder gestritten und Dad war wohl auch für Tage weg.“ „Hat Dean dir das erzählt?“ „Nein, ein Teil seiner Albträume drehte sich darum. Es muss ihm damals schon zu schaffen gemacht haben.“ „Und jetzt willst du ihn darauf ansprechen?“ „Lieber nicht. Er hat gestern ein paar Worte dazu gesagt und er hat sich entschuldigt, dass ich es gesehen habe. Als ob es sein Fehler gewesen wäre!“ Sam schüttelte den Kopf. „Er meinte, er wollte wenigstens diese Lüge für mich und für sich aufrecht halten. Ich wünschte wirklich, dass ich es nie erfahren hätte. Jetzt ist wieder eine Illusion geplatzt.“ „Nicht alles Wissen ist gut“, überlegte Bobby. „Ich weiß. Das Wissen, das wir haben rettet zwar Leben, aber es zerstört unseres.“ Der alte Jäger nickte. Wie Recht Sam doch hatte. Er hatte sich ja schon seit längerem fast komplett aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und arbeitete nur noch als Ratgeber. Die Jungs allerdings kannten nichts anderes. Sie waren von klein auf in diesem Business, erfolgreicher als die meisten anderen Jäger und seit dem Brand des Roadhouses eigentlich unverzichtbar. Und das war das Dilemma, denn auch sie hatten ein Recht auf ein normales Leben. „Und was hast du vor?“, wollte er ruhig wissen. „Wir wollen noch immer nach El Paso und dann? Vielleicht kann ich Dean ja zu einem Urlaub überreden. Er wollte nach Dads Tod zum Grand Canyon. Wenn er sich darauf einlässt, werde ich spätestens da mit ihm über unser Leben reden. Ich würde das hier gerne an den Nagel hängen, aber nicht ohne Dean. Ich werde ihn nicht alleine jagen lassen!“ Eine Weile aßen sie schweigend, bis Bobby die Stille erneut durchbrach. „Was hast du heute noch vor?“ „Ich wollte mir Deans Vernichtungswerk mal anschauen.“ „Du willst sicher gehen, dass nichts zurückgeblieben ist?“ Sam nickte, „Bei dem was da alles passiert ist, möchte ich das lieber genau nachprüfen.“ „Willst du ihn alleine lassen?“ „Ich wollte ihm nur Bescheid sagen, dann können wir los.“ In diesem Moment klingelte Bobbys Handy und er ging ran. „Hey“, grüßte er freundlich und ein Lächeln zierte sein Gesicht. Der warme Klang in Bobbys Stimme ließ auch auf Jodys Gesicht ein Lächeln erscheinen. Es schien also alles in Ordnung zu sein. „Wie geht es den Jungs?“, fragte sie, um sich eine Bestätigung ihrer Vermutung einzuholen. „Sie sind soweit in Ordnung. Dean schwächelt noch ein wenig, aber das wird schon. Warum rufst du an?“ „Ich darf morgen hier raus und wollte fragen, ob du dann schon wieder da bist. Außerdem hattest du mir angeboten, dass ich erst mal bei dir unterkommen kann, bis ich was Eigenes gefunden hab.“ „Ich denke morgen Nachmittag bin ich wieder zurück. Dann hole ich dich ab. Und natürlich kannst du bei mir wohnen!“ „Dann bis morgen“, sagte sie und legte auf. Ein warmes Gefühl machte sich in ihr breit, als sie sich wieder in die Kissen fallen ließ. Sie mochte diesen Mann immer mehr. Er war so ganz anders, als sie ihn in all den Jahren gesehen hatte. Freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit und keineswegs der Säufer, für den ihn die Meisten im Ort hielten. Bobby steckte sein Telefon wieder weg. Er drehte sich zu Sam, der ihn breit angrinste. „Du magst sie“, sagte er geradeheraus. „Warum auch nicht?“, grummelte der Jäger. „Ich finde es gut. Sie ist nett und sie würde dir gut tun. Außerdem können wir ja nicht immer bei dir sein.“ „Ich denke, ich brauche weniger einen Babysitter als ihr“, erklärte Bobby kategorisch. „Müsst ihr hier so einen Krach machen?“, maulte Dean und stemmte sich in die Höhe. „Wie geht es dir?“, fragte Sam sofort und ging vor dem Bett in die Hocke. „Beschissen!“, gab der ältere Winchester unumwunden zu. „Willst du was essen? Eine Aspirin?“ „Erst mal will ich ins Bad und dann? Bloß nichts essen!“, nuschelte er leise und richtete sich stöhnend auf. Sofort begannen die Zwerge in seinem Kopf ihre hämmernden Tätigkeiten zu intensivieren. Am liebsten würde er sich wieder in die Waagerechte fallen lassen, doch die Natur forderte ihr Recht und so stand er langsam auf und tappte zum Bad. Sam wartete, bis sich die Tür hinter seinen großen Bruder geschlossen hatte. Erst jetzt gestattete er sich ein breites Grinsen. „Dem geht es aber mehr als dreckig“, sinnierte Bobby. „Der hat gestern aber auch gehörig getankt und er hat es sich in der Nacht nicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen, zumindest hab ich nichts mitbekommen, wenn er doch über der Schüssel gehangen haben sollte.“ „Versucht er immer noch seine Gefühle im Alkohol zu ertränken?“ „Wann hat er das nicht versucht?“ „Es betäubt den größten Schmerz.“ „Aber langfristig hilft reden mehr.“ „Langfristig ja, aber erst einmal reißt du damit die Wunde noch weiter auf und es schmerzt noch mehr. Außerdem, wann hat Dean denn je einen Zuhörer gehabt?“ „Jetzt hätte er einen!“, erklärte Sam brüsk. „Jetzt. Aber du weißt auch, wie schwer sich alte Gewohnheiten ändern lassen.“ Der jüngere Winchester holte tief Luft und nickte kurz. In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Bad und ein käsig aussehender Dean kam heraus. „Nie wieder Alkohol“, keuchte der ältere Bruder kläglich. Sam schnaufte nur. „Okay, okay, Sammy. Jedenfalls nicht mehr so viel.“ „Wie wäre es denn dann mit einer Aspirin?“ „Wenn sie drin bleibt?“, überlegte Dean skeptisch, nahm die angebotenen Schmerzstiller aber trotzdem mit einem dankbaren Nicken an. Er spülte sie mit Wasser herunter und legte sich wieder ins Bett. „Wir wollten uns gleich mal dein Vernichtungswerk anschauen“, informierte Sam ihn gleich noch. „Tut was ihr wollt, Hauptsache ich kann liegen bleiben.“ Sam nickte nur. „Sollen wir dir was zu essen mitbringen?“ „Lass mich einfach sterben!“ Dean zog sich die Decke über den Kopf und rollte sich zusammen. „Musst du ihn so ärgern?“, fragte Bobby und schaute mitfühlend auf den älteren Winchester-Jungen. „So macht es am meisten Spaß.“ „Sam, Sam!“ Gemeinsam verließen sie das Zimmer, stiegen in den alten Pickup und fuhren zu der alten Tischlerei. Kapitel 30: Die Schönheit einer Ruine ------------------------------------- 30) Die Schönheit einer Ruine Langsam umrundeten sie die Ruinen. Immer wieder warf Sam einen Blick auf das EMF. „Und?“, wollte Bobby neugierig wissen. „Nichts. Wenn Dean etwas tut, dann tut er es richtig.“ Lächelnd blickte er zu dem Freund. Dabei streifte sein Blick eine junge Frau mit einer weißen Rose in der Hand. „Hallo Sam“, grüßte sie den Winchester, als sie sich ihnen noch etwas weiter genähert hatte. „Hallo, Dr. Mahlkemper. Wo wollen Sie denn hin?“ Sam deutete auf die Rose. „Ich war an Fletchers Grab und irgendwie hatte ich das Bedürfnis auch hier …“ Sie brach ab und überlegte kurz. „Jetzt wo es hoffentlich vorbei ist.“ „Hier kriechen zumindest keine Teenager mehr herum.“ Der Winchester lächelte. „Das hoffe ich.“ Sie seufzte leise. „Darf ich Ihnen unseren Onkel vorstellen?“, fragte Sam etwas verspätet. „Das ist Dr. Mahlkemper. Sie hat mich zusammengeflickt und das ist …“ „Daniel Jeffreys“, fiel Bobby ihm ins Wort. „Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ „Wollen Sie auch zu dem Familientreffen? Wo ist eigentlich Ihr Bruder, Sam?“ Dr. Mahlkemper schaute sich suchend um. „Der ist noch nicht wieder fit.“ „Fit, wieso?“ „Der letzte war wohl schlecht“, wich Sam einer Antwort aus. „Oh, er hat sich …“, Sie stockte kurz und schien zu überlegen. „Gestern war der Todestag Ihrer Mutter?“ Sie schaute Sam bedauernd an. „Ja“, sprang Sam sofort darauf an. „Das tut mir leid. Dann haben Sie es wohl auch nicht zu dem Treffen geschafft?“, wandte sie sich an Bobby. „Nein. Leider nicht“, antwortete der Jäger ruhig. „Ich muss weiter“, sagte sie leise. Irgendwie fühlte sie sich fehl am Platz. „Grüßen Sie Dean.“ „Machen wir. Und danke nochmal, Doc.“ Die Jäger wandten sich ab. „Klärst du mich auf?“, wollte Bobby leise wissen, kaum dass die Ärztin außer Hörweite war. „Sie hat mich behandelt und Dean hat ihr ein paar Fakten über diese Tischlerei aus der Nase gezogen. Dabei hat er ihr wohl eine Geschichte aufgetischt, die erklären sollte, warum wir zusammen unterwegs sind. Er hat ihr erzählt, dass wir zu einer Tante wollen um da den Todestag unserer Mom zu begehen. Ihr damaliger Freund war eines der Opfer“, fügte er noch an. Bobby nickte und schaute der Ärztin hinterher. „Lass uns noch eine Runde drehen.“ Das EMF schwieg eisern. „Was Dean mach, macht er richtig“, wiederholte Bobby Sams Satz nach einen weiteren Blick auf die Anzeige. Der Winchester nickte. „Ja, und über ihn hat dieser Brauer auch keine Macht mehr.“ Bobbys Blick wanderte über seinen jüngeren Ziehsohn. Er lächelte leicht. Seine Jungs! „Lass und hier abhauen“, schlug Sam vor. Gemeinsam gingen sie zurück zum Wagen. „Kommst du nicht mit rein?“, wunderte sich Sam, als Bobby sein Zimmer ansteuerte, kaum dass sie wieder vor ihrem Motel standen. „Nein, ich will gleich packen und wieder zurück.“ „Hast du denn in den wenigen Tagen schon so eine Unordnung gemacht?“, wollte der Winchester grinsend wissen. Der alte Jäger brummelte sich etwas Unverständliches in den Bart und wandte sich ab. Auch Sam ging zu ihrem Zimmer. In der Tür blieb er wie angewurzelt stehen. Dean saß auf der Bettkante und starrte vor sich hin. „Hey“, grüßte der Jüngere und schloss die Tür hinter sich. Dean blickte nicht auf. Alarmiert ging Sam vor seinem Bruder in die Hocke und legte seine Hände auf Deans. „Dean?“, fragte er leise. Der brauchte noch Zeit um sich aus der zähen Masse seiner Gedanken zu lösen. Ganz langsam fokussierten sich seine Augen auf den Jüngeren. „Was ist los?“, wolle Sam augenblicklich wissen. Doch Dean schüttelte nur den Kopf und starrte wieder vor sich hin. Alles fühlte sich irgendwie dumpf an und das lag nicht daran, dass er am Abend zu viel getrunken hatte. Er fühlte sich leer und irgendwie ausgeliefert. Was hatte Sam noch alles gesehen? Was von seinem Leben gehörte wirklich noch ihm? Er hatte nie gewollt, dass Sam erfuhr, dass sich ihre Eltern oft gestritten hatten, mal abgesehen davon, dass er es wirklich erfolgreich verdrängt hatte. Die ganzen Jahren war John sein Held gewesen und jetzt kam es ihm so vor, als ob dessen Denkmal kurz davor war vollkommen in sich zusammen zu stürzen und ihn mit Schutt und Staub erdrücken zu wollen. Er hatte sich zwar inzwischen von John gelöst, doch das hatte er selbst gewollt. Für diese Erinnerungen und deren Folgen war er einfach noch nicht bereit! „Können wir hier verschwinden?“, wollte er kaum hörbar wissen und richtete seinen Blick wieder auf Sam. „Du bist aber noch nicht fahrtauglich!“, gab der sofort zu bedenken. „Ist egal, ich will hier einfach nur weg!“ „Okay, dann zieh dich an, ich packe zusammen.“ „Danke!“, sagte Dean heiser. Er brauchte jedoch noch eine Weile, bis er sich mit einem Ruck aus seiner Lethargie löste und ins Bad ging. Besorgt schaute Sam seinem Bruder hinterher und begann dann damit, ihre Sachen zu packen. Er kontrollierte gerade die Schränke, als es klopfte und Bobby eintrat. „Wollte mich verabschieden“, sagte der Jäger ruhig. „Fahr vorsichtig und grüß Jody von uns“, sprudelte Sam hervor und umarmte den Freund. „Danke für alles“, sagte er und löste sich, um auch Dean die Möglichkeit zu geben, sich zu verabschieden. Der Ältere trat etwas ungelenk vor seinen Ziehvater. „Danke“, nuschelte er und ließ sich in eine Umarmung ziehen, der jedoch die Wärme und Herzlichkeit fehlte, die ihnen sonst zu Eigen war. Besorgt schaute Bobby zu Sam. „Ich denke, er kämpft noch mit den Nachwirkungen von gestern“, versuchte Sam das ungute Gefühl zu unterdrücken. „Passt auf euch auf“, sagte Bobby und löste sich von dem Jungen. „Du auch“, erwiderte Sam und blickte ihn lächelnd in die Augen. „Dean?“ Sams Stimme klang fordernd. Kaum dass der alte Jäger das Zimmer verlassen hatte, war er vor seinen Bruder getreten und fasste ihn bei den Armen. Nur langsam hob Dean den Blick. „Was ist mit dir?“, drängte der Jüngere. „Ich …“ Er brach ab und schüttelte den Kopf. „Bitte Dean! So langsam mache ich mir wirklich Sorgen um dich!“ „Ich fühle mich einfach nur leer.“ „Leer?“ „Wie im falschen Film!“ „Das ist auch nicht beruhigender.“ „Ich musste mich in den letzten Tagen einigen Erinnerungen stellen, die ich tief in mir vergraben glaubte. Erinnerungen, die du nie erfahren solltest, weil ich dir diese heile Familie nicht nehmen wollte.“ „Es ist nicht so schlimm, Dean. Ich bin erwachsen. Ich muss nicht mehr geschützt werden. Ich verkrafte es auch, dass unsere Eltern eben nicht die perfekte Ehe hatten.“ „Du vielleicht. Ich habe es verdrängt und wollte nie wieder daran denken müssen. Ich wollte wenigstens etwas Perfektes in meinem Leben.“ „Mom!“ „Was?“, wollte der Blonde irritiert wissen. „Du hattest Mom.“ „Ja. Sie war perfekt.“ Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht, doch viel zu schnell verblasste es wieder. „Ich wünschte nur, du hättest sie auch kennenlernen dürfen.“ Sam nickte. Jetzt erfasste dieses beklemmende Gefühl auch ihn. „Lass uns verschwinden“, sagte er und wandte sich zur Tür. Schnell jedoch drehte er sich wieder zu seinem Bruder um. „Ich fahre!“, erklärte er voller Überzeugung und hielt Dean die Hand hin. Ohne Widerrede kramte der in seiner Tasche und holte den Schlüssel hervor. „Genieß es. Es wird nicht oft passieren!“ Sam grinste nur, nahm den Schlüssel und ging zur Fahrerseite des Impalas. Die Dämmerung senkte sich über das Land. Noch immer saß Dean auf dem Beifahrersitz. Doch das gedachte er jetzt zu ändern. „Da vorne ist eine Tankstelle“, zeigte er auf die hell erleuchteten Schilder. „Wir haben noch Sprit im Tank.“ „Nicht nur mein Baby muss essen.“ Sam grinste. Wenn sein Bruder so nach Essen verlangte, musste es ihm besser gehen. Er setzte den Blinker und hielt neben einer der Tanksäulen. Dean tankte und kam mit einem Sixpack Bier, Salat und einigen Sandwiches zurück. „Hat dir der heutige Morgen nicht gereicht?“, hakte Sam auch sofort nach. „Warts ab!“, erwiderte Dean nur und hielt seinem Bruder die Hand hin. „Herzlichen Glückwunsch“, grinste Sam und begann Deans Hand zu schütteln. „Lass das“, fauchte Dean und riss seine Hand weg. „Ich liebe dich auch.“ Sam konnte nicht mehr an sich halten. „Dann rück den Schlüssel raus, ich fahre!“, knurrte der Ältere und versuchte böse zu schauen. Für einen Augenblick überlegte Sam den Spaß noch weiter zu treiben, ließ es aber doch sein. Schließlich wollte er nicht, dass Dean wegen ihm seinen Wagen demolierte, weil er ihn kurzschließen musste. Das würde der ihm Ewigkeiten nicht verzeihen. Die Dunkelheit hatte sich inzwischen wie eine Decke über das Land gelegt. Dean lenkte den Impala noch immer über die Straßen. „Wo willst du eigentlich hin?“, fragte Sam ein wenig ungeduldig. So langsam konnte er sich das Verhalten seines Bruders nicht mehr erklären. Warum hatte der Essen geholt, wenn er doch gar keinen Hunger zu haben schien? Wollte er ihn nur vom Fahrersitz vertreiben? Da hätte er doch nur fragen müssen! Dean warf seinem Bruder einen Blick zu, den der nicht einordnen konnte. Es war weder die reine Freude, die sein Bruder oft zu empfinden schien, wenn er fuhr, noch Hass oder Trauer, die Sam darin lesen konnte. Eher Unsicherheit und Verwirrung. Der Jüngere wollte gerade zu einer weiteren Frage ansetzen, als Dean den Blinker setzte und in einen Waldweg einbog. Nicht weit von der Straße entfernt gab es eine kleine Lichtung, an dessen Rand der Ältere den Wagen parkte und ausstieg. Er holte ihr Essen und das Bier aus dem Fond des Wagens und setzte sich auf die Motorhaube. Endlich ging Sam ein Licht auf. Diese Momente der Stille und Zusammengehörigkeit waren selten gesät. Im letzten Jahr hatten sie sich nicht einmal Zeit dafür genommen. Viel zu viel war in den vergangenen Monaten passiert. Eigentlich hatten sie das zuletzt ein paar Mal nach Jess’ und Dads Tod gemacht. Für sie war es die Gewissheit, dass sie zusammen gehörten und dass es auch in ihrem verqueren Leben Momente des Glücks und der Stille gab. Die Erkenntnis, dass sie füreinander da waren, hinterließ ein warmes Gefühl in seinem Magen. Dean war gerade in der Zeit nach Jessicas Tod immer für ihn da gewesen, auch wenn er es selten offen gesagt hatte. Jetzt war es an ihm, seinem großen Bruder diesen Beistand zu leisten. Er beeilte sich seinen Platz neben seinem Bruder einzunehmen, nahm die geöffnete Flasche entgegen und lehnte sich an die Frontscheibe. Es war so friedlich hier und dieser Frieden schien auch die Brüder zu erfassen. Langsam entspannte sich auch Dean. Irgendwann rutschte Sam von der Motorhaube. Er holte zwei weitere Flaschen Bier, reichte eine an seinen Bruder weiter und setzte sich wieder neben ihn. Gemeinsam schauten sie in den sternenklaren Himmel. Unbemerkt verging die Zeit, bis Sam sich rührte. Seine Blase forderte ihr Recht. Mit leisem Bedauern rutschte er vom Impala und ging zum Waldrand. Kapitel 31: Zerstörte Stille ---------------------------- @ Vanilein - Diese Momente sind leider rah gesät. 31) Zerstörte Stille ‚Wo blieb Sammy eigentlich?‘, fragte sich Dean gerade, als wie aufs Stichwort, das Handy in dessen Jackentasche zu klingeln begann. Demonstrativ drehte sich Dean weg und nahm noch einen Zug aus der Flasche. Er wollte mit niemandem reden. Dem kleinen Störenfried war das vollkommen egal, es klingelte weiter. Dean verdrehte die Augen. Nicht einmal hier hatten sie ihre Ruhe. Er angelte das kleine nervige Teil aus der Tasche. Gerade als er drangehen wollte, hörte es auf. „Geht doch!“ Erleichtert atmete der Winchester durch und wollt es wieder in der Tasche verschwinden lassen, als es erneut zu klingeln begann. Genervt nahm er ab. „Sam?“, fragte eine weibliche Stimme. „Der ist gerade verhindert. Kann ich was ausrichten?“ „Wir waren eigentlich verabredet.“ „Ich sage ihm, dass er zurückrufen soll.“ „Warten Sie. Sie sind doch Dean. Hier ist Carol. Ich arbeite mit Kyle. Der Junge mit dem Sie …“ „Ich weiß wer Sie sind“, entgegnete Dean kalt. Er hatte es in den letzten Monaten fast immer geschafft einem Gespräch mit dieser Frau aus dem Weg zu gehen und er wollte auch jetzt nicht mit ihr reden. Er hatte ihr nichts zu sagen und wie es dem Jungen ging, konnte ihm auch Sam erzählen. Seine Schuldgefühle dem Kleinen gegenüber waren auch so noch groß genug. Immerhin wusste er nichts von ihrer gemeinsamen Zeit, ganz im Gegenteil zu Kyle. Ihm wurde regelrecht schlecht, wenn er daran dachte, was er dem Jungen alles zugemutet hatte. Und da half es auch nichts, dass Sam und Bobby ihm immer wieder sagte, dass er nichts dafür konnte. Er fühlte sich schuldig! „Ich freue mich, Sie endlich mal wieder an die Strippe zu bekommen. Wie geht es Ihnen?“ „Ich bin okay. Ich … Hören Sie, ich …“ Doch sie ließ sich nicht aufhalten: „Pamela hat mir erzählt, dass Sie von klein auf mit solchen übernatürlichen Kreaturen zu tun hatten. Ich wollte Sie fragen, wie Sie mit diesem Wissen umgegangen sind. Kyle hat immer wieder Albträume. Er hat Angst im Dunklen und geht nicht in enge Räume. Außerdem schreckt er vor jedem Fremden zurück. Es wird besser, aber er soll so schnell wie möglich in die Vorschule, damit er wieder unter Gleichaltrige kommt. Wie sind Sie damit klargekommen?“ „Ich weiß nicht, wie ich damit klar gekommen bin. Ich musste es einfach. Wir waren alle … Ich hatte mich um Sam zu kümmern. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen hier nicht helfen. Ich…“, stammelte er hilflos und verachtete sich dafür. Seine Hilflosigkeit verwandelte sich in Wut. Er hatte genug. Wie oft sollte er denn noch wiederholen, dass er sich an nichts erinnerte? Oder an zuviel, doch leider an nichts, was ihr weiterhelfen konnte. Ja, der Kleine tat ihm wirklich leid und er fühlte sich für das, was ihm passiert war verantwortlich, aber er konnte ihr und damit auch ihm nicht weiter helfen. „Hören Sie, Carol! Ich finde es wunderbar, wie Sie sich um den Jungen kümmern, und ich würde Ihnen auch gerne weiterhelfen, aber ich weiß nicht, was ich gemacht oder nicht gemacht haben soll. Ich habe keine Ahnung, weder was mit meinem Körper bei Sam passiert ist, noch was meine Seele im Körper des Jungen bei der Familie oder in diesem Heim angestellt haben könnte“, erklärte Dean barsch. „Aber Sie müssten doch irgendetwas wissen“, wollte sie die Psychologin noch nicht geschlagen geben. „Was ich weiß stammt aus Erzählungen von Bobby oder Sam und ich denke, die werden Ihnen genau das Gleiche erzählt haben wie mir. Bitte Carol! Hören Sie auf, mich zu fragen. Es bringt weder Sie noch mich weiter“, forderte Dean eindringlich und drückte das Gespräch weg. Frustriert lehnte er sich gegen dem Wagen. Er hatte hier mit sich und seiner Welt wieder in Einklang kommen wollen und bis zu dem Anruf schien das auch ganz gut zu klappen. Jetzt allerdings war er nur noch frustrierter, wütender … Er fand nicht mal einen Begriff, um seine Gefühlswelt zu beschreiben! Hastig trank er noch einen Schluck aus seiner Flasche, atmete tief durch und feuerte die dann mit aller Kraft in Richtung Wald. „Verdammt“, brüllte er und wünschte sich nichts mehr als etwas, worauf er einschlagen konnte. Besorgt blickte Sam auf seinen Bruder. Dean war vollkommen angespannt. Er hatte die Schultern hochgezogen und war regelrecht erstarrt. Langsam umrundete er ihn. Er hatte den Rest des Gespräches mitbekommen und ahnte, worum es gegangen war. Deans Miene war ausdruckslos. Nur seine Augen verrieten etwas von dem Gefühlschaos, das in ihm tobte. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Sam legte ihm seine Hand auf den Arm. „Du kannst nichts dafür“, sagte er leise. „Ich weiß!“, erwiderte der ältere Winchester aber alles in ihm schimpfte seine Aussage Lügen. Er wusste vielleicht, dass er nichts dafür konnte, aber er würde sich trotzdem immer schuldig fühlen. Sam wollte sein Handy am Liebsten irgendwo versenken. Er hatte den ganzen Sommer lang versucht diese Gespräche von Dean fernzuhalten, nachdem er einmal mitbekommen hatte, wie sehr Carols Äußerungen ihn mitnahmen. Dean hatte fast zwei Tage nur vor sich hin gebrütet und sich dann wieder in die Restaurierung der beiden Wagen gestürzt. Er und Bobby hatten immer wieder versucht, ihn aus dieser Isolation zu holen. Gelungen war ihnen das erst eine Woche später! Er wollte seinen Bruder nicht noch einmal in so einer Selbstzerfleischung sehen. Dieser Sommer war zu schön, um ihn jetzt noch nachträglich zu ruinieren, mal abgesehen davon, dass Dean ja auch noch mit den letzten Tagen kämpften. Carol hätte sich wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. „Lass uns fahren“, sagte Dean tonlos. Ihm war die Lust auf eine sternenklare Nacht vergangen. Sam nickte traurig und verfluchte sich, dass er sein Handy nicht mitgenommen hatte. Eisiges Schweigen hatte sich in Impala ausgebreitet und nicht einmal das satte, sonst so beruhigende Brummen konnte Dean aus seinen trüben Gedanken holen. Er konnte den fragenden Blick seines kleinen Bruders auf sich ruhen fühlen, doch er wollte nicht reden. Worüber auch? Er fühlte sich schuldig und das konnten ihm weder sachliche Argumente noch gutes Zureden nehmen. Er wusste ja selbst, dass er nicht schuld war. War er das nicht? Immerhin hatte er sich der Leuchtkugel in den Weg geworfen. Aber er hätte auf keinen Fall zulassen können, dass sie Sam traf! Und wenn doch? Mit wem hätte der denn dann die Seele getauscht? Wen hatte Sam als Erstes an diesem Tag berührt? Es war doch durch Berührung geschehen, oder? Wütend schnaubte Dean. Es war müßig darüber nachdenken zu wollen. Er konnte es nicht mehr ändern! Er hatte diesen kleinen, unschuldigen Jungen in diesen Strudel gerissen. Er und niemand anderer. Immer wieder schaute Sam zu seinem Bruder. Dieser Anruf hatte ihn wieder in diese verdammte Spirale aus Selbsthass und Schuldgefühlen gerissen und so wie der seine Finger um das Lenkrad gekrallt hatte, wäre der heute bestimmt nicht mehr ansprechbar, geschweige denn für entlastende Argumente zugänglich. Vielleicht, wenn Dean nicht noch von den Träumen angeschlagen wäre, hätte er dieses Gespräch besser wegstecken können, immerhin hatte er sich gewehrt. Er konnte nur hoffen, dass sich sein Bruder bald wieder fangen würde. Als sie vor einem Motel hielten, was Sam schon fast froh, dass er aussteigen konnte, um ihnen ein Zimmer zu ordern. Dort angekommen ließ sich Dean nur noch auf das vordere Bett fallen, kickte seine Schuhe von den Füßen und verkroch sich unter der Decke, um hoffentlich bald einzuschlafen und das Ganze irgendwie verdrängen zu können. Vielleicht half es ja dieses Mal eine Nacht darüber zu schlafen. Er glaubte es zwar nicht, schließlich hatte das noch nie funktioniert, aber die Hoffnung starb bekanntlich zum Schluss. Dabei gab es in seiner Vergangenheit genügend Nächte, in denen er nicht geträumt hatte. Wann hatte er eigentlich die Fähigkeit zu verdrängen verloren? Sam stand vor seinem Bett und schaute betrübt auf den Älteren. Warum musste er sich das immer so zu Herzen nehmen. Natürlich war ihm das Schicksal des Jungen auch nicht egal. Er mochte ihn, hatte schließlich die ganze Zeit mit ihm verbracht und es tat ihm ebenfalls weh zu hören, dass er noch immer an diesem Seelentausch litt, aber er konnte es besser wegstecken. Sam duschte ausgiebig. Er genoss die prasselnde Wärme, unter der er sich entspannen konnte. Bevor er ins Bett kroch, warf er noch einen Blick auf seinen Bruder, doch der hatte sich noch nicht gerührt. Ein Schrei riss ihn aus dem Schlaf und gleich darauf hörte er schwere Schritte, die die Treppe heraufkamen. Hastig rutschte er aus seinem Bett und lief auf den Flur. Schon nach wenigen Schritten schlug ihm die Hitze des Feuers aus Sammys Zimmer entgegen. Er kam nicht dazu um Hilfe für seinen kleinen Bruder zu rufen. Dad trat aus der Tür und drückte ihm ein Bündel Leben in die Hand. „Warte hier, ich komme gleich“, forderte Dad und er nickte heftig. Es dauerte nicht lange, bis Dad mit einem in Decken gewickelten Körper wieder kam. Er lief zur Treppe. „Los Dean, folge mir!“, drängte Dad ihn und lief voraus. Voller Stolz drückte er das Bündel an sich und rannte los. Doch schon nach wenigen Stufen musste er warten, weil Dad den Körper in seinen Armen nicht mehr halten konnte und ihn auf die Treppe fallen ließ. Die Decke verrutschte und gab den Blick auf den Körper frei. Ein Schrei entwich Deans Kehle. Seine Mom sah furchtbar aus. Das ganze Gesicht war verbrannt und überall auf der Haut hatten sich riesige Brandblasen gebildet. Die schwarzen Lippen versuchten etwas zu sagen. Gebannt starrte Dean auf das entstellte Gesicht und übersah dabei, dass sich unter der Decke etwas bewegte, bis die schwarze Klaue sein Oberteil ergriff. Schreiend versuchte er zurück zu springen, doch das Ding hielt ihn fest. Es kroch aus der Decke, wurde immer größer und versperrte ihm und Sammy den Weg. Es wandte sich zu ihnen um und umschloss sie, während Dad wie gelähmt am Fuß der Treppe stand. Rasend schnell fraßen sich die Flammen durch den Flur auf Sammy und ihn zu. Keuchend erwachte Dean und setzte sich auf. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper. Er schwitzte und fror gleichzeitig. Haltsuchend zog er die Beine an und schlang seine Arme darum. Etwas berührte ihn und er zuckte instinktiv zurück. „Hey“, sagte Sam besorgt. Seine Hand lag schon eine Weile auf Deans Schulter, jetzt nahm er sie weg. Er wollte seinen großen Bruder nicht noch mehr verschrecken. „Es ist alles gut“, versuchte er ihn zu beruhigen, doch Dean schien ihn nicht zu hören. Hilflos irrte sein Blick durch das Zimmer auf der Suche nach etwas Bekanntem. „Dean?“ So langsam begann Sam sich Sorgen zu machen. Er war von dem leisen Wimmern seines Bruders und einem erstickten Schrei geweckt worden und hatte sich, nachdem der sich nicht beruhigte, auf dessen Bett gesetzt und versucht ihn zu wecken. Leider war es ihm erst jetzt gelungen. Er rutschte etwas näher an seinen Bruder heran und legte die Hand auf dessen Arm. Endlich blieb der unstete Blick auf Sam liegen und ganz langsam zeigte sich ein Erkennen. „Sammy“, keuchte er heiser. „Ja, ich bin hier und du bist in Sicherheit!“, versuchte Sam ihn zu beruhigen. „Ich …“, müde rieb sich Dean mit der Hand über das Gesicht. „Ich hab nur schlecht geträumt“, versuchte er seinen besorgten Bruder zu beruhigen. Doch nicht mal bei ihm selbst hatten diese Worte die erhoffte Wirkung. Er rutschte zur Bettkante. „Es ging um Kyle?“, schoss der Jüngere ins Blaue, doch Dean schüttelte den Kopf. „Ich … Nein, nicht Kyle“, versuchte der ihn zu beruhigen, doch Sam kaufte es ihm nicht ab, sagte aber auch nichts dazu. Wie üblich wollte sein Bruder das mit sich ausmachen. Dean stand auf, rieb sich noch einmal über das verschwitzte Gesicht. „Geh wieder ins Bett, Sammy. Ich komm klar“, sagte Dean leise und ging ins Bad. ‚Ja, leider’, antwortete der Jüngere stumm, atmete tief durch und stand auf. Dean versuchte immer alles mit sich auszumachen und er würde sich wohl auch jetzt nicht ändern. Trotzdem nahm er sich fest vor, das Thema am nächsten Tag noch einmal anzusprechen, auch wenn er sich dann den Zorn seines großen Bruders zuziehen würde. Dean sollte wissen, dass er nicht alleine war und dass er immer ein offenes Ohr für ihn haben würde. Mit einem Blick auf die Badezimmertür legte er sich wieder hin und wartete auf den Älteren. Erst als der wieder ins Zimmer kam und sich ins Bett legte, konnte er einschlafen. Kapitel 32: "Ich bin sein Sohn" ------------------------------- 032) „Ich bin sein Sohn“ Sam drehte sich auf die Seite. Er wollte noch nicht aufstehen. Warum nicht mal Dean den Vorzug geben und ihn ihr Frühstück besorgen lassen? Dann fiel ihm jedoch dessen Albtraum wieder ein, und wie mitgenommen er davon war. Dabei sollte es doch einfach ein schöner Abend werden. Das Telefonat hatte alles zerstört. Er blinzelte in die Sonne, die durch das Fenster in ihr Zimmer fiel. Er streckte sich noch einmal und setzte sich auf. Sofort suchte sein Blick den Körper im Nachbarbett. Dean schlief noch. Ob gut konnte er allerdings nicht sagen, er war fast vollkommen unter den Decken vergraben. Er streckte sich noch einmal und verschwand im Bad. Bevor er losging, um ihr Frühstück zu holen, setzte er noch Kaffee an. Der jüngere Winchester parkte vor einem Diner. Er schaute auf die Uhr und entschied, dass eine Psychologin schon arbeiten müsste. Schnell hatte er eine Verbindung hergestellt. „Carol, bitte sprechen Sie demnächst nur noch mit mir über Kyle.“ „Warum? Ich wollte wissen, ob Ihr Bruder sich inzwischen erinnert. Es würde Kyle bestimmt weiterhelfen.“ „Wenn er sich erinnern würde, wäre er der Erste, der Sie anrufen würde. Es tut ihm unendlich leid, was mit dem Jungen passiert ist, aber im Gegensatz zu Kyles Seele, die ganz in seinen Körper gewechselt ist, ist Deans Seele zerrissen worden. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass er sich nicht erinnern kann.“ „Ich kann Sie verstehen. Sie wollen ihren Bruder schützen und ich versuche dem Jungen zu helfen.“ „Ja, ich versuche Dean zu schützen. Ich werde den Teufel tun, ihm noch mehr von dem zu erzählen, was mit ihm, seiner Seele, zum Beispiel in der Klinik gemacht wurde. Ich bin wirklich mehr als nur froh, dass er das nicht mitbekommen hat. Außerdem macht er sich Vorwürfe, dass er den Jungen in diese Dilemma hineingezogen hat.“ „Aber das ist doch verrückt!“, empörte sie sich. „Er ist so. Sagen Sie Kyle einen lieben Gruß und Pamela auch“, beendete Sam das Gespräch. „Ja. Mache ich.“ Erleichtert atmete er durch und hoffte, schon um Deans Willen, dass das jetzt auch so passierte. Er steckte sein Handy ein und betrat das Diner. Langsam drang das feine Aroma seines Lebenselixiers zu Dean durch. Er streckte sich, rieb sich müde über die Augen und setzte sich auf. Träge erhob er sich, holte sich eine Tasse Kaffee und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Vielleicht sah der Tag nach dem Genuss seines Lieblingsgetränkes ja besser aus und die Albtraumbilder verblassten endlich. Er fühlte sich wie erschlagen. Zwar hatte er den Rest der Nacht nichts mehr geträumt, wenigstens konnte er sich nicht daran erinnern, erholsam war die Nacht trotzdem nicht. Der Traum wirkte noch immer nach. Auch wenn dieses Mal nicht er, sondern John versagt hatte. Damals hatte er nicht versagt, dafür aber danach immer wieder! Dean schüttelte den Kopf um die Gedanken zu vertreiben, sie führten zu nichts. Niemand konnte die Vergangenheit ändern, oder aber er hatte auch hier versagt! Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten. Jetzt reichte es wirklich! Er sollte endlich lernen, sich aus den eingeimpften Mustern zu lösen. John hatte mit so Vielem falsch gelegen, warum wirkte dann gerade das so lange nach? Er war nicht so schlecht, wie John es ihn immer glauben lassen wollte! Energisch schluckte er den aufkommenden Zweifel mit dem letzten Schluck Kaffee hinunter, deckte den Tisch und ging duschen. Als er wieder ins Zimmer kam, breitete Sam gerade den Inhalt der Tüten auf dem Tisch aus. Der Jüngere blickte auf. Sein Großer sah beschissen aus. Er sagte aber nichts, sondern hoffte nur, dass sein Gespräch mit Carol fruchten würde und dass er Dean den Tag mit ein paar Leckereien genießbarer machen könnte. Der Ältere zog sich an und ließ sich wortlos auf den freien Stuhl fallen. Er nahm die Tüte, die Sam ihm hinhielt und begann ohne Hast das Sandwich zu essen. Schweigend starrte er dabei auf seinen Teller und war froh, dass Sam ihm kein Gespräch aufdrängte, denn er wollte weder über den Albtraum noch über seine durcheinandergeratenen Gefühle reden müssen und er wollte Sam nicht anmachen, weil der mal wieder eine Grenze überschritt. Kaum hatte er die Sandwiches aufgegessen, schob Sam ihm auch schon die nächste Tüte vor die Nase. „Was wird das?“, wollte er irritiert wissen. „Ich versuche deine miese Laune mit Essen zu besänftigen.“ „Das klappt aber nicht wirklich!“ „Dann schau mal hier rein.“ Dean riss die Tüte auf. Ein kaum zu erkennendes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. In der Tüte war Apfelkuchen. Schon fast hastig griff er zur Gabel und machte sich über diese Köstlichkeit her. Kaum hatte er sich das letzte Stück in den Mund geschoben, schielte er auch schon zu der nächsten Tüte. „Du bist und bleibst verfressen, Dean!“, grinste Sam und freute sich, dass sein kleiner Plan doch aufzugehen schien. Gut, dass sein Bruder so ein Leckermaul war. Er reichte ihm die Tüte. Kommentarlos riss der Ältere sie auf. Schokomuffins. Mittlerweile war es ihm egal, dass Sam ihn so gut berechnen konnte und dass er ihn damit wohl noch eine ganze Zeit aufziehen würde. Für ihn zählte im Moment nur, dass das Essen seine Laune wirklich hob. Die Welt sah nicht mehr ganz so trüb aus. Zu guter Letzt drückte Sam ihm noch eine Tüte voller Schokoriegel in die Hand. „So, jetzt solltest du eigentlich erträglich sein“, stellte er gutmütig grinsend fest. Dean warf seinem Bruder einen grimmigen Blick zu. Er hasste es trotzdem, durchschaubar zu sein! Schweigend räumten sie das Zimmer auf und packten ihre Sachen. Dieses Schweigen hatte jedoch nichts mehr von der angespannten Stimmung, die noch zu Beginn ihres Frühstücks geherrscht hatte. Jetzt war es einfach nur, weil jeder wusste, was er zu tun hatte. Sie brachten ihre Taschen zum Wagen und während Sam ihr Zimmer bezahlen ging, lehnte sich der Ältere an den Kotflügel, schloss die Augen und genoss die Sonnenstrahlen. Sammys Idee, ihm den Tagesbeginn mit Muffins und Kuchen zu versüßen, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Es fühlte etwas mehr Ruhe in seinem Inneren. Plötzlich klingelte ein Handy. ‚Nicht schon wieder‘, stöhnte er in Gedanken. Suchend schaute er sich um, doch es war niemand in der Nähe. Er tastete seine Tasche ab, aber auch sein Handy schwieg. Das Klingeln kam aus dem Wagen. Dean öffnete die Tür und das Handschuhfach und suchte nach dem kleinen Störenfried. „Hallo“, nahm er das Gespräch an. „Ist da John?“ „Er ist im Moment nicht da, vielleicht kann ich helfen?“ „Nein, ich wollte … ich muss mit John sprechen. Hier ist Adam Milligan. Er kennt mich.“ „Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen: Er ist vor zwei Jahren gestorben.“ „Oh!“ „Wer sind Sie?“ „Ich … ich bin sein Sohn.“ In diesem Moment näherte sich Sam dem Wagen. Er sah, wie das Gesicht seines Bruders alle Farbe verlor. ‚Nicht schon wieder Carol‘, fluchte er in Gedanken und nahm sich vor, dieser Frau noch einmal gehörig die Meinung zu geigen. Er hatte doch gerade erst mit ihr gesprochen! So schnell wie möglich versuchte er zu seinem Bruder zu kommen, und behielt ihn dabei weiter fest im Auge. Hektisch huschten die grünen Augen hin und her, auf der Suche nach einer Antwort und blieben fast flehend an dem jüngeren Winchester hängen, doch der wusste ja nicht einmal, worum es hier ging. „Sam und ich wir … John … wir waren fast wie eine Familie. Wo bist du? Vielleicht können wir helfen.“ Deans Mine wurde hart und ausdruckslos. Irritiert starrte Sam seinen Bruder an. Wovon redete der? Was hatte das mit John zu tun? Mit wem sprach er? „Dean …?“, begann er unschlüssig, wurde jedoch mit einer einfachen Handbewegung abgewürgt. „Ich weiß nicht, wie Sie mir helfen könnten“, gab Adam seinen Bedenken Ausdruck. „Wie gesagt, wir waren fast eine Familie und haben ständig zusammengearbeitet.“ „Okay … ich … ich weiß nicht.“ „Wir treffen uns kurz, reden und wenn wir Ihnen wirklich nicht helfen können, dann fahren wir wieder.“ „Ja, vielleicht. Ich“, Adam schwieg eine Weile. „Ich bin in Windom, Minnesota.“ „Gibt es da ein Diner oder so, wo wir uns treffen können?“ „Ja, Hardee’s gleich bei uns um die Ecke.“ „Okay. Treffen wir uns morgen da zum Lunch.“ Schnell legte er auf, bevor dieser Adam es sich noch einmal anders überlegte und schaltete das Telefon gleich ganz aus. „Dean?“ „Steig ein. Ich erkläre es dir während der Fahrt.“ Lange herrschte Schweigen auf dem Weg Richtung Norden. Deans angespannte Mine verriet Sam, dass der noch immer über das Gehörte grübelte. „Der behauptet doch glatt unser Bruder zu sein!“, ließ Dean die Bombe plötzlich platzen. „Was?“ Sams Gesichtszüge entgleisten. „Er hat behauptet, dass er Johns Sohn wäre!“ „Von wem reden wir hier eigentlich?“ „Ein Typ namens Adam. Er hat behauptet Johns Sohn zu sein!“ „So ganz unmöglich ist das nicht“, versuchte der Jüngere das Ganze logisch zu betrachten. Für mehr brauchte auch er Zeit zum Überlegen. Diese Aussage musste er erstmal sacken lassen. „Sam!“ „Was? Er war viel unterwegs und ich bezweifle, dass er wie ein Mönch …“ „Es reicht, Sam!“ „Verdammt, Dean, geh doch mal logisch an die ganze Sache ran!“ „Ich will mir John aber nicht beim Sex vorstellen müssen!“ Eltern waren irgendwie geschlechtslos. Sie waren da, erzogen, schimpften, knuddelten, aber sie hatten keinen Sex! Auch wenn das Quatsch war, immerhin hatte er einen jüngeren Bruder. Trotzdem! Eltern waren Eltern und keine sexuellen Wesen! Auch, oder erst Recht nicht John Winchester, der große Jäger gegen das Böse der Welt! Denn das hieße ja ... Er fühlte sich betrogen. John hatte ihm seinen kleinen Bruder aufs Augen gedrückt um jagen zu gehen und anstatt so schnell wie möglich zu ihnen zurückzukommen, hatte er sich durch fremde Betten … Nein. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen. Zuviel hatte er durch Johns Egoismus eingebüßt. Es war gut, dass sein Vater nicht mehr lebte. Er würde mit ihm wohl auf keinen grünen Zweig mehr kommen. „Was weißt du noch von dem Jungen?“, versuchte Sam die Situation ein wenig zu beruhigen. „Adam Milligan. Er wohnt wohl in Windom, Minnesota.“ „Ich schau ihn mir mal an“,erklärte Sam und war schnell im WWW abgetaucht und Dean konzentrierte sich voll und ganz auf die Straße. So musste er wenigstens nicht nachdenken, obwohl er das Denken wirklich nicht unterbinden konnte. Was hatte John ihnen alles verschwiegen? Was hatte er ihnen vorenthalten und was hatte er ihnen genommen? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Es war sinnlos darüber nachzudenken. Es führte zu nichts! „Adam Milligan, geboren am 20. September 1990 in Twin Falls, Idaho. Mutter Kate Milligan. Ein Vater wurde in der Geburtsurkunde nicht eingetragen. Sie ist mit ihrem Sohn 2000 nach Windom gezogen. Er war ein guter Schüler, studiert an der Uni von Minnesota Biologie und will Arzt werden. Seine Mutter arbeitet im örtlichen Kinderheim. Er war ein Eagle-Scout“, informierte Sam seinen Bruder Stunden später über seine Ergebnisse. „Das ist mir egal. Ich glaube nicht, dass er mit uns verwandt ist. Das ist eine Falle, Sam. Eine schlechte dazu!“ „Wer sollte uns …?“ „Wir haben genug Feinde und die, die John sich in seinem Leben gemacht hat, will ich gar nicht dazurechnen!“ Der Jüngere beugte sich nach hinten und angelte das Tagebuch ihres Vaters zu sich. Schnell hatte er das Jahr 1990 aufgeschlagen, las kurz und blätterte dann weiter. „Dad war im Januar 1990 in Twin Falls und hat Ghouls gejagt. Zehn Jahre später war er nochmal da und kurz danach ist Kate mit ihrem Sohn umgezogen“, fasste er die Ergebnisse seiner kleinen Recherche „Ich kenne das Buch auswendig und ich weiß, was darin steht. Aber es ist mir egal, Sam. Es ist eine Falle!“ *** Ich weiß in der Serie wird es etwas anders erzählt. Ich hab es mir ein wenig zurechtgebogen, damit es hier passt ;-)) *** Kapitel 33: A view to a kill ---------------------------- @ Vanilein - Vielen Dank für Deine treuen Kommis. Sie bedeuten mir sehr viel! Ich hoffe, ich enttäusche Dich nicht. Hab mir "nur" Adam ausgeborgt ;-)) LG Kalea 33) A view to a kill Endlich fuhren sie auf den Parkplatz des Diners. Sie hatten sich beim Fahren abgelöst und kurz vor Windom in einer Truckerraststätte geduscht. Dean wollte so schnell wie möglich zu diesem Adam, dass er nicht gewillt war, auch nur eine Minute zu vergeuden. Abgesehen davon hätte er wohl eh nicht schlafen können. Zu viel ging ihm durch den Kopf. Schon wieder! Hörte das denn nie auf? Sam streckte sich. Er atmete durch und schaute zu Dean. Sein Bruder strahlte mit jeder Faser seines Körpers Wut und Hass aus. Und nur weil er ihn so gut kannte, konnte er die Verunsicherung spüren, die dieser eine Satz von Adam ihn ihm ausgelöst hatte. Ein weiterer Bruder? Aber so sehr sich sein großer Bruder auch gegen diese Tatsache sträubte und so sehr er Dean dabei beistehen wollte, tief in ihm drin war Funken Freude. Er hatte einen kleinen Bruder! Er war nicht mehr der Jüngere, der permanent beschützt werden musste. Er konnte auch mal sein Wissen weitergeben. Er war ein großer Bruder! Und dieses Mal richtig. Nicht nur für ein paar Tage und weil eine Hexe die Seele seines Bruders mit der eines Kindes vertauscht hatte! Erfolglos versuchte er diese Freude in sich zu dämpfen. Was wenn Dean Recht hatte? Was wenn es eine Falle war? Er folgte seinem Bruder zum Kofferraum des Impala. „Was soll er denn sein, Dean? Wer könnte uns eine Falle stellen?“, fragte er. „Dämonen? Formwandler?“, stieß der Ältere grimmig hervor und kramte das Silberbesteck aus dem Kofferraum. „Wir werden ja sehen, was es ist!“ „Dann lass wenigstens deine Waffe hier. Du kannst ihn doch nicht vor allen Leute erschießen wollen!“ „Und wie ich das kann!“ „Dean, die buchten uns ein und wir werden nie wieder die Sonne sehen. Die warten doch nur darauf!“, versuchte Sam noch immer die Situation nicht eskalieren zu lassen. „Er ist ein Betrüger, Sam! Willst du, dass er entkommt?“ „Nein, aber ich will uns auch nicht in einer Psychiatrie oder im Knast auf Nimmerwiedersehen verschwinden sehen. Wir überprüfen ihn und dann entscheiden wir, was wir machen.“ Widerwillig nickte der Ältere, schob sich seine Waffe aber trotzdem in den Bund seiner Hose. Im Diner setzten sie sich an den hintersten Tisch, wie zumindest für Dean üblich, mit dem Rücken zur Wand. Dean zog einen Stuhl beiseite und tauschte das Besteck vor dem verbliebenen Stuhl gegen das silberne aus. „Haben sie schon gewählt?“, wollte die Bedienung wissen. „Nein noch nicht, danke, wir warten noch auf jemanden“, kam Sam seinem Bruder zuvor und lächelte die Frau freundlich an. Der Ältere unterdrückte ein Gähnen. „Komm schon, Dean. Dad war sicherlich kein Mönch. Ich meine ... Jäger kommt in eine Stadt, töten das Monster, retten das Mädchen und manchmal zeigt sich das Mädchen eben dankbar.“ „Was wissen wir schon von Johns Sexleben? Hör auf zu quatschen“, entgegnete der unwirsch. Das Thema hatten sie doch schon gehabt. „Vielleicht war’s ein Ausrutscher.“ „Es reicht!“, fauchte der Ältere. Er wollte sich einfach nicht damit auseinandersetzen, dass sein Vater Wasser gepredigt und Wein getrunken haben sollte. Wie oft hatte der ihm erklärt, dass er zu verhüten hatte, weil Kinder als Druckmittel gegen ihn eingesetzt werden konnten, und er hatte ihm geglaubt! Er wollte gar nicht wissen, was John noch alles von ihm verlangt, selbst aber nicht eingehalten hatte. Ein junger Mann betrat das Diner. Groß, etwas schlaksig und blond, wie Dean. John schien auf blonde Frauen gestanden zu haben, überlegte Sam. Der Junge schaute sich kurz um und kam dann zögerlich zu ihnen nach hinten. „Adam?“, fragte Sam und musterte sein Gegenüber offen. Rein vom Äußerlichen könnte der schon zu ihnen passen. Er schien eine Mischung aus Dean und ihm selbst zu sein. Aber das war ja wohl unmöglich, oder? Sein Blick suchte den seines Bruders. Der Junge war kein Dämon, das konnte er in dessen Augen lesen. Trotzdem lag Ablehnung in dem Blick. „Bist Du Dean?“, wollte der Junge noch immer unsicher wissen. „Nein, ich bin Sam. Das ist Dean.“ Erleichtert holte Adam Luft, nahm seinen Rucksack von der Schulter und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Also wie kommt es, dass ihr meinen Dad kennt?“, fragte er neugierig. „Wir haben zusammen gearbeitet“, erklärte Sam, da sein großer Bruder keine Anstalten machten reden zu wollen. „Wie ist er gestorben?“ „Bei der Arbeit.“ „Er war Mechaniker, richtig?“, fragte Adam etwas ungläubig. „Ein Wagen ist auf ihn drauf gefallen“, knurrte Dean abweisend und erntete einen wütenden Blick seines kleinen Bruders. „Hey, Adam, wie geht’s dir?“, fragte die Bedienung und stellte ein weiteres Glas Wasser auf den Tisch, dass Dean ihr noch fast aus der Hand riss. „Das übliche, Adam?“ wollte sie wissen und musterte den älteren Winchester mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ja, danke Denise.“ „Wann hast du John das letzte Mal gesehen?“, fuhr Sam mit seinen Fragen fort, kaum das die Bedienung außer Hörweite war. „Ich weiß nicht so recht, ist schon eine Weile her.“ „Wieso hast du ihn jetzt angerufen?“ Adam versuchte Zeit zu schinden und griff nach dem Glas Wasser, das vor ihm stand. Dass die beiden gegenüber die Luft anhielten, bemerkte er nicht. „Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen soll. Er ist alles an Familie, was ich habe und er hat gesagt, wenn ich Probleme hätte, dann könnte ich immer anrufen.“ Er atmete tief durch und trank noch einen Schluck. Meine Mom ist verschwunden.“ Adam blickte von einem zum anderen. „Tatsächlich, das tut mir leid. Wie lange schon?“ Sam blickte den Jüngeren interessiert an. „Das ist tragisch, ehrlich. Aber wenn John dein Vater ist, wieso haben wir nie von Dir gehört?“, schaltete sich Dean unfreundlich in das Gespräch ein und lies Adam gar nicht die Möglichkeit Sams Frage zu beantworten. „Weil John und ich uns nicht wirklich kannten, zumindest nicht bis vor ein paar Jahren.“ „Was meinst du damit?“ Dean blieb misstrauisch. „Naja, meine Mom hat nie von ihm gesprochen. Aber ein paar Dinge wusste ich.“ „Was für Dinge?“, wollte Dean wissen. „Dass sie sich in Twin Falls, Idaho kennen gelernt haben, da haben wir, bis ich zehn war, gelebt. Sie musste auf ihrem Heimweg am Friedhof vorbei und an diesem Tag war plötzlich etwas hinter ihr her.“ Er lächelte entschuldigend, wusste er doch wie blöd sich das anhörte. „Zumindest hat sie sich ziemlich erschrocken und ist losgerannt. John war genau im richtigen Moment da, als hätte er auf sie gewartet. Er hat ihr geholfen, als sie stürzte und sie nach Hause gebracht.“ „Und wann bist du ihm begegnet?“, übernahm Sam das Gespräch wieder. „Kurz vor unserem Umzug. Ich war zehn. Meine Mom hatte eine seiner alten Nummern. ich hab sie immer wieder angefleht ihn anzurufen. Doch sie wollte das nicht und dann stand er plötzlich vor unserer Tür. Er war ganz überrascht, dass er einen Sohn hat und er ist ein paar Tage geblieben, damit wir uns kennenlernen konnten.“ „Oh das ist herzerwärmend“, knurrte Dean, dem das Ganze immer mehr auf die Nerven ging. Er war viel zu müde, um sich noch weitere Lügen anzuhören. Er wollte das nur noch hinter sich bringen und dann in ein Bett und alles vergessen. Die missbilligenden Blicke Sams ignorierte er geflissentlich. Die Kellnerin brachte Adam einen Teller. „Was dagegen, wenn ich esse?“ „Nein mach ruhig“, sagte Dean mit einer falschen Freundlichkeit, die zum Himmel schrie. Wie der Junge das nicht merken konnte, war Sam ein Rätsel. ‚Jetzt wird es passieren!‘ Dean spannte sich, um gleich aufspringen zu können. Dieser verdammte Wechselbalg würde ihm nicht entkommen. Adam merkte von den Veränderungen seines Gegenübers nichts. Er nahm die Serviette, legte sie über seinen Schoß und griff dann nach Messer und Gabel. In aller Ruhe begann er zu essen. Frustriert verdrehte der ältere Winchester die Augen. Über Sams Gesicht huschte ein triumphierendes Lächeln. Adam war sauber und er war ihr Bruder! „John ist dann immer mal wieder vorbeigekommen“, erzählte der Milligan kauend. „Wisst ihr, er hat angerufen, wann immer er konnte. Er hat mir Poker und Billard beigebracht. Und er hat mir mein erstes Bier ausgegeben als ich fünfzehn war.“ Deans Zähne mahlten aufeinander. Es fiel ihm immer schwerer sich zu beherrschen. Wer war dieser Adam, dass er so bevorzugt behandelt wurde? Sein erstes Bier hatte er mit 21 von seinem Vater ausgegeben bekommen. Klar hatte er schon vorher Alkohol getrunken, auch in Bars. Das erste Bier von seinem Dad war nur eine Geste, aber damals fühlte er sich von ihm als Erwachsener anerkannt. Und angerufen hatte John auch nur in Notfällen. Meistens war er nachts aus dem Nichts heraus aufgetaucht und hatte erwartet, dass seine Söhne sprangen. Nie war er mit ihnen ein paar Tage irgendwo geblieben, nur damit sie zusammen waren! Nie hatte er mit ihnen etwas unternommen, was nicht mit der Jagd zu tun hatte. „Und er hat mir Auto fahren beigebracht. Er hatte diesen wunderschönen 67er Impala.“ Deans mühsam aufrecht erhaltene Beherrschung verpuffte. Der Impala war sein Baby. Schon als John zum ersten Mal zu Adam gefahren war, hatte der Wagen ihm gehört und er hatte ihn ihm nur dieses eine Mal weggenommen. Er konnte sich noch zu gut daran erinnern. Er war gerade von einer eigenen Jagd wiedergekommen. Gut, er hatte sich zwischendurch nicht, wie von John befohlen, gemeldet. Warum auch. Alles lief bestens! Doch John interessierte das nicht sonderlich. Er war wegen der nicht erfolgten Anrufe wütend. Und als er es auch noch den Versuch unternommen hatte, sein Verhalten mit dem seines Vaters gleichzusetzen, hatte der brüllend seinen Autoschlüssel verlangt und war mit dem Wagen verschwunden, nachdem er ihm befohlen hatte bei Sam zu bleiben und auf ihn aufzupassen, was dem damaligen, angeschlagenen Verhältnis zwischen ihnen nicht sonderlich förderlich war. Nein, Adams Erzählungen konnten, durften nicht wahr sein. „Das ist doch alles Schwachsinn. Du bist ein Lügner.“ Sam schienen gerade dieselben Erinnerungen gekommen zu sein. Er bremste seinen Bruder nicht. „Ich bin kein Lügner“, erklärte Milligan ernst. „Doch, du bist einer!“ „Wer zum Teufel bist du, dass du mich einen Lügner nennst?“ „Wir sind John Winchesters Söhne. Das sind wir. WIR sind seine Söhne.“ Deans Stimmen war gefährlich leise geworden. „Ich habe Brüder?“ „Nein, du hast keine Brüder, und ob du ein Jäger bist oder nicht, das ist mir scheißegal“, wütete Dean weiter. „Ich hab noch nie im Leben gejagt“, sagte Adam irritiert. „Auch das ist mir egal. Ich verschwinde hier. Komm mit, Sam.“ Damit erhob sich der Ältere und ging Richtung Ausgang. Er musste hier raus, bevor etwas zu Bruch ging! „Ich kann es beweisen!“ Dieser Satz schlug ein wie eine Bombe. Dean erstarrte in seiner Bewegung, schaute hilfesuchend zu Sam und dann herausfordernd zu Adam. „Da bin ich ja mal gespannt!“, giftete er, bevor er sich erneut umdrehte und zum Impala stapfte. Für den Augenblick hatte seine Müdigkeit brodelnder Wut Platz gemacht. Sam zahlte Adams Essen und beeilte sich dann, seinen Brüdern zu folgen. „Du hast den Impala?“, fragte der Milligan staunend. „Er hat ihn mir geschenkt, als ich achtzehn wurde“, erklärte Dean bestimmt, öffnete die Fahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen. Er rammte den Schlüssel ins Zündschloss, startete und wartete mit hochdrehendem Motor darauf, dass sein einziger kleiner Bruder endlich seinen Arsch in den Wagen bequemte. Adam stand unschlüssig abwartend neben dem Impala. Fragend blickte er Sam entgegen. Der nickte nur Richtung Beifahrerseite und ging zur hinteren Tür. „Du kennst den Weg“, sagte er zu Adam und stieg ein. Dean hatte inzwischen das Radio angedreht, um jede Unterhaltung zu unterbinden. Er wollte Adam keine Chance geben. Nicht ohne wirklich handfeste Beweise. Und selbst dann war er sich nicht sicher, dass er ihn in seiner kleinen Familie aufnehmen wollen würde. Da konnte ja jeder kommen und behaupten zu ihnen zu gehören. Er lenkte den Wagen vom Parkplatz. Aus den Boxen dröhnte „A view to a kill“. ‘Wie passend’, ging es Sam durch den Kopf als er den Blick seines Bruders im Rückspiegel sah. Kapitel 34: Erste Erkenntnisse ------------------------------ 34) Erste Erkenntnisse Es dauerte nicht lange, bis sie vor einem kleinen Mehrfamilienhaus standen. Adam führte sie in den zweiten Stock und öffnete die Wohnungstür. Es fühlte sich irgendwie komisch an, diese fremden Männer in sein Zuhause zu lassen. Egal wie sehr er sich einredete, dass es seine Brüder waren. Sie waren fremd und so wie zumindest Dean reagierte, wohl auch nicht sonderlich erpicht auf Familienzuwachs. Er führte die beiden in sein Zimmer und ließ sich auf dem Bett nieder. Hier hatte er einen Teil seiner Kindheit verbracht. Jetzt wirkte das Zimmer irgendwie falsch. Es war so aufgeräumt, obwohl sein Rucksack und einige Kleidungsstücke rumlagen und selbst nach den zwei Tagen, die er jetzt wieder hier war, war die Luft noch immer ein wenig abgestanden. Aber er war ja auch die meiste Zeit unterwegs gewesen. Langsam ließ er seinen Blick über die Wände gleiten, die noch immer mit Baseballwimpeln und Rockpostern behängt waren. Die Brüder schauten sich ebenfalls um. Hier war jemand wirklich Zuhause. Es gab Bücher und Pokale. Und jede Menge Fotos, die überall auf den Regalen standen. Eines davon zog Dean magisch an. Er nahm es vom Regal und starrte darauf. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Enttäuschung machte sich in ihm breit und schnürte ihm die Luft ab. Er hatte immer gewusst, dass John ihn oft nur als seinen kleinen Befehlsempfänger ansah, egal wie vehement er sich dagegen wehrte, wenn Sam es ihm früher vorhielt und manches Mal konnte er sich auch des Eindruckes nicht erwehren, dass John Sam mehr liebte als ihn, aber auch dieses Gefühl hatte er immer erfolgreich unterdrücken können, doch jetzt zerriss es ihm fast das Herz. Das Foto zeigte Adam mit John bei einem Baseballspiel. „Er war mit dir beim Baseball?“, fragte er mit so rauer Stimme, dass Sam sofort alarmiert aufblickte und hinter den Älteren trat. Wie zufällig berührten sich ihre Arme, als er um ihn herum griff, das Foto anfasste und es ein wenig zu sich drehte. Er hätte es auch so gut sehen können, doch er wollte seinem Großen seinen Beistand vermitteln. Dean liebte Baseball. Hin und wieder durfte er in den Schulen, die sie besuchten, mittrainieren und jedes Mal hatte er gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Und er hatte Dad immer wieder in den Ohren gelegen, dass der doch einmal mit ihnen zu einem Spiel gehen sollte. John erfüllte ihm diesen Wunsch nie, genauso wenig wie er mit seinem zweiten Sohn zum Fußball gegangen war. Aber mit einem fremden Kind war John zu einem Spiel gegangen! „Ja, wir waren ein paar Mal da“, sagte Adam ohne zu ahnen, wie tief er Dean den Dolch ins Herz rammte. „Er war mit dir bei einem beschissenen Baseballspiel?“, konnte sich Dean noch immer nicht beruhigen. Härter als nötig stellte er das Bild wieder auf das Regal. Dabei streiften seine Augen weitere Bilder, die eine glückliche Familienidylle zeigten. John mit Adam beim Angeln. John umarmte Kate. Dean war speiübel. John hatte sich mit Kate das genommen, was er Jahre zuvor mit Marys Tod verloren hatte, doch das war es nicht, was ihm auf den Magen schlug. Es war, dass er seinen Söhnen eine heile Familie oder auch nur eine halbwegs normale Kindheit vorenthalten und sich selbst immer wieder Auszeiten von diesem Leben genommen hatte, dass doch angeblich weder eigene Wünsche, noch glückliche Zeiten bereit hielt. Es spielte keine Rolle, wie oft er in Windom gewesen war. In seinen Augen hatte John seine Mom verraten! Auch Sam starrte ungläubig auf diese Fotos. Nein, er hatte Mom nicht gekannt und er wusste nicht, wie ein Leben mit einer Mutter war. Er wusste ja nicht mal, wie ein halbwegs normales Familienleben war. Er hatte sich eins aufbauen wollen, doch das hatte der Gelbäugige zerstört. Hier stand er vor Beweisen, dass John sie sich selbst überlassen hatte, um sich ein paar Tage Familie zu gönnen. Wie weh musste diese Erkenntnis Dean tun? Wie konnte er ihn unterstützen? Mit Adam hätten sie etwas mehr Familie. Wenn sie ihn in ihre Leben einbeziehen würden … Er würde mit Dean darüber reden. Mühsam atmete Dean durch. Er drängte die chaotischen Gefühle, die in ihm wüteten zurück und wandte sich der verschwundenen Frau zu. Arbeit war immer noch das beste Mittel um sich abzulenken. „Wer hat deine Mutter zuletzt gesehen?“ „Mr. Chesterfield. Unser Nachbar.“ „Wann?“ „Vor drei Tagen, als sie von der Arbeit kam.“ „Hat er die Polizei gerufen?“ „Nein, Tante Beth, ihre Chefin, als Mom am nächsten Tag nicht zur Arbeit erschien. Sie hat auch mich angerufen und ich bin, so schnell ich konnte, hergekommen. Ich bin vorgestern Nachmittag hier eingetroffen und hab sie an allen Orten gesucht, an denen sie sein könnte. Als ich nicht mehr weiter wusste, wollte ich John anrufen. „Deine Tante war ihre Chefin?“ Sam klang irritiert. Er hatte keine weiteren Verwandten hier vermutet. „Sie ist nicht wirklich meine Tante. Sie waren Freundinnen und Kolleginnen, bis Tante Beth die Leiterin des Heimes wurde. Freundinnen sind sie geblieben. Der jüngere Winchester nickte knapp. „Wann hast du das letzte Mal von ihr gehört?“, wollte Dean wissen, und seine Stimme klang noch immer heiser. „Vor vier Tagen." „Und was sagte die Polizei?“, hakte jetzt auch Sam nach. „Nichts. Sie haben nichts gefunden. Alles deutet darauf hin, dass sie einfach verschwunden ist. Aber sie würde nie irgendwohin fahren, ohne mir Bescheid zu sagen!“ Der Junge klang hilflos. „Kann ich mich umschauen?“, fragte der Ältere wider besseren Wissens. Er wollte sich hier nicht umschauen. Er wollte keine weiteren Bilder von Johns heiler Welt sehen. Dean wusste, dass diese Gedanken falsch waren. Auch John hatte ein Recht hin und wieder glücklich zu sein. Allerdings hatte er seinen Söhnen dieses Glück nicht zugestanden. Zumindest seinen älteren Söhnen nicht. Langsam und gründlich untersuchte er die Zimmer, während Sam bei Adam blieb und sich leise mit ihm unterhielt. Er kam ins Schlafzimmer. Routiniert ließ er seinen Blick durch den Raum wandern. Und schon wieder sprangen ihn die Bilder einer glücklichen Familie an. Er schluckte hart. John so zu sehen tat weh. Dabei war es doch gerade er, der immer wieder gesagt hatte, dass eine Familie nicht zu einem Jäger passte, weil er dann erpressbar wäre. Nein, John wurde für ihn immer untragbarer! Als Vater war er es schon. Als Vorbild? Auch da bröckelte die Fassade. Selbst als Jäger wollte Dean nicht mehr auf das hören, was dessen Stimme noch immer in seinem Inneren forderte. Kurz ballte er die Hände zu Fäusten, dann konzentrierte er sich auf den Raum. Er öffnete die Kleiderschränke. Hier fehlte nichts. Der Junge hatte wohl Recht gehabt. Sie war nicht verreist! Er ging zum Fenster, blickte auf das Fensterbrett und schaute hinaus. Hinter sich hörte er Schritte und es war nicht Sam, der sich ihm näherte. „Was willst du finden, was die Polizei nicht gefunden hat?“, fragte Adam skeptisch. „Wer weiß.“ „Aber du bist nur ein Mechaniker!“ „Genau. Ich bin nur ein Mechaniker!“, erwiderte er etwas herablassend und drängte sich an dem Jungen vorbei. Blieb nur noch die Küche. Adam folgte ihm. „Was suchst du?“, wollte er wissen. „Das sage ich dir, wenn ich es gefunden hab.“ Er öffnete den Kühlschrank und rümpfte die Nase. „Wie lange bist du schon hier?“ „Seit vorgestern Nachmittag, wie gesagt.“ „Und du warst noch nicht am Kühlschrank?“ „Naja, ich hab … Die Milch war sauer. Sonst hab ich nicht weiter nachgeschaut“, gab Milligan verlegen zu. Hätte er hier was merken sollen? Hatte er was übersehen? Okay, der Kühlschrank roch nicht besonders gut, aber das hatte er auf die Milch geschoben. Hatte er sich geirrt? „Sam!“, rief Dean seinen Bruder zu sich. „Was gibst?“, fragte der und tauchte in der Tür auf. „Was fällt dir hier auf?“, wollte Dean wissen und trat von der geöffneten Kühlschranktür zurück. Sofort begann Sam dessen Inhalt genauer unter die Lupe zu nehmen. „Das ist Alles seit vier oder fünf Wochen abgelaufen!“, bestätigte Sam den Verdacht seines Bruders, der nur kurz nickte. „Das ist unmöglich! Mom würde nie etwas so lange aufheben. Außerdem hatten wir nie viel. Wir konnten es uns nicht leisten etwas schlecht werden zu lassen.“ „Dann war sie seit vier bis fünf Wochen nicht mehr ...“, begann Sam seine Überlegungen. „Mr. Chesterfield hat sie doch bis vor vier Tagen regelmäßig gesehen!“, protestierte Adam hilflos. Die Brüder wechselten nur einen bedeutungsschweren Blick. „Wir sollten mit Mr. Chesterfield reden“, sagte Sam. „Auf jeden Fall.“ „Und wir sollten Adam hier wegbringen.“ „Darf ich gefälligst selbst entscheiden, was ich tun oder lassen will?“, wollte Adam bestimmt wissen. „Nein“, erklärten die Brüder unisono. „Du packst jetzt ein paar Sachen und dann verschwinden wir hier“, erklärte Dean kompromisslos. „Aber ich …“ „Nichts du. Hier geht es um deine Sicherheit. Wir können dir später alles erklären, wenn du es unbedingt wissen willst, aber jetzt solltest du dich beeilen!“ Sam grinste. Diese Reaktion seines kleinen Bruders erinnerte ihn an sich selbst. So hätte er auch reagiert, aber jetzt wusste er, dass diese Entscheidung Deans richtig war und er hätte sie genauso getroffen. Sie wussten nicht wer oder was Kate hatte, oder was mit ihr passiert war. Jetzt hieß es den Jungen zu schützen. Adam holte noch einmal Luft, wollte etwas erwidern, doch dann schluckte er die Bemerkung herunter. Er hatte Hilfe gewollt und er war froh, dass sich jemand kümmerte. Und auch wenn die beiden komische Methoden an den Tag legten, sie hatten mehr gefunden, als die Polizei. Außerdem hatte er sie gebeten zu kommen. Er beschloss mit ihnen zu fahren und sich anzuhören, was sie ihm zu erzählen hatten. Danach konnte er immer noch entscheiden. „Was meinst du, was passiert sein könnte?“, fragte Dean seinen Bruder. „Vielleicht ist sie besessen.“ „Ich habe nirgends Schwefel gefunden.“ „Mir fallen da noch einige andere Kandidaten ein.“ „Wir sollten hier verschwinden. Je schneller, desto besser.“ „Ich gehe und rede mit diesem Chesterfield“, sagte Sam und verschwand. Adam warf seinen Rucksack aufs Bett und begann einige Kleidung aus den Schränken zu holen. Viel hatte er eh nicht mehr hier. Das Meiste war in seinem Zimmer an der Uni. Er kam nicht weit. Das Gespräch der Brüder lenkte ihn ab. Worüber redeten die? Dämonen? Irritiert starrte er ins Leere. „Wie weit bist du?“, riss Dean ihn aus seinen Gedanken. Der ältere Winchester unterdrückte ein weiteres Gähnen. „Fast fertig“, beeilte sich Adam zu sagen und stopfte den Rest in den Rucksack. Gemeinsam verließen sie die Wohnung. Dean ließ sich erleichtert auf den Fahrersitz seines Impalas fallen. Er war froh diesen Ort glücklicher Familienerinnerungen zu verlassen. Er gönnte sie Adam, ohne Frage. Aber nicht mit diesem Vater! Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schaltete er das Radio an und drehte die Musik auf. Er wollte nicht reden und so funktionierte es noch immer am Besten. Erschöpft ließ er den Kopf auf seine Rückenlehne fallen. Adam brannten jede Menge Fragen unter den Nägeln, doch sein Bruder strahlte so viel Ablehnung aus, dass er nicht wagte, auch nur eine davon zu stellen. Erst als Sam die Beifahrertür öffnete, richtete sich Dean wieder auf und machte die Musik leiser. „Und?“, fragte er, kaum dass der Lange sich auf seinem Platz zusammenfaltete. „Mr. Chesterfield ist nicht wirklich etwas aufgefallen. Er hat Kate Milligan in den letzten Wochen unregelmäßiger gesehen als sonst, sich aber keine Gedanken gemacht. Vor vier Tagen ist sie ihm das letzte Mal begegnet, als sie nach Hause kam. Danach nicht mehr. Sie waren einen Tag später verabredet, doch sie tauchte nicht auf.“ Dean blickte fragend zu Adam. „Sie treffen sich ein oder zweimal im Monat mit den anderen Hausbewohnern. Kurz nachdem wir eingezogen sind starb im Nachbarhaus eine alte Frau. Niemand hat es gemerkt, bis der Gestank zu stark wurde. Damals haben sich die Bewohner in dem Haus geschworen aufeinander zu achten“, erklärte dieser. „Löblich“, kommentierte Dean und erntete einen zurechtweisenden Blick von Sam. „Ich finde es gut“, sagte Sam. „Mr. Chesterfield war sehr nett. Er meinte, dass Kate in den letzten Wochen irgendwie anders gewesen wäre. Er konnte aber nichts genau benennen.“ Wieder wechselten die Brüder einen beredeten Blick. Adam fühlte sich ausgeschlossen. Kapitel 35: Streit vorprogrammiert ---------------------------------- @ Vanilein - Ja John. So komplett in seiner Rache verfangen, dass er nicht merkt was er den Kindern seine geliebten Frau antut. Adam hatte da wohl das Glück mit nichts am Mary zu erinnern. Oder John war einfach nie lange genug bei ihm? LG Kalea 4) Streit vorprogrammiert Eine knappe Stunde später hatte Dean ihnen zwei nebeneinanderliegende Zimmer in einem Motel am anderen Ende der Stadt besorgt. Mit zwei Schlüsseln kam er von der Anmeldung zurück zum Wagen. Es gab in diesem Motel keine Dreibettzimmer und er musste zugeben, dass er das begrüßte, wusste er doch noch immer nicht, was er von diesem Familienzuwachs halten sollte. Er wollte ihn nicht und er wollte ihn schon gar nicht in seinem Leben! Viel zu sehr erinnerte ihn der Junge an das, was ihm der Dämon genommen, und John nicht mehr zugelassen hatte. Eine normale Familie. Skeptisch musterte er Adam. Konnte er ihn alleine in einem Zimmer lassen? Die Frage war wohl eher: Wollte er zulassen, dass der Junge in ihren Job gerissen wurde, denn das würde passieren, wenn er oder Sam sich ein Zimmer mit ihm teilen würden. Nein. Der Junge schlief alleine. Und sie würde zusehen, dass sie seine Mutter fanden und dann auf Nimmerwiedersehen von hier verschwinden. Je schneller, umso besser war es für alle Beteiligten. Dean warf Sam einen Schlüssel zu und erntete einen fragenden Blick. „Geh du mit Adam in unser Zimmer, ich kontrolliere seins und komme dann nach.“ „Du…?“ begann Sam, nickte dann aber nur und wandte sich um. „Komm mit“, sagte er zu dem Jüngeren. „Aber ich kann doch ...“, wandte Adam ein. „Komm erst mal mit und lass Dean seine Arbeit machen“, sagte Sam ruhig. Der Milligan warf Dean noch einen Blick hinterher und ging dann mit Sam. Er ließ sich auf einem der Stühle nieder und beobachtete den Winchester dabei, wie er Kaffee ansetzte und sich gleich darauf mit seinem Laptop ebenfalls an dem Tisch niederließ. Sofort fuhr der den Rechner hoch und schon flogen seine Finger über die Tastatur. „Wonach suchst Du?“ „Ich überprüfe, ob irgendwo eine Frau gefunden wurde, auf die die Beschreibung deiner Mom passt.“ „Aber wie?“ „Ich durchsuche Zeitungsarchive.“ „Es gibt tausende Zeitungen.“ „Und?“ „Ihr seid Mechaniker! Wieso weißt Du wie du suchen musst. Woher …?“ Seine Brüder wurden Adam immer unheimlicher. Leicht genervt schüttelte Sam den Kopf. Immer diese Ungläubigen! Warum konnten sie sie nicht einfach ihre Arbeit machen lassen? Sie sollten den Jungen so schnell wie möglich einweihen. Dieses Thema würde er gleich mit Dean durchsprechen. Schnell wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. „Dein Zimmer ist sicher!“, erklärte Dean, der gerade das Zimmer betreten hatte, kaum dass die Tür hinter ins Schloss gefallen war und enthob Sam so einer Antwort. Müde rieb er sich über die Augen. „Dann gestattest du mir also jetzt mein Zimmer zu beziehen?“, fragte Adam zynisch. „Tu was du nicht lassen kannst!“, erwiderte Dean ungehalten und ließ die Tasche, die er mitgebracht hatte neben dem vorderen Bett fallen. „Du kannst gerne noch einen Kaffee mit uns trinken“, versuchte Sam die angespannte Stimmung zu entschärfen. „Nein, danke. Ich scheine hier nicht willkommen zu sein.“ Er nahm sich seinen Rucksack und stapfte aus dem Raum. Was hatte er erwartet? Dass sie ihn mit offenen Armen empfingen? John hatte ihnen nichts von ihm erzählt und ihm nicht von ihnen. Warum nur? Schnell war er im Nachbarzimmer verschwunden und ließ sich auf sein Bett fallen. „Du hättest ruhig etwas netter zu ihm sein können!“, erklärte Sam, während er aufstand, um ihnen zwei Tassen Kaffee zu füllen. Eine stellte er neben seinen Bruder auf den Nachttisch. „Warum? Willst du ihm die heile Familie vorspielen? Er hatte mehr davon als wir. Er hat ein Leben und ich will ihn nicht in unserem!“ „Warum nicht, Dean?“ Sie hatten die Möglichkeit einen weiteren Jäger auszubilden! Die Welt konnte jeden Jäger brauchen! Aber selbst wenn Adam keiner werden wollte, wenn er ihr Leben nicht teilen würde, er musste gewappnet sein, gegen das, was ihn erwarten konnte. Der Junge musste lernen, wenn er nicht irgendwann das durchmachen sollte, was er erlebt hatte, wenn er es nicht gerade schon durchlebte. Der ältere Winchester schnaubte nur und begann seine Schrotflinte auseinander zu nehmen. „Wir haben wichtigeres zu tun, als über Johns Bettgeschichten nachzudenken!“, schob er wütend hinterher und wandte sich nun endgültig den Waffen zu. Während seine Hände arbeiteten, versuchte er sich darüber klar zu werden, wer von ihren Spielkameraden so alles für das Verschwinden dieser Frau in Frage kam und wen er ausschließen konnte. Er kam nicht wirklich weiter. Es waren immer noch zu viele. Sein Blick wanderte zu seiner Uhr. Es war erst nach zehn. Aber die letzte Nacht hing ihm noch in den Knochen. Und die davor. Dean gähnte. Er würde die Waffen noch fertig machen und dann wollte er nur noch ein paar Stunden ruhig schlafen. Danach hoffte er, mit alldem besser klar zu kommen. Er legte die Waffe weg, an der er gerade arbeitete und stand auf. Sams Tasse nahm er mit zur Theke und füllte sie wieder mit der, für seinen Bruder üblichen Mischung aus Milch und Kaffee. Mit einem resignierten Schnaufen füllte er seine ebenfalls auf und setzte einer weitere Kanne an. Zumindest Sam würde sie brauchen. „Meinst du, dass es mit Dad zusammenhängen kann?“, fragte der jüngere Winchester und nahm den Kaffee, den Dean ihm reichte, mit einem Nicken entgegen. „Ich habe keine Ahnung. Das müssen wir herausbekommen.“ Der Ältere rieb sich über die Augen. „Hast du vielleicht irgendwo einen Dämon gesehen?“ „Dann hätte ich ihn wohl kaum ruhig ignoriert.“ Sam nickte. Das war ein Argument, dem er sich nicht verschließen konnte. Außerdem hatten sie nirgends Schwefel gefunden. Die waren es also eher nicht. Immerhin ein mächtiger Feind weniger. Sie kamen nicht dazu einen weiteren Gegner ins Auge zu fassen, Sie wurden von einem energischen Klopfen aufgeschreckt. Dean, der sich gerade wieder auf sein Bett hatte fallen lassen, griff sofort zur Waffe und wechselte einen kurzen Blick mit seinem Bruder. Der erhob sich und wollte Richtung Tür gehen. Er kam nicht weit. Die Tür flog auf und ein ziemlich wütender Adam stürmte herein. Sofort versuchte Dean die Waffen abzudecken, was ihm in der Kürze der Zeit nicht richtig gelang. „Was für ein beklopptes Spiel spielt ihr hier?“, fragte Milligan aufgebracht. Die Brüder schauten ihn fragend an. „Ich habe Salz auf der Fensterbank gefunden und auf den Türrahmen und ein wenig im Internet gesurft! Ich wollte wissen, was dieser Schwachsinn soll!“ „Und?“, fragte Dean interessiert und nicht gewillt Informationen preiszugeben, die der Junge noch nicht hatte. „Salz vor Türen und Fenstern soll angeblich böse Geister fern halten. Was soll die Scheiße! Was versucht ihr hier abzuziehen? Wer seid ihr wirklich?“, sprudelten die Fragen aus den Jungen heraus. Je mehr er davon gestellte hatte um so leiser war er geworden. Jetzt blickte er nur noch enttäuscht von einem zum anderen. „Ich dachte ihr wärt meine Brüder!“ „Das sind wir“, beeilte sich Sam zu versichern. Gleichzeitig warf er seinem großen Bruder einen missbilligenden Blick zu, den der mit einem Schulterzucken beantwortete. Er hatte nicht erwartet, dass Adam seine Schutzmaßnahmen so schnell entdecken würde. Der Junge hatte einen guten Blick. Wieso war ihm dann aber der abgelaufene Kühlschrank nicht aufgefallen? „Die Polizei hat nichts gefunden, du schon, Dean. Sie haben sich nicht die Mühe gemacht im Kühlschrank nachzusehen. Warum du?“ Er holte Luft. „Ihr seid keine Mechaniker.“ Wieder antworteten die Brüder mit Schweigen. „Ich will doch einfach nur wissen, was hier los ist“, sagte er verzweifelt. „Bitte!“ „Wir sind …“, begann Sam. „... so eine Art Privatermittler“, fiel Dean ihm ins Wort und erntete einen wütenden, beleidigten Blick seines jüngeren Bruders, den er mit einem kurzen Kopfschütteln beantwortete. „Ich denke so kann man es nennen“, fuhr er fort. „Wir sind keine Mechaniker, nein. Genauso wenig wie John. Wir kümmern uns um Fälle, bei denen die Polizei nicht weiter kommt.“ Das war die beste Antwort, die er ihm geben wollte und konnte. Nahe genug an der Wahrheit und doch weit genug davon entfernt. Um nichts in der Welt wollte er dem Jungen mehr als nötig zu erzählen. „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als du sehen kannst“, begann Sam, nicht gewillt den jüngeren Bruder mit Deans nichtssagenden Äußerungen abzuspeisen. „Sammy!“ Deans Stimme klang gequält. „Was? Seine Mutter ist verschwunden! Er hat ein Recht darauf, alles zu erfahren!“ „Warum gehst du dann nicht zu Oprah und erzählst es allen?“ Sam schnaubte. „Er ist ein Winchester!“ „Er ist KEIN Winchester!“, widersprach Dean vehement. „Er ist John Winchesters Sohn!“ „Ja. Leider! Was denkst Du, wieso er uns nie von diesem Kind erzählt hat?“ Dean erhob sich. „Weil …“ „Weil er ihn beschützen wollte, Sam!“ So langsam redete sich der Älteste in Rage. Er hatte Kyle gerade erst vor ein paar Monaten in ihr Leben gerissen und der Kleine litt noch immer darunter. Er würde nicht zulassen, dass das schon wieder einem Mensch passierte! „Dad ist tot, Dean.“ „Das spielt keine Rolle. Er wollte nicht, dass Adam unser Leben führt und wir werden seinen Wunsch respektieren!“ Herausfordernd blickte Dean seinen Bruder an. In Sam stieg ein Gefühl von Neid auf. Warum sollte Adam das haben dürfen, was ihm genommen worden war? Resigniert schloss er die Augen. Das durfte er nicht denken. Neid war ein schlechter Ratgeber. Trotzdem wies er den richtigen Weg. Adam musste lernen. Egal was Dad gewollt oder nicht gewollt hatte. Der Junge würde in ihrer Welt so nicht überleben können! „Darf ich auch mal was sagen?“, mischte sich Adam in den beginnenden Streit ein. Er war verwirrt. Weder hatten sie seine Fragen beantwortet noch schienen sie ihm etwas darüber sagen zu wollen, was sie wirklich waren. Nur eins war ihm klar. Sie hatten unterschiedlich Meinungen darüber, was sie ihm erzählen sollten. Sam schien offener zu sein, ihn einweihen zu wollen. Dean war dagegen und er selbst wollte nicht, dass sie sich wegen ihm stritten, auch wenn er schon neugierig war, worüber sie redeten. „NEIN!“ Erwiderten die beiden schon wieder unisono und schauten zu ihm. Dean atmete durch. Er musste hier raus, bevor er Sam richtig anfuhr. So müde wie er war, wollte sich mit seinem kleinen Bruder nicht streiten. Nicht darüber nicht vor Adam streiten. Er musste mit Sam reden, doch dazu musste er ausgeruht sein, sonst würde er auf ganzer Linie untergehen. Rhetorisch war er Sam so absolut nicht gewachsen. Es war ja schon schwer normal gegen ihn anzukommen. Und wenn er dann noch seinen Dackelblick auspackte … Nein! Er musste erstmal runter kommen und sich gute Argumente zurechtlegen. „Pass auf den Jungen auf!“, forderte er und griff nach seiner Jacke. „Aber halte einmal die Klappe. Bei Jess hast du es ja auch gekonnt!“ Das war unterhalb der Gürtellinie, das wusste er, aber vielleicht brachte es Sam ja wirklich dazu, nichts zu sagen. Sam schnappte wütend nach Luft. „Wo gehst du hin?“, wollte er wütend wissen. Dieser Schlag war mehr als unfair und hatte ihn vollkommen unvorbereitet erwischt. Wie konnte Dean nur zu diesem Argument greifen. Gerade weil Jess so sterben musste, war es wichtig Adam vor so einem Schicksal zu bewahren! „Raus!“, knurrte der Älteste und verschwand. „Ist er immer so?“, fragte Adam nach einer Weile leise. „Ja, willkommen in der Familie!“ Sams Stimme troff vor Zynismus. Er griff nach hinten und holte seine Pistole hervor. „Hier. Ich werd dir ein paar Dinge zeigen.“ „Dean hat gesagt ...“ „Ich weiß, was Dean gesagt hat, aber das heißt nicht, dass du nicht trotzdem lernen kannst, dich selbst zu verteidigen.“ Wenigstens das konnte er Adam zeigen. Das hatte nichts mit ihrem Leben zu tun und brachte ihn doch einen Schritt weiter! In aller Ruhe nahm Sam das Magazin aus seiner Waffe, sicherte sie und hielt sie dem Jüngeren hin, der nach einer Weile zögernd zugriff. Kapitel 36: Ein Streit mit Folgen --------------------------------- 35) Ein Streit mit Folgen Dean war nicht weit gekommen. Er saß im Impala und überlegte, was er jetzt tun sollte. Was war richtig? Adam, so wie es John wollte, aus diesem Leben so gut es ging rauszuhalten oder sollten sie ihn einweihen? Sollten sie ihn zu diesem Leben zwingen? Alles in ihm wehrte sich dagegen. Sam und er, sie hatten keine Chance gehabt sich ein anderes Leben aufzubauen, nachdem der Dämon ihre Mom ermordet hatte. Aber Adam hatte diese Chance. Ihm zog sich der Magen zusammen, wenn er daran dachte, dass sie zukünftig zu dritt durch die Gegend fahren und Monster jagen sollten. Nein! Das wollte er nicht. Nicht wenn er es nicht verhindern konnte! Er zog sein Handy aus der Tasche und drückte zwei Tasten. Das kleine Gerät am Ohr wartete er, dass sich jemand meldete. Müde rieb er sich über das Gesicht. „Hey, Dean. Was gibt’s?“, hörte er schon bald die vertraute Stimme. „Hallo Bobby. Stör ich?“ „Wieso solltest du?“ „Wie geht’s Jody?“ „Ich habe sie heute aus dem Krankenhaus geholt. Sie ist noch etwas angeschlagen, aber es wird schon. Polizei und Feuerwehr haben ihre Ermittlungen eingestellt. Sie gehen von einem Leck in der Gaszufuhr des Herdes aus. Es war ein unglücklicher Unfall.“ „Und wie verkraftet sie es?“ „Besser als ich dachte. Allerdings bin ich mir nicht sicher, dass sie damit schon abgeschlossen hat. Noch ist sie nicht zur Ruhe gekommen. Aber du rufst nicht an, um zu plaudern, oder dich nach Jody zu erkundigen.“ „Darf ich nicht mal so anrufen?“, schmollte der Winchester. „Wäre schön, wenn du das wirklich tun würdest. Was hast du auf dem Herzen?“ „Sam und ich haben einen Bruder“, ließ er die Bombe platzen. „Ihr habt was? Und wie …“ „Wir haben einen Bruder. Er heißt Adam, ist 19 und will Medizin studieren. Wir sind in Windom, Minnesota. Er hat jede Menge Fotos von sich und John bei Ausflügen und so.“ „Das … tut mir leid, Dean!“, sagte Bobby. Er hatte gehört, wie dessen Stimme immer heiserer und leiser geworden war. Er konnte nur ahnen, wie weh seinem Jungen diese Fotos getan haben musste. So wie das klang, war der Junge ja wohl normal aufgewachsen, oder? „Ist dieser Adam auch …“ Eigentlich hatte er fragen wollen, wie es ihm nach dem eben erst überstandenen Anschlag auf sein Innenleben ging, aber das war ja jetzt wohl schon die nächste Attacke. Wie verkraftete der Junge das nur? „Nein. Er weiß nichts von der Jagd. Aber Sam will ihn da reinziehen. Ich meine, irgendwie hat er ja Recht. Adam ist Johns Sohn und der hat sich genug Feinde gemacht. Die kann er nicht alle getötet haben. Was wenn die sich jetzt an Adam rächen wollen?“ „Meinst du nicht, dass sie das schon vor Jahren hätten tun können?“ „Schon …“ „Du willst Adam nicht in unser Leben bringen“, stellte Bobby ruhig fest. „Nein. John hat nie von ihm erzählt. Ich denke er wollte ihn raushalten und auch wenn ich kaum noch etwas von dem, was John getan oder gesagt hat für mich als richtig einstufen kann, hier stimme ich ihm zu. Der Junge soll leben!“ „Ich sehe das genauso.“ „Dann muss ich ja nur noch Sam überzeugen!“, stieß Dean resigniert hervor. „Du schaffst das schon!“, ermunterte ihn Bobby und wollte nun endlich auch wissen wie sie ihn gefunden hatten. „Wie seid ihr überhaupt auf den Jungen gekommen?“ „Adam hat eins von Johns Handys angerufen. Seine Mutter ist verschwunden.“ „Ihr habt noch keinen Hinweis?“ „Nein. Im Moment tappen wir vollkommen im Dunkeln. Sie hat in einem Kinderheim gearbeitet. Morgen wollen wir uns da mal umsehen.“ „Ich denke, ihr solltet den Fall lösen und dann entscheiden. Hat es etwas mit diesem Jungen und John zu tun, könnt ihr ihn immer noch einweihen.“ „Danke“ „Gern geschehen“, lächelte Bobby. „Meldet euch, wenn ihr Hilfe braucht!“ „Machen wir Bobby.“ Dean legte auf. Er atmete einmal durch und drehte den Zündschlüssel. Mit dem ihm eigenen satten Brummen erwachte der Impala zum Leben. Leise vor sich hin summend verließ Dean den Parkplatz. Die kurze Unterhaltung mit dem alten Freund hatte ihm gut getan und ihn bestätigt. Er würde alles dafür tun Adam zu schützen, wenn dieser Fall nichts mit John Winchester zu tun hatte. „Stör ich?“, fragte Dean, kaum das er wieder im Zimmer stand und die Beiden zusammenhocken sah. Erschrocken fuhren sie auseinander und schauten zu ihm. „Nein!“, sagte Sam eine Spur zu hektisch. „Sieht aber danach aus.“ Der ältere Winchester lud die Tüten auf dem Tisch ab. „Ich hab ihm lediglich gezeigt, wie man mit einer Waffe umgeht“, verteidigte sich Sam und Adam nickte bestätigend. Dean warf Sam einen eindringlichen Blick zu und der nickte nur kurz. Vorerst würde er sich Deans Wunsch beugen. Vorerst! Trotzdem würden sie noch mal darüber reden müssen. Genauso wie über den mehr als unfairen Einwurf über Jess. „Ich hab Essen geholt“, erklärte der Ältere unnötigerweise. „Chinesisch, Burger, Salat und Sandwiches. Wusste ja nicht genau, was du magst, Adam.“ „Ist schon okay. Ich nehme was übrig bleibt.“ „Oje, dann verhungerst du hier“, lachte Sam noch ein wenig gezwungen. „Alles was du dir nicht schnell genug sicherst und nicht Salat oder Gemüse ist, stopft sich Dean zwischen die Kiemen. Und das Gemeinste daran ist: Man sieht es ihm nicht an!“ „Mistkerl“, grummelte der Ältere. „Idiot“, antwortete Sam pflichtschuldig. Adam blickte nur fragend von einem zum anderen. Waren die immer so? „Ich würde gerne mehr über John erfahren“, sagte Adam, kaum dass sie mit dem Essen fertig waren. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, erwiderte Dean ruhig. „Warum? Ich meine, ihr habt mit ihm zusammen gelebt. Er war ständig bei euch.“ „Hör auf Dean, Adam. Du willst nicht wissen, wie er war. Außer du willst dir das Bild eines netten Menschen zerstören.“ „Aber er …“ „Bitte Adam. Behalte ihn so in Erinnerung, wie du ihn kennen gelernt hast. Es ist besser. Und bitte, frag nicht mehr nach ihm. Sag uns lieber, was du von deiner Mutter weißt. Freundinnen, Kolleginnen, wer auch immer, dem sie etwas erzählt haben könnte, Hobbys, irgendwas“, brachte Dean das Gespräch in eine ganz andere Richtung. „Sie ist hin und wieder zu ihren Freundinnen gegangen, hat mit Kollegen was unternommen oder in der Kirche geholfen. Mit Pastor Carson habe ich schon gesprochen, genauso wie mit ihren Freundinnen und Tante Beth. Keiner weiß was. Danach hab ich John“, Adam korrigierte sich, „euch angerufen.“ „Tante Beth?“, hakte Sam nach. „Ihre ehemalige Kollegin und jetzige Chefin.“ Sam nickte kurz. Das hatte Adam gestern erwähnt. „Und was haben sie gesagt?“, bohrte Dean weiter. Jeder Hinweis half ihnen weiter und ersparte ihnen vielleicht einen der sonst unerlässlichen Besuche. „Nichts. Sie haben sie alle vor vier oder fünf Tagen zuletzt gesehen und niemand weiß etwas davon, dass sie wegfahren wollte.“ „Kannst du uns trotzdem eine Liste mit allen Namen und Adressen machen? Ich denke, wir sollten morgen im Kinderheim anfangen und dann den Rest abklappern. Irgendwo müssen wir doch einen Hinweis finden können.“ „Ich will mitkommen!“, forderte Adam. „Nein! Du kannst uns dabei nicht helfen. Außerdem erzählen sie einem Fremden wahrscheinlich mehr, als wenn du dabei bist“, würgte Dean den Wunsch rigoros ab. Sam nickte dazu. „Es ist wirklich besser, wenn du hier bleibst.“ Resigniert zuckte Adam mit den Schultern. Für ihn war das letzte Wort noch nicht gesprochen, immerhin ging es hier um seine Mom! Er wollte dabei sein, wenn sie sie fanden! Sam begann den Tisch abzuräumen. Er wollte noch weiter recherchieren. Auch Dean erhob sich, um die unterbrochene Waffenreinigung fortzusetzen um dann endlich ins Bett gehen zu können. Eine Weile schaute Adam ihm dabei zu und kam nicht umhin sich zu fragen, wie lange der schon mit Waffen umging. Deans Gesichtsausdruck hatte was Meditatives. Der schaute kaum drauf, was er tat. „Ich würde gerne schießen lernen“, sagte er plötzlich in die Stille. Die Köpfe beider Winchesters ruckten hoch. Zwei Augenpaare musterten ihn. Eines ablehnend skeptisch, das andere eher freudig zustimmend. „Ihr hantiert so selbstverständlich damit und ich hatte bis vorhin noch nie eine Waffe in der Hand“, verteidigte er sich. „Das sollte auch so bleiben“, erklärte Dean. „Wir zeigen es dir“, versprach Sam und erntete schon wieder einen wütenden Blick. Adam strahlte. „Sofort, Morgen? „Warum nicht?“ „Okay. Dann bis morgen. Ich geh nach nebenan“, verabschiedete er sich und verließ das Zimmer der Brüder. Hier schien er wohl schon wieder in ein Wespennest gestochen und irgendwie wollte er jetzt keinen Streit erleben müssen. „Was soll das, Sam?“, fragte Dean aufgebracht, kaum dass sich die Tür hinter dem Jungen geschlossen hatte. „Was soll was?“ „Du willst ihn mit aller Gewalt in unsere Welt reißen!“ „Ich habe ihm lediglich gezeigt, wie man eine Waffe hält. Warum soll er nicht schießen lernen können? Das ist auch in einer normalen Welt nicht von Nachteil!“ „Ist es so toll endlich jemanden zu haben, den du bevormunden kannst? Endlich jemand für den du der große Bruder bist?“ So sah ihn Dean? Verwirrt blickte Sam zu seinem großen Bruder. Er wollte niemanden bevormunden! Und was war so falsch daran, sich darüber zu freuen, mal nicht der Kleine zu sein? Außerdem wollte er den Jungen doch nur beschützen! „Darum geht es doch gar nicht!“ „Worum dann, Sam?“ „Er ist unser Bruder! Nur weil du es nicht wahrhaben willst, werden es Dads Feinde nicht auch ignorieren!“ „John ist seit drei Jahren tot und bis jetzt hat sich noch niemand für ihn interessiert!“ „Das kann sich aber inzwischen geändert haben!“ „Woher sollen sie es den wissen? Nicht mal wir wussten von ihm!“ „Und der Dämon der in Dad war? Was ist mit dem?“ „Der ist tot! Ich habe ihn erschossen. Falls du dich erinnerst!“ „Und wenn er es jemandem erzählt hat?“, brachte der Jüngere herausfordernd hervor. „Und der wartet bis jetzt?“, schnaubte Dean abschätzig. Das wollte er einfach nicht glauben. „Vielleicht ist er erst jetzt von Nutzen!“ „Wir haben keinen Schwefel gefunden.“ Dean atmete durch. „Weißt du was, Sam? Mir ist endlich aufgegangen, warum du mit John ständig gestritten hast. Ihr seid euch so ähnlich, dass ihr fast ein und dieselbe Person sein könntet!“ „Dean, du …“ „Das war kein Kompliment, Sam! Du entwickelst dich in eine Richtung, die ich nicht hinnehmen werde. Denk mal drüber nach, was du dem Jungen antun willst. Du bist immer wieder weggelaufen, weil du den Drill nicht haben konntest, oder weil du ein normales Leben führen wolltest und jetzt willst du Adam in genau dieses Leben, das du doch so hasst, reißen? Was ist mit dir passiert?“ „Ich will …“ „Genau! Du WILLST!“, Dean griff nach seiner Jacke. Er brauchte Luft und Zeit zum Nachdenken und um sich abzureagieren, nicht dass er noch etwas sagte, was ihm nachher leid tun würde. Nach den Albträumen von seiner Kindheit lagen seine Gefühle noch viel zu blank. „Wo willst du hin?“ „Ich muss hier raus. Für mich und dein Ego reicht der Sauerstoff nicht!“ Er holte tief Luft und blickte zu seinem kleinen Bruder. „Denk einfach mal drüber nach, was du hier tun willst!“, forderte er leise und war mit wenigen Schritten zur Tür raus. „Dean!“, rief Sam ihm noch nach, doch die Tür war schon zu und sein Bruder konnte oder wollte es nicht hören. Er ließ sich auf sein Bett fallen. War es so schlimm Adam zu zeigen, was es da draußen noch so alles gab? Warum sollte er es nicht wissen? Warum sollte er nicht vorbereitet sein, wenn doch das Übernatürliche überall lauerte? Hatte Dean Recht? Hatte er sich so verändert? Als Kind hatte er es gehasst. Dieses Umherziehen, dieses Unbeständige. Er hatte den Drill gehasst. Deans ständige Präsens und dass der ihn kaum einmal aus den Augen gelassen hatte. Oh man. Wie froh war er, als er endlich in Stanford war. Keinen Aufpasser mehr und keinen, der ihn zu Dingen zwang, die er nicht tun wollte, doch dann hing Jess unter der Decke und er hatte begriffen, dass er dazu verdammt war ein Jäger zu sein. Adam hatte eine schöne Kindheit gehabt, die ihm selbst nicht vergönnt gewesen war und er hätte ja so weiter leben können, doch jetzt war seine Mutter verschwunden und niemand konnte sagen, dass das nicht mit Dad zusammenhing. Er wollte einfach nicht, dass dem Jungen auch etwas passierte! Er wollte doch nur, dass der sich verteidigen konnte und wusste, was auf ihn zukommen könnte. Niemand wusste, wie die Dämonen tickten. Niemand wusste, wann oder wo sie zuschlagen würden! Vielleicht war Adam ja auch gezeichnet, so wie er? NEIN! Es war richtig gewesen darauf zu bestehen den Jungen einzuweihen. Außerdem hatte der doch selbst gefragt, ob er schießen lernen konnte. Sie würden seine Mom finden und ihm ihre Welt erklären und danach konnte er immer noch entscheiden, was er wollte. Das konnte nicht falsch sein! Er musste Dean nur dazu bringen ihm lange genug zuzuhören, damit er ihm das begreiflich machen konnte. In der Hoffnung, dass Dean morgen gesprächiger war, ging er ins Bad um sich bettfertig zu machen. Kapitel 37: Gefangen -------------------- 36) Gefangen Dean hatte eine Bar gefunden und sich, mal wieder, am Ende der Theke, fast unsichtbar für alle, seinen Platz gesucht. Er hatte sich ein Bier und einen Whiskey geordert und versuchte jetzt Ordnung in seine chaotischen Gedanken und Gefühle zu bringen. Hatte er das nicht erst vor ein paar Tagen gemacht? War er jetzt dazu verdammt in Bars zu hocken, um nachdenken zu können? Warum wollte Sam dem Jungen sein Leben nehmen? Er selbst hatte sich damals ein richtiges Leben gewünscht, doch das war nach dem Dämon eine Utopie. Ein schöner Traum, um für einen Augenblick aus diesem Leben zu flüchten. Doch dann waren die Minuten, die Stunden danach immer besonders schlimm gewesen und er hatte aufgehört von einem Haus mit Gartenzaun und Mom und Dad zu träumen. Für Sam jedoch hatte er versucht dieses Bild so lange wie möglich aufrecht zu halten. Und selbst als der schon alt genug war, um ihr Leben zu verstehen, um zu verstehen, warum sie so und nicht anders lebten, hatte er ihm so viele Freiräume wie möglich geschaffen. Sam war nicht wie er. Sam hatte ihre Mom nie kennengelernt. Er hatte diesen Dad nie kennen gelernt. Sein Lachen, seine Liebe, die Freundlichkeit und Wärme, die der vor Moms Tod besessen hatte, waren mit ihr gestorben. Nein, es gab nicht nur Streit zwischen seinen Eltern. Es gab auch schöne Momente. Sam kannte jedoch nur dieses zombieähnliche Wesen, das seit damals in Dads Hülle übriggeblieben war. Und er hatte es wohl einfach nicht geschafft Moms Liebe an Sammy weiterzugeben. Es lag wohl wieder mal an ihm, an seinen Unzulänglichkeiten als großer Bruder, dass Sam so geworden war. Aber gerade deshalb würde er für Adam kämpfen. Der Junge sollte nicht auch noch in diesen Sumpf gezogen werden. Sie würden seine Mom finden und dann würden sie ihn vergessen! Nie wieder sollte er etwas von ihnen hören oder sehen. Nie wieder sollte er mit ihrem Leben in Verbindung kommen! Mit sich und seiner Entscheidung zufrieden kippte der den Whiskey hinunter und orderte sich einen neuen. Er hatte noch keine Lust zurück ins Motel zu fahren. Oder besser gesagt, er war zu müde, um jetzt auf Sam zu treffen und weiter mit ihm zu diskutieren. Dazu war morgen auch noch Zeit. Und dann mussten sie, so ungern er das auch tun wollte, reden. Sie mussten endlich ihre Basis definieren, bevor sie sich entweder wegen Kleinigkeiten komplett verstritten, worauf er so gar keinen Bock hatte, oder sie sich trennten. Nein, morgen würden sie reden. Immer nur wegzulaufen brachte sie ja wohl auch nicht weiter. Außerdem war das ja eher Sammys Weg gewesen. Insgeheim musste er zugeben, dass er Sam dafür bewunderte, dass der so an seiner Meinung festhielt. Er wäre bei vielen Entscheidungen, - nein - er war bei vielen Entscheidungen gegen John eingeknickt und hatte um des lieben Friedens Willen dem zugestimmt, was der wollte. Nie hätte er gewagt, so einen Wunsch, vergleichbar mit Sams Wunsch nach Stanford zu gehen, auch nur zu denken. Mit steigendem Alkoholpegel beruhigten sich Deans Gedanken und er hatte den Eindruck endlich wieder klarer denken zu können. Langsam schaute er sich in der Bar um. Es waren nicht mehr so viele Gäste da, immerhin war es mitten in der Woche und die Nacht schon weit fortgeschritten. So langsam sollte er auch austrinken und sich dann irgendwo ein Plätzchen zum Schlafen suchen. Schließlich hatten sie einen Fall zu lösen und er hatte noch von seinem letzten Kater genug. Außerdem bezweifelte er, dass Sam ihn diesen Mal in Ruhe lassen würde. Sam! Warum war der so zwiespältig. War es Neid? Adam durfte wie ein richtiges Kind leben und er nicht? Warum freute er sich nicht für den Jungen und nahm es hin? Auch das würde er morgen mit Sam in Ruhe klären müssen. Er würde nicht zulassen, dass Adam auf die Straße gezerrt wurde. Dean trank sein Bier in Ruhe aus, zahlte und rutschte vom Hocker. Leicht torkelnd steuerte er die Tür an. Diese Nacht würde er, mal wieder, im Impala verbringen. Fahren wollte er so bestimmt nicht mehr. Sein Blick glitt erneut über die Besucher. Er stutzte. An einem Tisch saß eine blonde Frau, die Kate Milligan verdammt ähnlich sah, mit zwei Männern. Dean straffte sich, ging zu dem Tisch hinüber und baute sich neben ihr auf. „Mrs. Milligan? Kate Milligan?“, fragte er ruhig. „Wer will das wissen?“, giftete sie ihn an. „Ich bin Dean Winchester“, stellte er sich vor und beobachtete sie dabei argwöhnisch. „Aber es geht nicht um mich. Ihr Sohn, Adam, hat Sie als vermisst gemeldet.“ Sie verdrehte die Augen. „Und? Der Bengel ist doch wohl groß genug, um allein klar zu kommen!“ „Darum geht es doch gar nicht. Sie sollten Sie sich bei ihm melden. Er macht sich wirklich Sorgen um Sie.“ „Jaja. Vielleicht rufe ich ihn an.“ „Nicht vielleicht! Am Besten tun Sie es sofort, oder noch besser, wir fahren zu ihm, dann können sie sich aussprechen!“ ‚Und ich kann hier wieder verschwinden’, fügte er in Gedanken hinzu. Seine ganzen Probleme würden sich in Luft auflösen. Adam würde aus seinem Leben verschwinden. Sam hätte niemanden, an dem er sich als John Winchester ausprobieren konnte und er selbst würde diese Erinnerungen einfach vergessen, wie so viele, die er nicht haben wollte, und darauf hoffen, dass nicht noch jemand seine Erinnerungen in Albträume verwandeln wollte. „Ich melde mich bei ihm“, sagte sie gelangweilt und wandte sich wieder ihren Tischpartnern zu. Doch Dean gab ich damit nicht zufrieden. Er blieb hartnäckig, denn hier stimmte etwas nicht. Die Frau hatte weder auf ihren Sohn so reagiert, wie er es nach den Bildern erwartet hätte, noch schien ihr sein Nachname etwas zu sagen. „Nein!“, erklärte er bestimmt. „Sie kommen jetzt gleich mit und wir fahren zu ihm. Dort sprechen sie sich aus. Alles andere ist dann nicht mehr mein Problem. Außerdem wollen die hier eh gleich schließen.“ Er grinste breit. Kate verdrehte schon wieder die Augen. Zumal sich ihre Begleiter nun ebenfalls erhoben. „War nett mit dir. Man sieht sich“, verabschiedeten die sich. Sie war sauer! Dieser aufdringliche Typ machte ihr ihren schönen Plan kaputt. Das würde er büßen! „Bist du jetzt glücklich?“, funkelte sie ihn wütend an. „Glücklich würde ich das nicht nennen. Mir ging’s schon besser!“, kommentierte er die Situation ruhig. Lass uns gehen, umso schneller bin ich dich wieder los!“ Sie warf ein paar Scheine auf den Tisch. Dean nickte zufrieden und folgte ihr leicht torkelnd zum Ausgang. „Wohin?“, wollte sie wissen. Er wies in Richtung Parkplatz und ging voraus. Mit wenigen Schritten umrundeten sie eine kleine Baustelle und gingen auf den Impala zu, der hinter dem Haus stand. Plötzlich hörte Dean ein kurzes, schleifendes Geräusch hinter sich. Er drehte sich um und sah einen Balken auf sich zukommen. Instinktiv duckte er sich zur Seite, doch sein alkoholisierter Körper reagierte nicht so schnell wie er es sollte. Der Balken, den Kate schwang, traf ihn an Schulter und Hals und ließ ihn zu Boden gehen. Er schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können, keuchte schmerzerfüllt, stemmte sich auf Hände und Knie und wollte sich gerade wieder aufrichten, als ihn ein zweiter Schlag traf. Jetzt verschluckte ihn die Dunkelheit. Schnell zerrte sie ihn zu einem kleinen Wagen, der nicht weit vom Impala entfernt parkte. Sie durchsuchte seine Kleidung und förderte sein Handy und seinen Colt zu Tage. Beides warf sie achtlos auf den Beifahrersitz, bevor sie ihr Opfer in den Kofferraum wuchtete. Sich noch einmal sichernd umschauend stieg sie ein und fuhr, so ruhig wie möglich, vom Parkplatz. Vielleicht war der Abend ja doch nicht so furchtbar. An einem Feld hielt sie kurz an, warf Handy und Waffe ins Getreide und gab, zufrieden grinsend, wieder Gas. Die beiden Typen wären besser gewesen, aber der hier würde auch erst mal reichen. Langsam kam Dean zu sich. Sein Schädel hämmerte und ihm war speiübel. Hatte er so viel gesoffen? Seine Sinne spielten wohl noch immer verrückt, oder warum meinte er halbwegs aufrecht zu stehen? Und warum schaukelte es hier so? War er auf einem Schiff? Vorsichtig blinzelte er, doch das erwartete grelle Sonnenlicht blieb aus. Um ihn war nur Schwärze. Panik breitete sich in seinem Magen aus und jagte eine weitere Welle Übelkeit durch seinen Körper. Er schluckte krampfhaft und versuchte ruhig zu atmen. Dass er nichts sah, hieß noch lange nicht, dass er blind war! Vielleicht war es um ihn herum auch einfach nur dunkel? Unbewusst stellte er sich auf seine Füße. Ein heißer Schmerz jagte durch seine Schultern. Seine Arme sackten etwas tiefer. Er versuchte einen Arm zu bewegen, doch außer einem metallischen Klacken, das in seinen Ohren unnatürlich laut war, und einem erneuten stechenden Schmerz der durch seine Schulter schoss, passierte nichts. Er versuchte noch ein paar Mal seine Arme zu bewegen, doch mehr als ein Stückchen nach oben war nicht drin. Wieder und wieder zwang er sich, bewusst ein und wieder auszuatmen. Gleichzeitig versuchte er zu ergründen was genau passierte, bevor er hier, wo auch immer das war, gelandet war. Die Panik verschwand langsam und er konnte mit einer Bestandsaufnahme beginnen. Seine rechte Schulter brannte, doch in der Dunkelheit brauchte er erst gar nicht zu versuchen einen Blick darauf zu werfen. Er stand auf hartem Boden. Seine Hände waren an den Gelenken fixiert, mit etwas, das sich wie Handschellen anfühlte, die wohl mit einer Art Rohr verbunden waren, das seine Hände auf Abstand hielt. Das Warum erschloss sich ihm allerdings nicht. Seine Finger tasteten, so gut es ging, die stählernen Bügel ab. Er fand zwar das Schloss, aber ohne etwas womit er das knacken konnte, brachte ihm dieses Wissen nicht weiter. Eine Weile versuchte er eine halbwegs bequeme Stellung zu finden, bei dem ihm nicht alles weh tat, dann blieb ihm nichts weiter übrig, als zu warten, was diese falsche Kate mit ihm vor hatte. Sam erwachte ausgeschlafen. Er streckte sich und stand auf. Ein Blick auf Deans Bett verriet ihm, dass sein Bruder noch nicht wieder aufgetaucht war. ‚Hatte er endlich mal wieder eine Frau aufgerissen und die Nacht mit ihr verbracht’, überlegte er lächelnd. Ob er ihn anrufen sollte? Ein Blick auf den Wecker zeigte ihm, dass es noch früh am Tag war. Er würde noch warten, entschied er und verschwand im Bad. Mit einigen Frühstückstüten beladen kam er wieder. Er klopfte an Adams Tür und wartete. Noch leicht verschlafen öffnete der Junge. „Hey“, grüßte Sam, „Hunger?“ Adam nickte träge und öffnete seine Tür weiter. Der Winchester trat ein und verbreitete eine schon fast ungesunde Fröhlichkeit. „Bist du immer so?“, wollte der Jüngere wissen und begann sich anzuziehen. „Warum?“ „Weil ich mich gerade frage, ob Dean genauso ist.“ „Nein, Dean ist ein Morgenmuffel, wenn er kann“, lachte Sam. „Und deshalb verbreitest du sicherheitshalber hier deine Hektik?“ „Ich verbreite keine …“ „Doch, tust du! Wo ist Dean eigentlich?“ „Bei einer Frau, denke ich.“ Adams Blick war nicht sonderlich geistreich und so fühlte sich der Winchester zu einer ausführlicheren Antwort genötigt. „Dean ist noch nicht wieder da, also vermute ich, dass er die Nacht mit und bei einer willigen Frau verbracht hat. Er ist kein Kind von Traurigkeit.“ Trotzdem zog er sein Handy aus der Tasche und wählte Deans Nummer. Nach ein paar Mal klingeln ging die Mailbox dran und er bat um Rückruf. „Wahrscheinlich schläft er noch. Um die Uhrzeit ist er nur wach, wenn es sein muss.“ „Ich denke ihr seid Privatermittler?“, fragte Adam skeptisch. „Dean macht fast immer die Spätschicht.“ So langsam hing ihm dieses ganze seichte Drumherum-Gelabere zum Halse raus. Der Junge sollte erfahren, was sie wirklich machten. Das wäre für alle Seiten einfacher. Trotzdem hielt er sich noch zurück. Er wollte vorher noch einmal mit Dean reden, wie viel sie ihm fürs Erste erzählen würden. Adam brachte die Kaffeekanne und Milch mit zum Tisch, füllte sich seine Tasse und schüttete ein wenig des Weißmachers hinzu und wieder stellte Sam fest, dass der Junge ganz gut zu ihnen passen könnte. Kapitel 38: Eine wehrhafte Mahlzeit ----------------------------------- 37) Eine wehrhafte Mahlzeit Irgendetwas hatte Dean aus seinem Dämmerzustand gerissen. Hatte er es tatsächlich geschafft im Stehen einzuschlafen? Hatte er geträumt? Wieder schaute er sich um. Dieses Mal konnte er einige Konturen erkennen. Er drehte sich einmal um seine eigene Achse. Hinter ihm fiel durch ein schmales, vollkommen verschmiertes Fenster ein schmutziger Streifen Licht in den Raum. Draußen war es wohl Tag geworden. Immerhin erhellte dieses Licht die Decke und in der Nähe des Fensters konnte er ein Stück grobe Mauer und etwas von dem glatten Fußboden erkennen. An der, dem Fenster gegenüberliegenden Wand machte er Konturen aus, über die er lieber nicht näher nachdenken wollte, vor allem, wenn er den Geruch nach Verwesung, der hier in der Luft lag, mit einbezog. Er war wohl in einem ziemlich großen Keller gefangen. Fest richtete er seinen Blick auf die Fesseln, die ihn hielten. Wieder tastete er sie so gut es ging ab. Doch wie schon beim ersten Mal fühlte er nichts, was ihm verriet, wie er sich befreien konnte. Wütend knurrend zerrte er. Noch nicht einmal die Stange ließ sich zu einer Seite bewegen. Intensiv musterte er deren Befestigung an der Decke. Er rüttelte an seinen Fesseln. Leises Klackern verriet ihm, dass diese Stange an einem Haken in der Decke eingehängt war. Ob er da hinauf klettern konnte? Doch dazu müsste er diese Kette erreichen. So weit wie möglich streckte er seine Arme nach oben und versuchte mit kreisenden Bewegungen seiner Arme die Kette in Schwingungen zu versetzen. Er verrenkte sich fast die Handgelenke, bis er die beiden Kettenenden endlich in den Händen hielt und begann sich langsam nach oben zu arbeiten. Seine Handgelenke schmerzten vor Anstrengung als er es endlich soweit hinauf geschafft hatte, dass er den Haken mit einer Hand erreichen konnte. Diese verdammte Stange hatte die Kletterei auch nicht leichter gemacht. Der Haken entpuppte sich als geschmiedeter Ring, der bombenfest in der Decke saß. Trotzdem rüttelte er ein paar Mal erfolglos daran. Frustriert rutschte er wieder zu Boden. Die ganze Aktion hatte ihn nicht weiter gebracht. Er musste auf Sam vertrauen. Wie der ihn allerdings finden sollte, war ihm ein Rätsel. Nach dem Frühstück wählte der jüngere Winchester erneut Deans Nummer. Und wieder ging nur die Mailbox dran. „Verdammt, Dean! Beweg deinen Arsch hierher. Wir haben hier einen Fall zu lösen!“, schimpfte er wütend in den Hörer und legte wieder auf. Er wollte es Adam gegenüber nicht zugeben, aber so langsam begann er sich Sorgen zu machen. Es war noch nie etwas Gutes dabei herausgekommen, wenn sie sich im Streit trennten. Sie mussten unbedingt miteinander reden. Innerlich verdrehte er die Augen. Reden. Mit Dean. Nein, dieses Mal konnte er keine Rücksicht auf dessen angeschlagenes Innenleben nehmen! „Wenn wir wenigstens einen Wagen hätten!“, maulte er weiter. „Moms Wagen steht in der Garage“, sagte Adam ruhig. „Den habe ich, kurz nachdem ich hier angekommen bin, geholt. Der stand noch am Heim.“ „Können wir den nehmen, bis Dean wieder aufgetaucht ist?“, fragte Sam. „Klar, warum nicht.“ „Okay, dann lass uns loslegen.“ Gemeinsam fuhren sie mit einem Taxi zur Garage der Milligans und holten den Wagen. „Eigentlich hatte ich vor, dass wir zusammen in den Wald fahren und ich dir schießen beibringe, aber so langsam mache ich mir doch Sorgen um Dean. So hat er sich noch nie verhalten, egal wie gegensätzlich unsere Meinungen waren,“, sagte Sam nach einem weiteren erfolglosen Versuch seinen großen Bruder zu erreichen. „Und was willst du jetzt tun?“, fragte Adam neugierig. „Wir werden ihn suchen!“ Sam setzte sich auf den Beifahrersitz und fuhr seinen Rechner hoch. „Wo fangen wir an?“ Der Milligan war Feuer und Flamme. Lenkte ihn das doch etwas von der Sorge nach seiner Mom ab, obwohl er es noch viel lieber gesehen hätte, wenn sie gleich nach ihr gesucht hätten. „Zuerst klappern wir sämtliche Bars ab. Irgendwo muss er hingegangen sein. Und ich versuche sein Handy zu orten.“ „Kannst du das?“ „Ich kann so einiges!“, grinste er, tippte die Daten seines Bruders in die Suchmaske ihres derzeitigen Providers ein und verschaffte sich, während da die Suche lief, einen Überblick über die von ihrem Motel aus nächstgelegenen Bars. Schnell hatte er ein paar gefunden und wechselte die Seite. Deans Handy war auf einem Feld? Das konnte nicht sein! Er startete die Suche erneut. Unruhig trommelte er mit den Fingern auf seinem Oberschenkel, während die Sanduhr sich drehte. Eisige Finger krochen in Richtung seines Magens. War Dean etwas passiert? Hatte er einen Unfall? Wieder zeigte der kleine Pfeil auf das Feld. ‚Nein, nein, nein!’, bettelte er in Gedanken darum, dass dem Älteren nicht schon wieder etwas passiert war. „Fahr!“, wies er den Jüngeren an und lotste ihn zu dem Feld. „Hier ist niemand“, stellte Adam leise fest und parkte den Wagen am Straßenrand. Er hatte die Unruhe des Älteren mehr als deutlich fühlen können. Sam sagte kein Wort. Hastig fiel er regelrecht aus dem Wagen und schaute sich um. Hier war wirklich niemand! Er wählte Deans Nummer. Unverkennbar tönte „Deep Purple“ aus dem Korn. Ohne den jüngeren Halbruder eines Blickes zu würdigen lief er auf die Musik zu. ‚Bitte lass Dean bei seinem Handy sein, bitte lass Dean bei seinem Handy sein’, betete er, wider besseren Wissens, im Stillen. Es gab keine Spuren, kein plattgedrücktes Korn. Außerdem konnte er sich auch keinen Grund vorstellen, warum sein Bruder hier draußen schlafen sollte, dafür war es nun wirklich schon zu kalt. Aber das war egal. Hauptsache er war hier! „Smoke on the Water“ erstarb und in seinem Handy meldete sich Deans Mailbox. Frustriert drückte er das Gespräch weg und wählte neu. Dem Klingelton folgend fand er das kleine silberne Teil endlich zwischen den Halmen und natürlich war von seinem Bruder weit und breit nichts zu sehen. „Dean!“, rief er und lief ein paar Schritte weiter ins Feld hinein. Das durfte einfach nicht sein. Er konnte seinen Bruder doch nicht schon wieder verloren haben! Dass der sein Handy aus lauter Wut auf ihn weggeworfen haben könnte, stand völlig außer Frage. Das würde er nie tun. Er würde ihn vielleicht wegdrücken oder sein Telefon für eine Weile ausstellen, aber mehr nicht. Adam verfolgte den Winchester mit seinen Augen. Was passierte hier? Was war zwischen seinen Brüdern? Waren die beiden das wirklich? Die Blicke, die sie sich gestern zugeworfen hatten, das war unheimlich. Sowas hatte er bisher nur bei verliebten Pärchen auf dem Campus gesehen, aber noch nie bei Brüdern! „DEAN“, schrie Sam seine Verzweiflung heraus und ließ sich auf die Knie sinken. Sein Blick fiel auf etwas Silbernes. Er griff zu. Deans Colt. Jetzt war er sich sicher, dass seinem Bruder etwas passiert sein musste! Verdammt! Das machte der doch mit Absicht! Immer wenn sie unterschiedlicher Meinung waren, immer wenn er etwas anderes als sein Bruder wollte, verschwand der, oder wurde zum Kind. Wütend rammte er seine Faust in den Boden. DAS konnte er Dean nun wirklich nicht in die Schuhe schieben, wusste er doch zu genau, wie sehr sein Bruder darunter litt Kyle in ihre Welt gerissen zu haben, außerdem hatte er ihn geschützt, als ihn der Zauberspruch getroffen hatte! Nein! Er würde seinen Bruder wohl einfach nicht mehr aus dem Zimmer lassen dürfen, bevor sie ihre Streitereien bereinigt hatten. ‚Okay! Reiß dich zusammen Sam! Du musst deinen Bruder finden. Und Adams Mutter’, auch wenn die ab jetzt nur noch an zweiter Stelle stand. Doch das musste er dem Jüngeren ja nicht auf die Nase binden. Im Aufstehen schob er sich Deans Waffe in den Bund. Langsam ging er zur Straße zurück. „Und jetzt?“, wollte Adam wissen, kaum dass der Lange neben ihm stand. Sam schüttelte den Kopf. Hektisch wälzte er die Gedanken in seinem Kopf hin und her. Wie konnte sie vorgehen? Er setzte sich auf den Beifahrersitz, holte seinen Laptop und tippte eine weitere Nummer in das Suchfenster des Providers. „Zuerst einmal suchen wir den Impala. Dann haben wir Deans letzten Aufenthaltsort. Von da aus sehen wir weiter!“, erklärte er dem Jüngeren, der sich auch wieder in den Wagen gesetzt hatte. Es dauerte nicht lange, da blinkte ein neuer Pfeil auf dem Bildschirm. Metallisches Kratzen ließ Dean aufschrecken, hatte er es doch tatsächlich schon wieder geschafft in eine Art Dämmerzustand zu fallen. Er schüttelte den Kopf, stellte sich aufrecht hin und versuchte so gut es eben ging, seine Muskeln zu entspannen. Noch einmal blickte er sich in dem Raum um, doch er konnte noch immer nicht mehr erkennen, als vor einer halben Ewigkeit. Ein Schlüssel wurde gedreht und dann schwang die Tür auf. Licht fiel in den Raum und kurz danach flammten zwei Lampen auf, die neben der Tür hingen. Geblendet schloss der Winchester die Augen. Schritte näherten sich ihm. Er blinzelte ihnen entgegen. „Was bist du?“, fragte er die blonde Frau. „Kate Milligan“ „Genau die bist du nicht!“, Seine Hände umschlossen die Stange. „Pfiffiges Kerlchen!“, höhnte sie und trat noch näher. „Und jetzt geh ein wenig in die Knie, ich hab Hunger!“ „Vergiss es!“ „Das Essen will spielen?“, Sie musterte ihn abfällig. „Vielleicht ein anderes Mal. Jetzt habe ich keine Lust dazu!“ Sie trat hinter ihn. Deans Muskeln explodierten regelrecht. Er drückte sich ab, nutzte den Schwung der Kette aus und kam mit einer fast schon eleganten Drehung herum. Sein Fuß rammte sich in ihren Bauch und schleuderte sie gegen die Wand. Benommen blieb sie liegen. Das gab ihm die Zeit sich seine Fesseln näher anzusehen. Wie er vermutet hatte, war er mit Handschellen, die mit einer Metallstange verbunden waren, gefesselt, die seine Arme auf Abstand hielt. Sein Blick wanderte zur Decke. Wie er es schon bei seiner Klettertour erfühlt hatte, war der Ring der Kette, die die Stange hielt, fest mit einem Ring in der Decke verbunden. Resigniert atmete er durch. Hier hatte er keine Chance zu entkommen! Die falsche Kate rappelte sich auf. Sie warf dem Mann, der sie so überrascht hatte, einen vernichtenden Blick zu. „Das wirst du büßen!“, keuchte sie und verließ den Raum. Die Tür blieb offen. „Ewa! Aoife!“, hörte er sie schreien. ‚Na toll, nicht nur eine’, ging es Dean durch den Kopf. Das kurzfristige Hochgefühl, seine Peinigerin wenigstens für kurze Zeit von sich abgehalten zu haben, verflog. Schritte tappelten die Treppe herunter und Dean wappnete sich so gut es ging. Wieder umklammerte er die Stange und starrte herausfordernd zur Tür. Drei Frauen mit Baseballschlägern betraten den Raum. Sie postierten sich um ihn herum. „Los, Mädels!“, gab Kate das Startsignal und schon schwangen sie ihre Keulen. Der Winchester versuchte so gut es ging auszuweichen, aber er hatte in den ungleichen Kampf nicht den Hauch einer Chance. Immer wieder und immer häufiger prasselten die Schläge auf ihn ein und schon bald hing er einfach nur noch in seinen Fesseln, unfähig auch nur einen Finger zu rühren. Die Schmerzen in seinem Körper schienen sich zu potenzieren und dann endlich krachte ein Baseballschläger in seinen Magen. Der Schmerz steigerte sich ins unerträgliche, seine Atmung setzte aus und die gnädige Dunkelheit verschluckte ihn. Die drei schlugen weiter zu. Erst als sie bemerkten, dass ihr Opfer keinen Laut mehr von sich gab, hörten sie auf. Die falsche Kate tastete nach einem Puls, nicht dass sie ihre Nahrungsquelle aus Versehen zerstört hatten. Schwach aber regelmäßig konnte sie ihn unter ihren Fingern fühlen. „Bedient euch, Mädels“, grinste sie bösartig und sah zu, wie sich Aoifes Maul an seiner Schulter festsaugte. Kapitel 39: Ermittlungen ohne Fortschritt ----------------------------------------- @ Vanilein - Sam tut was er kann, aber ob er so schnell helfen kann? LG Kalea 38) Ermittlungen ohne Fortschritt „Hier rechts“, sagte Sam und lotste Adam auf den Parkplatz einer Bar. Ganz hinten sah er das Heck von Deans Baby. Er stieg aus, kaum dass der Wagen hielt und rannte über den Platz, getrieben von der irrsinnigen Hoffnung, dass sein Bruder sein Handy in seiner ersten Wut einfach nur weggeworfen hatte und jetzt seinen Rausch in dem Wagen ausschlief. Natürlich war das nicht der Fall. Dean würde sein Telefon nie wegwerfen! Und seinen Colt erst recht nicht. Trotzdem fühlte sich der jüngere Winchester um eine Hoffnung ärmer, als er neben dem Wagen stand und kein Dean darin schlief. „Was jetzt?“, wollte Adam wissen, kaum das er neben ihn getreten war. Sam schaute sich um. Die Reklame der Bar leuchtete nicht und außer ihren beiden Wagen stand kein weiteres Fahrzeug auf dem Parkplatz. „Warte hier“, sagte er und untersuchte zuerst erfolglos die Baustelle, bevor er zur Tür ging. Natürlich war die verschlossen. Er warf noch einen Blick durch eines der Fenster, aber er konnte nichts erkennen. „Verdammt!“, fluchte er leise. Hektisch überlegte er, wie es jetzt weitergehen sollte. „Und jetzt?“, fragte der Jüngere wieder und Sam verdrehte innerlich die Augen. Bei Dean gab es kein „und jetzt“. Da wusste jeder was er zu tun hatte und niemand fragte. Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee, den Jungen in ihr Leben mit einbinden zu wollen. Andererseits, ihr Dad war noch wesentlich älter und hat es auch geschafft zu einem erfolgreichen Jäger zu werden. „Wir bringen euren Wagen zurück und fahren mit dem Impala weiter“, entschied er und Adam lief zum Wagen seiner Mom zurück. Sam grinste. Er hatte Dean beweisen wollen, dass er auch ein großer Bruder sein konnte und jetzt war der nicht da um es zu sehen. Aber er musste zugeben, dass es sich gut anfühlte, derjenige zu sein, der das Sagen hatte. Er knackte das Schloss des Impala und ließ sich hinter das Lenkrad fallen. Sie saßen in einem kleinen Diner, das neben einer Tankstelle lag. Die Tankanzeige des Impala war schon tief im roten Bereich gewesen und sie hatten die Gelegenheit gleichfalls genutzt, sich etwas Essbares zu besorgen. Gedankenverloren starrte Adam aus dem Fenster. Er wusste nicht so recht woran er hier war. Was verschwiegen ihm seine Brüder? Sam wollte ihm etwas zeigen oder erklären, was Dean vollkommen ablehnte. Sie hatten sich wegen ihm gestritten und jetzt war der Ältere verschwunden und Sam schien sich wirklich Sorgen zu machen. Warum? Wohin war Dean gegangen? Wieso hatte er sein Handy weggeworfen? Warum hatten sie sich überhaupt gestritten. Was hatte er überhört? Wieso wollte Dean ihn nicht in seinem Leben haben? Er verstand es einfach nicht. Plötzlich erstarrte Adam. Draußen stieg seine Mom in einen Wagen! Er sprang auf und rannte nach draußen. „Mom!“, brüllte er und hetzte dem Wagen hinterher. „Mom, warte!“ Doch sie fuhr einfach weiter. Sam war ebenfalls aufgesprungen, trank seinen Kaffee aus und warf einen Schein auf den Tisch. Schnell stopfte er seinen Rechner in den Rucksack und folgte dem Jüngeren. „Was war?“, empfing er Adam, der mit hängendem Kopf auf ihn zukam. „Meine Mom! Sie ist einfach weiter gefahren!“, erklärte er und Sam konnte ihm anhören, dass er die Welt nicht mehr verstand. „Deine Mom?“ „Ja! Sie ist in einen blauen Wagen gestiegen, den ich nicht kenne, und einfach weggefahren. Sie muss mich doch gesehen haben und warum meldet sie sich nicht bei mir? Sie ist doch alles, was ich noch habe!“ Mutlos schniefend sah er Sam an. Kate lebte? Fragend blickte Sam seinem Halbbruder ins Gesicht. „Bist du sicher?“ „Ja, verdammt!“ „Ein blauer Wagen? Hast du dir das Kennzeichen gemerkt?“ „Nein. Aber sie mag keine blauen Autos, die findet sie so kalt und lieblos.“ „Das schreibt sie einer Farbe zu?“ „Sie meinte, rote Autos würden freundlicher aussehen.“ Sam zuckte nur mit der Schulter. Jeder hatte wohl so seine Macke. „Du hast nicht zufällig gesehen, wohin sie gefahren ist?“ „Da hinten links ist sie abgebogen. Mehr konnte ich nicht sehen.“ „Das bring uns nicht weiter!“, stellte Sam etwas mutlos fest. Sie waren hier zwar schon in einem der Randbezirke, aber es gab noch genügend Kreuzungen an denen man abbiegen konnte und die Überwachungskameras anzapfen konnten sie später immer noch. Später, wenn Dean wieder da war. Dean! Sein Magen zog sich zusammen, wenn er an den Älteren dachte. Wo war er nur? Und was sollte er jetzt tun? Was würde Dean tun, wenn er verschwunden wäre und sie einen Fall hätten? Wie hatte Dean ihn immer wieder gefunden, wenn er mal wieder weggelaufen war? Das zu beantworten würde wohl nur sein Bruder können. Deans Instinkte waren ein Mysterium für sich. Seit Flagstaff hatten sie sich weiter entwickelt. Dean schien einen Radar für ihn zu haben, den er für ihn leider nicht hatte. Also blieben zwei Möglichkeiten. Entweder er versuchte den Wirt dieser Bar zu finden oder er wartete bis heute Abend und fuhr jetzt zu dem Kinderheim, um vielleicht das Verschwinden von Kate Milligan aufzuklären. Wenn Adam seine Mom wieder hatte, konnte er sich richtig in die Suche nach Dean knien. Ob er Bobby mal anrief? Aber was sollte er ihm sagen? Dean ist wie von Erdboden verschluckt? Wie klingt das denn? Sie hatten hier einen Fall. Er drängte das schlechte Gefühl zurück. „Wir fahren zu dem Heim. Vielleicht ist deine Mom ja da“, sagte er und zauberte damit ein Lächeln auf das Gesicht den Jüngeren. „Okay, steig ein.“ Schnell waren die Halbbrüder zurück an ihrem Motel. „Was?“, fragte Adam irritiert. Wollten sie nicht zu dem Kinderheim fahren? Was wollten sie hier? „Ich muss nur schnell was holen. Du kannst ruhig hier warten. Bin gleich zurück“, sagte Sam und verschwand in ihrem Zimmer. Wenige Minuten später kam Sam zurück. Er hatte sich in Schale geworfen. „Warum hast du dich umgezogen?“, wollte Adam etwas ratlos wissen. „Im Anzug sieht man seriöser aus. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man so schneller an mehr Informationen kommt.“ „Hätte ich mich dann nicht auch umziehen sollen?“ „Hast du einen Anzug hier?“ „Nein. Ich hab nur einen und der ist in meinem Zimmer am College.“ „Siehst du.“ Adam schwieg. Wollte ihn sein Bruder nicht mit dabei haben? Aber warum nahm er ihn dann mit? Er schwor sich, dass er sich nicht so einfach abschütteln lassen würde. Sam lenkte den Impala ein Stück entfernt von dem Kinderheim an den Straßenrand. „Wieso fährst du nicht weiter?“ „Weil ich alleine hingehen werde. Sie müssen dich nicht zu Gesicht bekommen!“ „Was soll das? Meine Mom ist vielleicht wieder da und ich will mit ihr reden!“ „Du sagst es. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Du bleibst hier und ich gehe.“ „Was soll das heißen „vielleicht aber auch nicht“?“ „Vielleicht hatte sie ihr Leben satt. Vielleicht ist sie ausgebrochen. Vielleicht steht sie unter Drogen.“ Vielleicht ist sie aber auch besessen. Doch das wollte er dem Jungen nicht sagen. Erst musste er sich Gewissheit verschaffen und das allein! „Meine Mom würde nie abhauen und SIE NIMMT AUCH KEINE DROGEN!“, schrie der Jüngere wütend. „Es waren nur Möglichkeiten, Adam! Möglichkeiten, die sein könnten. Ich habe nicht gesagt, dass es so ist. Aber wenn du dabei bist, bekommen wir wahrscheinlich weniger Informationen, als wenn ein Fremder danach fragt. Meinst du, sie würden dir erzählen, wenn sie sich anders verhalten hätte als früher, wenn sie vielleicht gesehen hätten, wie sie Koks nimmt? Nein. Sie wollen dich schonen. Sie wollen es nicht noch schlimmer machen. Einem Fremden erzählen sie so etwas. Der hat keinen Bezug zu der Person. Du bleibst hier und wartest!“ So langsam konnte Sam verstehen, warum Dean früher manchmal sauer auf ihn war, wenn er nicht hören wollte oder immer alles dreimal nachfragen musste. Immer alles erklären zu müssen, konnte wirklich nerven. Aber genau deshalb war es umso wichtiger, dass Adam endlich erfuhr was sein - ihr Vater - war und was sie wirklich machten! Vor der Eingangstür zu dem Heim zog Sam sich seinen Anzug noch einmal gerade und betätigte dann die Klingel. Er hörte Schritte und gleich darauf öffnete sich ein Fenster in der Tür. „Sie wünschen?“, fragte eine freundliche Frau mittleren Alters. „Mein Name ist Sam Stanton. Ich bin Privatermittler und wurde von Adam Milligan beauftragt, seine Mutter zu suchen. Mit wem könnte ich über sie reden?“ „Ich denke, dass Beth Plummer Ihnen am Besten weiterhelfen kann.“ „Beth Plummer?“ „Ja, sie ist die Leiterin dieses Heimes und sie ist mit Kate befreundet. Kommen Sie erst mal rein“, sagte sie und öffnete die Tür. „Ich bin Ida Miller.“ Sie reichte ihm die Hand und lächelte freundlich. „Folgen Sie mir. Es tut uns wirklich leid für den Jungen. Er hatte nur seine Mutter.“ „Deshalb hat er mich auch beauftragt. Er macht sich große Sorgen. War Mrs. Milligan irgendwie verändert, bevor sie verschwand?“, wollte Sam auch gleich wissen, während er ihr in den zweiten Stock des Gebäudes folgte. „Irgendwie schon, aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen kann.“ „Jeder Hinweis kann mir helfen.“ „Sie war distanzierter, kälter. Normalerweise hat sie oft mit den Kindern gesungen und gebastelt, doch dafür schien sie plötzlich kein Händchen mehr zu haben. Und beim Singen klang sie auch nicht wie sonst. Aber vielleicht war sie einfach nur erkältet. Das würde ja vielleicht auch ihre Ungeschicklichkeit erklären.“ Sie wandte sich kurz ab und klopfte an eine Tür. Aus einer Tür am anderen Ende des Ganges kam eine weitere Erzieherin. „Wen hast du denn da, Ida?“ „Hallo Ewa. Mr. Stanton ist Privatermittler. Er sucht Kate.“ „Oh“, machte sie und sah dabei einen Augenblick irgendwie unglücklich aus. Doch viel zu schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle. „Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.“ Schnell schob sie sich an Sam vorbei und ging nach unten. Dem Winchester blieb keine Zeit über die Gefühlsregungen der Frau zu sinnieren. Die Tür wurde geöffnet und eine attraktive, resolut wirkende Mittfünfzigerin blickte ihnen entgegen. „Wen bringen Sie mir da, Ida?“ „Mr. Stanton. Er ist Privatermittler und soll Kate finden.“ „Dann kommen Sie mal rein.“ „Brauchen Sie mich noch? Ich würde gerne wieder zu den Kindern, die Hausaufgaben ...“ „Natürlich, Ida. Gehen Sie ruhig.“ Mit einem Lächeln verabschiedete sich die Erzieherin und lief die Treppe hinunter, während Sam von Mrs. Plummer in ihr Büro gebeten wurde. „Sie suchen also nach Kate?“, begann sie das Gespräch. „Ja, ihr Sohn, Adam Milligan, hat mich angeheuert. Er macht sich große Sorgen um seine Mutter. Er meinte, es wäre nicht ihre Art einfach so zu verschwinden.“ „Er hat mir gar nichts davon erzählt“, überlegte sie laut und wies auf einen Stuhl. „Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie einen Kaffee?“ „Danke, gern“, erwiderte Sam und ließ sich auf einem gemütlich aussehenden Sessel nieder, der nicht nur so aussah. „Mit viel Milch, bitte.“ Mrs. Plummer hantierte an der Kaffeemaschine. „Kate Milligans Verschwinden“, hakte Sam nach. „Nein, das ist wirklich nicht ihre Art. Kate hat hier fast zehn Jahre gearbeitet. Sie hat sich damals hier beworben, kaum dass sie von Twin Falls hierher gezogen waren. Sie hatte wunderbare Referenzen und sie hätte, nachdem Miss Steineck in Rente gegangen war, ihren Posten übernehmen können, doch sie wollte weiterhin mit den Kindern arbeiten. Verwaltungskram war ihr zu trocken. Der ist dann an mir hängen geblieben“, erzählte sie und lächelte den Winchester offen an. „Und Sie sagen das nicht nur, weil Kate Milligan jetzt verschwunden ist?“, hakte Sam ruhig nach. „Nein. Kate und ich sind Freundinnen. Wir haben zusammen Urlaub gemacht. Unsere Kinder sind zusammen zur Schule gegangen. Es tut mir so unendlich Leid für Adam. Ich weiß nicht, was mit Kate los war. Sie hatte sich in den letzten Wochen verändert. Sie war kälter, ruppiger. In den letzten Tagen bevor sie verschwand, sah sie regelrecht aufgeschwemmt aus und ich hatte den Eindruck, sie wäre schwanger, aber das konnte nicht sein. Wenn sie einen Freund oder Partner gehabt hätte, hätte sie es mir erzählt. Sie mochte Adams Vater, auch wenn sie nur selten Kontakt zu ihm hatte!“ Sam nickte knapp. Das war nicht das, was er hören wollte. Und irgendwie war er froh, dass Dean in diesem Moment nicht hier war und das hören musste. Ihm hätte es wohl richtig weh getan. „Was wissen Sie über ihn?“, fragte er professionell. „Nicht viel. Sie hat kaum von ihm gesprochen. Er war wohl Mechaniker. Sie hat ihn in Twin Falls kennengelernt.“ „Sonst wissen Sie nichts?“ „Nur noch, dass er John heißt. Aber Adam müsste mehr wissen. Hin und wieder hat Kate erzählt, dass er übers Wochenende kam, oder mal ganz plötzlich vor der Tür stand.“ „Danke. Ich werde den Jungen fragen. Vielleicht weiß ja sein Vater etwas über ihren Verbleib.“ Kapitel 40: Ein neuer Feind --------------------------- 39) Ein neuer Feind Sam blickte aus dem Fenster. „Das Heim wird privat geführt?“, schoss er ins Blaue. Das Haus sah sehr gepflegt aus. Es lag etwas abseits der Straße und hatte, soweit er sehen konnte, einen großen Garten. Also entweder das, oder sie hatten kürzlich einen großzügigen Scheck von der Stadt bekommen, um hier alles zu erneuern. Das allerdings schloss Sam fast aus, bei dieser Wirtschaftslage. „Dieses Heim untersteht selbstverständlich dem Jugendamt, aber wir haben auch eine Stiftung, die dieses Haus unterstützt. Dadurch können wir uns etwas mehr an Ausstattung und Personal leisten und das kommt auch den Kindern zugute. Bessere Schulausbildung bringt bessere Arbeit und das erhöht letztendlich das Stiftungskapital. Es gibt hier im Staat Minnesota inzwischen 14 Kinderheime, die zur Stiftung gehören.“ „Das klingt beeindruckend“, sagte Sam. „Das ist es auch.“ „Sie haben Kate als vermisst gemeldet?“ „Ja. ihr Wagen stand hier, aber sie war nicht da und als sie am zweiten Tag auch nicht hier aufgetaucht ist, ich sie zu Hause nicht erreicht habe und Adam auch nichts wusste, habe ich die Polizei angerufen.“ „Was haben die gemacht?“ „Nichts. Sie ist erwachsen und noch nicht lange genug weg.“ „Also wie immer“, resignierte Sam. „Ja.“ „Dann werde ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten“, sagte Sam und deutete auf das blinkende Telefon. Er erhob sich, kramte eine Karte aus seiner Tasche und hielt sie ihr hin. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt …“ „Rufe ich Sie an. Und wenn Sie Kate finden …“ „Werde ich Ihnen Bescheid geben“, vollendete er jetzt ihren Satz. „Danke. Ich mache mir wirklich Sorgen.“ „Ich finde den Weg“, wehrte er ab, als sie sich ebenfalls erhob. Sie nickte lächelnd und griff nun endlich nach dem Telefon. Langsam ging Sam die Treppen hinunter. Adam lehnte am Kotflügel des Impala. „Was hast du rausgefunden?“, bestürmte er Sam sofort. „Nichts, was uns auf die Schnelle weiterbringt. Ich muss einiges recherchieren, aber jetzt, im Moment, hab ich keine heiße Spur.“ Es gab tatsächlich einiges, was ihn an Beths Aussage stutzig gemacht hatte, doch das würde er Adam so nicht auf die Nase binden. Vielleicht wusste er ja morgen schon mehr. „Und was gab es hier Neues?“, versuchte er abzulenken. Adam schluckte, über der Hoffnung, mehr über seine Mutter zu erfahren, hatte er fast etwas Wichtiges vergessen. „Der kleine blaue Wagen, in dem meine Mom heute Morgen weggefahren ist, ist hier entlang gerast. Allerdings saß meine Mom nicht drin, sondern eine dunkelhaarige Frau.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja. Der Wagen hatte hinten einen „I love NY“-Aufkleber.“ „Den haben viele.“ „Schon. Aber es war der Wagen! Und ich habe das Kennzeichen.“ „Okay?“ „537 GBL“ „Gut. Ich will nachher mal sehen, was ich machen kann. Hier werden wir wohl heute nichts mehr finden.“ „Du willst aufgeben?“ „Was sollen wir hier deiner Meinung nach denn noch tun?“ „In das Heim zurückgehen und fragen, wer sie war?“ „Und was willst du damit erreichen? Sie warnen?“, wollte der Winchester spöttisch wissen. „Wieso sie warnen? Sie ist doch weggefahren.“ „Und wenn sie Komplizen hat?“ „Warum bist du eigentlich hier? Dir scheint doch das alles egal zu sein“, schrie Adam den Größeren wütend an. „Willst du meine Mom überhaupt finden?“ „Wenn ich nicht nach deiner Mutter suchen wollte, wäre ich bestimmt nicht hier. Falls es dir entgangen sein sollte: Mein Bruder ist ebenfalls verschwunden! Und du kannst mir glauben. Dean hat in meinem Leben oberste Priorität! Er ist mein Bruder, er hat mich aufgezogen, er war immer da, wenn ich ihn brauchte. Meinst du, es fällt mir leicht hier rumzustehen und mit dir zu diskutieren und dabei zu wissen, dass er vielleicht irgendwo leidet? Er ist mit Sicherheit nicht freiwillig abgehauen. Das tut Dean einfach nicht und selbst wenn er mal Ruhe hätte haben wollen, hätte er sein Handy nicht weggeworfen. Also hör gefälligst auf zu jammern. Ich verspreche dir: Wir werden sie beide finden!“ Adam nickte betreten. Sam hatte ja Recht. Sie suchten nicht nur seine Mom. Warum musste das alles so kompliziert sein? „Okay“, erwiderte er betreten. „Und was willst du jetzt machen?“ „Die Bar hat noch zu. Ich denke, wir fahren noch mal bei euch vorbei und schauen, vielleicht ist deine Mutter ja wieder da und es gab eine ganz einfache Erklärung für ihr Verschwinden.“ „Glaubst du dran?“ „Ganz ehrlich? Es war noch nie etwas einfach, was das Leben der Winchesters betraf und da du dazu gehörst – Nein.“ Schmerzen! Alles was Dean fühlte, als das Bewusstsein wieder in seinen Körper zurückkehrte, waren Schmerzen. Seine Nieren pochten unangenehm und die Rippen jagten bei jedem Atemzug etwas durch seinen Körper, das einem Stromschlag verdammt ähnlich war. Immerhin schienen seine Handgelenke und die komplette Muskulatur der Arme, bis zu den Schultern, fast taub zu sein. Er fühlte nur ein leichtes Kribbeln. Aber vielleicht waren die anderen Schmerzen auch einfach nur zu stark? Die drei Furien hatten ihn regelrecht durch den Fleischwolf gedreht. Ein leises Stöhnen quälte sich über seine Lippen, als er versuchte sich aufzurichten. „Na endlich, ich dachte schon sie hätten dir das Licht ausgeknipst“, ertönte eine Stimme, die seine Nackenhaare dazu brachte, sich aufzurichten. Er hob den Kopf und blinzelte sein Gegenüber an. Der Anblick raubte ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, den Atem und er versuchte rückwärts auszuweichen. Ein leises Klirren war zu hören und seine Fußgelenke stießen gegen einen Widerstand. Für einen Augenblick vergaß er die Grässlichkeit des Dämons vor sich und starrte irritiert auf seine Beine. In der Dämmerung seines Gefängnisses konnte er jedoch nicht viel erkennen. „Brauchst du Licht?“, wollte der Typ spöttisch wissen und ohne dass der Winchester eine Antwort gegeben hatte, flammten auch schon die Lichter auf. Dean brauchte eine Weile, um sich an die beißende Helligkeit zu gewöhnen. Dann schob er sein Becken etwas nach hinten und starrte, die Schmerzen, die sofort wieder durch seinen Körper jagten ignorierend, an sich herab. Ungläubig hob er seinen Fuß etwas an. Wieder klirrten die Ketten. Diese Weiber hatten ihm Fußfesseln angelegt, die mit einer nur wenige Glieder langen Kette an einem Ring im Boden befestigt waren. Jetzt hatten sie ihm wirklich jede Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit einer weiteren Gegenwehr genommen. Nicht dass er in Moment auch nur daran denken konnte, so wie er sich fühlte, aber vielleicht wären seine Kräfte ja zurückgekehrt, wenn eine der Monsterweiber vor ihm stand. Ein weiteres Stöhnen entrang sich seiner Kehle. „Die haben dich ja mächtig vermöbelt“, sagte der Typ vor Dean, ohne wirkliche Emotionen. Wieder ruckte Deans Kopf hoch. Den hatte er für den Augenblick ja fast vollkommen vergessen. Wie konnte er nur? Vor ihm stand ein Dämon und er befasste sich nur mit sich selbst! „Bist du nur gekommen, um mich darauf hinzuweisen? Dazu brauche ich dich nicht!“, antwortete er und versuchte seiner Stimme einen möglichst festen Klang zu geben. „Dean, Dean, Dean!“, schnarrte der Kerl süffisant. „Nein, ich hab gehört, dass dich jemand hat und das konnte ich mir nicht entgehen lassen.“ „Toll. Jetzt hast du gesehen, was du wolltest, also verschwinde wieder!“ „Wer wird denn so unfreundlich sein?“ „Aus welchem Grund sollte ich nett mit dir plaudern?“, knurrte der Winchester genervt. Er war einer Gesellschaft bestimmt nicht abgeneigt, einer Gesellschaft, die ihm zur Flucht verhelfen konnte. Nicht diesem widerlichen Ding! „Wer wird denn so unfreundliche Dinge denken?“, schnarrte der Dämon. Dean zuckte zurück. Doch er fing sich schnell. „Wer bist du?“, wollte er wissen. „Mein Name ist Alistair.“ Der Kerl lächelte ekelerregend. Seine Augen wurden weiß. Der Dämon stand also auf einer Stufe mit Lilith! Unangenehme Erinnerungen breiteten sich in Dean aus. „Alistair!?! ... Du wolltest Anna!“, stellte er fest und konzentrierte sich wieder voll auf sein Gegenüber. „Wieder ein Vorhaben, das du durchkreuzt hast. Du wirst lästig!“ „Das tut mir aber sowas von leid“, lästert der Winchester. Alistair machte eine kaum sichtbare Handbewegung und schon schnürte etwas Deans Hals zu. „Ich erwarte etwas mehr Respekt!“, donnerte der Dämon. Schon bald krampfte sich Deans Brustkorb zusammen und er versuchte hilflos nach Luft zu schnappen. Bunte Kreise drehten sich vor seinen Augen. Und dann war der Druck plötzlich weg. „Ich kann dir das Leben zur Hölle machen!“, sagte er mit ekelerregend weicher Stimme. „Erzähl mir was Neues“, krächzte Dean kaum hörbar. „Ich soll dich von deinem Daddy grüßen!“ Alistair begann vor ihm auf und ab zu gehen. „Dad ist tot und er ist schon lange nicht mehr in der Hölle!“ Was wusste der Dämon schon von seinem Vater? „Ich weiß. Aber davor haben wir viel Spaß miteinander gehabt.“ „Was hattest du mit ihm zu schaffen, du widerliches Schwein?“ „Etwas mehr Respekt!“, donnerte der Dämon. Er holte aus und rammte seine Faust in die Rippen des wehrlos gefesselten Winchesters. Ein trockenes Knacken hallte durch den Raum. Dean keuchte als eine weitere Rippe brach. „Nur weiter so! Kürze es ab“, forderte er rau. Alistair blickte ihn interessiert an. „Ihr Winchesters seid ungewöhnlich. Egal was man euch für Knüppel in den Weg wirft, ihr schafft sie beiseite. Ihr wäret perfekt. Sammy, so wundervoll von Azazel vorbereitet und du? Trotz allem rechtschaffen. Und dann auch noch Brüder!“ „Er heißt Sam!“, keuchte Dean und zerrte an den Ketten. „Ich kann dich hier raus lassen.“ „Klar!“, höhnte Dean. Der Dämon schnippte mit den Fingern und die Handschelle an seiner Linken löste sich etwas. „Und du hast dabei so gar keinen Hintergedanken?“ „Ein kleiner Deal? Du bekommst dieses Mal auch zehn Jahre. Mit Sammy! Du und Sammy gegen den Rest der Welt. Wie hört sich das an?“ „Vergiss es!“ „Ich könnte dir auch deinen sehnlichsten Wunsch erfüllen.“ „Du verschwindest endlich?“ Alistair trat ganz dicht vor den Winchester. Er umfasste dessen Kinn und zwang ihn, seinen Blick zu erwidern. Wut funkelte in seinen eisigen Augen. „Reiz mich nicht, Dean!“ „Wasch wills zu tun? Isch verrecke hier eh“, nuschelte der Winchester. „Du hast die Wahl. Ich bring dich hier raus und du bekommst ein Leben mit deiner Familie, wie du es dir immer gewünscht hat, oder ich werde dafür sorgen, dass du jede Minute, die du hier hängst in vollen Zügen genießen kannst. Keine gnädige Dunkelheit, die dich umfangen wird, lange bevor es vorbei wäre.“ „Ein Leben mit meiner Familie? Außer Sam sind alle tot! Verbrannt! Dagegen kannst auch du nichts unternehmen. Du kannst sie nicht zurückholen!“ „Aber es könnte sich für dich so anfühlen!“ „Hältst du dich jetzt auch noch für ein Dschinn?“ Alistairs Augen blitzten boshaft. „Du willst also, dass ich hier hänge. Wie viele Tage sind zehn Jahre? Oder soll ich zehn Jahre hier hängen?“ Dean spuckte das Blut, dass sich in seinem Mund gesammelt hatte dem Dämon vor die Füße. „Du kleines mieses Menschlein! Bildest du dir ein, du bist etwas Besseres? Nur weil du Azazel getötet hast und Lilith wegen dir gestorben ist? Du hast meine Pläne vielleicht zum Stocken gebracht, aber du hast sie nicht vereitelt! Du bist armselig und austauschbar. Es wird andere geben wie dich. Andere wie Sammy“, erklärte der Dämon überheblich. Mit einem weiteren Fingerschnippen schloss sich die Handschelle wieder fest um Deans Gelenk. Er trat an den Winchester heran und legte ihm seine Hand auf die Stirn. Fest krallten sich die langen, knochigen Finger in dessen Schädel. Der Winchester unterdrückte ein Stöhnen, bis er plötzlich das Gefühl hatte, dass ein heißes Messer durch sein Gehirn schnitt. Gequält schrie er auf. Der Dämon ließ kalt lächelnd von ihm ab. „Ich wünsche dir ein fröhliches Sterben. Du wirst dich noch früh genug verfluchen, mein Angebot nicht angenommen zu haben!“ „Leck mich!“, keuchte Dean hasserfüllt. Alistair schlenderte zur Tür. Er griff nach der Klinke und drehte sich noch einmal um. Es bedurfte wieder nur einer kleinen Handbewegung und schon jagte ein weiterer Schmerz durch Deans linkes Bein. Unmöglich sich weiter auf diesem zu halten, sackte er zusammen. Seine Schultermuskulatur krampfte und er schrie gepeinigt auf. Heiß pochte die Stelle, an der sich der gebrochene Knochen in sein Fleisch bohrte. Endlich verschwand Alistair durch die Tür. Nur sein hämisches Lachen hallte noch eine Weile durch die Mauern. Kapitel 41: Erste Ermittlungsergebnisse --------------------------------------- @ Vanilein - ja, Sam ist nicht Dean. Und manchmal ist der ein wenig ... naja, er war eben immer der kleine Bruder, für den der große den Weg schon geebnet hat. 40) erste Ermittlungsergebnisse Sam atmete erleichtert auf, als die Tür ihres Motelzimmers ins Schloss fiel. Kleine Brüder nervten! Aber wo Dean vor Monaten meistens einfach nur niedlich war, war Adam anstrengend. Natürlich konnte er all das, was sie in Jahren gelernt hatten nicht wissen und er wollte es ihm lieber früher als später beibringen, aber zuerst musste er dringend zwei Menschen finden und da war ein unwissender kleiner Bruder wirklich mehr als hinderlich. Er setzte sich an den kleinen Tisch in seinem Zimmer und versuchte etwas zu dem Nummernschild herauszubekommen. Adam hatte sich endlich bereit erklärt, ihnen etwas zu Essen zu holen, immerhin das konnte er. Sein Halbbruder kam gerade zurück, als Sam seinen Laptop zur Seite schob. „Und?“, wollte Adam sofort wissen. „Nichts. Die Nummernschilder wurden vor vier oder fünf Wochen gestohlen und gehörten eigentlich zu einem weißen Chrysler. Woher der kleine Blaue stammt, kann ich nicht sagen. Hier fahren viel zu viele mit einem Golf rum.“ Adam nickte nur traurig und begann dann den Tisch zu decken. Immer wieder warf er einen Blick zu Sam. Der war so … Er hatte immer gedacht, Dean wäre derjenige, der gegen alles wäre, was ihn betraf, und hier das Sagen hatte, aber so langsam fragte er sich, wer von beiden wohl der Verständigere war. Irgendwie schien Sam von ihm zu erwarten, dass er genau wusste, was er tun und was er lassen musste. Und er schien zu erwarten, dass er seine Gedanken lesen können müsste. Waren seine Brüder so aufeinander eingespielt? Aber warum? Sie waren beide erwachsen. Sollten sie nicht eigene Wege gehen? Eigene Familien und Freunde haben? Warum machte der sich erst kam Sorgen um Dean und dann war er kaum noch ansprechbar? Klar war es mehr als komisch, dass der sein Handy weggeworfen haben sollte, aber trotzdem blieb die Frage, wieso sie so aufeinander hockten. Hatte Sam in dieser Beziehung das Sagen? Und was zum Teufel war das eigentlich für eine Beziehung? Waren die beiden vielleicht gar keine Brüder? Waren sie ein Paar und versteckten sich nur hinter dieser Behauptung? Schweigend deckten sie den Tisch fertig und auch während des Essens fiel kein Wort. Sam grübelte viel zu sehr über das nach, was für eine Kreatur seinen Bruder haben könnte und Adam versuchte sich noch immer ein Bild über seine Brüder zu machen. „Ich will nachher in die Bar“, sagte Sam plötzlich und riss den Jungen aus seinen Gedanken. „Kommst du mit?“ „Nein, ich denke ich bleibe hier und lerne für die Schule. Eine Klausur habe ich schon verpasst“, überlegte der Milligan. Dass ihm im Moment jede andere Person, oder gar keine, lieber war als Sam, wollte er dem besser nicht auf die Nase binden, doch es war so. Im Moment fühlte er sich in dessen Gesellschaft einfach nur unwohl. Außerdem wollte er sich in Ruhe darüber klar werden, wie es weitergehen sollte und was er wollte. Mal abgesehen davon, dass er in der Bar eh kein Bier bekam, denn er bezweifelte stark, dass Sam ihm eins ausgeben würde. Der Winchester wollte erst auffahren, immerhin sollte Adam hier ja was lernen, aber dann winkte er nur ab. So würde er schneller und besser nach Dean fragen können und, falls ihm diese Erzieherin wirklich über den Weg laufen sollte, dann hätte er keinen Hitzkopf bei sich, den er bremsen müsste. Ja, es war besser, wenn er alleine unterwegs wäre. Adam würde ihm nur hinderlich am Rockzipfel hängen. Wurde Zeit, dass er Dean fand, damit sie beginnen konnten, den Jungen richtig auszubilden! „Okay, ich fahre alleine. Soll ich noch bei dir reinkommen, wenn ich wieder hier bin, oder reicht es dir, wenn wir das morgen besprechen?“ „Ich denke, morgen reicht.“ Unschlüssig stand der Junge noch kurz im Zimmer rum. Dann wandte er sich zum Gehen. „Hast du ein Foto von deiner Mutter?“, fragte Sam noch. „Ja. Ist aber schon älter.“ „Kannst du es mir leihen?“ „Ja“ Adam nickte, holte es aus seiner Brieftasche und reichte es Sam. Seine Mine allerdings widersprach seiner prompten Zustimmung. „Du bekommst es wieder!“ „Davon gehe ich aus!“ Jetzt verließ der Jüngere endgültig das Zimmer und auch Sam griff nach seiner Jacke. Der Winchester betrat die Bar und schaute sich suchend um. Noch herrschte hier Ruhe. Es waren nur zwei Tische und einige Stühle an der Bar besetzt. Sam suchte sich einen freien Platz am Tresen, von dem aus er den Raum und den Eingang gut im Blick hatte. Er bestellte sich ein Bier und versank in seinen Grübeleien. Was sollte er mit Adam machen? Er fand es unverantwortlich von seinem Vater, dass der den Jungen aus dem Jägerleben herausgehalten hatte. Jetzt hatten sie den Schlamassel. Adams Mutter war verschwunden und das hing bestimmt mit John Winchester zusammen. Auf ihrer Familie lag ein Fluch. Er hatte das schmerzhaft lernen müssen, genau wie Dad und jetzt auch Adam. Nur Dean hatte sich widerspruchslos in sein Schicksal gefügt. Er war verschont geblieben. Obwohl? Sein Bruder hatte eine Mutter verloren, genau wie Adam. Auch er kannte den Verlust eines geliebten Menschen. Aber warum wollte er dann nicht verstehen, dass es besser war Adam ebenfalls in die Jagd einzubinden und ihm so einen weiteren Verlust zu ersparen? War nur die Frage, wie er ihrem Halbbruder am besten von ihrem Kampf gegen das Böse erzählen und wie er ihn in die Jagd einführen sollte. Aber darüber konnte er sich immer noch den Kopf zerbrechen, wenn er Dean und Kate gefunden hatte. Menschenleben gingen hier eindeutig vor und nichts war wichtiger als Deans Leben! Er ließ seinen Blick durch die, sich nur langsam füllende Bar gleiten und winkte dann den Barmann zu sich. Er bestellte ein weiteres Bier und als er das bekam, sprach er ihn an. „Ich suche meinen Bruder.“ Er holte sein Handy hervor und zeigte dem Mann ein Foto. „Haben Sie ihn gesehen?“ „Der war gestern Abend hier. Hat was getrunken und ist dann zu Kate, um mit ihr zu reden. Sie sind gemeinsam weg“, erzählte der Mann freimütig. „Kate?“ Sam zog ein Foto hervor. „Diese Kate?“ „Ja, genau. Sie sieht jetzt etwas älter aus, aber sonst. Ja, diese Kate.“ „Kam sie öfter hierher?“ „Warum sollte ich Ihnen das sagen?“, wurde der Mann jetzt misstrauisch. „Sie ist die Mutter unseres Cousins und sie meldet sich nicht mehr bei ihm. Er macht sich wirklich große Sorgen.“ „Na dann scheint ihr Bruder sie ja gefunden zu haben.“ „Das wohl. Leider ist er jetzt mit ihr verschwunden. Also bitte, kommt sie oft?“ „Sie ist öfter da, aber unregelmäßig. Die letzten Tage war sie nicht hier. Gestern kam sie mal wieder. Sie hatte zwei Männer im Schlepptau. Ihr Bruder hat ihr wohl die Nacht verdorben. Sie war ziemlich angepisst. Ganz ehrlich? Ihr Cousin sollte froh sein, diese Mutter los zu sein. Sie scheint ein ziemliches Flittchen zu sein! Aber das haben Sie nicht von mir!“, flüsterte er. Sam nickte. „Eine Frage noch: Haben Sie mitbekommen, wohin sie mit meinem Bruder wollte?“ „Nein leider nicht.“ „Okay, Danke!“ Der Winchester schob dem Mann einen Schein über die Theke, trank sein Bier aus und orderte noch ein weiteres, darauf hoffend, dass diese Kate heute hier auftauchen würde. Während er trank, überlegte er sich, wie er die Frau trotzdem ausfindig machen könnte. Sie hatte den kleinen blauen Golf gefahren, mit dem eine Erzieherin Stunden später dann aus dem Heim abgehauen war. Da musste es einen Zusammenhang geben. Okay, er würde mal wieder die Überwachungskameras der Straßen anzapfen und den Weg der beiden verfolgen. Das würde ihn zwar die halbe Nacht kosten, aber wenn es zu Dean führte, war das den Preis mehr als wert. An diesem Abend hatte Sam kein Glück. Er war einer der letzten Gäste, die das Lokal verließen. Leider war Kate nicht aufgetaucht. Und ihre Freundin auch nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Er trank sein Bier aus und machte sich auf den Weg, zurück zum Motel um sich dort den Rest der Nacht um die Ohren zu schlagen. Energisches Klopfen riss Sam aus dem Schlaf. Orientierungslos blickte er sich um. Wieder donnerte jemand gegen die Tür. Er stemmte sich hoch, blinzelte in das trübe Tageslicht und setzte sich auf. Erneutes Klopfen ließ seinen Geduldfaden reißen. „Ja verdammt! Ich komm ja schon!“, brüllte er wütend, stapfte ungehalten zur Tür und riss diese auf. „Was?“, blaffte er unfreundlich. „Ich hab Frühstück besorgt und ich …“, unschlüssig brach Adam ab und starrte Sam irritiert an. Sein älterer Bruder war irgendwie vollkommen zerknautscht, so als hätte er in seinen Sachen geschlafen und seine Haare standen wirr nach allen Seiten ab. Das sah schon irgendwie lustig aus! Heldenhaft versuchte er das Lachen zu unterdrücken. „Soll ich später wiederkommen?“, fragte er und starrte dabei auf den Türrahmen. „Wie spät ist es?“ „Fast neun. Ich wusste nicht, wie lange ihr sonst schlaft, deshalb hab ich bis jetzt gewartet.“ „Was neun? Verdammt!“, knurrte der Winchester und stürzte, ohne Adam weiter zu beachten, ins Bad. Der nahm das als Einladung und betrat das Zimmer. Er deckte den Tisch und verteilte das Frühstück. Hoffentlich war etwas dabei, was Sam mochte. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und wartete, bis das Rauschen der Dusche aufhörte und Sam mit nassen Haaren, Zahnbürste im Mund und Handtuch um die Hüften, Minuten später wieder ins Zimmer stürzte. Hektisch suchte der sich frische Kleidung zusammen und schon knallte die Badezimmertür wieder hinter ihm zu. Weitere zehn Minuten später kam er wieder. Jetzt sah er endlich so aus, wie Adam ihn kannte. „Hast du was rausgefunden?“, wollte er auch sofort wissen. Sam verdrehte die Augen. Konnte er nicht erst mal einen Kaffee haben und richtig wach werden? Er kniff die Augen zusammen und dachte nach. „Nein, ich hab keine Ergebnisse. Dean war gestern, vorgestern in der Bar. Er ist mit einer Frau rausgegangen und danach verliert sich seine Spur.“ Sie mussten unbedingt reden! Dieses Rumgeeiere musste aufhören! „Hör zu Adam. Wir müssen reden, doch zuerst müssen wir Dean und deine Mutter finden. Danach werde ich dir alles erklären. Okay?“, sprach Sam diesen Gedanken auch sofort aus. Unschlüssig nickte Adam. Was gab es da noch zu erklären? Seine Brüder waren Privatermittler, und? ‚Ja, Dean schien der, war Härtere das richtige Wort? Der Härtere zu sein, aber er war auch geradliniger. Sam verwirrte ihn. In einem Augenblick war er freundlich und wollte erklären und im anderen wurde er herrisch und schien etwas vorauszusetzen, vom dem er nicht wusste, was es war. Vielleicht verstanden sich die beiden Älteren ja wirklich blind. Er konnte Sam jedenfalls nicht lesen. Der Winchester öffnete eine der Tüten, die Adam mitgebracht hatte. Sie enthielt Bagels mit Salat und Putenbrust. Sofort holte er sich einen heraus und biss hinein. „Danke“ „Ich wusste nicht, was du magst. Aber da du gestern nur Salat gegessen hast, dachte ich …“ „War genau richtig. Danke“, bestätigte Sam noch einmal. Mit dem zweiten Bagel in der Hand stand er auf, ging zu seinem Bett und kam mit einer Straßenkarte wieder. Er zeigte auf ein rotes, eingekreistes Kreuz. „Hier hab ich den blauen Golf zuletzt orten können, als deine Mutter ihn gefahren hat. Hier“, er zeigte auf ein weiteres Kreuz mit Kringel, „als uns diese Erzieherin entwischt ist. Die nächsten Verkehrskameras sind hier, hier und hier.“ Dieses Mal tippte er auf einfache Kreuze. „Aber weder deine Mutter noch diese Frau sind hier vorbei gekommen. Hast du eine Ahnung, was in diesem Gebiet“, er zog einen roten Kreis, der die Kreuze miteinander verband, „ist?“ „Nein. Aber wie hast du das rausgefunden?“, staunte Adam. „Wir haben da so unsere Mittel und Wege.“ Der Milligan legte den Kopf schief und musterte Sam weiterhin fragend. „Kannst du das Gebiet nicht weiter eingrenzen?“ „Nein. Es sind zu viele Abzweigungen, die sie genommen haben könnten. In dieser Gegend gibt es keine Kameras. Hier scheint auch kaum einer zu wohnen. Viel Wald, einige Felder und ein paar Höfe.“ Er schob sich den Rest seines Frühstücks in den Mund. Adam schüttelte bedauernd den Kopf. „Okay, dann müssen wir anders vorgehen. Ich werd nachher zum Heim fahren und warten, bis diese Erzieherin auftaucht. Dann kann ich dem Wagen eine Wanze verpassen und wir wissen, wohin sie verschwindet. Willst du mitkommen?“ „Gerne“, antwortete Adam sofort. Alles war besser als hier rumsitzen und Däumchen drehen. Außerdem bot ihm sein Bruder einen Weg, seine Mutter zu finden. „Dann los.“ Kapitel 42: Nicht wie erwartet ... ---------------------------------- 41) Nicht wie erwartet ... Sam parkte den Impala gerade auf einem kleinen Seitenweg, als sein Handy klingelte. Mit einem tiefen Atemzug ging er dran. „Hey, Bobby“ „Schön, dass sich wenigstens mal einer von euch meldet! Kannst du dir vorstellen, dass ich mir Sorgen gemacht haben könnte?“ „Bobby, es tut …“ „Spar dir deine Ausreden. Wo seid ihr?“ „In Windom, Minnesota. Wir haben hier einen Fall, der ziemlich kniffelig zu sein scheint.“ „Ist es also doch ein Fall?“ „Woher weißt du?“ „Dean hat mich vorgestern angerufen und etwas von einem Bruder erzählt.“ „Ja irgendwie schon, aber wir sind mit dem Fall noch keinen Meter weiter gekommen. Hör zu Bobby, ich melde mich, wenn der Fall gelöst ist“, versuchte Sam ihn abzuwürgen. „Was verschweigst du mir?“ Natürlich hörte das der alte Freund sofort! Sam seufzte innerlich: „Dean ist verschwunden. Ich hab noch keine Ahnung wo er sein könnte“, rückte er also mit der bitteren Wahrheit raus. „Nicht schon wieder Dean!“, stöhnte der Jäger. „Wie kann ich dir helfen?“ „Ich habe noch ein paar Spuren, denen ich nachgehen will. Ich denke, ich werde ihn schon bald gefunden haben“, versuchte der Winchester einen Optimismus zu verbreiten, den er nicht fühlte. „Und der Junge?“ „Darüber reden wir, wenn wir Dean und seine Mutter gefunden haben.“ „Halt mich auf dem Laufenden!“ „Ja, mache ich. Grüß Jody!“ Ein kurzes Grummeln drang an Sams Ohr und dann war die Verbindung unterbrochen. Mit einem echten Seufzen steckte er sein Telefon wieder ein. War ja klar, dass er Bobby nicht täuschen konnte. „Ein Freund?“, fragte Adam. Sam starrte ihn entgeistert an. Für einen Augenblick hatte er ihn glatt verdrängt. „Ja“, sagte er dann. „Ich schau mich mal draußen um. Bleib hier, vielleicht kommt der Wagen ja vorbei.“ Adam nickte. Er spürte, dass der Ältere nicht darüber reden wollte, also schwieg er. Langsam wurde dem Milligan die Zeit lang. Es passierte nichts und Sam war auch noch nicht wieder zurück. Er begann sich in dem Wagen umzusehen. Aber hier gab es nichts zu entdecken. Er rutschte etwas weiter nach vorn. Sein Knie stieß gegen den Verschluss des Handschuhfaches und das Fach sprang auf. Schnell wollte er es wieder schließen. Doch dann siegte seine Neugier und er begann den Inhalt zu untersuchen. Die Handys ließen ihn schon stutzen. Wer brauchte fünf Stück? Allerdings erregte die alte Zigarrenkiste seine Aufmerksamkeit noch mehr. Er öffnete die Kiste. Kaltes Entsetzen packte ihn, als er auf die vielen Ausweise schaute, die abwechselnd Deans oder Sams Bild trugen. FBI, Homeland Security, US Wildlife selbst von der Jugendbehörde des Staates Ohio gab es einen Ausweis mit Sams Bild. Wo war er hier rein geraten? Wer waren diese beiden? Waren sie wirklich seine Brüder? Die ganze Sache wurde immer rätselhafter! Okay, Dean war an das Telefon seines Vaters gegangen, aber das hieß ja nichts. Vielleicht hatten die den ja ermordet? Aber wieso sollten sie dann seinen Wagen behalten und das Telefon? „Du reagierst über!“, entschied Adam laut, doch das ungute Gefühl in seinem Magen ließ sich nicht so einfach vertreiben. Er würde Sam genau eine Chance geben, dass hier zu erklären, danach würde er verschwinden. Sollte der doch sehen, wie der seinen Bruder wieder fand, wenn das überhaupt sein Bruder war! Er verschränkte die Arme vor der Brust. Wütend vor sich hin starrend wartete er auf Sams Rückkehr und war nicht nur einmal versucht ohne ein weiteres Wort zu verschwinden. Sam hatte sich in der gesamten Umgebung des Kinderheimes umgesehen. Hier gab es nichts Verdächtiges. Um das Heim war es aufgeräumt, der Spielplatz gut gepflegt und in Schuss. Sie hatten sogar einen eigenen Garten in dem sie Gemüse zogen und einige Obstbäume standen. Sie taten wirklich alles, damit die Kinder sich hier wohlfühlen konnten. Und bestimmt mehr, als sein Dad je getan hatte. Wieso waren sie von ihm so, ja schon fast abweisend, behandelt worden und wieso hatte Adam diese Sonderstellung bekommen? Und warum hatte er sie nicht einfach bei Bobby oder Pastor Jim gelassen. Selbst in einem Heim wären sie wohl besser versorgt gewesen, als bei ihm! Er musste an Dean denken und daran, was er in dessen Erinnerungen gesehen hatte. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Ja! Dean hatte Recht! Dad war nie wirklich ein Vater gewesen. Nicht für sie! Mühsam schluckte er seine Wut herunter und machte sich auf den Weg zurück zum Wagen. Langsam trat er an das nachtschwarze Fahrzeug heran. Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Die Zigarrenkiste auf Adams Schoß verhieß nichts Gutes. Genauso wenig, wie dessen angespannte Miene. Leise schloss er die Tür. Adam starrte ihn mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung an. „Genau darüber wollte ich mit dir reden“, versuchte er ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Klar, hätte ich jetzt auch gesagt!“, erwiderte der Jüngere eisig. „Adam, ich …“, begann der Winchester unsicher. „Ich will keine Ausreden hören, Sam. Ist das überhaupt dein Name? Was an euch ist noch alles gelogen? Seid ihr überhaupt meine Brüder?“ Adam war immer lauter geworden. „Ich heiße Samuel Winchester. Mein Vater war John Winchester und ich wurde nach dem Vater meiner Mom benannt, Samuel Campell. Unsere Familie … Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es ein Fluch. Dean und ich, wir sind in der dritten Generation Jäger. Unser Großvater hat gejagt, Mom, Dad und wir jagen auch.“ „Und was hat Kaninchenschießen damit zu tun?“ Wütend stieß Adam die Zigarrenkiste in die Luft, sodass sich die Ausweise im Fußraum des Wagens verteilten. „Wir jagen keine Kaninchen. Wir jagen Monster. Dämonen, Vampire, Hexen“, erklärte Sam ernst. „Und dein richtiger Name ist Van Helsing! Du solltest dich einweisen lassen!“ Adam reichte es. Er wollte aussteigen. Doch Sam fasste seinen Arm. „Es ist wahr. Wir jagen Monster. Ich kann dich nicht zwingen es zu glauben, doch es wäre besser für dich. Du bist auch ein Winchester. Du hattest eine schöne Kindheit. Sie haben dich in Ruhe gelassen, doch jetzt haben sie dich wahrscheinlich gefunden. Und ich bezweifle, dass sie ihr Wissen nicht einsetzen werden, schon alleine, weil wir ihnen nicht nur einmal auf die Füße getreten sind.“ „Wer ist sie?“ „Dämonen, zum Beispiel.“ „Klar, und der Exorzismus der Emily Rose ist real?!?“ „Nein, nicht wirklich, aber im Groben schon.“ „Du hast doch einen an der Waffel! Du gehörst eingesperrt! Für immer weggeschlossen!“ „Glaub mir, wenn damit all das Böse verschwunden wäre, würde ich gerne gehen.“ „Wieder ein Satz, der wie einstudiert klingt! Egal was du sagst und womit du noch versuchst mich einzulullen. Du lügst und ich will nichts mit einem bekloppten Lügner zu tun haben, geschweige denn verwandt sein!“ Wut, Trauer und Enttäuschung spiegelten sich in Adams Gesicht und seiner Stimme wieder. Er schüttelte den Kopf. „Adam, bitte …“ „Lass es!“, schnitt er Sam das Wort ab. Er hatte genug gehört. Ohne einen weiteren Blick wandte er sich ab, öffnete die Tür und stieg aus. „Adam“, rief Sam noch einmal obwohl er wusste, dass er verloren hatte. Die Tür schlug ins Schloss und der Winchester konnte sehen, wie sein kleiner Bruder mit hochgezogenen Schultern davonlief. „Das hast du ja wirklich toll hinbekommen, Sam!“, schimpfte er mit sich selbst. Hier hatte seine sonst so wunderbare Diplomatie ja wohl restlos versagt. Was sollte er denn jetzt machen? Hinterherlaufen und versuchen ihn davon abzubringen, zu der Polizei zu gehen? Wollte der das überhaupt? Außerdem musste er doch Dean finden! Nur wie? In Gedanken drehte und wendete er diese Frage immer wieder. Ihm fiel kein anderer, schnellerer Weg ein, als auf diese Erzieherin zu warten. Er könnte sämtliche Straßen abfahren, die zwischen den Kamerastandorten waren. Dann hätte er wirklich etwas zu tun und würde nicht nur hier rumsitzen. Allerdings war er nicht sicher, dass er den Wagen fand. Er konnte in einer Garage parken oder gerade hier stehen. Nein, die Idee war nicht so gut. Natürlich könnte er auch in jedes Haus einbrechen, das er fand, aber das würde ihn wohl eher in den Knast bringen und damit wäre Dean nicht geholfen. Durch die Stadt fahren und darauf hoffen, dass er den Wagen zufällig sah, brachte auch nichts. An der Tankstelle warten war auch aussichtslos, es gab schließlich nicht nur eine, und die Bar konnte er im Auge behalten, wenn die Damen hier zur Nachtschicht eingetrudelt waren. Andere Möglichkeiten sah er nicht. Verdammt! Er drosch auf das Lenkrad ein. Wieso kam ihm sein Bruder in letzter Zeit denn immer wieder abhanden? Eigentlich war er doch derjenige, der verschwand. Nicht dass er das nochmal vor hatte. Aber trotzdem! Und wenn er dann noch an Deans Erinnerungen zu Flagstaff dachte, kam er sich gleich noch nutzloser vor. Immerhin hatte sein Bruder alles versucht, um ihn zu finden und er? Er saß hier rum und verlor auch noch Adam! Der Schlüssel wurde rasselnd ins Schloss geschoben und riss ihn brutal in die Wirklichkeit. Metall schabte beim Drehen über Metall und die Falle schnappte zurück. Gleich würde sich die Tür knarrend öffnen und eine seiner Peinigerinnen zu ihm lassen. So tief es seine gebrochenen Rippen zuließen, atmete Dean durch. Vorsichtig belastete er sein verletztes Bein. Verfluchter Dämon! Reichte es nicht, dass er hier hing und seinen Tod häppchenweise serviert bekam? Nein, er musste sich auch noch mit Verletzungen rumplagen, die es ihm zusätzlich schwer machten, dem Tod ins Angesicht zu grinsen. Er richtete sich auf. So einfach war ein Winchester nicht in die Knie zu zwingen! Das Licht flammte auf und zwang ihn dazu, die Augen für einen Moment zu schließen, bevor er herausfordernd zur Tür schaute. Welche der drei Wechselbälger hatte denn jetzt Hunger? Es war eine der beiden, von denen er zwar die Namen wusste, diese jedoch nicht zuordnen konnte. Aber eigentlich war es auch egal, welche ihn dem Tod näher brachte. „Geh in die Knie!“, forderte sie mit leichtem Akzent. „Hol dir `ne Leiter!“, konterte er rau. „Ganz wie du willst!“ Sie nahm den Baseballschläger, der neben der Tür lehnte. Noch einmal atmete er durch. Er wusste, was jetzt kam. Vielleicht wäre es ja sinnvoller einfach die Klappe zu halten, aber wann tat er je etwas, das sinnvoll war? „Letzte Chance“, sagte sie kalt. „Du kannst mich mal!“ Sie zuckte mit einer Schulter, holte aus und knallte ihm den Schläger in die Kniekehlen. Deans Beine gaben nach und er knurrte schmerzerfüllt, als sein Gewicht ruckartig an seinen Schultern und Handgelenken zerrte. „Ich habe es dir angeboten“, sagte sie gefühllos, riss den Stoff seines Shirts noch weiter beiseite und saugte sich an seiner Schulter fest. „Leck mich!“, keuchte er und versuchte die Pendelbewegung seines Körpers aufzuhalten. Erhobenen Hauptes wartete er, bis sie wieder von ihm abließ und erst als sie den Raum verlassen und ihn in der Dunkelheit allein gelassen hatte, gestattete er sich ein weiteres Stöhnen. Er ließ den Kopf auf die Brust fallen und driftete in seine Erinnerungen ab. Alistair hatte ihm zwar die Möglichkeit genommen, in der schmerzfreien Dunkelheit abzutauchen, sich tief in sich selbst zurückzuziehen war ihm jedoch immer noch möglich. Kaum ließen sie ihn wieder in Ruhe, entglitt ihm die Realität und Schmerzen und Wut wurden zu kaum wahrnehmbaren Hintergrundgefühlen. Vor seinen Augen sah er das Familienleben mit Mom und dem kleinen Sammy. Wie stolz war er immer gewesen, wenn er den Kleinen halten, oder sogar füttern durfte! Die Nacht hatte sich über das Land gelegt. Im Heim brannte nur noch in wenigen Zimmern Licht. Sam seufzte. Hier würde heute nichts mehr passieren, was ihm weiter helfen konnte. Diesen Tag hatte er sich also vollkommen umsonst an dieser Zufahrt gelangweilt. Aber auch daraus bestand ihr Job. Überwachung und Recherche. Er streckte sich, so gut es in dem trotz seiner Größe beengten Raum des Impalas möglich war, ließ den Wagen an und drehte dem Kinderheim für heute den Rücken. Eine knappe Stunde später parkte er gegenüber der Bar. Und wieder richtete er sich auf eine längere Wartezeit ein. Irgendwann musste er ja Glück haben. Hoffentlich war es dann nicht zu spät! Kategorisch untersagte er sich diesen Gedanken. Egal wie lange es dauerte, er würde Dean retten! Er zog noch nicht mal die Möglichkeit in Betracht, dass es nicht so wäre. Sein Bruder hatte ihm so oft das Leben gerettet. Jetzt war er eben mal wieder dran. Ohne sich noch einmal umzuschauen, war Adam zur Straße gelaufen und hatte einen Wagen angehalten, um sich bis nach Hause mitnehmen zu lassen. In seinem Zimmer angekommen, hatte er sich verkrochen und auf die Fotos mit seinem Vater geschaut, während er überlegte, was er jetzt tun sollte. Der Gedanke, Sam anzuzeigen drängte sich ihm geradezu auf. Auf der anderen Seite war der auch Johns Sohn und hatte bei diesem gelebt, während er nur seine Mom hatte. Aber wenn er an Deans Miene dachte, mit der er diese kleinen Erinnerungsstücke angesehen hatte, die Trauer und Fassungslosigkeit, die sich in seinen Augen widergespiegelt hatte und seine Äußerung, dass er John doch gekannt hätte. War John der Vater den er sich gewünscht hätte? Und was wenn, so unwahrscheinlich es auch klang, Sam doch nicht gelogen hatte? Wenn es diese Monster wirklich gab? Konnte er es wagen, Sam doch zu vertrauen? Immerhin war Dean verschwunden und Sam schien sich sichtlich Sorgen um ihn zu machen. Adam stand auf. Er stellte die Fotos wieder an ihre angestammten Plätze und machte sich auf den Weg zum Motel. Noch einmal wollte er mit Sam reden und danach entscheiden, was er machen würde. Kapitel 43: Frustrierendes Warten --------------------------------- @Vanilein - Ja, so langsam sollte Sam mal Gas geben. Aber er gibt sich Mühe. LG Kalea 43) Frustrierendes Warten Übermüdet und frustriert kam Sam weit nach Mitternacht zum Motel zurück. Er wollte eigentlich nur noch schnell duschen und dann der Realität wenigstens für ein paar Stunden durch Schlaf entfliehen. Dieser Tag war mehr als sinnlos gewesen. Er hatte keine neue Spur gefunden und auch wenn Dean erst zwei Tage verschwunden war, so machte er sich inzwischen doch ernstlich Sorgen um ihn. Zwei Tage waren auch für den stärksten Jäger zu viel! Er lenkte den Impala auf den Parkplatz vor ihrem Zimmer. Die Scheinwerfer leuchteten den Eingangsbereich aus und sein Herz begann wie wild zu schlagen. Vor der Tür hockte ein Häufchen Mensch. Doch dann entfaltete sich das Knäuel und er konnte nicht verhindern, frustriert die Augen zu schließen. Er hatte auf Dean gehofft, doch es war nur Adam. Sam schaltete die Scheinwerfer aus, öffnete die Tür, die mit dem so typischen Knarren aufschwang, und stieg aus. Immerhin war Adam wieder hier und wohl auch nicht zur Polizei gegangen, wie er eine Zeit lang befürchtet hatte. „Hey“, grüßte der Jüngere schüchtern. „Hey. Willst du mit reinkommen?“ Adam nickte kurz. „Können wir reden?“ Der Winchester seufzte. Wenn es sein musste! „Ja“, entgegnete er ruhig. Er schloss die Tür auf, ließ den Jungen ins Zimmer und verriegelte die Tür wieder hinter sich. Ohne ein Wort machte er sich Kaffee. Erst als er das dampfende Getränk in der Tasse in seiner Hand hielt setzte er sich. „Wenn du auch einen willst …“ Er deutete auf die fast volle Kanne. „Ja, danke!“ Adam stand auf und holte sich ebenfalls eine Tasse. Draußen war es inzwischen doch empfindlich kalt geworden und er hatte die ganze Zeit vor der Tür gewartet, weil er fürchtete, dass er Sam verpassen könnte. „Du wolltest reden“, begann Sam und unterdrückte ein Gähnen. „Ja, ich … Ich meine, wenn du … Du bist müde. Vielleicht war das ja keine so gute Idee.“ „Jetzt bist du hier und hast einen Kaffee in der Hand, genau wie ich. Ich werd schon nicht einschlafen. Hoffe ich.“ Noch einmal atmete Adam tief durch und versuchte sich zu konzentrieren. „Hattest du Erfolg? Weißt du woher der Golf kommt?“ „Nein. Er war weder beim Heim, noch bei der Bar. Ich hab ihn heute nicht gesehen.“ „Das tut mir leid.“ „Adam bitte, dieses um den heißen Brei reden erinnert mich zwar an Dean, aber es bringt uns nicht weiter. Es ist drei Uhr morgens und ich wollte noch ein paar Stunden schlafen, bevor ich mit der nächsten Schicht anfange.“ Der Junge schüttete seinen Kaffee in sich hinein und erhob sich. „Ich sollte gehen. Darf ich morgen mitkommen? Wir können auch später reden, wenn du willst.“ Sam nickte. Vielleicht war es besser so. Sein kleiner Bruder schien mehr wissen zu wollen. „Du kannst auch hier schlafen, wenn du willst“, bot Sam an, und wusste selbst nicht warum. „Nein, ich … Ich geh lieber rüber. Wann willst du los?“ „Ich denke mal Schichtwechsel ist gegen sechs ...“, begann der Winchester. „Du willst gleich wieder los?“ „Nein. Ich weiß wer wegfährt. Und die die kommen, bleiben länger. Wir müssen also nicht schon um sechs da sein. Gegen neun reicht, denke ich.“ Noch einmal nickte der Jüngere und ging zur Tür. „Ich bringe Frühstück mit.“ „Okay. Gute Nacht, Adam.“ „Gute Nacht.“ Wieder parkte Sam den Impala in der schmalen Einfahrt, in der er gestern schon gestanden hatte. Adam hatte Wort gehalten und ihn mit Frühstück geweckt. Ein schönes Gefühl, das musste er zugeben, auch wenn es ohne Dean einfach nicht dasselbe war. „Willst du sofort reden oder kann ich erst eine Runde drehen und nach dem Wagen Ausschau halten?“, fragte er Adam. „Ich warte.“ „Okay, bis gleich.“ Ohne Hast drehte Sam seine Runde, bevor er zu dem Impala zurückkehrte. Wieder hatte er kein Glück gehabt und so langsam begann das auch an seinen Nerven zu zerren. „Sie ist nicht da?“, fragte der Jüngere. „Nein.“ „Und das ist nicht gut?“ „Natürlich ist das nicht gut“, fuhr Sam auf. „Dean ist verschwunden, genau wie deine Mom und die einzige Spur ist eine, derer ich nicht habhaft werden kann!“ „Sam, ich …“ „Schon gut. Entschuldige. Ich mache mir nur Sorgen. Wenn wir sie nicht bald finden …“ Den Rest des Satzes ließ er lieber offen. Es auszusprechen, machte den Schrecken nur noch greifbarer. Er atmete noch einmal durch und versuchte seine Anspannung in den Griff zu bekommen. „Du wolltest reden“, sagte er dann versöhnlicher. „Ja, es ist … nur nicht so einfach.“ „Sollen wir es verschieben?“ „Nein, ich … ich will es wissen! Du sagtest dass es Vampire, Dämonen und Hexen gibt. Und dass ihr gegen die kämpft. Aber warum hab ich dann noch nie etwas davon gehört? Warum hat noch nie jemand den ich kenne davon gehört?“ „Es gibt unzählige Menschen, die nie etwas von diesen Kreaturen erfahren werden.“ „Und die Horrorfilme?“ „Glaubst du die?“ „Nein“ Adam schüttelte den Kopf. „So geht es den meisten Menschen!“ „Du behauptest also, dass jedes Monster aus einem Horrorfilm real ist?“ „Dean würde jetzt sagen, das Godzilla ein Fake ist. Genau wie Bigfoot. Aber ja, außer denen sind alle real.“ „Und was meinst du, ist mit meiner Mom passiert?“ „Ich bin mir nicht sicher. Es könnte ein Dämon sein, obwohl wir keinen Schwefel gefunden haben. Dad hat sie damals kennen gelernt als er in Twin Falls Ghouls gejagt hat. Auch die kämen in Frage. Aber die sollen ziemlich stinken und wir haben keinerlei Geruch wahrgenommen, außer dem überlagerten Lebensmitteln in eurem Kühlschrank. Vampire könnten sie verwandelt haben. Sie könnte unter …“ „Vampire? Aber ich hab sie am Tag gesehen!“ „Dass die Angst vor Kreuzen haben, im Tageslicht zerfallen oder vor Knoblauch zurückweichen ist ein Märchen!“ „Erzähl mir mehr!“, forderte der Junge und Sam begann zu erzählen. Wieder riss das Geräusch des Schlüssels Dean aus seiner Lethargie. Vorsorglich schloss er die Augen gegen die gleich aufflammende Helligkeit der Glühlampen und seine Hände krampften sich um die Ketten der Stange. Er hatte nicht mehr die Kraft sich aufzurichten. Ohne ein Wort trat sie hinter ihn und saugte sich an seiner Schulter fest und jagte das inzwischen schon bekannte Brennen durch seinen Körper. Mit einem zufriedenen Schmatzen löste sie sich, ging jedoch nicht, wie sonst sofort zum Ausgang um ihn mit seinem Schmerzen in der Dunkelheit weiterhin alleine zu lassen. Sie trat vor ihm, umschloss sein Kinn mit ihrer Hand und hob seinen Kopf. Langsam wendete sie ihn von links nach rechts und ließ ihre Hand auch noch über seine Brust gleiten. „Wir brauchen neues Futter“, stellte sie emotionslos fest. Deans Lider flatterten und er starrte sie aus trüben Augen an. Es war wieder nicht Kate. „Du bist schneller leer als erwartet“, sagte sie schon fast bedauernd, „aber die Kleinen haben eben Hunger. Sie wachsen so schnell.“ Mit einer zärtlichen Geste strich sie sich über ihren runden Bauch. Morgen, spätestens übermorgen würde sie werfen und dann würden sie noch mehr Nahrung brauchen. Aber bis dahin wären Klaras Kleine soweit, dass sie gegen ein paar Kinder aus dem Heim getauscht werden könnten. Es war wirklich eine wunderbare Idee von ihr, dieses Kinderheim zu benutzen. Unendliche Nahrung und ihre Brut konnten sie an so viele Familien verteilen, ohne dass es groß auffiel. Klara machte sich wirklich gut in der Rolle dieser Kate! Und das Aiofe sich eine zweite Erzieherin ausgesucht hatte, war ein weiterer Schachzug in Richtung komplette Übernahme dieses Ortes gewesen. Noch nie hatten sie besser gelebt! Und wenn sie, sobald sie geworfen hatte, diese Heimleiterin ersetzen würde, wäre ihr Leben perfekt! Sie ließ Deans Kopf los und verließ den Keller wieder. Das harte Hämmern seines Herzens dröhnte laut in Deans Ohren. Fast meinte er, dass es im ganzen Haus zu hören sein müsste. Er fühlte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Seine Kräfte waren am Ende und unsäglicher Durst quälte ihn. Er würde alles für einen Schluck Wasser tun. ‚Sammy’, flüsterte er in Gedanken, unfähig auch nur einen Ton von sich zu geben. Seine Zunge war ein unförmiger Klumpen in seinem Mund, der ihn beim Atmen behinderte. Sein Kleiner würde sich beeilen müssen, wenn er sich noch von ihm verabschieden wollte. Nur quälend langsam gelang es ihm, sich wieder tief in sich zu verkriechen. Was auch immer Alistair gemacht hatte, es zwang ihn wirksam das langsame Sterben seines Körpers bei vollem Bewusstsein mitzuerleben. Wie elektrisiert fuhr Sam auf, duckte sich aber sofort noch tiefer hinter das Lenkrad und drückte Adam ebenfalls nach unten. Der kleine blaue Golf rollte an ihnen vorbei. Endlich! „Das war der Wagen“, japste Adam aufgeregt und wollte aussteigen. „Du bleibst hier!“, fuhr Sam ihn an. „Aber …“ „Wir haben alle Zeit der Welt, auch wenn es mit der Beute direkt vor deiner Nase, schwer fällt zu warten. Sie arbeitet hier und ihre Schicht beginnt gerade. Also gedulde dich. Wenn du jetzt nervös wirst, wird es nur schaden!“, belehrte Sam den Jungen, der bedröppelt nickte. „Ich das immer so?“ „Was?“ „Naja, diese Warterei. Wissen, dass man dem Ziel so nah ist und es doch noch nicht erreichen kann?“ Sam lächelte. „Du scheinst wirklich unser Bruder zu sein. Einiges an dir erinnert mich an Dean.“ Doch kaum war der Name seines Bruders gefallen erlosch das Lächeln wieder und machte einer Spur Traurigkeit Platz. Der Schulbus zockelte an ihnen vorbei und kam nach einer Weile wieder zurück. „Bleib hier und beobachte weiter, ich schleiche mich mal an und versuche dem Wagen einen Peilsender zu verpassen.“ Adam nickte. Er würde zwar auch gerne etwas tun, aber es war wohl sicherer zu warten. Sam kannte sich mit solchen Dingen besser aus. Dieser Job wäre nichts für ihn. Er wollte etwas tun, wollte sehen, dass er etwas ändern konnte. Schon bald kam der Winchester zurück und setzte sich wieder hinter das Lenkrad. Langsam aber unaufhaltsam kroch die Langeweile in den Wagen. Die beiden Männer dösten vor sich hin, wobei Adam tatsächlich einschlief, Sam seine Umgebung jedoch trotzdem noch im Auge behielt. Im Schneckentempo kroch die Zeit dahin. Mehrere Scheinwerferpaare huschten an dem gut versteckten Impala vorbei. Sofort kam Leben in die Männer im Inneren des Wagens. Sam fuhr seinen Laptop hoch. Er startete das Ortungsprogramm für den Peilsender. Mit einem zufriedenen Lächeln quittierte er den blinkenden Pfeil und klappte den Rechner wieder zu. „Als Eagle Scout kannst du ja Karten lesen, oder?“, fragte er seinen Halbbruder. „Woher weißt du dass ich ein Eagle Scout war?“ „Du hast Dean deinen Namen und die Anschrift gegeben. Wir wissen gerne vorher auf was wir uns einlassen, auch wenn Dean wohl erst geglaubt hat, dass du unser Bruder bist, als er die Fotos mit John gesehen hat. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“ „Wieso war Dean so vehement dagegen, dass ich Johns Sohn bin?“ „Dean hat … Ich denke, das klären wir später“, unterbrach sich Sam. Der Golf war gerade an ihnen vorbeigekommen. Er klappte seinen Rechner wieder auf, startete das Programm erneut und legte den Computer dann auf Adams Schoß. „Du sagst wohin und ich fahre!“ Kapitel 44: Finsternis ---------------------- 43) Finsternis Zwei Stunden später waren die beiden jungen Männer kurz davor die Frau mit gezogener Waffe in ihr Auto zu treiben und dazu zu zwingen, dass sie endlich zu dem Ort fuhr, an dem sie schlief, oder was auch immer. Sie wollten endlich zu Dean und Kate. Sam betrachtete den Jungen immer wieder von der Seite. Die Hoffnung seine Mutter wieder zu sehen, ließ dessen Gesicht regelrecht leuchten. Erfolglos versuchte der Winchester seine Hoffnung zu dämpfen, damit er nicht allzu enttäuscht sein würde. Adam war für Argumente in dieser Richtung nicht zugänglich. Wartend saßen sie in einem kleinen Diner, vielleicht eine halbe Meile von der Bar entfernt, in der Dean und Kate zuletzt gesehen worden waren. Immer wieder starrten sie auf den blinkenden Pfeil auf Sams Laptop, doch der rührte sich nicht. „Wie lange denn noch?“, knurrte Adam und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. „Sie wird schon irgendwann weiterfahren.“ „Wie kannst du nur so ruhig sein?“ „Bin ich nicht, aber ich weiß, dass ich genauso wenig erreiche, wenn ich hier nervös rumzapple.“ „Lernt man sowas bei eurem Job?“ „Ja. Rumsitzen gehört dazu. Und es ist mehr als frustrierend, wenn man nicht weiter kommt. Menschen können sterben und dieses Wissen macht es nicht leichter. Trotzdem müssen wir oft warten.“ „Wir sind so kurz vor dem Ziel!“ „Möglich. Adam, bitte! Ich will keine falschen Hoffnungen wecken“, begann der Winchester erneut, schon fast beschwörend. „Sie lebt, Sam!“, fuhr Adam ihn wütend an. „Sie ist seit Wochen in der Gewalt von was auch immer. Ich wünsche mir für dich, dass du Recht hast, aber bitte weise den Gedanken, dass es eben nicht so ist, nicht vollkommen von dir.“ „Ich will nicht daran denken, denn das würde es nur noch möglicher machen. Verstehst du? Diesen Gedanken zuzulassen ist, als hätte ich sie ermordet.“ Sam nickte nur kurz. Auch er weigerte sich den Gedanken zuzulassen, dass er zu spät sein könnte, um Dean zu retten. Schweigen breitete sich an ihrem Tisch aus, nur hin und wieder von der netten Kellnerin unterbrochen, die ihre Kaffeetaste auffüllte. Und die sie kurz nach Mitternacht freundlich darauf hinwies, dass sie schließen wollte. Sam legte ihr ein großzügiges Trinkgeld hin und sie räumten das Feld. „Oh man“, stöhnte Adam und ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. „Stöhne nicht. Es geht weiter“, grinste Sam. Er hatte seinen Rechner gerade wieder geöffnet und das Programm gestartet. Der Pfeil bewegte sich. „Na endlich!“, erwiderte Adam und begann seinen Halbbruder wieder durch die stillen Straßen zu lotsen. Die Ketten klapperten leise, als eine weitere Welle heftiger Krämpfe Deans Körper durchschüttelten und jedes einzelne Klappern schnitt wie ein Messer in sein Gehirn. Sein ganzer Körper kribbelte und seine Schultern pochten dumpf. Aber er hatte einfach nicht mehr die Kraft den Kopf zu bewegen und nachzusehen. Er wünschte nur dass das, was immer Alistair mit ihm gemacht hatte, nicht so gut wirken würde. Soweit er noch etwas über Dehydrierung wusste, dürfte er schon lange nicht mehr bei Bewusstsein sein. In das Klappern der Ketten und das leise Pfeifen seiner Atmung mischten sich Schritte. Mühsam versuchte er seinen Kopf zu heben. Er wollte seinem Gegner wenigstens in die Augen schauen können, wenn er schon zu mehr nicht in der Lage war. „Schau dich an, Dean! Du bist armselig.“ Deans Augen weiteten sich und er zuckte zurück. Vor ihm stand sein Vater! Er war versucht Haltung anzunehmen. Seine Füße zuckten kurz über den Boden, doch er hatte nicht mehr die Kraft sie richtig aufzusetzen, geschweige denn sich aufrecht hinzustellen. Immerhin seinen Kopf konnte er soweit heben, dass er ihm in die Augen schauen konnte. War das wirklich John? Der war doch tot! „Du schlotterst vor Angst. Ein Winchester stirbt aufrecht!“, stellte der Ältere kalt fest. ‚So wie du? Du reißt mich zurück ins Leben und gibst mir so einen Befehl?!?’ Unfähig auch nur ein Stöhnen über seine ausgedorrten Lippen zu bekommen, schleuderte er ihm diese Worte in Gedanken entgegen. Und John schien sie ohne Probleme verstehen zu können. Was also auch immer da vor ihm stand, konnte nicht sein Vater sein, und doch schaffte er es nicht, es zu ignorieren. „Du hättest ihn ausführen sollen, dann wäre vieles anders gekommen und du jetzt nicht in dieser Situation!“ ‚Du warst zu feige es zu tun, deshalb hast du mir diesen unsäglichen Befehl gegeben. Du wusstest genau, dass ich Sammy nie töten könnte!’ „Leider, obwohl ich gehofft hatte, das ein Befehl ausreichen würde.“ ‚Du …’, fuhr er wütend auf. „DU widerst mich an. Du und Sam und diese Familie!“, spuckte dieser John regelrecht aus. „Ihr habt euch an mich gehängt, wolltet bemuttert werden. Ich hatte euch so satt. Ich wollte schon gehen, als Mary noch gelebt hat, aber jeder hat mir ins Gewissen geredet. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern dürfe ich nicht sitzen lassen. Nur deshalb bin ich wiedergekommen und dann hat dieser Dämon sie verbrannt und ich hatte euch am Rockzipfel kleben. Wenn ihr wenigstens zu etwas nütze gewesen wärt.“ Theatralisch verdrehte dieser John die Augen. ‚Aber du hättest uns bei Bobby lassen oder einfach nur weggeben können‘, stammelte Dean. Auch wenn er sich sicher war, dass das nie John Winchester sein konnte, so konnte er sich dessen Worten doch nicht verschließen. Jedes einzelne war wie eine Ohrfeige. Solange John nur ihn so sah, war das in Ordnung, aber Sammy und Mom? Die waren perfekt! Wie konnte er nur so reden? Ihm fehlten selbst in Gedanken die Worte. „Wer hätte euch schon gewollt? Niemand! Ihr seid nutzlos! Du bist eine riesige Enttäuschung, Dean. Du bist viel zu weich für diesen Job, zögerlich und nicht Manns genug eine richtige Entscheidung zu treffen. Immer musste man dir Befehle geben, damit du überhaupt etwas tust. Deine Mutter hat dich verweichlicht!“, höhnte John weiter. „Ihr habt mich regelrecht dazu gezwungen, mir eine neue Familie zu suchen, ein Kind, das selbstständig war und nicht ständig die Nase geputzt haben wollte!“ Wütend starrte Dean das Ding vor sich an. Es war kein Dämon. Aber das konnte auch nicht sein Vater sein. Ja, er sah John inzwischen in einem differenzierteren Licht als noch vor zwei Jahren, aber so etwas würde selbst dieser John nicht sagen. „Adam war der Sohn, den ich immer wollte! Er ist nicht so verkorkst wie du oder Sam!“, setzte der noch einen drauf und verschwand. Und obwohl Dean wusste, dass das nur eine Halluzination gewesen sein konnte, blieb er trotzdem innerlich zerstörrt zurück. Eine Stunde nach ihrem Aufbruch aus dem Diner lenkte Sam der Impala in einen wenig befahrenen Weg. Bäume und Sträucher ließen einen weiten Blick nicht zu, was er nicht nur als Nachteil empfand. Sam stellte den Impala an der ersten breiteren Stelle ab, die er sah. Wer wusste schon, wie schnell sie hier wieder weg mussten. Sie warteten noch eine nervenaufreibende viertel Stunde, dann wollte sich der Winchester auf den Weg machen, um die Umgebung näher auszukundschaften. „Warte hier, ich schau mich erst mal um“, bat der Winchester und wappnete sich gegen den unweigerlich folgenden Protest. Doch Adam nickte nur schweigend. Auch wenn es ihm schwerfiel hatte er inzwischen begriffen, wie wenig er im Ernstfall wohl wirklich helfen konnte. Er musste seinem älteren Bruder noch einmal vertrauen. Jede Deckung ausnutzend, schlich Sam durch die Nacht. Eine reichliche Meile von dem Parkplatz des Impalas entfernt, erhob sich ein von stattlichen Bäumen umgebenes zweigeschossiges Farmgebäude, das sich wahrscheinlich nur in der Dunkelheit den Schein seines alten Glanzes bewahrt hatte. Links brannte im Obergeschoss noch Licht und er beschloss, auf dieser Seite mit seiner Erkundungsrunde zu beginnen. Plötzlich tauchte Kate Milligan am Fenster auf. Sie schloss die offen stehenden Flügel. Geistesgegenwärtig zog Sam sein Handy hervor und machte ein Foto. Gebannt starrte er auf das Wesen auf dem Bild. Ein Wechselbalg! Adams Mutter war von einem Wechselbalg ersetzt worden! Keine gute Nachricht! Wie lange ließen diese Kreaturen ihre Opfer am Leben? Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Was hieß das jetzt für Dean? Panik stieg in ihm auf. ‚Mach deine Arbeit!’, ermahnte sich Sam in Gedanken. Hier herumstehen und Maulaffen feil halten brachte niemandem etwas und so schlich er weiter um das Haus. Auf der Rückseite fiel ein fahler Lichtstreifen über den Rasen. Es musste also auch einen Keller geben. Ohne weitere Entdeckungen beendete er seinen Rundgang. Hinter einem Strauch versteckt wartete er, bis das Haus im Dunkeln lag und verordnete sich eine weitere halbe Stunde Wartezeit, bevor er das Haus noch einmal umrundete und sich dann, da alles in friedlichem Dunkel lag, beeilte, zurück zu Adam zu kommen. Jetzt war die Zeit zum Handeln! Adam stand an den Impala gelehnt und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. „Was hast du gesehen?“ „Nicht viel. In dem Haus herrscht Ruhe. Ich werd da jetzt reingehen.“ „Ich komme mit!“, bestimmte Adam sofort und folgte Sam zum Kofferraum des Impala. „Nein.“ „Ich komme mit! Die haben meine Mom!“ „Ich glaube nicht, dass du das sehen willst!“ „Was will ich nicht sehen? Was weißt Du? Was hast du gesehen?“, fragte der Jüngere sofort misstrauisch. Mit einem leisen Seufzen holte Sam sein Handy aus der Tasche, rief das Bild auf und reichte es Adam. „Mom“, stammelte Adam und ein Strahlen legte sich auf sein Gesicht. Doch dann wurden seine Augen groß. „Sie …“, er stockte und hielt sich das Telefon fast an die Nase. „Was ist mit ihrem Mund?“, wisperte er ungläubig. „Es tut mir leid. Ich wünschte, es wäre nicht so“, begann Sam. „Was soll nicht so sein?“, wurde der Jüngere lauter. „Sie ist nicht deine Mom. Das Ding da ist ein Wechselbalg. Es hat das Leben deiner Mom übernommen. Ihr Leben, ihre Erinnerungen, ihre Gestalt. Und das schon vor vielen Wochen. Adam! Es tut mir leid.“ „Du willst mir sagen, dass meine Mom tot ist?“ Tränen drängten sich in seine Augen. „Ja. Ich weiß nicht, wie lange diese Dinger ihre Opfer am Leben lassen, aber ich glaube nicht, dass es so viele Wochen sind.“ Das Handy entglitt Adams Fingern. Er sackte in die Knie und kippte gegen den Impala. Haltlos liefen die Tränen über sein Gesicht. Sam seufzte tief. Wieder ein Mensch, dem sie nicht hatten helfen können. Er schüttelte jedes Mitgefühl ab. Trösten konnte er den Jungen später noch. Jetzt galt es Dean zu befreien und diese Missgeburten zu vernichten! Voller Entschlossenheit stopfte er jede Menge Salz und einen Flammenwerfer in seinen Rucksack, griff nach der Schrotflinte und schloss den Kofferraumdeckel wieder. Er beugte sich zu Adam herab und legte seine Hand mitfühlend auf essen Schulter: „Bleib hier. Ich kümmere mich darum.“ „Nein, ich will mitkommen!“, erklärte der Junge heiser aber bestimmt und stemmte sich in die Höhe. „Adam, du kannst da nicht viel …“ „Gib mir einfach so ein Schrotgewehr. Damit werde ich wohl kaum daneben schießen können!“ „Das ist mit Steinsalz geladen. Damit kannst du nicht töten!“ „Und womit dann?“ „Wechselbälger müssen verbrannt werden!“ „Dann gib mir einen Flammenwerfer!“ „Nein, Adam. Ich werde nicht zulassen, dass du aus Rache …“ „Ach nein? Und warum macht ihr das?“ „Über das Motiv der Rache sind wir schon lange hinaus. Außerdem sind wir für sowas gut ausgebildet. Du kennst lediglich ein paar Grundlagen.“ „Das ist mir egal! Ich will mitkommen und wenn du mich hier zurücklässt, werde ich dir eben so folgen!“, wurde der Junge laut. Sam nickte resigniert. „Okay. Komm mit. Aber bitte! Du tust, was und wann ich es dir sage! Wenn du in Schwierigkeiten gerätst, kann das für uns beide tödlich sein“, erklärte er eindringlich. Adam nickte. Der Winchester öffnete den Kofferraum noch einmal und holte eine zweite Schrotflinte hervor, die er Adam mit einigen Ersatzpatronen gab. „Dann los.“ Schweigend liefen sie, jeder in seinen Gedanken versunken, nebeneinander her. Während Adam sich fragte, wie er diese Dinger wohl erkennen sollte und ob er dann auch wirklich würde schießen könnte, kreisten Sams Gedanken um Dean. War sein Bruder da oder liefen sie die ganze Zeit einer falschen Spur hinterher? Aber Dean war zuletzt mit dieser Kate gesehen worden und warum zum Teufel sollte er sein Handy wegwerfen? Nein, es war keine falsche Spur! Es durfte keine falsche Spur sein! Energisch schob Sam seine Bedenken beiseite. Dean war da und er würde ihn retten! Sie hatten sich nicht so viel Mühe gegeben, um ihn nach dem Höllenhundangriff wieder aufzupäppeln, nur damit er hier von einem Wechselbalg getötet werden würde! Das Farmhaus tauchte vor ihnen als schwarzer Schatten in der Dunkelheit auf. „Warte hier. Ich schau mich noch einmal um und dann hole ich dich“, flüsterte Sam. „Beeil ich. Ich warte nicht ewig!“, maulte Adam. Es dauerte nicht lange, bis Sam wieder bei seinem Halbbruder war. „Okay, lass uns loslegen! Aber bitte denk dran, es kann um unser Leben gehen“, forderte er noch einmal eindringlich. „Das sagtest du schon!“, erklärte der Jüngere genervt und verdrehte die Augen. Er war ja nicht taub! Er wollte sich nur noch rächen. Wollte das, was immer sie mit seiner Mom gemacht hatten, auch ihnen antun! Kapitel 45: Gefunden -------------------- 44) Gefunden Leise und jede Deckung ausnutzend schlichen sie zum Haus. Das Schloss stellte keine große Herausforderung dar und Adam wunderte sich mal wieder über seine Brüder. Hatten sie das von ihren Vater gelernt? Was hatte John ihnen noch alles beigebracht? Nein! Er wollte jetzt lieber nicht darüber nachdenken. Die Tür schwang leise auf und gab den Weg ins Innere frei. „Keller!“, flüsterte Sam und deutete auf die Treppe nach unten. An die Wand gedrückt schlichen sie die steinernen Stufen hinab. Unten angekommen schaltete Sam seine Taschenlampe ein und ließ ihr Licht, mit einer Hand gut abgeschirmt, durch den Gang huschen. Es gab vier Türen und einen Gang der links noch weiter unter das Haus führte. Der Winchester deutete auf die Tür links. Adam positionierte sich, mit dem Rücken an die Wand gegenüber gedrückt, und behielt sowohl Treppe als auch den Kellergang im Auge. Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht. Der Junge war gar nicht so ungeschickt, wie er befürchtet hatte. Mit viel Übung würde doch noch ein guter Jäger aus ihm werden. Er öffnete die Tür und ließ den Lichtstrahl seiner Lampe in den Raum fallen. Nichts. Bis auf ein paar Lumpen in einer Ecke, war der Raum leer. Er streute eine dünne Salzlinie in die Tür und schloss sie dann wieder. Nichts sollte auf ihre Anwesenheit hindeuten, aber er wollte sie trotzdem so gut es ging geschützt wissen. Der Milligan starrte irritiert auf die weiße Linie. Er musste kurz überlegen, dann fiel es ihm wieder ein. Salz. Sam sicherte die Tür mit Salz. Das hatte Dean auch in seinem Motelzimmer getan. War es sowas wie ein Wundermittel? Auch seine Waffe war mit Salz geladen, hatte Sam gesagt. Er würde fragen, wenn sie hier fertig waren! Sie schlichen zum nächsten Raum. Auch der war leer. Sam deutete in den Gang und Adam nickte. Hier waren noch einmal drei Türen. Wieder stellte sich Adam sichernd in die Ecke, um beide Gänge im Blick behalten zu können. Und wieder öffnete Sam die Tür, schaute sich kurz um und konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen, als ihm der Fall mit der Tulpa einfiel. Genau wie in dem Keller damals standen auch hier jede Menge Einmachgläser in den Regalen. Oh man, war das schon so lange her. Dean hatte damals zugegeben Angst vor Ratten zu haben, auch wenn er es anders formuliert hatte. Dean! Schnell sicherte er auch diese Tür und schloss sie wieder. Er drehte sich zur nächsten Tür um. Wenn er sich nicht ganz täuschte, müsste diese Tür zu dem Raum führen, von dem er den Lichtschimmer gesehen hatte. Sein Herz schlug schneller. Dean hörte die Schritte hinter der Tür. Wieder kam eine und hoffentlich war es das letzte Mal. Er wollte nicht mehr. Sein Körper wurde fast ununterbrochen von Krämpfen geschüttelt, tausende Ameisen rannten über seine Haut und die Augen brannten, egal ob er blicklos in die Dunkelheit starrte oder die Lider geschlossen hielt. Und selbst wenn er noch Kraft für ein paar weitere Stunden gehabt hätte, John oder was immer wie er ausgesehen hatte, hatte seinen Willen endgültig gebrochen. Er wollte nur noch sterben. Sam öffnete die Tür. Der Strahl der Taschenlampe huschte durch den Raum. Kurz streifte er etwas, das in der Mitte hing und prallte dann gegen eine Wand. Der Winchester erstarrte. Schnell zuckte der Lichtstrahl zurück und beleuchtete das Wesen, das da hing. Die Hände waren an einer Stange befestigt, seine Beine eingeknickt und die Füße schliffen auf dem Boden. „Dean!“, entfuhr es Sam entsetzt. Sein Bruder reagierte nicht. „Komm rein“, forderte er Adam hastig auf, sicherte die Tür in aller Eile und stürzte dann zu seinem Bruder. Er trat vor ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Eine weitere Welle Krämpfe schüttelte den ausgemergelten Körper. „Oh mein Gott“, flüsterte Adam, der erst jetzt neben Sam getreten war. Sam legte seine Hände an Deans Wangen und hob dessen Kopf hoch. „Komm schon, großer Bruder“, versuchte er eine Reaktion zu erzeugen, die jedoch nicht kam. „Halt ihn“, forderte er Adam auf, nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne und begann nach den Schlössern der Fesseln zu suchen. Der Milligan trat hinter Dean und legte ihm seine Arme um die Brust. So vorsichtig wie möglich versuchte er ihn an sich zu drücken. Sams Hand umschloss Deans Gelenk. Die erste Handschelle löste sich und er bemühte dessen Arm so schmerzfrei wie möglich nach unten gleiten zu lassen. Minuten später hatten sie ihn von seinen Fesseln befreit. „Kannst du dich mit ihm hinsetzen?“, fragte Sam etwas atemlos. Er würde jetzt nichts lieber tun wollen als bei seinem Großen zu bleiben, ihn hier rauszubringen und alles zu tun, damit es ihm wieder besser ging. Aber es wartete noch Arbeit auf ihn. Stumm verfluchte er ihr Leben! Adam nickte, drückte Dean vorsichtig gegen seine Brust und ließ sich nieder. Sam holte seine Wasserflasche hervor, befeuchtete seine Finger und strich diese über Deans trockene Lippen. Erst jetzt nahm er sich wirklich die Zeit seinen Bruder zu betrachten. Dean sah erbärmlich aus. Vollkommen verdreckt, mit zerrissenem Hemd und Shirt. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Der Brustkorb hob und senkte sich krampfhaft und sein Puls ging viel zu schnell. „Er hat Fieber“, sagte Adam. Sam schloss die Augen und nickte. Auch das noch! Kurz versuchte er sich zu erinnern, was er über Dehydrierung wusste. Erneut befeuchtete er seine Finger mit Wasser, rieb es über Deans Lippen und ließ ein paar Tropfen in dessen Mund fallen. Vielleicht war ja noch nicht alles zu spät. ‚Nein! Natürlich war noch nicht alles zu spät! Dean würde leben!’ Hektisch überlegte er, was jetzt zu tun wäre. „Okay. Adam, bring ihn hier raus. Südlich, ungefähr eine halbe Meile von hier ist eine Scheune. Da komme ich mit dem Impala ran. Bring ihn dahin und sieh zu, dass er Wasser bekommt. Immer nur ein bisschen. Er darf sich auf keinen Fall übergeben.“ „Aber du brauchst mich …“ „Nein. Bitte! Ich brauche dich bei Dean. Ich kann mich nicht um ihn kümmern und diese Dinger jagen. Bring ihn hier weg. Ich bringe das hier zu Ende und komme nach.“ „Und wenn nicht?“ „Wenn ich in einer Stunde nicht bei dir bin, ruf die Cops!“ Sam wollte sich erheben als er plötzlich etwas an seiner Jacke fühlte. Er blickte hin. Dean hatte seine Finger in dem Saum verflochten. „Dean?“ Mühsam hoben sich dessen Lider. Eindringlich blickte er deinen Bruder an. „Wie viele?“, fragte Sam. Deans Finger lösten sich aus seinem Saum. Er zeigte drei Finger. „Drei!“, sagte Sam laut. Dean entspannte sich sichtlich. Seine Augen fielen zu. Er hatte gesagt, was er sagen musste, jetzt war es an Sam dieser Brut den Garaus zu machen. Hoffentlich beeilte er sich. Jetzt wo sein kleiner Bruder ihn gefunden hatte, wollte er nicht alleine sterben. Vorsichtig schälte sich Adam aus seiner Jacke und wickelte Dean darin ein. Mit Besorgnis beobachtete Sam seinen Bruder, denn obwohl der Milligan immer wieder dessen Arme in den ausgekugelten Schultern bewegte, wenn auch so vorsichtig wie es nur ging, zeigte der keine einzige Schmerzreaktion. Dean konnte sich zwar auch in solchen Situationen ganz gut beherrschen, doch hier hätte er reagieren müssen. „Halt durch, Dean. Wir schaffen das! Bitte“, versuchte Sam eine Reaktion zu bekommen und legte ihm sanft seine Hand an die Wange. Dean bekam diese Worte und die Wärme von Sams Hand wohl mit, aber er hatte keine Kraft mehr darauf zu reagieren. Er wusste, dass er starb. Seine Organe versagten. Er hatte zu viel Flüssigkeit verloren, aber das konnte er Sammy nicht sagen. Er wollte ihm den Mut nicht nehmen. Außerdem ging es ihm im Moment richtig gut. Er wusste, dass er nicht mehr allein war und ließ sich komplett fallen. Er war so müde. Sam nahm noch einmal Deans Hand in seine und drückte sie aufmunternd, dann erhob er sich und ging zur Tür. Vorsichtig spähte er hinaus. Der Gang lag ruhig da. Er winkte Adam und schlich bis zur Ecke. Auch hier gab es nichts Verdächtiges. Unbehelligt kamen sie bis zur Tür. „Eine Stunde“, gab Sam dem Jüngeren noch einmal mit auf den Weg, dann machte er sich daran, diese Monster zu beseitigen. Doch dieses Mal streute er, bevor er wieder im Keller verschwand, Salz vor alle Türen und die Treppe ins Obergeschoss. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Auf dem Weg zurück in den Keller überlegte er, ob Salz bei Wechselbälgern überhaupt half. Es stoppte Geister und Dämonen, Es war das Reine, warum also nicht? Er ging wieder ganz nach hinten und schloss die Tür, hinter der sein Bruder gefangen gehalten worden war. Wenn er diese verfluchte Kreatur in die Finger bekam. Sie würde er ganz langsam rösten! Niemand legte sich mit einem Winchester an! Sam öffnete die nächste Kellertür. Ein Turnschuh und ein Stück Jeans, die aus einem Haufen Lumpen ragten, erregten seine Aufmerksamkeit. Er schob die einzelnen Stücke beiseite. Traurig schloss er die Augen und atmete tief durch, auch wenn die Luft hier nicht wirklich dazu einlud. Er hatte Recht gehabt! Vor ihm lag die ausgetrocknete Leiche von Kate Milligan. Gut, dass Adam nicht sah, wie seine Mutter entsorgt worden war. Das hatte diese Frau wirklich nicht verdient. Egal wie er selbst und Dean zu ihr standen. Sie konnte nichts für Johns Fehler. Wenn man es denn überhaupt als Fehler ansehen konnte. Warum sollte ihr Vater nicht auch ein wenig Spaß im Leben haben? Immerhin war ihre Mutter schon seit Jahren tot gewesen. Sam zog eine halbwegs saubere Decke auf dem Haufen und entdeckte noch eine weitere Leiche. Die der anderen Erzieherin. Warum hatten diese Monster die Leichen hier behalten? Warum hatten sie die nicht, wie die unzähligen anderen, die es bestimmt schon gab, entsorgt? Töteten die eigentlich alle ihre Opfer oder behielten sie die einfach nur eine Weile, ernährten sich von ihnen und entließen sie dann wieder? In den Aufzeichnungen hatte er nie etwas Genaueres über ihre Essgewohnheiten gefunden. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle. Diese Dinger wollten Dean töten und sie hatten noch mindestens zwei weitere Leben auf dem Gewissen. Grund genug, sie vom Angesicht der Welt zu löschen! Vorsichtig wickelte er Kates Körper in die Decke und legte sie neben die Tür. Sie würde er mitnehmen, damit Adam sich ordentlich verabschieden konnte. Er wusste wie wichtig ein Grab war, auch wenn Dean das ihrer Mom noch immer mied. So langsam sollte er sich beeilen. Immerhin wollte er in einer Stunde bei Adam sein und wenn er hier noch lange rumtrödelte, würde er das nicht schaffen. Leise schlich er weiter. Die nächste Tür führte zu einem leeren Raum. Alleine die von der Decke hängenden Ketten ließen darauf schließen, dass hier schon andere so wie Dean in seiner Zelle auf ihren Tod gewartet haben mussten. Der letzte Keller brachte seinen Zeitplan schon wieder ins Wanken. Gleich zwei Männer lagen in diesem Raum gefesselt am Boden. Sam verdrehte die Augen! Was war das hier. Das Horrorhaus schlechthin? Diese Dinger hatten sich wohl auf ein längeres Bleiben eingerichtet. Mit wenigen Schritten war er bei den Opfern und untersuchte sie kurz. Beide waren bewusstlos, aber ansonsten unverletzt. Die würde er zum Schluss holen, entschied er. Noch waren sie nicht in Gefahr und so konnten sie ihm wenigstens nicht in die Quere kommen. Er verließ den Keller, verschloss die Tür wieder und hastete ins Erdgeschoss. Hier war ihm das Glück hold. Sämtliche Zimmer lagen in nächtlicher Stille und bargen keine Überraschungen für den Jäger. Diese Wechselbälger führten entweder einen, den Menschen sehr ähnlichen, Lebensstil, oder sie hatten sich inzwischen schon fast perfekt angepasst. Der Winchester kontrollierte noch einmal ob die Salzlinien unversehrt waren und schlich gleich darauf die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Das Haus sah von außen verfallener aus, als es wohl war, denn bis jetzt hatten ihn weder die Türen noch eine knarrende Treppen verraten. Ein kurzer Rundblick zeigte ihm sechs Türen. Sechs Türen und drei Wechselbälger. Das hieß also, er hatte eine Chance von fünfzig Prozent. Leise ging er von Tür zu Tür und sicherte jede mit einer breiten Salzlinie. Kurz überlegte er, ob er hier nicht einfach Feuer legen und verschwinden sollte. Die Wechselbälger konnten nicht raus und bis das Feuer auf das ganze Haus übergegriffen haben würde, wären er und die beiden Männer locker raus. Kapitel 46: Feuer in dunkler Nacht ---------------------------------- 45) Feuer in dunkler Nacht Er konnte nicht sagen warum, aber er entschied sich gegen ein schnelles Feuerlegen. Noch einmal atmete er durch und öffnete die erste Tür. Der Lichtschein seiner Taschenlampe zuckte in den Raum und Sam erstarrte. Das, was er hier sah, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Hastig zog er sich wieder zurück und schloss die Tür. In dem Raum standen mehrere Käfige, in denen Kinder eingesperrt waren. Doch das war nicht das Schlimmste. Das hatte er schon in Cicero gesehen, damals als sie zum ersten Mal auf diese Dinger gestoßen waren. Das was einen eisig kalten Schauer über seinen Rücken jagte war, dass an jedem der Kinder eines dieser Dinger hing. Klein und nackt sahen sie irgendwie eher wie Würmer mit dünnen Ärmchen und Beinchen aus. Diese Wechselbälger schienen Nachwuchs en mass zu produzieren. Die Kinder zu befreien, würde nicht ohne Lärm abgehen. Er musste zuerst die Alten töten, so sehr es ihm auch gegen den Strich ging, sie noch länger so sitzen zu lassen. Auf jeden Fall konnte er hier oben nicht einfach so Feuer legen. Er musste die Dinger eines nach dem anderen verbrennen und dann die Kinder befreien. Schnell tippte er Adam eine SMS dass es vielleicht etwas länger dauern könnte. Er schaltete bei seinem Handy die Kamera ein, um diese Dinger auch wirklich ganz genau identifizieren zu können, immerhin war so ihre wahre Gestalt zu erkennen, entzündete den Flammenwerfer und ging zur hintersten Tür. Er riss sie auf und starrte in ein leeres Zimmer. Vier Zimmer, drei Wechselbälger. Sam umfasste den Flammenwerfer fester. Die Tür aufreißend sprang er in den nächsten Raum. Die Frau, die er so aus dem Schlaf gerissen hatte, sah unförmig aus, als wäre sie schwanger. Ein Blick auf sein Handy, zeigte ihm ein riesiges Maul und er richtete die Flammen auf das Ding. Ohne Gegenwehr aber mit einem fürchterlichen Kreischen verbrannte sie. Das Überraschungsmoment war damit wohl dahin. Egal. Eine hatte er vernichtet, die beiden anderen würden folgen. Zufrieden verließ er das Zimmer. Kurz huschte ein grimmiges Lächeln über sein Gesicht. Eine weniger. Das Kreischen der beiden anderen Furien, das augenblicklich begann, stach schmerzhaft in seinen Ohren und doch konnte er der ganzen Situation ein weiteres Grinsen abgewinnen. Beide standen in ihren Türen und versuchten verzweifelt aus den Zimmern zu kommen, doch das Salz hinderte sie wirkungsvoll daran. Gott sei Dank! Ohne weiter zu zögern, wandte er sich dem nächsten Wechselbalg zu und richtete den Flammenwerfer auf ihre Brust. Sie versuchte noch die Tür zuzuschlagen, war aber nicht schnell genug. Das Feuer fraß an ihrer Kleidung. Sie kreischte und verglühte, wie schon ihre Mitbewohnerin, in einem kurzen, grellen Feuerball. Unter der Tür des Zimmers, in dem die Kinder gefangen waren, war ebenfalls ein kurzes Aufleuchten zu sehen. Der Kate-Wechselbalg schrie panisch auf und schlug die Tür ihres Zimmers zu. Hier ging es nicht nur um ihre Existenz. Dieser Jäger wollte ihre Art ausrotten! Sie hatte immer wieder von denen gehört, doch noch nie in ihre Leben war sie einem begegnet. Immer gut getarnt, war sie nie wirklich lange an einem Ort geblieben. Warum nur hatte sie sich von den anderen beiden überreden lassen dieses Heim zu übernehmen? Jetzt brachte alles Jammern nichts mehr. Ihr blieb nur noch ihr Leben retten, zu verschwinden und wieder allein ihr Leben zu gestalten. Sie griff nach einer Glasvase, die auf der Kommode stand und duckte sich hinter den Schrank. So einfach würde sie ihre Haut nicht zum Markt tragen! Sam holte einmal kurz Luft, dann trat er die Tür zum Zimmer dieses Kate-Dings ein. Das Türblatt flog auf, knallte gegen die Wand und schwang wieder zurück. Mit seinem Arm hielt er es davon ab wieder komplett zuzuschlagen. Suchend blickte er sich um. Wo war sie? Das Fenster war noch verschlossen, also musste sie hier sein. Er machte einen Schritt über die Salzlinie und blickte sich um. Mit einem wütenden Schrei kam seine Gegnerin hinter dem Schrank hervor und schleuderte ihm die Vase entgegen. Der Winchester duckte sich, das Geschoss prallte gegen die Wand und zerbarst in unzählige Stücke. Scherben regneten auf ihn nieder. Diese eine Sekunde der Unachtsamkeit Sams nutzte Kate zu einem Angriff. Sie sprang vor und trat ihm gegen den Arm, sodass er den Flammenwerfer fallen lassen musste. Das Feuer erlosch. Mit einem wütenden Knurren beugte er sich nach vorn, um seine Waffe wieder an sich zu nehmen. Das Kate-Ding nutzte den Augenblick und sprang ihm in den Rücken. Mit ihren Beinen umklammerte sie seine Hüften und begann ihn mit ihren Fäusten zu bearbeiten. Für einen Augenblick riss Sam hilflos seine Arme nach oben und versuchte sich vor dieser Attacke zu schützen. Dann griff er nach hinten, erwischte ihre Haare und zerrte daran. Für diesen Kampf würde er mit Sicherheit keinen Fairnesspreis bekommen, doch das war ihm egal. Diese Dinger hatten Dean als Futtersack missbraucht, sie hatten Adams Mutter getötet und sie benutzten Kinder, um ihre Brut aufzuziehen! Außerdem wollte er endlich zu seinem Bruder, denn der war noch lange nicht außer Gefahr und auf dem Weg der Besserung. Die Wut über Deans Zustand verlieh ihm noch zusätzliche Kräfte. Er umfasste mit seiner Rechten Kates rechten Knöchel und zog ihn von seinem Körper, während er mit der Linken noch immer ihre Haare hielt. Nur widerwillig löste sie ihre Umklammerung und er warf sie mit einer Drehung von sich, setzte sofort nach und verpasste ihr noch einen Treffer gegen die Schläfe. Dieser Treffer reichte zwar nicht aus, um sie vollkommen auszuknocken, aber er schaffte es, den Flammenwerfer aufzuheben. Hektisch versuchte er die Flamme wieder zu entzünden. Kate rappelte sich auf und setzte sich in Bewegung. Gerade als sie nach ihm greifen wollte, entzündete sich das Gasgemisch und sie lief genau hinein. Auch sie starb mit einem furchtbaren Kreischen. Zur selben Sekunde, als sie sich in einer Stichflamme auflöste, gab es mehrere kleinere Stichflammen hinter ihrem Bett. Verwundert starrte Sam auf die Stelle. Von seinem Platz aus konnte er nur eine Art Laufstall erkennen. Er trat über den schwarzen Aschefleck auf dem Boden und näherte sich diesem Holzgestell. Es war tatsächlich ein Laufstall in dem jetzt sechs schwarzen Flecken waren. Hatte diese Kate auch Junge gehabt? War sie deshalb nicht zur Arbeit erschienen? Hatte die Leiterin nicht was von „aufgeschwemmt“ gesagt? Das könnte mit einer Schwangerschaft erklärt werden, oder wie auch immer das bei diesen Dingern hieß, wenn sie sich vermehrten. Angewidert wandte er sich ab und verließ den Raum. Er musste sich um die Kinder kümmern! Weit aufgerissene Kinderaugen starrten ihm panisch entgegen, als er dieses Zimmer betrat und das Licht anschaltete. „Alles gut. Sie sind tot. Ich hole euch hier raus“, versuchte er die Kleinen mit mäßigem Erfolg zu beruhigen. Sie drückten sich immer noch ängstlich an die hinteren Gitterstäbe. Sam trat zu dem ersten Käfig. Ein kurzer Blick sagte ihm, dass die Kreatur, die sich vorhin noch von dem Jungen ernährt hatte, verschwunden war. Wie schon damals in Cicero verschwanden die Jungen, wenn die Mütter getötet wurden. Gut so. Der Junge rutschte mit einem ängstlichen Quieken noch dichter an die Gitter. Hier würden Worte wohl nicht helfen. Die Kinder waren zu verängstigt. Seufzend hockte Sam sich hin und untersuchte das Schloss. Er würde es knacken müssen, so wie auch die Schlösser der anderen Käfige. Gab es hier keine Schlüssel? Er blickte sich um. Neben der Tür hing an einem Nagel ein Schlüsselbund. Der Winchester richtete sich auf und holte das Bund. Sechs Käfige, sechs Schlüssel. Er würde probieren müssen. Es dauert nicht lange, bis alle Türen offen standen, die Kinder trauten sich jedoch noch immer nicht wirklich raus und zwei von ihnen waren so schwach, dass er sie nach unten würde tragen müssen. „Kommt schon, lasst uns hier verschwinden“, sagte er ruhig, auch wenn diese Ruhe nur erzwungen war. Er wollte hier weg, zu Dean und sich überzeugen, dass es seinem Bruder gut ging! Er hockte sich vor einen der Käfige und streckte dem Mädchen die Hand entgegen. Ihre Augen huschten unruhig durch den Raum. Immer wieder blieben sie an den geöffneten Türen hängen und immer wieder machte sie Anstalten aus dem Käfig zu krabbeln, doch noch war die Angst zu groß. „Komm, wir wollen hier weg“, sagte er leise bittend. „Sie sind wirklich weg?“, fragte einer der Jungs. „Ja. Sie sind weg und kommen nie wieder!“ Der Junge krabbelte zur Tür und aus dem Käfig. Mit einem Mal kam Bewegung in die Kinder. Die Kleine griff nach Sams Hand und ließ sich auf die Beine helfen. „Lauf raus und über den Hof. Auf der anderen Seite sind Bäume, dort könnt ihr euch verstecken. Aber bitte bleibt da, okay?“ Ohne eine Antwort stürmten die Kinder nach unten nur die beiden, die zu schwach zum Laufen waren, hockten noch ängstlich in ihren Gefängnissen. Vorsichtig holte der Winchester sie heraus, setzte sie sich auf die Hüften und verließ mit ihnen den Raum. Im hinteren Bereich des Ganges sah er das Flackern von Feuer. Er hatte bei seinem ersten Angriff wohl irgendetwas in Brand gesetzt. Dass das Haus brannte, konnte ihm nur Recht sein! Er brachte die beiden nach draußen und setzte sie unter den Bäumen ab. „Ich muss noch mal rein. Bleibt bitte hier, ja?“ „Okay“, entgegnete eines der Kinder widerwillig und Sam verschwand. Aus dem Keller hörte er, wie gegen eine Tür gehämmert wurde. „Hilfe! Hallo, ist hier jemand?“, drang es dumpf durch das Holz. Immer zwei Stufen nehmend rannte er in den Keller. Er schloss die Tür auf, suchte kurz nach einem Lichtschalter und betätigte den. Fast wäre er über die Beine des einen gestolpert. Die beiden am Boden liegenden Männer kniffen geblendet die Augen zusammen. „Wer bist du? Gehörst du auch dazu?“, verlangte der andere zu wissen und starrte ihn wütend blinzelnd an. „Wozu?“, wollte Sam, sich dumm stellend, wissen. „Zu den Entführern! Wo sind wir überhaupt?“ „Im Keller eines verlassenen Hofes“, antwortete der Winchester ausweichend und bückte sich zu dem einen Mann hinunter, um seine Fesseln zu lösen. „Hey, du Arschloch, mach mich gefälligst auch los!“, tönte es sofort von dem anderen. „Entschuldige bitte, dass ich nur zwei Hände habe“, knurrte Sam nur. „Mach mich los, verdammt!“ „Und dann haust du mich um? Vergiss es. Ich lass dich hier liegen. Vielleicht holt dich die Feuerwehr ja noch rechtzeitig raus.“ „Feuerwehr?“, kreischte der Kerl panisch. „Ja, das Haus brennt.“ „Mach mich endlich los!“ In diesem Augenblick lösten sich die Fesseln, an denen er arbeitet und Sam erhob sich. „Kannst du ihn befreien?“, fragte er den Mann, der sich seine Handgelenke reibend aufstand. „Ja, schon.“ „Dann mach du ihn los. Ich hab hier noch was zu erledigen. Und beeilt euch. Außerdem sind unter den Bäumen gleich gegenüber einige Kinder. Könnt ihr euch um die kümmern, bis die Polizei kommt?“ „Warum kannst du das nicht?“ „Ich sagte doch, dass ich noch was zu erledigen habe.“ „Okay, ich bleibe bei ihnen, und danke!“, erwiderte der Mann und hielt Sam seine Hand hin. Der Winchester schüttelte sie, freundlich lächelnd und verschwand gleich darauf, während sich der andere zu seinem Kumpel beugte und ihn endlich auch befreite. Sam holte Kate Milligans Leiche und verschwand, ohne noch einmal nach den Kindern oder den beiden Männern zu sehen, im relativen Dunkel der Nacht. Schon nach ein paar Minuten hielt er an und wählte 911 um Feuerwehr und Polizei zu dem Brand zu rufen. Jetzt war es an den beiden Männern, eine Erklärung für das Ganze zu finden. Solange er dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, sollte ihm alles Recht sein, denn er wollte nur noch eines. Endlich zu seinem Bruder! Kapitel 47: Unerwartete Hilfe ----------------------------- @ Vanilein - Das mit dem Aufgeben ist so eine Sache ... LG Kalea 47) Unerwartete Hilfe Das satte Grollen des Impalas wurde immer lauter. Erleichtert steckte Adam sein Handy wieder in die Tasche. Er hatte gerade die Polizei informieren wollen. „Sam kommt“, informierte er Dean, ohne zu wissen, ob der es auch wirklich hörte und schaltete die Taschenlampe aus. Auch wenn er sich sicher war, dass es Sam sein musste, er wollte lieber nichts riskieren. Abwartend schaute er zur Tür. Dean hatte sich soweit es ging in sich zurückgezogen. Er war so müde, konnte aber nicht einschlafen. Nicht, solange sein kleiner Bruder noch da draußen war und gegen die Monster kämpfte. Er wollte wissen, dass der gewonnen hatte und unversehrt wieder zurückgekommen war. Und so dämmerte er in einer Art Halbschlaf vor sich hin, immer wieder durch Adams Wassergaben unterbrochen. Eigentlich wollte er nicht schlucken. Es reichte ihm schon, dass er jetzt wieder etwas besser Luft bekam, doch er konnte regelrecht spüren, wie glücklich der Milligan darauf reagiert und warum sollte er ihm diese Freude nicht gönnen. Ihm war es egal. Das Wasser würde ihn nicht retten. Aber vielleicht brachte es ihn dem Tod ja etwas schneller näher. Er wünschte sich nur noch, sich von Sammy verabschieden zu können. Das Motorengeräusch erstarb und gleich darauf wurde die Tür ein Stück aufgeschoben. „Adam?“, fragte Sam leise. „Wir sind hier“, antwortete der und schaltete die Taschenlampe wieder ein. Er hatte sich mit Dean einen Platz hinter ein paar Strohballen gesucht, so dass er von der Tür aus nicht sofort zu sehen war, diese aber trotzdem gut im Blick hatte. Sam stürmte mit wenigen Schritten zu ihnen und ging neben seinem Bruder in die Hocke. „Hey“, sagte er leise und ließ seinen Blick hoffnungsvoll über die beiden gleiten. Adam hatte sich an einen Strohballen gelehnt und Dean lag halb sitzend an seiner Brust, so, dass er ihm immer wieder bequem Wasser einflößen konnte. Wieder hob der die Flasche und ließ ein paar Tropfen zwischen die Lippen des Blonden laufen. Eine Weile passierte nichts, doch dann schluckte Dean. „Er schluckt?“, fragte Sam mit leuchtenden Augen. Er hatte es gesehen, ja, aber er wollte eine Bestätigung, dass das nicht nur eine optische Täuschung war. „Ja, er schluckt seit ein paar Minuten. Ich konnte es zuerst selbst kaum glauben“, strahlte Adam. Ein warmes Gefühl machte sich in Sams Körper breit. Jetzt würde alles wieder gut werden! Mit einem Strahlen auf dem Gesicht drückte er Deans Hand. „Bringst du ihn bitte in den Wagen. Ich möchte noch was erledigen.“ Adam fragte nicht was. Im Moment nahm Dean seine Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch. Vorsichtig arbeitete er sich unter ihm hervor, hob ihn hoch und trug ihn zum Wagen, um sich da mit ihm genauso vorsichtig auf der Rückbank einen bequemen Platz zu suchen. Wieder flößte er ihm Wasser ein. Sam holte den ausgetrockneten Körper Kates aus dem Kofferraum. Er ließ den Deckel offen, um Adam den Blick nach hinten zu versperren. Er wollte nicht, dass der Junge seine Mutter jetzt so sah. Weniger vielleicht um ihn zu schützen, sondern für Dean. Wenn Adam seine Mutter jetzt sah, konnte er ihm eine Trauerzeit nicht verwehren und das wollte er auch nicht. Aber im Moment wollte er Dean so schnell wie nur möglich in Sicherheit bringen. So furchtbar das dem Jungen gegenüber jetzt auch klingen mochte. Dean konnten sie noch helfen, Kate leider nicht mehr. Er trug den eingewickelten Körper in die Scheune und versteckte ihn hinter einigen Strohballen, über die er noch ein paar anderen zerrte. Sie würden sie später beerdigen oder verbrennen, was auch immer Adam tun wollte, doch jetzt war nur Dean wichtig und er wollte nicht unbedingt mit einer Leiche im Kofferraum herumfahren. Er war gerade wieder eingestiegen, als Feuerwehr und Polizei an der Einfahrt zur Scheune vorbei, auf den hellen, flackernden Lichtschein etwas weiter links, zu jagten. Die Brüder atmeten auf. Sam zählte noch bis zwanzig, dann startete er den Impala und lenkte ihn, ohne Licht einzuschalten, endlich ihrem Motelzimmer entgegen. Erst als er auf die Straße einbog, schaltete er die Scheinwerfer ein. Ohne auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu achten trieb er den Wagen über die Straßen. Was Dean konnte, konnte er auch! Nur, dass sein Bruder damit meistens mehr Glück hatte als er, doch heute würde ihm wohl keine Polizeistreife ein saftiges Bußgeld aufbrummen. Er konnte ja immer noch behaupten, das er ins Krankenhaus wollte. Er musste sich nur zwingen, seinen Blick mehr auf die Straße als in den Rückspiegel zu richten. Vorsichtig legte Sam seinen Bruder auf das Bett. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn ins Zimmer zu tragen. Jetzt war er da und würde sich nur noch von seiner Seite bewegen, wenn draußen die Welt unterging. Aber selbst das bezweifelte er. „Holst du mir bitte Wasser und ein Handtuch?“, bat er den Milligan, ohne dass er den Blick hob, hatte er doch gerade erst damit begonnen, seinen Bruder einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Was er sah, missfiel ihm auf das Äußerste. Dean glühte regelrecht, ohne jedoch zu schwitzen. Wie auch, fehlte seinem Körper doch ein Großteil aller Flüssigkeiten. Er krampfte immer wieder, sein Puls war hart und ungleichmäßig, seine Atmung zwar tief aber viel zu langsam und seine Haut sah wie die eines Neunzigjährigen aus. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Vorsichtig strich er Dean durch die struppigen Haare. „Du musst trinken“, bettelte er, schob ihm seine Hand stützend unter den Rücken und hielt ihm die Wasserflasche an die Lippen. Wieder schluckte der Ältere mit Verzögerung. Adam stellte eine Schüssel Wasser auf den Nachttisch und legte das Handtuch daneben. Dann setzte er sich auf einen der Stühle. Still beobachtete er, wie Sam seinem Bruder Gesicht und Hals abwusch und auch die Wunden der Schulter einer ausgiebigen Kontrolle unterzog. In diese Stille hinein klopfte es plötzlich an der Tür. Sam und Adam zuckten zusammen. Wortlos dirigierte der Winchester den Milligan ans Bett, zog seine Beretta aus dem Hosenbund und schlich zur Tür. Er drückte sich an die Wand daneben und öffnete einen Spalt breit. „Ruby!“, stellte er überrascht fest. Erleichtert ließ er die Waffe sinken und öffnete die Tür richtig. „Was treibt dich hierher?“, wollte er wissen und bat sie mit einer Handbewegung hinein. „Was glaubst du wohl?“, schnappte sie. Sie würde ihm mit Sicherheit nicht auf die Nase binden, dass Alistairs Spur sie hierher gelockt hatte, war es doch eine absolute Seltenheit, dass der alte Foltermeister der Hölle sich auf die Erde bequemte. Das machte er nur in den seltensten Fällen. Was gab es hier also so interessantes, das er höchstpersönlich her kam? Alsitair war ein Meister seiner „Kunst“ und hoch angesehen in der Hölle. Sie hätte nie gedacht, dass ihn noch etwas Anderes interessieren könnte, als Seelen zu quälen. Mal abgesehen davon, dass sie noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte. Wohl eher einen ausgewachsenen Vogel Strauß, wenn man bedachte, dass er sie jahrhundertelang durch die Mangel gedreht hatte, um einen richtigen Dämon aus ihr zu machen. Wie sehr sie ihn und seine herablassende Art doch hasste. Wie gerne würde sie ihm das Gleiche antun, was er mit ihr gemacht hatte. Schnell verdrängte sie diese Gedanken. Hier war Dean wichtiger. Sie fühlte seine geistige Verwirrung und diese absolute Ruhe, die sich nur dann in einem Menschen ausbreitete, wenn die Seele sich von dem Körper zu lösen begann, um ins Licht zu gehen, nur zu deutlich. Doch noch hatte er sein Leben nicht gelebt, noch war sein Lebenslicht nicht bis auf den letzten Millimeter herunter gebrannt. Natürlich wusste sie, dass immer etwas passieren konnte, um ein Lebenslicht auch vor seiner Zeit verlöschen zu lassen, gerade bei Jägern, doch sie würde alles in ihrer Macht stehende tun, um Deans Leben zu schützen. Sie hatte es einmal getan und sie würde es wieder tun! „Ich war gerade in der Nähe und … naja. Irgendwie besteht wohl immer noch eine Verbindung zwischen ihm und mir.“ Zu mehr Erklärung war sie nicht bereit. Warum auch. Sam verstand es entweder so, oder gar nicht! Sie trat noch einen Schritt weiter an das Bett heran und Adam machte ihr ohne zu fragen Platz. Interessiert musterte er die junge Frau. Sie sah gut aus und schien sich die Butter nicht von Brot nehmen zu lassen. Sie gefiel ihm und unweigerlich fragte er sich, woher seine Brüder diese Frau kannten und was für eine Verbindung wohl zwischen ihr und Dean bestand? „Vergiss, woran du gerade gedacht hast! Ich bin zu alt für dich!“, nahm sie ihm jeden Wind aus den Segeln und der Milligan starrte sie vollkommen perplex an. Hatte er sie so sehr angestarrt, dass sie es gemerkt hatte? Ertappt senkte er den Kopf und setzte sich wieder auf den Stuhl. Sam stellte sich an das Fußende des Bettes und beobachtete sie genau. Sanft legte sie Dean eine Hand auf die Stirn und die andere auf sein Herz. Sie hatte richtig vermutet. Er starb. Seine Organe hatten den Kampf schon vor Stunden verloren gegeben. Die Nieren versagten und einige andere Organe waren kurz davor. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie sich noch einmal teilen sollte, doch sie war ein Dämon. Sie konnte nicht heilen, sie konnte den jeweiligen Körper nur erhalten. Aber was wäre das für ein Leben für Dean, wenn sie das machte? Er wäre entweder für den Rest seines Lebens auf Dialyse angewiesen oder dieser Teil von ihr müsste für immer in ihm bleiben. Nein. Das eine würde er nicht wollen und das andere sie nicht. Sie musste eine andere Lösung finden! Sie richtete sich auf und kramte in ihrer Tasche. Schnell hielt sie einen ledernen Trinkbeutel in der Hand. Sie schob ihm ihre Hand unter den Rücken, stützte ihn so und hielt ihm den Beutel an die Lippen. Langsam ließ sie etwas von der Flüssigkeit in seinen Mund laufen und wartete, bis er schluckte. Dean gab ein angewidertes Schnaufen von sich, das ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte. „Du hast schon Schlimmeres geschluckt“, sagte sie leise und wiederholte den Vorgang noch ein paar Mal, bis sie ihn wieder in die Kissen sinken ließ und eine Decke über ihn legte. „Was hast du ihm gegeben?“, wollte Sam wissen. „Das nennt sich Hexenkraft. Es ist eine Art Stärkungsmittel. Kann aber auch viele Zauber unwirksam machen. Trotzdem braucht er Hilfe.“ Sie blickte Sam in die Augen. „Ich werde sehen, was ich tun kann und du solltest dich um seine Schultern kümmern!“ Und schon wandte sie sich wieder zur Tür und rauschte davon, ohne Sam Zeit für eine Antwort zu lassen. Sein Blick wanderte von der Tür zum Bett. Ja, er wusste, dass er die Schultern wieder einrenken musste, doch er wollte Dean nicht noch mehr weh tun. Er litt doch schon genug und im Moment waren die ausgekugelten Schultern wohl nicht sein größtes Problem. „Wer war das denn?“, wollte Adam interessiert wissen. „Wie sie schon gesagt hat, niemand mit dem du etwas anfangen solltest, in welcher Beziehung auch immer.“ „Aber ich hab doch gar nichts gesagt!“, maulte er. Ein trauriges Lächeln huschte über Sams Gesicht. „Ruby ist ein Dämon und war, bevor sie dazu gemacht wurde, eine Hexe. Wenn sie sich zu so etwas äußert, dann weiß sie mehr als du ahnst. Außerdem können Dämonen Gedanken lesen.“ „Ein Dämon? Du hast gesagt, dass ihr Dämonen bekämpft! Wieso macht ihr dann Geschäfte mit ihr?“ „Sie ist ein ganz besonderer Dämon. Der Einzige, der ein Zusammentreffen mit uns auf lange Sicht überlebt hat.“ „Gibt es viele Dämonen?“ „So viele wie Seelen in die Hölle kommen, vermute ich“, antwortete Sam und brachte den Jungen damit erst einmal zum Schweigen. Er setzte sich an das Bett seines großen Bruders, versuchte nachzudenken und bewachte dessen - ja was eigentlich? Schlief Dean? Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Seine Atmung war gleichmäßiger und er zitterte weniger. Wenn das ein Kriterium für Schlaf war, dann ja. Dann schlief er. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Was wollte Dean und was brauchte er? Kapitel 48: Gedanken -------------------- 48) Gedanken Doch leider war diese Ruhe für Dean nur von kurzer Dauer. Er keuchte immer mehr und sein Augen begannen hektisch unter den Lidern hin und her zu zucken. Vorsichtig legte Sam ihm eine Hand auf eine noch immer ausgerenkte Schulter. Erschrocken zog er sie wieder zurück. Dean brannte regelrecht. Verwundert schaute Dean sich um. Er stand am Rand eines Spielplatzes im Schatten einiger Bäume. Kinder tobten lachend über die Gerüste. Nicht weit von ihm entfernt saß ein Mann auf einer Bank, der ihm irgendwie bekannt vorkam. „Daddy, Daddy, hast du gesehen, was ich kann?“, rief ein Junge von vielleicht fünf Jahren und kam auf den Mann zu gerannt. „Ja, hab ich. Das hast du wirklich toll gemacht“, lobte er und stand auf. Der Junge ließ sich in seine Arme fallen, wurde aufgefangen und durch die Luft gewirbelt. Der Mann lachte, warf seinen Sohn noch einmal hoch und stellte ihn dann wieder auf die Füße. Lachend rannte der Junge zu seinen Freunden zurück. Der Mann drehte sich um und kam wieder zur Bank, um sich erneut darauf nieder zu lassen. Deans Magen krampfte sich zusammen. Dieser Mann war John! Doch der Junge, der da eben über den Spielplatz gerannt war, war eindeutig nicht er gewesen und er sah auch nirgends Sammy spielen. Mal abgesehen davon, dass John nie mit ihnen auf einem Spielplatz war. Nicht mehr nach Moms Tod. Schleppend ging er ebenfalls zu der Bank und setzte sich. „Dad?“, fragte er heiser. So ganz konnte er seine Gefühle nicht verbergen. „Dean!“, kam es frostig zurück. „Was willst du hier?“ „Wer ist der Junge?“, wollte Dean wissen. „Mein Sohn!“ „Aber Sam und ich …“ „Ihr seid nicht meine Söhne! Ihr seid wie lästige Kletten! Adam ist mein Sohn! Der Sohn, den ich mir all die Jahre gewünscht habe!“ Diese Worte Schnitte wie ein Messer durch Deans Seele. Ihm blieb schlicht die Luft weg, um etwas zu sagen. „Hast du dich nie gefragt, warum ich immer wieder zu neuen Fällen aufgebrochen bin? Ich wollte euch nie! Ich wollte Mary nie heiraten!“, redete sich der Ältere in Rage. „Aber Mom? Ich dachte du liebst sie!“ „Liebe?“ John schnaubte abfällig. „Sie war süß und taff und vielleicht hätte ich sie wirklich irgendwann heiraten wollen, aber dann sind ihre Eltern gestorben und sie klammerte sich an mich. Sie hat mir die Luft zum Atmen genommen! Was denkst du, warum du erst so viele Jahre nach unserer Hochzeit geboren worden bist und warum es bis zu Sam nochmal so lange gedauert hat? Ich wollte keine Kinder und schon gar nicht mit ihr!“ Hass kochte in den blonden Winchester hoch. „Du hättest uns weggeben können. Hättest uns bei Bobby oder Ellen lassen können, wenn du uns doch so gehasst hast“, sagte er gefährlich leise. „Als ob euch jemand haben wollte. Sam hat nur gebrüllt und du? Kein Wort reden und ständig in der Nähe des Schreibalges. Nein, euch wollte keiner, also musste ich mich um euch kümmern. Adam hier, der ist ganz anders. Er lacht, ist aufgeweckt, intelligent. Das was sich ein Vater wünscht und seine Mutter Kate? Sie ist eine selbstständige Frau, steht mit beiden Beinen im Leben. Sie heult nicht gleich los, nur weil ich mal einen Tag nicht da bin!“ Dean stand auf. Traurig schaute er seinen Vater an. „So also denkst du über deine Familie.“ „Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich euch nie als meine Familie gesehen habe. Ihr habt mir mein Leben versaut, da war es nur legitim, es euch mit gleicher Münze heimzuzahlen“, stellte John mit einem Achselzucken fest. Bevor er es selbst richtig registrierte, knallte Deans Faust hart gegen Johns Kinn. Hass verzerrte sein Denken. Doch der Treffer erzielte kaum eine Wirkung. John grinste nur, stand auf und begann jetzt seinerseits auf seinen ungeliebten Sohn einzuschlagen. Und diese Schläge trafen sehr genau. Schon bald krümmte sich Dean vor Schmerzen auf dem Boden. „Du Schwächling. Nichts kannst du! Du wolltest mich schlagen? Warum tust du es nicht? Warum zeigst du mir nicht endlich einmal, dass du auch etwas Mumm in den Knochen hast, du Schlappschwanz! Du wolltest dich mit mir prügeln? Dann nimm meine Antwort jetzt auch wie ein Mann!“ Wieder und wieder trafen Dean Johns Fäuste abwechselnd in die Nieren und in den Magen. Dean keuchte schmerzerfüllt. Sofort schaute Sam alarmiert zu ihm. „Dean“, sagte er laut, legte ihm die Hand auf die Schulter und versuchte ihn zu wecken. Es gelang ihm nicht. „Was ist mit ihm?“, fragte Adam alarmiert und trat neben seine Brüder. „Ich denke er träumt, aber ich weiß nicht, womit er sich rumschlägt“, erklärte Sam traurig. „Kannst du ihn nicht wecken?“ „Nein, ich komme nicht zu ihm durch. Außerdem wäre es sicher besser, wenn er schlafen würde. Er braucht viel Ruhe. Obwohl dieser Albtraum dazu wohl nicht beiträgt.“ Resigniert schloss Sam kurz die Augen. Plötzlich hörte er ein leises Räuspern hinter sich. Erschrocken fuhr er herum. War Ruby zurück? Auch Adam drehte sich zu dem Geräusch um. „Anna?“, fragte Sam leise, während Adam sie nur verwirrt fragend anschaute. „Hallo Sam.“ „Du bist … bist du …?“, stammelte der Winchester verwirrt. Er hatte nie darüber nachgedacht, ob er Anna je wiedersehen würde und jetzt stand sie hier. Ein Engel? „Ich bin ein Engel, ja. Ich habe meine Gnade wiedergefunden und bin in Vaters Schoß zurückgekehrt, wie man so schön sagt.“ Ein bitterer Zug lag um ihren Mund. „Und du … dieser Körper?“ Waren Engel doch einmal Menschen gewesen? „Ich habe um einen Gefallen gebeten und er wurde mir gewährt.“ „Und wo ist das aber?“, wollte Sam leise wissen. „Ich war einmal eine Art Abteilungsleiter. Ja, das könnte man so sagen. Bevor ich mich habe fallen lassen. Jetzt schaffe ich es vielleicht einmal bis zur Putzfrau. In vielen Jahren. Ich bin geduldet, aber nicht erwünscht.“ „Das tut mir leid“, sagte Sam ehrlich. „Es ist nicht deine Schuld und wenn ich ehrlich bin, ich bereue diese Entscheidung nicht. Diese Zeit als Mensch, ich möchte sie nicht missen. Doch deshalb bin ich nicht hier!“ Sofort wanderte Sams Blick zu seinem Bruder und dann fragend wieder zu ihr zurück. Langsam erhob er sich. „Du kannst sitzen bleiben“, sagte sie ruhig. Doch der Winchester stellte sich neben das Bett. Hier konnte er besser sehen, was passierte. Er wollte auf keinen Fall im Weg stehen. Fragend huschte sein Blick über den Engel zu seinem Bruder. Wieso war sie hier? Konnte sie Dean ebenfalls fühlen? Aber wenn, warum hatte sie ihm dann nicht geholfen, als er von diesem Wechselbalg entführt worden war? Oder fühlte sie seine Seele? Doch dann hätte sie ja auch auf Deans Verwirrung und Schmerzen reagieren müssen. So sehr er auch überlegte, er kam zu keinem Ergebnis. Adam stellte sich neben ihn. Auch er musterte die Frau irritiert und gleichzeitig auch interessiert. Sie sah nicht aus wie ein Engel! Wo waren ihre Flügel? Und waren die nicht immer blond gelockt? Anna trat neben den blonden Winchester. Sanft legte sie ihm ihre Hand an die Wange und musste sich beherrschen, um diese nicht sofort wieder zurückzuziehen. Der Mann, mit dem sie die letzten Stunden ihres menschlichen Lebens verbracht hatte, starb. Sein Herz kämpfte noch, aber der Körper hatte den Kampf schon verloren gegeben. Sie musste ihm helfen, konnte ihn nicht so einfach sterben lassen. Es gab in diesem Leben noch so viel für ihn zu tun! Hoffentlich hatte sie genug Kraft, um ihm helfen zu können. Castiel oder einen der anderen Engel die sie früher so gut gekannt hatte, durfte sie nicht um Hilfe bitten. Ein menschliches Leben war für Engel nicht von Bedeutung! Das musste sie ganz alleine regeln. Schnell konzentrierte sie sich wieder auf den Winchester. Sofort beruhigte sich Deans Atmung und auch seine Augen huschten unter den geschlossenen Lidern nicht mehr hektisch hin und her. Einen Augenblick später schlug er die Augen auf. „Anna“, krächzte er kaum hörbar. „Hallo Dean. Du musst nicht reden.“ „Wieso bist du hier?“, formte er mit den Lippen, weil er seiner Stimme nicht traute. „Ich will dir helfen. Entspann dich, okay?“ Sie lächelte ihn warm an. Langsam hob sie ihre Hand und wollte ihn in einen erholsamen Schlaf schicken. Doch der ältere Winchester drehte den Kopf weg. ‚Früh genug’, schimpfte er in Gedanken und schaute ihr intensiv in die Augen. „Al-lis…“, begann er verzweifelt darum bemüht, seine Gedanken auf diesen Punkt zu konzentrieren. Es gelang ihm nicht. Sammy überreichte ihm ein Päckchen Zeitungspapier. „Aber das wolltest du Dad schenken.“ „Dad ist nicht hier.“ Er fühlte das Gewicht in seinen Armen und das unruhige Strampeln des Babys. Er hatte den Kleinen wohl zu fest an sich gepresst. Und dann, noch bevor er seinen Griff lockern konnte wurden sie beide hochgehoben. „Ich hab euch“, hörte er Dad sagen und sie wurden von der Hitze an seiner Seite fortgetragen. „Ich habe dir befohlen auf Sam aufzupassen! Wo ist er? Wo warst du wieder mit deinen Gedanken? Bist du zu überhaupt etwas zu gebrauchen?“, brüllt Dad ihn an und er fühlte sich klein und wertlos. Er hatte seinen Dad enttäuscht, wieder einmal. „Ich bin so stolz auf dich, Dean“, sagte Dad und er schaute ihn verwundert an. Das hatte der noch nie zu ihm gesagt! Warum jetzt? Doch Dad erklärte sich nicht. Stattdessen fuhr er ernst fort: „Pass auf Sam auf, hörst du! Schütze ihn mit deinem Leben. Und wenn du es nicht kannst, töte ihn!“ Angst mischte sich unter seine Verwunderung. „Dad?“ Doch sein Vater verließ ihn wortlos. Er lief ein paar Schritte hinter Sam her, doch sein kleiner Bruder drehte sich nicht mehr um. Er fühlte sich so hilflos. Langsam trottete er zurück zu der alten Hütte, in der sie zur Zeit lebten. Nun blieb ihm nur noch sein Dad übrig. Das, wovor er soviel Angst gehabt hatte, war passiert. Seine Familie zerfiel. Egal, was er all die Jahre versucht hatte, es war zu wenig gewesen. „Dad?“ Er bekam keine Antwort. „DAD“ Nichts. Mutlos ließ er sich in einen Sessel fallen. Einsamkeit breitete sich in ihm aus. Jetzt hatten sie ihn alle allein gelassen! Wie ein Tsunami schwappten Deans Gefühle über sie herein. Sie hätte nicht gedacht, überhaupt noch Gefühle zu haben, doch sie konnte seine nur zu gut spüren. „Alistair“, sagte sie ruhig und zwang seine Gedanken wieder auf einen Punkt. Sam hatte zusehen müssen, wie sich Deans Augen in den vergangenen Sekunden immer mehr eintrübten. Gerade als Anna ihn ansprach hatte er zu ihm gehen wollen, jetzt verharrte er still und wartete. Für Adam war das Ganze nur bizarr. Was passierte hier? Doch er wagte nicht zu fragen. Etwas lag in der Luft, dass ihn mucksmäuschenstill auf seinen Platz verharren ließ. „Alist…“, versuchte Dean es erneut, doch schon wieder drängten sich andere Erinnerungen in sein Gedächtnis. Sanft legte sie ihm ihre Hand unter das Kinn und zwang ihn so, sie anzusehen. „Was ist mit ihm?“, fragte sie und griff nach seiner Hand, um ihm unbemerkt Kraft zu übermitteln. Erschrocken weiteten sich ihre Augen. Dean wusste dass er starb! Doch anstatt sie um Hilfe für sich zu bitten, versuchte er noch in seinen letzten Minuten die Welt zu beschützen. Wieso war er so? Wieso wollte er nie etwas für sich? Sie würde alles daran setzen, ihm zu helfen. Hoffentlich reichte ihre Kraft dafür. Ihre Augen hielten seinen Blick gefangen und halfen ihm zusätzlich, sich auf diesen einen Punkt zu konzentrieren. Sam stand am Fußende des Bettes und starrte auf Szene, die sich ihm bot. Sie kam ihm so bizarr vor, so falsch. Es konnte, es durfte nicht sein, dass er zu spät gekommen war! Stumm bettelte er um Hilfe. Kapitel 49: Heilende Hände -------------------------- @ Vanilein - Du kennst Dean. Der wird immer zuletzt an sich denken! LG Kalea 49) Heilende Hände „Nicht reden, denken“, bat Anna Dean. Der Winchester schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete lag soviel Ruhe in ihnen, dass es ihr, wenn sie noch ein Mensch wäre, die Tränen in die Augen treiben würde. Selbst in Gedanken stockend, berichtete er ihr vom Besuch des Dämons. Davon, dass er sich gebrüstet hatte, dass sie ihn mit Liliths Tod nur aufgehalten hätten und davon, dass Sam und er perfekt gewesen wären, Sam mit Dämonenblut verseucht und er trotz Allem rechtschaffen. Aber es würde andere geben! Was auch immer das heißen mochte. „Ich werde es weitergeben. Wir kümmern uns darum“, versprach sie ihm. „Aber jetzt …“ „Sam“, keuchte er, schon wieder vollkommen erschöpft. ‚Lass mich mit ihm reden, bitte!’ ‚Du brauchst Ruhe, Dean!’ ’Ich kann mich noch früh genug ausruhen!’, dachte er wütend. Resigniert verdrehte sie die Augen. War der Kerl immer so stur, wenn man versuchte ihm zu helfen? Sie fasste seine Hand fester und eine Welle der Dankbarkeit schwappte ihr entgegen. Kaum hatte Dean den Namen seines Bruders ausgesprochen, als der auch schon neben ihm stand. Er kniete sich neben das Bett, damit sich der Ältere beim Sprechen nicht so anzustrengen musste und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir können später reden“, sagte er ruhig. Dean schloss die Augen und atmete tief durch. Unendlich viel Liebe lag in den grünen Augen, als er die Lider wieder hob. Sam musste schlucken. Er verdrängte die aufkommende Angst, die seine Kehle zu verstopfen drohte. „Sammy!“, begann Dean langsam und kaum hörbar. „Bitte lass Adam aus unserem Leben raus. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist und was du ihm schon alles erzählt hast, aber bitte, weite es nicht noch mehr aus. Du hasst dieses Leben. Du hast so oft versucht auszubrechen. Bitte zieh ihn nicht mit hinein.“ Er schluckte und holte tief Luft. „Sammy, ich …“ Dean brach ab. Bettelnd schaute er zu der rothaarigen Frau. Sie trat wieder neben ihn und berührte ihn sanft an der Schulter. Sein Kopf rutschte zur Seite und er entspannte sich. „Verdammt, Anna. Er wollte mir noch etwas sagen!“, schimpfte Sam panisch. Er hatte das Gefühl, dass es etwas sehr Wichtiges war. „Ja, dass er stirbt! Er wollte sich verabschieden!“ Ihre letzten Worte waren kaum zu verstehen. „Aber kannst du …“, bettelte er und erstarrte. Seine Augen huschten von ihr zu Dean und zurück. Dass es ihm schlecht ging sah er ja selbst, dass er aber so schlimm um ihn stand? Er wollte es nicht sehen, weil das heißen würde, dass er zu spät gekommen wäre! Nein! Das durfte einfach nicht sein! Er sprang auf und blickte sich suchend um, bis er den Impalaschlüssel auf der Kommode liegen sah. „Bringt es etwas, wenn ich ihn in ein Krankenhaus zwinge? Er will es nicht, aber wenn es sein Leben rettet …“, flehentlich blickte er zu Anna. Traurig schüttelte sie den Kopf. „Seine Nieren haben schon vor Stunden aufgehört zu arbeiten. Seine Organe versagen. Eure Medizin kann ihn nicht mehr retten.“ „Kannst du ihm helfen?“ Warum sonst sollte sie hier sein? Doch wohl nicht, um etwas über diesen Alistair zu erfahren?!? „Ich kann es“, erklärte sie voller Überzeugung und hoffte, dass das nicht nur leere Worte waren. Noch waren ihre Kräfte mehr als begrenzt. „Bitte hilf ihm! Er ist doch alles, was ich an Familie noch habe!“ Adam erstarrte. Gehörte er nicht dazu? Hatten sie nicht den gleichen Vater? ‚Du musst ihm Zeit lassen. Jahrelang gab es nur Dean in Sams Leben. Selbst als euer Vater noch lebte, war der kaum verfügbar und Dean Sams einzige Bezugsperson’, hörte er Annas Stimme in seinem Kopf. Überrascht blickte er sie an. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln und wandte dann ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem älteren Winchester zu. „Er, ihr habt mich vor der Hölle bewahrt, Sam. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun!“, bestätigte sie ihr Vorhaben noch einmal und versuchte ein beruhigendes Lächeln. Danach beugte sich über Dean. Ihre Hände glitten nur wenige Zentimeter über seinen Körper, bis sie an seinem Becken verharrten. Intensiv blau-weißes Leuchten erschien unter ihnen und legte sich wie eine Decke über seine Hüften. Lange blieb sie so, bis ihre Hände langsam wieder nach oben glitten. Immer wieder hielt sie inne. Für die beiden jüngeren Brüder schienen Stunden vergangen zu sein, bis sie den Kontakt zu Dean endlich löste. Leicht schwankend richtete sie sich auf. Noch einmal musterte sie Dean, bevor sie ihre Hand ein letztes Mal auf seine Schulter legte und sich dann zu Sam wandte. „Er wird leben, aber er ist noch sehr schwach.“ Erschöpfung flackerte über ihr Gesicht und sie schwankte erneut, trotzdem lächelte sie ihn warm an. „Was ist mit dir?“, wollte Sam auch sofort wissen. Er behielt sie im Auge, während er zum Bett seines Bruders ging, sich auf der Kante niederließ und seine Hand griff. Er vertraute ihr, wollte sich aber trotzdem sofort davon überzeugen, dass es ihm besser ging. Er tasteten nach einem Puls, den er schon bald kräftiger unter seinen Finger schlagen fühlte. Auch Deans Atmung war wieder regelmäßiger. Erleichterung flutete durch seinen Körper. Jetzt konnte er ihr seine volle Aufmerksamkeit schenken und blickte sie fragend an. „Ich habe mich fallen lassen“, begann sie leise. Es war nie vorgesehen, dass ich wieder in Vaters Schoß zurückkehre. Nicht in dieser Form zumindest, nicht als Engel. Ich habe es trotzdem getan. So einen Fall gab es noch nie und keiner weiß, wie er mit mir umgehen soll. Ich habe eine, für Engel, unverzeihliche Sünde begangen und Engel verzeihen nie. Sie gehen mir aus dem Weg, sie schließen mich aus. Keiner will etwas mit mir zu tun haben. Aber das ist der kleinere Preis, wenn ich bedenke, dass Alistair mich in die Hölle bringen wollte.“ „Alistair?“, hakte Sam sofort ein. Diesen Namen hatte Dean mehrfach versucht zu erwähnen und er schien auch bei Anna einiges auszulösen. „Alistair ist ein hochrangiger Dämon. Der Foltermeister der Hölle. Jede Seele, die dort unten landet, geht durch seine Hände. Er begutachtet sie und entscheidet, welche Seelen er für sich beansprucht und welche er an niederrangige Dämonen weitergibt, damit die sich daran üben können, was wohl die weniger schlimme Alternative wäre.“ „Du meinst Dean …“ „Ja. Und ich denke, ihn hätte er für sich beansprucht.“ „Hat er ihm einen Deal …“ „Das musst du ihn selbst fragen.“ „Wann wacht er auf?“, wollte Sam sofort wissen. „Wie ich schon sagte: Er ist sehr schwach. Meine Kräfte reichten nur aus, um ihn soweit zu heilen, dass keine Lebensgefahr mehr besteht. Ich habe seine Gefühle und Erinnerungen verschlossen, damit er seine ganze Kraft in die Heilung investieren kann. Er wird die nächsten Tage nur schlafen und essen. Du brauchst ihn also gar nicht erst zu fragen.“ Sie atmete, erschreckend menschlich, tief durch. „Ich komme in drei Tagen wieder. Dann sollten sich meine Kräfte soweit erholt haben, dass ich ihm weiter helfen kann. Bis dahin braucht er jede Menge Flüssigkeit und soviel Kalorien, wie er nur bekommen kann. Ich weiß, dass du das schon mal wunderbar hinbekommen hast, Sam.“ Mit diesen Worten und einem Blick auf Dean verschwand sie, wie sie gekommen war. „War das wirklich ein Engel?“, wollte Adam, flüsternd vor Ehrfurcht, wissen. „Ich denke schon, so wie sie erschienen und wieder verschwunden ist. Genauer könnte es dir Dean sagen.“ Er biss sich auf die Zunge. Sein Bruder hatte ihn quasi als letzten Wunsch gebeten, Adam nicht weiter in ihr Leben einzuweihen. Er würde sich vorerst daran halten und das, was er ihm schon erzählt hatte, nicht noch weiter ausbauen. „Hör zu, ich bin hundemüde und ich denke, dir geht es auch nicht viel besser. Wir sollten uns um Dean kümmern, etwas zu Essen besorgen und dann kann zumindest einer von uns ein paar Stunden schlafen.“ Der Milligan nickte. „Womit willst du anfangen?“ „Lass schon mal warmes Wasser in das Duschbecken. Ich denke wir baden ihn da. Jetzt wo seine Schultern wieder in Ordnung sind. Ich bin vorhin ja mit Waschen nicht wirklich weit kommen.“ Er grinste schief. Wieder nickte Adam und verschwand im angrenzenden Bad, während Sam seinen Großen aus der dreckigen Kleidung schälte. Das meiste davon war kaputt oder so verdreckt, dass er es gleich entsorgen wollte. War wohl mal wieder ein kleiner Einkaufsbummel fällig, wenn es Dean wieder besser ging. Er schob seine Arme vorsichtig unter den ausgemergelten Körper und hob ihn hoch. Dean war ohne seine Kleidung noch viel leichter. Und erneut fragte er sich, wie der das hatte durchstehen können. Er war verdammt froh über diese Sturheit. Immerhin hatte die ihm seinen Bruder bis jetzt erhalten. Deans Kopf kippte gegen seine Schulter und er fühlte sich an die Zeit vor etwas mehr als einem Jahr erinnert. Schnell schob er die Gefühle beiseite, die sich in diese Erinnerungen drängen wollten. Die konnte er jetzt nicht brauchen. Einzig das Ergebnis zählte, Dean lebte! Er trug seinen Großen ins Bad und setzte ihn in die Duschwanne. Vorsichtig drehte das Wasser etwas wärmer und hielt den Strahl auf den zitternden Körper. „Kannst du saubere Sachen aus Deans Tasche suchen und drüben hinlegen?“, bat er seinen Halbbruder. Wortlos verließ Adam den Raum. Er hätte hier eh nur im Weg gestanden, also setzte er Kaffee an und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Sam mit seinem Bruder wieder ins Zimmer kam, ihn vorsichtig trocken rubbelte und dann ins Bett legte. „Kannst du mit anfassen?“, fragte Sam und blickte zu seinem Bruder. Sofort stand Adam neben ihm und half, den älteren Winchester anzuziehen. Danach zog er sich wieder zurück. Das hier war ein so intimer Moment der Brüder, da wollte er nicht stören. Er fand es toll, wie selbstverständlich die beiden, oder eher Sam mit Dean umging und es machte ihn traurig. Auch er hätte zu dieser Familie gehören können! Warum hatte John ihm seine Brüder verschwiegen? Warum hatte John ihn den beiden verschwiegen? Währenddessen breitete Sam noch seine zusätzliche Decke über Dean und ließ sich dann für ein paar Minuten auf dem Bettrand nieder, noch nicht gewillt das Zimmer zu verlassen. Müde rieb er sich die Augen. Adam erhob sich, ging zur Küchenzeile und kam, nach kurzem Schränkeklappern, mit einer Tasse Milchkaffee wieder. Dankbar lächelte Sam ihn an. „Wie geht es jetzt weiter?“, fragte der Jüngere. „Ich fahre gleich noch einkaufen. Wenn du also noch so lange bei ihm bleiben könntest?“ „Aber klar. Soll ich mal versuchen, ob er noch was trinken möchte?“ „Möchte ist gut“, erwiderte der Winchester. „Wir müssen so viel Flüssigkeit wie möglich in ihn bekommen.“ Er unterdrückte ein Gähnen, lächelte Adam aufmunternd an und ging zur Tür. „Lass dich nicht von ihm ärgern“, sagte er noch und verschwand, offen lassend, wen von beiden er meinte. Adam schnaubte nur. Was bitteschön hieß das denn? Er hatte Dean doch auch vorher schon Wasser eingeflößt. Er holte eine Flasche Wasser, setzte sich auf den Rand des Bettes und zog den Älteren auf seinen Schoß. Vorsichtig hielt er ihm die Flasche an die Lippen. „Komm, du musst trinken“, sagte er und kippte langsam etwas von der Flüssigkeit in den Mund. Wieder schluckte Dean nach einer Weile. Lange brauchte Sam nicht, bis er mit Tüten voll beladen wieder in Zimmer kam. „Willst du eine mittlere Hungersnot bekämpfen?“, fragte Adam und begann ihm beim Wegpacken zu helfen. „Könnte man so sagen. Dean frisst schon wie ein Scheunendrescher, wenn er normal Hunger hat. Ich möchte nicht wissen, wie er jetzt zuschlägt“, erwiderte der Ältere und verdrängte die Wut und die Trauer, die ihn bei Adams Worten erfasst hatte. Der Junge hatte es nur gut gemeint. Dass Dean schon wieder mehr tot als lebendig war lag nicht daran, dass Adam sie gerufen hatte, sondern an seiner eigenen Blödheit. Er war so stur gewesen, dass sein Bruder eine Auszeit gebraucht hatte, um seine Gefühle zu sortieren. Schnell rührte Sam eine zusätzliche Portion Traubenzucker und Sahne in den mitgebrachten Bananensmothie und kippte jede Menge Schokosoße darüber. Dann ging er zum Bett, zog Dean an sich und hielt ihm das Glas an die Lippen. Ohne eine Reaktion erkennen zu lassen, trank der ältere Winchester das Glas leer. Ein wenig enttäuscht ließ er seinen Großen danach wieder in die Kissen sinken. Irgendwie hatte er sich wenigstens eine kleine Reaktion erwünscht, aber er war auch erleichtert, dass er trank. „Du kannst dich hinlegen, wenn du willst. Ich bleibe bei ihm“, erklärte der Winchester und schaute zu Adam. „Nein, ich bin noch nicht so lange auf den Beinen wie du und deshalb bleibe ich hier und du gehst rüber, da hast du mehr Ruhe oder legst dich hier hin!“, erwiderte der ernst. „Dean ist mein Bruder und ich …“ „Er ist auch mein Bruder und du bist vollkommen übermüdet. Was wenn er Hilfe braucht und du bist eingeschlafen?“, fuhr ihm Adam ins Wort. Sam nickte nur. Er war selbst zu müde um sich ein längeres Wortgefecht mit dem Milligan zu liefern. „Aber du weckst mich, wenn was ist!“, forderte er. Adam nickte ebenfalls nur, schwor sich aber, genau das lediglich im äußersten Notfall zu tun. „Ich hol dir die Decke aus meinem Zimmer“, sagte er und ging kurz rüber, während Sam im Bad verschwand. Kapitel 50: Engel'sche Einmischung ---------------------------------- 50) Engel´sche Einmischung Sam hatte es kaum geschafft, sich richtig hinzulegen, als seine Augen auch schon zugefallen waren und sich sein Körper entspannte. Adam deckte ihn zu und machte sich dann erneut an der Kaffeemaschine zu schaffen. Mit einer frischen Tasse des dunklen Gebräus setzte er sich an den kleinen Tisch und ließ seinen Blick über seine großen Brüder gleiten. Was machte er hier? Wie war er hier her gekommen? Wie hatte es soweit kommen können und warum war das alles passiert? Würde er auf all die Fragen jemals eine Antwort bekommen? Solange Sam noch durch den Raum gewuselt war, hatte er sich auf ihn und auf Dean konzentrieren können, aber jetzt? Jetzt war er mit seinen Gedanken allein. Er rutschte mit seinem Stuhl etwas weiter ans das Fenster und begann in einem seiner Schulbücher zu blättern. Aber so ganz konnte er den Inhalt nicht erfassen. Immer wieder wanderte sein Blick zu seinen Brüdern und seine Gedanken kreisten um diese Anna und Ruby, um ihr Verhältnis zueinander und um einen Dämon namens Alistair. Wo war er da nur rein geraten? Eigentlich müsste er schreiend weglaufen und die beiden bei der Polizei anzeigen oder in eine Psychiatrie einweisen lassen. Engel und Dämonen. Das war doch nicht normal! Aber warum blieb er dann? Zumindest diese Frage konnte er sich beantworten. Weil er Antworten wollte und weil das das letzte Bisschen Familie war, das er auf dieser Welt noch hatte! Wie war diese Anna gekommen und wieder gegangen? Was bedeutete dieses blaue Leuchten? Okay, das Leuchten könnte man mit LED erzeugen. Da gab es ja heutzutage jede Menge Möglichkeiten. Blieb noch ihr Erscheinen und Verschwinden. Aber auch sie hatte komisches Zeug geredet. Engel und fallen lassen, was angeblich die größte Sünde eines Engels sein soll. War Luzifer nicht auch gefallen? Nein! Der war zwar ein gefallener Engel, allerdings war er verstoßen worden. Und wenn es Engel gab, hieß das dann nicht auch, dass es einen Teufel gab? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Von diesen ganzen Gedanken wurde er ja ganz wirr im Kopf. Was war das nur für eine Welt, in der seine Brüder da lebten? Und wer war sein Vater wirklich? Wieso hatte Dean ihm auf die Frage nach Dad geantwortet, dass er ihn so in Erinnerung behalten sollte, wie er ihn kennen gelernt hatte? Er würde mit seinen Fragen warten müssten, bis wenigstens Sam aufgewacht war. Aber ob der ihm dann auch antworten wollte? Dean hatte ihn ja regelrecht angefleht, ihm nichts mehr zu erzählen. Und wieder stand da nur ein großes Warum! Immer wieder stieß er auf diese eine Frage. Warum? Warum? Warum? Warum? Auch seine größte Sorge war ihm noch nicht genommen worden! Was war mit seiner Mom? Sam hatte nichts gesagt und das Haus, diese Farm war niedergebrannt. Da war sie also auch nicht gewesen. Aber diese Frau am Fenster, die seiner Mom so ähnlich sah. Was war mit der? Hatte Sam sie getötet? Wieder konnte er nur den Kopf schütteln. Der Fall, weshalb seine Brüder, diese angeblichen privatermittelnden Mechaniker, hierher gekommen waren, war noch immer nicht gelöst und jetzt lag Dean auch noch eher tot als lebendig hier im Zimmer. Wem konnte er denn überhaupt noch glauben? Frustriert zwang er seine Gedanken auf den Schulstoff. Ein blonder Mann lag in einer kleinen Bucht am Strand und genoss die Sonne. Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Alarmiert setzte er sich auf, drehte er sich um und entspannte sich wieder. „Warum so schreckhaft, Gabriel?“, fragte die rothaarige Frau. „Was willst du von mir, Anna?“ „Mit dir reden.“ „Wie hast du mich gefunden?“ „Ich habe lange genug unter dir gedient. Ich kenne deine Signatur.“ „Dann muss ich die wohl noch besser verbergen!“ Sie blickte auf das Meer hinaus. Also sie noch ein Mensch war, hätte es ihr bestimmt gefallen hier barfuß durch den Sand zu laufen und die Wellen zu spüren. „Du wolltest mit mir reden“, warf der Erzengel ein und riss sie aus ihren Gedanken. „Ja.“ Sie schien noch einmal zu überlegen, wie sie anfangen sollte, vor ihr stand immerhin einer der Erzengel! „Mach dir darüber mal keinen Kopf. Fang einfach an“, ermunterte er sie. „Dean Winchester“ „Oh, der! Du brauchst gar nicht erst um Hilfe für ihn bitten. Der wird das auch so schaffen. Immerhin warst du da schon dran.“ Der Engel grinste dreckig. Ja, ja. Sie war dran. In jeglicher Beziehung! Anna schluckte jede Erwiderung herunter und konzentrierte sich voll und ganz auf das, was sie zu sagen hatte. „Ein paar Wechselbälger hatten ihn in der Mangel. Aber darum geht es hier nicht. Das konnte ich halbwegs wieder richten. Etwas anderes allerdings ist wichtig. Alistair ist bei ihm gewesen. Er hat ihm einen weiteren Deal angeboten. Der alte Dämon scheint ihn unbedingt haben zu wollen. Er meinte, dass die Brüder ideal wären. Dean wäre trotz allem rechtschaffen und Sam wurde als Baby mit Dämonenblut verseucht. Ich kann mir keinen Reim darauf machen und ich weiß auch keinen anderen Engel, zu dem ich gehen könnte und da du mich zu meiner Gnade geführt hast ...“ „Das war ich bestimmt nicht!“, wehrte er sich vehement. „Doch. Ich kenne dich, das hab ich dir doch vorhin schon gesagt.“ „Ich wollte Alistair nicht noch einen Triumph gönnen. Aber vielleicht sollte ich mich beim nächsten Mal noch etwas besser tarnen!“, stellte er mehr für sich selbst fest. „Noch einen Triumph?“, hakte die Rothaarige nach. „Neugierde ist eine Sünde!“ „Sich immer mehr der menschlichen Lebensweise anzunähern, ist auch nicht gerade gerne gesehen!“ „Genau diese Sichtweise ist es aber, die unseren Brüdern und Schwestern vielleicht die Augen öffnen würde, damit sie ihre wahnwitzigen Pläne nicht doch noch irgendwann weiter verfolgen.“ „Pläne?“ „Anna, Anna, Anna! Kehre in den Himmel zurück, erhole dich und hab ein Auge auf die Winchester-Bengel“, befahl er und wandte sich von ihr ab. „Aber du …“ „Ich befehle es dir. Der Rest hat dich nicht zu interessieren. Noch besteht kein Grund, dass du mehr erfahren musst. Lass es mich nicht bereuen, dich aus Alistairs Fängen gerettet zu haben!“ „Du hast Castiel …?“ „ANNA!“, donnerte der Erzengel und der Himmel verdunkelte sich blitzschnell. Sie blickte demütig zu Boden und beeilte sich dem Befehl nachzukommen. Immerhin hatte Gabriel ihr zugehört und er schien sie auch weiterhin in seinen Reihen zu dulden. Das war mehr, als sie von anderen Engeln erwarten durfte. Energisches Klopfen riss Adam aus seinen Gedanken. Durfte er öffnen oder sollte er Sam wieder wecken? Der schlief allerdings noch nicht wirklich lange. Wieder klopfte es und Sam wurde unruhig. Wenn er noch lange wartete, würde sein Bruder davon wach werden! Seufzend erhob er sich und ging zur Tür. Vorsichtig öffnete er und machte einen Satz nach hinten, als das Türblatt schwungvoll aufgedrückt wurde. Die blonde Frau von vorhin trat ohne zu fragen ein. Erschrocken und wütend starrte er sie an. „Ruby“, stellte sie sich lachend vor. „Ich weiß“, knurrte er. „Wolltest du mir das Ding vor den Kopf hauen, oder was?“ „Nein, aber ich dachte, meine Hilfe wäre dringend!“ „Hier war eine …“, begann er zu stottern. Wie sollte er ihr erklären, dass Dean schon Hilfe erhalten hatte. „Meine Hilfe wird nicht mehr gebraucht? Wolltest du das sagen?“, fragte sie schnippisch. „Naja, hier … diese Anna kam kurz nach dir und sie hat irgendwas mit ihm gemacht.“ Unsicher schaute er sie an. „Flatterviecher sind ja so viel besser! Dann kann ich ja wieder verschwinden, wenn meine Hilfe unerwünscht ist.“ Beleidigt drehte sie sich um und verschwand wieder. Das zufriedene Lächeln, dass über ihr Gesicht huschte, nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sah niemand. Vier Stunden später hatte sich Sams Körper soweit regeneriert, dass die Sorge um seinen Bruder wieder stärker war, als sein Schlafbedürfnis und er wachte auf. Noch im Liegen warf er einen Blick auf das Nachbarbett. Da schien alles soweit in Ordnung zu sein. Er setzte sich auf. „Du solltest dich ausruhen!“, stelle Adam ruhig fest. Das Lächeln, das über sein Gesicht huschte, strafte seine Aussage allerdings Lügen. Er war froh nicht mehr allein hier sitzen zu müssen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und er hatte den Verdacht, dass er schon bald dem Wahnsinn anheimfallen würde, wenn er nicht etwas anderes fand, womit er sich beschäftigen konnte. „Geht schon“, erwiderte der Winchester und setzte sich auf. „Wie geht es Dean?“ „Schläft ruhig. Ich hab ihm noch zweimal Wasser gegeben.“ „Gut.“ Sam schälte sich aus der Decke und ging zur Kaffeemaschine. „Willst du auch welchen oder legst du dich gleich hin?“ „Nein, ich kann noch nicht schlafen.“ Sam nickte. Er konnte den Jungen verstehen. Da war viel zu viel auf ihn eingeprasselt, als das er das schon hätte verarbeitet haben können. Er setzte frischen Kaffee an, zog sich etwas über und kam dann, mit Kanne und einer Tasse für sich zum Tisch. „Diese Ruby war hier“, informierte Adam ihn. „Wann?“ „Du hattest dich gerade hingelegt.“ „Oh.“ Irgendwie fühlte er sich gerade, als hätte er eine Freundin hintergangen. „Was hat sie gesagt? Hat sie was hiergelassen?“ „Nein. Sie hat was von Flatterviechern geschimpft und davon, dass ihre Hilfe nicht mehr gebraucht wird und ist davongerauscht.“ Sam nickte nur. Das war jetzt wohl nicht mehr zu ändern. Wenn sie sich das nächste Mal trafen, dann würde er sich entschuldigen. Konnte ja schließlich niemand ahnen, dass sich Engel und Dämon darum rissen, Dean zu helfen. „Ich muss mich bei dir entschuldigen“, begann er das Gespräch und blickte Adam offen an. „Warum?“ „Über die Sorge um Dean, hab ich deine Probleme ganz vergessen.“ „Meine Probleme?“, fragte der Jüngere irritiert. „Deine Mom. Ich hab sie in dem Haus gefunden. Es tut mir leid! Ich weiß, dass es keine nette, einfache Art gibt es dir zu sagen. Aber … Sie ist tot.“ „Wo …? Ich meine kann ich sie sehen?“ „Ich hab sie in die Scheune gebracht, in der du mit Dean gewartet hast. Ich dachte, du willst sie vielleicht beerdigen.“ „Ja, danke“, sagte Adam und fragte sich, ob das normal war, dass er den Tod seiner Mom so emotionslos aufnahm. Er müsste doch traurig und wütend sein. Er müsste resignieren und auf Rache sinnen. Er müsste sich doch fragen, was jetzt mit ihm passieren wird. Er war 19 und stand vollkommen allein da! Aber da war nichts. Da war nur Leere in seinem Inneren, fast als wäre er in Schockstarre gefallen und, er schämte sich, es selbst vor sich einzugestehen, er war froh, dass diese Ungewissheit endlich zu Ende war. Plötzlich regte sich Dean. Die beiden Jüngeren drehten sich zu ihm um. Er setzte sich auf. Müde rieb er sich über das Gesicht, drehte sich zum Bettrand und schwang die Beine darüber. „Du solltest liegen bleiben“, versuchte Sam ihm Einhalt zu gebieten. „Ich muss mal“, erklärte er so, als ob es ihn nicht betreffen würde, und stand auf. Auf wackeligen Beinen ging er zum Bad. Sofort war Sam hinter ihm und folgte ihm wie ein Schatten bis zur Tür. Erst als die wieder ins Schloss gefallen war begriff er, was hier gerade passierte. Die Luft blieb ihm weg vor Freunde und ein breites Strahlen legte sich über sein Gesicht. Dean lief! Er konnte sich nicht nur aufsetzen und in der Senkrechten halten, er lief! Anna hatte mehr getan, als er für möglich gehalten hatte. Sam schüttelte den Kopf und ging zum Kühlschrank. Anna hatte gesagt, dass sie Dean Gefühle eingefroren hätte, was immer das auch bedeutet. Es schien wirklich wunderbar zu funktionieren! Und sie hatte gesagt, dass sie ihn auf Essen und Schlafen reduziert hatte, damit er sich wirklich erholen konnte. Trinken funktionierte und da sein Großer jetzt selbstständig im Bad verwunden war, wollte er ausprobieren, wie das mit dem Essen ging. Schnell machte er ein paar Truthahn-Sandwiches. Er legte gerade die erste Scheibe Fleisch auf das Sandwich als Dean wieder ins Zimmer kam. „Ich hab Hunger“, sagte er ruhig und zeigte Sam damit wieder überdeutlich, dass das ganz und gar nicht der Dean war, den er sein Leben lang kannte. Nie hatte der den Wunsch nach Essen so lieblos hervorgebracht. „Setzt dich, ich bring dir gleich was“, schlug er vor und Dean kam seinem Wunsch nach. Wenige Handgriffe später hatte er die Brote fertig und brachte den Teller zu seinem Bruder, der zwar sofort zugriff, die Sandwiches aber ohne jede Begeisterung verspeiste. Und wieder raubte es Sam fast den Atem. Dieses mal allerdings nicht vor Freunde sondern vor Sorge. Dean war ja regelrecht seelenlos. Ging das? Konnte Ein Engel einem Menschen die Seele nehmen? Er nahm sich vor, Anna ganz genau danach zu fragen, wenn sie wiederkam. Irgendwie machte ihm dieser Dean Angst! Er ging wieder in die Küche und bereitete Dean noch einen Bananensmothie mit Schokosoße und jeder Menge Sahne zu. „Ich hab immer noch Hunger“, gab der ältere Winchester von sich und blickte zu ihm. Er stellte den Smothie auf den Tisch und ein Glas Cola dazu. „Trink erst mal den. Ich mach uns gleich Essen. Das kann allerdings noch was dauern, also schlage ich vor, du legst dich nachher wieder hin und schläfst und ich wecke dich, wenn das Essen fertig ist.“ Dean nickte und machte sich daran, diesem Vorschlag zu folgen. Kapitel 51: Seelische Wunden ---------------------------- Ich wünsche euch ein frohes Osterfest. @ Vanilein - Anna hat Dean "eingefroren." Zuerst die körperlichen Wunden, dann den Rest ... LG Kalea 51) Seelische Wunden Adam trat zu Sam an die Küchenzeile. „Hat er mich überhaupt wahrgenommen?“, fragte er. „Ich glaube, er hat mich auch nur als Lieferanten von Essbarem gesehen. So komisch reagiert er normalerweise nie. Das war nicht Dean!“, antwortete der leise und war froh aus seinen trüben Gedanken gerissen worden zu sein. „Kann ich dir was helfen?“, wollte der Jüngere wissen. Er brauchte etwas, um seine Gedanken abzulenken, die noch immer Achterbahn fuhren und ihn von einem Gefühlschaos ins nächste stürzten. Nur wenn er an seine Mom dachte, war da ein schwarzes Nichts. Er ließ seinen Blick über das Chaos auf der Arbeitsplatte gleiten. „Kochst du immer für euch?“, schob er gleich noch die nächste Frage hinterher. „Nein. Eigentlich holen wir uns was oder gehen in ein Diner. Dean hat früher für mich gekocht, aber das ist schon so lange her, dass es schon fast ins Reich der Sagen und Legenden gehört.“ Er grinste schief. „Aber John war doch da. Und eure Mom. Hat die nicht für euch gekocht?“ „Mom hat mit Sicherheit für uns gekocht. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, sie starb als ich ein halbes Jahr alt war.“ „Das tut mir leid!“ „Warum? Du kannst doch nichts dafür“, wollte Sam irritiert wissen. „Hatte das etwas mit dem hier zu tun? Mit Engeln und diesen Wechseldingern?“, fragte der Jüngere und machte eine, das Zimmer umfassende Handbewegung. „Im Großen und Ganzen, ja und es waren Wechselbälger.“ „Erzählst du es mir?“ „Du hast Dean doch gehört. Ich soll dich nicht noch tiefer mit hineinziehen.“ Er schob den Topf mit dem Reis auf den Herd und holte Gemüse und Fleisch aus dem Kühlschrank. „Wenn du helfen willst, kannst du das putzen und klein schneiden“, sagte er und schob das Gemüse zu Adam. „Ich weiß, was Dean gesagt hat. Ich würde es trotzdem gerne hören!“ „Lass uns später darüber reden. Das ist nicht in einer halben Stunde erzählt.“ Vielleicht vergaß Adam seine Fragen ja? Das würde ihn dann wenigstens nicht in einen Gewissenskonflikt bringen. Der Milligan nickte zwar, war aber nicht wirklich davon überzeugt, dass Sam ihn doch noch einweihen würde. Aber er wollte noch einmal fragen. Eine Weile arbeiteten sie schweigend, bis Adam laut Luft holte und fragte: „Ist es eigentlich normal?“ Sam drehte sich zu ihm und blickte ihn misstrauisch an. „Meine Mom ist tot, aber ich fühle nichts! Ich müsste doch trauern oder wütend sein, auf Rache sinnen. Doch da ist nichts. Leere, tot.“ „Jeder verarbeitet so etwas anders. Glaub mir, die Trauer kommt.“ „Woher willst du das wissen?“ „Jessica, meine Freundin auf dem College, wir haben zusammengewohnt, sie starb bei einem Brand. Dean hat mich damals aufgefangen. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte. Ich war wie leer. Ausgebrannt wie unser Zimmer. Da war nichts! Stille, Dunkelheit. Hass und Wut kamen erst viel später. Ich hab lange gebraucht, um auf die Beine zu kommen und die ganze Zeit war Dean da. Er hat meine Launen ertragen und meine Albträume.“ „Wart ihr lange zusammen?“ Adam hatte erst ein ‚Es tut mir leid’ einwerfen wollen, doch das hätte Sam wohl nicht gelten lassen. „Ich hatte den Ring schon in der Tasche.“ „Oh Mann! Das tut mir leid“, sagte er jetzt doch. „Das ist vier Jahre her“, erwiderte Sam. In diesem Moment wurde er sich bewusst, dass er schon lange nicht mehr an Jessica gedacht hatte, genauso wenig wie an Sarah oder Madison. Frauen hatten in seinem Leben keinen Platz. Nicht solange sie diese Leben führten. Nicht solange Dean auf der Straße blieb. „Du kannst schon mal anfangen, den Tisch zu decken“, wechselte er abrupt das Thema. Kopfschüttelnd blickte Sam zu seinem Bruder, der, kaum dass er im Bett lag, auch schon wieder schlief. Dieses Wesen sah zwar aus wie Dean, aber er war es nicht. Nichts hatte das Ding da mit seinem Bruder gemein. Nie hatte Dean Essen einfach nur des Essens wegen in sich hinein geschaufelt. Dean liebte essen. Seine Augen leuchteten, wenn er den vollen Teller vor sich hatte. Er schaufelte es sich hinein, als hätte er Angst, dass jemand ihm den Teller in wenigen Sekunden wegnehmen würde. Er redete mit vollem Mund, verkündete, dass es lecker schmeckte oder verzog das Gesicht, wenn es wirklich nur als Energiezufuhr taugte. Aber so gar nicht auf das, was auf seinem Teller war zu reagieren, das hatte er noch nie getan. Beim nächsten Essen würde er ihm Silberbesteck geben. Nicht dass er hier einen Wechselbalg aufpäppelte. Anna hatte ihn zwar geheilt und ihnen gesagt, dass sie seine Gefühle und Erinnerungen verschlossen hatte, aber vielleicht war Anna ja kein Engel. Vielleicht war sie ein Dämon geworden und dieses helle Leuchten nur eine Illusion. Er wollte ihr zwar glauben, schon um Deans Willen, aber so ganz konnte er die Zweifel nicht beiseite schieben. „Ich hoffe nur, das kriegt Anna wieder hin. So will ich meinen Bruder nicht!“, sagte er um Adam nicht noch mehr zu beunruhigen. Der Junge blickte auch schon skeptisch zwischen Dean und ihm hin und her. „Ich kenne ihn ja kaum, aber selbst mir ist aufgefallen, dass er ganz anders reagiert hat, als an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben“, gab er von sich und unterdrückte ein Gähnen. „Du solltest dich hinlegen. Ich passe auf Dean auf und wenn du ausgeschlafen bist, dann kann ich dir gerne deine Fragen beantworten. Ich kann dir auch den Wagen geben und erklären, wo ich deine Mom versteckt hab, wenn du zu ihr möchtest. Aber bitte! Geh erst schlafen. Du kippst hier gleich aus den Schuhen.“ Er hatte die Endtäuschung in den Augen des Jüngeren gesehen, als er ihn vorhin abgewiegelt hatte und es tat ihm leid. Trotzdem wollte er auch Deans Wunsch erfüllen. „Ich kann nicht schlafen“, erwiderte Adam. Er war zwar hundemüde und im Normalfall wäre er wohl schon im Stehen eingeschlafen, aber er hatte Angst zu träumen. Was, wenn er seine Mom mit diesem Maul sah? Was wenn er Dean so sah oder seine Freunde? „Warum legst du dich nicht hier hin. Ich verspreche, ich passe auf dich auf und wenn du träumst, dann wecke ich dich.“ „Ich hab nichts …“ „Nach Jess´ Tod war ich froh, wenn Dean mich geweckt hat, glaub mir. Außerdem muss es ja nicht sein. Es ist nur ein Angebot.“ Stumm nickte Adam. Vielleicht hatte Sam ja Recht. Vielleicht war es besser wenn er versuchte hier zu schlafen. „Komme gleich wieder“, erklärte er leise und verließ das Zimmer. Adam schlug die Tür zu seinem Zimmer hinter sich zu. Er war regelrecht aus dem Zimmer seiner Brüder geflüchtet. Mit einem Mal hatte er das Gefühl gehabt, nicht mehr atmen zu können. Eisige Hände hielten sein Herz im Griff. Er brach in die Knie. Ein heiserer Schrei brach aus seiner Kehle. Er warf den Kopf in den Nacken. ‚Warum? Warum nur?’ „Mom“ In dieser einen Silbe spiegelte sich der ganze Schmerz, den er in diesem Augenblick empfand. Bis jetzt schienen seine Gefühle wie unter einer Käseglocke eingesperrt gewesen zu sein. Nun brachen sie sich ihre Bahn nach außen. Er hatte plötzlich den Eindruck unter einer Lawine aus Verlust und Einsamkeit begraben zu werden. Seine Mutter war sein ganzes Leben für ihn da gewesen. Sie hatte ihn aufgebaut und aufgefangen und ihm immer wieder Kraft gegeben, sich neuen Herausforderungen zu stellen und jetzt sollte sie einfach so weg sein? Was sollte er denn jetzt machen? Dieser Schrei hatte Sam alarmiert. Er hatte alles stehen und liegen lassen und war zum Zimmer seines Halbbruders gerannt. Lauschend stand er vor der Tür und hörte das haltlose Schluchzen. Sollte er eintreten? Konnte er Adam trösten? Nein! Hier konnte wohl nur die Zeit die Wunde heilen. Er kannte den Jungen zu wenig, um ihm wirklich Halt geben zu können. Trotzdem blieb er wo er war und wartete. Erst als Adams Schluchzen leiser wurde und er Schritte hören konnte, ging er in ihr Zimmer zurück. „Zwanzig Minuten“, murmelte er und warf einen Blick auf seine Uhr. Zwanzig Minuten würde er Adam geben. Wenn er dann noch nicht wieder hier im Zimmer war, würde er rüber gehen. Die vorgegebene Zeit war noch nicht ganz verstrichen als der Milligan das Zimmer mit roten Augen und nassen Haaren betrat. Sam atmete innerlich auf. Irgendwie hatte er doch Angst gehabt, dass der Junge sich was antun könnte. Aber er war wohl doch stärker als er gedacht hatte. Geduscht und mit seinem Schlafshirt bekleidet kam er wieder und legte sich in das Bett, in dem vor ein paar Stunden noch Sam geschlafen hatte. Komisch war es schon, im Bett eines anderen Mannes zu schlafen, aber er kam nicht dazu lange darüber nachzudenken. Sein Körper schien nur darauf gewartet zu haben, in die Waagerecht zu kommen. Zufrieden lächelnd nahm Sam zu Kenntnis, dass sein kleiner Bruder schlief. Er schaute noch einmal zu Dean und machte sich dann daran, die Küche aufzuräumen. Während er spülte gurgelte die Kaffeemaschine vor sich hin und so ließ sich Sam mit frischem Milchkaffee gegen die eventuell aufkommende eigene Müdigkeit gerüstet, so auf einem Stuhl nieder, dass er seine Brüder bequem im Auge behalten konnte und fuhr seinen Laptop hoch. Müde rieb sich der jüngere Winchester die Augen. Die paar Stunden, die er heute Morgen geschlafen hatte, hatten seine verbrauchten Reserven nicht auffüllen können. Er würde sich heute Nacht hinlegen und die Betreuung Deans wieder in Adams Hände legen müssen, auch wenn ihm das nicht passte. Aber er musste fit sein. Was würde er darum geben, wenn Bobby hier wäre. Allerdings hatte der selbst genug um die Ohren. Jody war gerade erst aus dem Krankenhaus raus und noch nicht wieder so fit, dass er wollte, dass der alte Freund sie alleine ließ. Er hatte vor einer Stunde mit ihm telefoniert, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, und um ihn zu beruhigen. Dean war gefunden und er lebte. Wie, hatte er ihm allerdings nicht gesagt. Das konnten sie später noch ausdiskutieren, wenn es sein musste. Und er hatte ihm von Adam erzählt. Bobby war nicht wirklich überrascht gewesen, immerhin hatte Dean ja schon von dem Jungen berichtet. Und er war auch nicht so geschockt wie Dean. Er hatte in John zwar keinen Schürzenjäger gesehen, aber als Mönch konnte er ihn sich auch nicht vorstellen. Sams Blick wanderte von Adam zu Dean. Während sein großer Bruder wie ein Stein schlief, wurde Adam immer unruhiger. Hatte er jetzt wieder einen Albtraum? Er setzte sich aufrechter hin und behielt ihn im Auge. Schon dreimal hatte er ihn wecken müssen. Und auch wenn Adam sich immer geweigert hatte, ihm zu erzählen, was er geträumt hatte, so konnte er doch in dessen Augen erkennen, dass ihn die Träume auch wach noch fest im Griff gehabt hatten, und er war jedes Mal wieder erstaunt, dass sein Halbbruder trotzdem wieder eingeschlafen war. Er selbst hatte es damals mit einfach nicht mehr schlafen versucht, was einerseits vollkommen bescheuert und aussichtslos, andererseits auch noch gefährlich gewesen war. Aber was tat man nicht alles, um seinen Dämonen zu entkommen. Dämon war ein gutes Stichwort. Während seine Brüder schliefen hatte er nach Alistair gesucht. Anna schien ihn zu kennen, immerhin sagte der Name ihr etwas, genau wie Dean. Allerdings hatte er auch nicht mehr gefunden, als Anna ihm schon gesagt hatte, eigentlich eher weniger. Der Dämon schien die Erde nicht oft zu betreten und das er der Foltermeister der Hölle war, konnte er weder bestätigen noch entkräften. Was wollte dieser Dämon von Dean? Wieder einmal musste er warten. Er hasste es! Nichts war frustrierender als zu wissen, wer die Antwort hatte, den aber nicht fragen zu können. Kapitel 52: Wahrheiten ---------------------- 52) Wahrheiten Adam setzte sich auf. Sein Blick wanderte unsicher durch das Zimmer. „Doch wieder schlecht geträumt?“, wollte Sam ruhig wissen. „Ich denke ja. Das war alles so verschwommen.“ „Das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Tut mir leid.“ „Du kannst ja nichts dafür.“ „Naja, wenn Dad nicht …“ „Dann wäre ich nicht auf der Welt“, fiel Adam ihm ins Wort. „Auch wieder wahr.“ „Erzählst du mir von ihm?“ „Willst du dir das Bild, das du von John Winchester hast zerstören lassen?“ „Du kannst es nicht wirklich zerstören. Du kannst nur Fassetten hinzufügen. Für mich war er der Mann der hin und wieder kam und der viel mit mir und meiner Mom unternommen hat.“ Sams Blick wanderte zu seinem schlafenden Bruder. Sollte er seinem Halbbruder wirklich den Vater nehmen, den er eh kaum gehabt hatte? „Ich möchte wissen, warum Dean so komisch auf die Fotos reagiert hat!“, riss Adam ihn aus seinen Grübeleien. Sam holte tief Luft, nickte und begann leise: „Den John Winchester, den du kennengelernt hast, gab es für uns nicht. Vielleicht kann Dean sich noch an diesen John Winchester erinnern. Vielleicht war Dad vor Moms Tod auch zu uns so? Ich weiß es nicht. Wir kennen einen John Winchester, der mehr Drill-Sergeant war als Vater. Dean hat, als er kleiner war, immer wieder gefragt, ob Dad mit uns zu einem Baseballspiel geht. Er hat Baseball geliebt und an manchen Schulen durfte er sogar in der Mannschaft mittrainieren. Wir waren nie bei einem Spiel. Wir mussten schießen lernen und wurden über Hindernisparkoure gescheucht. Wenn wir einen Ausflug in die Natur gemacht haben, dann bestimmt nicht zum Angeln oder Zelten. Eher wurden wir mit schwerem Gepäck durch die Wälder gescheucht. Wir haben Dad oft Wochen nicht gesehen. Je älter Dean wurde umso länger blieb er weg. Dean musste sich dann um mich kümmern und viel zu oft auch zusehen, wie er uns ernährt bekam, weil Dad länger wegblieb als gesagt und das Geld schon lange aufgebraucht war. Nein, unser Dad war nicht der Dad, den du kanntest.“ Während er sprach, hatte er seinen Blick auf Dean gerichtet. Er konnte Adam dabei nicht anschauen, hatte er ihm doch nur die halbe Wahrheit erzählt. Immerhin hatten ihm Deans Träume viel über ihren Vater verraten und das warf ein noch schlechteres Licht auf ihn. Aber das musste der Junge nicht wissen. Der Milligan war schockiert. Für ihn war John der nette Vater, der sich Zeit für ihn nahm, mit ihm spielte, Ausflüge in die Natur unternahm und zu Spielen ging. Ein ganz normaler Vater, okay, ein ganz normaler Hin-und-wieder-Vater. Aber ein Vater! Wie oft hatte er sich gewünscht mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. „Wenn mir das jemand anderer erzählt hätte, ich würde es nicht glauben“, sagte er leise. „Er war uns kein guter Vater. Das hat aber nichts damit zu tun, wie er zu dir war“, versuchte Sam abzuwehren. „Ich hab mir immer gewünscht, dass er öfter kommt. Dass er euch dafür alleine ließ, finde ich furchtbar. Und ich hab euch beneidet. Er war ein toller Vater, wenn er hier war und ich bin davon ausgegangen, dass er für euch auch so gewesen sein musste.“ „War er nicht.“ „Warum hat er das gemacht? Ich meine, ich möchte ihn gerne verstehen.“ „Mom starb und das hat ihn verändert.“ „Und deshalb jagt ihr diese Monster?“ Adam musste es einfach fragen. Der Verdacht drängte sich ihm immer stärker auf. Sam schaute ihm in die Augen. Sollte er ihn doch einweihen? Dean hatte ihn gebeten, es nicht zu tun und irgendwie sah er diesen Wunsch als eine Art letzten Wunsch an, den er ihm erfüllen wollte, auch wenn er Gott, oder besser Anna sei Dank nicht starb. Außerdem taten ihm seine Gedanken seinem Bruder gegenüber leid. Er hatte sich so gefreut, dass er nicht mehr der Jüngere war, dem man alles zeigen und erklären und den man beschützen musste, dass er sich so darauf versteift hatte Adam einzuweihen, dass er wohl nicht mehr klar denken konnte oder wollte. Letztendlich musste er seinem großen Bruder Recht geben. Adam sollte sein Leben leben und er würde weiter darauf hoffen, dass Dean doch noch sesshaft werden würde. Immerhin, der letzte Sommer hatte doch schon wunderbar funktioniert. „Sam?“, fragte Adam. „Es ist nicht so toll, wie es sich anhört.“ „Ich möchte es trotzdem wissen!“ „Und ich habe Dean versprochen, dass ich dich nicht weiter in unser Leben einweihe.“ „Bitte Sam. Ich möchte es verstehen. Da sind Bilder, die ich nicht loswerden kann und ich möchte verstehen warum Dad zu euch so ganz anders gewesen ist, als zu mir. Warum hängen du und Dean so zusammen. Das ist doch nicht normal!“ Sam schüttelte den Kopf. Sollte er wirklich reden? Allerdings glaubte er nicht, dass Adam sich so einfach abspeisen lassen würde. Er holte tief Luft. „Mom wurde von einem Dämon ermordet, als sie mich schützen wollte. Der Dämon war in unser Haus eingedrungen und stand in meinem Zimmer. Jess wurde 22 Jahre später von dem gleichen Dämon ermordet. Ich weiß nicht was er von mir wollte oder will, oder ob es überhaupt mit mir zu tun hat.“ Das mit dem Dämonenblut würde er seinem kleinen Bruder bestimmt nicht erzählen. „Dad ist nach Moms Tod mit uns losgezogen, um diesen Dämon zu jagen. Dabei ist er auf immer mehr übernatürliche Wesen gestoßen und wurde zum Jäger. Dean war damals viereinhalb. Er war von jetzt auf gleich aus seiner heilen Welt gerissen worden und hatte seine Mom verloren. Sie muss ein ganz wundervoller Mensch gewesen sein. Von diesem Tag an hat Dean alles getan, was Dad von ihm verlangte. Er hat sich voll und ganz dessen Befehlen untergeordnet, aus Angst ihn auch noch zu verlieren. Und spätesten als ich ein Teenager war, habe ihn dafür gehasst. Ich wollte dass er selbstständig handelte und habe ihn als Daddys kleinen Befehlsempfänger beschimpft. Ich habe lange nicht verstanden, warum Dean John Winchester so vergöttert hat. Doch Dean hat nie etwas dazu gesagt. Er hat nie schlecht von Dad gesprochen und er war zutiefst erschüttert als der plötzlich nicht mehr lebte. Es hat ihn total aus der Bahn geworfen. Wie Dean jetzt zu Dad steht, kann ich dir nicht sagen. Ich denke, er sieht ihn inzwischen wesentlich differenzierter. Trotzdem achtet er seine Wünsche.“ „Ein Dämon hat eure Mom und deine Freundin getötet?“ „Ja.“ „Was ist mit dem Dämon jetzt? Ich meine, ist er immer noch hinter euch her?“ „Nein. Dean hat ihn vor zwei Jahren erschossen.“ „Man kann Dämonen töten?“ „Selten, aber ja.“ Dass es den Colt gab und Rubys Dolch, wollte er nicht preisgeben. „Und wer ist Alistair?“ „Ein weiterer Dämon. Bis gestern hatte ich noch nie etwas von ihm gehört.“ „Gibt es viele Dämonen?“ „Die Hölle ist groß, vermute ich mal.“ „Bekämpft ihr oft Dämonen?“ „Nein. Hör zu Adam. Ich habe dir schon mehr erzählt, als selbst meine Freundin wusste, und mit der war ich zwei Jahre zusammen.“ „Und meine Mom? Dieses Ding, das sie getötet hat?“, ließ sich Adam nicht ausbremsen. „Das war ein …“ „Wechselbalg. Hast du schon gesagt. Was genau das ist, allerdings nicht.“ „Wechselbälger sind mythologische Wesen, meist Kinder von Feen oder Trollen, die mit menschlichen Kindern vertauscht werden. Sie fallen oft durch unersättlichen Hunger und Missbildungen auf. Zumindest steht es so in den alten Büchern. Bei manchen reicht es, wenn sie einmal von einer Frau genährt wurden, andere bleiben ein Leben lang bei den Menschen und wieder andere benutzen Menschen nur als Nahrung. An die sind wir hier wohl geraten. Warum sie sich so voneinander unterscheiden, kann ich dir nicht sagen. Vielleicht ist diese eine Spezies auch nur hier in Amerika beheimatet? Immerhin sind wir schon einmal dieser Art Wechselbälgern begegnet. Ich weiß es wirklich nicht.“ Sam schwieg und ließ seinem Halbbruder Zeit das Gesagte zu verarbeiten. Daran würde er jetzt hoffentlich eine ganze Weile zu knabbern haben. Mehr wollte er ihm jedenfalls nicht preisgeben. Adam schien zu spüren, dass sein Bruder nicht mehr sagen würde. Trotzdem musste er noch eine Frage loswerden: „Und ihr jagt sowas?“ „Ja.“ „Deshalb hat Dean bei unserer ersten Begegnung gesagt, dass es ihm egal wäre, ob ich ein Jäger wäre. Er meinte das hier damit?“ „Richtig erkannt, Kleiner.“ „Deshalb hängt ihr so zusammen und fahrt gemeinsam durchs Land, ohne euer eigenes Leben zu leben?“ „Auch wieder richtig.“ Langsam war Sam diese Fragestunde leid. „Ich könnte so nicht leben. Keinen festen Wohnsitz, niemandem wirklich vertrauen können. Ist das nicht furchtbar? Träumst du nie von einem eigenen Leben?“ „Ich habe es versucht, schon vergessen? Es hat Jessica das Leben gekostet und wenn Dean nicht gewesen wäre, dann wäre ich jetzt auch tot. Nein, ich werde kein Leben beginnen mit dem Wissen, dass Dean weiterhin auf der Straße ist. Er ist meine Rückendeckung und ich bin seine. Er war immer für mich da, egal was ich getan oder gesagt hatte. Ich werde ihn nicht alleine lassen. Ich bin nicht John Winchester. Ich werde sein Versagen an seiner Familie nicht wiederholen“, redete Sam sich in Rage. „Ist ja schon gut. Es war doch nur eine Frage!“, versuchte Adam zu beruhigen. „Und ich hoffe, sie ist damit beantwortet.“ Beschwichtigend hob Adam beide Hände. Abwartend musterte Sam den Jungen, zuckte dann mit den Schultern und stand auf. Er wollte sich um das nächste Essen kümmern. Dieses Mal sollte es Hamburger geben. Die Dinger liebte Dean abgöttisch! Wenn er die auch nur als Energiequelle sah, dann wusste er es auch nicht mehr. Dann musste er wohl wirklich auf Annas Rückkehr warten. Wie Sam befürchtet hatte, reagierte Dean auf die Burger genauso wenig wie auf den Gemüsereis mit Fleisch zuvor. In den folgenden fast sechzig Stunden war Sam mehrfach versucht gewesen seinem Bruder jede Menge Obst und Gemüse unterzujubeln. Immerhin würde das wohl auf Jahre seine einzige Chance bleiben, Dean zwar emotionslos aber mit Heißhunger Gesundes essen zu sehen. Es kostete ihn schon einiges an Überwindung, aber er beherrschte sich, schon um Deans Willen. Sein Bruder brauchte vor allem Kalorien und Flüssigkeit und das war wichtiger, als diese kleine Genugtuung, es seinem großen Bruder irgendwann einmal unter die Nase reiben zu können. Trotzdem behielt er diese Idee die ganze Zeit im Hinterkopf. Wer wusste schon, wann sich ihm im normalen Leben noch einmal so eine Möglichkeit bot. Adam hatte nach ihrem Gespräch durchgesetzt, dass sie sich abwechselnd um Dean kümmerten, so dass sie beide genügend Schlaf bekamen. Jetzt tigerte Sam unruhig im Zimmer auf und ab. So langsam sollte Anna doch erscheinen. „Sie hat drei Tage gesagt“, versuchte Adam ihn zu beruhigen. „Eben! Die drei Tage sind rum! Oder willst du noch länger mit so einem Zombie zusammenleben?“ „Ich habe schon Schlimmeres gesehen?“ „Schlimmeres?“, fragte Sam verwirrt. „Ich hab in den letzten Ferien ein Praktikum in einer in einer psychiatrischen Klinik gemacht. Da waren Menschen, die schon seit Jahren im Wachkoma liegen. Dagegen ist Dean wirklich gut drauf.“ „Dean ist kein Wachkomapatient. Er wurde von einem Engel zu diesem Zombie gemacht und ich will ihn endlich so, wie er normalerweise ist, wieder haben. Es ist einfach nicht richtig, wenn Dean sein Essen kommentarlos in sich reinschaufelt. Es ist nicht richtig, wenn Dean vor mir im Bett ist und es ist nicht richtig, wenn Dean wie ein Brett auf dem Rücken liegt und schläft!“ „Dann sollten wir das ändern“, sagte Anna, die in diesem Augenblick neben Sam erschienen war. Der machte einen Satz zur Seite und starrte sie erschrocken an, um gleich darauf seinen Halbbruder wütend anzufunkeln, der heldenhaft versuchte sich das Lachen zu verbeißen. „Kein Wort“, grummelte er seinem kleinen Bruder an. Kapitel 53: "Ich will keinen Zombie!" ------------------------------------- 53) „Ich will keinen Zombie!“ Sam musterte Anna genauso intensiv, wie sie ihn. Er war mehr als erleichtert, dass sie endlich da war. Aber das was er sah, gefiel ihm nicht. „Du siehst noch nicht viel besser aus. Meinst du, du hast genug Kraft, um ihm zu helfen?“ „Es wird reichen. Und danke, Sam. Ich kann das Kompliment nur zurückgeben.“ Sie wandte sich Dean zu. Wieder ließ sie ihre Hände kurz über seinen Körper gleiten. Keine Minute später erschien das blau-weiße Leuchten unter ihren Handflächen. Und wieder schien es eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sie ihre Hände sinken ließ und sich zu Sam umdrehte. „Ihr habt gute Arbeit geleistet. Dean ist über den Berg. Aber er braucht immer noch sehr viel Ruhe.“ Ergeben verdrehte Sam seine Augen. Das konnte ja heiter werden. „Keine Angst, er wird dich nicht gleich wieder nerven.“ „Woher … Ich hab nicht …“ „Nein, aber ich bin ein Engel. Deine Gedanken sind ein offenes Buch für mich.“ Peinlich berührt senkte Sam seinen Blick. „In den nächsten drei Tagen wird er noch schlafen. Seine Gedanken und Gefühle werden in dieser Zeit wiederkommen. Ich hoffe, dass ich es so eingestellt konnte, dass er davon nicht komplett überrannt wird. Es war ziemlich viel, was ihm auf der Seele gelegen hat. Kümmere dich weiterhin so gut um ihn“, sagte sie und war sofort wieder verschwunden, bevor der Winchester auch nur Luft holen konnte. Dabei hatte er sich doch soviel fragen wollen! Betrübt starrte er auf das Bett, in dem sein großer Bruder schlief. „Sind Engel immer so?“, wollte Adam wissen. „Sie ist eigentlich sehr auskunftsfreudig. Der andere, den wir kennen gelernt haben, Castiel, war da um etliches zugeknöpfter. Der hat uns nur gesagt, dass er unsere Hilfe braucht und erwartet, dass wir springen würden. Dem mussten wir jedes Wort aus der Nase ziehen. Nein, da ist mir Anna schon viel lieber, auch wenn sie mir keine meiner Fragen beantwortet hat.“ „Du hast ihr keine gestellt!“ „Sie ist ein Engel. Sie kann Gedanken lesen!“, maulte Sam eher sauer auf sich. „Nervt Dean dich wirklich?“ „Als ich ein Teenager war, hat er mich sowas von genervt. Immer wusste er alles besser. Immer hieß es nur: Sammy, lass das. Sammy hier, Sammy da, Sammy du musst das so machen“, schief grinsend verdrehte er die Augen. „Inzwischen möchte ich ihn nicht anders haben, auch wenn er mich noch immer mit einigen seiner Angewohnheiten auf die Palme treiben kann. Ich denke, das ist normal, wenn man so dicht aufeinander hängt, wie wir. Und ich vermute mal, ich nerve ihn genauso.“ Im Stillen fragte er sich allerdings schon, ob er Dean überhaupt nerven konnte. Als Teenager war er wirklich oft genug unausstehlich gewesen, wie wohl die meisten Teenager, außer seinem Bruder. Und selbst da war Dean nie wirklich wütend oder böse auf ihn gewesen. Dean war immer nachsichtig, fast wie Eltern es tun und nie so angepisst, wie er es bei manchen Geschwistern auf den unzähligen Schulhöfen, auf denen sie in ihrem Leben aufgehalten hatten, gesehen hatte. Sein Bruder war wirklich mehr als nur der Bruder, der er eigentlich sein sollte. Ob er das auch nur ansatzweise zurückgeben könnte? „Ich glaube, ich könnte das nicht. Ich meine, ich liebe meine Mom und wir haben viel zusammen unternommen, obwohl wir nie wirklich viel Geld hatten. Trotzdem möchte ich nicht ständig mit ihr zusammen sein.“ Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, was er gesagt hatte und dass er nie wieder Zeit mit seiner Mom verbringen würde. Er schluckte hart. Tränen drängten sich in seine Augen und er wandte sich ab. Sam blickte auf die bebenden Schultern. Zu gerne würde er ihm helfen, es ihm leichter machen, aber das konnte er nicht. Niemand konnte einem die Trauer abnehmen, das hatte er durch Jessicas Tod erfahren müssen. Nur die Zeit konnte diese Wunde heilen. Dean hatte ihm die Zeit gegeben und ihn trauern lassen. Aber hatte der je trauern können? Hatte Dean je gelernt zu trauern? Dads Tod hatte er mit Arbeit verdrängt. Lediglich seine Kamikazeaktionen hatten darauf hingewiesen, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Nein, sein Bruder hatte wohl nie wirklich gelernt mit Trauer umzugehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Adam beruhigen konnte. So sehr er sich anfangs auch dafür verflucht hatte, keine Trauer zu empfinden, jetzt wünschte er sich diese Leere zurück. Sie hatte ihn zwar irritiert, aber sie hat nie so weh getan. Plötzlich legte sich eine Hand auf seinen Arm. Er drehte den Kopf und blickte in die verständnisvollen Augen Sams, der ihm eine Tasse Kaffee hinhielt. „Der hilft wahrscheinlich nicht wirklich, aber das tut Alkohol auch nicht. Wenn du trotzdem ein Bier willst …“, er wies auf den Kühlschrank. „Danke“, sagte er heiser und nahm die Tasse. „Und nein. Ich denke der reicht.“ Adam fand es schon erstaunlich, dass so eine einfache Geste genügte, um seine Trauer ein wenig zu lindern, oder ihn zumindest abzulenken. Er nahm einen Schluck. „Wir sollten uns um das Essen kümmern. Ich glaube Dean wird wohl bald wieder Hunger anmelden.“ Sam lächelte, nickte und ging in den Küchenbereich. Er lag richtig. Kaum hatten sie die Burger gebraten, meldete sich Dean auch schon. Vielleicht war es aber auch der Geruch des gebratenen Fleisches, der ihn weckte. Erwartungsvoll schauten ihm Sam und Adam beim Essen zu. Zeigte er dieses Mal eine Regung? Es hatte sich nichts geändert. Dean verschlang seine Burger ohne eine Reaktion zu zeigen. Er bemerkte ja noch nicht einmal die Blicke, mit denen ihn seine Brüder regelrecht durchbohrten. Die ersten Anzeichen, dass Anna Dean doch aus seinem zombihaften Zustand entlassen hatte, bemerkte Sam in der folgenden Nacht. Er hatte Adam nach einer längeren Diskussion und dem Versprechen, sofort wieder hierher zu kommen, wenn was sein sollte, in sein Zimmer gehen lassen. Eigentlich wollte er ihn mit seinem Verlust und der Trauer noch nicht alleine lassen. Damals nach Jess’ Tod war er von Deans ständiger Sorge genervt gewesen, doch im Nachhinein mehr als froh, dass sein Bruder so für ihn da gewesen war und das nicht nur in dieser Zeit. Sam saß am Tisch. Sein Laptop lag geschlossen vor ihm. Er war müde, nein, eher abgespannt. Ausgebrannt von den Ereignissen der letzten Tage, die ihm keine Zeit gelassen hatten, das alles zu verarbeiten. Erst hatten sie plötzlich einen Halbbruder, dessen Mutter verschwunden war, dann verschwand Dean und als er beide fand, war Kate Milligan tot und Dean auch ganz nah dran und zu guter Letzt tauchten hier Dämon und Engel auf, um seinen Bruder zu retten. Das war selbst für sie als erfahrene Jäger reichlich verrückt. Wenn er allerdings ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er es, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, verdrängt, so gut es ging. Er wusste einfach nicht, wie er mit Adam umgehen sollte. Der Junge war ihr Halbbruder, aber was bedeutete das? Ein neues Familienmitglied? Oder ließen sie ihn hier auf Nimmerwiedersehen zurück? Dean wollte ihn nicht in ihrem Leben haben, das hatte er ganz deutlich zu verstehen gegeben. Er hatte es quasi als letzten Wunsch geäußert und je länger er darüber nachdachte, umso mehr musste er Dean zustimmen. Er hatte sich da in etwas verrannt! Es würde nicht gut gehen, zu dritt in einem Wagen durchs Land zu ziehen und zu jagen. So sehr er sich auch gefreut hatte, endlich nicht mehr der kleine Bruder zu sein, musste er doch zugeben, dass Adam kein Jäger war und wohl auch nie einer werden würde, obwohl die Vorzeichen dafür gar nicht mal so schlecht standen. Andere hatten viel später mit der Jagd angefangen und auch keine Partner, die ihnen alles beibringen konnten. Trotzdem, Dean wollte es nicht und er musste ihm zustimmen. Sie waren nur zu zweit gut. Selbst damals, mit Dad, war die Jagd schief gegangen. Vom Bett seines Bruders kam ein leises Rascheln und riss ihn aus seinen Gedanken. Er setzte sich aufrecht hin und schaute zu dem Bett. Irgendetwas war anders. Sam erhob sich und ging hinüber. Ein breites Lächeln überzog sein Gesicht. Dean hatte bis vor ein paar Stunden wie ein Brett im Bett gelegen. Erst seit dem späten Nachmittag bewegte er sich wenigstens ein bisschen beim Schlafen und jetzt hatte sich sein Bruder auf den Bauch gedreht und das Kissen fest mit den Armen umschlossen. Das war eindeutig Dean und jetzt endlich gestattete er sich die Hoffnung, dass es wieder gut werden würde. Er zog Deans Decke etwas höher. „Schlaf gut, Dean“, wünschte er und verschwand danach im Bad. Irgendwie wusste er, dass er jetzt schlafen konnte. Kaum tauchte Dean aus seinem erzwungenen Tiefschlaf auf, prasselten Bilder auf ihn ein, die er in keinen Zusammenhang bringen konnte, und die wohl auch keinen hatten. Er sah Mom und Sammy, John und Adam oder Kate. Viel zu schnell jedoch war diese Traumphase vorbei und er wieder in die nächste Tiefschlafphase abgetaucht. „Dean scheint zu träumen“, stellte Adam fest, als sie am nächsten Morgen ihr Frühstück vorbereiteten. „Ja, er ist viel unruhiger, als in den letzten Tagen. Anna scheint ihr Wort zu halten.“ „Ich hätte nie gedacht, dass ein Engel sowas kann“, sagte Adam leise. „Und ich habe nie über Engel nachgedacht. Ich glaube an Gott und irgendwie stand es auch immer fest, dass es Engel gibt, aber ich hab mir nie Gedanken darüber gemacht, wie die aussehen könnten.“ „Bei alldem, was ihr schon gesehen hab und wogegen ihr kämpft, glaubt ihr an einen guten Gott?“ „Keine Ahnung, ob er gut ist. Ich hoffe es. Bei den ganzen Monstern muss es doch etwas ausgleichend Gutes geben, oder? Ich habe immer an ihn geglaubt. Dean hat mich dabei unterstützt. Er war der Überzeugung, dass es keinen Gott geben konnte. Warum hätte er, wenn es ihn gäbe, zulassen sollen, dass ein Dämon Mom tötet? Jetzt wissen wir, dass es einen Gott geben muss, da es Engel gibt. Glücklich ist Dean mit dem Wissen aber nicht. Für ihn ist die Frage, warum Mom sterben musste, damit nur noch drängender geworden.“ „Wie für mich“, nuschelte Adam leise. Sam nickte nur. Er hatte Mary nie kennen gelernt, also auch nie erfahren wie gut oder schlecht sie gewesen war. Sie war ein Traumbild, eine Märchenfigur. Dean und auch Adam, hatten mit ihren Müttern den bis dahin wichtigsten Menschen ihres Lebens verloren. So sehr er sich auch immer gewünscht hatte Mom kennen zu lernen, um den Verlust beneidete er seinen großen Bruder nicht und auch für Adam empfand er nur Mitleid. Niemand sollte so aus seiner Kindheit gerissen werden. „Hast du dir schon überlegt, was mit deiner Mom passieren soll?“, lenkte er von diesem Thema ab. „Nein“ „Willst du nicht wenigstens mal …“ „NEIN“, bellte Adam wütend. Seine Stimme bebte selbst bei diesem einen Wort. „Adam!“, Sam drehte ihn zu sich um und blickte ihm in die Augen. Wütend starrte der Milligan zurück, doch seine Augen verrieten ihn. Sam legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. Er wusste wie gut eine Umarmung tun konnte, doch er war sich nicht sicher, ob der Junge sie zulassen würde. Mit Jess hatte er gelernt, dass Umarmungen außerhalb der Familie etwas ganz Natürliches waren und er mochte sie. Zurück in seinem alten Leben hatte er schnell begreifen müssen, dass sie eben doch nicht normal waren. Zumindest nicht, wenn man mit Dean unterwegs war, der Umarmungen nur zuließ, wenn einer von ihnen dem Tod geraden nochmal von der Schippe gesprungen war. Adam verspannte sich. Er wollte keine Nähe, doch dann überrannte ihn dieses Gefühl der Geborgenheit und seine Schutzmauern brachen. Haltsuchend machte er den letzten Schritt auf Sam zu, klammerte sich an ihn. und ließ seiner Hilflosigkeit freien Lauf. Sam legte seine Arme um ihn und gab ihm die Zeit, die er brauchte. „Ich kann das nicht alleine“, schniefte Adam nach einer Weile. „Musst du nicht. Wenn Dean wieder auf den Beinen ist, fahren wir zusammen hin und überlegen uns, was wir machen, okay?“ Adam nickte und löste sich von Sam. „Danke“ nuschelte er und blickte verschämt zu Boden. Er hatte sich nicht so gehen lassen wollen. „Schon gut. Jeder braucht eine Schulter zum Anlehnen.“ „Du auch?“ „Klar. Manchmal brauche ich auch eine!“ „Und Dean?“ „Der eigentlich auch. Aber er hält seine Gefühle meistens tief in sich verschlossen.“ Traurig blickte Sam auf seinen schlafenden Bruder. >>> Vollkommen verwirrt stand er im Flur. Flammen loderten in Sammys Zimmer. Hitze schlug ihm entgegen. Wo waren Mom und Dad? Und dann stand Dad vor ihm und drückte ihm ein Bündel in die Arme. „Bring Sammy hier raus, Los Dean, lauf!“, wurde er aufgefordert und rannte los. So schnell ihn seine Füße tragen konnten, sauste er die Treppe hinunter und aus dem Haus. Das Bündel in seinen Armen regte sich. „Ich hab dich, Sammy. Ich lass dich nie im Stich“, versuchte er ihn zu beruhigen. Aber wo blieb Dad? Das Feuer brüllte immer lauter. Hin und wieder brachen Teile aus der Fassade oder fielen vom Dach und krachten vor und neben ihm auf den Boden. Hilflos blickte er sich um. Plötzlich fing das Tuch in seinen Armen Feuer. „Daddy, DADDY“, schrie er voller Panik und versuchte die Flammen mit seiner kleinen Hand zu ersticken und gleichzeitig seinen kleinen Bruder sicher zu halten. „DADDY“, brüllte er noch einmal. Dicke Tränen rannen über sein Gesicht. Seine Hand schmerzte vom Feuer und die Flammen leckten an seinem Schlafanzug. Und dann war das Tuch in seinen Armen plötzlich leer. „Sammy“, schrie er entsetzt auf. „Sammy? SAM“ Hektisch schaute er sich um. Vor ihm, in sicherer Entfernung, stand John. Seinen Arm hatte er um Kate Milligan gelegt. Der kleine Adam saß auf seinen Schultern. „Du bist schuld, Dean, zu nichts zu gebrauchen! Nur weil sie mit dir schwanger war, musste ich bei Mary bleiben! Und dann kam auch noch Sam, dieses schreiende Balg. Ich habe diese Leben so gehasst! Aber jetzt bin ich frei und kann mir endlich eine richtige Familie suchen. Eine Familie, die nichts mit dem Übernatürlichen zu tun hat.“ Noch einmal wanderte Johns Blick über seinen ältesten Sohn, dann wandte er sich ab. „Sammy“, wimmerte Dean leise und sank auf die Knie. Die Flammen schlugen über ihm zusammen. <<< Kapitel 54: Verdrehte Wahrheiten -------------------------------- 54) Verdrehte Wahrheiten Schon bei Deans erstem verzweifelten Aufschrei hatte Sam alles stehen und liegen lassen. Er war zu ihm gelaufen und hatte sich auf den Rand des Bettes gesetzt. „Dean!“, rief er leise und legte seine Hand auf dessen Schulter. Sein Bruder reagierte nicht. Noch immer wand er sich wie ein Aal und schlug um sich. „DEAN“, wurde Sam lauter und hielt ihn fest. Der Ältere versuchte sich zu befreien, erwachte jedoch immer noch nicht. „Verdammt Dean, bitte komm zu dir. Wach endlich auf!“, forderte Sam eindringlich. „Du träumst nur! Komm schon!“ Wie von weit her hörte Dean jemanden seinen Namen rufen. Wieder und wieder. War das Sam? „Sammy?“ „Komm schon Dean.“ Was hatte Anna nur mit ihm gemacht, dass er nicht wach wurde. Verdammt! Er konnte seinen Großen doch nicht in diesem Albtraum lassen! „Argh“, keuchte Dean und setzte sich auf. Es kostete ihn jede Menge Kraft, seine Augen zu öffnen und fast noch mehr, um sie auch offen zu halten. „Hey“, sagte Sam leise und fing so die umherirrenden Augen seines Bruders ein. „Du hast nur geträumt.“ Deans Blick wandelte sich von panisch zu besorgt und, nachdem er Sam eindringlich gemustert hatte, zu erleichtert. Erschöpft ließ er sich gegen Sams Schulter fallen. „Es war nur ein Traum“, versuchte der ihn weiter zu beruhigen. „Ich weiß“, nuschelte Dean erleichtert. „Verrätst du mir, was du geträumt hast?“ „So müde“, nuschelte der ältere Winchester kaum verständlich. „Wir haben das Frühstück fast fertig.“ „Später“, brachte Dean noch hervor, dann entspannte sich sein Körper. „Schlaf gut“, wünschte Sam, legte ihn vorsichtig wieder in die Kissen und deckte ihn zu. Zu gerne würde er seinem Bruder helfen, doch er konnte nicht mal erahnen, was Dean geträumt hatte, da er sich mit zu vielen Problemen rumschlug, wie Anna auch schon gesagt hatte. Da war dieser Alistair, seine erneuter Beinahetod und ob er die Sache mit Adam schon verdaut hatte, wagte er auch zu bezweifeln. Er schaute noch einmal auf Dean und stand auf. Gleich darauf sah er sich mit Adams fragendem Blick konfrontiert. „Ich kann es nicht erklären. Dazu müsstest du ihn so gut kennen wie ich und selbst dann ist seine Gefühlswelt oft noch ein Buch mit sieben Siegeln. Das es dich gibt und das unser Vater mit dir Sachen gemacht hat, die er mit uns nie unternommen hat, obwohl wir es uns so sehr gewünscht haben, ist für ihn nicht so einfach zu verdauen.“ ‚Und er wird bestimmt noch Monate daran zu knabbern haben’, fügte er in Gedanken hinzu. „Ich denke, wir müssen alleine frühstücken.“ Sam warf noch einen traurigen Blick auf Dean und stand dann auf. „Was hast du heute vor?“, wollte der Winchester wissen, nachdem sie ihr Frühstück fast beendet hatten. „Ich denke, ich werd mir gleich meine Bücher holen und lernen. Hab schon so viel verpasst.“ Sam nickte. Das kannte er auch noch von seinem Abstecher zum College. Und irgendwie vermisste er es doch. Innerlich schüttelte er über sich den Kopf. Er war schon ein Freak! Er griff nach seiner Tasse und versteckte sein Gähnen dahinter. Zumindest versuchte er es, nahm danach wirklich einen Schluck und stand auf, um den Tisch abzuräumen. „Du solltest dich hinlegen!“, schlug Adam vor. „Ja, ich will erst noch Bobby anrufen.“ Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer. „Hey“, grüßte er, kaum dass sich der Freund gemeldet hatte. „Wie geht es Jody?“ „Sie versucht mich glauben zu lassen, dass es ihr gut geht. Wir waren essen und auch wenn wir beide es wollten, sind wir uns doch sicher, das so schnell nicht mehr zu machen. Die Menschen haben alle von Owens Tod gehört und jeder hat sich eine Meinung gebildet, die nicht unbedingt freundlich uns gegenüber ist. Vielleicht sind sie einfach noch nicht so weit. Außerdem scheint ihr Stellvertreter eine Aufstiegschance zu wittern. Er schnüffelt immer noch hinter uns her und er hat ihr die Innere auf den Hals gehetzt. Gut, dass wir hier umgebaut und alles was die Jagd betrifft in den Panikraum und die geheime Bibliothek verlegt haben. Die Türen ist gut versteckt. Die hätten mich sonst ganz schön am Arsch.“ „Manchmal hat Dean doch ganz gute Ideen“, stichelte Sam. „Nur manchmal? Dein Bruder ist ein Unikum. Pass gut auf ihn auf, Sam. Er tut es nämlich nicht!“ „Ich weiß. Aber er macht es mir auch nicht gerade einfach.“ „Du bist doch ein pfiffiges Kerlchen. Lass dir was einfallen. Und wo wir gerade beim Thema sind: Wie geht es Dean?“ „Anna war hier und hat nochmal was mit ihm gemacht. Er schläft noch viel. Aber er träumt inzwischen. Ich denke, dass ist ein Fortschritt.“ „Gut, Junge, passt auf euch auf!“ „Du auch“, beendete Sam das Gespräch. Er steckte das Handy weg und blickte zu Adam, der demonstrativ seine Bücher auf dem Tisch sortierte. „Ich leg mich dann mal hin“, sagte Sam und stand auf eine Antwort wartend, unschlüssig im Raum. Die Antwort kam nicht. Er zuckte mit den Schultern und ging zu seinem Bett. Lange Zeit schlief Dean wie ein Stein, so dass Adam hin und wieder aufstand um nachzuschauen, ob er überhaupt noch atmete. Jedes Mal ging er zu seinem Platz zurück und wünschte sich, dass Dean nicht ganz so reglos daliegen würde. Als der sich später tatsächlich immer wieder von einer Seite auf die andere warf, wünschte er sich, diesen Wunsch nicht gehabt zu haben und er war froh, dass Sam endlich wach wurde und sich wieder um seinen großen Bruder kümmern konnte. So richtig wusste er mit dem älteren Winchester nicht umzugehen. Er kannte ihn doch kaum! Sam zog sich seinen Stuhl an das Bett seines großen Bruders, um sofort zur Stelle sein zu können, wenn Dean ihn brauchte. Immer wieder wand sich der ältere Winchester unter der Decke und immer wieder versuchte Sam ihn mit wenig Erfolg zu wecken. Aber selbst wenn er seinen Bruder aus den Klauen seiner Albträume reißen konnte, wurde Dean doch kaum richtig wach und geriet viel zu schnell wieder in deren Fänge. >>> „Sammy! Sam! Warte. Bitte! Wir können doch nochmal drüber reden. Dad meint es nicht so!“ Nach wenigen Schritten blieb er stehen. Natürlich ging Sam weiter. Sein kleiner Bruder drehte sich noch nicht einmal um. Er verschwand einfach aus seinem Leben. Enttäuscht und wütend ging er zu der schäbigen Hütte zurück, in der sie derzeit lebten. „Du hast ihn nicht zurückhalten können“, stellte John eiskalt fest.. „Nein, ich …“ „Du bist ein Versager, Dean!“ „Dad …?“ Ihm verschlug es die Sprache. „Du bist zu Nichts zu gebrauchen, ein Nichtsnutz. Die ganze Zeit musste ich dir sagen, was du machen solltest. Ohne meine Befehle würdest du doch nur sabbernd in der Gegend stehen! Ich habe es satt, für dich mitdenken zu müssen! Ich habe es satt, in deine großen runden Kulleraugen zu blicken und darin Mary zu sehen! Ich habe dich satt und ich habe diese Leben satt. Sam konnte ich endlich vertreiben. Aber du? Du würdest ja selbst dann noch an meinem Rockzipfel hängen, wenn ich dich halbtot prügeln würde. Und ich habe dein ständiges Gelaber von Dämonen, Geistern und anderem Übernatürlichem satt. Das sind Hirngespinste Dean! Werd endlich normal und komm raus aus deiner Phantasiewelt!“ „Aber du hast doch …“ „Und hör auf deine Paranoia auf andere zu schieben und werde erwachsen!“ „Ich bin erwachsen!“ „Dann kannst du ja jetzt alleine leben! Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben! Ich habe ein Recht auf ein normales Leben! Ich habe hier eine NORMALE Familie, mit normalen Interessen und normalen Freunden. Also wage es ja nicht, mich noch einmal zu belästigen!“ John ließ seinen Blick ein letztes Mal abfällig über seinen ältesten Sohn wandern und wandte sich dann Kate und Adam zu, die an der Tür warteten. Er legte seine Arme um deren Schultern und ließ Dean ohne einen weiteren Blick stehen. In Dean zerbrach eine Welt. Sein Vater hatte ihn in dieses Leben gezerrt. Sein Vater hatte jeden Wunsch nach einem normalen Leben in ihm zerstört und jetzt machte er es ihm zum Vorwurf, dass er so geworden war? Er pumpte hektisch nach Luft, doch sein Hals war wie zugeschnürt. Immer lauter schrie sein Körper nach Sauerstoff. Die Knie gaben unter ihm nach und er brach auf dem Boden zusammen. Seine Muskeln verkrampften sich immer mehr aber er schien vergessen zu haben, wie man atmete. <<< „Dean!“, forderte Sam und schüttelte seinen Bruder, der offensichtlich wieder einen Albtraum hatte. Verdammt! Das musste aufhören, sonst würde er ihnen doch noch unter den Händen wegsterben. „DEAN!“ Er zog seinen Großen in seine sitzende Haltung und lehnte ihn gegen seine Schulter. Langsam rieb er über Deans Rücken. „Komm schon. Wach auf! Atme! Ein, aus. Bitte Dean!“, flehte er, aber er drang nicht zu ihm durch. ‚Anna. Bitte. Ich flehe dich an. Hilf ihm. Ich weiß nicht an wen ich mich sonst wenden könnte. Bitte!’, betete er verzweifelt im Stillen. Nichts geschah. Das Zimmer lag weiter in erschreckender Lautlosigkeit. Selbst Adam hatte den Atem angehalten. „Anna, bitte“, flehte Sam noch einmal und lauschte in die Stille. Nichts! Entschlossen schob er die Decke beiseite, drückte Dean etwas von sich weg und holte aus. Unnatürlich laut klatschte seine Hand auf Deans Wange. Sekundenlang geschah nichts. Er zog seinen Bruder wieder an sich und schob die andere Hand unter Deans Knien hindurch. Er würde ihn beatmen müssen. In dem Augenblick setzte Deans Atmung, mühsam zwar, wieder ein. Anna erschien. Sie erfasste mit einem Blick, wie es um Dean stand, trat neben Sam und legte dem älteren Winchester ihre Finger an die Schläfe. Augenblicklich beruhigte sich seine Atmung und er entspannte sich merklich. Sam schob seinen Bruder von sich. Deans Kopf fiel auf seine Brust. „Dean?“, keuchte er erschrocken und drehte sich zu Anna um. „Was ist mit ihm?“ Überdeutlich schwang die Besorgnis in seiner Stimme mit. „Er schläft“, antwortete sie ruhig. „Nein, nein, nein. Bitte lass ihn nicht wieder nur schlafen!“ „Er ist noch nicht wieder soweit, euer Leben weiter zu führen. Er braucht noch jede Menge Ruhe, Sam! Er wäre fast gestorben!“ „Ich weiß, aber kannst du ihn nicht trotzdem aufwachen lassen? Er könnte sich doch fühlen wie nach einer schweren Grippe, oder als hätte er gesoffen. Irgendwas, nur lass ihn nicht wieder so hilflos sein!“, flehte Sam sie an. Anna legte den Kopf leicht schief und musterte den älteren Winchester. Sie sah, dass seine Seele litt, aber sie konnte nicht verstehen warum. Sollte er sich nicht freuen, einen Bruder bekommen zu haben? Über Sam hatte er sich gefreut! Schon kurz nach seiner Geburt wollte er ihn kaum noch hergeben. Erst nach einer ganzen Weile schaute sie erneut zu Sam und nickte kurz. „Leg ihn hin.“ Sofort ließ er seinen großen Bruder in die Kissen sinken und stand auf, um ihr Platz zu machen. Sie trat neben Dean und legte ihre Finger an seine Schläfen. Ihre Daumen trafen sich über seiner Nasenwurzel. Und wieder erschien das weiß-blaue Leuchten. Anschließend ließ sie ihre Hände noch einmal über seinen Körper gleiten. „Er wird noch zwei oder drei Stunden schlafen, danach sollte er aufwachen“, sagte sie und richtete sich auf. Eindringlich blickte sie Sam in die Augen. „Ich habe jetzt auch die letzten Barrieren, die ich in ihm aufgebaut hatte, damit er wirklich nur aufwacht, wenn es unbedingt notwendig ist, gelöst, seinen Körper aber soweit manipuliert, dass er sich schlapp und müde fühlen wird. Bitte achte darauf, dass er sich schont. Auch wenn ich ihn geheilt habe, ist er noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte. Er sollte unbedingt noch zwei, besser drei Tage im Bett bleiben. Keine körperlichen Anstrengungen! Danach sollte er wieder okay sein. Trotzdem wäre es gut, wenn er sich noch schonen würde. Wenn noch was ist, müsst ihr mich noch einmal rufen. Sonst komme ich in drei Tagen wieder und schaue noch mal nach ihm“, sagte sie noch und war von einer Sekunde auf die nächste verschwunden. Kapitel 55: Ein halbwegs klärendes Gespräch ------------------------------------------- @ Vanilein - Deans Hinbekommen - das wird wohl noch dauern. Und warum Anna nicht versteht, dass Dean so ist wie er ist? Sie hat sie viele Menschen erlebt und so selten einen wie Dean. Vielleicht deshalb? 5)Ein halbwegs klärendes Gespräch Wie von Anna vorausgesagt, schlief Dean noch fast drei Stunden, allerdings alles andere als ruhig, aber von Sam mit Argusaugen bewacht. Es wurde zwar nicht wieder so schlimm, dass er eingreifen musste, doch er wollte es nicht darauf ankommen lassen. Was vorhin passiert war, wollte er nicht noch einmal erleben! Es war schon schlimm genug, dass er Dean schon wieder fast verloren hätte. Adam warf immer wieder einen ungläubigen Blick zu seinen Brüdern. Er würde die Welt der beiden wohl nie wirklich verstehen. Aber wollte er das überhaupt? Wollte er wissen, welche Geheimnisse sie hüteten? Es war alles mehr als widersprüchlich. Erst schien Sam ihm alles erzählen und beibringen zu wollen, dann verschwand Dean und er hielt sich zurück. Irgendwann hatten sie Dean mehr tot als lebendig gefunden und der seinen kleinen Bruder gebeten, ihm nichts mehr zu erzählen und Sam hielt sich zum großen Teil daran. Er musste zugeben, dass es ihn schon interessierte, wie und womit sich seine Brüder ihren Lebensunterhalt verdienten aber es ängstigte ihn auch und er wollte nicht noch weiter in diese Welt gerissen werden. Immerhin gaben sich Engel und Dämonen bei ihnen regelrecht die Klinke in die Hand. Nein, in dieser Welt wollte er nicht sein. Aber gab es für ihn noch ein Entkommen? Das konnte er wohl nur mit Dean klären. Der schien hier das Sagen zu haben. Er griff nach seinem Buch und versuchte sich auf den Text zu konzentrieren. Das Aufwachen war für Dean alles andere als schön. Die schwarzen Schlieren, die seine Gedanken verklebt hielten, zogen sich nur langsam zurück. Er wusste, dass er von seiner Mom geträumt hatte, aber es war kein Traum gewesen, den er noch einmal haben wollte, auch wenn er sich an die Einzelheiten nicht erinnern konnte. Außerdem waren da so viele Personen und Geschehnisse, an die er sich erinnerte, die er aber weder in das Reich der Träume noch der Realität zuordnen konnte. Was war nur geschehen? Er fühlte sich wie erschlagen. Seine Lider schienen Tonnen zu wiegen genau wie sein Körper. Er konnte sich kaum rühren. Wie gerne würde er sich in der lauernden Dunkelheit verkriechen, aber sein Sammy-Radar machte sich überdeutlich bemerkbar. Sein kleiner Bruder hockte neben ihm und wartete auf eine Reaktion. Ihn konnte er nicht enttäuschen! Mühsam hob er die Lider und versuchte seinen kleinen Bruder anzuschauen, doch es gelang ihm nicht, seinen Blick auch nur für Sekunden zu fokussieren. Unstet huschten seine Augen durch den Raum. Er registrierte Adam, der hinter Sam stand und für eine Sekunde fragte er sich wer dieser Junge war. Doch so verwirrt sein Geist auch noch war, den besorgten Blick seines kleinen Bruders registrierte er sehr wohl. Er kniff die Augen zusammen und versuchte sich zu konzentrieren. Langsam rückten die Erinnerungen und Traumbilder zurück an ihre Plätze und sein Kopf wurde klarer. Er hob die Lider erneut, und jetzt schaffte er es auch Sammy anzusehen. „Hey“, krächzte er rauh und verzog das Gesicht. Sein Hals schmerzte, als hätte er tagelang geschrien. „Bin okay“, flüsterte er kaum verständlich. Sam verdrehte die Augen. War ja klar, dass so ein Scheiß von seinem Bruder kommen musste. Missbilligend blickte er Dean an. Augenblicklich wurde sein Blick weich. Er konnte nur zu gut erkennen, dass Dean wusste, dass er alles andere als okay war, dass diese Worte aber genau das waren, was sie ausdrücken sollten. Dean war auf eine, nur für ihn und Sam verständliche Art wirklich okay. Er lebte und er war soweit klar im Kopf, dass er wusste, dass der seine Lüge als solche identifizierte aber auch erkannte, dass er auf dem Weg der Besserung war. Klar, er konnte noch keine Bäume ausreißen. Noch nicht mal Bonsais traute er sich zu. Doch auch das würde wieder werden! Sam lächelte seinen großen Bruder an. „Du bist ein Idiot!“ „Mitkerl!“, wisperte Dean und auch über sein Gesicht huschte ein Lächeln. „Wie geht es dir wirklich?“ „Erschlagen“ „Ist ja auch kein Wunder. Du warst mehr tot als lebendig, als wir dich gefunden haben.“ Dean schloss die Augen und schluckte hart, bevor er sich der Sorge in den Augen seines kleinen Bruders wieder stellen konnte. Normalerweise müsste er jetzt einen dummen Spruch bringen, aber dazu fühlte er sich nicht in der Lage. „Und sonst?“, wollte Sam ruhig wissen. „Wasser … Ich … duschen … Hunger“, versuchte er seine Wünsche zu äußern. Wieder huschte ein Lächeln über Sams Gesicht. Dean versuchte nicht den großen Macho raushängen zu lassen. Er drehte sich um und griff nach der Wasserflasche. Vorsichtig half er seinem großen Bruder sich aufzusetzen und hielt ihm dann die Flasche an die Lippen. Erleichtert ließ sich Dean gegen die am Kopfteil seines Bettes aufgestapelten Kissen sinken. Mit geschlossenen Augen lauschte er auf seine ruhiger werdende Atmung und freute sich einfach nur hier sitzen zu können und nichts weiter tun zu müssen. Müdigkeit breitete sich immer weiter in ihm aus, aber er wollte nicht schlafen. Er hatte Angst wieder zu träumen. Erschrocken riss er die Augen wieder auf. „Du solltest schlafen“, versuchte Sam auf ihn einzureden. „Nein. Ich …“ Dean schüttelte den Kopf. „Erzählt mir lieber was passiert ist.“ So würde er sich am Besten ablenken können. Sam nickte nur und begann zu berichten. Von der Suche nach ihm und wie er Handy und Colt im Feld gefunden hatte. Er erzählte von dem Kinderheim und der Farm, die das Hauptquartier der Wechselbälger war und dass er die samt ihrer Bewohner und deren Brut hatte in Flammen aufgehen lassen. „Sag du noch mal Brandstifter zu mir!“, sagte Dean schleppend. „Du warst ja nicht verfügbar, sonst hätte ich das nie tun dürfen!“, schmollte Sam grinsend und stand auf, um etwas aus dem Schrank zu holen. Ein Strahlen überzog Deans Gesicht, als sein kleiner Bruder seine geliebte Waffe auf den Nachttisch legte. „Was ist mit Kate?“, wollte Dean wenig später wissen. „Ich hab sie in einem der anderen Keller gefunden. Sie ist tot“, antwortete Sam ruhig. Gequält schloss Dean seine Augen. Sie waren wieder einmal zu spät gekommen! Er ließ den Kopf gegen die Wand in seinem Rücken fallen. Wut, Trauer, Enttäuschung und das Wissen erneut versagt zu haben flackerten über sein Gesicht. „Sie war schon tot, als Adam dich anrief“, erklärte Sam. Er wusste nur zu gut, wie sein Bruder tickte. „Woher?“ „Die Lebensmittel in ihrem Kühlschrank waren seit vier, fünf Wochen abgelaufen, erinnerst du dich? Der Nachbar und ihre Chefin haben mir beide erzählt, dass sie sich in letzter Zeit komisch verhielt. Und ihre Chefin meinte außerdem, dass sie aufgeschwemmt gewirkt hat. Ich weiß nicht wie lange diese Dinger trächtig sind, aber das wird nicht von heute auf morgen gehen.“ Dean atmete tief durch. Es tat ihm so leid für Adam! „Haben sie sie …?“, begann er unsicher. „Sie hatte nur einen …“ Er schaute seinem Bruder in die Augen. Dean nickte verstehend. „Ich denke das Ding wollte sie so gut es ging kopieren“, fuhr er fort. „Außerdem hatte es inzwischen die Jungen.“ Deans Blick flackerte, bevor er sich fest auf Adam richtete. „Es tut mir so leid“, begann er leise. Adam nickte nur. Tränen bildeten sich in seinen Augen. Er hatte zwar nicht alles verstanden, worüber die Winchesters sprachen, aber ihm war klar geworden, dass es wohl nie eine Chance für seine Mom gegeben hatte. Nicht, seit er vor ihrem Verschwinden erfahren hatte. „Was habt ihr mit ihr …?“, wollte Dean wissen. Davon hing ab, was mit Adam passieren konnte oder musste. Er schloss die Augen und lehnte sich wieder an die Wand hinter sich. Er war so müde und er hatte Angst einzuschlafen. Keine gute Kombination! „Ich habe ihre … sie in einer Scheune versteckt. Du warst mehr tot als lebendig und wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich habe bis jetzt keine Ahnung, was wir machen können.“ „Was möchtest du, Adam?“, fragte Dean seinen Halbbruder. „Was soll ich wollen?“ Der wusste jetzt nicht, worauf sein Bruder hinaus wollte. „Ich weiß nicht, was Sam dir schon alles erzählt hat“, begann Dean leise. „Die Frage ist: Willst du dein Leben leben?“ Diese Frage schien ihn zu verfolgen. Vor wenigen Wochen Jody und jetzt Adam. Wieso musste es jetzt plötzlich nur Menschen treffen, die ihnen näher standen? War das die Strafe für den ruhigen Sommer? „Wie will ich mein Leben leben?“, wiederholte Adam Deans Frage ohne sie wirklich zu verstehen. Was hatte das mit seiner Mutter zu tun? „Ganz einfach. Willst du mit uns durchs Land fahren und das Übernatürliche jagen? Das heißt dann miese Motels, immer in der Angst leben, dass man auffliegt und im Knast oder der Klapse landet, keine Freunde und die Rückbank des Impalas oder willst du noch immer Medizin studieren und Arzt werden?“ Kurz spürte Sam bei diesen Worten einen Stich in der Brust. Dean wollte Adam nicht dabei haben! Aber eigentlich hatte er es ja schon gewusst. Deans Wunsch, bevor Anna ihn schlafen geschickt hatte, war deutlich genug gewesen. Und er musste seinem Bruder Recht geben. Es würde nichts Gutes bringen, Adam mitzunehmen. Drei waren einfach einer zu viel. „Kann ich das denn?“ Dean lächelte. Adam war niedlich! „Wenn du es willst!“ „Ich würde schon gerne Arzt werden wollen!“ „Ein Mediziner in der Familie kann nicht schaden, oder Sammy?“ Der jüngere Winchester nickte. Was sollte er auch sonst tun. „Okay“, fuhr Dean fort. So langsam musste er sich beeilen. Viel hatte er der bleiernen Müdigkeit die in ihm lauerte nicht mehr entgegen zu setzen. „Wie wichtig ist dir ein Ort zum Trauern?“ Wieder ein Satz, den er erst vor wenigen Wochen verwendet hatte! „Warum?“ „Ihr könnt deine Mutter irgendwo verbrennen und ihre Asche in alle Winde streuen. Dann bleibt sie auf ewig verschwunden und du kannst sie irgendwann für tot erklären lassen. Ihr könnt sie aber auch irgendwohin bringen. Ein Naturschutzgebiet, ein paar Wälder, etwas abseits, aber so gut besucht, dass sie gefunden wird. Die Gerichtsmediziner werden sich den Kopf zerbrechen, was mit ihr passiert ist und sie werden es wohl als Unfall zu den Akten legen. Aber du wirst sie beerdigen können. Außerdem sind die Schuldigen eh schon vernichtet.“ Erstaunt blickte Sam zu seinem Bruder. Wieso hatte der für alle einen Weg, um wieder ins normale Leben zu kommen, nur für sich nicht? Weil es für sie nie ein normales Leben gegeben hatte, schimpfte er sich in Gedanken. Dean hatte Dads Art zu leben so verinnerlicht, dass es wohl kaum einen Weg gab, sich von diesem Leben abzuwenden. Zumindest war ihm noch keiner eingefallen. Aber er würde weiter suchen! Es musste doch auch für sie ein bisschen Glück geben! „Das klingt gut“, erwiderte Adam zögerlich und blickte von Sam zu Dean. „Dann los!“, ermunterte ihn der ältere Winchester. „Aber wir können dich doch nicht …“, begann Sam entrüstet. „Wieso nicht? Ich bin schon groß, weißt du?“ „Aber du bist gerade …“ „Na und? Ich guck mal, was im Fernsehen kommt und danach werd ich schlafen. Fahrt los. Je eher ihr das macht, umso eher kann sie ihre letzte Ruhe finden.“ „Schon, aber ich bin noch nicht davon überzeugt. Ich will dich hier nicht alleine lassen!“, erklärte Sam. Er hatte dabei irgendwie ein schlechtes Gefühl. „Sammy. Mir geht es gut. Ich brauch nur Ruhe und wenn ihr noch was zu essen dagelassen habt, verspreche ich auch, ganz brav zu sein“, erklärte Dean. Er klimperte mit den Augen und zog eine wundervolle Schmollschnute. Adam drehte sich zum Fenster. Er wollte nicht laut losprusten müssen. „Du bist ein Idiot!“, schimpfte Sam und konnte dabei doch nicht ernst bleiben. „Ich liebe dich auch, Mistkerl!“ „Nicht vor dem Kind, Liebling“, flötete Sam. Für einen Augenblick vergaß er seine Sorgen um Dean. Viel zu schnell wurde er jedoch wieder ernst. „Bist du sicher?“ „Ja, Sammy. Fahrt. Verhelft Kate zu ewiger Ruhe und passt auf, dass ihr keine Spuren hinterlasst“, erklärte Dean und versuchte seiner Stimme einen möglichst festen Klang zu geben. Kapitel 56: Ein quälender Verlust --------------------------------- 56) Ein quälender Verlust „Okay“, nickte der jüngere Winchester nach einer Weile. Es behagte ihm immer noch nicht, Dean alleine zu lassen, aber sein Bruder konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen. Außerdem wurde es wirklich Zeit, dass sie sich um Kates Leiche kümmerten. „Essen ist im Kühlschrank, Toastbrot im Schrank und wenn was ist …“ „Sammy. Ich bin schon groß. Ich werde es wohl finden.“ Wieder verdrehte Sam die Augen. „Versprich mir, dass du keine großen Ausflüge machst und schläfst!“ „Ich verspreche es. Und jetzt seht zu, dass ihr weg kommt, sonst steht ihr morgen noch hier!“ Sam wollte noch etwas sagen, verbiss es sich aber. Dean hatte ja Recht. Er war erwachsen und kam sehr gut alleine klar. Trotzdem blieben Zweifel, ob es richtig war zu fahren, ob er nicht doch besser noch eine Tag warten sollte, oder zwei. Dean war nicht so stark wie er sie glauben lassen wollte! Er atmete tief durch und verdrängte seine Bedenken. „Lass uns los“, wandte er sich an Adam. Keine fünf Minuten später hatte er Adam davon überzeugt, dass er nicht den Impala fahren und recherchieren konnte. Deshalb musste der Junge das erste Stück fahren, nicht natürlich, ohne dass Sam ihn vorher zur Genüge ermahnt hatte, ja keinen Kratzer in Deans Baby zu machen. Und so lenkte Adam den Wagen auf die Straße. Sam hatte es sich auf seinem angestammten Platz bequem gemacht und den aufgeklappten Laptop auf seinen Knien. „Okay, wir fahren nach Slayton und holen uns da einen Mietwagen, fahren nach Worthington und decken uns mit einer kompletten Wanderausrüstung ein. Schuhe, Jacken, Hosen, Decken. Dann holen wir deine Mom und bringen sie Richtung Wisconsin“, erklärte er wenig später seinen Plan. „Warum so kompliziert? Ich meine, Mom …“ „Für sie können wir nichts mehr tun. Aber für dich. Und wenn wir uns eine Nacht um die Ohren schlagen müssen, um dir dein Leben zu erhalten, dann tun wir das. Und jetzt fahr an den Straßenrand. Ich übernehm das Lenkrad.“ „Ich bin den Impala schon vor Jahren gefahren.“ „Und hast nur damit, dass du es erwähnt hast, Dean einem Herzinfarkt sehr nahe gebracht. Der Wagen ist wie seine Geliebte. Den leiht er selbst mir nur im allergrößten Notfall und ich bitte dich, hierüber nie mit ihm zu reden, denn auch wenn wir so locker eine halbe Stunde gespart haben, wird er es nicht gutheißen, wenn er es weiß.“ „Es ist nur ein Auto!“ „Nein! Der Impala ist kein Auto! Dean würde sie mit ins Bett nehmen, wenn es nur irgendwie ginge. Sie ist das einzige, von Dad, was er auch weiterhin uneingeschränkt liebt. Sie ist die einzige Konstante in seinem, in unserem Leben. Sie ist unser Zuhause!“, erklärte er energisch. „Also bitte ...“ Der Milligan überlegte kurz, nickte dann aber und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Er war allein, genau das, was er gewollt hatte. Kein Sam, der ihn mit Argusaugen bewachte, kein Adam, der ihn immer wieder fragend musterte. Allein mit sich und seinen Erinnerungen an die letzten Albträume. Vielleicht konnte er die ja mit einer Dusche abwaschen?!? Dean stemmte sich in die Höhe und stakste auf wackligen Beinen ins Bad. Frisch geduscht und rasiert suchte er sich in der Küche etwas zu Essen und ließ sich mit seinen Schätzen am Tisch nieder. Er traute seinen Beinen nicht zu, ihn solange aufrecht zu halten, bis die Sandwiches fertig geschmiert auf einem Teller lagen. Lustlos kaute er auf dem Brot herum und würgte es dann trocken herunter. Er blickte auf das Sandwich und verzog das Gesicht. Angewidert warf er es auf den Teller. Sein Magen grummelte. Wieder starrte er das Sandwich an. Er musste essen! Das Bild, das ihn aus dem Spiegel angeschaut hatte, sah grauenhaft aus. Er nahm das Brot wieder in die Hand und schluckte trocken. Noch nie war ihm Essen so furchtbar vorgekommen. Er musste sich regelrecht zwingen, die Sandwiches aufzuessen. Seine Kehle war wie zugeschnürrt. Schnell spülte er den letzten Bissen mit einem Bier herunter und brachte den Teller zurück in die Küche. Erleichtert ließ sich Dean in die Kissen sinken und schloss die Augen. Endlich hatte er die Ruhe, um über das nachzudenken, was ihm in den letzten Tagen widerfahren war. Seine Brüder waren weg! Er hatte es so gewollt und doch fragte er sich jetzt, ob es richtig war. Er wollte nicht alleine sein. In seinem Kopf spukten so viele Bilder umher. Bilder, die er nicht sehen wollte, die ihm die Luft zum Atmen nahmen. Bilder, die sein Unterbewusstsein produzierte, die aber so nie passiert waren. Er brauchte Zeit, um sie zu sortieren. Zeit alleine, ohne dass Sam immer wieder Fragen stellte. Zeit, um wieder der alte Dean zu werden. um seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Zeit um alles hinter einer Mauer zu verbergen. Einer Mauer, die er wie ein Korsett brauchte, dass ihn aufrecht hielt. Sam gegenüber war das ungerecht. Er müsste ihm gegenüber offener sein, doch er hatte Angst sich komplett zu verlieren, wenn er jetzt noch mehr Veränderungen zuließ. Die Demontage John Winchesters als Vorbild und die Aberkennung seiner Vaterschaft waren schon fast mehr als er mit einem Mal überstehen konnte. Selbst ein Dean Winchester brauchte ein Bisschen Stabilität in seinem unsteten Leben. Die Existenz eines weiteren Bruders hatte ihm mehr zugesetzt, als er zugeben wollte. Ein weiterer Bruder: Wie falsch das klang. Er hatte nur einen Bruder. Sammy! Den kleinen Hosenscheißer, der zu ihm gewackelt kam, wann immer er ihn sah und der ihn inzwischen um fast einen ganzen Kopf überragte. Es gab nur einen Sam, einen kleinen Bruder! Und dabei sollte es bleiben! Enttäuscht rieb er sich über das Gesicht. Nicht weil John ihm einen Bruder unterschlagen hatte, das war es nicht. Er hatte einem fremden Kind das gewährt, was er Sam und ihm versagt hatte. Ein friedliches, normales Leben! Obwohl ein Leben nach Moms Tod wohl auch nicht friedlich oder normal gewesen wäre. Aber selbst das hatte John ihnen genommen. Wahrscheinlich musste er noch froh sein, dass der Adam nicht angeschleppt und ihm aufs Auge gedrückt hatte, damit er weiterhin seinem Vergnügen nachgehen konnte! Dean wusste, dass er seinem Erzeuger jetzt Unrecht tat, aber es war ihm egal. John! Er hatte gehofft seinem Vater den Rest seines Lebens neutral gegenüberstehen zu können, nachdem er vor einem Jahr begonnen hatte, an seinem Thron zu sägen, doch jetzt war er sich nicht mehr sicher, diese Position überhaupt wieder erreichen zu können. Im Moment Wollte er ihm noch nicht einmal einen Namen zugestehen. Im Moment war der nur der Typ, der ihnen das Leben gestohlen hatte. Im Moment war da nur Hass. All die vergessen geglaubten Streitereien seiner Eltern, Johns Verschwinden, die Vorwürfe, die er Mom gemacht hatte. Seine Eltern glaubten, das vor ihm geheim halten zu können. Sie stritten sich, wenn er schon im Bett war und eigentlich schlafen sollte. Aber das hatte er nicht. Auf der Treppe sitzend hatte er mit angehaltenem Atem gewartet, dass es aufhörte. Damals hatte er nicht verstanden worum es dabei ging, nur das Dad wütend war und Mom schließlich weinte. Am nächsten Tag war er dann ganz besonders lieb zu seiner Mom gewesen und sie waren auf dem Spielplatz oder Eis essen gewesen. Wie ein Tsunami brach die ganze verdrängte Trauer über ihren Verlust über ihn herein und schnürte ihm die Luft ab. Tränen drängten sich in seine Augen. Egal wie sehr er es vergessen wollte. Der Puppenspieler hatte diese Erinnerungen wieder ausgegraben und Johns Verrat an seiner Familie drohte ihn zu ersticken. Was hatte er nicht alles getan, um seine kleine Familie zusammenzuhalten? Es war nie genug. Von Anfang an hatte er auf verlorenem Posten gekämpft. Ein gequälter Schrei drängte über seine Lippen. Er rollte sich fest zusammen und ließ seinem Schmerz freien Lauf. Es dauerte lange, bis er sich endlich in den Schlaf geweint hatte. Sam und Adam parkten ihren gemieteten Pickup vor einem Treckingausrüster und gingen hinein. Der Winchester zog sein Handy aus der Tasche. Er hatte irgendwie ein schlechtes Gefühl. Eine Weile starrte er auf das Display, unsicher, ob er Dean nicht besser anrief. Aber er wollte ihn nicht wecken, falls der schlief, was er im Stillen hoffte. Leise grummelnd schob er das Teil wieder in die Hosentasche und folgte Adam in den Laden. >>> Sie saßen in einem gemütlichen, kleinen Diner. Er blickte der Bedienung, die ihnen gerade Kaffee nachgeschenkt hatte, hinterher. Sie ging, mit ihrem runden Hintern wackelnd zurück hinter ihre Theke. Sam hatte den Laptop aufgeklappt und durchsuchte das Internet nach einem neuen Fall für sie. „Es ist absolut ruhig“, verkündete er nach einer halben Ewigkeit. „Nicht mal ein Geist?“ „Nein, absolut nichts. Und was machen wir jetzt?“ „Wir könnten mal wieder auf ein Konzert gehen.“ „Hast du was Besonderes im Auge?“ „Nö, keine Ahnung. Wer ist denn unterwegs?“ Wieder klapperten die Tasten. „Ich hoffe, ihr sucht nach einem neuen Fall?“ Erschrocken starrten sie beide den Mann an, den sie hier überhaupt nicht erwartet hatten. Er überlegte, ob er aufstehen und seinen Dad zur Begrüßung umarmen sollte, doch der sah alles andere als begeistert aus, sie zu sehen und so blieb er sitzen. „Es ist nichts los“, antwortete Sam ruhig. „Ich hab alles durchsucht. Es gibt derzeit keine übernatürlichen Aktivitäten.“ „Und das soll ich euch glauben? Ihr wollt euch doch nur vor der Arbeit drücken!“ „Nein, Dad wir …“, begann er leise. „Such doch selbst“, knurrte Sam und schob ihm den Rechner zu. „Ist es jetzt schon meine Aufgabe euch zu beschäftigen?“ Er hatte es noch nie haben können, wenn Dad sauer auf ihn war. Er zog seinen Kopf ein, während Sam sich noch etwas weiter aufrichtete und ihren Dad wütend anfunkelte. „Dich interessiert es doch sonst auch nicht, was wir tun. Also halte dich jetzt gefälligst aus unserem Leben raus!“, giftete der den großen John Winchester an. „Was glaubst du eigentlich wer du bist? Du sprichst mit deinem Vater!“ „Dean war mehr Vater für mich als du!“ „Sammy, bitte nicht hier“, versuchte er die Wogen zu glätten. „Sammy nicht hier“, äffte John seinen Sohn nach und schnippte mit den Fingern. Mit einem boshaften Grinsen sah er zu, wie Sam mit weit aufgerissenen Augen zu ihm herauf starrte und dann leblos in sich zusammensackte. „Sammy!“ Sofort sprang er auf und drängte sich an John vorbei zu Sam. Hastig tastete er nach einem Puls und begann, als er den nicht fühlen konnte, mit der Herzdruckmassage. „Bitte Sammy, komm schon!“, bettelte er und machte unermüdlich weiter. „Vergiss ihn!“, befahl John, packte ihn am Arm und versuchte ihn von seinem Bruder wegzureißen. „Nein, Dad. Es ist doch Sam! Bitte! Er …“ „Vergiss ihn!“ Wieder schnippte John mit den Fingern und Sams Körper verschwand, so als hätte es ihn nie gegeben. Er starrte auf das Nichts unter seinen Händen. „Sammy“, flüsterte er hilflos und blickte zu seinem Vater. „Du bist Schuld, dass ich ihn vernichten musste, Dean. Du hast ihn so aufsässig werden lassen!“ „Dad?“ „Hör auf mich so zu nennen! Du bist nicht mein Sohn! ICH habe nur einen Sohn!“, erwiderte John Winchester kalt und winkte einem blonden, schlaksigen Jungen, der langsam auf sie zu kam. „Ist das mein Bruder?“, fragte der interessiert. „Nein. Das ist nur ein unfähiges Nichts! Er ist Schuld, dass dein Bruder sterben musste.“ Der Junge starrte ihn hasserfüllt an. „Was willst du dann noch von ihm?“ „Nichts. Geh schon mal zu deiner Mutter, ich erledige das hier noch und dann komme ich zu euch.“ „Bleibst du dann für immer?“ „Dann bleibe ich für immer!“ Der Junge lächelte John Winchester an und wandte sich ohne einen weiteren Blick ab. „Dad?“, fragte er noch einmal kaum hörbar. „Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst aufhören mich so zu nennen! Aber scheinbar kannst du nicht hören. Ich werde mich jedenfalls nicht länger mit dir belasten. Ich habe eine Familie gefunden, die mich liebt und mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will.“ Kalt ruhten seine Augen auf ihm. „Alistair!“, rief er. Die Lampen in dem Diner flackerten als der Dämon erschien. „Hast du dich entschieden?“, wollte der von John wissen. „Ja.“ „Ein Leben für ein Leben?“ „Sein Leben für mein Leben! Du kannst ihn haben, ich brauche ihn nicht mehr. Mach mit ihm was du willst, Hauptsache, er kommt mir nie wieder unter die Augen!“, verfügte John kalt. „Wundervoll“, freute sich Alistair und mustert ihn mit seinen weißen Augen. „Geh“, forderte der Dämon John auf und wartete noch, bis der zur Tür hinausgegangen war. Dann schnippte er mit den Fingern. Ein Hund jaulte. Krallen kratzen über den Boden. Das Jaulen ging in Bellen über und dann schlugen Zähne in Deans Oberschenkel ein. <<< Dean erwachte von seinem eigenen heiseren Schrei. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Atmung war kurz davor zu kollabieren. Er blieb auf dem Rücken liegen und starrte auf die Schatten einiger Zweige, die im Schein der Straßenlaterne vor ihrem Zimmer, an der Decke tanzten. Nur langsam ließ das Zittern nach und seine Atmung wurde wieder ruhiger. Die Schrecken des Traumes wollten jedoch nicht so einfach verblassen. Wütend trat er um sich. Seine Fäuste trommelten auf die Matratze. Warum? Warum mussten ihn solche Träume quälen? Reichte es nicht, dass er seine Mom und seinen Dad verloren hatte? Reichte es nicht, dass Sam in seinen Armen gestorben war und er kurz davor gestanden hatte in die Hölle zu gehen? Reichte es nicht, dass er sich noch immer Vorwürfe machte, dass John Winchester für ihn in die Hölle gegangen war? Nein, scheinbar reichte nichts davon! Scheinbar war er dazu verdammt immer wieder zusehen zu müssen, wie seine Familie starb und wie andere glücklich lebten. Warum mussten sich diese Wechselbälger ausgerechnet Windom aussuchen? Und warum von all den Menschen die hier lebten ausgerechnet Kate Milligan? Sie hätten nie von Adam erfahren müssen. Noch immer von Wut erfüllt, schleuderte Dean sein Kissen durch den Raum. Nur mühsam konnte er sich davon abhalten dem Kissen auch noch die Nachttischlampe folgen zu lassen. Er zwang sich dazu ruhig liegen zu bleiben. Kapitel 57: Jim, Jack und John ------------------------------ @ Vanilein - mal sehen, ob sie solche Momente öfter zulassen ... John Winchester - das große Dilemma in Deans Leben. Ich denke, es wird uns erhalten bleiben... LG Kalea 57) Jim, Jack und John Sam hielt vor der Scheune und stieg schweigend aus. Sofort öffnete auch Adam seine Tür und sprang aus dem Wagen. „Bitte warte hier“, bat er ruhig. „Ich will sie sehen!“ „Bitte!“ Sam wollte nicht, dass er sie so sah. Er wollte sie wenigstens ein bisschen herrichten, wenn das bei einer ausgetrockneten Leiche, die wochenlang in einem Keller gelegen hatte, überhaupt ging. Widerwillig nickte Adam und lief vor der Tür unruhig auf und ab. Es dauerte nicht lange, bis Sam wieder aus der Scheune kam. Zu seinem eigenen Erstaunen sah der Körper von Kate ziemlich gut aus. Er hatte sie auf ein paar Strohballen gebettet. Wortlos nickte er seinem Halbbruder zu und bezog vor der Tür Posten. Sein Blick ging zu dem von Wolken fast verdecken Himmel und seine Gedanken waren bei Dean. Er hoffte, dass sein Bruder ruhig schlief. Adam betrat die Scheune und blickte zu den, in schwaches Licht getauchte, Strohballen. Eine Decke war darauf ausgebreitet und darauf lag ein Körper. Er wollte zu ihr gehen und hatte gleichzeitig Angst davor. Doch wenn er noch lange hier stand, würde er sich weder von ihr verabschieden noch irgendwann einmal ein Grab für sie haben können. Er holte noch einmal tief Luft und ging langsam auf sie zu. Sam hatte es wirklich fast geschafft, sie aussehen zu lassen, als ob sie schliefe, wie auch immer er das gemacht hatte. Er war ihm dankbar dafür. Adam kniete sich neben die improvisierte Liege, stützte seine Ellenbogen auf den Strohballen und legte sein Kinn in seine Hände. Stumm starrte er seine Mom an. Tränen rannen über seine Wangen. Nach einer halben Ewigkeit kämpfte er sich wieder auf die Füße. Er wischte seine Nase am Ärmel seiner Jacke ab, versuchte halbherzig seine Tränen zu trocknen und wandte sich zur Tür. Doch bevor er den ersten Schritt machte, drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Es tut mir leid. Ich liebe dich“, flüsterte er in die Stille und ging nun endgültig nach draußen. Sam nickte stumm und betrat die Scheune. Er war noch nicht weit gekommen, als er Schritte hinter sich hörte. Er blieb stehen und drehte sich zu seinem Halbbruder um, der hinter ihm stand. „Du musst das nicht machen!“, sagte er ruhig. „Ich will aber. Das bin ich ihr schuldig!“ Sam sah die Entschlossenheit in den Augen des Milligan und zuckte mit den Schultern. Wer war er, dass er ihm das verweigern durfte? Gemeinsam wickelten sie den Körper wieder in die Decken und betteten ihn sicher zwischen einige Strohballen auf der Ladefläche des Pickup. Sie zogen die Plane darüber und machten sich auf den Weg Richtung Osten. Schweigen breitete sich im Fahrerhaus aus. Nur langsam ebbte Deans Wut ab und machte anderen Gefühlen Platz. Träge drehte er sich auf die Seite und setzte sich auf. Er rieb sich über das Gesicht und starrte auf das Fenster. Wie gerne hätte er jetzt Sam hier. Sein kleiner Bruder könnte ihn von dem Chaos ablenken, das in ihm tobte. Doch er hatte Sam weggeschickt. Wohlweislich, denn Sam würde Fragen stellen. Fragen, vor deren Antworten er sich fürchtete und die er ihm nicht geben wollte. Also musste er alleine klar kommen. Doch egal wie sehr Dean versuchte sich auf die Zweige zu konzentrieren, die Bilder seines Albtraumes ließen sich nicht vertreiben. Wieder und wieder drängten die sich in den Vordergrund und raubten ihm den Atem. Er stand auf und suchte nach der Fernbedienung. Neben dem Fernseher fand er sie. Was sollte die denn da? Langsam tappte er wieder zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen. Gelangweilt schaltete er durch die Programme. Nichts konnte ihn fesseln. Nichts konnte seine Gedanken in eine andere Richtung zwingen. Er brauchte Ablenkung! Wieder kämpfte sich Dean aus dem Bett und ging auf die Suche. Alles was er an Alkohol in diesem Zimmer fand stellte er neben sein Bett. Und das war Einiges. Die Minibar, die es in diesem Zimmer gab, war gut gefüllt und in ihrer Tasche mit dem Verbandsmaterial gab es auch noch eine fast volle Flasche Whiskey. Kurz war er versucht sich mit den kleinen lustigen Alles-Egal-Pillen abzuschießen, doch das verwarf er wieder. Ihm war nicht nach friedlichem Einschlafen. Ihm war nach Brennen im Hals und einem warmen Gefühl im Magen, dass den Klumpen, der seit dem Albtraum da lag und immer weiter zu wachsen schien, vernichtete. Er setzte sich auf sein Bett, griff nach der Flasche Johnny Walker und nahm den ersten großen Schluck. Mit einem zufriedenen Lächeln quittierte er das Brennen in seiner Speiseröhre. Er lehnte sich zurück, setzte die Flasche an, trank sie halb leer und stellte sie dann in Reichweite auf dem Nachttisch ab. Gelangweilt zappte erneut durch die Programme. Noch immer lief nichts, was ihn für länger fesseln konnte. Wieder griff er zu der Flasche. Nur noch ein kleiner Schluck schwappte darin, als er sie neben seinem Bein abstellte und versuchte sich auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren. Die Augen fielen ihm zu und sein Kopf sackte auf seine Brust. Augenblicklich dröhnte Alistairs Lachen in seinen Ohren. Panisch riss er die Augen auf, richtete sich auf und knallte voller Wucht mit dem Kopf gegen die Wand in seinem Rücken. Grelle Sterne explodierten vor seinen Augen. Wütend schleuderte er die Flasche gegen die gegenüberliegende Wand, wo sie klirrend zerbrach. Dean wartete, bis die Kopfschmerzen etwas nachließen und angelte dann nach der nächsten Flasche. Ohne auf das Etikett zu achten, schraubte er den Verschluss auf und kippte sich die milchige Flüssigkeit in den Hals. Er schüttelte sich. Das Zeug schmeckte widerlich süß. Und weil es so praktisch war und irgendwie auch Spaß machte, beendete diese Flasche ihr Leben ebenfalls an der Wand gegenüber. Noch immer erfüllte nur das Brummen des Motors das Innere des Pickups. Weder Sam noch Adam war nach Musik oder Unterhaltung. Beide hingen ihren Gedanken nach und beide wünschten sich nichts sehnlicher, als dass das hier möglichst bald zu Ende wäre, wenn auch aus anderen Gründen. Sam setzte den Blinker und bog auf einen Feldweg ab. Er blendete kurz auf. Aus der Dunkelheit schälte sich für diesen winzigen Augenblick ein Schatten. Zufrieden nickte der Winchester. Sie waren auf dem richtigen Weg. Der Wagen rumpelte durch einige Schlaglöcher und Adams Hand umschloss den Haltegriff. Er richtete sich etwas weiter auf. Trotzdem dauerte es noch fast eine halbe Stunde, bis sie einen Platz gefunden hatten, der weit genug von einem Weg entfernt war, um Wanderern nicht sofort ins Auge zu stechen und nah genug, damit er gefunden werden konnte. Sam hielt den Wagen an und stieg aus. Adam machte ebenfalls Anstalten seinen Platz verlassen zu wollen. „Bleib hier, bitte“, bat Sam ihn und blickte ihm eindringlich in die Augen. „Ich …“ „Du hast dich schon von ihr verabschiedet. Lass es gut sein. Das hier wird alles andere als schön werden“, versuchte er zu erläutern. Der Milligan schwieg eine Weile, nickte dann aber und setzte sich wieder richtig hin. Unverwandt starrte er nach vorn in die Dunkelheit. Sam holte die Leiche von der Ladefläche und brachte sie in den Wald, etwas unterhalb des Weges neben einen Stein. Er wickelte sie aus der Decke und versuchte sie so hinzulegen, wie es ein Mensch gemacht hätte, der die Leiche einfach nur loswerden wollte. Er hoffte, dass er das halbwegs konnte, immerhin hatten sie so etwas noch nie getan und er hoffte, dass er das auch nie wieder tun musste. Erleichtert holte er tief Luft, als er sich wieder auf den Fahrersitz schwang. Jetzt noch das Stroh und die Klamotten loswerden, den Wagen abgeben und dann zurück zu Dean. Eine viel zu lange Liste, wenn man ihn frage würde, doch das tat niemand. Endlich stellte Sam den Impala auf den Parkplatz vor ihrem Zimmer. Er rieb sich die Augen und freute sich auf sein Bett. Noch schnell duschen und dann wollte er nur noch schlafen. „Kann ich dich alleine lassen?“, wandte er sich an Adam. „Ich möchte jetzt keine Gesellschaft“, sagte der leise. „Aber danke dass du gefragt hast.“ „Komm rüber, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt!“ „Mach ich.“ Ohne einen weiteren Blick auf seinen Halbbruder wandte sich der Milligan ab und ging zu seinem Zimmer. Sam streckte sich noch einmal und machte sich dann ebenfalls auf den Weg. Er schloss die Tür auf, betrat ihr Zimmer und wäre fast rückwärts wieder raus getaumelt. Der Raum stank wie eine Schnapsfabrik. Was zum Teufel war denn hier passiert? Er presste den Ärmel vor sein Gesicht, um sich nicht übergeben zu müssen und tastete mit der anderen Hand nach dem Schalter. Das Licht flammte auf und sein Blick fiel als erstes auf den Scherbenberg gegenüber von Deans Bett. „Dean“, brüllte er und starrte auf das leere Bett, in dem sein Bruder eigentlich hätte liegen sollen. Aus dem Bad kamen würgende Geräusche. Den Ärmel noch immer vor sein Gesicht haltend, ging er ins Bad. „Das kommt davon, wenn man den Hals nicht voll genug kriegen kann!“, stellte er kalt fest. „Ich hoffe, du räumst das Zimmer auch gleich noch auf. Ich hab keine Lust irgendwann in Scherben zu treten!“ Dean reagierte nicht. Würgend und keuchend hing er vor der Schüssel. Sam lehnte sich an den Türrahmen. Er wusste nicht, was er denken sollte und er hatte absolut keine Ahnung, was hier passiert war. Warum hatte sich sein Bruder so voll laufen lassen? Ein heiserer Schrei entrang sich Deans Kehle und ging in einem Husten unter. Er presste seine Arme vor den Bauch. Sein Körper verlor jede Spannkraft. Er rutschte in sich zusammen und kippte auf den Boden, wo er sich mühsam zusammenzurollen versuchte. Sam nahm den Arm runter und holte tief Luft. Augenblicklich bereute er es. Der saure Geruch nach Erbrochenem mischte sich mit dem Alkoholgeruch. Seine Kehle schnürte sich zu. Trocken schluckend versuchte er der aufsteigenden Übelkeit Herr zu werden. Er überbrückte die wenigen Schritte zu Dean und ging vor ihm in die Hocke. „Dean?“, fragte er leise und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der zuckte zurück und versuchte, leise wimmernd, vor der Berührung zu fliehen. Traurig schüttelte Sam den Kopf. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. „Es tut mir leid, was ich gerade gesagt habe“, versuchte er sich zu entschuldigen. Natürlich hatte Dean nicht gesoffen, weil er Langeweile hatte! „Ich bin es, Sam!“, sagte er mit fester Stimme und hoffte, dass er zu seinem Bruder durchdrang. Vorsichtig drückte er ihn auf den Rücken und musste schon wieder schlucken. Deans Augen waren gebrochen und so leblos wie sein Gesicht. Er seufzte. Nein! Dean hatte wirklich nicht aus Lust und Dollerei getrunken. In der Zeit, als sie sich um Kate gekümmert hatten, hatte sich hier eine Tragödie abgespielt, mit Dean Winchester in der Hauptrolle. „Ich bin hier, Dean. Ich passe auf dich auf“, versuchte er weiterhin zu ihm durchzudringen. Wie gerne würde er ihm versprechen, dass alles wieder gut werden würde, doch das wäre gelogen und er hatte Dean nach der Geschichte mit der deVendt, wenn auch nur im Stillen, versprochen, dass er ihn nie wieder anlügen wollte. Er konnte nichts wieder gut machen. Vorsichtig schob er seine Hände unter seinen Bruder. Wieder versuchte Dean vor den Berührungen zu fliehen. Sam schluckte. „Ich will dir nicht weh tun, aber du solltest dringend duschen.“ Ohne Deans Reaktionen weiter zu beachten, hob er ihn hoch. Kurz überlegte er, ob er ihn ausziehen sollte, aber das T-Shirt war fleckig und er wollte die Herkunft dieser Flecken nicht näher untersuchen. Also setzte seinen Bruder bekleidet in die Dusche. Er drehte das warme Wasser auf und schloss den Duschvorhang. Kurz schaute er sich um und überlegte, was er zuerst machen sollte. Er betätigte die Toilettenspülung und ging ins Zimmer. In der kleinen Küche suchte er nach Handfeger und Kehrblech, stellte die Kaffeemaschine an, um Tee zu kochen und beseitigte in der Zwischenzeit den größten Teil der Scherben. Seine nach Rauch stinkende Jacke warf er neben die Tür und ging dann wieder ins Bad. Sam schob seine Ärmel hoch und stellte das Wasser ab. Vorsichtig versuchte er seinen Bruder aus der nassen Kleidung zu bekommen. Wieder zuckte Dean wie ein geprügelter Hund zurück. Was war nur passiert? Im Stillen machte er sich die größten Vorwürfe. Er hätte hier bleiben sollen. Kates Leiche wäre auch noch ein oder zwei Tage da gewesen! Natürlich war es gut, dass sie das erledigt hatten und Adam nun mit der Trauer beginnen konnte. Trotzdem! Dean war nicht auf dem Damm und er hatte ihn trotz seines schlechten Gefühls alleine gelassen! Wenigstens sah sein Bruder durch das warme Wasser nicht mehr ganz so käsig aus. Vorsichtig schälte er ihn aus der nassen Kleidung, was nicht gerade einfach war, wusch er ihn, trocknete ihn ab und brachte ihn ins Bett. Schnell holte er saubere Kleidung und zog sie ihm über. Wenigstens wehrte sich sein Bruder nicht mehr gegen die Berührungen, auch wenn er nicht mithalf. Den Tee konnte er trotzdem vergessen. Dean hatte sich, kaum dass er lag zusammengerollt und er wollte ihn nicht noch mehr in die Enge treiben. Seufzend registrierte Sam die Batterie leerer Flaschen, die zwischen ihren Betten stand. Dean hatte ganze Arbeit geleistet! Die musste er also auch noch wegräumen. Kapitel 58: Leises Wispern in den Blättern kann auch einen Sturm ankündigen --------------------------------------------------------------------------- 58) Leises Wispern in den Blättern kann auch einen Sturm ankündigen Erleichtert holte Sam Luft, als er aus der Dusche stieg. Er war den Geruch von verbranntem Stoff los, der ihm, seit sie vor ein paar Stunden die Kleidung, die sie bei Kate trugen und das Stroh auf diese Weise entsorgt hatten, anhing. Auch das Bad und ihr Zimmer rochen schon weniger streng. Endlich konnte er ebenfalls ins Bett und schlafen. Nichts wünschte er sich jetzt mehr. Er rubbelte sich die Haare so gut es ging trocken. Zum Föhnen hatte er absolut keine Lust mehr, zog sich an und ging ins Zimmer. Deans Decke lag mehr auf dem Boden als auf ihm. Er hatte also wieder nicht ruhig schlafen können! Wie konnte er ihm nur helfen? Sam ließ sich auf der Kante seines Bettes nieder und schaute zu seinem Bruder. Dean war wach und starrte mit glasig glänzenden Augen ins Nichts. „Was ist nur mit dir?“, fragte Sam leise und hockte sich vor ihn. Eine Weile musterte er ihn schweigend. Natürlich bekam er keine Antwort, also stand er auf, nahm die Decke und breitete sie über seinen Bruder. Er zog sie glatt. Plötzlich schloss sich Deans Hand um seine und er sah sich dunklen, fragend blickenden Augen gegenüber, die ihn fest fokussierten. „Ich will nicht … Ich …“, stammelte der ältere Winchester kaum verständlich. „Soll ich mich zu dir legen?“ Es zerriss Sam fast das Herz, Dean sah so verletzlich aus. Es war einfach nicht richtig. Egal wie alt er war, Dean würde für ihn wohl immer der große, starke Bruder sein. Auch wenn das eigentlich falsch war. Vielleicht sollte er sich mal von dieser Vorstellung verabschieden? Irgendwann einmal? Wortlos rutschte der ältere Winchester zur Seite und machte seinem Bruder Platz, drehte ihm aber den Rücken zu. Schnell kam der der Einladung nach, bevor sich sein Bruder anders entschied. „Was quält dich so?“, fragte er und rutsche an seinen Großen heran. Doch obwohl Dean die Nähe suchte, war er nicht bereit zu reden. Noch nicht. Langsam driftete Sam in Morpheus Arme. Die beruhigende Wärme, die von seinem kleinen Bruder ausging und der noch immer beträchtlich hohe Alkoholspiegel in seinem Blut senkten seine Hemmschwelle auf ein Minimum. Die Bilder, die noch immer durch seinen Kopf rasten, fraßen ihn auf. Er konnte nicht mehr. Kaum hörbar und immer wieder stockend begann er, mehr zu sich selbst, zu sprechen. „Mom! Ich sehe Mom immer wieder an der Decke hängen. Sie schreit. Sie bettelt um Hilfe und John steht da und lacht. Immer und immer wieder lacht er nur und erklärt, dass er jetzt endlich frei ist und sich eine neue Familie suchen kann. Und ich bin viel zu klein um ihr zu helfen, viel zu schwach.“ Der Jüngere schluckte. Er hatte geahnt, dass Dean sich mit seinen Minderwertigkeitskomplexen, dem kaum vorhandenen Selbstwertgefühl und dem alles beherrschenden Drang es Dad Recht zu machen, für ein Lob das wohl selten bis nie kam, herumschlug. „Das hat er nie getan“, überlegte Sam etwas verspätet. „Nein, aber das spielt keine Rolle. Ich träume immer wieder davon.“ Diese Begegnung mit Adam hatte die gut verschlossenen Gefühle hervor gewühlt und die drohten ihn jetzt zu erschlagen. Egal wie viel er trank. Sams Gedanken rasten. Hatten diese Träume noch andere Ursachen? „Hast du Mom gesehen? Damals in meinem Zimmer?“, fragte er leise und versuchte sich noch etwas Zeit zu verschaffen. „Ich …“ Wieder rief er sich die Nacht in Erinnerung. Hatte er sie gesehen? Eigentlich war das unmöglich und doch fragte er sich das immer wieder. „Ich habe Jess gesehen.“ Sam verstand, dass das mehr als genug war. „Du denkst, Dad hat Mom verraten?“ „Ich weiß, dass er das nicht hat, aber es fühlt sich so an.“ „Und jetzt gibst du Adam die Schuld?“ „Nein. Adam ist der Unschuldigste von allen“, krächzte Dean. „Aber …“ „Ich weiß es nicht. John … Ich … Ich träume immer wieder, dass er mich an die Hölle verkauft. Für ein glückliches Leben mit Kate und Adam und er sagt immer wieder, dass er das tut, weil ich versagt habe.“ „Du hast nicht versagt!“, sagt Sam leise aber bestimmt. „Er sagt, dass es meine Schuld wäre.“ „Es ist nicht deine Schuld. Ich wurde mit Dämonenblut verseucht. Es müsste meine Schuld sein!“ „Du warst sechs Monate!“ „Und du vier Jahre! Was soll ein Vierjähriger für Schuld auf sich geladen haben, um so bestraft zu werden?“ „Ich weiß es nicht.“ „Aber es fühlt sich so an?“ Dean nickte und Sam legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Es ist nie deine Schuld gewesen. Du hast von uns allen am Wenigsten falsch gemacht.“ „Und warum hat er mich dann immer so angesehen?“ „Ich weiß es nicht, Dean. Aber es tut mir leid.“ „Er hat gesagt, dass er nur wegen mir bei Mom geblieben ist!“ „Wann?“, wollte der jüngere Winchester erschrocken wissen. Hatte der das wirklich gesagt? Wie konnte er so etwas vor einem Kind sagen? Und wenn er es auch so gemeint hatte, warum hatte er sie nach Moms Tod dann nicht weggegeben? „Sie haben sich oft gestritten. Nachts, wenn ich eigentlich schlafen sollte. Manchmal hab ich mich dann auf die Treppe gesetzt und gewartet. Irgendwann knallte die Haustür und ich bin in mein Zimmer geschlichen und hab gewartet.“ „Worauf?“ Sam hatte eine dieser Nächte erst vor Kurzem miterlebt, als er in Deans Träumen auf die Gelegenheit gewartet hatte, seinen Bruder aus den Fängen des Totengräbers zu befreien. Aber er wollte, dass Dean weiter sprach und hoffte dass er seinem Großen so helfen konnte. „Bis Mom ins Bett gegangen ist. Dann bin ich zu ihr und hab behauptet, dass ich was Schlechtes geträumt hätte. Sie hat die Decke hochgehalten und ich bin zu ihr ins Bett und hab mich ganz fest an sie gedrückt. Hab ihr gesagt, dass ich sie liebe und dass alles wieder gut wird.“ Sam versuchte die Tränen wegzublinzeln, die ihm gerade in die Augen traten. Wie schon vor wenigen Wochen fragte er sich, wie lange Dean schon versuchte Dads Fehler wieder gutzumachen. „Es wurde besser als du im Anmarsch warst, bis kurz nach deiner Geburt. Dann war John weg. Irgendwann war er wieder da und kurz darauf war Mom tot. Verbrannt von einem Dämon.“ Wieder und wieder strich Sam seinem Bruder über die Schulter. Was sollte er auch sonst tun? Er würde Dean gerne in den Arm nehmen, doch das würde der wohl nicht zulassen. Leider. Trotzdem tat es ihm weh, wie sehr sich sein Großer mit dieser Situation quälte. Wie tief musste sich das in seine Seele gefressen haben? Wie sehr hatte er unter Moms Verlust gelitten? Wie sehr schmerzte diese Wunde jetzt noch? Aber das Schlimmste für ihn war, dass er nichts tun konnte, um seinem Großen diese Last abzunehmen. „Warum sagst du John?“, fragte er, einfach um die drückende Stille zu zerreißen. „Weil ich in ihm keinen Vater mehr sehen kann. Nicht mehr. Ich meine, ich hab ihn verehrt. Ich habe ihn geliebt. Ich hätte alles für ihn getan. Aber inzwischen ist mir klar geworden, er ist nur ein Mensch. Er hat Fehler gemacht und er war dir nie ein Vater.“ „Deswegen musst du dich aber nicht von ihm lossagen!“ „Nach Moms … Er war mir noch weniger Vater als dir.“ Sam schwieg. „Dad ist mit Mom gestorben“, sagte Dean leise. „Du vermisst sie?“ „Ja“ Deans Antwort ging in dem leisen Schniefen fast unter und ließ vollkommen offen oder er damit nur Mom meinte oder die Eltern, die er einmal gehabt hatte. „Es tut mir so leid!“, murmelte Sam tonlos und zog die Decke etwas höher über Deans Schulter. Lange lag Sam noch wach und dachte über das nach, was er eben erfahren hatte. Er fügte es zu dem hinzu, was er schon wusste und wollte es ganz tief in sich verwahren, da, wo er auch Deans Erzählungen von den schönen Tagen mit Mom und Dad hütete, wie einen Schatz. Auch wenn es dieses Mal keine schönen Erinnerungen waren, halfen sie ihm doch Dean zu verstehen und sie gehörten zu ihrer Vergangenheit! So ein Geschenk würde er nur selten bekommen. Wie sollte er jetzt mit Dean umgehen? Er konnte das doch nicht so einfach totschweigen! Aber genau darauf würde es wohl hinauslaufen. Sie würden wahrscheinlich nie wieder darüber reden. Energisches Klopfen riss ihn aus dem Schlaf. So langsam wuchs sich das zur Manie aus! Warum konnten die nie warten, bis sie von selbst aufstanden? Travis, Bobby und jetzt? Bestimmt Adam. Er atmete tief durch. Der Junge konnte ja nicht wissen, was er in der Nacht noch alles getrieben hatte. Sein Blick fiel auf den Rücken seines Bruders. Schlagartig erinnerte er sich an das Gespräch, dass sie geführt hatten. So offen war Dean noch nie gewesen. Andererseits hatte ihn aber wohl auch noch nichts etwas so sehr aus der Bahn geworfen. Was war da noch, was ihm auf der Seele lastete? Was war mit diesem Alistair, das Dean so unbedingt hatte loswerden wollen? Wieder klopfte es. Sam gab ein unwirsches Knurren von sich und rutschte aus dem Bett. Vorsichtig deckte er seinen Bruder richtig zu und schlurfte dann zur Tür. „Ich wollte gerade den Schlüsseldienst rufen!“, maulte Adam statt einer Begrüßung und drängte sich ins Zimmer, um die vollbeladenen Tabletts abstellen zu können. Sofort rümpfte er die Nase. „Hab ich mich in der Tür geirrt oder seid ihr in einen Schnapsladen gezogen?“, fragte er angewidert. „Ich konnte nicht sofort schlafen und wollte etwas aufräumen. Dabei ist mir der Alkohol runter gefallen, den wir zur Desinfektion von Wunden immer dabei haben.“ Sam schloss die Tür und drehte sich zu seinem Halbbruder um. Dabei streifte sein Blick Dean. Er sah sich intensiv blickenden grünen Augen gegenüber. Sein Bruder war wach. Wie lange schon? „Ihr desinfiziert …? Warum geht ihr nicht zu einem Arzt?“ Unglaube sprach aus Adams Stimme. „Weil das, was wir tun zwar getan werden muss, aber selten bis nie bezahlt wird. Wir können uns schlichtweg keinen Arzt leisten!“, erwiderte er unwirsch und ging vor Deans Bett in die Hocke. „Hey“, sagte er leise und sah sich einem Blick gegenüber, den er noch nie bei ihm gesehen hatte und der ihm irgendwie Angst machen. Deans Augen waren intensiv fragend auf ihn gerichtet und gingen gleichzeitig vollkommen leer durch ihn hindurch. Trauer und eine erschreckende Leere hatten sich in ihnen eingenistet. „Du hast an sie gedacht?“, stellte er leise fest und ließ wieder offen, wen er jetzt wirklich meinte. Natürlich bekam er keine Antwort. Keine gesprochene, doch Deans Augen wurden noch ein bisschen trauriger, wenn das denn noch ging. Sanft legte er ihm die Hand auf die Schulter. „Hast du Hunger?“ Nur langsam kehrte Deans Blick ins hier und jetzt zurück. „Willst du mit uns Essen oder soll ich dir was ans Bett bringen?“ Sam Stimme blieb fast ein Flüstern. Ihre Augen trafen sich. Er verstand, erhob sich und trat zurück. Dean schob die Decke von sich und setzte sich mühsam auf. Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht und stemmte sich dann in die Höhe. Besorgt schaute Sam ihm dabei zu. Immer bereit sofort zuzugreifen, sollten seine Kräfte versagen, hielt er sich jedoch zurück. Trotzdem konnte er die Sorgen, die er sich um den älteren Bruder machte, nicht ganz verdrängen. Hatte die letzte Nacht ihn so viel Kraft gekostet? Hatte er überhaupt schon genügend Kraft gehabt oder ihnen wieder einmal, den starken Dean Winchester vorgespielt? Er würde weiter ein wachsames Auge auf seinen Bruder haben müssen. Schwankend machte sich Dean auf den Weg ins Bad, der ihm noch nie so weit vorgekommen war. Er fühlte Sam hinter sich und er war ihm dankbar dafür, dass er da war und ihm trotzdem die Illusion ließ, stark genug zu sein. „Was ist mit ihm?“, wollte Adam wissen, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte. „Ich denke, er hat uns gestern verarscht. Er hat sich mal wieder stärker gegeben als er war. Selbst mich täuscht er damit wieder und wieder.“ Adam überlegte kurz und deckte den Tisch fertig. Wie viele Facetten hatte die Beziehung seiner Brüder? Wie wenig wusste er doch über sie und ihr Leben? Als Dean das Bad wieder verließ, sah er nicht viel besser aus. Seine Haut war noch immer grau und die Ringe unter den Augen tief und schwarz. Sam war sofort wieder an seiner Seite und begleitete ihn zum Tisch. Die Blicke der Brüder kreuzten sich und Adam konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass die beiden miteinander sprachen. Sam schob seinem Bruder eine Tasse mit heißem schwarzen Kaffee hin und begann ein Sandwich zu schmieren, das er dann ebenfalls vor Dean stellte. „Ich kann das schon selbst“, erklärte der leise, war aber irgendwie auch froh, es nicht tun zu müssen. „Ich weiß. Aber du brauchst im Moment jede Kalorien, die du kriegen kannst und wenn du weniger verbrauchst ...“ „Kann ich dich in ein paar Wochen nochmal daran erinnern?“ „Vergiss es. Wenn du nicht bald wieder fit bist, bringe ich dich eigenhändig in eine Klinik, wo du zwangsernährt wirst!“ „Und das mir!“, schmollte Dean. „Also tu, was du am Liebsten tust!“, forderte Sam gutmütig und schob ihm den Teller hin. „Sex mit heißen vollbusigen Blondinen?“ „Nein! Essen!“, maulte Sam und verdrehte gespielt genervt die Augen. Der ältere Winchester grinste breit und zwinkerte Adam zu. Adams verwirrter Blick sprach Bände und brachte seine Brüder zum Grinsen. „Tut mir leid, aber das kann dir keiner erklären“, sagte Sam leise. Diese Vertrautheit, diese Sprüche waren mit den Jahren entstanden und gewachsen, das war nichts, was er ihm in fünf Minuten verständlich machen konnte. Kapitel 59: Adams Entscheidung ------------------------------ @ Vanilein - Vielen Dank für Dein Lob und Deine so regelmäßigen Kommis. Ich freue mich jede Woche darüber. Die Jungs? Ich versuche sie so zu schreiben, wie ich sie in der Serie gerne hätte. Als Brüder, die alles zusammen durchstehen. LG Kalea 59) Adams Entscheidung Dean hielt es nicht lange am Frühstückstisch. Schon bald schlurfte er wieder zum Bett. Verdammt nochmal. Ihm war es doch gestern nicht so schlecht gegangen. Hatte er sich das mit seiner Saufaktion eingebrockt? Er schob die Kissen an die Wand und ließ sich auf die Matratze fallen. Etwas umständlich schaffte er es, sich bequem hinzusetzen. Sam zerriss es bei diesem Anblick fast das Herz. Und wieder einmal drängte sich ihm die Frage auf: Warum nur immer sie? „Ich habe mich entschieden wieder auf College zurückzugehen“, begann Adam umständlich. Die Winchester-Brüder schauten ihn beide an. Sam fragend ungläubig und Dean eher zustimmend. „Ich meine, was soll ich denn hier noch tun? Ich sitze rum und versuche mich mit meinen Büchern abzulenken. Meine Mom ist tot und ihr wollt mich nicht in der Familie haben!“ „Natürlich wollen wir dich …“, begann Sam sofort zu widersprechen. „Wollen wir nicht!“, unterbrach ihn Dean so energisch, wie es ihm in diesem Zustand keiner zugetraut hatte. Die beiden Anderen starrten ihn verärgert an und holten für eine Antwort Luft. Dean hob die Hand und würgte sie wortlos ab. „Adam! Wir würden dich gerne in dieser Familie willkommen heißen, wenn diese Familie eine wäre.“ Wieder hob er die Hand, um Sam gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen. Er war noch nicht fertig. „Sam und ich sind alles, was von dieser Familie übrig ist. Ja, wir hängen mehr aufeinander, als es Brüder sonst wohl tun und ja, wir vertrauen uns auch mehr als anderen. Jeder würde sein Leben für den anderen geben und jeder würde alles tun, um das Leben des anderen zu schützen. Und das hängt wohl hauptsächlich mit dem zusammen, was wir erlebt haben und was wir tun. Wenn wir ein normales Leben führen würden, wärst du herzlich willkommen und wir würden alles tun, um dich aufzufangen und zu unterstützen. Allerdings hat das Übernatürliche bislang jeden Versuch normal zu leben zunichte gemacht. Und so? Sam und ich, wir sind nur zu zweit richtig gut. Selbst als John mit uns gejagt hat, ging das irgendwie schief. Nein! Wir wollen dich so nicht in dieser Familie. Wir müssten dich ausbilden. Einer von uns müsste ständig ein Auge auf dich haben und das könnte für den anderen verheerend enden. Versteh mich bitte nicht falsch, Adam. Aber hier geht es um Leben und Tod und ich will dich nicht als Nächsten beerdigen müssen. Wir wollen, dass du dein Leben leben kannst. Wir wollen, dass du deine Träume verwirklichen kannst. Mit uns wirst du das nie können. Mit uns wirst du in eine Welt gerissen, in der du nicht leben willst. Sam und ich, wir würden uns freuen, wenn du dich hin und wieder mal melden würdest. Tausch deine Träume nicht gegen einen Platz auf der Rückbank des Impala ein. Bitte!“ Dieser letzte Satz war nur noch ein Flüstern gewesen. Jetzt ließ er sich in die Kissen sinken, schloss die Augen und holte tief Luft. Dean wollte nur noch schlafen. Er war vollkommen erschöpft und er hoffte, dass Sam jetzt keine lange Diskussion vom Zaun brechen würde. Sam schloss ebenfalls die Augen und atmete durch. Er war irgendwie wütend, dass Dean mal wieder alleine entschied, was passieren sollte, aber er wusste auch, dass sein großer Bruder Recht hatte. Was ihn wohl wirklich wurmte war, dass sie nicht darüber geredet hatten? Allerdings war dafür bis jetzt auch keine Zeit. Er blickte zu seinem Bruder und schluckte jede Erwiderung herunter. Dean sah schlecht aus. So schlecht wie schon seit über einem Jahr nicht mehr. Und an diese Zeit wollte er sich nicht erinnern. Sam fühlte Deans Blick auf sich gerichtet und nickte knapp. Sie würden vielleicht noch darüber reden, aber erst, wenn es seinem Großen besser ging. Letztendlich hatte der ja Recht. Auch wenn er in diese Entscheidung gerne mit einbezogen worden wäre. Der ältere Winchester schloss die Augen wieder, atmete noch einmal erleichtert aus und ließ sich in die wartende Dunkelheit fallen. Sein Kopf rutschte zur Seite. Sofort stand Sam neben dem Bett. Er streckte die Hand aus und wollte nach Deans Puls suchen als er das gleichmäßige Heben und Senken von dessen Brustkorb sah. Erleichtert schob er seine Hände unter seinen großen Bruder und legte ihn richtig ins Bett. „Ich geh meine Sachen packen“, sagte Adam, der das gerade mit angehaltenem Atem verfolgt hatte. Immer mehr bekam er den Eindruck hier nur zu stören. Das Verhältnis seiner Brüder zueinander war mehr als gewöhnungsbedürftig. „Was ist das eigentlich mit euch?“, platzte die Frage aus ihm heraus, bevor er richtig drüber nachdenken konnte. „Was ist was mit uns?“, fragte Sam etwas begriffsstutzig. „Du und Dean. Ihr benehmt euch … ihr seid wie ein altes Ehepaar, wie frisch Verliebte.“ Sam lachte. „Dean hat mich aufgezogen. Mom starb als ich sechs Monate war, wie du ja weißt. Dad war selten bis nie da. Um alles musste sich Dean kümmern. Er war da, wenn ich krank war, er musste mich als Teenager ertragen. Er hat mich aufgefangen, als Jess starb. Was erwartest du? Meine ersten Schritte gingen zu Dean. Er war dabei als ich meinen ersten Zahn verloren hab. Er hat mir schwimmen und Rad fahren beigebracht. All das hat Dean für mich gemacht und nicht Dad! Und dann ist da noch das Problem, dass wir mit dem, was wir teilweise schon als Kinder erlebt hatten, zu niemandem gehen konnten. Wir hatten nur einander, um darüber zu reden und das verarbeiten zu können. Es gab nur uns. Und das hat sich bis heute nicht wirklich geändert.“ Adam schwieg betreten. Daran hatte er nicht gedacht. Wie auch? Sein Leben war von seiner Mom geprägt und auch wenn er eigentlich keinen Vater hatte, so wusste er doch, dass das wohl dessen Aufgaben gewesen wären und nicht die eines großen Bruders. „Ich gehe packen. Könntest du mich dann zur Wohnung fahren? Ich möchte da noch einige Sachen mitnehmen“, fragte er ernst. Sam nickte. Er wartete noch, bis sich die Tür hinter dem Milligan geschlossen hatte und setzte sich dann auf den Rand seines Bettes. „Den hast du ja richtigehend vertrieben, Dean. Aber du hast Recht. Selbst mit Dad waren wir nicht so gut, wie wir als Zweierteam sind. Nur so können und konnten wir die meisten Menschen vor den Monstern retten, die ihnen das Leben zur Hölle machten.“ Und ja, Dean hatte noch in einem anderen Punkt Recht. Wenn er die Wahl hätte, würde er auch lieber studieren und nicht hinter diesen Monstern her jagen. Trotzdem wäre es einfach schön nicht länger der kleine Bruder zu sein. Sam schaute seinem Bruder noch eine Weile beim Schlafen zu, dann erhob er sich und begann das Zimmer aufzuräumen. Die Scherben, die er in der Nacht nur oberflächlich weggefegt hatte, warteten noch und auch sonst hatten sie in den letzten Tagen diesem Zimmer ein mittleres Chaos angerichtet. Er brauchte eine Weile, bis der Raum wieder den Standards entsprach, die sie sich selbst gesetzt hatten. Es klopfte. Sam drehte sich zur Tür. Bevor er jedoch den ersten Schritt tun konnte, wurde diese schon geöffnet und Adam betrat das Zimmer. „Ich bin fertig. Ich hab auch schon ausgecheckt“, erklärte er. „Kannst du mich kurz nach Hause fahren?“ „Kurz?“, wollte Sam wissen. „Ja, ich habe vorhin mit Tante Beth telefoniert. Sie meinte ich solle noch ein paar Tage zu ihr kommen.“ „Das ist eine gute Idee“, stellte Sam ruhig fest. Er wandte sich wieder der Packung Vanilleeis zu, die vor ihm auf der Theke stand. „Kannst du noch einen Moment warten? Ich bin gerade dabei Dean etwas zu essen machen.“ Adam nickte, stellte seine Tasche ab und setzte sich auf einen Stuhl. „Was ist mit ihm? Gestern ging es ihm doch eindeutig besser, oder?“ „Ich denke, er hat es übertrieben. Dean ist kein geduldiger Patient. Er wird wohl geduscht und sich danach etwas zu essen gemacht haben. Und ich nehme an, dass das für seinen Körper ohne Pause noch zu viel war.“ Sam nahm das Glas mit dem Bananensmothie und die Schale Eis und ging zum Bett. „Seid ihr oft so verletzt?“ „So schwer? Nein, Gott bewahre. Dann wären wir wohl schon lange gestorben. Es kommt nicht immer ein Engel, um uns zu retten. Prellungen, Schürf- und Schnittwunden und hin und wieder auch Knochenbrüche haben wir öfter. Unsere Gegner sind selten zimperlich, wenn es darum geht uns daran zu hindern sie ins Nirvana zu schicken.“ Sam stellte das Essen auf den Nachttisch, legte seine Hand auf Deans Schulter und rüttelte ihn leicht. „Hey großer Bruder. Zeit zum Essen.“ Dean grummelte und versuchte der Hand zu entkommen. „Das ist ja mal was vollkommen Neues. Der große Dean Winchester hat keinen Hunger“, neckte Sam. Wieder grummelte Dean, drehte sich aber auf den Rücken und blinzelte träge. „Na komm, du darfst gleich wieder schlafen. Vorher jedoch solltest du essen.“ Der ältere Winchester wischte sich über das Gesicht und setzte sich auf. Sofort bekam er das Eis und einen Löffel in die Hand gedrückt. „Hau rein“, forderte Sam eine Fröhlichkeit verbreitend, die er nicht empfand. Er konnte nur hoffen, dass sich sein Bruder möglichst bald von der gestrigen Aktion erholte. Ja, natürlich war Dean vor noch nicht einmal einer Woche eher tot als lebendig gewesen. Trotzdem würde er hier gerne verschwinden. In dem Zustand wollte er Dean allerdings weder eine Autofahrt noch die Suche nach einem neuen Motel zumuten. Und zu Bobby konnten oder wollten sie nicht. Jody war auch noch nicht wieder auf dem Damm. Dean aß langsam. Immer wieder ließ er den Löffel sinken. Schon das versetzte Sam einen Stich ins Herz. Zeigte es doch, wie schlecht es ihm ging. Am Schlimmsten für Sam waren jedoch Deans Augen. So leblos hatte er sie noch nie gesehen. Endlich war die Schale leer. Sam nahm sie sofort an sich und drückte Dean den Smothie in die Hand. „Den noch, dann hast du es geschafft“, ermunterte Sam ihn. Dean trank gehorsam. Als auch das Glas leer war, ließ er den Arm sinken. Schnell griff Sam zu und nahm ihm das Glas weg. „Schlaf dich aus“, sagte er leise. Dean kippte mit einem zufriedenen Seufzen zur Seite. „Soll ich hier bleiben?“, wollte Adam wissen. Der die Szene mit wachsender Irritation beobachtete hatte. Vielleicht brauchte Sam ja seine Hilfe, immerhin ging es Dean wesentlich schlechter als noch am Tag zuvor. „Nein. Du fährst zu deiner Tante und lässt dich verwöhnen.“ „Sehen wir uns noch einmal, bevor ihr für immer hier verschwindet?“, fragte der Milligan. Sam hatte ihn gerade vor der Tür seiner Tante abgesetzt. Er schulterte seinen Rucksack und blickte zum Haus, bevor er sich seinem Bruder wieder zu wandte. „Wie lange willst du denn noch bleiben?“ „Ein paar Tage. Auf jeden Fall bis zum Wochenende.“ Sam nickte und stieg wieder ein. „Wir sehen uns“, sagte er, drehte den Zündschlüssel und ließ den Impala zum Leben erwachen. Jetzt wollte er so schnell wie möglich zurück zu Dean. Kapitel 60: Alistairs Worte --------------------------- 60) Alsitairs Worte Zwei Tage lang bewachte Sam jede Regung seines großen Bruders, versorgte ihn mit jeder Menge Kalorien und war bestürzt und froh, dass Dean eigentlich nur zum Essen wach wurde. Er war froh, dass sein Bruder die meiste Zeit schlief, immerhin war er so am erträglichsten, und erholte sich wirklich. Aber er war auch bestürzt, dass Dean kaum eine Reaktion zeigte. Sein Bruder reagierte lediglich auf das Essen, was immerhin schon mehr war, als in den ersten Tagen hier, aber auch viel weniger als vor seiner Saufaktion. Er wünschte sich einfach nur noch, dass der endlich wieder zu Kräften kam und ihn nervte, weil er noch nicht aufstehen sollte und er sich mit dem Vormittagsprogramm im Fernsehen mehr als nur langweilte. Er brachte gerade wieder ein leeres Glas zur Spüle, so langsam mussten Bananaensmothies und Eis seinem Bruder doch zu den Ohren rauskommen, immerhin bestand jede Zwischenmalzeit daraus, als er einen Schatten hinter sich auftauchen sah. Sofort duckte er sich zur Seite und drehte sich um. Schnell richtete er sich wieder auf. „Hallo Anna“, grüßte er ruhig. „Mir gefällt nicht, was ich hier sehe!“, sagte sie anstelle eines Grußes. „Mir auch nicht!“ Irritiert musterte sie den Winchester. „Ich hätte mich nicht von dir umstimmen lassen dürfen und ihn weiterhin schlafen lassen sollen!“ „Er schläft, wie du siehst!“ Sam war sauer. Sie fragte nicht nach dem Warum. Sie war schon fast so unmenschlich wie dieser Castiel! „Ja, aber sein körperlicher Zustand ist schlimmer als vor drei Tagen!“ „Und wenn du ihn weiterhin in dem Zustand gefangen gehalten hättest, in dem er da war, wäre er jetzt wahrscheinlich tot. Die Träume hätten ihn umgebracht!“ „Wie können Träume töten?“ „Es sind Albträume, Anna und die können bei Dean, leider, heftige körperliche Reaktionen auslösen. Warum auch immer. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder du hättest seine Gefühle und Erinnerungen wieder eingefroren oder du musstest ihn wecken. So hat er sich zwar körperlich keinen Gefallen getan, aber er hat das verarbeiten können, was ihn quälte. Jetzt kann er wieder gesund werden.“ Sie musterte den jüngeren Winchester eindringlich, dann nickte sie. Er kannte seinen Bruder besser. Anna trat neben das Bett, drehte Dean auf den Rücken und ließ ihre Hände wieder über ihn gleiten. „Er wird noch eine Weile schlafen“, sagte sie als das Leuchten unter ihren Händen erloschen war. „Danach sollte er sich aber auch noch eine Weile schonen!“ „Danke!“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, bevor sie wortlos verschwand. Sam kochte sich eine weitere Kanne Kaffee und setzte sich dann an den Tisch. Hier würde er bleiben, bis sich Dean endlich wieder regen würde! Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Nur weil ein Engel Dean geheilt hatte, ging er scheinbar davon auf, dass sein großer Bruder mit einem Schnippen wieder auf den Füßen stand. Er war doch sonst nicht so ungeduldig. Es dauerte noch bis zum späten Nachmittag, bis Dean sich endlich auf den Rücken drehte, die Augen rieb und herzhaft gähnte. Sich ausgiebig streckend, setzte er sich auf und blinzelte seinen kleinen Bruder an. „Hey?“, fragte Sam, bevor er ein Wort sagen konnte. „Hey“, antwortete er zögernd. „Wie geht es dir?“ „Komisch!“ „Was heißt das denn? Komisch gut oder komisch schlecht?“ „Ich hab keine Ahnung, Sammy. Ich fühle mich nur … Ich weiß nicht.“ „Woran kannst du dich denn erinnern?“ „Wenn ich das so genau wüsste. Ich glaube, ich hab mächtig Scheiße gebaut. Ich ...“ „Das kannst du laut sagen.“ Sam konnte Deans schlechtes Gewissen regelrecht sehen. „Es tut mir leid, ich …“ „Du hast in den letzten Tagen ziemlich viel durchgemacht. Ich will nicht sagen, dass ich es wirklich verstehen kann, aber ich habe gesehen, was es mit dir gemacht hat. Ich meine, ich weiß dass du nicht drüber reden willst und ich weiß nicht mal ob ich dir helfen könnte solltest du es doch wollen, aber ich bin für dich da, nur das du es weißt.“ Erwartungsvoll schaute er seinem Bruder ins Gesicht. Dean sah für einen Augenblick aus, als hätte er eine Zahnwurzelbehandlung vor sich, doch das hatte Sam erwartet. Er wusste wie ungern sein Bruder über seine Gefühle sprach. Trotzdem nuschelte der ein leises „Danke“ Zu wissen, dass sein kleiner Bruder für ihn da sein wollte, tat gerade jetzt unheimlich gut. „Soll ich uns was zu essen besorgen?“, wollte Sam wissen und die sich ausbreitende Stille zu vertreiben. „Solange es keine Bananen enthält!“ Der Jüngere lachte. Er stand auf und holte seine Jacke. „Kann ich dich alleine lassen oder plünderst du wieder sämtliche Alkoholika?“ Diese Spitze konnte er sich nicht verkneifen. „Hast du denn alle Vorräte aufgefüllt?“, konterte Dean und wackelte erwartungsvoll mit den Augenbrauen. Sam schluckte. „Erzählst du mir, was es mit diesem Alistair auf sich hat?“, fragte Sam nach dem Essen. Deans Kopf ruckte hoch. Eindringlich musterte er seinen kleinen Bruder. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nichts von dem Dämon erzählt. Woher wusste Sam davon? Hatte er den Pakt doch geschlossen? „Was weißt du von Alistair?“, fragte er schärfer als gewollt. „Du hast dir so viel Mühe gegeben, um Anna diesen Namen zu nennen. Sie hat mir erklärt, dass Alistair ein Dämon ist und dass er sie in der Hölle wollte. Außerdem meinte sie, er wäre der Foltermeister in der Hölle. Jede Seele wird von ihm begutachtet. Entweder kümmert er sich darum oder er reicht sie an seine Untergebenen weiter, damit die sich an ihr erproben können. Sie sagte, dich würde er auf jeden Fall für sich beanspruchen.“ Eine ganze Weile starrte Dean in seine Tasse, als könnte er im Kaffeesatz eine Antwort auf alle Fragen finden. Sam schwieg. Er sah, wie sehr es in seinem Großen arbeitete. „Ich weiß nicht, was da unten in dem Keller wirklich passiert ist. Ich habe John gesehen, aber das kann ich wohl getrost als Halluzination bezeichnen.“ Sam schwieg gebannt. „Ich hab versucht mich zu wehren.“ Dean klang als hätte er versagt. „Du konntest dich nicht wehren. So wie die dich …“ „Ganz am Anfang.“ Ein kurzes Lächeln huschte über Deans Gesicht. „Da hatten sie mich noch nicht wie ein Fell zum Trocknen aufgespannt. Ich hab diese falsche Kate richtig schön erwischt.“ Wieder grinste er schief. „War leider nur ein kurzes Vergnügen. Als ich wieder zu mir gekommen bin, stand dieser Alistair vor mir. Er hat mir einen Deal angeboten. Ich könnte zehn Jahre haben. Er wollte mir sogar meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen.“ „Seit wann können Dämonen Menschen zurückbringen?“, überlegte Sam, denn er wusste genau, was Deans sehnlichster Wunsch war. Immerhin hatte vor Jahren schon ein Dschinn versucht ihn damit ruhig zu halten. „Er hat sich nicht weiter dazu geäußert. Wahrscheinlich hätte er mich da hängen lassen und mir das Ganze nur vorgegaukelt, wie auch immer. Aber das spielt keine Rolle. Was mich beschäftigt: Alistair hat weiße Augen. Er muss also auf einer Stufe mit Lilith gestanden haben.“ „Ich vermute, es sind die obersten Dämonen, die weiße Augen haben. Lilith war laut Legende der erste von Luzifer geschaffene Dämon. Sie ist eine der vier dämonengebährenden Frauen gewesen.“ Dean nickte gedankenverloren. „Er meinte, mit Liliths Tod wären seine Pläne nur etwas aufgeschoben worden. Und dann hat er noch gesagt, dass wir ideal wären. Brüder. Du mit Dämonenblut verseucht und ich noch immer ein rechtschaffener Mann. Was auch immer das heißen mag. Ich sehe mich nicht als rechtschaffen!“ Dean holte tief Luft. „Wozu brauchen sie in der Hölle einen rechtschaffenen Mann?“ „Ich habe keine Ahnung. Wieso ist es so wichtig, dass wir Brüder sind? Was wollen die von uns?“ „Ich dachte immer Azazel brauchte damals einen Menschen, der die Tore der Hölle öffnet, damit die Dämonen auf der Erde wüten können. Sollte da mehr dahinter stecken?“, überlegte Sam laut. „Ich weiß es nicht.“ „Vielleicht war es auch einfach nur dummes Gerede und Alistair wollte dich provozieren. Wenn er mit Lilith auf einer Stufe stand, dann hat er entweder eine Verbündete, Freundin oder Frau verloren oder sie waren Konkurrenten. Vielleicht haben sie sich sogar gehasst? Also wollte er sich mit dem Deal entweder an dir rächen oder aber, er wollte dich in die Finger kriegen, um den Menschen brechen zu können, der die große Lilith besiegt hat.“ „Aber warum hat er dann auf das „rechtschaffen“ hingewiesen?“ Dean unterdrückte ein Gähnen. „Ich werd mal das Internet durchsuchen und du solltest ins Bett.“ Dean nickte, stand aber noch nicht auf. Er war müde, ja, aber er wollte noch nicht schon wieder schlafen. Das hatte er in den letzten Tagen ja wohl zur Genüge. „Was hältst du davon, wenn wir uns ein Spiel anschauen?“, fragte Sam, der zwar viel lieber seine neuen Erkenntnisse überprüfen würde, aber nur zu deutlich spürte, dass Dean mit seinen Gedanken nicht alleine sein wollte. „Warum nicht?“, überlegte der ältere Winchester. „Ich will vorher noch mit Bobby reden.“ „Ja, mach das. Ich besorge uns Bier.“ Schnell hatte Sam sich seine Jacke gegriffen und war aus dem Zimmer verschwunden. Dean zog sein Handy hervor. „Hallo, Bobby“, sagte er, kaum dass er fertig gewählt hatte. „Wartest du auf einen Anruf?“ „Junge! Wie geht’s dir?“ Die Erleichterung darüber Deans Stimme zu hören, schwang überdeutlich in seinen Worten mit und trieb dem Winchester einen leichten rosa Schimmer auf die Wangen. Verlegen rieb er sich über das Gesicht. „Ganz gut, denke ich“, beantwortete er die Frage und versuchte dabei sachlich zu klingen. „Und wie geht es dir wirklich?“ Natürlich konnte er den alten Freund nicht täuschen. „Ich …“ „Du willst nicht drüber reden?“ „Ich bin wach und ich lebe“, antwortete er, ohne Zusammenhang zur Frage. Er brauchte noch Zeit, um das anzusprechen, was ihm auf der Seele lag und wechselte daher das Thema: „Wie geht es Jody?“ „Sie ist noch immer angeschlagen. Die Wunden heilen nicht so schnell wie sie es will. Der Tod ihres Mannes schmerzt und die Menschen hinterfragen ihre Entscheidungen. Sie sucht nach einer Wohnung, weil sie die Blicke und das Getuschel leid ist. Sie hasst es!“ Er holte tief Luft. Eigentlich wollte er mit Dean nicht darüber reden. Nicht jetzt zumindest. „Wollt ihr nicht erst mal herkommen?“, wechselte er das Thema. „Ich weiß es nicht. Wir haben noch keine weiteren Pläne. Sag ihr liebe Grüße von uns.“ „Mach ich, und Dean? Was liegt dir wirklich auf der Seele? Zögernd begann der Winchester von dem zu berichten, was Alistair zu ihm gesagt hatte. „Ich durchforste meine Bücher. Wenn es etwas gibt, werden wir es finden.“ „Danke!“ „Meldet euch hin und wieder, okay?“ „Ja, Bobby.“ Schnell klappte er das Handy zu und wieder einmal kam er nicht umhin sich zu wünschen, dass der alte Freund mehr wäre als nur das. Er wäre ein richtiger Vater für sie gewesen. Sam betrat gerade das Zimmer, als sein Bruder das Handy in der Hosentasche verstaute. „Hab mit Bobby gesprochen und ihm von Alistair erzählt.“ Der jüngere Winchester nickte. Bobby hatte andere Möglichkeiten als er, an diese Suche heranzugehen. „Ich hoffe nur, dass Lilith nicht nur ein Handlanger war. Nicht, dass da etwas viel Größeres dahinter steckt.“ „Du denkst, das Jahr war nur ein Aufschub und wir stehen weiterhin in der Schusslinie von Dämonen?“ „Ich habe keine Ahnung, Dean.“ Dean schluckte. Damit hatten sich wohl alle seine Träume und Wünsche zerschlagen. Sie konnten kein normales Leben führen, solange sie nicht wussten, worum es sich bei Alistrairs Äußerungen handelte. Sie mussten weiterhin auf der Hut sein. Wenigstens konnte er dieses Mistpack sehen. „Ich …“, begann er leise und wusste nicht mehr weiter. Er zuckte mit den Schultern und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Auf Deans Gesicht konnte Sam für einen Augenblick sämtliche Gefühle von Wut bis Frustration lesen. Traurig holte er tief Luft. Jetzt brauchte er seinen Bruder nicht mehr nach einem normalen Leben fragen. Es war egal, ob die Aussage von Alistair etwas zu bedeuten hatte. Sie würden weiterhin von Ort zu Ort hetzen und das Übernatürliche bekämpfen. Der Traum, der noch vor Kurzem so greifbar war, war geplatzt. Mit aller Gewalt waren sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Er setzte sich neben seinen Bruder und reichte ihm eine Flasche, die Dean sofort öffnete und mit einem Zug leer trank. Auf dem Bildschirm lief ein Footballspiel. Doch keiner der beiden schaute wirklich zu. Sie hingen ihren Gedanken nach. Kapitel 61: Ein kleines Buch ---------------------------- @ Vanilein : Vielen Dank für Dein Lob. Ich freu mich riesig, dass Dir meine Geschichte gefällt! Und was Dean und die Langeweile angeht? Ich denke, er würde sich schon zu beschäftigen wissen, ohne Sam ständig zu nerven. ;-)) LG Kalea 61) Ein kleines Buch „Wir sollten hier verschwinden“, sagte Dean plötzlich in die fröhlich laute Geräuschkulisse der Werbung. „Wo willst du hin?“ „Lass uns einen neuen Fall suchen. Hier rumzusitzen bringt uns auch nicht weiter.“ „Und El Paso?“ So schnell wollte Sam den Traum von einem normalen Leben dann doch nicht aufgeben. Ja! Alistair war vielleicht hinter ihnen her. Aber eben nur vielleicht. Und das genügte ihm nicht, um an diesem Leben festzuhalten. Es genügte nicht, um Dean noch einmal so sehen zu wollen und es genügte nicht, die Hoffnung auf ein richtiges Leben aufzugeben! Musste er ja nur noch seinen Bruder davon überzeugen! Innerlich seufzte er. Dean zuckte schweigend mit den Schultern. Ihm stand der Sinn nicht nach Menschen. Je weniger Berührungspunkte sie mit denen hatten, umso weniger konnten sie gefährden. Und so holte Sam sein Handy aus der Tasche. „Ich rufe Adam an und melde uns ab“, sagte er ruhig und wählte. Schon bald meldete sich der Jüngere. „Hey, hier ist Sam. Ich wollte mich verabschieden. Wir fahren morgen weiter.“ „Geht es Dean wieder gut?“ „Er ist okay“, übernahm er Deans Standardsatz, der alles und nichts aussagte. Doch das wusste Adam ja noch nicht, und er würde es wohl nie anders lernen. Irgendwie fand er es trotz das er Deans Entscheidung mittrug, doch schade, den Jungen nicht weiter in ihrem Leben zu haben. „Können wir uns noch mal sehen? Ich würde euch gerne persönlich ‚Auf Wiedersehen‘ sagen.“ „Wann und wo?“ „Wenn ihr herkommen könntet. Ich hab da noch was gefunden, das ich euch geben möchte.“ „Alles klar, dann bis morgen“, verabschiedete sich Sam und legte auf. „Adam möchte sich noch mal mit uns treffen“, informierte er seinen Bruder, während er sein Telefon wieder wegsteckte. Dean gab ein unwilliges Knurren von sich. „Mir wäre es lieber, wir …“ Er brach ab und verfiel wieder in Schweigen. „Was ist los, Dean?“ „Nichts!“ „So wie du reagierst, ist es aber nicht nichts!“ „Es ist nichts, Sam. Mir geht es gut. Ich bin okay, okay?!?“ Wütend erhob er sich und verschwand im Bad. Sam atmete tief durch. Er konnte sich denken, wo das Problem lag, ging es ihm doch auch nicht besser. Dean sah das Ganze mal wieder als seinen Fehler an und er hatte noch keinen Weg gefunden, diese Selbstvorwürfe und den daraus resultierenden Selbsthass seines Bruders wirksam zu bekämpfen. Er holte sich seinen Laptop und begann mit der Suche. Wenn er Alistairs Behauptung widerlegen könnte, dann hätten sie eine neue Chance auf ein richtiges Leben und die würde er nutzen. Mit allen Mitteln. Dean kam wieder aus dem Bad, warf einen kurzen Blick auf seinen Bruder und kroch dann ins Bett. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht so anfahren. Es ist nur, ich ...“, unsicher brach er ab. Er wollte seine Ruhe und der vergebenen Chance nachtrauern. Wieso musste Adam gerade jetzt in ihrem Leben auftauchen? Wieso hatte John seine Finger nicht bei sich behalten können? Er hatte wie ein Wahnsinniger nach Moms Mörder gesucht und nebenbei andere Frauen gehabt? Nicht dass er etwas gegen eine schöne Nacht mit einer hübschen Frau hatte, aber doch nicht ohne Verhütung! Wie konnte John nur so unvernünftig sein! „Es ist okay, Dean. Ich kann dich verstehen, aber er ist unser Bruder.“ „Ich weiß“, flüsterte Dean und drehte sich auf den Bauch. Ein Bruder. Gab es noch mehr da draußen? War Adam der Einzige? Der nächste Morgen kam früh und war unerbittlich. Dean fühlte sich wie gerädert als Sam ihn weckte und so konnte weder der Geruch nach Kaffee noch die auf dem Tisch stehenden Muffins ihn davon überzeugen, dass dieser Morgen der Beginn eines guten Tages werden würde. Schweigend ließ er sich am Tisch nieder. Auch Sam hing seinen Gedanken nach. Er hatte bis weit nach Mitternacht nach der Bedeutung eines rechtschaffenen Mannes für die Hölle gesucht und noch nicht einmal den Schimmer einer Ahnung, wo er suchen sollte und noch weniger was diese Worte bedeuten könnten. Wozu brauchten die Dämonen sie beide? Denn scheinbar hatte deren Blut in seinen Adern auch eine Bedeutung. „Wann treffen wir uns mit Adam?“, riss Dean ihn aus seinen Gedanken. „Wenn wir hier fertig sind sollten wir aufbrechen.“ Dean nickte und goss sich noch eine Tasse Kaffee ein, nur um dann schweigend auf die fast schwarze Flüssigkeit zu starren. Er wusste nicht, ob er die Chance wirklich ergriffen hätte. Ob er wirklich ein normales Leben hätte führen wollen, aber um diese, wenn auch vielleicht nur theoretische Chance betrogen worden zu sein, schmerzte. Warum war Alistair überhaupt bei ihm gewesen? Warum hatte er ihm davon erzählen müssen? Er fand keine Antwort. Und selbst dass er sich den einen Satz wie ein Mantra immer wieder vorbetete, brachte ihm keine Erleichterung. Dämonen lügen! „Wir sollten langsam los“, riss Sam ihn aus seinen Gedanken. Er nickte, froh dieser unendlichen Spirale zumindest für eine Weile entkommen zu sein. Mit einem einzigen Schluck trank er seinen Kaffee aus und schüttelte sich. Kalter Kaffee war noch nie dass, was er lecker fand. Er verzog angewidert das Gesicht. Schnell hatten sie ihre Taschen gepackt, das Zimmer noch einmal kontrolliert und ausgecheckt. Schon bald standen sie vor der Tür von Beth Plummers Haus. Mit Unbehagen blickte Dean darauf. Rosenbüsche vor der Tür. Eine Veranda mit Hollywoodschaukel und ein alter knochiger Baum, der auf dem Rasen stand. Er hatte schon so viele solcher Häuser gesehen und hinter den wenigsten hätte er leben wollen. War er vielleicht gar nicht für ein ruhiges Leben geschaffen? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken! Einen Blick auf seinen Bruder werfend, setzte er sich in Bewegung. Adam schien auf sie gewartet haben. Noch bevor sie klingeln konnten, öffnete er die Tür. „Hey“, grüßte Sam ruhig. „Hey. Hallo Dean. Wie geht es dir?“, fragte der Milligan und musterte Dean, der noch immer blass und müde wirkte. „Geht so“, antwortete der ältere Winchester rau. Er wollte nicht reden und er wollte nicht hier sein. Adam überhörte Deans Unbehagen einfach. „Ich wollte euch noch einmal danken, dass ihr nach meiner Mom gesucht habt!“, begann er und starrte auf seine Hände. „Tut uns leid, dass wir dir nicht besser helfen konnten“, erwiderte Sam. „Wie lange wirst du noch hier bei deiner Tante bleiben?“ „Bis zum Wochenende. Danach will ich zurück ans College. Tante Beth wird sich um die Wohnung kümmern und mich auf dem Laufenden halten, sollte sich hier etwas ergeben.“ „Das klingt gut. Sie scheint nett zu sein.“ „Wo wollt ihr jetzt hin?“ „Keine Ahnung. Wir haben noch kein Ziel.“ Wieder war es Sam, der antwortete. Dean schwieg und starrte blicklos in die Ferne. Plötzlich regte er sich. „Ich warte im Wagen!“, sagte er und wollte gehen. „Dean!“, hielt Adam ihn zurück. Der ältere Winchester drehte sich wieder zu ihm. „Könnt ihr bitte reinkommen? Ich wollte euch etwas geben“, erklärte „Es dauert auch nicht lange!“, setzte er noch hinzu. Diese Reaktion tat ihm weh. Er hatte immer noch gehofft, dass ihr Verhältnis wenigstens ein bisschen familiär sein könnte, doch scheinbar konnten die beiden nicht schnell genug von ihm weg kommen. Er schloss die Tür hinter seinen Brüdern und ging an beiden vorbei zu dem Zimmer, in den er gerade wohnte. Sam schaute sich um. Der Raum war freundlich eingerichtet, aber nichts ließ auf den Bewohner schließen. Ein typisches Gästezimmer eben. Sein Blick streifte Dean und er konnte sehen, wie der sich ein wenig entspannte. Er hatte wohl noch mehr Zeugnisse eines glücklichen Familienlebens befürchtet. „Wollt ihr euch setzen? Ich kann euch Kaffee machen“, schlug Adam vor. „Nein, danke. Sitzen können wir gleich noch genug und Kaffee? Wir haben grade erst gefrühstückt“, lehnte Dean heiser ab. Er wusste, dass er dem Jungen damit weh tat, doch er war noch nicht so weit, dem Auslöser seines seelischen Dilemmas unvoreingenommen gegenüber zu treten. Er wusste nicht mal, ob er es je können würde. Aber vielleicht musste er das ja auch nie. Sie konnten einen Bogen um diesen Ort machen und selbst wenn der Junge später woanders lebte, wie groß waren die Chancen sich erneut zu begegnen? Bei ihrem Glück wahrscheinlich exorbitant hoch. Innerlich grinste er bitter. Adam nickte traurig. Er nahm eine volle Kiste vom Boden, stellte sie auf einen Stuhl und begann darin zu suchen. „Ich hab es hier irgendwo“, sagte er und schob ein paar Bilderrahmen beiseite, die zu Deans Erleichterung mit der Rückseite nach oben lagen. Er wollte nicht sehen, was darauf war. Das Ganze hier schmerzte auch so schon mehr als er ertragen konnte. „Habt ihr schon einen neuen Fall?“, wollte der Junge mit einem Blick auf Sam wissen. „Nein. Wir haben noch nichts Neues“, antwortete Sam. „Und warum bleibt ihr dann nicht hier?“ „Wir waren auf dem Weg nach El Paso, als dein Anruf kam“, erklärte der Winchester mit einem Blick zu Dean. Adam hatte gefunden wonach er suchte, er schob seinen Arm etwas tiefer in den Karton und holte ein Buch mit einem abgegriffenen Ledereinband heraus, dass er an Dean weiterreichte. „John hat es mir gegeben. Ich sollte es aufbewahren, bis er es wieder abholt. Aber das wird er jetzt ja wohl nicht, oder?“ „Ich … Danke“, sagte Dean noch immer heiser und blickte auf das Buch. Es sah aus wie Johns Tagebuch. Hatte der ein zweites geschrieben? Für wen? Was stand darin, was er nicht in das erste schreiben konnte? Der Einband brannte in seinen Fingern. Am liebsten würde er es fallen lassen und flüchten, aber das war ja wohl keine Option. Er schob es in den Bund seiner Hose. Der Milligan hatte den Karton inzwischen wieder angehoben und wollte ihn an seinen vorherigen Platz stellen. Eines der Bilder, die jetzt unordentlich obendrauf lagen kam ins rutschen und fiel herunter. Reflexartig griff Dean zu und fing es auf. Er hob es hoch und wollte es wieder auf den Karton legen. Dabei fiel sein Blick auf das Foto. Er erstarrte. Sein Griff lockerte sich. Dieses Mal war es Sam, der das Bild vor einem Absturz bewahrte. Er legte es zurück auf den Karton, nicht ohne jedoch auch einen Blick darauf zu werfen. „Danke“, flüsterte Adam, dem es sichtlich peinlich war, dass Dean noch ein Foto seiner kleinen glücklichen Familie zu Gesicht bekommen hatte. Schnell stellte er den Karton weg, während Sam seinem großen Bruder die Hand wortlos auf den Arm legte. Mit einem tiefen Atemzug erwachte der aus seiner Starre, drehte sich um und flüchtete. Sam musste schlucken als er seinen Großen sah. Sein Gesicht hatte auch noch das letzte Bisschen Farbe verloren und seine Augen schimmerten feucht. War das nur wegen des Fotos? Das konnte er fast nicht glauben. Auch Adam keuchte leise. „Ist es so furchtbar für ihn, mich mit unserem Vater zu sehen?“ Er musste diese Frage einfach stellen. „Ich glaube nicht, dass es an dir liegt. Du kannst für diese ganze Situation am wenigsten. Das hat er mir letztens noch gesagt. Nein. Es liegt nicht an dir. Es liegt eher daran, was du verkörperst.“ „Und was ist das?“ „Ein Leben mit Dad in einer heilen Familie.“ Sam hob die Hand als der Junge protestieren wollte. „Wir wissen, dass Deine Familie nicht heil war. Aber für uns war sie es. Mehr als unsere. Im Verhältnis gesehen war John öfter bei dir als bei uns. Wie oft hat er Dean gepredigt, kein Sex ohne Kondom, weil Kinder uns erpressbar machen.“ Sam atmete tief durch. „Es tut weh, zu sehen, wie wenig wir ihm offenbar bedeutet haben und wie liebevoll er mit dir umgegangen ist. Es liegt nicht an dir, dass Dean so reagiert. Er hat immer alles dafür gegeben unsere kleine Familie zusammenzuhalten. Erkennen zu müssen, dass es keine Rolle gespielt hat, was er dafür aufgab, weil John längst neues Familienglück gefunden hatte, zerreißt ihn regelrecht. Dean ist harmoniesüchtig, auch wenn er es nie zugeben würde. Er liebt unsere Mom über alles und das auch noch nach so vielen Jahren. Er hat ihren Tod nie betrauern können, weil er immer funktionieren musste. John war damals mit der Situation und zwei kleinen Kindern vollkommen überfordert, also hat Dean versucht ihm alles abzunehmen, was er nur konnte. Und jetzt mit dir musste er erkennen, dass John all das nie gewürdigt hat, dass er es als gegeben hingenommen hat, ohne je darüber nachzudenken, ob oder was Dean aufgegeben hat. Nein, Dean ist dir nicht böse, aber ich glaube inzwischen hasst er John.“ Der Milligan nickte traurig. „Ich würde dir gerne auf Wiedersehen sagen, aber so wie es aussieht, wäre es wohl besser, wenn wir den Kontakt auf ein Minimum reduzieren. Ruf hin und wieder mal an. Und wenn dir der Sinn nach Familie steht, sag es ruhig. Wir versuchen zu kommen.“ „Dean …“ „Irgendwann beruhigt er sich und dann wird er auch mit dir kein Problem mehr haben.“ „Sollte er sich nicht besser noch ausruhen?“ „Das wäre für ihn noch schlimmer. So ist er weniger unleidlich und abends rechtschaffen müde“, grinste Sam breit. „Wenn du es sagst.“ „Leb wohl!“, sagte er und zog den Jungen in eine herzliche Umarmung, die der nach einer kurzen Schrecksekunde genauso herzlich erwiderte. „Leb wohl, Sam!“, verabschiedete er sich als sie sich wieder voneinander lösten. Der Millgan schaute seinem Bruder hinterher wie der in den Impala einstieg und wie Dean den großen schwarzen Wagen vom Parkplatz lenkte und sich in den Verkehr einordnete. Wenige Sekunden später waren sie verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben. Kapitel 62: Roadhouse --------------------- 62) Roadhouse Schweigen verstopfte das Innere des Impala. Selbst das Radio schwieg. Immer wieder warf Sam einen Blick auf seinen Bruder, dessen Hände so fest um das Lenkrad geklammert waren, dass die Knöchel weiß hervortraten. Jedes Mal holte er Luft, um irgendwie ein Gespräch zu beginnen, atmete kurz darauf jedoch nur aus und tröstete sich damit es gleich noch einmal zu versuchen und dann endlich mit seinem Bruder zu reden. Doch der strahlte die ganze Zeit soviel Ablehnung aus, dass es Sam jedes Mal schier die Sprache verschlug, wenn er ihn nur anschaute. Also rutschte er auf seinem Platz etwas nach unten und versuchte sich zu entspannen. Irgendwann würde Dean etwas essen wollen und dann würde er diese Gelegenheit nutzen. Erneut wanderte sein Blick zu seinem Bruder, denn inzwischen machte er sich große Sorgen um ihn. Was hatte ihn nur so mitgenommen? Grübelte er immer noch über John und Adam? Oder versuchte er Alistairs Worte zu entschlüsseln? Lag es doch an dem Foto? Aber daran war doch nichts Besonderes gewesen! John stand mit Kate und Adam im Fenster einer Hütte. Er vermutete zumindest, dass es eine war. Ähnlich Bobbys Hütte, in der sie früher immer jagen waren, wenn Dean und er ihre Ferien bei dem alten Brummbären verbracht hatten. Was würde er nur dafür geben einmal Deans Gedanken lesen zu können! Er versuchte erneut es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich zu machen, es wollte ihm heute einfach nicht gelingen. Leise Seufzend ließ er seinen Blick noch einmal über seinen Bruder gleiten. Ob er nach dem Buch fragen sollte? Nein. Dean hatte das Buch bekommen und wohl kaum Zeit gehabt, es sich näher anzuschauen. Er angelte sich seinen Laptop vom Rücksitz, kappte ihn auf und begann wieder nach der Bedeutung von Alistairs Worten zu suchen. Dean kämpfte regelrecht darum, nicht denken zu müssen. Er wollte nicht nach einem Sender suchen, der Musik spielte, die letztendlich Johns Lieblingsmusik gewesen war, auch wenn er sie wohl genauso liebte, wie sein Vater. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als den aus seinen Erinnerungen streichen zu können. Wenigstens Adam wollte er vergessen! Adam und den Verrat an seiner Mom. Warum hatte der Junge gerade diese Nummer gewählt? Warum lag dieses Handy noch immer im Handschuhfach des Impala? Und warum waren mit diesem Fall die alten Erinnerungen zurückgekommen? Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass John seine Mom über Alles geliebt hatte. Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass die Streitereien seiner Eltern nur böse Albträume waren. Warum hatte er das nicht einfach vergessen können? Stur starrte er auf die Straße, nicht gewillt irgendwann anzuhalten, sich diesen Gedanken oder Sams Fragen zu stellen. Denn spätestens wenn er den Motor abstellte, würde der aufwachen und dann würden sie essen gehen. Sam würde erzählen was er nicht im Netz gefunden hatte und danach würde er fragen! Natürlich hielt dieser Vorsatz nur bis die Tankanzeige in den roten Bereich gewandert war. Er fuhr an der nächsten Tankstelle raus. Ein Blick auf Sam ließ seine Mundwinkel kurz nach oben zucken. Sammy war scheinbar sehr tief ins Land der Träume eingetaucht. Er regte sich nicht einmal als er die Wagentür zuschlug, was ihm eine Gnadenfrist verschaffte. Schnell betankte er sein Baby und ging in den Verkaufsraum, um zu zahlen. Sein Blick wanderte über die Regale und sein Magen meldete sich, kaum dass er die eingewickelten Sandwiches sah. Seine Augen huschten zu Sam, der noch immer selig schlief und er beschloss, dass das Risiko, das sein Bruder doch noch aufwachen könnte, zu groß war. Seinen knurrenden Magen ignorierend zahlte er die Rechnung und beeilte sich zum Wagen zu kommen und die Tankstelle hinter sich zu lassen. Meile um Meile verschwand unter den Rädern der schwarzen Schönheit. Seine Gedanken und Erinnerungen konnte Dean jedoch nicht so einfach hinter sich lassen. Sie folgten ihm wie ein Rudel hungriger Hunde einer verwundeten Beute. Sam richtete sich auf. Er rieb sich die Augen und streckte sich, so gut es ging. „Wo sind wir?“, fragte er, Deans noch immer fast greifbare Ablehnung zu einem Gespräch ignorierend. „Nebraska“, knurrte der ältere Winchester. „Nebraska?“ Sam starrte irritiert auf die vorbeihuschende Landschaft. Wie waren sie denn hierher gekommen, ohne zu tanken und ohne dass sein Bruder kurz davor war den Hungertod zu sterben? Dean ignorierte die Frage und hüllte sich wieder in Schweigen. Dafür redete sein Magen umso lauter. Selbst Sam hörte das Grummeln aus dem Grollen des Impalas heraus. „Verdammt noch mal, Dean, wofür bestrafst du dich denn jetzt schon wieder? Du musst essen. Das weißt du genauso gut wie ich. Gerade jetzt!“, schimpfte er und hoffte, dass sein Bruder ihn nicht komplett ignorierte. Doch genau das tat er offensichtlich. Wortlos trat der das Gaspedal noch etwas weiter durch und trieb so den Wagen noch schneller über die Straßen. „Dean!“, brüllte Sam wütend und erschrak, als er ihn zusammenzucken sah. Das war nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte! Verdammt noch mal! Wie kam er nur an seinen Bruder heran? Gerade als er erneut das Wort ergreifen wollte, setzte der Ältere den Blinker und bog auf einen Parkplatz ein. Was ihn hierher getrieben hatte, wusste Dean nicht zu sagen. Aber er wusste, dass er hier richtig war. Die braune Holzfassade und das blinkende Neonschild versprachen Sicherheit und tief in ihm drin schienen die drohenden Gewitterwolken nicht mehr ganz so schwarz zu sein. „Das Roadhouse?“, fragte Sam verwundert und starrte auf die hölzerne Wand vor sich. „Ellen hat es wieder aufgebaut?!?“, versuchte er seine Aussage nicht ganz so blöd aussehen zu lassen und ritt sich damit wohl noch tiefer hinein. Natürlich wusste er, dass Ellen das Roadhouse nach dem verheerenden Brand wieder hatte aufbauen lassen! Er war nur überrascht, dass Dean gerade das angesteuert hatte. „Wieso hier?“, fragte er also. Dean Augen huschten kurz über Sams Gesicht dann stieg er wortlos aus. Aus dem Kofferraum holte er seine Tasche und ging zur Tür. Er war so unendlich müde. In seinem Kopf drehte sich alles. Noch immer er es nicht geschafft, die Gedanken zur Ruhe zu zwingen. Sam beeilte sich, ebenfalls auszusteigen. Schnell holte auch er seine Tasche und schloss den Kofferraum wieder. Neben der Tür holte er seinen Bruder ein. Nacheinander betraten sie den Schankraum und schauten sich um. Dean fühlte sich fast wie damals, als er vor so unendlich vielen Jahren, zum ersten Mal hierher gekommen war, verloren und hilflos. Damals hatte er ein Bündel auf dem Arm, heute stand es riesig groß hinter ihm. Damals hatte dieser Ort ihm geholfen. Und heute? Alles war ihm entglitten und John hatte seine Mom erneut ermordet. Wie konnte der nur? Und wie konnte er mit diesem Wissen überhaupt noch das kleinste Bisschen Achtung vor seinem Erzeuger haben? Sams Blick wanderte als Erstes zu der Stelle, an der im alten Roadhouse die Tür zu Ashs Zimmer gewesen war. Diese Tür gab es nicht mehr. Jetzt war an dieser Stelle eine Wand mit vielen Fotos, wo immer Ellen die auch her hatte.. Auch sonst erinnerte nicht mehr viel und doch fast alles an das alte Roadhouse. Es war komisch und er konnte es auch nicht wirklich in Worte fassen. Trotz der neuen Einrichtung und der teilweise anderen Aufteilung war es doch unverkennbar die Anlaufstelle für Jäger, die es schon vor dem Brand gewesen war. Erleichtert atmete er durch. Es tat gut, etwas zu haben, das sich verändern konnte und doch das Alte blieb. Es war noch ziemlich früh am Abend und so waren kaum Jäger da. An der Theke saßen drei Männer und an einem der Tische ein Mann und eine Frau. Die musterten die Brüder jedoch ausnahmslos misstrauisch. Wer wusste schon, wer hier alles herein kam. Von Ellen oder Jo war nichts zu sehen. Gerade als sie ihre Taschen neben der Theke fallen gelassen hatten, trat Ellen aus der Küche. Ihr Blick streifte die Brüder. Sofort legte sich ein Strahlen auf ihr Gesicht. Schnell brachte die sie Teller zu dem Pärchen am Tisch und wünschte ihnen einen guten Appetit. Dann drehte sie sich um, überbrückte die kurze Distanz zwischen sich und den Winchesters und breitete ihre Arme aus. „Jungs“, rief sie und zog Dean in eine feste Umarmung. Sofort erstarrte der. Ellen ließ sich davon nicht beeindrucken und knuddelte ihn weiter, bis sich der Winchester endlich etwas entspannte und seine Arme zögerlich um sie legte. Erst jetzt ließ sie von ihm ab und zog Sam in eine nicht weniger herzliche Umarmung, die der jedoch sofort und voller Freude erwiderte. „Habt ihr Hunger?“, wollte sie wissen und forschte in Deans Augen. Etwas daran kam ihr wage bekannt vor, doch im diesem Moment konnte sie es nicht deuten. „Hast du ein Zimmer für uns?“, fragte Sam leise. Er würde seinen Bruder nicht eher wieder hinter das Steuer seines Babys lassen, bevor der nicht wieder normal reagierte. Er machte sich eh schon Vorwürfe, dass er Dean überhaupt hatte aufstehen lassen. Aber er konnte auch verstehen, dass er es in diesem Zimmer nicht mehr aushielt. „Für euch doch immer“, erwiderte sie, griff unter die Theke und holte einen Schlüssel hervor. „Die fünf ist das ruhigste Zimmer. Ich zeig es euch.“ Aus reiner Routine trocknete sie sich die Hände ab und führte die Brüder zur Treppe. „Bin kurz oben“, rief sie schnell noch in Richtung Küche und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, die Treppe hinauf. Die Winchesters folgte ihr ins Obergeschoss und dort bis ans Ende des Ganges, wo sie die letzte Tür öffnete und die beiden eintreten ließ, bevor sie ihnen folgte. „Macht euch frisch und dann kommt runter. Ich mach euch was zu essen“, sagte sie und schaute den Brüdern noch einmal in die Augen. Es raubte ihr fast den Atem als sie begriff, was sie in Deans Augen las und woher sie diesen Ausdruck kannte. Es war dieselbe fassungslose Leere, das Unverständnis der Dinge die passiert waren, die sie damals in den Kinderaugen gesehen hatte, als ein leicht verwirrter mann mit einem Kleinkind plötzlich mitten im Raum gestanden hatte, einem Kleinkind, dass ein Baby trug! Mit wenigen Schritten war sie bei ihm und zog ihn in ihre Arme. „Wir passen auf ihn auf“, sagte sie ohne nachzudenken den einen Satz, der ihn damals wenigsten etwas beruhigen konnte und legte ihre Hand an seine Wange. Ganz kurz zuckten Deans Mundwinkel nach oben, doch diese alles umfassende Trauer in seinen Augen blieb. Ellen seufzte. Er hatte damals nur für Augenblicke geholfen, warum sollte es heute besser sein? „Es tut mir so leid, Dean“, sagte sie, ließ ihre Hand sinken und verließ das Zimmer. „Was …“, begann Sam seine Frage, verstummte aber augenblicklich, als er zu seinem Bruder blickte. Dean wirkte so verloren. So kannte er ihn gar nicht! Dean stand noch immer wie erstarrt da und blickte auf die Tür. Etwas hatten Ellens Worte in ihm ausgelöst. Etwas, das weh tat und doch schienen sie seine Gedanken wenigstens für einen Augenblick zur Ruhe bringen zu können. Er musste sich zwingen seinen Blick von der Tür abzuwenden. Sam beobachtete seinen Bruder aufmerksam. Unruhig huschten dessen Augen durch den Raum, so als suchte er etwas. Was hier passierte konnte er nicht einordnen. Und doch hatte er das Gefühl, dass Worte alles zerstören würden. Er machte einen Schritt auf Dean zu. Der richtete sich erschrocken auf, blinzelte und wandte sich ab. Er wollte nicht reden. Er wollte seine Gefühle nicht erklären müssen, weil er sie nicht einordnen und schon gar nicht in Worte fassen konnte, denn er fand keine. Der Bereich, der für Sprache zuständig war, schien wie leergefegt. Nur im Rest seines Kopfes herrschte das blanke Chaos. Bilder und Gedanken wirbelten wild durcheinander, während sein Körper von dieser bleiernen Müdigkeit gelähmt wurde. Er wollte nur noch schlafen! Mit wenigen Schritten überbrückte er die Distanz zu dem vorderen Bett und ließ sich darauf fallen. Sam starrte ihm mit großen Augen hinterher. Was war mit Dean? Sollte er sich zu ihm setzen? Er entschied sich dagegen, räumte seine Tasche weg und hoffte, dass sein Bruder in dieser Zeit ein Lebenszeichen von sich gab. Nichts geschah. Er ging zu dem Bett und hockte sich so daneben, dass er Dean ins Gesicht sehen konnte. Aufmerksam musterte ihn. Dean schlief, auch wenn er noch immer angespannt wirkte. Er hatte also Recht gehabt. Sein Bruder war fix und fertig und brauchte jede Menge Ruhe. Schade nur, dass er vorher nicht noch etwas gegessen hatte! Egal. Das konnte er später nachholen. Jetzt schlief er und er würde den Teufel tun seinen großen Bruder zu wecken. Vorsichtig schob er seine Hände unter den Älteren und versuchte ihn wenigstens von seiner Jacke zu befreien, ohne ihn zu wecken. Dieses Mal gelang es ihm nicht. Kaum berührten seine Hände Deans Körper, wurde der unruhig und versuchte sich der Berührung zu entwinden. „Schsch! Ich bin’s, Dean. Will es dir nur etwas bequemer machen“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. Dean blinzelte, seine Augen huschten durch den Raum und blieben endlich an Sam hängen. Erkennen schlich sich in seinen Blick. Und doch blieb ein Funken Misstrauen. Entschieden befreite er sich von Sams Händen und stemmte sich in die Höhe. Schnell zog er sich aus und ließ seine Kleidung und das Buch, das noch immer in seinem Bund steckte, achtlos neben seinem Bett fallen. Er wühlte sich unter die Decke und war eingeschlafen bevor Sam noch ein Wort sagen konnte. Der setzte sich auf sein Bett und starrte seinen Bruder fassungslos an. Was sollte das? Seit wann vertraute Dean ihm nicht mehr? Das Verhalten seines Bruders schmerzte. Was hatte ihn nur so tief verletzt? Kapitel 63: Nicht jedes Essen vertreibt Kummer und Sorgen --------------------------------------------------------- @ Vanilein - Mir huldigen? Jaaa. Ich erwarte täglich einen Strauß frischen Flieder, eine Nutella-Semmel und Prosecco ... *grins* Lieber nicht, sonst sehe ich bald aus wie ein Ballon. Dean und Jo??? ich halte mich da raus. Ich mag Jo, ja, aber als Deans Freundin? LG Kalea 63) Nicht jedes Essen vertreibt Kummer und Sorgen Sam wartete noch eine Weile, doch der um den er sich Sorgen machten, rührte sich nicht. Schulterzuckend stand er auf, hängte Deans Kleidung ordentlich über einen Stuhl. Das Buch, das sein Bruder von Adam bekommen hatte, legte er auf den Tisch. Es juckte ihm schon in den Fingern einen Blick hinein zu werfen, doch nein! Adam hatte es Dean gegeben und es käme einem Vertrauensbruch gleich, es sich einfach so zu nehmen. Gerade jetzt wollte er nichts tun, was Dean noch tiefer in seine Isolation treiben könnte, zumal der ihm ja eben schon nicht vertraut hatte. Warum nur? Was spielte sich in seinem Kopf ab? Er warf noch einen Blick auf seinen schlafenden Bruder und ging nach unten. Vielleicht konnte Ellen es ihm erklären, immerhin schien sie zu wissen, was mit seinem Großen los war. Jo stellte gerade das Essen vor zwei Besucher, die in der Zeit als Sam oben war, das Roadhouse betreten hatten. Sie drehte sich um, sah den Winchester und schoss auf ihn zu. „Sam“, rief sie voller Freude einen der Winchester-Brüder nach so langer Zeit wiederzusehen und fiel dem Langen um den Hals. „Hey, Jo. Schön dich zu sehen!“, erwiderte er und schlang seine Arme um sie. Es tat gut, endlich jemanden zu treffen, der sie kannte und ihnen trotzdem voller Freude entgegen kam. So etwas passierte viel zu selten. „Wo ist Dean?“, wollte sie leise wissen und löste sich von dem Langen. „Schläft“ „Jetzt?“, fragte sie ungläubig und schlug sie die Hand vor den Mund. Sie war lauter geworden als beabsichtigt. Jäger kümmerten sich zwar meistens um ihre eigenen Angelegenheiten und bei dem Brand vor zwei Jahren waren viel zu viele gute Jäger umgekommen, doch die Namen Sam und Dean waren in der Szene bekannt, ja berühmt. Die Brüder waren für meisten Neuen Vorbilder und eine Legende, die sie nur zu gerne kennen lernen wollten. Aber Sam sah nicht so aus, als ob er darauf gesteigerten Wert legen würde. „Unser letzter Fall ging ihm ziemlich an die Substanz, im wahrsten Sinne des Wortes.“ Sie blickte den Winchester eine Weile in die Augen und atmete kurz durch. Wenn Dean jetzt schlief musste es ihn wirklich hart erwischt haben. „Hast du Hunger?“ Sam nickte. „Dann such dir einen Platz. Ich bring dir gleich was.“ Der Winchester ging zu einem Tisch, der halb verdeckt in einer Nische stand und ließ sich daran nieder. Gleich darauf brachte Jo ihm das versprochene Essen. „Heute stehen Lachs und Steak auf der Karte. Du bist eher der Fisch-Typ“, grinste sie und stellte den voll beladenen Teller vor ihm ab. „Außerdem liebst du ja Grünzeug. Also halt dich ran bevor es welk wird!“ Sie stellte noch einen weiteren Teller auf den Tisch. „Wie soll ich …“, begehrte er auf, doch Jo war schon wieder auf dem Weg zur Küche und winkte nur kurz ab. In aller Ruhe begann Sam zu essen. Dean zuckte zusammen und riss die Augen auf. Er konnte nicht sagen, was er geträumt hatte. Er wusste nur, dass es weniger Bilder sondern eher Gefühle gewesen waren, die ihn zu erdrücken drohten. Sein Herz schlug hart in seiner Brust. Der schale Geschmack von Angst lag noch auf seiner Zunge und er hatte das Gefühl als würde ein eisernes Band seine Brust umspannen. Er fühlte sich wie damals. Hilflos, einsam und verlassen. Niemand war da, der ihn tröstete oder ihm erklärte was genau passiert war und warum er so unvermittelt aus seinem Zuhause gerissen worden war. Klar, es hatte gebrannt, aber das konnte man doch bestimmt wieder ganz machen? Er grinste schief. Ja damals schien ihm das so einfach zu sein. Doch John war nie wieder mit ihnen nach Hause gefahren und irgendwann hatte er begriffen was damals über sie hereingebrochen war und das es eben nicht so einfach repariert werden konnte. Der Schmerz war trotzdem der gleiche geblieben. Verdrängt, verleugnet aber immer bereit in einem schwachen Moment zuzuschlagen. Träge drehte er sich auf die Seite. Er fühlte sich kein Stückchen ausgeruht und wollte einfach nur weiter schlafen. Sein Magen machte sich laut grummelnd bemerkbar. Vielleicht hätte er an der Tankstelle doch etwas essen sollen? Eine Weile lag er in die Dunkelheit starrend da und versuchte sich zu erinnern, was er geträumt hatte. Vielleicht konnte er seinen Magen ja lange genug ignorieren und doch wieder einschlafen. Zufrieden ließ sich Sam gegen die Stuhllehne fallen. Er hatte es geschafft seine Teller zu leeren, was er gar nicht glauben wollte. Soviel aß er sonst eigentlich nie, aber das Essen war wirklich gut gewesen. Dean war schön blöd sich sowas entgehen zu lassen! Dean! So langsam machte er sich Sorgen um seinen Großen. Der hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Das war bei ihm schon bei normalem Gesundheitszustand ein Unding, jetzt würde es ihn um Tage zurück werfen, wenn er nichts zu sich nahm. Er trank sein Bier aus und brachte den Teller in die Küche. „Möchtest du Nachschlag?“, fragte Jo auch sofort. „Nein. Mir langt es. Ich esse sonst nie so viel. Das war wirklich ausgezeichnet! Kannst du für Dean was fertig machen?“ „Ist er hier?“, wollte sie wissen und trat zur Tür. „Nein, ich will ihm was hochbringen. Er muss unbedingt essen.“ „Er sah schlecht aus!“, stellte Ellen ruhig fest und begann einen Teller vollzuladen. „Es wird schon besser“, verteidigte Sam seinen Bruder. Ellen nickte. Sie glaubte Sam, warum sollte er sie auch anlügen. Hauptsache war, dass Dean wirklich aß. „Hier“, sagte sie und reichte den Teller an Sam weiter. „Bring ihm das und bleib am besten dabei.“ Fragend schaute er die ältere Harvelle an, doch sie erklärte ihre Worte nicht weiter. Wortlos gab er sich damit zufrieden und brachte das Essen nach oben. Leise betrat er ihr Zimmer. Sein Bruder lag völlig untypisch mit dem Rücken zur Tür. „Dean? Ich hab Essen mitgebracht“ sagte er leise und stellte den Teller auf den Tisch. Vielleicht war der ja wach? Sein Bruder regte sich nicht. Leise ging er um das Bett herum und war für einen Augenblick sprachlos. Dean war wach. Aber er schien weit weg zu sein. Seine Augen waren trüb und auf einen Punkt gerichtet, der sich irgendwo jenseits der Wand befinden musste. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und schnaufte enttäuscht, dass er auch jetzt keine Reaktion bekam. Weder kehrte sein Blick ins Hier und Jetzt zurück, noch entwand er sich der Berührung. „Komm schon Dean, du musst Essen!“, schimpfte er leise und erhob sich erschrocken als der sich tatsächlich rührte. Leise stöhnend setzte Dean sich auf. Er fühlte sich noch immer wie damals, wie in Watte gepackt. Und wie damals hatte diese Watte scharfe Spitzen, die sich tief in seine Seele bohrten und ihn innerlich zerrissen. Er stand vor dem Scherbenhaufen seines Lebens und wusste nicht, wie er sich je wieder zusammensetzen sollte, denn das was John aus ihm gemacht hatte schien nicht mehr zu dem zu passen, was er war. Er wehrte sich nicht, als sein Unterbewusstsein auf lange erlernte Regeln reagierte und seinen Körper dazu brachte aufzustehen. Es änderte nichts an dem Chaos, das in ihm herrschte. „Setz dich und iss“, sagte Sam und deutete auf den Teller. „Ich räume ihn erst weg, wenn er leer ist!“ Wortlos gehorchte Dean. Der Anblick seines Bruders zerriss Sam das Herz. Adams Existenz musste ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen weggerissen haben. Es wunderte ihn schon ein wenig, warum Dean gerade das jetzt so mitnahm, aber er wusste ja auch nicht was genau in dem Keller passiert war. Vielleicht war Alistair ja nicht der einzige Dämon gewesen, der Dean besucht hatte? Oder aber Alistair hatte mehr gemacht, als Dean ein Abtauchen in die Bewusstlosigkeit zu verwehren? Vielleicht spielten ja auch die Träume und die vielen neu aufgewühlten Kindheitserinnerungen eine Rolle? Er wusste es nicht aber er nahm sich vor ein wachsames Auge auf seinen großen Bruder zu haben. Dean legte das Besteck beiseite und ließ sich gegen die Rückenlehne des Stuhles fallen. Noch immer starrte er blicklos vor sich hin. „Leg dich wieder hin“, sagte Sam ruhig, obwohl er schreien wollte. Er nahm den Teller und brachte ihn nach unten. „Er hat aufgegessen“, stellte Ellen erleichtert fest. Sie hatte schon einmal erleben müssen, dass Dean kaum etwas runter bekam. Jede Mahlzeit war ein Kampf gewesen, der nicht selten mit Tränen endete, bis sie herausfand, dass er Kuchen liebte und von dem wenigstens so viel aß, dass er nicht noch weniger wurde. Geschäftig begann sie in der Küche herumzulaufen. „Was wird das?“, wollte Jo irritiert wissen. „Ich hab mir überlegt Kuchen zu backen.“ „Apfelkuchen?“ „Genau und du“, wandte sie sich an Sam“, kannst mir helfen.“ „Ich kann nicht backen!“ „Aber du kannst mit einem Messer umgehen, also kannst du auch Äpfel schälen!“ Jo grinste und verschwand in den Schankraum, während Sam sich seinem Schicksal ergab. Leise ächzend kam Sam aus dem Keller. Der Kuchen stand im Ofen und Ellen hatte sehr schnell neue Arbeit für ihn gefunden. „Wohin?“, wollte er über den Kistenstapel hinweg wissen. „Stell sie unter die Theke“, wies Jo ihn an. „Man kann übrigens auch mehrfach gehen. Dann verrenkt man sich das Kreuz nicht so, weißt du?“ „Echt? Ich dachte die Treppe verschwindet, nachdem ich sie einmal benutzt habe.“ „Blödmann“, lachte Jo und Sam fiel mit ein. Es tat nach den ganzen Sorgen der letzten Wochen gut, einfach mal unbeschwert herumblödeln zu können. Sein Lächeln hielt allerdings nicht lange. Zu schnell hatten ihn die Sorgen um Dean wieder im Griff. „Kannst du das zu Tisch eins bringen? Da vorn“, spannte Jo ihn erneut ein. Sam riss sich von seinen Gedanken los und tat, was ihm gesagt wurde. Vielleicht war es ja ganz gut, sich so abzulenken. Dean war hier sicher und Ellen und Jo würden ebenfalls auf ihn achten. Außerdem schien die ältere Harwelle mindestens zu ahnen, was in seinem Bruder vor sich ging. Wenn Dean morgen noch genauso komisch reagierte, wollte er sie endlich fragen. Tief durchatmend ließ er sich auf einem Barhocker nieder. Der letzte Gast war im Begriff auf sein Zimmer zu verschwinden. Mit einem dankbaren Nicken nahm er das Bier, das Jo ihm hinstellte. In Gedanken ging er die letzten Wochen noch einmal durch. Schon in Rocky Ford war Dean angeschlagen gewesen, wahrscheinlich mehr als er es je zugeben würde und dann kam auch noch Adam und er hatte sich voller Freude, nicht mehr der Jüngere zu sein, auf seinen kleinen Bruder gestürzt wie ein Geier auf ein Stück Aas. Deans Verständnis von Familie zerbrach und er hatte es auch noch mit einem Baseballschläger bearbeitet. Die ganze Schuld wollte er allerdings auch nicht auf sich nehmen. Auch wenn er verstand, dass Dean anders tickte als er und er seinem großen Bruder inzwischen durchaus Recht gab, wenn es um Adams Leben ging und er es mal aus dem Blickwinkel betrachtete, der ihn damals nach Stanford hatte gehen lassen. Er wäre genauso wenig davon begeistert gewesen, diese Pläne aufzugeben, nur weil ein vermeintlicher Bruder das so wollte und das, was der ihm zeigte neu, unglaublich und fesselnd war. Die eine, entscheidende Frage blieb! Wie schafften Dean und er es, ihre Kommunikation zu verbessern? Wie konnten sie ihre Ansichten auf einen Nenner bringen, ohne sich zu streiten, denn wenn er inzwischen eines begriffen hatte, so war es das, dass sein großer Bruder unter jedem Streit litt. Dean hatte immer wieder erleben müssen, wie Streits zu Trennungen seiner Familie führten. Wahrscheinlich assoziierte sein Unterbewusstsein ihre Streits dann damit, dass er früher oder später allein in der Welt stehen würde und das würde ihn vollends zerbrechen. Blieb also weiterhin die Frage, wie konnten sie ihre Differenzen beilegen, ohne sich zu streiten? Wieder fiel ihm ein, dass er Dean zu einem Urlaub überreden wollte, sobald sie in El Paso waren. Würden sie da je hinkommen? Irgendetwas oder Irgendjemand schien sich gegen sie verschworen zu haben. Immer wenn sie einen Fall beendet hatten, fiel ihnen der nächste regelrecht vor die Füße und ließ sie straucheln. Das musste endlich aufhören. Sie würden beide daran kaputt gehen, wenn sie nicht bald den Ausstieg schafften. Morgen würde er endlich nach einem Konzert suchen, in das sie gehen konnten! Selbst das hatte er bis jetzt noch nicht geschafft! „Morgen“, nahm er sich fest vor. Er trank sein Bier aus und stellte die Flasche zurück in den Kasten. „Kannst du mir helfen, hier klar Schiff zu machen?“, fragte Jo und er nickte sofort. Er fühlte sich noch nicht wirklich müde und im Bett liegen und grübeln konnte er auch noch in ein paar Minuten. Kapitel 64: Ein kleines "Bitte" ------------------------------- 64) Ein kleines „Bitte“ Sonnendurchflutet präsentierte sich Sam ihr Zimmer, als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Seine Laune verbesserte sich schlagartig. Jetzt musste es nur Dean noch besser gehen, dann wäre zumindest ihre Welt wieder in Ordnung! Sich streckend drehte er sich zu dem Älteren. Die Sonnenstrahlen reichten wohl nicht bis in Deans Träume. Es tat ihm schon fast körperlich weh, seinen Bruder so angespannt zu sehen und so, wie sein Bett aussah, war die Nacht für ihn nicht erholsam gewesen. Noch einmal streckte er sich, stand auf und zog sich an, während sein Bruder ein leises Knurren von sich gab und sich noch enger zusammenrollte. Sam seufzte. Er ging vor Deans Bett in die Hocke. Seine Hand legte er vorsichtig auf dessen Schulter und registrierte voller Freude, dass der dieses Mal nicht zusammenzuckte. Sollte er ihn wecken? Aber was dann? Wäre Dean danach wieder sein Dean oder noch immer dieses abwesende Wesen? Der Traum schien zwar nicht schön zu sein, aber auch nicht so bedrohlich wie viele andere in den letzten Wochen und er beschloss, ihn weiter schlafen zu lassen. Vielleicht half es ihm ja doch! Vorsichtig zog er die Decke etwas höher über Deans Schultern und verließ das Zimmer. Unten traf er auf Ellen, die bei einer Tasse Kaffee leiser Musik lauschte. „Was treibt dich denn aus dem Bett?“, fragte sie. „Ich steh eigentlich immer um die Zeit auf.“ „Hast du Hunger?“, wollte sie wissen, setzte ihre Tasse ab und erhob sich. „Ich kann mich auch kümmern, wenn du mir sagst, wo alles ist“, wehrte er ab. „Lass mal. Ich wollte mir eh noch einen Kaffee holen.“ Schulterzuckend ließ sich Sam auf einen Stuhl fallen. Es war schön, mal so umsorgt zu werden und doch fühlte es sich auch falsch an. „Wie geht es Dean?“, fragte sie, kaum dass sie wieder saß. „Er schläft noch. Allerdings bezweifle ich irgendwie, dass es erholsam ist. Er sieht noch immer so angespannt aus und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann.“ „Lass ihn einfach. Er kommt von allein, wenn er mit sich wieder im Reinen ist, denke ich.“ „Ich wäre nur gerne richtig für ihn da und würde ihm richtig helfen können.“ „Sei da, das ist wichtiger als du denkst.“ Betrübt nickte Sam. Dieses Warten war so unbefriedigend. Er atmete tief durch und starrte in seinen Kaffee. Und was machte er den ganzen Tag, außer nach einem Konzert und der Bedeutung von Alistairs Worten zu suchen? „Wenn du Lust hast, kannst du hier mithelfen“, bot Ellen an, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sam nickte. Nur zu gern ließ er sich nach dem Frühstück in den täglichen Betrieb des Roadhouses einbinden. Alles war besser als hier herumzusitzen und trüben Gedanken nachzuhängen. Dean erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen. Er drehte sich auf die Seite, um aufzustehen und sich eine Kopfschmerztablette holen zu können, doch alleine diese Bewegung verursachte ihm so heftige Übelkeit dass er kurz davor war sich übergeben zu müssen und so blieb er, zusammengerollt auf der Seite liegen und hoffte, dass die Schmerzen bald nachließen. Immer weiter zog er sich in sich zurück, bis das hämmernde Dröhnen nur noch ein leises Hintergrundsummen war. Im Roadhouse ebbte die erste Welle der Geschäftigkeit ab. Die Jäger, die über Nacht geblieben waren hatten ein deftiges Frühstück bekommen und machten sich auf den Weg zu ihren Fällen. Sam trug die letzten Teller in die Küche. „Du machst dich gut“, stellte Ellen mit einem Lächeln fest. „Ich hab in Stanford hin und wieder gekellnert.“ „Gut zu wissen. Wenn du mal Arbeit suchen solltest“, machte sie ihm ein Angebot. „Nein, danke. Ich denke ich hab auch so genug zu tun. Aber falls ich wirklich mal nicht weiß, was ich tun soll, kann ich mich ja melden.“ Ellen legte ein großes Stück Apfelkuchen auf einen Teller. „Bring das mal hoch und pass auf, dass er isst.“ Sie drückte ihm noch eine Tasse Kaffee in die Hand und lächelte ihn aufmunternd an. Leise betrat Sam ihr Zimmer und stellte Teller und Tasse auf dem Tisch ab. Er blickte zum Bett seines Bruders und schloss kurz die Augen. Dean lag schon wieder auf der Seite. Schlief er noch oder starrte er wie gestern Abend die Wand an? Sam trat neben das Bett und musterte den Älteren. Seine Augen waren geschlossen, aber er sah nicht aus, als ob er schlief. Vielleicht war er ja gerade aufgewacht? „Ich hab Apfelkuchen für dich“, begann er und legte ihm die Hand auf die Schulter. Dean blinzelte in das grelle Tageslicht und richtete sich langsam auf. Sofort verzog er das Gesicht vor Schmerzen und kniff die Augen wieder zu. Stöhnend ließ er sich zurück in die Kissen sinken. In Gedanken ging Sam die Ursachen durch, die Deans Reaktion ausgelöst haben konnten. Alkohol fiel aus, es sei denn er wäre in der Nacht Ellens Vorräte plündern gegangen, was er schlichtweg bezweifelt. Was löste sonst Kopfschmerzen aus? Und dann fiel es ihm ein. Sein Bruder hatte gestern kaum etwas gegessen und getrunken wohl noch weniger. In seinem Zustand musste das ja schon fast verheerende Folgen haben! Schnell stand er auf und holte Aspirin und eine Flasche Wasser. „Kannst du dich kurz aufsetzen? Ich hab hier Aspirin“, bat er und half seinem Bruder, als der sich hochquälte. Er schob ihm die Aspirin in den Mund und hielt ihm die Flasche an die Lippen. „Trink so viel wie du kannst.“ Nach der halben Flasche streikte Dean und ließ sich wieder in die Waagerechte sinken. „Schlaf!“, sagte Sam und stand auf. „Ich komm hin und wieder mal hoch. Den Kuchen lass ich hier und die Flasche stell ich neben dein Bett. Du solltest versuchen den Rest auch zu trinken.“ Ob Dean seine Ansprache mitbekommen hatte, wusste er nicht. Er hoffte es und ging mit dem Kaffee wieder nach unten. Er machte sich Vorwürfe, dass er am Vortag nicht darauf geachtet hatte. „Er hat den Kuchen nicht gegessen?“, empfing ihn Ellen. Die Kritik in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Nein. Ich hab ihn oben gelassen. Erst mal hat er getrunken. Das ist wichtiger“, erklärte Sam ruhig. Sie nickte nur und wandte sich wortlos wieder ihrer Arbeit zu. Sam fühlte sich, als gäbe sie ihm die Schuld daran, dass es Dean so schlecht ging! Und das Schlimmste war, wahrscheinlich hatte sie sogar Recht. Aber er tat alles, damit sein Bruder wieder auf die Beine kam, und er würde alles tun, damit sie nicht auf der Straße endeten. „Räumst du hier auf, dann kann ich mich um die Zimmer kümmern“, wollte Jo leise wissen und riss ihn so aus seinen Grübeleien. Er nickte, nahm einen Lappen und ging in den Schankraum. „Das war nicht nett“, schimpfte Jo leise und blickte zu ihrer Mutter. „Du weißt doch gar nicht, was passiert ist!“ „Aber ich sehe was es aus ihm gemacht hat und ganz ehrlich? Das hat mir damals nicht gefallen und es gefällt mir heute nicht!“ „Wann damals?“ „Als ich den Jungen zum ersten Mal gesehen habe!“, demonstrativ drehte sie sich um und begann laut mit Töpfen und Tellern zu klappern. Jo drehte sich brüsk um und ging nach oben. Manchmal konnte sie ihre Mutter einfach nicht verstehen, und sie machte es ihr auch nicht leichter, indem sie etwas mehr erklärte. Am Nachmittag quälte sich Dean aus dem Bett. Seine Kopfschmerzen waren auf ein erträgliches Maß gesunken. Außerdem fühlte es sich falsch an, noch länger liegen zu bleiben. Er streckte sich vorsichtig und versuchte in dem Durcheinander seiner Gedanken einen zu fassen zu bekommen. Es war sinnlos! Eine Weile saß er nur da und starrte vor sich hin. Was jetzt? Der Befehl war viel zu trinken! Dean angelte nach der Flasche und tat, was ihm gesagt worden war. Sein Innerstes war zerbrochen und er mit ihm. Nichts stimmte mehr. Er drohte sich gänzlich zu verlieren. In diesem ganzen Chaos griff sein Unterbewusstsein auf das einzig Bekannte zurück. Befehle. Ein weiterer Befehl war zu essen. Er ging ins Bad. Vielleicht bekam er ja unter der Dusche einen klaren Gedanken zu fassen? Sich trocken rubbelnd kam er in ihr Zimmer zurück. Natürlich hatte die Dusche nicht geholfen. Noch immer fühlte er sich wertlos, nutzlos. Wie eine alte Jacke, die so abgetragen war, dass man wusste, dass man sie nie wieder würde tragen können, sie aber, der alten Zeiten zu Liebe auch nicht wegwerfen wollte. Er suchte sich saubere Unterwäsche aus seiner Tasche und trat dann an den Stuhl, auf der seine Kleidung lag. Sein Fuß stieß gegen etwas und kickte es unter den Tisch. Leise ächzend bückte er sich und angelte danach. Es war seine Brieftasche, die nun aufgeklappt in seiner Hand ruhte, als er sich wieder aufrichtete. Mechanisch griff er hinein und holte ein Foto heraus. Sein Blick glitt noch einmal darüber. In seinem Inneren schien etwas endgültig zu zerbrechen, wie ein alter Krug, der schon etliche Sprünge hatte. Ohne das Foto eines weiteren Blickes zu würdigen riss er es mittendurch. Die beiden Teile glitten zu Boden, während Dean begann sich fertig anzuziehen. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Apfelkuchen. Du musst was essen! Er ließ sich auf dem Stuhl nieder und begann den Kuchen in sich hinein zu schaufeln. Gerade als er die Gabel weglegte, steckte Sam seinen Kopf zur Tür hinein. „Du bist wach?“, fragte er und strahlte ihn an. „Du hast doch bestimmt noch Hunger. Warte, ich hol dir noch was.“ Dean gehorchte schon weil es einfacher war, als in dem Gewirr in seinem Kopf einen eigenen Gedanken zu fassen. Er hätte nicht sagen können, wie lange es gedauert hatte bis Sam mit einem vollen Teller zurückkam. Plötzlich war er da und die aufgesetzte Fröhlichkeit, die er verbreitete, schmerzte in seinen Ohren. „Ellen hat die extra für dich gemacht“, erklärte der und deutete auf die Burger, die auf dem Teller lagen. „Hau rein!“ Wieder ein Befehl, dem er folgen konnte. Sam zwang sich zu lächeln, während er zusah, wie Dean mechanisch seinen Teller leerte, denn die Alternative wäre, dass er den Tränen freien Lauf ließ, die sich in seine Augen drängte. Früher hatte ihm Deans Burger-Liebe immer wieder fast in den Wahnsinn getrieben und heute? Nein! Er würde dieser Trauer nicht nachgeben! Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und verdrängte die Gedanken. Im Moment war es wichtig, dass Dean körperlich wieder auf die Höhe kam. Danach konnte er an die seelischen Probleme gehen, auch wenn er wusste, dass das eigentlich falsch war und die seelischen Probleme wohl auch die körperlichen mit verursachten, aber er wollte auf keinen Fall, dass Dean sich noch mehr einigelte, wenn er zu schnell zu sehr darauf drang, dass der sich öffnete. Also eins nach dem anderen. Er stellte noch eine Flasche Wasser auf den Tisch und setzte sich dann seinem Bruder gegenüber. Dean brauchte viel länger als sonst, um die Burger zu essen, doch er schaffte es. Sam stand auf, nahm den Teller an sich und wandte sich zur Tür. Er musste hier raus, bevor er auf etwas einschlug. Er wollte je warten und er wollte für Dean da sein. Aber dessen Teilnahmslosigkeit, dieses zombiehafte Wesen machten ihn rasend vor Wut! „Ruh dich aus“, sagte er leise, „und denk bitte dran viel zu trinken.“ Mit Verspätung nickte Dean. Wieder ein Befehl, der ihm Halt gab. Er kaute auf seiner Unterlippe. Die Worte waren freundlich. Aber Befehle waren nie freundlich! John war nie freundlich. Er sagte ihm was er zu tun und zu lassen hatte, aber er sagte nie bitte. Doch gerade dieses kleine Wort hinterließ ein warmes Gefühl. Etwas, das die scharfen Ecken, die seine Seele noch immer zerrissen, etwas abmilderten. Ruh dich aus. Er erhob sich, nahm die Flasche mit und ließ sich auf der kleinen Couch nieder. Sein Blick blieb leer und nach innen gerichtet. Ohne es wirklich zu merken trank er. Die Stunden vergingen und der Gastraum füllte sich langsam immer mehr. Sam kellnerte. Als er in Stanford studierte, hatte Jess regelmäßig in einem Restaurant gekellnert und in den Hochzeiten half er mit. Das brachte nicht nur zusätzliche Zeit mit seiner Freundin, er konnte sich auch einiges an Trinkgeld verdienen. Jess hatte nie verstanden, warum er so viel Spaß daran hatte, aber für sie war das ja auch normal. Er fühlte sich bei solchen einfachen Aktivitäten, die er früher nie machen konnte, einfach nur wohl und auch jetzt gab das ihm die Ruhe, die er dringend brauchte, um sich wieder Dean und dessen Problemen stellen zu können. Kapitel 65: Befehle und ein in Leder gebundenes Buch ---------------------------------------------------- 65) Befehle und ein in Leder gebundenes Buch Hin und wieder schaute Sam nach seinem Bruder, brachte ihm Wasser oder Essen und war kurz davor ihn zu schütteln, damit er wenigstens irgendwie reagierte und nicht nur mechanisch alles in sich hineinstopfte, nur damit er wieder seine Ruhe haben konnte. Er wollte ihn schütteln, ihn anschreien nur damit Dean eine vernünftige Reaktion zeigte. Er wollte ihm beistehen, bei ihm bleiben und ihm zeigen, dass er nicht alleine war, aber jedes Mal wenn er ihn so sah, hatte er das dringende Bedürfnis zu fliehen, damit er dieses Elend, gegen das er so vollständig machtlos war, nicht länger sehen musste. So ging es nicht weiter! Er musste wissen, was Ellen in Dean sah, damit er beide Seiten der Medaille kannte und es nicht noch schlimmer machte. Aber er musste endlich etwas tun können. Er wartete noch, bis Dean den Teller geleert hatte und brachte den wieder nach unten. Er musste dringend mit Ellen reden. Sie wusste mehr, als sie ihm sagte. Sam lehnte sich an den Türrahmen in der Küche, nicht dass Ellen ihm jetzt einfach davonlief! „Was siehst du in ihm?“, wollte er ein wenig ungeduldig wissen. „Ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Was ist passiert, Sam?“ „Was hat das denn damit zu tun?“ „Bitte Sam. Ich möchte nur wissen, ob das, was ich sehe, wirklich sein kann.“ Er starrte auf seine Hände, dann nickte er, machte Jo Platz, die Geschirr in die Küche brachte und begann leise zu sprechen: „Dean hat einen Anruf auf einem von Johns Handys entgegen genommen. Ein junger Mann, Adam Milligan, erbat Johns Hilfe, weil seine Mutter verschwunden war.“ Sam musterte die beiden Harvelle-Frauen. Doch dieser Name schien ihnen nicht geläufig zu sein. „Er behauptete, dass John sein Vater wäre“, ließ er daraufhin die Bombe platzen. „Oh mein Gott!“, stieß Ellen aus. Sie konnte es fast nicht glauben. So sehr wie John damals um Mary getrauert hatte, hätte sie sich nie vorstellen können, dass der je wieder eine Beziehung haben würde. Aber auch John war nur ein Mann. Leider einer, der bei sich und seinen Söhnen wohl mit zweierlei Maß maß. „Seid ihr sicher, dass er es war?“, wollte sie wissen und lehnte sich haltsuchend gegen die Spüle. „Ja. Es gab genügend Bilder, die das bewiesen.“ Ellen schüttelte den Kopf und schaute bedauernd zu Sam. Jetzt wusste sie, was dem Älteren den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Wie viel konnte der Junge noch tragen? Wie viel wurde ihm noch aufgehalst? „Was?“, hakte Sam nach, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Noch einmal schüttelte sie den Kopf und beschloss, einfach zu erzählen, was damals war. „John hat wohl schon kurz nach dem Tod eurer Mom angefangen Fragen zu stellen. Unangenehme Fragen, immerhin hatte er sie an der Decke hängen sehen. Und er hat Antworten bekommen. Schon im Dezember stand er mit zwei kleinen Kindern vor unserer Tür. Ich hatte damals selbst ein Baby“, sie zog Jo an sich. Das Bedürfnis nach ihrer Nähe war übermächtig. „Mom!“, protestierte die leise und machte sich wieder frei. „Er fragte, ob ich mich um euch kümmern könnte, während er weiter suchte. Bei dir“, sie lächelte Sam an, „war das auch kein großes Problem. Außer dass du unheimlich viel geweint hast, warst du ein problemloses Baby. Dean schien dein Geschrei ausgleichen zu wollen. Er sagte kein Wort. Die ganze Zeit hat er mit niemandem gesprochen. Wann immer ich mich um dich gekümmert habe, stand er dabei und hat mir regelrecht auf die Finger geschaut. Nicht eine Sekunde hat er dich aus den Augen gelassen. Er saß die ganze Zeit einfach nur neben deinem Bett und hat blind vor sich hin gestarrt. Zum Spielen hätte man ihn zwingen müssen. Genau wie man es zum Schlafen tun musste. Jeden Abend stand er irgendwann hier unten. Immer hat er mich mit großen, dunklen Augen so voller Trauer angeschaut, dass es einem das Herz zerreißen konnte. Ihn dann wieder ins Bett zu bringen war fast unmöglich. Also ließ ich ihn neben deinem Bettchen sitzen, bis er von selbst wieder einschlief. Es wurde erst besser, als ich dich einmal mit zu ihm ins Bett gelegt habe. Seitdem schlief auch er durch. Er war eher ein stummer Schatten als ein vierjähriges Kind. Er hatte sich gerade ein wenig gefangen, als John bei seiner Rückkehr einen Gestaltwandler vor seinen Augen erschoss und ihn damit wohl noch weiter in seine Isolation trieb. Und so wie ich John kennengelernt habe, wird er ihm das nie erklärt haben, bis Dean es selbst herausgefunden hat. Vieles von dem, was ich damals in seinen Augen lesen konnte, den Verlust, die Hoffnungslosigkeit und die Leere, sehe ich heute wieder darin. Dein Bruder schlägt sich mit seinen Dämonen herum und wir können ihm nicht helfen.“ „Er müsste ja nur reden!“, seufzte Sam resigniert und ergänzte sofort: „Aber er wird es nicht tun, weil er immer selbst einen Weg finden musste. Ich weiß. Ich habe einiges davon in Dads Tagebuch gelesen. Es von dir zu hören macht es nur noch schmerzlicher, denn ich weiß immer noch nicht, wie ich ihm wirklich helfen kann. Wie ich ihm die Kraft geben kann, damit er seine Gefühle zulassen und verarbeiten kann.“ „Er frisst also immer noch alles in sich hinein?“, wollte sie mit leisem Bedauern in der Stimme wissen. „Ja. Er will nicht schwach sein. Er kann sich nicht fallen lassen. Er hat es nie gelernt sich wirklich zu entspannen.“ Ellen nickte traurig. „Vielleicht hilft Arbeit?“ „Er ist noch lange nicht wieder in der Form, in der ich ihn bedenkenlos arbeiten lassen möchte. Ich will ihn nicht verlieren“, sagte er leise. „Ich fühle mich einfach nur hilflos. Ihn so zu sehen tut weh.“ Ellen strich Sam über den Arm. „Er wird wieder“, machte sie ihm Mut. Sam atmete tief durch. Hoffentlich hatte sie Recht. Müde schlurfte Sam den Gang zu ihrem Zimmer entlang. Die Bar war mehr als gut gefüllt gewesen und es war schon weit nach drei, bis sich der letzte Gast zurückzog. Jo hatte ihm angeboten alles allein aufzuräumen, doch das konnte er nicht annehmen. Er konnte doch nicht vor einer Frau schwächeln, mit der er in einem heimlichen Wettstreit stand. Er öffnete die Tür und schaute sich im Schein der Flurbeleuchtung um. Vielleicht war Dean ja ins Bett gegangen. Seine Hoffnung wurde jäh zerstört. Nur als dunkler Schatten zu erkennen, hockte Dean noch immer regungslos auf der kleinen Couch. Er schaltete das Licht ein und ging zu ihm. „Geh ins Bett, Dean, bitte“, forderte er leise und es schmerzte, dass der das als Befehl empfand und gehorchte. Zu gerne würde er ihren Dad dafür eine reinhauen. Was hatte er nur mit Dean gemacht? Ein erstickter Schrei riss Sam aus dem Schlaf. Reglos lag er da und lauschte. Es war bis auf die leisen Atemzüge seines Bruders still. Hatte er diesen Schrei wirklich gehört? Er wollte ihn gerade als Bestandteil eines Traumes abtun, als Dean sich keuchend herumwälzte. Atemlos wartete er. War es nur eine kurze Traumepisode oder schlug sich sein Bruder mit mehr herum? Wieder drehte sich Dean. Ein Wimmern entrang sich seiner Kehle. Sam stand auf und überbrückte den Abstand zum Bett seines Großen mit einem Schritt. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn leicht. „Dean“, forderte er halblaut. Schlagartig öffnete der Ältere die Augen, doch sein Blick blieb trüb. Er fühlte die Hand, die ihn hielt. Sofort versuchte er sich dieses Griffes zu entledigen. „Dean! Ich bin‘s, Sam“, versuchte der zu ihm durchzudringen. Immer verzweifelter wurden seine Befreiungsversuche. Schnell ließ Sam los und trat einen Schritt zurück. Sekunden später beruhigte sich auch Dean und rollte sich eng zusammen. Schutzsuchend schlang er die Arme um sich. Dieser Anblick zerriss Sam fast das Herz. Er wollte seinem Bruder so gerne helfen, aber er wusste nicht, wie er an ihn herankommen konnte, wenn der schon vor seinen Berührungen flüchtete. Ihm musste schnellstens etwas einfallen, so konnte es nicht weiter gehen. „Verdammt noch mal, Dean. Rede doch endlich mit mir“, schimpfte er und schaffte ihre Nachttische beiseite. Auch wenn sein Bruder vor seinen Berührungen flüchtete, wollte er ihm doch nahe sein und so schob er sein Bett an Deans und legte sich so hin, dass er ihn jederzeit erreichen konnte. In dieser Nacht schlief nicht nur Dean schlecht. Auch Sam drehte sich stundenlang von einer Seite auf die andere und war einer Lösung keinen Millimeter näher gekommen. Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte er sich wie gerädert und überlegte ernsthaft, ob er nicht einfach liegen bleiben sollte. Doch das brachte ihn auch nicht weiter! Er quälte sich aus dem Bett und verschwand im Bad. Nach einer ausgiebigen Dusche fühlte er sich etwas besser und er war zu einer Entscheidung gekommen. Heute würde er nicht beim Kellnern helfen. Heute würde er endlich nach einem Konzert suchen. Wenn Dean schon nicht in der Lage war sich aus diesem Gespinst von Gedanken und Schuldgefühlen, oder was immer ihn sonst noch quälen mochte zu befreien, dann musste er das eben für ihn übernehmen! Sie würden zu dem Konzert fahren. Etwas woran Dean Spaß haben würde, etwas, das für ihn war. Und sie mussten endlich aus diesem Leben heraus. Er wollte nicht noch einmal zusehen, wie er Dean verlor! Das leise Knarren einer Tür brachte Dean in die Realität zurück. Die Schritte, die zum Tisch kamen, verrieten Sam und er ließ sich wieder fallen. Das leise Klonk, mit dem ein Teller auf den Tisch gestellt wurde und das Klappern des Bestecks ignorierte er genauso wie das Plop einer Tasse. „Du musst essen, Dean und trinken. Lange schaue ich mir das hier nicht mehr an! Du kannst nicht den ganzen Tag im Bett bleiben. Das ist selbst für dich ein Unding!“, sagte Sam ernst und verließ das Zimmer wieder. Er hatte gesehen, dass sein Bruder wach war und er gab ihm noch genau einen Tag. Sollte er morgen noch immer nicht an seiner Umwelt teil haben wollen, würde er sich mit Ellen beraten und ihn notfalls in ein Krankenhaus bringen. So konnte es nicht weitergehen! Dean lauschte den verklingenden Schritten. Du musst essen. Wieder ein Befehl, dem er folgen konnte. Er schlug die Decke zur Seite und stemmte sich in die Höhe. Er schlurfte zum Tisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Mechanisch begann er die Sandwiches zu essen und den Kaffee zu trinken. Wenn es ihm gut gegangen wäre, hätte er sich gefragt, woher sein kleiner Bruder eine Isoliertasse hatte, doch so wie er sich fühlte, war ihm das vollkommen egal. Du kannst nicht den ganzen Tag im Bett bleiben. Noch ein Befehl. Wollte er sich nicht von dem Befehlsempfänger lösen, der er einst gewesen war? Aber die Befehle gaben Sicherheit und einen Halt, den er gerade jetzt dringend brauchte. Er stemmte sich in die Höhe und verschwand im Bad. Wenigstens duschen wollte er. Vielleicht konnte das Wasser diese scharfkantige Watte ja vertreiben, die ihn noch immer einhüllte. Nur mit einem Handtuch bekleidet kam er ins Zimmer zurück und suchte sich frische Unterwäsche. Seine Jeans und das Hemd hingen über dem zweiten Stuhl. Er warf das Handtuch über die Lehne und zog sich fertig an. Sein Blick blieb an einem in Leder gebundenen Buch hängen, das auf dem Stuhl lag. Für einen erschreckend langen Moment wusste er nicht woher es kam. Es sah dem Tagebuch seines Erzeugers verdammt ähnlich, aber das war es nicht. Das Leder war dunkler, abgegriffener. Und dann fiel ihm ein, dass Adam es ihm bei ihrem Abschied in die Hand gedrückt hatte. John hatte es bei dem Jungen deponiert. In seinem Magen bildete sich ein dicker Klumpen. Tief in seinem Inneren wünschte er sich nie wieder etwas mit seinem Erzeuger zu tun zu haben. Dafür müsste er allerdings alles zurücklassen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Aber selbst dann würde er nicht verleugnen können wozu John ihn gemacht hatte. Da würde ihm wohl nur eine Amnesie helfen. Vielleicht sollte er sich so lange verprügeln lassen, bis sein Gehirn Brei war? Nein, das wäre wohl auch keine Alternative. Bei seinem Glück würde er alle schönen Momente vergessen und nur die furchtbaren behalten. Wieder fiel sein Blick auf das Buch. Vielleicht konnte es ihm ja helfen, etwas Ruhe in seine Gedanken zu bekommen. Er ging zu der kleinen Couch und ließ sich in der Ecke nieder, in der er an Vortag schon gehockt hatte. Lange starrte er nur darauf. Sollte er es wirklich lesen? Was würde er darin finden? Johns Tagebuch der anderen Art? Auch wenn er seinen Vater im Moment so sehr hasste, so traute er ihm das doch nicht zu. Tief atmete er durch und griff nach dem Verschluss. Bedächtig öffnete er es. Einen Augenblick ruhten seine Augen auf fremden Bildern und einer Schrift, die er nicht erkannte. Erst dann sickerte die Erkenntnis durch, dass es sich um das Tagebuch eines anderen Jägers handeln musste. Interessiert betrachtete er die Bilder und erstarrte. Konnte das sein? Er zog ein Foto aus seiner Halterung und betrachtete es genauer. Das war Mom! Kein Zweifel. Das war Mary Campbell. Etwas jünger als sie in seinem Traum war, aber unverkennbar. Das Buch konnte also nur von Samuel Campbell, ihrem Vater sein! Aber wie war John daran gekommen? Wie lange hatte er gewusst, dass Mom Jägerin war und warum hatte er ihnen nie etwas erzählt? Ohne eine weitere Verzögerung begann er das Buch zu lesen. Er bekam nicht einmal mehr mit, dass Sam ins Zimmer kam, seinen Teller abräumte und ihm eine Tasse Kaffee hinstellte und auch nicht, dass der zwar immer noch nicht glücklich über Deans Zustand war, es ihn aber etwas beruhigte, ihn etwas tun zu sehen, und wenn es lesen war. Kapitel 66: Und mich -------------------- 66) Und mich Sam stellte den Stapel schmutzigen Geschirrs auf die Spülmaschine. „Heute ist hier ja richtig was los“, stellte er fest. In den letzten zwei Stunden war er nicht zum durchatmen gekommen. Selbst auf einen Sprung nach oben zu Dean hatte er nicht geschafft. „Ja, scheinbar haben sich alle verabredet heute hierher zu kommen“, pflichtete ihm Jo bei. „Das lässt die Kasse klingeln“, sagte Ellen. „Ich hab mich ja auch nicht beschwert. Ich finde es nur ungewöhnlich.“ „Hin und wieder gibt es solche Tage.“ Ellen schaufelte einen Teller voll und stellte ihn vor Sam. „Bring ihn hoch und vielleicht schaffst du ja deinen Bruder dazu zu bewegen, dass er auch mal nach unten kommt.“ „Ich kann es ja versuchen, aber ich glaube nicht daran.“ Sam klang niedergeschlagen. Er nahm noch eine Flasche Wasser mit und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Wie konnte er Dean nur aus seiner Lethargie reißen? Was brachte ihn dazu wieder am Leben teilnehmen zu wollen? Wenn er wenigstens wüsste, was Dean so verstört hatte. So hatte er ja nicht mal reagiert, als Dad gestorben war. Gut, da wollte er auch kaum reden aber er hatte sich wenigstens beschäftigt. Jetzt hockte er nur da und starrte Löcher in die Luft. Obwohl? Vorhin hatte er in einem Buch gelesen, in dem Buch, das er von Adam bekommen hatte. Er öffnete die Tür und schaute sich um. Sein Bruder saß weder am Tisch noch lag er im Bett. Nein, er hockte auf der Couch in der Ecke! Das hatte er am Abend vorher auch schon gemacht. Also keine Verbesserung. Doch dann blätterte Dean eine Seite um und über Sams Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. Sein Bruder las noch immer. War das jetzt eine Verbesserung? „Dean? Bitte komm essen“, sagte er und stellte den Teller auf den Tisch. Dean bekam von seinem Umfeld nichts mit. Er war tief in seiner Lektüre versunken und versuchte so viele Informationen wie nur möglich zu verarbeiten. Dieses Buch offenbarte ein paar ganz neue Ansätze, um ihre Gegner zu bekämpfen. Es gab ein Heilmittel für Vampire! Zumindest konnte man damit diejenigen zurückverwandeln, die noch kein Blut getrunken hatten. Und es gab ein Gegengift das bei Berührungen durch Dshinns half. Und das Wichtigste, es erzählte ihm hin und wieder etwas über die Kindheit seiner Mom. Sie mochte dieses Leben nicht, hat aber nie so rebelliert wie Sammy als Kind. Und hin und wieder, zumindest aus Samuels Sicht, schien ihr das Jagen auch Spaß gemacht zu haben. Aber je älter sie wurde um so mehr wünschte sie sich ein richtiges Leben, das sie jedoch erst bekam, als ihre Eltern von Azazel getötet worden waren. Tränen drängten sich in seine Augen. Seine Mom hatte sich ein normales Leben gewünscht und John bekommen. Liebe, Streit, zwei Kinder und einen grausamen Tod. War es das was einen Jäger erwartete, wenn er ausstieg? „Dean!“, forderte Sam jetzt lauter und sein Bruder zuckte zusammen. „Leg das Buch weg, Dean, bitte. Du musst essen!“, erklärte Sam ruhig aber bestimmt. Müde wischte sich Dean über das Gesicht und beseitigte so auch die Spuren seiner Trauer, bevor er ihm fragend in die Augen schaute. Er hatte doch gerade erst gegessen! „Das ist schon Stunden her“, beantwortete der Jüngere diese unausgesprochene Frage und deutete auf den Teller, der auf dem Tisch stand. Hühnchen mit Maisbrot. „Iss auf, dann gibt’s Kuchen als Nachtisch“, versuchte er ihn zu locken und hoffte nur, dass noch welcher da war. Die Gäste hatten ganz schön zugeschlagen und er selbst hatte auch ein Stück gegessen. Der war wirklich lecker gewesen. Noch einmal atmete Dean tief durch. Er hatte keine Lust zum Essen. Viel lieber wollte er weiter in dem Buch lesen aber Sam würde wohl keine Ruhe geben und ihm fehlte die Kraft für eine längere Auseinandersetzung. Er legte das Buch auf die Seite und ging zum Tisch. Sam grinste. So ganz schlimm war es gar nicht wenn Dean mal wortlos tat, was er von ihm wollte. Trotzdem würde er das liebend gern sofort wieder ändern wollen. „Ich hol den Kuchen“, sagte er und verließ den Raum. „Kannst du mir helfen?“, bat Jo und deutete auf mehrere Teller, die noch auf der Anrichte standen. „Gab´s noch eine Invasion?“, wollte er wissen und belud sich den Arm. „So könnte man es nennen. Da draußen sitzt ein Reisebus voll dicker, aufgetakelter Weiber, die sich lauthals darüber beschweren hier gelandet zu sein.“ „Und warum fahren sie nicht einfach weiter?“ „Der Bus hat Probleme mit dem Kühler! Wenn ich die durch die Gegend kutschieren müsste, hätte ich die auch.“ Jo setzte ihr falschestes Lächeln auf und verschwand durch die Tür. Zufrieden schloss Dean die Augen. Das Hühnchen war gut gewesen, fast so wie bei Mom. Augenblicklich verflog das kleine Glücksgefühl. Er war noch nicht wieder soweit die Erinnerungen an sie genießen zu können. Im Moment waren Rubys Worte eher hole Versprechen. Aber er hatte auch schon erlebt, dass sie sich ein kleines bisschen bewahrheiteten. Ob diese Zeiten wiederkommen würden? Er stand auf und ignorierte den kaum noch zu unterdrückenden Bewegungsdrang, der seinen Körper erfasste. Er wollte einfach nur weiter lesen. Doch sein Körper kribbelte immer stärker, selbst ein kurzes Dehnen und Strecken half ihm nicht. Mit einem unwirschen Knurren nahm er den Teller und brachte ihn in die Küche. Hier lief er Ellen in die Arme. Sie nahm ihm den Teller ab und lächelte ihn warm an. „Möchtest du ein Stück Kuchen?“ Stumm blickte er sie mit großen Augen an bis er zögerlich nickte. „Da drüben ist noch ein kleiner Tisch frei“, sagte sie, gab ihm den Teller mit einem großen Stück Apfelkuchen und beobachtete ihn wie er langsam auf den Tisch zusteuerte, immer bedacht den Menschen aus dem Weg zu gehen und jeden Blickkontakt meidend. Ja, er reagierte fast wie damals, vor so vielen Jahren, als John den kleinen verwirrten, um seine Mom trauernden Jungen hier abgegeben hatte. Sie hätte die Jungs gerne aufwachsen sehen, doch dann hatte John ihren Mann im Stich gelassen und der Kontakt brach ab. Wie unrecht sie Dean doch tat, als sie ihn damals, nachdem Jo den Fall in Philadelphia mit den Jungs bearbeitet hatte, mit seinem Vater verglich. Auf seinem Weg zurück in die Küche wären Sam fast die Teller aus der Hand gefallen, so sehr hatte ihn der Anblick seines Bruders hier unten erschreckt, im positivsten Sinn erschreckt, aber trotzdem. Nie hätte er erwartet, ihn heute noch hier unten zu sehen. Erst als Jo fast noch in ihn hinein rannte, erwachte er aus seiner Starre und beeilte sich, das Geschirr loszuwerden. „Ich setze mich eine Weile zu ihm“, erklärte er, holte für sich und Dean Kaffee und setzte sich seinem Bruder gegenüber. Wortlos schob er ihm die Tasse hin und freute sich über den kurzen Blick, den sein Bruder ihm schenkte. Kaum war seine Tasse geleert, erhob sich Dean und brachte sein Geschirr in die Küche, bevor er zu den Toiletten verschwand. Auch Sam trank schnell aus und brachte seine Tasse ebenfalls in die Küche. „Kannst du mir mit den Getränkekisten helfen?“, fragte Jo und schaffte einige in den Keller. Sofort nahm Sam die restlichen und folgte ihr. Der Tisch in der Nische war besetzt, als Dean zurückkam. Er setzte sich an die Theke und holte sich ein Bier darunter hervor. Schweigend vor sich hin starrend leerte er das Bier und hielt Ellen, die gerade aus der Küche kam, die leere Flasche hin, damit sie ihm eine neue geben konnte. Noch zwei Mal wiederholte er das Spiel und Ellen nahm sich vor, ihm keine weitere Flasche zu geben, sollte er noch eine wollen. Doch sie hatte ihre Überlegungen zu früh angestellt. Der Winchester stellte seine letzte Flasche leer auf die Theke und rutschte vom Hocker. Als er nach oben in ihr Zimmer gehen wollte, wurde er von Ellen aufgehalten. „Wen hast du verloren Dean?“ ‚Einen Vater den ich nie hatte!’, schrie er in Gedanken. Doch er sprach den Satz nicht aus. Warum auch. Es würde nichts ändern. Er musste allein mit seinen Dämonen klarkommen. Wie immer! Sanft zog Ellen ihn in eine Umarmung. Er vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter. Eine einsame Träne tropfte in ihre Bluse. ‚Und mich’ Immer wieder strich sie beruhigend über seinen Rücken. Mehr konnte sie leider nicht für ihn tun, so gerne sie es auch wollte, doch dafür müsste der Junge reden und das würde er wohl noch nicht so schnell. Wortlos entließ sie ihn aus ihrer Umarmung. Noch einmal schaute sie ihn aufmunternd an und strich mit ihrer Hand immer wieder über seinen Oberarm. Dankbarkeit flutete durch seinen Körper und machte ihm für einen Moment das Atmen leicht. Seine Augen glänzten warm. Ellen lächelte und wandte sich ab. Auch wenn Dean nicht mit Worten sprach, so hatte er doch jede Menge Möglichkeiten zu reden. „Hat er was gesagt?“, fragte Sam, der gerade wieder Kisten aus dem Keller schleppte. Ellen schüttelte den Kopf. Und trotzdem machte sich ein Hauch von Eifersucht in ihm breit, doch der verpuffte augenblicklich, als sein Handy zu klingeln begann. Schnell stellte er die Getränke hab und schaute auf das Display. „Bobby“, sagte er und ging, während er nach draußen lief dran. „Grüß ihn!“, rief Ellen ihm noch nach. „Hey Bobby“, grüßte er den alten Freund. „Wo seid ihr? Wie geht es euch?“, wollte der ein wenig ungeduldig wissen. „Wir sind im Roadhouse. Dean verschließt sich. Er redet mit niemandem. Ich mache mir große Sorgen um ihn, auch wenn es langsam besser zu werden scheint.“ „Er trauert“, antwortete Bobby nur. „Ich weiß. Er hat auch noch den Rest Achtung für Dad verloren. Das mit Adam war zu viel für ihn und da hilft es auch nicht, dass er einen Bruder dazubekommen hat. Er versucht schon seit einer Weile sich von Dad zu lösen. Er sagt ja auch schon so lange nur noch John, aber das mit Adam hat ihm die Füße weggerissen. Wenn Dad schon damit gelogen hat, womit dann noch? Ich meine ich weiß, dass sich Dean neu sortieren, wahrscheinlich neu erfinden muss. Trotzdem macht sein Verhalten … Er macht mir Angst!“, legte Sam seine Gefühle offen. Bobby atmete schwer durch: „Er war ein ganz normales kleines Kind. Von seinen Eltern geliebt, lag ein glückliches Leben vor ihm, in dem er alles hätte werden können, bis der Dämon kam und alles zerstörte. Auch den kleinen unschuldigen Jungen. John hat ihn dann nach seinem Gutdünken geformt. Er hat dabei nur auf das geachtet was erforderlich war, um ihm den Rücken freizuhalten und dich zu versorgen. Die kleine Kinderseele war ihm vollkommen egal. Er brauchte einen Soldaten und den hat er aus Dean gemacht. Mit Adam habt sich aber vieles, was John ihm als Gesetz verkaufte, in einen Haufen Müll verwandelt, den dein Bruder jetzt beiseite räumen und sich aus den Resten ein neues Leben formen muss. Er wird mal wieder deine Hilfe brauchen, Sam. Unaufdringlich und unauffällig. Sag ihm, wie sehr du ihn achtest, wie toll er dieses Leben hinbekommen hat und das nicht wegen sondern trotz Johns Erziehung. Sag ihm, wie sehr du heute diese Freiheiten, die er dir verschafft hat zu schätzen weißt. Er hat so viele Eigenschaften die er nicht von John hat. Dein Bruder ist vollkommen verunsichert und das ist ein Zustand den er hasst und mit dem er nicht umgehen kann.“ Sam grummelte etwas Unverständliches. Darüber musste er erst einmal in Ruhe nachdenken. Für ihn war Dean immer der ruhende Fels in der Brandung gewesen. Egal wie das Leben mit ihnen umgesprungen war, er hatte immer einen Weg gefunden. Konnte er es schaffen, Deans Fels in der Brandung zu werden? „Danke, Bobby!“ „Immer wieder gerne.“ „Und warum hast du wirklich angerufen?“ „Darf ich mir keine Sorgen um euch machen?“ Sams Herz wurde leicht. Wenn er, wenn sie Bobby nicht hätten! „Danke, Bobby!“, wiederholte er mit einer Ernsthaftigkeit, die auch dem alten Jäger das Herz erwärmte. „Und liebe Grüße von Ellen!“, sagte Sam noch, bevor er auflegte. Einige Stunden später wollte Sam auch endlich ins Bett. Der Tag hatte ihn geschlaucht. Er hatte es nicht noch einmal nach oben geschafft. Solche Tage musste er nicht öfter haben! Besorgt musterte er seinen Bruder, der wie eingefroren auf dem Rücken lag. Noch immer schien der regelrecht erstarrt zu sein. Kopfschüttelnd verschwand er im Bad. Wie konnte er ihm nur helfen? So langsam fraß Deans Zustand auch an seinen Nerven und er wusste nicht, wie lange er das noch durchhalten konnte. Ja, er hatte sich Adam gegenüber anfangs nicht gerade fair verhalten, aber das war nun schon ewig her und auch er musste mit dieser Situation erstmal klar kommen. Auch wenn er sich schon lange von John gelöst hatte, so traf es ihn doch, dass der ihnen einen Bruder verheimlicht und dem auch noch all das gewährt hatte, was ihnen regelrecht verboten war. Er setzte sich, nun mit seinem Schlafzeug bekleidet, auf die Kante seines Bettes. Traurig betrachtete er seinen großen Bruder. Auch wenn er eine Vermutung hatte, was genau Dean so beschäftigte, wie passte das mit dem zusammen, was Ellen ihm erzählt hatte? Hatte Dean damals so um Mom getrauert. Konnte ein Kind schon begreifen, was Tod bedeutete? Dass Mom nicht da war, hatte sein Bruder auf jeden Fall gemerkt und er nahm an, dass John ihm auch gesagt hatte, dass sie nie wieder kommen würde. Hatte diese schiere Unmöglichkeit dieser Behauptung Dean stumm werden lassen? Hatte er so versucht … Nein! Er konnte sich nicht vorstellen, was Dean damals gefühlt hatte. Wie auch? Vielleicht war es so wie bei ihm, als Jess gestorben war? Möglich, aber er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Und wieder wünschte er sich, dass Dean endlich reden würde. Noch einmal nahm er sich fest vor morgen nicht zu kellnern und endlich nach einem Konzert zu suchen. Dann hätte sein Bruder etwas, worauf er sich freuen konnte! Sam rutschte unter die Decke und drehte sich so, dass er seinen Bruder sehen konnte. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis er endlich einschlief. Schweißgebadet schreckte Dean aus einem Traum. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Wieder hatte John ihn und Mom an Azazel verkauft und war mit Sam und Adam zu Kate gegangen. Er hatte gelacht und gemeint dass er Prioritäten setzen müsse. In die Dunkelheit starrend wartete er, dass sich seine Atmung normalisierte und hoffte, dass er Sam nicht geweckt hatte. Ihm war klar, dass die Träume den Loslöseprozess von John symbolisierten und dass er bei ihrem Leben wohl nicht davon träumen würde einfach allein gelassen zu werden oder in ein schwarzes Loch zu fallen, war ihn auch klar. Hilfreich war das Wissen trotzdem nicht, die Träume lähmten ihn bis in die kleinste Zelle. Er drehte sich auf die Seite und starrte in die Dunkelheit. Kapitel 67: Wut --------------- @ Vanilein - Hoffe Du hast Dich gut erholt! Bis Dean wieder da Alte sein wird ... Keine Ahnung wie lange das dauert? Er hat da einem Menge zu verarbeiten, oder? LG Kalea 67) Wut Dean hört wie Sam aufstand, im Bad verschwand und danach nach unten ging. Er wartete noch eine ganze Weile, bevor er sich ebenfalls aus dem Bett kämpfte und mit dem Tagebuch auf die Couch setzte. Eine der Seiten zog ihn magisch an. Samuels Texte troffen vor Fakten und seine Zeichnungen waren akkurat. Die Zeichnungen auf dieser Seite sahen aber eher aus, als wären sie von einem Kind gezeichnet, unsauber und leicht verwischt. Hatte Mom diese Zeichnung gemacht? Immer wieder strichen seine Finger darüber, doch seine Augen sahen andere Bilder. Erinnerungen an schönere Tage, die so weit entfernt waren, dass sie eher einem Märchen entsprungen sein könnten, als dem normalen Leben. Tränen drängten sich in seine Augen und verstopften seine Kehle. Er hatte Mühe zu atmen. Im Roadhouse war es gerade sehr ruhig und bevor Sam sich hinsetzen und nach einem Konzert suchen würde, wollte er nach seinem Bruder sehen. Vielleicht konnte er ihn ja wieder dazu bewegen nach unten zu kommen. Er betrat ihr Zimmer und musterte seinen Großen skeptisch. Irgendetwas war hier mehr als faul. „Dean“, rief er und ging zu ihm. Nichts ließ erkennen, dass sein Bruder ihn gehört hatte. Er ging zu ihm, baute sich vor ihm auf und musste erst einmal tief durchatmen. Dean war weit weg. Seine Augen starrten blind durch ihn hindurch und schimmerten feucht. Seine Finger glitten über eine Seite des Buches und hinterließen blutige Spuren. Er hatte sich wohl an den Kanten geschnitten. Schnell überbrückte er den letzten Meter und packte Dean bei den Schultern. „Dean“, sagte er laut und schüttelte ihn. Unkoordiniert begann sich der Ältere zu wehren. „Nich...“ Deans Blick kehrte langsam in die Realität zurück und er wehrte sich energischer, sodass Sam noch fester zufasste. Irritiert fragend starrte er zu seinem Bruder hinauf. „Du warst vollkommen weggetreten. Was ist mit dir? Du blutest!“, begann Sam vorwurfsvoll. Dean schüttelte den Kopf. Er begriff nicht was hier passierte und noch viel weniger, was sein Bruder von ihm wollte. „Deine Finger!“ Er blickte auf das Buch und gleich darauf irritiert auf seine Finger. Wieder wanderte sein Blick zu Sam. Seine Augen waren so voller Trauer, dass es den Jüngeren den Atem raubte. Langsam füllten sie sich mit Tränen. Er blinzelte und versuchte sich loszureißen. „Verdammt noch mal, Dean, das muss aufhören! Rede mit mir! Ich mache mir Sorgen um dich!“ „Nich“, krächzte er wieder nur das eine Wort und versuchte seine Gefühle tief in sich zu verschließen, bevor er noch etwas Falsches sagte oder tat. „Scheinbar doch! Seit wir von Adam weg sind benimmst du dich wie ein Zombie. Du isst kaum, du schläfst noch weniger und wenn dann schlecht!“ „Lass mich“ Es wurde immer schwerer seine Gefühle zu beherrschen. „Ich habe die Erfahrung gemacht dass es hilft!“ „Ich nicht!“ „Bitte Dean! Ich seh doch, dass es dich quält. Warum versuchst du es nicht einfach mal?“ Sam hatte seinen Welpenblick aufgesetzt. „Ich ...“, krächzte er heiser und schluckte hart. Noch hatte er sich unter Kontrolle, doch die schwand immer mehr. Warum konnte Sam ihn nicht einfach hier sitzen lassen? „Ich weiß. Du redest, wenn du soweit bist. Ich bin es nur leid darauf zu warten. Ich dachte wir wären gleichberechtigte Partner“, erklärte der Jüngere betrübt. Scheinbar waren sie noch nicht so weit, dass Dean ihm wirklich vertraute oder sich ihm gar öffnen wollte. „Also was ist mit dir?“, bohrte er noch einmal nach. Etwas in Dean brach, er schluckte, holte tief Luft und explodierte dann regelrecht. „Mir geht’s beschissen! Willst du das wissen? Willst du hören dass ich mir vorkomme, als wäre Mom gerade erst ermordet worden? Dass ich mich einsam und verlassen fühle, wie damals als ich vier war? Dass ich mir von allen verraten vorkomme?“, platzte es aus ihm heraus. „Adam hat dich nie verraten!“ „Nein! Aber John dafür mit fast jedem Wort. Er war mit zwei kleinen Kindern überfordert, also hat er mir erklärt, dass ich stark sein müsse und sich vom Acker gemacht. Wer weiß durch welche Betten er sich alles gevögelt hat.“ „Jetzt tust du ihm Unrecht!“ „Und? Wie viel Unrecht hat er mir denn angetan? Er hat einen kleinen Jungen zerstört und ein Wesen daraus gemacht, dass blind seinen Befehlen folgte. Und du hast auch immer noch kräftig auf mir rumgehackt. Und das nur weil ich versucht habe das bisschen Familie zusammenzuhalten, das ich noch hatte! Ich hab noch immer Albträume. Soll ich darüber reden? Verschwinden sie dann? Kann Reden Mom zurückbringen oder uns eine richtige Kindheit schaffen?“ Langsam redete er sich in Rage. "Nein das kann es nicht. Aber es kann dir vielleicht etwas von deiner Wut nehmen und mir helfen dich zu verstehen“, versuchte Sam zu erklären. "Verstehen? Wozu? Ich bin Niemand! Daddys kleiner Befehlsempfänger! Nur gut, um dir die Windeln zu wechseln und seine Verletzungen zu versorgen. Dean wird sich schon kümmern. Und wenn die kleine Intelligenzbestie mal was nicht tun will, Dean macht das auch noch, denn sonst rennt Sammy weg! Drücken wir dem Idioten ruhig noch ein paar Aufgaben rein! Nicht, dass er auf dumme Gedanken kommt und vielleicht fragt wo ich bleibe oder gar mit will, wenn ich zu meinem Kind fahre. Dem Kind, dass wirklich Kind ist, dass nicht durch seine Erziehung versaut worden ist und bei dem er nicht lange genug bleibt, um die Macken sehen zu können. Alles wertvolle Kinder, besser als der blöde Idiot, der ohne Befehle nur sabbernd in der Ecke steht oder in der Gegend rumvögelt ..." "Christo", war alles, was Sam auf die Schnelle auf diese Selbsthasstriade einfiel. "Ach und wenn ich mal die Wahrheit sage, dann bin ich besessen?!?" Jetzt packte Sam seinen großen Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn. „Es reicht, Dean! Hast du dir mal zugehört? Woher kommt dieser Selbsthass? Du kannst Dad hassen, du kannst von mir aus auch mich hassen, aber hör auf dir für alles die Schuld zu geben. Ich weiß nicht woher du diese Wahrheiten nimmst, aber sie sind nichts weniger als das! Wahr! Du bist intelligent. Du bist der freundlichste und mitfühlendste Mensch, den ich kenne.“ „Und was hat es mir gebracht? John hat mich für alles verantwortlich gemacht, was schief gegangen ist und du bist weggerannt, wenn dir was nicht passte.“ „Du hast mich doch immer gefunden!“, warf Sam kleinlaut ein. „Mir blieb ja auch nichts anderes übrig, wenn ich nicht auf der Straße leben wollte. John hätte mich nie wieder aufgenommen, wenn ich ohne dich aufgekreuzt wäre. Für dich war es ja vielleicht toll alleine zu leben. Ich wollte das nie! Ich wollte meine Familie!“ „Ich hatte doch einfach nur eure ständige Bevormundung satt. Du hast ja keine Ahnung, was es heißt der kleine Bruder zu sein!“ „Und das berechtigt dich dazu ständig deinen Kopf durchsetzen zu wollen und wenn das mal nicht geht, abzuhauen?“ Dean redete sich in Rage. Die Dämme waren gebrochen. Er wollte verletzen. Er wollte, dass Sam so fühlte wie er, dass er dieselben Schmerzen litt. Er hatte es so satt immer auf Sam zu achten. „Ich …“ Sam fühlte sich überfahren. Er wollte sich nicht streiten. Nicht jetzt, nicht mit Dean und nicht darüber, doch sein Bruder schien genau das zu wollen. Streiten. Verletzen. „Klar, dass vor dir wieder nur „Ich“ kommt. Du hast dir nie die Mühe gemacht, mal darüber nachzudenken wie es mir ging. Um alles musste ich mich kümmern, immer wieder zwischen dir und John vermitteln. Du hast ja keine Ahnung wie schwer es war einen Kompromiss zwischen dem was du willst und dem was John erwartete zu finden.“ „Woher sollte ich denn wissen warum du was tust. Du hast nie mit mir geredet!“ „Du hättest mir ja auch nicht zugehört! Dich hat doch immer nur interessiert, was du für ein armes Kind bist. Du konntest keine Freundschaften schließen, weil wir ständig umziehen mussten. Du musstest ein Jahr wiederholen, du, du, du!“ All die Wut und Trauer, die ihn zu verschlingen drohten entluden sich mit einem Schlag. „Du hast dich mit der ständigen Umzieherei doch wohl gefühlt. Wöchentlich neue Weiber. Dir waren Freundschaften nie wichtig! Immer nur Dad und die Jagd. Was anderes hat dich nie interessiert! Du warst doch immer Dads Liebling. „Stell dich nicht so an, Sam. Dean hat das schon mir zehn geschafft. Dean hat dies, Dean hat jenes.“ Ich war immer nur der Kleine, der nie das schaffte, was Dean konnte!“ „Das ist doch gar nicht wahr Sam. Er hat mich nie so geliebt wie dich“, erklärte Dean resigniert. „Er hat mich geliebt? Adam vielleicht, aber mich? Ist das der Grund warum du Adam hasst? Weil Dad ihn geliebt hat?“ „Ich hasse ihn nicht!“ „Du hasst ihn nicht.“ Sam schnaubte abfällig. „Klar. Und Wolken sind grün! Hör zu Dean! Lass nicht an mir oder ihm aus, dass du dich nie getraut hast, über den Tellerrand zu schauen und nie was für dich selbst gemacht oder gewollt hast“, konterte Sam. Jetzt wollte auch er verletzen. „Leck mich, Sam!“ „Klar. Wenn Du nicht weiter weißt kommt so ein Spruch!“ Dean ballte die Hände zu Fäusten. Mühsam versuchte er die Wut, die immer noch in ihm brodelte niederzukämpfen. Er wollte nicht streiten. Er wollte nicht mehr kämpfen. Er fühlte sich so leer. „Lass mich einfach! Geh zu Adam und lebe dein Leben! Lass mich irgendwo auf der Straße verrecken. Ich habe es nicht anders verdient!“ Sam schlug zu. „Es reicht Dean! Hör endlich auf, dir für alles die Schuld zu geben!“ erschrocken brach er ab. Er wollte seinen Bruder nicht anfahren und schon gar nicht schlagen. Nicht hier und nicht jetzt! Erschrocken starrten sich die Brüder an. Wie waren sie nur hier gelandet. Betreten senkten sie ihre Blicke. „Ich … Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anfahren. Du kannst nichts dafür“, entschuldigte sich Dean leise. „Du aber auch nicht, Dean!“ „Mag sein. Trotzdem muss ich damit leben.“ „Ich würde dir so gerne helfen.“ „Das kannst du nicht Sammy und ich will dich nicht auch noch damit belasten.“ „Ich sehe, wie du leidest und ich könnte dir einen Teil der Last abnehmen.“ „Nein. Du hast dich schon vor so langer Zeit von ihm abgenabelt und dafür bewundere ich dich noch heute, aber ich muss da alleine durch.“ Er holte tief Luft, bevor er kaum hörbar weitersprach: “ Ich will nicht nochmal so mit dir streiten.“ „Das würden wir vielleicht nicht tun, wenn wir eher reden würden.“ „Was soll das bringen? Fühlst du dich jetzt besser oder meinst du, dass es mir besser geht? Nein, Sam. Ich fühle mich noch immer verraten und verkauft und alleine gelassen und jetzt auch noch beschissen, weil ich dich so angefahren habe.“ Dean schüttelte den Kopf. „Wir haben uns nur sinnlos weh getan.“ Die letzten Worte hatte er nur noch geflüstert. Er starrte auf seine noch leicht blutenden Finger und schob sie sich in den Mund. Er hatte das nicht gewollt! Vorsichtig schob er sich an Sam vorbei und ging zum Fenster. Dieser Streit hätte nie so ausarten dürfen. Wieso hatte er nur seine Klappe nicht gehalten? Reden hatte noch nie zu etwas Gutem geführt! Jetzt hatte er auch noch Sam weh getan! Wieso hatte er seine Klappe nicht einfach gehalten? Auch Sam schwieg betroffen. Sein Ego rebellierte gegen das, was er hören musste. Es hatte weh getan. Das tat es noch immer, aber bis zu einem gewissen Punkt konnte er seinen Bruder auch verstehen. Dean hatte mit Vielem alleine dagestanden, mit einem kleinen Bruder, der nicht verstand und nicht verstehen wollte und einem Vater der alles voraussetzte. Das konnte nicht gut gehen! Jetzt musste er stark sein! Er trat einen Schritt auf Dean zu und zog seinen widerstrebenden Bruder in seine Arme. Er hielt den steifen Körper einfach nur fest. Es dauerte lange, bis Dean sich mit einem erstickten Wimmern entspannte und nur wenige Sekunden später begann er haltlos zu zittern. Vorsichtig schob Sam ihn zum Bett und ließ ihn auf die Matratze sinken. Dean brauchte Ruhe. Er war körperlich und seelisch am Ende. Kapitel 68: Entschuldigungen ---------------------------- 8) Entschuldigungen Dean war eingeschlafen noch bevor er die Matratze richtig berührt hatte. Schniefend holte der Ältere Luft und Sam trieb es die Tränen in die Augen. Der Streit hatte zwar vieles ans Licht gezerrt, was lieber für immer ungesagt geblieben wäre, aber vielleicht war es wie bei einem Gewitter, dass die Luft reinigte? Er hoffte es. Dean sah so verletzlich aus, so schutzbedürftig, wie konnte er ihm nur helfen? Wie konnte er ihnen helfen, dass sie endlich wieder zu der Vertrautheit zurückfanden, die sie vor mehr als einem Jahr hatten. Vorsichtig zog er ihm die Schuhe aus und breitete seine Decke über ihn. Leise begann er ihr Zimmer ein wenig aufzuräumen. Er wollte noch nicht gehen, aber auch nicht riskieren, dass Dean aufwachte, immerhin schien er in den letzten Nächten kaum zur Ruhe gekommen zu sein. Als er Deans Schuhe ordentlich unter das Bett stellte, fiel ihm ein weißer Fetzen Papier auf. Er rutschte etwas weiter an das Bett heran und angelte den Zettel hervor. Er drehte ihn um und musste schlucken. Es war eine Hälfte eines Fotos. Eines Fotos, dass dem, das Adam vom Karton gefallen war, zum Verwechseln ähnlich sah. Sofort schaute er sich nach der zweiten Hälfte um. Er fand sie unter dem Stuhl, hob es auf und fügte die beiden Hälften aneinander. Ja, dieses Foto sah dem von Adam zum Verwechseln ähnlich, nur dass anstelle von Adam und Kate Dean und Mary neben John standen und dass dieses Foto älter, und an den Ecken leicht verbogen war. Sein Bruder musste es in seiner Brieftasche gehabt haben. Dieses Foto zeigte Dean, der wohl in einem offenen Fenster einer Hütte stand. Mom lehnte links von ihm auf der Fensterbank und hatte ihren Arm um ihn gelegt. Sie lachte mit Dean um die Wette. Rechts stand Dad, der sich auf dem Fensterrahmen abstützte und den linken Arm um seine Frau gelegt hatte. Auch er schaute freundlich. Etwas, das er bei Dad kaum kannte. Dean hatte das Foto in der Mitte zerrissen. Eigentlich hatte er nur sich zerrissen, denn ihre Eltern waren fast heil geblieben. Hatte er damit unbewusst ausgedrückt wie er sich fühlte? Zerrissen? Verletzt? Sam ging zu seinem Bett und setzte sich darauf. Sein Blick wanderte zwischen Dean und dem Foto hin und her. Wann das wohl gemacht worden war? Er konnte das Alter seines Bruders nicht wirklich schätzen, aber er vermutete, das es irgendwann vor seiner Geburt gewesen sein musste. Oder er hatte fest geschlafen und sollte nicht geweckt werden. Aber dann hätten sie wohl mit dem Foto gewartet. Auf jeden Fall musste es Dean sehr viel bedeutet haben, sonst hätte er es nicht die ganzen Jahre behalten. Ein Entschluss reifte in Sams Kopf. Sein Blick wanderte noch einmal über seinen schlafenden Bruder. Dean würde wohl nicht so schnell wach werden und selbst wenn, war er wohl kaum in der Stimmung zu reden. Diese Chance hatten sie verpasst. Er erhob sich, nahm seinen Laptop und ging nach unten. Wenige Minuten später hatte er seinen Scanner aus dem Impala geholt, alles an ihrem Tisch aufgebaut und die beiden Hälften des Fotos eingescannt. Mit einem Bildbearbeitungsprogramm setzte er diese wieder zusammen. Er ließ die Knicke verschwinden und bearbeitete die Kanten. Es war schon Nachmittag als er das Foto speichern konnte. Vielleicht wollte sein Bruder es ja irgendwann doch einmal mit Mom und Dad haben, obwohl er das. zumindest im Moment. für eher unwahrscheinlich hielt. Da dieses Foto seinem Bruder aber so viel zu bedeuten schien, wolle er es für ihn so bearbeiten, dass er es wieder in seine Brieftasche legen konnte. John herauszulöschen war nicht das Problem. Das Bild aber so aussehen zu lassen, als müsste es so sein, würde ihn wohl noch eine ganze Weile beschäftigen. Die Suche nach einem Konzert und nach der Bedeutung von Alistairs Worten verschob er auf später. Vorher wollte er aber nach seinem Bruder schauen. Er wollte nicht, dass der sich wieder vergrub. Stöhnend stemmte sich Dean in die Höhe. Er fühlte sich wie durch den Wolf gedreht. Sein Kopf pochte, der Hals kratzte und die Nase war verstopft. Die Augen brannten und am liebsten würde er sie wieder schließen und einfach weiter schlafen. Allerdings schien das, wenigstens im Moment keine Option zu sein. Seine Blase meldete sich heftig. Er schloss die Augen und atmete noch ein paar Mal tief durch. Die Tür öffnete sich, als er die Beine über den Bettrand schwang und aufstand. „Hey“, sagte Sam heiser. „Hey“, erwiderte Dean genauso heiser. „Es tut mir leid, Sam. Ich wollte dich nicht so anfahren. ich ...“ Schulterzuckend brach er ab. „Ich bin daran wohl nicht ganz unschuldig“, begann Sam leise. „Weglaufen war damals die Lösung all meiner Probleme. Ich habe einfach nicht verstanden, warum ich so anders leben musste, als all die anderen Kinder in meinen Klassen und es war keiner da, der mir eine richtige Erklärung gegeben hat. Nie habt ihr mit mir über die Wahrheit gesprochen. Woher sollte ich denn wissen, dass Mom an der Decke hing, als sie verbrannte? Aber selbst als ich wusste, dass Dämonen real sind war es für mich kaum greifbar, bis ich Jess da hängen sah. Dass ich immer wieder weggelaufen bin, kann ich nicht ungeschehen machen, ich kann dich nur bitten, mir noch einmal zu vertrauen. Ich werde nicht wieder weglaufen“, erklärte er ernst. Deans Blick wanderte kurz über seinen Bruder und der sah etwas darin, dass er nicht zuordnen konnte. Sam nickte kurz und schloss traurig die Augen. Nein, sie waren noch nicht wieder soweit, sich blind zu verstehen, leider. Aber das würde wohl auch noch eine ganze Weile brauchen. „Es liegt nicht an dir, Sam. Ich weiß nur nicht ... Ich ... Es tut mir leid!“, stammelte Dean leise.“ Ich fühle mich so verloren. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“ „Vielleicht wäre eine Dusche ein Anfang?“, brachte Sam mit einem vorsichtigen Lächeln hervor. Perplex starrte Dean ihn an, bevor auch er nickte. Vielleicht half eine Dusche ja wirklich seine Lebensgeister wieder zu erwecken? Sam blickte seinem Bruder noch eine Weile hinterher. Sie hatten beide noch jede Menge Baustellen, die sie beseitigen mussten, bevor sie wieder so unbeschwert miteinander umgehen konnten und er nahm sich fest vor nicht wieder locker zu lassen, bis sie es geschafft hatten! Heute Abend würde er Dean von der Idee erzählen und ihn bitten, sich nicht wieder zu verschließen. Sie hatten doch nur sich und er wollte seinen großen Bruder nicht verlieren! Dean stand so lange unter dem heißen, prasselnden Wasser und reckte das Gesicht den Tropfen entgegen, bis sich sein ganzer Körper taub anfühlte. Erst dann stellte er das Wasser wieder ab. Besser fühlte er sich durch diese Dusche trotzdem nicht. Unwillig trocknete er sich ab, schlang das Handtuch um die Hüften und wischte den Spiegel sauber. Der Mann, der ihm entgegen starrte, hatte nur wenig Ähnlichkeit mit dem Spiegelbild, das er sonst zu sehen bekam. Er hatte immer noch verquollene, rot geränderte Augen, seine Wangen waren eingefallen und er sah trotz des vielen heißen Wassers grau aus. Lange starrte er das unbekannte Wesen im Spiegel an. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Ellen war toll. Hier fand er Sicherheit, hier wurde er aufgefangen ohne dass sie ihn mit Fragen löcherte. Aber wollte er sich wirklich die ganze Zeit hier verkriechen? Noch fühlte sich alles gedämpft an, doch das änderte sich bereits. Nicht mehr lange und sein ganzes Dilemma würde über ihn hereinbrechen wie ein Tsunami. Nein! Er brauchte unbedingt Beschäftigung. Das Buch würde noch ein oder zwei Tage herhalten und dann? Der Impala war gut in Schuss. Das fiel also auch flach. Vielleicht konnte er hier ja etwas aufschnappen. Ein neuer Fall? Ein Monster zum Verprügeln? Etwas, dass er verletzen konnte? Sein Magen meldete sich laut grummelnd. Essen musste er also auch noch, stellte er resigniert fest. Langsam begann er sich zu rasieren. Im Schankraum schaute Dean sich um. Es war nicht brechend voll, aber voll genug. Jeder Tisch war besetzt und auch an der Theke waren nur noch zwei einzelne Plätze in der Mitte frei. Nein, hier wollte er bestimmt nicht sitzen! Er drehte sich wieder um, um in ihr Zimmer zurück zu gehen. So dringend war sein Hunger nicht und auf Gesellschaft legte er überhaupt keinen Wert. „Dean?“ Ellen hielt ihn an Arm zurück. Fragend schaute er sie an. „Nimm dir was zu Essen mit hoch.“ Er zuckte nur mit den Schultern, folgte ihr aber in die Küche. Mit einem fast übervollen Teller und einem Sixpack Bier wurde er entlassen. „Meinst du nicht, dass das er zu viel trinkt?“, überlegte Jo laut. „Er ist noch nicht so weit. Sich seinen Dämonen offen stellen zu können und ich bezweifle, dass er das Bier schafft. So fertig wie er aussieht schläft er nach höchstens zwei Flaschen. Und er braucht die Ruhe. Also Nein! Wenn es ihm hilft.“ Jo zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte ihre Mom ja Recht. Sie packte sich die restlichen Teller auf den Arm und folgte Sam, der gerade eine ganz normale Familie mit drei Kindern bediente. Dean schreckte hoch. Orientierungslos blickte er sich in dem dunklen Raum um. Wo war er und was war passiert? Nur ganz langsam kehrte er in die Realität zurück. Er schielte zum Nachbarbett, doch Sam war noch nicht da. Ächzend drehte er sich auf die Seite und schaltete die Nachttischleuchte ein. Der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es kurz vor Mitternacht war. Er saß auf seinem Bett. Nach dem üppigen Essen und einem Bier hatte er sich hierher gesetzt und wollte das Tagebuch von Samuel weiterlesen. Weit war er wohl nicht gekommen, bevor ihm die Augen zugefallen waren. Aber wo war das Buch? Noch einmal schaute er sich aufmerksam im Zimmer um und fand seine Lektüre neben seinem Bett auf dem Fußboden. Wahrscheinlich hatte das Poltern, als es herunter fiel, ihn geweckt. Etwas umständlich bückte er sich danach und hob es auf. Sein Blick fiel auf die Seite, die sich zufällig aufgeschlagen hatte. Schnell klappe er das Buch wieder zu. Es war die Seite mit Moms Zeichnung gewesen. Die Seite, die er mit seinem Blut besudelt hatte. Beschämt schloss er die Augen. Hastig riss er sie wieder auf und schüttelte den Kopf, um das Bild eines kleinen blonden Mädchens, das mit leuchtenden Augen in dem heiligen Buch seines Vaters eine Zeichnung eintragen durfte, wieder loszuwerden. Er war sich doch noch nicht einmal sicher, dass es überhaupt Mom gewesen war, die diese Zeichnung gemacht hatte! Wütend auf sich selbst schlug er das Buch wieder auf und zwang seine Konzentration auf einen der Fälle. Er würde das Buch jetzt genauso auswendig lernen, wie er es mit Johns Tagebuch gemacht hatte und dann würde er nach einem neuen Fall suchen. Dieser ganze Normales-Leben und Heile-Familie – Quatsch war nichts für sie. Eine schöne Illusion die der Realität ihres Lebens nicht standhielt! Solche Träume sollte er sich endlich aus dem Kopf schlagen! Sam versuchte ihr Zimmer möglichst leise zu betreten. Noch in der Tür stockte er. Dean war wach. „Ich dachte du schläfst schon“, stellte er unnötigerweise fest. Ein kurzer Blick seines Bruders sagte ihm deutlicher als alle Worte, was der von dieser Bemerkung hielt. Er grinste schief und verschwand im Bad. Dean blickte ihm kurz nach. Schlafen? So wirklich hatte er keine Meinung dazu. Er fühlte sich nicht wirklich müde, aber auch nicht wach. Vielleicht war er so übermüdet, dass er nicht mehr einschlafen konnte? Allerdings hatte er es auch noch nicht wieder versucht. Warum auch? Noch hatte er Ablenkung und die Augen waren ihm auch noch nicht zugefallen. Sein Körper würde sich den Schlaf schon holen, wenn er ihn brauchte! Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch zu. Kapitel 69: Familienbande ------------------------- @ Vanilein - Ja, manchmal ist ein Streit wie ein Gewitter. Sam wird sich auf jeden Fall bemühen, Dean die Unterstützung zu geben, die er braucht. Ob er das immer kann? LG Kalea 69) Familienbande Die Stunden vergingen. Dean saß noch immer in seinem Bett und laß. Seite für Seite blätterte er um, bis er auch die letzten Worte in sich aufgesogen hatte. Er ließ das Buch sinken und rieb sich die brennenden Augen. Jetzt blieb nur noch die Zeichnung, die er einer genaueren Betrachtung unterziehen wollte. Hatte er die Kraft dazu oder sollte er bis Morgen warten? Wohl besser nicht. Er würde so nicht schlafen können. Aber er hatte auch Angst davor, dass ihn seine Gefühle und Erinnerungen wieder heimsuchten. Johns Verrat saß einfach zu tief. Noch einmal holte er tief Luft. Er rieb sich die Augen, um die beginnenden Kopfschmerzen zu vertreiben und blätterte dann zu der Seite. "Es tut mir so leid, Mom", wisperte er kaum hörbar und blickte schuldbewusst auf die rotbraunen Streifen, die seine blutenden Finger hinterlassen hatten. Er entschuldigte sich jedoch nicht nur für seine Fehler. Vielmehr war diese Entschuldigung für John gedacht, der ihre Kinder genau so aufwachsen ließ, wie sie es nie wollte und sich dann auch noch ein neues Familienglück suchte, obwohl er mehrfach geschworen hatte, nicht zu ruhen bis sie gerächt war. Wieder strichen seine Finger sanft über die Zeichnung. Er schluckte den Klos herunter, der sich in seinem Hals bildete und blinzelte die Tränen weg. Sämtliche Gefühle beiseite schiebend zwang er sich dazu, die Zeichnung als Jäger zu sehen. Jedes Detail nahm er in sich auf, während seine Finger mit der oberen Ecke spielten. Plötzlich fühlte er zwei Ecken unter seinen Fingern. Er stutzte und begann die Seite genauer zu untersuchen. Konnte es sein, dass Samuel hier zwei Seiten zusammengeklebt hatte? Sie fühlte sich kaum stärker an, als die anderen Seiten. Hatte Mary die Zeichnung nicht richtig ausgeführt und musste sie noch einmal machen? Hatte sie die auf ein anderes Blatt gemalt, damit Samuel die später einkleben konnte? Aber warum hatte er sich dann so viel Mühe gegeben? Das Blatt war kaum von den anderen zu unterscheiden. Es fühlte sich nur minimal steifer, und wenn man wusste dass es zwei Blätter waren, auch etwas dicker an. Blieb die Frage, wie bekam er sie wieder auseinander ohne sie zu zerstören? Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht. Die Lösung war so naheliegend! Leise, um Sam nicht zu wecken, rutschte er vom Bett und ging nach unten. In der Küche befüllte er den Wasserkocher und schaltete ihn ein. Kaum begann der heiße Dampf aus dem Ausgießer aufzusteigen, hielt er die Seite darüber. Langsam lösten sich die Seiten voneinander und als er endlich beide Blätter komplett voneinander lösen konnte, war Dean genauso schlau wie vorher. Verwirrt blickte er auf das, was sich ihm offenbarte. Was sollte das sein? Auf den ersten Blick würde er es für einen Stammbaum halten. Aber wer brauchte einen Stammbaum, der nur aus schwarzen und blauen Punkten bestand? Immer dichter hielt er sich das Buch vor die Nase und blinzelte. Konnte das sein? Je näher er diesen vermeintlichen Punkten kam um so mehr schienen sie sich zu entfalten und zu Buchstaben zu werden. Aber wer konnte denn so klein schreiben? Jetzt mit ihren Computern und Scannern wäre das wohl kein Problem mehr. Aber damals? Im Haus schlug eine Tür und ließ ihn zusammenzucken. Seine Augen brannten. Er kniff sie zusammen und rieb sich die Nasenwurzel. Sein Kopf pochte beständig. Dem Stammbaum wollte er sich ausgiebig und in Ruhe widmen und dazu sollte er halbwegs ausgeschlafen sein. Nervlich am Ende stapfte er die Treppe nach oben, schlich in ihr Zimmer und ließ sich mit einem erleichterte Seufzen ins Bett fallen. Er schaffte es gerade noch, sich unter der Decke zusammenzurollen, bevor er auch schon eingeschlafen war. Stunden später erwachte Sam. Sein erster Blick ging zu seinem Bruder. Für einen kurzen Augenblick gestattete er sich ein befreites Durchatmen. Dean schlief. Doch dann stellte er fest wie, und schon gruben sich die Sorgenfalten wieder in seine Stirn. Er schälte sich aus den Decken. Dean lag halb auf der Seite. Eine Hand hatte er um das Buch gekrampft und mit dem Gesicht lag er darauf. Sam seufzte. „Ich bin´s nur“, sagte er leise und drehte seinen Bruder auf den Rücken. Er grinste kurz, als er den Abdruck des Verschlusses auf Deans Schläfe sah. Das Buch begann vom Bett zu rutschen. Er griff danach, legte es auf den Nachttisch und begann seinen Bruder auszuziehen. Dean grummelte zwar ungehalten, wurde aber nicht wach. ‚Wenigstens etwas‘, dachte Sam. Immerhin schien Dean ihm doch zu vertrauen. Er deckte ihn zusätzlich mit seiner Decke zu. Sein Blick wurde von dem Buch angezogen. Zu gerne würde er einen Blick hineinwerfen wollen. ‚Nein! Dean wird es mir geben, wenn er fertig ist‘, überlegte er sich und ging nach unten. Es war nicht viel los und so konnte er sich, nachdem er bei den Vorbereitungen für den Tag geholfen hatte, ohne schlechtes Gewissen der weiteren Bearbeitung des Fotos zuwenden. Sam war fast fertig, als Dean wie ein Schatten durch den Schankraum huschte und nach draußen verschwand. ‚Was wollte er denn da?‘, fragte sich Sam und lehnte sich auf seinem Stuhl etwas weiter nach hinten, um aus dem Fenster schauen zu können. Seine Bedenken zerstreuten sich schnell. Dean hatte nur etwas aus dem Kofferraum geholt. Dieses Etwas identifizierte er, als sein Bruder wieder durch den Schankraum zur Treppe lief als dessen Laptop und den scannenden Drucker, den er am Vortag wieder zurückgebracht hatte. Was hatte er denn damit vor? So langsam brannte Sam vor Neugier. Dean hatte keinen Blick für seine Umgebung. Ihn interessierte nur, was das für ein Stammbaum war und warum da etwa ein Drittel aller Einträge in Blau geschrieben waren. Schnell hatte er alles aufgebaut und verkabelt, das Buch auf die Glasplatte gepresst und wartete ungeduldig, bis sich das Bild aufbaute. Schnell jagte er den Scan noch durch ein Bildbearbeitungsprogramm. Endlich konnte er es in Ruhe betrachten. Wie er vermutet hatte, war es ein Stammbaum. Aber nicht irgendeiner. Die eingescannten Seiten offenbarten ihm seinen Stammbaum bis hin zu den Anfängen der Besiedlung Amerikas. Einer ihrer Vorfahren war mit der Mayflower auf diesen Kontinent gekommen und hatte hier eine Familie gegründet. Es sah so aus, als ob ihre Vorfahren oder zumindest Zweige seiner Familie schon immer Jäger gewesen wären. Dean löste sich von dem Bildschirm und starrte aus trüben Augen vor sich hin. Gab es für Sam und ihn eigentlich überhaupt eine Chance auf ein normales Leben? Konnte man noch tiefer in diesem Jägerleben stecken? Würden sie je die Chance haben auszubrechen oder würde sie immer wieder etwas daran hindern? Bis jetzt zumindest sah es mehr als nur danach aus. Oder lag es an ihnen. Wollten sie tief in ihrem Inneren vielleicht gar kein normales Leben mit weißem Gartenzaun und Hund? Aber wie sollte er erkennen was er wollte und was nicht, wenn er doch nicht mal die Chance bekam dieses normale Leben auszuprobieren? Die Zeit bei Bobby war schön, aber wohl nicht mit Normalität gleichzusetzen. Konnte er sich vorstellen jeden Tag zur Arbeit zu gehen, jeden Tag acht Stunden das Gleiche zu machen? Frustriert rieb er sich über das Gesicht und versenkte sich wieder in seine Lektüre. Es war einfacher die Fakten zu studieren, als sich wüsten Gedanken zu stellen. Außerdem wollte er wissen, warum einige Namen blau geschrieben waren. Trotzdem schnürte ihm dieses neue Wissen die Luft ab. Die Einsamkeit ihres Zimmers schien ihn erschlagen zu wollen. Er musste hier raus! Sam hatte das Foto beiseite geschoben und sich auf die Suche nach einem Konzert gemacht. Besorgt blickte er seinem Großen entgegen, als der mit Laptop und Buch bewaffnet in den Schankraum zurückkam und sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen ließ. Er schob das Buch zu Sam. „Bevor du vor Neugier platzt“, sagte er leise, klappte seinen Laptop auf und rief das Bild ihres Stammbaumes wieder auf, während Sam ihn sprachlos anstarrte. Was war das denn? War sein Bruder schon fertig mit lesen? Er hatte das Buch nicht mal zwei Tage! Eine Weile überlegte er, was er jetzt zuerst machen sollte, dann siegte die Neugier. Er klappte den Laptop zu und nahm sich das Buch. Die Fotos sagten ihm weniger als seinem Bruder, da er Mary ja nie als junges Mädchen gesehen hatte, und sie auch keine Fotos aus dieser Zeit von ihr hatten, also begann er zu lesen. Schnell war auch ihm bewusst, dass er es hier mit einem weiteren Tagebuch zu tun hatte und er begann die Fakten in sich auszusaugen. Hin und wieder warf Dean einen kurzen Blick über seinen Bildschirm auf seinen kleinen Bruder. Er sah wie sich dessen Mimik veränderte und hoffte, dass er mit diesem einen Satz nicht zu viele Hoffnungen geweckt hatte. Er wollte noch immer nicht reden. Nicht über Adam und nicht über das Dilemma ihrer Familie und nicht über den gestrigen Streit. Doch Sam schien, wie er, von den Fakten gefesselt zu werden. Ob er schon wusste, dass es sich um die Fälle ihres Großvaters handelte? Etwas beruhigter konzentrierte er sich wieder auf die blau geschriebenen Namen aus ihrem Stammbaum. Ein Name zog ihn magisch an. Konnte das sein? Aber wie? Das war aber doch … Dean Harrison. Seine Eltern waren Jacob und Sarah Harrison geborene Carson. Sofort tauchten diese grünen Augen, bei deren Blick er sich immer gefühlt hatte, als würde er in einen Spiegel schauen, die dicken blonden Zöpfe und die Sommersprossen in seiner Erinnerung auf. Dieser Dean hatte noch drei Geschwister. Christopher, Mary und Elisabeth. Einen Geburtsort gab es nicht, aber die Zeit könnte passen. Sollte das wirklich diese Sarah sein? War er während der Zeit im Wilden Westen auf Verwandtschaft gestoßen? Er hatte mal irgendeinem Film gesehen, bei dem es auch um Zeitreisen ging und da war die Theorie aufgestellt worden, dass das Blut diese Reisen leiten würde. Ob das wirklich so war? Es wäre eine Erklärung aber konnte er sie so akzeptieren? Dieser Jacob Harrison war aus dem Nichts gekommen und Samuel hatte den Stammbaum dieser Familie nicht weiter geführt. Also waren sie wohl aus diesem Leben rausgekommen. Nur zu welchem Preis. Soweit er sich erinnerte, waren Sarahs und Benjamins Eltern gestorben als die beiden noch ganz klein waren. Immerhin hinterließ dieser Eintrag einen winzigen warmen Flecken in seinem Bauch. Wenn es wirklich seine Gastfamilie war, hieß das, dass sie seinen Besuch unbeschadet überstanden hatten! Dean Harrison. Hatte er so einen tiefen Eindruck hinterlassen? Jetzt interessierte er sich noch brennender für den Zusammenhang ihrer Familien. Sein Finger wanderte die Linie zurück. Emily Campell hatte einen Josiah Carson geheiratet und wohl nichts von ihrer Vergangenheit gesagt. ‚War sie nicht an Wundbrand gestorben?‘, überlegte Dean und versuchte sich an das zu erinnern, was William ihm über Benjamin und Sarah erzählt hatte. Ben hingegen schien nie geheiratet zu haben, obwohl? Das Todesjahr? Wahrscheinlich war Ben in den Bürgerkrieg gezogen. Er war 1863 gestorben. Wenigstens Jacob hatte sich an seine Warnung gehalten und war dem Krieg fern geblieben. Oder aber er hatte zumindest mehr Glück gehabt und diese Gemetzel überlebt. Er war 1916 gestorben. Wie es wohl den anderen ergangen war? Robert, Thomas, William und nicht zu vergessen der alte Amos. Und was hieß das jetzt für sie selbst? Gab es ein Entkommen? Wenn er die Daten betrachtete, war das wohl eher unwahrscheinlich. Alle Jäger waren jung gestorben und selbst die Aussteiger hatten selten ein langes Leben. Er schüttelte frustriert den Kopf. Wenn er hier noch lange über diesen Zahlen brütete, dann würde er verrückt werden. Er musste schleunigst eine Beschäftigung finden! Das Knurren seines Magens riss ihn aus seinen Überlegungen. Okay, er würde ihnen erst etwas zu Essen holen und dann würde er sich die einschlägigen Internetseiten zu Gemüte führen. Er erhob sich und ging in Richtung der Toiletten. Wenig später stand er in der Küchentür und wurde sofort von Ellen mit einem besorgten Blick gemustert. „Hast du Hunger?“, fragte sie und drehte sich, ohne eine Antwort abzuwarten um, um ihm einen Teller zu füllen. Schnell machte sie noch einen Salatteller fertig und drückte Dean beide in die Hände. „Den kannst du Sam geben“, sagte sie noch. Dean nickte erneut und ging zu ihrem Tisch zurück. Er stellte den Salatteller neben Sam und tippte ihm vorsichtig gegen den Arm. „Essen“, sagte er leise und ließ sich auf seinen Platz fallen. Sams Gesicht zierte ein Lächeln. Sein Großer sprach wieder. Ihren Streit schien er ihm also nicht nachzutragen. Er klappte das Buch zu und schob es beiseite. Nach dem Essen wollte er ein anderes Versprechen einlösen, auch wenn der, dem er es im geheimen gegeben hatte, nichts davon wusste. Das Buch konnte er danach immer noch lesen. Jetzt war Dean einfach wichtiger! In aller Ruhe widmete er sich seinem Salat. Kapitel 70: Unsicherheiten -------------------------- 70) Unsicherheiten Noch bevor Sam sich erheben konnte, um die leeren Teller wegzubringen, war Dean schon auf dem Weg. Er brachte ihnen eine Kanne Kaffee mit und eine Zeitung, die ein Gast wohl auf der Theke vergessen hatte. Schnell hatte er sich hinter ihr verschanzt und Sam seinen Laptop aufgeklappt. Nach kurzem Zögern tippte er El Paso ein und schaute sich an, was dort in den nächsten Wochen los sein sollte. Kurz war er versucht, seinen Kopf auf den Tisch zu schlagen. Wieso war er nicht schon früher auf diese Idee gekommen? Er hätte sich die ganze Sucherei bei Deans Lieblingsbands sparen können! Egal! Jetzt hatte er ein Konzert und so wie es aussah konnten sie vorher sogar noch einen Urlaub am Grand Canyon machen. Ein breites Strahlen legte sich auf sein Gesicht. Es war zwar nicht unbedingt sein Geschmack, aber diese Gelegenheit nicht zu nutzen, wäre ein Frevel, den Dean ihm ewig vorhalten würde. Und das mit Recht! Nur schade, dass Dean hinter seiner Zeitung so gar nicht aufnahmefähig zu sein schien, aber es würde sich bestimmt eine Möglichkeit finden lassen, um ihm diese Neuigkeit zu erzählen. Vielleicht konnte er ihm dann auch gleich noch die Karten präsentieren? Sam stand auf, nahm seinen Laptop und ging in ihr Zimmer um die Karten auszudrucken. Was weder Sam noch Ellen bemerkten, war der Blick, mit dem Dean ihm hinterher schaute. Entgegen Sams Annahme hatte er sehr wohl mitbekommen, dass sein kleiner Bruder etwas ausbrütete. Aber er wollte nicht fragen und Sammy war niemand, der ein Geheimnis lange für sich behalten konnte, zumindest keins, was anderen eine Freude machte und genau danach sah es aus, so wie sein kleiner Bruder strahlte. Sein kleiner Bruder! Ja! Sam war sein kleiner Bruder und Adam? Konnte er sich je mit dessen Existenz versöhnen? Mit einem unwirschen Knurren versenkte er sich wieder in den Artikel, den er gerade entdeckt hatte. Es war nicht Adam auf den er wütend war und es war nicht wirklich seine Existenz, die ihm die Luft zum Atmen raubte. Es war auch nicht die Tatsache dass John Sex hatte oder ein Kind gezeugt. Es waren die unzähligen Ermahnungen, dass Familien einen Jäger erpressbar machten und dass sie die um alles in der Welt vermeiden sollte. Johns Lügen und die zweierlei Maß mit denen er sein und das Handeln seiner Kinder maß, waren es, wofür er ihn hasste. Sam kam in den Schankraum zurück. Er hatte die Karten ausgedruckt und in die Brusttasche seines Hemdes gesteckt. Wortlos ließ er sich wieder auf seinen Platz fallen und öffnete das ledergebundene Buch. Schnell hatte er sich in die Handschrift eingelesen. Es war immer wieder von Mary und Deana die Rede. Konnte es das Tagebuch ihres Großvaters sein? „Dean“, fragte Sam leise und legte seinem Bruder seine Hand auf den Arm. Der Ältere senkte die Zeitung und schaute seinen Bruder fragend an. Ein warmes Gefühl durchflutete Sam. Es war fast wie vor etwas mehr als einem Jahr, als Dean noch beatmet wurde. Damals hatte der sich ihm auch soweit geöffnet, dass er ihn regelrecht lesen konnte. Jetzt schien das wieder zu funktionieren. Wahrscheinlich aufgrund seines schlechtem Gewissens wegen ihres Streites. Dabei war er doch mindestens genauso schuld! Er würde viel lieber richtig mit ihm reden. Aber er wollte Dean dieses Trauma auch verarbeiten lassen. "Das Tagebuch, das ...", begann er etwas umständlich. „Das Tagebuch Samuel Campells.“ „Das ist wirklich das Tagebuch von Moms …“ Dean nickte. „Und Dad hat dieses Buch bei Adam deponiert?" Unglaube schwang in Sams Stimme mit. Wieder nickte Dean nur. Enttäuschung machte sich in seinen Augen breit. „Wie ist Dad an das Buch gekommen?“ „Da fragst du mich zu viel“, sagte Dean leise, „aber wir scheinen so vieles nicht zu wissen von dem, was er gemacht hat.“ Jetzt war es an Sam einfach nur zu nicken. Ihr Vater hatten ihnen so viele Informationen vorenthalten, die sie im Laufe ihres Jägerlebens oft nur unter Einsatz ihres eigenen Lebens erringen konnten, auf jeden Fall aber mit Schmerzen bezahlten die sie, wenn sie sie gehabt hätten, gut hätten vermeiden können. Manchmal fragte er sich, was ihr Dad eigentlich wollte. Ein eigenes Leben hatte er ihnen nie zugestanden aber auf das Jägerleben hatte er sie auch nur unzureichend vorbereitet. "Was hältst du davon, wenn wir unsere Zelte hier demnächst abbrechen und Richtung Grand Canyon fahren. Ein richtiger Urlaub würde uns beiden gut tun!" Dean blickte fragend. Ihm stand der Sinn so gar nicht nach Urlaub und nach El Paso mussten sie auch nicht sofort. Immerhin hatte er durch den Stammbaum erfahren, dass die Harrisons kein Spielball des Übernatürlichen geworden war. Zumindest ein Teil der Familie nicht. Er wollte viel lieber jagen. Irgendetwas vernichten und so seine Wut und die Fassungslosigkeit los werden, die ihn noch immer gefangen hielt. „Es liegt auf dem Weg", beantwortete Sam die ungestellte Frage und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Wieso auf dem Weg? „El Paso.“ "Wir müssen nicht unbedingt ...", begann Dean unsicher. Sam strahlte mit der Sonne um die Wette. Sein Bruder redete wieder mit ihm! „Wir haben einen Termin da“, weiter wollte er noch nicht mit der Sprache rausrücken. Einen Termin? „Ja, einen Termin“, grummelte Sam ein wenig enttäuscht, dass sein Bruder schon wieder schwieg. Aber was hatte er erwartet? Das Dean sofort wieder wie ein Wasserfall quasselte? Das tat er höchstens, wenn er eine Frau bequatschen wollte. Und selbst das war selten. Meistens landete er ohne viele Worte mit ihr im Bett. Sam kaute auf seiner Unterlippe. Wer nicht wagte, der gewann auch nicht, oder? Er schloss die Augen, atmete tief durch und fasste sich dann ein Herz. „Dean! Ich hab lange über unser Leben nachgedacht. Der letzte Sommer hat in mir den Wunsch nach einem richtigen Leben wieder geweckt. Ich meine, wir sind schon so lange in diesem Geschäft. Wir hätten jedes Recht wenigstens kürzer zu treten. Aber ich möchte auf keinen Fall aufhören und dich weiter auf der Straße wissen. Wenn wir beschließen auszusteigen, dann nur gemeinsam. Ich will hier nichts ohne dich entscheiden und ich will dich nicht überfahren. Wir haben am 15. November einen Termin in El Paso. Ob wir davor oder danach nach den Harrisons suchen, können wir immer noch entscheiden. Lass uns zum Grand Canyon fahren und dort reden wir nochmal über alles?“ Tief holte Sam Luft. So hatte er das Ganze eigentlich nicht loswerden wollen, aber jetzt war es passiert. Gespannt wartete er auf eine Reaktion seines großen Bruders. Fassungslos starrte Dean ihn an. Das war genau das, worüber er in diesem Sommer auch immer mal wieder nachgedacht hatte und er würde sofort zustimmen, wenn da nicht noch immer diese unfassbare Wut in ihm brodelte und die Angst vor diesem neuen Leben. Was wollte er tun? Was konnte er? Aber vielleicht konnten sie ja nach einem letzten Fall...? Sie waren manchmal wirklich Idioten. Wenn sie eher miteinander gesprochen hätten, wäre das alles wohl nicht passiert. Obwohl? Adam hatte auf einem von Johns Handys angerufen. Die hätte er noch immer im Handschuhfach des Impala liegen gehabt. Vielleicht sollten sie die im Colorado versenken? „Dean, wir müssen das nicht sofort entscheiden. Du wolltest doch damals zum Grand Canyon. Das könnten wir doch vor dem Konzert ... Wir machen da Urlaub und reden über alles.“ „Ich … ich kann“, begann Dean unsicher und schüttelte den Kopf. Warum jetzt? Er wollte ... Er konnte... Sie waren so blöd! Einen Sommer lang hatten sie Zeit und keiner traute sich darüber zu reden und jetzt, jetzt wo all diese Wut ihn ihm war, brachte Sam es auf den Tisch. Aber er konnte nicht, nicht jetzt. „Lass mir Zeit!“, stammelte er und rutschte aus der Bank. Mit langen Schritten stürmte er zur Treppe und rannte nach oben in ihr Zimmer. Sam starrte ihm hinterher. Was war das denn? So unsicher hatte er seinen Bruder ja noch nie erlebt! Wollte der nicht aufhören? War es eine Schnapsidee zu denken dass er auch ein normales Leben wollte? Hatte Dean Angst davor? Er stand auf folgte ihm etwas langsamer. Dean tigerte in ihrem Zimmer auf und ab. Was jetzt? Sam hatte ihm wirklich jede Tür aufgestoßen. Er musste nur noch hindurchgehen. Lediglich die Geschwindigkeit mit der das Ganze passierte erschreckte ihn. Wenn da nur nicht diese irrationale Wut wäre, von der er Angst hatte, irgendwann etwas Wichtiges zu zerstören, wenn er sie nicht vorher los werden würde. Egal, er hatte noch nie gekniffen, warum dann jetzt. Und aussteigen vom Ausstieg konnte er jederzeit. 'Also los Dean! Einen Fall noch und dann wartet die Zukunft. Und denk bloß nicht schon vorher darüber nach!', ermahnte er sich. Leise betrat Sam ihr Zimmer und blickte Dean fragend an. „Was ist los?“, wollte er so ruhig wie möglich. „Ich ...“ Wieder brach Dean ab und schüttelte nur den Kopf. „Nein! So kommst du mir nicht davon. Ich will eine Antwort!“ Dean schloss die Augen und holte tief Luft. Er ging zum Fenster und starrte nach draußen. Wenn Sammy wirklich eine Antwort wollte ... er konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Wie stand er denn dann da? „Dean?“, bohrte Sam leise nach. „Ich habe Angst“, antwortete der Ältere so leise, dass er kaum zu verstehen war. Sam würde ihn verachten. Doch Sam hatte ihn trotzdem gehört. Er schnappte nach Luft. „Da ist so viel Wut in mir! Ich will nicht irgendwann alles verlieren, nur weil ich mich nicht beherrschen kann. Ich ...“ Sams Gedanken rasten. Noch nie hatte sein Bruder so etwas zugegeben. Noch nie hatte sein Bruder so offen über Gefühle gesprochen. Er trat mit einem letzten Schritt vor Dean und zog ihn in eine feste Umarmung, die der nur zögerlich erwiderte. Erst als er fühlte, wie sich die Anspannung seines großen Bruders zu lösen begann, ließ er ihn wieder los. „Du musst mich verachten!“, nuschelte der und starrte zu Boden. „Warum sollte ich? Dean, ich weiß schon lange, dass du für mich stark sein musstest, obwohl du es nicht warst und ich bin dir dankbar dafür. Aber jetzt bin ich erwachsen und kann auch für dich stark sein.“ „Ich weiß trotzdem nicht, ob ich das auf Dauer schaffe.“ „Und deshalb willst du es nicht versuchen?“, wollte Sam skeptisch wissen. Dean schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein ich ...“ Er brach ab und holte tief Luft. „Können wir vielleicht bis Weihnachten ... und dann … dann ...?“ Es fiel ihm so verdammt schwer. „Du willst bis Weihnachten jagen und dann aussteigen?", versuchte Sam das Gestammel zu einem vernünftigen Satz zusammenzusetzen. „Neues Jahr, neues Glück“, grinste Dean schief. „Das wird nicht ganz klappen. Wir haben vorher noch einen Termin.“ „Was denn für ein Termin?“, ging er endlich darauf ein. Sam grinste über alle vier Backen und reichte ihm die Karten. Gespannt wartete er auf dessen Reaktion. Deans Augen wurden immer größer. „Du hast, woher …“ flüsterte er. „Wir wollten zu einem Konzert und nach El Paso. So verbinden wir beides.“ Jetzt leuchteten auch Deans Augen. „Und? Was sagst du?“ Dem älteren Winchester fehlten die Worte. Tränen drohten seine Augen zu überfluten. „Das ist ...“ Spontan fiel Dean ihm um den Hals. „Und dabei magst du die nicht mal wirklich!“ „Einen letzten Fall?“, wollte Sam wissen, nachdem sie sich getrennt hatten. Dean nickte verlegen. Er fühlte sich schon wieder viel zu durchschaubar! „Hast du schon einen im Auge?“ „Nein. Ich habe noch nichts gefunden.“ „Ich kann ja mal das Internet durchsuchen und wenn ich nichts finde, dann fahren wir Richtung El Paso. Irgendwann läuft uns schon ein Fall über den Weg. Ob nun vor oder nach dem Konzert ist doch egal, oder?“ Dean nickte. Je schneller sie etwas finden würden, umso lieber wäre es ihm, aber er konnte auch warten. Vielleicht hatte ja Bobby oder Ellen etwas für sie? Gemeinsam gingen sie wieder nach unten und ließen an ihrem Tisch nieder. Sam fuhr seinen Laptop hoch und Dean vertiefte sich wieder in die Zeitung. Vielleicht stand ja auf den letzten Seiten etwas? Lange blieb es nicht so ruhig zwischen ihnen. „Ich glaube ich hab was gefunden?“, sagte Sam und drehte seinen Laptop zu Dean. „Die Bewohner eines Seniorenheimes in Pagosa Springs mussten in den letzten Monaten immer wieder zu Beerdigungen, aber nicht, weil Mitbewohner starben, sondern deren Angehörige. Von den Bewohnern ist in jener Zeit keiner gestorben", fasste er den Artikel kurz zusammen. Dean nickte und begann in aller Ruhe zu lesen. „Ich weiß nicht. Das könnte einfach nur ein unglücklicher Zufall sein ... oder aber auch etwas für uns“, überlegte er. „Wann haben wir schon mal an Zufälle geglaubt?“, fragte Sam. Jetzt wo sie sich auf bekanntem Gelände bewegte, schien sich sein Bruder schon viel sicherer zu fühlen. „Und wie willst du es angehen?“, wollte Dean wissen. „Erstmals tragen wir alles zusammen, was wir über das Heim finden können. Polizeiakten, Autopsieberichte. Das ist wohl eher mein Part“, grinste Sam „und du könntest sehen, was du über das Altersheim, den Baugrund und die Gegend herauszufinden kannst. Wenn uns das nicht weiterbringt, können wir immer noch versuchen, als Pfleger unterzukommen.“ „Alten Leuten die Windeln wechseln?“ Dean schnaubte verächtlich. Das war jetzt nicht das, was er sich unter einem Fall vorgestellt hatte. „Du hattest schon Schlimmeres und nicht nur an den Händen!", erklärte Sam leise. „Aber nie freiwillig!“ „Das unterschreibe ich sofort!“, Sam grinste und auch über Deans Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. Kapitel 71: Viele Fragen ------------------------ @ Vanilein - Ich liebe sie auch ;-)) Deshalb werde ich sie auch nicht so schnell aus meinen Fängen entlassen. LG Kalea 71) Viele Fragen Ein Klopfen riss die Brüder aus ihren Recherchen. „Wollte euch nur was zu essen bringen“, sagte Ellen und blickte entschuldigend. Sie hatte sich Sorgen um die Jungs gemacht. Sie schienen ihr beide nicht wirklich gefestigt zu sein, auch wenn Sam eigentlich keinen richtigen Anlass zur Sorge gab. Sie war sich trotzdem sicher, dass Deans Probleme auch ihn belasteten und so verteilte sie Kaffee, Kuchen und Salat. „Kommt nachher runter. Davon werdet ihr wohl kaum satt“, sagte sie noch und verließ das Zimmer wieder. Der Kuchen duftete verführerisch und, als hätte Deans Magen nur darauf gewartet, begann der zu knurren. Sam grinste, schob seinen und Deans Laptop beiseite und den Kuchenteller vor ihn. „Bevor du vom Stuhl fällst, oder schlimmer noch den Laptop aufisst ...“ Dean klappte die Seiten auf denen er gerade unterwegs war herunter und begann langsam zu essen. Mitten auf dem Desktop prangte ein Symbol, hinter dem sich ihr Stammbaum verbarg. Es schien ihn magisch anzuziehen. Er öffnete die Datei und ließ den Mauszeiger die einzelnen Zweige des Stammbaumes entlang gleiten, bis der Pfeil auf Sarah Carson stand. Er konnte noch immer nicht glauben, dass sie tatsächlich mit ihnen verwandt sein sollte. Wieder sah er ihre grünen Augen vor sich, die seinen so sehr glichen. Er sah die dicken, blonden Zöpfe und ihr Lachen. Und ganz automatisch wanderten seine Gedanken wieder zu den anderen Freunden aus dieser Zeit. Thomas, Jake und den alten Amos McGregor nicht zu vergessen. Bethanny, Caren, Impala und der Fleckenzwerg ... „Dean“, riss Sams Stimme ihn aus seinen Erinnerungen. Er zuckte zusammen. Sein Finger glitt über das Mauspad. „Was?“, maulte er ein wenig atemlos. „Du machst mir Angst!“ „Warum, ich ...“, begann er verwirrt. „Was ist mit dir? Es ist einfach nicht normal, dass du in einem lecker riechenden Stück Kuchen herumstocherst ohne ihn überhaupt zu essen!“ „Ich hab doch gegessen!“, versuchte er sich zu rechtfertigen. „Schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr. Dean du ... Ich mach mir einfach Sorgen. Du bist noch immer zu dünn, du siehst fertig aus. Ich denke, du brauchst Ruhe. Vielleicht sollten wir den Fall Fall sein lassen, bis du wieder auf dem Damm bist“, versuchte Sam zu erklären. „Ich kann Bobby anrufen oder ihn Ellen geben. Hier sind genug Jäger, die sich das anschauen könnten. Vielleicht ist es ja auch kein Fall.“ „Ich kann nicht! Wenn ich nichts zu tun habe ... Die Gedanken, diese Wut ... es zerreißt mich fast. Bitte Sammy, ich muss was haben, worauf ich mich konzentrieren kann“, bettelte er. „Aber darüber vergisst du scheinbar alles andere. Ich will doch nur dass es dir gut geht!“ Besorgt blickte er ihm in die Augen und versuchte darin zu lesen. „Dann lass uns weiter machen. Ich bin dir dankbar, dass du auf mich aufpasst, aber du musst mich nicht gleich wegschließen wollen, okay?“ „Ich will dich nicht wegschließen, ich will doch nur ...“ „Es ist gut, was du tust, Sammy.“ Wenig überzeugt schüttelte der den Kopf. „Du sagst mir, wenn dir was nicht gefällt und ich verspreche dir zu sagen, wenn es mir nicht gut geht“, schlug Dean vor. Skeptisch legte Sam den Kopf schief. Dean schnaufte. Das würde wohl schwerer werden als gedacht. „Ich hab in Samuels Tagebuch etwas gefunden.“ Er griff seinen Laptop und wollte ihn zu Sam drehen, als sein Blick auf die untere rechte Ecke fiel, in der der kleine Pfeil blinkte. Bislang hatte er die nicht beachtet, warum auch. Seine Brauen zogen sich zusammen, als er versuchte die Zahlen zu identifizieren. Sie sagten ihm nichts, aber aus Jux und Dollerei hatte Samuel die bestimmt nicht aufgeschrieben. Ob es Koordinaten waren? Er öffnete eine neue Seite des Internets und gab die Zahlen ein. Sams Miene wurde immer fragender. Ungeduldig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Irgendetwas wollte Dean ihm scheinbar zeigen, doch dann hatte er wohl etwas anderes gefunden, was seine Aufmerksamkeit fesselte. Nur was? „Hah!“ Ein triumphierendes Grinsen zierte kurz Deans Gesicht, aber gleich darauf zogen sich seine Brauen wieder fragend zusammen. Er blickte auf. „Was hast du?“, wollte Sam auch sofort wissen und Dean drehte den Bildschirm zu ihm. Ein kleiner blinkender Pfeil zeigte auf ein Gewerbegebiet in Lansing, Michigan. „Und was soll da sein?“, wollte Sam wissen. Dean zuckte mit den Schultern, drehte den Rechner wieder zu sich und vergrößerte den Bildausschnitt. Das Haus, das sich aus dem Gewirr löste, schien eine heruntergekommene Lagerhalle zu sein. Eine Weile grübelte er noch über diesen Ort, bis Sam ihn aus seinen Gedanken riss. „Wir sollten uns das mal anschauen, wenn wir in der Nähe sind.“ Wieder nickte Dean nur. „Oder soll ich die Koordinaten an Bobby weitergeben?“ „Ich möchte nicht, dass er da alleine reingeht. Nicht jetzt, wo er …“ begann Dean und schüttelte den Kopf, als ihm klar wurde, was er da sagen wollte. „Die Koordinaten standen auch in dem Tagebuch. Keine Ahnung was das bedeuten soll. Vielleicht hat er da einen Lagerschuppen gemietet. Wir sollten es irgendwann mal prüfen.“ „Und was wolltest du mir zeigen?“, fragte Sam noch immer neugierig, denn das war es ja wohl nicht gewesen. Dean klappe die Karte herunter, ließ den Stammbaum wieder aufklappen und drehte den Rechner zu Sam. „Das ist ein Stammbaum“, stellte der Jüngere unnötigerweise fest und blickte fragend zu ihm. Er antwortete nicht. Sam sollte selbst sehen, wie tief sie in diesem ganzen Jägerleben steckten. Das Ganze hatte allerdings einen Haken. Jetzt standen beide Laptops vor Sam. Er rieb sich müde über die Augen und zog den Teller mit dem zermatschten Kuchen heran. Ohne Hast aß Dean ihn auf und spülte den Rest mit Kaffee hinunter. Und als hätte sich sein Magen durch dieses bisschen Essen auf seine eigentliche Aufgabe besonnen, knurrte der noch lauter. Er schnaufte leise, stand auf und streckte sich. Noch einmal rieb er sich die Augen. Kopfschmerzen hatten sich hinter seiner Stirn eingenistet. Wortlos nahm Dean ihr Geschirr und brachte es nach unten. „Setzt dich, ich bring dir gleich einen Teller“, sagte Ellen ohne ihn zu fragen, schließlich hatte der Junge immer Hunger! Er blickte sich um und entschied wieder nach oben zu gehen. Hier war es ihm zu voll und zu laut. Seine Kopfschmerzen nahmen zu. „Ellen ... kannst du für Sam auch ...“, begann er unsicher und deutete nach oben. Sie nickte. Ihr wäre es zwar lieber, wenn die Jungs hier unten wären, aber sie sah auch, dass es Dean nicht gut ging und er wohl wenig Wert auf weitere Gesellschaft legte. Sie drückte ihm ein Sixpack Bier in die Hand. „Nimm das schon mal mit, ich bringe euch gleich was zu essen“, sagte sie und nickte ihm aufmunternd zu. Er nickte nur und ging wieder nach oben. Hart ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und öffnete eine Flasche. Sam blickte bei dem vertrauten Geräusch auf und musterte seinen Bruder besorgt. Noch bevor Dean den ersten Schluck nehmen konnte, nahm er ihm die Flasche weg. „Du solltest schlafen.“ Dean starrte ihn wütend an. Er hatte doch wohl mehr als klar gemacht, dass er arbeiten wollte, dass er arbeiten musste. Doch Sam ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Er stand auf, holte eine Aspirin und Wasser und reichte seinem Bruder beides. „Ich passe auf dich auf.“ Der Ältere schnaubte nur, griff aber trotzdem nach der Tablette. Warum sollte er Sam nicht glauben? Der hatte schließlich bewiesen, dass er auch mal der große Bruder sein konnte, oder? Dean spülte die Tablette gerade herunter, als Ellen das Zimmer mit einem vollen Tablett betrat. Schnell klappte Sam ihre Rechner zu, schob die Notizen zusammen und machte so auf dem Tisch Platz. Schweigend aßen sie und als Dean fertig war legte er die Gabel nieder und starrte vor sich hin. Sollte er wirklich ins Bett gehen und die ganze Arbeit schon wieder Sam überlassen? Das hatte er meistens aber jetzt wollte er seine Gedanken beschäftigen. „Geh ins Bett, ich komm klar“, sagte Sam ruhig. Dean schüttelte den Kopf und bereute diese Bewegung sofort. Das Aspirin hatte ihre Wirkung noch nicht entfaltet. „Ich mach noch ein Bisschen weiter und leg mich dann auch hin“, versuchte Sam seine Entscheidung zu forcieren. Und tatsächlich nickte Dean, erhob sich und verschwand im Bad, bevor er zu seinem Bett ging. Er ließ sich darauf fallen und war, entgegen seiner Befürchtungen fast sofort eingeschlafen. Sam nahm sich seinen Laptop und ließ sich auf seinem Bett nieder. So konnte er Deans Schlaf besser bewachen und versuchen weiterhin herauszufinden, ob es ein Fall für sie war oder nicht. Müde streckte sich Sam und versuchte die verspannten Schultern zu lockern. Frustriert klappte er seinen Rechner zu und stand auf. Es war schlimmer als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ohne weitere Angaben war es schlicht unmöglich herauszufinden, ob es andere Opfer gab. Er konnte ja schlecht alle Seniorenheime in seine Suche mit einschließen. Enttäuscht fuhr er sich durch die Haare. Dass Dean immer wieder unruhig geworden war und er mehr auf ihn achtete, als sich auf seine Suche zu konzentrieren, machte es auch nicht leichter. Vielleicht sollte er sich einfacheren Dingen zuwenden und erst einmal mehr über das Heim in Erfahrung bringen? Wieder hörte er, wie sich Dean in seinem Bett herum warf. Er legte den Rechner weg und rutschte zum Bettrand. Mit zwei Schritten war er neben seinem Bruder und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er drückte etwas fester zu. „Dean?“, fragte er und versuchte ihn zu sich zu drehen. Fast sofort erwachte der Ältere, ließ sich auf den Rücken fallen und blinzelte verschlafen zu ihm hoch. Er hatte mal wieder von John geträumt, der sich mit Adam ein besseres leben suchen wollte und Sam und ihn allein zurück ließ. „Sammy?“, fragte Dean. Er setzte sich auf und rieb sich über das Gesicht. „Du hast schlecht geträumt.“ „Ich weiß. Hattest du wenigstens Erfolg bei der Suche?“ Sam schüttelte den Kopf. „Es ist zum Haare raufen. Ohne ein paar weitere Parameter finde ich alles und nichts! Ich müsste jeden Bewohner jedes Altersheimes prüfen und ...“ Er zuckte müde mit den Schultern. „Immerhin habe ich Einiges über das Heim in Erfahrung bringen können, oder auch nicht. Also es ist weder auf verfluchtem Grund erbaut worden oder auf einem Friedhof.“ „Also fischen wir weiterhin im Trüben?“ „Wir werden wohl nicht drum rum kommen, dahin zu fahren.“ „Hmpf“, schnaufte Dean noch immer wenig begeistert. Er streckte sich und stand auf. „Geh ins Bett, Sammy. Ich gehe noch die letzten Akten durch.“ „Du brauchst den Schlaf viel dringender als ich!“, protestierte der Jüngere. „Das soll unser letzter Fall werden. Danach kann ich mich ewig ausruhen“, konterte er prompt. „Du sollst dich nicht ewig ausruhen!“, schimpfte Sam, dem bei Deans Aussage das Herz in die Hose gerutscht war. Das klang verdammt nach sterben. Dabei waren sie bei ihrem Job doch jeden Tag in Gefahr. Gerade ihre letzten Fälle hatten ihm das wieder mehr als deutlich gemacht. „Ich ...“, begann der Jüngere und schüttelte dann den Kopf. „Wir gehen beide ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag und es ist mir zwar nicht Recht, wenn noch ein Mensch sterben würde, aber ich will das wir das Ganze überleben. Also werden wir jetzt beide schlafen!“, erklärte er schließlich und verschwand im Bad. Als er ins Zimmer zurückkam, stand Dean auf und ging auch noch einmal ins Bad. Sam starrte auf die Tür. Er nahm sich fest vor, dass sie nach diesem Fall in einen langen und wohlverdienten Urlaub fuhren, der das Konzert mit einschloss. Sein Bruder musste unbedingt aus diesem Leben raus, bevor doch noch ein Unglück passierte. Sie hatten es beide nicht verdient, wie ihr Dad zu enden! Erst als Dean sich wieder ins Bett gelegt hatte, machte auch er es sich bequemer und sank langsam in Morpheus Arme. Kapitel 72: Wieder auf der Straße --------------------------------- 72) Wieder auf der Straße Sam lauschte in den Raum. Alles war friedlich. Er streckte sich und schaute auf die Uhr. Es war noch recht früh, aber er fühlte sich ausgeschlafen, also schlug er die Decke zurück und setzte sich auf. Sein erster Blick galt seinem Bruder. Dean lag, halb unter der Decke vergraben und schlief ruhig. Zufrieden lächelnd stand er auf, zog Deans Decke etwas höher und verschwand im Bad. Nachdem er gefrühstückt und Ellen geholfen hatte das Roadhouse wieder auf Vordermann zu bringen, ließ er sich in ihrem Zimmer nieder und versuchte etwas mehr über die Altenheimbewohner herauszufinden. Träge streckte sich Dean. Er hatte den restlichen Teil der Nacht traumlos geschlafen, zumindest konnte er sich nicht erinnern geträumt zu haben, was auch schon ein Fortschritt war. Vielleicht auch, weil er Sam neben sich wusste. Wie sollte das denn werden, wenn sie wirklich ausstiegen und ein normales Leben führten? Sie würden doch nicht für immer in einem Zimmer wohnen, in einem Zimmer schlafen? Selbst wenn sie bei Bobby waren brauchte er ein paar Nächte um ruhig durchschlafen zu können und da war das Haus sicher! Er verschob diese Überlegungen auf später und setzte sich auf. „Hey“, grüßte Sam leise und blickte seinem Bruder fragend entgegen. Hatte der gut geschlafen? Dean beantwortete diese Frage weder bewusst noch unbewusst. Leise grummelnd ging er ins Bad. Als er den Raum wieder betrat, streifte sein Blick kurz über seinen Bruder und dann ließ er sich auf dem Stuhl gegenüber Sam fallen. Über dessen Gesicht huschte ein Lächeln. Dean reagierte, zumindest jetzt, ganz normal. Diese wenigen Minuten wollte er für sie festhalten. Sein Bruder war noch lange nicht wieder mit sich und der Welt im Reinen. „Ich hab auf der Internetseite des Altenheimes gesehen, dass sie Leute suchen und ich habe Bobby von unserem Fall erzählt. Er hat Jody gefragt und sie stimmte zu, uns ebenfalls als Referenzperson zur Verfügung zu stehen. Er meinte wir sollen die Nummer von Homeland für ihn und die von FBI für Jody angeben. Also hab ich unsere Bewerbungen gleich losgeschickt“, erzählte er, nachdem Dean seinen zweiten Kaffee getrunken hatte und somit für weitreichendere Informationen aufnahmefähig war. „Ich soll dich grüßen.“ Dean nickte und starrte ihn irritiert fragend über den Rand seiner Tasse an. Schnell warf er einen Blick auf seine Uhr. Wie lange hatte er geschlafen? „Du bist noch voll im Rahmen“, grinste Sam, der den Blick sehr wohl verstanden hatte. „Ich war früh wach.“ Resigniert verdrehte Dean die Augen und trank den letzten Schluck Kaffee aus, und Sam füllte ihre Tassen nach. Er hatte nach dem Frühstück eine Kanne des Muntermachers mit nach oben gebracht. Hier hatte er mehr Ruhe für seine Recherchen und Dean im Blick. Auch wenn der den Rest der Nacht ruhig geschlafen hatte, wollte er es nicht riskieren nicht für ihn da zu sein, wenn die Albträume doch noch zuschlagen sollten, was sie aber zum Glück nicht getan hatten. „Bobby wollte wissen, ob wir Weihnachten wieder bei ihm feiern wollen. Natürlich weiß er, dass es noch eine halbe Ewigkeit bis dahin ist, aber da wir nach dem Fall ja nach El Paso wollten und danach Urlaub am Grand Canyon planen, wäre Weihnachten ja nicht mehr weit.“ „Und Jody?“, fragte Dean etwas heiser. „Sie will sich erst einmal eine eigene Wohnung suchen. Gegenüber des Reviers stehen Apartmenthäuser und da ist eigentlich immer was frei.“ „Wie steht Bobby denn zu dem Plan?“ „Sehr begeistert scheint er nicht zu sein. Er mag sie und er findet es gut, wenn sie im Haus ist. Er meint, dass es ganz schön einsam sei, seit wir wieder weg sind. Aber er kann verstehen, dass sie erst mal selbstständig sein will. Außerdem bringen ihnen viele ihrer Mitbürger noch immer Argwohn und Missgunst entgegen. So können sie denen vielleicht den Wind aus den Segeln nehmen und Jody kann herausfinden, was ihr wirklich wichtig ist und wie sie zu dem alten Brummbären steht.“ Dean legte den Kopf schief. „Zwischen den beiden knistert es, aber sie wollen es nicht zugeben. Noch nicht, jedenfalls. Da sind wir Weihnachten wohl gefragt.“ Jetzt grinste Dean breit und wackelte mit den Augenbrauen. War ja klar, dass er darauf ansprang, überlegte Sam. Schnell wurde der Blick seines Bruders jedoch wieder ernst. „Wenn es wirklich etwas Übernatürliches ist, was meinst du, ist es?“, begann Sam zusammenhanglos. „Ein Geist.“ „Wie soll ein Geist denn so weit entfernte Menschen töten können?“, fragte Sam ungläubig. „Geisterkrankheit?“ „Es gibt eine Geisterkrankheit?“ „Hab bei Bobby mal sowas mitbekommen. Sie wird von Geistern übertragen und die Menschen sterben dann so, wie der Geist gestorben ist.“ „Dann haben wir hier allerdings ein Problem. Ich habe alle Opfer überprüft. Sie sind an allem Möglichen gestorben. Also entweder sind es dann etliche Geister oder es ist etwas anderes.“ Im Stillen nahm er sich vor mehr zu diesem Phänomen zu recherchieren. Es ging ja wohl nicht an, dass Dean mehr wusste als er! Eigentlich waren diese Gedanken Schwachsinn. Dean wusste viele Dinge, von denen er keine Ahnung hatte, aber es interessierte ihn schon, was das für eine Krankheit war und wie die sich äußerte. „Na super“, stöhnte Dean. Damit war eine Theorie vom Tisch. Er erhob sich. „Willst du auch was zu essen?“ „Ich hab zwar schon gefrühstückt, aber ich komme mit runter und leiste dir Gesellschaft.“ Sam klappte seinen Rechner zu und ging noch einmal ins Bad, bevor er seinem Bruder in den Schankraum folgte. „Morgen brechen wir auf“, erklärte Dean als Ellen ihm seinen Teller brachte und schaute sie offen an. „Wir haben dir lange genug auf der Tasche gelegen.“ „Ihr liegt mir nicht auf der Tasche“, wies sie diese Behauptung sofort entrüstet von sich. „Wir haben einen Fall“, versuchte er die Wogen ein wenig zu glätten. „Bist du schon so weit?“ Besorgt wanderte ihr Blick über den Winchester. „Ich denke schon“, antwortete er leise. Es gab eine Zeit da hätte er sie bei so einer Frage wohl wütend angefahren, aber inzwischen hatte sich so viel geändert. Im Moment wünschte er sich nur John so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Aber das war wohl nicht machbar. „Du musst es ja wissen, Dean. Aber ich bitte dich, mute dir nicht zu viel zu. Du musst nicht immer stark sein!“ Der Winchester nickte nur und würgte den Kloß herunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. Warum waren eigentlich wildfremde Menschen so nett zu ihm und sein eigener Vater ... Er wandte sich ab. Sie sollte die Tränen nicht sehen, die sich in seine Augen drängten. Sam kam gerade die letzten Stufen herunter und sah die verspannte Haltung seines Bruders. Sofort folgte er Ellen in die Küche. „Was hast du ihm gesagt?“, wollte er beunruhigt wissen. „Warum? Nichts weiter“, erklärte sie verwirrt. „So wie er da sitzt kann es nicht Nichts gewesen sein!“, hakte Sam nach. Verwundert blickte Ellen den Winchester an. „Ich hab ihn nur gefragt, ob er wirklich schon so weit wäre, einen neuen Fall zu übernehmen.“ Jetzt schüttelte auch Sam irritiert den Kopf. „Mehr nicht?“ „Nein. Ich habe ihm nur gesagt, dass er nicht immer stark sein muss.“ Sam nickte traurig. Das war es also! Er wandte sich ab und ging zu seinem Bruder an die Theke. Ellen hatte ihm zwar gesagt was passiert war, aber so, wie es Dean in den letzten Wochen ging, wollte er das lieber sofort klären. Er setzte sich neben ihn. „Ich bin für dich da, egal was ist", sagte Sam leise und legte seine Hand auf Deans geballte Faust. Geräuschvoll entließ Dean die Luft aus seinen Lungen. Er schüttelte den Kopf, rieb sich über die Augen und starrte wieder zur Tür. „Ich frage mich immer wieder, warum sich für uns eigentlich wildfremde Menschen so um uns sorgen, unser eigener Vater seine Zeit aber lieber mit einem anderen Kind verbracht hat und wir ihm scheißegal gewesen zu sein scheinen.“ Sam nickte nur traurig. „Jo, Ellen und Bobby sind Freunde, keine fremden, aber ich verstehe, was du meinst und deine Frage kann ich dir leider auch nicht beantworten“, wisperte er. Er hatte sich diese Frage nie so gestellt, weil er sich schon zeitig von ihren Dad distanziert und sich eigene Freunde gesucht hatte. Aber Dean war immer nur auf ihn fixiert gewesen. Wie konnte Dad nur so grausam gewesen sein? „Ich wünschte, ich könnte ihn einfach vergessen!“, sagte Dean und griff über die Theke. Er brauchte jetzt mehr, als nur einen Kaffee. Sam schaute zu, wie Dean das Bier in einem Zug leerte. War es wirklich richtig, ihn schon wieder arbeiten zu lassen? Sein Bruder war doch emotional noch viel zu anfällig. Konnte der dann rational sein? Andererseits würde Dean wohl durchdrehen, oder dem Alkohol verfallen, wenn er noch länger die Füße still halten müsste. Er verdrehte die Augen und nahm sich vor, seinen Bruder genau zu beobachten. In Ruhe begann er zu essen und hoffte, Dean von einer Sauforgie abhalten zu können. Überraschenderweise gelang ihm das schon fast problemlos. Suchend hatte er sich umgeschaut. Noch waren nicht viele Jäger da und der Billardtisch leer. „Wie wäre es mit einem Spiel?“, fragte er seinen großen Bruder und ließ seine Augen wieder zu dem Tisch wandern. Dean wollte ablehnen. Er wollte nicht spielen, er wollte John aus seinem Gedächtnis löschen, aber mal abgesehen davon, dass es wohl nicht so viel Alkohol gab und ihn weder Ellen noch Sam so viel trinken lassen würden, er wollte auch den Fall! Wenn er sich jetzt ins Koma soff, würden sie hier morgen nicht wegkommen. Ergeben nickte er und so spielten die Brüder, bis ein paar jugendliche Möchtegernjäger meinten ihnen Geld abnehmen zu können. Ellen blickte immer mal wieder zu den Brüdern hinüber und lächelte leise. Diese Kinder hatten keine Chance gegen die Brüder und Deans Wettkampfgeist war geweckt worden. Das Glück am Billardtisch schien hin und her zu wechseln, doch letztendlich erleichterte Dean seine Gegner um einige größere Scheine. Sam klappte seinen Rechner zu und schaute auf die vorbeifliegende Landschaft. Trotzdem sie am vergangenen Abend nicht gerade wenig getrunken hatten, waren sie relativ zeitig von Ellen weggekommen, nicht natürlich ohne zum Abschied fest in den Arm genommen und ermahnt worden zu sein, dass sie vorsichtig sein und aufeinander aufpassen sollen und genau das hatte sich Sam vorgenommen. Noch immer musste er bei dem Gedanken an Ellens Worte daran lächeln. Vor allem Deans Schmollschnute und die kaum hörbare Bemerkung, dass er das ja wohl immer täte und Ellens Antwort, dass er auch auf sich und nicht nur auf Sam achten solle, ließen diese Erinnerung noch schöner werden. „Wo sind wir?“, wollte er leise wissen. „Ein ganzes Stück hinter Denver.“ „Willst du durchfahren?“ Dean zuckte mit den Schultern und schaute zu seinem Beifahrer. Irgendetwas schien ihm zu schaffen zu machen, doch er konnte beim besten Willen nicht ergründen, was. „Woran denkst du?", fragte der deshalb. Dean legte den Kopf schief. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, in dem Heim zu ermitteln. Ich meine wir als Pfleger? Wir haben doch gar keine Ahnung! Was ist, wenn wir Medikamente verabreichen müssen? Wir können uns versorgen, aber darüber hinaus haben wir keine medizinischen Kenntnisse!“ Sam nickte erleichtert. Sein Großer hatte sich wirklich Gedanken gemacht, während er versuchte noch mehr über die jetzigen Bewohner und ihre verstorbenen Angehörigen herauszufinden. „Willst du lieber von außen ermitteln?“, fragte er leise. „Und wie?“ „Wir könnten mal wieder die Gesundheitsbehörde raushängen lassen. Es gäbe anonyme Anzeigen denen wir nachgehen müssten.“ „Nein. Das … Keine Ahnung, Sam. Es fühlt sich falsch an." Wieder nickte Sam und dachte eine Weile nach, ohne jedoch zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. „Lass uns da hinfahren und dann sehen wir weiter. Mal sehen, wie und wann unserer Bewerbungen ankommen. Vielleicht nehmen sie ja einen von uns, das würde die Ermittlungen leichter machen. Und der andere macht den Rest von außerhalb.“ Dean nickte, aber Sam konnte sehen, dass sich sein Bruder auch mit diesem Gedanken nicht so richtig anfreunden konnte. „Wird schon schief gehen“, versuchte er die Stimmung etwas aufzulockern. „Ich fühle mich einfach unwohl dabei. Wir haben noch nie so mit Menschen zu tun gehabt. Ich will einfach niemanden verletzen, weil ich für diese Art der Pflege nicht der Richtige bin", versuchte Dean zu erklären. 'Nicht bei unserem letzten Fall', fügte er in Gedanken an. Er schüttelte den Kopf, um diese Gedanken los zu werden. Er hätte den Fall ja ablehnen können. Wortlos wandte er sich wieder der Straße zu. Er war sich zwar noch immer nicht sicher, aber er konnte es nicht mehr ändern. Zu sehr hatten sie sich schon darin verbissen. Einen neuen Fall zu finden würde Zeit kosten, Zeit, die er nicht verschwenden wollte. Er brauchte jetzt etwas zu tun, etwas, das nicht nur Recherche war. Kapitel 73: Der erste Tag ------------------------- 73) Der erste Tag „Hast du denn schon raus wie viele Opfer es nun genau gab und woran die gestorben sind?“, zwang er seine Gedanken wieder auf das Wesentliche. „In den letzten vier Monaten gab es zehn Opfer, zumindest hab ich nicht mehr gefunden. Betroffen sind die Heimbewohner Elisabeth Hall, Sam Frost, Naomi Mendes, Jeremy Harland, Rory Bonar, Ralph Harris und Hellen Wishaw. Sie alle haben Tochter oder Sohn und zum Teil auch Schwiegerkinder durch die unterschiedlichsten Todesarten verloren. Die Todesursachen reichen von Lungenembolie bis hin zu allergischem Schock. Herzversagen, Gehirnschlag, ein Verkehrsunfall, bei dem zwei Personen starben, ein Sturz aus dem Fenster und ein Selbstmord. Die Angehörigen arbeiteten in unterschiedliche Jobs und lebten in kilometerweit entfernten Städten. Ein paar in der Nähe, einer aber auch in LA.“ Dean schüttelte den Kopf. Das klang wirklich nicht nach einer Geisterkrankheit. Doch was dann? Wieder begann er eine Liste mit möglichen Schuldigen zu erstellen, und die war lang. Hexen, Flüche, Dämonen? Selbst Wechselbälger nahm er in die Liste mit auf, obwohl sich ihm schon alleine bei dem Gedanken daran die Nackenhaare sträubten. Und auch Geister wollte er noch nicht gänzlich ausschließen. Gut, dass er sich nicht wirklich darauf konzentrieren musste, seine schwarze Schönheit gefahrlos über die Straßen zu lenken, so konnte er auch weiterhin seinen Gedanken nachhängen. Kurz vor Mitternacht lenkte er den Impala auf den Parkplatz eines Motels in Pagosa Springs. Es war nicht allzu weit von dem Altenheim entfernt, in dem sie arbeiten mussten, aber weit genug weg, damit sie nicht zu schnell entdeckt werden konnten. „Meinst du hier ist noch einer wach?“, wollte Sam wissen und streckte sich. Er hatte die letzten Stunden geschlafen und wieder einmal wunderte er sich, wie einfach es für Dean zu sein schien stundenlang durchzufahren. „Da steht 24-Stunden-Service an der Tafel. Wir werden nicht im Impala schlafen oder willst du morgen vollkommen verspannt und zerknautscht bei dem Vorstellungsgespräch auftauchen? Obwohl? Ich bin noch immer nicht davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, egal wer da arbeiten wird.“ „Ich verstehe deine Vorbehalte. Aber ich denke wir müssen da rein. Wie willst du denn mit den Bewohnern sprechen, wenn wir nichts mit ihnen zu tun haben?“ Dean atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Es fühlte sich noch immer falsch an, aber er konnte Sams Argumente nicht widerlegen. Und er hatte keine Idee, wie es anders ginge. Also musste er sich wohl oder übel fügen. „Ich geh uns ein Zimmer suchen!“, sagte der Ältere und ging zur Rezeption. Es dauerte eine Weile, bis Dean wiederkam. Er sah müde aus, aber er hielt einen Schlüssel in der Hand. „Musstest du ihn aus dem Bett klingeln?“, fragte Sam und grinste leicht, doch das verging ihm, als Dean nur die Augen verdrehte. „Ganz hinten“, sagte er nur und rutschte wieder auf den Fahrersitz. „Wir können vor dem Zimmer parken“, erklärte er und ließ dem Motor zum Leben erwachen. Sam schüttelte nur den Kopf. Das Stück konnte er laufen. Wenige Minuten nach Dean betrat er den Raum und schaute sich um. Das Zimmer war sauber und es roch nicht so schlimm wie viele andere Zimmer, in denen sie schon gewohnt hatten. Dean lag auf dem Rücken auf seinem Bett und starrte Löcher in die Decke. Er packte seine Tasche aus. Immer wieder huschte sein Blick zu seinem Bruder. „Du solltest schlafen.“ „Und du?“, fragte Dean. Er setzte sich auf. „Ich hab im Impala geschlafen, ich will noch recherchieren.“ „Ich kann dich nicht die ganze Arbeit machen lassen.“ „Warum nicht, ich hab dich doch auch alleine fahren lassen!“ „Ich fahre immer alleine!“ Dean grinste schief. „Und ich hab so oft alleine recherchiert, einmal mehr fällt da nicht auf.“ „Aber ich will nicht, dass du alles alleine machst!“ „Ich brauch dich morgen ausgeruht. Egal, ob wir oder du oder ich genommen werden. Wir sollten fit sein!“ Dean zuckte mit den Schultern, stand auf und verschwand im Bad. Er war müde genug, um einzuschlafen, kaum dass er im Bett lag. Sam surfte noch eine Weile durch das Netz und fand einiges über die Altenpflege, das ihnen vielleicht helfen konnte und er versuchte sich einen besseren Überblick über das Heim zu machen, in dem sie vielleicht bald anfangen würden. Als Dean am nächsten Tag aufstand, war Sam schon wieder auf. Sofort stellte er seinem großen Bruder eine Tasse Kaffee hin und drehte, nachdem Dean die zweite Tasse geleert hatte, seinen Rechner zu ihm. „Hier. Ich hab einige Videos gefunden, die sich mit Altenpflege und Medikamentengabe beschäftigen.“ Er drückte auf abspielen und ging ins Bad. Stunden später verließen sie ihr Zimmer und fuhren zu dem Altenheim. Eine paar Straßen davon entfernt lenkte Dean den Impala an den Straßenrand. „Viel Glück“, wünschte Sam und öffnete seine Tür. Er wollte das letzte Stück laufen, damit sie nicht gemeinsam am Heim ankamen. Das könnte verdächtig wirken. Immerhin wollten er und sein Bruder, für die Menschen im Heim, ja als völlig Fremde wirken. Dean schaute ihn überlegend an. „Dir auch“, antwortete er lediglich, obwohl ihm wesentlich mehr auf dem Herzen lag. Viel gebracht hatten die Filmchen nicht, aber immerhin kam er sich jetzt nicht mehr ganz so blöd vor. Sam nickte, holte tief Luft und schloss die Tür. Auch er wollte ihm so viel sagen, doch er schwieg. Sein Bruder hatte sich von dem letzten Anschlag auf sein Seelenleben noch nicht vollständig erholt, auch wenn er wieder normal mit ihm sprach. Deans Augen waren noch immer mit Trauer gefüllt und wenn er daran dachte, dass der ihm anvertraut hatte, dass er sich nach Moms Tod manchmal gewünscht hatte, Dad und nicht Mom wäre gestorben, so ging er fast davon aus, dass sein Bruder auch noch mit diesem Wunsch kämpfte. Sie mussten wirklich aus diesem Leben raus und endlich eine feste Basis finden, die nichts mehr mit dem zu tun hatte, was John ihnen beigebracht hatte. Er hoffte, dass er Dean in den nächsten Tagen eine kleine Freude machen konnte. Das Foto, das sein Großer zerrissen hatte, war inzwischen fast fertig. Dad hatte er komplett wegretuschieren können. Jetzt brauchte er eigentlich nur noch einen Copyshop, der solche Fotos auf alt trimmen und wieder als Foto ausdrucken konnte. Außerdem wollte er es, natürlich auch ohne John, groß ausdrucken und für die Wand in Deans Zimmer rahmen lassen. Solche Erinnerungen wollte er erhalten wissen. Unschlüssig, ob er noch ein paar Runden drehen oder doch schon zu dem Heim fahren sollte, wartete Dean an einer Ampel. Andererseits, was sollte es, war er eben früher da. Er setzte den Blinker und lenkte den Impala auf den Parkplatz. Er angelte sich die Bewerbungsunterlagen von Rücksitz, stieg aus und zog sich seinen Anzug glatt. Langsam ging er auf den Komplex zu. Eine ältere Dame kam, auf ihren Stock gestützt, auf ihn zu. „Entschuldigung, Ma‘am. Ich suche Dr. Fuller“, erkundigte sich Dean bei ihr. „Der alte Geizkragen hat sein Büro, da hinten.“ Sie deutete mit ihrem Stock wage in eine Richtung. „Wenn du reingehst links, den Gang runter. Das kannst du nicht verfehlen.“ „Danke, Ma’am.“ Der Winchester nickte freundlich und ging weiter auf das Gebäude zu. Er betrat die Eingangshalle und wandte sich nach links. Ein älterer Herr im Anzug kam ihm entgegen. Kurz musterte der den Winchester und streckte ihm dann freundlich lächelnd die Hand entgegen. „Mr. Carpender? Ich bin Dr. Fuller. Sie können gleich mitkommen.“ „Guten Tag. Mein Name ist Smith. Ich bin etwas zu früh.“ „Oh. Das macht nichts. Kommen Sie trotzdem mit rein. Fangen wir eben mit Ihnen an.“ Der Mann wandte sich wieder um und ging zu seinem Büro zurück. „Lana, wären Sie so nett, uns einen Kaffee zu bringen? Und sagen Sie Mr. Carpender bitte, er möge sich etwas gedulden.“ Die Sekretärin nickte und erhob sich. „Kommen Sie“, sagte Dr. Fuller und deutete auf einen Stuhl in seinem Büro. „Setzen Sie sich.“ „Ihren Unterlagen entnehme ich, dass Sie schon in der Altenpflege gearbeitet haben. Warum haben Sie da aufgehört?“ „Ich wollte mich verändern“, antwortete Dean wage. Lana trat nach einem kurzen Klopfen ein und stellte zwei Tasse Kaffee auf den Schreibtisch. „Mr. Carpender ist ebenfalls eingetroffen“, informierte sie leise. „Sehr pünktlich, die Herren, sehr schön!“ Während die Sekretärin das Büro verließ, nahm Dr. Fuller einen Schluck und blätterte in Deans Bewerbungsmappe. „Gutes Pflegepersonal ist nicht leicht zu finden. Ich habe mich bei Ihrem letzten Arbeitgeber erkundigt. Er war von Ihnen begeistert und da ich im Moment einen eklatanten Engpass beim Personal beseitigen muss, betrachten Sie sich als eingestellt. Wenn Sie draußen warten könnten, während ich mit ihrem Mitbewerber spreche?“ Dean griff nach seiner Tasse und begann sie auszutrinken. „Lassen Sie sich um Gottes Willen Zeit“, bremste ihn Fuller. „Oh, tut mir leid, wenn ich sie so hektisch abgefertigt habe. Trinken Sie ihren Kaffee in Ruhe aus. In den ganzen Tag ist heute irgendwie der Wurm drin. Wir haben ein kleines Problem in der Küche, aber das soll Sie nicht belasten“, versuchte er sich zu entschuldigen und nahm seine Tasse wieder in die Hand. Gemächlich trank auch er einen Schluck und versuchte sich etwas zu entspannen. Der Winchester grinste. So schlimm, wie die ältere Dame ihn beschrieben hatte, war der doch gar nicht! Er trank den Kaffee langsam aus und erhob sich. „Wenn Sie draußen bitte noch warten würden? Ich möchte Sie gleich noch mit Ihrer Station vertraut machen“, bat der Heimleiter und Dean nickte. Im Sekretariat standen sich die Brüder kurz gegenüber. Mit einem schnellen Blick informierte Dean den Jüngeren, dass er angenommen worden war und ging nach draußen auf den Flur. Unruhig lief er auf und ab. Warum hatte der Leiter des Altenheimes ihn sofort genommen, ohne Sam vorher anzuhören? Vielleicht wäre der ja besser geeignet, die Videos haben alles und nichts erklärt. Bestimmt war Sam besser geeignet. Was sollte er mit den alten Leuten denn machen? Altenpflege. Er hatte sich ja noch nicht mal mit seinem eigenen Älterwerden befasst. Wieso auch. Bislang hatte er auch nicht damit gerechnet, überhaupt viel älter zu werden. Aber jetzt schien sie ja doch ein normales Leben zu erwarten. Ob es wirklich dazu kam? So ganz wollte er noch nicht daran glauben. Bis jetzt war noch immer etwas dazwischen gekommen. Es war eine verdammte Schnapsidee gewesen, hier anfangen zu wollen! Die Tür des Sekretariats öffnete sich und Dr. Fuller trat mit Sam auf den Gang. „Mr. Smith, das ist Mr. Carpender, ihr neuer Kollege“, stellte der die Brüder einander vor. „Hey“, grüßte Dean leise. Sam antwortete mit einem Nicken. „Ich begleite sie jetzt zu Aidan Wether-Worthington, er soll Miss Damon unterstützen. Sie Beide werden die Spätschicht auf der Station vier übernehmen, die bislang in Mr. Wether-Worthingtons Verantwortung lag. Wir haben hier ein eigenes System. Lana wird ihnen gleich noch hren Arbeitsplan mitgeben. Sie können doch sofort anfangen?“ Die Brüder nickten unisono. „Gut. Dann übernehmen sie ab morgen die Spätschicht. Wir haben hier sieben Stationen. Zwei Pflegestationen, vier Stationen, die eher dem betreuten Wohnen entsprechen als einem Altenheim und eine Intensivstation. Station vier ist eine der Stationen für betreutes Wohnen. Diese Bewohner kümmern sich noch größtenteils selbst. Nur das Essen gibt es für alle aus unserer Kantine“, erklärte der Heimleiter hastig. „Ihre Station befindet sich im Obergeschoss.“ Dr. Fuller ging zur Treppe und eilte voraus. Er klopfte gleich darauf an eine Tür mit der Aufschrift „Büro Station 4“ Ohne auf eine Antwort zu warten trat er ein. „Aidan, das sind die Herren Carpender und Smith, die deinen Bereich übernehmen sollen. Weise sie bitte ein und ab morgen bist du dann bei Christine.“ „Alles klar. Danke“, erwiderte der Pfleger und wartete bis sein Chef das kleine Büro verlassen hatte, bis er ein „Ich kann es kaum erwarten dieses alte, senile Pack hinter mir zu lassen“, nuschelte. Ein unfreundliches Schräpen ertönte und auf einer Tafel blinkte ein kleines rotes Lämpchen. „Nichts gegen euch, aber mit denen werdet ihr keine Freude haben. Die glucken den ganzen Tag in ihren Zimmern, giften euch nur an, wenn ihr deren Räume betretet und können euch gar nicht schnell genug wieder los werden. Das ist nicht unbedingt der beste Einstieg hier. Aber da mussten alle durch. Ich mach das schon zum zweiten Mal. Also viel Glück! Ich geb euch einen Plan mit, auf dem alles steht, was ihr wissen müsst. Seid morgen etwas eher da, dann führe ich euch kurz rum.“ Er kramte hastig in seinen Mappen, die auf den Schreibtisch verstreut lagen und reichte eine an Sam weiter. „Mach eine Kopie und gib sie ihm“, er deutete auf Dean. „Der Kopierer steht da hinten.“ Er wedelte mit dem Arm in eine Richtung. Das schien hier wohl üblich zu sein, überlegte Dean. „Bis morgen um eins“, verabschiedete er sich noch und verschwand aus dem kleinen Raum. „Hier müsste mal aufgeräumt und gelüftet werden“, kommentierte Sam und ging pflichtbewusst die Unterlagen kopieren. Der ältere Winchester wartete im Foyer bis Sam zurückkam und ihm einen Stapel Papier in die Hand drückte. „Ich bin Deacon“, sagte er und reichte Sam die Hand. „James.“ „Hallo James. Kann ich dich zu einem Kaffee einladen? Immerhin sind wie jetzt wohl Kollegen.“ Er ging langsam auf den Impala zu. „Gerne. Ist immer gut, die Leidensgenossen schon vorher zu kennen.“ Gemeinsam stiegen sie in den Wagen und Dean lenkte ihn vom Parkplatz. Kapitel 74: "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" --------------------------------------------- 74) "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" „Und was denkst du?“, wollte Dean wissen. „Dieser Fuller scheint ganz okay zu sein. Was ich von dem Wether-Worthington halten soll, weiß ich allerdings nicht.“ „Geht mir genauso. Blöd finde ich nur, dass die uns beide genommen haben. Da können wir die auswärtigen Ermittlungen wohl vorerst vergessen.“ „Erst mal konzentrieren wir uns auf das Heim. Wenn wir hier nichts rausbekommen, machen wir draußen weiter.“ „Oder wir versuchen heute noch einige Erkundigungen einzuholen“, überlegte Dean ruhig. „Und das aus deinem Mund. Bist du noch mein Bruder?“, konnte sich Sam nicht beherrschen zu fragen. „Ich habe mich bislang noch nicht einmal mit dem Alter beschäftigt, weil Jäger eben nur sehr selten alt werden ...", begann er ehrlich und schüttelte den Kopf. „Ich möchte den Fall so schnell wie möglich abschließen, bevor wir trotz der Videos noch jemanden aus Unkenntnis töten.“ Sam nickte. Er fand es ja richtig, dass Dean sich Sorgen um die alten Menschen hier machte, aber sie mussten auch diesen mysteriösen Todesfällen nachgehen. „Lass uns was essen fahren und dann versuche ich mal das Internet zu quälen.“ Sam grinste. „Vielleicht spuckt es ja was über das Grundstück und das Haus aus, was wir noch nicht wissen.“ Dean nickte. „Du quälst das Internet schon seit Tagen, ohne noch weitere Informationen zu Tage zu fördern. Ich denke es wird uns auch jetzt nicht weiter helfen. Such du besser in der Bibliothek und ich fahre ins Grundbuchamt.“ Überrascht starrte Sam seinen Bruder an. Dass er sich für eine solche Suche anbot, hätte er nicht erwartet. Andererseits, war ihm wahrscheinlich jede Ablenkung recht, bei der er nicht über sein Dilemma nachdenken musste und er nahm sich vor, nicht nur auf die alten Leute hier zu auchten. „Okay, dann los“, stimmte er diesem Vorschlag zu. „In dem Archiv holt man sich ´ne Staublunge“, schimpfte Dean und kippte sich sein Bier hinter die Binde. Sie waren gerade erst wieder in ihr Motel zurückgekommen und während Sam das Essen auf Teller verteilte, wollte der Ältere das Bier in den Kühlschrank stellen. Doch zuvor hatte er sich eine Flasche aus dem Sixpack genommen und zur Hälfte geleert. „Hat es sich wenigstens gelohnt, dass du demnächst an Staublunge sterben wirst?“, stichelte Sam gutmütig. „Je nachdem, wie du es sehen willst. Soweit ich die Akten zurückverfolgen konnte, ist das Grundstück sauber. Du hattest also Recht.“ Dean öffnete eine weitere Flasche, stellte sie vor Sam und fragte. „Und bei dir?“ „Ich hab auch nichts gefunden, was uns weiterhelfen kann. Das Problem scheint wohl wirklich im Heim zu liegen.“ „Na dann, auf zum Smarties verteilen.“ „Sieh es doch nicht so schwarz. Vielleicht sind die Leute ja ganz nett.“ „Du meinst, dieser Wether-Dingenskirchen labert nur Müll?“ „Der eine mag die Menschen und sie ihn, der andern nicht“, antwortete Sam kryptisch. „Na dann haben wir ja die allerbesten Chancen!“ „Lass dich überraschen! Du kannst mit Kindern umgehen, warum dann nicht auch mit Rentnern?“ „Ist ja fast dasselbe!" Sam verdrehte die Augen. Erst stürzte sich Dean auf den Fall und dann machte er einen mentalen Rückzieher. So ganz konnte er das nicht nachvollziehen. Aber vielleicht war es ja auch Ausdruck von Deans innerer Zerrissenheit. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht so recht, was er wollte und er nahm sich noch einmal vor, gut auf ihn zu achten. Nach dem Essen verzog Dean sich auf sein Bett und begann die Blätter zu lesen, die Sam ihm in dem Heim kopiert hatte. Schließlich wollte er da nicht vollkommen unvorbereitet beginnen. Auch Sam versenkte sich in die Akten. „Immerhin sind von den acht Hinterbliebenen fünf auf unserer Station“, stellte der ruhig fest. „Ich hoffe, das hilft uns weiter“, ließ sich Dean vernehmen und dann senkte sich einvernehmliches Schweigen über das Zimmer. Es hielt an, bis sie zu Bett gingen und auch am nächsten Morgen sprachen sie kaum miteinander. Pünktlich ein Uhr am Nachmittag standen die Brüder vor der Tür des Büros für Station vier und klopften. „Hallo! Gut, dass ihr da seid. Kommt gleich mal mit. Wir machen einen Rundgang durchs Haus und ihr bekommt eure Arbeitskleidung“, begrüßte Aidan Wether-Worthington sie ungeduldig. ‚Und ich kann hier verschwinden‘, fügte er in Gedanken hinzu. Die Winchesters warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Aus irgendeinem Grund konnte der Typ dieser Station wohl nicht schnell genug den Rücken kehren. Ohne darauf zu achten, ob sie ihm folgten, flitzte der Wether-Worthington durch die Gänge. „Hier ist der Speiseraum. Der Tisch für eure Station ist ganz rechts an der Wand. Aber ich bezweifle, dass ihr den decken müsst. Die wollen ihr Futter immer in ihre Zimmern gebracht haben. Frühstück ist um acht, Mittag um eins. Das hab ich gerade verteilt. Kaffee gibt’s um vier und Abendbrot zwischen sieben und acht. Mittag suchen die sich jeweils freitags für die ganze Woche aus, Frühstück, Kaffee und Abendbrot gibt es als Buffet. Aber da die nicht hingehen, müsst ihr entweder fragen, was die wollen und es ihnen holen, oder ihr macht es wie ich und stellt denen einfach was zusammen. Ist eh falsch, egal was ihr macht.“ Die Brüder warfen sich einen fragend irritierten Blick zu. So wie der über seine Schutzbefohlenen sprach, würden sie wohl auch lieber in ihrem Zimmer bleiben. „Ihr habt Pause, wenn die mit Essen fertig und wieder in ihren Zimmern sind. Der Raum für euch ist da hinten. Danach könnt ihr die bespaßen, wenn die euch denn lassen.“ Er hetzte weiter. „Hier hinten sind die Umkleideräume. Klamotten bekommt ihr auch hier. Meldet euch bei Lana, sie wird die passenden Sachen für euch raussuchen.“ Schnell wandte er sich wieder um und rannte fast zu seinem Büro zurück. Kaum war er da, zog er einen Karteikasten aus einem Schrankfach und stellte den heftiger als notwendig auf den Tisch. „Das sind die Patientenakten. Hier steht eigentlich alles Wichtige drin, aber das Meiste hab ihr ja gestern schon bekommen.“ Er fummelte noch schnell seine Stationsschlüssel vom Bund und warf sie Sam zu, bevor er mit einem mehr als erleichterten Seufzen zur Tür ging. „Ach, das hätte ich ja fast vergessen. Die Medikamente für die Alten holt ihr vor jeder Mahlzeit in der Apotheke, die machen sie euch fertig. Und passt auf, dass sie die auch nehmen. Manches sind Psychopharmaka. Wenn sie die horten können sie die gut für einen Selbstmord nutzen und das würde mächtig Ärger geben.“ Wether-Worthington grinste breit. „Dann wünsch ich euch viel Spaß auf dieser Horrorstation!“, sagte er noch und warf die Tür hinter sich zu. Sollten sie doch sehen, wie sie mit denen klar kamen. Etwas ratlos schauten sich die Brüder in die Augen. „Und jetzt?“, wollte Dean leise wissen. Er war sich fast sicher, dass sie hier mächtige Probleme bekommen würden und nicht mit Hilfe seitens der Bewohner rechnen konnten. Wenigstens das Problem mit den Medikamenten hatte sich in Luft aufgelöst. „Ich hole uns die schicken Kittel und du dein EMF.“ Sam lächelte aufmunternd und der Ältere nickte ergeben. „Wie teilen wir die Arbeit auf?“, wollte Sam wissen, nachdem sie ihre normale Kleidung gegen ein blaues T-Shirt und weiße Hosen getauscht hatten. „Keine Ahnung. Du die rechte Seite und ich die linke?“ „Klingt vernünftig. So wie es aussieht wohnen pro Seite je zwei Damen vorn und zwei Herren hinten.“ „Dann mal auf in den Kampf“, versuchte Dean sich Mut zu machen. Gemeinsam verließen sie das Büro. Sam ging zur ersten Tür auf seiner Seite und klopfte. Sein Blick huschte kurz über das Namensschild. ‚Sie hatte noch keinen Angehörigen verloren, zumindest nicht hier‘, erinnerte er sich und dann betrat er, als keine Antwort kam, den Raum. „Hallo Mrs. Fey, ich bin Sam“, stellte er sich vor. „Ich hab die Schicht von Mr. Wether-Worthington übernommen. Er ist jetzt auf einer anderen Station.“ Sie musterte ihn voller Misstrauen. „Der konnte sicher nicht schnell genug hier wegkommen“, stellte sie leise zynisch fest. „Wie kommen Sie denn darauf?“ „So wie der mich, und ich nehme an die anderen auch, behandelt hat. Sind Sie genauso?“ „Ich hoffe nicht, wenn Sie ihn nicht gemocht haben.“ „Willst du dich jetzt anbiedern?“ Innerlich verdrehte er die Augen. Hier bewegte er sich auf sehr dünnem Eis. „Nein, ich will einfach nur meine Arbeit gut und zu Ihrer Zufriedenheit zu machen.“ „Also willst du dich einschleimen!“ Jetzt war Sam versucht die Augen wirklich zu verdrehen. Was sollte das hier? Wenn die alle so waren, konnte er Wether-Worthington verstehen. Dann würde hier niemand auch nur einen Tag länger verbringen, als er musste. Am liebsten würde er auf dem Absatz kehrt machen und diese zickige alte Tante ihrer Einsamkeit überlassen. Aber das würde nach Flucht aussehen und die Genugtuung wollte er ihr nicht geben. Ruhig schaute er sich um. „Willst du hier spionieren?“ „Nein, aber da Sie mir nicht sagen, ob Sie etwas brauchen oder was Ihnen fehlt, muss ich das wohl selbst herausfinden.“ „Meine Ruhe fehlt mir!“ „War klar, dass Sie das jetzt sagen“, grinste der Winchester. Genau diese Antwort hatte er erwartet. „Haben Sie genug zu trinken?“, fragte er und wandte sich zu Tür. „Ich bin bestens versorgt!“, erklärte Mrs. Fey von oben herab. „Das freut mich. Dann komme ich kurz vor dem Abendessen wieder!“, verabschiedete sich Sam und verließ diese unfreundliche Dame. Vor der Tür atmete er durch. Das konnte ja heiter werden, wenn alle so waren. Auch Dean war es bei seinem ersten Antrittsbesuch nicht viel besser ergangen. Immerhin hatte Mrs. Wishaw ihn nicht so abgekanzelt und als er ihr den gewünschten Kaffee heiß und ohne ihn verschüttet zu haben servierte, schien sie ihm zumindest nicht mehr ganz so feindselig gegenüber zu stehen. „Haben Sie noch einen Wunsch?“, fragte er, bevor er sich zum nächsten Heimbewohner aufmachen würde. „Ich möchte gerne mal einen richtigen Kaffee trinken, in einem kleinen gemütlichen Cafe vielleicht?“ „Wissen Sie denn, wo hier eines ist? Ich kenne mich in dem Ort noch nicht aus. Bin erst vorgestern hier angekommen.“ ‚Sie war eines der Opfer. Ihr Sohn, Stephen arbeitete in L.A. bei einer Werbeagentur. Er hatte einen Herzinfarkt‘, überlegte er. Wäre also nicht schlecht, mit ihr näher ins Gespräch zu kommen. „Ich denke, wir werden schon eins finden“, erwiderte sie forsch. Mit so einem süßen Jungen einen Kaffee zu trinken, ließ ihr Herz höher schlagen. „Dann machen wir das morgen“, schlug Dean vor. „Jetzt haben Sie ja Ihren Kaffee und es wäre schade drum, den kalt werden zu lassen.“ Mrs. Wishaw lächelte. „Gut, dann haben wir morgen ein Date!“ „Okay. Ich mach mich mal auf den Weg. Ich komme vor dem Abendessen nochmal zu Ihnen.“ „Du kannst ruhig öfter kommen“, wieder lächelte sie, leicht anzüglich dieses Mal. Vor der Tür verdreht Dean die Augen. Das konnte ja heiter werden! Sam stand inzwischen bei der nächsten Dame im Zimmer und erklärte ihr, dass er der Ersatz für Wether-Worthington war. Auch sie reagierte alles andere als freundlich auf ihn. Der Abgang des ungeliebten Pflegers allerdings nahm sie mit einem Lächeln hin. „Was hat der Ihnen eigentlich getan. Ihre Nachbarin hat auch schon so reagiert“, wollte Sam wissen. Sie legte ihr Strickzeug beiseite und musterte den Winchester. „Der machte was er wollte, ohne zu fragen und ohne eine Erlaubnis bekommen zu haben. Er stand mitten in der Nacht im Zimmer und gab, wenn man ihn fragte vor, etwas gehört zu haben. Komischerweise hörte er am Tag nie etwas. Außerdem hatte er kalte Augen. Kalt und stechend. Und immer wieder redete er darüber wie gut er doch zu uns wäre und wie undankbar Familienangehörige sein konnten.“ Sam stutzte. Undankbare Familienangehörige? Dem sollte er nachgehen! Aber dieser Blick war ihm nicht aufgefallen. Er würde Dean heute Abend fragen. „Kann ich Ihnen etwas bringen, Ma’am?“, versuchte er etwas Freundlichkeit zu verbreiten. „Die Jugend zurück!“ „Tut mir leid, das steht nicht in meiner Macht. Außerdem ist die auch nicht immer toll. Es fehlen die Erfahrungen des Alters.“ „Ja, ihr Jungspunde habt verlernt zuzuhören!“ Sie lächelte wehmütig. „Oder es ist niemand da, der einem den Weg weisen kann.“ Mrs. Bonar musterte ihn einen Augenblick. Sie sagte kein Wort, doch ihr Blick wurde noch eine Spur freundlicher. Vielleicht war der Junge ja doch nicht so verkehrt? Sie würde ihm eine Chance geben. „Wenn du schon so fragst, könntest du mir einen Kakao bringen, mit extra Sahne“, bat sie. Sam nickte und machte sich auf den Weg zur Kantine. ‚Undankbare Familienangehörige? Wie kam der Wether-Worthington dazu, soetwas zu sahen? War Mrs. Bonars Sohn undankbar? Musste er deshalb an einem septischen Schock sterben? Er fand einige kleine Thermoskannen, von denen er sich eine nahm und mit Kakao füllte. Auf der Theke standen Schokolade und Gebäck. Er legte etwas davon auf einen Teller, schob sich eine Flasche Sprühsahne in die Hosentasche und brachte alles zu Mrs. Bonar. Einen Blick auf das Tablett werfend erhob sie sich und ging zu einer Kommode. Sie kramte einen Augenblick darin herum und holte dann etwas Blau-Weiß-Rotes hervor. Sie trat auf Sam zu und drückte ihm dieses Etwas in die Hand. „Hier mein Junge, nimm. Es wird kalt werden. Der Winter steht vor der Tür!“ Irritiert betrachtete Sam das Strickwerk. Er wollte keine Geschenke, schon gar nicht von älteren Damen, die ihn bis eben noch argwöhnisch gemustert hatten. „Das kann ich nicht …“ „Und ob du das kannst. Früher hab ich für meinen Sohn gestrickt. Jetzt liegt es nur noch im Schrank herum und wird irgendwann mit mir entsorgt werden!“ „Sie werden doch nicht …“ „Oh doch. Wer soll denn mein Grab mal pflegen, wenn ich nicht mehr bin? Ich hatte einen Sohn, aber der ist vor mir gegangen. Jetzt bin ich eine alte schrullige Ziege, die keiner mehr haben will!“ „Das heißt aber nicht, dass sie sich schon jetzt hier begraben müssen“, konterte Sam. „Das ist doch wohl …“, fuhr sie den Winchester empört an, nur um sich sofort zu unterbrechen. Eigentlich hatte er ja Recht. Aber wer wollte sie schon? „Und was soll ich sonst tun?“ „Wie wäre es nachher mit einem Spaziergang ums Haus?“, packte er diese Chance beim Schopf. „Ich weiß nicht.“ „Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Sie denken darüber nach und ich stelle mich noch den anderen Bewohnern auf dieser Station vor.“ Mrs. Bonar nickte, war sich aber sicher, dass sie das Zimmer nicht verlassen würde. Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht und er verabschiedete sich bis dahin. Kapitel 75: Ein Spaziergang --------------------------- @ Vanilein - Dean versucht schon, sich ein bisschen zu ändern, auch dass er sich seinem Bruder etwas mehr öffnet, ob er allerdings den großen Bruder je ablegen können wird ??? Und die Heimbewohner? Die tauen schon noch auf, denke ich. Und was die Geister anbelangt - da könntest Du recht haben ;-)) LG Kalea 75) Ein Spaziergang Bei Mrs. Mendes, der Dame, die neben Mrs. Wishaw wohnte, hatte Dean im wahrsten Sinne des Wortes auf Granit gebissen. Kaum hatte er ihr Zimmer betreten, war er mit einer Schimpftriade bedacht und sofort wieder aus dem Raum geworfen worden. Dabei wäre es auch wichtig mit ihr zu reden, denn ihre Tochter Luisa zählte ebenfalls zu den Mysteriösen Opfern. Sie war Anwältin in Chicago und sie starb vor nicht allzu langer Zeit an Herzversagen. Aber hier war wohl zumindest vorerst nichts zu machen. Hier hatte sein Schwiegermuttercharme ja wohl komplett versagt. Vor der Tür hatte er tief Luft geholt und die Backen aufplusternd wieder ausgeatmet. Ob die Männer auch so waren? Energisch klopfte er an die nächste Tür. Der Herr empfing ihn reserviert aber freundlich, musterte ihn von oben bis unten und komplimentierte ihn dann wieder aus seinem Zimmer. „So geht’s doch auch“, murmelte der ältere Winchester leise und starrte ungehalten auf die Tür von Mrs. Mendes. Musste die ihn gleich so abkanzeln? Was hatte er denn getan, außer sich vorzustellen? Blieb noch ein Bewohner, dann würde er vielleicht Zeit finden, sich etwas genauer in diesem Haus umzusehen. Kurz schloss er die Augen. Ruhe breitete sich auf seinen Zügen aus. Nach einem erneuten tiefen Atemzug klopfte er an die Tür. Ein zackiges „Herein“ ertönte. Der erste, der überhaupt antwortete, stellte Dean fest und drückte die Klinke. „Guten Tag. Mein Name ist Deacon Smith. Mr. Wether-Worthington wurde auf eine andere Station versetzt und ich bin der neuer Pfleger“, stellte sich der Winchester vor. „Sehe ich so aus, als ob ich einen Pfleger brauchen würde?“, fuhr ihn der Mann an. „Nein Sir“, erwiderte Dean. Wenn der Typ es so wollte, sollte er die Antwort bekommen. Letztendlich war es Dean egal, was die Menschen hier waren. Er wollte lediglich seinen Job erledigen und dazu gehörte eben auch, diesen Pflegerjob zu machen. Außerdem war der Typ ja wohl nicht ganz grundlos von seiner Familie hierher abgeschoben worden. Langsam schaute er sich in dem Raum um. In einem offenen Fach der Schrankwand standen einige Fotos, die Deans Aufmerksamkeit erregten. Es waren Armeefotos und Dean konnte an der Uniform erkennen, dass der Mann ein Marine gewesen war. „Bist du nur hergekommen um rumzuschnüffeln?“, fuhr Mr. Harland ihn an. „Nein Sir. Ich hab nur auf den Fotos gesehen, dass Sie bei den Marines waren“, versuchte er, froh ein halbwegs unverfängliches Gesprächsthema gefunden zu haben, die Wogen zu glätten. „Ja, und? Woher weißt so ein Bengel wie du, was für eine Uniform ein Marine hat?“ „Mein … Dad war ebenfalls ein Marine. Er war bei Echo 2/1“ „Hast du auch gedient?“ So langsam schien sich der Mann für Dean zu interessieren. „Nein. Das Leben und mein Vater hatten andere Pläne für mich“, erklärte er ruhig. Und schon erlosch das Interesse des Mannes wieder. Er griff nach der Fernbedienung und begann wahllos durch die Kanäle zu springen. „Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“ „Sehe ich so aus, als könnte ich mich nicht mehr selbst versorgen?“, polterte der Marine los. „Nein, Sir“, erwiderte der Winchester und war versucht sich selbst in den Hintern zu treten. Warum wollte er diesem Egoisten gefallen? Was brachte ihm das? Er suchte hier nach einem Mörder und nur deshalb war er hier. Außerdem war der Typ nicht sein Vater. Ihm war er keinen Gehorsam schuldig. Genauso wenig wie John! „Entschuldigen Sie, dass ich versucht habe, höflich zu sein. Es wird nicht wieder vorkommen. Sie sind ein Bewohner hier und ich arbeite in diesem Haus, das heißt aber nicht, dass wir uns mögen müssen.“ Ohne den alten Mann eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sich Dean zur Tür und verschwand aus dem Raum. Auf dem Gang atmete er ein paar Mal durch, schaltete das EMF in seiner Tasche ein, schob sich einen der Kopfhörer ins Ohr und begann langsam durch die Gänge zu laufen. Er war gespannt, ob das kleine Teil anspringen würde. Vorsichtig schob er es halb in seine Tasche zurück. Als erstes schaute er in den Raum, der vor Kopf des Ganges lag und in dem kein Bewohner untergebracht war. Er drückte die Klinke herunter und schob die Tür ein Stückchen auf. Verschlossen war der Raum schon mal nicht. Allerdings konnte er in dem diffusen Licht auch nicht viel erkennen. Er sucht nach einem Lichtschalter und drückte den, kaum dass seine Finger ihn berührten. Kaltes Licht flammte auf und riss einen Raum aus seinem Dornröschenschlaf, der mit jeder Menge Gerümpel vollgestopft war. An der gegenüberliegenden Wand konnte er verstaubte, bodentiefe Fenster erkennen, die von Fensterläden verdeckt waren. Dieser Raum sollte ursprünglich bestimmt einem anderen Zweck dienen, zumindest sah die Tapete nicht nach Rumpelkammer aus. Dean schaltete das Licht wieder aus und schloss die Tür. Wenn die Bewohner hier oben etwas freundlicher wären, hätten sie bestimmt einen schönen Gemeinschaftsraum, aber mit diesen Menschen war hier wohl kein Leben hinein zu bekommen. Er warf noch einen Blick auf das kleine Gerät, es schwieg, und wandte sich dann den Gang entlang in Richtung Treppe. Er kam nicht weit. Schon auf dem Gang zwischen den Zimmern begann das EMF zu blinken und vor ihrem Büro setzte auch das Rauschen ein. Dean betrat ihr Büro und zog es aus der Tasche. Spielte es jetzt verrückt, weil hier im Haus jede Menge elektrischer Geräte war, oder hatte das etwas zu sagen? Er drehte die Lautstärke noch etwas weiter herunter und machte sich auf seinen ersten Rundgang. Wenn ihm jemand über den Weg laufen sollte, konnte er immer noch sagen, dass er sich mit dem Haus vertraut machen wollte. Da seine Schutzbefohlenen, von Patienten wollte er hier wirklich nicht reden, keine Verwendung für ihn hatten, konnte ihm wohl niemand verwehren sich ein bisschen umzusehen. In aller Ruhe begann er das Haus zu erkunden. Inzwischen hatte auch Sam seine Kennenlerntour beendet. Die Herren auf seiner Seite waren nicht so unfreundlich, aber auch nicht scharf auf Gesellschaft und so schaute er noch einmal bei Mrs. Bonar ins Zimmer. Vielleicht hatte sie es sich ja überlegt? „Wie sieht es aus, Mrs. Bonar? Wollen wir einen kurzen Spaziergang wagen?“, fragte er ruhig. „Wagen? Was heißt denn hier wagen?“ „So selten wie Sie angeblich Ihr Zimmer verlassen …“, provozierte der Winchester weiter. „Ich werd dir zeigen, was ich wage und was nicht!“, schimpfte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und legte ihr Strickzeug beiseite. Sie erhob sich, nahm ihre Jacke von Haken und schob ihren Arm unter Sams. „Dann führ mich mal aus!“, lächelte sie ihn charmant an. „Aber gerne doch, die Dame!“, grinste Sam und begleitete sie die Treppe hinunter bis auf den Vorplatz. „Und wie jetzt weiter“, wollte sie wissen und schaute sich suchend um. Sie war wirklich seit Wochen nicht mehr rausgekommen. Genauer seit dem Tag, an dem ihr Sohn gestorben war, eine knappe Woche nachdem sie sich mit ihm in der Eingangshalle heftig gestritten hatte, weil sie sich sich abgeschoben und vernachlässigt fühlte. So fühlte es sich auch heute noch so an, doch jetzt fühlte sie sich außerdem noch schuldig, diesen Streit nicht sofort bereinigt zu haben. Aber sie war damals so verletzt gewesen, da ihr Sohn ihre Vorwürfe nur halbherzig abgestritten hatte. „Jetzt stehen wir also hier“, begann sie und blickte sich um. „Wir könnten in den kleinen Park gehen, der nicht allzu weit weg sein soll“, schlug Sam vor. „Da war ich früher mit meinem Sohn oft. Allerdings hat er diese Spaziergänge gehasst. Wie steht es mit dir?“ „Ich bin gerne in der Natur. Mein Bruder zieht mich damit hin und wieder auf. Aber ich mag es. Es hilft beim denken.“ „Ja, ich habe früher meine Probleme immer beim Sport gewälzt.“ Sie lächelte leicht und ließ sich von Sam langsam bis in den Park führen. Sie setzten sich auf eine Bank. „Wo ist dein Bruder heute?“, wollte sie von Sam wissen. „Er arbeitet bei unserem Onkel in der Werkstatt.“ „Und als was?“ „Automechaniker. Er kriegt jedes Auto wieder zum Laufen. Solange es sich um einen Oldtimer handelt. Er liebt diese alten Wagen. Genau wie unser Onkel.“ „Diese Liebe hat er von ihm übernommen?“ „Nein, ich glaube es war eine Notwendigkeit. Er hat von unserem Vater einen Oldtimer geschenkt bekommen und auch schon mit ihm an diesem Wagen geschraubt, als Dad ihn noch fuhr. Ihm hat der Wagen davor gehört. Den in die Werkstatt zu bringen, könnte er sich wohl nicht leisten. So aber kann er seine Liebe zu diesen Wagen ausleben und seinen am Leben erhalten.“ „Das klingt fast, als würde dieses Auto leben.“ Mrs. Bonar lächelte ihn an. „Das klingt nicht nur fast so. Es ist eine Tatsache. Für meinen Bruder ist dieser Wagen ein lebendes, atmendes Wesen.“ Eine Weile genossen sie die wärmenden Strahlen der Sonne, bevor Sam tief Luft holte. „Darf ich Sie etwas fragen?“ Mrs. Bonar blickte ihm offen in die Augen. „Warum sind Sie so lange nicht mehr nach draußen gegangen?“ Sie schloss die Augen und drehte ihren Kopf wieder in die Sonne. Sam war überzeugt, dass er hier wohl keine Antwort bekommen würde, als sie plötzlich zu erzählen begann, wie sie ihrem Sohn Vorhaltungen gemacht hatte, weil der sie kaum noch besuchen kam und wenn doch, immer auf dem Sprung war. Er arbeitete da noch in Pueblo. Da hatte er auch eine kleine Wohnung, die er sich mit der Begründung, oft bis in die Nacht arbeiten zu müssen und sie dann nicht mehr stören zu wollen, gesucht hatte. Sie hatte ihm erklärt, dass sie in dem großen Haus aber nicht mehr alleine leben wollte und er hatte versprochen sich darum zu kümmern. Mit einem Platz in einem Altersheim hatte sie nie im Traum gerechnet. Aber sie hatte es akzeptiert. Als er ihr diesen Platz besorgte, war noch die Rede von Besuchen an jedem Wochenende gewesen. Dann waren die immer seltener geworden und zum Schluss kam er vielleicht alle zwei Monate einmal. Er war nach L.A. gezogen und es war nicht einmal die Rede davon, ob sie ihm folgen wollte. Sie hatten sich fürchterlich gezankt und das in aller Öffentlichkeit, in der Eingangshalle. Danach war sie wutentbrannt in ihrem Zimmer verschwunden und ihr Sohn nach Hause geflogen. Sie war einfach zu stolz gewesen, um ihn anzurufen. Jetzt war es zu spät für Entschuldigungen oder Gespräche. Jetzt konnte sie nicht mal an einem Grab um Verzeihung bitten. Ihr Sohn war in Los Angeles beerdigt worden und da würde sie wohl nie hinkommen. „Das tut mir leid“, sagte Sam leise. Er wusste ja, dass sie eine dieser Angehörigen war, aber die Geschichte von ihr direkt zu hören, war trotzdem traurig. „Gab es irgendetwas Ungewöhnliches nach dem Streit?“ „Was sollte es denn Ungewöhnliches gegeben haben?“ „Keine Ahnung. Manchmal hat man Vorahnungen oder so. Ich hab mich mal mit meinem Bruder gestritten. Wir sind mit der festen Überzeugung auseinander gegangen, uns nie wieder versöhnen zu können. Wochen später hab ich ganz konfuses Zeug geträumt und immer wieder war er in diesen Träumen vorgekommen. Die Träume ließen mir keine Ruhe, also hab ich unseren Onkel angerufen. Er meinte, ich solle über meinen Schatten springen und ihn besuchen fahren. Er war ausgerutscht und hatte sich das Bein gebrochen. Ich bin über meinen Schatten gesprungen. Wir haben uns ausgesprochen und stehen jetzt regelmäßig in Verbindung. Das hat uns beiden die Augen geöffnet.“ „Nein, nichts der Gleichen ist passiert. Die Nachricht von seinem Tod überbrachte mir eine aufgelöste weibliche Person. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das Gestammel überhaupt verstanden habe. Und als ich sie fragte, wer sie denn sei und was sie mit meinem Sohn zu tun hätte, brach sie erneut in Tränen aus und erklärte mir völlig verheult, dass sie mit ihm verlobt sei und sie in wenigen Monaten heiraten wollten. Ist das zu fassen? Nicht mal das konnte er mir erzählen.“ „Vielleicht waren die Einladungen noch in der Druckerei, oder er wollte Sie beim nächsten Besuch überraschen?“, versuchte Sam die Enttäuschung etwas zu dämpfen. „Das ist lieb von dir, aber mein Sohn hat sich in den letzten Jahren sehr zu seinem Nachteil verändert. Ich bezweifle, dass er seinen neuen Freunden eine alte, etwas angestaubte Mutter präsentieren wollte, die in einem Altenheim lebt.“ „Sie sind weder angestaubt noch alt“, erklärte Sam kategorisch. „Vielleicht ein wenig eingerostet.“ Das leise Glucksen von Mrs. Bonar ließ auch Sam schmunzeln. Kapitel 76: Unfreundlichkeit wohin man schaut --------------------------------------------- 76) Unfreundlichkeit wohin man schaut „Sie sind eigentlich ganz nett“, ließ Mrs. Bonar nach einer Weile verlauten. „Eigentlich?“, fragte Sam gespielt empört. „Bis jetzt, aber das war dieser Wether-Worthington am Anfang auch. Bis er anfing in meinen Papieren zu schnüffeln. Keine Ahnung was er gesucht hat. Er hatte noch nicht mal den Anstand sich ernsthaft entschuldigen zu wollen. Er meinte die Tür hätte offen gestanden und er wollte sie nur schließen. Lächerlich. Ich schließe sie ab und so senil dass ich es vergessen hätte, bin ich noch nicht!“ „Was meinen Sie, was er gesucht hat?“ „In der Schublade waren Briefe und meine Unterlagen.“ „Ich sollte ihm also besser aus dem Weg gehen?“, frage Sam leise. In Gedanken machte er sich eine Notiz, dass er unbedingt mehr über Aidan Wether-Worthington herausfinden musste. Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. Erst als die Zeit zum Abendessen heranrückte, machten sich die Beiden auf den Rückweg. „Hast Du kein schlechtes Gewissen, wenn du den ganzen Tag mit mir vertrödelst?“, wollte sie auf dem Weg wissen. „Warum sollte ich? Mich vermisst niemand und zurzeit kann ich mir keine bessere Gesellschaft vorstellen.“ „Süßholz raspeln kannst du also auch.“ Sam grinste. „Was möchten Sie denn essen, oder kann ich Sie zu einem Abendessen in Speisesaal überreden?“ „Nein, Junge. Einen Schritt nach dem anderen. Und um ehrlich zu sein, ich bezweifle, dass ich je wieder in diesen Speiseraum gehen werde.“ „Warum nicht?“ „Zu laut, zu hektisch. In der Beziehung bin ich dann wohl doch alt und ein wenig exzentrisch.“ „Kein Problem“, meinte Sam. Immerhin war sie aus ihrem Zimmer gekommen und das war mehr als jeder andere auf ihrem Flur. „Also, was darf es zu essen sein?“ „Etwas Salat und ein bisschen Toast. Ich esse selten viel“, erwiderte sie und freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit. Wether-Worthington hatte nie gefragt. Allerdings schien es auch keinen Sinn zu haben, sich über ihn zu beschweren, denn die Heimleitung reagierte nie auf so eine Beschwerde. Dabei war der wohl auch noch nicht so lange da. Vier oder fünf Jahre, wie sie erfahren hatte. Damals soll das Heim allerdings ziemlich heruntergekommen gewesen sein und er war einer der wenigen, die hier arbeiten wollte, also war man ihm gegenüber jetzt auch mehr als loyal. Jetzt war zumindest an dem Heim nichts mehr auszusetzen. Die Betreuung war rundum ausgezeichnet, bis auf diesen einen Makel. „Bis nachher“, verabschiedete sich Sam von Mrs. Bonar und öffnete ihr die Tür. „Bist ein lieber Junge“, erklärte sie und trat in ihr Zimmer. Sam drehte seine Runde und versuchte von jedem Bewohner eine Essensbestellung zu bekommen, da natürlich keiner in den Saal gehen wollte. Dean ging es nicht viel anderes. Die Damen waren zwar schnippisch, aber immerhin verrieten sie ihm was sie wollten. Auch Mr. Harland war reserviert, bestellte sich aber ein Steak, medium, und Bratkartoffeln. Vor der Tür von Mr. Genardy atmete der Winchester tief durch. Er klopfte und betrat, als keine Aufforderung kam, den Raum. „Es ist Abendessenszeit“, begann Dean. „Ich wollte fragen, ob Sie einen besonderen Wunsch haben.“ „Hol doch was du willst. Wieso fragst du überhaupt, der andere hat doch auch nie gefragt.“ „Und ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich nicht der Andere bin!“ „Nein, du bist verdammt nervig!“ „Das hab ich mir dann wohl von meinem kleinen Bruder abgeschaut“, grinste Dean breit. „Such dir was aus“, knurrte der Mann und drehte sich wieder seiner Fernsehsendung zu. Dean nickte kurz. „Dann gibt’s Burger, wenn sie die haben.“ John Genardy musterte den Winchester abschätzig. „Du siehst nicht aus, als ob du viele Burger essen würdest.“ „So kann der äußere Schein trügen!“, erwiderte Dean kurz angebunden und verließ das Zimmer. Am Büfett traf er auf seinen jüngeren Bruder. „Sind deine auch so nett?“, wollte der wissen. „Der reinste Sonnenschein“, ließ er sarkastisch verlauten. „Die sind schlimmer als du zu deinen besten Zeiten“, fügte er leise hinzu, als er sie unbelauscht wähnte und Sam verdrehte die Augen. Sein Bruder hatte aber auch immer Vergleiche! In aller Ruhe verschafften sich die Winchesters einen Überblick über das angebotene Essen und fanden das Büfett sehr reichhaltig gestaltet. Das war bestimmt nicht in allen Altenheimen so. Sie beluden für jeden Bewohner ein Tablett und packten es auf einen kleinen Wagen, so mussten sie nicht für jeden einzeln laufen. Gemeinsam gingen sie zum Fahrstuhl, um in ihren Bereich zurückzukehren, als ihnen Dr. Fuller den Weg vertrat. „Können sie nicht auf ihre Schützlinge einwirken, dass sie wieder hier im Speisesaal essen? Es wäre wesentlich einfacher. Außerdem ist es ein schlechtes Vorbild für unsere anderen Bewohner.“ „Wir können es gerne versuchen, nur wird das nicht von heute auf morgen klappen. Immerhin hat sich diese Praxis ja wohl schon länger eingeschlichen“, erwiderte Sam und verhinderte so, dass sein Bruder etwas Unhöfliches vom Stapel lassen konnte. „Wir würden das Essen jetzt gerne servieren, bevor es welk wird“, sagte Dean und drängte sich mit dem Essenswagen an dem Heimleiter vorbei. „Aber natürlich“, nickte er und machte einen Schritt zur Seite. Sam hatte mit seiner Essensauswahl für seine Schutzbefohlenen ein gutes Händchen bewiesen. Er konnte sich schon bald in ihr Büro zurückziehen und darauf warten, dass er die Teller wieder abholen durfte. Dean hingegen hatte nicht so viel Glück. Mr. Harland musterte sein Steak skeptisch, schien aber nach einem weiteren prüfenden Blick ganz zufrieden und entließ den Winchester mit einem kurzen Nicken. Das war allerdings auch schon alles, was der bei dieser Abendbrotrunde an Freundlichkeiten erntete. „Ich denke es gibt Burger?“, kanzelte Mr. Genardy seinen Pfleger ab und starrte ablehnend auf den Teller. „Stellen Sie sich vor, die achten hier auf die Linie. Burger ist also nicht. Heute steht Steak oder Geflügel auf der Karte.“ „Noch nicht mal einen vernünftigen Burger kannst du besorgen!“ „Könnte ich schon, aber Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, dass ich für so einen Stinkstiefel wie Sie einer sind einen besorgen fahre. Dazu müssen Sie sich schon selbst auf die Socken machen!“, erwiderte Dean ungehalten und ließ den Mann mit seinem Essen allein. Vor der Tür atmete er tief durch. Wenn der Kerl ihm noch einmal quer kommen würde, könnte er für nichts mehr garantieren. Er nahm sich den nächsten Teller vom Wagen und klopfte an die Tür von Mrs. Mendes. Noch so eine Kandidatin für den Preis furchtbarste Insassin eines Altenheimes. Natürlich bat sie ihn nicht herein. Warum auch. Soviel Höflichkeit brachte sie nicht auf. Dean betrat den Raum und stellte das Tablett auf den Tisch. Wortlos legte er das Besteck daneben und ging wieder. Er hatte wirklich keine Lust sich von ihr vollquatschen zu lassen. Wenigstens bei Mrs. Wishaw wurde er freundlich, distanziert empfangen. „Hm!“, meinte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. „Bei der Essensauswahl beweist du ein besseres Händchen als dein Vorgänger“, lobte sie ehrlich. Dean verdrehte die Augen. „Immerhin eine, der meine Wahl nicht gänzlich gegen den Strich zu gehen scheint“, nuschelte er leise. Er wusste zwar, dass das nicht der Wahrheit entsprach, Mr. Harland war ebenfalls zufrieden gewesen, aber er kam sich trotzdem vor wie Don Quichote, nur das seine Windmühlen Altenheimbewohner waren. Freundlicher als die Windmühlenflügel des Dons, waren die ihm gegenüber allerdings auch nicht. „Nimm es dir nicht so zu Herzen, Junge. Wir sind alt und wohl alle mehr oder weniger starrsinnig.“ „Das ist nett umschrieben“, schnaufte Dean leise. „Es wird besser werden“, sagte sie ruhig und nahm ihr Besteck. „Meinen Sie?“ „Eigentlich suchen wir doch alle jemanden, den wir anstelle von Enkeln verwöhnen können.“ Den Kopf schüttelnd überlegte sich Dean, dass er dann wohl lieber kein Enkel sein wollte. „Ich würde trotzdem nicht hier drin versauern wollen“, warf er in den Raum und wandte sich zur Tür. „Was würdest du dann tun? Ich kenne hier niemanden. Meine Familie ist nicht mehr und ich will mich einfach nicht noch einmal auf andere Menschen einlassen. Wozu Freunde suchen, wenn man die auf absehbare Zeit doch wieder verliert?“, fragte sie herausfordernd. „Und deshalb hocken Sie lieber hier drin und beobachten das Leben, das an Ihnen vorbeizieht?“ „In deinem Alter hätte ich auch noch solche Reden geschwungen“, konterte sie aufgebracht. „Was weiß so ein Jungspund denn schon von Verlusten?!“, begann sie sich in Rage zu reden. Der Winchester wandte sich zur Tür. Diese Diskussion wollte er nicht führen, zumal er jahrelang ja auch so gelebt hatte, doch damals waren John und Sam da und er wirklich jung und der Meinung, dass nichts und niemand ihm etwas anhaben konnte, solange er nur seine Familie hatte. Er drehte sich noch einmal zu ihr um. Sein Blick streifte ihren und sie verstummte. Selbst als sich die Tür schon eine Weile hinter dem jungen Mann geschlossen hatte, starrte sie noch immer auf die Klinke. Für diesen kurzen Augenblick hatte sie so viel Trauer in seinen Augen lesen können, dass es ihr noch immer die Sprache verschlug. Aber woher wusste so ein junger Mensch so viel über Verlust? Langsam ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken und griff nach dem Teller. Sie legte die Haube beiseite und musterte den Salat. Er sah lecker aus. Ganz zu schweigen von dem Reis mit Geflügelstreifen und Gemüse. Nachher würde sie sich bei ihm entschuldigen. Sie hatte ihm wirklich Unrecht getan. „Oh Mann!“, stöhnte Dean und ließ sich im ihrem kleinen Büro auf den freien Stuhl fallen. „Ich meine, ich gehe nicht davon aus, dass ich je alt werde, aber wenn doch … Bitte erschieß mich, wenn ich je so werden sollte!“ „Sind sie wirklich so schlimm?“, hakte Sam leise nach. Klar, er hatte auch nicht die besten Erfahrungen mit seinen Rentnern gemacht, aber immerhin Mrs. Bonar war nett und die anderen schienen ihm nicht übermäßig feindselig zu sein. „Vielleicht liegt es ja nur an Wether-Worthington?“, überlegte Sam laut. „So furchtbar kann er gar nicht gewesen sein.“ „Und wenn doch?“ „Schon mal überlegt, dass er vielleicht nur so war, weil die ihn von Anfang an so abgekanzelt haben?“ „Ich weiß es nicht, Dean. Aber zumindest Mrs. Bonar scheint nicht immer so griesgrämig gewesen zu sein. Denk dran, viele haben erst vor Kurzem ihre Kinder verloren.“ „Das gibt ihnen aber nicht das Recht über andere zu urteilen.“ „Du weißt wie ignorant Menschen sind“, versuchte Sam weiter zu schlichten. „Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt je zu diesen normalen Menschen zählen will!“, sagte Dean leise. „Du glaubst nicht, dass das unser letzter Fall sein wird?“ „Bislang kam noch immer was dazwischen, wenn wir, egal wie, aussteigen wollten.“ „Dieses Mal nicht, Dean.“ „Versprich nichts, was du nicht halten kannst.“ Ein trauriger Blick streifte Sam, doch bevor der zu einer Antwort ansetzen konnte, winkte der Ältere ab. Energisch stemmte er sich in die Höhe. Ja er wünschte es sich inzwischen wirklich. Aussteigen und leben. Aber er hatte auch Angst davor, Angst so zu werden und was noch viel schlimmer wäre, die Personen, die er liebte nicht schützen zu können. Nie würde er mit seiner Aufmerksamkeit nachlassen dürfen. Langsam ging er zur Tür. Er wollte noch etwas Obst holen und an seine nervigen Rentner verteilen, in der Hoffnung sie danach für diesen Abend nicht mehr sehen zu müssen. Und er war froh, dass ihm diese Ausrede eingefallen war. Genervt schüttelte er den Kopf. Wieso brauchte er jetzt schon für sich selbst eine Ausrede? „Es tut mir leid“, empfing Mrs. Wishaw Dean und blickte ihm offen entgegen. „Das ist wohl der Hochmut des Alters, zu glauben, dass man der Jugend jede Menge Erfahrungen voraus hat.“ Dean schaute ihr kurz ins Gesicht, sagte aber nichts dazu. Warum auch? Für heute hatte er ihr nichts mehr zu sagen. Sie wollte ihn nicht und er wollte sich nicht aufdrängen. Er legte das Obst in die kleine Schale auf der Kommode und räumte den Teller ab. „Gute Nacht“, wünschte er und verließ das Zimmer, Mrs. Wishaw etwas ratlos zurücklassend. Auch bei den anderen Hausbewohnern war er nicht gesprächiger. Er machte seine Arbeit, füllte Obst auf und fragte nach etwaigen Wünschen, die Gott sei Dank ausblieben. Mit einem „Gute Nacht“, verabschiedete er sich von jedem und war froh, es für diesen Tag hinter sich zu haben. Er hoffte, dass ihre Schicht bald vorbei sein würde. Er wollte nur noch ein Bier und dann ins Bett, aber das musste wohl noch warten. Noch waren sie keinen Schritt weiter. Vielleicht hatte ja Sam einige neue Ansätze? Kapitel 77: Waffen beim Essen ----------------------------- @ Vanilein - Warum sollten die Alten ihm seinen Wunsch versauen? Sie haben nur ihre Macken, wie viele alte Leute. LG Kalea 77) Waffen beim Essen Gemeinsam brachten die Brüder das Geschirr in die Kantine zurück und gesellten sich danach zu ihren Kollegen, die schon dabei waren, die Reste des Büfetts zu plündern. „Ist das hier normal?“, wollte Sam von einem der Pfleger wissen und deutete auf die Resteschlacht. „Sonst wird es weggeworfen“, erklärte der. „Wir haben uns irgendwann einmal darauf geeinigt, dass wir eine monatliche Pauschale zahlen und dafür die Reste vernichten dürfen. Natürlich nur, was wir essen können. Einpacken und mitnehmen ist nicht. Aber soviel bleibt eh nicht übrig.“ „So kann man es auch nennen“, grinste eine Pflegerin. „Wir geben genauso unsere Bestellungen mit ab wie die Bewohner hier. Aber es bleibt trotzdem auch immer etwas von ihnen übrig“, erklärte sie weiter. Sam nickte. „Das klingt gut.“ „Ihr seid die Neuen?“, fragte ein anderer Pfleger und musterte die Winchesters neugierig. „Ist das so offensichtlich?“, wollte Sam unschuldig grinsend wissen. Sofort erfüllte Gelächter den Raum und einige Pfleger klopften ihm anerkennend auf die Schulter. „Endlich mal einer, der dir sofort Paroli bietet, Aaron“, lachte die junge Frau, die ihm eben das Essen erklärt hatte. „Lasst euch hier bloß nicht die Butter vom Brot nehmen“, gab sie den Brüdern einen guten Rat. „Werden wir berücksichtigen“, entgegnete Sam ruhig und suchte ihnen zwei Plätze am Ende des Tisches. „Oh, unsere Neuen. Haben sie euch schon zur Weißglut gebracht?“, fragte Wether-Worthington. Er hatte sich ebenfalls etwas zu Essen gesucht und gegenüber von Dean an den Tisch gesetzt. „Warum sollten sie?“, wollte Sam ruhig wissen. „Hast du sie so verärgert?“ „Die kann man nicht verärgern, die sind von Natur aus so. Denen kann man keine Freude machen, egal womit.“ „Vielleicht hast du es nur noch nicht versucht?“, nahm Sam ihre Schützlinge in Schutz. „Ich hab so einiges versucht. Doch nachdem meine Kollegin in ein anderes Heim wechselte, konnte ich denen nichts mehr Recht machen.“ Während er sprach fuchtelte Wether-Worthington raumgreifend mit seiner Gabel herum. Er hatte Michelle immer wieder gut zureden müssen, damit sie zumindest kündigte. So fiel es nicht auf, dass sie verschwand. Sie war ihm viel zu nahe gekommen. Aber er hatte nicht bedacht, dass die Alten so sehr an ihr hingen und ihn trotz Allem für ihr Verschwinden verantwortlich machten. Sie wussten ja nicht, wie Recht sie damit doch hatten. „Vielleicht liegt es ja an dir?“, warf Dean ruhig ein. Er wusste nicht mal warum er die Bewohner ihres Traktes in Schutz nahm. Verdient hatten sie es nach diesem Tag jedenfalls nicht. Aber egal wie grantig die waren, Wether-Worthington war ihm noch unsympathischer. „Guck mal, es spricht!“, frotzelte der und pickte mit seiner Gabel in Deans Richtung. „Du solltest vorsichtig sein, auf wen du deine Waffen richtest“, warnte Dean den unsympathischen Typen. „Das soll eine Waffe sein?“, fragte der ungläubig und fuchtelte jetzt erst Recht vor Deans Nase herum. Blitzschnell umfasste der Winchester Wether-Worthingtons Handgelenk. „Lass es!“, knurrte er gefährlich leise. Aidan und seine direkten Nachbarn zuckten zurück. Mit dieser Schnelligkeit hatte keiner gerechnet. Für einen kurzen Augenblick bohrten sich die Blicke der beiden Kontrahenten ineinander. In Wethers-Worthingtons Augen blitzte Mordlust. „Lass es gut sein. Du hast ihn provoziert“, versuchte die junge Frau, die mit dem unsympathischen Pfleger gekommen war, zu schlichten. Er blickte zu ihr, holte tief Luft und nickte. Trotzdem schwor er diesem aufgeblasenen Fuzzi Rache. Niemand berührte ihn ungefragt! Dean warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. ‚Ich behalte ihn im Auge’, versprach Sam stumm und wandte sich wieder seinem Essen zu. Am Tisch brandete das Gespräch wieder auf und niemand schien noch einmal auf diesen kleinen Zwischenfall eingehen zu wollen. „Kommt ihr noch mit auf ein Bier?“, fragte Aaron die Winchester-Brüder, als er beim Verlassen des Heimes nach Schichtschluss zufällig auf sie traf. „Nein, ich bin ziemlich fertig“, entgegnete Dean ruhig. „Mir reicht es auch für heute“, winkte Sam ebenfalls ab und lief zur Straße. „Wo musst du hin?“, wollte Dean wissen. „Vielleicht kann ich dich ja ein Stück mitnehmen?“ „Oak Ridge Logde.“ „Wenn du willst, kann ich dich mitnehmen. Ich komme dran vorbei.“ „Warum nicht?“, überlegte Sam und ging zurück zum Impala. „Wie sind die Zimmer da?“, wollte Dean laut wissen. „Ich wohne im Pinewood Inn. Ist nicht so besonders. Aber erstmal reicht es.“ „Das Oak Ridge ist gut. Sauber und der Service ist okay. Die haben sogar einen Innenpool.“ „Vielleicht sollte ich umziehen“, überlegte Dean, um den Schein zu wahren, schlug die Fahrertür zu und sperrte so eventuelle Zuhörer aus. Schweigend lenkte er den Wagen auf die Straße. Auf dem Weg lag eine Tankstelle, in der sie sich noch mit ein paar Bier eindeckten. Im Zimmer angekommen holte Dean das EMF aus seiner Tasche und legte es auf den Nachttisch. Er zog sich die Jacke aus und hängte sie weg. Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen und schloss die Augen. Er war müde. Nicht nur körperlich. Die ganze Geschichte mit Adam steckte ihm noch in den Knochen. Die Zeit bei Ellen hatte ihm gut getan und auch die Arbeit hier half. Trotzdem war er noch lange nicht wieder auf dem Damm. Körperlich nicht und seelisch auch nicht. Er hörte wie Sam auf der Tastatur seines Laptops tippte und richtete sich auf. Sofort blickte Sam ihm entgegen. „Wie geht es dir?“, fragte der leise. Dean schüttelte den Kopf. Er wollte nicht über sein Innenleben reden. Außerdem konnte er einfach nicht daran glauben, dass es wirklich ihr letzter Fall sein sollte. Bis jetzt war immer noch was dazwischen gekommen. „Ich bin müde“, antwortete er mit Verzögerung und meinte es nicht körperlich. Sam nickte. Er verstand, was sein Bruder ihm sagen wollte und er wusste auch, dass Dean, so sehr er sich das auch wünschen mochte, nicht an ein Ende ihres Jägerdaseins glaubte. Insgeheim versprach er ihm, dass er alles dafür tun würde, dass sie danach wirklich ausstiegen. Er klappte seinen Laptop zu und stand auf. „Was hältst du von einem Bier?“, wollte er wissen und ging zum Kühlschrank. „Was wird das jetzt?“, fragte der Ältere misstrauisch. „Nichts! Ich wollte einfach nur ein Bier mit dir trinken.“ „O-kay“, erwiderte Dean gedehnt. So ganz traute er dem Braten nicht. Wann hatte Sam schon mal einfach so ein Bier mit ihm trinken wollen? Meistens wollte er dann reden und zwar nicht über Alltäglichkeiten, sondern über sein Gefühlsleben und das wollte er nicht. Sam konnte dieses Misstrauen mehr als deutlich auf dem Gesicht seines Bruders ablesen und es versetzte ihm einen Stich. Aber er konnte Dean auch irgendwie verstehen. Immerhin hatte er lange nicht akzeptieren können, dass der sein Inneres vor ihm verschloss. Dass er das vor der Welt tat, war ja in Ordnung, aber er war sein Bruder und er fand es traurig, dass Dean sich ihm noch immer nicht vorbehaltlos öffnete. Er holte das Bier aus dem Kühlschrank, öffnete die Flaschen und brachte Dean eine ans Bett. Mit einem kurzen Nicken deutete er auf das EMF. „Hat es was angezeigt?“ „Alles und nichts. Es hat fast überall angeschlagen, wo ich lang gelaufen bin. In unserem Büro am stärksten und in dem Raum hinter der Tür am Ende unseres Ganges gar nicht.“ „Und was heißt das jetzt?“ „Wohl nichts. Es sind überall elektrische Felder, die genügend Energie haben, um einen Ausschlag zu erzeugen.“ Der Jüngere nickte bedächtig. Das brachte sie also nicht weiter. Aber wann war es schon mal einfach einen Fall zu lösen? „Und wie jetzt weiter?“ „Keine Ahnung.“ Dean schüttelte den Kopf. „Ich weiß dass ich diesen Fall wollte, weil ich sonst verrückt geworden wäre, aber jetzt bin ich mir sicher, dass es ein Fehler war. Die treiben mich noch eher in den Wahnsinn, als ich es selbst geschafft hätte. Schon ein „Guten Tag“ fassen die als Beleidigung auf oder beobachten dich bestenfalls mit Misstrauen, wenn nicht gar mit offener Feindseligkeit. Normalerweise können wir uns darauf verlassen, dass die, um die es geht, sich bemühen mit uns zusammenzuarbeiten. Aber hier wissen sie nicht, dass sie Hilfe brauchen. Also ganz ehrlich? Ich bin mit meinem Latein am Ende.“ Er nahm einen tiefen Schluck. „Ich war heute mit Mr. Bonar im Park. Sie scheint eigentlich ganz freundlich zu sein, nur etwas reserviert, weil sie ihren Sohn vor kurzem verloren hat. Außerdem war der wohl nicht sehr mitteilsam ihr gegenüber. Sie hat erst erfahren, dass er heiraten wollte, als seine Verlobte ihr seinen Tod mitgeteilt hat. Außerdem hat sie Wether-Worthington dabei erwischt, wie er in ihren Papieren herumgewühlt hat. Wenn er das auch bei den anderen gemacht hat, kann ich das Misstrauen durchaus verstehen. Außerdem hat sie erzählt, dass er als sie sich mit ihrem Sohn in der Empfangshalle gestritten hatte etwas von undankbaren Angehörigen sagte.“ „Das kann etwas bedeuten, aber auch einfach nur so dahingesagt sein“, überlegte der Älteren. „Ich hab bei meinen noch nichts rausbekommen. Außer dass sie am liebsten überhaupt keinen Kontakt zu irgendjemandem haben wollen.“ „Wether-Worthington muss sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufgeführt haben“, warf Sam ein. „Vielleicht sind sie deshalb so abweisend?“ „Wenn der mein einziger Kontakt zur Menschheit wäre, würde ich wohl auch nicht anders reagieren“, gab Dean zu. Er trank sein Bier aus und ließ sich wieder aufs Bett fallen. „Und jetzt?“, wollte er gleich darauf wissen. „Jetzt machen wir erst mal weiter. Mrs. Bonar ist schon ganz umgänglich und vielleicht kann ich morgen ja auch Mrs. Fey zu einem kleinen Spazierganz überreden.“ „Hm. Ich könnte mit Mrs. Wishaw in ein Cafe fahren. Mal sehen wo eins ist. Sie scheint noch die Verträglichste vom allen“, überlegte Dean. „Aber zum Essen in den Speiseraum werden wir sie so schnell wohl nicht kriegen.“ „Nein. Mrs. Bonar meinte dass sie auf keinen Fall in den Speiseraum wollte. Es wäre ihr da einfach zu laut.“ Eine Weile lag Dean noch auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er war erstaunt, dass Sam wirklich nicht über seine Gefühle reden wollte. Ob er endlich verstanden hatte, dass er damit immer wieder nur alte Wunden aufriss? Oder hatte er genug gesehen, um sich den Rest zusammen zu reimen? Mit einem leisen Knurren wischte er diese Gedanken beiseite. Auch diese Wunden waren noch viel zu frisch! Er erhob sich und ging ins Bad. Unter den prasselnden Wassertropfen der Dusche schaffte er es, sich ein wenig zu entspannen. Nachdem auch Sam sich bettfertig gemacht hatte, zog nächtliche Ruhe in das Zimmer der Winchesters. Sam lauschte auf die Atemzüge seines Bruders und wartete in die Dunkelheit starrend. Er wusste nicht warum, aber er hatte so ein Gefühl, als ob Dean mit diesem Tag noch nicht abgeschlossen hätte. Doch scheinbar wollte der nichts sagen. Die Minuten vergingen und seine Lider wurden immer schwerer. Er hatte sich wohl geirrt. Der nächste Morgen begann so schweigend, wie der Abend geendet hatte. „Was hast du heute vor?“, fragte Sam beim Frühstück. Diese Stille begann ihm auf die Nerven zu gehen. Dean blickte auf und zuckte mit den Schultern. Er hatte es bis jetzt vermieden über den kommenden Tag nachzudenken, so wenig, wie er über den vergangenen Tag nachdenken wollte. Die Vorstellung so alt zu werden behagte ihn ganz und gar nicht und er hoffte noch immer, früh zu sterben. Denn wenn er je so alt werden sollte wie Bobby, würde er wohl vollkommen dem Alkohol anheim gefallen sein. Dieses Leben würde er nicht mehr lange durchhalten. Es gab zu vieles, was er lieber vergessen würde, einschließlich der Träume, die ihn Nacht für Nacht um den Schlaf brachten, seit sie von Adam weg waren. Er wusste, dass die irgendwann aufhören würden, wenn er mit sich und seiner Welt wieder im Reinen war, doch bis dahin hatte er noch viel zu viel aufzuarbeiten. Betrübt senkte Sam den Kopf. „Schon okay“, flüsterte er leise und schaffte es augenblicklich, dass Dean sich schlecht fühlte. Traurig schüttelte er erneut den Kopf. Sollte er jetzt mit Sam sprechen nur um irgendwas zu sagen? Ihm war einfach nicht nach reden! Müde schloss er die Augen und unterdrückte ein Gähnen, bevor er ins Bad schlurfte, um sich ein paar Hände voll kalten Wassers ins Gesicht zu werfen, bevor er sich dem kommenden Tag stellen musste. Kapitel 78: Es hagelt Einladungen --------------------------------- 78) Es hagelt Einladungen „Ihr müsst das Geschirr noch abräumen. In der Küche hat es heute eine Panne gegeben. Wir haben das Essen erst vor zehn Minuten verteilt“, wurden die Winchesters von Emma, ihrer Kollegin der Frühschicht empfangen. „Na Prost Mahlzeit. Dann werden die ja noch schlechtere Laune haben, als gestern“, stöhnte Dean. „So schlimm sind die gar nicht drauf. Ich weiß nicht, warum ihr stöhnt“, erwiderte Paul, Emmas Kollege auf der Station. „Gestern waren sie nicht sonderlich freundlich“, gab Sam Auskunft. „Die mochten den Wether-Worthington nicht. Seit Michelle weg ist, ist das Verhältnis immer schlechter geworden. Der ist ein sehr spezieller Mensch. Wen er mag, für den tut er alles und der Rest hat schlechte Karten. Jetzt ist er bei Lyra oben. Die beiden kommen wunderbar miteinander aus und auch die Bewohner mögen ihn da. Wir“, er deutete auf Emma und sich, „sind ganz froh, dass er weg ist.“ „Lasst den Stubenhockern ein paar Tage, dann haben sie sich an euch gewöhnt und sind wesentlich freundlicher“, stimmte Emma ihrem Kollegen zu. „Euer Wort in Gottes Ohr“, sagte Sam und ließ sich von Emma über die Ereignisse des Morgens informieren. Viel war es nicht, was sie zu erzählen hatte, da alle Bewohner ihre Station eigentlich noch rüstig waren. „Wisst ihr, wo es hier in der Nähe ein Cafe gibt?“, hielt Sam die beiden auf. „Gleich um die Ecke. Zwei Straßen weiter. Wenn ihr hier rausgeht, an der nächsten Kreuzung links und dann geradeaus über zwei Straßen. Vielleicht zehn Minuten zu Fuß.“ „Und wer ist Michelle?“, wollte Sam unbedingt noch wissen. „Sie hat hier gearbeitet, dann aber vor ungefähr sechs Monaten gekündigt und ist weggezogen. Keine Ahnung wohin.“ „Ach so“, gab Sam sich harmlos, nahm sich aber vor nach ihr zu suchen. „Dann mal auf in die Höhle des Löwen“, ließ sich Dean vernehmen, als sie die Station für sich hatten. „Du bist der geborene Optimist“, grinste Sam und entlockte seinem Bruder ein, wenn auch widerwilliges, Lächeln, bevor der an die erste Tür klopfte. „Guten Tag, Mrs. Wishaw. Ich wollte abräumen.“ „Ja, Danke. Ich bin fertig.“ Irritiert musterte sie der ältere Winchester. Sie hatte „Danke“ gesagt! Woher kam denn dieser plötzliche Wandel? „Sie haben aber nicht gerade viel gegessen“, stellte er leise fest und warf einen Blick auf den Schokopudding, der noch unberührt auf dem Tablett stand. „Du kannst ihn gerne haben. Ich mache mir nichts daraus“, sagte sie leise. „Wie kann man sich nichts aus Pudding machen?“ Das war etwas, das Dean so gar nicht verstehen konnte. „Du siehst nicht aus, als ob du viel Süßes essen würdest“, stellte sie belustigt fest und reichte ihm den sauberen Löffel. „Darf ich wirklich?“ Deans Augen leuchteten. „Warum nicht, sieht ja keiner, aber nur, wenn die Einladung zum Kaffee noch steht.“ „Worauf Sie sich verlassen können!“ Er warf ihr noch einen fragenden Blick zu und griff, nachdem sie genickt hatte, zu. Schnell verschwand der erste Bissen in seinem Mund. „Der ischt lecker“, erklärte er und schob den nächsten Löffel hinterher. Mrs. Wishaw beobachtete den Winchester lächelnd. Er erinnerte sie an ihren Sohn Stephen. Schnell schluckte sie die Trauer herunter. Davon musste Mr. Smith nichts mitbekommen. Natürlich waren Dean die Gefühlsregungen seines Gegenübers aufgefallen, aber er sagte nichts. Sie würde reden, wenn sie es wollte. Auch hatte er inzwischen das Schälchen leer und stellte es zurück auf das Tablett. Er leckte sich die Reste aus den Mundwinkeln. „Ich darf dich also in zwei Stunden zu einem Cafebesuch erwarten, Deacon? Ich darf doch Deacon sagen, oder ist dir Mr. Smith lieber?“ „Nein, Deacon ist in Ordnung.“ „Mr. Smith erinnert mich immer an den Film mit Jack Nicholson.“ „Sie schauen Jack Nicholson?“ „Nur diesen Film. Die anderen sind nicht mein Fall, ich mag keinen Horror. Du allerdings schon, oder?“ „Er ist mein Lieblingsschauspieler.“ „Ja dann, Mr. Smith!“ Sie lächelte. Dean grinste sie an und brachte das Tablett nach draußen. Sam kam gerade aus Mr. Harris’ Zimmer. Er stellte das Tablett ab und musterte seinen Bruder fragend. Wie kam es, dass der plötzlich so gute Laune hatte und woher kam der dunkle Streifen neben seinem Mundwinkel? Sein Blick fiel auf das leere Schälchen, das ebenfalls eine braune Masse enthielt. „Sag nicht, dass du die Puddingschüssel ausgeleckt hast?“, fragte er schockiert. „Woher?“, wollte Dean wissen. „Du hast verräterische Spuren im Gesicht!“ „Mit offizieller Genehmigung!“, versicherte Dean ernst und wischte mit der Hand über seinen Mund. „Klar!“ „Du kannst Mrs. Wishaw ja fragen! Dafür will sie nachher von mir in ein Cafe ausgeführt werden.“ Gespielt verdrehte er die Augen. „Du gehst mit einer alten Dame in ein Cafe?“ Der Jüngere grinste breit. „Immerhin kriege ich sie so aus ihrem Zimmer.“ Sam nickte. „Können wir uns anschließen?“ „Wer ist wir?“ „Mrs. Bonar. Ich war doch gestern mit ihr im Park und habe sie für heute eingeladen. Wäre doch schön, wenn die auf der Station sich verstehen und hin und wieder mal besuchen würden?" „Warum nicht. Wir wollen in zwei Stunden los. Ihr könnten uns ja über den Weg laufen. Oder wir treffen uns im Cafe?“ „Hm, dann sieht es nicht so abgesprochen aus, meinst du?“ „Genau. So, ich muss weiter.“ Dean deutete zum nächsten Zimmer. Er klopfte, atmete tief durch und drückte die Klinke herunter. „Guten Tag. Ich wollte fragen, ob ich abräumen kann“, sagte er und deutete auf den leeren Teller. „Ich bin fertig. Danke“, sagte Mrs. Mendes und blickte ihn offen an. Sie schien etwas auf dem Herzen zu haben. „Deacon? Ich darf dich doch Deacon nennen?“, begann sie und hielt inne. Dean nickte knapp und sah sie an. Was wollte sie von ihm? Immerhin hatte sie ihn gestern mehr als nur abgekanzelt. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ich war gestern sehr unfair zu dir. Mein Unbehagen gegenüber Wether-Worthington an dir auszulassen war falsch“, erklärte sie ernst. „Stimmt! Es war falsch. Andererseits …“ Dean brach ab. Er musste ihr ja nicht auf die Nase binden, dass er von Menschen im Allgemeinen nicht viel erwartete, denn obwohl er inzwischen einige von ihnen Freunde nannte, reagierten die meisten Menschen für ihn noch immer unverständlich. Er sah dass sie darauf wartete, dass er seinen Satz beendete. Aber er schüttelte nur den Kopf. „Ist schon okay.“ Jetzt war es an ihr den Kopf zu schütteln. „Kann ich es wieder gut machen?“, fragte sie ruhig. „Vielleicht könnte ich dich zu einem Kaffee einladen?“ „Kuchen wäre mir lieber“, platzte Dean hervor und grinste entschuldigend. „Der ist hier nicht besonders. Sie können zwar wundervolles Essen kochen, aber fürs Backen haben sie kein Händchen. Es gibt hier in der Nähe ein Diner oder Cafe, eigentlich beides in einem. Die haben wirklich ausgezeichneten Kuchen. Darf ich dich dahin einladen?“ „Ich habe heute schon eine Verabredung“, erwiderte der Winchester kühl. „Und wenn ich mich anschließe?“ „Ich werde die Dame fragen“, sagte Dean. Er nahm das Tablett, nickte ihr kurz zu und verließ den Raum. Was war denn heute los? Gestern hatten sie ihn abgekanzelt wo sie nur konnten und heute rissen sie sich um ihn? Hatte denen einer was ins Essen gemischt? „Bist du heute so langsam oder wollen sie wider Erwarten mit dir reden?“, stichelte Sam gutmütig und stellte seinen letzten Teller auf den Rollwagen. „Stell dir vor, die scheinen festgestellt zu haben, was für ein toller Kerl ich doch bin!“, maulte Dean und räumte das Geschirr ein. Immerhin war bei den Herren alles beim Alten. Er musste sich weder unnötige Fragen noch dumme Sprüche anhören. Schnell brachte er das Geschirr zur Küche und machte sich dann erneut mit eingeschaltetem EMF auf seinen Rundgang. So ganz wollte er seine Theorie eines rächenden Geistes noch nicht aufgeben, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie der Geist durchs ganze Land reisen konnte um seine Opfer zur Stecke zu bringen. Und wenn er seine Opfer hier infizierte, wie kam es dann zu den unterschiedlichen Todesursachen? Außer, er infizierte sie hier und sie starben nach einer bestimmten Zeit? Dem würde er heute Abend nachgehen! Vorerst schob er die Gedanken beiseite. Langsam lief er durch die Gänge und lauschte dem, was das kleine Gerät von sich gab. Die Geräusche hatten sich geändert. Zuerst hätte er nicht sagen können wie, doch als er zu ihrem Büro zurückkam, war der Ausschlag wesentlich geringer als am Vortag und je weiter er nach hinten ging umso weniger wurde er. Zurück im Büro schob er das kleine Gerät wieder in seine Jackentasche. „Und?“, wollte Sam sofort wissen. „Ich weiß es nicht“, gab Dean ehrlich zu. „Gestern war der Ausschlag hier laut und deutlich. Heute ist er geringer ausgefallen, dafür war er in anderen Gängen um einiges stärker. Ich tippe ja immer noch auf einen Geist.“ „Aber wie kommt ein Geist von hier nach LA oder Chicago?“ „Vielleicht kann er sich an Personen anhängen und hat hier etwas, dass ihn zurückholt“, überlegte Dean. „Oder aber er infiziert die Personen und sie sterben nach einer bestimmten Zeit?" „Dann wäre nicht das wie sondern das wann entscheidend?", fragte Sam etwas ungläubig. „Immerhin eine Möglichkeit." „Hast du schon mal von so einem Geist gehört?“ „Nein. Aber irgendwas muss es doch sein, oder hast du eine bessere Erklärung?“ „Noch nicht“, erwiderte Sam leise. „Aber gehen wir mal von deiner Theorie aus! Er infiziert die Opfer hier, aber wieso sterben sie dann an den unterschiedlichsten Ursachen „Vielleicht infiziert er sie mit einer Art Virus und der greift dann eh schon geschwächte Organe an?“ „Du hast über diesen Punkt auch schon nachgedacht“, stellte Sam ruhig fest. „Ja und ich habe nicht wirklich eine Antwort dafür, dass einige bei Unfällen gestorben sind.“ „Deine Virus-Theorie könnte auch hier passen.“ „Und wie?“ „Sie könnten an etwas Seltenem gestorben sein und so den Unfall verursacht haben. Wenn sie dabei schwer verletzt wurden, prüft doch keiner ob es noch andere Ursachen gab.“ Dean war noch immer nicht überzeugt. „Ich werd das heute Abend mal nachprüfen“, versprach Sam. Dean nickte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass sie so langsam aufbrechen sollten. Immerhin hatten sie die Damen zu einem Spaziergang überreden können, auch wenn das nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte, vielleicht lockte ja Kuchen zur Belohnung? „Ich muss Mrs. Wishaw noch beichten, dass ihre Zimmernachbarin mitkommen will“, erklärte der ältere Winchester leise und wenig begeistert. „Wird schon schief gehen“, versuchte Sam ihm Mut zu machen. „Klar, so wie gestern.“ Dean verdrehte die Augen. Den Tag wollte er lieber so schnell wie möglich vergessen. Er öffnete die Tür und prallte zurück. Fast wäre er in Mrs. Mendes gelaufen. Sie kicherte leise, wie ein kleines Schulmädchen, das frisch verliebt war, als sie das entgeisterte Gesicht sah. „Ich bin nicht die schnellste und dachte mir, ich geh schon mal vor. Das erspart dir ein paar Erklärungen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Dean konnte nicht anders, als stumm zu nicken. In seiner Ecke am Fenster konnte sich Sam das Lachen ebenfalls nicht mehr verkneifen. „Die ist ja Klasse“, wisperte er und erntete einen leicht wütenden, leicht hilflosen Blick seines Bruders, der ihn natürlich doch gehört hatte. „Sieh lieber zu, dass du pünktlich fertig wirst. Ich warte nicht auf dich!“, grummelte Dean und schlug die Tür hinter sich zu. Kapitel 79: Kaffeeklatsch ------------------------- @ Vanilein - Ich bin entsetzt! Was denkst Du von mir? Ich halte die Jungs doch nicht vom normalen Leben ab!!! Würde mir nie einfallen! ;-))) Aber sonst liegst Du mit Deiner Vermutung schon ganz richtig. LG Kalea 79) Kaffeeklatsch „Guten Tag, Mrs. Bonar“, grüßte Dean, der darauf wartete, dass Mrs. Wishaw ihre Tür abschloss. Die blickte auf und musterte ihre Mitbewohnerin. „Wo soll es denn hingehen?“, wollte Mrs. Wishaw wissen, steckte ihren Schlüssel ein und hakte sich bei Dean unter. „In den Park, und Sie?“ „Wir wollten zu dem Diner, ein paar Straßen weiter.“ „Das Diner, wo es diesen leckeren Kuchen gab?“ Mrs. Bonars Augen leuchteten auf. „Genau dahin.“ „Dürfen wir uns ihnen anschließen? Ich habe diesen Kuchen geliebt!“, erklärte Mrs. Wishaw. „Warum nicht? Kommen Sie nur, obwohl ich nicht weiß, ob der Kuchen noch schmeckt. Ich war auch schon lange nicht mehr draußen.“ Langsam gingen sich die Vier zum Fahrstuhl, der sie in die Eingangshalle bringen sollte. „Wir haben uns lange nicht gesehen“, stellte Mrs. Wishaw ruhig fest, nachdem sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, und sich die Fahrstuhlkabine in Bewegung setzte. Mrs. Bonar nickte. „Ja, viel zu lange. Aber seit dem Tod meines Sohnes wollte ich niemanden mehr sehen. Schlimm genug, dass dieser Wether-Worthington jeden Tag kam.“ „Ja, dieser Kerl war das Letzte. Der schaffte es, nur durch seine bloße Anwesenheit, dass man genug von Menschen hatte“, erwiderte Mrs. Wishaw. „Und dann kamen diese Jungs.“ Sie hatten das Erdgeschoss erreicht und stiegen aus. Die Damen hakten sich bei den beiden Pflegern ein und verließen gemeinsam das Haus. „Guten Tag, die Damen“, grüßte Mr. Harland und erhob sich von der Bank, auf der er in der Sonne gesessen hatte. „Mr. Harland. Wie geht es Ihnen?“, wollte Mrs. Bonar wissen. „Ganz gut. Ich dachte mir, dass ich bei dem schönen Wetter unmöglich den ganzen Tag drin hocken kann, wenn mich schon so ein Jungspund darauf hinweist, dass das für einen alten Marine wohl nicht das richtige ist.“ Die Frauen nickten lächelnd. „Diese beiden. Man könnte meinen, sie wären Engel. So schnell wie sie die dunklen Wolken hier vertrieben haben.“ „Lieber nicht“, stöhnte Dean leise. „Du möchtest kein Engel sein?“, wollte Mrs. Wishaw irritiert wissen. „Mit einem Nachthemdchen Harfe zupfend über Wolken hüpfen und Manna essen? Nee, das ist nix für mich“, grinste Dean schief und nur Sam konnte den traurigen Schimmer in seinen Augen sehen. Mom hatte ihn immer wieder ihren kleinen Engel genannt. Helles Lachen breitete sich um die Gruppe aus. „Darf ich fragen, wohin es gehen soll?“ Mr. Harland blickte fragend in die Runde. „Wir wollen zum Diner ein paar Straßen weiter“, erklärte Mrs. Bonar freimütig. „Darf ich mich ihnen anschließen?“ „Warum nicht. Aus unserem heimlichen Date wird ja eh schon nichts mehr“, lachte Mrs. Wishaw und zwinkerte Dean zu. „Dafür müssen wir uns wohl nachts rausschleichen.“ Dean lächelte sie warm an. Eigentlich mochte er die Frau. Unter ihrer kratzbürstigen Schale schlug ein warmes Herz. „Ich hole mir nur schnell meine Jacke, dann können wir endgültig starten“, sagte er und lief zum Impala. „Das ist deiner?“, staunte Mr. Harland, kaum dass er zurück war. „Ja, was dagegen?“, maulte der Winchester und zog sich die Jacke über. „Nein“, wehrte der Mann sofort ab. „Ich finde ihn wunderschön. Was ist das für einer?“ „Ein 1967’er Impala.“ „Ich hatte mir von meinem ersten Geld eine Corvette gekauft. Baujahr 1959. Das waren noch Zeiten“, schwärmte er. „In dem Jahr hatte ich meinen Abschlussball und habe darauf gehofft, dass mich der richtige Junge einlädt“, lachte Mrs. Bonar. Wie High-School-Schüler lachend und schwatzend schlenderten die drei Heimbewohner zum Diner. Die Winchester folgten ihnen mit etwas Abstand. „Was wollen wir eigentlich hier?“, fragte Dean seinen Bruder. „Die kommen doch ganz gut ohne uns aus.“ „Ich denke, sie brauchten nur einen kleinen Anstoß, jemand der sie ermutigt wieder rauszugehen. Keine Ahnung ob es nur an Wether-Worthington lag oder auch am Tod ihrer Kinder, aber durch ihn scheinen sie sich noch mehr eingeschlossen zu haben“, antwortete Sam leise. „Du meinst, der konnte sie so sehr einschüchtern? Die machen mir nicht den Eindruck, dass sie sich das gefallen lassen würden“, erklärte Dean. „Wenn ich nur daran denke, wie sie mich gestern empfangen haben. Nee. Die lassen sich die Butter nicht so schnell vom Brot nehmen!“ „Aber warum sollten sie sich sonst so abgekapselt haben?“ „Wir könnten sie fragen!“, stellte Dean ruhig fest und Sam verdrehte die Augen. Darauf hätte er auch selbst kommen können! Sie betraten das Diner und schauten sich suchend um. Sie waren fünf Personen und die größeren Tische alle schon besetzt. Plötzlich winkte ihnen jemand zu. Die Damen stutzten. „Ist das nicht Mrs. Mendes?“, fragte Mrs. Bonar erstaunt und steuerte auf sie zu. „Hat Sie das schöne Wetter rausgelockt?“, wollte sie auch sogleich von ihrer Zimmernachbarin wissen. „Das auch“, lächelte die und deutete auf die freien Stühle. „Als ich kam war leider kein kleinerer Tisch frei, aber jetzt finde ich diesen Umstand richtig gut. Erst kam ich mir an so einem riesigen Tisch ja etwas verloren vor. Ist doch unangenehm alleine so viel Platz zu beanspruchen.“ Die Neuankömmlinge setzten sich und warfen einen Blick in die Karte. Während die Heimbewohner sich ein Stück Kuchen und Kaffee bestellten, Sam sich mit einen Salat zufriedengab, orderte Dean einen Bacon-Cheese-Burger, Apfelkuchen und Kaffee. „Du scheinst kurz vorm Verhungern zu stehen“, lachte Mrs. Mendes. „Soweit ich bis jetzt mitbekommen habe, scheint das bei ihm ein Dauerzustand zu sein“, grinste Sam und Dean verdrehte die Augen. „Und?“, maulte er. „Wenn du ein Schwein wärst, hätten sie dich schon als Ferkel geschlachtet.“ Mrs. Bonar lächelte gutmütig. „Ich bin auf einer Ranch aufgewachsen“, fügte sie hinzu. „Sie sagten vorhin ‚Das auch’?“, brachte Mrs. Wishaw das Gespräch auf den Anfang zurück und blickte Mrs. Mendes an. „Deacon hat da so einige Andeutungen gemacht von wegen Sonne und im Zimmer hocken und gemeint, dass das nur ganz alte Leute tun würden, aber doch noch niemand, der so jung ist wie ich. Das war zwar eine maßlose Übertreibung, aber es hat mir zu denken gegeben und ich muss sagen, dass er Recht hat. Das Leben ist zu kurz um es in den eigenen vier Wänden zu verschwenden“, erklärte Mrs. Mendes. Die anderen Heimbewohner nickten. Dean atmete erleichtert durch. Das hätte auch in die Hose gehen können und dann wäre er wohl ins Stottern gekommen. Aber sie hatte die Kurve ja ganz gut gekriegt. Die Bedienung brachte ihre Bestellungen und Dean widmete sich seinem Burger. Mit geschlossenen Augen inhalierte er das Aroma und biss erst danach hinein. Langsam kaute er den Bissen. „Der ist wirklich gut!“, erklärte er, nachdem er geschluckt hatte. „Ich weiß nicht, wann ich den letzten so guten Burger gegessen hab.“ Nach einem zweiten Burger und dem extragroßen Kuchenstück legte Dean sein Besteck nieder, griff nach seinem Kaffee und erklärte voller Zufriedenheit, dass er satt sei. „Und ich hatte schon befürchtet, dass die wegen Ausverkaufs schließen müssen wenn wir gehen“, lachte Mrs. Wishaw. „Was?“, wollte der Winchester etwas irritiert wissen. „Nichts, Deacon. Ich freu mich nur mal wieder jemanden so richtig mit Genuss essen zu sehen. Und scheinbar kannst du das ja auch, ohne nachher für Stunden im Fitnessstudio zu verschwinden.“ „Wer sagt Ihnen, dass ich das nicht tue?“ „Du siehst nicht danach aus!“ „Diese Mengen sind ihm aber auch nicht anzusehen“, warf Mrs. Mendes ein. „Ich frage mich wo er das lässt.“ Alle am Tisch schauten den Winchester fragend an. Der versteckte sich hinter seiner Kaffeetaste. Irgendwie war ihm diese Diskussion unangenehm. Außerdem wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. Sie aßen meist vollkommen unregelmäßig und oft genug fielen ganze Mahlzeiten aus. Vielleicht lag es ja daran? Außerdem hatte er das, was ihm diese Wechselbälger angetan hatten noch nicht wieder vollständig aufgeholt. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein schlechter Futterverwerter, wie man so schön sagte? Er wusste es nicht und er wollte es nicht wissen. Er liebte essen und er wollte nicht hinterfragen warum er das so hemmungslos konnte. „Darf ich sie fragen, warum sie sich in ihren Zimmern einigeln?“, lenkte Sam das Gespräch in eine ganz andere Richtung. Er hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie er die Frage am Besten stellen konnte, aber ihm war kein anderer Weg als der direkte eingefallen. Zwischen den Bewohnern des Altenheimes huschten einige Blicke hin und her, bevor Mrs. Wishaw antwortete: „Wir wohnen in einem Altenheim und schon alleine der Umstand besagt, dass wir das wohl nur noch mit den Füßen voran verlassen werden. Man knüpft keine so festen Freundschaften mehr wie in jungen Jahren, wenn man das Leben noch vor sich hat. Man möchte sich nicht mehr auf den Verlust eines Freundes einlassen, denn den haben wir alle schon zur Genüge erlebt. Das allein hindert uns aber nicht daran, den Lebensabend zu genießen. Ich denke, dass unsere Kinder gestorben sind, das hat uns den Mut genommen. Warum dem Leben etwas geben, wenn doch schon bald so gar nichts mehr von einem geblieben ist? Warum sich die Mühe machen und auf Menschen zugehen, wenn man selbst die eigenen Kinder verloren hat? Wenn ich gehe ist meine Familie ausgelöscht.“ Mrs. Mendes, Mr. Harland und Mrs. Bonar nickten zustimmend. Sam kam das alles mehr als bekannt vor. Sein Bruder hatte sich auch nie die Mühe gemacht Freunde zu finden, da sie nie wussten wie lange sie bleiben würden. Er selbst konnte so nicht leben und er verstand es auch hier nur bedingt. Denn wo es sich bei ihnen nur um Tage oder Wochen handelte, waren es hier Jahre! „Sie wollen aus Angst, dass einer sterben könnte, Jahre einsam in ihren Zimmern hocken, obwohl sie auch Spaß haben könnten? Wofür wollen sie sich bestrafen? Dass ihre Kinder gestorben sind ist furchtbar. Ein Verlust, den wohl niemand je ganz verwinden wird, aber das sollen sie doch auch nicht. Sie haben ihre Kinder nicht getötet, also warum wollen sie sich die schönen Seiten des Lebens versagen, warum sie einsperren? Ich weiß, dass ich rein statistisch noch ein paar Jahre länger leben werde als sie, aber wer garantiert mir das? Ich kann morgen in der Dusche ausrutschen, ich kann bei einem Überfall erschossen werden. Niemand weiß, wann er sterben muss! Warum wollen sie sich also schon jetzt lebendig begraben?“ Sam redete sich immer mehr in Rage. „Sie müssen ja nicht gleich zusammenziehen oder heiraten, aber sie können doch Zeit miteinander verbringen!“ Dean versteckte sein Grinsen hinter seiner Tasse, während ihn die Heimbewohner perplex anstarrten. „Entschuldigung. Das hätte ich wohl besser nicht …“ „Du musst dich nicht entschuldigen Junge. Vielleicht ist es ganz gut, wenn uns Alten mal so ein junger Schnösel die Meinung sagt“, schnitt Mrs. Bonar ihm das Wort ab. „Bleibt nur die Frage wo wir uns treffen könnten. Nicht jeder möchte immer Besuch haben und hierher können wir auch nicht immer gehen. Im Winter sind wir doch nicht mehr so sicher auf unseren alten Knochen“, pflichtete ihm Mrs. Wishaw bei. Die Blicke der Brüder trafen sich und zumindest Dean wusste den perfekten Ort. Blieb nur die Frage, ob sie den so nutzen durften. „Wir überlegen uns was“, versprach Sam und Dean nickte. „Und was?“, wollte Mrs. Mendes neugierig wissen. „Das, meine Damen, bleibt ein Geheimnis“, erklärte Sam mit einem Lächeln. „Jetzt macht es doch nicht so spannend!“, versuchte Mrs. Wishaw ihr Glück. „Nein. Es bringt nichts Hoffnungen zu schüren, die dann nicht erfüllt werden können. Wir klären alles und dann weihen wir sie ein“, versprach Dean ruhig. „Der Raum am Ende des Ganges“, platzte Mr. Harland heraus. „Und ich dachte, der fließt in den Golf von Bengalen.“ Sam schaute unschuldig in die Runde. Eine Weile herrschte Schweigen am Tisch, dann brach das Gelächter los. „Ihr wollt nichts sagen?“, vermutete Mr. Harland nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Nein.“ „Okay, es ist angekommen. Den Spruch werd ich mir aber auf jeden Fall merken“, versprach er und erhob sich, um zur Kasse zu gehen. Auch die Damen standen auf. „Bleiben sie ruhig noch sitzen. Die Runde heute geht auf mich“, wiegelte er ab. „Aber das geht doch nicht!“, empörte sich Mrs. Mendes. „Und wie das geht“, entgegnete der Ex-Marine. „Der Junge hat schon Recht, wenn er sagt, dass wir uns nicht für den Rest unseres Lebens eingraben sollten. So haben wir wenigstens einen Grund diese Runde zu wiederholen.“ „Dann schlage ich vor, wir begründen hier eine neue Tradition“, begann Mrs. Bonar. „Nächste Woche, selbe Stelle, selbe Zeit.“ „Solange es das Wetter zulässt, soll das hier unser Treffpunkt sein. Und danach sehen wir weiter“, sagte Mrs. Wishaw und blickte fragend zu den Brüdern. Doch die behielten ihr Geheimnis auch weiterhin für sich. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück. „Zum Abendessen im Speiseraum können wir sie aber wohl trotzdem nicht überreden, oder?“, begann Sam, als sie sich auf dem Gang voneinander verabschiedeten. „Nein Junge“, sagte Mr. Harland. „Es ist und bleibt da einfach zu laut und zu unruhig. Und davon hatte ich in meinem Leben wirklich genug, um die Ruhe meines Zimmers schätzen zu können. Ein kleinerer Raum vielleicht, aber nicht dieser Bienenstock.“ Die Anderen nickten bestätigend. „Gut“, lenkte Sam ein. „Dann kommen wir später und nehmen die Bestellungen für ihr Abendbrot auf.“ „So machen wir das“, bestätigte Mrs. Mendes lächelnd. „Meine Damen, es war mir eine Freude, diesen Nachmittag mit ihnen verbracht zu haben“, verabschiedete sich der Marine und ging zu seinem Zimmer. Auch die Damen verabschiedeten sich. „Und nun?“, wollte Sam wissen, als sie alleine auf dem Gang waren. „Ich schau mal wann Dr. Fuller Sprechstunde hat, um ihn wegen des Raumes zu fragen. Wenn er zustimmt, könnten wir in den nächsten Tagen ausräumen und in der Nachtschicht renovieren. Da wird hier wohl eh Langeweile herrschen.“ Sam grinste kurz und nickte zustimmend. „Hab mich auch schon gefragt, wieso wir beide Nachtschicht haben. Auf der Station ist doch keiner so krank, dass er nächtliche Aufsicht brauchen würde.“ Schulterzuckend wandte sich Dean ab und ging zum Büro des Heimleiters. Kapitel 80: Eine Erpressung --------------------------- 80) Eine Erpressung Dean klopfte an die Tür des Sekretariats. Er glaubte zwar nicht, dass noch jemand da war, aber er wollte es wenigstens versuchen. Erstaunt nahm er das „Herein“ zur Kenntnis und trat ein. „Guten Tag“, grüßte er. „Mr. Smith, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“, fragte Lana lächelnd. „Ich würde gerne mit Dr. Fuller reden.“ „Und worum geht es?“ „Um die Bewohner von Station vier.“ „Haben Sie sich da schon eingelebt? Ich weiß, dass die Station, vorsichtig gesagt,etwas schwierig sein soll“, begann sie ein Gespräch, während sie ein paar Tasten drückte und gleich darauf der Drucker ansprang. „Es geht. Wir waren heute mit einigen Bewohnern in einem Cafe, ein paar Straßen weiter“, erzählte er ruhig. „Sie haben es geschafft sie aus ihren Zimmern zu locken?“, fragte sie ehrlich beeindruckt. Dean nickte nur. Ihm war diese Euphorie ja schon fast peinlich, auch wenn er sich über die Anerkennung freute. „Ich werde Dr. Fuller mal fragen, ob er Zeit für Sie hat“, versprach sie und erhob sich. Sie nahm noch eine Unterschriftenmappe vom Tisch und ging zum Büro ihres Chefs. Nach einem kurzen Klopfen trat sie ein. „Sie können durchgehen, Mr. Smith“, sagte sie, als sie in ihr Büro zurückkam und ließ die Tür offen. „Mr. Smith! Sie möchten mit mir reden?“, begrüßte ihn der Heimleiter und hielt ihm die Hand hin. „Guten Tag! Ja, wollte ich.“ „Bitte setzen Sie sich doch. Kaffee?“ „Gerne“ „Ich habe gehört, dass Sie daran arbeiten, Ihre Station zum Essen im Speisesaal zu bringen?“, fragte der Heimleiter nachdem er zwei Tassen geordert hatte. „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Sie waren doch mit ihnen in einem Cafe!“ „Mit einigen, waren wir, ja. Das heißt aber nicht, dass sie sich auch dazu bereiterklären, im Speiseraum zu essen, auch wenn wir sie natürlich gefragt haben. Aber die einstimmige Meinung ist, dass es ihnen da zu laut und zu unruhig ist. Wie Sie wissen, haben einige von ihnen gerade erst Angehörige verloren. Sie wünschen sich zur Zeit eher Ruhe als Hektik.“ „Und worum geht es?“, wollte er jetzt wesentlich frostiger wissen. „Wie gesagt, der Speiseraum ist ihnen zu unruhig, aber sie sperren sich nicht komplett gegen ein Essen in Gemeinschaft ...“, begann Dean ruhig. „Sollen wir für die etwa extra Essenszeiten einführen?“ „Nein. Aber auf Station vier ist am Ende des Ganges ein großer Raum, der mit Gerümpel vollgestellt ist und den niemand sonst nutzt. Wenn wir diesen Raum ausräumen und renovieren könnten, dann wäre das durchaus eine Alternative für die Bewohner.“ „Und was soll das kosten?“ Dr. Fuller blieb skeptisch. Natürlich war dieser Raum, den es auf jeder Station gab, als Aufenthaltsraum gedacht gewesen, allerdings nutzten ihn nur drei der sieben Stationen. „Vieles könnten James und ich selbst machen und ich denke die Bewohner werden auch mithelfen, wenn sie sehen, dass sich etwas ändert. Vielleicht können wir auch einiges von dem verwenden, was in dem Raum steht. Tapeten und Farben werden wir aber schon brauchen.“ „Ich denke drüber nach. Mal sehen ob und woher ich das Geld nehmen kann. Kommen Sie morgen nochmal rein, dann gebe ich Ihnen meine Entscheidung bekannt.“ „Danke“, erwiderte Dean und stand auf. „Und danke für den Kaffee.“ Dr. Fuller nickte kurz und begann auf seiner Tastatur zu tippen. „Und?“, wurde Dean von seinem Bruder empfangen. „Er will drüber nachdenken.“ „Also wohl eher nein.“ „Vermute ich auch. Aber wir könnten uns nachher ja mal anschauen, was in dem Raum steht und was man vielleicht nehmen könnte.“ „So schnell gibst du wohl keine Ruhe.“ „Ob wir nun hier sitzen oder uns in dem Raum umschauen.“ „Du liebst es Dinge neu zu gestalten, kann das sein?“ „Es macht Spaß, warum?“ „Naja, wenn wir ein normales Leben führen, könntest du doch auch sowas machen.“ „Ich hab mir abgewöhnt über das was wäre wenn nachzudenken. Es tritt ja eh nicht ein!“ Sam schluckte. Er wusste nicht, was jetzt schwerer zu ertragen war. Das Wissen, dass sein Bruder also doch Träume und Wünsche hatte oder die Tatsache, dass sie so oft enttäuscht worden waren, dass er nicht mehr träumte. „Es wird passieren, Dean.“ „Versprich nichts, was du nicht halten kannst!“ „Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde dich aus diesem Leben holen!“ Dean schaute zu seinem Bruder. Trauer spiegelte sich in seinen Augen. Er schüttelte den Kopf. Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber er hatte sich abgewöhnt auf Hoffnungen und Träume zu vertrauen. Er war nicht wie Sam. Dean schob sich den Kopfhörer ins Ohr, schaltete das EMF ein und begann eine weitere Runde durch das Haus. Dieses Mal schlug das EMF auf ihrer Station kaum noch aus, dafür waren die Signale auf Station 7 umso stärker. Nahm der Geist, oder was auch immer hier sein Unwesen trieb, jetzt diese Bewohner ins Visier? Dann sollten sie diese Bewohner heute Nacht besser mal überprüften. Auf seinem Rundgang schaute er außerdem noch in die einzelnen Aufenthaltsräume der anderen Stationen, um sich einen Überblick zu verschaffen, was da so ging und was die alten Leute gerne mochten. Letztendlich war er jedoch nicht schlauer als vorher, denn der drei genutzten Räume sah anders aus. Wenn Fuller ihnen also erlaubte den auf ihrer Station umzubauen, würden sie sich ganz auf die Bewohner verlassen müssen. Aber so wie er die inzwischen kennengelernt hatte, konnten die ihre Meinung sehr gut äußern. Er machte sich wieder auf den Weg zu Sam. „Und?“, wurde er empfangen. „Nichts. Das heißt, auf unserer Station sind kaum noch Signale zu empfangen, dafür spielt es jetzt auf Station sieben verrückt. Wir sollten uns die Bewohner da mal anschauen.“ Sam nickte betrübt. „Hat sich unser Monster der Woche jetzt die Station ausgesucht?“ „Könnte möglich sein. Wo wohnen denn die drei, die nicht auf unserer Station sind?“ „Station zwei.“ „Geht das Ding von Station zu Station?“, überlegte Dean leise. Aber woher kam es dann? Hat es sich an einen Bewohner oder Pfleger gehängt? Kannst du rausbekommen, ob jemand kurz bevor diese Serie anfing hier angefangen oder hierher gezogen ist?“ „Ich setze mich heute Abend mal dran“, versprach Sam. „Und ich versuche etwas über die Bewohner von Station sieben rauszubekommen.“ „Dann lass uns mal loslegen, damit wir auch pünktlich hier weg kommen“, forderte Sam und erhob sich. Der Rest des Abends war ruhig verlaufen. Beim Abendessen gab es kaum Probleme und auch ihre Kollegen ließen sie weitgehend in Ruhe, sodass sie schnell in ihr Motelzimmer kamen und sich hinter ihren Computern verstecken konnten. Sam suchte nach jemandem, der kurz vor Beginn der Mordserie in das Heim gekommen war und Dean begann sich, wie angekündigt, für die Bewohner von Station sieben zu interessieren. Weit nach Mitternacht klappten sie ihre ergebnislosen Rechner zu und krochen müde und frustriert in ihre Betten. Der nächste Morgen brachte auch keine neuen Erkenntnisse und so fuhren sie, nicht gerade bester Laune, ins Heim. Dr. Fuller schien auf sie gewartet zu haben, denn er kam ihnen entgegen, als sie das Haus betraten. „Ist es ihnen ernst mit der Renovierung?“, fragte er ruhig, nachdem sie sich begrüßt hatten. „Natürlich, sonst hätte ich Sie nicht gefragt“, erwiderte Dean. „Ist es ihnen ernst damit, vieles selbst zu machen?“, konkretisierte der seine Frage. „So war es angedacht“, entgegnete der ältere Winchester. „Dann legen sie los. Kaufen sie, was sie brauchen und bringen sie mir die Quittungen mit. Das Material übernehme ich“, nickte er mit einem verbissenen Lächeln. So ganz war ihm dieser Aktionismus nicht geheuer. „Und was ist mit den Möbeln, die jetzt drin stehen?“ „Ich habe schon einen Container geordert. Da können sie alles reinwerfen.“ „Danke“, sagte Dean mit einem aufrichtigen Lächeln. „Eine Bedingung stelle ich allerdings.“ „Und die wäre?“, fragte Sam skeptisch. „Sie bringen die Bewohner dazu, im großen Speisesaal zu essen.“ „Wir haben Ihnen doch gesagt, dass es ihnen da zu laut ist. Sie haben erst ihre Kinder verloren und ...“, versuchte Sam an sein Mitgefühl zu appellieren. „Es geht hier nicht darum, dass sie immer essen kommen sollen. Ich will sie nur hin und wieder da sehen, als Beweis dafür, dass sie wirklich an Gemeinschaft interessiert sind“, wiegelte er ab. Dean verdrehte die Augen. Das würde nie klappen! „Das heißt also wir müssen sie jetzt erst überreden hier zu essen und dann können wir vielleicht irgendwann mal mit der Renovierung anfangen?“, vergewisserte er sich leicht genervt. „Sie können den Raum ausräumen. Bevor sie aber auf die Suche nach Möbeln oder Tapeten gehen, möchte ich, dass ihre Station zum Essen in den Gemeinschaftsraum kommt.“ „Geschlossen?“, fragte Sam entsetzt. Er war sich zwar sicher, dass sie einige ihrer Schützlinge dazu überreden konnten, alle aber bestimmt nicht. „Nein. Aber mehr als fünfzig Prozent und das nicht nur einmal!“, erklärte der Heimleiter bestimmt. „Meine Herren. Sie haben, soweit ich das gehört habe, schon einiges erreicht. Machen sie weiter so!“ Mit einem Nicken verabschiedete er sich von den Brüdern. „Na super. Da haben wir uns ja was eingebrockt“, stöhnte Dean und lief zu den Umkleideräumen. „Wir reden heute mit ihnen. Vielleicht können wir die Truppe von gestern überzeugen. Damit hätten wir die geforderten mehr als fünfzig Prozent“, versuchte Sam die Wogen etwas zu glätten. „Dann sollten wir sie zu einer Art Kriegsrat ins Cafe einladen“, überlegte Dean. „Der Fairness halber sollten wir dann aber auch den anderen Bescheid geben.“ „Sollten wir.“ „Na dann los!“, sagte Sam und sie machten sich gemeinsam auf den Weg zu ihrer Station. Sam klopfte bei Mrs. Fay. „Darf ich abräumen?“, fragte er nachdem er eingetreten war. Sie nickte nur kurz und wandte sich dann ihrem Fernsehprogramm zu. „Tut mir leid, dass ich Sie nochmal stören muss“, begann Sam etwas umständlich. „Es geht um den Aufenthaltsraum am Ende des Ganges. Wir möchten gerne mit allen darüber reden, ob und wie der genutzt werden könnte. Wir treffen uns halb vier in dem kleinen Cafe, zwei Straßen weiter, dass Sie ja bestimmt kennen. Sie können aber auch mit uns gemeinsam dahin gehen.“ „Sehe ich so aus, als ob ich einen Gemeinschaftsraum will oder brauche?“, entgegnete sie alles andere als freundlich. „Wenn Sie so fragen? Ja!“ Er nahm das Geschirr und brachte es ohne ein weiteres Wort nach draußen und ließ sie vollkommen verblüfft zurück. Noch niemand hatte es gewagt so mit ihr zu sprechen. Vor der Tür atmete Sam erst einmal tief durch. Er war dieser Frau ja mächtig über den Mund gefahren. Aber er sah auch nicht ein, dass wegen einer Ziege Deans Idee zum Scheitern verurteilt war. Okay, das war sie nicht, wenn die fünf von gestern mitzogen, aber der Rest konnte sich ruhig auch daran beteiligen! Er stellte das Geschirr auf den Wagen und klopfte bei Mrs. Bonar. „Du siehst aus, als hätte dir jemand nicht nur die Butter von Brot sondern das ganze Frühstück geklaut“, stellte sie anstelle einer Begrüßung leicht schmunzelnd fest. „Bin ich so durchschaubar?“, wollte er verwundert wissen. „Du siehst ziemlich zerknirscht aus. Was ist los?“ „Wir haben mit Dr. Fuller gesprochen und ... Ach, das sollten wir in gemeinsamer Runde besprechen. Heute Nachmittag im Cafe?“ „Wenn du mich begleitest?“ „Natürlich. Ich hole Sie wie gestern ab.“ „Und du willst nicht damit rausrücken, worum es geht?“ „Nein“, antwortete er fest, räumte das Geschirr zusammen und verließ das Zimmer, nicht dass sie ihn doch noch ausquetschte. Er stellte das Tablett auf den Wagen und sah zu seinem Bruder, der Tür zu Mr. Genardys Zimmer stand. Dean lächelte ihm aufmunternd zu und öffnete die Tür. Kapitel 81: Ein konspiratives Treffen ------------------------------------- 81) Ein konspiratives Treffen Wenig später trafen sie sich in ihrem Büro. „Und?“, wollte Sam sofort wissen. „Mrs. Mendes und Mrs. Wishaw sind kein Problem. Sie kommen, genau wie Mr. Harland. Und bei dir?“ „Wird wohl wieder nur Mrs. Bonar sein. Obwohl Mr. Harris einem Treffen nicht ganz abgeneigt schien.“ „Dann lassen wir uns mal überraschen.“ Und tatsächlich wartete zum angekündigten Zeitpunkt auch Mr. Harris vor der Tür des Cafés auf sie. „Es geht um den Gemeinschaftsraum“, begann Dean, kaum dass sich alle an einen Tisch gesetzt und ihre Bestellungen aufgegeben hatten. „Also doch!“, platzte Mr. Harland dazwischen. „Warum habt ihr das denn gestern nicht schon erzählt?“ „Weil es gestern nur eine Idee war“, erklärte Sam. „Und die ist es heute nicht mehr?“, wollte Mrs. Mendes wissen. „Nicht direkt.“ „Geht’s noch ungenauer?“, schimpfte Mrs. Bonar. „Wir haben mit Dr. Fuller gesprochen und dürfen den Raum ausräumen. Er hat auch nichts dagegen, dass wir ihn streichen oder tapezieren. Allerdings will er für weitere Einrichtungsgegenstände einen Beweis, dass es ihnen mit dem Raum ernst ist.“ „Und das heißt?“, fragte Mrs. Wishaw irritiert. „Er will, dass sie hin und wieder im großen Speiseraum essen“, ließ Sam die Bombe platzen. „Der versucht wirklich alles, um uns in dieses Irrenhaus zu bekommen“, schimpfte Mrs. Bonar. „Es muss doch nicht für immer sein. Nur ein paar Mal da essen und wenn der Gemeinschaftsraum fertig ist, könnten sie ja dann da essen“, versuchte Dean die Wogen gar nicht erst zu hoch schlagen zu lassen. „Dem Wether-Worthington wieder begegnen? Ohne mich!“, kommentierte Mrs. Mendes diesen Vorschlag. „Ich hab mir geschworen, den nie wieder sehen zu wollen!“ „Was ist mit dem? Was hat der Ihnen getan?“, wollte Dean leise wissen. „Es gibt Menschen, die einem auf den ersten Blick unsympathisch sind. Er ist so einer. Dann seine Art und diese eisigen Augen, die einem bis ins Innerste zu dringen scheinen und außerdem ist er irgendwie immer da, wenn etwas Schreckliches passiert!“, erklärte sie leise und Mrs. Wishaw nickte stumm. „Er bricht in die Privatsphäre ein, wühlt sich durch die Papiere, die ihn nichts angehen und die er nie zu Gesicht hätte bekommen sollen. Er versuchte etwas über die Familie herauszufinden. Solange Michelle, seine Kollegin noch da war, war er halbwegs erträglich, doch als sie verschwand ...“ „Ich kann sie ja verstehen“, begann Dean noch einmal eindringlich, „aber bedenken sie, was sie dafür bekommen. Es ist doch nicht auf Dauer.“ Er warf seinem Bruder einen Blick zu und schaute noch einmal in die Runde. „Überlegen sie es sich, bitte.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ den Tisch. Sam folgte ihm. Sie holten sich an der Theke jeder ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee und gingen zu einem kleinen Tisch in einer Nische. Ganz entgegen seiner Gewohnheit setzte Dean sich mit dem Rücken zur Tür, was Sam für einen Augenblick ins Straucheln brachte, da er diesen Platz ansteuerte. Fragend schaute er seinen Bruder an. „Wenn ich mich ändern kann, können sie es doch auch, oder?“, wollte der Ältere leise wissen und rutsche auf seinem Platz hin und her. Er fühlte sich hier total unwohl und wollte nichts mehr, als sich zur Tür umdrehen, unterließ es aber. Sam hatte in der letzten Zeit immer wieder auf ihn sehr hut auf ihn achtgegeben, warum sollte er das jetzt nicht auch? „Es gibt aber auch Dinge, die nicht verändert werden müssen“, fügte der Jüngere leise hinzu. Dean blickte ihn dankbar an. Langsam begann er zu essen. „Weißt du, worüber ich gerade nachdenke?“, wollte Dean plötzlich wissen. „Nein?“ „Mrs. Mendes sagte, Michelle verschwand.“ „Du denkst dahinter könnte mehr stecken?“ „Ich weiß es nicht. Aber eigentlich hätte sie „gekündigt“ sagen müssen, oder „gegangen“, aber nicht verschwunden.“ „Da werden wir wohl mal wieder das Internet quälen müssen“, stellte Sam mit einem Lächeln fest. Er nahm noch einen Schluck bevor er die Frage stellte, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte: „Warum versuchst du sie so vehement von dem großen Speiseraum zu überzeugen. Wir sind in ein paar Tagen, höchstens aber in zwei Wochen wieder weg. Eigentlich müsste es dir doch egal sein. Bist du so scharf auf zusätzliche Arbeit?“ Dean schüttelte den Kopf und starrte in seine Tasse. „Was ist es Dean?“, drängte Sam leise. „Wenn das wirklich unser letzter Fall sein soll, dann ... Ich will, dass etwas von uns bleibt. Das ist blöd, ich weiß, aber wir tauchen auf und verschwinden wieder und niemand wird sich je an uns erinnern. Ich will einfach, dass es hier anders ist.“ Noch immer hielt Dean den Kopf gesenkt und starrte beschämt in seine Tasse. Das klang aber auch bescheuert! Sam musste schlucken. Solche Gedanken hätte er seinem Bruder nie zugetraut. Weder, dass er sich trotz seiner Aussage nicht an ihren Ausstieg zu glauben, doch damit beschäftigte, noch dass er etwas Bleibendes schaffen wollte. Er legte ihm die Hand auf den Arm und strahlte ihn warm an. „Das ist alles andere als blöd, Dean. Ich finde diese Idee toll. Und ich denke, sie werden sie auch mögen.“ „Ich will nicht, dass du ihnen davon erzählst!" „Nicht von der Idee an sich, aber wenn sie sich nicht für den Speiseraum entscheiden, werd ich mal ein bisschen auf Mrs. Bonar einreden. Sie scheint sich zu sowas wie einer Sprecherin zu entwickeln.“ „Meinst du?“ „Sie führt zumindest ziemlich oft das Wort und alle hängen ihr an den Lippen.“ Jetzt wandte sich Dean zu dem Tisch um und warf ihren Rentnern einen Blick zu. „Der Platz ist Scheiße“, schimpfte er leise, als er sich wieder zurückdrehte. „Wie hältst du das aus?“ „Ich bin es gewohnt und ich weiß, dass du immer ein Auge auf mich hast. Bei dir brauche ich nie Angst haben, dass mich etwas von hinten anfallen könnte.“ Bei diesen Worten huschte ein roter Schimmer über Deans Wangen. „Ich glaube sie sind fertig“, sagte Sam und erhob sich. Die Brüder brachten ihre Tassen zur Theke zurück und gingen danach zu ihren Rentnern zurück. „Und?“, wollte Sam wissen. „Wir werden gehen. Für ein paar Tage!“, erklärte Mrs. Bonar resolut. „Aber wenn sich in zwei Wochen noch nichts getan hat, war´s das mit unserer Bereitschaft zu eine Zusammenarbeit!“ Die Anderen am Tisch nickten bestimmt. „Das gilt für sie alle?“, fragte Dean nach. „Für uns alle“, bestätigte Mr. Harris, „auch wenn ich bezweifle, dass sich etwas tun wird. Das hat es noch nie, wenn es zu unseren Gunsten sein sollte.“ „Und was wenn doch?“, forderte Sam ihn heraus. „Wenn doch, bin ich dabei. Egal was, fragt einfach!“, warf Mr. Harris sich in die Brust. „Und wir auch“, bestätigten die Anderen jeder für sich und alle gemeinsam. „Erstmal heißt das für uns mehr Arbeit“, überlegte Dean ruhig und blickte Sam an. „Ist ja nicht für immer“, grinste der. Auf dem Rückweg hakte sich Mrs. Bonar bei Sam unter während Dean mit Mr. Wishaw die Nachhut bildete. „Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass das mit dem Umbau was wird. Fuller verspricht viel und hält wenig. Es wird im Sand verlaufen“, sagte sie resigniert. „Er wird euch immer wieder abwimmeln, bis euer Elan eingeschlafen ist oder ihr keine Lust mehr habt, zu fragen.“ „Da kennen Sie Dean schlecht“, sagte Sam und schluckte. „Dean?“ „Ja, er mag den Namen Deacon nicht sonderlich, hat er mir erzählt“, versuchte sich der jüngere Winchester herauszureden. „Ich denke eher, er heißt wirklich Dean“, vermutete sie leise. „Er ist nicht nur ein Kollege, stimmt´s?“ Betreten nickte Sam. Dass er sich so verraten hatte, war ihm noch nie passiert. Es wurde wirklich Zeit, dass sie aufhörten! „Wie ... Ich meine ... Was hat mich verraten?" „Kleinigkeiten. Gesten, Blicke, die Kollegen nie tauschen würden. Zumindest keine Kollegen, die sich nicht schon ein halbes Leben kennen." „Sie sind eine zu gute Beobachterin“, lächelte er sie verlegen an. Ich bitte Sie, ein Blinder hätte bemerkt, dass ihr ein Paar seid!“ „Wir sind kein Paar!“, erklärte Sam erschrocken. Verdammt! Das hing ihnen schon seit Jahren an! „Wir sind Halbbrüder!“ „Halbbrüder. Klar!“ Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Und warum seid ihr gerade hierher gekommen?“ „Das Heim suchte Pfleger und wir haben die Stellen bekommen.“ „Und wenn nur einer von euch angenommen worden wäre?“ „Dann hätte der andere sich etwas in der Nähe gesucht. Wir sind flexibel.“ „Wenn ihr Brüder seid, warum habt ihr unterschiedliche Nachnamen?“ „Wir sind Halbbrüder und wir wollten uns verändern, hier waren Stellen frei. Wir haben uns vor ein paar Jahren zufällig kennengelernt und uns von Anfang an gut verstanden. Dann war da noch der gleiche Job. Der Rest hat sich ergeben.“ Sam Lächeln war harmlos freundlich und sie sah, dass er ihr keine andere Antwort geben würde. Mrs. Bonar nickte, legte ihre Hand auf seine und drückte sie fest. „Ganz wie du sagst, Junge“, erwiderte sie und wunderte sich, das man in der heutigen Zeit noch so sehr versuchte seine Sexualität zu verbergen. „Wird ja auch Zeit“, schimpfte Sam leise. „Wo treibst du dich eigentlich immer rum?“ Dean zog das EMF aus der Tasche und hielt es Sam vor die Nase. „So ganz kannst du nicht von deiner Geistertheorie lassen, oder?“, stichelte der Jüngere gutmütig. „Irgendwas ist da. Hast du wirklich nichts über die Bewohner von Station 7 gefunden?“ „Nein, genau so wenig wie über die Bewohner der anderen Stationen.“ Ein Verdacht stieg in Dean hoch, doch den wollte er erst einmal bestätigt wissen, bevor er ihre ganze Ermittlungsenergie darauf konzentrierte. Vielleicht war es ja auch nur das Misstrauen alter Leute, das sich langsam auch auf ihn übertrug. „Lass uns den Tisch fürs Abendessen vorbereiten“, sagte er stattdessen. In aller Ruhe deckten die Brüder im großen Speiseraum den Tisch für fünf Personen. „Sollen wir nicht doch wenigstens einen Teller mehr draufstellen?“, wollte Sam wissen. „Es sieht gar so abgezählt aus.“ Dean nickte und holte noch drei Gedecke. „Habt ihr sonst nichts zu tun?“, begann Wether-Worthington, kaum dass er den Raum betreten hatte und sah, was da am Tisch seiner ehemaligen Station passierte. „Das ist doch vergebliche Liebesmüh!“ Die Winchesters würdigten ihn nicht eines Blickes. Sam warf noch einen letzten Blick über den Tisch. „Lass sie uns holen gehen.“ Gemeinsam verließen sie den Speiseraum. „Das ist so entwürdigend“, beschwerte sich Mrs. Mendes, als sie, an Deans Arm, dem Speisesaal betrat. „Ignorieren Sie sie einfach“, schlug er ihn vor. „Das mach ich auch meistens.“ Ein spitzbübisches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Du scheinst aber mehr Übung darin zu haben als ich.“ „Denken Sie an ihren Gemeinschaftsraum. Sobald Fuller sieht, dass es ihnen ernst ist, kommt der Container und dann räumen wir aus. Einiges von dem, was da noch drinsteht, können wir bestimmt auch nutzen.“ „Du kannst ziemlich hartnäckig sein, weißt du das?“ „Mein Bruder sagt stur.“ Mrs. Mendes lächelte und ließ ihn ihr, ganz Gentleman, den Stuhl zurechtrücken. „Was darf´s sein, gnädige Dame? Wir haben heute ein italienisches Menü.“ „Oh“, ließ sie verlauten, „dann nehme ich ein wenig Rucolasalat, Capaccio, Bruschetta wenn Sie haben und Tomaten mit Mozzarella.“ „Aber selbstverständlich, gerne doch.“ Dean zwinkerte ihr mit einem strahlenden Lächeln zu und schaffte es damit endgültig ein Lachen auf ihr Gesicht zu zaubern. Auch Sam grinste. „Er ist ja so niedlich“, schwärmte Mrs. Bonar, lächelte Sam an und seufzte. Sie verstand was James an ihm anziehend fand. Der jüngere Winchester verdrehte nun endgültig die Augen. „Nimm´s nicht so hart, so sind sie halt, die Frauen“, versuchte jetzt auch Mr. Harland zu dieser aufgelockerten Stimmung beizutragen. Auch er fühlte sich hier alles andere als wohl, aber da er ja nicht allein war und sie außerdem ein Ziel vor Augen hatten, konnte er die starrenden Gesichter der anwesenden Heimbewohner und des versammelten Personals gut ignorieren. Lange wollte er diesen Futterauftrieb hier allerdings auch nicht mitmachen. Kapitel 82: Zweifel ------------------- 82) Zweifel „Das darf ja wohl nicht wahr sein. Was haben die an sich?“, beschwerte sich Wether-Worthington gut hörbar bei seiner Kollegin. „Ich hab doch wirklich alles versucht, die hierher zu locken.“ „Jetzt reg dich nicht auf ...“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Sie hatten einfach mehr Glück. Du weißt doch, wie alte Leute ticken. Freu dich, dass du auf deiner Station beliebt bist.“ „Ich finde es einfach ungerecht!“ „Wenn du sie so angemacht hast, wundert es mich nicht, dass sie nicht wollten“, sagte Dean ruhig und begann den Teller für Mrs. Mendes zu füllen. „Sag das nochmal!“, knurrte Aidan und machte noch einen Schritt auf den Winchester zu. Leises Rauschen drang an Deans Ohr. Er stutzte. Was war das? Es klang fast wie das EMF, aber das hatte er doch ausgeschaltet. War er unbemerkt an den Knopf gekommen? „Was ist? Hat´s dir die Sprache verschlagen?“, wollte Wether-Worthington wissen und drängte ihn weiter. Das Rauschen wurde stärker. Schnell rieb sich Dean die Leiste und schaltete so das Gerät unbemerkt aus. Er machte einen Schritt nach vorn und füllte den Teller weiter, als wäre nichts gewesen. Nur Sam bemerkte, dass sein Bruder mit den Gedanken ganz woanders war. „Was hast du?“, wollte Sam leise wissen, nachdem sie ihre Schützlinge am Tisch versorgt hatten und auf dem Weg zu den drei Zurückgebliebenen waren. Doch Dean schüttelte nur den Kopf. Das musste er erst noch genauer überprüfen, bevor er den Verdacht aussprach, obwohl der sich immer mehr zu erhärten schien. Sollte es so einfach sein? Ein Pfleger? War Wether-Worthington des Rätsels Lösung? Aber wer oder was war der dann? Beim Abräumen wanderten Deans Augen immer wieder über die leeren Nachtischschüsselchen auf dem Tisch. Mrs. Wishaw kicherte, als es ihr auffiel und blickte zu Mrs. Mendes. „Wir haben hier ein kleines Leckermaul“, wisperte sie leise. „Das ist mir auch schon aufgefallen“, mischte sich Mrs. Bonar ein, die den beiden Damen gegenüber saß. Verschwörerisch blickten sich die Damen an. „Deacon, kannst du mir bitte noch eine Portion Zabaione mitbringen?“, fragte Mrs. Mendes auch schon. „Mir bitte Panna Cotta“, fügte Mrs. Wishaw hinzu und der Winchester sah seine Chancen auf einen leckeren Nachtisch für sich sinken. Leise Enttäuschung huschte über sein Gesicht, während er sich beeilte, den Wünschen nachzukommen. „Holst du mir auch noch eins“, bat Mrs. Bonar Sam und Deans Hoffnung zerplatzte endgültig. Vielleicht sollte er Jody mal bitten so etwas für ihn zu machen? Konnte sie das? Oder vielleicht konnten sie italienischen Nachtisch ja zu einer Weihnachtstradition machen? War zwar immer noch ewig hin bis Weihnachten, aber es war etwas worauf er sich freuen konnte. „Was möchten sie denn gerne?“, fragte er trotzdem ernsthaft. „Vanillecreme. Unsere Köche haben sich mit dem Nachtisch heute Abend selbst übertroffen. Ich habe selten so guten gegessen“, sagte sie mit einem Lächeln. Er brachte den Damen das gewünschte Dessert und begleitete sie dann zu ihren Zimmern, da sie ihren Nachtisch lieber in aller Ruhe verzehren wollten. „Deacon?“, begann Mrs. Mendes und drehte sich in ihrer Tür noch einmal zu dem Pfleger um. „Würdest du bitte gleich noch mal zu mir kommen?“ „Mach ich“, antwortete er und brachte Mrs. Wishaw zu ihrer Tür. „Komm mal mit rein“, sagte sie und zog ihn durch die Tür, jeden Widerspruch im Keim erstickend. Ergeben nickte er. Was hatte die denn heute alle mit ihm? „Setzt dich“, forderte sie und drückte ihm, kaum dass er Platz genommen hatte, das Schüsselchen und einen Löffel in die Hand. „Hau rein.“ „Aber ...?“, begann Dean stotternd. „Der war eh für dich. So sehnsüchtig wie du die ganze Zeit auf das Bufett mit dem Nachtisch geschaut hast, da musste ich dir doch einen besorgen. Außerdem war es zu niedlich zu sehen, wie du deine Chancen auf schwinden sahst.“ „Sie sind eine ziemlich durchtriebene Person, wissen Sie das?“ „Durchtrieben würde ich das nicht nennen. Ich lasse mir nur nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen. Und jetzt lass es dir schmecken.“ Ergeben nickend verdrehte Dean die Augen und machte sich über die Leckerei her. „Danke“, sagte er leise, nachdem er das Schälchen geleert hatte. „Das wäre aber nicht nötig gewesen!“ „Wäre es wohl nicht, aber es hat mir Spaß gemacht zuzusehen, wie jemand mit so viel Genuss essen kann. Außerdem hast du in dieser kurzen Zeit, die du hier bist, so viel für uns getan und erreicht. Sieh es als kleine Anerkennung und Ansporn nicht nachzulassen. Wir sind dir unendlich dankbar dafür, auch wenn wir es nicht so richtig zeigen.“ Dean schluckte verlegen. Er nickte dankbar und verließ das Zimmer. Sie blickte eine Weile überlegend auf die Tür. So glücklich wie er beim Essen ausgesehen hatte, schien er entweder selten so etwas zu bekommen, was sie sie jedoch nicht vorstellen konnte, schließlich verdiente er sein eigenes Geld und würde sich sowas leisten können. Oder aber er bekam viel zu selten etwas Gutes von anderen, wovon sie eher ausging. Sie schüttelte den Kopf. Dieser junge Mann war ein Mysterium, dem sie gerne auf die Spur kommen wollte. Vielleicht sollte sie mit ihren Nachbarinnen über ihre Beobachtungen sprechen? Nein wohl eher nicht! Nicht jetzt jedenfalls. Auf dem Gang lief er Sam in die Arme, der bei Mrs. Fey abgeräumt hatte und jetzt auf dem Weg zu Mr. Levin war. „Bist du soweit“, fragte der Jüngere. „Ich muss noch zu Mrs. Mendes und bei Mr. Genardy abräumen.“ „Dann mach hin. Ich bin gleich fertig.“ „Seit wann drängelst du, um zum Essen zu kommen?“ „Seit es hier gutes Essen gibt und ich keinen Bock auf dein Genörgel hab, wenn du etwas nicht bekommst!“ „Ach, jetzt bin ich auch noch schuld?“ „Nein, so war das doch nicht ...“, stammelte Sam. Wieso hatte er denn jetzt schon wieder den schwarzen Peter gezogen? Dean grinste. Es machte Spaß Sam aufzuziehen und zu sehen, wie er sich dann versuchte herauszuwinden. „Schon okay, Sammy. Ich beeile mich“, sagte er in versöhnlichem Ton und klopfte bei Mrs. Mendes. „Sie hatten noch einen Wunsch?“, fragte er beim Eintreten. „Ja, eigentlich wollte ich dir nur die leere Schüssel mitgeben, aber meine Augen waren wohl doch größer als mein Magen. Wenn du dich also erbarmen könntest?“ Fragend musterte der Winchester sie. War sie wirklich satt oder sollte sie etwa mit Mrs. Wishaw ...? Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. So ganz falsch konnte er seine Arbeit hier ja dann wohl nicht machen, wenn ihn die Damen schon jetzt mit Nachtisch verwöhnten? Trotzdem wollte er diesen Beruf nicht sein Leben lang ausführen. Irgendwann sollte er wohl mal beginnen, darüber nachzudenken, was er den Rest seines Lebens machen wollte. Wenn sie wirklich mit der Jagd aufhören würden, würde er eine sinnvolle Beschäftigung brauchen. Eine, die ihn forderte und die nicht langweilig werden würde. Er fühlte Mrs. Mendes erwartungsvollen Blick auf sich ruhen und begann mit einem Lächeln zu essen. Über einen Beruf konnte er auch später noch nachdenken. In aller Ruhe verspeiste er die Leckerei. „Also wenn Sie mal wieder zu große Augen haben, bei solch leckerem Nachtisch nehme ich Ihnen den gerne ab“, grinste er und sie lächelte zufrieden. Der Junge setzte sich so für sie alle hier ein, da konnten sie ihm ruhig das eine oder andere Gute tun. „Danke, sagte Dean, erhob sich und brachte die Schale nach draußen. Der Wagen mit dem Geschirr stand vor ihrem Büro, also musste Sam wohl noch da sein. Er trat ein. „Hast du auch eine heimliche Verehrerin, die dich mit Nachtisch versorgt?“, wollte er wissen und deutete auf das Schälchen Vanillecreme, das auf dem Schreibtisch stand. „Ich?“, fragte Sam entrüstet. „Sehe ich so verfressen aus? Den soll ich dir geben.“ „Wieso mir?“ „Weil Mrs. Bonar aufgefallen ist, wie sehnsüchtig du auf das Tiramisu gestarrt hast!“, maulte der Jüngere neidisch. Was hatte sein Bruder nur an sich, dass sich die alten Damen so um ihn rissen? „Ich hab nicht gestarrt! Ich hab lediglich darüber nachgedacht, ob wir das nicht als Weihnachtsleckerei einführen könnten, mehr nicht“, versuchte sich Dean zu verteidigen. „Und deshalb schleppt dir Mrs. Bonar einen Nachtisch hinterher?“ Er hätte auch gerne jemanden, der so … Ach verdammt! Was dachte er denn da! Er war einfach eifersüchtig. Dean bekam Nachtisch und er nicht. Außerdem würde er wohl, wenn er so viel essen würde wie sein Bruder, aussehen wie ein dicker Pfannkuchen. Er musste sich mehr bewegen, um seine Figur zu halten. „Warum fragst du sie nicht? Ich hab nichts gesagt. Warum machst du mich eigentlich so an?“ „Ich mach dich nicht an. Ich ...“ „Nein?“ Demonstrativ griff Dean nach dem Schälchen und löffelte es in aller Ruhe leer. Wortlos ging er danach nach draußen, brachte das Geschirr in die Küche und suchte sich dann am geplünderten Büfett noch etwas zu essen. Sam war ihm gefolgt und setzte sich neben ihn. „Oh. Der erste Ehestreit?“, wollte einer ihrer Kollegen wissen. Doch weder Dean noch Sam würdigten ihn eines Blickes. Was sollten sie auch sagen? Sie hatten sich nicht gestritten, nicht in dem Sinne, in dem er es meinte, es war einfach ein irgendwie ausgeufertes Wortgefecht gewesen, wie es unter Brüdern hin und wieder einmal vorkommt. Sie wollten gerade wieder in ihre Büro zurück, als ihnen Dr. Fuller über den Weg lief. „Ich hätte nie gedacht, dass sie das schaffen. Wie haben sie die Bewohner nur überreden können?“, wollte er mit echter Bewunderung in der Stimme wissen. „Wir haben ihnen von den Gemeinschaftsraum erzählt und von Ihrem Ultimatum“, erklärte Dean ruhig. Sam stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. So direkt musste er ja nun auch nicht sein, aber warum sollte er lügen. „Sie kommen, doch wenn das mit dem Raum nichts wird, werden sie nie wieder in den Speisesaal gehen.“ ‚Und wenn es klappt auch nicht‘, fügte er in Gedanken hinzu. „Es ist ihnen da einfach zu unruhig. Darauf hat mich Mrs. Bonar heute Abend noch einmal ausdrücklich hingewiesen. Für ein paar Tage wird sie es durchhalten, aber länger als eine Woche bestimmt nicht“, fügte Sam hinzu, nicht dass der Heimleiter auf die Idee kam, dass sie den Raum jetzt nicht mehr brauchen würden. „Der Container wird morgen da sein“, erklärte Dr. Fuller sachlich und verließ das Heim. Da war wohl nichts mehr zu machen. So wie es aussah, waren die Bewohner von der Station nur kurz Gäste in ihrem Speiseraum. Trotzdem bewunderte er die beiden Neuen. Wie sie sich für ihre Schützlinge einsetzten war ungewöhnlich und er war gespannt, wie lange sie durchhalten würden. Immerhin hatte er schon viele solcher Enthusiasten gesehen. Die wenigsten hatten ihre Aktionismus über die Zeit gerettet. In ihrem Zimmer angekommen ließ sich Dean müde auf sein Bett fallen. Diese Arbeit schlauchte. Nicht körperlich, sondern geistig und ihm fehlte die Auslastung. Doch die würde er hoffentlich am nächsten Tag haben. Außerdem hätte er gerne mal wieder etwas, worauf er rumprügeln konnte. Immer nur nett und freundlich zu sein war echt anstrengend. Er drehte sich auf die Seite und wollte schauen, was sein kleiner Bruder trieb. Etwas Hartes drückte in seine Seite. Schnell ließ er sich wieder auf den Rücken fallen und zog das EMF aus der Tasche. Er legte es auf den Nachttisch. Nachdenklich betrachtete er das Gerät. Das Rauschen fiel ihm wieder ein. Der leckere Nachtisch und Dr. Fuller hatten es ihn völlig vergessen lassen. Er stemmte sich wieder in die Senkrechte und holte sich seinen Rechner. Kaum war der betriebsbereit, tippte er den Namen Wether-Worthington ein und wartete. Nach einer ganzen Weile spuckte das Internet ein paar Namen und Bilder aus, die jedoch nichts mit dem Wether-Worthington zu tun hatten. Niemand, der so großkotzig war, würde das Internet meiden! Irgendetwas war mit dem faul! Er versuchte noch ein paar andere Wege, doch der Kerl blieb ein Phantom. Er klappte den Rechner zu, holte sich Block und Stift und begann darauf herum zu kritzeln, während er seine Gedanken laufen ließ. „Woran denkst du?“, fragte Sam und stellte ihm ein Bier auf den Nachttisch. „Wether-Worthington. Irgendwas ist mit dem Kerl.“ „Sagt dein Bauch?“ „Der auch“, nickte er. „Ich hatte wohl vergessen das EMF auszuschalten oder ich hab es irgendwie wieder angemacht, egal. Jedenfalls, als er heute an mir vorbei gelaufen ist, hat das Ding verrückt gespielt.“ „Er könnte einen Herzschrittmacher haben oder sonstwas, was das EMF irritiert haben könnte.“ „Der? Einen Herzschrittmacher?“ Ungläubig schüttelte Dean den Kopf. „Vielleicht hat er ein altes Handy?“ „Hm“, Dean blieb skeptisch. „Aber was mich richtig stutzig macht. Es gibt nichts von oder über ihn im Internet.“ „Das ist allerdings ungewöhnlich“, stimmte Sam seinem Bruder zu. „Soll ich mal suchen?“ „Kannst du gerne machen“, erklärte Dean etwas ruppig, stand auf und ging ins Bad und Sam schluckte. Er wusste, dass sein Bruder fast so gut recherchieren konnte wie er selbst, nur leider schien Dean das nicht wahrhaben zu wollen und seine Frage jetzt hatte das auch infrage gestellt. Verdammt! Zurück in ihrem Zimmer ließ sich Dean auf sein Bett fallen und zappte gelangweilt durch die Programme. „Dean, ich … es tut mir leid. Ich weiß, dass du genauso gut recherchierst wie ich. Ich wollte das nicht … ich war blöd. Entschuldige.“ Der Ältere schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber nachdenken. „Ich habe versucht etwas über diese Michelle herauszufinden. Ich habe auch nicht viel gefunden“, wechselte Sam abrupt das Thema. „Sie hat in paar Jahre in den Heim gearbeitet. Zuletzt mit unser aller Liebling, Wether-Worthington, etwas mehr als ein Jahr. Irgendwann kündigte sie und danach verlieren sich alle Spuren, so als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Siehst du? Ich bin auch nicht perfekt.“ Dean blickte seinen Bruder fragend an, dann verkroch er sich unter die Decken und versuchte zu schlafen. Er wusste ja nicht einmal selbst, warum ihn Sams Äußerung so sauer gemacht hatte. Er würde nie so gut recherchieren können wie er! Kapitel 83: Eiszeit im Gemeinschaftsraum ---------------------------------------- @ Vanilein - so schnell wird Dean seine Zweifel wohl nicht loswerden können. Da braucht es noch viel Zeit und gutes Zureden! LG Kalea 83) Eiszeit im Gemeinschaftsraum Der nächste Tag kam viel zu früh. Dean fühlte sich wie erschlagen, als Sam ihn weckte. Er hatte wirres Zeug geträumt, woran er sich jedoch nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern konnte. Er wusste nur noch, dass es um Sam, Bobby und Adam gegangen war. Müde rieb er sich über das Gesicht, kämpfte sich unter den besorgten Blicken seines Bruders auf die Füße und ins Bad. „Was ist los?“, wollte Sam leise wissen. Er hatte in der Zwischenzeit Frühstück besorgt, den Tisch gedeckt und dann an der Badezimmertür auf Dean gewartet, um ihm sofort eine Tasse Kaffee in die Hand zu drücken. „Keine Ahnung“, nuschelte der und schaute Sam in die Augen. Er wusste es wirklich nicht. Der Traum saß ihm wohl doch noch in den Knochen. Außerdem schlauchte der Job mehr, als er angenommen hatte. Ihre Rentner waren, nach den anfänglichen Zankereien, nett und konnten sich auch allein mit allem versorgen und trotzdem schienen sie ihn ständig zu beanspruchen. Ihm fehlte die Ruhe, die er hatte, wenn er an Autos schraubte, oder wenn sie recherchierten. Er war also wohl nicht dafür geschaffen, sich ständig um Menschen zu kümmern. Sam nickte. Er sah die Unsicherheit in Deans Augen. Sein Bruder machte ihm hier nichts vor, nur um seine Ruhe zu haben. „Willst du reden?“, fragte er deshalb eher rhetorisch. Wie zu erwarten schüttelte der jedoch nur mit dem Kopf. Wenn er wenigstens wüsste, worüber er reden sollte. „Hast du gestern noch was gefunden?“, fragte er stattdessen. „Nichts. Der Typ scheint entweder keine Spuren zu hinterlassen, sie sehr gut verwischen zu können, oder aber er existiert einfach nicht.“ „Wir sollten ihn im Auge behalten“, beschloss Dean. „Kannst du rausfinden, wo er wohnt?“ „Das hab ich schon“, grinste Sam. „Er wohnt nicht weit weg von hier, vielleicht eine halbe Stunde Fußmarsch.“ „Wir latschen den ganzen Tag rum. Ich muss da nicht auch noch hinlaufen!“, maulte Dean augenblicklich. „Das war mir schon klar, aber er wohnt am Ende einer Sackgasse. Da fallen wir mehr als nur ein Bisschen auf, wenn wir mit dem Impala vorfahren.“ „Das heißt also, dass du mich zu einem Spaziergang überreden willst.“ „Genau.“ „Vergiss es. Wir fahren hin. Das Stück in die Straße können wir ja vielleicht laufen, mehr aber auch nicht! Und irgendwann willst du dann zu einem Marathon überreden!“ „Warum nicht?“, grinste Sam. „Sag du nochmal, du würdest dich ändern.“ „Du hast gestern noch gesagt, dass es auch Dinge gibt, die man besser nicht ändern sollte.“ Sam verdrehte die Augen. „Schon klar“, sagte er leise. Schweigend frühstückten sie. Der orangefarbener Container neben der Eingangstür stach ihnen sofort ins Auge, als sie auf den Parkplatz einbogen. Über Deans Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. Heute würde er wohl seine Ausarbeitung bekommen. Er parkte auf einem der freien Angestelltenparkplätze. Sie stiegen aus und beeilten sich, sich umzuziehen. In ihrem Büro wurden sie schon ungeduldig von Connor und Isabelle, den Pflegern der Frühschicht, erwartet. „Was habt ihr mit unserer Station gemacht? Mr. Bonar, Mr. Mendes, Mr. Harland und Mr. Harris sind heute Morgen frühstücken gegangen und zum Lunch hat sich sogar Mr. Wishaw angeschlossen. Das hat es schon seit Monaten nicht mehr gegeben! Und wisst ihr vielleicht auch etwas über den Container?“, bestürmte sie Isabelle sofort. „Wir aktivieren den Gemeinschaftsraum“, antwortete Sam nur. „Ihr macht was?“, wollte Connor ungläubig wissen. „Sie mögen die Unruhe im großen Speiseraum nicht, aber wir haben sie überzeugen können, dass es schöner ist, nicht nur im eigenen Zimmer zu hocken. Und wir konnten sie überreden, Fuller zu beweisen, dass sie einen Gemeinschaftsraum möchten. Sie werden ein paar Tage im großen Speisesaal essen gehen und wir machen den Gemeinschaftsraum fertig“, erklärte Sam. „Kann ich euch helfen? Ich hätte Zeit“, fragte Isabelle, sofort Feuer und Flamme für diese Idee. „Gerne. Wir wollen heute erst mal ausräumen. Dann kann der Putztrupp durchgehen und das Gröbste wegmachen. Morgen wollen wir dann streichen oder wenn nötig tapezieren.“ Wieder war es Sam, der sprach. Dean nickte nur. Er sah gerade seine körperliche Ausarbeitung schwinden. „Ich hab auch noch eine Stunde Zeit“, erklärte sich auch Connor ebenfalls zur Hilfe bereit. „Okay, dann schießt mal los, was es neues gab. Danach können wir schon fast beginnen.“ „Die Neuigkeit haben wir euch ja schon erzählt. Sonst sind alle wohlauf“, gab Connor einen kurzen Bericht. „Alles klar“, freute sich Sam und blickte kurz zu seinem Bruder. „Dann wollen wir mal schnell „Hallo“ sagen gehen und dann kann‘s losgehen.“ „Wir schauen uns den Raum schon mal an“, sagte Isabelle. Gemeinsam verließen sie das kleine Büro. „Guten Tag, Mr. Bonar. Ich hab gehört, dass Sie heute Morgen nicht zum Frühstück waren?“, wollte Sam besorgt wissen. „Ist alles in Ordnung?“ „Alles gut, James. Du musst dir keine Sorgen machen, ich bin nur ein Morgenmuffel. Soviel Trubel vor dem wach werden, ist meiner Laune sehr abträglich“, beruhigte sie ihn sofort und lächelte. Es war schön so aufmerksam behandelt zu werden. „Da kenne ich auch jemanden, den man vor den zweiten Kaffee auf keinen Fall ansprechen darf, wenn man keinen Anraunzer riskieren will“, grinste Sam. „Haben Sie noch einen Wunsch?“ „Nein erst mal nicht. Danke.“ Auch Dean wurde von seinen Schützlingen sofort mit Fragen bestürmt. „Ihr habt es wirklich geschafft? Können wir helfen?“, waren die Fragen, die er von jedem gestellt bekam. „Noch nicht. Wir räumen erst mal aus, aber Sie könnten sich schon mal Gedanken über die Gestaltung machen“, erklärte er daraufhin. Immerhin sollte das ein Raum für die Rentner werden, in dem sie sich auch wohlfühlten. Keine zehn Minuten später standen die vier Pfleger in dem zugestellten Raum und begutachteten die dort aufgehäuften Möbel. „So wird das nichts“, sagte Sam. „Wir sollten sie rausräumen und dabei entscheiden, was noch gut ist, und was weg kann.“ „Wird das Beste sein“, bestätigte Isabelle und sie begannen, mit vereinten Kräften, die alten Möbel aus dem Raum zu schaffen. „Was ist das denn hier für ein Krach?“, polterte Mr. Genardy und stellte sich Sam in den Weg. Der bremste abrupt und brachte so seinen Bruder, der ihm folgte, ins Straucheln. „Wir räumen den Raum hier aus“, erklärte der Winchester etwas genervt. „Und wozu?“ „Um ihn nachher wieder einzuräumen“, maulte Dean und schob sich an seinem Bruder vorbei. „Was soll das denn für ein Unsinn sein?“ „Der Raum soll renoviert werden, Mr. Genardy. Das hatte ich Ihnen gestern versucht zu erklären.“ „Und dann?“ Der alte Mann war noch nicht bereit, den Knochen einfach so zu schlucken. Er wollte mehr wissen. „Es soll ein Gemeinschaftsraum für diese Station werden“, versuchte Sam leicht ungehalten zu erklären. „Warum sagt ihr das denn nicht gleich. Ich kann doch mit helfen!“, erwiderte er und ging in den Raum, um sich am Ausräumen zu beteiligen. Ungläubig starrten die Brüder dem Mann hinterher. „Hast du das jetzt verstanden?“, wollte Sam vollkommen verwirrt von seinem Bruder wissen. „Ich hab ihm gestern lang und breit erklärt, warum wir uns in dem Cafe treffen wollten und ihn hat es nicht die Bohne interessiert!“ „So ändern sich die Leute. Vielleicht war er auch einfach nur der Meinung, dass sich hier eh nichts tut“, versuchte sich Isabelle in einer Erklärung. Sie stellte die Stühle, die sie gerade rausgebracht hat, im Gang an die Wand, da die wiederverwendet werden sollten. „Ich muss dann los. Aber es ist ja auch fast fertig“, sagte sie und klopfte sich den Staub von der Kleidung. „Danke“, rief ihr Sam hinterher. „Nein, ich muss euch danken! Ohne euch wäre das hier nie was geworden.“ „Dann solltest du vielleicht warten, bis es fertig ist“, erklärte Dean ruhig. „Hast du daran Zweifel?“ „Bei unserem Lebenswandel?“, nuschelte der ältere Winchester kaum hörbar. Sie hatten gerade die letzten nichtverwertbaren Möbel in den Container geschafft, als Dr. Fuller ihnen entgegen kam und sie bat mit ihm in den leeren Raum zu kommen. „Sie sind schnell“, lobte er. „Und wie haben sie sich das jetzt gedacht?“ „Kommt darauf an, ob sie einen Maler bezahlen oder wir das selbst machen sollen“, konterte Dean. „Wir haben einen Maler, der alle Arbeiten hier im Haus macht. Ich habe heute mit ihm gesprochen und er würde auch diesen Auftrag ausführen. Ich werde ihn gleich fragen, ob er morgen schon anfangen kann.“ „Okay. Dann fegen wir hier noch durch und kümmern uns dann wieder um unsere Schützlinge“, antwortete Sam. Dr. Fuller wandte sich zum Gehen und die Brüder suchten nach Besen. „Lasst mal Jungs, das können wir auch tun“, hörten die Brüder plötzlich eine weibliche Stimme, als sie mit den Putzutensilien gerade den Gemeinschaftsraum betreten wollten. „Und was sollen wir dann machen?“, fragte Dean und konnte den Anflug von Freude in seiner Stimme nicht so ganz unterdrücken. So gerne er auch mal den Maler machte, so ungern spielte er Putzfrau. „Ihr könntet uns ein Eis besorgen“, lachte Mr. Mendes. „Ein Eis? Jetzt?“ „Warum nicht?“ „Okay, und wo?“, erklärte sich Dean schnell bereit, bevor sein Bruder hier noch eine lange Diskussion vom Zaun brach. „Keine fünf Minuten die Straße runter“, erklärte Mr. Bonar. „Und das sagen Sie uns erst jetzt“, entrüstete sich Dean und funkelte sie enttäuscht an. „Konnte ja keiner ahnen, dass du so ein Leckermaul bist!“ „Ich dachte, das hätten Sie vor zwei Tagen und gestern im Kaffee gesehen!“ Sam nickte und lächelte entschuldigend. „Ja Kuchen, aber auch Eis?“, wollte Mr. Wishaw schlichten. „Alles was irgendwie süß ist, steht auf seiner Speisekarte ganz oben. Außer Kaffee, der muss komischerweise schwarz sein“, erklärte Sam leise lachend. „Na dann. Wir hätten gerne Eis. Drei Kugeln, kein Banane“, zählte Mr. Mendes auf. „Ich nehme auch drei. Zitrone, Schoko und Vanille.“ „Und ich nehme zwei Kugeln Vanille“, schloss sich Mr. Bonar ihren Vorrednern an. „Dann werd ich mich um Kaffee kümmern“, erklärte Sam und verschwand. Eine halbe Stunde später kam Dean vollbeladen zurück und staunte nicht schlecht, als er den Gemeinschaftsraum betrat. Gleich neben der Tür standen der Tisch, der ihre Entrümpelungsaktion überlebt hatte, mit den zehn Stühlen auf denen außer Mr. Fey alle Bewohner der Station einschließlich Sam versammelt saßen. Auf dem Tisch standen Plastikbecher mit Kaffee und die Runde unterhielt sich angeregt. „Wir sollten zusehen, dass wir einen Kaffeeautomaten bekommen“, überlegte Mr. Harland. „Und einen kleinen Kühlschrank“, warf Mr. Harris ein. Mr. Harland blickte Dean entgegen. „Setz dich, Junge“, sagte er und machte sich groß, um auf das Tablett in Deans Händen zu schauen. „Sie haben es sich ja schon richtig gemütlich gemacht“, stellte der Winchester leise fest. „Da müssen wir ja gar nichts mehr tun.“ „Nah, ein bisschen Farbe kann nicht schaden und etwas gemütlicher wäre auch nicht schlecht“, sagte Mr. Bonar. „Dr. Fuller wollte den Maler heute noch anrufen. Vielleicht kann er schon morgen kommen“, informierte Sam die Bewohner. „Das klingt doch gut. Was wird eigentlich mit den Möbeln, die jetzt hier rumstehen?“, wollte Mr. Wishaw wissen. „Die wollten wir behalten. Die sind noch gut, müssten höchstens ein bisschen aufgearbeitet erklärte“, sagte Sam. „Immerhin sollen wir ja nicht zu viel ausgeben.“ Er hatte versucht Fullers Tonfall zu imitieren und verdrehte jetzt die Augen. „Daran solltest du aber noch arbeiten. Einen Job als Imitator bekommst du so nie“, lästerte Dean und verteilte endlich das Eis an die Damen. „Ich wusste nicht, was sie so mögen, also hab ich ein bisschen gemischt. Ich hoffe, es passt trotzdem halbwegs“, entschuldigte er sich bei den anderen. „Das wird schon“, beruhigte ihn Mr. Harris. Wir hätten ja vorher was sagen können.“ Kapitel 84: Wether-Worthington ------------------------------ 84) Wether-Worthington „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass wir hier jemals in so einer Runde sitzen würden, geschweige denn innerhalb von so kurzer Zeit. Das ist schon fast ein Wunder“, sagte Mr. Mendes in die schweigend genießende Runde. „Dafür möchte ich euch danken, Jungs. Ihr habt uns die Augen geöffnet und uns gezeigt, dass man auch in diesem Alter nicht zu alt für neue Freunde ist. Ich hoffe, ich spreche hier nicht nur für mich.“ „Nein, Sie sprechen auf keinen Fall nur für sich“, antwortete Mr. Wishaw und ihre Stimme klang ein wenig kratzig. Die anderen Bewohner nickten ebenfalls bestätigend. „Bedanken sie sich, wenn hier alles gut ist. Vielleicht gefällt ihnen ja nicht, was wir uns ausgedacht haben“, versuchte Dean die sentimentale Stimmung zu brechen. Seine Augen leuchteten jedoch und verrieten seine Freude über dieses Lob. Mr. Bonar nickte und ging dann zum praktischen Teil über. „Die Möbel, die jetzt noch da sind, sollen bleiben?“, fragte sie noch einmal nach. „Ja.“ „Decken und Kissenbezüge sind kein Problem. Ich hab noch so viel Wolle, da kann ich eine Weile dran arbeiten. Aber wir brauchen auch Tischdecken und für die Stühle Hussen.“ „Was? Wieso Russen? Was sollen die denn mit den Stühlen machen?“, wollte Dean verwirrt wissen. „Hussen, Dean, keine Russen“, verbesserte Sam, auch wenn er ebenfalls nicht wusste, was gemeint war. Die Frauen lachten hell. „Hussen sind Überzüge für die Stühle“, erklärte Mr. Mendes. „Und warum müssen die dann Hussen heißen?“, wollte Dean wissen. „Das ist halt so. Warum heißt du Deacon?“ Dean grinste: „Gut gekontert.“ „Die Hussen kann ich nähen. Meine Maschine steht eh schon viel zu lange unbenutzt rum“, schlug Mr. Mendes vor. „Und wegen Gardinen könnten wir morgen mal losfahren?“, wollte Mr. Bonar wissen und schaute zu Dean. „Warum nicht?“, erklärte der sich sofort bereit. „Dann chauffiere ich die Damen morgen durch die Stadt.“ Sie saßen noch eine ganze Weile beisammen, bis es für die Winchesters Zeit wurde, den Tisch im großen Speiseraum zu decken, heute sogar für sieben Personen. An diesem Abend hatten es die Brüder ziemlich eilig, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, denn sie hatten noch etwas vor. „Es ist immer noch erstaunlich, wie schnell wir es geschafft haben, aus diesen Einzelkämpfern einen verschworenen Haufen zu machen“, überlegte Sam, als sie in der relativen Dunkelheit einer Sackgasse zum Haus von Wether-Worthington gingen. Der Impala parkte ein paar Straßen weiter. So leid es Dean auch tat, aber er musste seinem Bruder zustimmen. Der Wagen war einfach zu auffällig. Trotzdem würde er sich nie von diesem Schmuckstück trennen und da war es auch egal, dass John ihm den geschenkt hatte. So sehr er versuchte seinen Erzeuger aus seinem Leben zu streichen, es gab ein paar Stücke, die er nie aufgeben würde. Dazu zählten die Lederjacke und natürlich der Impala. Auch von seiner Lieblingsmusik würde er nicht lassen. Das war zwar auch von John initiiert, aber ihm gefiel einfach nichts anderes! „Ich würde sie nicht als verschworenen Haufen bezeichnen, aber sie sind ein ganzes Stück näher an der Gemeinschaft, die sie noch vor Tagen abgelehnt haben.“ Er schob die Überlegungen um John und seine Vorlieben beiseite. Sie waren fast an dem Haus und jetzt hieß es, sich zu konzentrieren. „Macht der Party?“, fragte Sam und starrte zu dem hell erleuchteten Grundstück. Auf dem Rasen standen Fackeln und aus dem Haus tönte laute Musik. „Es hat auch seine Vorteile, wenn man so weit weg von den Nachbarn lebt“, mutmaßte Sam einen Augenblick später. „Aber uns hilft es nicht weiter. Wir müssen morgen noch mal wiederkommen.“ „Also zurück ins Motel. Versuchen wir erst mal so mehr über ihn und sein Umfeld herauszubekommen.“ Nickend stimmte Dean zu. Weit nach Mitternacht klappte Dean seinen Rechner zu, stand auf und streckte sich ausgiebig. „Der Typ ist fast unsichtbarer als wir!“, schimpfte er. „Ich habe nichts über sein Vorleben gefunden. Keine Schule, kein College, nichts bevor er hier aufgetaucht ist. Es ist fast, als hätte er sich vor ein paar Jahren hier erschaffen! Konntest du inzwischen mehr über das Haus rausfinden?“ „Es gehörte einem Walter Bell. Der Mann war alles andere als arm, aber ohne Erben. Sein Sohn starb im Irak und seine Tochter schon als kleines Mädchen bei einem Badeunfall. Seine Frau war dement. Und hier kommt Wether-Worthington ins Spiel. Der hat erst sie und dann ihn gepflegt. Dafür bekam er das Haus vererbt.“ „Gab es Jemanden, dem das nicht geheuer war? Jemand der vielleicht einen Verdacht geäußert haben könnte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist?“ „Nein. Niemand hat einen Verdacht geäußert. Anderen Erben habe ich auch nicht gefunden. Der alte Mr. Bell hat ihn als seinen Alleinerben eingesetzt. Wether-Worthington hat das Haus modernisieren lassen und sich in dem Heim beworben.“ „Also auch nichts, wo wir ansetzen können.“ „Leider nein. Soweit scheint da alles mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Zumindest gab es niemanden, der sich beschwert und dagegen Einspruch eingelegt hat.“ „Wäre ja auch zu schön gewesen.“ „Wir haben außer der Abneigung und wager Äußerungen der Heimbewohner und dass du ständig mit ihm ins Gehege kommst nichts.“ „Ich würde mich trotzdem gerne mal näher bei ihm umschauen.“ „Das werden wir, vielleicht heute schon. Der kann ja nicht ewig feiern.“ Dean holte tief Luft und nickte. „Lass und ins Bett gehen“, sagte er leise und dieses Mal nickte Sam. Den nächsten Vormittag verbrachten sie mal wieder in der städtischen Bibliothek, da einige Zeitungen ihre Archive noch nicht komplett digitalisiert hatten und es teilweise wohl auch nicht wollten. Die Bibliothek hatte sämtliche Ausgaben aller im Ort erscheinenden Zeitungen auf Mikrofilm und so lasen sie sich durch die Ausgaben auf der Suche nach Wether-Worthington. Doch es war vergebliche Mühe. Außer einem Artikel das Mr. Bell jetzt leider auch zu Hause gepflegt werden müsste, da er durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt war und sich nicht mehr selbst versorgen konnte, die Unterbringung in einem Heim aber kategorisch ablehnte. Außerdem hatte er genug Geld, um sich diese Annehmlichkeit ohne weiteres leisten zu können. Es gab bei dem Artikel sogar ein Foto des Pflegers. Eine ganze Weile starrte Dean auf das Bild. Irgendetwas an diesem Mann kam ihm bekannt vor. Nur was? „Sam?“ fragte Dean. Der Jüngere schaute auf. Fragend blickte er ihn an und ging gleich darauf zu ihm. „Kommt dir der irgendwie bekannt vor?“, wollte Dean wissen und deutete auf das Foto. Eine Weile starrte Sam auf das Bild. Es war körnig und ließ kaum Einzelheiten erkennen. Trotzdem löste es auch bei ihm ein ungutes Gefühl aus, das aber auch er nicht einzuordnen wusste. „Nein, auch wenn ich nicht abstreiten will, dass wir ihm schon mal begegnet sind. Aber wenn dann wohl nicht in freundlicher Art und Weise.“ „Mir kommt er auch nicht koscher vor und ich versuche schon die ganze Zeit herauszufinden, warum. Was mich gerade nicht in Ruhe lässt: Warum fällt mir das hier auf und nicht wenn ich dem gegenüber stehe. Außer das er mir völlig unsympathisch ist, ist da nichts. Nur dass das EMF rauscht, wenn er vorbeigeht.“ „Das EMF?“, wollte Sam irritiert wissen. „Du hast nichts mehr gesagt. Ich dachte das hätte sich zerschlagen!“ „Nein, ich war mir nur bis jetzt absolut nicht sicher, dass es wirklich an ihm liegt. Ich dachte immer noch, dass es vielleicht doch ein Geist oder was auch immer sein müsste. Der Typ ist zwar widerlich, aber bislang auch vollkommen unauffällig.“ „Okay, du prüfst das heute mit dem EMF noch mal, und nach der Schicht statten wir ihm einen Besuch ab“, bestimmte Sam und Dean grinste. „Was?“, wollte der Jüngere irritiert wissen. „Ich liebe es, wenn du so bestimmend wirst.“ Dean klimperte mit den Augen. „Idiot!“ „Mistkerl!“ „Lass uns hier verschwinden. Unsere Schicht geht bald los und du hast heute ein Date mit mehreren Damen!“ Schwungvoll lenkte Dean den Impala auf den Parkplatz. „Der Container ist weg“, stellte Sam fest. „Gut erkannt, Watson!“ Sam verdrehte die Augen. „Sag mal hast du heute einen Clown gefrühstückt?“ „Warum?“, fragte Dean völlig unschuldig blickend. Sam war schon wieder versucht die Augen zu verdrehen. „Du hast widerlich gute Laune!“ „Magst du mich maulig lieber?“ „Nein!“, jetzt verdrehte der Jünger doch die Augen. „Ich bin es vielleicht einfach nur nicht mehr gewohnt, dass du so aufgedreht bist. Und ich frage mich warum du so bist.“ „Wir haben endlich eine Spur“, grinste der Ältere. „Vielleicht, Dean. Vielleicht haben wir endlich eine Spur“, bremste Sam die Euphorie. „Du bist und bleibst ein miesepetriger Spielverderber!“ Mit einem ungehaltenen Schnaufen stiegt Dean aus. Schwungvoll warf er die Tür zu und ging Richtung Eingang. Grummelnd folgte Sam langsam. ‚Ob er auch noch gute Laune hätte, wenn er mit den Damen los musste?‘, überlegte er und musste jetzt doch lächeln. Doch ganz im Gegensatz zu Sams Vermutungen schien es Dean nichts auszumachen mit den drei Damen vom Heim loszuziehen, zumal sie ihn schon nach dem zweiten Geschäft zu Kaffee und Kuchen einluden. Immerhin musste er sich eine Einkaufstour antun, wie sie ihm erklärten. Sie saßen noch nicht lange, als Deans Telefon klingelte. Nach einem kurzen Blick auf das Display ging er ran. „Hey Bobby. Wie geht’s?“ „Ganz okay“, grummelte der Jäger. „Was ist los?“, hakte Dean sofort misstrauisch geworden nach. „Wie geht’s Jody?“ Er entschuldigte sich mit einer kurzen Geste bei seinen Begleiterinnen und suchte sich eine ruhige Ecke, in der er ungestört telefonieren konnte. „Sie hat sich ein Apartment genommen. Sie meinte, sie findet mich nett und ich solle es nicht persönlich nehmen, aber sie müsste erst mal zur Ruhe kommen. Das alles war doch etwas viel für sie. Ich meine, ich verstehe sie sogar. Unser Leben ist nicht so einfach zu verstehen und leicht ist es auch nicht, selbst wenn man nicht direkt damit zu tun hat. Es war nur einfach so plötzlich.“ „Und du willst mir jetzt damit sagen, dass du wieder jagen gehst?“, fragte Dean etwas atemlos. Er hatte wirklich gehofft, dass Jodie bei Bobby bleiben und ihm den Glauben an die Menschheit wiedergeben würde, denn das war etwas, was weder er noch Sam dem alten Freund vermitteln konnten. Schließlich hatten auch sie genug erlebt, um den nicht mehr wirklich zu haben. Naja, Sam vielleicht, aber er verstand Monster noch immer besser als Menschen. „Ja, ich hab da einen Dshinn gefunden, der etwas zu sehr über die Stränge schlägt.“ „Die sind gefährlich, Bobby. Brauchst du Hilfe?“, wollte er sofort wissen. „Dean! Ich bin schon groß und ich jage schon wesentlich länger als du!“ „Das weiß ich, trotzdem sind die Dinger nicht zu unterschätzen! Im Moment kann ich hier zwar nicht weg, aber wenn wir heute Abend noch losfahren, dann ...“ „Nein Dean. Ihr macht euren Fall fertig und ich kümmere mich um meinen! Ich brauche jetzt einfach mal etwas woran ich meine Frustration auslassen kann. Ich wollte euch einfach nur Bescheid geben, falls ich es doch nicht schaffe.“ „Bobby, du ... bitte“, bettelte der ältere Winchester hilflos. Natürlich wusste er das alles, aber trotzdem konnte er die irrwitzige Angst den alten Freund zu verlieren, die ihn gerade überfiel nicht so ganz verdrängen. „Ist okay, Dean“, begann Bobby ruhig. Es war schön, dass sich jemand so um ihn sorgte. „Wenn ich mich bis morgen früh nicht gemeldet habe, dann könnt ihr mich raushauen, okay? Bevor ich losfahre maile ich Sam die Koordinaten wo ich den Dshinn vermute und ihr habt meine Handynummer. Ich schalte das GPS-Signal ein.“ „Okay“, akzeptierte Dean, obwohl er alles andere als begeistert war. „Pass auf dich auf.“ „Mach ich, Junge, du auch.“ Eine Weile starrte Dean noch auf sein Handy, bevor er es wegsteckte. Er atmete tief durch, setzte sein professionelles Lächeln auf und machte sich auf den Weg zurück. Kapitel 85: Spielzeug oder Abschiedgeschenk ------------------------------------------- @ Vanilein - Bobby ist schon groß, ich denke, da kann ich Deine Bedenken ein wenig zerstreuen. Was den Fall und dessen Ende angeht ... abwarten und heißen Tee trinken ;-)) LG Kalea 85) Spielzeug oder Abschiedsgeschenk? Kaum hatte der Winchester den Tisch verlassen, beugte sich Mrs. Bonar etwas vor: „Was meint ihr, was der Junge wirklich ist?“ „Wieso sollte er kein Pfleger sein?“, fragte Mrs. Mendes etwas verwundert. „Er ... nein beide sind zu ... engagiert, zu überzeugend“, versuchte Mrs. Bonar ihre Beobachtungen zu erklären. „Das ist kein Argument“, erwiderte Mrs. Mendes und überlegte, ob ihr etwas in dieser Richtung aufgefallen war. „Und zu überzeugend? Kann man zu überzeugend sein?“ „Sie sind viel zu einfühlsam als das sie den Job schon lange machen würden. Es gibt kein ruppiges Wort und sie scheinen nie genervt zu sein.“ „Am ersten Tag schon.“ Mrs. Wishaw musste bei den Erinnerungen lächeln. „Und doch haben sie uns ziemlich schnell dazu gebracht mit ihnen vor die Tür zu gehen.“ „Überzeugend sind sie wirklich“, stimmte Mrs. Mendes zu. „Aber außer, dass sie sich wirklich um uns kümmern und höflich sind, können wir ihnen nichts vorwerfen.“ „Nein, absolut nicht. Nur leider hab ich die Erfahrung gemacht, dass solch ein Glück nicht lange vorhält“, sinnierte Mrs. Bonar. „Dann sollten wir es genießen, solange es noch geht!“, stellte Mrs. Wishaw ruhig fest. „Er kommt“, sagte Mrs. Mendes. „Und er sieht trotz des Lächelns nicht glücklich aus“, ergänzte Mrs. Wishaw. „Ärger im Paradies?“, wollte Mrs. Bonar leise wissen, kaum dass sich Dean wieder gesetzt hatte. „Nichts, was die Zeit nicht heilen würde“, antwortete er und nahm seinen Kaffee. „Ich habe den Eindruck, dass du nicht mehr lange hier sein wirst“, schoss sie ins Blaue. „Wer sagt denn sowas?“, fragte er neugierig. Er legte den Kopf leicht schief und schaute sie abwartend an. Sie hatte ja Recht, aber wie kam sie darauf. „Ich hab da so eine Ahnung.“ Er hatte wunderschöne Augen, stellte sie für sich fest. Ein leuchtendes Grün und sie schienen unendlich tief zu sein und schon jede Menge gesehen zu haben. „Ahnungen können trügen!“, versuchte er ihre Bedenken zu zerstreuen. Auch wenn sie stimmten, er wollte sie ihnen weder hier noch jetzt bestätigen und er wollte auch nicht, dass sie sich über Sam und ihn mehr Gedanken machten, als nötig waren. „Sie können aber auch die Wahrheit bedeuten. Du heißt nicht Deacon und James ist nicht nur ein Kollege.“ „Jetzt fahren Sie aber mächtige Geschütze auf“, grinste Dean schief. Wie kam sie nur darauf? „Ich habe eine gute Beobachtungsgabe und ich kann Menschen ganz gut einschätzen“, erklärte sie ruhig. „Sie sind aber nicht zufällig vom FBI?“ „Nein, ich habe bei einem Anwalt gearbeitet, da lernt man sowas. Aber nichtsdestotrotz habe ich Recht, oder?“ „Was wollen Sie jetzt von mir hören?“, fragte er sie und schaute ihr dabei offen in die Augen. „Deinen richtigen Namen und den Grund, warum du hier bist?“, schlug sie vor. „Egal ob Sie Recht haben oder nicht: Ich werde Ihnen weder etwas bestätigen, noch werde ich es abstreiten und mein Name ist Deacon Smith. Ich bin hier, weil Dr. Fuller mich eingestellt hat“, erklärte er ernst. Mrs. Bonar schaute ihm in die Augen und nickte. Natürlich würde er ihr nichts sagen und doch versuchte sie eine Antwort aus diesen grünen Tiefen zu lesen. „Lassen sie und weitergehen“, schlug Dean vor. Er trank aus und erhob sich. In aller Ruhe sammelte er das Geschirr ein und brachte es zur Rückgabe. Natürlich gab es Personal, das den Tisch abräumen würde, doch er wollte sich bewegen, um seine Gedanken ordnen zu können. Wie kam Mrs. Bonar plötzlich auf sowas? War sie wirklich eine so gute Beobachterin? Aber wie hatten sie sich dann verraten? Er musste unbedingt mit Sam reden! Drei Stunden später hatten sie alles gefunden, was sie wollten und waren auf dem Weg zurück zum Heim. Die Gardinen würden in den nächsten Tagen geliefert werden. Unterwegs hatten sie noch etwas gegessen und waren jetzt einfach nur froh nicht mehr laufen zu müssen. Dean hielt gerade an einer Ampel und Mrs. Mendes schaute auf die Auslagen des Geschäftes an der Ecke, das jede Menge Rabatte auf seine Spielekonsolen und Fernseher anbot. „Mit so einer Konsole würde ich auch mal spielen wollen“, sagte sie leise. „Und was?“, fragte Dean. „Ballerspiele? Strategie oder lieber Sport?“ „Ballerspiele?“ „Kriegsspiele“, sagte der Winchester nur zur Erklärung. „Oh nein. Wir haben schon genug Krieg geführt! Aber Sport?“ „Ja, Tennis, Kegeln, sogar Boxen kann man damit. Ich hab schon mal überlegt, meinem Bruder eine zu kaufen, damit er etwas mehr Bewegung bekommt. Wir haben zu der Zeit ziemlich viel gesessen und er ist ein Bewegungsfanatiker“, versuchte er zu erklären. „Tennis? Kegeln?“, fragte Mrs. Wishaw etwas irritiert. „Da gibt es so eine Art Fernbedienung mit der man die Bewegungen machen muss. Das Spiel setzt das dann um.“ „Ach so.“ „Das klingt interessant“, stellte Mr. Mendes fest und in Dean setzte sich ein Gedanken fest. Auf dem Gang verabschiedeten sich die Damen für den Moment voneinander und von Dean und gingen in ihre Zimmer, während der Winchester einen Blick in den Gemeinschaftsraum warf. Die Maler hatten tatsächlich schon begonnen und scheinbar sollte neu tapeziert werden, denn die Tapeten waren komplett entfernt worden. Er schloss die Tür wieder und machte sich auf den Weg ins Sekretariat, um den Lieferschein für die Gardinen abzugeben. Und wieder einmal lief er Dr. Fuller über den Weg. „Dr. Fuller“, grüße er mit einem Nicken. „Machen Sie denn nie Feierabend?“ Der Heimleiter lächelte: „Ich habe mir angewöhnt morgens später anzufangen, so bin ich für die meisten meiner Angestellten zu erreichen.“ Dean nickte und wandte sich zum Gehen. „Mr. Smith“, hielt ihn sein Chef auf. „Ich möchte Ihnen nur mitteilen, dass ich für ihren Gemeinschaftsraum einen Fernseher geordert habe. Außerdem wollte ich einen Inneneinrichter kommen lassen, der für ein paar Bilder und Blumen sorgen soll. Und ich möchte Ihnen für Ihren Enthusiasmus danken. Wir sind hier schon viel zu lange auf eingetretenen Pfaden gewandelt. Sie haben mir die Augen wieder geöffnet, warum wir hier sind. Ich werde bei der nächsten Aufsichtsratssitzung vorschlagen, auch die anderen Gemeinschaftsräume fertig zu machen beziehungsweise zu renovieren. Und auch das Haus könnte etwas Farbe vertragen. Vielen Dank, Mr. Smith. Auch an Mr. Carpender.“ Dean nickte nur stumm. Soviel Anerkennung verschlug ihm die Sprache. Er drehte sich um und ging in ihr Büro. „Hast Du bei einem Gespräch mit Mrs. Bonar mal irgendwas verlauten lassen, das darauf schließen ließ, das wir nicht die sind, für die wir uns ausgeben?“, fragte Dean, kaum dass er die Tür geschlossen hatte. Sam blickte ihn verdattert und fragend an. „Hast du?“, bohrte Dean nach. „Nein ... Nicht wörtlich jedenfalls. Es ging um die Renovierung, nach dem Treffen im Cafe, auf dem Weg zurück. Sie meinte, dass das nichts werden würde und ich hab geantwortet, dass sie dich nicht kennen würde. Sie meinte, dass ich dich ja wohl auch nicht sonderlich gut kennen könnte und ich hab ihr gesagt, dass du das, was du willst recht zügig umsetzen würdest, immerhin wärst du an dem Abend, als du gesehen hast, dass das Zimmer in meinem Motel besser war als deins, sofort umgezogen. Und ich daraus schließe, dass du tust, was du sagst. Warum fragst du?“ „Sie hat mir auf den Kopf zu gesagt, dass wir keine Pfleger wären und wollte wissen, warum wir da wären.“ Auf Sams Stirn bildete sich eine steile Falte während er überlegte, wie sie sich verraten haben könnten. Ihm fiel nichts ein, außer … aber das wollte er Dean nicht unbedingt erzählen. „Hat sie irgendwas gesagt, wie wir uns verraten haben?“, fragte er deshalb. „Du hast dich verraten“, stellte Dean statt einer Antwort fest. „“Ja, ich hab mich bei deinem Namen verquatscht und versucht es wieder grade zu biegen, indem ich sagte, dass du Deacon nicht sonderlich magst. Sie meinte daraufhin, dass du nicht nur ein Kollege wärst und als ich fragte wie sie darauf käme, meinte sie dass es Kleinigkeiten wären. Gesten, Blicke, die Kollegen nie tauschen würden.“ „Sie ist wirklich eine verdammt gute Beobachterin“, stellte Dean fest. „Wie damals William.“ Sam musste sofort an den Schamanen denken und lächelte. Ja, der Mann hatte Dean sofort durchschaut. „Aber das ist es nicht nur“, gab er leise zu. „Sondern?“ „Sie meint, dass wir ein Paar wären!“ „Wir sind kein Paar!“ „Hab ihr erklärt, wir wären Halbbrüder, aber sie hat es mir wohl nicht wirklich abgenommen.“ Dean verdrehte nur die Augen. Das mal wieder. Das hing ihnen schon seit Ewigkeiten an. „Aber immer noch besser, als wenn sie den wahren Grund unserer Anwesenheit wüsste“, stöhnte er leise. „Du nimmst es so hin?“, fragte Sam schockiert. „Was soll ich sonst tun? Ihr sagen, dass wir ein Monster jagen, das es irgendwie schafft ihre Angehörigen über hunderte Meilen Entfernung zu töten?“ „Nein“, stimmte der Jüngere resigniert zu. Dean wischte sich müde mit der Hand über sein gesicht. Sie waren nicht mehr lange hier. Diese Zeit würden sie wohl aushalten. Außerdem mussten sie ja nichts anderes tun als sie bis jetzt getan hatten. Wenn die sie deshalb für ein Paar hielten war ihm das zwar nicht recht, aber ändern würde er es auch nicht. So waren ihre Damen der Meinung ihr Geheimnis gelüftet zu haben und würden nicht weiter nachbohren. Für die Zukunft nahm er sich allerdings vor, dass das irgendwie enden musste. Viel zu lange hielten sie die Menschen schon für ein Paar! Aber welche Brüder hingen schon so dicht aufeinander? Er schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben und wandte sich Näherliegendem zu. „Fuller hat sich bei mir, oder uns bedankt. Wir hätten ihm wieder die Augen geöffnet, worum es hier eigentlich geht. Nämlich um die Bewohner. Er hat einen Fernseher für den Gemeinschaftsraum geordert und meinte, dass er auch noch einen Inneneinrichter holen wollte, damit die Wände nicht so kahl blieben. Und er wollte bei der nächsten Vorstandsitzung mit den Geldgebern reden, damit die anderen Gemeinschaftsräume auch hergerichtet oder renoviert werden.“ „Oh man, da haben wir ja echt was losgetreten“, stöhnte der jüngere Winchester, lächelte aber erfreut. „Ist jetzt eh nicht mehr zu ändern. Außerdem sind wir nicht mehr lange hier.“ „Dann lass uns zusehen, dass wir hier fertig werden“, sagte Sam und erhob sich. Routiniert zogen die Brüder ihre Schicht durch und verabschiedeten sich ganz normal von ihren Schutzbefohlenen, Schließlich wussten sie nicht, ob sie heute Nacht erfolgreich wären, oder am nächsten Tag ganz normal ihren Dienst antreten würden. Aber selbst wenn sie es gewusst hätten, hätten sie kein Wort darüber verloren. Sie waren da und verschwanden wieder, möglichst unbemerkt und unerkannt. Auf dem Rückweg zu ihrem Motelzimmer hielt Dean an einem Elektronikladen. Er drehte den Zündschlüssel und der Motor seiner schwarzen Schönheit erstarb. „Bin gleich wieder da“, informierte er Sam und stieg aus. Irritiert blickte der Jüngere seinem Bruder hinterher. Doch er brauchte sich nicht lange zu wundern. Keine fünf Minuten später war Dean mit einem Karton unterm Arm und einer Tüte in der Hand wieder da. „Was ist das?“, wollte Sam wissen. „Eine Wii.“ „Wieso brauchst du eine Spielekonsole?“ „Die ist für dich, weil du das Sportzimmer von Bobby nicht mitnehmen kannst.“ Dean grinste breit, startete den Wagen und reihte sich wieder in den fließenden Verkehr ein. Dem Jüngeren blieb die Sprache weg. Auf seinem Gesicht bildete sich ein immer größer, immer dicker werdendes Fragezeichen und Dean, der immer wieder zu ihm schielte, hielt es vor Lachen schon bald nicht mehr aus. „Wieso ich?“, erwachte Sam endlich aus seiner Starre. „Du bist doch der, der hier am laufenden Band Burger verdrückt!“ „Das schon, aber du isst doch schon seit Jahren nur Salat aus Angst, dass dir die Kalorien nachts die Klamotten enger nähen. Jetzt kannst du hin und wieder mal ein Steak essen und es damit wieder abtrainieren!“ Sam öffnete seinen Mund, doch eine passende Erwiderung wollte ihm partout nicht einfallen und so klappte er ihn wortlos wieder so, was Dean noch mehr zum Lachen brachte. Schmollend verschränkte der jüngere Winchester die Arme vor seiner Brust und starrte schweigend aus dem Fenster. Er war eher auf sich sauer, als auf seinen Bruder. Wieder einmal war ihm keine passende Antwort auf Deans Sticheleien eingefallen! Aber wenn er so darüber nachdachte: Wenn Dean ihn wieder aufzog, musste es ihm eigentlich besser gehen. So gesehen, war das ein Fortschritt, wenn auch einer auf seine Kosten. „Und wofür ist die wirklich?“, wollte er leise wissen, als sie auf den Parkplatz ihres Motels einbogen. „Die Damen und ich haben uns auf dem Rückweg darüber unterhalten, was man damit alles tun könnte. Ich dachte, es wäre ein schönes Abschiedsgeschenk“, nuschelte der Ältere. Sam blickte seinen Bruder an, nickte und strahlte. Dean war einfach einmalig. Er machte sich wirklich um jeden Gedanken! Kapitel 86: Verdacht bestätigt? ------------------------------- 86) Verdacht bestätigt? Die Nacht war mondlos und so dunkel, dass selbst die geschulten Augen der Winchesters nur größere Umrisse erkennen konnten. Lautlos schlichen sie an der, dem Wald zugewandten, Seite des Hauses entlang. Nur hin und wieder ließ Dean einen Lichtstrahl seiner Taschenlampe über den Boden gleiten, um nicht doch noch an einer Wurzel hängen zu bleiben. Inzwischen war es kurz nach zwei Uhr in der Nacht. Eine Zeit, zu der jeder normale Bürger eigentlich schlafen sollte. Sie hatten nach ihrem Dienst eine kurze Ruhepause eingelegt. Danach war Dean noch einmal ihre Waffen durchgegangen. Außerdem hatten sie in einem Diner noch einen kleinen Imbiss zu sich genommen, bevor sie endgültig zu dem Haus von Wether-Worthington gefahren waren. Wieder musste sich Dean unter einem Fenster ducken. Dahinter blieb er stehen und drehte sich zu seinem Bruder um. Kurz ließ er die Taschenlampe aufleuchten, um ihm den Weg zu erleichtern. Ein schmaler Lichtstreifen fiel durch das Fenster und erhellte für Sekunden ein Bild, das an der Wand hing. Dean stutzte und leuchtete noch einmal in das Zimmer. An den Wänden hingen mehrere Bilder, die er in dieser Art schon einmal gesehen hatte. Seine Nackenhaare richteten sich auf und ihm rann ein eisiger Schauer über den Rücken. Erst als er ein ersticktes Japsen hinter sich hörte, ließ er das Licht verlöschen. Er hatte nicht gemerkt, wie sein kleiner Bruder hinter ihn getreten war. „Wetherworth“, entfuhr es ihm atemlos und er drehte sich zu Sam um. „Was?“, fragte der. Für den Augenblick konnte er mit dem Namen nichts anfangen. „Wetherworth“, flüsterte der Ältere. „Der Bildhauer in Portland, der aus dir eine Statue machen wollte.“ „Ich weiß wer Wetherworth war, auch wenn ich mich lieber nicht an ihn erinnern möchte. Aber was hat der mit ...“ „Wether ... Worth ... ington“, zerstückelte der Ältere den Namen. „Diese Art Bilder hingen in der Ausstellung des Bildhauers hinter dem Vorhang. Ich wollte es dir erzählen, aber du hast dich mit dem Typen unterhalten und danach haben sich die Ereignisse überschlagen.“ „Du meinst er ist auch eine Art Seelenvampir?“, überlegte Sam. „Das würde die unterschiedlichen Todesarten erklären. Vielleicht ist es bei ihm die Leinwand und nicht der Ton.“ „Und jetzt?“ „Jetzt tun wir, was wir immer tun, wenn wir das Monster erkannt haben. Salzen und verbrennen.“ Dean grinste breit. „Du bist und bleibst ein Pyromane“, schimpfte Sam gespielt. Sein Mund verzog sich jedoch auch zu einem Lächeln. Sie hatten ihr Monster. Der Fall war fast erledigt. Sollten sie dann wirklich … Energisch rief er sich zur Ordnung. Noch hatten sie außer einem Verdacht gar nichts! „Wir gehen rein“, riss Dean ihn aus seinem Gedanken. Binnen Minuten hatte Sam das Schloss geknackt, die Alarmanlage ausgeschaltet und sie huschten durch die Tür ins Haus. Eine Treppe vor ihnen führte ins Obergeschoss und in den Keller. Durch Handzeichen signalisierte Dean, dass Sam sich zuerst hier umsehen sollte, während er sich das obere Geschoss vornahm und sie dann gemeinsam in den Keller gehen würden. Sam nickte kurz und schlich sich zur ersten Tür, während Dean die Treppe nach oben nahm. Routiniert durchsuchte der ältere Winchester die Zimmer, ohne jedoch etwas zu finden, das seinen Verdacht erhärtet hätte. Wenn es die Bilder im Erdgeschoss nicht geben würde, könnte hier ein ganz normaler Mensch leben, der vielleicht etwas arroganter war, als andere Vertreter seiner Gattung, aber doch nur ein Mensch. Sam nahm sich das Erdgeschoss vor. Auch er untersuchte die Räume mit der ihnen eigenen Routine. Und auch hier war außer den verstörenden Bildern nichts Verdächtiges zu finden. Blieb nur noch eine Tür. Er zögerte kurz und lauschte auf die kaum hörbaren Schritte seines Bruders. Er drückte die Klinke nach unten und schob die Tür auf. Sich vorsichtig umschauend betrat er den Raum, der sich als Wintergarten mit Atelier entpuppte. Ob hier diese furchtbaren Bilder entstanden? Sam machte einen weiteren Schritt in den Raum. Vor dem Kamin stand ein eiserner Kerzenständer auf dem eine einzelne Kerze tief in ihrem Körper brannte und kaum Licht warf. Also ließ er den Lichtkegel seiner Taschenlampe über den Boden gleiten. Staffeleibeine und eine Sitzgruppe schälten sich für einen Augenblick aus der Dunkelheit, nur um gleich darauf wieder darin zu versinken. Und dann holte der Schein der Taschenlampe ein Paar brauner Lackschuhe ins Licht. Noch bevor Sam reagieren konnte, traf ihn etwas hart am Kopf. Schmerz explodierte in grellen Lichtblitzen und dann nahm ihn die alles verschlingende Dunkelheit gefangen. Dean erstarrte. Er meinte ein leises Poltern gehört zu haben. Lauschend stand er da. Doch da sich das Geräusch nicht wiederholte und auch sonst nichts auf eine Unregelmäßigkeit schließen ließ, machte er mit seiner Tour weiter. Ohne jedoch weitere belastende Beweise zu finden. Er schloss die letzte Tür und nahm die Treppe nach unten. Sam wartete nicht auf ihn. War er schon in den Keller vorgegangen, oder untersuchte er noch das Erdgeschoss? Er stieß ein kaum hörbares Pfeifen aus und lauschte. Nichts. Keine Reaktion. Sein Magen zog sich zusammen. Das sah Sam so gar nicht ähnlich auf eigene Faust weiterzumachen. Langsam und mit wachsender Unruhe öffnete Dean jede Tür und ließ den Lichtstrahl seiner Taschenlampe kurz hineinfallen. Kein Sam. Sein Magen zog sich immer weiter zusammen. Das sollte doch ihr letzter Fall werden! Da konnte Sam doch nicht noch was passieren! Soviel wie sie schon hinter sich gebracht hatten und damit meinte er nicht nur die letzten Wochen! Er öffnete die letzte Tür. Im Zwielicht der Kerze sah er zwei Beine und dass der Raum außerhalb seines Sichtfeldes weiter ging. Ein dumpfes Stöhnen drang an sein Ohr. Er machte einen Schritt in den Raum und nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Reflexartig duckte er sich weg. Er war nicht schnell genug. Etwas Hartes traf ihn an der Schulter. Der Schmerz explodierte in seinem Arm und brachte ihn dazu, die Waffe fallen zu lassen. Er rollte sich über die linke Schulter ab und versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Aber sein Arm war taub und knickte, kaum dass er ihn belasten wollte, unter ihm weg. Unsanft prallte er erneut auf die Schulter. Mit einem unwirschen Knurren kämpfte er sich auf die Knie und stemmte sich mit Hilfe seines linken Armes in die Höhe. Noch im Aufstehen erfasste er die Situation. Sam saß an einen Stuhl gefesselt links von ihm. Deans Augen weiteten sich panisch. Sein kleiner Bruder hatte keinen Mund mehr! „Was hast du mit meinem Bruder gemacht?“, knurrte er wütend und stand richtig auf. Sofort wandte er sich Sam zu. „Du solltest bleiben wo du bist“, erklärte Wetherworth von oben herab. Er machte einen Schritt zur Seite und gab damit den Blick auf eine Staffelei frei. Das Bild darauf zeigte Sam. Sein Mund war verwischt. Dean jagte bei diesem Anblick ein eisiger Schauer über den Rücken. Rasch schob er den aufkeimenden Gedanken daran, wie die Menschen auf den Bildern hinter dem Vorhang gestorben waren, beiseite. Hier ging es um Sam! „Ich weiß nicht wer ihr seid, aber ihr habt mir von Anfang an nicht gefallen. Eure Rumschnüffelei und das Einschleimen bei den Alten. Die sollten mir dankbar sein, dass ich sie von ihrer undankbaren Brut befreit habe! Aber nein! Sie jammern und lamentieren nur!“ Dean hörte nur mit halbem Ohr zu. Immer wieder huschte sein Blick zu Sam der versuchte, sich seiner Fesseln zu entledigen. Er musste den Kerl unbedingt ablenken! „Das würde ich lassen!“, forderte Wetherworth auch sofort, als Dean sich leicht in Sams Richtung bewegte und zog ein Tuch von einem weiteren Bild. Für einen Augenblick erstarrte Dean. Auf dieser zweiten Staffelei war sein Portrait zu sehen. „Was willst du?“, fragte er rau, um Zeit zu schinden. „Euer Leben. Ihr sprüht nur so vor Lebensenergie. Das wird ein Festessen“, lachte der Maler. Der Wahnsinn funkelte in seinen Augen. Dean schnaubte nur verächtlich. Der Kerl war verrückt und gehörte von dieser Welt gelöscht! Aus dem Augenwinkel sah er seine Waffe neben der Tür liegen. Er spannte sich kurz und hechtete dann auf sie zu. Wetherworth‘ Augen weiteten sich panisch. Er grabschte nach dem Lappen, der auf der Ablage der Staffelei lag und schmierte damit über die Augen von Deans Portrait. Sam versuchte zu schreien. Wie wild zerrte er an seinen Fesseln. Aber so würde er seinem Bruder nicht helfen können! Augenblicklich beruhigte er sich und wandte seine volle Konzentration wieder seiner Befreiung zu. Je eher er von dem Stuhl runter kam, umso schneller konnte er Dean helfen und diesen Bekloppten stoppen. Dean sah, was der Maler tat. Im Bruchteil einer Sekunde flackerte Sams mundloses Gesicht vor seinem inneren Auge auf und verblasste wieder. Er schluckte die aufkommende Panik herunter und schloss seine Augen. Wenigstens hatte John Szenarien, bei denen er blind orientieren musste jetzt nicht ganz für umsonst bis zum Erbrechen mit ihm geübt. Zielsicher landete seine Hand auf dem Griff seines Colts. Er warf sich herum und zielte auf die Stelle an der Wetherworth noch vor Sekunden gestanden hatte. Unnatürlich laut hallte der Schuss in dem Raum wider. Getroffen schrie Wetherworth auf. Mitgerissen von dem Schwung des Schusses, drehte er sich um seine eigene Achse. Seine Hand fuhr zur getroffenen Schulter. Bei der Drehung verhedderte sich sein Fuß mit der Staffelei. Er stolperte, taumelte und ruderte haltsuchend mit den Armen. Er bekam das Bild zu fassen, doch das bot ihm nicht den erhofften Halt. Wetherworth stürzte mit Staffelei und Bild zu Boden. Erneut schrie er gepeinigt auf, als seine Schulter auf dem Boden aufschlug. Getragen von seinem Schwung war Dean noch ein Stück weiter gerutscht. Er hatte nicht richtig getroffen. Seine Augen hielt er geschlossen, um sich voll und ganz auf die Geräusche zu konzentrieren und doch noch den tödlichen Schuss abgeben zu können. Immer wieder richtete er die Waffe auf deren Quelle, doch noch war er sich nicht ganz sicher. Der Maler sah sich suchend um. In seinen Augen flackerte ein irres Leuchten. Die würde er alle machen! Leiden sollten sie! Die würde er auf kleinster Flamme rösten! Er fand das, was er suchte und griff nach dem, mit Terpentin getränkten, Lappen. Schnell schob er die Staffelei beiseite. Dass die dabei gegen den Kerzenständer stieß, bemerkte er gar nicht. Wetherworth drehte das Bild mit dem Portrait des älteren Winchester herum. Hastig schmierte er mit dem Lappen über das Gesicht darauf und verwischte Nase und Mund. Der Kerzenständer kippte um und prallte gegen das Portrait von Sam. Für einen kurzen Moment flackerte die Flamme und drohte zu verlöschen. Doch die mit Farben durchtränkte Leinwand bot genügend Nahrung und die Flamme wuchs. Schnell wurde sie größer und leckte schon über Sams Gesicht. Der jüngere Winchester keuchte schmerzerfüllt. Ein irres Lachen perlte über die Lippen des Malers und Dean drückte ab. Die Wucht der Kugel riss Wetherworth den halben Schädel weg. Das Feuer fraß sich durch die Leinwand. Die Kerze verlor ihren Halt und kippte durch sas so entstandene Loch. Der Kerzenständer kippte in den hölzernen Rahmen und riss ihn von der Staffelei. Dean hörte das Feuer prasseln und fühlte die Hitze vor sich. Er wollte flüchten. Hektisch versuchte er Luft in seine Lungen zu bekommen, doch sein Brustkorb hob sich nicht. Wetherworth Körper kippte in Zeitlupe zu Boden. Sams Portrait zerfiel unter den Flammen zu Asche. Mit einem Schrei zerriss der jüngere Winchester die Fessel seiner rechten Hand und tastete sofort nach seinem Gesicht. Es fühlte sich heiß an, doch das war in Moment vollkommen egal. Er fühlte seinen Mund. Einen weiteren heiseren Schrei ausstoßend begann er hektisch die Kabelbinder an seinen Knöcheln zu durchtrennen. Kaum waren seine Füße frei, rutschte er vom Stuhl, zerschnitt auch noch die letzte Fessel an seiner linken Hand und stürzte zu Dean. Kapitel 87: Überlebt -------------------- @ Vanilein - Ich???? Ich??? Ich würde den Jungs doch nie etwas antun! Also ehrlich. Ich bin wenn überhaupt doch nur ... Die Irre mit dem Computer ... ;-))) LG Kalea 87) Überlebt Das Feuer leckte an Deans Kleidung. Hastig schlug Sam die Flammen aus, die an dessen Ärmel und Hosenbein entlang krochen und versuchte verzweifelt die Angst um seinen Bruder zu unterdrücken. Fahrig suchte er mit zitternden Fingern nach einem Puls, gab seine Bemühungen erfolglos auf, da sich das Feuer immer mehr ausbreitete. Er packte seinen Bruder bei den Jackenaufschlägen, zerrte ihn in die Höhe und warf ihn sich über die Schulter. Schnell schaute er sich, nach dem besten Fluchtweg suchend, im Raum um und stürmte dann auf eines der Verandafenster zu. Im Laufen packte er einen Kerzenständer, warf ihn gegen die Scheibe und stürzte hinaus. Er schleppte Dean bis auf den Bürgersteig und legte ihn da vorsichtig ab. Noch einmal suchte er nach einem Puls und begann dann mit seinen Wiederbelebungsversuchen. Wieder und wieder zwang er Luft in Deans Lunge und stemmte sich auf seinen Brustkorb. Der Schweiß lief ihm in die Augen und eisig den Rücken hinunter, doch er machte unbeirrt weiter. Plötzlich bäumte sich Dean auf und sog gierig die Luft in seine Lungen. Keuchend, hustend und würgend kippte er zur Seite und blieb zitternd und nach Atem kämpfend liegen. Sam gönnte sich einen Augenblick Verschnaufpause und wählte dann mit zitternden Fingern den Notruf. Als auch das erledigt war, ließ er sich auf dem Bürgersteig nieder, zog Deans Oberkörper auf seinen Schoß und wartete auf den Krankenwagen, der keine fünf Minuten später, kurz nach der Feuerwehr, eintraf. Der Einsatzleiter stürmte zu Sam und bombardierte ihn mit Fragen, während zwei Sanitäter einen schwach protestierenden Dean auf eine Liege legten. „Wir sind hier entlanggelaufen und haben die offene Eingangstür gesehen. Wir wollten klingeln, dabei haben wir das Feuer bemerkt und sind rein, um vielleicht zu helfen, doch es war zu schlimm“, erklärte Sam. Einer der Sanitäter legte ihn die Hand auf den Arm: „Sie sollten sich ebenfalls durchchecken lassen.“ „Ja, mach ich ...“, erwiderte Sam fahrig. „Wollen Sie gleich mitkommen?“ Er nickte nur und folgte dem Sanitäter. Gleich neben der Tür setzte er sich auf einen Notsitz, von dem aus er sogar Dean gut im Blick hatte. Leicht genervt verdrehte der Sanitäter die Augen. Er drückte seinen Patienten auf die Liege zurück und schob ihm die Atemmaske wieder richtig aufs Gesicht. Solange er ihn von Jacke und Hemd befreien musste, war diese Zappeligkeit ja von Vorteil aber jetzt wäre es sinnvoller, wenn der endlich ruhig liegen bleiben würde. Er griff nach dem Arm seines Patienten und legte ihm einen Zugang. Dean schnaufte in seine Maske, griff erneut danach und schob sie sich ein Stück vom Gesicht. Mühsam versuchte er sich aufzurichten, nur um gleich wieder in die Waagerechte gedrückt zu werden. Der Sanitäter holte eine Ampulle aus einem Fach an der Seitenwand des Wagens, zog eine Spritze auf und injizierte die Flüssigkeit in Deans Vene, der schon wieder versuchte sich aufzurichten. „Sammy?“, keuchte er in seine Maske und versuchte das hinderliche Ding loszuwerden. So laut es in dem mit eingeschalteter Sirene dahin rasenden Wagen auch war, Sam hatte dieses eine flehentliche Wort seines Bruders trotzdem gehört. Er erhob sich und versuchte in Deans Blickfeld zu kommen. „Setzen Sie sich hin oder Sie fliegen raus“, bellte ihn der Sanitäter auch sofort an. „Nur einen Augenblick!“, bettelte Sam und setzte seinen besten Welpenblick auf. Dean hatte es inzwischen auch geschafft, sich in eine sitzende Position zu bringen. Sein Blick irrte kurz durch den kleinen Raum und blieb endlich an dem langen Lulatsch hängen. „My“, nuschelte er. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Bin okay, Dean“, sagte Sam und versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Sofort ließ sich Dean wieder in die Waagerechte fallen und auch Sam setzte sich wieder. Der Sanitäter blickte kurz von einem zum anderen, schüttelte den Kopf und begann Elektroden auf Deans Brust zu kleben. Davon bekam der jedoch nichts mehr mit. Die Anwesenheit Sams und dessen augenscheinliche Unversehrtheit beruhigten ihn und das Beruhigungsmittel in seinen Venen tat das seine dazu, dass ihm die Augen zufielen. Auch Sam setzte sich wieder auf seinen Platz und hing seinen Gedanken nach. Sie hatten wieder ein Monster getötet. Das Letzte, wenn es nach ihm ging. Sollte er dann nicht sowas wie Euphorie fühlen? Sie waren raus! Frei! Konnten ein neues Leben beginnen. Doch in seinem Inneren war nur dumpfes Pochen und die Sorge um Dean. Es war viel zu knapp gewesen, wieder einmal. „Sir“, ertönte eine nette Stimme neben Sams Ohr. „Ja?“ Irritiert drehte er sich zu ihr um. Wann hatte ihn schon mal jemand Sir genannt? „Sie sollten mit mir kommen und das“, die Ärztin deutete auf sein Gesicht, „behandeln lassen.“ „Ja, ich wollte erst unsere Papiere fertig machen.“ „Das ist sehr gut, aber ihre Gesundheit geht vor“, bestimmte sie. „Ich bin Assistenzärztin. Mein Name ist Kristen McDonald. Wenn Sie mir folgen würden?“ „Verraten Sie mir, wie es meinem Kollegen geht?“ „Eigentlich darf ich nur direkten Angehörigen Auskunft geben“, begann sie und öffnete die Tür zu einem der Behandlungszimmer. Mit einer einladenden Geste bat sie Sam herein und schloss die Tür hinter ihm. „Aber Sie wurden mit ihm eingeliefert und aufgrund ihrer Verletzungen schließe ich darauf, dass die auch dieselbe Ursache haben.“ Sam nickte nur. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen und begann sein Gesicht zu säubern. „Wir haben gerade erst in dem Altenheim hier um die Ecke begonnen. Wir arbeiten auf derselben Station und wir wohnen inzwischen im selben Motel. Wir wollten noch ein paar Meter laufen. Sitzen ist wohl für uns nicht so das Wahre“, tischte er eine ihrer üblichen Lügen auf. „Wir haben uns überlegt, ob wir uns fürs Erste eine Wohnung zusammen nehmen, um Kosten zu sparen.“ „Können sie ihre Jacke und das Hemd ausziehen?“, unterbrach sie ihn. „Klar“, sagte Sam und kam ihrer Aufforderung nach. Kaum saß er wieder, erzählte er weiter: „Ist ja auch egal. Jedenfalls sind wir an dem Haus vorbeigekommen. Die Haustür stand offen und wir wollten klingeln und dem Hausbesitzer Bescheid sagen, als wir weiter hinten im Haus ein Flackern gesehen haben. Wir sind rein aber das Feuer war schon viel zu stark. Als wir die Tür zu einem Raum geöffnet haben, schlugen uns die Flammen entgegen. Mein Kollege war vor mir. Er hat mich vor dem Schlimmsten geschützt aber selber wohl jede Menge abbekommen. Ich hab ihn gerade noch so rausziehen können und dann die Feuerwehr gerufen.“ „Sie verstehen sich also mit ihrem Kollegen?“, fragte sie eher rhetorisch und begann vorsichtig die geröteten Hautstellen in Sams Gesicht zu säubern. „Ich dachte, das hätte man gehört?“ „Ja“ Sie lächelte ihn an. „Er wird noch behandelt, deshalb kann ich Ihnen noch nicht viel sagen, aber warum ich das alles wissen wollte: Wir sind momentan ziemlich überbelegt. Wenn Sie sich dazu durchringen könnten, sich ein Zimmer mit ihrem Kollegen zu teilen...?“ Miss McDonald schaute ihn bitten in die Augen. „Warum denn nicht?“, wollte Sam wissen. „Sehr schön! Danke.“ „Haben Sie hier so viel Platz, dass jeder ein Einzelzimmer bekommen kann?“, wollte er nach einer Weile wissen. „Nein. Ich hätte Sie ohnehin zu ihm, oder jemand Anderem ins Zimmer legen müssen, aber als Frage verpackt ist es doch netter, oder?“ Sie lächelte entschuldigend, während Sam mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nickte. Keine Stunde später saß der jüngere Winchester auf dem Rand seines Bettes und wartete darauf, dass Dean auch endlich ins Zimmer gebracht wurde. Die Assistenzärztin hatte seine Wunden versorgt und verbunden und ihn dann an eine Schwester übergeben, die ihm in dieses Zimmer brachte hatte und beim Umziehen und waschen behilflich gewesen war. Jetzt wollte er eigentlich nur noch schlafen. Die Schmerzmittel die er bekommen hatte wirkten und die Ruhe in dem Zimmer tat ihr übriges. Nicht nur einmal war er versucht, sich hinzulegen, doch dann wäre er augenblicklich eingeschlafen und das wollte er nicht. Zuerst musste er wissen, wie es Dean ging! Immer wieder fielen ihm die Augen zu und als er im letzten Moment einen Sturz vom Bett verhindern konnte, weil er im Sitzen eingeschlafen war, kroch er doch unter die Decke. Im Halbschlaf bekam er mit, dass Dean ins Zimmer geschoben wurde. Ein leises Schnaufen und Zischen drang an sein Ohr und riss ihn in die Wirklichkeit. Einen Moment musste er überlegen wo er war, dann fiel es ihm wieder ein. Er blinzelte, streckte sich und drehte sich träge auf die Seite. Sein Blick fiel auf das Nachbarbett. ‚Dean!‘, schoss es ihm durch den Kopf und sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Er hatte doch warten wollen, bis Dean ins Zimmer kommt! Was, wenn der jetzt wach gewesen war? Er wusste doch wie unwohl sich sein Bruder in diesen Häusern fühlte! Schnell rutschte er aus seinem Bett. Mit wenigen Schritten war er neben dem anderen Bett und betrachtete seinen Bruder. Das Zischen kam von dem Beatmungsgerät, das ihn noch immer über eine Maske mit Sauerstoff versorgte. Sein Gesicht war gerötet, der rechte Arm lag auf seinem Bauch und war verbunden worden, genau wie sein Bein, vermutete Sam. Neben dem Bett stand ein Ständer mit einem Infusionsbeutel. Die klare Flüssigkeit tropfte in Deans Vene und war wohl der Grund, dass der noch so ruhig schlief. Die Tür wurde geöffnet und eine Schwester trat ein. „Guten Morgen“, grüßte sie und musterte Sam kurz. „Sie sind schon wach.“ „Konnte nicht mehr schlafen“, erwiderte Sam. „Er hat sie hoffentlich nicht gestört.“ „Nein. Nur unter meinem Verband juckt es.“ „Darum kümmere ich mich gleich.“ „Was ist mit ihm?“, wollte Sam wissen. „Das darf ich Ihnen leider nicht sagen.“ Der Winchester verdrehte die Augen. Wie er doch diese Krankenhausvorschriften hasste! Gelangweilt schaute er der Schwester zu, wie sie seinen Arm wasserdicht verpackte. „Ich dachte, dass Sie sich duschen wollen“, antwortete sie auf seinen fragenden Blick. „Sie sollten die Wunden in den nächsten Tagen so wenig wie möglich mit Wasser in Verbindung bringen.“ Sam nickte und ging, nachdem sie fertig war, in das kleine Bad. Frisch geduscht fühlte er sich etwas besser. Er warf einen Blick auf das Nachbarbett und sein Herz zog sich zusammen. Dean lag noch immer reglos auf dem Rücken. Lediglich das Heben und Senken seiner Brust und das rhythmische Beschlagen der Atemmaske zeigten ihm dass er noch lebte und dieser eine Gedanke fraß sich in seinem Kopf fest. Wir müssen hier raus oder dieses Leben wird uns eher früher als später töten! Die Schwester betrat den Raum mit einem Tablett. Dankbar lächelte er sie an, da sie ihn so aus seinen düsteren Gedanken gerissen hatte. „Müsste er nicht auch bald mal aufwachen?“ „Bis vor wenigen Stunden hat er starke Beruhigungsmittel bekommen“, erwiderte sie nach einem Blick auf Deans Krankenblatt. „Er hat es den Ärzten gestern wohl nicht besonders einfach gemacht, aber ich denke, bis zur Visite sollte er halbwegs wach sein.“ Sie stellte das Tablett auf die Ablage an Sams Bett, wünschte ihm guten Appetit und verließ den Raum wieder. Sam schüttelte traurig den Kopf. Sobald er hier raus war, würde er nach Motels am Grand Canyon und in El Paso suchen und ihnen da jeweils ein Zimmer für mindestens zwei Wochen buchen. Zufrieden mit dieser Entscheidung begann Sam sein Frühstück zu essen. Das Geschirr war schon lange abgeräumt, Die Visite hätte schon durch sein müssen und Dean schlief auch noch immer wie ein Stein. Sam langweilte sich. Noch nicht mal seinen Laptop hatte er hier! Versonnen starrte er aus dem Fenster und versuchte sich darüber klar zu werden, wie er sein Leben einrichten und vor Allem, was er werden wollte. Vielleicht hätte er damit eher beginnen sollen, denn endlich begann Dean unruhiger zu werden. Kapitel 88: Und noch ein Krankenhaus ------------------------------------ 88) Und noch ein Krankenhaus Sofort setzte sich Sam an sein Bett und griff nach seiner Hand. „Hey“, begann er leise, als Deans Lider flatterten und für kurze Zeit einen Blick auf die grünen Augen freigaben. „Hmpf“, schnaufte der Ältere in seine Atemmaske und kniff die Augen fest zusammen, um sie dann endgültig zu öffnen und forschend auf Sams Gesicht zu richten. „Wir sind im Krankenhaus. Du hast außer den Atemaussetzern noch Verbrennungen am Arm und am Bein und leichtere Verbrennungen am Bauch. Ich bin mit leichten Verbrennungen an Arm und Bein und im Gesicht davon gekommen.“ „Wetherworth“, nuschelte Dean in seine Maske. „Von dem habe ich nichts gehört. Aber du hast ihn mitten in die Stirn getroffen. Der müsste schon ein Dämon und aus seinem Körper gefahren sein, bevor die Kugel ihn erwischt hat, um das zu überleben. Und ich habe keinen schwarzen Rauch gesehen“, beruhigte Sam seinen Bruder, als der auffahren wollte. Sanft drückte er ihn wieder in die Kissen. Es klopfte und Sam beeilte sich auf sein Bett zu kommen. Hier waren sie maximal Kollegen, da sollten er besser nicht an Deans Bett sitzen. Er schaffte es nicht bis ins Bett, als sich die Tür öffnete und ein Pulk Ärzte und Schwestern betrat den Raum. „Wie ich sehe, scheint es Ihnen schon besser zu gehen, Mr. Carpender.“ „Ja, ich fühle mich gut“ erwiderte Sam und setzte sich auf sein Bett. „Sehr schön. Dann nehmen wir Ihnen gleich noch einmal Blut ab und wenn das keine Auffälligkeiten aufweist, können Sie uns verlassen.“ Er wandte sich Dean zu. „Sie sind also auch wieder wach. Wie fühlen Sie sich?“ Dean blickte den Arzt fragend an. Er hatte noch nicht die Zeit für eine Bestandsaufnahme. „Wann kann ich raus?“, wollte er statt einer Antwort wissen. „Noch ist die Sauerstoffsättigung ihres Blutes nicht mal annähernd so gut, dass wir in Erwägung ziehen könnten, Sie gehen zu lassen. Also ruhen Sie sich aus“, erklärter der Arzt ernst und betrachtete Deans Krankenblatt. Nach einigen Worten Fachchinesisch verschwand der ganze Tross wieder. Dean schob die Sauerstoffmaske nach unten und wandte sich an Sam. „Wie geht’s dir wirklich?“ Wortlos stand Sam auf, ging zu Deans Bett und schob die Sauerstoffmaske wieder an ihren Platz. Sofort stemmte der sich auf die Ellenbogen. „Ich werde dir erst antworten, wenn du ruhig im Bett liegst und die Maske aufbehälst!“, erklärte er und drückte den Älteren zurück in die Kissen. Das mürrische Schnaufen, das auf seine Ansage folgte, nahm er mit einem Grinsen. Er ließ sich auf Deans Bettkante nieder und wartete. Noch einmal schnaufte Dean genervt und versuchte gleich darauf sich sichtlich zu entspannen. „Geht doch“, kommentierte Sam. Es tat gut mal derjenige zu sein, der dafür sorgte dass es seinem Bruder schnell wieder gut gehen würde. Doch als er sah dass Dean sich schon wieder aufrichten wollte, beeilte er sich zu antworten: „Mir geht es soweit gut. Ist wie ein Sonnenbrand. Die Haut wird sich wohl noch schälen aber sonst ist alles okay. Außerdem hatte er mir ja nur den Mund ...“ Er schüttelte sich bei dem Gedanken daran. Hilflosigkeit und Angst stiegen wieder in ihm auf. Wortlos legte Dean ihm die Hand auf den Arm und eine Welle der Dankbarkeit und Liebe machte sich in ihm breit. Seine Augen strahlten warm, als er ihn wieder anblickte. „Mein Gott, mich macht schon das fertig, wie muss es dir dann ergangen sein?“ der Ältere schaute ihn eine Weile über seine Atemmaske hinweg an und ließ seine Augen dann durch den Raum wandern. Ziellos blieben sie irgendwo im Nirgendwo hängen während er versuchte zu ergründen, was er gefühlt hatte. Aber da war keine Angst, keine Angst um sich jedenfalls. Um Sammy hatte er Angst gehabt. Er hatte ihn da ohne Mund gesehen und die blanke Panik hatte ihn erfasst. Wie sollte sein Kleiner denn so essen? Wie ihn nerven? „Ich hab nur um dich Angst gehabt“, gestand er leise. „Warum, Dean? Warum hast du nie Angst um dich?“ „Weil dein Leben für mich schon immer wichtiger war als meins. Er hat dich bedroht, da musste ich doch handeln!“, erwiderte der und zuckte hilflos mit den Schultern. „Hör auf damit, bitte!“, flehte Sam ihm regelrecht an. „Ich soll aufhören mir um dich Sorgen zu machen?“ Dean war sprachlos. „Ja! ... Nein!“, Sam schüttelte hilflos den Kopf. „Dean, du bist mein großer Bruder und ich weiß was Dad mit dir gemacht hat. Ich will ja gar nicht, dass du dir keine Sorgen mehr um mich machst. Im Gegenteil! Ich finde es gut. Ich weiß, dass du immer für mich da sein wirst, aber ich möchte, dass du auch an dich denkst. Dass das nicht von heute auf morgen gehen wird, ist mir auch klar, aber bitte Dean, versuch es.“ Dean schloss die Augen. Was sollte er denn auch dazu sagen. Er würde das nicht abstellen können. Es war ja nicht so, dass John ihn darauf gedrillt hatte auf Sammy aufzupassen. Er hatte es selbst gewollt und er wollte es noch immer! Es klopfte kurz. Sam blieb noch die Zeit aufzustehen und einen Schritt in Richtung Badezimmer zu machen, bevor die Tür sich öffnete und der Stationsarzt eintrat. „Sie sind ja schon wieder mobil“, stellte auch er fest und musterte Sam. „Das ist gut. Ihre Werte sind in Ordnung. Also wenn Sie möchten, steht einer Entlassung nichts mehr im Weg.“ „Ja, Danke, Doktor. Ich geh mich gleich anziehen.“ „Und was ist mit mir?“, wollte Dean nun wissen. Etwas umständlich setzte er sich auf. Der Arzt lächelte und deutete auf eine der Anzeigen auf den Monitoren neben Deans Bett. „Solange die noch unter 97 Prozent ist, brauchen Sie gar nicht mehr nachfragen. Sie haben bei dem Brand jede Menge Kohlenmonoxid eingeatmet. Sie bekommen reinen Sauerstoff, damit wir das wieder aus ihrem Blutkreislauf bekommen. Sie sollten sich ausruhen, Mr. Smith. Ich kann Ihnen auch gerne etwas geben, damit Sie schlafen können.“ Fragend blickte er den älteren Winchester an. Dessen Blick huschte kurz zu Sam und als der einmal kurz die Augen schloss, nickte Dean resigniert. Er war so müde und Sam, der ihn wahrscheinlich wach halten könnte, würde auch von hier verschwinden und ihn einsam zurücklassen. In einem Krankenhaus! Da war es wirklich besser, wenn er schlief. Der Arzt nickte lächelnd. „Ich lasse Ihre Papiere fertig machen“, wandte er sich noch einmal an Sam und verließ das Zimmer. „Es ist wirklich besser so“, versuchte Sam seinem Bruder zu erklären. „Du brauchst die Ruhe, denn egal was du die ganze Zeit versucht hast mir vorzumachen. Du bist noch lange nicht wieder in der Verfassung, in der du im Sommer warst!“ Dean schnaufte nur. Er wollte hier raus, aber sie ließen ihn nicht und jetzt erklärte Sam ihm auch noch, dass er seine Scharade die ganze Zeit durchschaut hatte. Er schloss die Augen und drehte seinen Kopf weg von Sam. Der schloss kurz die Augen. War ja klar, dass Dean so reagierte. Er hasste Krankenhäuser und bei den Erfahrungen, die er in einigen gemacht hatte, konnte er es ihm noch nicht einmal übel nehmen. Allerdings hatte Dean ihn in Rocky Ford auch einfach da gelassen, weil die Ärztin es als besser empfohlen hatte. Also würde er hier auch auf den Arzt hören, egal wie sehr sein Bruder schmollte. Er holte sich seine Kleidung aus dem Schrank und verzog das Gesicht, als der Brandgeruch ihm in die Nase stieg. Im Motel würde er noch mal duschen müssen und dann in den Waschsalon fahren, wenn an ihrer Kleidung überhaupt noch was zu retten war. Sie mussten unbedingt mal wieder einkaufen fahren. Ihre Garderobe war auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Vor Allem Dean hatte kaum noch eine Hose. Wenige Minuten später kam er in seiner normalen Kleidung zurück ins Zimmer und trat an Deans Bett. Der hatte noch immer die Augen geschlossen, doch er konnte erkennen dass er nicht schlief. „Hey“, versuchte er seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Dean reagierte nicht. „Ich könnte jetzt sagen wie du mir, so ich dir und das würde sogar stimmen, aber nichtsdestotrotz mache ich mir auch Sorgen um dich und ich will gesund mit dir in ein neues Leben gehen.“ Noch immer bekam er keine Reaktion. „Okay, ich werde mal so tun, als ob du schläfst“, sagte er leise und zog die Decke etwas höher. „Ich bring dir nachher einen Burger mit“, versprach er noch und wandte sich zur Tür. Dass Dean ihm hinterherblinzelte, nahm er nicht mehr wahr, weil ihn das Klopfen an der Tür noch weiter ablenkte. „Da kommt dein Cocktail“, frotzelte er. Die Tür öffnete sich und drei Damen drängten sich ins Zimmer. Mit großen Augen blickte Sam ihnen entgegen. „Mrs. Bonar, Mrs. Wishaw, Mrs. Mendes! Wie kommen wir denn zu der Ehre ihres Besuches?“ „Fuller hat zum Frühstück eine Ansprache gehalten und uns mitgeteilt, dass Wether-Worthington bei einem Wohnhausbrand ums Leben gekommen ist“, begann Mrs. Mendes, „und das ihr beide euer Leben riskiert habt, um ihn zu retten.“ „So wirklich bedauern konnten wir seinen Tod allerdings nicht, auch wenn wir wissen, dass das eigentlich falsch von uns ist“, erklärte Mrs. Wishaw. „Dass ihr verletzt wurdet, bedauern wir dafür umso mehr.“ Eine Schwester betrat den Raum und blickte sich um. Missbilligend musterte sie die Besucherinnen. „Wir sind gleich weg“, versuchte Sam zu erklären. „Davon gehe ich aus“, sagte sie kalt. Sie ging zu Deans Bett. „Er schläft?“, stellte sie etwas überrascht fest. „Ja, aber geben Sie es ihm trotzdem. Dann haben Sie ein paar Stunden Ruhe. Er kann ein schrecklicher Patient sein“, erklärte Sam mit einem Blick auf seinen Bruder. Für den Bruchteil einer Sekunde verzog der wütend sein Gesicht. Sam grinste. Hatte er es doch gewusst. Dean schlief nicht! Aber das würde sich ja bald ändern. Die Schwester injizierte das Beruhigungsmittel in Deans Zugang an der Hand. „Und jetzt raus hier. Der Patient braucht Ruhe!“, scheuchte sie die Besucher rigoros aus dem Raum. „Ich will mich nur von ihm verabschieden“, bat Sam und trat an das Bett heran. Er griff Deans Hand. „Ich bin bald wieder da. Will nur unsere Wäsche waschen und dir den versprochenen Burger holen. Dann komme ich wieder“, versprach er und drückte Deans Hand. „Ihr kommt nicht wieder“, stellte Mrs. Wishaw leise fest, als sie mit dem Fahrstuhl gemeinsam nach unten fuhren. „Wer sagt denn sowas?“, wollte Sam gespielt verwundert wissen. „Verkauf uns nicht für dumm, Junge! Ihr ward keine richtigen Pfleger. Dafür ward ihr viel zu lieb und auf unser Wohl bedacht. Ihr ward aus einem bestimmten Grund hier und ich denke, der hat sich erledigt“, fuhr sie fort. „Ich gehe davon aus, dass es mit Wether-Worthington zusammenhängt, aber du wirst uns nicht sagen, oder?“ „Ich weiß nicht, wovon Sie reden“, stellte Sam sich dumm. „Könnt ihr nicht …“, begann Mrs. Bonar doch dann öffneten sich die Fahrstuhltüren und sie schwieg. Es gab ein kurzes Gedränge als einige Besucher und Schwester hineindrängten und Sam mit den Damen in den Flur trat. „Das heißt jetzt wohl Lebewohl“, wollte Mrs. Mendes leise wissen. Sie hatte sich an die Jungs gewöhnt, auch wenn das in der Kürze der Zeit eigentlich nicht möglich sein sollte, aber sie würden ihr fehlen. „Noch nicht ganz. Ich möchte ihnen noch etwas mitgeben“, sagte Sam. Doch dann fiel ihm ein, dass der Impala ja immer noch in einer Seitengasse in der Nähe ihres nächtlichen Einsatzortes stand. „Es ist im Wagen und der steht am Motel“, erklärte er ruhig. Können wir uns heute noch mal treffen? Sagen wir in drei Stunden im Park?“ Er blickte zu Mrs. Bonar, die nickte schweren Herzens. „Danke“ Sam lächelte kurz und lief gleich darauf zu einem der wartenden Taxis, stieg ein und verschwand. „Jetzt sind wir genauso schlau wie vorher“, seufzte Mrs. Mendes. Sam parkte den Wagen direkt vor ihrem Zimmer. Er ging hinein, sammelte ihre Wäsche zusammen und wollte gerade zur Tür hinaus, als er sich überlegte, den Laptop mitzunehmen, und während er warten musste, nach einem Zimmer in El Paso zu suchen. Außerdem konnte er auch gleich noch ein Zimmer am Grand Canyon buchen. Dean hasste Verschwendung und so hatten sie einen Grund genau diesen Urlaub auch zu machen. Sein Unbehagen Dean derart zu übergehen, schluckte er herunter. Manchmal musste man seinen Bruder eben zu seinem Glück zwingen! Kapitel 89: Ein schwerer Abschied --------------------------------- @ Vanilein - Nein, Dean versauert nicht im Krankenhaus - er hat ja Sammy dabei, also ist doch fast alles gut, oder? Das schöne neue Leben ohne Monster ... hm. Mal sehen,was das neue Leben ohne Monster dazu sagt. Die nächsten 3 Wochen gibt es nichts von mir, ich bin im Urlaub. Also lass Dir die Zeit nicht zu lang werden ... Wünsche Dir und den heimlichen Lesern eine schöne Zeit. LG Kalea 89) Ein schwerer Abschied Sam parkte den Wagen direkt vor ihrem Zimmer. Er ging hinein und entledigte sich sofort seiner Kleidung. Der Brandgeruch, der dieser anhaftete war so penetrant, dass er ihn fast zum Erbrechen reizte und er konnte nur hoffen, dass der sich nicht in das Leder des Impala gefressen hatte, denn wie sie den wieder rausbekommen sollten ohne die ganze Bank auszutauschen, wäre ihm ein Rätsel. Nach einer mehr als ausgiebigen Dusche sammelte er ihre komplette Wäsche zusammen und wollte gerade zur Tür hinaus, als sein Blick auf den Laptop fiel und er sich überlegte, den mitzunehmen. Während er wartete, konnte er nach einem Zimmer in El Paso suchen und ihnen auch gleich noch ein Zimmer am Grand Canyon buchen. Dean hasste Verschwendung und so lieferte er ihm einen Grund genau diesen Urlaub auch zu machen. Sein Unbehagen Dean so zu übergehen schluckte er herunter. Manchmal musste man seinen Bruder eben zu seinem Glück zwingen! Er fuhr zum nächsten Waschsalon und während die Wäsche langsam wieder einen Zustand annahm, in dem man sich, ohne schiefe Blicke und gerümpfte Nasen zu riskieren, auf die Straße trauen konnte, buchte Sam jeweils ein Zimmer in El Paso und eins nicht direkt am Grand Canyon. Ein paar Kilometer weg waren die Zimmer schon wesentlich preiswerter und da sie dort eher einen aktiven Urlaub machen würden, konnten sie die Strecke auch noch laufen. Er freute sich schon auf Deans Gesicht, wenn er rausfand, dass sie nicht direkt an der Kante wohnten, aber doch wesentlich näher, als damals mit Dad. Leises Piepsen zeigte an, dass der Trockner durch war und so verstaute er seinen Rechner wieder im Rucksack und begann ihre Wäsche einzupacken. Er fand es schon erschreckend, wie klein der Haufen, so zusammengefaltet, geworden war. Sie musste unbedingt einkaufen fahren. Wann waren sie das denn das letzte Mal? Vor mehr als einem Jahr, damals als sie nach Portland unterwegs waren und dann auf dem Weg nach Montana. Viel zu lange her! Er brachte die Tasche zum Wagen und stellte sie in den Kofferraum. Danach stieg er ein und machte sich auf den Weg zum Park. Drei Stunden nachdem er sich von den Damen vor dem Krankenhaus verabschiedet hatte, stellte er den Impala auf dem Parkplatz am Park ab. Er holte die Tüte mit der Wii und einigen Spielen vom Rücksitz und ging zu der Bank, auf der er mit Mrs. Bonar an seinem ersten Tag hier, gesessen hatte. In Gedanken suchte er nach den besten Worten, um sich zu verabschieden und verwarf jede einzelne Variante. Was ihn allerdings bei der Bank erwartete, verschlug ihm erst recht die Sprache. Außer Mrs. Fey wollten sich auch alle anderen Bewohner der Station 5 von ihm verabschieden. „James“, grüßte ihn Mrs. Bonar und reichte ihm traurig lächelnd die Hand, die er zögernd ergriff. Er mochte solche Abschiede nicht. Mit einem Mal wusste er wieder, warum sie meistens ohne ein Wort verschwanden. Leider gab es diese Option dieses Mal nicht, weil Dean im Krankenhaus lag. „Ich …“ er räusperte sich und drückte ihr die Tüte in die Hand. „Deacon hat die besorgt. Er meinte, dass Sie sich danach erkundigt hätten. Egal. So behalten sie uns ja vielleicht in Erinnerung. Fragen sie einfach Isabelle, wenn sie Probleme mit dem Anschließen haben.“ Er lächelte schief. „Kannst du uns nicht wenigstens jetzt die Wahrheit über euer Hiersein sagen?“, bat Mr. Harland ruhig. „Ich …“ Sam schüttelte den Kopf. „Ich darf es ihnen nicht sagen. Vielleicht nur so viel. Es werden keine Angehörigen mehr sterben.“ „Hatte es etwas mit dem Wether-Worthington zu tun?“, wollte Mr. Genardy wissen. Sam schloss die Augen und schüttelte dann den Kopf. „Ich darf es ihnen wirklich nicht sagen.“ Mrs. Mendes nickte leicht. „Ich denke, ich spreche hier für alle, wenn ich sage dass wir euch auch ohne das Geschenk nicht vergessen werden.“ „Es ist nur schade, dass ihr schon wieder geht“, fügte Mrs. Bonar hinzu. „Sag Deacon liebe Grüße!“, ergänzte Mrs. Wishaw. „Werde ich“, nickte Sam. „Und lassen sie sich nicht unterkriegen.“ „Lebt wohl“ Jeder schüttelte Sam noch einmal die Hand, bevor der Winchester sich umdrehte, die Hände in die Jackentaschen schob, die Schultern hochzog und zum Impala ging. Irgendwie ging ihm dieser Abschied schon an die Nieren. So ungern er hierher gekommen war, so ungern verließ er diesen Ort wieder. Die Rentner waren ihm ans Herz gewachsen. Trotzdem war er aber auch froh. Sie hatten auch diesen Fall ohne größere Blessuren abgeschlossen. Jetzt musste er nur noch Dean aus dem Krankenhaus holen und dann konnten sie in ein neues Leben starten. Im Moment ließ ihn dieser Gedanke noch vollkommen kalt. Vielleicht musste er dieses neue Leben erst eine Weile leben, bevor ihm wirklich bewusst wurde, dass die Jagd vorbei war? Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen, startete den Wagen und fuhr Richtung Krankenhaus davon. Hatte er noch immer diesen Brandgeruch in der Nase, oder haftete der dem Wagen jetzt doch an? Er hoffte es nicht. Ein paar Blocks von Krankenhaus entfernt war ein kleines Diner und Sam erinnerte sich an sein Versprechen, seinem Bruder etwas zu Essen mitzubringen. Vielleicht war er ja dann etwas gnädiger gestimmt, wenn er ihn über Nacht noch im Krankenhaus lassen würde, denn genau das wollte er tun. Es war besser für Dean, auch wenn der das wohl nicht einsehen würde. Er parkte den Wagen. Auf dem Weg zum Eingang des Diners machte sich sein Magen bemerkbar und ihm fiel auf, dass er außer dem Frühstück auch noch nichts gegessen hatte, und selbst das war nicht sonderlich üppig gewesen. In einer Nische war noch ein Tisch frei und so beschloss er, dass Dean noch ein wenig warten musste. „Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte eine niedliche Kellnerin. Sam musterte sie offen. Sie hatte ihre langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Fransen des Ponys hingen ihr bis fast in die Augen, die so dunkel waren, wie ihre Haare. Und sie hatte eine Stupsnase. ‚Niedlich’, dachte er und lächelte sie an. „Ich hätte gerne einen Latte Macchiato und was können Sie zu essen empfehlen?“ „Wir haben heute Veggie-Burger im Angebot, Salat mit Lachs und Krabben und die Schinken-Käse-Burger sind auch zu empfehlen.“ „Dann nehme ich einen Salat mit Lachs und zwei Schinken-Käse-Burger zum Mitnehmen, bitte.“ „Sie müssen die nicht zu Hause essen, Sie können auch gerne wiederkommen“, erklärte sie mit einem verschmitzten Lächeln. „Die sind nicht für mich. Die sind um jemanden bei Laune zu halten.“ „Sie können auch mit diesem Jemand kommen.“ „Der liegt im Krankenhaus, aber danke für die Einladung.“ „Oh“, machte sie, „dann bestellen Sie diesem Jemand guten Besserung.“ „Das werde ich.“ Sie wandte sich ab und ging mit federnden Schritten zur Theke zurück. Ihr Pferdeschwanz wippte bei jedem Schritt leicht schaukelnd. Gleich darauf kam sie mit einem Glas Latte Macchiato zurück, legte eine Serviette auf den Tisch und stellte das Glas darauf. Als sie sich abwandte, streiften ihre Finger Sams Hand. „Der Salat kommt gleich“, sagte sie noch und wandte sich dann endgültig ab. In ihren Augen lag ein vergnügtes Glitzern. Es war schon viel zu lange nichts mehr los hier! Fast bedauerte Sam, dass er nicht, wie Dean, problemlos Kontakte knüpfen konnte. Die Kleine würde er wohl nicht abweisen. Aber nein. Er selbst wünschte sich eher eine feste Beziehung als eine flüchtige Nummer. Und sein Bruder lag im Krankenhaus. Er wünschte sich wirklich, dass Dean nicht immer der Leidtragende war, wenn er mal wieder nicht auf sich aufpassen konnte. Warum war es eigentlich immer Dean, der auf ihn aufpasste und ihn aus der Bredouille holen? Er wünschte sich wirklich, dass diese Bilanz etwas mehr zu seinen Gunsten aufgefallen wäre. Aber jetzt würde sich das ja wohl nicht mehr ändern lassen. Sie stiegen aus und in einem normalen Leben, würde hoffentlich keiner von ihnen mehr dem Anderen das Leben retten müssen. Mit der Rechnung brachte sie ihm die bestellten Burger für Dean. Noch einmal lächelte er sie warm an, bedankte sich für die nette Bedienung und legte ein gutes Trinkgeld auf die zu zahlende Summe. „Bis bald mal“, verabschiedete sie sich. Sam nickte nur. Er würde sie nie wieder sehen. Jetzt nur noch schnell zu seinem Bruder. Leise summte er die Musik mit, die aus den Boxen drang und lenkte den Impala zum Krankenhaus. „Hey“, grüßte er leise. Er schloss die Tür hinter sich. Schlief Dean noch? Leise trat er an das Bett heran, doch es war leer! War sein Bruder stiften gegangen? Aber er hatte doch gesagt, dass er wiederkommen würde! Dean kam aus dem Bad. „Was soll das?“, wollte der Jüngere sauer wissen. „Du gehörst in ein Bett!“ „Ich habe die offizielle Genehmigung zu gehen!“, konterte der Ältere, ging zu seinem Nachttisch und griff nach dem Zettel, der darauf lag. Breit grinsend wedelte er damit vor Sams Nase herum. „Du hast den Arzt solange genervt, bis er dich gehen ließ“, erwiderte Sam. „Ist doch egal. Meine Blutwerte sind in Ordnung und ich darf hier raus. Ich soll mich nur noch etwas schonen.“ Tief durchatmend verdrehte Sam die Augen. War ja klar, dass es sein Bruder in einem Krankenhaus nicht lange aushalten würde. Gut, dass er die gewaschene Kleidung mitgebracht hatte. „Willst du nicht erst was essen?“ „Das kann ich auch noch im Motel!“ Mit großen Augen starrte Sam seinen Bruder sprachlos an. Dean wollte nicht sofort essen? „Aber du bist okay?“ „Ich hab vorhin was zu Essen bekommen. War nicht lecker, aber halbwegs nahrhaft. Du musst also keine Angst haben, dass dich verhungere.“ „Wollte nur sicher gehen“, erklärte Sam mit einem unsicheren Grinsen. Gerade war ihm sein Bruder nicht geheuer! „Ich soll dich von unseren Rentnern grüßen“, sagte er statt der genervten Worte, die ihm auf der Zunge lag. Es brachte nichts, wenn sie sich stritten. Dean würde sich nicht ändern und er sich nicht mehr sinnlos mit ihm streiten, denn eigentlich war er ja froh, dass er seinem Großen scheinbar besser ging, als er befürchtet hatte. „Du hast dich von ihnen verabschiedet?“ „Ja. Ich hab ihnen die Wii gegeben. Sie waren sich sicher, dass wir nicht wieder kommen werden, also hab ich es ihnen bestätigt.“ „Gut.“ „Oder wolltest du dich auch verabschieden? Ich meine ich wusste ja nicht, dass du schon wieder aus deinem Bett flüchtest.“ „Nein, es ist gut, so wie es ist. Ich hasse Abschiede!“ ‚Ich auch, Dean, ich auch’, bestätigte Sam diese Aussage in Gedanken. „Dann lass uns packen und diesen Ort verlassen, bevor noch einer auf den Gedanken kommt, uns befragen zu wollen.“ „Sie waren noch nicht hier?“ „Keine Ahnung, ich hab bis vor einer Stunde geschlafen und dann auf meine Entlassung gedrängt.“ „Dean!“ „Was? Die Blutwerte waren okay!“ Wieder verdrehte Sam die Augen. Dean würde sich wohl wirklich nie ändern! „Baby“, begrüßte er seine schwarze Schönheit voller Inbrunst. Sanft strichen seine Finger über das Dach, bevor er die Tür öffnete. Das vertraute Knarzen war Balsam für seine Seele. War wohl doch nicht alles falsch, was von seinem Erzeuger kam? Er ließ sich vorsichtig auf den Fahrersitz gleiten. Die Verbände der Brandwunden zwickten etwas, aber es war auszuhalten. Außerdem gab es ja jetzt nichts mehr, dass sie dringend erledigen mussten, so konnte er dem Rat des Arztes folgen und sich auch wirklich ausruhen. Was für ein ungewohnter Gedanke. Er würde sich jetzt wohl doch so langsam überlegen müssen, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Aber nicht jetzt! Dafür war in den nächsten Tagen noch genug Zeit. Schnüffelnd zog er die Nase kraus. „War leider nicht zu ändern“, entschuldigte sich Sam leise. Er hatte den Brandgeruch wohl doch nicht nur in der Nase. „Das heißt dann wohl Grundreinigung, spätestens wenn wir bei Bobby sind. Und du hilfst mit!“ Sam nickte pflichtschuldig. Dean ließ den Impala an, wartete bis Sam sich auf seinem Platz zusammengefaltet hatte und lenkte den Wagen gleich darauf zu ihrem Motel. Kapitel 90: Flugparasit und seine Folgen ---------------------------------------- 90) Flugparasit und seine Folgen „Wollen wir nicht wenigstens noch die Nacht hier verbringen?“, fragte Sam besorgt. Sein Bruder bewegte sich viel zu vorsichtig, als das ihm die Brandwunden keine Schmerzen bereiten würden. „Lass uns hier verschwinden“, bat Dean leise und sah seinen kleinen Bruder so flehentlich an, dass der nicht anders konnte, als zu nicken. „Aber nicht weit, okay?“ „Wir suchen uns heute noch ein Zimmer, versprochen.“ „Dann iss wenigstens die Burger, die ich dir mitgebracht hab.“ Dean nickte und ließ sich vorsichtig am Tisch nieder. Hastig verdrückte er das Essen während Sam Kaffee kochte. Schweigend tranken sie den und begannen dann das Wenige zusammenzupacken, das sich noch in ihrem Zimmer befand. „Schon erschreckend, wie wenig unser Leben ausmacht“, stellte Sam mit leichter Beklommenheit fest. „Bislang waren wir froh, wenn wir nicht so viel packen mussten. Muss ja auch alles in den Kofferraum passen. Und nicht selten waren wir ziemlich in Eile, da war wenig Kleidung auch von Vorteil.“ „Schon, aber dieses Mal ist es besonders wenig. Wir müssen unbedingt einkaufen. Du hast kaum noch ein ganzes T-Shirt, nicht zu reden von Hosen oder Hemden und bei mir sieht es nicht viel besser aus.“ „Ich hasse einkaufen!“, grummelte Dean leise, musste seinem Bruder aber auch zustimmen. Seine Kleidung füllte nicht mal mehr seine Tasche aus. „Wenn wir sesshaft sind, kannst du ja im Internet bestellen. Da fällt das Anprobieren aus, zumindest im Laden, den du dann auch nie wieder betreten musst.“ „Na wenn das keine Option ist“, grinste der Ältere und verdrehte die Augen. Er wollte keine neue Kleidung. Er fühlte sich in seiner alten wohl! Schlimm genug, dass er die immer wieder ersetzen musste. Aber der Brand hatte seinen Bestand erheblich dezimiert. Leider! Schnell hatten sie ausgecheckt und saßen eine reichliche Stunde nach Deans Entlassung schon wieder im Wagen, um Pagosa Springs für immer hinter sich gelassen. Wenig später glitt der Impala am Ortsschild vorbei. Freiheit! Für einen Augenblick schien ihnen die ganze Welt offen zu stehen. Led Zepplin dröhnte aus den Boxen. Sam genoss so gut es ging die Landschaft und Dean trommelte auf dem Lenkrad mit. Beide hingen sie ihren Gedanken nach. Plötzlich tauchte vor Sam ein hin und her huschender Lichtpunkt auf. Was war das? Ein Glühwürmchen? Er versuchte es mit einer Handbewegung zu vertreiben und erwischte es voll. Der Schwung reichte aus, um es gegen die Seitenscheiben zu schleudern. Schadenfroh grinsend sah er zu, wie das Lichtding die Scheibe nach unten rutschte. ‚Schade, dass sie geschlossen war.’ Das Ding landete auf der Türverkleidung. Es taumelte kurz, schüttelte den Kopf und strich sich seine Kleidung glatt, dann startete es erneut und näherte sich Sams Nase bis auf wenige Zentimeter. „Hast du sie noch alle!“, schrie es mit piepsiger Stimme. Es flog einen Kreis und landete hart auf seinem Zwerchfell. Keuchend entwich die Luft aus seinen Lungen. Der Schmerz breitete sich aus und er versuchte verzweifelt wieder einzuatmen, während das Ding einen weiteren Angriff startete. Er hob den Arm zur Abwehr und versuchte es mit der anderen Hand noch einmal zu treffen. Dieses Mal würde er dem Ding keine Chance geben, sich zu erholen! Sah Dean das Ding denn nicht?!? „Sag mal…“ begann Dean ruhig, um sich von seiner Müdigkeit abzulenken. Sie hätten die Nacht wohl doch noch im Motel verbringen sollen, aber er wollte ja mal wieder nicht auf Sam hören. Kaum fiel sein Blick auf seinen Bruder vergaß er seine Frage. Der Jüngere drückte sich regelrecht in die Lehne der Sitzbank und machte den Anschein am liebsten noch weiter nach hinten ausweichen zu wollen. Was war mit ihm? Hektisch suchte er den Raum zwischen seinem Bruder und den Armaturenbrett ab, aber da war nicht! „Sam? Was …?“ Er schaffte es nicht, seine Fragen zu Ende zu stellen bis Sam begann um sich zu schlagen. Warum nur? Was war mit ihm los? „Hey! Sam hör auf!“, brüllte er und versuchte den Wagen an den Straßenrand zu lenken. Ein harter Schlag traf ihn über dem Auge. Er zuckte zurück und verriss das Lenkrad. Der Impala machte einen Satz nach vorn, schoss über den Grünstreifen und landete fast wie eingeparkt zwischen zwei Bäumen. Er schaffte es nicht, seinen Schwung abzufangen und schlug, als der Wagen abrupt zum Stehen kam mit dem Kopf hart auf das Lenkrad. Ein Stöhnen entwich ihm und dann verlor sein Körper jede Spannung. Sam hatte es besser getroffen. Er war lediglich mit dem Knie gegen das Armaturenbrett geknallt, doch selbst den Schmerz spürte er kaum. Noch immer galt seine ganze Aufmerksamkeit diesem Flugparasiten. Das glitzernde Leuchtding schwirrte immer schneller vor seinen Augen herum, so dass er ihm kaum noch folgen konnte, und dann knallte es ihm mit voller Wucht gegen die Schläfe. Sams Kopf flog zur Seite, prallte gegen die Scheibe und auch seine Welt versank in Dunkelheit. Etwas Hartes drückte sich in Sams rechte Seite und weckte ihn endgültig. Mit geschlossenen Augen wälzte er sich träge auf den Rücken und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Hatten sie über Nacht das Fenster offen gelassen, oder warum hörte er jede Menge Vögel zwitschern? Außerdem versuchte er zu ergrübdeb, was da so hart in seine Seite piekte. Etwas pustete ihm geräuschvoll warme Luft gegen seine Wange und dann bekam er auch schon einen feuchtwarmen Kuss darauf gedrückt. Für einen Augenblick bildete sich eine steile Falte auf seiner Stirn und dann beschloss er doch endlich die Augen zu öffnen. Erschrocken wich er zurück. Sein Blick fiel genau auf das lange Gesicht eines braunen Pferdes mit langer weißer Blesse. Träumte er noch? Wenn ja, woher kam dieser Traum und wenn nein, wie war er hier gelandet? Hektisch richtete er sich auf und versuchte sich irgendwie an den letzten Abend zu erinnern. In Gedanken versunken stand er auf und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. Stöhnend griff er sich an den Kopf und lehnte sich gegen den Stamm des Baumes unter dem er offensichtlich geschlafen hatte. Sein Gedächtnis ließ ihn vollkommen im Stich. Oder aber er träumte doch! Alles woran er sich erinnern konnte war, dass er Dean gezwungenermaßen aus dem Krankenhaus mitgenommen hatte. Sie waren zum Motel gefahren, hatten gepackt und ausgecheckten. Danach sind sie in den Impala gestiegen, um Pagosa Springs zu verlassen und dann? Nichts! Hatten sie einen Unfall? War er …? Nein! Er konnte nicht gestorben sein! Nicht jetzt! Nicht wo sie doch endlich aussteigen und ein normales Leben führen wollten! Aber wo war dann sein Bruder? „Dean?“, fragte er in die scheinbare Idylle der Waldlichtung, auf der er aufgewacht war. „Dean“, rief er schon wesentlich lauter, um das Zwitschern der Vögel zu übertönen. „Dean“, brüllte er, als er auch auf sein Rufen keine Antwort bekommen hatte. Wieder bekam er keine Antwort. Seine Kehle wurde eng. Das konnte nicht sein. Das durfte doch nicht schon wieder passieren! Nein! Er war nicht gestorben und nein! Dean war es auch nicht! „DEAN“, brüllte er verzweifelt und lief los, um ihn zu suchen. Prompt stolperte er über etwas, das zwischen seine Beine geraten war. Er blickte an sich herab und … „Was?“, entfuhr es ihm ungläubig. Wie sah er denn aus? Irritiert blickte er sich um und bemerkte erst jetzt das Pferd so richtig. Ein Pferd? Wieso ein Pferd? „Dean?“, bettelte er verzweifelt, in der Hoffnung, sein Bruder könnte ihm das hier erklären, bevor er noch ganz den Verstand verlor. Wenn er das nicht schon hatte! Er sah aus wie ein Prinz aus einem Märchen, hatte ein Pferd und … Seine Beine gaben nach und er sackte auf den weichen, saftig grünen Rasen. Er schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, bevor er sie wieder öffnete. Für einen Augenblick fühlte er sich betrogen, hatte er doch die irrwitzige Hoffnung gehegt, dass jetzt alles wieder beim Alten war. Aber das war es natürlich nicht! Er trug lächerlich spitze Schuhe und goldgelbe Strumpfhosen. Strumpfhosen? Ein weißes langärmliges Hemd, das am Hals geschnürt war und eine Art ärmellose, blaue Tunika, die mit einem reichverzierten Gürtel zusammengehalten wurde und so lang war, dass sie ihm bis fast an die Knie reichte. Er trug einen Dolch und ein Schwert. Und er war verrückt! Oder vielleicht doch nicht? So ganz wollte er das nicht wahr haben. Nicht, dass es ein Ding der Unmöglichkeit wäre bei dem, was sie schon alles gesehen hatten. Aber glaubten nicht die, die verrückt waren felsenfest daran es nicht zu sein? Also was sprach dagegen? Wer konnte ihm das angetan haben? Und was wollte der von ihm? Sam zwang seinen Verstand dazu, normal zu arbeiten. Er machte eine Bestandsaufnahme. Was hatte er außer der wirklich lächerlichen Kleidung, die er trug? Er war auf einer Waldlichtung mit einem Pferd, das nicht angepflockt war, aber auch nicht weglief. Also schien es sein Pferd zu sein. Warum hatte er ein Pferd? Er trug edle Kleidung und da wo er geschlafen hatte lagen ein roter Umhang und eine rote Kappe mit Feder. Die Lichtung war in helles Sonnenlicht getaucht. Ein leichter Wind spielte in den Blättern und irgendwo murmelte ein Bach. Also entweder hatte ihn ein Dschinn erwischt und er war in einem fremden Wunsch gefangen, oder aber er träumte! Er kam sich vor wie in einem Märchen. Wieso träumte er sowas? Weil es fast so war, wie in einem Märchen? Sie wollten aussteigen, aufhören, ein normales Leben führen. Hatte sein Unterbewusstsein das mit Märchen verknüpft? Aber wo zum Geier war dann Dean? War er vor ihm aufgewacht und suchte die Umgebung ab? Nein! Dann hätte Dean ihn gehört. Er wäre nie so weit weg gegangen, wenn es nicht dringend erforderlich gewesen wäre. Hatte einer ihrer Gegner ihn in den Wald gelockt? Hatte es einen Kampf gegeben? War Dean verwundet worden? Lag er irgendwo im Wald und hoffte auf seine Hilfe? Würde er dann nicht nach ihm rufen? Oder war sein Bruder bewusstlos? Panik stieg sauer in seiner Speiseröhre auf. Er rannte etwas ungelenk zum Waldrand, die Schuhe störten doch sehr, und begann in immer größer werdenden Kreisen die Lichtung zu umrunden. Immer wieder rief er nach seinem Bruder, doch nichts. Außer den Geräuschen des Waldes drang kein Laut an sein Ohr. Wieder einmal blieb sein Fuß an einer Wurzel hängen, doch dieses Mal schaffte er es nicht, sich abzufangen. Er ging mit wild rudernden Armen zu Boden. Stöhnend setzte er sich auf. Diese verdammten Schuhe waren kurz davor ihn umzubringen! Wie konnte man denn mit so was laufen? Für Waldspaziergänge waren die auf keinen Fall geschaffen! Er zog sie aus und stopftet sie sich in sein Wams, bevor sich leise stöhnend aufrichtete. Wütend schloss er die Augen und atmete ein paar Mal durch. Er legte den Kopf in den Nacken, öffnete die Augen und starrte in den Himmel. Über ihm sprang ein rotes Eichhörnchen durchs Geäst, wohl auf der Suche nach Nahrung. Neugierig beäugte es ihn mit seinen dunklen Knopfaugen, doch er schien uninteressant zu sein. Es sprang weiter. Barfuß machte er sich wieder auf den Weg. Die Sonne hatte ihren Höchststand lange überschritten, als er sich müde auf einen Baumstumpf setzte. Was sollte er nun tun? Weitersuchen? Oder sollte er hier aufhören? War Dean überhaupt hier? Konnte er es riskieren, seinen Bruder vielleicht sterben zu lassen oder war das Ganze von vornherein sinnlos? Sein Magen knurrte laut vernehmlich. Ein Geräusch, das ihn schon wieder schmerzlich an Dean erinnerte. Wieso konnten sie nicht in Ruhe leben? Wieso musste es ständig sie treffen? Hatte irgendwer einen Fluch über sie gelegt, ohne dass sie es bemerkt hatten? Wieder knurrte sein Magen und er beschloss erst einmal zu der Lichtung zurückzukehren und etwas zu essen. Hatte er überhaupt etwas dabei? Kapitel 91: Das Wirtshaus am Wegesrand -------------------------------------- @ Vanilein - Vielen Dank, ich hab mich sehr gut erholt. Also auf geht`s: Wo ich sie reingesteckt hab - mal sehen ;-)) LG Kalea 91) Das Wirtshaus am Wegesrand Auf der Lichtung angekommen ging er zu seinem Pferd, das sich inzwischen hingelegt hatte. Es erhob sich sofort und er kramte in den Satteltaschen. Außer etwas zerbröseltem Kuchen und einer halbvollen Flasche Wein fand er nichts. Darum musste er sich also auch noch kümmern! Er ließ sich an dem nahegelegenen Bächlein nieder, hielt die Füße in das kühlende Wasser und vernichtete das wenige Essen. „Du kannst mir auch nicht sagen, was wir hier tun, oder?“, fragte er das Pferd, das inzwischen neben ihm stand und kam sich reichlich blöd vor dabei. Das Tier schnaubte nur und schüttelte den Kopf. „Dann sollten wir versuchen eine Unterkunft und etwas zu essen zu finden. Vielleicht gibt es hier in der Nähe ja jemanden, der uns sagen kann, wo wir sind und vielleicht hat der auch Dean gesehen?“ Ein wenig Hoffnung keimte in ihm auf. Und selbst die Anwesenheit des Pferdes schien tröstlich auf ihn zu wirken. Er zog die Füße aus dem Wasser und wollte gerade über sich die Augen verdrehen, weil er nichts hatte, um sie sich abzutrocknen, als er feststellte, dass die vollkommen trocken waren. Wie ging das denn? Er zog sich seine Strümpfe und diese furchtbaren Schnabelschuhe wieder an, trat zu dem Pferd und saß auf. „Dann bring uns hier mal raus“, sagte er leise und ließ das Tier laufen. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont, als vor ihnen ein Licht durch die Bäume schien, auf das der Hengst von ganz allein zusteuerte. Das Licht entpuppte sich als Gasthof. Steifbeinig stieg Sam von seinem Pferd und wollte es in den Stall bringen, als auch schon ein Knecht herauskam und es ihm abnahm. „Das ist sehr nett von Ihnen, danke“, begann Sam. „Ist meine Aufgabe, Herr!“, nuschelte der Knecht, der schon etwas erstaunt wirkte, dass sich jemand bei ihm bedankte. „Geht hinein bevor Ihr Euch erkältet. Ich kümmere mich schon um Euer Ross.“ „Danke“, sagte Sam noch einmal und ging zur Tür, die mit leisem Knarzen aufschwang, kaum dass er die Klinke herunter drückte. Er betrat den Schankraum und schaute sich um. Sofort kam der Wirt auf ihn zu, verbeugte sich vor ihm und begann: „Es ist mir eine große Ehre, Euch hier in meiner bescheidenen Schänke begrüßen zu dürfen. Reist Ihr allein?“ „Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder, habt Ihr ihn gesehen“, erklärte er ruhig. Vielleicht konnten ihm die Menschen hier ja schon helfen? „Nein mein Herr, außer ein paar Knechten und Kaufleuten war niemand hier“, beeilte sich der Wirt zu versichern. Betrübt nickte der Winchester. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Nur schnell etwas essen und dann weiter suchen? Essen musste er und die Suche würde sich bei der Dunkelheit schwierig gestalten. Es war Neumond und das wenige Sternenlicht würde ihm nicht helfen. Konnte er hier übernachten? Er hatte wenig Lust diese Nacht auch noch draußen zu verbringen. Verdammt! Er war sich ja nicht mal sicher, dass er die letzte Nacht da draußen geschlafen hatte! Er … Hinter ihm öffnete sich die Tür erneut. Eine alte Frau trat ein und lief regelrecht in ihn hinein. „Oh, Entschuldigung der Herr“, murmelte sie erschrocken. „Kannst du nicht aufpassen?“, schimpfte der Wirt. „Es war nicht ihr Fehler“, versuchte Sam die Lage zu beruhigen. „Ich hätte hier ja keine Maulaffen feilhalten müssen.“ Doch der Wirt ließ das nicht gelten. Laut schimpfend scheuchte er die Alte in eine Ecke. „Darf ich Euch etwas zum Aufwärmen bringen? Vielleicht auch eine Kleinigkeit zu Essen?“, katzbuckelte er unterwürfig und komplimentierte den Winchester, kaum dass der genickt hatte, in die Nische neben dem Kamin. „Hier könnt Ihr Euch ausruhen, Herr.“ Sam nickte nur abwesend. Seine Gedanken waren schon wieder bei seinem Bruder. Die Suche am Tag hatte seine Aufmerksamkeit gefordert, doch jetzt hatte er die Zeit sich über andere Dinge den Kopf zu zerbrechen. Wie konnte er hierher gekommen sein? Wer konnte ihnen das angetan haben? Was wusste er noch von gestern Abend? Er hatte Dean aus dem Krankenhaus mitgenommen und sie waren zum Motel gefahren, hatten gepackt und wollten die Stadt verlassen. Und dann? Dann war da ein glitzerndes Flatterding gewesen und … „Oh Gott“, stöhnte er leise. Er hatte Dean eine verpasst und sie waren von der Straße abgekommen und wenn er sich recht erinnerte, zwischen Bäumen gelandet! Dean würde ihm nie verzeihen, wenn sein Baby etwas abbekommen hatte. Und sein Bruder selbst? Wie ging es ihm? War er verletzt? Wie konnte er das vergessen haben? Was hatte das Glühding mit ihm gemacht? Das Nächste was er wusste war, dass er hier aufgewacht war. Ohne Dean! Was hatte er nur an sich, dass er seinen Bruder in letzter Zeit immer wieder verlor? War er vielleicht verflucht? Lag es an ihm? Sie hatten sich doch gerade erst wieder richtig zusammengerauft und wollten endlich aussteigen. Allerdings hatte er sich das so nicht vorgestellt. „Haben der Herr noch einen Wunsch?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Irritiert schaute er auf und dann auf den Tisch vor sich, auf dem ein Teller mit dampfender Biersuppe und ein Brett mit Geflügel und Brot stand. „Nein, danke“, antwortete er mit Verspätung und lächelte den Wirt freundlich an. Sofort legte sich ein breites Strahlen auf dessen Gesicht. Er verbeugte sich noch einmal und verschwand hinter seinem Tresen. Und wieder starrte Sam ihm irritiert hinterher. Wo war er hier nur gelandet? Sein knurrender Magen brachte ihn dazu seine Überlegungen vorerst zu unterbrechen und sich dem Essen zuzuwenden. Es war gut. Das Bier würzig und die Suppe schmackhaft. Nur das Geflügel troff vor Fett. Aber trotzdem schmeckte es. Sam langte ordentlich zu. Wenigstens das Problem konnte er beheben. Nach dem Essen versank er wieder in seinen Grübeleien. Wo war er hier? Das alles sah verdächtig nach Mittelalter aus! Das Essen und die Sprache der Menschen. Seine Kleidung war bunt und von guter Qualität. Das hieß, dass er jemand Höhergestelltes sein musste. Aber wer? Die Menschen hier sprachen Englisch. Zumindest nahm er das an, denn er verstand sie. Im Mittelalter lebte aber noch kein Engländer in Amerika. Nur wie kam er nach England? Die Theorie mit dem Märchen wollte er so einfach nicht gelten lassen! „Herr? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wir haben einen arbeitsreichen Tag hinter uns und einen ebenso arbeitsreichen vor uns. Die Sonne ist schon lange untergegangen und wir … wir haben oben ein schönes Zimmer, in dem Ihr Euch ausruhen könnt“, unterbrach der Wirt seine Gedanken. Einen Augenblick starrte er ihn verwirrt an, dann nahm er die Einladung an und folgte dem Mann die knarrende Treppe hinauf. Er betrat das kleine Zimmer und schaute sich im Schein der flackernden Kerze um. Ein schmales Fensterchen führte auf den Hof. Ein Bett, ein Waschtisch mit Wasserkrug und Schüssel und ein Hocker bildeten die ganze Einrichtung. Er ließ sich auf das Bett fallen. Der feine Geruch nach frischem Heu stieg ihm in die Nase. Wo war er hier nur gelandet? Er zog sich seine Tunika und die Hose aus, hängte sie neben der Tür an einen Haken und legte das Schwert auf das Bett. Den Waschtisch stellte er vor die Tür und den Hocker lehnte er vors Fenster so, dass ein Einbrecher den auf jeden Fall umwerfen musste, sollte er ins Zimmer kommen wollen. So freundlich die Leute hier auch waren, er traute ihnen nicht weiter als er sie werfen konnte. Mit einem leisen Stöhnen ließ er sich auf die Matratze fallen und war trotz seines Misstrauens und des Vorsatzes möglichst nicht zu schlafen augenblicklich eingeschlafen. Der Hahn weckte ihn am Morgen. Er wusch sich flüchtig, zog sich wieder an und ging nach unten. Es roch nach Eiern und Speck. Er verdrehte die Augen. Wie gerne hätte er jetzt einen Kaffee und einen Bagel mit Putenbrust. Kaum betrat er die Schankstube, kam auch schon der Wirt auf ihn zu und komplimentierte ihn wieder an den Tisch, an dem er gestern schon gesessen hatte. Ungefragt stellte er ihm einen Teller mit Eiern und Speck vor die Nase und brachte ihm einen Becher mit heißem Kräutersud. Mit einem kurzen Nicken bedankte sich Sam und widmete sich dann ganz seinem Essen. So langsam sollte er sich überlegen, was er heute machen wollte. In aller Ruhe schaute er sich um. Die alte Frau mit den dunklen Augen war wieder da. Sie unterhielt sich mit einem Bauern, der vielleicht auf dem Weg in die Stadt war. Konnte er es riskieren, sich ihm anzuschließen? Irgendwie musste er wenigstens herausbekommen, wo genau er war! „Nein, nein. Die Dornenhecke hinter der Stadt ist nicht nur ein riesiges Gestrüpp, das sich jedem Versuch es herauszureißen widersetzt“, stritt sie die Behauptung ihres Gesprächspartners lautstark ab. „Es soll ein Schloss darunter verborgen sein. Eine wunderschöne Königstochter mitsamt ihrem ganzen Hofstaat ist darin eingeschlossen. Sie soll schon seit fast hundert Jahren schlafen.“ „Wenn du weiter solche Lügen verbreitest, brauchst du dich nicht wundern, wenn du eines Tages im Verlies landest, wenn nicht gar Schlimmeres. Also hüte deine Zunge, Weib!“, brauste der Wirt auf. „Es ist wahr! Wir leben schon seit Generationen in der Nähe der Dornenhecke. Meine Urgroßmutter wusste noch davon zu berichten. Sie hat im Schloss gearbeitet. Es heißt, dass eines Tages ein Königssohn kommen wird, um sie zu erlösen. Vielleicht seid Ihr ja auf dem Weg dahin, junger Herr?“ „Warum sollte ich?“, wollte Sam leicht genervt wissen. „Weil vielleicht Euer Glück da auf euch wartet!“, sprach sie. Ihre Augen bohrten sich in seine und schienen ihm regelrecht bis in die Seele schauen zu können. Erschrocken wandte er den Blick ab. Der Wunsch genau zu diesem Dornengestrüpp zu gehen machte sich augenblicklich fast übermächtig in ihm breit. Was hatte die Alte mit ihm gemacht? „Aber seid vorsichtig“, fuhr sie ungerührt fort, „schon mancher Königssohn hat versucht durch die Dornenhecke zu gelangen. Er ist elendig zu Grunde gegangen.“ „Lass den jungen Herrn in Ruhe, alte Hexe“, schimpfte der Wirt, packte sie am Arm und zerrte sie nach draußen. Noch lange hörte Sam sie draußen zetern. Er trank seinen Krug leer, warf ein paar Münzen auf den Tisch und wollte das Wirtshaus verlassen, als auch schon der Wirt angelaufen kam, das Geld einstrich und kratzbuckelnd vor ihm herlief. „Hat es Euch gefallen, junger Herr? War das Bett weich genug?“ „War schon recht“, erwiderte Sam ungehalten. Dieses Anbiedern war ihm zuwider! „Dann empfehlt uns ruhig weiter. Wir würden uns freuen, Euch und Eure Freunde empfangen zu können“, begann der Alte erneut. Unwirsch drängte sich Sam an dem Kerl vorbei, der ihm immer unsympathischer wurde, und verließ grußlos die Schenke. Er ging zum Stall, holte sein Pferd und stieg auf. Leise ächzend ließ er sich in den Sattel sinken. Er mochte das Reiten im wilden Westen schon nicht und auch hier tat ihm jeder Knochen weh. Hoffentlich war dieses Geschwafel von der Alten nicht nur leeres Gerede. Aber warum hatte sie ihn so vehement darauf hingewiesen, dass er da sein Glück finden würde? Warum drängte es ihn plötzlich genau dahin? Er musste es sich auf jeden Fall anschauen! Etwas anderes kam ihm gar nicht mehr in den Sinn. Doch wo war diese Dornenhecke? Von der Alten war nichts mehr zu sehen und zurück in die Schenke wollte er auch nicht. Sam lenkte sein Pferd von Hof und schaute sich um. Links war der Wald aus dem er gestern gekommen war und rechts konnte er in der Ferne Kirchtürme sehen. Aber was, wenn Dean doch im Wald war? Dass er ihn gestern nicht gefunden hatte, hieß ja nicht, dass er nicht da war. Nur warum sollte Dean ihn dann da alleine gelassen haben? Selbst wenn ihn etwas weggelockt hätte, wäre er doch immer zu ihm zurückgekommen, oder? War Dean wieder der in sich ruhende Krieger oder neigte er noch immer zu Kamikazeaktionen? Hatte er bei Wetherworth genügend Wut abbauen können? Fast bezweifelte er es. Egal! Dean würde ihn nie im Stich lassen! Außer? Ja, außer sie waren mal wieder dem Trickster in die Hände gefallen und der hatte sie mit vertauschten Rollen erneut durch die Zeit geschickt. Dann konnte er nur hoffen, dass er Dean irgendwann treffen und der nicht so verbohrt sein würde, wie er damals. Entschlossen lenkte er sein Pferd in Richtung Stadt, darauf hoffend, dass es nicht so weit wäre, wie es aussah und seine Reitkünste bis dahin ausreichten. Kapitel 92: Kein Dornengestrüpp ------------------------------- 92) Kein Dornengestrüpp Gemächlich trabte er auf den Marktplatz zu, um sich und seinem Pferd am Brunnen einen Schluck Wasser zu genehmigen. Außerdem brauchte er etwas zu essen. Er war in der Schänke wohl doch ein wenig überhastet aufgebrochen. Obwohl, auch wenn er sich mehr Zeit genommen hätte, das Essen hätte er trotzdem vergessen. Es war einfach nicht üblich an Essen zu denken. Egal wo sie waren, es gab immer Tankstellen und Diner in wenigen Stunden Reichweite. Als er aus der Gasse auf den kleinen Markt kam, hielt er sein Pferd an, stieg ab und führte es am Zügel weiter, nicht dass ihm noch ein spielendes Kind oder das überall freilaufende Geflügel unter die Hufe kamen. Er kaufte sich an einem Stand einen Laib Brot, an einem anderen einen Beutel Wein und setzte sich dann auf den Rand des Wasserbeckens am Brunnen, um in aller Ruhe zu essen. Doch schon als er den ersten Bissen in den Mund schieben wollte, war er von Bettlern umringt, die ihm das Brot fast aus den Händen rissen. Noch bevor er sich ihrer erwehren konnte, hörte er eine befehlsgewohnte Stimme: „Schert euch, oder ihr verbringt die nächsten Nächte im Schuldturm! Elendiges Bettelpack! Ich werd euch lehren einen edlen Herrn zu belästigen!“ Ein stämmiger Büttel schob sich Knüppel schwingend auf Sam zu. „Ihr solltet besser in einem Gasthof oder einer Schenke essen, junger Herr. Oder soll ich Euch beim Stadtvorstand anmelden? Er würde sich bestimmt freuen, Euch Obdach zu gewähren.“ „Vielen Dank!“ Sam kam erst jetzt dazu durchzuatmen und sich zu bedanken. „Ich bin nur auf der Durchreise. Aber auf dem Rückweg würde ich gerne auf Euer Angebot zurückkommen.“ Er lächelte falsch und wunderte sich, wie schnell er es geschafft hatte, sich den Gepflogenheiten hier anzupassen. Es würde hoffentlich keinen Rückweg geben, oder aber wenn doch, dann würde er diese Stadt bestimmt meiden. Schnell stopfte er das Brot in seine Satteltasche und hängte den Weinschlauch daneben. „Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo sich diese mysteriöse Dornenhecke befindet, von der ich immer wieder zu hören bekam?“ „Nein, junger Herr, diesen Weg solltet Ihr nicht einschlagen. Viele junge Männer, wie Ihr, wollten schon dahin und keiner von ihnen ist je zurückgekehrt.“ „Ich will es mir nur mal anschauen. Außerdem habe ich keine Angst vor dem, was immer da lauern sollte.“ „Das solltet Ihr aber!“ „Lasst das meine Sorge sein, guter Mann. Ich will es mir wirklich nur anschauen. Ich habe auf meiner Reise schon so viel davon gehört, und jetzt wäre es eine Schande, es nicht zu sehen. Wie stehe ich denn da, wenn ich später davon erzähle und zugeben muss nicht da gewesen zu sein“, entrüstete er sich und der Büttel nickte verstehend. Die Ehre der hohen Herren war etwas, das er nicht verstand. Er lächelte schief. „Also? Wie komme ich dahin?“, bohrte Sam nach. „Ihr folgt der Straße aus der Stadt. An der nächsten Abbiegung haltet Ihr Euch links. Außerdem solltet Ihr auf der rechten Seite um den Wald reiten. Die Räuber werden immer zudringlicher und da Ihr allein reist, seid Ihr denen auf jeden Fall unterlegen. Sie sind sehr zahlreich“, versuchte der Büttel noch zu beschwichtigen. „Wenn Ihr hinter dem Wald wieder auf den Hauptweg trefft, folgt ihm. Außerdem könnt Ihr von da aus den Berg schon sehen, auf dem das Dornengestrüpp wuchert.“ „Vielen Dank für Eure Auskunft. Wie weit ist es?“ „Ich kann Euch wirklich nicht umstimmen“, seufzte der Marktaufseher. „Der Weg führt im großen Bogen um den Wald, aber wenn Ihr schnell reitet, solltet Ihr das Dornengestrüpp noch vor der Abenddämmerung erreichen.“ Sam drückte ihm eine Münze in die Hand, stieg auf und beeilte sich, den Markt und den Ort zu verlassen. Essen konnte er auch auf dem Pferderücken. Während er aus der Stadt trabte, überlegte er immer wieder, warum er unbedingt zu diesem Gestrüpp wollte? Warum zog er nicht einmal ernsthaft in Betracht umzukehren und Dean im Wald zu suchen? Warum hörte er einfach so auf diese alte Bettlerin? Und wieso hatte er das Gefühl sie zu kennen? Er war ihr doch vorher noch nie begegnet! Wie der Büttel ihm geraten hatte, ließ er den Wald links liegen. Er trieb sein Pferd im Galopp daran vorbei und ließ es erst auf dem Hauptweg wieder langsamer gehen. Seinen Blick immer auf den Berg vor sich gerichtet, aß er den letzten Rest Brot und trank den Wein. Was würde ihn da erwarten? War es wirklich richtig zu diesem ominösen Gestrüpp zu reiten? Sollte er vielleicht nur von seiner Suche nach Dean abgelenkt werden? Hatte der Trickster aus ihrem letzten Abenteuer gelernt? Zutrauen würde er es ihm auf jeden Fall, dass der alles versuchen würde, um sie für immer zu trennen. Aber wann waren sie dem Trickster dann begegnet? Hatte der etwas mit dem Wetherworth zu tun? Nein. Wohl eher nicht, denn dann hätte er sich doch auch nach dem Tod von Vincent an ihnen gerächt, oder? „Ach verdammt!“, schimpfte er so laut, dass sein Pferd erschrocken den Kopf hochriss. „Nein, ich hab nicht dich gemeint“, versuchte er es verbal zu beruhigen und klopfte ihm außerdem noch den Hals. „Ich weiß nur einfach nicht weiter. Ich weiß ja nicht einmal wie du zu mir gekommen bist und wie wir im Wald landen konnten.“ Frustriert fuhr er sich durch die Haare. „Lass uns einfach zu diesem Gestrüpp reiten und dann sehen wir weiter, okay?“ Er spornte das Tier wieder zu einer schnelleren Gangart an. Wieder kehrten seine Gedanken zu Dean zurück. Warum war er so Hals über Kopf aufgebrochen? Diese Frage ließ ihn einfach nicht los und nicht nur einmal war er versucht wieder umzudrehen. Doch das wäre Schwachsinn gewesen. Jetzt war er schon so weit und hatte diesen Tag eh verloren und den nächsten auch. Er würde sich dieses Gestrüpp anschauen und dann zurück in den Wald reiten und nach Dean suchen! Mit diesem Entschluss fühlte er sich etwas besser. Die Sonne hatte den Horizont fast erreicht, als er am Fuß des Berges ankam. Er schirmte die Augen gegen die Sonne ab und schaute zum Gipfel hinauf. Von Gestrüpp war noch nichts zu sehen. Er gab seinem Pferd sie Sporen und ließ es den Berg hinauf galoppieren. Oben angekommen schaute er sich um. Hier hatte er einen wunderbaren Blick über das Land und er sah in vielleicht fünf Meilen Entfernung eine Burg. Das Einzige was er nicht sah, war Dornengestrüpp. Auf den Wiesen standen unzählige duftende Blumen, die in den schönsten Farben blühten. War er hier vielleicht falsch? Hatten ihn alle verarscht? Die Frau und der Büttel? Der Trickster konnte sich doch bestimmt auch verwandeln, oder? Doch egal ob er hier richtig oder falsch war, es war spät und er beschloss noch einmal auf sein Glück zu vertrauen und da nach einem Nachtlager zu fragen. Morgen würde er zurück in den Wald reiten und dann versuchen eine Spur seines Bruders zu finden. Minuten später trat er durch das offenstehende Tor. Auf dem Hof lagen Hunde und Pferde und schliefen, genau wie die Tauben auf den Dächern. Alles um ihn herum schien zu schlafen. „Hallo? Ist hier jemand?“, rief er laut. Doch außer seinem Echo hörte er keinen Laut. Er brachte sein Pferd zum Brunnen in der Mitte des Hofes, holte ihm einen Eimer Wasser herauf und ließ es saufen, während er sich weiter umschaute. Doch es war niemand zu sehen. Er ging auf die erste Tür zu, die er sah. „Hallo?“, fragte er noch einmal und schaute sich um. Er stand in der Küche. Der Koch hatte die Hand erhoben, als wollte er dem Jungen eine Ohrfeige verpassen und eine Magd hatte ein Huhn auf dem Schoß, um es zu rupfen. Doch alle waren erstarrt. War er hier in das Horrorkabinett des Vincent Wetherworth geraten? Nein, wohl eher nicht. Wetherworth war auf seinen roten Ton stolz gewesen. Zu stolz, um den mit Farben verunstalten zu lassen. Also nicht Wetherworth. Ob der wohl noch Brüder hatte? Eine erschreckende Vorstellung! Sam nahm sich vor, sobald er wieder in seinem Leben war, danach zu suchen. Jetzt allerdings musste er sich dem hier und jetzt stellen. Woran erinnerte ihn diese Szenerie? „Verdammt!“, schimpfte er über sich selbst, als es ihm endlich einfiel. Dornröschen! Er war in einem Märchen gelandet? Aber wie? Was sollte er hier? Die Prinzessin retten? Warum nicht auch das, wenn er schon mal hier war. Scheinbar waren die hundert Jahre um und alles hatte nur auf ihn gewartet. Er schnaubte genervt. So ein Schwachsinn! Ihr Leben hatte mit Märchen so viel zu tun wie Dean mit dem MIT. Aber der Trickster hatte schon einmal Märchen benutzt, um seine schlechten Streiche zu spielen. Jetzt musste er also herausfinden, wo sie ihn getroffen hatten und wie er aus diesen Märchen wieder rauskam, mit Dean! Vielleicht sollte er wirklich die Prinzessin retten? Aber heiraten würde er die auf jeden Fall nicht! Er ging durch die Räume und fand im Saal den ganzen Hofstaat liegen und schlafen und König und Königin hingen auf ihren Thronen. Aber das Unheimlichste war, dass er keinen Laut hörte, außer dem Echo seiner Schritte und dem Rasseln seiner Kleidung. Er war nur froh, dass Dean ihn so nicht sah. Der würde ihn doch glatt die nächsten hundert Jahre damit aufziehen! Obwohl? Wenn er dafür mit ihm hier sofort verschwinden und sie sich wieder auf den Weg nach El Paso machen könnte, würde er sogar das in Kauf nehmen. Nach weiteren endlos scheinenden Minuten fand er die Treppe zum Turm, zwängte sich durch die schmale Tür und stieg die Stufen hinauf. Was würde ihn da oben erwarten? Gespannt schob der die Tür zu der Kammer auf und erstarrte. Auf dem Sofa lag kein hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren sondern sein Bruder so, wie er neben ihm im Impala gesessen hatte. Wie kam der denn hierher? Das konnte nur der Trickster gewesen sein! Wer sonst sollte so einen kranken Humor haben? Er trat an das Sofa heran und legte seine Hand auf Deans Schulter. „Dean?“ Sein Bruder rührte sich nicht. Noch einmal rüttelte er ihn. „Du scheinst nicht gerade der Hellste zu sein“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme neben ihm. Sofort ließ er Dean los und zog, während er sich zu ihr umdrehte, sein Schwert. „Du?“, fragte er verwundert. „Was willst du denn hier? Wie komme ich hierher und wo bin ich hier? Was bist du überhaupt?“ Wütend funkelte er die dunkeläugige Kellnerin aus dem Diner in Sagosa Springs an. „Ich sag´s ja. Nicht sonderlich helle!“ In seiner Wut noch angestachelt stürmte Sam auf sie zu und hielt ihr das Schwert an die Kehle. „Antworte mir“, forderte er gefährlich leise. „Das würde ich lassen“, erwiderte sie frostig und schob das Schwert mit zwei Fingern beiseite. „Und was sollte mich daran hindern?“ Er brachte das Schwert wieder in seine Position. „Ich habe dich hier reingebracht und nur ich kann dich wieder rausbringen“, erwiderte sie schnippisch. „Dann bring uns hier raus!“, forderte Sam eindringlich. „Nein!“ „Bring uns hier raus! Sofort!“, forderte er mit Nachdruck und drückte ihr die Schwertspitze an die Kehle. Leise ertönte ein Plopp und die Frau war verschwunden. Dafür schwebte ein kleiner Lichtpunkt vor seinen Augen auf und ab. 'Oh Gott! Nicht das Leuchtding!', stöhnte er in Gedanken. „Ich sagte NEIN!“, wisperte sie energisch, flog einen Kreis und prallte mit voller Wucht gegen Sams Brust. Er wurde von einer Kraft nach hinten geschleudert, die er diesem leuchtenden Ball schon wieder nicht zugetraut hatte und er schaffte es wieder nicht seinen Sturz abzufangen. Hart schlug er mit seinem Kopf gegen die Wand. Für einen Augenblick verschwamm seine Sicht. Hörbar nach Luft keuchend richtete er sich wieder auf. Der Lichtball schwirrte unbeirrt vor seinem Gesicht umher. Leises Kichern füllte den Raum. Wütend schlug er danach. „Naaaa!“, giftete sie, flog einen Halbkreis und jagte erneut auf seine Brust zu. Automatisch zog er den Kopf ein und hielt sich die Arme schützend vor seinen Körper. Er atmete tief ein und spannte seine Muskeln an. Doch der erwartete Aufprall kam nicht. Sie hatte vor ihm angehalten und hüpfte nun lachend in der Luft auf und ab. „Was willst du?“, fragte der Winchester gequält. „Meinen Spaß. Mir ist langweilig!“, erklärte sie schnippisch. „Und deshalb hast du uns hierher gebracht?“ Er starrte den Lichtfloh furchteinflößend an. Leider verpuffte Sams Wut wirkungslos, da seine Stimme noch immer gepresst klang. „Ich liebe das Märchenland!“ „Märchenland?“, stöhnte Sam. Das konnte nur in die Hosen gehen! „Du willst nicht hier sein?“, fragte sie und ihre Stimme vibrierte vor reiner Bosheit. „Wie wäre es, wenn ich deinen Bruder in die Hölle schicke? Da sollte er doch schon seit über einem Jahr sein?“ „Nein, bitte. Ich … was willst du von uns?“, fragte Sam flehentlich. Alles nur das nicht! Dean war der Letzte, der die Hölle verdiente. Und er brauchte Zeit, um sich zu überlegen, wie er sie hier rausbringen konnte, denn scheinbar hatte dieses Ding es nur auf ihn abgesehen! „So würde ich mich aber nicht bezeichnen!“, zischte sie und kreiste schon wieder bedrohlich vor seinem Gesicht herum. „Ach! …“, begann der Winchester, ohne sie aus den Augen zu lassen, wurde aber sofort von ihr zum Schweigen gebracht. „Es reicht! Du wirst mich erheitern, oder dein Bruder landet in der Hölle!“ Inzwischen leuchtete sie blutrot vor Zorn. „Und was soll ich tun?“, versuchte Sam sich und sie zu beruhigen. Er brauchte unbedingt Zeit zum Nachdenken! „Du hast dir doch gewünscht, der Held zu sein. Du wolltest doch, dass dein Bruder nicht immer wegen dir leiden muss! Also, hier ist deine Chance!“ „Aber ich habe Dean doch gefunden?“ „Gefunden ja, aber es reicht hier nicht, seine Prinzessin zu finden!“ „Er ist mein Bruder!“ „Und?“ „Ich kann ihn doch nicht küssen!“ „Nicht? Kannst du zusehen wie er in der Hölle leidet?“ „Nein! Bitte, ich … Gib mir noch eine Chance!“ Wenn es sein musste, würde er seine Prinzessin küssen. Er schnaubte. Dean war alles andere als seine Prinzessin! Und er würde ihm den Kuss ewig vorhalten. Aber selbst das wäre besser, als ihn in der Hölle zu wissen! „Gut“, sagte sie nur lakonisch, grinste breit und schnippte mit den Fingern. Kapitel 93: Ein kurzes Märchen ------------------------------ @ Vanilein - ja, dieses kleine, bösartige Miststück hat einen lange Atem. So schnell ist Sam nicht erlöst. LG Kalea 93) Ein sehr kurzes Märchen Langsam kam Sams Bewusstsein zurück. Sein Körpergefühl sagte ihm dass er saß. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Alles war nur ein blöder Traum. Er lauschte auf das satte Brummen des Impalas. Doch statt des erhofften Geräusches, drang Vogelgezwitscher an sein Ohr. Panisch riss er die Augen auf und starrte auf das Grün der Bäume hinter der Lichtung. „Nicht schon wieder!“, murmelte er frustriert und erhob sich. Langsam ging er zu seinem Pferd hinüber. „Sind wir wieder hier gelandet?“, fragte er leise und klopfte ihm den Hals. „Hast du dieses Mal eine Ahnung, was wir tun sollen?“ Aber wie auch schon beim letzten Mal schüttelte das Pferd nur den Kopf. „War ja klar“, sagte der Winchester und schaute sich um. Machte es Sinn, den Wald abzusuchen? Wohl eher nicht, immerhin schien dieser hinterhältige Lichtfloh zu wollen, dass er seine „Prinzessin“ fand und rettete. Prinzessin! Wenn Dean das je erfuhr würde der ihn lebendig frittieren! Er hatte sich doch nur gewünscht, dass er auch mal derjenige sein könnte, der Dean rettete, nur damit der nicht immer der Leidtragende war. Sein Bruder hatte in diesem Jahr schon genug einstecken müssen! Nein. Eigentlich hatte er es sich nicht mal gewünscht. Er hatte nur überlegt, dass es schön wäre, wenn er mal der „Retter“ wäre. Warum konnte eigentlich jeder in seinen Kopf schauen und sehen was er dachte? Wie viele dieser gedankenlesenden Freaks liefen in ihrer Welt rum und wie viele von denen nutzen ihre Fähigkeit gegen sie oder dazu andere Menschen zu ihrem eigenen Spaß zu quälen? Nein! Das wollte er lieber nicht wissen. Er durchsuchte die Satteltaschen und fand, wie schon beim letzen Mal, etwas Essbares und einen Beutel Wein. Damit ging er zu einem Stein, der von der Sonne beschienen wurde, ließ sich darauf nieder. Eine Weile starrte er auf das Brot und das kalte Fleisch. Der Appetit war ihm vergangen, aber er musste essen. Er brauchte seine Kraft, um Dean zu finden und sie zurück in ihre Welt zu bringen. Sam blickte wieder auf das Essen und holte tief Luft. Er biss ein Stück von dem Brot ab, kaute bedächtig und überlegte, wie es weitergehen sollte. Welches Märchen hatte diese Hexe sich wohl dieses Mal für ihn ausgesucht? Frustriert schüttelte er den Kopf. Es war sinnlos darüber nachzudenken. Es waren einfach zu viele Märchen, selbst wenn er wirklich nur die nahm, in denen eine Prinzessin vorkam. Aber wohin sollte er sich dann wenden? Wieder zu dem Gasthaus? Eigentlich wollte er da nicht noch einmal hin. Und dann kam ihm eine Idee. Völlig verrückt, aber hey, er war hier im Märchenland. Warum also nicht diesen unkonventionellen Weg wählen? Eine Richtung war schließlich genauso gut oder schlecht wie jede andere! Er erhob sich, trat von dem Stein weg, schloss seine Augen und drehte sich im Kreis. Kurz bevor ihm richtig schlecht wurde, hielt er an. Er öffnete seine Augen wieder und fixierte den Blick auf einen Baum, nicht dass das Essen doch noch den Rückwärtsgang einlegte. Da lang also! Nachdem sich sein Magen beruhigt hatte, ging er zu seinem Pferd und stieg auf. Langsam ließ er es an dem Baum vorbei und weiter in diese Richtung laufen. Träge wälzte sich Dean auf den Rücken und streckte sich ausgiebig. Er fühlte sich ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Er lauschte in die Stille des Zimmers und wunderte sich, dass Sam wohl ebenfalls noch nicht aufgestanden war, denn selbst durch seine geschlossenen Lider hatte er bemerkt, dass es schon hell war. Also was war mit seinem Bruder? Kaum war die Erkenntnis in sein Gehirn gesickert, öffnete er seine Augen und schaute sich um. Sofort richtete er sich auf. Etwas zog an seinem Kopf, doch das war im Augenblick nebensächlich, denn das was er sah war absolut nicht das, was er erwartete. Der Raum war halbrund. Unverputzte Wände waren mit einigen Teppichen behängt. An einer Wand stand ein Schrank, ein mannshoher Spiegel daneben, und ein Stückchen entfernt ein Waschtisch und eine Kommode. Wo zum Teufel war er denn hier gelandet? „Sam?“, fragte er in den Raum und rutschte an den Bettrand. „SAM“, rief er lauter. In seiner Stimme schwang Besorgnis. Wieder bekam er keine Antwort. Er erhob sich, machte einen Schritt und landete, hilflos mit den Armen rudernd, auf den Knien. „Verdammt“, fluchte er laut. Wann war es ihm denn zum letzten Mal passiert, dass er sich nicht abfangen konnte? Schnell war die Frage verschwunden. Er saß vor dem Spiegel und starrte ungläubig hinein. Sein Herz begann zu rasen. Hektisch fuhr er sich mit der Hand ins Gesicht und war noch geschockter, dass sein Gegenüber diese Bewegung genauso ausführte. Er drehte sich um, vielleicht … Nein, er war allein in diesem Raum. Seine Hände fuhren in die Haare, doch da war nicht der erwartete, leicht verstrubbelte Kurzhaarschnitt, den er sonst immer fühlte. Seine Finger fühlten das, was seine Augen ihm zeigten. Er wollte aufstehen und hier verschwinden. Nur weg. Doch auch wenn sein Gehirn den Befehl gab, seine Beine bewegten sich nicht! Langsam rutschte er näher an den Spiegel heran und starrte weiter ungläubig auf das, was sein Spiegelbild sein sollte. Sein Gesicht! Vielleicht etwas weicher als er es in Erinnerung hatte, doch da konnte er sich auch täuschen, weil der Rest so gar nicht das war, was er sonst im Spiegel sah. Sein Oberkörper steckte in einem mit Bändern vorn zusammengeschnürten Teil. Darunter trug er einen Art Hemd. Doch das Schlimmste waren seine Haare. Oder das, was da von seinem Kopf hing. Ein langer, blonder, schwerer Zopf, dessen Ende noch immer auf dem Bett lag. Ächzend stemmte er sich in die Höhe. Unverwandt starrte er dabei auf sein Spiegelbild und stöhnte leise, als er stand. War ja klar, dass er zu dem Äußeren auch noch einen Rock trug. Für einen winzigen Moment verschwanden alle Sorgen. Ein flüchtiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht und seine Hände tasteten über seine Brust. „Na toll!“, maulte er, denn die fühlte sich wie immer an. „Hab mal wieder nur das blöde Zeug abbekommen!“ Doch dann wurde er schlagartig wieder ernst. Wer auch immer ihn das angetan hatte, er musste hier raus, bevor derjenige wiederkam! Hastig wollte er zu der Kommode und wäre fast wieder über den Saum seines Rockes gefallen. Seine Hände griffen in den Stoff und zogen ihn hoch. Wieder wagte er einen Schritt. Jetzt zerrten die schweren Haare an seiner Kopfhaut. Wütend packte er mit seiner Linken das geflochtene Konstrukt und ging, den Rock gerafft und den Zopf hinter sich her zerrend, zur Kommode, in deren Schüben er hektisch zu wühlen begann. Schon in der zweiten Schublade fand er eine Schere. Strähne für Strähne säbelte er sich das schwere Ding vom Kopf. Es war egal, wie es aussehen würde. Alles war besser als mit diesem Ding noch länger herumzulaufen. Kaum war er damit fertig, musste der Rock dran glauben. Dean kürzte ihn auf die Hälfte und zerschnitt ihn dann auch noch vorn und hinten von oben nach unten. Zu guter Letzt zerschnitt er auch noch die Bänder seines Oberteiles und verwendete die, um sich die Rockhälften an den Beinen zusammenzubinden. Und so traute er sich dann auch wieder vor den Spiegel. Er sah noch immer nicht das, was er gewohnt war. Seine Haare waren strähnig struppig und die sogenannten Hosen klafften an ihren Innenseiten auf, doch egal. So konnte er sich schon eher wiedererkennen! Jetzt musste er nur noch hier raus und seinen Bruder finden. Noch einmal schaute er sich in aller Ruhe in dem Raum um. An einer Wand gab es ein Loch, das sich bei näherem Betrachten als Treppe herausstellte, die er auch sofort benutzte. Leider kam er nicht weit. Schon im nächsten Stockwerk endete sie. Eine Sackgasse also. Sofort lief er die Treppe wieder nach oben und schaute sich erneut um. Blieb wohl nur das Fenster, denn sonst gab es keine andere Öffnung zur Außenwelt. Dean schaute hinaus. „Na toll“, schimpfte er, nachdem er festgestellt hatte, dass er in einem Turm eingesperrt war. „Was sollte das hier sein? Rapunzel?“, nuschelte er leise und schaute sich noch einmal um. Die langen Haare und der Turm? Es könnte schon passen. Allerdings würde es ihn dann doch interessieren, wie er hierher gekommen war, und warum? Und ganz wichtig: Wo war Sam? Sollte der etwa sein Prinz sein, der ihn rettete? „Nee, ehrlich Leute“, sagte er leise. Da nahm er seine Befreiung doch lieber selbst in die Hand. Nicht dass er Sam nicht zutraute ihn zu befreien, aber er wollte nicht singend am Fenster hocken und warten. Zumal er seinen Bruder mit seinem Gesang wohl eher verscheuchen als anlocken würde. Außerdem wollte er sich dieser Schmach nicht aussetzen, dass Sam ihm im Turm hocken sah. Sein Aufzug war schon schlimm genug! Also nichts wie weg hier! Er ging zum Bett und nahm den dicken Zopf, den er so gut es ging am Fensterkreuz befestigte und dann nach draußen warf. Ohne darüber nachzudenken kletterte er auf die Fensterbank und schwang sich nach draußen. Das Haar war ziemlich glatt. Aber als er nur noch in einzelne Strähnen und nicht mehr den ganzen Zopf griff, fiel ihm das Klettern leicht. Schnell hatte er den Boden erreicht. Jetzt fühlte er sich schon viel freier. Noch einmal schaute er sich um und beschloss dann, aufs Gradewohl loszumarschieren. Egal wohin, nur erstmals weg von hier. Irgendwo musste es Menschen geben und da konnte er sich mit neuen Kleidern eindecken und auch wieder eine vernünftige Frisur bekommen. Und dann würde er sich auf die Suche nach Sam machen. Er kam nicht weit, als plötzlich neben ihm eine zornige, Stimme erklang. „So haben wir nicht gewettet!“ Hastig drehte er sich zu ihr um und sah eine junge Frau neben sich stehen, die ihre Fäuste in die Hüften gestemmt hatte und ihn wütend anfunkelte. „Was? Wer?“, fragte er irritiert. Wie hatte er nicht bemerken können, dass sie neben ihm war? Noch bevor er irgendwie reagieren konnte schnippte sie mit den Fingern und die Welt um ihn herum wurde vom schwarzen Nichts verschlungen. Sam taumelte. Sein Gleichgewichtssinn sagte ihm dass er stand. Sein Gehirn war sich jedoch noch vollkommen sicher, dass er auf einem Pferd saß und durch einen Wald ritt. Ein gequältes Stöhnen schlich sich über seine Lippen. Instinktiv versuchte er sein Gleichgewicht wieder zu finden und streckte die Arme aus. Er fühlte, wie sich eine Hand auf seinen Arm legte und ihn sanft stützte. „Ihr mutet Euch zu viel zu, Doktor“, sagte eine weibliche Stimme. Erschrocken öffnete er die Augen, richtete er sich auf und starrte sie irritiert an. Es war nicht die Fee, die ihm das Ganze hier eingebrockt hatte. Es war eine junge Frau, die ihn freundlich anlächelte. „Ihr solltet den Tee trinken und Euch ausruhen. Es nutzt niemandem, wenn Ihr Euch zu Tode arbeitet. Wann habt Ihr das letzte Mal etwas gegessen? Bestimmt nicht nachdem ich Euch gestern gedrängt habe, zu frühstücken.“ Gequält schaute Sam zu ihr. Was wollte sie von ihm? Wo war er denn jetzt gelandet. Oder besser in welchem Märchen? „Wusste ich es doch“, schimpfte sie leise. „Ich werde Euch sofort etwas machen und dann ruht Ihr Euch aus!“ Sam musterte sie. Sie trug ein einfaches, blaues Kleid mit einer weißen Schürze darüber. Ein Dicker roter Zopf hing über ihre Schulter und soweit er das in dem wenigen Tageslicht, das durch die Butzenscheiben fiel, sehen konnten, hatte sie Sommersprossen und braune Augen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er nickte, ließ sich auf dem Stuhl nieder und trank den Tee, während sie den Raum verließ und die Tür leise hinter sich schloss. Für einen Augenblick genoss er die Fürsorge, doch dann begannen sein Gedanken um die eine, entscheidende Frage zu kreisen. Wo war er denn hier reingeraten? Was für ein Märchen hatte etwas mit einem Arzt zu tun? Kapitel 94: Neue Welten ----------------------- 94) Neue Welten Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht, bis die Magd, zumindest ging er davon aus, dass sie eine war, erneut ins Zimmer kam, ein Tablett mit Essen auf den Tisch stellte und die Tasse mit heißem Tee auffüllte. „Danke. Du bist ein Engel“, sagte Sam und meinte es auch so. Sie strahlte ihn an und verließ den Raum wieder. „Sie heißt Davina.“ Erschrocken ließ Sam die Gabel, nach der er eben gegriffen hatte, wieder fallen und drehte sich zu der Stimme um. „Du schon wieder!“, stöhnte er und starrte die Fee wütend an. „Jap, ich.“ Sie grinste ihn an. Ihre Augen funkelten bösartig. „Wieso bin ich hier? Ich war doch auf der Suche nach „meiner Prinzessin““, fragte Sam aufgebracht, wobei er die letzten Worte extra betonte. „Tja, dieses Mal hast nicht du auf ganzer Linie versagt sondern dein Prinzesschen. Wollte wohl nicht gerettet werden“, erklärte sie schnippisch. Ein kurzes Grinsen huschte über Sams Gesicht, auch wenn ihm das Wort Prinzesschen im Zusammenhang mit Dean heftige Zahnschmerzen verursachte. Sein Bruder ließ also auch nicht einfach alles mit sich machen. Schon gar nicht, wenn er, so wie er selbst beim ersten Mal, nicht wusste was er warum zu tun oder nicht zu tun hatte. „Du brauchst gar nicht so dreckig grinsen“, erklärte wie giftig. „Ich habe ihn ruhig gestellt! Er wird dir nicht mehr dazwischenfunken können. Du kannst dich also ganz beruhigt daran machen, deine Prinzessin zu retten.“ „Du hast was?“, wollte Sam entsetzt wissen. „Ich habe ihn ruhiggestellt.“ Sie packte ihn am Handgelenk. Sam, schrie erschrocken auf. Ein brennender Schmerz ließ ihn den Arm zurückzerren. „Au!“, schimpfte Sam und starrte auf das dunkle Mal. „Was soll das?“ Die Fee löste ihren Griff. „Je dunkler es ist umso besser geht es deinem Bruder. Ist es verschwunden ist er tot! Es liegt in deiner Hand ihn zu retten. Das wolltest du doch immer, oder?“, stichelte sie. Ihre Augen funkelten vor boshafter Freude. „Nein! Ich wollte ihn nicht retten! Ich wollte lediglich, dass er wegen mir nicht immer wieder verletzt wird oder im Krankenhaus landet“, erklärte er ruppig. „Dann solltest du dich verständlicher ausdrücken!“ „Ich soll mich was? Hast du sie noch alle? Du liest ungefragt meine Gedanken und ich soll mich verständlicher ausdrücken? Ich kann denken was ich will!“ „Dann sei halt vorsichtiger mit dem, was du dir wünschst! Ich kann deinem geliebten Brüderchen ganz schnell die Luft abdrehen, ohne dir die Chance zu geben, ihn zu retten!“ „Ich will ihn nicht retten müssen! Ich will mit ihm nach El Paso und dann ein ganz normales Leben führen!“ „Vielleicht kannst du das danach, vielleicht auch nicht!“ „Ich will nicht vielleicht …“ „Dann stell dich nicht wieder so blöd an! Aber vielleicht hoffe ich auch, dass du dich genauso blöd anstellst, wie vorhin?“ „Bitte, lass uns doch einfach gehen?“ „Das steht vollkommen außer Frage. Mir ist langweilig! Ich will unterhalten werden und genau das wirst du tun!“ „Und was genau soll ich …“ „Das wirst du dann schon sehen!“ „Verrätst du mir wenigstens, in welches Märchen du uns verschleppt hast, und wo Dean ist?“ „Nein! Und dein Bruder? Vielleicht wird er dir ja begegnen. Wer weiß?“ „Du hast gesagt, dass du ihn ruhiggestellt hast?“ Ein Hoffnungsschimmer glomm in Sam auf. „Das heißt aber nicht, dass er wieder einen auf Dornröschen machen muss. Ich habe sehr viele Möglichkeiten jemanden ruhig zu stellen!“ „Und wie?“, noch immer hoffte Sam, etwas mehr aus ihr herauszubekommen. „Wo bleibt der Reiz, wenn ich es dir sage?“ „Er ist also hier?“ „Vielleicht? Vielleicht auch nicht!“, erwiderte sie kryptisch und war verschwunden. Sam stöhnte leise und rieb sich die Nasenwurzel. Jetzt war er genauso schlau wie vorher. Nein, eigentlich wusste er jetzt noch weniger als vorher. Er wusste weder was er hier tun sollte, noch wie er Dean finden konnte. Wenn er wenigstens das Märchen wüsste! Und wie es Dean ging! Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm er die Gabel wieder auf und begann das inzwischen fast kalte Rührei mit Speck und Weißbrot zu essen. Außer dass es kalt war, schmeckte es wundervoll. Satt legte er die Gabel weg und schaute sich um. Er brauchte Ruhe. Er war hundemüde und mit den Nerven am Ende. Er musste dringend auftanken, bevor er auf die Suche nach Dean gehen konnte. Sam stand auf und ging zu der Liege, die an der Wand gegenüber stand. Er ließ sich darauf nieder und war kaum, dass er lag auch schon eingeschlafen. Selbst als Davina das Tablett abräumte, wachte er nicht auf. Sie trug das Geschirr in die kleine Küche und brachte ihrem Herrn eine Decke, die sie vorsichtig über ihm breitete. „Ihr gehört in ein Bett“, schimpfte sie leise, bevor sie wieder in die Küche ging. Abrupt bremste Dean und stolperte. Er rollte sich gekonnt über die Schulter ab und kam sofort wieder auf die Füße. Am Boden hockend schaute er sich um. „Was zum …“, nuschelte er atemlos. Bis vor wenigen Sekunden war er über eine Wiese auf einen Wald zugelaufen, jetzt war rund um ihn herum nur massiv aussehender Fels. Kein Himmel, seine Sonne, kein Grün. Nichts außer graubraunem Felsen! Wo war er denn hier gelandet? Er stand auf und schaute sich um. „Hallo?“, rief er und lauschte. Seine Stimme kam als verzerrtes Echo zurück. „Ist hier jemand?“ Wieder war nur das Echo zu hören. War er in einer Höhle? „Sam?“ Höhlen waren dunkel! „Sammy?“ Hier herrschte ein Licht wie kurz vor Sonnenaufgang, schon hell aber noch nicht so strahlend, wie bei Sonnenschein. „SAM?“ Außer dem Echo antwortete ihm niemand. Er rieb sich seine schmerzende Schulter. Sein Bremsmanöver war wohl doch nicht ganz reibungslos verlaufen. Er schaute an sich herab. Wenigstens hatte er wieder seine normale Kleidung und ein schneller Griff in seine Haare überzeugte ihn, dass auch die wieder waren, wie sie immer sein sollten! Mit gezogener Waffe begann er die Höhle einer schnellen Untersuchung zu unterziehen. Es gab einige bizarr geformte Tropfsteine, die vom Boden bis zur Decken reichten, mehrere Nischen in unterschiedlichen Größen und jede Menge loser Steine. An einer Wand lief ein Rinnsal herab, das nach Schwefel und Eisen schmeckte. Nicht wirklich lecker, aber zur Not konnte er es trinken. Immerhin musste er hier nicht verdursten, bis er einen Ausgang fand. Trotzdem wollte er sich nicht darauf vertlassen. Vielleicht kam er ja schnell hier raus? Er schnaubte. Wann war jemals etwas einfach für einen Winchester? Aufgeben stand jedoch nicht zur Debatte und so machte er sich auf einen zweiten Erkundungsgang. Dieses Mal untersuchte er die Wände zentimetergenau. Als er an einem größeren Riss, der in einer Felswand klaffte, vorbeiging hatte er das Gefühl, dass ihn ein Luftzug streifte. Sofort schob er seine Finger in die Ritze und tastetet sie ab, soweit er hineinfassen konnte. „Verdammt“, fluchte er und zog seine Hand zurück. Er warf einen kurzen Blick auf die blutenden Fingerkuppen und schob sie sich in den Mund. Irgendwo musste einen scharfe Kante sein. Die hielt ihm allerdings nicht davon ab die Spalte erneut mit der anderen Hand abzutasten. Dieses Mal schürfte er sich die Knöchel auf. Er schüttelte die Hand ein paar Mal und musterte die Wunden dann aufmerksam, entschied aber, dass sie nicht so schlimm wären, als das er hier nicht weitermachen konnte. Er suchte sich einen scharfkantigen Stein und schlug so lange immer wieder auf die Kanten der Spalte ein, bis seine Arme lahm wurden und der Stein so glitschig von seinem Blut, dass er ihm aus den Händen rutschte. Er ließ ihn fallen und schaute sich, nicht gewillt jetzt schon aufzugeben, nach einem besseren Werkzeug um. „An deiner Stelle würde ich das lassen. Es wird dich nicht weiterbringen!“, wisperte ein Stimmchen neben seinem Ohr. Sofort richtete er sich auf und schaute sich suchend um. Seine Hand wanderte millimeterweise zu seiner Waffe, die er hinten in den Hosenbund gesteckt hatte. „Was?“ Irritiert zog er die Brauen zusammen, als er neben sich einen fliegenden Lichtball entdeckte. Das Ding stand in der Luft und er musste sich beherrschen, um nicht sofort hinter der nächsten Tropfsteinsäule Schutz zu suchen. Er wollte nicht schon wieder Opfer eines Seelentauschzaubers, oder was immer das Ding bedeuten sollte, werden. Langsam, seine Augen nicht von dem Leuchtding nehmend bewegte er sich zur Seite. Es blieb an seiner Stelle. „Nicht was! Wenn überhaupt: wer!“, schimpfte das Glühwürmchen. Dean streckte langsam seine Hand aus und versuchte es zu berühren. „Lass das!“, schimpfte es und wich seiner Hand aus. Der Lichtfloh drehte eine Runde zum Schwung holen und schoss auf den Winchester zu. Dean schaffte es gerade so auszuweichen, damit es nicht sein Auge traf. Er war jedoch nicht schnell genug und so prallte das Ding gegen seine Schläfe und ließ ihn nach hinten taumeln. Noch bevor er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, schlug er nach dem Ding. Geschickt wich es aus, holte erneut Schwung und prallte mit voller Wucht gegen sein Zwerchfell. Der Winchester klappte wie ein Taschenmesser zusammen, schaffte es aber trotzdem ein weiteres Mal nach ihr zu schlagen. Ihr nächster Angriff brachte ihn vollends zu Fall. Sein Kopf prallte gegen einen Stein. Schwarze Schlieren waberten durch sein Sichtfeld, bevor ihn die Dunkelheit komplett verschluckte. Als er kurze Zeit später wieder zu sich kam, stand eine junge, dunkelhaarige Frau neben ihm. Sofort rutschte er ein Stück von ihr weg. „Das tut mir jetzt aber weh“, sagte sie gespielt beleidigt. „Wer bist du?“, ging Dean nicht auf sie ein. „Das kann dir egal sein“, würgte sie seinen Wissensdurst ab. „Ist es aber nicht!“ „Das ist dann dein Problem!“ „Wie kommst du hier rein?“ „So, wie ich überall hinkomme! Ich bin eine Fee!“ Der Winchester schüttelte den Kopf. Sofort wurden seine Kopfschmerzen heftiger und er kniff die Augen zusammen. Vorsichtig richtete er sich weiter auf. „Was … wie komme ich hierher“, versuchte er wenigstens ein paar Informationen zu bekommen. „Auch das kann dir egal sein!“ „Wo ist Sam?“, stellte er endlich die Frage, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte. „Der hat zu tun!“ „Kannst du dich vielleicht auch deutlicher ausdrücken?“ Langsam wurde es ihm zu dumm. „Was habt ihr nur immer mit dem Anderen? Habt ihr was miteinander?“ „Sam ist mein Bruder“, fauchte Dean und bereute es sofort. Sein Kopf belohnte diesen Ausbruch augenblicklich mit stechenden Schmerzen. „Tja, dann wird es dich freuen zu hören, dass er hoffentlich alles tun wird, um dich hier rauszuholen!“ „Mich hier was?“ „Er wollte auch mal der Held sein.“ „Er wollte was? Was erzählst du für einen Müll?“, wollte Dean nun vollkommen ratlos wissen. Die Fee ging nicht auf ihn ein. „Genieße deine Zeit hier“, erklärte sie mit einem fiesen Grinsen und war verschwunden. „Ich soll was? Hey, gib mir gefälligst eine Antwort und lass mich hier nicht einfach so stehen!“, rief Dean ihr, so laut es sein Kopf zuließ, hinterher. Er hätte es lassen sollen. Sein Kopf schien platzen zu wollen. Er presste die Hände gegen die Schläfen und wartete darauf, dass der Schmerz erträglicher wurde. Kaum war der auszuhalten, versuchte er sich in die Höhe zu stemmen. Jetzt rebellierte sein Magen und die Kopfschmerzen wurden auch wieder unerträglich. Stöhnend ließ er sich wieder auf den Boden sinken und rollte sich so eng wie möglich zusammen. Kapitel 95: Ein neues Haus -------------------------- @ Vanilein - Ich muss gestehen Dean ein wenig zu ärgern macht Spaß! Mehr als bei Sam, der dann doch nur wieder den beleidigten Welpen aufsetzen würde. Also ja. Dean hat es etwas schwerer ;-)) LG Kalea 95) Ein neues Haus „Doktor?“, hörte Sam Davina leise fragen. Er war schon eine Weile wach und grübelte darüber nach, in was für einem Märchen er wohl feststeckte. Es gab nicht viele, die sich um einen Arzt drehten. Es gab eines, das in der Türkei spielte und um eine abgehakte Hand ging, doch so wie Davina gekleidet war … allein ihr Name schloss das aus. Dann gab es das Märchen von Doktor Allwissend, doch den schloss er auch aus. Sie hatte nie von einer Frau gesprochen und wenn sie mit ihm verheiratet wäre, würde sie ihn wohl nicht Doktor nennen, oder? Gab es noch weitere Märchen mit oder über Ärzte? „Doktor?“, fragte die Magd erneut. „Was gibt es, Davina?“, wollte er wissen und richtete sich auf. „Arthur, der Gehilfe von Baumeister Georg ist hier. Es gab einen Unfall auf der Baustelle. Ich hoffe nur, dass das kein schlechtes Omen ist“, erwiderte sie leise. „Das glaube ich nicht. Du verbrühst dich doch auch hin und wieder und dein Essen ist nach wie vor hervorragend.“ Sam lächelte sie an und freute sich, dass er ihr ein erleichtertes Strahlen ins Gesicht gezaubert hatte. „Bring Arthur herein“, bat er sie noch und stand auf. ‚Und jetzt?’, überlegte er hektisch. Mit Davina zu reden, auf sie einzugehen, das war nicht schwer. Aber was sollte er auf der Baustelle tun? Konnte er helfen? „Doktor, bitte. Ihr müsst kommen. Burt ist vom Gerüst gefallen“, sprudelte es aus dem vielleicht 14-jährigen Jungen hervor. „Ich komme“, erwiderte Sam, obwohl er noch immer nicht wusste, wie und ob er überhaupt helfen konnte. Schnell zog er sich seine Jacke über und eilte dem Jungen hinterher. „Vergesst eure Medizintasche nicht!“, rief Davina ihm nach und er kam noch einmal zurück. „Wenn ich dich nicht hätte“, lächelte er, griff nach der Tasche und lief wieder nach draußen. Sie brauchten nur wenige Minuten um an der Baustelle zu sein. „Kommt schnell, Herr“, wurde er auch sofort von einem älteren, besser gekleideten Mann empfangen. „Wo ist er?“, wollte Sam wissen und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Vielleicht konnte er ja helfen. Ein paar medizinische Kenntnisse hatte er ja schon dank ihres Lebens, Sie waren oft genug verletzt und mussten sich selbst zusammenflicken. „Gleich hier“, sagte der Mann und deutete auf eine Gruppe Burschen. „Macht Platz“, donnerte er und die Gruppe trat zurück. Sam schaute zu dem jungen Mann, der auf dem Boden lag und wich erschrocken einen Schritt zurück. Neben Burts Kopf stand eine Gestalt in schwarzem Mantel, die sich mit seinen knochigen Fingern an einer Sense festhielt. „Was habt Ihr“, fragte Meister George. „Ich war seit gestern unterwegs und habe kaum etwas gegessen. Mir war nur ein wenig schwindelig vom schnellen Lauf“, versuchte er zu beschwichtigen. War er denn der einzige, der den Tod sah? Er warf noch einen Blick auf die schwarze Gestalt. Der Tod hob den Kopf und schien ihn anzulächeln. Sein knochiger Finger deutete auf die Medizintasche. „Gib ihm etwas von dem Kraut“, sagte er und verschwand. Sam hockte sich neben den Verletzten und begann ihn zu untersuchen. Er fand nur einen verstauchten Knöchel, den er so gut es ging schiente. „Bringt mir einen Becher Wasser“, verlangte er und warf, kaum dass er ihn in der Hand hielt, wenige Krümel des Krautes aus seiner Tasche hinein. „Hier, trink das und dann bringt ihn nach Hause. So kann er nicht weiterarbeiten“, forderte er. Er erhob sich und wollte wieder gehen. Hier war seine Arbeit getan und er musste noch immer Dean finden. „Wollt Ihr Euch nicht gleich noch Euer neues Haus ansehen?“, fragte der Baumeister. „Gerne, doch erst will ich sehen, dass er gut nach Hause kommt“, antwortete er und folgte den Lehrlingen, die ihren Kameraden nach Hause trugen. So konnte er sich wenigstens einen Überblick über den Ort verschaffen und vielleicht auch herausfinden, in was für ein Märchen diese Fee ihn geworfen hatte. Aufmerksam musterte er die Gassen, durch die sie kamen, doch er fand keine Auffälligkeiten. Ein typisches mittelalterliches Städtchen. Schmale Gassen. Der Unrat wurde einfach auf die Wege gekippt. Hühner liefen herum und irgendwo war wohl ein Schwein ausgerissen, das jetzt lautstark quiekend von den nicht minder lauten Kindern gejagt wurde. Das konnte wirklich überall auf der Welt sein. Und wie sollte Dean er hier finden? Fast wäre er in die Gruppe der Lehrlinge hineingelaufen, die vor einem Häuschen stehengeblieben waren, so sehr war er in seinen Gedanken vertieft gewesen. Gerade wurde die Tür aufgerissen und eine Frau unschätzbaren Alters trat heraus. „Oh mein Gott, Burt! Was ist mit ihm?“, empfing sie ihren Sohn vollkommen aufgelöst. „Er hat sich den Knöchel verstaucht“, erklärte Sam ruhig. „Aber er sollte sich ausruhen, wenn Ihr nicht wollt, dass er gar nicht mehr laufen kann.“ „Natürlich Doktor. Wenn Ihr es sagt“, pflichtete sie ihm bei und wies den Jungens den Weg zur Schlafstatt Burts. Sam überzeugte sich, dass es ihm gut ging und versprach in ein paar Tagen noch einmal hereinzuschauen. Dann folgte er den Jungen zurück zur Baustelle, um mit Meister Georg zu seinem neuen Haus zu gehen. Leider sah er auch auf dem Rückweg nichts, was ihm helfen konnte. Das Haus stand in dem Teil der Stadt, in dem reiche Bürger und Kaufleute lebten. Es war ein zweistöckiger Bau mit ausgebauten Dachkammern, die wohl für das Gesinde als Zimmer dienen sollten. Das Obergeschoss war als Wohnbereich gedacht und im Erdgeschoss gab die Küche, einen Behandlungsraum und einen Warteraum für die Patienten, außerdem noch einen großen Speisesaal, der wohl für Gäste sein sollte. Wann sollte er denn hier Gäste empfangen? Es gab einen Garten, Stallungen für Pferde und einen Platz für eine Kutsche, sogar eine Obstwiese und einen Bach, der sich leise murmelnd hindurch wand. „Wie gefällt es Euch?“, wollte der Baumeister nach der Besichtigung wissen. „Das ist …“, begann er nach Worten zu suchen. „Ich hatte es nicht so riesig in Erinnerung.“ „Ja die Maße täuschen, wenn es noch nicht fertig ist“, bestätigte der Baumeister. „Wie lange meint Ihr, werdet ihr noch brauchen?“ „Der Tischler bring die restlichen Möbel bis zum Ende der Woche. Danach schicke ich Euch die Lehrlinge, damit sie Eure Möbel und den Hausrat herüber tragen.“ „Was würde ich nur ohne Euch machen, George.“ „Einen anderen beauftragen“, antwortete der lachend. „Und wie kann ich Euch das vergüten?“ „Das habt Ihr schon mehr als genug, als Ihr mir Elisabeth und die kleine Sophia erhalten habt. Ohne Euch wäre ich jetzt ein gebrochener Mann.“ „Es war mir eine Ehre“, sagte Sam leise und wunderte sich, wie gut er doch mit den Höflichkeitsfloskeln hier klar kam. Aber vielleicht sollte es auch so sein? Was immer diese Fee gemacht hatte, schien sie zumindest in der Beziehung richtig gemacht zu haben. Sam schluckte, als er sich eingestehen musste, dass es ihm, wenn Dean ebenfalls hier wäre, wohl gefallen könnte. Irgendwie war es wie das normale Leben, das sie nie hatten. Klar, er wollte nie Arzt werden, das war Adams Wunsch aber sonst? Seine Gedanken schweiften immer weiter ab und malten eine Bild, von sich und seinen Brüdern und einem Leben in der Vergangenheit. George legte besorgt seine Hand auf den Arm des Arztes. "Doktor?“, fragte er erneut. Sam blinzelte. Fragend schaute er auf. „Was ist mit Euch?“ „Ich hab mir wohl in den letzten Tagen doch zu viel zugemutet“, versuchte der Winchester seine geistige Abwesenheit zu erklären. „Nicht, dass Ihr noch krank werdet. Bei dem Wetter geht wieder einiges rum.“ „Wem sagt Ihr das“, erwiderte Sam und wandte sich zum Gehen. „Vielen Dank für die Führung und dieses wundervolle Haus.“ „Für Euch jederzeit wieder!“ „Davina“, rief Sam, als er sein kleines Häuschen wieder betrat. Er war langsam durch die Gassen gebummelt und hatte sich weiter umgesehen. „Ja, Herr?“ „Ich habe noch mit Meister George gesprochen. Das neue Haus ist fast fertig. Er ist der Meinung, dass wir spätestens nächste Woche umziehen können. Ich möchte dich bitten, unseren Haushalt zu packen.“ „Aber natürlich Doktor. Habt Ihr schon über mehr Personal nachgedacht? Ich meine, ich …“ Sie schwieg betreten. Sie mochte ihren Doktor und er hatte sie auch noch nie gemaßregelt. Trotzdem gab ihr das nicht das Recht, ihm Vorschriften zu machen! „Darüber machen wir uns Gedanken, wenn wir umgezogen sind und der Alltag wieder eingekehrt ist. Das Haus ist um ein vielfaches größer, aber noch sind wir nur zu zweit. Wenn du merkst, dass es dir zu viel wird, dann sag es mir und wir überlegen gemeinsam, wie wir das abstellen können. Also keine Scheu. Wenn du merkst, dass es nicht geht, dann kommst du sofort.“ Er schaute ihr ins Gesicht. Sie senkte den Blick und nickte. „Ja, Doktor“, flüsterte sie leise. „Gut“ Sam lächelte. „Und was gibt es heute zu Abend?“ „Ich habe kalten Braten und Brot für Euch.“ „Danke, Davina. Bitte trage es auf.“ Sie knickste, lächelte dabei und verschwand aus dem Raum. Während des Essens hing Sam wieder seinen Gedanken nach. Er war also ein Arzt, der mit dem Tod im Bunde stand. Er lebte in einer bescheidenen Hütte, schien aber über genügend Geld zu verfügen, um sich ein neues Haus bauen zu lassen. Was für ein Märchen war das? Und was zum Geier bedeutete dieses ‚Vielleicht wird er dir ja begegnen’ als er nach Dean gefragt hatte? Wo war Dean? War er hier gefangen? War er überhaupt hier? So wie er diese angebliche Fee einschätzte, konnte es gut sein, dass sein Bruder nicht hier war und dass sie ihn nur ärgern wollte, aber was sollte er dann tun? Was genau wollte sie hier von ihm? Hatte das hier überhaupt einen Sinn? Wollte sie nur sehen, wie er verzweifelte? Wie er aufgab? Frustriert strich er sich die Haare zurück. Er wusste es nicht und das machte ihn fast wahnsinnig. Warum nur? Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig als mitzuspielen, egal wie lange und was sie noch von ihm wollte. Solange er nicht mehr wusste, hatte sie ihn in der Hand. Aber vielleicht ergab sich ja eine Möglichkeit das Ganze hier zu beenden? Er konnte es nur hoffen und die Augen offen halten. Was ihn allerdings fast noch mehr erschreckte, waren die Gedanken, die ihn in seinem neuen Haus beschlichen hatten. Die Brüder Winchester im Mittelalter. ~“~ Pulsierende Kopfschmerzen waren das Erste, das Dean fühlte als er langsam in die Realität zurückkehrte und er wünschte sich, einfach weiterschlafen zu können. Allerdings glaubte er nicht, dass er das wirklich konnte. Durst quälte ihn. Seine Zunge klebte schon am Gaumen. Widerwillig stemmte er sich in die Höhe. Sofort wurde der pochende Schmerz hinter seinen Schläfen noch schlimmer. Er kniff die Augen zusammen und versuchte seine Hände gegen die Schläfen zu pressen. Neue Schmerzen durchzuckten ihn. Nun war er endgültig gewillt sich wieder in die Waagerechte fallen zu lassen, doch davon würde es letztendlich auch nicht besser werden. Er blinzelte ein paar Mal, bis er die Augen offen halten konnte, ohne dass sie tränten und betrachtete sich seine Hände. Eine dicke Kruste aus Blut und Staub hatte sie fast unbeweglich werden lassen. Er erinnerte sich, dass es hier unten Wasser gab, doch sein angeschlagener Kopf wollte ihm keine weiteren Informationen darüber liefern und so lief er langsam und schwankend an der Wand entlang, bis er zu der Stelle kam, an der einige Rinnsale über die Steine liefen. Blieb nur noch die Frage, wie er es trinken konnte. Seine Hände konnte er vorerst vergessen. Er kam sich reichlich blöd vor, als er sich vor die Wand kniete, sein Gesicht seitlich an den Felsen legte und begann das Wasser von den Steinen zu lecken. Es schmeckte fürchterlich. Bis sein Durst halbwegs gestillt war, brauchte er eine Weile. Erschöpft setzte er sich auf seine Füße und starrte seine Hände an. Jetzt wo der Durst nicht mehr so vordergründig war, spürte er die Schmerzen wieder deutlicher. Umständlich schälte er sich aus seiner Jacke und dem Hemd und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Er zog sich Hemd und Jacke wieder an. Das Shirt klemmte er sich zwischen seine Zähne und riss es umständlich in Streifen. Erst dann legte er seine Linke in das Rinnsal an den Felsen. Minutenlang passierte nichts. Als der Schmerz dann endlich doch einsetzte und mit jedem Herzschlag wurde immer stärker, musste er sich zwingen, die Hand nicht wieder wegzuziehen. Dean biss die Zähne zusammen, schloss seine Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf das Atmen. Erst als der Schmerz langsam weniger wurde, nahm er die Hand aus dem Wasser und umwickelte sie mit den Stoffstreifen. Gleich darauf legte er seine Rechte in das Wasser. Als er auch die endlich verbunden hatte, ließ er sich mit dem Rücken an der Felswand auf den Boden sinken. Erschöpft schloss er die Augen. Schnell versank die Welt um ihn herum in angenehmer Dunkelheit, die hoffentlich lange anhielt. Kapitel 96: Grüne Augen ----------------------- 96) Grüne Augen Sam war sich nicht sicher ob die Tage die vergingen wirklich real waren, da sie immer dem gleichen Rhythmus folgten. Davina kümmerte sich rührend um ihn und er war sich sicher, dass er das, wenn Dean ebenfalls hier wäre, auch richtig genießen würde. Er hatte den Ort an jedem vergangenen Tag auf der Suche nach Dean durchstreift, doch er hatte ihn bis jetzt nicht finden können, egal ob er in den reicheren Vierteln unterwegs war oder sich bei den Bettlern und Tagelöhnern umsah. Und er hatte Patienten behandelt. Dabei fand er heraus, dass das Kraut in seiner Tasche, auf das ihn der Tod hingewiesen hatte, bei jeder Krankheit half, wenn und das war die zweite große Entdeckung, die er gemacht hatte, wenn der Tod am Kopf des Kranken stand. Stand der jedoch zu Füßen des Patienten konnte er machen, was er wollte, er konnte ihn nicht retten. Fürs Erste nahm Sam diese Tatsache als gegeben, auch wenn es ihm missfiel. Heute war der Tag, an dem er umziehen würde, also ein Tag, der wohl real sein musste. Umzug, das hieß Davina machte die ganze Arbeit und er kam am Abend einfach in das neue Haus. Er würde sich die Gemüsesuppe schmecken lassen, die sie ihm versprochen hatte, sich noch eine Weile mit ihr unterhalten und dann in einem, zumindest für diese Zeiten, riesigen Himmelbett schlafen. Das neue Haus hatte mehrere Zimmer, drei davon waren sogar mit einem Kamin ausgestattet. Die Küche lag im Erdgeschoss. Genau darüber war sein Wohnzimmer, das gleich noch von der Wärme des Herdfeuers geheizt wurde, die auch noch für das Schlafzimmer ausreichend war, das sich neben dem Wohnzimmer befand. Meister George war ein wahrer Künstler, denn im Sommer konnte man die Wärme durch einen anderen Kamin ableiten. Er hatte ihr ein paar Mal angeboten zu helfen, doch sie hatte ihn jedes Mal entrüstet abgewiesen und ihn beim letzten Mal gefragt, ob er ihr nicht zutraute einen Umzug zu leiten. Danach hatte er die Fragen unterlassen, auch wenn er es nicht richtig fand, dass sie alles alleine machte. Er ging ein letztes Mal in die kleine, alte Küche. Wie üblich erwartete ihn Davina mit dem ihr eigenen Strahlen und einem leckeren Frühstück, dass er sich sofort schmecken ließ. „Brauchst du noch Hilfe beim Umzug?“, wollte er zum letzten Mal wissen. „Nein Herr. Ich habe alles gepackt. Viel ist es ja nicht und Meister George war gestern noch mal da. Er hat sich nur kurz umgesehen und gemeint, dass unsere Möbel mit einer Fuhre ins neue Haus geschafft werden können.“ „Gut, dann bin ich mal wieder unterwegs. Und Davina?“ „Ja Herr?“ „Nimm den Schal, es wird langsam kühler“, bat er sie. Sofort schlich sich wieder ein Lächeln auf ihre Lippen. Sam verließ das Haus und machte sich auf den Weg. Seine Gedanken wanderten zu dem Haus, in das er heute Abend einziehen würde, zu den Bequemlichkeiten, die es ihm bot und zu der Illusion einmal in einem eigenen Haus zu wohnen. Es war fast unvorstellbar. Aber egal. Wenn er schon hier sein musste, ohne zu wissen warum und ohne eine Spur von seinem Bruder finden zu können, dann wollte er wenigstens die Annehmlichkeiten genießen, die sich ihm hier boten. ~“~ Dieses Mal kam Deans Erwachen schnell. Die Schmerzen in seinem Körper rissen ihn abrupt in die Realität zurück. Sein Rücken protestierte, seine Hände pochten und doch öffnete er die Augen in der Hoffnung, dass die Höhle, die Fee, dass alles nur ein schlechter Traum gewesen war. Ein kurzer Blick belehrte ihn eines Besseren. Gequält ließ er die Lider wieder fallen. Warum nur? Das konnte, das durfte einfach nicht sein. Sie hatten ihren letzten, ihre allerletzten Fall abgeschlossen. Das Monster war in die ewigen Jagdgründe geschickt worden, oder wohin solche Dinger auch immer gehen mochten wenn sie starben, und jetzt sollte doch das richtige Leben beginnen. Sie wollten zu AC/DC und an den Grand Canyon und dann mit Bobby und Jody Weihnachten feiern. Bis Silvester wollte er sich überlegen, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen würde und im neuen Jahr wollten sie endlich beginnen zu leben, wie richtige Menschen zu leben! Er konnte hier nicht gefangen sein! Und was sollte das überhaupt bedeuten: Sam wollte auch mal der Held sein? Sein kleiner Bruder hatte ihm in diesem Jahr doch schon so oft den Hals gerettet, da müsste doch eigentlich eher er selbst mal wieder dran sein! Wut und Verzweiflung fraßen in seinen Eingeweiden. Aber noch war er nicht soweit. Noch wollte er nicht aufgeben. Und außerdem hatte er Hunger! Langsam stemmte er sich in die Höhe. „SAM“, schrie er. Und wieder antwortete nur dieses verzerrte Echo. Was sollte das? Was hatten sie getan, dass sie das hier verdienten? Arbeitete dieses Flatterding vielleicht mit Alistair zusammen? Wollten sie ihn verrückt machen? Nein! So schnell würde er nicht aufgeben! Das hatte er in dem Keller nicht und das würde er hier nicht! Er würde hier rauskommen! Dean machte ein paar Schritte in die Höhle hinein. Und jetzt? Sein Magen knurrte lautstark. In der Innentasche seiner Jacke fand er zwei Schokoriegel, die er sich hastig in den Mund stopfte. Erst als er sie geschluckt hatte, kam ihm der Gedanke, dass er sich die vielleicht hätte einteilen sollen. Aber wofür? Um langsam zu verhungern? Selbst dazu hätten die nicht gereicht! Es musste einen Weg hier raus geben! Meter für Meter begann er die Höhle erneut zu untersuchen. Jede Ritze, jeden Nische kontrollierte er, in jedes noch so kleine Loch schob er seine zerschundenen Finger, nur um zu prüfen, ob es sich lohnen könnte dieses zu erweitern, oder ob da vielleicht ein Luftzug war, der ihm den Weg nach draußen zeigte. Er hatte noch nicht einmal ein Viertel der Höhle geschafft, als er sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sein Magen knurrte auch schon seit einer halben Ewigkeit wieder und er wusste aus Erfahrung, dass er demnächst mit Magenkrämpfen rechnen musste. War ja schließlich nicht das erst Mal, dass er hungerte. Wie lange konnte ein Mann ohne Essen überleben? Wasser hatte er zur Genüge, auch wenn es nicht schmeckte, aber Essen? Ein paar Wochen, wenn er sich richtig erinnern konnte, doch wie lang waren ein paar Wochen? Die Helligkeit hier veränderte sich nicht und sein Zeitgefühl war inzwischen vollkommen durcheinander. Seine Uhr zeigte fünf nach zwölf. Aber morgens oder abends? Er schleppte sich zu einer der Nischen, die er für sich als Schlafplatz auserkoren hatte, kroch hinein und ließ sich fallen. Das erschrockene Quieken registrierte er genauso wenig, wie das weghuschende Etwas. Noch bevor er den Boden komplett berührte, war er eingeschlafen. Der Sommer verging. Sam stand am Fenster seines Schlafzimmers und schaute auf die sich langsam färbenden Blätter. Wieder einmal versuchte er zu ergründen, wie lange er noch hier festsitzen würde und wie lange er hier schon festsaß. Wann würde er endlich einen Weg hier raus finden? Wann würde er Dean finden? War es wirklich das, was die Fee von ihm wollte? Waren Feen überhaupt zu solchen Boshaftigkeiten fähig? Jeden vergangenen Tag war er durch alle Straßen gelaufen, um ihn zu suchen. Er hatte lange Waldspaziergänge gemacht und dabei auch das Kraut gefunden, das ihm hier so gute Dienste leistete. Er hatte die umliegenden Dörfer besucht und war einige Male bei den Obersten der Stadt eingeladen gewesen. Natürlich hatte er diese Einladungen erwidert und war jedes Mal wieder erschrocken, dass ihm sämtliche heiratsfähigen Mädchen der Stadt angeboten wurden. Heiraten. Das wäre das letzte! Oder war es das was die Fee wollte? Musste er sich auch hier eine, seine Prinzessin erwählen? Musste er die Richtige finden? Würde der Zauber sich so lösen? Er wusste es nicht und das machte ihn verrückt! Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. „Komm herein, Davina“, forderte er leise und drehte sich zur Tür. Sie war ihm ans Herz gewachsen. Sie war immer da, geschickt und fleißig und nie aufdringlich. Er hatte sie kurz nach dem Umzug zur Hausdame befördert und ihr die Aufsicht über das inzwischen zusätzlich eingestellte Personal gegeben. Er lächelte sie an. Sie wusste scheinbar immer, was er brauchte und auch jetzt stand sie mit einem guten Frühstück in der Tür. Nach dem Frühstück machte er sich auf den Weg. Er zog seinen Mantel fester um die Schultern und versuchte den Pfützen auf der Straße so gut es ging auszuweichen. Es hatte in den letzten Tagen ordentlich geschüttet und gestürmt und er war dankbar für das fest gebaute Haus, das jeden Wind abhielt. Von seiner alten Hütte hätte er das wohl nicht sagen können. Heute schien seit langem wieder einmal die Sonne, aber die Temperaturen waren gefallen. Er wollte zum Markt. Hier gab es meistens etwas zu tun und es lenkte ihn von seinen Grübeleien ab. Außerdem zahlten die Kaufleute gut. Allerdings kam er an diesem Tag nicht dazu, sich um die Kaufleute zu kümmern. „Hier sind wir und nun verschwinde endlich, räudiger Köter“, hörte er einen der Kaufleute schimpfen und gleich darauf drang ein erstickter Aufschrei an sein Ohr, der so gar nichts mit einem Hund zu tun hatte. Er ging zwischen zwei Ständen hindurch und blickte sich um. In einen der Wagen konnte er hineinschauen. Hier herrschte eine Unordnung, wie er sie noch nie auf einem Kaufmannswagen gesehen hatte. Rechts neben dem Kutschbock lag ein kleiner Junge im Schmutz und schniefte. „Was soll das hier?“, fragte er. „Wir fanden diesen kleinen räudigen Köter im Wald. Ich nehme an, dass seine Eltern, ihn entweder zurückgelassen haben oder so wie wir Kaufleute waren, die überfallen und ausgeraubt wurden. Er versuchte von zwei Leichen wegzulaufen und sich zu verstecken, als wir in ihre Nähe kamen. Wir haben ihn bis hierher gebracht, aber wir nehmen ihn keinen Meter weiter mit!“, erklärte der Kaufmann am Stand ruppig. „Und warum nicht?“, wollte Sam weiter wissen und musterte den Mann. Er sah schmutzig aus, seine Haut war fleckig und die Fingernägel hatten schwarze Ränder. Nicht die Erscheinung, die er von einem Kaufmann gewohnt war. „Der ist vollkommen verlaust und Flöhe hat der bestimmt auch!“, schimpfte der andere auf dem Kutschbock. „Der wird uns noch die Ware verderben.“ „So wie ich das sehe, habt ihr die Eltern des Jungen überfallen oder euch zumindest an ihrem Hab und Gut bereichert“, erklärte Sam kalt. „Was wagst du dich, elendiger …“, begann der Kaufmann am Stand seine wütende Schimpftirade und wollte auf Sam losgehen. Genau in diesem Moment schob sich die Wache zwischen den Wagen hindurch. „Was gibt es hier für einen Aufruhr“, wollte deren Anführer wissen. „Ich habe die Herren gebeten, unsere Stadt zu verlassen“, erklärte Sam ruhig. Es hatte schon etwas Gutes, wenn man in der Stadt bekannt war und geachtet wurde. „Ich fürchte, sie bringen Typhus oder Ruhr in die Stadt. Seht sie euch doch an, so verdreckt wie sie sind.“ „Ihr habt den Doktor gehört. Packt zusammen und verschwindet hier!“, erklärte die Wache unfreundlich. „Aber wir sind gerade erst hier angekommen!“, protestierte der Kaufmann am Stand. „Verschwindet, oder ich lasse euch in den Turm werfen! Und eure Waren werden verbrannt!“ Kaum war das letzte Wort verklungen, als bei den Kaufleuten Hektik ausbrach. So schnell sie nur konnten, warfen sie ihre Waren in den Wagen, spannten die Pferde an und rumpelten vom Marktplatz. „Conrad, begleite sie und pass auf, dass sie innerhalb der Stadtmauer nicht noch einmal anhalten“, forderte der oberste Wachmann. Sam nickte dankbar und wandte sich an die Händler, die das Spektakel mit unverhohlener Schadenfreude verfolgt hatten. „Mit wem sind sie gekommen?“, wollte er wissen. Erst mal musste er ja zumindest den Schein wahren, auch wenn ihm die Händler, die es noch treffen würde jetzt schon leid taten. Und dann wollte er auch etwas über den Jungen erfahren. Zum Glück für die Händler schüttelten alle den Kopf. „Nein, die sind eben erst angekommen“, erklärte einer von ihnen. „Danke“, sagte Sam und drehte sich zu dem Jungen um, der gerade versuchte zwischen den Wagen zu verschwinden. „Nix da!“ Er packte den Kleinen an der Schulter und der Junge erstarrte. „Weißt du denn wo du hin kannst?“, wollte er leise wissen und hockte sich vor ihn. Schniefend schüttelte der Kleine den Kopf und blickte ihn ängstlich aus tränenverschleierten … Sam kniff die Augen zusammen. Erstickt keuchte er und versuchte den Klumpen, der seinen Hals verstopfte zu schlucken, bevor er den Jungen erneut anschaute. Vielleicht hatte er sich ja geirrt? Nein. Die Farbe der Augen des Jungen blieb wie er sie vorhin gesehen hatten. Dieses einzigartige Grün mit den braunen Sprenkeln, das er immer sah, wenn er seinem Bruder ins Gesicht schaute. Dieses Grün! Es waren Deans Augen! „Bitte nicht!“, murmelte er und seufzte. Vielleicht sollte er ihn retten? Er schluckte noch einmal. Der Junge war fünf oder sechs und auch wenn er nicht so aussah, er erinnerte ihn gerade an Kyle. ‚Bitte nicht schon wieder!’ Wenn diese verfluchte Fee, oder was immer sie war, Dean schon wieder in ein Kind verwandelt hatte, dann würde er ihr jeden Flügel einzeln rausreißen, Schuppe für Schuppe! „Kannst du mir denn sagen, was passiert ist? Haben die Männer …?“ Wieder schüttelte der Junge den Kopf. Tränen strömten über seine Wangen. „Wie heißt du denn?“, wollte er wissen. „Stephen“ „Hast du Hunger, Stephen?“, fragte er von den Kleinen und der nickte vorsichtig. „Okay, dann komm mal mit.“ Er wischte dem Jungen die Tränen von den Wangen, stand auf und nahm ihn bei der Hand. Gemeinsam folgten sie dem verführerischen Duft nach frischem Brot. Sam kaufte ihm einen halben Laib, den der Junge sofort wie einen Schatz an seine Brust drückte, während Sam zu einem benachbarten Stand ging, an dem es Stoffe gab. Nur ganz vorsichtig zupfte Stephen ein Stückchen aus dem Laib heraus. Langsam schob er es sich in den Mund und kaute darauf herum. Es schmeckte so herrlich, wie es roch. Schnell brach er ein weiteres Stück ab. Kapitel 97: Ein kleiner Kerl ---------------------------- @ Vanilein - verurteile Sam nicht ganz so hart. Er sucht schon, aber leider ist von Dean nicht zu finden. Er hat eben nicht dieses Radar, dass ihn zielstrebig zu seinem Bruder führt, wie Dean es hat. LG Kalea 97) Ein kleiner Kerl „Hallo Michael“, grüßte Sam den Händler. „Wie geht es deinem Jungen?“ „Er erholt sich prächtig. Ich stehe in Eurer Schuld, Doktor. Was kann ich für Euch tun?“ „Ich brauche ein paar Ellen festen Hosenstoff und ein paar Ellen für ein Hemd. Und diesen da“, erklärte er und zeigte auf einen Kinderpullover. Außerdem ein paar Knäule von der Wolle.“ „Natürlich.“ „Doktor, Doktor“, brüllte ein Junge über den halben Platz und kam auf ihn zu gerannt. Sam drehte sich zu ihm um. „Was gibt es denn“, wollte er wissen. „Ihr müsst sofort kommen. Die Mutter hat hohes Fieber und Paul auch“, flehte der Junge abgehetzt. „Ich komme sofort“, sagte er und wandte sich an den Händler: „Könnt ihr es zu mir nach Hause liefern lassen?“ Er drückte ihm ein paar Geldstücke in die Hand. „Und wenn Ihr den Jungen mitnehmen könntet. Davina soll ihm was zu essen geben und einen warmen Platz am Kamin.“ „Natürlich, Doktor, aber welchen Jungen?“, erwiderte der Mann freundlich. Sam schaute sich um, doch Stephen war nirgends zu sehen. Er schüttelte den Kopf. „Dann nur den Einkauf“, antwortete er und Michael packte sofort alles zusammen und drückte das Paket seinem Ältesten, der ihm auf dem Markt half, in die Hand. „Bring es hin und gib Davina das Wechselgeld. Er hat mal wieder zu viel bezahlt!“ Sam fragte sich noch wo der Kleine wohl sein könnte, doch er bekam keine Chance nach ihm zu suchen. Sein Führer legte ein Tempo vor, dass er zusehen musste, um ihn nicht zu verlieren. Ihr Weg führte in eines der ärmsten Stadtviertel. Dass Stephen ihnen folgte, bemerkte er nicht. Bis zum Abend kam Sam nicht mehr dazu durchzuatmen. In dem Viertel, und wohl nicht nur da, tobte eine Grippewelle. Der Dauerregen der letzten Tage hatte die Nässe in die kleinen, zugigen Hütten getragen und die Kälte verhinderte, dass Kleidung und Betten richtig trocknen konnten. So war es bei dem schlechten Ernährungszustand der Menschen kein Wunder, dass sie reihenweise erkrankten. Und wieder war der Tod an jedem Krankenbett. Wieder zeigte er ihm, ob er den Menschen heilen konnte, oder ob es keine Chance für seinen Patienten gab und nie wäre es Sam in den Sinn gekommen, das anzuzweifeln. Er wusste, dass es nie gut war, mit dem Tod zu handeln. Und so etwas wie mit Deans Deal musste sich auch nie wiederholen. Erschöpft verließ er das letzte Haus. Er hatte nicht allen helfen können und das, obwohl das hier ja wohl ein Märchen war. Gingen Märchen immer gut aus? Er zog den Mantel fest um sich. Die Temperaturen waren in den vergangenen Stunden noch weiter gefallen. Sein Atem hing wie eine dichte Wolke vor seinem Gesicht. Jetzt wollte er nur noch etwas essen und sich vor dem Kamin aufwärmen. Langsam lief er auf den jetzt vollkommen ruhigen Marktplatz zu. Es gab nur wenige Lampen, die flackernd ein bisschen Licht verbreiteten und da war es nicht verwunderlich, dass er die kleine, zusammengekauerte Gestalt, die neben dem Brunnen hockte, erst im letzten Augenblick bemerkte. Neugierig näherte er sich ihr. „Stephen“, entfuhr es ihm erschrocken. „Was machst du denn hier?“ Der Junge hob den Kopf und schaute zu ihm auf. Er zitterte am ganzen Leib. „Warum bist du denn nicht mit dem Boten mitgegangen?“ Jetzt schlich sich Angst in seinen Blick und Sam konnte ihn irgendwie verstehen. „Hast du die ganze Zeit hier gewartet?“ Wieder sagte der Junge kein Wort, doch Sam konnte die Antwort in seinen Augen lesen. Der Kleine war vollkommen verängstigt, was nachdem was er erlebt hatte, wohl auch kein Wunder war. Er hielt ihm seine Hand hin. „Na komm, wir gehen nach Hause“, sagte er leise. Die kleine Hand schob sich in seine. Sie war eiskalt und zitterte wie Espenlaub. „Warte“, sagte Sam, ließ den Jungen los und zog sich seinen Mantel aus. Er wickelte den kleinen, schmächtigen Körper in das viel zu große Kleidungsstück und hob ihn hoch. Ein Seufzen schlich sich über die blauen Lippen des Jungen. Er schmiegte sich an Sam und war gleich darauf eingeschlafen. Mit langen Schritten eilte der auf sein derzeitiges Zuhause zu, wo Davina ihn schon ungeduldig erwartete. „Was bringt Ihr denn da mit?“, wollte sie erstaunt wissen und vergaß für einen Augenblick ihre eigentliche Frage. Sam legte das Bündel vorsichtig auf den Tisch. Er wickelte den kleinen Jungen aus seinem Mantel, der ihn orientierungslos anblinzelte. „Oh mein Gott. Wieso bringt Ihr so einen verlausten Streuner mit?“, wollte Davina mit leicht vorwurfsvollem Ton wissen. „Weil jeder wenigstens an einem Tag in seinem Leben auch mal Glück haben sollte!“ „Aber er …“ „Seine Eltern wurden ermordet. Ein paar zerlumpte Kaufleute haben ihn hier vom Karren geschmissen. Soll er als Bettler aufwachsen?“ „Es gibt ein Weisenhaus hier …“ „Das macht es auch nicht besser! Der Junge musste schon genug erleiden und jetzt Schluss mit dieser Diskussion! Mach bitte heißes Wasser, damit wir ihn baden können!“ Sam war ungehalten und das ließ er sie spüren. Dabei wusste er nicht einmal, warum er sich so für den Jungen einsetzte und er hoffte, dass es nicht nur an den grünen Augen lag. Sie hatten nie einem solchen Schicksal entgegengeblickt. Obwohl das Leben mit Dad auch nicht viel besser war. Und dabei hatte er damals einen großen Bruder, der sich um alles kümmerte. Dean! Schmerzhaft zog sich seine Brust zusammen. Er vermisste seinen Bruder und er war sich mehr als nur sicher, dass er, wenn sie es endlich in ein normales Leben schaffen würden, nie ohne Dean leben wollte. Sie würden bestimmt nicht in einem Haus wohnen, oder sich sogar eine Wohnung teilen. Nein, soweit wollte er es gar nicht. Aber sie würden in einer Stadt wohnen und sich immer wieder besuchen können. Einfach nur zu wissen, dass es dem anderen gut ging, würde reichen. Verdammt noch mal! Wie lange war er eigentlich schon hier gefangen? Immer wieder hatte er den Eindruck, nicht mal eine Woche hier zu sein, doch er hatte Erinnerungen an viele Tage. Aber die schienen noch immer irgendwie ineinander übergegangen zu sein. „Das Wasser ist soweit“ Davinas Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Danke. Mach bitte …“ „Ich hab den Zuber schon gefüllt.“ „Du bist die Beste!“ „Das werdet Ihr gleich nicht mehr sagen“, prophezeite sie düster. „Hey, Stephen. Aufwachen.“ Der Kleine war schon wieder eingeschlafen. Er legte ihm die Hand an die eiskalte Wange und hob seinen Kopf etwas an. „Eine heiße Wanne wartet auf dich und ein schönes warmes Abendessen.“ Der Junge nuschelte etwas Unverständliches, wurde aber nicht wirklich wach. „Na komm, Kleiner. Je schneller wir hier fertig sind, umso schneller kannst du richtig schlafen.“ Langsam hoben sich Stephens Lider, fielen jedoch sofort wieder zu. Er brauchte wohl noch eine Weile, bis er wenigstens halbwegs wach war. Allerdings konnte er ihn schon einmal aus seiner verdreckten Kleidung schälen. Vorsichtig brachte er den Jungen in seine sitzende Stellung und wurde augenblicklich von seiner Haushälterin beiseite gedrängt. Sie begann dem Kind die Haare zu scheren. „Was soll das?“, fuhr Sam erschrocken dazwischen. „Er hat Läuse und wer weiß was noch für Ungeziefer. Wollt Ihr das im Haus haben?“, fragte sie barsch. „Soll ich mich dann gleich daneben setzen? Ich war heute nur im Armenviertel unterwegs!“ „Ihr seid sauber!“ „Läuse haben nichts mit Sauberkeit zu tun!“ Zu gut konnte sich Sam daran erinnern als er einmal selbst mit dieser Plage aus der Schule kam und fürchterlich geweint hatte. Und wie Dean ihm ruhig erklärte, dass Läuse eben nicht nur schmutzige Menschen bekamen. Sein Bruder hatte dann ein Mittel gekauft und seine Haare damit gewaschen. Schlimm war damals nur, dass sein geliebtes Plüschtier in den Gefrierschrank musste und er ihn, als sie am nächsten Tag weiterziehen mussten, genau da vergessen hatte. Davina sagte nichts dazu und machte ungerührt weiter. Kaum war sie fertig, schälte sie den Jungen aus seiner restlichen Kleidung. Mit spitzen Fingern nahm sie die und ging zum Kamin, um sie da zu entsorgen. Ihre und die Kleidung ihres Herrn würde sie nachher noch kochen. Und baden mussten sie wohl auch. „Warte“, forderte Sam und blickte zu dem Jungen der vollkommen verschüchtert vor ihm auf dem Tisch stand. „Ich denke, die sollten wir verbrennen“, erklärte sie. „Gibt es etwas, das du behalten möchtest?“ Er wusste nur zu gut, wie wichtig Erinnerungen waren. Das hatte das Foto in Deans Brieftasche mal wieder bewiesen. Der Junge schüttelte den Kopf und zeigt ihm eine Kette die er um den Hals trug. Sam nickte und gab sein Okay zur Kleiderverbrennung, die Davina auch sofort in die Tat umsetzte, während Sam den Jungen in die Küche trug und in die Wanne setzte. Das Wasser reichte dem Kleinen nicht mal bis zum Bauch. Er ließ sich auf die Bank fallen und bekam von Faye, der neuen Köchin, einen Teller Suppe gereicht. „Danke“, sagte er ohne den Blick von dem Jungen zu wenden. Der Kleine sah furchtbar aus. Er war verdreckt und hatte, soweit er das bei dem flackernden Licht erkennen konnte, jede Menge blauer Flecken. Ob er die bei der Ermordung seiner Eltern abbekommen hatte? Davina nahm einen Topf mit heißem Wasser und schüttete etwas davon in die Wanne. Sie verrührte es kurz, griff sich einen Becher und schüttete dem Jungen jede Menge Wasser aus der Wanne über den Körper, bis sie den Becher wegstellte und die ganze Prozedur von vorn begann. Sie wusch ihn, holte ihn aus der Wanne und trocknete ihn ab und als der Junge, in eine Decke gewickelt neben Sam auf der Bank saß und vorsichtig die heiße Suppe löffelte, setzte sie sich dazu nahm eine der Wolledoggen die Sam gekauft hatte und begann daraus ein Knäuel zu wickeln. „Morgen werde ich ihm ein Hemd nähen“, sagte sie leise. Sam nickte nur. Auch er war müde. Er wartete nur noch darauf, dass der Kleine fertig wurde. „Er schläft heute Nacht bei mir und morgen richten wir ihm das zweite Zimmer ein. Die Möbel aus dem alten Haus sollten vorerst reichen“, bestimmte er. Davina nickte wortlos. Sie hatte getan, was getan werden musste, das hieß aber nicht, dass es ihr auch gefallen hatte. Im Gegenteil. Der Kleine tat ihr leid. Auch sie hatte sich zeitig um eine Anstellung kümmern müssen, weil sie einfach zu viele Esser zu Hause waren und sie pries noch heute den Tag, der sie auf den Markt geführt hatte, wo der Doktor in sie hineingelaufen war. Sie hatte darauf warten müssen, dass der Schneider mit dem Kleid ihrer damaligen Herrin fertig wurde. Da das aber noch dauerte, sie ohne das Kleid aber auf keinen Fall zurückkommen durfte, wenn sie nicht riskieren wollte geschlagen zu werden, hatte sie ihm geholfen seinen Einkauf aufzusammeln und ihn nach Hause zu tragen. Das war noch die kleine Hütte, die sie erst vor Kurzem verlassen hatten. Sie hatte ihm ein wenig im Haushalt geholfen und als sie gehen wollte, hatte er sie gefragt, ob sie nicht hin und wieder bei ihm putzen könnte. Natürlich hatte sie zugesagt. Sie war mehr als froh gewesen, ihrer ungerechten, aufbrausenden Herrin entkommen zu sein. Jetzt war sie seine Haushälterin. Herrin über zwei Angestellte. Der Kleine hatte in seinem Leben schon genug erlitten und er hatte Glück, dass der Doktor sich um ihn kümmern wollte. Aber er war auch verlaust und hatte Flöhe. Und sie wollte nichts mehr, als ihr Zuhause von diesem Ungeziefer frei halten. Schließlich war es der Doktor selbst, der ihr beigebracht hatte, dass Sauberkeit das Wichtigste war, um gesund zu bleiben. Stephen ließ den Löffel fallen. Er schaffte es kaum noch die Augen offenzuhalten. Sein Hals kratzte fürchterlich und auch wenn die Suppe es erträglicher machte, er wollte nicht mehr. Sofort wickelte Sam die Decke fester um ihn und hob ihn hoch. „Wir gehen ins Bett“, sagte er und trug den Kleinen nach oben. Er legte ihn ins Bett an die Wand und sich davor, wickelte die Bettdecke fest um ihre Körper und schloss die Augen. Doch wenn er gedacht hatte, dass er jetzt sofort einschlafen konnte, so hatte er sich getäuscht. Die Wärme, die ihn umschloss und die Sicherheit, die er plötzlich fühlte, ließen bei Stephen alle Dämme brechen. Seine Kehle verengte sich und Tränen drängten in seine Augen. Immer wieder schluckte er, doch das tat weh und so ließ er diesen einen Schmerz zu. Im Einschlafen fühlte Sam den kleinen Körper in seinen Armen beben. Er zog ihn noch etwas fester an sich und strich ihm beruhigend über die Schultern. Herzzerreißendes Schluchzen zerriss die Stille in seinem Schlafzimmer. „Schsch“, machte er und wusste doch wie sinnlos das war. Der Junge hatte alles verloren. Er musste seinen Schmerz betrauern, um einen Neuanfang wagen zu können. Wenn es etwas gab, was Sam nicht für den Kleinen wollte, so waren es die Schatten der Vergangenheit, die ihn ständig verfolgten. Lange brauchte der Junge, bis er endlich eingeschlafen war und sich auch Sam in Morpheus Arme fallen lassen konnte, nicht jedoch ohne, wie jeden Abend, seinen letzten Gedanken Dean zu schenken. Das Mal an seinem Arm war mal heller und dann wieder dunkler und er wusste einfach nicht, was er davon halten sollte. Zeigte es wirklich an wie es Dean ging? Kapitel 98: Hühnersuppe und Früchtebrot --------------------------------------- 98) Hühnersuppe und Früchtebrot Für einen Augenblick genoss Sam die Wärme, die ihn umfing. Er fühlte sich geborgen. Doch dann wurde diese Wärme immer stärker und sein Bauch fühlte sich unangenehm feucht an. Seine Hand tastete nach der Ursache und landete auf dem glühenden Körper des Jungen, der trotz der Hitze, die er ausstrahlte, zitterte. Sofort war Sam vollkommen wach und aus dem Bett. Er lief in die Küche. „Faye, ich brauche die Wanne voll kaltem Wasser, Tee und wärme bitte die Hühnersuppe von gestern auf“, rief er und eilte wieder in sein Schlafzimmer. Davina folgte ihm sofort. „Oh mein Gott!“, entsetzt starrte sie auf den kleinen Körper. „Wird er wieder gesund?“ „Ich hoffe es“, sagte Sam und hob den Jungen hoch. „Ich beziehe das Bett neu und mache Euch die Couch fertig“, erklärte sie, nur um etwas tun zu können. Sam reagierte nicht darauf. Er drückte den kleinen Jungen gegen seine Brust und brachte ihn in die Küche. Schnell wickelte er den schmalen Körper aus der Decke und ließ ihn vorsichtig in das kalte Wasser sinken. Sofort versuchte Stephen dem zu entkommen. Er strampelte und schlug um sich. Doch Sam blieb unerbittlich. Das Fieber musste unbedingt runter. Schon bald ergab sich der Junge seinem Schicksal und entspannte sich. Sam hielt ihn weiterhin sicher und schöpfte immer wieder Wasser über seinen Kopf und strich ihm sanft über das Gesicht. Endlich war er der Meinung, dass die Temperatur annehmbar war. Er holte den Jungen aus der Wanne und wickelte ihn in ein warmes Handtuch. Er setzte sich mit ihm an den Tisch und begann ihm Hühnersuppe und Tee einzuflößen. Danach brachte er ihn wieder ins Bett. ~“~ Dean erwachte schlagartig, weil er sich beobachtet fühlte. Vorsichtig blinzelte er. Eine spitze schwarze Nase, abstehende Barthaare und Knopfaugen hatte er nicht erwartet. Erschrocken kniff er die Augen wieder zu und richtet sich hektisch auf. Natürlich dachte er nicht mehr daran, dass er in einer Nische lag und so schloss sein Kopf erneut heftig Bekanntschaft mit dem Felsen. Heißer Schmerz schnitt durch sein Hirn und er ließ sich stöhnend wieder in die Waagerechte fallen. Die Nische war wohl doch nicht der ideale Schlafplatz. Das Pochen ließ langsam nach und Dean wagte erneut einen Blick, aber das knopfäugige Wesen war weg. Klar, er würde ja auch nicht warten bis sich das Monster bewegte. Er musste grinsen. Als Monster hatte er sich noch nie gesehen. Vorsichtig setzte er sich auf und wankte, nachdem seine Welt nicht mehr schwankte wie ein Schiff auf hoher See, zu dem Rinnsal an der Wand. Wieder brauchte er ewig, bis er seinen Durst gelöscht hatte. Aber wenigstens hörte so auch das unaufhörliche Knurren seines Magens auf. Es würde schon viel zu schnell wieder einsetzen und ihm drängte sich erneut die Frage auf, wie lange ein Mensch ohne Nahrung überlebte und wie lange er leistungsfähig blieb, denn das war die Zeit, in der er von hier verschwinden konnte, wenn er einen Ausweg fang. Gestern, oder sollte er besser vor seiner Ruhepause sagen? Egal wann! Er hatte damit begonnen einen Teil der Wände abzusuchen. Jetzt wollte er erst mal den gesamten Boden unter die Lupe nehmen. Wenn hier Mäuse oder sogar Ratten rein kamen, gab es vielleicht einen Ausgang im Boden! Seinen pochenden Kopfschmerz ignorierend begann er die Höhle abzulaufen. Ein paar Schritte von seiner Schlafnische lag auf einem abgebrochen aussehenden Tropfstein eine Steinplatte. Es sah fast wie ein Tisch aus. Und auf diesen Tisch lag tatsächlich etwas, das aussah wie ein vielleicht handtellergroßes Stück … Vorsichtig schnupperte er daran. Es roch wie Früchtebrot. Und genauso sah es auch aus. Früchtebrot? Wie kam denn Früchtebrot hierher? Er brach ein Stückchen ab und probierte. Es schmeckte genauso fürchterlich, wie er es in Erinnerung hatte. Früchtebrot. Eines der wenigen Lebensmittel, die er wirklich nicht mochte. Was zur Hölle war das hier? Er hatte die ganze Zeit versucht nicht über den nachzudenken, wer ihm das hier eingebrockt hatte, aber so langsam konnte er die Gedanken nicht mehr verdrängen, auch wenn er wusste, dass sie ihn zu nichts führen würden. War das hier seine persönliche Hölle? Hatte Alistair ihn hier einsperren lassen, um ihn doch noch dazu zu bringen, ihm seine Seele zu verkaufen? Aber warum? Was wollte er von ihm? Oder wollte der Dämon diese Mal Sam zu einem Deal überreden? Das Lichtding, diese Fee hatte etwas davon erzählt, dass Sam auch mal der Held sein wollte. Wollte sich sein kleiner Bruder für ihn opfern? Würde er es tun? „Verdammt“, brüllte Dean und schlug mit der Faust so sehr auf die Platte, dass sie schwankte. Nein! Er würde nicht weiter über wenn und wäre und könnte sein nachdenken. Er würde nur noch einen einzigen Gedanken zulassen. Wie kam er hier raus? Das war wichtiger als alles Andere. Nichts sonst zählte! Er brach sich noch ein Stück von dem Früchtebrot ab und aß es. Den letzten Rest ließ er liegen. Die Maus, oder was immer es war, würde hier wohl nicht hochkommen und er konnte sich einreden, noch etwas zu essen zu haben. Der Krümel würde ihn zwar nie auch nur ansatzweise sättigen, aber egal. Hier zählte eh nur noch der Gedanke. Er wandte sich wieder der Suche nach einem Ausgang zu. ~“~ Leider blieb Sam nicht viel Zeit am Bett seines kleinen Patienten. Schon bald kam Davina ins Zimmer: „Doktor? Draußen steht eine Frau mit ihrem Säugling. Sie sehen beide nicht gut aus.“ Er blickte zu ihr und nickte kurz. Er nahm das Tuch von Stephens Stirn, tauchte es in kaltes Wasser und legte es dem Jungen wieder auf. Erst danach erhob er sich und folgte seiner Haushälterin zur Tür. Ein Blick auf die Frau genügte ihm, um zu wissen, dass auch sie der Grippewelle zum Opfer gefallen war. „Ihr gehört ins Bett“, erklärte er ihr ruhig. Sie nickte nur abwesend. „Könnt Ihr bitte kommen? Mein Mann und mein Sohn, sie … Ich weiß mir einfach nicht mehr zu helfen“, flehte sie heiser. „Ich komme mit und sehe mal, was ich tun kann, aber Ihr solltet Euch auch ausruhen. Habt ihr noch jemanden im Haus?“ Er griff nach seinem Mantel, nahm die Tasche und wandte sich noch einmal zu Davina. „Bleibst du bei ihm?“ „Ich werde ihn nicht länger als nötig alleine lassen“, sagte sie ruhig. „Danke.“ Sam schenkte ihr ein Lächeln und folgte der Frau in den Regen, der die eh schon durchweichten Straßen langsam in eine Flusslandschaft verwandelte. Durchgeweicht, erschöpft und hungrig kam Sam am späten Abend zurück. Er hatte den ganzen Tag mit kranken und sterbenden Menschen verbracht und seine Laune war am Boden. Eigentlich wollte er jetzt ein Bier und ins Bett kriechen und von Deans ruhigen Atemzügen begleitet einschlafen. Doch das ging nicht. Dean war nicht da und hier wartete auch noch ein kleiner Patient auf ihn, von dem er immer noch glauben wollte, dass er nicht Dean war und es doch irgendwie hoffte, denn dann hätte er ihn hier bei sich! „Wie geht es Stephen?“, wollte er wissen, kaum dass er das Haus betreten hatte. „Er hat immer noch Fieber, hustet viel und isst nichts“, informierte ihn Davina, während sie ihm aus der nassen Kleidung half und ihm ein heißes Bad bereitete. „Es reicht, wenn ich mich am Kamin aufwärme“, versuchte er sich gegen diese Umstände zu wehren. „Nichts da. Ihr habt den ganzen Tag mit Kranken zu tun, den Jungen eingeschlossen. Wollt Ihr ebenfalls erkranken? Damit ist keinem geholfen!“, schimpfte sie und Sam ergab sich seinem Schicksal. „Vorher will ich aber nach dem Jungen sehen“, bestimmte er, legte sich eine Decke um die Schultern und ging in sein Schlafzimmer. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder, als er die schwarz gekleidete Gestalt neben dem Bett stehen sah. „Bitte nicht“, flehte er leise und trat näher. Erleichterung durchflutete ihn. Der Tod stand neben dem Kopf des Kleinen. „Danke“, murmelte Sam. Der Tod neigte den Kopf zum Gruß und verschwand. Er gab dem Jungen etwas von dem Wunderkraut und hoffte, dass er nun schnell wieder gesund werden würde. Davina musste ihn aus dem Zimmer ziehen, damit er endlich zu seinem heißen Bad kam. Nach einem einfachen Essen machte es sich Sam am Bett des Kleinen gemütlich, bis ihn der Schlaf zu übermannen drohte. Müde schlurfte er zu dem Sofa hinüber und versuchte eine möglichst bequeme Schlafstellung zu finden. Und wieder wanderten seine Gedanken zu Dean. Wo war er? Hatte die Fee gelogen, als sie ihm gesagt hatte, dass er ihm begegnen würde? Spielte sie nur mit ihm? Was wenn er, wie Dean vor ein paar Wochen irgendwo in seinen Träumen gefangen lag? Oh Gott! Er wollte sich nicht vorstellen, was sein Bruder dann gerade durchmachte! Aber hätte der nicht schon einen Weg zu ihm gefunden? Dean war alles andere als dumm und wenn er selbst die Traumwurzel in Betracht gezogen hatte, so würde Dean das erst recht machen. Nein! Er lag nirgends und schlief sich zu Tode! Nur schwer schaffte er es einzuschlafen. Stephens Husten riss Sam aus dem Schlaf. Er blinzelte in das trübe Tageslicht und noch bevor er sich aufsetzen konnte, kam Davina herein und brachte den Jungen etwas von dem Tee zu trinken, der wunderbar nach Thymian duftete. Sam mochte diesen Geruch. Er erhob sich und kam ebenfalls an Stephens Bett. „Es tut mir leid, dass er Euch geweckt hat“, entschuldigte sich Davina. „Dafür kann er nichts und du auch nicht.“ „Wie geht es dir“, wollte er von dem Kleinen wissen, als sie die Tasse absetzte. „Besser?“ Wieder schüttelte ihn ein Hustenanfall. „Das Fieber ist nicht mehr so hoch und er ist auch nicht mehr apathisch, wie gestern noch. Trotzdem wird er noch ein paar Tage im Bett bleiben müssen“, antwortete sie. „Warum?“, fragten Sam und der Junge unisono. Davina lachte leise. „Weil er außer seinen Schuhen nichts anzuziehen hat.“ „Oh“, machten wieder beide. „Das Unterzeug sollte heute fertig werden und Faye strickt auch schon an Socken für ihn, aber mehr ist in der kurzen Zeit einfach nicht machbar.“ „Es macht dir niemand einen Vorwurf, Davina. Stephen sollte eh noch ein paar Tage das Bett hüten und viel schlafen. Bis er aufstehen darf, ist also noch genug Zeit und ich werde mal sehen, was sich außerdem machen lässt. Ein Satz Kleidung wird wohl nicht lange reichen.“ Er lächelte den Jungen aufmunternd an und verließ dann den Raum, während die Haushälterin ihm half sich wieder richtig hinzulegen. Sie lächelte, als der Kleine auch fast sofort wieder eingeschlafen war. Sam frühstückte in Ruhe und machte sich dann auf den Weg zum Markt. Außerdem wollte er Meister Georg einen Besuch abstatten und nach einigen seiner Patienten sehen. ~“~ Wieder einmal erwachte Dean mit dröhnenden Kopfschmerzen. Wurde das jetzt zum Dauerzustand? Sein Magen war ein schmerzender Klumpen und er bezweifelte ernsthaft, dass er die Kraft aufbringen konnte, das letzte Stückchen Wand und die Nischen zu untersuchen, die er noch nicht geschafft hatte, bevor er am Ende seiner Kräfte, in seine Schlafnische gekrochen war. Wie lange war er jetzt hier? Wenn er danach ging, was er geschafft hatte und wie sehr der Hunger in seinem Magen nagte, mussten Tage vergangen sein. Wenn er allerdings auf seine Uhr schaute, war keine halbe Stunde vergangen. Körperlich fühlte er sich kaum besser, als zu dem Zeitpunkt, als er seine Suche unterbrechen musste, und ausgeruhter war er auch nicht. Vielleicht hätte er sich schonen sollen, doch das hatte er noch nie gut gekonnt. Er rollte sich aus seiner Nische und stolperte zu dem Stückchen Früchtebrot, das er noch auf der Steinplatte wusste. Es würde ihn nicht retten, aber es würde zumindest die Illusion von Essen hinterlassen. Vor der Steinplatte blieb er schwankend stehen und starrte auf das Stück Früchtebrot, ohne zu verstehen was er da sah. Der Krümel schien gewachsen zu sein. Aber das ging doch nicht, oder? Egal! In diesem Moment war ihm egal, was ging und was nicht. Er sank auf die Knie und stopfte sich den Kuchen in den Mund. Ohne viel zu kauen schlang er das klebrig süße, trockene Zeug herunter und wischte auch noch die meisten Krümel von der Platte und schüttete sie sich in den Mund. Langsam stemmte er sich in die Höhe und schwankte zum Wasser. Jetzt brauchte er dringend Flüssigkeit! Er trank bis er nicht mehr konnte und rollte sich danach neben dem Rinnsal zusammen. Die Krämpfe konnte kommen! Kapitel 99: Grippewelle ----------------------- @ Vanilein - Sam versucht sich irgendwie an die Vorgaben der Fee zu halten, um Dean nicht noch mehr zu gefärden. Er weiß ja nicht, wie es ihm wirklich geht. LG Kalea 99) Grippenwelle „Gut, dass Ihr kommt, Doktor. Ich wollte gerade nach Euch schicken“, wurde Sam von Georges Frau empfangen. „Was gibt es denn?“ „Mein Mann, er hustet in einem fort und atmet schwer“, klagte sie. „Ich schaue es mir gleich mal an. Bestimmt hat er sich bei dem Wetter was eingefangen. Die halbe Stadt hustet und schnieft. „Kocht ihm viel heißen Tee, Butterpflaster und Halswickel. Aber das wisst Ihr ja alles.“ Er lächelte die Frau beruhigend an und folgte ihr in die Schlafkammer. Wieder sah er sich dem Tod gegenüber. Doch auch hier hatte er Glück. Der Sensenmann stand am Kopf des Patienten. „Er wird schon wieder“, versuchte Sam der Frau Mut zu machen und gab George etwas von dem Kraut zu trinken. „Ruhe, Schlaf und Hühnerbrühe, dann ist er bald wieder wohlauf“, verordnete er noch. „Danke, Doktor.“ Die Frau lächelte erleichtert. „Aber bevor Ihr Euch ausruhen dürft, habe ich noch eine Bitte“, begann Sam leise. „Nur nicht so schüchtern, Doktor immer raus damit“, forderte der Baumeister und hustete erneut heftig. „Ich brauche ein Kommode und einen Schreibtisch.“ „Wie kommt es?“ „Ich haben einen kleinen Jungen aufgenommen. Er soll bei mir wohnen und braucht nun ein eigenes Zimmer. Das Haus ist ja groß genug“, fügte Sam schnell hinzu. „Am Besten Ihr wendet Euch an den Tischler Peter. Gleich hier die Straße runter.“ „Danke, George. Gute Besserung. Ich schaue in den nächsten Tagen noch mal nach Euch“, verabschiedete sich Sam und machte sich auf den Weg zum Tischler. Auch hier hatte die Grippewelle zugeschlagen. Der Lehrling und der älteste Sohn lagen mit hohem Fieber in den Betten. Und wieder traf Sam auf seinen unheimlichen Begleiter. Wie oft würde er das Glück haben verkünden zu dürfen, dass die Kranken überleben werden? Er hoffte darauf, dass das noch lange so bliebe, doch er wusste nur zu gut, dass nichts ewig währte. Er untersuchte die beiden und gab ihnen von dem Kraut, bevor er sich an den Tischler wandte. „Warum ich eigentlich hier bin, ich brauche einen Schreibtisch und eine Kommode.“ Der Tischler nickte und nahm seine Bestellung auf. „Es wird eine Weile dauern“, erklärte der Mann. „Das ist nicht so schlimm.“ Sam lächelte und wandte sich zum Gehen, als sein Blick auf ein Holzpferd fiel. „Könnt ihr mir auch davon eins machen?“ „Ihr könnt das nehmen, Doktor. Als vorläufige Bezahlung für die Behandlung.“ Sam nickte und steckte das Holztier ein. Hier ging vieles noch mit Tauschhandel und er würde seine Bezahlung später bei den Möbeln abziehen. Diese Art der Bezahlung hatte auch etwas für sich, überlegte er, während er zum Markt ging. Langsam schlenderte er an den einzelnen Ständen vorbei. Eigentlich brauchte er nichts und auch für den Jungen war vorerst gesorgt, aber wenn er doch etwas fand, würde er es mitnehmen. Letztendlich fand er jedoch nichts, was vielleicht auch an dem stürmischen, immer wieder von Regenschauern durchzogenen Wetter lag. Die wenigsten Stände waren komplett bestückt, und so machte er sich auf den Weg in die ärmeren Viertel, um nach seinen Patienten zu sehen. Sams Tag glich den vorhergehenden nur die Menschen waren andere. Er hatte gute und leider auch schlechte Nachrichten für die Angehörigen gehabt und er musste sich leider eingestehen, dass an diesem Tag die schlechten Nachrichten überwogen hatten. Vor seiner Haustür atmete er noch einmal durch, schob die Traurigkeit beiseite und tat ein. Davina hatte den Tisch schon gedeckt. „Ich bringe Euch gleich etwas Brot und eine heiße Suppe“, sagte sie und verschwand in der Küche. „Danke Davina, ich schaue nur schnell nach Stephen“, erwiderte er und stieg die Stufen hinauf. Nach einem kurzen Klopfen trat er in sein Schlafzimmer. „Hey, wie geht’s?“ Der Junge lächelte schüchtern. „Ich darf noch nicht aufstehen“, sagte er leise und setzte sich auf. Er trug ein Hemd. Sam lächelte. Seine Haushälterin war wirklich die gute Seele des Hauses. Wenn das kein Märchen wäre … Nein! Dann würde er sie nicht kennen und nicht brauchen. Dann wäre er kein Arzt, der Junge nicht krank und Dean an seiner Seite. Wann würde er ihn endlich finden? Er schluckte seine Wut herunter. Der Kleine konnte ja nichts dafür! „Ich hab hier etwas, womit du dir die Zeit vertreiben kannst, bis du wieder draußen rumlaufen darfst“, sagte er und holte das Holzpferd aus der Tasche. Er gab es dem Jungen. Im Schein der Kerze auf dem Nachttisch leuchteten seine Augen intensiv grün vor Freude. Sam fühlte einen Stich in der Brust. Schon wieder wurde er an seinen Bruder erinnert. Hatte diese Fee ihn etwa …? Bitte nicht! Nicht schon wieder Dean in einem Kinderkörper! Angst schnürte seine Kehle zu und sein Körper begann unkontrolliert zu zittern. Hilflos schlang er die Arme um sich. Sie hatten doch aussteigen wollen! Und er beschloss, dass der Junge NICHT Dean war. Würde das denn nie enden? Davina trat in den Raum. Sie sah die Angst in Stephens Augen und lächelte ihm aufmunternd zu. Ihre Hände legte sie auf Sams Schultern und drehte ihn zu sich um. „Jetzt hat es Euch auch erwischt“, sagte sie leise und schob ihn aus dem Zimmer. „Ist ja auch kein Wunder. Ihr lauft den ganzen Tag in der Kälte draußen rum, esst kaum und kümmert Euch nur um Eure Patienten.“ Sie drängte ihn auf den Stuhl und schob ihm den Teller mit der dampfenden Suppe hin. „Esst und danach nehmt ihr ein heißes Bad. Morgen werdet Ihr Euch ausruhen. Wer soll Euch denn wieder gesund machen, wenn ihr krank werdet? Ihr seid der einzige Arzt hier im Ort.“ Der Winchester ließ alles mit sich machen. Tief hatte sich die Trauer in seine Seele gefressen. Er wollte nur noch aufgeben. Was hatte das hier für einen Sinn? Welches Märchen war das? War es überhaupt eins? Lange lag er in dieser Nacht wach und starrte blind in die Dunkelheit. Mit dem erwachenden Tag kehrten auch seine Lebensgeister zurück. Er fühlte sich zwar noch immer angeschlagen, doch nicht mehr so matt und leer wie am Abend zuvor. Mit einem leisen Stöhnen kämpfte er sich aus dem Bett. In der Küche empfingen ihn Wärme und ein deftiges Frühstück. Davina kam gerade mit Stephen herein, als er sich setzte. Der Kleine strahlte. Er trug den Pullover, den er vor ein paar Tagen gekauft hatte und der noch ein Stück zu groß war, eine neue Hose und in seinen Holzschuhe die Strümpfe, die Faye gestrickt hatte. In der Hand hielt er das Holzpferd. „Hey. Wie geht es dir?“, wollte Sam wissen. „Gut“, lachte er und begann zu husten. „Besser“, relativierte Davina. „Das Fieber ist auch noch nicht ganz weg.“ „Dann solltest du auf jeden Fall im Haus bleiben. Kein Rumrennen, viel heißen Tee und viel Ruhe“, bestimmte Sam. „Aber du musst nicht mehr den ganzen Tag im Bett bleiben.“ Und schon strahlte der Junge wieder. Es war doch so einfach Kinder glücklich zu machen. Leider hatte Sam dieses Glück nicht. Kaum hatte er gefrühstückt, stand ein Bote des Bürgermeisters vor der Tür und wollte den Arzt abholen. „Ihr müsst euch schonen, Doktor!“, erklärte Davina energisch, doch Sam ließ sich nicht aufhalten. „Hier braucht ein Mensch meine Hilfe“, entschied er. Außerdem hoffte er mit jedem neuen Tag, mit jedem neuen Patienten endlich einen Weg hier raus zu finden! Endlich einen Weg zu Dean! „Wir können“, sagte er also zu dem Boten, zog sich seinen Mantel über und folgte ihm. Im Haus des Bürgermeisters herrschte helle Aufregung. Schon auf der Treppe kam ihm ein junges Mädchen entgegen. „Bitte Doktor, Ihr müsst meinen Vater retten!“, flehte sie und schaute ihn aus tränenüberfluteten grünen Augen an. „Ich werde sehen, was ich tun kann“, wiegelte er ab. Er wollte nichts versprechen, was er vielleicht nicht halten konnte nur, damit sie sich besser fühlte. Missbilligend schüttelte sie den Kopf, fasste ihn am Ärmel und zog ihn im oberen Geschoss in ein prächtig eingerichtetes Schlafgemach. Schon von der Tür aus sah Sam den Tod am Fußende des Bettes. Er senkte seinen Blick und atmete tief durch. Auch wenn das hier nicht die erste Todesnachricht war, die er in seinem Leben überbringen musste und auch nicht die erste, die er in diesem Ort überbrachte, es fiel ihm nicht leicht. Er trat an das Bett und untersuchte den Mann gründlich. „Es tut mir leid“, sagte er zu der Tochter. „Ich kann …“ „Ihr müsst ihn retten! Ihr rettet doch sonst jeden hier im Ort! Ist er es nicht wert? Wollt ihr bezahlt werden? Wie? Ich biete Euch meine Hand!“ Sie wurde immer hysterischer. „Nein. Hier geht es nicht um Bezahlung!“ „Ich werde Euch in das tiefste Verlies werfen lassen. Ihr sollt dort auf ewig verrotten!“ Ihre Stimme überschlug sich regelrecht. „Auch damit könnt Ihr nichts erzwingen, was nicht gegeben ist. Euer Vater ist dem Tode geweiht und kein Mensch kann daran etwas ändern. Niemand kann mit den Tod handeln“, erklärte Sam ruhig. War es das? Sollte er sich gegen den Tod stellen? Musste er den Mann retten? Nein. Nur weil das ein Märchen war würde es trotzdem zu nichts Gutem führen. Zu oft hatten sie versucht den Tod zu umgehen und nie war etwas Gutes dabei herausgekommen. Augenblicklich gefror die Szenerie. Vor Sam tauchte plötzlich die Fee auf. Wütend starrte sie ihn an. „Was soll das?“, schrie sie. „Was soll was?“, wollte Sam wissen. „Du hättest den alten Trottel umdrehen sollen!“ „Soll ich so den Tod austricksen können? Für einen alten Mann, der länger gelebt hat, als die meisten hier? Warum?“ „Aber so geht das Märchen!“ „Wenn du willst, das ich für dich hier Kasperletheater spiele, solltest du vielleicht Märchen aussuchen, die ich kenne!“, erklärte Sam barsch. „Du willst ein bekanntes Märchen? Wie verblödet bist du eigentlich? Nicht mal ein Märchen kennst du!“, tobte die Fee wütend vor Sam in der Luft auf und ab. „Mir reicht´s. Ich bin lange genug freundlich gewesen. Das wirst du bereuen!“ Sie wurde immer dunkler. Blitze zuckten um sie herum. Sam grinste breit. Er wusste zwar nicht was diesen Wutausbruch verursacht hatte, aber das war auch egal. Sie hatte sie hier festgesetzt und ließ sie Märchen spielen, da geschah es ihr Recht, dass sie wütend war. „Lässt du uns gehen?“, stichelte Sam. „Das könnte dir so passen. Warts ab! Du wirst noch bereuen, mich getroffen zu haben!“ „Das tue ich schon seit du mich hier durch die Wälder gejagt hast, um irgendwelche blöde Märchen nach zu spielen!“ „Dann hättest du eben Dornröschen küssen müssen. Du hättest schon lange hier raus sein können. Gib mir nicht die Schuld für dein Versagen!“ „Ohne dich wären wir nie hier. Also ja. Ich gebe dir die Schuld und wenn ich könnte, würde ich dir jeden Flügel Schuppe für Schuppe einzeln rausreißen!“ „Dann“, sagte sie drohend und stand plötzlich in menschlicher Gestalt vor ihm, „solltest du dieses Mal alles richtig machen oder ich behalte euch bis zum Ende eurer Tage hier. Dich als Rotkäppchens Großmutter und deinen Bruder als Rumpelstilzchen. Immer wenn ein Kind auf dieser Welt eines dieser Märchen liest, werdet ihr es erleben. Immer in dem Wissen wer ihr seid und dass es für euch kein Entkommen geben wird. Also streng dich lieber an!“ „Und was soll ich dieses Mal machen?“, fragte der jüngere Winchester gelangweilt. „Meisterdieb“, warf sie ihm an den Kopf und lachte böse. Kapitel 100: Das ist alles nur geklaut -------------------------------------- 100) Das ist alles nur geklaut „Meisterdieb?“ Der Name sagte ihm nichts. „Kennst du überhaupt ein Märchen?“ „Natürlich kenne ich Märchen!“, empörte sich Sam. „Aber wohl nicht die Richtigen!“ Der Winchester verdrehte die Augen. Es war sinnlos mit ihr zu diskutieren. Wahrscheinlich erfand sie diese angeblichen Märchen, nur damit sie ihn versagen sehen konnte. „Ich verbitte mir diese Unterstellungen!“, giftete sie. „Was muss ich machen?“, fragte er genervt. Er wollte hier nur noch raus. Und auch wenn das Mal auf seinem Arm wieder dunkel war, es machte ihn fast wahnsinnig, nicht zu wissen, was mit Dean war. „Das was der Name des Märchens besagt. Stehlen! Du bist der Meisterdieb, der sich alles nimmt, was er will. Der Graf wird dir drei Aufgaben stellen. Für jede gelöste Aufgabe bekommst du einen Schlüssel. Versagst du, gibt es im besten Fall keinen …“ „Und im schlechtesten?“ „Bist du tot!“ „Und wofür sind die Schlüssel? Haben die auch was mit dem Märchen zu tun?“ „Das siehst du dann. Du solltest allerdings nicht zu lange trödeln!“ Sie zeigte auf Sams Arm. Der Winchester blickte auf das Mal, das plötzlich irgendwie heller zu werden schien. Sicher war er sich allerdings nicht, ob es wirklich so war. „Dann geh mal essen!“ „Essen?“ „So beginnt das Märchen ja wohl“, lachte sie und verschwand. Sam schaute sich um. Wenige Meter vor ihm stand ein kleines Häuschen. Ein Mann arbeitete im Garten. Der Winchester trat an den Zaun und schaute dem alten Mann dahinter zu. „Guten Abend, junger Herr“, grüßte der Alte. „Guten Abend. Kann ich Euch helfen?“, wollte Sam wissen. „Ich weiß nicht, ob ihr es könnt. Ihr seht eher wie ein feiner Herr aus, dessen Hände nicht zur Arbeit taugen.“ „Ich kann schon zupacken“, lachte der Winchester und kam in den Garten. Er half dem Alten einen Baum in ein schon fertig gegrabenes Loch zu pflanzen. „Habt Ihr keinen Sohn der Euch helfen kann?“ „Nein. Meiner Frau und mir wurde kein Kind geschenkt. Aber sagt, wie kann ich Euch für eure Hilfe danken?“ „Wie wäre es mit einem Essen, so wie es bei euch auf den Tisch kommt?“ „Warum nicht?“ Der Alte schüttelte den Kopf. Reiche Leute waren schon komisch. Gemeinsam pflanzten sie auch noch die restlichen Bäume, rammten Pfähle neben sie und banden sie mit Seilen fest, damit sie schön gerade wuchsen. Als sie später beim Essen saßen, polterte der Graf in die kleine Hütte. „Wer seid Ihr, dass Ihr meinen Gärtner von der Arbeit abhaltet?“, wollte der schlechtgelaunt von dem Fremden wissen. „Er hat mir beim Pflanzen geholfen“, verteidigte der Alte Sam. „Geholfen? Soso. Sucht Ihr Arbeit? Dabei kann ich Euch wohl helfen!“, knurrte der Graf. „Nein, ich bin gut versorgt“, erklärte Sam. „Und womit?“ „Ich bin ein Meisterdieb!“, bediente sich Sam der Erklärung der Fee. „Meisterdieb?“ Sam nickte. „Ihr rühmt Euch ein Meisterdieb zu sein? Gut, ich werde Eure Kunst auf die Probe stellen. Wenn Ihr nicht besteht, so werdet Ihr bis zum Ende Eurer Tage in meinem Kerker schmoren!“ „So soll es sein“, sagte Sam mit fester Stimme und hoffte schon um Deans Willen, dass er es wirklich schaffen würde. „Drei Aufgaben!“, bestimmte der Graf. „In meinem Stall steht mein Lieblingspferd. Das sollt Ihr stehlen. Außerdem meiner Gemahlin das Bettlaken unterm Leib weg und ihren Ehering vom Finger und zum Dritten sollt Ihr dem Koch den Braten vom Spieß stehlen.“ Sam nickte nur. Wie sollte er das denn schaffen? ~“~ Dean schreckte aus dem Schlaf hoch. Etwas tastete über seinen Körper. Er sprang auf, schüttelte sich und sah aus den Augenwinkeln, wie dieses Etwas davon huschte. Hastig suchte er einen Stein und warf ihn diesem Etwas hinterher. Ein Quicken bestätigte den Treffer. Noch einmal schüttelte er sich, als unwillkürlich das Gefühl von tausenden kleiner, über seinen Körper tippelnder, Rattenfüße seine Nervenbahnen überrannte. Er lief ein paar Schritte und ließ sich dann wieder neben dem Kuchenkrümel nieder. Er war zu erschöpft zum Sitzen und er wollte sich nicht noch einmal den Kopf anschlagen, fals er doch umkippte, also rollte er sich neben der Platte zusammen. Aber er fand keine Ruhe. Immer wieder fühlte er die tippelnden Füßchen auf seinem Körper. Unruhig setzte er sich wieder auf, schüttelte sich und kämpfte sich auf die Füße. Mit der Platte in den Händen schwankte er zu dem Rinnsal. Er ließ sich daneben nieder, bettete die Platte auf seinen Schoß und versuchte seine Arme so darum zu schlingen, dass es für das Nagetier keinen Durchgang mehr gab. Trotzdem kam er nicht zur Ruhe. Tief in sich abzutauchen wagte er nicht, aus Angst das Tier würde ihm das wenige Essen wegfressen. Er verhielt sich vollkommen paranoid und er wusste es. Mit dem bisschen Brot würde er nur langsamer sterben. Doch noch war er nicht bereit aufzugeben. Was für eine beschissene Situation. Er hatte sich noch nie so auf die Hilfe eines anderen Menschen verlassen müssen! Während er darauf wartete, wieder einschlafen zu können, überfielen ihn Erinnerungen an die Zeit, als er dieses nagende Gefühl im Bauch kennengelernt hatte und egal wie sehr er auch versuchte, die wieder dahin zu verbannen, woher sie gekommen waren, es gelang ihm nicht. Sollte er sich ihnen stellen? Sie waren wie Dämonen. Je mehr er sie ignorierte, umso mehr bedrängten sie ihn. Was hatte er schon zu verlieren? Er saß hier fest und solange er seinen Magen nicht wieder beruhigt hatte, konnte er weitere Befreiungsversuche auch vergessen. Seine Gedanken gingen auf Wanderschaft. Er musste zehn oder elf gewesen sein. John war zum ersten Mal viel länger weg geblieben, als er angekündigt hatte. Sammy hatte er vor einer Weile ins Bett gebracht. Jetzt hockte er auf der durchgesessenen Couch und starrte auf den leeren Kühlschrank. Sein Magen krampfte sich immer wieder zusammen. Aber sie hatten nur noch zwei Bananen und etwas Erdnussbutter. Das langte nicht mal für Sams morgige Frühstück, geschweige denn für ihn und dabei hatte er in den vergangenen zwei Tagen lediglich zwei Bananen gegessen. Er musste sich dringend etwas einfallen lassen, aber was? Auf der anderen Seite der Straße, etwas weiter stadteinwärts war ein Diner. Die warfen die Reste immer in einen Container. Ob er da mal … Schon alleine bei dem Gedanken schüttelte er sich. Das wollte er erst als allerletzten Ausweg nehmen. Er zog sich seine Jacke über, schaute noch einmal nach Sam und schlich sich aus dem Zimmer. Sich in den dunklen Schatten haltend, lief er zum Supermarkt. Im Laden stehlen ging nicht, die hatten in jedem Gang mindestens zwei Kameras und er hatte noch keinen Winkel gefunden, die sie nicht erfassten, aber vielleicht konnte er ja ins Lager einbrechen? Wieder und wieder schaute er sich um. Verhaftet zu werden konnte er sich nicht leisten. Wer würde sich denn dann um Sammy kümmern? Und Dad? Der wäre wieder enttäuscht von ihm, dabei hatte er sich doch fest vorgenommen, dass das nie wieder passieren sollte. Er kletterte auf einen Müllcontainer und von da aus über den Zaun, der das Lager einfasste. Mit großen Augen starrte er auf die hier draußen aufgestapelten Kisten, die mit Salat und Toastbrot gefüllt waren. Einige Kühlboxen enthielten sogar Wurstpackungen! Wieso ließen die das draußen stehen? Er konnte sein Glück kaum fassen. Schnell nahm er eine Packung Toast, eine Packung Wurst und einen Salat. Er fand auch Cornflakes, aber leider so schnell keine Milch, wenn denn überhaupt welche hier stand. Schnell griff er sich noch etwas Käse und eine Tüte Marshmallows, die aus einer Kiste schaute und sah zu, dass er wieder ins Motel kam. Die Freude in Sammys Augen, als er die am nächsten Tag bekam, ließ ihn sein schlechtes Gewissen, ihn allein gelassen zu haben, vergessen. Dass bei diesen Lebensmitteln das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen und diese deshalb für Hilfsprojekte bestimmt waren, war ihm erst viel später bewusst geworden. In den nächsten drei Tagen schlich er jede Nacht zu dem Supermarkt und holte Essen für Sam. Mehr zu nehmen traute er sich nicht und so begnügte er sich auch weiterhin mit zwei oder drei Scheiben Toast. Gerade genug, damit er nicht zusammenbrach, aber viel zu wenig um das Hungergefühl wirklich zu vertreiben. Außerdem brachte ihm diese Aktion den ersten blauen Brief ein, da ihm im Unterricht die Augen zufielen weil er den fehlenden Schlaf nachholte. Und dann endlich kam John wieder. Er war müde und hungrig. Doch der Blick in den Kühlschrank zeigte ihm nur gähnende Leere. Erschrocken schaute er seinen älteren Sohn an. Der senkte beschämt den Blick und schüttelte den Kopf. Es war nichts mehr da und er hatte noch nicht losziehen können, weil Sam noch nicht schlief. Außerdem waren auch noch viel zu viele Menschen auf der Straße. Doch entgegen seiner Befürchtungen sagte John kein Wort. Sein Dad verschwand im Bad und kam schon bald geduscht und rasiert wieder. „Los Jungs, lasst uns essen gehen“, hatte er gesagt und Sam war jubelnd vom Sofa gesprungen, denn obwohl er Erdnussbuttertoast mit Banane liebte, hing der ihm inzwischen zum Hals raus. Gemeinsam gingen sie zu dem Diner, die Straße runter. „Bestellt was ihr wollt, Jungs“, hatte John sie leise gebeten. Etwas, das sich Dean nicht zweimal sagen lassen musste. Schnell hatte er sich einen Riesenburger mit extra Pommes geordert. Sam wollte Spaghetti und John bestellte sich ein Steak. Sein Dad sagte weder ein Wort zu seiner Bestellung noch zu dem, was die Kellnerin anbrachte, ganz im Gegensatz zu Sam. Der konnte nicht glauben, welche Mengen er verdrücken wollte. Doch das war ihm egal. Er schaufelte, als gelte es sein Leben. Wenn er jetzt darüber nachdachte, dann wurde ihm bewusst, dass die Blicke die John ihm beim Essen zuwarf schuldbewusst waren. Damals hatte ihn das nicht interessiert. Er hatte diese Blicke zwar gesehen, sie aber nicht deuten können. Und selbst wenn, hatte er sich darüber keine Gedanken gemacht. Er war einfach nur froh gewesen endlich wieder einen vollen Magen zu haben. Sam hatte seine Fressorgie mit einem irritierten ‚Du bist aber verfressen‘ kommentiert, aber das war ihm egal gewesen. In der Nacht lernte er dann noch etwas kennen. Das Gefühl, wenn man sich hilflos überfressen hatte. Woher hätte er auch wissen sollen, dass so etwas passieren konnte? Bislang hatte er immer genug und nie das Bedürfnis gehabt, soviel in sich hineinzuschlingen. Immer wieder musste er hart schlucken, um sich nicht zu übergeben, was wahrscheinlich besser gewesen wäre und er hätte es auch, wenn da nicht die Angst vor der Rückkehr dieses nagenden Hungers gewesen wäre. Er lag die halbe Nacht wach, die Arme fest vor den Bauch gepresst und versuchte weder Sam noch seinen Vater zu wecken. Im Nachhinein betrachtet war Johns schlechtes Gewissen wohl verdammt groß gewesen, denn er musste am folgenden Tag nicht zu Schule sondern durfte auf dem Sofa liegen und Trickfilme schauen. Außerdem unterschrieb John den blauen Brief wortlos und kam die nächsten Male immer zu ihnen zurück, bevor das Geld alle war. Es hielt allerdings nicht lange, bissich diese Praxis wieder eingeschlich. Aber egal wie wenig Geld oder Essen sie hatten, wenn John wieder da war, hatte er sich nie wieder so überfressen, auch wenn es ihm manchmal richtig schwer gefallen war sich zu zügeln. Langsam driftete er in die hungerlose Dunkelheit. ~“~ Sam hatte sich von dem freundlichen Gärtner verabschiedet und ging in Richtung Schloss, um an ihm vorbei in die nahegelegene Stadt zu gelangen. Unterwegs überlegte er, wie er diese drei Aufgaben lösen konnte. Zu blöd, dass er das Märchen nicht kannte. Aber wie auch. Es gab so viele davon und sie hatten nicht die Kindheit, in der das Vorlesen von Märchen zum Einschlafritus gehörte. Denn in ihrer Welt waren das eher Tatsachenberichte, als Geschichten, die gut ausgingen und den Kindern die Welt erklärten, wie sich die Menschen sie wünschten. Kapitel 101: Pferdediebstahl ---------------------------- @vanilein - Sam gibt sein Bestes. Ein bisschen muss Dean also noch durchhalten. LG Kalea 101) Pferdediebstahl ‚Okay, ein Pferd stehlen konnte so schwer nicht sein’, hoffte er. Immerhin war er die letzten beiden Male mit seinem Pferd ganz gut klar gekommen. Vielleicht hatte er ja auch mit diesem Tier Glück? Zuerst einmal wollte er sich das Schloss näher anschauen. Zu wissen was wo lag und wie er am Schnellsten verschwinden konnte, war immer von Vorteil. Er ging zu dem Schloss und spazierte da ganz offen über den Hof zum Brunnen. Er ließ den Eimer ins Wasser fallen und trank ein paar Schlucke, nachdem er ihn wieder nach oben geholt hatte. Ein Pferd wieherte. „Willst wohl kundschaften, was?“, fuhr ihn der Graf an. Der hatte ihn wahrscheinlich kommen sehen und kam jetzt die Treppen herunter gestürmt. „Verschwinde von hier oder ich lass dich sofort in den Kerker werfen!“ Sam zuckte mit den Schultern, ließ den Eimer wieder fallen und ging in aller Ruhe vom Hof. Er hatte gesehen, was er wollte. Er hatte den Pferdestall gesehen und wusste nun, dass davor Wachen aufgestellt waren, die ihn natürlich auch gesehen hatten und dank des Grafen jetzt auch wussten, wer er war. Das hieß, er musste sich auch noch um eine Verkleidung kümmern und er musste die Wachen irgendwie ausschalten, ohne dass sie Verdacht schöpften. Er konnte sich ja schlecht als FBI-Agent ausgeben. Er ging weiter in die nahegelegene Stadt. Hier hoffte er etwas zu finden, das ihm helfen konnte. Auf dem Weg begegneten ihm zwei Mönche die, ihre Kapuzen weit ins Gesicht gezogen, schwer auf ihre Wanderstäbe gestützt aus der Stadt kamen und brachten ihn auf eine Idee. In der Stadt kaufte er sich eine dunkle Kutte, ein Fässchen Wein und eine Kiepe. Wenigstens für genügend Geld in seinen Taschen hatte diese Fee gesorgt. Bei einem fahrenden Medikus besorgte er sich noch ein starkes Schlafmittel und etwas um die Haut dunkler zu färben und wunderte sich, dass der Mann ihn nicht einmal fragte, wozu er das brauchte. So ausgerüstet machte er sich wieder auf den Weg zum Schloss des Grafen. Er hatte vielleicht die Hälfte des Weges geschafft, als er an einem Gebüsch vorbeikam, dass ihm dicht genug schien, um sich da ungesehen umzuziehen und Gesicht und Hände dunkel färbte. Hier versteckte er auch seine Kleidung. Er füllte das Schlafmittel in den Wein, schnürte das Fässchen auf die Kiepe und nahm die auf seinen Rücken. Zu guter Letzt brach er sich noch einen dicken Ast ab, den er als Wanderstab nutzen wollte. So ausgerüstet nahm er den restlichen Weg in Angriff. ~"~ Ein leises Rascheln schreckte Dean aus seinem Dämmerzustand. Er schaute sich um. Links neben ihm huschte das Etwas beiseite. Er drehte den Kopf ein Wenig, um es besser erfassen zu können, als das Etwas rechts neben ihm entlang flitzte. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Hatte er das Tier jetzt wirklich gesehen oder spielten ihm seine Nerven einen Streich? Aber wenn es wirklich da war, konnte er es dann nicht fangen und essen? Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Eine Maus, selbst eine kleine Ratte, die es eher nicht war, würde nicht sonderlich viel gegen seinen Hunger tun können. Außerdem war er viel zu langsam, um sie zu fangen und kaum in der Lage seine Gedanken länger als ein paar Sekunden auf einen Punkt zu konzentrieren, also wohl auch nicht in der Lage, sich eine wirksame Falle auszudenken, selbst wenn er bereit gewesen wäre, auch nur einen Krümel seines Früchtebrotes freiwillig abzugeben. Er schlang seine Arme um die Beine, ließ den Kopf auf die Platte fallen und versuchte das nagende Hungergefühl zu ignorieren. Als die Maus dann wirklich an seiner Hose auf seinen Schoß kletterte und sich ein paar Krümel stahl, war er in einen unruhigen Schlaf gefallen. Die nächsten Stunden oder Tage verbrachte er damit, eifersüchtig die Platte zu bewachen und sich immer wieder davon zu überzeugen, dass sich das Früchtebrot tatsächlich regenerierte. Zeit spielte schon lange keine Rolle mehr. Für ihn gab es nur noch die Einteilung in hungrig und nicht ganz so hungrig und so stellte er irgendwann verwundert fest, dass sich das Stück Brot schon wieder regeneriert und sich das nagende Gefühl in seinem Magen noch nicht so stark ausgebreitet hatte, wie vorher. Er aß das Brot. Seine Knie zitterten vor Anstrengung. Außerdem war es mehr als unbequem auf der Platte zu schlafen und so entschloss er sich schweren Herzens, die wieder an ihren angestammten Platz zu bringen. Das Brot würde sich ja wohl auch da erneuern. Er stemmte sich mit der Platte in die Höhe und schwankte zu dem Tropfstein. Vollkommen erschöpft ließ er sie schon fast darauf fallen. Warum wuchs das Zeug nur so langsam? Gefühlte Tage lang pendelte Dean lediglich zwischen dem Rinnsal und dem ständig mehr werdenden Früchtebrot hin und her. Er hatte noch nicht die Kraft sich zu fragen warum das Brot sich vermehrte, mal abgesehen davon, war es ihm auch egal. Es vermehrte sich und es war noch immer nicht genug, damit er auch nur halbwegs satt wurde. Das nagende Hungergefühl war sein ständiger Begleiter und es machte ihn fast wahnsinnig. Zumal er sich noch immer viel zu schwach fühlte, um mehr als nur ein paar Schritte zu gehen, oder seine Suche nach einem Ausgang wieder aufnehmen zu können. Wie er sich für diese Schwäche doch verachtete! Deans einzige Ablenkung blieb die kleine Maus und seine Eifersucht auf ein Stück Früchtebrot. Immer wieder versuchte er sie zu verscheuchen und immer wieder kam sie erneut angetippelt, stellte sich auf die Hinterpfoten und reckte das Näschen suchend in die Luft. Er kam nicht umhin ihre Hartnäckigkeit zu bewundern. Als sie wieder einmal kam, versuchte er sich sehr langsam zu bewegen, um sie nicht zu verscheuchen. Er schaffte es und kehrte ein paar Krümel von der Platte. Das Brot reichte zwar noch immer nicht, um das nagenden Hungergefühl aus seinen Eigenweiden zu vertreiben, aber es schien nicht mehr so schlimm zu sein, oder er hatte sich daran gewöhnt, es war ihm egal, so wie ihm vieles inzwischen egal war, von dem er wusste, dass er eigentlich etwas dagegen unternehmen musste, aber seine Kraft reichte noch immer gerade, um sich zwischen Wasser und Brot hin und her zu schleppen. Die restliche Zeit verfiel er in einen Dämmerzustand, in dem nichts und niemand etwas bedeutete. Nur die kleine Maus schaffte es, seine Aufmerksamkeit für eine Weile zu binden und so landeten auch immer wieder ein paar Krümel auf dem Boden. Neugierig beobachtete Dean das Tier jedes Mal, wenn es langsam, immer wieder abwartend und schnuppernd, näher kam. Die schwarzen Knopfaugen musterten ihn interessiert, doch das Futter war wichtiger. Sie griff nach einem Krümel und fraß ihn hastig auf. Sofort griff sie nach einem weiteren Krümel. Der Winchester bewegte sich vorsichtig und schob einen großen Krümel von der Platte. Erschrocken sprang die Maus beiseite, hob dann die Nase, schnupperte und tippelte gleich darauf zu dem Krümel. Sie nahm ihn ins Maul und flitzte davon. „Irgendwann sollte ich dir folgen“, flüsterte Dean und schloss die Augen. ~"~ Bedächtig, mit schlurfenden Schritten kam Sam in der Dunkelheit am Schloss an. Er setzte sich auf einen Stein, fing an zu husten und rieb sich mit den Händen über die Arme, als ob ihm furchtbar kalt wäre. Vor der Tür des Pferdestalles lagen einige Wachen um ein Feuer. Sie bemerkten den Mönch. „Komm her, Väterchen, wärm dich bei uns“, luden sie Sam ein und der schlurfte müde, weit nach vorn gebeugt, zu den Männern. „Vielen Dank meine Kinder“, schnarrte er heiser und ließ sich die Kiepe vom Rücken nehmen. „Was habt Ihr denn in dem Fässchen, Vater?“, wollte einer der Wachen auch gleich wissen. „Uns ist der Messwein ausgegangen und ich wurde ausgeschickt für den Sonntagsgottesdienst ein Fass zu holen.“ „Ihr habt Wein in dem Fässchen? Immer her damit“, rief einer der Männer. Er setzte seine Forderung auch gleich in die Tat um und löste das Fässchen von der Kiepe. „Ihr könnt dem Herrn doch den Wein nicht stehlen“, entrüstete sich Sam gespielt. „Der Herr wird es verschmerzen können. Wir aber frieren hier für unseren Herrn“, sagte der Mann und zog den Zapfen. Sofort wurden ihm die Becher gereicht, die er, wie auch seinen eigenen großzügig füllte. „Das nenn ich einen Messwein“, lachte der, der neben Sam saß und schlug ihm auf den Rücken. „Dafür komme ich gerne in eure Messe. Aber jetzt her mit einem weiteren Becher!“ Sam machte ein betrübtes Gesicht, als sich die Wachen ihre Becher erneut füllten, sagte aber nichts mehr. Die Wachen tranken je noch zwei Becher, dann besannen sie sich auf ihre Kameraden im Stall. „Vater, könntet Ihr so lieb sein und denen im Stall auch den einen oder anderen Becher gönnen?“ „Ihr sauft den Messwein des Herrn, fragt ihn doch! Vielleicht lässt er euren Brüdern etwas zukommen“, knurrte Sam mürrisch. Wie würde das auch aussehen, wenn er seinen Messwein selbst in den Stall tragen würde, wo er sich doch gerade noch aufgeregt hatte, dass sie den tranken. Der Mann schaute schuldbewusst zu Boden, nickte dann aber und erhob sich. „Lass das nicht den Grafen sehen“, rief ihm einer seiner Kameraden hinterher, als er im Stall verschwand. „Brüll doch noch lauter“, wies den ein dritter zurecht. „Wieso hockt ihr eigentlich hier draußen und nicht wie eure Kameraden im Stall? Was bewacht ihr denn Wertvolles?“, fragte Sam ganz harmlos. „Wir bewachen das Lieblingspferd unseres Herrn“, gab ihm der Mann, der neben ihm saß, freimütig Auskunft. „Und warum?“ „Angeblich soll einer kommen und es stehlen wollen.“ „Das kann aber kein gottesfürchtiger Mann sein, heißt es doch schon in der Bibel: Du sollst nicht stehlen.“ „Nicht jeder ist so ehrlich und freigiebig wie Ihr.“ Sam brummelte sich etwas in seine Kutte. Er hoffte, dass das Schlafmittel bald wirken würde. Das Mal auf seinem Arm hatte zu jucken begonnen und das konnte wohl nichts Gutes bedeuten. Er musste hier unbedingt fertig werden und hoffentlich dieses Mal für immer. Wenn er diese Fee je wieder zu Gesicht bekommen sollte, er würde sie rupfen und auf kleinster Flamme rösten! Er musste nicht mehr lange warten. Schon bald kippte ein Mann nach dem anderen um. Sie schnarchten um die Wette. Sam rüttelte den Mann neben sich, doch der gab nicht einmal mehr einen abwehrenden Ton von sich. „Das habt ihr davon“, grinste er und erhob sich. Er schlüpfte durch das Tor in den Stall und schaute sich um. Schon wieder breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Zwei Männer waren in der Box des Pferdes, um darauf aufzupassen. Der eine lag vor dem Tier im Stroh. Der zweiter hockte, weit nach vorne gelehnt, im Sattel. „Verdammt“, schimpfte Sam. So lustig wie es auch aussah, es erschwerte seine Aufgabe. Wie sollte er den denn runter bekommen? Er hoffte zwar, dass der fest schlief, aber wenn nicht? Wie viel hatte die getrunken? Suchend blickte er sich um und fand einen Seilzug, mit dem wohl die Futtersäcke auf den Heuboden gehievt wurden. Der kam ihm gerade recht. Er öffnete die Box und musste einen dritten Mann auffangen, bevor der hart auf dem Boden aufschlug. Außerdem hielt der noch immer den Schweif des Pferdes in der Hand und das konnte, wenn er beim Fallen zu sehr daran zog zu unschönen Reaktionen des Tieres führen. Auch die wollte Sam lieber vermeiden. Er ließ den Mann ins Stroh gleiten und drückte ihm grinsend ein paar Halme in die Hand. Jetzt musste er sich nur noch um den Kerl im Sattel kümmern. So schnell und so leise er nur konnte befestigte er die Seile am Sattel, schnallte er den Sattelgurt los und hievte den Reiter in die Höhe. Er schlang die Seile um einen Pfosten und band sie fest. „Jah“, wisperte er voller Freude und führte das Pferd aus der Box. Die Hufe des Tieres umwickelte er mit Lappen, nicht dass ihn das Klappern der Eisen so kurz vor seinem Erfolg verriet, und führte das Pferd aus dem Stall und über den Hof. Vor dem Tor angekommen stieg er auf und ritt bis zu dem Gebüsch, in dem er seine Kleidung versteckt hatte, zog sich wieder um und setzte sich an einen Baum gelehnt hin, um hier den Rest der Nacht zu verbringen. Immer wieder rieb er über seinen Arm, um das Brennen ein wenig zu lindern. Wie es Dean wohl ging? Er hoffte, dass er dieses Mal endlich alles richtig machen würde, damit sie hier raus konnten. Kapitel 102: Dorffest --------------------- 102) Dorffest Kaum hatte der Tag begonnen, eilte der Graf, immer noch nur mit einem Nachthemd bekleidet, zu seinem Stall. Er wusste zwar nicht, wann der Dieb zuschlagen würde, aber sicher war sicher. Schon von Weitem sah er die Wachen neben dem Tor liegen. „Das darf doch nicht wahr sein!“, brüllte er und stürmte die letzten Schritte zum Tor. „Das versteht ihr also unter Wache halten? Euch werde ich zeigen, was es heißt euren Herrn so zu hintergehen!“ Er trat dem ersten Mann, der ihm vor die Füße kam heftig in den Rücken. Erschrocken sprang der auf und rieb sich die malträtierte Stelle. Er wusste nicht wie ihm geschah. Und auch seine Kameraden wurden unsanft aus dem Schlaf gerissen. Taumelnd erhoben sie sich, rieben sich die schmerzenden Schläfen und starrten ihren Herrn aus stumpfen Augen an. Doch dann nahmen sie einer nach dem anderen Haltung an. „Ihr werdet exerzieren, bis es euch zu den Ohren rauskommt und eure Schuhe durchgelaufen sind. Euch werde ich Mores lehren!“ Wütend stapfte der Graf in den Stall und fand die Box leer vor. Hart schlug er der Wache, die noch immer schlafend im Sattel saß gegen den Oberschenkel. Der Mann schwankte bedrohlich und kippte ins Stroh. Doch das sah der Graf schon nicht mehr. Vor Wut kochend stürmte er über den Hof, um dem Leutnant die entsprechenden Befehle zu erteilen. Mitten auf seinem Hof hielt er inne. Sam kam gerade, leise vor sich hin summend, durch das Tor. Den Hengst führte er am Zaum. „Guten Morgen Graf“, grüßte er. „Ich bringe Euch Euer Pferd wieder. Ein sehr edles Tier“, erklärte er und streichelte dem Tier den Hals. Dem verdutzten Grafen drückte er die Zügel in die Hand und sah zu, dass er wieder vom Hof kam. „Stallbursche“, brüllte der Hausherr und hatte augenblicklich alle Hände voll zu tun, das steigende Tier im Zaum zu halten. Ein schmächtiger Junge, mit einer Kiepe auf dem Rücken, kam über den Hof gerannt, fasste das Tier am Zaum und redete beruhigend auf ihn ein. „Wo hast du dich schon wieder rumgetrieben?“, wollte der Graf ungehalten wissen. „Ich war auf der Wiese und habe sein Lieblingsfutter geschnitten. Ihr sagtet, dass er heute im Stall bleiben sollte.“ „Jaja, schon gut. Bring ihn rein, reibe ihn ab und dann kann er wieder auf die Koppel“, bestimmte der Graf. „Wartet“, brüllte er Sam hinterher. „Diese Aufgabe habt Ihr bestanden. Die anderen werden Euch nicht so leicht werden. Und ich warne Euch. Solltet Ihr mir als Dieb begegnen, werde ich Euch auch als solchen behandeln!“, erklärte er dem Winchester, kaum dass der sich zu ihm umgedreht hatte. Sam winkte und tippte sich zum Gruß an die Krempe seines Hutes. Plötzlich hörte er neben seinem Fuß ein leises Klimpern. Er blieb stehen und schaute zu Boden. Etwas blinkte neben seinem Fuß. Er bückte sich und fand einen kleinen Schlüssel, den er aufhob. „Was habt Ihr da?“, rief ihm der Graf hinterher und kam wieder auf ihn zugelaufen. „Einen Kiesel“, erwiderte Sam. „Aber wenn Ihr ihn behalten wollt, so will ich ihn Euch nicht entführen.“ Er warf den Stein, den er mit aufgehoben hatte dem Grafen entgegen. Der schnaubte nur und wandte sich endgültig um, um sich ankleiden zu lassen. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Sam durch den Wald. Er kam zu dem Gärtner, bei dem er am Vortag schon gegessen hatte. „Wie ging es mit dem Grafen?“, wollte der alte Mann wissen. „Ganz gut, denke ich. Die erste Aufgabe habe ich bestanden.“ „Ihr ward die ganze Nacht unterwegs?“ „So sieht es wohl aus.“ „Dann müsst Ihr müde sein.“ „Das schon, aber …“ „Nichts aber. Ihr könnt hier schlafen.“ „Ich will niemandem zur Last fallen! Wenn der Graf mich bei Euch findet, wird er Euch nicht …“ „Das lasst mal meine Sorge sein. Ihr könnt da hinten in dem Strohschober schlafen. Da wird Euch niemand vermuten. Und wenn Ihr Hunger habt, so kommt ins Haus. Meine Frau kann Euch etwas geben.“ „Vielen Dank.“ Das ließ sich Sam nicht zweimal sagen. Nach einem einfachen Mal ging er zu dem Heuschober hinüber und legte sich für ein paar Stunden schlafen. ‚Wie es Dean wohl ging?’, überlegte er sich beim Einschlafen. Sein Arm brannte leicht. Er warf einen Blick auf das Mal auf seinem Arm. Es verblasste langsam. Aber wie schlecht ging es ihm? Konnte es Dean überhaupt gut gehen, wenn er irgendwo herumirrte oder eingesperrt war? Denn was sonst konnte ihn davon abhalten zu ihm zu stoßen? Irrte Dean durch den Wald und suchte ihn? Aber dann könnte er sich selbst versorgen, selbst schützen. Nein! Diese Fee hatte ihm erklärt, dass er sich beeilen sollte, denn sonst würde Dean sterben. Das wiederum hieß aber, dass der irgendwo eingesperrt sein musste. Ohne Wasser, ohne Nahrung? Nein, denn dann wäre er wohl schon tot. Verdammt! Was hatte dieses Flatterding nur mit ihnen gemacht? Hatte das Mal überhaupt eine Bedeutung? Hatte es überhaupt eine Verbindung zu Dean? Oder wollte die Fee nur, dass er sich beeilte, dass er Fehler machte? ~"~ Wieder hatte sich das Brot erneuert, lange bevor Dean den Hunger nicht mehr aushielt. Er sah die Maus kommen und warf ihr ein paar Krümel hin. Ruhig beobachtete er sie dabei, wie sie die hastig auffraß. Kaum war der letzte Krümel gefressen, richtete sie sich auf und reckte die Nase schnuppernd in die Höhe. Dean grinste und warf ihr noch einen Krümel zu. Ob sie ihm auch aus der Hand fressen würde? Irgendwann wollte er es versuchen. Aber nicht jetzt. Jetzt wollte er nur schlafen. Er war so furchtbar müde. Träge rollte er sich zusammen und schloss die Augen. Dass ihm die Maus etwas weg fraß, machte ihm nichts mehr aus. Inzwischen war genug da. ~"~ Die Sonne hatte den Zenit schon eine Weile überschritten, als Sam aus dem Heuschober kroch. Er fühlte sich ausgeruht. Jetzt musste er nur noch sehen, wo er etwas zu essen bekam. Dann konnte er sich überlegen, welche Aufgabe er als nächstes angehen und wie er sie lösen wollte. Das Problem mit dem Essen löste sich, als er neben der Gärtnerei auf den Dorfweg trat. „Möchtet Ihr mit uns essen?“, wollte der alte Gärtner wissen. „Ich möchte Euch nicht zu Last fallen“, erwiderte Sam, freute sich aber insgeheim über das Angebot. „Zum wiederholten Male, das tut Ihr nicht. Aber Ihr könnt mir auch gerne etwas zur Hand gehen, wenn Ihr Euch dann besser fühlt.“ „Ich werde es mir merken“, lachte Sam und folgte ihm. Er duckte sich gerade durch die niedrige Eingangstür, als eine Kutsche an der Gärtnerei vorbeirumpelte. „Zwei bis dreimal in der Woche macht der Graf Kontrollfahrten“, erklärte der Alte. „Wir hatten gehofft, dass er heute nicht fährt!“ „Warum nicht?“, wollte Sam interessiert wissen. „Die neue Mühle ist vor ein paar Wochen fertig geworden und jetzt endlich dürfen auch wir da unser Korn mahlen lassen. Das ist ein Anlass zum Feiern. Außerdem möchte Karl seiner Isabella einen Heiratsantrag machen. Es feiert sich ausgelassener, wenn die Obrigkeit nicht dabei ist.“ Sam nickte stumm. Nach dem Essen hatten sich der Gärtner und seine Frau ihre schönsten Kleider angezogen und gingen mit Sam zum Fest. Der Winchester ließ sich am Rand des Festplatzes nieder. Abwesend starrte er vor sich hin und grübelte. Wie konnte er die zwei Aufgaben so schnell wie möglich erledigen. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Platz. Das Gefühl wichtige Zeit zu verschwenden wurde plötzlich übermächtig in ihm. Mit aller Macht zwang er seine Gedanken auf die Aufgaben, denn so konnte er Dean wohl am besten helfen, wenn die Fee ihm doch die Wahrheit gesagt hatte. „Kommt, wir mischen uns etwas unters Volk“, riss ihn der Gärtner aus seinen Gedanken. Er wollte erst abwehren, stimmte dann aber doch zu. Warum auch nicht. Denken konnte er auch beim Laufen. Langsam schoben sie sich durch die Gruppen der Dorfbewohner. Hier und da schnappte er ein paar Worte auf, grüßte freundlich und plauderte auch mit dem einen oder anderen ein paar unverbindliche Worte. Seine Hand spielte mit dem mysteriösen Schlüssel in seiner Tasche. Und dann schnappte er die Unterhaltung von zwei jungen Burschen auf, die vor Tischen standen, auf denen unter weißen Tüchern, das Essen stand. Immer wieder hoben sie ein Tuch etwas an und schielten darunter. „Wieder nur das übliche Essen“, stöhnte der eine. „Was hast du gegen unser Essen, Paul?“, fragte der andere. „Nichts, nur in der Küche des Grafen brutzelt ein fettes Schwein am Spieß und das, obwohl der doch ausgefahren ist.“ „Das sind halt die reichen Herren. Was willst du dagegen tun?“ „Nichts. Ich sag’s ja auch nur.“ Sam grinste. Er sollte doch dem Koch den Braten vom Spieß stehlen. Der Graf war nicht da und hier gab es Abnehmer, die sich über den unerwarteten, leckeren Braten sicher freuen würden. Er drehte sich zu den Burschen um, musterte sie und stellte erfreut fest, dass einer von ihnen etwa so groß wie er selbst war. „Was haltet ihr davon, wenn ich euch einen Braten besorge?“, wollte er wissen. „Das kannst du nie!“ „Wetten?“ „Und wie soll das gehen?“ „Gib mir deine Kleidung und ich beweise es dir.“ „Was, wenn du es nicht schaffst?“, bohrte der andere hartnäckig nach. „Dann helfe ich dir drei Tage lang bei deiner Arbeit.“ Sam betete, dass das nicht passieren würde, denn egal was die Fee gesagt hatte, wenn er sich nicht an ihre Vorgaben hielt, würde wohl Dean leiden müssen. „Okay“, grinste der Junge und begann sich aus seiner Kleidung zu schälen. Sam zog sich ebenfalls aus, schlüpfte in die Kleidung den Burschen und machte sich auf den Weg zum Schloss. Unterwegs beschmierte er sich das Gesicht mit Staub. Er musste ja nicht sofort erkannt werden! Er suchte den Dienstboteneingang und trat in die Küche. Hastig zog er sich den Hut vom Kopf. Unsicher knetete er ihn in seinen Händen. „Was willst du denn hier?“, fuhr ihn der Koch auch sofort an. „Der Graf schickt mich. Die Mühle ist fertig und das Dorf feiert. Der Graf ist vorhin angekommen. Das Wetter ist schön und er hat beschlossen, dass er für das Fest dableibt“, begann er unsicher. Es schepperte laut. Die Magd schrie leise auf, der Koch schaute sich wütend um und Sam zuckte zusammen. „Er will im Dorf bleiben?“, tobte der Koch und gab dem Küchenjungen, der gerade einen Topf hatte fallen lassen, eine Ohrfeige. „Ja Herr, so hat er es mir aufgetragen Euch zu sagen.“ „Und mein Braten? Wir stehen hier den ganzen Tag in der Küche, nur damit wir das Essen an die Hunde oder noch schlimmer, solche Landstreicher wie dich verfüttern?“ Die Fäuste wütend in die Hüften gestellt baute sich der Koch vor Sam auf. Der zog den Kopf noch etwas weiter zwischen die Schultern, knetete weiter auf dem Hut herum und starrte zu Boden. „Jetzt sag nicht, dass er genau das will?“ „Nicht … nicht direkt“, stotterte Sam leise. „Was dann? Und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“ „Er hat befohlen dass Ihr für ein Picknick packen sollt. Den Braten dazu und dann sollt Ihr alles zum Dorffest bringen, Herr.“ „Das darf doch nicht!“, wütete der Koch noch eine Weile in der Küche. Sam hatte, wie er meinte dass es sich für einen guten Leibeigenen gehörte, den Kopf eingezogen und war nach draußen verschwunden. Jetzt trat er da von einem Bein auf das andere, immer in der Angst doch noch enttarnt zu werden. „Hey, Bursche“, hörte er den Koch plötzlich rufen und trat schnell wieder in die Küche. „Ja Herr?“ „Geh zurück und berichte dem Grafen dass wir das Essen fertig machen und ins Dorf schicken.“ „Ja Herr“, entgegnete Sam, verbeugte sich tief und beeilte sich, aus dem Schloss zu kommen. Wenn das klappte, dann musste er sich nur noch überlegen, wie er an das Betttuch und den Ring der Gräfin kommen konnte. Wenn er doch nur das Märchen gelesen hätte! Kapitel 103: Die 3. Aufgabe --------------------------- @ Vanilein - Ein wenig wirst Du mit Deiner Hoffnung wohl noch warten müssen. Sam gibt sich ja alle Mühe, aber so schnell geht es leider auch nicht. So, ab heute gibt es nur noch ein Kapi pro Woche. Mein Vorrat ist leider aufgebraucht und meine Muse nicht schnell genug ... ;-)) LG Kalea 103) Die 3. Aufgabe Aber vielleicht half es ja, wenn er versuchte sich an die Bräuche der Zeit zu erinnern. Also was wusste er? Es gab unzählige Bräuche zu Hochzeiten, Geburten, Todesfeiern … Hochzeiten fielen schon mal aus. Da würde er nie an das Betttuch der Gräfin kommen. Dazu müsste er sie wohl selbst heiraten. Er schnaubte. Nee. Soweit wollte er dann doch nicht gehen, zumal die Fee Dean so viel Zeit wohl nicht mehr geben würde. Geburten? Das würde noch länger dauern und er kannte hier niemanden, den er um ein Baby bitten könnte. Nein, auch die fielen flach. Aber wie war es mit Todesfällen? Die Toten wurden in Tücher geschlagen und verbrannt oder in Särgen gelegt. Außerdem gab man ihnen oft etwas mit, um den Fährmann zu bezahlen. Münzen, Schmuck. Noch immer vor sich hin grübelnd erstieg er den Hügel, der zwischen Dorf und Schloss lag. Er schaute sich um. An der Nordseite stand ein Galgen, an dem ein armer Sünder hing. Eine Leiche. Ein Körper, der in ein Betttuch eingeschlagen werden konnte. Ein Körper, der ihm helfen würde, Dean zu retten! Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Konnte er ihn wirklich ...? Andererseits hatten sie schon so viele Leichen ausgegraben und verbrannt, um böse Geister zu bannen und die wenigsten sahen noch so gut aus. Warum also nicht? Heute Nacht würde er sich den armen Teufel holen und dann die letzte Aufgabe hinter sich bringen. Danach musste er nur noch rausfinden, wozu die drei Schlüssel waren und Dean befreien. Sie mussten endlich aus diesem Leben raus. So ging das einfach nicht weiter. Er wollte nicht, dass einer von ihnen starb. Sie hatten schon genug Opfer gebracht. Irgendwann war es einfach genug! Hauptsache ihre Feinde ließen sie auch in Ruhe. Doch darüber wollte er sich Gedanken machen, wenn es soweit war. „War wohl nichts mit den Braten des Grafen?“, lästerte Paul, kaum dass er Sam kommen sah. „Dann bekomme ich morgen Hilfe. Das ist mehr als gut!“, freute sich auch sein Freund. „Wartet es doch erst mal ab“, entgegnete Sam und zog den Burschen hinter einen Schuppen. Schnell tauschten sie ihre Kleidung und gingen zurück zum Fest. Die jungen Burschen waren sofort mit dem Rest der Dorfjugend auf der Tanzfläche verschwunden. Sam setzte sich an einen Zaun gelehnt ins Gras und schaute den Dorfbewohnern zu. Im Moment konnte er nichts tun außer warten. Wie sehr er das doch inzwischen hasste. „Liebe Freunde. Ich möchte euch für die Unterstützung beim Bau der Mühle und die vielen lieben Wünsche zu unserer bevorstehenden Hochzeit danken und erkläre hiermit die …“, begann der Bräutigam eine kleine Rede und unterbrach sich fast sofort wieder. Irritiert schaute er zu dem kleinen Tross, der auf den Dorfplatz gerumpelt kam. „Der gnädige Herr hat mich gebeten sein Abendmahl hierher zu bringen, da er sich entschlossen hat, erst in der Nacht wieder ins Schloss zurückzukehren und das Essen schon auf dem Herd stand“, erklärte der Koch und wies auf die Wagen. Die Burschen des Dorfes johlten und begannen sofort die Wagen zu entladen. Die Tafel bog sich unter all den leckeren Speisen, während die Älteren das Treiben staunend verfolgten. „Und das soll wirklich für uns sein?“, fragte der Bräutigam noch einmal ungläubig. „So ließ es der Graf ausrichten“, bestätigte der Koch. „Dann möchten wir euch ebenfalls zu unserer Tafel bitten“, wandte er sich an die Dienerschaft und den Koch. „Setzt euch zu uns und lasst es euch schmecken.“ Sam lächelte. So kamen der Koch und sein Küchenpersonal auch noch zu einem leckeren Essen. Er erhob sich und wollte sich auch einen Teller holen, als er das leise Klingeln neben seinem Fuß hörte. Dieses Mal wusste er sofort, was es war und er hatte es ungeduldig erwartet. Schnell steckte er sich den kleinen Schlüssel in die Tasche. Jetzt konnte darauf warten, dass alle in ihren Betten lagen und schliefen, denn natürlich würde der Graf Wachen aufstellen. Solange es hell war, würde er Betttuch und Ring auf keinen Fall stehlen können. Der Braten war wirklich lecker und er bedauerte, dass sein Bruder nicht hier war. Dean hätte an dem Essen sicher auch seinem Spaß. ~"~ Vollkommen unerwartete fühlte sich Dean nach einem weiteren Essen wirklich richtig satt, auch wenn ihm der Geschmack von Früchtebrot zum Hals raushing. Leider gab es hier nichts anderes und so musste er wohl oder übel damit leben. Noch ein oder zwei Mal essen, dann hoffte er wieder genug Kraft zu haben, um sich der Spalte widmen zu können, an der er am Anfang gearbeitet hatte. Die Stelle schien ihm die vielversprechendste oder warum war gerade da diese Fee aufgetaucht? Wäre doch gelacht, wenn er sie nicht verbreitern könnte. Irgendwie musste er es doch hier raus schaffen! Doch auch wenn er sich noch nicht wieder kräftig genug für diese Arbeit fühlte, beginnen wollte er trotzdem. Er hatte lange genug hier nur rumgesessen! Dean atmete tief durch, nahm alle Kraft zusammen und wickelte sich die Stoffstreifen fester um seine Hände. Er war sich fast sicher dass es sinnlos war, aber alles war besser als auf dem Felsen zu liegen und darauf zu warten müssen, dass Sam ihn hier rausholen würde. Er griff nach dem Stein und schlug zu. Der Schlag vibrierte durch den Körper und er stöhnte. Seine Hände schmerzten aber es war egal. Wieder und wieder schlug er gegen den Rand der Spalte. Jeder Schlag fraß ein bisschen von seiner noch immer kaum vorhandenen Kraft und doch machte er weiter, bis ihm der Stein einfach aus den Fingern fiel. Er konnte nicht mehr. Alles tat ihm weh. Resigniert ließ er sich auf die Knie fallen und stöhnte bei dem Aufprall. Für den Moment gab er sich geschlagen, doch wenn er ausgeruht war und genug gegessen hatte, würde er weiter machen. ~"~ „Jetzt bleibt ihm nur noch dein Betttuch und den Ehering zu stehlen. Ich bitte dich, Frau, pass gut darauf auf“, sagte der Graf. Sie waren gerade erst von ihrer Ausfahrt wiedergekommen und hatten die Küche leer vorgefunden. Seufzend hatte er einem Diener befohlen ihnen etwas zu essen zu machen und sich danach mit seiner Gemahlin in ihre Räume zurückgezogen. Er war wütend gewesen, und doch musste er den Dieb auch bewundern. Er nutzte alle Gelegenheiten und stellte sich alles andere als dumm an. An der letzten Aufgabe würde er jedoch scheitern! Dafür wollte er sorgen. „Und was tust du?“, fragte die Gräfin erneut und blickte ihren Mann besorgt an. „Ich werde Wache halten. Alle Türen sind verschlossen und verriegelt. Ich habe das Fenster im Nebenzimmer geöffnet und werde mit der Pistole davor sitzen und ihn erwarten!“ „Ich bitte dich, sei vorsichtig!“, flüsterte sie besorgt. „Nur keine Angst meine Liebe. Ich werde diese Tür angelehnt lassen, so kann ich nach dir schauen und du mich jeder Zeit rufen, wenn er allen Unwägbarkeiten zum Trotz, bei dir auftauchen sollte.“ Sam ging nach dem Fest zum Schloss und schaute hatte sich vorsichtig um. ‚Merkwürdig’, dachte er. ‚Es ist nur noch eine Aufgabe zu erledigen. Der Graf müsste mich erwarten, aber ich sehe hier keine Wachen. Sein Pferd hat er mit der ganzen Mannschaft bewachen lassen und jetzt ist hier niemand? Das riecht nach einer Falle.’ Er zog sich in die Schatten zurück. Fieberhaft überlegte er, wie er an das Betttuch und den Ring kommen konnte. Noch einmal schaute er über den Hof zum Schloss. Der Mond spiegelte sich in einer einzigen Fensterscheibe. Der Graf erwartete ihn wohl höchstpersönlich und bestimmt nicht, um ihm das Geforderte zu überreichen. Ihm fiel der arme Kerl am Galgen wieder ein. Der kam ihm jetzt gerade recht. Sam ging zum Galgenberg und schnitt den Toten ab. Wie ein nasser Sack fiel der Körper zu Boden. Er musste schlucken. Der Mann roch schon ziemlich streng. Egal! Für seine Zwecke würde es reichen müssen. In ein Tuch gewickelt schleppte er ihn zum Schloss. Dort angekommen legte er den Toten hinter dem Stall an die Mauer, schlich um den Stall herum und schaute sich erneut um. Es hatte sich nichts geändert. Der Mond stand halb am Himmel. Brunnen und Sträucher warfen gespenstische Schatten. Sanft strich der Wind durch die Blätter und ließ diese Schatten tanzen. Sonst jedoch bewegte sich nichts. Keine Wachen! Nur das offene Fenster, hinter dem ihn vermutlich der Graf oder seine Wachen erwarteten. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, während er zu dem Toten zurück ging und ihn sich auf den Rücken lud. Vorsichtig schlich er zum Schloss. Neben der Mauer lag eine Leiter, die er mitnahm und alles unter das Schlafgemach des Grafen schleppte. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er einzeln hätte gehen können, doch er wollte es nicht riskieren, dass ihn jetzt noch jemand erwischte. Er stellte die Leiter an die Mauer unter das geöffnete Fenster, setzte sich den Toten auf die Schultern und stieg die Leiter hoch. Das war eklig! So dicht neben seiner Nase roch der Kerl noch widerlicher! Er würde eine heiße Dusche brauchen, um diesen Geruch und den Ekel wieder loszuwerden. Eine Stunde heiß duschen, mindestens! Sam konnte gerade noch verhindern, dass er sich schüttelte vor Ekel. Langsam kletterte er weiter. Als er soweit nach oben gekommen war, dass der Kopf des armen Sünders im Fenster erschien, drückte der Graf, der es sich auf einem Stuhl neben der Tür so bequem wie möglich gemacht hatte, ab. Der Schuss hallte so laut durch die Nacht, dass die Gräfin aus dem Schlaf aufschreckte und schrie. Sam hatte den Toten fallen lassen, war so schnell wie nur möglich von der Leiter geklettert und hatte sich hinter einem Mauervorsprung versteckt. Mit klopfendem Herzen hoffte er darauf, dass der Graf nachschauen kam, ob es auch wirklich der erwartete Dieb war und ob er ihn richtig erwischt hatte. Lange musste er nicht warten. Der Graf kletterte gleich aus dem Fenster und die Leiter herunter. Ohne zu überprüfen wer es war, packte er den Toten bei den Füßen und zerrte ihn in den Garten. Dort griff er sich eine Schaufel, die neben Hacke und Spaten an der Wand lehnte und begann ein Loch zu graben. Sam grinste breit. Damit hatte er nicht gerechnet. Das lief ja noch viel besser als gehofft! Er ging zu der Leiter zurück und kletterte wieder nach oben. „Hallo Frau“, rief er leise mit verstellter Stimme. „Der Dieb ist tot. Ich habe bewiesen, dass er eben doch kein Meister war. Aber er hat mich auch erheitert und beeindruckt. Ich will ihn nicht einfach so liegen lassen. Ich will ihn wie einen Hund im Garten verscharren. Ich brauche etwas, worin ich seine Leiche einwickeln kann. Gib mir das Betttuch, damit ich nicht durch das ganze Haus laufen muss.“ Die Gräfin nickte nur und machte sich sofort daran, das Laken vom Bett zu ziehen. Sie brauchte nicht lange, bis sie Sam das Laken durch das Fenster hinausreichte. „Kannst du mir deinen Ring geben? Er ist auch deswegen gestorben und ich denke, er sollte ihn mitnehmen.“ „Aber du hast gesagt, dass ich ihn auf keinen Fall vom Finger nehmen soll.“ „Das habe ich“, flüsterte Sam eindringlich. „Aber wenn letzten Endes doch einer nach ihm fragen sollte, dann können wir sagen, dass er uns bestohlen und sich mit dem Diebesgut aus dem Staub gemacht hat. Den Ring können wir später, wenn sich die Aufregung gelegt hat, wieder ausgraben.“ „Du bist wirklich klug“, wisperte sie beeindruckt und zog den Ring vom Finger. Sie reichte ihn ihm hinaus und Sam kletterte grinsend nach unten. Kaum hatte er den Boden berührt, als er das erhoffte leise Klingeln hörte. Er hob den kleinen Schlüssel auf, schob den Ring über eine Ecke des Lakens, hängte beides über die Leiter und schaute sich um. Der Graf buddelte noch im Garten. Dem sollte er besser nicht unter die Augen treten. Aber wo war jetzt Dean? Und warum war er noch hier? Diese flatterhafte Fee hatte doch gesagt, dass sie frei sein würden, wenn er die Aufgaben erfüllte, oder? ~"~ Dean erwachte mit einem leisen Stöhnen. Sein ganzer Körper schmerzte. Er hatte sich beim Schlafen wohl den Nacken verdreht. Seine Hände pochten unaufhörlich, und er war fest davon überzeugt, dass es solange er dieses Mal wach war, von Tag wollte er nicht sprechen, auch nicht besser werden würde, denn er wollte nicht aufgeben, die Wand solange zu bearbeiten, bis er hier raus war. Doch für einen Augenblick konnte er still liegen bleiben. Jetzt wo das Essen halbwegs ausreichte, war ein Entkommen nicht mehr so überlebenswichtig. Er schnaufte ungehalten. Vor Kurzem hätte er nicht mal die Kraft gehabt, diese verfluchte Mauer zu bearbeiten! Sein Entkommen war mehr als überlebenswichtig! Wer wusste schon, wie lange sich das Brot vermehrte? Was wenn es morgen aufhörte? Daran, was die sogenannte Fee ihm erzählt hatte, wollte er nicht glauben. Wenn Sam ihn wirklich hätte retten können, er würde hier nicht mehr sitzen! Nein! Dieses Flatterding hatte Sam mit Sicherheit genauso eingesperrt und machte sich jetzt einen Spaß daraus, dass sie aufeinander hofften! Das konnte sie vergessen! Die Maus kam schnuppernd näher. Vorsichtig schob ihr der Winchester ein paar Krümel von der Platte und wartete gespannt, was passieren würde. Die Maus erstarrte. Sie duckte sich und wartete, ihren Blick unverwandt auf die riesige Hand gerichtet, die neben den Krümeln zur Ruhe gekommen war. Wieder und wieder richtete sich die Maus auf, beugte sich weit nach vorn und zog sich wieder etwas zurück. Doch das Brot duftete viel zu verlockend. Vorsichtig tippelte sie ein paar Schritte auf die Krümel zu, wich wieder zurück und tippelte noch näher. Sie schnupperte kurz an der Hand, griff sich dann einen Krümel und flitzte außer Reichweite, wo sie ihn in Ruhe verspeiste. Kaum war das Brot verschwunden, machte sie sich auf einen weiteren Beutezug. Wieder brauchte sie mehrere Versuche, bis sie sich an einen großen Krümel wagte und auch den verputzte. Erst als Dean sich bewegte, weil er es nicht mehr aushielt, wie sich ein Stein in seine Schulter bohrte, suchte sie das Weite. Kapitel 104: Immer mehr Fragen ------------------------------ @ Vanilein - Hast Recht - Sam sollte sich wirklich beeilen. Langsam wird es wirklich knapp. LG Kalea 104) Immer mehr Fragen Unsicher schaute Sam sich um. Wo war sein Bruder? Diese verdammte Fee hatte doch gesagt, dass er, wenn er die drei Aufgaben erfüllte, seinen Bruder wiederbekam! Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten. Tränen bildeten sich in seinen Augen. Er hatte sich mal wieder verarschen lassen. Aus dem Augenwinkel sah er Licht, dass eben noch nicht dagewesen war. Sofort drehte er sich um. Der Brunnenschacht schien wie von innen heraus zu leuchten, aber kaum dass er sich dem Brunnen zuwandte, erlosch das Licht. Hatte er es wirklich gesehen? Sollte er jetzt Alice spielen? Folge dem gelben Backsteinweg? Nur das sein Weg ein Brunnen war. Oder war er jetzt in Frau Holle gebeamt worden? Sein Arm schmerzte leicht. Unbewusst rieb er sich über die Stelle. Er ging zu dem Brunnen, stütze sich auf dem Rand ab und starrte in die schwarze Tiefe. Unter seinen Händen fühlte er ein leichtes Vibrieren. Ganz tief unten im Schacht konnte er einen matten Lichtschein sehen, der sich langsam zu erweitern schien. Musste er da hinein um Dean zu finden? Musste er noch ein Märchen spielen? Hatte diese Fee überhaupt vor, ihn je aus ihren Fängen zu entlassen? Und wenn er einfach nicht mehr mitspielte? Vielleicht hätte er schon viel früher streiken sollen? Hinter sich hörte er ein paar Knechte rufen. Viel Zeit zum Überlegen blieb ihm nicht! Die Knechte hatten ihn fast erreicht. Ohne weiter nachzudenken schwang er die Beine über den Brunnenschacht, drückte sich kurz ab und ließ sich in die Tiefe fallen. Die Knechte versuchten noch ihn zu halten, doch sie griffen ins Leere. ~“~ Die Tage waren vergangen und Dean hatte sich eingeredet, dass der Spalt breiter wurde. Er musste es einfach, denn wenn sich seine Befürchtungen bewahrheiteten, lief ihm die Zeit weg. Das Brot vermehrte sich nicht nur, wie er immer angenommen hatte, es verdoppelte sich und das in immer kürzerer Zeit. Es würde nicht mehr sehr lange dauern, bis die ganze Höhle ausgefüllt wäre und dann hätten er und die Maus sehr schlechte Karten. Die Maus. Inzwischen war sie handzahm, kam angeflitzt, wenn er sich neben der Steinplatte niederließ und wartete darauf, dass er ihr ein paar Krümel oder Fruchtstücke reichte. Sie hatte sich sogar schon zweimal in seine Hand gesetzt und gefressen. Seine Arme brannten und seine Hände waren eigentlich nur noch schmerzhaft pochende Klumpen. Die Lappen, die er sich darum gewickelt hatte, konnte er selbst als solche nicht mehr erkennen. Es waren blutdurchtränkte, braune Fetzen, die seine Hände nur noch unzureichend schützten. Er ließ den Stein sinken und schaute sich um. Das Brot war schon ein ganzes Stück aus seiner Schlafnische herausgewachsen, in die er es in einem Anfall von Wut und Hilflosigkeit hineingeworfen und alle Steine davor gestapelt hatte, die er finden konnte. Für eine Weile schien es zu funktionieren, dann waren seine Steinberge laut polternd umgekippt und er um eine Illusion ärmer. Neben dem Riss waren einige stabil aussehende Tropfsteine, hinter denen er sich vor dieser unaufhörlich wachsenden Masse verkriechen konnte. Vielleicht würde er so ein paar Minuten länger überleben. Aber selbst dann machte er sich keine großen Hoffnungen. Wenn das Zeug ihn einmal erwischt hatte, wäre das sein Ende. Das Brot war viel zu kompakt um darin atmen zu können. Er konnte nur hoffen, dass es schnell gehen würde. ~“~ Der Aufprall auf dem Wasser vibrierte durch seinen Körper. Eisige Kälte fraß sich in Sekundenschnelle durch seine Muskeln. Er musste sich zwingen nicht erschrocken nach Luft zu schnappen. Der Schwung seines Sprunges trieb ihn immer tiefer. Plötzlich fraß sich ein heißer Schmerz durch seinen Arm und lähmte seinen Körper. Erschrocken schrie er auf und konnte sich gerade noch so davon abhalten, tief einzuatmen. Sein Arm schien in Flammen zu stehen. Vielleicht war es nur dem lähmenden Schmerz zu verdanken, dass er den Boden des Brunnens erreichte. Das Licht schien von einem Durchgang zu kommen und er zwang sich mit all seiner Willenskraft, darauf zu zu schwimmen. Seine Lunge brannte und vor seinen Augen tanzten bunte Punkte. Mit einer letzten Kraftanstrengung durchbrach er die Wasseroberfläche. Keuchend schnappte er nach Luft. Er kämpfte sich an den Rand des Beckens und stemmte sich aufs Trockene. Zitternd und um Luft ringend lag er einfach nur da und wartete darauf, dass sich seine Atmung normalisierte, die bunten Punkte vor seinen Augen verschwanden und sein Arm etwas weniger schmerzte. Letztendlich musste er die Zähne zusammenbeißen, um sich überhaupt in die Höhe stemmen zu können. Schwankend stand er da und presste seinen Arm gegen den Bauch. Das Wasser lief ihm aus seinen Haaren in die Augen. Er strich sie sich aus dem Gesicht und versuchte wenigstens etwas Nässe aus seiner Kleidung zu bekommen. Ein eher aussichtsloses Unterfangen. Frierend schlang er seine Arme um seinen Körper und schaute sich um. Er stand in einer Höhle, von der außer dem Becken drei Gänge abgingen. Zumindest nahm er an, dass die beiden schwarzen Löcher auch Gänge waren. Der Einzige, von dem er das wirklich sagen konnte, war mit Fackeln hell erleuchtet. Sollte es wirklich so einfach sein, einen Weg zu Dean zu finden? Der Jäger in ihm stimmte seinem Misstrauen zu und dafür, die schwarzen Löcher zu untersuchen. Der Bruder jedoch widersprach dem entschieden. Zwar hatte der Schmerz in seinem Arm ein wenig abgenommen, doch er war ununterbrochen präsent und selbst in dem flackernden Licht der vielleicht fünf Meter entfernen Fackel sah er, dass das Mal stark verblasst war. Konnte er es wagen, sich auf diese sogenannte Fee zu verlassen? „Verdammt!“, fluchte er laut. Dean würde wissen, was zu tun war. Warum hatte er nicht auch so ein Radar? So sehr es ihn früher immer genervt hatte wenn Dean ihn ständig fand, so sehr vermisste er es jetzt das auch zu können. Okay, er würde jedes der schwarzen Löcher kurz untersuchen und dann dem beleuchteten Gang folgen. Mit einem Nicken bestätigte er sich diesen Entschluss. ~“~ Das Brot hatte die Höhle fast vollständig ausgefüllt. Noch blieb ein schmaler Gang am Rand und Dean überlegte, wie lange es wohl noch dauerte, bis das Brot ihn erstickt haben würde. Lohnte es noch, etwas trinken zu gehen? Aber warum sollte er durstig auf seinen Tod warten? Er beeilte sich zu dem Rinnsal zu kommen. Ein letztes Mal trank er das schweflig riechende, nach Kupfer schmeckende Wasser. Er schluckte so viel wie er nur konnte. Wer wusste schon, wie lange es noch dauern würde. Immerhin konnten ihm die Tropfsteinsäulen ein wenig Schutz bieten. Auf dem Rückweg dahin sah er die kleine Maus ratlos hin und her laufen. Immer wieder schnupperte sie an dem Früchtebrot und versuchte sich einen Weg hinein zu graben. Aber auch ihre Zähne kamen gegen das harte, zähe Zeug nicht an. „Na komm, wir suchen uns einen sichereren Platz, auch wenn wir dadurch unser Leben wohl nur kurz verlängern“, sagte Dean und bückte sich, um die Maus zu fangen. Sie piepste kurz und rannte dann regelrecht auf seine Hand. Er hob sie hoch, strich ihr vorsichtig über den Rücken und beeilte sich zu der Nische zu kommen. An einigen Stellen musste er sich schon seitlich zwischen dem Brot und der Wand hindurch schieben. Resigniert ließ er sich auf den Boden hinter den Tropfsteinen sinken Es gab einfach keinen Ausweg mehr. Er konnte weder sich noch die Maus retten. Aber was war mit Sam? Tiefe Traurigkeit erfasste ihn. Sie hatten doch aussteigen wollen! Dass er jetzt so sterben würde, war ungerecht! Wie war er überhaupt hierhergekommen? Wen hatte er verärgert, um so bestraft zu werden? Er gab auf. Es gab nichts mehr, was er tun konnte, um sein Ende abzuwenden. Mehr essen konnte er nicht. Jeder Bissen würde seinen ohnehin schon überfüllten Magen nur zum Erbrechen reizen und den Spalt hatte er auch nicht zu einem Ausgang öffnen können. Wenn Sam hier wäre. Für ihn würde er sich zusammenreißen. Aber so. Er holte die Maus aus der Tasche und ließ sie zwischen seinen Füßen auf den Boden. Unruhig lief sie hin und her. „Tut mir leid“, flüsterte Dean. Er zog die Beine an, legte die Arme um die Knie und seinen Kopf drauf. Sollte ihn das Brot doch ersticken. ~“~ Sam nahm sich eine Fackel und ging in den ersten Gang hinein. ‚Fünf Schritte!’, schwor er sich. Er brauchte keine fünf Schritte. Er sah schon, als er die Fackel hineinhielt, dass das eher eine Nische als ein Gang war. Dafür ging er in den zweiten Gang weiter hinein als er sich vorgenommen hatte, aber schon innerhalb dieser paar Meter fand er vier Abzweigungen. Nein! Hier würde er ewig suchen, zumal er nichts hatte, um die Gänge zu markieren. Er würde jetzt den Lichtern folgen und sollte ihn das nicht weiter bringen, konnte er sein Glück noch einmal hier versuchen. Doch obwohl er sich entschieden hatte, blieb ein ungutes Gefühl. Er schaute noch einmal auf das Mal. Es war kaum noch zu sehen. Sam schluckte seine Unsicherheit herunter und betrat den erleuchteten Gang. Langsam, sich immer wieder umschauend lief er ihn entlang. Vor ihm flammten immer mehr Fackeln auf und hinter ihm erloschen genauso viele. Er wollte schon fast wieder umkehren, als er in einer Nische drei reich verzierte Kästchen stehen sah. Unweigerlich schob er seine Hand in die Innentasche seiner Jacke und tastete nach den Schlüsseln. Ob die passten? Er holte sie aus der Tasche und betrachtete sie. Warum nicht? Wofür sollte er die sonst bekommen haben? Aber wozu brauchte er etwas, das in solchen Kästchen war? Mit angehaltenem Atem probierte er einen Schlüssel. Schon im zweiten Kästchen passte er. Sam drehte ihn und der Deckel sprang auf. Auf rotem Samt lag eine Pfeife. Was sollte er denn damit? Aber er hatte einen Schlüssel bekommen, der zu diesem Kästchen passte. Diese Pfeife musste also eine Bedeutung haben! Er nahm sie heraus und schob sie in seine Jackentasche. Schnell hatte er auch die anderen Kästchen geöffnet. Aus ihren Inhalten wurde er jedoch auch nicht schlau. Im ersten Kästchen lag auf blauem Samt ein großer Knochen und das dritte Kästchen enthielt eine Fiedel auf weißem Samt. Er schüttelte den Kopf und steckte den Knochen ebenfalls in die Tasche. Die Fiedel verstaute er unter seiner Jacke. Hoffentlich konnte die die Feuchtigkeit haben. Wozu er das Ganze brauchen könnte, hatte sich ihm noch immer nicht erschlossen. Gehörte das auch noch zu dem Märchen? Vielleicht sollte er mal wieder einige Märchen lesen? Er verzog das Gesicht. Später, wenn überhaupt. Hinter ihm war es inzwischen so dunkel geworden, dass es ihm auffiel. Er drehte sich in die Richtung, aus der er gekommen war und sah, dass eine Fackel nach der anderen erloschen war. Fast so, als wollte ihn das Licht in eine Richtung drängen. Noch einmal blickte er in die Richtung aus der er gekommen war und machte sich dann, mit einem mehr als schlechten Gefühl im Bauch, wieder auf den Weg. Er hasste es zu etwas gedrängt zu werden und musste sich regelrecht zwingen, nicht wieder umzukehren. Je länger er lief, umso stärker wurden seine Zweifel. Konnte er hier überhaupt richtig sein? Wo führte dieser Gang hin? Er lief jetzt schon so lange, er musste doch schon mindestens im Nachbarkönigreich sein! Wenn es denn so was hier überhaupt gab. Noch immer flammten die Fackeln kurz vor ihm auf und verloschen hinter ihm, inzwischen kaum dass er vorbeigegangen war. Der Boden wurde immer unebener. Überall tropfte Wasser von den Wänden. Es roch moderig und er war schon mehrfach ausgerutscht. Wo sollte das noch hinführen? Gerade als er sich entschlossen hatte umzukehren, hörte er vor sich ein metallisches Klappern und ein Geräusch, das wie ein Husten klang. Das Husten eines Riesen. Hatte er nur so lange laufen müssen, weil er das Ganze nicht eher in Frage gestellt hatte? So langsam befürchtete er paranoid zu werden! Leise schlich er weiter. Doch das war eigentlich sinnlos, da noch immer Fackeln vor ihm den Gang erleuchteten. Wenig später erweiterte sich dieser Gang zu einer großen Höhle. An allen Wänden brannten Fackeln. Überall wuchsen Flechten und Moose und der Boden sah an vielen Stellen glitschig aus. Doch das, was ihm den Atem nahm, war ein riesiger dreiköpfiger Hund, den einen dicken Stahlkette an eine Wand hielt. Bei Sams Anblick hatte sich das Vieh erhoben und zerrte jetzt wie wild an der Kette. Immer wieder wurde er zurückgerissen. Hoffentlich hielt die Kette! Hinter dem Hund ging ein von Fackeln erleuchteter Gang weiter. Sam stöhnte. Musste er an dem Vieh vorbei? Er schaute sich um und konnte keinen anderen Ausweg erkennen. Außer natürlich dem Gang, durch den er gekommen war. Seine Gedanken rasten. Drei Schlüssel, drei Kästchen, drei Köpfe. Er holte den Knochen aus der Tasche und warf ihn dem Hund zu. Der mittlere Kopf ruckte hoch und fing ihn auf. Er beugte sich nach unten, um ihn in Ruhe fressen zu können. Sofort beugte sich der linke Kopf heran und schloss sein Maul ebenfalls um den Knochen. Wütend knurrend zerrten sie daran, während der rechte Kopf nun ebenfalls versuchte an die Leckerei zu kommen. Okay, das hatte nicht die erhoffte Wirkung. Er holte die Pfeife aus der Tasche und blies hinein. Augenblicklich spitzte der mittlere Kopf die Ohren und ließ von dem Knochen ab. Hechelnd richtete er sich auf und fixierte Sam mit seinen großen Augen, während der linke weiter an dem Knochen kaute. Jetzt witterte der Rechte seine Chance und schnappte immer wieder nach dem Knochen, der wütend knurrend von seinem Besitzer verteidigt wurde. So würde er hier keine Ruhe rein bekommen und schon gar nicht das Vieh so beschäftigen, dass er ungehindert zu dem Gang kam. Sam seufzte leise. Kapitel 105: Gerettet? ---------------------- @ Vanilein - Die Hoffnungen ruhen hier wirklich auf Sam. Er muss sich was einfallen lassen! Vielen Dank für Deinen Kommi. LG Kalea 105) Gerettet? Der Früchtekuchen drückte mit aller Macht gegen die Tropfsteine, die Dean und die Maus schützten. Sie knackten und knirschten und dann gab der erste dem enormen Druck nach und brach. Auch die zwei noch verbliebenen würden nicht mehr lange halten. Dean atmete noch einmal durch. Ein paar Minuten noch. Vielleicht hörte das ja auf, wenn er nicht mehr lebte? Dann hätte wenigstens die Maus eine kleine Chance zu überleben. Leid tat es ihm wieder einmal nur, dass er sich weder von Sam noch von Bobby verabschieden konnte und dass er das normale Leben nun doch nicht mehr kennenlernen würde. Wieder krachte es und von einem weiteren Tropfstein platzte ein Stück ab und prallte wenige Zentimeter neben ihm gegen die Wand. Er zog den Kopf noch weiter zwischen die Beine. ‚Eigentlich auch Quatsch’, überlegte er. ‚Erschlagen werden dauert bestimmt nicht so lange wie zerquetscht werden.’ Er richtete sich kerzengerade auf, lehnte den Kopf an die Wand in seinem Rücken und schloss die Augen. Er fühlte, wie die Maus an seinem Bein hinaufkletterte und unter seiner Jacke verschwand. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Friedliche Ruhe breitete sich in ihm aus. ~“~ Sam schrie gepeinigt auf. In seinem Arm pulsierte der Schmerz, so als würde Salzsäure durch seine Adern fließen. Schweiß trat ihm aus allen Poren. Er zitterte und konnte kaum denken. Er musste unbedingt zu Dean! Sofort! „Konzentriere dich, Sam! Konzentriere dich!“, knirschte er und presste seine Hand auf den Arm. Der Schmerz schien etwas abzuebben. ‚Okay, noch mal von vorn! Drei Schlüssel, drei Truhen und ein dreiköpfiger Hund. Das heiß also, dass jedes Ding aus den Truhen für einen Kopf eine Bedeutung haben musste. Der Knochen und die Pfeife hatten sich schon bewehrt. Blieb noch die Fiedel. Er holte sie aus seiner Jacke. „Da dann viel Spaß“, resignierte er. Er hatte noch nie ein Instrument spielen können. Sam legte die Fiedel auf seinen schmerzenden Arm, umfasste den Hals mit der Rechten und begann mit dem Bogen über die Saiten zu streichen. Das Kreischen ging ihm durch alle Knochen. Doch als wüsste das Instrument genau wozu es da war, bewegte sich der Bogen wie von selbst und eine leise Melodie erklang. Der Knochen entglitt den mahlenden Kiefern des linken Kopfes. Endlich erreichte der Rechte den Knochen und gab ein zufriedenes Schnaufen von sich. Aus der Kehle des linken Kopfes entrang sich ein leises Winseln und die Augenlider senkten sich. Sam legte die Fiedel weg und blies noch einmal in die Pfeife. Erneut spitzte der mittlere Kopf die Ohren und schauten ihn mit heraushängenden Zunge an. „Bleib“, sagte Sam und kam sich dabei etwas blöd vor. So schnell er konnte, ohne dass es jedoch zu sehr nach Flucht aussah, lief er an dem Hund vorbei und hetzte den Gang entlang. Fast hätte er die Nische übersehen, in der, von zwei Fackeln erleuchtet, ein goldener Schlüssel hing. Es war ihm egal, ob er eine Bedeutung hatte, und wenn, wozu er war. Hektisch riss er ihn vom Haken und rannte weiter. Schon wenige Meter weiter wurde der Gang von einer Wand versperrt. „Nein!“, schrie er und brach in die Knie. Es war alles umsonst gewesen! Diese Fee oder was immer sie war hatte ihn also doch verarscht. „Dean“, schrie er vollkommen verzweifelt. „Reiß dich zusammen, Sam!“, versuchte er sich selbst zurechtzuweisen. Er stemmte sich in die Höhe und wischte die Tränen weg, die sich in seinen Augen gebildet hatte. Er hatte doch einen Schlüssel gefunden. Dazu musste es ein Schloss geben. Nur wo? In einem der anderen Gänge? Hatte er die Zeit danach zu suchen? Seinen Arm fühlte er kaum noch, aber das einzig Gute daran war, dass er wieder etwas klarer denken konnte. Er musste sich beeilen! Hastig riss er eine Fackel aus ihrer Halterung und untersuchte die Wand, vielleicht war das Schloss ja doch hier. Und dieses eine Mal glaubte er wirklich an Glück. Kaum fiel das Licht der Fackel darauf, erstrahlte das Schloss in hellem Glanz. Er rammte den Schlüssel hinein. Ohne dass er ihn drehen musste, begann es in der Wand zu knirschen. Es rumpelte und schabte und dann sah Sam wie die Wand vor ihm langsam zur Seite glitt. Kaum war der Spalt halbwegs breit genug für ihn, drängte er sich hindurch und prallte gegen eine dunkle, zähe und klebrige Masse. Was war das denn? Schnuppernd hob er die Nase. Es roch nach Weihnachten! Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wieso? Was war hier los? Er hatte doch alles richtig gemacht, oder? Er hatte die Aufgaben erfüllt, die Schlüssel bekommen und jetzt stand er hier vor diesem Zeug. Schon wieder wollte sich Panik in ihm breit machen. Tränen drängten sich in seine Augen. „Dean“, brüllte er verzweifelt. Noch immer kratschte und knirschte der Felsen. Das metallische Klirren, mit dem sich die Kette, die den dreiköpfigen Hund hielt, löste ging darin fast unter. Plötzlich sah Sam aus den Augenwinkeln, wie der Hund auf ihn zugerast kam. Er drückte sich gegen die Felswand und hielt die Luft an. Gegen dieses Vieh hatte er keine Chance, dachte er resigniert. Doch der Hund interessierte sich nicht einmal für ihn. Ausgehungert stürzte der sich auf das Früchtebrot und verschlang soviel er nur konnte. Sam beobachtete ihn verwundert. Vorsichtig trat er in die frei werdende Höhle. Am Boden, da wo eben noch ein Kopf des Hundes riesige Klumpen der süßen, zähen Masse verschlungen hatte, kam ein Schuh zum Vorschein. „Dean“, brüllte Sam, stürzte auf den Schuh zu … … und knallte mit seinem Kopf gegen die Seitenscheibe des Impalas. „Au“, schimpfte er leise und rieb sich die schmerzende Stelle. Verwirrt starrte er durch die Scheibe in die Dunkelheit. Wo war er hier denn gelandet? Nur langsam drangen Einzelheiten in sein Bewusstsein. Er saß im Impala! Hektisch schaute er zum Fahrersitz und atmete erleichtert durch. Sein Bruder saß neben ihm! Er streckte den Arm aus, berührte Dean an der Schulter und rüttelte ihn sanft. „Dean?“, fragte er schon wesentlich ruhiger. „Was? Wo?“, stotterte der Ältere und versuchte automatisch sich aufzurichten. Augenblicklich zuckte er zusammen. Sein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre er in die Presse gekommen. Was war passiert? Sein Blick suchte seinen Beifahrer. „Bist du okay?“, wollte er leise wissen und versuchte gleichzeitig eine innerliche Bestandsaufnahme zu machen. Er hatte einen widerlichen Geschmack nach Kupfer im Mund und den Geruch von faulen Eiern in der Nase. Hatte ein Dämon sie … Ja was eigentlich? „Ich schon, und du?“, antwortete Sam besorgt. „Ich …“ Deans Augen weiteten sich und er begann hektisch den Türgriff zu suchen. Er zerrte daran, rammte sie Schulter gegen die Tür und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Die Tür ging nicht auf! Noch zwei Mal warf er sich dagegen, doch mehr als einen Spalt breit war nicht drin. Sam hatte ihm erstaunt zugesehen und dann auf seiner Seite versucht, die Tür zu öffnen. Das Ergebnis seiner Bemühungen war fast das Gleiche. Seine Tür ging zwar etwas weiter auf, aussteigen konnte er allerdings auch nicht. Dean beobachtete seinen Bruder und hoffte, dass dessen Versuche von mehr Erfolg gekrönt werden würden, bis ihm plötzlich etwas auffiel. „Sam“, rief er und fasste ihn am Arm. „Was?“ Augenblicklich stoppte der Jüngere. „Mach mal langsam!“ „Was?“ „Die Tür! Kannst du die mal langsamer öffnen?“ Sam gehorchte und dann hörte er es auch. Ein dumpfes Geräusch, als die Tür gegen einen Widerstand stieß. Sofort versuchte Dean das bei seiner Tür mit dem gleichen Ergebnis. Er kniff die Augen zu und atmete langsam durch und beeilte sich gleich darauf über die Rückenlehne in den Fond des Wagens zu kommen. Schon mehr als verzweifelt versuchte er hier die Tür zu öffnen und fiel fast aus dem Wagen. Er rappelte sich auf, stolperte ein paar Meter weiter zu dem ersten Baum, den er in dem wenigen Licht erkennen konnte. Hektisch fummelte er an seinem Reißverschluss und atmete erleichtert auf, als er seine, zum Bersten volle, Blase entleeren konnte. Doch die Erleichterung war nur von kurzer Dauer, dann machte sich der Schmerz in seinem Bauch bemerkbar. Keuchend legte er seine Hand darauf und versuchte zu ergründen, was genau ihm wehtat. Erschrocken stellte er fest, dass der Bund seiner Hose fürchterlich spannte. Das hatte er ja noch nie erlebt! Aber wieso? Er hatte doch die meiste Zeit gehungert! Hatte Früchtebrot so viele Kalorien? Das Zeug war einfach nur eklig! Plötzlich bewegte sich etwas unter seiner Jacke. Für Sekunden erstarrte er, bevor er diese vorsichtig öffnete und in die Innentasche griff. Er fühlte Fell an seinen Fingern und war versucht die Hand zurückzuziehen. Doch dann würde er nie wissen, was sich in seine Jacke verirrt hatte. Er fasste zu und holte das Fell-Ding heraus. Vollkommen verwirrt sah er auf die Maus, die ihn mit ihren Knopfaugen anblickte. Schnuppernd bewegte sich die kleine Nase und etwas in Dean verbot ihm, das Tierchen wegzuschleudern. Er setzte die Maus auf den Boden, wo sie schleunigst im Unterholz verschwand. Und wieder schnitt der Bund seiner Hose in seinen Bauch. Stöhnend öffnete er den Gürtel und den Knopf und atmete erleichtert durch. Er drehte sich zu Sam und augenblicklich verfinsterte sich sein Blick. Sein Baby klemmte zwischen zwei Bäumen! Wie waren sie hier gelandet? Bevor er aber diese Frage klären würde, wollte er erst sehen, was für Schäden sein Baby hatte! Er ging zum Kofferraum, öffnete ihn und wollte die Abdeckung hochheben, um an eine der Taschenlampen zu kommen. Durch seine Finger zuckte ein scharfer Schmerz. „Verdammt“, knurrte er und griff vorsichtiger nach der Lampe. Mühsam schaltete er sie ein und leuchtete auf seine Hände. Doch da waren keine Verletzungen, die diese Schmerzen rechtfertigen würden. Wieder und wieder musterte er erst die eine Hand und dann die andere. Nichts! Er hatte nicht mal einen Kratzer! Woher kamen dann die Schmerzen? Unwirsch schob er diese Gedanken beiseite. Zuerst sein Baby und dann seine Hände! Sam kletterte jetzt ebenfalls aus dem Wagen und musterte seinen Bruder fragend. „Was ist los?“, wollte er wissen. „Nichts! Ich …“ Dean brach ab. Er musste seine Gedanken erst einmal sortieren. Er fühlte sich komisch, sein Körper fühlte sich komisch an und das was da durch sein Hirn spukte konnten doch keine Erinnerungen sein, oder? Außerdem wollte er gerade mit niemandem reden, zumindest nicht, bis er mit seiner innerlichen Bestandsaufnahme fertig war, und so widmete er seine ganze Aufmerksamkeit seinem Baby. Selbst Sam hatte in den Jahren gelernt, dass er so nicht wirklich ansprechbar war, und ließ ihn in Ruhe. Langsam umrundete Dean den Wagen. Er ließ seine Finger über die kleineren Kratzer gleiten und kontrollierte die Schweller. Jede Berührung ließ ihn mit den Zähnen knirschen und als er an der Stoßstange zog, um deren Sitz zu überprüfen, konnte er ein ersticktes Keuchen nicht unterdrücken. Seine Hände fühlten sich an, als bestünden sie nur aus offenem Fleisch. Wortlos nahm Sam ihm die Taschenlampe aus dem Mund und versuchte ihm so gut er konnte zu leuchten. Auch als Dean die Spuren, die sie in der Wiese hinterlassen hatten überprüfte, war er an seiner Seite. Kapitel 106: Vom Schrotthaufen zum Oldtimer ------------------------------------------- @ Vanilein - Ich tue Dean garnix an - ich bin nur Ghostwrighter für Chuck ;-))) *gg* LG Kalea 106) Vom Schrotthaufen zum Oldtimer Schweigend gingen sie zum Wagen zurück, doch bevor Dean einsteigen konnte, hielt der Jüngere ihn zurück. „Lass mich deine Hände sehen“, bat er leise. „Da ist nichts!“ „Davon möchte ich mich selbst überzeugen.“ Dean holte tief Luft und hielt ihm seine Hände hin, die Sam auch sofort drehte und wendete, ohne eine Verletzung finden zu können und doch zuckte Dean bei jeder Berührung der Handflächen zurück. So würde er auf keinen Fall fahren können. „Wie steht es um sie?“, fragte der Jüngere vollkommen zusammenhanglos. „Ich glaube nicht, dass wir hier von alleine rauskommen. Wir brauchen einen Abschleppwagen aber ich bezweifle, dass wir jetzt einen kriegen.“ Dean blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor fünf. „Nach Pagosa Springs zurück zu laufen bringt auch nicht viel. Wir sind zu weit weg, um schnell wieder da zu sein.“ „Ich lasse sie eh nicht alleine.“ „Dean, wir …“ „Nein! Irgendwas hat uns von der Straße geholt. Ich bleibe hier!“ „Es war eine Fee, nicht irgendwas“, nuschelte Sam. „Es war was? Du weißt was passiert ist?“, wollte Dean geschockt wissen. „Es war eine Fee. Zumindest hat sie gesagt, dass sie eine ist.“ „Eine was? Und warum hast du sie gesehen und ich nicht?“ „Da war ein überdimensioniertes Glühwürmchen mit enormer Kraft. Sie ...“ „Ich verstehe nur Bahnhof!“, sagte Dean und wies seinen Bruder mit einer Geste an in den Fond des Wagens zu steigen. „Und jetzt raus mit der Sprache!“, forderte er leise, kaum dass sie auf der Rückbank saßen und Sam begann zu erzählen. Gebannt lauschte er dem, begonnen bei seinen Besuch in dem Diner, bis hin zu ihrem Angriff hier im Impala. „Aber warum habe ich sie nicht gesehen?“, wollte er ratlos wissen. „Vielleicht, weil sie es von Anfang an nur auf mich abgesehen hatte? Sie hat meine Gedanken gelesen, als ich essen war.“ „Und das nur weil du…“ „Sprich es ruhig aus. Ich wollte auch mal der Held sein und dich retten.“ „Das mit dem Retten hat ja funktioniert, aber du hättest etwas schneller sein können. Ein paar Sekunden länger und ich wäre Mus gewesen“, grummelte Dean. Sam starrte nur zerknirscht zu Boden. „Ich wollte doch eigentlich nur, dass du nicht immer wegen meiner Unachtsamkeit leiden musst.“ „Ich gebe dir nicht die Schuld Sammy. Diese Fee ist schuld und ich bin verdammt wütend. Also wo finden wir die und wie können wir die alle machen?“, verlangte er zu wissen. „Sie kann Gedanken lesen, schon vergessen?“ „Ich kann sie auch erschießen und an nichts denken!“ „Meinst du das bringt was? Können wir sie nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen?“ „Wie stellst du dir das vor?“ „Wenn wir sie ebenfalls in die Märchen schicken könnten und sie die genauso erleben muss wie wir? Ich kann mich mal im Internet umsehen. Vielleicht gibt es da etwas?“ „Sowas wie einen Fluch?“, fragte Dean mit Unbehagen. Flüche waren nie etwas, das man leichtfertig aussprechen sollte, auch nicht, wenn es jemanden so furchtbaren wie diese Fee treffen sollte. „Klingt nicht besonders klug, oder? Wäre vielleicht eh besser, wenn wir einen anderen Jäger darauf ansetzen. Immerhin kennt sie uns. Ich bezweifle, dass wir überhaupt so nahe an sie herankommen, um sie wirkungsvoll treffen zu können“, brachte Sam seine Zweifel zum Ausdruck. Dean nickte nur. „Und was tun wir jetzt?“, wollte Sam nach einer Weile wissen. „Wir warten bis acht und holen dann einen Abschleppwagen. In der Werkstatt will ich sie mir von unten ansehen. Nicht, dass da was abgerissen ist.“ Sam nickte. „Ist ja nicht die erste Nacht, die wir im Impala verbringen.“ „Du kannst dir ein Taxi holen und in ein Motel fahren“, schlug Dean vor. „Vergiss es. Ich habe dich gerade eine halbe Ewigkeit gesucht. Ich werde dich jetzt bestimmt nicht alleine lassen. Nachher verschwindest du wieder.“ „Wieso ich?“ „Von mir aus auch ich oder wir beide. Nein! Wir bleiben zusammen.“ „Ist das eigentlich jetzt wirklich passiert?“, wollte Dean wissen und versuchte seine Hände zu strecken. Die Schmerzen schienen langsam aber sicher weniger zu werden. Allerdings fühlte er sich noch immer wie ein gestopfter Truthahn kurz bevor er in die Röhre geschoben werden sollte. Sam zog sein Handy aus der Tasche und schaute kurz darauf. „Traum“, sagte er dann. „Wir haben hier keine vier Stunden gesessen.“ „Na super. Mir kam es vor wie Wochen.“ „Mir wie Monate“, seufzte Sam. Sam kletterte in den Fahrerraum. So wie sein Bruder sich bewegte, hatte er nicht nur Probleme mit seinen Händen und er wollte nicht, dass er sich wie auch immer quälen musste. Er stellte den Wecker seines Handys und dann machten sie es sich im Impala so gemütlich wie möglich. Trotz der vielen Gedanken, die in seinem Kopf kreisten und die er nicht abstellen konnte, schlief er doch noch ein. Zwei Stunden später riss das Klingeln des Handys die Brüder aus dem Schlaf. Sam versuchte sich zu strecken und stieß augenblicklich an Grenzen. Müde blinzelte er. Seine Hand umfasste das Lenkrad und er zog sich hoch. Mit den Händen versuchte er sich die Haare zu glätten, dann kletterte er nach hinten, stieg aus und trat neben seinen Bruder der, schon wieder oder noch immer, wach war. „Morgen“, nuschelte er. „Morgen, Sonnenschein“, grinste Dean. „Wieso bist du schon wach?“ „Wieso du noch nicht?“ Sam verdrehte die Augen und streckte sich ausgiebig. Sein Blick wanderte über den Impala und er fühlte sich schuldig. Immerhin war er es, der Dean so … Ja was eigentlich. Abgelenkt hat? Er hatte um sich geschlagen, als er versuchte diese Fee zu kriegen. „Wann kommt der Abschleppwagen?“, wollte er leise wissen. „Die müssten gleich hier sein.“ Sam nickte. Was sollte er auch sagen. Er freute sich auf eine Dusche und ein Frühstück und er hoffte, dass sie danach weiterfahren konnten, obwohl er das bezweifelte. Dean würde die Werkstatt nicht verlassen, wenn er nicht sicher war, dass es dem Wagen gut ging. Noch einmal umrundete Dean den Wagen, fand jedoch auch nicht viel mehr, als in der Nacht. Trotzdem war er erleichtert, als der Abschleppwagen endlich kam. „Wie habt ihr das denn hingekriegt?“, fragte der Fahrer des Wagens und betrachtete die Brüder mitleidig. „Schon interessant, dass diese alte Kiste dabei nicht auseinandergebrochen ist.“ Der Blick, den er auf den Impala warf, drückte Verachtung aus. „Wäre sinnvoller, den gleich in die Presse zu schieben!“, setzte er noch einen drauf. „NEIN!“, knurrte Dean, mühsam darum bemüht, den Mann nicht unangespitzt in den Boden zu rammen. „Hören Sie! Wie Sie zu Oldtimern in Allgemeinen und zu dem hier im Speziellen stehen, ist Ihre Sache. Wir lieben diesen Wagen. Er hat mehr Charakter als so mancher Mensch, also wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihn und uns zur nächsten Werkstatt bringen könnten“, erklärte Sam mit erzwungener Ruhe. Es war irgendwie sein Fehler, dass sie in der Wiese gelandet waren. Und er wünschte sich nur noch, dass sie hier weg und endlich in ihr neues Leben starten konnten. „Dann wollen wir mal“, erklärte der Fahrer des Abschleppwagens gelangweilt. Mit Hilfe seines Hakens zogen sie den Wagen zur Straße. Die Geräusche, die das geschundene Blech dabei von sich gab, würde Dean noch in Wochen nicht aus seinem Gehirn verbannen können. Wenigstes waren die Spiegel nicht abgerissen sondern nur umgeklappt worden. Schweigend schaute er zu, wie sein Baby auf den Wagen gezogen wurde und kletterte dann zu Sam in die Fahrerkabine. Während der Fahrt schwieg Dean, die Hände mühsam zu Fäusten geballt, um dem Fahrer des Abschleppwagens nicht doch noch eine reinzuhauen und es war ihm dabei auch vollkommen egal das Sam zwischen ihn und diesem Idioten saß. Auf dem Hof der Werkstatt sprang er aus dem Fahrerhaus, kaum dass der Wagen stand und machte sich, während sein Baby abgeladen wurde auf die Suche nach einem Mechaniker. „Hören Sie, ich will doch nur …“, begann er so ruhig wie möglich, kaum dass er den Mann gefunden hatte, doch der wiegelte ab. „Lassen Sie mich doch erst einmal sehen, was los ist und dann können wir reden“, erklärte er ruhig. Dean verdrehte die Augen und war nun endgültig kurz davor jemanden oder etwas zerschlagen zu wollen. Schnell stellte Sam sich neben ihn und versuchte ihn zu beruhigen, indem er ihm die Hand auf den Arm legte. Es brachte nicht viel. „Hast du dich verfahren, Abel“, wollte der Werkstattbesitzer wissen. Normalerweise kam der nie zu ihm, seitdem er ihm mal einen betuchten Kunden weggeschnappt hatte. „Wollte diesen Schrotthaufen nur schnell wieder los werden.“ „Dann lade das Schmuckstück mal ab.“ War ja klar, dass er wenn überhaupt, dann nur Zeug anbrachte an dem, seiner Meinung nach, nichts zu verdienen war. Allerdings sah der Wagen nicht aus, als wäre er ein hoffnungsloser Fall, obwohl er einige sehr unschöne Kratzer hatte. Schnell waren die Formalitäten erledigt und Sam hatte für das Abschleppen bezahlt. „Was ist passiert?“, wollte der Mechaniker nun wissen. „Ich hab was auf die Straße springen sehen und mich dabei so erschrocken, dass ich ihn abgelenkt habe“, erklärte Sam. „Hören Sie, mein Bruder hat den Wagen selbst aufgebaut. Er …“ „Ich lasse keinen Fremden einfach so in meine Werkstatt!“, unterbrach der Mann Sam. „Das verstehe ich ja, aber wir … Bitte!“ „Zuerst gehen wir in mein Büro und trinken einen Kaffee. Ihr seht nämlich nicht aus, als hättet ihr in der Nacht viel Schlaf gekriegt und dann schieben wir die Schönheit auf die Bühne. Alles Weitere ergibt sich, okay?“ Schweren Herzens ergab sich Dean diesem Vorschlag. Er würde viel lieber erst nach seinem Baby schauen und sich danach um sein Wohl kümmern, aber er konnte den Mann durchaus auch verstehen. Bobby würde auch keinen Fremden in seine Werkstatt lassen. „Ich bin Carl“, stellte sich der Mann erst einmal vor. „Sam und das ist mein Bruder Dean“, erwiderte der jüngere Winchester freundlich. „Ihr seid auf der Durchreise?“, wollte Carl wissen. „Ja, sind wir.“ „Habt ihr schon gefrühstückt?“ „Nein und das werden ich auch nicht, bis ich weiß was mit ihr ist!“, entgegnete Dean ruppig. „Dean!“, versuchte Sam seinen Bruder auszubremsen. „Bitte entschuldigen Sie meinen Bruder.“ „Ist schon okay. Ich kann ihn verstehen. Trotzdem trinkt ihr erst einmal einen Kaffee, um die steifen Finger aufzuwärmen. Die Nacht war nicht gerade warm.“ Er füllte drei Tassen und reichte sie weiter. „Milch und Zucker sind da drüber“, sagte er und deutete auf den Kühlschrank. Deans schloss seine klammen, noch immer schmerzenden Finger langsam um die heiße Tasse. Er genoss die Wärme, die durch das Porzellan drang und die seine Schmerzen etwas weiter zu lindern schien. Abwesend starrte er durch das trübe Fenster über den Platz. Warum nur war es so schwer, aus diesem Leben herauszukommen? Schnell trank er seinen Kaffee aus und stellte die Tasse zurück. Ungeduldig wartete er darauf, dass Carl seine Tasse ebenfalls leerte und sie endlich mit der Untersuchung des Impala beginnen konnten. Den halben Tag verbrachte Dean vor und unter seinem Baby, bis er Entwarnung geben konnte. Sie hatte Kratzer und Schrammen und einige unschöne Dellen davongetragen und jede einzelne ihrer Wunden tat ihm weh. Am liebsten würde er sofort zu Bobby fahren und alles reparieren, aber sie wollten zu einem Konzert! Solange würde sie also noch aushalten müssen. „Tut mir leid, Baby“, flüsterte er leise und strich über die A-Säule. Dass Carl ihn dabei beobachtete sah er genauso wenig, wie das Lächeln, das dabei auf dessen Gesicht lag. Der junge Mann gefiel ihm. Er verstand, was er da tat und das war nicht mehr so häufig der Fall. Sein Bruder, Sam, hingegen hatte mit Fahrzeugen wohl nichts am Hut. Der surfte im Internet und brachte hin und wieder Kaffee nach draußen. Endlich schien Dean mit seiner Untersuchung fertig zu sein und fuhr den Wagen aus der Halle. Carl überlegte, dass er wohl nicht annähernd so gründlich gewesen wäre. Auch Sam kam aus dem Büro und legte seinen Laptop auf die Rückbank. „Und wie geht es weiter?“, wollte Sam wissen. „Schaffen wir es nach El Paso?“ „Ich will sie nur noch waschen, dann können wir los. Den Rest kann ich bei Bobby machen“, erwiderte Dean und rieb sich die Augen. „Wir suchen uns jetzt erst mal ein Motel und dann etwas zu essen. Morgen fahren wir weiter!“, bestimmte Sam energisch. „Ich hab keinen Hunger!“, entgegnete Dean. „Du hast …“, erschrocken starrte Sam seinen Bruder an. Was war passiert? War Dean krank? „Wir suchen uns ein Motel!“ „Ich will hier weg. Lass uns bis in den nächsten Ort fahren und da suchen wir uns ein Motel. Dann hab ich vielleicht auch wieder Hunger“, bat Dean leise auch wenn er das mit dem Essen bezweifelte. Er fühlte sich nicht wohl in seinem Körper und seine Hose schien über Nacht um Nummern eingelaufen. Zähneknirschend stimmte Sam zu. Warum auch immer, aber sein Bruder sah nicht so aus, als ob er sich umstimmen lassen würde. Dean wischte sich die Hände an einem Lappen ab und hängte den über das Geländer, bevor er zu Carl ging. „Danke“, sagte er und reichte ihm die Hand. „Gern geschehen. Es war mir eine Freude mal wieder jemanden zu treffen, der mit so viel Sachverstand an einen Oldtimer geht. Wenn Sie mal einen Job suchen sollten?“ „Danke, aber wenn ich das tun will, dann bei unserem Onkel. Der hat ältere Ansprüche.“ Deans Mundwinkel hoben sich ein Stückchen, ohne dass dieses versuchte Lächeln jedoch seine Augen erreichten. „Schade. Aber trotzdem: Viel Glück!“ Kapitel 107: Vorbereitungen --------------------------- @ Vanilein - Ja, Baby geht es ganz gut, aber bis sie wieder in vollster Pracht dasteht, wird es wohl noch dauern. LG Kalea 107) Vorbereitungen „Was ist los, Dean?“, wollte Sam wissen, kaum dass der den Wagen auf die Straße gelenkt hatte. „N…“, begann der Ältere und schüttelte augenblicklich den Kopf. „Ich weiß es nicht“, entschied er sich, die Wahrheit zu sagen. Wenn sie wirklich ein normales Leben führen wollten, musste er ja vielleicht nicht mehr so auf Sammy aufpassen. Der war erwachsen! Außerdem hatte der in letzter Zeit wohl eher auf ihn aufgepasst. „Mein Magen fühlt sich an, als hätte ich Mühlsteine geschluckt.“ „Dieses Früchtebrot? Das war doch welches, oder?“, mutmaßte Sam und sein Bruder legte den Kopf schief, nickte dann aber doch. „Ich habe es noch nie gemocht aber jetzt hab ich es mir damit wohl endgültig verdorben.“ „Es gibt so viele Leckereien. Ich glaube nicht, dass du es vermissen wirst“, grinste der Jüngere. „Trotzdem musst du auch was essen.“ Dean schnaufte nur. Schweigend lenkte er den Wagen über die Straßen. Er gab so vieles über das er sich erst einmal klar werden wollte, bevor er darüber reden konnte und Sam schien es genauso zu gehen. Zumindest respektierte er die unausgesprochene Bitte nach Ruhe. Noch immer versuchte er zu verstehen, was in der Höhle passiert war und was mit ihm passiert war. Als er zum Tanken anhielt brachte er seinem Bruder etwas zu Essen mit. Er selbst fühlte sich noch immer wie aufgeschwemmt, auch wenn sich der Klumpen in seinem Magen langsam aufzulösen schien. In Espanola setzte Dean den Blinker und bog auf den Vorplatz einer Waschanlage ein. „Waschstraße?“, wollte Sam ungläubig wissen. „Ich muss so einiges lackieren, wenn ich mit den Reparaturen durch bin und dann bekommt sie ihr ganz spezielles Wohlfühlprogramm.“ Deans Augen begannen zu leuchten. „Es ist ja nicht für lange“, versuchte er zu trösten und Sam war sich nicht sicher, ob das jetzt mehr für ihn oder für den Impala gemeint war. Er lächelte. Wenigstens den Wagen hatte Dean in seinem Hass auf John nicht aus ihrem Leben verbannt. Aber das wäre wohl vollkommen unvorstellbar gewesen. Dean ohne den Impala? Eher würde die Welt untergehen oder es kein einziges übernatürliches Wesen mehr auf dieser Welt geben. Nein! Dean und der Impala gehörten zusammen! Seinem Wagen dabei zuzusehen, wie er durch die Waschstraße gezogen wurde, schmerzte Dean fast körperlich. Wenn er daran dachte, dass John ihn mal zusammengestaucht hatte, weil er sich die Zeit, den Wagen zu waschen, nicht genommen hatte. Heute musste ihm das keiner sagen, aber heute hatte ihm John ja auch gar nichts zu mehr sagen. Er würde seinen Weg finden und damit wohl am eindrücklichsten zeigen, dass er ein eigenständiger Mensch war! John Winchester konnte ihn mal! Der hatte mit ihm nichts mehr gemeinsam außer dem Nachnamen und den trugen etliche Menschen im Land. Geistig hatte er sich inzwischen von ihm gelöst. Gefühlsmäßig würde es wohl noch eine Weile dauern. „Dean, bitte“, bat Sam eindringlich und deutete zum wiederholten Mal auf ein Diner, an dem sie vorbeifuhren. „Du musst essen.“ „Mir ist nicht nach Essen!“ Der Ältere verdrehte die Augen. „Und das mir“, nuschelte er leise. Er hätte nie gedacht, dass er so einen Satz jemals sagen würde. „Der Appetit kommt spätestens, wenn wir in einem Diner sind“, behauptete Sam. „Du kannst dich jetzt nicht mit nicht essen bestrafen. Wofür überhaupt?“ „Ich bestrafe mich nicht. Ich habe nur das Gefühl keinen Bissen herunter zu bekommen. Mein Magen scheint ein einziger Klumpen zu sein und die Hose spannt auch immer noch!“ „Wir finden was Leichtes für dich, okay? Und so hyperaktiv wie du bist, passt deine Hose spätestens nächste Woche wieder“, grinste Sam während Dean leise vor sich hin schmollend den Blinker setzte und auf den Parkplatz des Diners fuhr. Er wollte ja nicht, dass Sam vom Fleisch fiel! Missmutig schlug er die Karte zu und schob sie weit von sich. Wenn es ihm schon beim Lesen des Wortes Burger die Speiseröhre zu verknoten schien, konnte das nicht gut gehen. „Bestell du“, sagte er leise und starrte aus dem Fenster. Sam schüttelte den Kopf. Es war noch nicht lange her, dass Dean das Essen verweigert hatte, auch wenn der Grund damals ein anderer war. Es tat trotzdem weh. Ein Dean Winchester der nicht sofort hier schrie, wenn sie in einem Diner waren, war irritierend bis beängstigend. Essen und Dean gehörten einfach zusammen. Er musterte seinen Bruder noch einmal und orderte bei der Bedienung Geflügel auf gebratenem Reis mit Gemüse und süß-saurer Soße. Wenn es für Sam im Diner schon ungewohnt gewesen war, Dean lustlos im Essen stochern zu sehen, so war dessen Anblick, als der mit einem Handtuch um die Hüften aus der Dusche kam noch verwirrender. Einen Augenblick lang wusste er nicht, was ihn so verwirrte, und es war auch nicht die weiße Mullabdeckung, die die Brandverletzungen abdeckte. Doch dann erkannte er es. Sein Bruder war immer schlank gewesen, als Jugendlicher schon fast dürr, aber jetzt hatte er einen Ansatz zum Bierbauch. Dean spürte den Blick seines Bruders und zog automatisch den Bauch ein. „Starr da nicht so hin“, schimpfte er leise. Dieser Blick war ihm so unangenehm wie sein Äußeres. So konnte er doch keiner Frau unter die Augen treten! Schnell zog er sich an, um sich diesen Blicken zu entziehen. „Du kannst dich gleich wieder ausziehen“, kommentierte Sam diese Hektik. „Willst du dich an meinem Anblick weiden, mir ewig vorhalten, dass ich alt und fett werde?“, fragte Dean wütend. „Du bist weder alt noch fett. Das ist doch höchsten Babyspeck“, neckte Sam. „Das ist nicht ...“, maulte der Ältere, wurde jedoch von seinem Bruder unterbrochen. „Ich will mir deine Brandwunden anschauen. Das lange Sitzen gestern kann ihnen nicht wirklich gut getan haben!“ „Die sind okay!“ „Ja klar. Das sagst du immer. Bitte Dean. Ich mach mir so schon genug Vorwürfe nicht eher dran gedacht zu haben!“ Der Ältere verdrehte die Augen, ergab sich aber dem flehenden Blick seines Bruders und zog das Hemd wieder aus. Die Wunden am Bauch hatte er schon versorgt, genau wie die am Bein. An seinen Arm war er allerdings nicht wirklich gut drangekommen und so ließ er Sam einen kontrollierenden Blick darauf werfen und die Wunde auch versorgen. „Ich bin fertig“, sagte Sam und drückte noch einmal den Streifen Heftpflaster fest. Dean nickte, zog sich rasch sein Hemd über und warf sich bäuchlings auf sein Bett. „Komm schon, so hyperaktiv wie du bist, ist der schneller wieder verschwunden, als du denkst“, versuchte Sam zu trösten. Dean schnaufte nur, drehte seinen Kopf zur Tür und umschloss das Kissen mit seinen Armen. Er wollte nicht darüber nachdenken, denn das … Nein! Er wurde weder alt und schon gar nicht unattraktiv. Immerhin konnte und wollte er endlich sein Leben genießen, wenn sie schon aus ihrem Job ausstiegen. Er wollte nachholen, was er im letzten Jahr verpasst hatte. Er wollte für eine Weile einfach nur seinen Spaß haben. Genau! Er würde bei Bobby an einigen Autos schrauben, natürlich erst nachdem er seinem Baby wieder zu altem Glanz verholfen hatte, und die Bars der Gegend unsicher machen. Danach konnte er sich immer noch über einen seriösen Beruf klar werden. Mit diesen Gedanken und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schlief er ein. Sam holte derweil sein Handy hervor und informierte Bobby über diese Fee. Er bat ihn einen Jäger vorbeizuschicken, der es schaffte, seine Gedanken vor diesem Wesen abzuschirmen. So gut er konnte beschrieb er sie und auch das, was sie mit ihm gemacht hatte, nur weil er sich gewünscht hatte, dass Dean mal nicht wegen seiner Schusseligkeit leiden musste. Der alte Jäger versprach sich darum zu kümmern und er wollte auch Ellen informieren. Immerhin waren bei ihr täglich einige Jäger im Haus. Vielleicht hatte einer von denen ja Erfahrungen mit Feen. Zufrieden legte Sam auf. Er surfte noch eine Weile im Netz und legte sich dann auch schlafen. Zwei Tage genossen sie die Ruhe einer Kleinstadt. Sie schliefen lange, aßen wenig und verbrachten die Abende in einer Bar. Sie kümmerten sich um Krankenversicherungen die auf ihre richtigen Namen liefen, rafften sich sogar zu einem Einkaufbummel auf, um ihre dezimierte Garderobe aufzufüllen und Sam fand bei dieser Gelegenheit einen Copy-Shop, in dem er endlich das Foto von Mom und Dean ausdrucken lassen konnte, während Dean sich noch nach einigen T-Shirts umsah. Das konnte er ihm gleich geben, wenn sie sich in dem Café trafen. „Ich hab hier was. Das hast du bei Ellen verloren“, sagte Sam und schaffte es so, Deans Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Fragend schaute der Ältere von seinem Kaffee auf. Er konnte sich nicht erinnern etwas verloren oder vergessen zu haben. Sam schob einen Umschlag über den Tisch. Wieder schaute der ältere Winchester fragend zu Sam und dann auf den Umschlag. Was war da drin? „Na mach schon auf“, drängte Sam und Dean tat ihm den Gefallen. Seine Augen wurden immer größer. Das war das Foto, das er seit Ewigkeiten mit sich herumschleppte. Das Foto, das er zerrissen hatte, weil er sich von dem Mann darauf verraten und verkauft fühlte, weil er von ihm belogen und betrogen worden war. Er wollte Sam gerade anfahren, dass er dieses Foto nicht verloren sondern zerrissen und darauf gehofft hatte, dass es für immer und ewig vergessen wäre. Doch dann sah er dass dieses Foto nicht das war, dass er aus seiner Brieftasche genommen hatte. Es war neuer, nicht wirklich ein Foto. Und, das Wichtigste überhaupt, auf diesem Bild fehlte John! „Aber wie?“, stammelte er erstickt und seine Miene wandelte sich von Wut zu einem glücklichen Strahlen. Seine Augen glänzten feucht. „Du hast das Foto so lange in deiner Brieftasche gehabt. Es muss dir unheimlich viel bedeutet haben. Und ich wollte nicht dass du ein Bild von Mom wegwirfst, nur weil du John aus deinem Leben verbannt hast. Das Original habe ich auf meinem Laptop, wenn du es mal wieder haben willst“, erklärte Sam leise und freute sich über Deans Reaktion. „Danke“, krächzte der Ältere heiser und schob das Foto in seine Brieftasche. Noch eine Weile saßen sie schweigend in dem Café, bevor sich in ihr Motel zurückkehrten. Immer wieder sprachen sie in den zwei Tage über ihre Erlebnisse während dieser gefühlten Wochen. Und auch wenn sie inzwischen wussten, dass es nur Stunden waren, blieb die Zeit für sie weiterhin unfassbar. Außerdem versuchte Sam etwas mehr über diese Wetherworth´ herauszufinden. Er fand zwar einige Personen mit diesem Namen, die gehörten aber nachgewiesenerweise nicht zu den gesuchten. Zu denen fand er jedoch immer wieder nur das, was sie schon wussten, aber leider nichts zu ihren Familienbanden, Geburtsdaten oder weiteren Geschwistern. Frustriert ließ er die Suche ruhen. Vielleicht hatte er ja später ein paar Ideen für neue Ansätze. Am späten Vormittag des 15. November machten sie sich ausgeruht auf den Weg nach El Paso. Sogar Dean hatte sich mit seinem Äußeren wieder anfreunden können, auch wenn es noch nicht wieder so war, wie er es kannte und wollte. Und Sam fand es einfach nur erstaunlich, dass sein Bruder doch ein wenig eitel zu sein schien. Irgendwie war es ja schon fast wie ein kleiner Urlaub, überlegte Dean als er den Wagen durch die Straßen von El Paso lenkte. Aus den Lautsprechern kam AC/DC. Eigentlich könnte er glücklich sein. Eigentlich! Denn er spürte Sams Blicke sehr wohl, die der ihm in der letzten Stunde immer wieder zuwarf und er sah das Grinsen, das der sich von Mal zu Mal schwerer verkneifen konnte. Er hatte die stadionnahen Parkplätze inzwischen fast alle zweimal abgesucht und noch immer keine Lücke für den Impala gefunden. Einen Smart oder Mini hätten sie vielleicht noch unterbringen können, aber sein Baby? Sie war eben ein Auto mit Charakter und keine Blechdose! Für die hätte er allerdings inzwischen einen Parkplatz gefunden. „Sollen wir nicht doch einen der weiter entfernten Parkplätze nehmen? Es gibt Shuttlebusse“, versuchte Sam ihn doch noch umzustimmen. „Ich fahre doch nicht …“, begann er entsetzt. „Ich bin noch nie Bus gefahren!“ „Doch, Dean. Jahrelang mit dem Schulbus!“ „Das ist doch was ganz anderes!“ „Nicht wirklich. Aber wenn du hier noch lange wie ein Satellit um das Stadion kreist, kommen wir doch noch zu spät. Und das nachdem du auf dem Weg hierher jede Geschwindigkeitsbegrenzung ignoriert hast.“ „Woher willst du das denn wissen. Du hast doch geschlafen.“ „Stimmt, aber da du es nicht abstreitest, muss es ja wohl stimmen.“ Jetzt grinste Sam doch breit. Er freute sich, dass sein großer Bruder endlich mal wieder ganz normal reagierte. All die Tiefschläge der letzten Wochen und Monaten hatten ihm zugesetzt und er hatte sich das hier mehr als nur verdient. Er war stolz auf sich selber, dass es ihm gelungen war zwei der letzten verfügbaren Tickets ergattern zu können. Dean seufzte. Er wollte noch eine Runde drehen und dann musste er sich wohl oder übel Sams Vorschlag beugen und doch einen weiter entfernten Parkplatz ansteuern. So ungern er das auch wollte. Natürlich fand er keinen Parkplatz für seine Schönheit und so lenkte er sie, zähneknirschend, zu einem der weiter entfernten Parkplätze. Mit viel Glück fand er hier einen Platz. Sie stiegen aus und musste rennen, um den Bus noch zu bekommen und standen dann wie die Ölsardinen. Sam konnte spüren, wie Deans Laune so langsam in den Keller ging. Er ruhte wohl doch noch nicht wieder so stark in sich, um diesem kleinen Chaos gleichgültig gegenüber zu stehen. Aber er hoffte dass, wenn AC/DC erst spielen würde, seine Laune automatisch wieder steigen würde. Kapitel 108: Highway to hell ---------------------------- @ Vanilein - Hab ich was in Petto??? Mal sehen. LG Kalea 108) Highway to hell Der Bus spukte sie genau vor dem richtigen Eingang aus, wie Sam mit einem Blick auf die Karten feststellte. „Hey“, grinste er. „Wir sind sofort richtig!“ Dean grummelte nur: „Hoffentlich hast du dir gemerkt wo ich mein Baby abstellen musste!“ „Wir finden sie wieder, Dean. Keine Angst. Du musst nicht ohne dein Baby ins Bett.“ „Das will ich dir …“, begann er einen Satz, dessen Ende er schlichtweg vergaß, weil zwei heiße Brünette, bauchfrei und mit Minirock an ihnen vorbeistöckelten. „Wow“, ließ er sich leise hören. Sam rollte mit den Augen, freute sich aber für ihn. Viel zu lange schon hatte er keine Frau mehr angesehen, aber er wollte auf keinen Fall einfach so stehen gelassen werden und vielleicht noch mit dem Taxi zum Motel fahren. „Dean, ich sag dir, wenn ich nachher mit dem Taxi zurück zum Motel muss, weil du den Impala als kuscheliges Liebesnest missbrauchst, dann …“ „Du gönnst mir aber auch gar nichts! Alter Spielverderber. Mal abgesehen davon, wenn ich schon eine heiße Braut aufreiße, dann will ich die mit Sicherheit nicht mit dem Bus zum Wagen kutschieren! Also müsste ich schon eine finden, die mich mitnimmt, dann kannst du den Impala haben. Aber hey, wer weiß, vielleicht findet klein Sammy ja auch sein Glück.“ Dean wackelte mit den Augenbrauen. Und Sam verdrehte die Augen. War ja mal wieder typisch Dean. Wenigstens war er nicht mehr nur sauer wegen des weiter entfernten Stellplatzes seines schwarzen Lieblings. Endlich hatten sie die Kontrollen am Eingang überstanden. Ein Ordner fragte noch einmal nach ihren Karten. „Da entlang“, sagte er nur, nachdem Sam sie ihm gezeigt hatte und deutete in eine Richtung. Sam nickte und drehte sich zu seinem Bruder um. Doch der stand nicht mehr neben ihm. Lange musste er ihn allerdings nicht suchen. Der erste Stand neben dem Eingang war einer, an dem man sich mit jeder Menge unnötiger Lebensmittel eindecken konnte und genau da stand Dean. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte er zu ihm. „Na, schon was entdeckt, was dir nicht schmeckt?“, stichelte er, freute sich aber ungemein, dass Dean wieder ans Naschen dachte, nachdem er in den letzten beiden Tagen ja schon asketisch gelebt hatte. „Bananenbrot und Früchtekuchen“, antwortete Dean prompt. „Willst du auch was?“ „Bananenbrot und Früchtekuchen? Nein.“ „Trottel!“ „Idiot!“ Dean drängelte sich an den Verkaufstresen und deckte sich mit jeder Menge ungesundem Süßkram ein und nahm auch ein paar gesündere Snacks für seinen kleinen Bruder mit. Ohne ein weiteres Wort packte er die Tüte in Sams Rucksack und machte sich auf zum nächsten Stand, an dem es T-Shirts und andere Accessoires mit dem Bandlogo gab. Wieder drängte er sich zur Theke durch und ließ seinen Blick über die T-Shirts wandern, die an den Wänden und von der Decke hingen. Ein oder zwei neue konnte er gut gebrauchen. „Das hier würde super zu deinen Augen passen, sie noch mehr leuchten lassen“, erklärte eine der Verkäuferinnen ungefragt und schob ein grünes T-Shirt zu ihm. Ihre Hand strich wie aus Versehen über seinen Arm. Er blickt auf und was er sah, gefiel ihm. Leider konnte er diese Bekanntschaft nicht weiter vertiefen, denn Sam trat neben ihn. Der Jüngere hatte auch kurz einen Blick auf die T-Shirts geworfen. Deans Schlafshirt war schon ziemlich zerschlissen, obwohl der das wohl nicht so sehen würde, vielleicht, wenn sein Bruder sich nicht selbst eins kaufte, wollte er ihm eins holen. Sein Blick fiel auf die Verkäuferin, mit der Dean offensichtlich flirtete. Endlich, würde er in einer anderen Situation sagen. Aber doch nicht gerade so kurz vor einem AC/DC-Konzert, oder? „Wir sollten uns so langsam unsere Plätze suchen“, drängte er. Dean verdrehte die Augen. „Brüder ... was will man machen. Ich überlege mir das mit dem Shirt.“ Er lächelte sie warm an. „Mach das, ich bin noch den ganzen Abend hier.“ Sie blickte ihm tief in die Augen. „Und hey, wenn ihr nachher noch was zu trinken holen wollt, sagt einfach Sandy lässt grüßen, dann bekommt ihr Rabatt.“ „Du heißt Sandy?“ „Alexandra, aber alle nennen mich Sandy.“ „Hallo Sandy, ich bin Dean“, stellte sich der Winchester vor und reichte ihr die Hand. „Hey, Dean.“ Wieder blickte sie ihm tief in die Augen. Der Typ gefiel ihr. „Jetzt komm schon“, maulte Sam hinter ihm und Dean verdrehte gespielt die Augen. Er warf ihr noch einen vielsagenden Blick zu und folgte seinem Bruder, bis der plötzlich mitten auf der Treppe stehen blieb und ihm den vollen Rucksack in die Hände drückte. „Wieso muss ich eigentlich deinen Süßkram schleppen? Wolltest du nicht abnehmen?“, grummelte Sam. Er freute sich ja, dass Dean wieder normal aß, aber warum sollte er es tragen? „Du warst doch derjenige, der gesagt hat, dass ich das in ein paar Tagen eh wieder runter hab“, maulte Dean. „Ja schon. Tragen kannst du es aber trotzdem!“ „Man das ist viel zu weit weg von der Bühne und viel zu hoch!“, maulte er, als er sich auf endlich seinen Platz fallen ließ. „Dean! Das Konzert ist ausverkauft. Ich hab die Karten nur durch Zufall bekommen! Sei doch froh, dass wir überhaupt hier sind!“, schimpfte Sam. „Bin ich doch auch“, schmollte Dean. „Weiter unten wäre trotzdem schöner. Außerdem war es nicht gegen dich gemeint. Es ist einfach nur ...“ Sam schüttelte nur den Kopf. Sein Bruder benahm sich manchmal wie ein kleines Kind. Er blickte sich demonstrativ im Stadion um. Neben sich hörte er Dean mit einer Snackverpackung knistern. Er ignorierte es und sog die fast schon euphorische Stimmung in sich auf. Es tat gut mal nicht nur Trübsinn und Trauer wahrnehmen zu können. Durch ihre Sitzreihe drängelte sich eine Gruppe Frauen, eine rassige Blondine im bauchfreien Top voran. „Mach mal Platz, Alter“, sagte Sam und schlug seinem Bruder gegen den Arm. „Waff?“, wollte der kauend wissen. Er drehte sich zu Sam und sein Blick fiel auf die Frau. Sofort stand er auf, damit sie ihn besser passieren konnte und drückte seinen angefangenen Schokoriegel nebenbei Sam in die Hand. Hastig würgte er den Bissen hinunter. „Die Plätze werden gerade mehr als nur gut“, erklärte er und lächelte die Frau an. Wenn er geahnt hätte, dass hier so viele rassige Weiber herumliefen, wäre er sicherlich nicht zwei Tage in diesem Kaff geblieben, sondern sofort weitergefahren. Erholen hätten sie sich auch hier können. Sie musterte Dean von oben bis unten und schien wohl nicht ganz abgeneigt zu sein, denn sie ließ sich neben ihm auf den Platz fallen. „Hey, ich bin Dean.“ „Ith heithe Lith“, lispelte sie und lächelte schüchtern. Sam schnaubte kurz und bekam gleich darauf einen furchtbaren Hustenanfall. „Kommst du aus El Paso“, versuchte Dean den Anstand zu wahren. Immerhin war sie heiß und er wollte mit ihr auch keine Beziehung eingehen. Außerdem konnte sie beim Sex ja die Klappe halten, oder hatte sie etwa ein Zungenpiercing? „Wir kommen auth einem Vorort“, erklärte sie lächelnd. Dean nickte kurz. „Das Piercing hast du noch nicht lange, oder?“, setzte er alles auf eine Karte. „Nein, ertht drei Tage.“ Der ältere Winchester grinste breit. „Steh auf Alter, hier wollen noch mehr Leute durch“, sagte Sam noch immer hustend und klopfte ihm auf die Schulter. Ungehalten drehte sich Dean um und blickte einem Pärchen entgegen. Grummelnd erhob er sich und ließ sie passieren. „Kann es sein, dass ihr auf unseren Plätzen sitzt?“, wollte der Mann von der lispelnden Blondine wissen. „Wietho? Wir thithen hier. Wir haben Karten!“ Sie nestelte an ihrer Tasche und holte ihre Karte hervor und hielt sie dem Typen hin. „Eure Plätze sind einen Block weiter“, erklärte der Mann trocken. „Oh echt, thath tut unth leid“, sagte sie und blickte dabei zu Dean, der bedauernd nickte, während ihre Freundinnen murrend ihre Sachen zusammensuchten und die Plätze wieder räumten. „Alter, die ging ja wohl gar nicht“, erklärte Sam breit grinsend. „Noch nie gehört, dass Zungenpiercings echt der Hammer sein sollen?“ Sam verdrehte die Augen. Woher sein Bruder das nun schon wieder wusste. „Schade“, stellte der fest. „Die war definitiv scharf auf mich.“ „Dir bleibt ja noch die Kleine vom T-Shirt-Stand.“ „Mal sehen. Die T-Shirts werde ich mir auf jeden Fall noch mal ansehen.“ „Die für dich oder ihrs?“ „Wie wäre es mit beiden?“ Die Vorgruppe betrat die Bühne und begann zu spielen, doch die Musik konnte Dean nicht fesseln. „Ich glaube nicht, dass wir uns die merken müssen, oder?“, wandte sich Dean an seinen Bruder, der nur mit den Schultern zuckte. Und so begnügten sie sich damit die Menschen um sie herum zu beobachten und Dean zusätzlich noch seinen Vorrat an Süßigkeiten schmelzen zu lassen. Erst als die Band die Bühne räumte, begann die Stimmung von freundlichem Desinteresse in knisternde Spannung umzuschlagen. Und auch Dean setzte sich gerade hin und blickte unverwandt auf die Bühne. Die ersten Töne erklangen, die ersten Bilder waren auf der Leinwand zu sehen und Dean rutschte auf seinem Stuhl noch weiter nach vorn. Gebannt starrte er auf die Bühne und sog jeden Ton von „Rock `n Roll Train“ in sich auf. Beim zweiten Titel „Hell ain´t a bad place to be“ grübelte er darüber nach, ob sie mit dieser Aussage wohl Recht hatten und wie nahe er diesem Ort gewesen war. Nein, er wollte da nicht hin. Er war zwar noch immer oder schon wieder des Jagens so müde, aber jetzt hatte er eine Perspektive und, vielleicht das Wichtigste überhaupt, jetzt war Sams Leben nicht bedroht. Nein, jetzt wollte er da noch weniger hin als damals, aber wenn es sein müsste? Für Sam würde er auch heute noch sein Leben eintauschen. Sam sah, wie sein Bruder sich verspannte. Er beugte sich nach vorn, wie um an den Rucksack zu kommen. Seine Hand streifte, wie aus Versehen, Deans Oberschenkel. Kurz trafen sich die Blicke und der Ältere lächelte etwas unsicher. Doch gleich darauf straffte er sich. Nein! Dieser Lebensabschnitt lag lange hinter ihm. Er würde es nie vergessen und er würde es für Sam wieder tun, aber vorher würde er alle anderen Wege versuchen. So schnell war er nicht mehr zu haben! Was ihn allerdings schon interessierte: Woher hatten die Bands dieses Wissen? Danach folgte „Back in Black“. Augenblicklich legte sich ein verliebtes Strahlen auf Deans Gesicht. Es war eines seiner Lieblingslieder! Lauthals sang er mit. Sein Blick glitt hin und wieder zu Angus Young und er überlegte, ob er das mit den Gitarre-spielen-lernen vielleicht doch noch einmal in Angriff nehmen sollte. „Eye of the tiger“ und „Hey Jude“ konnte er mal spielen doch dann waren sie, wie üblich, weiter gezogen und auch dieses, für John sinnlose Können war in Vergessenheit geraten. Vielleicht sollte er es wieder ausgraben? Warum nicht? Es gab so Vieles für sie zu entdecken, was John als sinnlos erachtet hatte. So vieles zu lernen und so vieles zu erleben! Ja! Sie würden ihr Leben von jetzt an genießen! Immer wieder während der Show warf Sam einen Blick auf seinen Bruder, der so komplett in einer eigenen Welt zu sein schien. Und er ahnte nicht einmal wie recht er mit diesem Gedanken hatte und was der gerade für sich entschied. Dieses Bild allerdings nahm er tief in sich auf, denn so einfach nur glücklich hatte er Dean schon ewig nicht mehr erlebt. Er schien regelrecht zu strahlen. Und er freute sich wieder einmal, dass er diese Karten bekommen hatte! Das Konzert neigte sich seinem Ende entgegen, doch natürlich kamen AC/DC nicht ohne Zugabe von der Bühne. „Highway to hell“ Noch eins von Deans Lieblingsliedern. Er wusste nicht, wie oft er sich genau so gefühlt hatte, wie oft sie auf genau diesem Highway zur Hölle waren. Doch das war vorbei! So komisch es vielleicht auch war, dieses Konzert hatte die Chance auf ein normales Leben in ihm real werden lassen und er wollte diese Chance ergreifen! Außerdem er wusste jetzt auch Sam an seiner Seite! Und schon folgte der wirklich letzte Titel! “For those about to rock – we salute you.” „Das gilt eindeutig uns, Sammy“, erklärte Dean im Brustton der Überzeugung. „Wieso?“ „Na wenn wir nicht rocken, wer dann?“, fragte der Ältere. Sam lächelte nur. Es war viel zu schön Dean so zu sehen und er hoffte, dass das nur der Anfang von vielen solcher Momente war. Gemeinsam mit den anderen Konzertbesuchern machten sie sich am Ende auf den Weg nach unten zu dem Ausgang. „Das sollten wir wieder öfter machen“, sagte Dean und überlegte, dass das nächste Konzert auf jeden Fall mehr für Sam sein müsste. Vielleicht Bon Jovi? Er holte den Impalaschlüssel aus der Tasche und reichte ihn Sam, der ihn sofort fragend ansah. „Ich werd mir jetzt ein oder zwei T-Shirts holen und wenn die Kleine noch immer scharf auf mich ist …“ Dean ließ den Rest seines Satzes offen, denn Sam konnte sich das Ende denken. Der nickte nur. Im Stillen wünschte er ihm viel Spaß. Vielleicht würde er ja bald eine feste Beziehung führen, so wie er mit Jess? Wie es ihm dabei wohl gehen würde? Konnte Dean überhaupt treu sein sooft, wie er in der Schule gleich mehrere Freundinnen auf einmal hatte. Er wünschte es ihm auf jeden Fall von ganzem Herzen und er freute sich darauf, das miterleben zu können. Im Moment konnte er jedoch beobachten, wie Sandy seinen Bruder verheißungsvoll anlächelte, kaum dass sie ihn erblickte. Er grinste, wünschte seinem Bruder viel Spaß und ging nach draußen, um zum Impala zu kommen. Kapitel 109: Verpasste Chance ----------------------------- @ Vanilein - Du hast Recht. Die Zwei haben ein echtes Leben verdient, aber lässt das Übernatürliche sie in Ruhe? LG Kalea Wünsche euch ein ruhiges, wunderschönes Adventswochenende. 109) Verpasste Chance „Smoke on the water“, riss Dean aus dem Tiefschlaf und das obwohl es eigentlich fast unhörbar war, aber er war so sehr auf dieses Lied geeicht, dass sein Handy wohl in einem anderen Zimmer liegen müsste, damit es es nicht wahrnehmen konnte. Träge drehte er den Kopf zur Quelle dieser Störung. Er wollte nichts weniger, als sich bewegen oder gar aufstehen! Das Geräusch erstarb und er kuschelte sich, leise zufrieden grummelnd, wieder tiefer in sein Kissen. Allerdings blieb ihm keine Zeit wieder richtig einzuschlafen, denn sein Telefon klingelte erneut. Müde rieb er sich über das Gesicht und angelte nach seiner Hose, um den Störenfried zum Schweigen zu bringen. Irgendwann heute würde er vielleicht zurückrufen. Er holte es aus der Tasche und warf einen kurzen Blick auf das Display. Nick! Was wollte der denn von ihm? Nichts Gutes, wahrscheinlich. Aber er würde wohl nicht anrufen, wenn es nicht dringend war, oder? Schnell drückte er die Taste zum Annehmen. „Was gibt’s?“, fragte er leise, schob die Decke beiseite, stand auf und ging in den Flur. „Ich hab dich jetzt nicht geweckt, oder?“, wollte der Agent etwas irritiert wissen. „Wenn du es genau wissen willst, hast du.“ „Das wollte ich nicht, soll ich …“ „Jetzt bin ich wach, also was willst du?“ „Ich hab euch doch von den Morden in einem Hochhaus in Dallas erzählt. Es passiert wieder.“ „Und jetzt sollen wir uns das ansehen?“ „Wenn ihr nicht gerade in einem Fall steckt.“ „Eigentlich wollten wir ...“, Dean schüttelte den Kopf, „Egal. Wir sind in El Paso. Ich rede mit Sam!“ „Das wäre gut. Ich komme hier einfach nicht mehr weiter.“ Dean holte tief Luft. Nick klang wirklich verzweifelt. „Wenn ihr kommen könntet, wäre das super.“ „Ich rede nachher mit Sam“, sagte Dean noch einmal und legte auf. Leise seufzend verdrehte er die Augen. Wie war das mit Urlaub und aufhören? Andererseits hatte er bis Weihnachten weitermachen wollen und jetzt war erst November. Irgendwie hatte er absolut keine Luft auf einen neuen Fall und irgendwie kam er sich furchtbar vor, wenn er Nick jetzt hängen lassen würde. Seufzend rieb er sich erneut über das Gesicht. Vielleicht brachte ihn eine Runde Schlaf ja weiter? Er blickte zur Schlafzimmertür. Wie gerne würde er sich noch einmal zu Sandy ins Bett legen. Die Nacht war heiß gewesen, heißer als heiß. Sie war fast so gelenkig wie Lisa damals. Auch hätte er noch gut und gerne ein paar Stunden Schlaf vertragen, denn dazu war einfach kaum Zeit gewesen! Dean rieb sich noch einmal über das Gesicht und ging dann wieder ins Schlafzimmer. Leise suchte er seine Kleidung zusammen, drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange und wandte sich ab. Anziehen konnte er sich auch im Flur. Dazu musste er sie nicht wecken. „Hey“, murmelte sie leise und drehte ihr Gesicht noch ein Stückchen weiter zu ihm, um seine Lippen einzufangen. „Hm“, schnurrte er. „Musst du schon los?“, wollte sie mit leichtem Bedauern in der Stimme wissen. „Die Arbeit ruft“, erklärte er ruhig. „Und wie kommst du hier weg?“ Sie setzte sich auf, die Decke rutschte nach unten und gab einen Blick auf ihren nackten Oberkörper frei. „Ich rufe meinen Bruder an, der kann mich holen.“ „Du arbeitest mit deinem Bruder?“ „Familienunternehmen.“ „Du hättest was sagen können. Ich meine wir hätten nicht so lange … wenn du arbeiten musst.“ „Eigentlich hätten wir frei gehabt. Aber jetzt ist unvorhergesehen doch ein neuer Auftrag rein gekommen“, versuchte er zu erklären. Er beugte sich zu ihr, um ihr noch einen Kuss zu geben. Sie rutschte zum Bettrand, raffte die Decke um ihren Körper und wollte sich erheben. „Du musst nicht aufstehen.“ „Hmmm“, schnurrte sie, schlang ihre Arme um seinen Körper und ließ sich mit ihm wieder in die Kissen sinken. Er ließ seine aufgesammelte Kleidung wieder fallen. Dean gab ihr nur zu gerne nach. Diese Nacht war wirklich viel zu schnell vorbei gewesen. Sollte Nick doch warten! Leidenschaftlich begann er ihren Mund zu erforschen. „Smoke on the water“ riss ihn erneut in die Realität. Er löste sich von ihr und suchte, sein Handy verfluchend, nach dem Teil. „Ganz schlechtes Timing“, begrüßte er seinen Bruder. „Glaubst du mir, dass ich das nicht wissen wollte?“, grinste Sam. Trotzdem tat es ihm leid, ihn stören zu müssen. „Nick hat angerufen. Der Fall, von dem er uns in Stillwater, NY erzählt hat.“ „Ja, hatte ihn auch schon dran. Kommst du mich holen?“, überging Dean die Frage, die er eigentlich stellen wollte, nämlich ob sie sich darum kümmern sollten. Wenn Sam nicht der Meinung gewesen wäre, hätte er wohl kaum hier angerufen, sondern Nick abgewimmelt. „Wo bist du?“ Sam stöhnte. So schnell kamen sie dann wohl doch nicht aus ihrem Leben. „Wo sind wir hier“, wollte Dean von Sandy wissen. Sie gab ihm die Adresse, stand auf und griff nach ihrem Morgenmantel. Dean wollte die Adresse weitergeben. Ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Er starrte sie mit großen Augen an, während sie den Gürtel um diesen Hauch von Nichts schloss. „Ich mach uns Kaffee“, sagte sie lächelnd und entschwand durch die Tür. „Dean?“, fragte Sam etwas ungeduldig und holte so seinen Bruder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Huh?“ „Du wolltest mir die Adresse sagen“, grinste der Jüngere so breit, dass Dean es regelrecht hören konnte. „Ähm, ja.“ Er gab die Adresse weiter. „Dann komm ich dich mal holen“, erklärte der und legte auf. Dean stand noch eine Weile reglos neben dem Bett. Er seufzte. So hatte er sich den Beginn ihres Urlaubes nicht vorgestellt und begann sich fertig anzuziehen. Als er in die Küche trat, röchelte die Kaffeemaschine gerade die letzten Tropfen durch den Filter. „Es tut mir leid, ich …“, begann er und wurde von Sandy mit einer kategorischen Handbewegung unterbrochen. „Du willst jetzt nicht sagen, dass dir die letzte Nacht leid tut!“ „Nein. Wie könnte ich“, verwehrte er sich sofort gegen diese Aussage. „Die Nacht war wundervoll. Es tut mir nur leid dass sie so abrupt und jetzt schon zu Ende ist.“ Sie lächelte. „Du kannst jeder Zeit wieder vorbeikommen.“ Sie verteilte den Kaffee in die Tassen, die auf der Anrichte standen und reichte eine davon an Dean weiter. „Zucker, Milch?“ „Nein. Ich mag ihn so schwarz wie meine Seele.“ Er grinste schief. War seine Seele schwarz? Würde er, wenn er starb doch in der Hölle landen? Ruby hatte ihm das Gegenteil erklärt, aber war es auch jetzt, nach Allem was in letzter Zeit passiert war, noch so? Er rieb sich die Nasenwurzel. Das waren Gedanken, die er weder wollte noch gebrauchen konnte. Sie zogen ihn nur wieder runter. Er war noch lange nicht wieder so stabil wie damals, als er Sam aus Stanford geholt hatte. War er je so stabil gewesen oder war der in sich ruhende Krieger gegen alles Böse, den er immer zur Schau gestellt hatte, nur ein Trugbild, mit dem er sogar sich selbst für eine Weile täuschen konnte? Unterschwellig nahm er das Grollen seines Babys wahr und dann riss ihn der Klang der Hupe endgültig aus seinen Gedanken. Er lächelte müde, schüttete seinen Kaffee herunter und erhob sich. „Danke“, sagte er leise, gab ihr noch einen Kuss und verließ, nach seiner Jacke greifend, die Küche und gleich darauf die Wohnung. Sandy nahm ihren Kaffee und ging zum Fenster. Ein junger Mann lief gerade um einen wundervollen schwarzen Oldtimer herum und blieb an der Beifahrertür stehen. Sie sah wie Dean auf genau diesen Wagen zu lief. Da ging er hin, der Mann, mit dem sie gerne mehr als nur eine Nacht zusammen gewesen wäre. Er war so anders als die meisten der Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Einfühlsam, gefühlvoll, hilfsbereit und so gar nicht nur auf sich bezogen. Sie schüttelte den Kopf. Solche Gedanken sollte sie besser schnell wieder vergessen. Die brachten nur Kummer, weil sie nie wahr wurden. „Hey“, grüße Sam und blickte seinem Bruder entgegen. „Lange Nacht?“ Dean nickte nur müde. Ja die Nacht war lang gewesen und trotzdem viel zu kurz. Immerhin hatte er Sandy noch geholfen den Stand abzubauen und die Waren in einem Lagerraum unterzubringen, bevor sie zu ihrer Wohnung gefahren waren. Sam öffnete die Beifahrertür, beugte sich in den Innenraum des Wagens und holte eine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach. Er ging erneut um den Wagen herum und reichte die Brille weiter. „Schlaf dich aus, ich weiß wo wir hin müssen.“ Wortlos nickte Dean wieder, nahm die Brille und warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. Sie würden den Fall also übernehmen!?! Er schob sich die Brille auf die Nase, ging um den Impala herum, ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und war eingeschlafen, bevor Sam den Wagen richtig auf die Straße gelenkt hatte. Immer wieder schaute Sam während der Fahrt zu seinem Bruder. Dean sah noch immer müde, aber auch vollkommen zufrieden aus. War wohl eine schöne Nacht gewesen. Er gönnte sie ihm von ganzem Herzen. Dean hatte viel zu lange wie ein Mönch gelebt. Eigentlich würde er ja jetzt viel lieber nachsehen, ob Nick ihm die Akte zu dem Fall schon geschickt hatte und mit seiner Online-Recherche beginnen, aber … Verdammt! Sie wollten aussteigen, Urlaub machen und später ganz normalen Berufen nachgehen! Wieso dachte er dann nicht einmal darüber nach Nicks Bitte abzulehnen? Weil Dean es auch nicht getan hatte? Hatte Dean Nicks Bitte sofort zugestimmt? Nick hatte nichts davon gesagt und er selbst hatte ihm auch nur erzählt, dass Nick angerufen hatte. Wahrscheinlich hatten sie, wie so oft, aneinander vorbeigeredet. Sie beide wollten nicht alleine ablehnen und hatten die Zustimmung des Anderen als gegeben angesehen. Da waren sie wohl in einer echten Zwickmühle gelandet. Für’s nächste Mal sollten sie sich besser absprechen! Erst als Sam den Impala auf den Parkplatz eines Diners lenkte, regte sich Dean wieder. „Guten Morgen“, grüßte Sam fröhlich und grinste breit, weil ihn sein Bruder etwas ratlos anschaute. „Na so lange wie du geschlafen hast, muss für dich doch schon wieder Morgen sein!“ „Wieso, wie spät ist es denn?“, wollte der Ältere träge wissen. „Lunch ist vorbei“, erwiderte Sam. Dean zuckte mit den Schultern, nickte dann aber, streckte sich und folgte Sam in das Diner. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sah, dass sich sein Bruder wie immer mit dem Rücken zur Tür setzte. So konnte er wie gewohnt Platz nehmen, und fühlte sich gleich noch besser. Alles im Blick zu haben bedeutete ihm mehr, als er angenommen hatte. Vorsichtig ließ er sich auf die Bank fallen. Die Verbrennungen würden ihm wohl noch eine Weile zu schaffen machen. Komisch nur, dass er sie in der letzten Nacht kaum gespürt hatte. Sandy wollte zwar wissen, woher die waren, doch er hatte sie sehr schnell ablenken können, ohne eine Antwort geben zu müssen. Diese Ablenkung war auch bei ihm sehr wirksam gewesen. „Wie geht’s dir?“, wollte Sam auch sofort wissen. „Wird wohl noch dauern, bis ich Wether-Wortington vergessen kann“, antwortete der Ältere mit einem schiefen Grinsen. „Wir haben noch genug Salbe. Du musst sie nur benutzen.“ Dean verdrehte sie Augen und schaute demonstrativ in die Karte. Es dauerte nicht lange, bis eine Bedienung, Dina, verriet ihr Namensschild, zu ihnen an den Tisch kam, ihre Bestellungen aufnahm und ihnen Kaffee brachte. Sam hatte bewusst auf seinen Laptop verzichtet. Er wollte sich nicht schon wieder dahinter verkriechen und für einen Fall recherchieren. Eigentlich wollte er nie wieder für einen Fall nach Fakten suchen, doch das hatten sie wohl beide vergeigt. Demonstrativ drehte er seinen Kopf zum Fenster und doch huschte sein sein Blick immer wieder zu seinem Bruder. Dean sah müde und irgendwie glücklich aus, aber auch angespannt. Würde Dean von selbst reden?nSollte er ihn fragen? „Wir sollten uns …“ begann er, brach aber ab, als Dina mit ihrem Essen kam. Schweigend begannen sie ihre Teller zu leeren. Kapitel 110: Gewitter mit Unwetterpotential ------------------------------------------- Wünsche euch einen schönen 4. Advent und ein wundervolles Weihnachtsfest. Ruhe und Besinnlichkeit, den leckeren Braten und den überfüllten Magen, glückliche Gesichter unterm Weihnachtsbaum und ganz viel Liebe . Eure Kalea @ Vanilein - Jaja, ich wieder. Immer muss ich sie aus dem Schlamassel retten ... nee, dieses Mal sollen sie selbst sehen, wie sie da raus kommen ;-))) LG Kalea 110) Gewitter mit Unwetterpotential „Warum tust du das?“, wollte Dean während des Essens unvermittelt wissen und schaute seinem Bruder in die Augen. „Essen? Damit ich nicht verhungere?“, antwortete Sam irritiert. „Nein“ Dean schüttelte unwirsch seinen Kopf. Er hätte die Frage wirklich besser formulieren sollen. „Das meinte ich nicht“, sagte er leise. „Ich wollte wissen wieso du nur Grünfutter isst.“ „Cholesterin, Herzinfarkt. Ich will fit und gesund bleiben. Das Leben verlangt uns so schon eine Menge ab.“ „Du weißt aber schon, dass Essen sich nicht wirklich auf den Cholesterinspiegel auswirkt, es sei denn, du isst nur Fett, oder?“ „Ich mag Salat.“ „Aber nur?“ „Du isst doch auch meistens Burger.“ „Meistens. Aber Du ist fast immer Salat. Warum?“ Sam zuckte mit den Schultern. Aß er wirklich nur Salat? „Vielleicht, weil ich keine Lust auf irgendwelche Essensexperimente der unterschiedlichen Küchen habe? Mir ist das Essen in den Diners meistens zu fettig. Wenn wir uns was vom Chinesen holen esse ich ja auch nicht nur Salat.“ Dean legte den Kopf schief. So ganz war das zwar nicht die Antwort die er erhofft hatte, aber irgendwie wusste er wohl selbst nicht, was er hören wollte. „Warum fragst du?“ „Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Vielleicht sollte ich meine Essensauswahl mal ändern? Vielleicht sollte ich mich ändern? Wir versuchen so viel zu ändern und eigentlich bleibt alles wie es ist“, sinnierte der Ältere. Sam überlegte kurz. „Du meinst, wenn wir uns ändern, dann muss sich unser Leben auch ändern?“ „Es wäre einen Versuch wert, oder?“ „Du wolltest diesen Fall nicht?“, stellte Sam leicht erschrocken fest. Als Nick ihn angerufen und ihm gesagt hatte, dass er schon mit Dean gesprochen habe, war er davon ausgegangen, dass Dean zugestimmt hatte, den Fall zu übernehmen. „Ich wollte mit dir reden.“ „Ich hätte nicht zusagen sollen!“, erklärte der Jüngere zerknirscht. „Nick hat uns damals in Stillwater davon erzählt und ich habe ihm gesagt, dass er sich melden soll, wenn es wieder passiert. Also ja, wir sollten ihm helfen.“ „Trotzdem sollten wir uns überlegen, wie wir zukünftig in solchen Fällen reagieren.“ Eine Weile starrte Dean aus dem Fenster. „Wir machen bis Weihnachten weiter?“, fragte er dann etwas unsicher. „Du meinst, nach diesem Fall soll ich nach einem neuen suchen?“ „Nein!“, platzte es aus Dean heraus. Erschrocken schaute er zu Sam und schüttelte dann über sich selbst den Kopf. „Ach verdammt! Ich weiß es auch nicht!“, schimpfte er überlegte kurz und holte tief Luft. „Nein! Du suchst nach keinem Fall. Wenn wir den hinter uns haben, fahren wir zu Bobby. Sollten wir über einen Fall stolpern, machen wir den noch und wenn nicht? Dann machen wir uns bei Bobby ein paar schöne Wochen, versuchen Jody wieder zum Einziehen zu bewegen und überlegen uns, was wir auf Dauer mit unserem Leben anfangen wollen?“ Unsicher suchte er in Sams Gesicht nach einer Antwort. „Wenn du etwas entschieden hast, dann willst du es auch mit allen Mitteln erreichen“, stellte Sam fest. „Du willst also so weiter leben?“ Enttäuschung machte sich in Deans Gesicht breit. Er ließ den Kopf hängen. Warum darüber nachdenken was sein könnte, wenn es doch nie eintreten würde! „Nein! Ach verdammt! So meine ich das doch gar nicht!“, schimpfte Sam. „Es ist nur … Ich will dieses Leben so ja auch aufgeben. Aber es gibt nicht so viele Jäger und wir gehören zu den Besten. Wir können die Menschen doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Ich meine, wenn kein anderer Jäger in der Nähe ist … Du hast mir damals erklärt, dass dieses Leben unser Familienauftrag ist.“ Er hatte so oft darüber nachgedacht und er wollte sein ganzes Leben lang ein anderes, aber jetzt wo dieses andere quasi zum Greifen nahe war, kam es ihm irgendwie falsch vor. So, als würde er jemanden verraten. „Diese Familie ist auf so vielen Lügen aufgebaut. Warum sollte es damit anders sein?“ „Du willst mit aller Macht aus diesem Leben raus!“ „Ich möchte John und alles was mit ihm zu tun hat zu gerne komplett aus meinem Gedächtnis streichen! Und das heißt auch, diese Leben hinter mir zu lassen!“ Sam nickte. Wahrscheinlich war das die einzige Art wie Dean mit Johns Betrug? War es Betrug gewesen? In den Augen seines Bruders wohl schon. Jedenfalls war es wohl der einzige Weg, wie Dean mit all dem klarkommen konnte. Und ja! Er wollte ja auch aussteigen. Aber er konnte die Menschen doch nicht einfach so den Monstern überlassen. Gutes zu tun hatte ihm nach Jessicas Tod geholfen einen Sinn in diesem Irrsinn zu sehen und er kam sich schlecht dabei vor, wenn er daran dachte Menschen im Stich zu lassen. „Wenn wir tot sind, müssen die anderen unsere Fälle auch übernehmen“, sagte Dean leise. „Ja schon. Aber irgendwie … Es fühlt sich an, als ob wir die Menschen verraten.“ „Was soll das Sam?“ Dean warf seinen Burger auf den Teller. Ihm war der Appetit vergangen. „Erst bekniest du mich eine halbe Ewigkeit, damit wir aussteigen und dann, als ich endlich soweit bin um dieses Leben an den Nagel zu hängen, kommst du mir mit Gewissensbissen? Tut mir leid, Sam. Ich werde für dich nicht mehr das Arschloch spielen, dass dir sagt, was du zu tun und zu lassen hast. Denn egal was ich entscheiden würde, es wäre falsch! Aber da spiele ich nicht mehr mit. Das kannst du schön alleine mit dir ausmachen.“ Er stand auf. „Du hast genau fünfzehn Minuten um dich zu entscheiden und deinen Salat zu essen. Danach bin ich weg! Aber du weißt ja, wo du mich finden kannst!“ „Dean! So war das nicht gemeint! Ich hab doch nur …?“ „Vergiss es!“, knurrte Dean. Er wollte nichts mehr davon hören! Wütend stapfte der ältere Winchester aus dem Diner. Sanft glitten seine Finger über das schwarze Blech seines Babys. „Du hintergehst mich nie“, wisperte er leise und ließ sich hinter das Lenkrad fallen. Was war nur in Sam gefahren? Hatte der wirklich geglaubt, dass er alles verraten würde, was er sich bei Ellen so schwer erkämpft hatte? Verdammt! Er wäre fast draufgegangen und ob er sich ohne Sams Hilfe gefangen hätte, wollte er auch nicht näher ergründen. Aber warum kam der jetzt mit so einem Scheiß an? Hatte sein kleiner Streber jetzt seine Sinnkrise? Wieso? Sam war doch immer derjenige, der frei sein wollte. Der, dem der Familienauftrag, ihre Familie überhaupt, egal war. Warum wollte er jetzt plötzlich daran festhalten? Hatte er genau solche Angst wie er selbst? Er wusste, dass er Sam hier helfen müsste, aber er konnte es nicht, denn er war noch lange nicht wieder so stabil. Er hatte Angst umzufallen und die schwer erkämpfte Entscheidung wieder zu verwerfen. Dann würde er hier nie rauskommen und irgendwann genauso enden wie John. Und genau das war inzwischen das Letzte, was er wollte. Sam ließ den Kopf hängen. Was hatte er angerichtet? Warum hatte er diese Fragen überhaupt gestellt? Musste er sich unbedingt mal wieder gegen Dean stellen, egal wie bekloppt seine Argumente waren? Was sollte das? Sie hatten einen gemeinsamen Nenner gefunden. Einen, mit dem sie beide wunderbar leben konnten und dann kam er mit so einem Mist um die Ecke. Scheinbar musste er alle paar Monate unbedingt in ein Fettnäpfchen springen, egal wie sinnlos die Aktion war und egal wie weh er seinem Gegenüber damit tat. Wie blöd war er eigentlich? Und wieso lernte er nichts dazu? Er ließ seinen Salat stehen und ging an die Theke um zu zahlen. Hinter der Kasse stand ein kleines Regal mit Süßigkeiten. Schnell orderte er noch ein paar Schokoriegel und hoffte Deans Laune damit etwas heben zu können. Doch wenn der sich wirklich schon so weit geändert hatte, dann würde das wohl nicht klappen. Verdammt! Dean vertraute ihm und er musste unbedingt einen Keil zwischen sie treiben. Schnell zahlte er und beeilte sich zu seinem Bruder zu kommen. „Es tut mir leid, ich …“, begann Sam kaum dass er die Tür geschlossen hatte und hielt ihm einen Schokoriegel hin. „Lass es sein, Sam, ich will keine lahmen Entschuldigungen hören und ich bin kein Kind, das man mit Süßigkeiten bestechen kann. Ich habe es satt immer schuld zu sein, wenn etwas in deinem Leben nicht so läuft, wie du es willst. Du bist hier und das nehme ich jetzt mal als Bestätigung, dass du diesen Fall mitmachen wirst. Danach können wir weitersehen.“ „Dean, bitte!“ Der Ältere hob abwehrend die Hand und drehte gleich darauf den Lautstärkeregler des Radios so weit nach rechts, dass keine Unterhaltung mehr möglich war. Er wollte nicht reden. Wahrscheinlich war das falsch, aber er wollte sich für seine Entscheidungen nicht rechtfertigen, denn er hatte Angst umzukippen, wenn Sam länger nachfragen sollte. Was sollte er mit einem Leben auch anfangen? Er konnte doch nur jagen. Sam seinerseits war traurig und wütend auf sich selbst. Er hatte die halbe Nacht wach gelegen und sich mit genau diesem Problem von einer Seite auf die andere gewälzt und sich über sich selbst geärgert. Nicht nur, dass er zu keinem sinnvollen Ergebnis gekommen war, nein! Es war auch noch vollkommen idiotisch darüber überhaupt nachzudenken. Sie hatten sich, auch auf oder eher wegen, seines Drängens hin zu einem Dämonenjäger-Ruhestand entschlossen. Er wollte doch dass Dean ausstieg, solange es sie noch nicht umgebracht hatte und jetzt, wo sich sein Bruder endlich genau dazu entschlossen hatte, machte er einen Rückzieher? Warum? Aus Angst vor einem normalen Leben? Hatte er Angst davor, dass er irgendwann eine Freundin haben und die genauso enden könnte wie Jess? Sie konnten sich und ihre Freunde schützen. Zumindest hoffe er, dass sie das konnten. Sicher wäre wohl niemand von ihnen. Aber wollte er sich deswegen das ganze Leben versauen lassen? Wollte er, nur weil er vielleicht jemanden nicht schützen konnte, nie die Chance auf ein richtiges Leben ergreifen? Nein! Er wäre schön blöd, wenn er das tun würde. Wenn Dean sich davon nicht abhalten ließ, wieso dann er? Die Musik dröhnte noch immer in unvermittelter Lautstärke aus den Boxen. Dean war also noch nicht ansprechbar. Er seufzte leise. Zu gerne würde er sich erklären und entschuldigen. Energisch griff er nach dem Lautstärkeregler und drehte ihn auf ein annehmbares Maß zurück. „Vielleicht bin ich genauso unsicher wie du, wenn es um ein normales Leben geht?“, sagte er leise und schaute zu seinem Bruder. Hatte der ihn überhaupt gehört? Er schüttelte den Kopf. Noch einmal würde er ihn jetzt nicht ansprechen. Das zu klären musste er wohl oder übel auf später verschieben. Jetzt sollte er sich besser schon mal um Fakten für diesen neuen Fall kümmern. Er holte seinen Laptop vom Rücksitz, öffnete sein Mailfach und zog sich die Informationen von Nick herunter. Eine Weile las er und begann dann nach weiteren Informationen zu suchen. Zu gerne würde er die Fakten schon mal mit Dean durchgehen, doch der wollte noch immer nicht reden. Da hatte er sich ja was eingebrockt! Dabei schien der Fall wirklich interessant zu sein. Es war schon dunkel, als Dean den Impala über die Stadtgrenze lenkte. „Wohin?“, wollte er ruhig wissen. Sam war für einen Moment perplex. Bis jetzt hatte sein Bruder geschwiegen, auch wenn er das Radio nicht wieder lauter gedreht hatte. Als er daraufhin allerdings sofort sein Wissen loswerden wollte, hatte Dean ihn mit einer Handbewegung darauf hingewiesen, dass er noch immer keine Lust hatte, mit ihm über ihren Streit zu reden und auch nichts hören wollte. Er seufzte leise. Da hatte er sich ja echt was eingebrockt! „Best Western Plus“, beeilte er sich zu antworten und gab Dean auch gleich noch die Adresse. „Nick hat uns ein Zimmer gebucht, damit wir uns in der Nacht nicht noch mit dem Rezeptionisten herumschlagen müssen. Er meinte, wir sollen den Schlüssel bei ihm holen. Zimmer 308.“ Dean zuckte mit den Schultern. Das interessierte ihn im Moment herzlich wenig. Fast wortlos lotste Sam seinen Bruder durch die Straßen und der war ihm wirklich dankbar dafür. Auch wenn er wusste, dass er sich kindisch verhielt, er war noch nicht wieder soweit, um mit ihm unbefangen reden zu können. Er hatte sich zu einer Entscheidung durchgerungen, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellte und gerade dabei hatte er sich Rückendeckung von seinem Bruder erhofft, denn der kannte ihn wie niemand sonst und müsste wissen, dass er sich dabei lange nicht so sicher war, wie er auftrat. Doch Sam war ihn ohne Vorankündigung in den Rücken gefallen. Das musste er erst einmal verdauen. Kapitel 111: Nachwehen des Streits ---------------------------------- @ Vanilein - So sind sie, unsere Jungs. Irgendwie wollen sie das Richtige und tun manchmal das Falsche. Aber sie werden schon, denke ich. Vielen Dank für Deine Treue. Wünsche Dir einen guten Rutsch ins neue Jahr - und treib es nicht zu bunt ;-)) LG Kalea 111) Nachwehen des Streits Am Best Western Plus abgekommen, lenkte Dean den Impala auf einen der Parkplätze und stieg aus. Er streckte sich ausgiebig. Kurz zuckte er zusammen, als der Stoff seiner Jeans über seine Verbrennungen strich, doch genauso schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle und holte seine Tasche aus dem Kofferraum. Mit einem kurzen Blick orientierte er sich und machte sich dann auf den Weg zum Zimmer 108. Er klopfte. Niemand antwortete. Ratlos schaute er sich zu Sam um und gerade als er fragen wollte, sah er Nick über den Parkplatz kommen. „Da seid ihr ja“, begrüßte der sie freudestrahlend. „Ich brauchte etwas Bewegung und dachte mir, dass ihr bestimmt Hunger haben werdet, also hab ich uns was besorgt. Das Cafe, zwei Straßen weiter, ist wirklich zu empfehlen.“ Er machte die letzten Schritte auf die Brüder zu. „Hey“, grüßte er leise und drückte Dean ein Tablett in die Hand. Das zweite reichte er an Sam weiter und kramte seinen Schlüssel aus der Tasche. „Wartet, ich hol nur schnell euren Schlüssel.“ Nick schloss seine Tür auf, holte einen Schlüssel von der kleinen Kommode und ging zur Tür nebenan. Routiniert nahmen die Winchesters ihr Zimmer in Besitz. Sie warfen ihre Taschen auf die Betten und stellten die Tabletts auf den Tisch. Dean fütterte die Kaffeemaschine und Sam baute seinen Laptop auf, während Nick einfach nur im Raum stand und zuschaute. Wehmütig erinnerte er sich daran, wie es mit Luca-Lorenzo gewesen war. Mit seiner Partnerin hatte er getrennte Zimmer. Sie war nett, eine gute Agentin, aber es war irgendwie nicht das Gleiche. Selbst Luca-Lorenzos reichlich verqueren Essensgewohnheiten erschienen aus der Erinnerung betrachtet gar nicht mehr so schlimm. „Wo ist deine Partnerin?“, riss Dean ihn aus seinen Gedanken. „Im Urlaub. Ihre Schwester hat ein Baby bekommen und sie möchte ein paar Wochen bei ihr verbringen.“ „Und da übernimmst du solche Fälle?“, wollte Sam wissen. „Naja, unser Chef teilt uns immer mal wieder alte, ungelöste Fälle zu, die wir erneut bearbeiten sollen. Vielleicht ergibt sich ja so ein neuer Ansatz, oder wir interpretieren die Fakten ganz anders als unsere Vorgänger. Ich hatte den Fall Anfang dieses Jahres auf dem Tisch. Damals habe ich nichts Neues finden können. Dann haben sie mich nach Stillwater geschickt. Dort hab ich euch davon erzählt. Jetzt gab es wieder zwei Tote. Einen in der Nähe des Hauses und einen in der obersten Etage der Tiefgarage.“ „Und jetzt sollen wir uns das ansehen“, stellte Dean ruhig fest. „Warum eigentlich? Nur weil ein Täter keine Spuren hinterlässt, ist das doch nicht automatisch ein Fall für uns.“ „Stimmt. Es gibt wirklich keine verwertbaren Spuren. Täter sind schon lange nicht mehr so plump. Auch sie entwickeln sich weiter. Was mich allerdings an euch denken lässt, ist die Tatsache, dass bei allen entweder das Herz fehlt oder irgendwie verstümmelt war. Wenn ich euch nicht kennen würde, würde ich wohl davon ausgehen, dass der Täter einfach nur ein perverser Sadist ist und wer weiß was mit dem Haus verbindet und hoffen, dass es aufhört, wenn das Haus abgerissen worden ist, immerhin steht es jetzt schon fast leer. Das Elm Place ist schon lange nicht mehr die Adresse, die es mal war.“ „Das mit den Herzen stand aber nicht in deinen Unterlagen!“, beschwerte sich Sam. „Nein. Die Bombe wollte ich hier platzen lassen“, er grinste schief und schüttelte fast sofort den Kopf. „Ich habe erst heute wirklich registriert, dass das eine weitere Gemeinsamkeit der Opfer ist. Zumindest derer, die wir gefunden haben. Es gibt außerdem noch 20 vermisste Personen, die in der Umgebung verschwunden sein könnten. Das muss ich noch näher untersuchen, sofern es dazu überhaupt noch Akten gibt. Ganz ehrlich. Ich weiß nicht ob das mit den Herzen etwas bedeutet. Es kann genauso gut auch ein Psychopath sein. Aber wenn ihr ermittelt, will ich dabei sein!“ „Nick! Du bist gut, davon gehe ich jetzt einfach mal aus, aber wir sind nur zu zweit wirklich gut!“, protestierte der ältere Winchester sofort. Und auch Sam nickte. „Es ist mein Fall! Ich bin hier, ihr seid hier und ich werde euch nicht im Weg stehen!“, erklärte Nick kategorisch. „Inzwischen habe ich lernen müssen, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als ich wahrhaben will. Ich will bei diesem Fall dabei sein!“ „Du weißt nicht, was du da sagst. Es kann dich in eine Welt reißen, in der du nicht leben willst!“ „Ich will schon nicht in der Welt leben, in der ich nun mal lebe. Da machen eure Monster kaum einen Unterschied.“ „Das tun sie sehr wohl und wir werden nicht immer da sein können, um dich zu schützen“, versuchte Dean ihn noch einmal abzuwehren. „Vergiss es. Ich mache mit, oder der Fall ist für euch gestorben!“ „Wie willst du uns da raushalten?“, fragte Sam leicht amüsiert und warf einen fragenden Blick zu seinem Bruder. Wenn Dean noch immer sauer wegen des Falles war, dann würde er jetzt die Gelegenheit ergreifen und verschwinden. Doch der Ältere schaute reichlich uninteressiert. Er würde Nick mit Sicherheit nicht alleine ermitteln lassen. Sam nickte. So hatte er seinen Bruder eingeschätzt. Egal wie sie an einen Fall kamen. Wenn sie ihn angenommen hatten, beendeten sie ihn auch. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich könnte ich es nicht und ich will es auch gar nicht. Aber ich will sehen, wie ihr an Fälle herangeht. Vielleicht kann ich ja was lernen?“ Dean grummelte etwas Unverständliches. Die Kaffeemaschine röchelte die letzten Tropfen in die Kanne. Er holte drei Tassen aus dem Schrank. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stellte er diese und die Kanne auf den Tisch und holte Milch und Zucker. Sam verteilte das Essen und schon kehrte eine gefräßige Stille in dem kleinen Raum ein, die jedoch nicht lange anhielt. „Was hast du genau?“, fragte Dean und schaute kurz zu Nick. „Wie, was habe ich?“ „Zu dem Fall, außer dass etwas mit den Herzen der Opfer nicht stimmte.“ „Ach so“, erwiderte Nick und wunderte sich, dass Dean fragte. War seine Mail nicht angekommen? Er überlegte kurz und begann dann alles aufzuzählen, was er wusste: „Also, in und um das Elm Place gab es immer wieder Morde. Soweit ich recherchieren konnte war in den ersten Jahren alles ruhig, doch dann 1974 begann es, wenn man von einer Serie sprechen will. In diesem Jahr geschah der erste Mord. Der zweite passierte 1979. Der dritte 1982, dann 1984, 1986, 1987. Es folgten 10 Morde in 10 Jahren. Danach verkürzten sich die Abstände immer weiter, bis vor fünf oder sechs Jahren, die ersten Mieter auszogen. Drei Jahre war alles ruhig und dann vor zwei Wochen der eine Mord und vor vier Tagen der zweite. Dazu kommen noch die insgesamt 20 Vermissten. Und bevor ihr fragt: Der Agent, der diese Morde auf dem Tisch hatte, ist in Rente gegangen. Auch deshalb habe ich sie, sagen wir mal, geerbt. Aber sag mal Sam, ist meine Mail nicht angekommen?“ „Doch natürlich. Und ich hab meine Hausaufgaben auch schon gemacht, allerdings …“, sprudelte Sam sofort mit seinem Wissen hervor. „Oh entschuldige bitte, dass sie kein Computer ist und einen Fahrer braucht. Sonst hätte ich dir selbstverständlich bei der Recherche geholfen!“, knurrte Dean, der diese Äußerung in den falschen Hals bekam. Er war noch immer verstimmt wegen Sams Rückzug von ihrem Rückzug. Solange er sich mit Nick unterhalten konnte, war alles gut. Bei Sam lagen die Dinge allerdings anders. „Du willst mir jetzt nicht erklären, dass du immer noch wegen heute Mittag sauer bist?“, vermutete Sam sofort richtig. „Und wenn? Du bist mit dieser Idee gekommen. Du wolltest es so unbedingt und ich Idiot habe dem zugestimmt, weil ich es mir insgeheim auch gewünscht habe. Verdammt noch mal Sam, ich habe keine Ahnung, wie es gehen soll. Ich habe mich da auf dich verlassen, weil du weißt wie. Aber ich bin ja selber schuld. Ich hab mir Hoffnungen gemacht, die einfach nicht in Erfüllung gehen werden, wie immer wenn ich mir etwas wünsche. Ich sollte aufhören in dir etwas anderes zu sehen als du bist. Ein normaler Mensch!“, so aufbrausend er am Anfang seiner kleinen Rede war, so leise war er am Ende geworden. „Du bist genauso ein Mensch wie ich, wie Nick, wie wir alle!“ „Und warum fällt es mir dann so viel leichter Geister und Dämonen zu verstehen? Die sind gradlinig und springen nicht ständig von einer Meinung zur anderen!“ „Dean! Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich … Ich habe die halbe Nacht wach gelegen und mir ist so viel durch den Kopf gegangen. Mir ist erst da klar geworden, welche Konsequenzen es haben wird wenn wir das tun, was wir uns vorgenommen haben. Ich will nicht, dass Menschen sterben müssen, nur weil wir …“, verzweifelt schüttelte Sam den Kopf. „Ich bin genauso unsicher wie du“, gab er leise zu. „Ich bin mein halbes Leben auf der Straße. Meinst du es ist leicht wieder sesshaft zu werden?“ „Aber du warst in Stanford!“ „Ja, und ich wäre in den ersten Wochen wohl zurückgekommen, wenn ich nicht so wütend auf euch gewesen wäre. Es war alles andere als einfach, aber dann kam Jess und das Studium hat Spaß gemacht“, gab Sam leise zu. „Dean, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht noch mehr verunsichern.“ Der Ältere nickte, winkte ab und drehte sich zur Tür. Sam ließ den Kopf hängen. Er hatte in Deans Augen lesen können, dass der diesbezüglich nichts mehr von ihm erwartete. Ohne ein weiteres Wort verließ der Ältere das Zimmer. „Verdammt!“, schimpfte Sam und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Nick räusperte sich und schaute dann zu Sam. „Was war das denn?“, wollte er leise wissen. Sam verzog das Gesicht. „Es ist kompliziert“, versuchte er das Ganze irgendwie zu erklären. „Du musst nichts sagen, wenn du nicht willst“, winkte Nick ab. Sam nickte. Nein, er musste nichts sagen. Aber er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte. Vielleicht sah er das Ganze ja falsch? Er holte tief Luft. „Eigentlich sind wir seit drei Tagen im Vorruhestand.“ „Vorruhestand? Sowas gibt es bei euch?“ „Nein. Aber wenn wir nicht aufhören, werden wir eher früher als später auf dem Scheiterhaufen landen.“ „Scheiterhaufen?“ „Ja, Jäger werden verbrannt. Es ist sicherer für uns und unsere … die anderen Jäger. Wenn wir nur beerdigt werden würden, könnte ein Dämon unseren Körper benutzen und so anderen schaden. Wir wollen, wir müssen aus diesem Leben raus, bevor einer stirbt. Wir waren dem Tod viel zu oft viel zu nahe. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir aussteigen. Ein ganz normales Leben, ein Häuschen, ein normaler Beruf, Familie. Dean will es insgeheim auch. Gestern waren wir auf dem AC/DC Konzert in El Paso und ab heute wollten wir Urlaub machen. Am Grand Canyon. Und uns überlegen, was wir mit dem Rest unseres Lebens anfangen. Was wir machen wollen, wie es weitergehen soll.“ „Und da komme ich. Warum habt ihr nichts gesagt?“, fragte Nick betrübt. „Wir haben mehr oder weniger aneinander vorbei geredet. Dean hat dir gesagt, dass er mit mir redet und als du bei mir angerufen hast, hab ich angenommen, dass er zugesagt hat. Wir müssen uns einfach besser absprechen.“ „Ihr hättet immer noch absagen können!“ „Nein. Dean hat dir vor einem halben Jahr gesagt, dass du dich melden sollst, wenn du Hilfe brauchst. Den Fall hätten wir auf jeden Fall übernommen!“ „Stimmt!“, sagte Dean, der gerade mit ihren Waffen das Zimmer wieder betrat. Kapitel 112: Auch ein Fall macht ein Museum nicht unbedingt interessanter ------------------------------------------------------------------------- Ich wünsche euch ein gesundes neues Jahr und dass eure guten Vorsätze in Erfüllung gehen. LG Kalea 112) Auch ein Fall macht ein Museum nicht unbedingt interessanter Dean hatte mit Bobby gesprochen. Der alte Freund wurde für ihn immer mehr zu einem mentalen Rettungsanker, obwohl er sein Problem mit Sam nicht mal angesprochen hatte, und er war sich sicher, dass Bobby gemerkt hatte, dass ihn eigentlich mehr bedrückte. Aber auch Bobby war nicht sonderlich gut gelaunt. Dass Jody ihn mehr oder weniger verlassen hatte, ging ihm wohl mehr an die Nieren als er zugab. Trotzdem hatte ihn das Gespräch wieder aufgebaut und ihm Halt gegeben. „Dean“, freute sich Sam, überrascht seinen Bruder schon wieder zu sehen. „Bobby lässt grüßen. Ich hab ihm gesagt, dass wir Weihnachten da sind. Er braucht etwas Unterstützung, glaube ich.“ Sam lächelte. Dean war weder weggelaufen noch hatte er sich wieder für länger in sein Schneckenhaus verkrochen. Auch wenn er sich jetzt mit der Reinigung ihrer Waffen beruhigen musste. Er würde nie verstehen, warum das für Dean regelrecht meditativ war. „Okay“, begann er seine Recherchen zusammenzufassen. „Das Elm Place wurde 1965 fertiggestellt und gehört der Lazarus Property Company. Es hat 52 Etagen und war lange Zeit Sitz der First National Bank Dallas. Inzwischen ist es aber bis auf sechs Etagen, die in den nächsten Wochen auch aufgegeben werden sollen, leer. Das Gebäude steht also vor der kompletten Schließung. Es bringt nicht mehr genug Geld und ist mehr als marode. Die untersten drei Etagen der Tiefgarage sind vollkommen mit Wasser vollgelaufen. Die Mieter, die noch in dem Gebäude sind, sind eine renommierte Kanzlei, die in der 15. Etage sitzt, genauso wie ein Architekturbüro. In der 12. Etage gibt es ein Steuerbüro und ein paar städtische Büros sind in der 13. und 14. Etage. Außerdem wohnt in der 50. und 51. eine alte Dame, die schon seit 1971 da lebt und die 47. Etage ist vermietet, scheint aber nicht mehr genutzt zu werden, genauso wie die Aussichtsterrasse im 50. Außerdem gibt es Übergangsbüros in der 4. und 5. Etage. Ich hab aber noch nicht rausbekommen, wer die gemietet hat.“ „Das Haus hat die höchste Rolltreppe der Welt, vom 49. in den 50. Stock“, fügte Nick hinzu. „Und das hilft uns inwieweit weiter?“, wollte Dean wissen. „Gar nicht, vermute ich. Aber es ist ein interessanter Fakt.“ „Okay?“ „Du hast gesagt, dass es 15 Tote gab. Ich habe in und um das Gebäude 23 gefunden“, wunderte sich Sam. „Ja, es gab 15 Tote und 8 Selbstmorde. Die haben sich von der Aussichtsplattform, dem Dach und 2 aus ungesicherten Fenstern in den Etagen 47 und 39. gestürzt.“ „Die sollten wir also auch mit einbeziehen. Hast du die Akten der Opfer?“, fragte Sam. „Bis auf die Selbstmorde, ja. In meinem Zimmer.“ „Wir sollten auch mit der alten Dame reden. Wenn die schon so lange da wohnt, weiß sie vielleicht einiges“, mischte sich Dean in die Unterhaltung ein. „Was habt ihr über sie?“, wollte Sam an Nick gewandt wissen. „Nichts. Sie war und ist eine unbescholtene Bürgerin. Ihr Mann war Kurator im Naturkundemuseum. Sie haben einen Sohn.“ „Okay“, sagte Dean mit einem Unterton in der Stimme, der die unbescholtene Bürgerin infrage stellte. Doch Nick ging nicht darauf ein. Sam warf seinem Bruder einen Blick zu, der seiner Äußerung beipflichtete. Er grinste kurz, drehte seinen Laptop zu sich und begann erneut mit seinen Recherchen. „Und was mache ich?“, fragte Nick, der sich etwas überflüssig vorkam. „Ich suche nach ungewöhnlichen Phänomenen in und um das Gebäude, vor Allem in der Bauzeit. Du könntest mal prüfen, ob das Haus auf heiligem Boden steht“, erwiderte Sam. „Heiliger Boden?“ „Ureinwohner, alte Mission, Friedhof?“, warf Dean ein, legte seinen Colt beiseite und griff nach Sams Beretta die er blind auseinandernahm. „Kann ich machen. Aber es gibt im Naturkundemuseum eine Ausstellung über Dallas im Laufe der Jahrtausende. Dort würden wir auf jeden Fall fündig werden, denke ich.“ „Du willst in ein Museum während hier Menschen sterben?“, fragte Dean entsetzt. „Das Museum? Wirklich. Da sollten wir hin“, freute sich Sam fast zeitgleich, schaute aber sofort ziemlich bedröppelt. Dean hatte Recht. Menschen starben und sie wollten ein Museum besuchen. Das passte nicht zusammen. Andererseits? Es ersparte ihnen eine aufwendige Recherche und sie könnten sich anderen Aspekten zuwenden. „Es würde uns einiges an Zeit sparen, die wir auf andere Punkte verwenden könnten“, erklärte Sam. Der ältere Winchester verdrehte die Augen und stöhnte. „Bitte nicht!“ „Weißt du noch, was du dir heute morgen überlegt hast?“, fragte Sam leise. Dean schaute ihn an, als hätte er ihn zu einer Zahnwurzelbehandlung ohne Betäubung angemeldet. „Muss es gleich ein Museum sein?“ „Du wolltest dich ändern, damit sich dein Leben ändert.“ Dean seufzte leise, nickte dann aber und wand sich mit einer Leidensmiene wieder seinen Waffen zu. Ohne wirklich zu verstehen, wovon die Brüder sprachen, schaute Nick von einem zum anderen. Er schüttelte kurz den Kopf und ging dann in sein Zimmer, um seinerseits zu recherchieren. Die ganze Zeit unnütz herumzustehen, während andere arbeiteten, war auch nicht sein Ding. Sie machten noch eine Weile weiter, bis sie sich in ihre Betten verzogen, um ein paar Stunden Schlaf zu finden. Dean hatte sich gerade aus dem Bett gekämpft, als es klopfe. Er schlurfte zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und ließ Nick, kaum dass er ihn erkannt hatte, wortlos ein. „Morgen“, grüßte Nick und schob die Tür mit seinem Fuß ins Schloss. Grußlos räumte Dean den Tisch frei und ging dann zum Schrank. Sam kam, sich die Haare trockenrubbelnd, aus dem Bad und ließ seinen Bruder hinein. „Hey, Nick“, grüßte er freundlich. „Morgen. Dachte schon, ich hätte was verpasst.“ „Warum?“ „Dean? Er hat bisher noch nichts gesagt.“ Nick stellte die Tabletts ab und legte eine Mappe auf die kleine Kommode. „Nimm´s dir nicht zu Herzen. Der bekommt vor dem ersten, besser noch zweiten Kaffee kein Wort raus. Das ist immer so, es sei denn wir haben einen Notfall, dann ist er von Null auf hundert in einer halben Sekunde. Was hast du da?“ Sams Blick fiel auf die Mappe. „Die Akten der Selbstmörder und Frühstück.“ „Du bist nicht verpflichtet für unser Wohl zu sorgen“, erklärte Sam und deutete auf das Essen. „Wenn ich euch schon für mich die Arbeit machen lasse …“ „Trotzdem Nick. Wir können uns auch selbst versorgen!“ „Ich hab euch aus eurem Urlaub geholt!“ „Das konntest du doch nicht wissen!“ „Schon, aber, ich meine ihr …“ In diesem Moment kam Dean ins Zimmer zurück. Er holte eine Tube aus einer der Taschen und begann etwas umständlich damit, sich die geröteten Stellen an Bein, Bauch und Arm einzureiben. Erst dann zog er sich an, holte die Tassen und die Kaffeekanne und ließ sich am Tisch nieder. „Was ist mit deinem Bein?“, fragte Nick auch sofort. „Ein Andenken an unseren letzten Fall“, erklärte Sam, der sich denken konnte, dass sein Bruder nicht darüber reden wollte. „Schlimm?“ „Habs überlebt“, grummelte Dean, dem diese Art der Aufmerksamkeit irgendwie peinlich war. „Habt ihr gestern noch etwas herausbekommen?“, wollte Nick also wissen und wandte so die Aufmerksamkeit wieder auf den Fall. „Die Lady aus dem 51. Stock heißt Brianna Foster und sitzt im Vorstand des Perot Museum of nature and science hier in Dallas. Ihr Mann war Kurator Alexander Foster, der über Jahre die Ausgrabungen für das Museum leitete und unter mysteriösen Umständen vor drei Jahren verstarb. Er war viel in Ägypten und in Mexico und hat versucht einen Zusammenhang zwischen den Völkern zu finden. Er vertrat die Meinung, dass es einen geben muss, schließlich bauten beide Pyramiden“, informierte Sam Nick über seine Rechercheergebnisse. „Ein Zusammenhang konnte nie bewiesen werden“, sagte Nick. „Aber auch nicht dementiert.“ „Und das heißt, dass ihr jetzt noch dringender in dieses Museum wollt“, resignierte Dean. „Es spricht“, stellte Sam mit einem Zwinkern in Richtung Nick fest. Dean warf seinem Bruder einen undefinierbaren Blick zu, und das Funkeln in seinen Augen besagte nichts Gutes. Fragend blickte der Jüngere zurück, doch Deans Augen waren schon wieder ausdruckslos auf seinen Kaffee gerichtet. Sam schüttelte den Kopf. Was auch immer sein Bruder ausheckte, er würde es merken und irgendwann würde sich Dean schon wieder einkriegen. Er hatte ja inzwischen verstanden, dass der den Fall nur wegen Nick machte, ihn eigentlich nicht wollte und diesen Tag wohl noch weniger. Aber das Leben war eben kein Ponyhof. Noch nicht einmal das normale Leben. Sie tranken ihren Kaffee aus und machten sich dann auf den Weg zum Museum. Dean ließ es sich nicht nehmen, selbst zu fahren. Dann konnte er wenigstens verschwinden, sollte es überhaupt nicht mehr auszuhalten sein. Im Museum hielt er sich immer einen Schritt hinter den Beiden. So konnte er ihnen zuhören wie sie über die Exponate fachsimpelten, ohne dass er in die Gespräche eingebunden wurde. Hin und wieder blieb er mal stehen und schaute sich Etwas genauer an. Fesseln konnte ihn allerdings nichts. Selbst die Abteilung, die ausschließlich dem Wirken des langjährigen Forschungsleiter Alexander Forster gewidmet war, riss ihn nicht wirklich aus seiner Lethargie, auch wenn er zumindest etwas mehr Interesse heuchelte. Hier ging es zum größten Teil um die aztekische Kultur, die Verehrung ihrer Götter, Kultgegenstände und die Opferrituale. Es gab auch einige Hypothesen zu der von ihm entwickelten Theorie einer Verbindung zwischen Ägyptern und Azteken. In aller Ruhe schaute er sich diese Ausstellung an und las die Texte. Immerhin konnte das ja für den Fall wichtig sein. Und warum sollte er nicht auch mal sinnloses Wissen bunkern, wie Sam es immer tat? Immer wieder versuchten Sam und Nick ihn in ein Gespräch zu verwickeln, doch Dean schaute sie nur mit einem seiner schier unergründlichen Blicke an und wandte sich dann ohne geantwortet zu haben dem nächsten Ausstellungsstück zu. „Was ist mit ihm?“, wollte Nick nach einer Weile wissen. So ganz kam ihm dessen Verhalten nicht mehr geheuer vor. „Ach, der kriegt sich schon wieder ein. Ich glaube er schmollt noch, wegen meiner Bemerkung von heute morgen.“ „Ist er so nachtragend?“ „Nein, eigentlich nicht, aber sein ganzes Leben wird gerade auf den Kopf gestellt und da spielt es keine Rolle, dass er diese Veränderungen will. Er hat so lange immer nur getan, was Andere von ihm wollten, dass er seinen Weg erst noch finden muss. Lass ihm Zeit, er wird schon wieder ankommen. Ihn zu irgendetwas drängen zu wollen ist so gut wie nie von Erfolg gekrönt und führt meistens nur zu Streit.“ „Es tut mir nur leid, dass er so hinter uns her trottet.“ „Wir steuern gleich die Cafeteria an, dann wird er schon gesprächiger werden“, prophezeite Sam. „Das muss mein Glückstag sein“, strahlte die Kellnerin, als sich die drei Männer an einen ihrer Tische setzten. „Hallo, ich bin Zoe, ihre Kellnerin“, begrüßte sie sie. „Hey“, sagte Dean heiser und musterte sie kurz. Sie war keine Schönheit. Mäusezähne, eine dicke Hornbrille und dünne, rotblonde Haare. „Ich kann das Tagesgericht empfehlen. Putensteak mit Kartoffelecken und Salat. Als Nachtisch haben wir heute Käsekuchen.“ „Das klingt gut. Das nehme ich“, antwortete Sam sofort. „Ohne den Kuchen.“ „Und ich schließe mich an“, sagte Nick, „aber mit Kuchen.“ „Und Sie, Sir?“, wollte sie von Dean wissen, der sich bei der Anrede irgendwie falsch vorkam. „Ich nehme ein Rip-Eye-Steak. Den Salat können Sie weglassen aber ich nehme sein Stück Käsekuchen dazu“, bestellte er und deutete dabei auf seinen Bruder. „Danke. Möchten sie Kaffee?“ „Ja bitte und ich zusätzlich ein Glas Wasser“, nickte der FBI-Agent. „Kommt sofort“, sagte sie, lächelte professionell und ging zur Theke zurück. „Hast du dein Schweigen endlich aufgegeben?“, fragte Sam seinen Bruder. Der schaute ihn fragend an, ließ seinen Blick kurz zu Nick wandern und sah ihm dann wieder in die Augen. ‚Warum? Du hast doch einen Gesprächspartner‘, antwortete er so stumm. Demonstrativ blickte er dann der Kellnerin entgegen, die Kaffee und Wasser für sie brachte. Sie stellte die Tassen ab und goss den Kaffee hinein. Während sie die Tassen verteilte, lächelte Dean sie offen an und die professionelle Maske der Kellnerin zeigte etwas echte Freundlichkeit. Jetzt war es an Sam fragend zu seinem Bruder zu schauen, doch er erhielt keine Antwort. Kapitel 113: Geldverdienen auf Winchesterart -------------------------------------------- @ Vanilein - Vielen Dank für Deine Neujahrswünsche und Deine Treue. Auch Dir wünsche ich ein gesundes neues Jahr. Mal sehen, was sich in Bezug auf die Jungs mit Weihnachten machen lässt ... LG Kalea 113) Geldverdienen auf Winchesterart Auch als Zoe das Essen brachte, strahlte Dean sie wieder offen an. Immer, wenn sich deren Blicke wieder kreuzten, konnte Sam echte Wärme auf ihrem Gesicht lesen. „Die ist doch so gar nicht dein Typ“, wunderte er sich laut, als sie wieder außer Hörweite war. Dean zuckte nur mit den Schultern. Sie war es nicht, ja, aber warum durfte er nicht mit ihr flirten? In aller Ruhe aßen sie und dann ging Dean bezahlen. Er kramte in seiner Brieftasche nach ein paar Scheinen. So langsam sollte er mal wieder Bargeld besorgen. Ihre Vorräte waren fast aufgebraucht. Selbst die letzte Reserve in den Tiefen des Impalas war fast leer. Er hatte aber auch viel zu lange nichts mehr dazuverdient. Das sollte er schleunigst ändern und er wusste auch schon wo. „Und jetzt ist der Augenblick, an dem du mich nach meiner Telefonnummer fragst?“, wollte Zoe leise wissen, als sie das Geld nahm. „Nein.“ „Aber …“ „Wir sind nicht lange genug hier“, erklärte er, ohne näher auf diese Aussage einzugehen. „Und wenn ich auf One-Night-Stands stehe?“ „So eine bist du nicht!“ „Und warum hast du dann die ganze Zeit mit mir geflirtet?“ „Weil ich es wollte?“ „Du bist niedlich.“ „Ich bin doch nicht niedlich! Sexy vielleicht. Unwiderstehlich auf jeden Fall, aber doch nicht niedlich!“, erklärte er mit einem entrüsteten Schnauben, grinste aber leicht. „Okay, Mr. Sexy!“ Dean wackelte mit den Augenbrauen, sie lachte schrieb ihre Nummer trotzdem auf die Rückseite der Rechnung, nur um es einmal getan zu haben. Er nahm die Rechnung und ging. „Und jetzt hast du ihre Nummer?“, fragte Sam und sein Bruder drehte die Rechnung zu ihm um. „Und rufst du sie an?“ Dean schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nun überhaupt nicht. Sie ist weder sein Typ noch lässt er sich normalerweise von so einer die Nummer geben“, grübelte Sam laut. „Christo“, rief er seinem Bruder hinterher. Der drehte sich um, schaute ihn mitleidig an und widmete dann seine ganze Aufmerksamkeit wieder den Exponaten, die ihn eigentlich nicht interessierten. Aber irgendwie musste er ja die Zeit totschlagen, bis es wieder etwas Richtiges zu tun gab. Müde ließ sich Dean auf sein Bett fallen. Am liebsten würde er jetzt mit ein paar Bier bewaffnet sinnlos durch die Kanäle zappen und dann schlafen. Aber er musste dringend Geld besorgen. „Hier“, sagte Sam und hielt ihm eine Flasche Bier hin. Er blinzelte, richtete sich auf und nahm die Flasche entgegen. „Habt ihr heute noch was vor?“, wollte Nick wissen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seine Füße brannten. So lange war er seit Ewigkeiten nicht mehr auf dem Beinen gewesen. Schreibtischarbeit machte wohl wirklich träge. „Nein“, antwortete Sam und setzte sich ebenfalls. „Ich will noch mal los“, sagte Dean. „Zu der Kleinen aus der Cafeteria?“ „Kannst ja mitkommen.“ Dean wackelte aufreizend mit den Augenbrauen und strahlte Sam breit an. Er liebte diese Missverständnisse. „Zu deinem Date? Nee, danke!“ Nick überlegte kurz und fragte dann: „Kann ich mitkommen?“ „Klar.“ „Du willst zu Deans Date mitfahren? Als was? Als Anstandsdame?“ Sam war entsetzt. „Dazu fehlen ihm einige wichtige Accessoires“, lachte Dean. Jetzt verstand Sam gar nichts mehr. „Aber ich denke, du …“ „Ich habe nie gesagt, dass ich ein Date habe. Das hast du vorausgesetzt.“ „Und wo willst du hin?“ „Wir brauchen dringend Bargeld. Das wollte ich besorgen.“ „Oh“, machte Sam leise und schaute verlegen auf seine Hände. Da hatte er ja wieder mal ein riesiges Missverständnis provoziert. Sie tranken ihr Bier aus und machten sich auf den Weg zu der Bar, die Dean als ersten Platz zum Geldverdienen auserkoren hatte. „Wie kommst du eigentlich mit dem hier klar?“, wollte Sam von Nick wissen, nachdem sie dem älteren Winchester eine Weile beim Spielen zugesehen hatte. „Mit der Bar oder dass ihr quasi vom Glücksspiel lebt?“ „Nein!“ „Irgendwie hast du heute ein echtes Talent dich unklar auszudrücken, Sammy“, grinste Dean breit. Er hatte dieses Spiel beendet und natürlich auch gewonnen und machte jetzt erstmal zumindest eine Pause, da seine letzten Gegner zu keiner Revanche mehr bereit war. Vielleicht ergab sich ja noch eine Chance? Aber auch mit dem Gewinn konnten sie eine Weile leben, wenn nichts unvorhergesehenes dazwischen kam. „Muss wohl“, erwiderte Sam und begann noch einmal: „Wie kommst du eigentlich mit dem Wissen über das was wir tun, und das was es so alles auf der Welt gibt, klar? Und warum hast du uns nie angezeigt?“ „Angezeigt? Nein. Ohne euch wären Luca und ich wohl tot und einige andere Menschen auch, viele andere Menschen wohl inzwischen, denke ich. Mit dem Wissen klarzukommen war und ist nicht so einfach. Ich meine, am Anfang wollte ich euch nie wieder sehen. Ihr hattet uns zwar geholfen und auch Luca-Lorenzos Leben gerettet, trotzdem war ich mir sicher, das Alles vergessen zu können. Es war ein Fiebertraum oder was auch immer, aber jedenfalls nicht real. Dann in Stillwater habe ich mich gefreut euch zu sehen, auch wenn ich euer Betätigungsfeld immer noch lieber verdrängen wollte. Aber es ist wie es ist. Es gibt euch, weil es diese Monster gibt und die Monster nicht wegen euch. Und da es die gibt, muss die auch jemand bekämpfen. So, wie bei den menschlichen Verbrechen. Und jetzt brauche ich eure Hilfe, weil ich mit meinem Latein am Ende bin. Hier muss etwas am Werk sein, das nicht menschlich ist. Sagt mal, wie viele Jäger gibt es eigentlich?“ „Keine Ahnung. Wir kennen ein paar von ihnen, aber wie viele es wirklich gibt?“, überlegte Sam. „Jäger sind Einzelgänger. Die wenigsten arbeiten zu zweit. Jeder bleibt so gut er kann für sich. Gemeinschaften machen angreifbar“, erklärte Dean. „Ist das nicht ein furchtbares Leben?“ „Kein Jäger hat es sich ausgesucht. Jeder von ihnen hatte ein Leben, Familie, Freunde. Niemand will das hier. Und jeder hat etwas Furchtbares erlebt, das ihn zu diesem Leben zwang. Wir alle haben Verluste erlitten.“ „Das tut mir leid.“ „Du kannst nichts dafür“, erklärte Sam und Nick konnte überdeutlich hören, dass Sam von diesem Satz genervt war. „Ihr hört das öfter?“ „Ein Standardsatz.“ Dean verdrehte die Augen. „Erstens kannst du nichts dafür und zweitens hilft er uns auch nicht weiter. Wir wurden in dieses Leben geworfen und versuchen zu überleben. Mitleid ist das, was wir am Wenigsten brauchen.“ „Dean“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. „Ist doch wahr!“ „Ist es, doch ich weiß auch nicht, wie ich euch helfen könnte.“ „Das musst du auch nicht. Lass uns das Thema einfach vergessen!“ „Okay“, sagte Nick kleinlaut. „Wie soll es morgen weiter gehen?“, wollte Nick etwas später wissen. „Wir nehmen uns das Haus vor. Das EMF müsste uns verraten, ob da etwas Übernatürliches am Werk ist. Und wir sollten die Mieter befragen, ob sie etwas mitbekommen haben“, erklärte Dean. „Mrs. Foster sollten wir auf jeden Fall besuchen, die anderen Mieter sind da noch nicht so lange“, fügte Sam hinzu. „Bleibt nur die Frage, als was wir uns ausgeben“, überlegte Dean. „Warum?“, wollte Nick wissen. „Wir müssen uns ausweisen können, sonst redet niemand mit uns.“ „Okay, aber ich habe doch einen Ausweis?“, wollte Nick wissen. „Langt der nicht?“ So ganz wohl war ihm bei diesem Aspekt der Arbeit der Brüder nicht. „Wie willst du unsere Anwesenheit erklären? Wie oft arbeiten Zivilisten mit dem FBI?“, fragte Dean. „Wir arbeiten auch oft genug mit der Polizei oder anderen Behörden zusammen. Die geben keinem Zivilisten ihre Informationen“, fügte Sam hinzu. „Stimmt, aber wir haben hin und wieder Berater dabei“, nickte Nick und überlegte eine Weile. „Wohl fühle ich mich damit aber trotzdem nicht, wenn ihr mit gefälschten Ausweisen neben mir steht.“ „Ein FBI Agent und zwei Berater?“, zweifelte Sam. „Du musst die Befragungen nicht machen. Wir können auch alleine losgehen.“ Dean blickte den Freund offen an. Er wollte ihn nicht wirklich dabeihaben. Damals ging es einfach nicht anders, weil jemand bei seinem Partner bleiben musste. Heute war das kein Thema. „Ich bin immer noch der Meinung, dass es für dich sicherer ist, wenn du nicht mit uns ermittelst“, fügte der ältere Winchester noch hinzu. „Ich will es aber. Es ist mein Fall und … Ich möchte einfach sehen, wie ihr an einen Fall herangeht, wie ihr solche Ermittlungen führt. Vielleicht kann ich ja was lernen“, wiederholte er seine Aussage vom Vortag. Dean holte tief Luft. Er würde Nicks Meinung nicht ändern, also musste sie hier besonders aufpassen. Er wollte in seinem letzten Jägertagen niemanden mehr verletzt sehen oder gar verlieren. „Bleibt immer noch die Frage nach den Ausweisen“, stellte er ruhig fest. „Wie wäre es mit Mounties?“, fragte Nick etwas später. „Wie kommst du denn auf Mounties?“ „Die sind das kanadische FBI. Eigentlich haben die ein noch wesentlich größeres Betätigungsfeld. Aber darum geht es ja nicht. Wir haben hin und wieder Mounties bei uns und fahren im Gegenzug nach Kanada. Eine Art Austauschprogramm um die Ermittlungsmethoden der jeweils anderen Behörde kennenlernen. Gerade läuft auch so ein Programm, an der Ostküste.“ „Klingt nicht schlecht, aber dann brauchen wir neue Ausweise.“ Dean trank sein Bier aus und erhob sich. Dafür war er zuständig. Auch Sam trank aus. Er ging zu den Toiletten und als er zurückkam war auch Nick mit seinem Bier fertig. Gemeinsam fuhren sie zurück zu m Motel. Vor ihrer Zimmertür verabschiedeten sie sich von dem Agenten. „Die Idee hättest du heute morgen haben können, Sammy“, sagte Dean während er seinen Laptop hochfuhr. „Dann hätte ich mir das Museum sparen können.“ „Komm schon, du hast dich nicht so schlimm gelangweilt. Ich hab gesehen, wie du bei vielen Exponaten stehen geblieben bist.“ „Irgendwie musste ich die Zeit ja totschlagen.“ Sam schüttelte den Kopf und begann einige Fakten zu den anderen Mietern des Elm Place zusammenzutragen. Und wieder wurden die Brüder am Morgen durch lautes Klopfen geweckt. Träge wälzte sich Sam aus dem Bett. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es fast Acht war. Er rieb sich die Augen. Auf dem Weg zur Tür zog er seinem Bruder die Decke weg. Er drehte den Schlüssel und öffnete die Tür einen Spalt. „Hey, komm rein“, begrüßte Sam Nick mit, vom Schlaf noch ganz rauer Stimme und öffnete die Tür richtig. Er drehte sich zu Dean um und sah, dass der inzwischen aufgestanden und zur Kaffeemaschine geschlurft war und diese befüllte. „Setz dich“, sagte er zu Nick und verschwand im Bad. Der Agent schaute Dean bei seinem Tun zu. Er hatte gestern gemerkt, dass es sinnlos war, mit ihm ein Gespräch anfangen zu wollen. So blieb ihm nichts weiter zu tun übrig, als zu warten und sich zu fragen, warum er die Brüder jetzt erst aus den Betten geholt hatte und sie trotzdem irgendwie müde aussahen. „Was habt ihr die Nacht noch getrieben?“, wollte er wissen, als Sam sich mit seinem Kaffee an den Tisch setzte. Dean hatte ihm die Tasse gerade in die Hand gedrückt, als der aus dem Bad gekommen war und er sich an ihm vorbei in den Raum gedrängelte. „Wir sind erst vor drei Stunden ins Bett. Dean hat die Ausweise gemacht und ich habe einiges zu den jetzigen Mietern des Elm Places gefunden.“ „Dann hätte ich euch besser noch schlafen lassen sollen?“ „Nein, ist schon gut, sonst werden wir hier nie fertig.“ Nick brummelte Etwas, das wie Zustimmung klang und trank einen Schluck. „Was hast du rausgefunden?“ „Lass uns auf Dean warten. Ich hab es ihm zwar schon in Bruchstücken erzählt, allerdings weiß ich nicht, wie aufnahmefähig er noch war.“ Kapitel 114: Elm-Place ---------------------- Q Vanilein - Einen Altar nur für mich??? Jaaaaa büdde! *grins* Und wem hier was passiert - oder auch nicht - DAS musst Du schon selbst herausfinden. LG Kalea 114) Elm Place Eine Stunde später saßen sie in einem Diner und frühstückten. „Die meisten Mieter sind maximal zwei Jahre in dem Gebäude“, begann Sam. Das Architekturbüro und die städtischen Büros im 13. Stock gerade mal ein halbes. Ich bezweifle, dass sie uns eine große Hilfe sein werden“, sagte Sam leise. „Trotzdem müssen wir es versuchen. Vielleicht hat ja jemand etwas gehört und wenn es nur Gerüchte sind“, versuchte Dean Optimismus zu verbreiten. Er war bereit nach jedem Strohhalm zu greifen, wenn sie dadurch den Fall so schnell wie möglich abschließen konnten. Danach standen ja noch ein Urlaub, von dem er gerade gar nicht wusste, ob er ihn wollte und El Paso an und dann wollten sie Weihnachten bei Bobby verbringen und ein wenig kuppeln, wenn der sich noch nicht wieder mit Jody zusammengerauft hatte. Die Zwei gehörten für ihn einfach zusammen! Klang das jetzt komisch? Sie kannten die Frau so gut wie gar nicht und auch wenn der alte Freund schon mehr mit ihr zu tun gehabt hatte, so waren auch die beiden sich eher fremd und doch hatte er das Gefühl, dass sie zusammengehörten. War das nicht verrückt? „Dean?“ Sam wedelte mit seiner Hand vor den Augen seines Bruders herum. „Hmh?“ „Wo warst du mit deinen Gedanken?“ „Jedenfalls nicht hier“, ließ Nick grinsend verlauten. Der ältere Winchester verdrehte nur die Augen. War doch egal, woran er gedacht hatte, er hatte nichts von dem Gespräch verpasst! „Lasst uns aufbrechen, wenn ihr nichts Konstruktives mehr habt!“, sagte Dean und stand auf. Sie hielten noch bei einem Copyshop, damit Dean die Ausweise einlaminieren konnte und standen wenig später vor dem Elm Place. Sie zogen ihre Anzüge gerade, in die sie sich bei einem kurzen Abstecher zu ihren Zimmern geworfen hatten. „Wie gehen wir vor?“, wollte Nick wissen. „Wir fangen unten an und arbeiten uns nach oben durch“, schlug Sam vor. Dean nickte nur. Er überprüfte noch einmal das EMF. „Lasst uns gehen“, sagte er gleich darauf. Sie betraten das Haus und Dean stöpselte die Kopfhörer in das kleine Gerät und steckte sich einen der kleinen Knöpfe in ein Ohr. Ein rotes Lämpchen leuchtete, das zweite flackerte nur. „Was bedeutet das?“, wollte Nick wissen. „Nichts“, erklärte der ältere Winchester. „Wenn wir irgendwo draußen wären, könnte es ein schwacher Geist sein oder aber etwas in der Art ist vor längerer Zeit dagewesen wäre. Hier in der Stadt heißt es einfach nur, dass überall Stromleitungen sind, die das Gerät irritieren.“ „Ist also wie überall: Alles ist reine Interpretationssache?“ „Genau“, nickte Dean. Sie betraten die Eingangshalle. Sofort erhob sich der Portier und blickte ihnen entgegen. „Kann ich ihnen helfen?“, fragte er höflich aber reserviert. Die Drei musterten den Mann überrascht. Sie hatten nicht damit gerechnet, hier noch jemanden zu finden. „Nick Traven, FBI“, stellte sich der Agent vor und hielt dem Portier seinen Ausweis vor die Nase. „Wir hätten nicht gedacht, dass hier noch ein Portier ist.“ „Solange es Mieter in dem Haus gibt …“ erklärte der Mann kühl. „So lange Mrs. Foster noch hier wohnt, so lange bin ich auch hier. Also, was kann ich für sie tun?“ „Meine Kollegen Bernard LaCroix und Thomas Crown vom RCMP und ich untersuchen die Morde, die hier kürzlich verübt wurden. Wissen Sie etwas darüber, Mr. Perez?“ „Das ist furchtbar. Es hat immer wie ein Fluch auf dem Gebäude gelastet und viele potentielle Mieter abgeschreckt, aber auch die Verrückten angezogen.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Nicht mehr lange, dann steht hier nichts mehr, worin man einen Mord verüben könnte.“ „Sie sind die gute Seele des Hauses“, stellte Dean ruhig fest und zaubert dem Mann ein kurzes Lächeln ins Gesicht. „Ich bin seit über 30 Jahren hier“, erklärte er nicht ohne Stolz. „Dann haben Sie sämtliche Morde hautnah miterlebt?“ Der ältere Winchester lehnte sich ein wenig auf die Theke und blickte den Mann erwartungsvoll lächelnd an. „Nicht direkt hautnah. Aber jedes Mal war Mrs. Foster danach vollkommen aufgelöst. Sie hat mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt ganz in ihr Landhaus zu ziehen, doch das hier war ihr Zuhause, ihr Nest, wie sie es immer nannte. Sie wollte hier nicht weg. Jetzt muss sie es verlassen, denn das ist nun auch Geschichte. In ein paar Wochen wird hier niemand mehr wohnen oder arbeiten.“ „Wissen Sie wohin Mrs. Foster umziehen wird?“ „Wie gesagt: Sie hat ein Landhaus in Kalifornien. Es liegt über dem Meer auf einer Klippe. Das wird ihr neues Zuhause werden.“ „Ist Mrs. Foster Zuhause? Wir würden auch sie gerne dazu befragen“, klinkte sich jetzt auch Sam in das Gespräch ein. „Nein. Sie spielt mittwochs und freitags immer Tennis. Aber vielleicht treffen sie ihren Sohn an.“ „Ihren Sohn?“ „Ja. Mr. Foster ist gestern Abend angekommen. Er hat ein kleines Appartement neben dem Penthouse seiner Mutter. Da übernachtet er manchmal.“ „Vielen Dank Mr. Perez.“ „Nehmen Sie meinen Schlüssel. Damit kommen sie auch in den kleinen Flur vor dem Penthouse von Mrs. Foster. Der Fahrstuhl ganz links bringt sie bis nach oben.“ „Kommen wir damit auch zu den anderen Mietern?“ Mit einem freundlichen Nicken nahm Dean den Schlüssel entgegen. „Nein. Der Fahrstuhl fährt nur zur Aussichtsplattform, zum Restaurant und zu den beiden Penthousewohnungen. Um zu den anderen Mietern zu gelangen, müssen sie einen der drei Fahrstühle hier rechts nehmen. Im 52. Stock sind die Maschinenräume für die Aufzüge und Wassertanks.“ „Und was können Sie uns über die Mieter sagen?“, wollte Sam wissen. „In der 4. und 5. Etage arbeiten Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Was die allerdings genau machen, kann ich ihnen auch nicht sagen. Sie schleppen nur jede Menge Kartons rein und wieder raus. In der 12. Etage ist seit fünf Jahren das Steuerberaterbüro Miller und Russo. Sie sind auch schon dabei umzuziehen. Heute hab ich noch niemanden gesehen, aber das heißt nichts. Sie pendeln seit der letzten Woche zwischen den beiden Standorten. In der 13. und 14. Etage sind ebenfalls städtische Büros. Ich glaube etwas von Sozialamt gehört zu haben. Wenn, dann aber auch nur die Verwaltung. Publikumsverkehr haben wir hier keinen. In der 15. Etage sind die Kanzlei Morgenstern und das Architekturbüro Thomas & Thomas. Beide sind da. Sie ziehen erst im nächsten Monat um. Die 47. Etage ist an einen Computerhandel vermietet. Allerdings hat der Eigentümer die Räume schon leer geräumt. „ Sie sind ein wandelndes Lexikon. Danke, Mr. Perez“, sagte Dean noch einmal. „Ich bringe Ihnen Ihren Schlüssel nachher wieder.“ Er drehte sich um und folgte seinen Begleitern zu den Fahrstühlen. Gerade als er bei ihnen ankam, glitten die Fahrstuhltüren auseinander und sie stiegen ein. Sam drückte den Kopf für die 4.Etage. Die Türen schlossen sich und die Kabine setzte sich ruckelnd und ächzend in Bewegung. „Der hat auch schon bessere Zeiten gesehen“, stellte Nick fest. In der 4. Etage angekommen schauten sie sich um. Sämtliche Türen waren verschlossen, aber während die meisten unbeschriftet waren, hingen an einigen eher kryptisch anmutende Bezeichnungen wie A29/1 oder L17/12, aus denen auch nicht zu erkennen war, wer hier eigentlich arbeitete, gut dass es den Portier gab, dank dessen Auskünften sie jetzt etwas mehr wussten. Sie klopften an die Türen, doch niemand öffnete. „Sind wohl wirklich alle ausgeflogen“, überlegte Nick. „Oder Nachschub holen“, stellte Dean fest. „Was für einen Wochentag haben wir?“ „Dienstag“, antwortete Sam. „Na da sollte eigentlich jemand da sein.“ „Wer weiß.“ Nick zuckte mit den Schultern. „Ist erstmal auch egal. Hier ist nichts.“ Dean hielt seinem Bruder das EMF hin. Anders als in der Eingangshalle leuchtete hier nur das erste Lämpchen. Nick schaute etwas genauer hin. „War das mal ein Walkman?“, wollte er erstaunt wissen. „War es“, sagte Dean. „Hat er selbst gebaut!“, ergänzte Sam stolz. Er hatte sich, nachdem er sich damals, kurz nach Jessicas Tod, so abfällig darüber ausgelassen hatte, mal im Internet schlau gemacht, wie man so ein Ding selbst bauen konnte, aber keine Anleitung gefunden. Danach hatte er Dean, heimlich zwar, Abbitte geleistet und ihn als kleines technischen Genie gepriesen. Und selbst jetzt, nachdem er Deans Abschlussnoten gesehen hatte, zollte er ihm dafür noch immer großen Respekt. Dean musterte seinen kleinen Bruder leicht fragend. Woher kam der Stolz denn? Vor ein paar Jahren hatte der sich doch noch reichlich abfällig darüber geäußert. „Wo findet man denn solche Anleitungen?“, wollte Nick beeindruckt wissen. „Wir haben in der Schule mal eins auseinander genommen. War nicht wirklich schwer das später zu bauen“, erklärte der ältere Winchester leichthin. „Ich könnte das nicht!“, sagte Sam leise. „Ich wohl auch nicht“, pflichtete Nick ihm bei. „Okay, wenn ihr mit eurer Huldigung fertig seid, können wir dann eine Etage höher fahren?“ Dean fühlte sich bei dieser Bewunderung reichlich unwohl. Er ging zum Fahrstuhl zurück und drückte den Knopf. Auch in dieser Etage änderte sich die Anzeige des EMF nicht. Und auch hier gab es wieder diese kryptischen Schilder an den Türen. Aber anders als in der Etage darunter waren hier jedoch einige der Büros besetzt. Nick klopfte an einer Tür und erschrak trotzdem fast, als er ein „Herein“ hörte. „Guten Tag. Nick Traven, FBI und das sind Thomas Crown und Bernard LaCroix von der Royal Canadian Mounted Police. Wir haben ein paar Fragen an sie.“ „Seit wann haben wir hier eine Mounted Police?“, fragte eine überschminkte Blondine schnippisch. „Auch wenn Sie das nicht zu interessieren hat, sie nehmen an einem Austausch- und Schulungsprogramm zwischen dem FBI und dem RCMP teil. Sie haben dieselben Befugnisse wie ich, also werden Sie auch ihre Fragen beantworten!“, erklärte der Agent streng. Die beiden anderen Frauen in dem Büro grinsten breit. Sie schienen wohl nicht sonderlich gut mit ihrer Mitarbeiterin überein zu stimmen. „Was machen sie hier eigentlich?“, begann er auch sofort seine Fragen zu stellen. „Wir arbeiten für die Stadtverwaltung und digitalisieren das Archiv, jedes Archiv. Jeder Zettel muss eingescannt und erfasst werden“, gab ihm eine der beiden Frauen Auskunft. „Und wie lange sind die schon hier?“ „Seit etwas mehr als sechs Monaten.“ „Dann haben sie also auch die letzten beiden Morde mitbekommen?“ „Die Polizei war hier und hat Fragen gestellt. Wir konnten ihnen nicht wirklich weiter helfen. Wir haben zwar von den Morden gehört, aber wir kannten die Opfer nicht und wir haben auch nichts gesehen.“ „Gab es irgendwelche Aufregungen im Haus?“, wollte Dean wissen. „Aufregungen?“ „Laute Stimmen, sind Personen auf dem Flur hin und her gelaufen?“, relativierte der Winchester seine Frage. „Nein, nicht solange wir hier waren.“ „Haben sie in der Zeit vielleicht etwas gespürt. Kalte Stellen, komische Geräusche in den Wänden, haben sie sich beobachtet gefühlt?“ Die drei Frauen schauten sich an und schüttelten die Köpfe. „Nichts, woran ich mich erinnern könnte“, antwortete die, die schon die ganze Zeit gesprochen hatte. „Was sind das überhaupt für Fragen? Stellt man solche in Kanada? Bekommen sie darauf überhaupt jemals eine Antwort?“, wollte die Blondine wissen. „Wir haben schon unsere Gründe, diese Fragen zu stellen“, erklärte Nick bestimmt. „Das war’s dann auch schon. Vielen Dank für ihre Mitarbeit“, verabschiedete sich Nick und verließ, gefolgt von den Brüdern das Büro. Sie klopften auch noch an den anderen Türen und stellten in den Büros die gleichen Fragen, doch auch hier bekamen sie keine neuen Antworten. Je weiter sie dem Gang folgten, umso stärker meldete sich das EMF. „Kalte Stellen ...“, begann Nick, wurde von Sam aber mit einem Blick und einem kurzen Kopfschütteln abgewürgt. Der jüngere Winchester konzentrierte sich sofort wieder auf seinen Bruder, den irgendetwas zu irritieren schien und fast im selben Augenblick holte der auch schon das EMF aus der Tasche. Sam sah dass drei Lämpchen leuchteten und das vierte flackerte. Hier war was! Dean bewegte seine Hand mit den Gerät langsam im Halbkreis von einer Wand zur anderen und je näher er der linken Wand kam, umso weniger flackerte das vierte Lämpchen. Hier war eindeutig was! Suchend schaute der Winchester den Gang entlang. Bis zum Fenster gab es keine Türen mehr, also drehte er sich wieder zum Fahrstuhl um und lief dann zielstrebig auf die nächste Tür zu. Seine Knöchel streiften die Wand. Augenblicklich erstarrte er. Er ging einen Schritt zurück und fuhr mit den Fingern über die Stelle. Nichts! Er fühlte nur glatte Wand unter seinen Fingern. Hatte er sich so getäuscht? Dean grummelte kurz, zuckte mit den Schultern und lief zu der Tür, die dieser Stelle am nächsten war. Ein Codeschloss versperrte ihnen den Zugang. „Kannst du es öffnen?“, wollte Dean von seinem Bruder wissen. „Nicht auf die Schnelle“, erwiderte Sam. „Okay. Wir brauchen auf jeden Fall die Pläne von dem Gebäude. Ich will wissen, was hier dahinter ist.“ Sam nickte nur. Er würde sich heute Abend darum kümmern. „Dann mal weiter“, forderte Dean die anderen Beiden auf und lief zum Fahrstuhl zurück. Kapitel 115: Alles oder nichts ------------------------------ @ Vanilein - Ob Dean nun der klügste und bestaussehendste Mann der Welt ist, darüber streiten sich die Geister, aber er ist auf jeden Fall der beste Jäger, den wir kennen! Und sie werden diesen Fall knacken, das weiß ich ganz bestimmt. ;-)) LG Kalea 115) Alles und nichts „Kalte Stellen? Komische Geräusche?“, stellte der Agent im Fahrstuhl seine eigentliche Frage noch einmal. „Geister verursachen Kälte, genauso wie Geräusche in den Wänden oder auch das Gefühl beobachtet zu werden. Aber nicht nur die“, gab Sam Auskunft. „Ihr lebt in einer furchtbaren Welt!“ „Du auch. Nur dass du es nicht so deuten würdest, wenn du diese Dinge bemerkst.“ Nacheinander überprüften sie die Büros in den anderen Etagen und bekamen immer die gleichen Antworten. Niemand hatte etwas bemerkt oder gesehen und niemand kannte die Opfer. „Also sind wir keinen Schritt weiter?“, fragte Nick, nachdem sie in der 15. Etage wieder in den Fahrstuhl stiegen. „Das würde ich so nicht sagen“, antwortete Dean und holte das EMF hervor. Er hielt es erst seinem Bruder und dann dem Agenten hin. Nachdem sich das kleine Gerät nach der fünften Etage wieder beruhigt hatte, leuchtete hier nicht nur das erste Lämpchen durchgehend sondern auch das Zweite. „Was heißt das?“, fragte Nick. „Weiter oben scheint auch was zu sein. Ich habe keine Funkantennen auf dem Dach gesehen, die das Feld verursachen könnten.“ Fragend schaute er zu Sam, der ebenfalls den Kopf schüttelte. Auch er hatte nichts gesehen oder darüber gelesen. „Ich weiß, ich frage zuviel“, sagte Nick etwas geknickt. „Nein. Ja, du stellst viele Fragen, aber da du es nicht wissen kannst, sind es nicht zu viele.“ Dean grinste ihn breit an. „Okay?“ „Jetzt lass mal nicht die Ohren hängen. Jeder fängt klein an“, versuchte Sam ihn aufzumuntern. „Ja, aber ich frage euch fast Löcher in den Bauch und ihr mir nicht.“ „Das liegt wohl daran, dass du in unserem Bereich ein vollkommener Neuling bist, wir aber schon eine ganze Weile in solchen Fällen ermitteln und sich die Fragen nicht wirklich von deinen unterscheiden.“ „Es ist trotzdem frustrierend.“ „Frust gehört zum Geschäft, oder?“, wollte Dean jetzt wissen. „Leider!“ Die Fahrstuhltüren glitten auseinander und sie betraten die 47. Etage. Sofort meldete sich das EMF geräuschvoll zum Leben. „Was?“, fragte Nick irritiert. „Hier oder noch weiter oben ist definitiv was“, sagte Sam. „Auf jeden Fall“, bestätigte Dean die Aussage seines Bruders. Sie liefen die Gänge entlang und versuchten herauszufinden, ob das EMF die Signale von dieser Etage empfing. Aber außer jeder Menge Flecken in der Staubschicht auf dem Fußboden und gut sichtbaren Lauflinien gab es hier nichts und auch die Anzeige des EMF änderte sich nicht. „Dann mal weiter nach oben“, sagte Sam und ging zum Aufzug zurück. „Ich will mich unbedingt auch noch in den Kellergeschossen umsehen“, sagte der ältere Winchester. Immerhin hatte das EMF unten mehr angezeigt als in den mittleren Etagen. Außerdem verkrochen sich ihre Täter oft im Dunkeln. Schnell waren sie zwei Etagen weiter oben angekommen und stiegen im 49. Stock aus. Sofort holte Dean das EMF aus der Tasche. Sam stellte sich dicht hinter ihn und gemeinsam warfen sie einen Blick auf das Gerät. Sie kamen der Quelle des Feldes näher. Inzwischen blinkte das letzte Lämpchen nur noch selten. Sie liefen die Rolltreppe nach oben und versuchten auf die Aussichtsplattform zu kommen. Leider waren die Türen verschlossen und ihr Drang einmal einen Blick über Dallas zu werfen war nicht so stark, dass sie dafür das Schloss knacken wollten. Der Schlüssel des Portiers passte hier leider auch nicht. „Dann lasst uns mal Mrs. Foster besuchen“, schlug Sam vor. Sie liefen über die Rolltreppe zurück zum Fahrstuhl und fuhren die letzte Etage nach oben. Hier gab es nur einen kleinen Flur und zwei Wohnungstüren. Nick klingelte an der, die ihm am nächsten lag. Lange Zeit tat sich nichts. Nick klingelte ein zweites Mal und als auch jetzt keine Reaktion erfolgte, wandten sie sich der zweiten Tür zu. Gerade als sie auf den Klingelknopf drücken wollten, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls. Ein Mann trat aus der Kabine. Lautes Rauschen drang aus Deans Tasche, wurde von ihm aber augenblicklich abgebrochen. „Wollten sie zu meiner Mutter?“, fragte der Mann und musterte die drei mit seinen fast schwarzen Augen. Seine Stimme klang samtig weich und schien die Ermittler wie eine wollene Decke einzuhüllen. Dean blickte alarmiert zu seinem Bruder. „Wenn Mrs. Foster ihre Mutter ist?“, antwortete der jüngere Winchester. „Ist sie. Ich bin Hudson Foster“, stellte sich der Mann vor. „Nick Traven, FBI. Das sind meine Kollegen Bernard LaCroix und Thomas Crown vom RCMP. Wir wollten uns gerne mit Ihrer Mutter unterhalten.“ „Sie ist erst heute Abend wieder da. Vielleicht kann ich ihnen ja helfen?“ „Es geht um die Mordserie hier in und um dieses Gebäude.“ Hudsons Augen schienen für einen Augenblick zu flackern. Dean zog seine Augenbrauen zusammen. Hatte er sich getäuscht? Sofort schaute er zu seinem Bruder. Hatte Sam das auch bemerkt? Foster blieb äußerlich ruhig als er antwortete: „Dazu weiß ich nicht viel. Nur dass sie passiert sind. Ich war früher mit meinen Eltern viel unterwegs und bin es jetzt allein. Ich versuche Vaters Forschungen weiterzuführen.“ „Könnten Sie Ihrer Mutter ausrichten, dass wir gerne mit ihr sprechen würden und noch mal vorbeikommen?“, bat Sam und drückte auf den Knopf des Fahrstuhls. Er fühlte sich in der Gegenwart dieses Menschen mehr als unwohl. Irgendetwas erinnerte ihn an diesen Bildhauer Wetherworth. Hoffentlich hatte der nicht doch noch mehr Geschwister. Er sollte vielleicht doch noch einmal das Netz danach durchsuchen. Nach Saratoga Springs hatte er sich mehr um Dean gekümmert, als darum. „Ich werde es ausrichten“, versprach Foster und öffnete die Tür, an der sie noch nicht geklingelt hatte. Die Türen glitten auseinander, während Foster in seinem Appartement verschwand und Sam drängte sich in die Kabine. Nick und Dean verabschiedeten sich mit einem kurzen Nicken von dem Mann, der gleich darauf seine Wohnungstür wieder zuschlug, und folgten dem Jüngeren. „Was war los?“, wollte Nick wissen. „Er war komisch“, erklärte Sam und unterdrückte ein Schütteln. „Fast wie der Wetherworth, damals in Portland.“ Dean nickte nur. Er hätte das jetzt nicht an dem festgemacht. Aber auch er hatte etwas gespürt. „Er sieht ihm aber nicht ähnlich!“, sagte er leise und grinste schief. „Ich werde das Internet trotzdem mal nerven. Nicht dass da doch noch mehr Brüder rumlaufen.“ „Wolltest du in Saratoga Springs schon.“ „Ja, aber irgendwie kam dauernd was dazwischen.“ „Leider!“ Nick blieb nur wieder fragend von einem zum anderen Winchester zu blicken. „Ein unrühmliches Kapitel unseres Lebens“, erklärte Sam. „Eher zwei unrühmliche Kapitel“, fügte Dean hinzu. „Lasst uns die Untergeschosse untersuchen“, sagte er gleich darauf. Er wollte sich nicht weiter daran erinnern und drückte auf den entsprechenden Knopf. Doch der Fahrstuhl rührte sich nicht. „Was ist das denn?“, überlegte er laut und probierte nach und nach jeden Knopf der Tiefgaragenetagen aus, aber erst der letzte, oberste, brachte den Fahrstuhl dazu sich in Bewegung zu setzen. Also schien doch etwas an dem Wassereinbruch dran zu sein? Das erste Untergeschoss entpuppte sich als ganz normales Parkdeck. Neben dem Fahrstuhl gab es einen abgeschlossenen Bereich, in dem ein alter Pontiac und ein neuer Benz standen. In der Nähe der anderen Fahrstühle standen weitere Wagen. Sonst gab es hier noch einen Raum, dessen Tür jedoch auch verschlossen war und der Schlüssel des Portiers wieder nicht passte. Der schien wirklich nur für die Fahrstühle zu sein, auch wenn da noch zwei weitere Schlüssel an dem kleinen Bund hingen. Da das EMF jedoch keinen größeren Ausschlag zeigte als in den anderen Bereichen der Tiefgarage, ließen die Jäger die vorerst unberührt. Das Einzige, was Dean jedoch noch brennend interessierte, war die Tatsache, dass der Fahrstuhl eben nur bis zu dieser Etage fuhr obwohl es noch fünf weitere Parketagen geben musste. Die ganze Zeit hielt er Ausschau nach einer Treppe und als er sie endlich fand, war er nicht mehr zu halten. Er öffnete die schwere Metalltür und drängte sich hindurch. Der Raum roch muffig und klang, als wären sie in einer Tropfsteinhöhle. Er holte eine Taschenlampe aus der Innentasche seiner Jacke, schaltete sie ein und ging, gefolgt von den Anderen, die Treppe hinunter. Er kam nicht weit. Schon auf dem Absatz wurde das Licht von einer schimmernden schwarzen Fläche reflektiert. Wasser! Die anderen Parkdecks standen komplett unter Wasser! „Ist wirklich die Wahrheit, dass die Pumpen nicht mehr arbeiten“, stellte Nick ruhig fest. „Und erklärt, warum der Fahrstuhl nicht weiterfahren wollte“, grinste Dean schief. Er warf noch einen kurzen Blick auf das EMF und zuckt mit den Schultern. Hier unten war etwas, doch wie sollten sie das aufspüren? Gab es noch andere Zugänge? Gab es trockene Räume? Geistern oder Dämonen machte das Wasser wohl nichts aus, aber wie bekamen sie dann ihre Opfer hier herunter? Wenn es welche gab, waren die ertrunken oder schon vorher tot? Das mussten sie nachher noch klären! Sie gingen wieder nach oben, stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in die Lobby. „Vielen Dank noch mal“, sagte Dean und gab dem Portier die Schlüssel für den Fahrstuhl zurück. „Gibt es eigentlich einen Universalcode um alle Schlösser in dem Gebäude öffnen zu können?“, wollte er von Mr. Perrez wissen. „Ist doch sonst fast unmöglich die alle aufzubekommen, oder?“ „Die liegen alle gut verschlossen bei dem Besitzer dieses Gebäudes im Tresor.“ „Na dann. Ich dachte schon, Sie müssten hier alle Türen auftreten bevor sie das Haus verlassen.“ Grinsend zwinkerte Dean dem alten Mann zu. „Und was ist denn mit den Untergeschossen passiert? Sind die Pumpen defekt?“, fragte er den Mann, schließlich war er ja ein unwissender Kanadier. „Defekt nicht, aber je weniger Menschen hier arbeiteten, umso weniger Miete wurde eingenommen und die Anzahl der benötigten Parkplätze sank. Die Pumpen benötigen Strom und der kostet, also wurden nach und nach die unteren Parkebenen gesperrt und die Pumpen abgeschaltet.“ Dean nickte. Er schaute den Mann bedauernd an und wandte sich ab. „Woran sind die Opfer gestorben?“, wollte der ältere Winchester wissen, kaum dass sie wieder im Impala saßen. „Warum ist das wichtig?“, fragte Nick. „Das EMF hat in der Tiefgarage wieder heftiger angeschlagen. Wenn einige ertrunken sind, haben wir ein Problem, oder kann einer von euch tauchen?“ „So heftig wie oben?“, wollte Sam wissen. „Nein, so schlimm nicht. Trotzdem kann, was auch immer, seine Opfer da unten töten. Oder es schleppt die Leichen da runter.“ „Du meinst es gibt noch mehr Opfer, als die, die wir gefunden haben?“, fragte Nick erschrocken. Hatte er etwas übersehen? Waren die zwanzig Vermissten vielleicht tot und da unten irgendwo in dem Wasser versteckt? „Du wusstest nicht wonach du suchen solltest. Es ist also nicht deine Schuld!“ „Ich fühle mich trotzdem nicht wohl bei dem Gedanken!“ „Außerdem müssen wir noch mit Mrs. Foster reden und das 52. einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Dieser Hudson hat uns vollkommen aus dem Konzept gebracht!“, stellte Sam ruhig fest. „Okay“, sagte Dean und schaute auf seine Uhr. „Das Grundbuchamt dürfte schon geschlossen haben, aber die Pathologie ist immer offen, also fahren wir da noch dahin.“ Kapitel 116: Komische Maker und ein fehlender Raum -------------------------------------------------- 116) Komische Marker und ein fehlender Raum @ Vanilein - Tauchen? Nur als allerletzten Ausweg. Versprochen. LG Kalea Es dauerte eine Weile bis sich Dr. Lindholm bei der Schwester an der Anmeldung meldete und noch etwas länger, bis er den Gang entlang auf die wartenden Agenten zukam. „Was gibt es so wichtiges, dass sie mich von meiner Arbeit wegholen?“ „Es geht um die Morde an Jasper Summers und Michael Miller. Wir wollten die Autopsieergebnisse sehen“, sagte Nick. „Und sie sind berechtigt danach zu fragen?“ „Entschuldigen Sie, wir haben uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Nick Traven, FBI und das sind meine Kollegen Bernard LaCroix und Thomas Crown von der RCMP. Wir ermitteln in den Fällen.“ „Ich habe nur die Autopsie an Miller gemacht. Summers lag bei meinem Kollegen auf dem Tisch. Dazu müsste ich ihnen die Akte raussuchen, wenn sie es so eilig haben.“ Er blieb an einem Kaffeeautomaten stehen, warf eine Münze ein und wartete bis der Becher vollgelaufen war. „Wenn sie auch einen wollen? Er ist aber nicht wirklich zu empfehlen.“ Er verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen und pustete dann in seinen Kaffee. „Es ist schon ein wenig dringend. Immerhin versuchen wir einen Mörder zu fassen.“ „Die ermittelnden Polizisten hat nur Summers interessiert. Miller war ja nur ein obdachloser Säufer.“ „Wir interessieren uns für alle Opfer“, stellte Dean ruhig klar. Dr. Lindholm öffnete eine Tür und ließ die Agenten eintreten. Er selbst ging zu einem Schrank. Seinen Kaffeebecher stellte er darauf, zog einen Schub auf und suchte die entsprechende Akte heraus. Er blätterte darin und holte dann einige Fotos hervor, die er auf dem Tisch verteilte. „Das Opfer hatte mehrere Stich- und Schnittverletzungen und kaum noch Blut in seinem Körper. Laut Aussage der ermittelnden Beamten war aber kaum Blut am Tatort. Das heißt, er muss woanders ermordet worden sein. Er war ziemlich ausgemergelt und hatte blaue Flecke, aber das kann auch von seiner Lebensweise kommen. Jedenfalls habe ich nichts gefunden, was ich dem Mord zuordnen konnte. Ein paar Ungereimtheiten gab es allerdings doch.“ Er wühlte in den Fotos und legte die einiger Organe ganz nach oben. „Sein Herz, die Leber und die Lunge sahen aus, als wären sie mit einem Elektroschocker bearbeitet worden.“ Sam drehte die Fotos zu sich und schaute sie sich konzentriert an. Dean verdrehte kurz die Augen. Er mochte so was einfach nicht, ließ sich aber auch nicht mehr von seinem Unbehagen anmerken. Nick atmete einmal tief durch. Auch ihn ließen diese Bilder nicht kalt und er beugte sich ebenfalls über den Tisch, um sie sich besser anschauen zu können. „Sie meinen die dunklen Marker hier, Doktor?“, fragte Sam nach einer Weile. „Genau die. Aber lassen Sie das Doktor weg. Ich bin es noch nicht.“ „Noch nicht?“, fragte Nick ruhig. „Ich schreibe noch an meiner Doktorarbeit.“ „Dann mal viel Glück!“ „Danke“, Lindholm lächelte schüchtern. „Okay. Diese Marker kommen nicht einfach so auf die Organe, oder?“, fragte Dean eher rhetorisch. „Nein. Dazu müsste man den Brustkorb öffnen.“ „Und das war nicht der Fall gewesen.“ „Nicht bevor ich ihn in den Fingern hatte.“ Die Brüder warfen sich einen ihrer vielsagenden Blicke zu. „Und bei den anderen Opfern war es genauso?“ „Wie gesagt, ich habe nur Mr. Miller obduziert. Die Akte von Mr. Summers müsste ich mir raussuchen lassen. Mein Kollege hat es nicht sonderlich gern, wenn andere in seinen Sachen wühlen. Aber die Polizisten haben von allen Akten Kopien bekommen …“, ergänzte der Pathologe leise. Nick richtete sich auf, zog sein Telefon aus der Tasche und wählte eine Nummer. Einen Augenblick lauschte er dem Signal und polterte, kaum dass jemand abgenommen hatte los: „Nick Traven, FBI. Ich brauche die Akten zu jedem Todesopfer, das es je in und um das Elm Place gegeben hat und zwar bis morgen früh.“ Die Erwiderung, zu der sein Gegenüber umgehend ansetzte ließ er nicht einmal ansatzweise zu. „Es ist mir herzlichst egal wie spät es ist und wie lange oder wo Sie dafür suchen müssen. Ich will die Akten morgen früh um acht Uhr haben. Wenn Sie ein Problem damit haben, können Sie gerne mit meinem Vorgesetzten reden.“ Nick gab noch schnell seine Dienstnummer, den Namen seines Vorgesetzten und dessen Telefonnummer durch und legte dann auf. „Wollen doch mal sehen, wie schnell die werden können“, knurrte er ungehalten. Sam und Dean schauten sich kurz an und versuchten ein Grinsen zu unterdrücken. Hatte schon was für sich, wenn man mit dem FBI zusammenarbeitete. „Können wir die Akten hier mitnehmen?“, wollte der Agent ruhig wissen. „Ich lassen ihnen Kopien anfertigen.“ „Vielen Dank, Mr. Lindholm“, sagte Nick. Gemeinsam gingen die Männer nach vorn. Der angehende Doktor gab der Schwester seine Akten und die Anweisung, diese und die Akte von Summers zu kopieren und den Agenten zu übergeben. „Dann mach ich mich mal wieder an meine Arbeit“, verabschiedete er sich. „Vielen Dank noch mal“, sagte Sam und schüttelte ihm die Hand. Einen Kaffee später hielten sie die Kopien in den Händen und machten sich auf den Weg zurück zu ihrem Motel. Vollbeladen mit Essen und Bier ließen sie sich am Tisch im Zimmer der Brüder nieder. Schnell waren die einzelnen Packungen verteilt und jeder widmete sich seinem Essen. Das Schweigen hielt jedoch nicht lange an. „In der Akte von Summers sind ebenfalls diese Marker an Herz, Lunge und Leber aufgeführt und auch dieser Körper war erstaunlich blutleer“, erklärte Sam, der sich die Papiere während der Fahrt vorgenommen hatte. „Das hilft uns nicht wirklich weiter.“ Dean rieb sich müde über das Gesicht. „Am Besten wir gehen wie üblich nach der Ausschlussmethode vor: Also wer war es nicht?“ „Werwölfe und Vampire können wir wohl ausschließen. Die einen mögen zwar Herzen, aber zum Fressen und nicht um nur Brandmarken darauf zu hinterlassen. Vampire trinken Blut, hinterlassen aber keine Marker“, überlegte Dean. „Geister und Dämonen könnten diese Zeichen durchaus hinterlassen. Die können auch in einen Körper fassen“, nahm Sam diese Überlegungen auf. „Aber warum? Dämonen wollen die Körper besetzen. Es bringt ihnen nichts, sie zu brandmarken“, fragte Dean. „Sie quälen aber auch gern.“ „Trotzdem bleibt das fehlende Blut! Das passt nicht!“ „Hexen.“ „Nicht schon wieder die!“, maulte der ältere Winchester und verdrehte die Augen. „Die könnten das Blut für Zeremonien verwenden und die Marker? Wir haben nie überprüft, ob die so was nicht auch könnten.“ „Es gibt zu viele, die Blut für Zeremonien nutzen könnten. Damit kommen wir nicht weiter.“ „Was dann, Dean?“ „Ich habe keine Ahnung. Trotzdem würde ich Hexen ausschließen. Das ist einfach nicht ihre Art. Geister? Geisterkrankheit? Ein Säufer mit Lungenkrebs erleidet einen tödlichen Herzinfarkt weil ihn keine Ahnung wer, gestresst hat?“ „Dazu passt die Blutleere nicht.“ „Hast du eine bessere Idee?“ „Nein. Leider noch nicht. Lass uns die anderen Akten abwarten. Und vielleicht ergibt sich ja was aus den Blaupausen“, versuchte Sam zu beruhigen. „Wenigstens sind es keine Wechselbälger“, stöhnte Dean, stand auf und holte die Kanne Kaffee. Sam atmete tief durch. Dieses Trauma saß tief. Bei ihnen beiden. Der nächste Morgen kam viel zu früh. Die Brüder hatten beide nicht besonders gut geschlafen. Es gab noch jede Menge nicht verheilter Wunden aus der Vergangenheit und die körperlichen ihres letzten Falles, die sie belasteten. Stoff für genügend Albträume, die sie nachts wach halten konnten. Sam schaltete seinen Handywecler aus und setzte sich auf. „Hey“, grüßte Sam leise, während er seinem Bruder dabei zuschaute, wie der mit seiner Decke kämpfte. „Du siehst so Scheiße aus, wie ich mich fühle.“ Dean grummelte etwas Unverständliches und er registrierte erschrocken, dass sein Großer schon ansprechbar war. „Wir sollten den Fall so schnell wie möglich beenden und dann dieses Leben“, erklärte er. Sie hatten zwar schon immer mal schlechte Tage, doch diese schienen sich in letzter Zeit zu summieren. „Hm“, grummelte der Ältere und erhob sich. Sich vorsichtig streckend warf er seinem Bruder einen kurzen, fragenden Blick zu und schlurfte weiter ins Bad. Sam stand ebenfalls auf. Er begann den Tisch zu decken und fütterte die Kaffeemaschine. Um überhaupt in die Gänge zu kommen, würden sie wohl jede Menge davon heute brauchen. Er schaute in den Kühlschrank. Milch brauchten sie auch. Dean kam aus dem Bad. Er ging zum Schrank und suchte sich frische Kleidung heraus. Schnell versorgte er seine langsam verheilenden Brandwunden und zog sich danach an. „Ich hole Frühstück“, sagte er leise und griff nach dem Impalaschlüssel. „Bringst du Milch mit?“, fragte Sam auf dem Weg ins Bad. „Sonst noch Wünsche?“, wollte der Ältere wissen, doch Sam schüttelte nur den Kopf und ging ins Bad. Als Dean das Zimmer voll beladen wieder betrat, saß Nick am Tisch und trank einen Kaffee. „Du siehst auch nicht besser aus als Sam. Was habt ihr die Nacht gemacht?“, empfing ihn der Agent, doch Dean schaute nur kurz auf und begann dann seine Einkäufe zu verteilen. Er stellte eine Packung Cornflakes auf den Tisch, holte eine Schüssel und einen Löffel und ließ sich auf den letzten freien Stuhl fallen. „Dean, du … Danke“, strahlte Sam ihn an. Wie lange hatte er schon keine Cornflakes mehr zum Frühstück gehabt? Auch wenn er sie nicht mehr so sehr liebte wie als kleines Kind, er mochte sie immer noch und irgendwie schafften sie es einen Tag besonders zu machen. „Musste doch eh Milch holen“, gab der ältere Winchester lapidar zurück. Aber der Blick, den er Sam zuwarf, sagte etwas ganz anderes. Nachdem die drei Männer ihr Frühstück aufgegessen und Dean seinen Extra-Doppel-Schoko-Muffin verdrückt hatte, waren sie bereit, in den Tag zu starten. Als Erstes fuhren sie zum Polizeirevier. Nick ging nach oben und bekam von einer mürrisch blickenden Beamtin einen übervollen Karton in die Hand gedrückt. „Den soll ich Ihnen geben, sagte mein Kollege. Es sind Kopien von allen Fällen drin und wenn Sie noch was brauchen sollten … kommen Sie selbst her und durchwühlen das Archiv!“, sie schaute ihn an. „Nicht meine Worte, aber meine Meinung. Nur weil Sie vom FBI sind, brauchen Sie hier nicht den großen Macker raushängen lassen.“ „Ach, jetzt kommt wieder die allseits beliebte Feindschaft zwischen FBI und Polizei? Bitte, wenn Sie die so haben wollen!“ Grußlos wandte er sich ab und verließ das Gebäude. „Wie ich das hasse. Immer diese hochgespielte Feindschaft zwischen FBI und Polizei.“ „Gibt es die nicht?“, wollte Sam leicht spöttisch wissen. „Irgendwie schon, obwohl ich einige Beamte kennen, die ganz froh sind, wenn wir die Drecksarbeit machen. Egal. Ich hab die Akten. Mehr wollten wir nicht, oder?“ „Wenn es alle sind, nein.“ „Dann lasst uns zum Grundbuchamt fahren.“ Dean startete den Wagen. Stunden später saßen sie noch immer in einem fensterlosen Archivraum und wälzten Blaupausen. Immer wieder blieb Dean an den Plänen des 52. Geschosses hängen. „Das kann einfach nicht sein. Hier oben ist mindestens eine Tür mehr eingezeichnet. Da“, er deutete auf einen Raum, „war nichts, nur eine lange Wand und die sah auch nicht aus, als wäre sie nachträglich geschlossen worden.“ „Vielleicht wurde der Raum während der Bauarbeiten gestrichen?“, überlegte Sam. „Das macht keinen Sinn“, beharrte Dean auf seinen Zweifeln. „Wieso sollten sie einen Raum weglassen, den Platz aber nicht dem Raum davor zuordnen?“ „Vielleicht haben sie das ja. So genau haben wir uns die auch nicht angesehen. Vielleicht gibt es da hinter all dem Krempel und den Regalen einen Durchgang?“, versuchte Sam die Zweifel seines Bruders weiterhin zu zerstreuen. „Warum machen wir von dem Plan nicht einfach Fotos und fahren noch einmal zum Elm Place. Wir wollten eh noch mit Mrs. Foster sprechen. Da können wir auch den Maschinenraum in Ruhe untersuchen und ausmessen“, mischte Nick sich in diese kleinen Disput ein. „Was anderes wird uns wohl nicht übrig bleiben“, gab Sam klein bei. Kapitel 117: Mrs. Foster und ein fehlender Raum ----------------------------------------------- @ Vanilein - Dann mach ich mal weiter ... Was es ist, oder wer werde ich mal nicht verraten, aber ich freue mich, dass Du so miträtselst. Mal sehen, wer es her weiß, Du oder die Jungs.. LG Kalea 117) Mrs. Foster und ein fehlender Raum Kaum betraten sie die Empfangshalle des Elm Place, erhob sich der Portier und blickte ihnen offen entgegen. „Guten Tag, Mr. Perez“, grüßte Dean freundlich. „Die Agenten“, stellte er lächelnd fest. „Möchten sie zu Mrs. Foster?“ „Wenn sie da ist, gerne“, antwortete der ältere Winchester. „Ich melde sie an“, sagte der Portier und griff zum Telefon. Wenige Minuten später standen die drei Männer vor der Wohnungstür und läuteten. Mrs. Foster schien auf sie gewartet zu haben, denn sie öffnete fast sofort. „Sie sind vom FBI?“, empfing sie die Männer. „Ich bin Nicolas Traven, FBI und das sind meine Kollegen Bernard LaCroix und Thomas Crown von der RCMP.“ „RCMP?“ „Kanadische Mounties. Derzeit läuft ein Austauschprogramm.“ „Gut. Dann kommen sie mal rein. Wie kann ich ihnen helfen? Möchten sie etwas trinken?“, gab sie ganz die weltgewandte Gastgeberin. „Nein Danke. Wir möchten Sie zu den Morden in und um das Haus befragen“, erklärte Nick nach einem kurzen Blick auf seine Begleiter. „Dürfte ich wohl mal ihre Toilette benutzen?“, wollte Dean leise wissen und schaute sie entschuldigend an. „Gerne“, erwiderte sie, doch ihr Blick widersprach ihrem Angebot. Immerhin wies sie ihm die ungefähre Richtung. Der Winchester nickte danbar und verschwand. „Zu den Morden kann ich ihnen leider wenig sagen. Ich vermute zwar, dass wir fast immer im Haus waren, aber wir wohnen so weit oben, dass wir von dem, was auf der Straße passiert kaum etwas mitbekommen. Leider! Die armen Opfer. So zugerichtet zu werden muss furchtbar sein!“ „Woher wissen Sie davon?“, fragte der Agent. „Junger Mann, ich bin zwar alt, aber nicht weltfremd, auch wenn mein Mann sich fast ausschließlich mit Antikem beschäftigt hat. Ich lebe im hier und jetzt.“ „Das wollte ich mit meiner Frage auch nicht ausgedrückt haben.“ „Es gibt Fernsehen und Zeitung. Außerdem ist Juan, Mr. Perez, ein echtes Plappermaul.“ „Ich meinte eigentlich eher, dass man Ihnen Ihr Alter nicht ansieht. Sie sehen wirklich sehr jung aus.“ „Sie sind ein Schmeichler“, lächelte sie. „Mein Aussehen habe ich dem Glück zu verdanken. Ich hab die Gene meiner Mutter geerbt. Auch sie sah ihr Leben lang sehr jung aus.“ „Gut, also was können Sie uns zu den Morden sonst noch sagen?“, lenkte Nick das Gespräch wieder in die richtige Richtung. „Leider nur das, was in den Medien verbreitet wurde. Ich habe gehört, dass einige der Opfer hier im Haus gearbeitet haben. Leider waren wir viel zu viel unterwegs, als das ich mit jemandem näher bekannt werden konnte. Lediglich mit Mr. Perez habe ich mich öfter unterhalten. Ein sehr netter, zuvorkommender Mensch, zurückhaltend, aber wir kennen uns nun schon solange, wie das Haus bewohnt ist. Er erzählt mir vieles, was er anderen nie sagen würde. Und was die Details der Morde betrifft, die Boulevardblätter überschlagen sich ja in der Ausschlachtung der Einzelheiten.“ „Da haben sie mit Forschern einiges gemein“, überlegte Dean ruhig. Er hatte den Raum gerade wieder betreten. Vor einem kleinen Bord blieb er stehen und betrachtete sich interessiert die Fotos. Nick war dieses Herumschnüffeln schon etwas peinlich, doch ein Blick zu Sam beruhigte ihn irgendwie, auch erinnerte er sich daran, was der über seinen älteren Bruder sagte, damals als sie versuchten den kopflosen Reiter zu identifizieren. „Bei der Forschung dient es wissenschaftlichen Zwecken, aber wozu ist es gut, in der Zeitung jede einzelne Brutalität zu schildern, als Sensationssucht der Massen zu befriedigen?“ Dean blieb ihr eine Antwort schuldig. Er deutete auf eine goldene Statue und fragte: „Im Museum steht auch so eine. Gibt es zwei davon?“ „Nein. Diese ist die Echte. Sie war eines der ersten und wichtigsten Fundstücke meines Mannes. Er konnte sich nicht von ihr trennen und ließ für das Museum eine Replik anfertigen.“ „Allerdings fehlt hier in der Hand der Stab. Die Statue im Museum hat ihn.“ „Oh, wahrscheinlich ist er heruntergefallen und die Katze hat ihn verschleppt. Er saß von Anfang an sehr locker. Ich werde ihn wohl nachher suchen müssen“, stellte sie ruhig fest. „Sie interessieren sich also für aztekische Kunst?“ „Mein Kollege ist schon fast geschichtsversessen. Er muss in jedes Naturkundemuseum, das auf unserem Weg liegt“, erklärte Dean mit einem kurzen Nicken in Sams Richtung. „Hat der Stab eine Bedeutung? Woraus ist der? Im Museum sah er fast schwarz aus.“ „Es ist ein Obsidian. Die Statue stellt Hiutzilopochtli dar, den Kriegs- und Sonnengott“, sagte sie leichthin. Der Winchester nickte nur und setzte seine Besichtigung im angrenzenden Raum fort. Ein leises Lächeln huschte über Sams Gesicht. Sein Bruder hatte sich im Museum wohl doch nicht nur gelangweilt. Er hatte sich diese Statuette zwar auch genau angesehen, das Detail war ihm allerdings nicht im Gedächtnis haften geblieben. „Was also die Morde anbelangt, kann ich ihnen leider nicht mehr sagen. Aber wenn sie mit dem Haus zusammenhängen sollten, werden sie wohl bald aufhören.“ Mrs. Foster lenkte das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema. „Mr. Perez sagte auch so etwas. Sie werden bald wegziehen?“, machte Sam ihr die Freude darauf einzugehen. „Ja, in einem Monat kommen die Möbelpacker.“ „Dann bedanken wir uns für Ihre Zeit und wünschen Ihnen alles Gute für den Umzug“, sagte Nick und wandte sich zur Tür. „Wenn wir noch Fragen haben sollten, wenden wir uns noch einmal an Sie.“ „Tun sie das, meine Herren“, sprach sie und drängte die Agenten fast hektisch aus der Tür. Schweigend gingen sie zum Fahrstuhl und fuhren bis zur Aussichtsplattform, um da in einen anderen umzusteigen, der sie bis ganz nach oben brachte. Schon als sie die Kabine verließen, spielte das EMF verrückt, sodass Dean es ausschalten musste. Immer wieder untersuchten sie hier die Wände, doch weder fanden sie eine Tür noch einen Durchgang. Der Raum, der laut Zeichnung am Ende des Ganges sein sollte, schien hier einfach nicht zu existieren. Doch warum? Warum sollte jemand einen Raum schaffen, der vollkommen unnütz war? Und warum spielte das EMF hier noch verrückter als in der fünften Etage? Was war in dem Raum, der doch scheinbar nicht existierte? Schweigend fuhren sie wieder nach unten und Dean gab dem Portier ohne ein Wort den Schlüssel zurück. „Was hast du?“, wollte Sam von seinem Bruder wissen, als sie mit dem Impala an einer Ampel warten mussten. „Das Gefühl, dass hier etwas zum Himmel stinkt!“ „Also ich fand sie sehr sympathisch“, schaltete sich Nick ein. Augenblicklich drehte sich Sam zu ihm um und schüttelte mit ernstem Blick den Kopf. Er hatte gelernt auf Deans Bauch zu hören. Auch wenn sein Bruder nicht immer sofort sagen konnte, was nicht stimmte, damit das etwas im Argen lag, hatte er eigentlich immer Recht. „Und warum?“, fragte er daher. „Wenn ich dir das so genau sagen könnte!“, antwortete Dean nur und verfiel wieder in Schweigen. „Ist euch aufgefallen, dass es in der ganzen Wohnung keine Kinderfotos von Hudson gibt? Zumindest in dem Bereich, in dem wir waren nicht“, begann Dean beim Essen. „Dafür hat sie jede Menge Fotos als er älter wurde. College würde ich sagen.“ Sie hatten sich ein kleines, aber feines Restaurant gesucht, weil Nick nicht schon wieder Fastfood im Motelzimmer essen wollte. „Wir waren nur im Flur und im Wohnzimmer“, erklärte der FBI-Agent ruhig. „Ich habe auch einen Blick ins Arbeitszimmer geworfen.“ „Vielleicht ist er adoptiert worden?“, versuchte Nick das Fehlen zu erklären. „Wer adoptiert einen Siebzehn- oder Achtzehnjährigen?“, stellte sich Sam auf Deans Seite. Das kam ihm wirklich etwas komisch vor. „Er ist aus einem Seitensprung seines Vaters entstanden?“, überlegte Nick. „Da würde ich erst Recht keine Fotos von ihm haben. Überhaupt keine Fotos“, behauptete Sam. „Und ein Seitensprung von ihr?“, grübelte der ältere Winchester. „Eher unwahrscheinlich, oder? Es sei denn, der Ehemann war lange genug weg, um von Schwangerschaft und Geburt nichts mitzubekommen und sie hat das Baby sofort weggegeben aber immer Kontakt zu der Amme gehalten. Hätte sie dann nicht aber ein paar wenige Kinderbilder haben müssen?“ „Nicht wenn sie es wirklich verheimlichen wollte“, warf Sam ein. „Sie hätte sich Fotos schicken oder nachmachen lassen können. Außerdem ist der Mann seit Jahren tot.“ „Aber noch nicht so lange. Wie alt schätzt ihr diesen Hudson?“, wollte Sam wissen. „Mitte vierzig?“ „Dann wären die ersten Fotos etwa zwanzig Jahren alt. Der Mann aber erst vor knapp zehn Jahren gestorben. Das passt nicht.“ „Der andere Punkt an dem sie gelogen hat, ist die Katze. In der Wohnung gibt es keine.“ „Wie kommst du darauf, Dean?“ Jetzt wurde auch Nick langsam skeptisch. „Kein Kratzbaum, kein Spielzeug, keine zerkratzten Ecken. Nichts was auf die ständige Anwesenheit eines Tieres schließen lassen würde.“ Nick musste zugeben, dass er nicht so genau hingeschaut hatte, also konnte er diese Aussage weder bestätigen noch entkräften. Schweigend beendeten sie ihr Essen und fuhren ins Motel. „Vielleicht gehen wir falsch an die ganze Sache heran?“, überlegte Sam während er seinen Laptop aufbaute. Dean und Nick blickten ihn fragend an. „Vielleicht sollten wir die Täter nicht ausschließen, sondern erstmal zusammentragen was wir über ihn wissen und sehen dann wohin uns das führt?“ „Warum nicht? Dümmer als jetzt können wir dann auch nicht dastehen“, stimmte Dean ihm zu. „Okay, was wissen wir?“, begann Sam auch sofort. „Vermutlich geht es ihm um das Blut.“ „Er ist an das Elm Place gebunden.“ „Männliche Opfer“, fügte Nick an. „Die verschwundene Tür?“, fragte Sam leise. „Und irgendwas im fünften Stock.“ „Das klingt irgendwie nach einem mächtigen Dämon. Sowas wie Lilith oder der Gelbäugige. Kannst du nach Wetterphänomenen suchen?“ „Du hast keinen Dämon gesehen!“ „Ich habe keine Ahnung was es sonst sein sollte! Außerdem heißt dass ich keinen gesehen habe nicht, dass keiner da ist.“ Sam nickte kurz. „Du kannst Dämonen sehen?“, schaltete sich Nick überrascht ein. „Wie sehen die aus?“ „Ja kann ich, und du willst nicht wissen, wie die aussehen!“, erklärte Dean kaum hörbar. „Okay“, sagte Nick etwas heiser und dann breitete sich ein unangenehmes Schweigen in dem kleinen Raum aus. Der Agent schämte sich für seine Neugier und die Winchesters verfingen sich immer mehr in ihren unangenehmen Erinnerungen. „Gibt es aztekische Dämonen?“, fragte Nick plötzlich in die Stille. „Wie kommst du denn darauf?“, wollte Dean dankbar, diesem Gedankenkarussell entkommen zu können, wissen. „Hutzlipoch...“, begann Nick. „Hiutzilopochtli“, verbesserte Sam und erntete einen verwunderten Blick von dem Agenten. „Unser Collegeboy hat zugeschlagen“, grinste Dean. „Hütet dich vor ihm, Nick. Der weiß alles und alles besser.“ Sam verzog das Gesicht, doch Deans blitzende Augen ließen ihn ihm nicht lange böse sein. „Okay, also der Hiutzilopochtli ist ein aztekischer Gott. Ihm wurden Menschenopfer dargebracht. Im Museum stand, dass ein Priester dem Opfer bei lebendigem Leib das schlagende Herz herausschnitt und es dem Gott darbot. Blut floss in Strömen und die Körper wurden danach von den Menschen aufgegessen.“ „Götter“, stöhnte Sam. Dass er darauf nicht selbst gekommen war. Dean verdrehte nur die Augen. Sofort drängte sich ihm die Erinnerungen an den Trickster auf. Das konnte ja nur in die Hosen gehen. Götter waren noch schwerer zu vernichten als Dämonen. „Wenn wir Glück haben landen wir wieder in El Paso“, sagte er leise mit einem freudlosen Lächeln. „Da wollten wir doch eh hin“, setzte Sam genauso freudlos hinzu. „El Paso?“, fragte Nick verständnislos. „Wir hatten schon mehrfach das Vergnügen mit einem Trickster, von dem ich annehme, dass er in Wirklichkeit Loki ist, der Gott des Schabernacks. Bei unserer letzten Begegnung sind wir in der Nähe von El Paso gelandet, im Jahr 1853“, erklärte Dean kurz. „Zeitreisen? Und wie seid ihr wieder hierher gekommen?“ „Ein Engel hat uns zurückgebracht. Wie auch immer. Er meinte, dass wir, bis wir wieder in unserer Zeit wären, wie eingefroren sein würden. Keine Ahnung, ob das stimmte. Für mich waren es Sekunden.“ „Engel? Es gibt Engel?“, hibbelte Nick auf seinem Platz herum. „Es gibt Dämonen, warum dann nicht auch Engel?“, fragte Sam. „Für euch mag das ja normal sein sowas zu sehen, oder zu wissen, dass es das gibt, für mich ist das eher unglaublich!“, erklärte er freudig. „So toll sind die nicht! Dämonen sind wahrscheinlich so, wie du sie dir vorstellst und Engel? Wohl irgendwie ähnlich. Jedenfalls bezweifle ich, dass sie für uns Menschen wirklich gut sind“, versuchte Dean zu erklären. „Sie sind Krieger und ich vermute, nur dem Himmel gegenüber loyal“, fügte Sam hinzu. „Trotzdem ist es für mich unglaublich womit ihr zu tun habt!“ „Engel und Götter gehören wohl eher nicht in das Repertoire eines Jägers und auch mit Dämonen haben wir eher selten zu tun“, wiegelte Sam ab. „Trotzdem ist an der Überlegung etwas dran. Was wenn wir es tatsächlich mit einem Gott zu tun haben? Wie bekommen wir ihn dazu mit den Morden aufzuhören?“, überlegte Dean. Die Drei schauten sich fragend an und dann versank jeder in seinen Gedanken. Kapitel 118: Aztekische Götter ------------------------------ @ Vanilein - Ich frage mich gerade, was das ;) hinter Deinem letzten Satz bedeuten soll. Na, ich werden es wohl herausfinden, oder? Wünsch Dir eine schöne Woche, LG Kalea 18) Aztekische Götter „Vielleicht hängt es ja mit der Statue zusammen?“, fragte Nick in die Stille. „Der Stab!“, platzte Dean plötzlich hervor. Fragend schauten ihn die anderen an. „Dieser Hudson hatte einen schwarzen, länglichen Anhänger an einer Kette um den Hals. Ich hab ihn nicht genau gesehen, auch nicht wirklich darauf geachtet, aber das Ding könnte das sein, was bei der Statue fehlt“, mutmaßte Dean. „Das könnte ihn auch schützen. Wir sollten es auf jeden Fall irgendwie zerstören!“, sagte Sam. „Und wie willst du drankommen? Er wird es dir sicherlich nicht einfach so geben.“ „Das ist dein Part“, sagte er leise und grinste seinen Bruder an. „War ja klar“, stöhnte der Ältere und verdrehte die Augen. „Was wissen wir über diesen Putzli?“ Sam grinste, bevor er antwortete: „Nicht viel. Er war oder ist der Kriegs- und Sonnengott und ihm wurden jede Menge Menschen geopfert.“ „Wurden bei den alten Azteken nicht generell jede Menge Menschen geopfert? Dass die überhaupt noch Einwohner hatten!“ „Es waren meistens Kriegsgefangene“, mischte sich Nick in die brüderliche Unterhaltung. „Trotzdem. Sowas lässt jede Menge Geister entstehen. Wundert mich, dass die damit keine Probleme haben oder hatten“, überlegte Dean. „Vielleicht haben wir nur nie davon gehört. Wir kennen keine mexikanischen Jäger.“ „Wohl auch besser so. Außerdem ist es ewig her. Selbst Geister haben so was wie ein Verfallsdatum.“ „Okay“, sagte Sam und wandte sich wieder seinem Rechner zu, „Ich suche nach Hiutzilopochtli“ „Und ich versuche etwas über diesen Hudson rauszubekommen“, erbot sich Nick. „Dann schärfe ich mal unsere Messer.“ Leise stöhnend richtete sich Nick auf. Sein Nacken brannte, genau wie seine Augen. So lange hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr über dem Rechner gesessen. Auch die Brüder klappten ihre Laptops zu und streckten sich. Dean hatte, nachdem er mit ihren Waffen fertig war, kurz mit Sam gesprochen und sich dann ebenfalls an der Recherche beteiligt. Fragend blickten sich die drei an. Letztendlich begann Nick: „Ich habe alles was ich auf die Schnelle“, ein freudloses Grinsen huschte über sein Gesicht, „finden konnte nach dem Jungen Hudson Foster durchsucht. Es gibt ihn nicht! Weder ist er in einer Grundschule hier gemeldet, noch war er je krank oder ist überhaupt hier geboren worden. Auch beim Jugendamt ist er nicht gemeldet. Also selbst wenn er in Mexico geboren worden wäre oder die Fosters ihn da adoptiert haben sollten: Es gibt keine Unterlagen von ihm. Nichts bis er in einen College hier angemeldet wurde. Die Schule, die sein Abschlusszeugnis ausgestellt hat, existiert nicht. Der Mann ist nicht koscher!“ „Das klingt definitiv danach, als wäre Hudson Foster unser Täter“, sagte Dean. „Er ist hier vor ungefähr zwanzig Jahren aufgetaucht und etwa zur selben Zeit begannen auch die Morde.“ Sam und Dean tauschten wieder einen ihrer beredeten Blicke. „Zu dem Obsidianstab hab ich nicht viel finden können. Zu Obsidian im Aztekischen allgemein gibt es zwei Grundaussagen. Zum Einen, haben die Priester den Opfern das Herz mit einem Obsidianmesser herausgeschnitten und dann existiert noch die Legende, dass der Purzel mit einem Messer aus Obsidian getötet werden könnte und er deshalb immer einen Schutzanhänger aus eben diesem Material trägt. Angeblich würde ihn das davor bewahren zu sterben. Die mexikanischen Götter lagen auch öfter mal miteinander im Clinch“, fasste der ältere Winchester seine Rechercheergebnisse zusammen. „Mehr habe ich auch nicht zu ihm“, bestätigte Sam und verfiel wie die anderen zwei in Schweigen. „Messer! Da sagst du was“, warf Sam plötzlich in die schweigende Runde. „Im Museum gab es ein Messer aus Obsidian. Vielleicht können wir das gebrauchen?“ „Es wäre ein Versuch wert!“ „Dann sollten wir sehen, dass wir das irgendwie in unseren Besitz bekommen.“ „Ihr wollt einbrechen und den Dolch stehlen?“ Nick war entsetzt. „Hast du einen besseren Vorschlag?“, wollte Sam wissen. Der FBI Agent überlegte eine Weile und schüttelte dann den Kopf. „Nein.“ „Willst du gleich noch los?“, wollte Dean wissen. „Es ist nach eins. Eigentlich die beste Zeit für einen Einbruch, aber nein! Ich glaube nicht, dass wir den heute noch brauchen. Die Gefahr gefunden zu werden, bevor wir Hiutzilopochtli erledigt haben, ist zu groß. Wir sollten uns ausruhen und den Dolch morgen Abend holen, wenn das Museum geschlossen ist.“ „Und was ist mit Hiutzilopochtli? Meint ihr, der ist morgen da und lässt sich einfach so töten? Was wenn er nicht der Gesuchte ist?“, wollte Nick noch immer wenig begeistert wissen. „Das zu klären lass mal unsere Sorge sein“, beschwichtigte Dean. „Aber wenn du aussteigen willst …?“ „Nein. Ich ziehe das bis zum Ende mit durch, auch wenn mir eure Argumente im Moment nicht schlüssig sind und ich auch gerade nicht eurer Meinung bin. Ich will dass die Morde aufhören und wenn es so passieren soll, dann werde ich es nicht verhindern. Aber wie wollt ihr verhindern, dass euch Hudson Foster entwischt?“ „Darum kümmere ich mich gleich noch“, antwortete Dean. „Du willst was?“, wollte Nick ungläubig wissen. „Ich schiebe seinem und dem Wagen seiner Mutter eine Wanze unter. Dann können wir sie verfolgen.“ „Ihr habt Wanzen?“ „Die gibt’s nun wirklich fast überall zu kaufen“, lachte Sam. „Bei so was fordere ich ein Team an, oder hole mir das Zeug in einem unserer Büros. Da bin ich markttechnisch wohl wirklich nicht auf dem Laufenden“, erklärte Nick leise. „So sieht es wohl aus.“ Dean griff nach seiner Jacke und machte sich auf den Weg. „Und was machen wir?“, wollte der Agent wissen. „Du kannst ins Bett gehen. Ich warte noch bis Dean wieder hier ist.“ „Okay.“ Nick erhob sich, versuchte ein Gähnen zu unterdrücken und wandte sich zur Tür. „Wir sehen uns morgen“, sagte er noch und verschwand in sein Zimmer. Der jüngere Winchester machte sich daran ihr Zimmer auf Vordermann zu bringen. Dean lenkte seinen Wagen durch die ruhigen Straßen. Selbst so eine Großstadt wie Dallas schien also doch irgendwann einmal zur Ruhe zu kommen. Trotzdem war ihm hier noch immer viel zu viel los. Nein! Eine Großstadtpflanze würde er wohl nie werden. Aber sie konnten ja auch am Stadtrand wohnen und in der Stadt arbeiten. Oder so wie bei Bobby. Obwohl Sioux Falls auch riesig war. Erstmal mussten sie diesen Fall zu Ende bringen und dann konnten sie immer noch überlegen was und wo sie arbeiten wollten. Er parkte den Wagen zwei Blocks vom Elm Place entfernt, holte zwei Wanzen aus dem Kofferraum und schlenderte gemütlich durch die ruhigen Straßen. Als er in die Nähe des Elm Place kam, hielt er sich immer mehr im Schatten und möglichst außerhalb der Kameras, oder doch zumindest so, dass sein Gesicht nicht zu sehen war. Er ging zum Seiteneingang und huschte schnell in die Tiefgarageneinfahrt. „War ja klar“, murmelte er leise. Das Tor war heruntergelassen. Er schaute sich nach den Kameras um und fand nur eine, die genau auf das Tor gerichtet war. Mit einem zufriedenen Grinsen holte er sein Allzweckwerkzeug aus der Tasche und wollte gerade das Schloss knacken, als das Tor rasselnd nach oben fuhr und ein Sportwagen an ihm vorbeischoss. „Verdammt“, fluchte der Winchester. „das war Foster!“ Das Tor setzte sich erneut rasselnd in Bewegung und Dean spurtete los. Wenn er dem Foster schon keine Wanze anhängen konnte, so wollte er wenigstens seiner Mutter diese ans Auto heften, nicht dass die ihnen auch noch entwischte! Er schlich, sich weiterhin im Schatten haltend, zu der abgeteilten Nische. Das Schloss zu knacken stellte ihn vor keine große Herausforderung. Dean heftete die Wanze in die Stoßstange und verließ den gesicherten Bereich wieder. Suchend schaute er sich um, bis sein Blick an einer Kamera hängen blieb, die auf die Türen des Fahrstuhles gerichtet war. Er schaffte es sie soweit zu verstellen, dass sie genau auf den leeren Parkplatz neben Mrs. Fosters Wagen zeigte. Wenn sie Glück hatten, war die nicht mehr mit dem Sicherheitssystem verbunden, oder wenn doch, schaute Mr. Perez hoffentlich nicht so genau hin. Jetzt musste Sammy nur noch das System der Kamera finden und sich einklinken, damit sie sehen konnten, wann Foster wiederkam. Dann konnte er ihm die Wanze auch noch unterschieben, oder besser noch, sie würden augenblicklich zuschlagen. Jetzt musste er hier nur noch ungesehen wieder verschwinden. Eine Stunde später parkte er den Impala vor ihrem Motel und schaute verwundert auf das Fenster. Es brannte noch Licht! „Du bist noch wach?“, stellte er überrascht fest. „Ich wollte nicht schlafen, solange du noch nicht wieder da bist.“ „Du kannst ohne mich nicht schlafen“, stellte Dean grinsend fest und wackelte mit den Augenbrauen. „Das hättest du wohl gerne“, konterte Sam und hoffte, dass Dean nicht mitbekam, wie dicht er an der Wahrheit war. Aber es war schon was dran. Ohne die ruhigen Atemzüge neben sich schlief er schlechter ein. „Kannst du morgen versuchen, das Kamerasystem des Elm Place anzuzapfen?“, wollte der Ältere wissen. Sam blickte ihn fragend an. „Foster war nicht da. Ich hab seiner Mutter eine Wanze angehängt und eine Kamera auf diesen abgesperrten Bereich gerichtet. So müssen wir nicht auf blauen Dunst dahin und nachschauen, ob er zurück ist.“ „Ich kann es auf jeden Fall probieren“, nickte Sam. „Hoffentlich ist der nicht ewig weg. Der Portier meinte doch, dass er oft und viel verreisen würde.“ „Dann sitzen wir hier ewig fest“, stellte Dean bedrückt fest. „So schlimm wird es schon nicht werden. Solange er nicht hier ist, kann er immerhin niemanden töten, wenn er denn wirklich unser Täter ist.“ Dean grinste schief: „Ein schwacher Trost, oder?“ „Nicht für das Opfer!“ Der Ältere schnaubte nur abfällig. Er wollte den Fall lieber heute als morgen abschließen, aber das Glück wollte ihnen wohl nicht hold sein. Schnell zogen sich die Brüder um und mit dem Wissen, dass der andere im Nachbarbett lag, schliefen sie hervorragend. In den nächsten vier Tagen passierte nichts, außer dass Dean ihre Bargeldreserven wieder auffüllte. Sam hatte sich in das Kamerasystem des Elm Place einklinken können und überprüfte immer wieder den Standplatz. Leider tauchte der Pontiac nicht wieder auf. Mrs. Foster kam und ging und offensichtlich war es Mr. Perez egal, wohin die Kameras gerichtet waren, oder er schaute einfach nicht auf diese. Am fünften Tag fuhren die Brüder noch einmal einkaufen. Frustriert warf sich Dean samt seiner Einkaufstüten auf sein Bett. „Das wars jetzt aber auch erstmal wieder. Ich will nicht mehr!“, stöhnte er. „ Komm, so schlimm war es doch nun wirklich nicht. Außerdem hast du jetzt endlich wieder eine volle Reisetasche. In den letzten Wochen konntest du mit dem labberigen Ding echt keinen Staat mehr machen.“ „Trotzdem hasse ich einkaufen! Außerdem musste ich da weniger tragen“, antwortete er grinsend. „Das werden wir demnächst vielleicht öfter machen müssen. Wer weiß, was du später für Arbeitskleidung brauchst.“ „Und wenn ich bei Bobby an den Autos schrauben will?“ „Selbst da wirst du hin und wieder neue Klamotten brauchen!“ „Du nimmst mir auch jede Freude am Leben.“ „Jetzt stell dich nicht so an, Dean.“ „Ich stelle mich ja nicht an. Bei mir geht es schnell, aber immer auf meine Begleiterin warten zu müssen ...“ „Begleiterin?“ „Na du musst doch ständig alles anprobieren.“ Dean wackelte mit den Augenbrauen und grinste. „Dean, ich ...“, begann Sam entrüstet. „Ich doch okay, Sammy. Trotzdem mag ich es nicht!“, versuchte der Ältere es wieder ernster. „Musst du ja auch nicht. Aber du magst auch anderes nicht und tust es trotzdem.“ „Leider!“ „Naja und zur Not könntest du auch im Internet einkaufen. Dann kannst du die Sachen zu Hause anprobieren und was nicht passt zurückschicken.“ „Naja, besser als nichts, oder?“ Sie packten ihre Einkäufe weg und Sam fuhr seinen Laptop hoch. „Ich glaube es nicht. Endlich! Kannst du Nick anrufen? Foster ist wieder da. Heute Abend sollten wir loslegen.“ Dean holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Agenten. Mit wenigen Worten informierte er ihn darüber, dass Foster wieder da war. Nick bestand noch einmal darauf, dabei sein zu wollen, wenn sie den Mann befragten und der Winchester stimmte zähneknirschend zu. Kapitel 119: Schlossknacker --------------------------- @ Vanilein - Deans lange Rekonvaleszenz - woran die wohl liegt??? Hm. Und der Foster? Vielleicht ist der ja harmlos, wer weiß? LG Kalea PS: Ich finde Fasching sooooo doof! Nix für mich. 119) Schlossknacker Kaum hatte er aufgelegt, wählte er auch schon Bobbys Nummer. „Du hast mal was von einem Spezialisten erzählt, der sich in so gut wie alle Systeme hacken kann, gibt’s den noch?“, fragte Dean, kaum dass sich der alte Freund gemeldet hatte. „Warum fragst du?“, wollte Bobby leicht lallend wissen. Sofort schaute der ältere Winchester auf die Uhr und blickte dann alarmiert zu seinem Bruder. „Wir müssen in das Perot Museum of nature and science, in die aztekische Ausstellung. Kann er da was machen?“ „Ich werde mit ihm reden!“ „Wie geht es dir?“, fragte Dean schnell, bevor der Freund auflegte. „Warum?“, knurrte der alte Jäger. „Darf ich mir keine Sorgen machen?“ „Darfst du, aber ich bin okay.“ „Klar“, grinste Dean breit. Den Satz verwendete er auch ständig. „Versprich mir einfach, nicht vor elf mit dem Alkohol anzufangen.“ „Morgens oder abends?“ Jetzt musste sogar Bobby grinsen. „Versprich es mir.“ „Schon gut. Ich telefoniere mit ihm!“ „Danke, Bobby!“ „Was ist mit ihm“, fragte Sam, kaum dass sein Bruder das Handy wieder weggesteckt hatte. „Er trinkt!“ „Das tut er öfter.“ „Ja, aber normalerweise weiß er, wann er genug hat. Jetzt ...“ Dean zuckte mit den Schultern. „Wir sollten zusehen, dass wir zu ihm kommen, um ihn abzulenken.“ „Erst mal müssen wir hier fertig werden.“ „Ich weiß, Sammy, ich weiß.“ Resigniert rieb sich Dean über die Augen. Sie saßen mal wieder in einer Zwickmühle. Der Familie helfen oder Fremde vor einem Monster retten. Gut, dass das ihr letzter Fall war. Er wollte die Familie einfach nicht mehr der Rettung fremder Menschen unterordnen müssen. „Hast du schon eine Idee, wie wir herausfinden, ob Foster dieser Purzel ist?“, fragte Dean, um sich von seinem Dilemma abzulenken. „In vielen Berichten sind die Gebete aufgeführt mit denen die Priester den Gott angerufen haben, bevor sie ihm jemanden opferten. Vielleicht zeigt er ja sein wahres Gesicht, wenn wir genau die auch verwenden?“ Auch Sam schien über den Themenwechsel froh zu sein. „Und du meinst, der bleibt so lange bei uns stehen, damit wir die Gebete runterrasseln können?“ „Hast du eine bessere Idee?“ „Hätte ich dann gefragt?“ Dean holte tief Luft. „Ich denke, wir werden abwarten müssen was passiert, wenn wir ihn haben. Das mit den Gebeten ist immerhin besser als nichts. Also wenn du die lernen willst?“ „War klar, dass das wieder an mir hängen bleibt“, schimpfte Sam und verdrehte die Augen. „Mein Latein ist nicht besonders, weißt du doch. Du kennst schließlich mein Abschlusszeugnis.“ „Das ist aber kein Latein!“ „Na, noch schlimmer!“ Dean grinste und Sam unterdrückte den Impuls seine Augen noch einmal zu verdrehen und setzte sich stattdessen an seinen Laptop um die Gebete zu lernen. Hoffentlich sprach er die dann auch richtig aus! Am Abend, die Brüder kamen gerade vom Essen, sahen sie Licht in Nicks Zimmer. Sam holte nur schnell seinen Rechner und dann gingen sie zu ihm hinüber. Kaum hatten sie an der Tür geklopft, ließ er sie auch schon ein. „Hey“, grüßte er. „Wollt ihr ein Bier, oder Kaffee?“ „Lieber Kaffee, wir wollen nachher noch los.“ „Zu Foster?“ „Erst mal den Dolch holen und dann, wenn Foster wieder zu Hause ist, sofort zu ihm.“ „Ich denke er ist nicht in der Stadt.“ Fragend blickte der Agent die Brüder an. „Er ist in der Stadt“, erklärte Sam ruhig, stellte seinen Rechner auf den Tisch und klappte ihn auf. Ein kleiner Pfeil blinkte über einer Bar. „Er war heute am frühen Nachmittag zu Hause. Dean hat ihm die Wanze untergeschoben und jetzt können wir ihn so verfolgen.“ „Und ihr wollt, dass ich euch Bescheid sagte, wenn er wieder nach Hause kommt?“ Nick deutete auf den Laptop. „Ja, wir wollen nachher ins Museum. Vielleicht passt es ja, dass wir gleich weiterfahren können.“ Missbilligen schüttelte Nick den Kopf, fügte sich aber in das Unvermeidliche, da er selbst keine bessere Idee hatte. Wieder einmal schlichen die Winchester-Brüder, sich immer im Schatten und außerhalb der Erfassungsbereiche der Kameras haltend, an der Rückseite eines Gebäudes entlang bis sie zu einer Tür kamen. Die Gebäude waren zwar immer andere, aber die Situationen glichen sich erschreckend, wie Sam im Stillen feststellte. Bobby hatte sich vor einer halben Stunde gemeldet und grünes Licht gegeben. Sie waren sofort aufgebrochen. Vorsichtig löste Sam das Display des elektronischen Türschlosses. „Das ist ein Witz!“, wisperte er, überbrückte zwei Drähte und schon sprang die Tür mit einem leisen Schnurren auf. „Wenn das ganze Gebäude so gesichert ist, sind wir hier schneller raus, als wir gedacht haben“, erklärte er leise. „Hin und wieder sollten wir ja wohl auch mal Glück haben“, stellte Dean ruhig fest und trat hinter seinem Bruder in den Gang. Aufmerksam blickten sie sich auf der Suche nach Kameras um. „Nichts“, flüsterte Sam erstaunt. Wie konnte so ein großes Museum nicht gesichert sein? „Ich sehe drei Kameras auf dem Gang aber bei keiner leuchtet das rote Lämpchen“, stellte Sam leise fest. „Das heißt also, dass das mit Bobbys Spezialisten funktioniert hat?“ Dean war noch immer skeptisch. „Warum nicht?“ „Keine Ahnung. Ich … Wir kennen ihn nicht und er uns nicht. Ich meine, ich …“, unschlüssig brach Dean ab. Er war einfach misstrauisch. Aber so würden sie wohl in drei Tagen noch hier stehen. Also was sollte es? Der Fall musste gelöst werden und dazu brauchten sie den Dolch. „Wer nicht wagt“, begann er und trat in den Gang hinaus. Entweder ging alles gut, oder gleich würden die Wachleute hier auftauchen und sie verhaften. Nichts geschah. Scheinbar war der Experte wirklich einer. Trotz allem schlichen sie vorsichtig bis zum Ausstellungsraum. Auch hier gab es wieder ein Codeschloss, das Sam fast genauso leicht knacken konnte, wie das an der Hintertür. Und wieder stellten sie fest, dass an keiner der für sie sichtbaren Kameras das rote Lämpchen leuchtete. „Lass uns trotzdem zusehen, dass wir hier rauskommen“, raunte Dean seinem Bruder zu. Der nickte und holte diesen Greifer aus der Jacke, den er am Nachmittag noch in einem Orthopädie-Fachgeschäft gekauft hatte. „Helfende Hand“ hatte der Verkäufer das genannt und gemeint, dass es sehr beliebt war. Er machte sich so lang er konnte und reichte mit dem Teil gerade so bis zu dem Dolch, den er vorsichtig fasste und zu sich heranholte. „Siehst du, das Teil tut’s gut.“ „Ich wundere mich nur, woher du wusstest, dass es so was gibt“, gab Dean genauso leise zurück. „Mrs. Bonar hatte so ein Teil. Sie war mal gestürzt und konnte sich mit der Schiene kaum bücken. Das Ding hatte ihr gut geholfen. Es lag mal auf ihrem Bett und ich hab sie danach gefragt.“ „Okay, oh Herr aller komischen Dinge, lass uns hier verschwinden!“ „Sieh zu, dass du hier raus kommst“, antwortete Sam gespielt entrüstet. „Mistkerl!“ „Trottel!“ Sam konnte nicht anders, als breit zu grinsen. Wie lange hatten sie das nicht mehr gemacht? Dean war wirklich wieder sein großer Bruder, so wie er sein sollte. Diese kleine Plänkelei zeigte es ihm am Besten. Sie verließen das Museum auf demselben Weg, auf dem sie es betreten hatten, liefen zum Impala und atmeten tief durch, als sie die Türen hinter sich ins Schloss gefallen waren. Sofort kramte Sam sein Handy aus der Tasche und rief Bobby an um ihm mitzuteilen, dass sie den Dolch hatten und er seinem Spezialisten in ihrem Namen herzlich danken sollte. Inzwischen hatte auch Dean sein Telefon herausgeholt und Nicks Nummer gewählt. „Wir haben den Dolch“, sagte er kaum dass Nick sich gemeldete. „Was ist mit Foster?“ „Der ist, so wie es aussieht, auf dem Weg nach Hause.“ „Das muss unser Glückstag sein“, grinste der Winchester. „Das müssen wir nutzen! Wir treffen uns beim Elm Place.“ Er gab dem Agenten noch die Zeit zum Bestätigen, legte auf und ließ den Motor an, der wie üblich mit einem satten Grollen erwachte. In aller Ruhe lenkte er seine schwarze Schönheit zu dem Hochhaus. „Wie wollt ihr denn in das Gebäude reinkommen?“, fragte Nick, als die Brüder sich mit ihm in einer Seitenstraße trafen. „Über die Tiefgarage. Die Kamera zeigt zwar auf das Tor, aber nicht auf das Codeschloss und sie erfasst auch einen Teil der Rampe nicht“, erwiderte Dean. „Dann los“, sagte Sam und ging zur Tiefgarage. Auch hier brauchte er nicht lange, um das Schloss zu knacken. Nick stand nur dabei und schüttelte den Kopf. Der ältere Winchester schaute zu dem Agenten und legte den Kopf fragend schief. „Ich möchte lieber nicht wissen, wozu ihr das noch gebrauchen könnt“, grinste der verlegen. Dean schnaubte nur. Ja, sie hatten das Zeug dazu Einbrecher zu sein und oft genug waren sie das auch und ja, sie lebten von Kreditkartenbetrug. „Tja, uns bezahlt keiner, wovon sollen wir denn sonst leben und wie sollen wir unsere Arbeit machen?“ Der Agent zuckte mit den Schultern. Auf diese Frage hatte er keine Antwort und auch nicht auf die Frage, was passieren würde, wenn es keine Jäger gäbe. „Wollt ihr hier noch lange diskutieren, oder den Fall lösen“, fragte Sam etwas genervt und lief in die Tiefgarage. Diese Diskussion war so sinnlos wie fruchtlos. Letztendlich würden sie sich nur noch streiten. Außerdem wären sie nicht hier, hätte Nick sie nicht gerufen. Augenblicklich wandte sich Dean um und folgte seinem Bruder. Auch Nick beeilte sich wieder zu ihnen aufzuschließen, während das Tor klappernd nach unten fuhr. „Ich schau mal, ob ich eine Karte für den Fahrstuhl finde. Vielleicht nimmt Perez die ja nicht mit nach Hause“, sagte Dean und ging zum Tresen hinüber. „Oh mein …“, stieß er erschrocken die Luft aus. Vor ihm lag Mr. Perez auf dem Boden. Seine Kleidung war an einigen Stellen zerrissen und blutbefleckt. Augenblicklich ließ er sich auf die Knie sinken, nahm die Taschenlampe in die linke Hand und fühlte nach einem Puls. Schwach spürtet er ihn unter seinen Fingern schlagen. Plötzlich flatterten die Lider und sofort versuchte sich Mr. Perez aufzurichten. „Bleiben Sie liegen. Wir holen gleich einen Krankenwagen“, versuchte er den Mann zu beruhigen. „Foster, er … dreht … durch“, flüsterte der kaum hörbar und versuchte seine Karte für den Lift aus der Tasche zu holen. „Margareth Sie wollte ihn aufhalten … fünf, dreiundzwanzig …“ Er holte erneut schwer Luft und fand endlich die Karte, die er sofort an Dean weiterreichte. „Was ist in fünf dreiundzwanzig?“ „Da hat er noch einen Raum ...“ Mühsam setzte sich der alte Mann auf. „Wir kümmern uns darum und Sie halten hier die Stellung?“, fragte Dean und musterte den alten Portier besorgt. Sollte er ihm vielleicht nicht doch besser sofort einen Krankenwagen rufen? „Mir brummt nur der Schädel. Alles halb so schlimm“, versuchte Perez zu beschwichtigen. Nur ungern ließ sich Dean von dem Mann überzeugen. Ihm wäre es lieber, wenn er in ärztliche Obhut käme, aber das würde ihre Arbeit behindern und vielleicht auch noch Menschenleben kosten. „Ich schaue nachher noch mal nach Ihnen“, versprach er und stand auf. „Wie geht es ihm?“, wollte Sam augenblicklich wissen. „Nicht sonderlich. Wir sollten zusehen, dass wir fertig werden und ihm dann einen Krankenwagen rufen.“ Die beiden anderen nickten. „Wo fangen wir an?“, wollte Nick wissen. „Im Penthouse, denke ich“, erwiderte Sam und sein Bruder stimmte ihm mit einem Nicken zu. „Perez hat etwas von Margareth gesagt. Wir sollten uns da zuerst umsehen.“ Kapitel 120: Tiefer Fall ------------------------ @ Vanilein - Ein normaler Spinner also - aha. Aber sind wir das nicht alle irgendwie? Normale Spinner? LG Kalea 120) Tiefer Fall „Hudson, bitte. Das bist nicht du! Hör auf damit! Du reißt uns noch ins Unglück. Das FBI ist nicht die örtliche Polizeibehörde!“, flehte Mr. Foster ihren Sohn an. „Du hast doch auch deinen Vorteil gehabt!“ „Und dafür bin ich dir auf ewig dankbar. Trotzdem übertreibst du es inzwischen.“ „Ich kann jetzt nicht aufhören! Wie auch? Du und dein Mann“, sein Gesicht verzog sich vor Wut, „ihr habt dafür gesorgt, dass ich nur existieren kann, wenn ich in diesem Haus wohne!“ „Wir konnten doch nicht ahnen, dass das Haus so schnell aufgegeben wird!“, versuchte sie sich zu verteidigen. „Ihr hättet mich überhaupt nicht binden sollen!“ „Wir wollten dich bei uns haben! Wir lieben dich!“, rief sie aufgebracht. „Du liebst mich nicht! Du behinderst mich. Ich werde mir von dir nichts mehr sagen lassen. Ich gehe!“ „Das kannst du nicht!“, rief sie und klammerte sich an seinen Arm. „Und wie ich das kann“, erwiderte er wütend und riss seinen Arm aus ihrer Umklammerung. „Du vergisst, dass ich ein Gott bin! Ich habe mich viel zu lange von dir beherrschen lassen!“ Seine Mutter verlor den Halt. Hilflos ruderte sie mit den Armen und versuchte sich an ihm festzuhalten, doch er stieß sie nur hasserfüllt von sich. Sie blieb an der Kante des Teppichs hängen und fiel so ungünstig auf die Armlehne des Sessels, dass sie sich das Genick brach. Hiutzilopochtli hörte das trockene Knacken. Ein Hochgefühl erfasste ihn. Er war frei! Frei zu gehen, wohin auch immer er wollte. Die ganze Welt stand ihm offen! Er trat neben die Leiche. Fast zärtlich berührten seine Finger die Wange der Frau, die er einst fast mehr liebte, als er eine Mutter lieben durfte. Aber sie war es ja auch nicht. Sie war es auf dem Papier. Was gingen ihn die Gesetze der Menschen an? Er war Herr über Millionen von Menschen. Er war angebetet worden und genau das wollte er wieder werden. Er wollte wieder Herr über sein Land sein! Ohne weitere Gedanken zu verschwenden, versenkte er seine Hand in ihrem Brustkorb und riss ihr das Herz heraus. Es war tot. Leblos. Ohne ein einziges Zucken und doch erfüllte es ihn mit einer Vorfreude und der Gier auf mehr. Hastig verschlang er es. Und er wollte mehr. Mehr von dieser Frau. Das leise Pling des Fahrstuhles riss ihn aus seinen Gelüsten. Nein! Dieser alte, leblose Körper konnte seinen Hunger nicht stillen. Der Körper auf seinem Altar allerdings schon. Er sprang auf die Füße und versteckte sich in der Küche. Noch fühlte er sich einem Angriff mehrerer Menschen nicht gewachsen. Sie musste hier weg, damit er das Ritual in Ruhe durchführen konnte. ~*~ Die Fahrstuhltüren öffneten sich und Sam, Dean und Nick stiegen aus. Sie sahen die offene Wohnungstür. Sofort schrillten bei ihnen sämtliche Alarmglocken. Sie griffen nach ihren Waffen und Sam und Nick gingen links und rechts neben der Tür in Stellung. Dean hatte sich hinter dem Agenten an die Wand gedrückt. Er schaute an ihm vorbei auf seinen kleinen Bruder. Ein kurzes Nicken Sams genügte ihm und er trat an Nick vorbei und schob die Wohnungstür mit seinem Fuß auf. Kaum hatte er freie Sicht, huschte er in den Raum. Nach einem kurzen Rundblick richtete er sich auf und stieß einen kaum hörbaren Pfiff aus. Sam deutete Nick mit einer kurzen Kopfbewegung an, dass er in die Wohnung gehen konnte und folgte ihm, kaum dass er eingetreten war. Dean kniete schon neben dem toten Körper von Mrs. Foster. „Da hat Perez wohl Recht gehabt“, stellte der ältere Winchester leise fest. „Wir sollten uns beeilen. Ich muss meine Kollegen benachrichtigen“, erklärte Nick. „Dann los“, ließ sich Sam vernehmen und stieg die Treppe hinauf. Sie mussten sich vergewissern, dass Foster nicht mehr in der Wohnung war. Nicht dass der ihnen in den Rücken fiel. Dean kam gerade aus dem Bad, als er einen Schatten in der Wohnungstür sah. Sofort lief er hinterher, konnte aber nur noch einen Blick durch die sich schließenden Fahrstuhltüren auf Foster erhaschen. „Er haut ab“, alarmierte Dean die anderen Beiden. Wenige Sekunden später standen Sam und Nick neben ihm und starrten auf die Anzeige des Fahrstuhls. „Verdammt“, schimpfte Sam. Dean schlug seinem Bruder leicht gegen die Hüfte und setzte sich in Richtung Treppe in Bewegung. Der jüngere Winchester verstand augenblicklich und folgte ihm. „Pass auf, wo er aussteigt“, forderte Dean noch von Nick und schon sprinteten die Brüder die Treppen hinunter. „Wo willst du hin?“, fragte Sam während des Laufens. „Fünfter Stock. Perez hat doch gesagt, dass er da einen Raum hat.“ „Er ist im fünften Stock raus“, meldete Nick über Handy. „Okay, komm nach“, keuchte Dean und sprang über eine weitere Geländerecke. Auf der Tür stand 27. „Fünf“, gab er die Information an Sam weiter, der, Dank seiner längeren Beine, schon ein Stockwerk weiter war. Endlich hatte Sam die fünfte Etage erreicht und zerrte an der Tür, die, wie er zu seiner Freude feststellte, nicht verschlossen war. Hoffentlich hielt das Glück auch an! Er betrat die Etage und schaute sich um. Von Foster war weit und breit nichts zu sehen, aber damit hatte er eigentlich gerechnet. Was hatte Dean gesagt? Welches Zimmer war es? Irgendwas mit zwanzig. Sam lief den Gang entlang, als aus dem Nichts heraus etwas gegen ihn prallte und ihn gegen die Wand schleuderte. Aus dem Augenwinkel sah er etwas auf sich zukommen, doch er war zu langsam. Der Schmerz explodierte in seinem Schädel. Stöhnend brach er auf dem Boden zusammen und ergab sich der lauernden Dunkelheit. Keuchend landete Dean auf dem letzten Treppenabsatz. Er musste dringend an seiner Kondition arbeiten. Sammy hatte ihn um zwei Stockwerke abgehängt. Das konnte und wollte er nicht auf sich sitzen lassen und die Ausrede, dass ihm diese Wechselbälger noch in den Knochen saßen, wollte er auch nicht gelten lassen. Er war einfach außer Form! Wütend zog er die Tür auf und blickte sich um. „Sammy!“, entfuhr es ihm, als er seinen Bruder auf dem Boden liegen sah und rannte, seine Sicherheit außer Acht lassend, zu seinem Bruder. Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Zu spät bemerkte Dean den Angreifer, der sich mit einer Keule aus einer Bürotür auf ihn stürzte. Er schaffte es noch, sich zur Wand zu drehen und seine Muskeln etwas anzuspannen, als der Baseballschläger auch schon hart gegen seine Rippen prallte und ihm die Luft aus den Lungen trieb. Nur mit Mühe konnte er verhindern, dass seine Knie nachgaben. Und Foster hatte noch nicht genug. Er holte erneut aus und trieb den Winchester mit einem Schlag in die Kniekehlen vorwärts. Der dritte Schlag brachte Dean endgültig aus dem Gleichgewicht. Er taumelte und versuchte sich an der Wand neben sich abzustützen, doch seine Hand griff ins Leere! Die Fahrstuhltüren, die ihn auffangen könnten, waren noch immer offen, nur die Kabine fehlte. Er versuchte sich an der Kante zu halten. Aber Foster ließ ihm diese Chance nicht. Er holte noch einmal aus und trieb den Winchester in den Schacht. Instinktiv griff der nach dem Ersten, das ihm Halt versprach. Seine Finger schlossen sich um das ölig schmierige Stahlkabel, an dem der Aufzug hing, während er mit der anderen Hand versuchte zu verhindern, dass er gegen die hintere Wand des Schachtes prallte. Ruckartig zerrte sein Gewicht an seiner Schulter. Dean konnte einen Schrei nicht ganz unterdrücken. Langsam rutschte er tiefer. Der Schmerz in seiner Schulter trieb ihm die Tränen in die Augen. Er fasste mit der anderen Hand zu, konnte aber weder das Abrutschen verhindern, noch den Schmerz etwas lindern. Das Seil war voller Schmiermittel und überall standen unsichtbar winzige Spitzen hervor, die ihm die Handflächen aufrissen. Er musste hier raus! Sofort! Hektisch versuchte er Schwung zu holen, um zur Tür zu kommen, doch der Schmerz in seiner Schulter ließ ihn fast sofort wieder stöhnend innehalten. Und dann musste er auch noch hilflos mit ansehen, wie Foster seinen kleinen Bruder wegschleppte. „Sammy“, brüllte er hilflos und wütend und bei Weitem nicht so laut, wie er es wollte. Inzwischen fühlte der die Schmerzen in seinen Rippen. Wieder rutschte er ein Stück nach unten. Seine Handflächen brannten höllisch. Lange würde er sich nicht mehr halten können. Ein Blick nach oben sagte ihm, dass die Kabine über ihm war und der Blick nach unten zeigte eine schwarze, glänzende Oberfläche. Drei Etagen voller Wasser. Er atmete tief durch, schloss die Augen und ließ los. Nick betrat die fünfte Etage in dem Moment, in dem Dean in das Wasser eintauchte. Erschrocken schaute er sich um und rannte zur Quelle des Geräusches. Er beugte sich in den Fahrstuhlschacht genau in dem Moment, in dem Dean durch die Wasseroberfläche brach und hustend versuchte wieder Luft in seinen Lungen zu bekommen. „Dean!“, brüllte der Agent in den Schacht. Der Winchester blickte nach oben. „Halte durch, ich versuche dich da raus zu holen.“ „Kümmer dich um Sam!“, forderte Dean energisch. „Aber du …“ „Ich halte hier schon durch! Sieh zu, dass du Sam findest. Sein Leben ist wichtiger!“ „Du …“ „Jetzt geh schon!“, forderte Dean laut und fügte ein ‚bevor ich es mir anders überlege’, in Gedanken hinzu. Der Agent schaute den Gang entlang und dann wieder in den Fahrstuhlschacht. Sollte er wirklich nach Sam suchen? War Dean nicht eher in Gefahr? Unter ihm waren locker zehn Meter Wasser und in dem Schacht hatte er nicht wirklich viele Chancen sich zu halten. „GEH!“, forderte Dean von unten noch einmal nachdrücklich und Nick gab sich endlich einen Ruck. Er würde niemandem helfen, wenn er hier noch lange rumstand. Er nahm das EMF, das auf dem Boden vor dem Fahrstuhlschacht lag und schaltete es ein. Sofort erwachte es geräuschvoll. Der Agent atmete tief durch, drehte das Gerät etwas leiser und folgte dem Rauschen. Sam kam langsam zu sich. Stöhnend richtete er sich auf. Sein Kopf dröhnte wie eine Kirchenglocke. Da hatte er sich wohl eine Gehirnerschütterung eingefangen. Toll! Vorsichtig schaute er sich um und versuchte seine Lage zu ergründen. Er lag in einem Raum, der wie Büro eingerichtet war. Schreibtisch, Aktenschränke und ein Telefon. Links von ihm gab es eine Tür. Mühsam kämpfte er sich in die Höhe. Augenblicklich begann sein Kopf noch stärker zu dröhnen. Immer wieder musste er schlucken, um sich nicht doch noch zu übergeben. Gegen die Wand gelehnt atmete er immer wieder tief durch. Langsam klärte sich sein Blickfeld und der Boden hörte auf zu schwanken. Das war mehr als eine einfache Gehirnerschütterung. Vorsichtig tapste er an der Wand entlang zur Tür. Kurz bevor er sie erreichte, flog sie auf und vor ihm stand ein menschenähnliches Wesen mit einem Jaguarkopf, auf dem ein Federbusch saß. In der linken Hand hielt er ein Schild und einen Lorbeerzweig und in der Rechten einen Stab. Anstelle von Füßen hatte er Hufe wie eine Ziege. Hinter seinen Schultern waren lächerlich kleine Fledermausflügel sichtbar. Das Schlimmste war jedoch das hässliche Gesicht, das ihm mit weit aufgerissenem, blutverschmiertem Rachen, zähnefletschend von dessen Bauch aus entgegen starrte. Wenn dieses Ding nicht diesen Obsidianstab als Schmuckstück um den Hals hängen hätte, das Foster sonst trug, er hätte es nicht mit dem Mann in Verbindung gebracht. „Endlich ein Mahl das mir gebührt“, frohlockte der Gott. „So ein starkes Herz. Dieser kräftige Schlag.“ Genießend schloss Hiutzilopochtli die Augen. „Ich hoffe, du verdirbst mir das Mahl nicht durch unnötiges Schreien!“, erklärte er energisch und legte Schild, Lorbeerzweig und den Stab weg. Sam schnaubte nur verächtlich. So leicht würde er sich sein Herz nicht rauben lassen. Da müsste schon mehr kommen, als eine Gehirnerschütterung! Er riss den Dolch aus seinem Bund und stürzte sich auf den Gott. Er war zu langsam. Hiutzilopochtli empfing ihn mit einem Schlag in den Magen, der ihm die Luft raubte. Seine Knie knickten weg. Doch er konnte nicht fallen. Der Gott hatte ihn an den Jackenaufschlägen gepackt. Der Dolch fiel klappernd zu Boden. ‚Verdammt! Der Kerl war stark. Aber so schnell wollte er sich nicht geschlagen geben. Das Ding musste eine Schwachstelle haben!‘ Sam schaffte es seine Hand zu heben und ihm das Osbidianschmuckstück vom Hals zu reißen. Hiutzilopochtli knurrte wütend. Dass sein Opfer sich wehrte war ja in Ordnung. Aber er hatte Hunger! Es sollte still halten! Schließlich war es eine Ehre ihm geopfert zu werden! Er ließ seine Faust vorschnellen und traf den Winchester mit voller Wucht am Kinn. Der Schlag schleuderte Sams Kopf regelrecht nach hinten. Etwas knirschte und er landete hart auf seinem Rücken. Sofort war die Gottheit wieder über ihm, packte ihn am Hals und zerrte ihn auf die Füße. Kraftlos versuchte Sam sich zu wehren, doch auch wenn seine Fäuste auf ihr Ziel trafen, schienen sie Hiutzilopochtli nur zu kitzeln, denn er lachte fortwährend. Kapitel 121: Rettungen ? ------------------------ @ Vanilein : Du hast es so gewollt! Jetzt beschwer Dich nicht ... ;-)) Menno ... Viel Spaß beim weiterlesen. LG Kalea 121) Rettungen? Sams Widerstand war noch nicht gänzlich zusammengebrochen. Mit einer fast übermenschlichen Willensanstrengung riss er sein Knie hoch und presste seine Finger in die Augen des Jaguarkopfes. Hiutzilopochtli jaulte schmerzerfüllt. Rasend vor Wut schleuderte er den Winchester von sich und begann auf ihn einzutreten. Immer wieder traktierte er Sams Rippen und er hörte, wie nicht nur eine brach. Erst als sich sein Opfer nicht mehr rührte, zerrte er ihn hoch und warf ihn sich über die Schulter. Kurz bückte er sich noch, um seine Insignien mitzunehmen und verließ gleich darauf den Raum. Zwei Zimmer weiter legte er den Winchester auf den großen Altar. Schnell hatte er den Raum von der Außenwelt abgeschottet und begann leise zu summen. Immer tiefer versank er in Trance. Schon fast verzweifelt suchte Dean in dem engen Schacht nach einer Möglichkeit nicht unterzugehen. Die Kälte fraß seine Reserven schneller auf, als er es befürchtet hatte. Seine Muskeln wurden immer unbeweglicher und das Stahlseil bot ihm auch keinen Halt. Trotzdem wickelte er seine Beine darum und klammerte sich daran fest. Zähneklappernd verfluchte er sich, dass er Nick weggeschickt hatte. Aber Sammy war nun mal wichtiger. Sein Leben konnte er noch selbst retten. Bei Sam sah er da weniger Chancen. Außerdem war Sams Leben noch immer das Wichtigste für ihn, wichtiger als alles andere auf dieser Welt. Nick folgte dem EMF-Signal bis zu einer Tür, hinter der sich früher einmal die Rechtsabteilung der Bank befunden haben musste. Er steckte das kleine Gerät weg, zog seine Waffe und wünschte sich, dass wenigstens seine Partnerin als Verstärkung hier wäre. Aber die hätte ihn und die Brüder wohl schon in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie einweisen lassen. Sie war so durch und durch Realistin, dass die diese ganze Ermittlung wohl nie akzeptiert hätte. Er stieß die Tür auf, die vor ein paar Tagen noch verschlossen gewesen war, und huschte sofort in den Raum. Es schien der Arbeitsplatz der Sekretärin gewesen zu sein, doch bis auf die übersichtlich angeordneten Möbel war der Raum leer. Links ging ein Gang zu weiteren Büros. Vorsichtig schlich er von einer Tür zur nächsten. Das dritte Büro zeigte deutliche Kampfspuren. Erschrocken schlug Dean um sich und kämpfte sich so wieder an die Wasseroberfläche, wo er hustend das Wasser ausspuckte, das er geschluckt hatte. Wie konnte er … Er musste eingeschlafen sein! Er musste all seine Willenskraft aufbringen, um ein paar Runden zu schwimmen. Ihm war so kalt. Immer wieder schluckte er Wasser. Wenigstens betäubte die Kälte die Schmerzen, die nur noch dumpf in seinen Rippen pochte. Seine Hände fühlte er schon eine Weile nicht mehr. Schon nach drei Runden versagten seine Kräfte. Er brauchte dringend einen besseren Halt! Vielleicht konnte er es ja die Tür erreichen, die ein Stück über ihm war? Nach drei erfolglosen Versuchen gab er auf. Das brachte nichts. Quälend langsam tastete er sich an der Wand entlang und fand einen winzigen Vorsprung, auf dem er sich mit einem Arm abstützen konnte. Hoffentlich beeilte sich Nick! In aller Eile untersuchte Nick das Trümmerfeld und was er fand, ließ seine Sorgen noch wachsen. Überall waren Blutspritzer. Die konnten zwar eine fast harmlose Erklärung haben und es war auch zu wenig Blut, um auf eine ernsthafte Verletzung zu schließen, trotzdem! Ihr Gegner war alles andere als harmlos und er musste davon ausgehen, dass das Blut von Sam war. Er schob den umgeworfenen Stuhl beiseite und fand den Dolch. Wenigstens hatte Sam versucht sich zu wehren. Noch einmal schaute er sich um, aber hier gab es nichts mehr zu finden. Nick nahm den Dolch und machte sich wieder auf die Suche. Irgendwo hier musste Sam sein. Zimmer für Zimmer suchte er ab und mit jedem leeren Raum stieg seine Verzweiflung. Jetzt hatte er auch das letzte Zimmer leer vorgefunden. Wo konnte der Winchester nur sein? Dean würde ihn in der Luft zerreißen, wenn er seinen Bruder nicht fand! Er hätte ihn doch aus dem Fahrstuhl holen sollen. Dean hatte wesentlich mehr Erfahrung mit diesen Monstern. Er würde bestimmt wissen, wo er noch suchen konnte! Verflucht! Hatte sich dieser Foster doch an ihm vorbei geschlichen? Vorne gab es einen Fahrstuhl. Ob er den mal untersuchte? Noch einmal blickte sich Nick um und machte sich dann auf den Weg nach vorn. Plötzlich stutzte er. Gebannt starrte er auf die Wand. Hatte er sich geirrt? Neben ihm waren doch gerade die Umrisse einer Tür aufgetaucht, oder? Gespannt starrte er weiter auf die Wand. Und ja! Da waren die Umrisse wieder und viel deutlicher dieses Mal. Schnell griff er nach der Klinke, drückte sie herunter und stieß die Tür auf. Gleichzeitig riss er seine Waffe nach oben. Mit dem Rücken zu ihm stand ein federgeschmücktes Wesen vor ihm. Fremde Töne drangen an sein Ohr. Das Wesen hob beide Arme. In seinen Händen hielt es einen Dolch. Nick schoss, bevor es die Arme wieder senken konnte. Er jagte sein halbes Magazin in den Rücken dieses Wesen, doch das schien dieses Ding noch nicht mal zu stören. 'Der Dolch! Sam sagte, dass der Dolch ihn töten könnte', überlegte er sich. Er griff den Obsidiandolch fester und rammte ihn dem Gottwesen in den Rücken. Hiutzilopochtli keuchte überrascht. Er drehte sich zu Nick um. Den Dolch noch immer erhoben, wollte er sich auf den Agenten stürzen. Er machte zwei Schritte nach vorn und Nick wich diese Distanz zurück. Plötzlich senkten sich die Arme. Das Messer entglitt den kraftlos gewordenen Fingern. Die Jaguaraugen brachen und der Gott sackte in sich zusammen. Vor Nicks Augen verwandelte er sich wieder in die menschliche Gestalt, die er in den letzten Jahren hatte. Ob die Fosters den Gott in diesen Körper gesteckt hatten? Aber was war dann mit dem Mann, dem dieser Körper ursprünglich gehörte? War er tot? Unwirsch schüttelte Nick den Kopf. Er hatte nicht die Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sam hatte nicht die Zeit und Dean erst Recht nicht! Mit Mühe schaffte er es, Sam von dem Altar herunterzuholen. Wie er ihn allerdings bis zum Fahrstuhl und ins Erdgeschoss schaffen sollte, war ihn schleierhaft. Selbst Dean war größer als er selbst und Sam sah alles andere als schmächtig aus. „Bange machen gilt nicht!“, versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen. Er brachte Sam in eine sitzende Position, umfasste seine Brust und zog ihn langsam zum Gang. Auf halbem Weg stöhnte Sam und versuchte halbherzig sich aus der Umklammerung zu befreien. Sofort ließ Nick ihn los. „Dean?“, japste Sam. „Ich wollte dich gerade zu ihm bringen.“ „Wo ist er?“ „Noch im Fahrstuhlschacht.“ „Was will er im Fahrstuhlschacht?“, fragte Sam verständnislos. „Er muss wohl reingefallen sein. Keine Ahnung, als ich kam war er da unten drin“, erklärte Nick hastig. So langsam sollte er ihn da rausholen! „Da steht Wasser“, stellte Sam verständnislos fest. Was wollte sein Bruder im Wasser? „Genau.“ „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du ihn die ganze Zeit in dieser Brühe hast schwimmen lassen?!?“, fragte Sam panisch, als er das ganze Ausmaß dieser Aussage begriff. Er versuchte aufzustehen, knickte aber sofort wieder weg, als er seinen Arm belastete. „Scheiße!“, fluchte er und blickte zu Nick hoch. „Was stehst du hier noch. Hol Dean da raus. Ich komm schon klar! Los! Beil dich!“ „Du…?“, fragte der Agent kofpschüttelnd. „Hau ab!“ Trotz dieser Ansage half Nick Sam noch sich an eine Mauer gestützt hinzusetzen. Erst danach hetzte er die Treppen hinunter in die Lobby. Wie ähnlich sich die Brüder in ihrer Sorge um den anderen doch waren. Im Laufen setzte er einen Notruf ab. Die Beiden würden medizinische Versorgung brauchen und auch Perez war mehr als nur angeschlagen. Der Agent stürmte in die Lobby, schlidderte zum Empfangstresen und war positiv überrascht, Perez auf seinem Stuhl sitzen zu sehen. „Gibt es hier etwas, womit ich eine Fahrstuhltür aufhebeln kann?“, fragte er hektisch. „Ich hab nur das hier“, antwortete Perez und förderte einen langen, starken Schraubenzieher zu Tage. „Besser als nichts“, sagte Nick, griff sich das Werkzeug und rannte wieder zu dem Fahrstuhl. Schliddernd kam er vor der Tür zum Stehen. Er rammte den Schraubenzieher zwischen die Türhälften und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Der Griff brach ab. „Verdammt“, schimpfte der Agent, stemmte sich aber sofort wieder gegen das Metallstück. Wieder und wieder legte er all seine Kraft in seine Arme und dann endlich öffneten sich die Türen soweit, dass er erst seine Finger und gleich darauf auch einen Fuß dazwischen schieben konnte. Eine weitere Kraftanstrengung und die Türen ließen sich komplett öffnen. Sofort legte sich der Agent auf den Bauch. „Dean!“, rief er in den Schacht. Erschrocken riss der Winchester den Kopf hoch. Er hatte keine Kraft mehr. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Schon jetzt konnte er sich kaum noch bewegen. „Komm schon, Dean“, forderte Nick und versuchte sich so weit wie möglich in den Schacht zu beugen, ohne den Halt zu verlieren. „Bitte. Du musst dich nur ein bisschen strecken. Komm schon. Du kannst das!“, versuchte er auf ihn einzureden. Doch Dean reagierte kaum noch. Wahrscheinlich war es nur Johns Drill zu verdanken, dass er überhaupt so lange durchgehalten hatte. „Du kannst jetzt nicht aufgeben. So kurz vor dem Ziel. Los komm schon. Reich mir die Hand.“ Dean reagierte nicht mehr. Er bewegte sich immer weniger und sank immer tiefer. Hilfesuchend schaute Nick sich um. Gegenüber war ebenfalls eine Aussparung für eine Tür gelassen worden. Wenn er ein Brett oder irgendetwas hätte, was er da rüber schieben könnte, könnte er sich daran festhalten und so Dean vielleicht erreichen. Aber wo fand er so was? Nein, er hatte keine Zeit mehr weiter zu suchen! Er musste jetzt handeln! Gerade als Nick aufstehen und selbst in den Schacht springen wollte, wurde er von mehreren Händen gepackt und nach hinten gezogen. Er begann sofort sich zu wehren. Er konnte Dean doch nicht einfach ertrinken lassen. Sam würde ihm das nie verzeihen! „Sie müssen uns schon helfen lassen“, sagte eine ruhige Stimme und Nick schaute den Feuerwehrmann verwundert an. „Oh“, machte er entschuldigend und trat zur Seite. Aufmerksam beobachtete er wie die Retter eine Leiter über den Schacht schoben und sich ein Mann darauf legte. Erleichterung machte sich in ihm breit. Allerdings sah Nick nicht, dass der Feuerwehrmann Dean zwar zu fassen bekam, ihn aber auch nicht nach oben ziehen konnte. „Ich brauche hier eine Schlinge“, rief er seinen Kameraden über die Schulter zu und begnügte sich vorerst damit, den Winchester soweit über der Wasseroberfläche zu halten, dass der atmen konnte. Fast sofort wurde ihm das Seil gereicht und er mühte sich Deans steife Arme durch die Schlinge zu schieben, um ihn endlich aus der eisigen Brühe zu bekommen. Vorsichtig manövrierte er Dean an der Leiter vorbei zur Tür und wartete, bis seine Kameraden ihn auf dem Trockenen hatten, bevor auch er aus dem Schacht kam. Mit Argusaugen beobachtete Nick was mit dem älteren Winchester passierte. Die Rettungssanitäter legten Dean auf den Boden und begannen routiniert seine Vitalzeichen zu kontrollieren. Sie fanden einen sehr schwachen Puls und keine Anzeichen von Atmung. Ein Sanitäter beugte sich über Dean und begann mit einer Herzdruckmassage. Er musste nicht lange pressen, bis Dean nach Luft schnappte und hustend jede Menge Wasser ausspuckte. Sofort bekam er einige Spritzen in den Oberschenkel injiziert. Der Sanitäter informierte das Krankenhaus per Funk über den Patienten, während sein Kollege eine Trage und Wärmedecken brachte. Sie legten Dean gerade auf die Trage als Nick sich in Bewegung setzte. Jetzt da Dean versorgt war, konnte er die Aufmerksamkeit der Männer auf den zweiten Patienten in diesem Haus richten. Er kam drei Schritte weit, als sich die Türen eines weiteren Aufzuges öffneten. Sam schob sich aus der Kabine und blieb schwer atmend an die Wand gelehnt stehen. Seine Augen suchten Nick. „Dean?“ In diesem einen Wort lag ein Cocktail aus den widersprüchlichsten Gefühlen. Angst, Hoffnung, Wut und vielleicht sogar Scham konnte Nick heraushören. „Er ist in guten Händen“, versicherte der Agent und trat neben den Winchester, um ihn zu stützen. „Wir haben hier noch einen Patienten“, rief der Notarzt und orderte einen weiteren Krankenwagen. „Bestellen Sie am Besten noch einen. Mr. Perez müsste auch gründlich untersucht werden“, erklärte Nick und deutete auf den Portier. „Die Beiden sind Brüder“, informierte er den Sanitäter noch. „Kennen Sie sie?“ „Nein, aber der Lange da fragte nach seinem Bruder. Er hat mich erst auf den Mann im Fahrstuhlschacht aufmerksam gemacht.“ „Wissen Sie was passiert ist?“ „Nicht, wie er da reingeraten ist.“ „Okay“, grinste der Sanitäter und wandte sich ab. Kapitel 122: Offiziell ---------------------- Hallo liebe Liebenden ... bin endlich wieder Herr meiner Wohnung ;-)) und ich habe sogar wieder einen funktionierenden Internetzugang, samt Telephon. Welch ein Luxus! Wie konnte ich auch annehmen, dass der Wechsel meines Anbieters reibungslos vonstatten gehen würde ... Egal. Jetzt funktioniert alles wieder und die Geschichte geht weiter. Dann will ich euch mal nicht länger auf die Folter spannen und schnell posten. Viel Spaß beim Lesen. (PS. Irgendwie tat es echt gut vermisst zu werden. Klingt das jetzt bekloppt??) LG Kalea @ Vanilein - Ich kann Dean doch nicht so schnell sterben lassen, dann wäre ja die Geschichte zu Ende. Aber mir fällt bestimmt noch was für ihn ein... 122) Offiziell Nick ging zu Mr. Perez und überlegte dabei fieberhaft, was für eine Geschichte hier wohl plausibel wäre und wie er Mr. Perez dazu bringen könnte, genau die zu erzählen. „Wie geht es Mrs. Forster?“, empfing Perez den Agenten aufgeregt. „Sie ist tot.“ Es gab keinen leichten Weg ihm das zu erklären, überlegte sich Nick. „Hudson?“ „Ja.“ „Der Junge war immer schon komisch!“ Das war doch die Vorlage! „Können Sie der Polizei erzählen, dass Hudson mit den beiden Männern hergekommen ist? Dass Sie gehört haben, wie er die in die fünfte Etage geschickt hat und dann nach oben in die Wohnung fahren wollte. Sie haben ihn zur Rede stellen wollen, weil er angetrunken war, da hat er Sie angegriffen.“ „Warum sollte ich das erzählen?“ „Weil ich vermute, dass Mrs. Foster an dieser Situation nicht ganz unschuldig ist. Ich würde sie aber raushalten, wenn Sie diese Version erzählen.“ „Einen Augenblick überlegte Perez, dann nickte er. „Ich werde es so erzählen. Für Mrs. Foster. Sie hat es nicht verdient in den Dreck gezogen zu werden!“ „So ganz wird sich das wohl nicht vermeiden lassen, aber ich verspreche Ihnen, sie so gut es geht zu schützen.“ „Danke!“ Die Sanitäter hatten Sam ein Beruhigungsmittel gespritzt und brachten ihn gerade zum Rettungswagen. „Wohin bringen Sie sie?“, erkundigte sich Nick bei dem Notarzt. „Ins Uni-Krankenhaus. Warum?“ „Ich muss sie noch befragen“, erklärte Nick ruhig und zog seinen FBI-Ausweis. „Oh, klar.“ Die Feuerwehrleute rückten ab und die Polizei an. Nick atmete tief durch. Jetzt ging die richtig nervige Arbeit los. Er holte sein Handy aus der Tasche und drückte eine Kurzwahltaste. Er schaffte es gerade, sich bei seinem Vorgesetzten zu melden, als ihm auch schon ein Polizist das Telefon vom Ohr reißen wollte. Energisch befreite er sich, doch der Beamte ließ nicht locker. „Moment“, bat er seinen Chef und wandte sich nun dem übereifrigen Polizisten zu. „Sie werden schon warten müssen, bis ich mit meinem Vorgesetzten gesprochen habe!“, erklärte er energisch. „Was geht mich Ihr Vorgesetzter an?“ „Eine Menge“, erwiderte Nick von oben herab. Er bewegte sich möglichst langsam, als er seine Marke aus der Innentasche holte. Nicht, dass Rambo Jr. ihn noch erschießen wollte. „Nicolas Traven, FBI. Und jetzt lassen Sie mich zu Ende telefonieren. Dann können wir uns gerne unterhalten!“ Der Polizist verzog wütend das Gesicht. Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zu seinen Kollegen, wo er sich gestenreich bitterlich beschwerte. „Bin wieder da“, meldete Nick sich bei seinem Vorgesetzten zurück. „Und Sie sind sich sicher, dass die Morde aufgeklärt sind?“ „Der Typ war wie ein aztekischer Gott angezogen und wollte einen Mann töten. Ich denke schon, dass er für die Morde verantwortlich ist. Über das „wenn nicht“, will ich lieber nicht nachdenken.“ „Okay, Traven. Gute Arbeit. Sehen Sie zu, dass Sie da fertig werden und kommen Sie zurück.“ „Mach ich, Sir. Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“ Nick legte auf, steckte sein Handy weg und ging zu den Polizisten, die sich mit Perez unterhielten. „Und jetzt sind Sie gewillt uns einige Fragen zu beantworten?“, wollte einer der Polizisten von oben herab wissen. „Wenn Sie mit Ihren Chef reden, wollen Sie auch nicht gestört werden. Chefs stehen nicht sonderlich darauf, unterbrochen zu werden.“ Der Polizist schnaubte nur. Nickte dann aber. „Henry, Max, kümmert ihr euch um unseren Gast!“, wandte er sich fordernd an einen anderen Beamten. Henry nickte und kam auf Nick zu. „Henry Barkow“, stellte er sich vor und hielt dem Agenten die Hand hin. „Mein Kollege Max Chandler.“ „Nicolas Traven.“ Er schüttelte den Beiden die Hand. „Also Agent Traven. Wieso sind Sie hier?“, wollte Henry wissen. „Ich bin an den Morden hier im Elm Place dran. Bin schon seit ein paar Tagen in Dallas.“ „Das erklärt aber nicht, warum Sie gerade jetzt hier sind.“ „Ich habe einen Funkspruch mitgehört, der eine Einheit hierher geordert hat.“ „Einen Funkspruch?“, hakte Max nach. „Wann soll das gewesen sein?“ Nick schaute auf seine Armbanduhr. „Vor einer dreiviertel Stunde ungefähr“, erklärte er verwundert. „Wieso kommt ihr dann erst jetzt?“ „Es gab keinen Funkspruch! Und wieso hören Sie eigentlich unseren Funk ab?“ „Das wieso muss ich Ihnen nicht erklären! Aber ich bin gerne informiert wenn ich in einer Stadt ermittle. Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und uns ist nun mal nicht die Beste!“ „Okay, aber trotzdem gab es keinen Funkspruch!“ „Und wieso sollte ich dann zu nachtschlafender Zeit hier sein?“ Nick hoffte, dass er nicht zu dick auftrug. „Ich habe etwas gehört und bin hergekommen. Ich fand Mr. Perez verwundet und er hat mir auch erklärt, dass Mr. Foster mit zwei Männern hier herein kam. Er hat gehört, wie Foster die Männer in den fünften Stock geschickt hat. Er wollte gleich nachkommen. Daraufhin hat Mr. Perez Foster zur Rede gestellt und Foster wurde handgreiflich. Mr. Perez hat sich um Mrs. Foster gesorgt. Er hoffte zwar dass ihr Sohn nicht nach oben gefahren sei, hat mich aber trotzdem gebeten nach ihn zu sehen.“ „Und?“, fragte Chandler genervt. „Er war oben. Aber das sollten sie sich selbst ansehen. Folgen sie mir“, erklärte Nick ruhig und drehte sich zu den Fahrstühlen um. Er wartete nicht, ob Chandler und Barkow ihm folgten, was die beiden Polizisten natürlich taten. Zuerst führte er sie zur Leiche von Mrs. Foster und danach in den fünften Stock. Leise ächzend suchte sich Sam eine andere Position auf seiner Liege. Sie hatten ihm zwar etwas gegen die Schmerzen gegeben, aber noch fühlte er jeden einzelnen Atemzug und auch sein Arm pochte unangenehm. Das Röntgen war wirklich kein Zuckerschlecken gewesen. Eine Schwester betrat den Raum. Sofort bestürmte Sam sie mit der einen entscheidenden Frage. „Wo ist mein Bruder und wie geht es ihm?“ „Ich weiß nichts von einem Bruder! Ich wollte wissen …“ „Er muss kurz vor mir eingeliefert worden sein. Sie haben ihn aus einem Fahrstuhlschacht gezogen …“, sprudelte Sam hervor, ohne sie ausreden zu lassen. Im Moment interessierte es ihn herzlich wenig, was sie wollte. Er wollte wissen, wie es Dean ging! „Ich werde mich nach ihm erkundigen. Aber zuerst möchte ich ihre Daten und wissen, ob sie krankenversichert sind.“ „Können Sie sich nicht erstmal nach meinem Bruder …“ „Nein! Ich werde hier nicht weggehen, bis ich Ihre Daten habe!“ Zähneknirschend ergab sich Sam dieser Logik. Er kämpfte sich in eine sitzende Position. Doch bevor er sich noch weiter nach vorn beugen konnte, wurde er von der Schwester aufgehalten. „Was soll das denn jetzt?“, fragte sie und versuchte Sam wieder auf die Liege zu drängen. „Sie wollen doch unsere Daten. Dazu muss ich zu meiner Jacke!“ „Die kann ich Ihnen auch holen!“, erwiderte sie und nahm die Jacke vom Fußteil der Liege und legte sie neben dem Winchester. „In der Innentasche ist meine Brieftasche“, erklärte er ihr leise und legte sich vorsichtig wieder hin. Die Schwester holte seine Brieftasche hervor. „Können Sie …“, fragend hielt er ihr das Portmonee hin. „In einem der Fächer ist meine Versicherungskarte und dahinter ist ein kleiner Zettel mit der Versicherungsnummer meines Bruders.“ Sie holte Beides hervor und begann die Daten abzuschreiben. „Und Ihr Bruder heißt?“, fragte sie nach einer Weile. „Dean. Er ist am 24. Januar 1982 geboren und die Adresse ist die gleiche wie bei mir.“ „Wie kommen Sie von South Dakota nach Texas?“ „Wie haben Verwandte besucht und waren jetzt wieder auf dem Rückweg.“ „Gut, Danke. Ich werde mich jetzt mal nach Ihrem Bruder erkundigen“, erklärte sie mit einem Lächeln. „Danke“, stöhnte Sam leise und entspannte sich etwas. So langsam schienen die Medikamente anzuschlagen, die er vor dem Röntgen bekommen hatte. Seine Lider wurden immer schwerer. Er bekam zwar mit, wie sich jemand am seinem Arm zu schaffen machte, konnte sich aber nicht dazu durchringen, die Augen zu öffnen. Erst als sich alles um ihn herum zu bewegen schien, blinzelte er verwirrt. „Ich bringe Sie in ein Zimmer. Da ist es etwas ruhiger als auf dem Gang der Notaufnahme“, erklärte die Schwester, die er vor einer halben Ewigkeit nach seinem Bruder gefragt hatte. „Dean?“, stellte er die einzige Frage, die ihn im Moment interessierte. „Ihr Bruder ist noch auf der Intensivstation. Er war stark unterkühlt und muss noch aufgewärmt werden.“ „Ich will zu ihm!“ „Das glaube ich nicht“, sagte sie. Sofort stemmte sich Sam auf den Ellenbogen. Seine Rippen protestierten schmerzhaft und er ließ sich wieder in die Waagerechte fallen, um Kraft und Luft für einen weiteren Versuch zu starten. „Ihr Bruder ist noch nicht wieder bei Bewusstsein und Sie brauchen auch Ruhe. Sie haben drei gebrochene Rippen. Eine davon ist gesplittert und droht bei zu viel Bewegung in die Lunge einzudringen. Also versuchen sie einfach sich auszuruhen. Sobald ihr Bruder außer Gefahr ist, bringen wir ihn zu Ihnen. Versprochen.“ Sam versuchte sich zu entspannen. Seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug und er war so müde, dass er nur schlafen wollte. Trotzdem fraß die Sorge um Dean weiter an ihm. Die Schwester schob ihn in ein Zimmer und half ihm, sich in das Bett zu legen. Sie stellte das Kopfteil des Bettes etwas höher, um ihm das Atmen zu erleichtern und schloss die Infusion an. Ein kurzer Blick, als sie den Raum verließ, zeigte ihr, dass der junge Mann wieder eingeschlafen war und die Beruhigungsmittel in seinem Tropf würden dafür sorgen, dass er auch durchschlief. Seine Sorgen um den Bruder fand sie schon fast rührend, auf jeden Fall aber ungewöhnlich, in diesem Alter. Ob die Zwei wirklich nur Brüder waren? Den folgenden Tag verschlief Sam dank der Mittel in seinem Tropf fast vollständig. Er nahm weder die Untersuchungen noch den Besuch Nicks bewusst wahr. Erst gegen Abend wurde er langsam etwas wacher. Ein Pfleger betrat sein Zimmer, um nach der Infusion zu schauen. „Wie geht es meinem Bruder?“, fragte Sam ihn. „Ihr Bruder? Ist der auch hier im Krankenhaus?“ „Er war auf der Intensivstation!“, erklärte Sam etwas ungehalten. Er konnte ja verstehen, dass nicht jeder hier wusste, wie es Dean ging, trotzdem hatte er auf etwas mehr Entgegenkommen gehofft. „Das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich“, erklärte der Pfleger und hängte eine weitere Infusion an. „Können Sie vielleicht mal nachfragen?“ So langsam ging ihm dieser Typ auf den Zeiger. „Ich bringe Ihnen jetzt erstmal etwas zu Essen“, ließ sich der Mann nicht von seinem Konzept abbringen und verließ das Zimmer. Sam knurrte wütend. Wenn er hier keine Antwort bekam, dann musste er eben selbst nachfragen gehen. Er kämpfte sich in die Senkrechte und stand vorsichtig auf. Mit seiner eingegipsten Hand hielte er den Infusionsständer fest, die andern presste er gegen seine schmerzenden Rippen. Langsam lief er zur Tür. Er hatte sie fast erreicht, als der Pfleger wieder herein kam und nur mit Mühe einen Zusammenstoß verhindern konnte. „Sie sollten im Bett bleiben!“, fuhr er Sam an und drängte ihn wieder in diese Richtung. „Es ist mir im Moment herzlichst egal, wo ich sein sollte. Ich will wissen, wie es meinem Bruder geht!“, fuhr er den Pfleger an. Sofort meldeten sich seine Rippen wieder. Er hatte wohl zu tief Luft geholt. „Und mich interessiert Ihr Bruder nicht, aber Sie. Und wenn Sie sich nicht sofort wieder hinlegen, rufe ich den Sicherheitsdienst!“ In dem Moment öffnete sich die Tür erneut und Nick betrat den Raum. „Endlich mal ein vernünftiger Mensch“, stöhnte Sam. „Sind Sie sicher?“, fragte der Agent grinsend. „Davon gehe ich einfach mal aus. Sie sehen zumindest vernünftiger aus als der da.“ „Na hoffentlich enttäusche ich Sie dann nicht.“ „Enttäuschender kann es nicht werden! Also, wer sind Sie und warum sind Sie hier?“, fragte der Winchester den Agenten und hoffte, dass das so auch richtig war. „Mein Name ist Nicolas Traven. Ich bin FBI-Agent und war gestern Nacht beim Elm Place. Sie erinnern sich?“ „Wie könnte ich nicht?“, fragte Sam und hielt sich seine Rippen. „Ich habe ein paar Fragen, wenn Sie sich in der Lage fühlen mir diese zu beantworten.“ Ganz professionell holte der Agent Block und Stift hervor und setzte sich auf den einzigen Besucherstuhl. „Mir bleibt ja wohl kaum eine andere Wahl.“ Vorsichtig atmete Sam durch und setzte sich auf sein Bett. Der Pfleger schob den Nachttisch mit dem Essen etwas ruppiger als nötig an Sams Bett und verließ den Raum. „Wie hast du den denn verärgert?“, wollte Nick leise wissen. „Ich wollte gerade zur Intensivstation und nach Dean schauen. Das fand der wohl nicht so toll. Aber das ist mir egal. Ich will endlich wissen, wie es ihm geht!“ „Er ist auf dem Weg hierher“, beruhigte Nick den Freund, „und es geht ihm den Umständen entsprechend, soviel ich erfahren konnte.“ „Woher weißt du das denn?“ „Ich bin ganz offiziell hier. Ich muss euch doch noch wegen Gestern befragen. Und da ich euch ja das Leben gerettet habe, will ich natürlich auch wissen, wie es euch geht.“ „Du hast uns das Leben gerettet?“, fragte Sam spöttisch, wurde allerdings fast sofort wieder ernst. Irgendwie war es wohl so. Ohne Nick wären Dean und er wohl nicht heil da raus gekommen. „Die Polizei wird übrigens auch noch kommen“, erklärte Nick ruhig. „Du hast uns wirklich das Leben gerettet!“, stellte Sam ruhig fest. „Danke!“ „Ich hab euch aber auch erst in diese Situation gebracht!“ Kapitel 123: Krankenhausgespräche --------------------------------- @ Vanilein - Da hast Du wohl Recht. Dean ohne Sam geht genauso wenig wie Sam ohne Dean und nein - es ist keine Death-Fic. Also die Angst kann ich Dir nehmen. Aber es gibt so viel zwischen leben und tot .... muah muah muah. *ganz, ganz böse lach* LG Kalea  123) Krankenhausgespräche Bevor Sam etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür. Zwei Schwestern manövrierten ein Bett herein und schoben es an die, von Sams Bett gegenüberliegende Wand. Sofort setzte der sich etwas gerader hin, stand auf und ging langsam hinüber. „Sie sollten liegen bleiben“, erklärte ihm eine Schwester. „Ich will nur sehen, wie es ihm geht.“ „Er hat noch jede Menge Schlafmittel intus. Er wird mit Sicherheit bis Morgen schlafen.“ Mit diesen Worten verließ sie ebenfalls das Zimmer. „Das glauben Sie auch nur“, nuschelte Sam in ihre Richtung. Er kannte seinen Bruder und wusste nur zu gut, dass der selten das tat, was man von ihm erwartete. Langsam ging er zu dem Bett. Vorsichtig legte er seine Hand auf Deans Schulter und war einfach nur froh, ihn atmen zu sehen. „Weißt du etwas über seine Verletzungen? Hat er sonst noch was abbekommen?“, besorgt musterte er die eingewickelten Hände, die auf der Bettdecke ruhten. „Ich weiß, dass seine Schulter ausgekugelt war und dass er geprellte Rippen hat. Naja und die Hände siehst du selbst.“ „Was ist passiert? Hat er etwas gesagt?“ „Nein, ich habe ihn in dem Schacht gefunden und wollte ihn rausholen. Er wollte jedoch, dass ich nach dir suche. Er würde schon klar kommen. Verdammt Sam. Er wäre fast ertrunken! Und du wärst geopfert worden, wenn ich erst ihn gerettet hätte!“ Nick atmete tief durch. Diese Situation erschreckte ihn auch jetzt noch. „Ist das immer so bei euch?“ „Wir versuchen schon, nicht in solche Situationen geraten. Manchmal lässt es sich allerdings nicht vermeiden. Und hin und wieder sterben Jäger dabei, die Monster aufzuhalten. Ist, glaube ich, nicht viel anders als bei dir, oder?“ „Nein. Nur meine Gegner sind real.“ „Das sind unsere auch!“ „Nein, du verstehst mich falsch. Klar sind eure auch real. Spätestens gestern hab ich das erfahren. Ich meine eher, dass ich meine Gegner der Öffentlichkeit zeigen kann. Ich bekomme die Anerkennung, die sie euch verwehren.“ „Damit muss ein Jäger leben. Die Menschen sind nicht soweit, dass sie Monster akzeptieren könnten. Aber genug davon. Was hast du ausgesagt? Wie muss meine Geschichte muss für die Polizei aussehen?“ „Ich habe Perez gebeten, zu erzählen, dass er euch mit Foster hereinkommen sah, dass Foster euch in die fünfte Etage schickte und selbst noch schnell ins Penthouse wollte. Er hat ihm daraufhin Vorhaltungen gemacht, weil er betrunken wäre und ihn gebeten nicht zu seiner Mutter zu gehen. Es kam zum Streit und Foster hat ihn zusammengeschlagen.“ „Und das hat Perez wirklich so berichtet?“, wollte Sam ungläubig wissen. „Ich habe ihm erklärt, dass Mrs. Foster sonst wohl oder übel mit in die Ermittlungen hineingezogen werden würde. Ich habe ihm aber versprochen, sie soweit wie möglich aus der Öffentlichkeit rauszuhalten.“ „Darauf ist er eingegangen?“ „Ich glaube er hatte was für die alte Dame übrig.“ Sam zog Deans Decke etwas weiter nach oben und schob seinen Infusionsständer langsam wieder zu seinem Bett. Er warf einen Blick auf das Essen und schnaubte. Lecker war etwas anderes! „Wenn du noch mal kommst, kannst du Dean einen Burger oder was von Chinesen mitbringen, bevor er ganz unleidlich wird?“ „Nur Dean?“ „Nein, mir auch. Ich bin zwar einiges an Essen gewohnt, aber das hier? Keine Ahnung, ob der Pfleger mir nur eins auswischen wollte, das hier ist selbst für mich ungenießbar!“ „Gut, ich komme morgen mit Essen. Sagst du mir noch, was ich in den Bericht schreiben soll?“ „Du meinst Foster?“ „Genau“ Schnell bastelte Sam eine plausibel klingende Geschichte zusammen. „Und zum Rest musst du in den nächsten Tagen nur noch Dean befragen.“ Der Winchester grinste kurz. „Okay, das heißt dann also, dass ich morgen wiederkommen muss?“ „Genau. Nicht dass wir hier verhungern.“ Jetzt lachte auch Nick. „Okay, dann werd ich dich mal wieder in Ruhe lassen. Ich bringe morgen was Essbares mit.“ „Danke.“ Nick verließ das Krankenzimmer und Sam lehnte sich erschöpft in seinem Bett zurück. Das aufrechte Sitzen hatte ihn doch mehr angestrengt, als er zugeben wollte. Mit Deans ruhigen Atemzügen in Hintergrund war er schnell eingeschlafen. Als Dean am nächsten Tag endlich die Augen öffnete, saß Sam an seinem Bett. „Hey“, grüßte der leise. „Bist du okay?“, wollte Dean etwas heiser wissen. Das letzte Mal als er Sam gesehen hatte, lag der bewusstlos auf dem Boden und dieses Bild wollte er so schnell wie möglich vertreiben. „Ein paar gebrochene Rippen, einen gebrochenen Arm.“ Er wedelte mit dem Gips. „Sonst geht’s ganz gut. Aber sie wollen mich noch nicht gehenlassen. Bei einer Rippe besteht wohl die Gefahr, dass sie sich in die Lunge bohren könnte.“ „Sie wollen was?“ Dean schaute sich um und registrierte erst jetzt den penetranten Geruch nach Desinfektionsmitteln und die unverkennbar triste Atmosphäre eines Krankenhauszimmers. „Sie wollen mich noch hier behalten.“ „Dann muss ich dich eben besuchen kommen“, versuchte Dean es mit einem Grinsen. Er wollte hier nicht bleiben, auch wenn ihm nach nichts weniger zumute war, als nach Aufstehen. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich bleibe, wenn du gehst?“, griff Sam dieses Gedankenspiel auf. „Ich hatte es gehofft?“, erklärte Dean leise. Er versuchte sich auf die Ellenbogen zu stemmen, zuckte aber augenblicklich zusammen und ließ sich wieder auf den Rücken fallen. „Du hattest eine ausgekugelte Schulter und einige geprellte Rippen.“ Dean schloss die Augen und begann mit einer Bestandsaufnahme seines Körpers. Die Rippen schmerzten leicht, wenn er tiefer Luft holte und seine Schulter meldete sich bei Bewegungen. Außerdem schmerzten seine Handflächen. Er öffnete die Augen wieder und blickte auf seine Hände. „Schicke Handschuhe, aber etwas unpraktisch, oder?“, neckte Sam. Dean schnaubte nur. „Wie lange wollen sie dich denn hier behalten?“, resignierte er. Solange Sam hier bleiben musste, würde er es wohl auch aushalten können. Was tat er doch nicht alles, um seinen kleinen Bruder bestens versorgt zu wissen? Bei diesem heroischen Gedanken musste selbst er grinsen. „Ein paar Tage?“ „Und wie ist das Essen?“ „Nicht sonderlich gut. Aber besser als gestern Abend.“ Dean schaute seinen Bruder fragend an. „Ich hab einen Pfleger genervt, weil ich wissen wollte, wie es dir geht. Der hat mir statt einer Antwort ein Essen gebracht, das diese Bezeichnung nicht verdient hatte.“ „Dann lass uns hier schnellstens verschwinden! Ich passe in meine Hosen wieder rein, also besteht kein Grund weiter zu hungern!“ „Heute war es viel besser. Außerdem wollte Nick für angemessene Verpflegung sorgen“, beschwichtigte Sam schnell. „Sicher?“ „Ganz sicher. Ich kann doch nicht zulassen, dass du vom Fleisch fällst.“ „Hauptsache die lassen mich hier schlafen!“, gähnte Dean. Sein Bruder war bei ihm und gut versorgt und er konnte mit seinen eingebundenen Händen auch nicht wirklich etwas machen, warum sollte er dann nicht versuchen die Ruhe zu genießen und sich richtig ausschlafen? Und vielleicht hatte er ja auch Zeit sich darüber klar zu werden, was er im nächsten Jahr machen wollte. Aber vorher wollte er noch wissen, wie sie Foster erledigt hatten, denn das der tot war, stand außer Frage. Sonst wären sie nicht hier. „Foster? War er es?“, fragte er also. „Ja. Foster war Hiutzilopochtli. Wie sie es geschafft haben, den Gott in diese Gestalt zu bekommen, wird wohl immer ein Rätsel bleiben und wieso die Opfer diese Brandmarken an den Organen hatten auch. Da müsste ich raten. Nick hat ihn mit dem Messer töten können und mich davor bewahrt ein weiteres Opfer zu werden.“ „Gut“, erklärte Dean erleichtert. Mehr musste er nicht wissen, auch wenn ihn der eine oder andere Punkt schon interessierte. Sam war gerettet und es würde keine weiteren Opfer geben. „Kannst du trotzdem mal das Internet nerven, ob solche Beschwörungen da zu finden sind? Nicht dass wir mit weiteren Göttern rechnen müssen.“ „Wir sollten es auch Bobby sagen!“, warf Sam ein. „Der ist im Moment nur nicht wirklich er selbst. Seit Jody ausgezogen ist, neigt er zu Kamikazeaktionen und zum Alkoholismus.“ „Er ist jetzt also so, wie du im Normalzustand?“, stichelte Sam. „Ich habe nie …“ „Okay, okay“, wehrte Sam lachend ab, „dein Normalzustand ist das auch nicht. Aber du kannst auch extrem reagieren, wenn du emotional durcheinander bist. Und jetzt sag nicht, dass das nicht stimmt. Ich kenne dich zu gut, Dean. Dads Tod hat dich damals mächtig aus der Bahn geworfen. Und Adams Existenz jetzt. Du bist nicht so gefühlskalt, wie du deiner Umgebung weismachen willst.“ „Ich …“, begann Dean sich zu verteidigen. „Du bist richtig, so wie du bist! Du musst nichts abwehren oder abstreiten. Du bist, so wie du bist, der Mensch, der so viel Gutes getan hat, der mich aufgezogen hat und der unzähligen Leben gerettet hat. Du sollst gar nicht anders sein, denn ohne dich wäre ich wohl schon lange so wie Dad geworden.“ „Ich hab doch nur …“, versuchte Dean Sams Lob zu relativieren. „Nein Dean. Nur hast du gar nichts. Du warst Vater, Mutter und Bruder für mich und ohne dich …“ „Das hättest du doch auch für mich getan, wenn du der Ältere gewesen wärst!“ „Möglich, trotzdem mindert das deine Leistung nicht. Ich will einfach nur, dass du nie vergisst, wie besonders du bist, denn du stellst dein Licht viel zu oft unter den Scheffel!“ Dean verkrampfte sich: „Hör auf Sam!“, fuhr er seinen Bruder an. „Was, ich wollte doch nur …“ „Was wolltest … was willst du von mir?“ „Nichts! Ich hab nur, ich wollte … Verdammt! Du warst weg, als ich es endlich in die Lobby geschafft hatte und dann habe ich dich bis gestern Abend nicht zu sehen bekommen und wie es dir ging hat mir auch keiner gesagt! Ich hatte Angst um dich! Ich hab dir nie gesagt, wie wichtig du für mich bist! Ich …“ Sam brach ab. Wieso hatte Dean ihn jetzt so angefahren. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du einen Deal gemacht hast, oder dass dich der Gott getötet hat und du mir nur sagen willst, dass du für immer verschwindest?“ Dean musterte seinen Bruder noch immer argwöhnisch. Berühren konnte er ihn mit seinen eingebundenen Händen ja nicht. „Nein! Warum sollte ich? Hat jemand …?“, wollte er leise wissen. „John! Im Krankenhaus. Er hat mir gesagt wie stolz er auf mich wäre und dann hat er mir diesen unsäglichen Befehl gegeben“, sagte Dean heiser. „Du meinst dass du auf mich aufpassen solltest und wenn du es nicht kannst …“ „Ich hätte dich nie töten können!“, flüsterte der Ältere rau. „Ich weiß und das obwohl ich es wollte. Ich war damals echt unausstehlich.“ Sam setzte sich wieder auf Deans Bett und legte seine Hand auf dessen Schulter. „Warst du“, erklärte der Ältere mit einem weiteren schiefen Grinsen und entspannte sich sichtlich. Er versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Schlaf. Ich bin hier, wenn du wach wirst.“ Vorsichtig drehte sich der Ältere auf die Seite. Schnell war er wieder eingeschlafen. Sam blieb noch eine ganze Weile auf dem Bettrand sitzen und dachte nach. In den letzten Jahren war so viel passiert. Diesen unsäglichen Befehl hatte er vollkommen verdrängt. Hatte Dad seinen Bruder wirklich einmal in seinem Leben gelobt? Hatte er ihm einmal gesagt, wie stolz er auf ihn war, nur um ihm dann das Messer in die Brust zu rammen? Klar das Dean dann allergisch auf Lob reagierte! Gab es überhaupt etwas, dem Dean vollkommen unbefangen gegenübertreten konnte? Was hatte John noch alles zerstört, was war noch alles mit schlechten Erinnerungen behaftet? Womit hatte es ihr Vater nur geschafft alle das Gute, das er zweifellos auch getan hatte, so rigoros aus Deans Erinnerungen zu löschen? Seine Rippen schmerzten wieder mehr und er legte sich in sein Bett. Seine Gedanken blieben bei seinem Bruder. Wie anders musste die Welt für ihn gewesen sein, als Mom noch lebte, oder wie war es zu erklären, dass sie in Deans Erinnerungen mehr Engel als Mensch zu sein schien? Oder war es natürlich, dass er sich bei ihrem trüben Leben nur die schönen Seiten seiner Zeiten mit ihr behalten hatte? Aber selbst wenn, sie muss ein toller Mensch gewesen sein. Wieder einmal wünschte er sich, er hätte die Chance bekommen sie ebenfalls kennenzulernen. Kapitel 124: Entlassen ---------------------- @ Vanilein - Ich ein böses Weib??? Ich ??? Ich tue ihnen was an? Ich bin vollkommen unschuldig. Ich berichte hier nur ... (sagte das Teufelchen ... ;-))) LG Kalea 124) Entlassen Es klopfte. Dankbar endlich diesem Gedankenkarussell zu entkommen setzte Sam sich auf und rief: „Herein!“ „Hey, ich hab Essen für euch“, begrüßte ihn Nick. Er stellte die Tabletts auf Sams Nachttisch ab und schaute besorgt zu Dean. „Was ist mit ihm?“ „Nichts. Er ist nur noch immer ziemlich geschafft“, erklärte Sam ruhig. „Was gibt es Neues?“ „Nur das Übliche. Polizei und FBI streiten sich um Kompetenzen, die Presse feiert Fosters Tod als Ende einer Mordserie und natürlich fragen sich jetzt alle, warum der nicht schon früher aufgefallen ist“, berichtete Nick, während Sam den Inhalt der Tüten untersuchte. Frühstück und Mittag waren zwar durchaus genießbar, aber jetzt hatte wieder dieser eine Pfleger Dienst, der ihn gestern schon vergiften wollte. Da war es nicht gelungen. Auf einen weiteren Versuch wollte er es nicht ankommen lassen. Langsam regte sich auch Dean wieder. „Hey, hier gibt’s Essen für dich“, begrüßte ihn Nick. „Hm“, grummelte Dean. „Ich esse nachher. Hab noch keinen Hunger.“ Diese Aussage rief augenblicklich Sams Besorgnis hervor. Wie konnte sein Bruder keinen Hunger haben? Allerdings ließ ihn ein kurzer Blick Deans auf seine eingebundenen Hände sofort wieder ruhiger werden. So konnte er kaum essen und sich dabei helfen lassen zu müssen, diese Blöße wollte er sich vor einem Fremden doch nicht geben. Kaum merklich nickte Sam. Er würde ihm nachher helfen. Jetzt allerdings war es schon schlimm zu sehen, wie Dean mit der Fernbedienung kämpfte, um sich das Kopfteil des Bettes etwas höher zu stellen. Wortlos nahm Nick ihm das Teil aus der Hand und stellte es höher. „Danke“, nuschelte Dean beschämt. „Keine Ursache“, grinste der Agent. „Hat Sam dir schon erzählt, was gestern laut Bericht alles passiert ist?“ „Im Groben.“ „Und was kann ich als deine Version dazuschreiben? Mir fehlt noch der Teil, wie du in den Fahrstuhlschacht gekommen bist.“ Dean überlegte eine Weile und gab dann seine Erklärung ab. „Ich denke, die Polizei wird euch in den nächsten Tagen auch noch belästigen.“ „Wenn wir so lange hier bleiben“, stellte Dean ihre Anwesenheit in Frage. „Ihr sollte euch auskurieren. Bringt doch nichts, wenn ihr irgendwann richtig auf der Nase liegt, nur weil ihr jetzt zu schnell wieder aufbrechen wollt. Zumindest habe ich das mal auf die schmerzhafte Weise lernen müssen. Da fällt mir ein: Der Impala steht noch in der Seitenstraße.“ Augenblicklich richtete sich Dean auf. „In meiner Hosentasche …“ Fragend schaute er zu Sam. „Die ist in dem Schrank“, sagte der und zeigte auf eine Tür. „Kannst du sie herbringen?“, wollte Dean wissen, als Nick den Schlüssel in der Hand hielt. Im war wohler dabei sie in der Nähe zu wissen. „Und könntest du vielleicht unser Zimmer ausräumen? Ich glaube nicht, dass wir noch mal dahin zurückkommen werden.“ „Kann ich machen. Eure Sachen bringe ich euch mit dem Wagen morgen hierher.“ „Danke“, sagte Sam und auch Dean nickte kurz. „Dann lasse ich euch mal wieder alleine und ärgere die hiesige Polizei noch ein wenig.“ „Viel Spaß“, lachte Sam. Kaum hatte Nick das Zimmer verlassen, stand Sam auf und nahm das zweite Tablett. Fragend schaute er seinen Bruder an. Dean nickte kurz. Von Sam hatte er sich schon zu oft helfen lassen müssen, als das er das jetzt abschlagen könnte. „Hätte mich auch gewundert, wenn du keinen Hunger gehabt hättest, oder du wärst ernsthaft krank!“ In aller Ruhe drückte er seinem Bruder den Kaffeebecher zwischen die Tatzen und half ihm dann beim Essen. Danach kehrte wieder Ruhe in den Raum ein. Bis der Pfleger kam. „Eigenes Essen ist hier nicht erlaubt! Das muss ich melden!“, regte er sich auch sofort auf. „Wenn Sie gestern nicht versucht hätten mich zu vergiften, wäre ich nie auf die Idee gekommen mir etwas mitbringen zu lassen!“ „Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich Sie vergiften wollte?“, empörte er sich. „Wie wollten Sie das auf dem Tablett gestern denn sonst nennen? Essbar war es jedenfalls nicht!“ „Sie sind hier nicht im fünf Sterne Hotel!“, knurrte der Pfleger. „Das ist mir schon klar. Genießbar sollte das Essen trotzdem sein! Bei ihren Kolleginnen geht’s doch auch.“ „Dann lassen Sie sich doch von denen verwöhnen, wenn Sie meinen dass die besser für Sie sind.“ „Darum bitte ich“, erklärte Sam ernst. Diesen Typen wollte er hier nicht mehr sehen! Vielleicht waren sie dann ja auch nicht mehr auf Nicks Hilfe angewiesen. Er wollte ihm nur ungern noch mehr auf der Tasche liegen, als sie es eh schon taten. Der Pfleger rauschte davon. „Ich hoffe mal, der bleibt uns jetzt auch fern. Der Typ geht ja gar nicht!“, sagte Sam zu seinem Bruder gewandt. Dean zuckte mit den Schultern, mühte sich mit seinem Kopfteil ab und rollte sich, als er es endlich wieder in seine Ausgangsposition gebracht hatte, auf der Seite zusammen. Er fühlte sich schon wieder wie erschlagen. Sam haderte noch eine Weile mit sich, Nick nicht gebeten zu haben, ihm ein Buch oder eine Zeitschrift mitzubringen. So war es doch ziemlich langweilig. Dann musste er sich wohl doch das Fernsehprogramm antun. Einen Trickfilm später betrat eine Schwester das Zimmer. Skeptisch schaute sie sich um. „Sie wünschen eine Sonderbehandlung?“, fragte sie distanziert. „Nein, eigentlich reicht die Behandlung, die uns ihre Kolleginnen der Frühschicht angedeihen ließen, vollkommen. Dazu scheint ihr Kollege allerdings nicht in der Lage zu sein“, erklärte Sam ruhig. „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Naja, bei Ihren Kolleginnen gab es Essen von heute. Er kam gestern mit einem Tablett an, das er entweder aus der Mülltonne gefischt hatte, oder das tagelang irgendwo vergessen auf der Heizung stand. Ich bin an Essen einiges gewöhnt, aber das war selbst für mich ungenießbar.“ Sie musterte den Winchester einen Augenblick, bevor sie ihn fragte: „Sonst gibt es kein Problem?“ „Wenn Sie es schaffen würden mir zu etwas mehr Selbstständigkeit zu verhelfen, wäre ich Ihnen auf ewig dankbar“, meldete sich Dean zu Wort. Er drehte sich bei seinen Worten auf den Rücken, um ihr seine dick eingewickelten Hände zeigen zu können. Aber schon beim Ansatz der Drehung zuckte er zusammen. Er hatte nicht an seine geprellten Rippen gedacht. Vorsichtig ließ er sich auf den Rücken fallen und atmete ein paar Mal ruhig durch. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Möchten Sie liegen bleiben oder brauchen Sie Hilfe mit dem Kopfteil?“ „Ihre Hilfe nehme ich sofort an, aber ich kann auch meinen Bruder belästigen. Der hat ja sonst nichts zu tun“, grinste Dean und lächelte sie freundlich an. „Noch bin ich ja hier. Und wenn Ihr Bruder mal keine Lust hat, klingeln Sie einfach.“ Jetzt lächelte sie ebenfalls. „Das gilt natürlich auch für Sie. Wenn er zu nervig wird …“ „Das kann schneller passieren als Sie denken“, grinste Sam. „Wir werden sehen“, sagte sie ruhig, half Dean das Kopfteil in die richtige Position zu bringen und verließ das Zimmer wieder. „Was guckst du da, Alter?“, wollte Dean irritiert wissen. „Sonst kam nichts“, entschuldigte sich Sam leise. „Solange es nicht diese komischen helfenden Elfen sind“, beruhigte ihn der Ältere und schaute nun ebenfalls auf den Bildschirm. Keinen Trickfilm später kam die Schwester mit einem Assistenzarzt zurück. „Sie hatten einen Wunsch?“, fragte er Dean. „Wenn Sie mich von den Dingern befreien könnten?“ „Sie haben etliche Schnittverletzungen an Ihren Händen. Es wäre schon besser, wenn Sie die Verbände behalten würden.“ „Ich will sie ja gar nicht komplett runter haben. Es ist nur etwas peinlich um jeden Handgriff bitten zu müssen. Außerdem ist die nette Schwester neben Ihnen, ja auch nicht nur meinetwegen hier.“ „Und dann haben Sie Angst, dass sie verhungern, wenn Sie ihren Bruder zu sehr geärgert haben?“, ging sie nur zu gern auf diese Geplänkel ein. „So in etwa. Ich bin nicht unbedingt der geduldigste Mensch und wenn ich ihn gerade verärgert habe ...“ „Dann lassen Sie uns mal sehen, was ich für Sie tun kann“, lenkte der Assistenzarzt ein und begann die Verbände zu entfernen. Eine halbe Stunde später saß Dean mit wesentlich dünneren Verbänden und der Aufforderung, die Hände so viel wie möglich zu strecken, im Bett. „So ist es schon viel besser“, freute er sich. „Du weißt aber schon, dass ich dir jederzeit helfen würde?“ „Ich weiß, Sammy. Trotzdem ist es schön wenigstens einige Handgriffe selbst tun zu können.“ Fünf Tage hielten es die Brüder noch in ihrem Krankenzimmer aus, was wohl Sams gebrochenen Rippen und der Tatsache geschuldet war, dass der Arzt die Befürchtung geäußert hatte, dass die bei einer unbedachten Bewegung in die Lunge eindringen könnten, bevor sie um ihre Entlassung baten und sich auch durch gutes Zureden nicht mehr davon abbringen ließen. Sie hatten ausgeschlafen und Dean, dank der nicht besonders guten Krankenhausküche auch schon fast wieder zu wenig Gewicht. Er wollte endlich einen richtigen Burger und jede Menge Kaffee, ohne jemanden bitten zu müssen, es ihm mitzubringen. Sie brauchten Bewegung und Beschäftigung. So lange untätig auf einer Stelle zu hocken waren sie Beide einfach nicht gewohnt. Und auch wenn Nick wie versprochen ihre Kleidung und die Laptops und sogar ein paar Zeitschriften vorbeigebracht hatte, sie langweilten sich. „Lassen sie es ruhig angehen“, ermahnte der Assistenzarzt die Brüder noch einmal, bevor er sie endgültig aus seiner Obhut entließ. Beide nickten nur. Sie nahmen ihre Taschen und verließen das Krankenhaus. Vor der Tür atmete Dean tief durch. „Irgendwie fühlt sich das nach Freiheit an“, sinnierte er. „Du bist ein Blödmann!“, grinste Sam, musste aber auch zugeben, dass er ein ähnliches Gefühl hatte. „Hey“, empfing Nick die Beiden am Impala. „Da vorne ist ein Diner. Ihr seht aus, als könntet ihr ein vernünftiges Frühstück vertragen.“ „Ich verhungere fast!“, stöhnte Dean auch sofort. Sam grinste wieder nur. Er freute sich, dass es Dinge gab, die sich einfach nie ändern würden. „Ich könnte auch noch was vertragen. Die haben uns ziemlich auf Diät gehalten!“ „Ihr hättet was sagen können!“ „Wir leben noch und wir können dir nicht ständig auf der Tasche liegen. Du hast schon mehr als genug für uns getan!“, wehrte Sam ab. „Außerdem ging es ja mit der Qualität, seit wir diesen Pfleger los waren.“ „Dann los“, sagte Nick und schaute etwas verwirrt zu Dean, der den Wagen stehen gelassen hatte und schon ein ganzes Stück in Richtung Diner gegangen war. Fragend schaute er zu Sam. „Hyperaktive Menschen sollte man nicht tagelang einsperren“, grinste der und beeilte sich, seinem Bruder zu folgen. Im Stillen freute er sich über diese Bewegung. Auch für ihn war diese erzwungene Ruhe immer schwerer zu ertragen gewesen. Während des Essens sprachen sie über Alltäglichkeiten. Mr. Perez hatte sich ganz gut erholt. Er wollte weiter in dem Gebäude arbeiten und in Rente gehen, wenn der letzte Mieter ausgezogen wäre, was wohl nach den jüngsten Enthüllungen nicht mehr lange dauern konnte. Die Polizei hatte das Elms Place noch einmal durchsucht und in der 52. Etage einen weiteren Toten gefunden. Auch ihm fehlte das Herz und auch er hatte diese Marker auf einigen Organen. Allerdings ließ sich nicht mehr genau feststellen, wann er ermordet worden war. Die Tiefgaragen würden erst während des Abrissen komplett leergepumpt werden. Ob sich Deans Befürchtungen bestätigten blieb also offen. Immerhin hatten die das Monster, einen Gott, vernichtet. Es würde keine Opfer mehr geben. Das musste ihnen als Dank reichen. Die Polizei hatte nichts gefunden, das auf einen anderen Täter hinwies und sich mit Foster als Täter zufrieden geben müssen, auch wenn es sie natürlich wurmte, dass ein Typ vom FBI diesen Fall quasi im Vorbeigehen gelöst hatte. Die Brüder waren ebenfalls von den Polizisten befragt worden. Ihre Aussagen stimmten mit denen überein, die sie dem FBI gegeben hatten genauso wie mit den Spuren am Tatort. Es gab also nichts mehr, das sie hier halten konnte. „Was wollt ihr jetzt machen?“ fragte Nick, nachdem die Kellnerin das Geschirr wieder abgeräumt hatte und nun nur noch die Kaffeetassen vor ihnen standen. „Setzt ihr euren Urlaub fort?“ „Nein. Das heißt irgendwie ja schon. Aber Nein, der Grand Canyon ist erstmal gestorben. Mit meinen angeschlagenen Rippen brauchen wir da nicht rumklettern und El Paso läuft uns auch nicht weg. Wir fahren zu unserem Onkel und kurieren uns da richtig aus“, erklärte Sam ihre Pläne, auch wenn es ihn schon schmerzte, dass sie wieder keinen richtigen Urlaub machen konnten. Immerhin hatte er noch nichts bezahlt, denn die Rechnungen wäre erst beim Bezug der Zimmer fällig gewesen. „Dort können wir dann auch in Ruhe überlegen, was wir als nächstes machen wollen“, fügte Dean noch hinzu. „Und wo wird es dich demnächst hin verschlagen?“ „Erstmal in die Zentrale. Meine Partnerin ist wieder da. Und dann werden wir sehen.“ Er trank seine Tasse aus. „Ich danke euch für die Hilfe. Ohne euch hätte ich das nie geschafft, aber ganz ehrlich? So etwas muss ich nie wieder erleben. Es ist gut, dass es Menschen wie euch gibt, aber ich will das nicht tun müssen“, sagte der Agent und erhob sich. „Wir haben dich gewarnt“, antwortete Dean. „Ich weiß. Ich wollte dabei sein und es war eine gute Erfahrung. Trotzdem muss ich die nie wiederholen wollen.“ Nick grinste schief. „Passt auf euch auf“, verabschiedete er sich und verließ das Diner. „Wir sollten auch aufbrechen“, sagte Dean und trank seine Tasse aus. Sam nickte und beeilte sich, ihm zu folgen. Kapitel 125: Auf dem Weg zu Bobby --------------------------------- @ Vanilein - Wie es Bobby geht? Das behalte ich noch eine Zeit für mich. Aber immerhin - sie sind auch dem Weg. Was auch immer das heißen mag. *muah muah muah* LG Kalea 125) Auf dem Weg zu Bobby „Wie weit willst du heute?“, wollte Sam wissen, als Dean den Wagen in den fließenden Verkehr einfädelte. „Mal sehen, wie lange deine Rippen mitspielen. Wir haben jede Menge Zeit bis Weihnachten.“ Der Jüngere streckte sich so gut es ging und schaute aus dem Fenster. Er war gespannt, wie es bei Bobby weitergehen würde. Dean wollte eine Weile an den alten Karren schrauben und er selbst? Wollte er noch Anwalt werden? Das war, so lange er zurückdenken konnte, sein Traum gewesen. Wollte er den aufgeben? Wofür? Hatte er einen neuen Traum? Er hatte ein paar Ideen, doch mit denen konnte er kein Geld verdienen. Außerdem reizte ihn die Herausforderung. Jura war nicht leicht und es gab jede Menge junger Leute, die ihm auf dem Arbeitsmarkt wohl ein paar Schritte voraus waren. Dafür hatte er allerdings wesentlich mehr Lebenserfahrung. Oh man, wie das klang. Er war doch kein alter Opa! Aber er hatte Spaß am Lernen und wenn sich in nächster Zeit nicht noch was Interessanteres auftun würde, dann wollte er sich an der Uni in Sioux Falls einschreiben und einige Vorbereitungskurse machen und wenn Dean sich entschieden hatte, was er mit seinem Leben anfangen wollte, dann konnte er sich in ihrem zukünftigen Wohnort oder in der Nähe einen festen Studienplatz suchen, oder er schrieb sich komplett in Sioux Falls ein, wenn Dean bleiben wollte. In Pauls Valley fuhr Dean an die Tankstelle. Sein Baby brauchte eine Tankfüllung und Sam dringend eine Pause. Auch wenn er es mit Worten nicht so gesagt hatte. So unruhig wie der auf den letzten Kilometern auf dem Beifahrersitz hin und her gerutscht war, hätte er schon in einem anderen Wagen sitzen müssen, um es nicht zu bemerken. „Sollen wir uns gleich ein Zimmer suchen?“, fragte er eher rhetorisch. Auch wenn er durchaus noch in der Lage wäre weiterzufahren, hier Pause zu machen würde auch ihm gut tun. Augenblicklich strahlte Sam wie ein Bühnenscheinwerfer und nickte. „Das wäre super. Meine Rippen sind für so lange Strecken wohl noch nicht wieder fit genug.“ „Dann suchst du ein Motel und ich bezahle. Willst du was essen oder lieber nachher irgendwo in ein Diner gehen?“ „Das Diner nachher wäre mir lieber. Ich möchte mich jetzt einfach nur hinlegen.“ „Okay, ein Bett. Kommt sofort.“ „Idiot!“ „Mistkerl!“ Dean kam mit ein paar Schokoriegeln und einem Salat, den er Sam reichte, aus der Tankstelle zurück. „Ich dachte wir wollten nachher essen gehen?“, fragte der Jüngere verwirrt. „So kannst du in Ruhe ausschlafen, ohne vor Hunger sterben zu müssen.“ „Ich hätte es auch ohne ausgehalten.“ „Ich bring dir nie wieder etwas mit!“, schmollte Dean. „Ich … es ist nett von dir, dass du so an mich gedacht hast. Ich freue mich drüber, ich meine nur, ich kann auch eine Weile ohne Essen.“ „Sag’s nur: Ich bin verfressen!“ „Nein Dean …“ Sam brach ab. Es war sinnlos. Egal was er jetzt sagen würde, er würde sich nur weiter in den Schlamassel reiten. Dabei hätte er es doch eigentlich gelernt haben müssen. Bei Essen reagierte Dean teilweise schon fast paranoid. Warum nur? Nur Sams Anweisungen durchbrachen in den nächsten Minuten das betretene Schweigen, das sich im Impala ausbreitete. Und auch im Motel wurde es nicht besser. Dean griff sich die Fernbedienung und warf sich auf sein Bett. Lustlos schaltete er durch die Kanäle. Sam ließ sich mit einem erleichterten Seufzen auf die Matratze fallen. Für eine Weile genoss er es, sich einfach nur ausstrecken zu können. Die Schmerzen in seinen Rippen wurden langsam weniger. Er drehte sich zu seinem Bruder. „Verrätst du mir, wann du so sehr hungern musstest, dass sich das dermaßen bei dir eingebrannt hat?“, wollte er leise wissen. „Die Fee?“ Das konnte er leicht zugeben, denn davon hatte er Sam erzählt. Dean schnaubte. Vollkommen verrückt! Es waren nur Stunden und doch konnte er die nagende Leere in seinem Magen noch fühlen. „Davon hast du erzählt. Aber du reagierst nicht erst seit ein paar Wochen so. Bitte Dean. Ich will es doch nur verstehen können.“ Der ältere Winchester atmete tief durch. Sollte er es wirklich erzählen? Das brachte doch nichts. Aber Sam würde wohl auch keine Ruhe geben. „Es war nach der Strigha. Ich war neun oder zehn. John war noch immer sauer und vielleicht auch deshalb das erste Mal wesentlich länger weg als er gesagt hatte. Das Geld war schon lange aufgebraucht und ich wusste nicht wie es weiter gehen sollte. Für dich war noch Toast und Erdnussbutter da, aber für mich? Ich konnte dich doch nicht hungern lassen. Da war ein Supermarkt in der Nähe. Ich bin jeden Abend losgezogen und hab immer nur so viel genommen, dass du genug zu essen hattest. Ich hab von zwei oder drei Scheiben Toast gelebt. Als John wiederkam … Ich hatte so einen Hunger. Ich hatte doch vorher noch nie gestohlen! John ist mit uns essen gegangen, an dem Abend. Danach kam er eine Weile pünktlich, doch das war schnell wieder vorbei.“ „Du hast dich an dem Abend total überfressen!“, entfuhr es Sam. Bei Deans Erzählung hatte er dieses Bild wieder deutlich vor Augen gehabt. „Und ich hab mich die ganze Zeit beklagt, dass es immer das Gleiche zu Essen gab.“ „Du warst ziemlich nörgelig gewesen“, stellte der Ältere ruhig fest. „Es tut mir leid, Dean.“ „Ich hab dir nie einen Vorwurf gemacht. Du wusstest es nicht besser.“ „Trotzdem. Ich glaube, ich war als Kind ziemlich unausstehlich. Es tut mir leid, Dean.“ „Ist okay, Sammy!“ Was sollte er auch anderes sagen? Sam war ein Kind und er wollte ihn damals nicht mit seinen Problemen belasten. Damals nicht und heute eigentlich auch nicht. Sam war und blieb sein kleiner Bruder und kleine Brüder mussten beschützt werden. „Danke, Dean“, sagte Sam leise und ließ sich nun endlich in Morpheus’ Arme fallen. Als er erwachte, schlief Dean noch. Draußen wurde es langsam dunkel und er hatte noch keine Lust aufzustehen. Außerdem wollte er seinen Bruder nicht wecken. Sie hatten es nicht eilig und die leeren Schokoriegelverpackungen zeugten davon, dass sein Bruder wohl nicht gleich eines Hungertodes sterben würde Er holte sich seinen Laptop und wollte ein wenig im Netz surfen. Aber zuerst würde er nach einem Diner suchen, dass hoffentlich in der Nähe zu finden war. Nach den bewegungsarmen Tagen im Krankenhaus wollte er endlich wieder ein Stück laufen und vielleicht konnte er Dean ja zu einem weiteren Spaziergang überreden. Er öffnete die Seite des Ortes. Das Erste, das er sah, war das Foto eines hübschen, brünetten Mädchens und darunter die Bitte, dass jeder der Katie Welch vor ihrem Verschwinden in der Halloweennacht gesehen hatte, sich doch bitte bei der Polizei melden sollte. Neugierig geworden suchte Sam nach Informationen. Er fand heraus, dass sie in dieser Nacht brutal ermordet worden war. Ihr Brustkorb war regelrecht zerfetzt worden. Die Gerichtsmedizin fand keine Abwehrspuren, also musste der Mörder schnell zugeschlagen haben. Für einen Augenblick war Sam versucht, nach weiteren Indizien zu suchen. War Vollmond gewesen? Er setzte sich etwas gerader und zuckte zusammen. Seine Rippen quittierten diese unbedachte Bewegung mit einem kurzen Stechen. Nein! Er würde nicht weiter suchen. Sie waren bei ihrem letzten Fall gerade mal mit dem Leben davongekommen. Er wollte das Schicksal nicht schon wieder herausfordern. Vielleicht würde er Dean nachher erzählen, dass hier ein Mädchen brutal ermordet worden war, aber er würde nichts sagen oder tun, damit sie es als Fall ansehen konnten. Außerdem war der Mord fast einen Monat her! Sein schlechtes Gewissen meldete sich, und das gleich doppelt. Auf der einen Seite waren sie Jäger und von daher schon fast verpflichtet den Menschen hier zu helfen. Auf der anderen Seite hatten sie ihr ganzes Leben mit solchen Monstern zu tun und wollten genau die endlich hinter sich lassen. Eine Weile grübelte er. Würde er, wenn er ein normaler Bürger dieses Landes war, auch fragen was sie umgebracht hatte? Wollte er einen neuen Fall? Er wusste es nicht. Er würde nachher mit Dean darüber reden, aber er würde nichts sagen, was sie zu weiteren Nachforschungen treiben würde. Sie wollten aussteigen und so würden sie das wohl nie schaffen. Außerdem waren sie noch mehr als angeschlagen. Vielleicht konnten sie ja einen anderen Jäger darauf ansetzen? Bei Ellen gab es immer Jäger, die nach einem Job suchten. Energisch schloss er die Seite und suchte auf einem anderen Weg nach einem Diner. Eine Stunde später rührte sich auch Dean. Er streckte sich, gähnte und schob die Decke zur Seite. „Jetzt könnte ich was Essbares vertragen“, erklärte er heiser und wie aufs Stichwort knurrte sein Magen. „Kann ich dich trotzdem zu einem Spaziergang überreden? Das Diner ist keine drei Blocks entfernt und ich könnte Bewegung brauchen.“ „Aber nur weil heute Samstag ist“, erklärte er und stand auf. „Was …“ begann Sam und verschluckte den Rest, als er Deans Grinsen sah. Sein Bruder wollte ihm wohl einfach einen Gefallen tun und das nicht direkt zugeben. „Idiot!“ „Mistkerl!“ Der Ältere fuhr sich kurz durch die Haare und griff nach seiner Jacke. „Von mir aus können wir!“ Sofort rutschte auch Sam von seinem Bett. Gemeinsam verließen sie das Zimmer und machten sich auf den Weg. Nur kurz fiel Deans Blick auf die geschundene Seite seines Babys. Fast sofort bildete sich ein dicker Klos in seinem Hals. Allein der Gedanke daran, dass sie auf dem Weg zu Bobby waren, konnte seine Schuldgefühle etwas dämpfen. So lange hatte sie noch nie so schlimm ausgesehen! Unruhig huschte sein Blick über die Straße und die Häuser. Er suchte regelrecht nach einer Ablenkung. An einem Laternenpfahl hing ein vom Wind zerfleddertes Suchplakat. Katie Welch stand in großen Buchstaben darauf. Dean schaute im Vorbeigehen etwas genauer hin. „Sie wurde ermordet“, sagte Sam. Innerlich stöhnte er auf. Dieser Fall schien sich ihnen aufdrängen zu wollen. „Woher weißt du …?“ „Auf der Internetseite des Ortes steht ein großer Aufruf, dass sich jeder melden soll, der sie in der Halloweennacht gesehen hat. Sie wurde furchtbar zugerichtet. Ihre Leiche lag etwa eine Stunde von hier entfernt in einem Gebüsch und der Mörder hat sich nicht mal die Mühe gemacht, sie wirklich zu verstecken.“ „Ist das was für uns?“, fragte Dean leise. „Willst du das wirklich wissen?“ „Gute Frage.“ Er atmete tief durch. „Einerseits ja. Wenn es ein Werwolf oder so wäre … wir sind Jäger. Andererseits? Wir wollten in den Jägerruhestand gehen. Außerdem sind wir immer noch ziemlich angeschlagen.“ Dean blickte zum Himmel und grübelte eine Weile schweigend. „Es ist fast einen Monat her. Behalte es im Auge. Falls es ein Werwolf ist, können wir immer noch reagieren oder besser noch, einen anderen Jäger hierher schicken.“ Sam nickte. Mit dieser Variante konnte er sehr gut leben. Für das Mädchen konnten sie nichts mehr tun und egal ob sie hier blieben oder nicht, es musste erst noch etwas passieren, sonst würden sie die Nadel im Heuhaufen suchen. Schon beim Essen kamen sie überein weiterzufahren und als sich Sam, kaum dass sie wieder in ihrem Zimmer waren, leise ächzend auf sein Bett fallen ließ, war Dean sich sicherer denn je, dass sie in diesem Fall nicht weiter ermitteln würden. So angeschlagen waren sie leichte Beute für ihre Gegner. Mit diesem Gedanken und Sams leisen Atemzügen im Hintergrund schlief er ein und da sie es nicht eilig hatten auch, bis weit in den Morgen hinein, durch. Kapitel 126: Ein seltsamer Werwolf ---------------------------------- @ Vanilein - Immerhin haben sie die gute Absicht ... aber der kleine Teufel kichert LG Kalea 126) Ein seltsamer Werwolf Nach einem recht verspäteten Frühstück fuhren sie am nächsten Tag weiter. Schon vor Oklahoma City begann Sam so unauffällig wie möglich nach einer halbwegs bequemen Sitzhaltung zu suchen. Die Schmerzmittel, die er vom Krankenhaus mitbekommen hatte waren aufgebraucht und er hatte heute Morgen in der freudigen Annahme sie nicht mehr zu brauchen, auch keine Tablette aus ihrem Bestand genommen. Jetzt bereute er es. Immer wieder rutsche er auf seinem Sitz hin und her. In Blackwell gab Dean auf. Er hatte darauf warten wollen, dass Sam etwas sagte. Schließlich war der es, der ihm immer wieder vorwarf nicht auf die Signale seines Körpers zu achten. Doch wenn es um ihm selbst ging, war sein Bruder ihm wohl mehr als ähnlich. „Wir bleiben heute hier!“, verkündete er und fuhr beim nächsten Motel raus. „Ich hätte doch nur eine Tablette nehmen müssen“, versuchte Sam sich leise zu erklären. „Hättest du, hast du aber nicht!“ „Ich dachte, es geht auch so.“ „Aha. Und wenn ich denke dass es geht, werde ich von dir angefahren!“ „Dean … ich …“ „Schon gut, Sammy. Ich wollte dir nur mal zeigen wie sehr das auf der einen Seite nervt und wie wenig man auf der anderen Seite nerven will.“ Sam holte tief Luft. Sein Bruder hatte ja Recht. Trotzdem fühlte er sich mies. „Wir nehmen uns jetzt ein Zimmer und du legst dich hin!“, bestimmte der Ältere. Vorsichtig versuchte er seine Hände zu strecken. Das Lenkrad die ganze Zeit zu halten war auch nicht gerade sehr förderlich für die Heilung. Vielleicht war ein weiterer Tag Ruhe ja doch ganz gut, obwohl er schon gerne weiterfahren würde. Bei Bobby konnten sie sich dann richtig ausruhen. Aber wenn Sam morgen wieder Medikamente nahm, konnten sie bestimmt ein paar Meilen mehr zurücklegen. „Und du?“ „Ich besorge uns was Essbares und tanke. Dann können wir morgen gleich weiter.“ Sam nickte. Er nahm seinen Rucksack aus dem Kofferraum, hütete sich aber, ihn auf den Rücken zu werfen, denn selbst diese Bewegung machte sich schon durch ein Ziehen in seinen Rippen bemerkbar. Dean griff sich seine Tasche und ging zur Rezeption. Mit einem Zimmerschlüssel kam er zurück und Sam schloss sich ihm an, als er zum Zimmer ging. Er warf seine Tasche auf das Bett und machte sich gleich wieder auf den Weg. „Irgendwelche Wünsche?“, fragte er in der Tür stehend. „Nein. Bring mit, was du denkst.“ „Na die Freigabe würde ich mir aber gut überlegen“, grinste Dean und verschwand. Grübelnd blickte Sam seinem Bruder hinterher. Was hatte er denn gesagt? Er schüttelte den Kopf und holte eine Tablette aus ihrem Medizinvorrat. Mit etwas Wasser spülte er sie herunter und legte sich dann aufs Bett. Schon bald setzte die müde machende Wirkung der Tablette ein und er ließ sich in Morpheus Arme fallen. Auf dem Weg zur nächsten Tankstelle sah Dean einen Chinesen und beschloss dort Essen zu holen. Chinesisch hatten sie schon lange nicht mehr. Eine Stunde später kam der ältere Winchester mit einem dieser Wegwerftablett, voll beladen, wieder in ihr Zimmer. Er sah Sam friedlich schlafen und beschloss, ihn nicht zu wecken. Der Hunger würde das irgendwann schon machen. Oder auch nicht. Sam hatte es nicht so mit Essen, was er überhaupt nicht verstehen konnte. Essen war doch, gleich nach Sex, die schönste Sache der Welt! Außerdem war Sam größer als er und müsste somit ja auch mehr Kalorien verbrennen, oder? Er ließ sich an dem kleinen Tisch nieder und widmete sich seiner Portion. Nachdem auch das extragroße Stück Kuchen, dass er sich aus der Tankstelle mitgebracht hatte, in seinem Magen verschwunden war, ließ sich Dean gegen die Lehne den Stuhles sinken und rieb sich genüsslich den Bauch. Er war satt und zufrieden und überlegte, was er jetzt tun wollte. Zum Schlafen hatte er noch keine Lust. Er war zwar müde, fühlte sich aber trotzdem noch ausgeruht und befürchtete, dass er sonst heute Nacht nicht zur Ruhe kommen würde. Im Normalfall würde er dann fernsehen, aber er wollte Sam nicht stören, denn der brauchte die Ruhe dringend. Er stand auf, holte sich seinen Laptop und ließ sich, nachdem er seine Tasche vom Bett geräumt hatte, darauf nieder und fuhr den Rechner hoch. Eine Weile surfte er im Netz, klickte hier und da und landete irgendwie auf der Seite des Ortes. Das Foto einer jungen Frau zog ihn magisch an. Unbehagen machte sich in seinem Magen breit. Es roch förmlich nach Übernatürlichem. Widerwillen und Neugier stritten in ihm um die Vorherrschaft und die Neugier siegte und er klickte auf den Link unter dem Foto. Wieder war eine junge Frau ermordet und ihre Leiche, fast bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt in einem nahen Waldstück gefunden worden. Der Mord war fast einen Monat her. Am 3. November und wie Dean schnell festgestellt hatte war da Vollmond! Rein optisch hatte Mary Derricks nichts mit Katie Welch gemein und die Tatsache, dass sie bei Vollmond ermordet wurde ließ eigentlich nur den Schluss zu, dass es ein Werwolf sein musste. Aber ein Werwolf der von Ort zu Ort zog? Oder hatte er ein festes Revier in dem er jagte? Stöhnend rieb er sich mit der Hand über das Gesicht. Alle Fakten schrien nach ihnen und alles in ihm schrie danach nie etwas von diesen Morden erfahren haben zu wollen. Blicklos starrte er vor sich hin und versuchte eine Lösung für dieses Dilemma zu finden. Sam erwachte langsam. Er fühlte sich gut. Würde das auch so bleiben, wenn er aufstand? Wirklich Lust sich zu bewegen hatte er nicht. Aber er sollte aufstehen, wenn er nicht die ganze Nacht wach liegen wollte. Sam streckte sich und spannte vorsichtig seine Muskeln an. Er hörte den Fernseher im Hintergrund. Das hieß, Dean war wach. Er drehte den Kopf zum Bett seines Bruders, öffnete die Augen und erstarrte. Dean starrte blind vor sich hin! Was war passiert, während er friedlich geschlafen hatte? Brauchte sein Bruder Hilfe? „Dean?“, fragte er besorgt und setzte sich schneller auf, als es für seine Rippen gut war. Keuchend atmete er aus. Nur langsam schaffte es Dean sich aus seinen trüben Gedanken zu lösen. „Dean?“, drängelte Sam. „Was?“, wollte der Ältere heiser wissen. „Das sollte ich eher dich fragen! Was ist mit dir?“ „Nichts! Ich …“ „Dean bitte! Speise mich nicht wieder mit diesem Nichts ab!“ Dean schnaufte. „Es ist nur … Es war ein Werwolf.“ „Werwolf?“, fragte Sam verwirrt. „Katie Welch. Pauls Valley. Es war ein Werwolf. Da bin ich mir mehr als sicher.“ „Und wie kommst du darauf?“ „Es gibt hier auch eine Tote. Mary Derricks. Anderer Typ Frau, gleiche Vorgehensweise. Also wohl kein wahnsinniger Serienvergewaltiger.“ „Wohl nicht. Da stimme ich dir zu. Aber wieso hier? Wieso nicht Oklahoma City? Wieso nicht Pauls Valley? Wir sind doch ziemlich weit weg von da!“ „In Oklahoma City gab es ebenfalls eine tote Frau, die in das Schema passen könnte. Sie starb am 3. November. Und wieso hier? Er wandert?“ „Moment! Katie am 1. November in Pauls Valley, Mary am 2.November hier und …“ „Diane Jones“ „… und Diane Jones am 3.November im Oklahoma. Das heißt er pendelt.“ „Ja?“ „Hast du weitere Opfer gefunden?“ „Ich hab nicht weiter gesucht. Ich …“ „Und jetzt fühlst du dich schuldig“, stellte der Jüngere leise fest. „Ich …“ Dean brach ab. Egal wie er sich entscheiden würde, er würde sich schuldig fühlen. „Ja“, sagte er leise. Sam nickte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen wie schwer Dean diese Morde auf der Seele lasteten, also versuchte er die Sache rational anzugehen, was ihm auch nicht gerade leicht fiel. „Okay. Wir haben einen Werwolf der von Pauls Valley bis hierher gefahren ist um ein zweites Opfer zu finden und der dann in Oklahoma City zugeschlagen hat. Ich kann recherchieren, ob er schon einmal hier zugeschlagen hat, was die Suche nach ihm ein wenig eingrenzen würde. Aber er kann genauso gut einfach nur hierher gekommen sein. Er scheint clever zu sein. Vielleicht sucht er sich bei jedem Vollmond eine andere Stadt aus? Mit dem Flugzeug kann er sehr schnell überall sein. Wenn er nicht zufällig einmal gestellt wird, könnte er so sein Leben lang seine Gier befriedigen, ohne je wirklich aufzufallen. Und Nick darf einem weiteren Phantom nachjagen.“ „Wir wollten aussteigen“, begann Dean leise. „Und das werden wir auch! Dean! Bevor hier nicht ein weiterer Mord passiert, können wir absolut nichts tun. In drei Tagen ist Vollmond. Bis dahin müssen wir warten. So schlimm das auch ist. Außerdem möchte ich nicht, dass du dich, so angeschlagen, mit einem Werwolf anlegst. Bei unserem derzeitigen Glück hat der uns zerlegt, bevor wir ihn auch nur bemerken.“ „So schlecht sind wir nie gewesen“, protestierte der Ältere. „Nein. Allerdings kannst du noch nicht wieder richtig zugreifen und ich schaffe es keine drei Stunden im Auto zu sitzen. Meinst du, wie sind fit für einen Werwolf?“ „Die Stimme der Vernunft?“, fragte Dean. In seinen Augen glomm ein kleiner Funken Hoffnung gepaart mit jeder Menge Zweifel. „Einer muss ja vernünftig sein.“ Sam grinste schief. Ihm gefiel das Ganze so auch nicht, aber er wollte sie nicht noch einmal im Krankenhaus liegen sehen, oder Schlimmeres. „Ich rufe Bobby an, okay?“ Dean nickte nur. Er schloss seinen Laptop, schob ihn aufs Bett und stand auf. Er brauchte jetzt dringend etwas um sich zu beruhigen oder besser noch zu betäuben. Er ging zur Minibar und schaute hinein. Es gab fast ausschließlich süßes Zeug. Soweit war er dann doch noch nicht. In der Zwischenzeit hatte Sam sein Handy hervorgeholt und die Nummer ihres alten Freundes gewählt. Es klingelte nur kurz bevor sich Bobby meldete. „Hey“, grüßte Sam heiser. „Wir haben hier ein Problem.“ „Irgendwie habt ihr immer Probleme wenn ihr anruft.“ „Bobby wir …“ „Schon gut Sam, wäre nur schön auch mal von euch zu hören, wenn alles gut ist!“ „Ich werde es beherzigen. Jetzt allerdings könnten wir deine Hilfe brauchen, oder die Hilfe eines Jägers.“ „Ihr braucht Hilfe von einem Jäger?“, fragte der Ältere ungläubig. „Naja. Dean kann nicht richtig zufassen und ich habe gebrochene Rippen“, versuchte Sam zu erklären. „Das hat euch doch noch nie abgehalten!“ „Mach es mir doch nicht noch schwerer als es schon ist!“ Sam fuhr sich genervt durch die Haare. „War es jemals leicht?“, grummelte der alte Jäger. Er liebte seine Jungs fast mehr als er eigene Kinder hätte lieben können. Im Moment war er aber lieber für sich alleine. Dabei wusste er, dass sie auf dem Weg zu ihm waren! Er schloss kurz die Augen, atmete durch und schob seine Probleme beiseite. Seine Jungs wollten Aussteigen und das war mehr als er je zu hoffen gewagt hatte. Diese Chance würde er ihnen nicht nehmen, egal wie beschissen er sich gerade fühlte. „Also was gibt es“, fragte er ruhig. „Wir haben hier einen Werwolf. Das heißt wir vermuten, dass es einer ist. Er scheint bei Vollmond zu reisen. Im letzten Monat war er um Oklahoma City aktiv. Hast du schon mal von so einem gehört? Ist dir sowas schon mal untergekommen? Ich will nachher noch überprüfen, ob er im Oktober auch schon hier war“, erklärte Sam. „Ihr wollt also wissen, ob es wandernde Werwölfe gibt und ich soll einen Jäger zu euch schicken?“ „Den Jäger vielleicht noch nicht. Wie gesagt, ich habe noch nicht überprüft, ob er letzten Monat hier war“, sagte Sam. „War er nicht“, warf Dean ein. Er hatte sich mit einem Bier wieder auf sein Bett gesetzt und den Laptop erneut auf seinen Knien. „Ich hab es schon überprüft.“ „Dean sagt gerade, dass …“ „Ich habe es gehört, Junge“, unterbrach ihn Bobby. „Ich werde ein wenig rumtelefonieren und recherchieren. Was macht ihr?“ „Wir können hier nicht viel tun. Wir kommen zu dir.“ „Gut. Wir sehen uns dann“, erwiderte der alte Brummbär und legte auf. Dann sollte er sich wohl zusammenreißen und hier etwas aufräumen. Seine Jungs kamen und sie sollten ihn und das Haus nicht in diesem desolaten Zustand vorfinden. Er hatte Jody lange genug nachgetrauert! Kapitel 127: Wo ist dieser Werwolf? ----------------------------------- @ Vanilein - was ich Bobby angetan habe? Nix! Der Arme hat Liebeskummer. Da kann man nix tun. Würde ihn ja knuddeln, aber er lässt mich nicht ... ;-)) Schönes Wochenende! LG Kalea 127) Wo ist dieser Werwolf? Auch Sam legte auf. Er drehte sich zu seinem Bruder um. „Hast du auch eins für mich?“, wollte er wissen und deutete auf das Bier. Dean zeigte auf Sams Nachttisch. Über das Gesicht des Jüngeren huschte ein Lächeln. Natürlich dachte sein Bruder auch an ihn! „Er war also letzten Monat nicht hier“, stellte er ruhig fest. „Schon eine Idee wo er gewesen sein könnte?“ Sam deutete auf den Bildschirm von Deans Laptop. „Nein. Ich suche nach Mordserien an Frauen bei Vollmond.“ „Und?“ „Noch nichts Handfestes.“ Sam nickte. „Bobby will auch suchen.“ „Gut“, schnaufte Dean. Das der alte Freund ebenfalls recherchieren wollte, beruhigte ihn mehr als er zugeben würde. „Mehr als das Internet quälen können wir auch nicht“, versuchte Sam ihm ebenfalls die Zweifel zu nehmen, dass es richtig war, dass sie hier nicht aktiv wurden. So ganz würde Dean sich damit nicht arrangieren können, genauso wie er, aber da der Werwolf keinen festen Standort zu haben schien, war es für ihn leichter ihr Nichtstun in diesem Fall zu akzeptieren. „Nein. Trotzdem ist es … Ich weiß nicht. Es fühlt sich falsch an, egal was wir tun“, erklärte Dean niedergeschlagen. „Du meinst, dass du dich schlecht fühlst wenn wir dem Fall nicht nachgehen weil dann Menschen sterben und auch wenn wir den Fall annehmen, weil wir aussteigen wollten?“, fragte Sam. „Genau so.“ „Ich fühle mich auch nicht besonders bei dem Gedanken. Trotzdem können wir nichts tun.“ „Ich weiß. Leichter macht es das Wissen aber auch nicht.“ „Dann versuche dir mal vorzustellen, dass wir jetzt am Grand Canyon wären.“ „Sind wir aber nicht!“ „Nein! Aber wenn wir noch im Krankenhaus geblieben wären, oder wenn ich länger hätte sitzen können, wären wir längst bei Bobby und hätten die Plakate nie gesehen.“ „Das hab ich mir alles schon selbst versucht einzureden. Es hilft aber nicht!“, erklärte Dean frustriert. „Ich weiß selbst dass ich es war, der aussteigen wollte. Ich weiß auch, dass wir, wenn wir irgendwann doch einmal Zivilisten sein sollten, auf solche Informationen nicht viel anderes reagieren können als jetzt. Immerhin werden wir wohl keinen Job finden, in dem wir ständig verschwinden können, wie wir es müssten, wenn wir dann noch weiter jagen würden. Es ist nur, dass wir im Moment nichts richtig sind. Keine Zivilisten und Jäger.“ „Du glaubst nicht, dass wir den Absprung schaffen“, stellte Sam traurig fest. „Sieht es denn danach aus? Wir stolpern von einem Fall in den nächsten und wenn uns keiner vor die Füße fällt, dann schleppt ein Andere einen an.“ Dean fuhr sich genervt durch die Haare. „Es ist nur …“ Er brach ab. Es hatte doch keinen Sinn über seine Frustration zu reden. „Was Dean?“ Der Ältere schüttelte den Kopf und starrte auf seine Hände. „Du wünscht es dir, aber …?“, versuchte Sam weiter eine Antwort zu bekommen. „Aber?“, knurrte Dean. „Aber ich habe selten bis nie das bekommen, was ich mir gewünscht habe?“ Sam senkte den Blick. Genau diese Antwort hatte er erwartet und befürchtet. „Ich …“, begann er hilflos. „Lass gut sein, Sammy. Es bringt nichts und am Ende streiten wir uns nur wieder wegen Nichtigkeiten. Ich will nicht mehr darüber nachdenken und am besten auch nicht über diesen Fall und unser Leben. Dazu müsste ich mich allerdings abschießen oder mit einer rassigen Brünetten ins Bett gehen. Das Eine will ich nicht wirklich und das Andere ist mangels rassiger Brünetter ausgeschlossen. Ich glaube ich zappe einfach durch die Kanäle und versuche mich so abzulenken, sobald ich mit der Suche hier fertig bin“, erklärte er resigniert. Zu gerne würde Sam ihm jetzt helfen, aber wie? Er konnte das Wissen um diesen Fall nicht löschen, er konnte sie nicht an den Grand Canyon zappen und schon gar nicht konnte er den Tod ihrer Mom ungeschehen machen, denn der war wohl der Auslöser für ihr jetziges Leben. Und ein „Es tut mir leid“ würde zwar stimmen, aber auch nichts bringen! Noch einmal nahm sich Sam fest vor alles zu tun was in seiner Macht stand, um sie endlich von der Straße zu bringen. Eigentlich mussten sie es ja nur zu Bobby schaffen, dann wäre sie in Sicherheit! Er setzte sich an den kleinen Tisch und begann ebenfalls nach Morden in Vollmondnächten zu suchen. Es wurde eine langwierige und frustrierende Suche, die zu keinem vorzeigbaren Erfolg führte. Erst weit nach Mitternacht krochen die Brüder in ihre Betten. Am nächsten Morgen wurden sie entsprechend spät wach. Träge rieb sich Dean die Augen und blickte zu seinem Bruder, der aus dem Bad kam. „Gestern noch was gefunden?“, nuschelte er. „Nein, und du?“ „Auch nicht. Bleiben wir noch hier oder ziehen wir weiter?“, wollte der Ältere wissen. „Wir waren uns doch einig, dass wir hier nichts ausrichten können. Also machen wir uns wieder auf den Weg“, erklärte Sam. „Okay, dann geh ich mich mal fertig machen.“ Dean stand auf und verschwand im Bad. „Ich besorge uns was zum Frühstück“, rief Sam ihm noch nach und verließ, kaum dass er sich angezogen hatte, ihr Zimmer. Als er zurückkam hatte Dean den Tisch freigeräumt und Kaffee gekocht. Sam musterte ihn aufmerksam. Was war mit seinem Bruder? Hatte er schlecht geschlafen? So schlecht wie er selbst? Denn eigentlich war es doch viel zu früh für ihn, um schon so wach zu sein, immerhin hatte er schon vorhin mit ihm gesprochen! „Wieso bist du eigentlich schon so wach?“, wollte er beim Essen wissen. Dean zuckte nur mit den Schultern. Er wollte nicht darüber reden. „Dir macht dieser Fall zu schaffen, genau wie mir. Wir scheinen einfach nicht anders zu können. Das Jägersein ist wohl doch nicht so einfach abzuschütteln wie ich gedacht habe.“ Dean starrte seinen Bruder eine Weile schweigend an. Sam konnte doch früher nicht schnell genug aus diesem Leben kommen. Er war es doch, der studieren wollte und auf dem College war und jetzt kam er aus diesem Leben nicht raus? Lag es damals mehr an John, als daran, dass er zumindest in Sams Augen immer Johns Partei ergriffen hatte? Hatte Sam sich so sehr geändert oder hatte er sich weiterentwickelt, war einfach erwachsen geworden, während er selbst, trotz seines Wunsches, noch immer das zu sein schien, was John aus ihm gemacht hatte? Er hatte wohl noch einen weiten Weg vor sich, bis er ein normaler Bürger werden würde. „Ich weiß, dass das komisch klingt wenn ich das sage, aber bitte glaube mir dass es mir auch schwer fällt. Seit Dad nicht mehr da ist und wir beide von einem Fall zum nächsten ziehen, ist es ganz anders. Ja, ich wollte auch immer noch ein normales Leben aber ich will dich dabei nicht auf der Straße wissen. Für mich gibt es schon lange nur wir oder keiner“, bestätigte er seine Aussage von vorhin. Dean starrte verlegen auf seine Hände. Dass Sam nur aussteigen würde, wenn er auch ging, hatte der schon mehrfach gesagt, aber er hatte es nie so wirklich glauben wollen und das obwohl sein kleiner Bruder ihm das doch schon so oft bewiesen hatte. Er schämte sich, nicht schon eher an einen Ausstieg gedacht zu haben. „Ich … Es …“ „Du musst dich nicht entschuldigen, Dean. Ich wusste dass du noch nicht so weit warst aussteigen zu wollen oder besser zu können. Du hättest es vielleicht mir zuliebe getan aber du wärst damit nicht glücklich geworden und ich wollte auf keinen Fall, dass du dich irgendwann nachts davonschleichst, nur weil du mit dem Leben nicht klar gekommen bist. Es ist deine Entscheidung. Außerdem hatte ich das Gefühl etwas gut machen zu müssen. An Dad und an dir. Vor Allem an dir. Und es hat mir auch Spaß gemacht. Es war ein gutes Gefühl Menschen beschützen zu können, Monster zur Strecke zu bringen. Und ich habe weiß Gott genug Fälle angeschleppt! Also bitte! Das Letzte was ich will ist dir ein schlechtes Gewissen einzureden. Wir sind auf dem Weg auszusteigen und das reicht mir. Und selbst wenn wir noch weiter jagen würden, ich wäre an deiner Seite, denn du bist das Wichtigste in meinem Leben. Ich habe dir so viel zu verdanken. Ohne dich würde ich wohl schon lange nicht mehr leben. So, und jetzt kannst du mich auslachen, weil ich so gefühlsduselig geworden bin!“, erklärte Sam frei heraus, doch sein Bruder schüttelte nur stumm den Kopf. Wie könnte er Sam auslachen, wo es ihm doch fast genauso ging. Aus anderen Motiven vielleicht, aber er wusste nur zu gut, dass er ohne Sam nie ausgestiegen wäre, einfach weil er dann keinen Sinn mehr in so einem Leben gesehen hätte. Und ja, bis sie auf Adam gestoßen waren, hatte er sich einen Ausstieg nicht vorstellen können und er hatte auch nie wirklich darüber nachgedacht. „Nein“, antwortete er heiser, weil er Sams Blick noch immer auf sich ruhen fühlte. Energisch drängte er jeden weiteren Gedanken an dieses Thema beiseite. „Wie weit willst du heute fahren?“, fragte er stattdessen. „Ich wollte es eigentlich ohne Tabletten probieren, aber ich denke ich werde wohl besser eine nehmen. Umso schneller sind wir bei Bobby und ich kann mich richtig ausruhen.“ Dean nickte nur stumm. Er ahnte, dass das nicht der einzige Grund dafür war, aber er wollte nicht mit schmutzigen Fingern in einer Wunde bohren, die ihn genauso schmerzen würde. In aller Ruhe lösten sie ihre Tafel auf, packten die wenigen Sachen zusammen, die sie überhaupt ausgepackt hatten und checkten aus. Angespanntes Schweigen herrschte im Impala. Beide versuchten die Gedanken an weitere Opfer zu verdrängen. Aber weder Dean noch Sam gelang es. Inzwischen waren sie in Newton und Dean kurz davor jegliche Vernunft in den Wind zu schreiben und nach Blackwell zurück zu fahren. Irgendeinen Hinweis auf den Täter musste es da geben. Wenn sie nur tief genug gruben, würden sie etwas finden! Die Ampel vor ihnen sprang auf Rot um und Dean hielt an. Am Mast der Ampel hing ein zerfleddertes Zirkusplakat. Doch das zog die Aufmerksamkeit der Brüder nicht auf sich. Im Schaufenster des Geschäftes an der Ecke hing ein weißer Zettel. Das Foto eines jungen, lachenden Mädchens war darauf abgebildet. Dunkelhaarig und mit einer Zahnspange. Vermisst - Sara Bellings stand darunter. Sam schaute zu seinem Bruder. Ein grimmiger Zug lag um Deans Mund und Sam entwich ein frustriertes Seufzen. Dieser Werwolf schien sie zu verfolgen. „Ist das sein Muster?“, fragte Sam leise und deutete auf den Hinweis, dass sie auf der US 81 waren. Dean zuckte mit den Schultern. Möglich war alles. Die Ampel sprang auf Grün. „Soll ich uns ein Zimmer suchen?“, wollte der Ältere leise wissen. „Nein. Fahr erstmal weiter. Sie wird schon seit drei Tagen vermisst.“ „Vollmond ist aber erst heute!“ „Genau. Vielleicht ist sie ja nur weggelaufen und passt so zufällig in unser Bild.“ Sam angelte sich seinen Rucksack von der Rückbank, holte den Laptop hervor und fuhr ihn hoch. Kaum zeigte sich sein Desktopbild, öffnete er das Internet und begann zu recherchieren. „Im Oktober war er nicht auf der 81 unterwegs“, teilte er seine Erkenntnisse eine halbe Stunde später mit. „Trotzdem ist das vielleicht unsere heiße Spur. Bellings wurde heute Morgen kurz hinter Wichita gefunden. Sie schien sich gewehrt zu haben.“ Sie hatten Salina erreicht und Dean entschloss sich, sein Baby zu wenden und nach Wichita zu fahren. Wenn die Kleine in der Nähe gefunden worden war, würde sie wohl da in der Pathologie liegen. Er musste einfach Gewissheit haben, ob es sich um einen Werwolf handelte. Wenn ja würden sie ihn jagen und wenn nicht, dann konnten sie beruhigt zu Bobby fahren. Diese Unwissenheit fraß ihn auf. Plötzlich fing sein Blick etwas ein. Seine Gedanken rasten und dann sah er ein Hinweisschild, dass sie zu einem Motel führen wollte. Er setzte den Blinker und bog ab. „Was?“, fragte Sam verwirrt. „Wir bleiben heute hier. Ich will Gewissheit, bevor ich wahnsinnig werde“, erklärte Dean knapp und fuhr auf den Parkplatz. Kapitel 128: Bugs ----------------- @ Vanilein - okay, ich bringe ihn nicht ins Krankenhaus - noch eine ganze Weile nicht ... Bin ich jetzt wieder lieb ??? ;-))) ich wünsche Dir und allen andere Lesern ein wundervolles Pfingstwochenende mit ganz viel Zeit für all die Dinge, die ihr tun wollt. LG Kalea 128) Bugs In Rekordzeit hatte sie eingecheckt und sich in ihrem Zimmer ausgebreitet. Dean verzog sich mit seinem Laptop auf sein Bett, während Sam sich an den Tisch setzte. Das Klappern der Tasten war lange Zeit das einzige Geräusch in dem Zimmer. Sam warf immer wieder fragende Blicke zu seinem Bruder, doch er konnte sich nicht dazu durchringen ihn anzusprechen. Zu vertieft schien der in seine Recherche. „Hah“, durchbrach Dean die Stille voller Zufriedenheit. „Was?“ Erschrocken schaute Sam auf. „Es ist nicht die US 81. Es ist der Jahrmarkt“, erklärte Dean verhalten optimistisch. „Der war in allen Orten, in denen ein Mädchen ermordet wurde.“ „Und du gehst davon aus, dass der Werwolf mit dem Jahrmarkt reist“, vollendete Sam die Gedanken seines Bruders. „Genau.“ „Also bleibt der Fall doch wieder an uns kleben“, resignierte der Jüngere und rieb sich seine Rippen. Zwar hatte er eine Schmerztablette genommen und fühlte sich in Moment auch ganz wohl, bei dem Gedanken an eine bevorstehende Jagd auf einen Werwolf wurde ihm da allerdings ganz anders. „Bist du dir sicher, dass wir den wirklich jagen sollten?“, fragte er deshalb. „Sollten, ja.“ „Aber auch wollen?“ „Ich weiß es nicht. Fit genug sind wir … ich schon, denke ich. Und du hältst dich zurück. Überlass mir das Kämpfen.“ „Du bist genauso wenig fit wie ich“, schimpfte Sam. Viel zu gut standen ihm noch die Bilder seines Bruders im Krankenhausbett vor Augen. Oder noch schlimmer, Dean kurz nachdem er ihn aus den Fängen der Wechselbälger befreit hatte. Nein! Das wollte er auf gar keinen Fall noch einmal erleben. „Ich will dich nicht wieder im Krankenhaus sehen müssen. Bitte Dean. Wir sind noch lange nicht wieder fit genug für so eine Jagd.“ „Aber wir sind vor Ort und wir können ihn unmöglich weiter morden lassen!“ Sam ließ den Kopf hängen. Dean hatte Recht. Trotzdem behagte ihm das Ganze nicht! Wenn er nur einen Ausweg finden könnte! „Kann es sein, dass du tief in dir drin gar nicht aufhören willst? Dass du diesen Adrenalinkick brauchst? Unser letzter Fall, der letzte Fall den du unbedingt machen wolltest, ist schon drei Wochen her. Wir sollten lange bei Bobby sein. Du wolltest den Impala reparieren und ihr eine rundum-Wellness-Behandlung mit extra gutem Öl spendieren!“ „Verdammt noch mal Sam, meinst du nicht, dass ich das alles nicht auch weiß? Es tut mir leid, dass ich nicht der perfekte große Bruder für dich bin. Es tut mir leid, dass das was ich will und das was ich tue oft meilenweit auseinanderliegen. Es tut mir leid, dass ich mein ganzes Leben nur dazu da war dein Leben und das unschuldiger Opfer zu schützen, dass ich nicht so einfach aus diesem Korsett rauskomme. Ich zerbreche mir die ganze Zeit den Kopf, wie wir dieses Dilemma lösen können, aber mir ist noch kein Weg eingefallen.“ Er fuhr sich frustriert durch die Haare. „Ich will keinen perfekten Bruder. Ich will einen lebenden“, erwiderte Sam leise. „Und was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun? So tun als hätten wir nichts gewusst und zusehen wie noch mehr Mädchen sterben? Ich kann das nicht!“ „Und dafür achte ich dich! Ich weiß auch, dass ich dich hier nur gefesselt und geknebelt von dem Fall wegbekommen würde und das will ich nicht. Wir haben uns geeinigt bis Weihnachten weiter zu machen, sollte uns ein Fall vor die Füße fallen. Der hier hat uns ja regelrecht angesprungen. Ich rufe jetzt Bobby an. Vielleicht hat der ja schon was oder weiß einen Jäger in der Nähe. Wenn nicht können wir uns ja mal umschauen.“ „Du meinst wir besuchen die Festwiese?“ Deans Augen leuchteten bei dem Gedanken an all die Köstlichkeiten, die es bei solchen Gelegenheiten meistens gab. „Ich denke schon“, erwiderte Sam. „Dann will ich mir vorher noch einmal deine Rippen ansehen“, verlangte der Ältere. „Was willst du …“, begann Sam zu protestieren. „Wenn wir diesen Werwolf wirklich jagen sollten, will ich dich so gut wie möglich geschützt haben und ich will eine effektive Rückendeckung!“ Er wollte nicht doch noch einem Monster zum Opfer fallen. Nicht jetzt, wo er sich mit der Möglichkeit eines richtigen Lebens gerade angefreundet hatte! „Und was ist mit deinen Händen?“, warf Sam in den Raum. Widerwillig zog er sein Hemd nach oben, um Dean den Zugang zu seinen lädierten Körperteilen zu ermöglichen. So vorsichtig wie möglich, aber doch so fest wie nötig tastete Dean die entsprechenden Rippen ab. Er wollte Sam keine unnötigen Schmerzen bereiten, sich aber ein Bild machen, in wieweit er seinen kleinen Bruder belasten konnte, oder besser durfte. Nie würde er ihn einer Gefahr aussetzen wollen, die ihm vielleicht das Leben kosten konnte. Das wollte er dann doch lieber selbst. Sam würde schon klar kommen, da war er sich sicher aber er selbst? Nein. Darüber würde er nicht nachdenken. Er konzentrierte sich vollkommen auf das, was er unter seinen Fingerspitzen fühlte und auf Sams Reaktionen. Und die waren gut! „Okay, keine Achterbahn für dich“, erklärte er und klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. „Ich glaube nicht …“ begann Sam und drehte sich zu Dean um. Er brach ab, als er das breite Grinsen sah. Leise schnaubend stopfte er sich das Shirt in die Hose. „Zeigst du mir deine Hände?“ Der Ältere seufzte leise und streckte sie ihm hin. Er hatte heute Morgen auf die Verbände verzichtet. Solange sie nur im Wagen saßen, hatte er beschlossen, die nicht zu brauchen. „Ich fände es besser, wenn du einen Verband drum machen würdest“, bat er leise. „Muss das sein?“ „Bitte, Dean. Ich will nicht, dass sich die Wunden doch noch entzünden.“ Noch einmal schnaufte Dean, hielt seinem Bruder die Hände jedoch weiterhin hin. „Dann mach“, grummelte er leise. Dean parkte den Impala neben einem alten, verbeulten Ford Pickup mit angerosteten Radläufen. Sanft ließ er seine Hand über den hinteren Kotflügel seines Babys gleiten. „So wirst du nie aussehen, solange ich lebe“, versprach er ihr leise. Sam hatte ihn trotzdem gehört und lächelte. Dean und sein Baby! Es war schön zu sehen, dass sich einige Dinge nie ändern würden. Er schaute sich um. Auf der Festwiese standen etliche Buden und ein paar Zelte. Der Geruch nach Gebratenem und Schießpulver lag in der Luft. Und obwohl es noch nicht einmal Mittag war, war schon ziemlich viel los. Dabei war heute doch Montag! Gleich hinter der Festwiese erstreckte sich ein, inzwischen schob ziemlich lichter Mischwald. „Dann mal auf ins Getümmel“, erklärte Dean und schob seine Hände in die Jackentaschen. Es gab Buden mit kandierten und mit Schokolade überzogenen Früchten. Es gab gebrannte Mandeln und Popcorn. Einige Hausfrauen des Ortes hatten Kuchen gebacken und Chili gekocht, was sie jetzt an Ständen feilboten. Es gab Schießbuden und im hinteren Bereich einen Mittelaltermarkt mit einer Schmiede, die Waffen herstellte. Gaukler zogen durch die Gassen des Marktes und eine Wahrsagerin bot ihre Dienste an. Der ältere Winchester ließ es sich nicht nehmen, sich durch die einzelnen Köstlichkeiten zu futtern. Immer wieder bot er Sam etwas an, doch der wehrte das ein um das andere Mal ab. Ihm war schon vom Zusehen übel. Wie konnte jemand nur so viel Süßkram in sich hineinstopfen? „Halt mal“, sagte Dean knapp und drückte dem Jüngeren eine Tüte mit gebrannten Nüssen in die Hand. Noch bevor Sam fragen konnte warum, steuerte Dean schon einen Schießstand an. Was wollte er denn da? „Ich bin Bud! Willst du schießen?“, fragte der Besitzer der Schießbude und musterte Dean. „Will ich“, erklärte der Winchester ruhig. „Zehn Schuss zwanzig Dollar“, bestimmte der Mann. „Und wenn ich fünf Schuss will?“ „Zwölf Dollar fünfzig“, antwortet der Schießbudenbesitzer in einem Ton, der Dean zeigte, wie wenig der Mann von ihm hielt. „Okay, dann nehme ich zehn Schuss und verschenke die, die ich nicht brauche.“ „Das gibt es nicht!“ „Ich brauch aber keine zehn“, maulte Dean. „Wenn du weniger als fünf brauchst, geb ich dir die zwanzig Dollar zurück und du bekommst was du dir aussuchst“, versuchte Bud Dean zu überreden. Gebannt starrte er auf dessen eingebundene Hände. Der konnte unmöglich weniger als fünf Schuss brauchen! „Okay?“, stimmte Dean etwas unsicher zu. Er musste dem Typen ja nicht sofort auf die Nase binden, dass er schon mit acht perfekt schießen konnte. Er kramte vier Scheine aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Tisch. Bud lud ein Gewehr und drückte es Dean in die Hand. „Hast aber schon mal geschossen, oder?“ „Klar“, strahlte der und Sam fragte sich unweigerlich wie dieser Bud so blöd sein konnte, um nicht zu merken, dass Dean ihn auf den Arm nahm. „Was soll ich treffen?“ „Dahin“, zeigte der Kerl auf ein Ziel. Der Winchester legte an, zielte sorgfältig und drückte ab. Der Schuss krachte und die Kugel schlug eine gute Handbreit neben dem anvisierten Ziel ein. Das Grinsen in Buds Gesicht wurde so breit dass Sam befürchtete, dass der obere Teil seines Kopfes abfallen könnte, sollte der nur noch etwas breiter grinsen. Indes zielte Dean noch etwas länger. Buds Ohren bekamen nun endgültig Besuch. Doch dann drückte Dean ab, lud durch und feuerte ohne viel zu zielen noch zwei Mal. Die Fähnchen flogen von ihren Halterungen und Buds Grinsen gefror. „Ups“, machte Dean mit dem unschuldigsten Lächeln zu dem er imstande war und legte die Waffe auf die Theke. Sam sah das Gesicht seines Bruders und drehte sich weg. Nicht dass er gleich losprusten musste. Mit versteinerter Miene holte Bud das Geld aus seiner Kasse und knallte es vor Dean hin. „Und mein Preis?“, fragte der harmlos. „Was willst du?“ „Den da.“ Dean zeigte auf einen Plüschhasen. „Hier! Und lass dich nie wieder hier blicken!“, knurrte Bud wütend. Er hatte wirklich angenommen, dass der Typ nicht schießen konnte. Wie konnte er sich nur so täuschen! Und wie konnte der Typ so schnell mit dem verstelltem Visier klarkommen? Der Winchester nahm seinen Hasen und ging zu Sam. „Für dich“, erklärte er und drückte ihm den Hasen an die Brust. Vollkommen verdutzt griff der zu. Dean grinste und nahm ihm die Tüte mit den Nüssen ab. „Was soll ich denn damit?“, fragte Sam und starrte das Tier an. „Irgendwie sieht der aus wie Bugs“, erklärte Dean eher kryptisch und ging zum nächsten Stand. „Der sieht überhaupt nicht aus wie Bugs Bunny! Hast du was an den Augen?“ Sam wusste so gar nicht, was er damit jetzt anfangen sollte und dann ging ihm der Wortlaut von Deans letztem Satz auf. ‚Irgendwie sieht der aus wie Bugs‘ Dean hatte nie Bugs Bunny gemeint, auch wenn Bugs genau nach diesem Hasen benannt worden war. Aber wie …? Er musste schlucken. Mit schnellen Schritten war er neben seinem Bruder, der sich gerade ein Pfefferkuchenherz mit reichlich kitschiger Verzierung kaufte. „Bugs“, japste Sam und kam sich dabei reichlich blöd vor. „Wie … Woher … Ich meine …“ „Ich hab John die halbe Nacht bekniet, dass wir nochmal zurück müssen um deinen Hasen zu holen“, erklärte Dean und zuckte mit den Schultern. Es hatte nichts gebracht. Natürlich nicht! Die Jagd war wichtiger, wie immer bei John. „Zum Schluss hat er mich angebrüllt.“ Wieder zuckte er mit den Schultern. „Du erinnerst dich noch daran?“, Sam war verblüfft. „Du hast ihm lange genug nachgetrauert.“ „Bugs“, sagte Sam und drückte den Hasen gegen seine Brust. Bevor er sich verschämt umschaute und das Plüschtier mit rotem Kopf in den Rucksack steckte. „Kein Grund gleich rot zu werden“, stichelte Dean. „Trottel“, schimpfte Sam „Miststück“, erwiderte der Ältere pflichtschuldig. Kapitel 129: Wie viel Macht hat John Winchester? ------------------------------------------------ @ Vanilein - Das Krankenhaus muss noch warten - versprochen. Wenn es um seine Familie geht, hat Dean, glaube ich, jeden Moment gespeichert. Dass Dein Pfingstfest nicht so schön war, tut mir leid. Mein Wochenende war ruhig. Sehr gut zum Ausspannen. Viel Spaß beim lesen. LG Kalea 129) Wie viel Macht hat John Winchester? Sam kaufte sich an dem Stand eine große Portion hellgrüner Zuckerwatte. Er hielt sie Dean hin, damit der sich auch bedienen konnte. Genüsslich verzehrten sie die Leckerei und gingen dabei weiter über den Markt und schauten sich um. Hinter dem Zelt der Wahrsagerin flirtete ein Mann mit einem jungen Mädchen. „Sollen wir sie mal fragen wie unsere Zukunft aussieht?“, fragte Sam grinsend. „Lieber nicht. Nachher sieht sie unsere Vergangenheit und fällt in Ohnmacht, oder so.“ „Auch wieder wahr“, stimmte Sam grinsend zu. „Ich glaube nicht, dass wir hier etwas finden werden. Oder jemanden“, sagte Sam nach einem weiteren Rundblick. „Vielleicht sollten wir heute Abend noch mal wiederkommen?“ überlegte Dean und wandte sich zum Parkplatz. Auf dem Weg dahin kamen sie an einer weiteren Schießbude vorbei. Hier sollte man jedoch mit Pfeilen auf Luftballons zielen. „Warte Mal“, sagte Sam und drückte Dean die Reste der Zuckerwatte in die Hand. Er kramte sein Geld hervor und ging zu der Bude. Der ältere Winchester schüttelte nur den Kopf. Was wollte Sam sich denn jetzt beweisen? Langsam ging er weiter und zupfte immer mal wieder an dem klebrigen Süßzeug. „Wie viele Luftballons muss ich treffen, wenn ich ein Plüschtier will?“, wollte Sam von dem Mann wissen. „Zehn“ „Okay, dann zehn Pfeile.“ „Du meinst, dass du mit jedem Wurf triffst?“ „Ich kann es versuchen, oder?“ „Aber immer doch!“ Der Mann legte zehn Pfeile auf die Theke. „Dann mal viel Glück.“ „Danke.“ Sam nahm einen Pfeil, wog ihn kurz in der Hand und warf. Der erste Luftballon sprang zur Seite, ohne zu zerplatzen. Der Winchester konzentrierte sich, zielte auf das obere Ende des Ballons, da wo er an der Wand hing. Die nächsten neun Würfe brachten neun Ballons zum Platzen. „Ich glaube ich erlasse dir den Letzten. Dann muss ich einen weniger aufblasen“, grinste der Mann. „Okay, danke!“, Sam lächelte verblüfft. Der Mann war so vollkommen anders als der an der anderen Schießbude. „Was darf’s denn sein?“ „Den Bären da oben.“ „Für deine Angebetete?“ „Nicht direkt, aber für einen lieben Menschen, ja“, antwortete Sam, nahm den Bären und verabschiedete sich freundlich. Im Gehen packte er den Bären zu seinem Hasen. Dean ließ sich gerade auf seinen Sitz fallen, als Sam ebenfalls am Wagen ankam. Fragend blickte er auf Deans, jetzt nicht mehr mit Verbänden verzierten, Hände. „Die waren vollkommen verklebt“, erklärte der und fragte sich, was Sam wohl geschossen hatte. „Schon klar“, lachte Sam. Sein Bruder hatte sich von Anfang an gegen diese Verbände gesträubt. Er hatte nur die erstbeste Möglichkeit genutzt, um sie loszuwerden. Aber jetzt war es auch egal. Hier bestand kaum die Gefahr, dass er sich die fast verheilten Wunden aufriss oder verunreinigte. Im Motel angekommen packte Sam den Teddy aus und setzte ihn auf Deans Bett, während der im Bad war. Die Tür vom Bad öffnete sich. Dean trat ins Zimmer, machte ein zwei Schritte und erstarrte mitten in der Bewegung. „Was soll das?“, fragte er verwundert auf sein Bett starrend. „Wie hieß er?“, wollte Sam, ohne auf diese Frage einzugehen, wissen. „Wer hieß wie?“, stammelte Dean ratlos. „Gut, er sieht ihm nicht wirklich ähnlich, aber du willst mir nicht erzählen, dass du …“ „Ringo“, antwortete Dean tonlos. Zuerst hieß der Bär Pooh, genau wie der aus seinem Lieblingsbuch. Bis zu dem Tag, als das Winnie-Pooh-Buch unauffindbar war und er ohne seine Gute-Nacht-Geschichte nicht einschlafen wollte. Mom musste improvisieren. Das war die Geburtsstunde von Ringo. Von diesem Abend an verschwanden die Geschichten aus dem Hundert-Morgen-Wald öfter mal. Die Geschichten von Ringo und seinen Freunden waren viel zu spannend, als das er auf die verzichten wollte. Sam hatte er diese Geschichten nie erzählt. Wie auch? Soweit reichte seine Fantasie nicht. Außerdem war sein Kopf damals mit ganz anderen, ganz realen Dingen voll. „Ringo?“ Sam war verblüfft. Er hätte mit Pooh oder Winnie gerechnet. „Nicht Winnie oder Pooh?“ Abwesend schüttelte Dean den Kopf. Seine Augen fixierten noch immer den Bären, sein Blick ging jedoch weit in die Vergangenheit und ein versonnenes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Ein Lächeln das Sam schon einmal gesehen hatte. Vor einer gefühlten Ewigkeit, damals in den Sümpfen von Maine. Aber im Gegensatz zu damals schien Dean ihm heute nicht erzählen zu wollen was ihn bewegte. Er ließ sich auf sein Bett sinken und schaute weiter zu seinem Bruder der weiterhin vollkommen verloren mitten im Raum stand und an einem Fingernagel kaute. Und mal wieder war er versucht, seinen großen Bruder in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde. Zu gerne wollte er wissen wieso gerade Ringo. Ob Dean wohl darüber reden wollte, was ihn gerade beschäftigte? Geräuschvoll holte Dean Luft und machte die letzten Schritte zu seinem Bett. Er ließ sich darauf fallen und blickte fragend zu Sam, während er das Plüschtier ganz vorsichtig etwas zur Seite rückte. „Willst du heute Abend noch mal auf den Markt?“, wollte er wissen. „Hast du denn schon wieder Hunger?“ Schade, Dean wollte nicht darüber reden. „Warum?“ Dean war noch immer von seinen Erinnerungen gefangen. „Naja, ich glaube nicht, dass dann da auch nur eine Fressbude weniger offen haben wird.“ „Bis dahin wird schon wieder was reingehen. Wie geht es deinen Rippen?“, lenkte er das Thema weiter von seinem Innenleben ab. „Es geht. Ich möchte noch keinen Marathon laufen müssen und eine Schlägerei mit einem Werwolf wäre wohl der Heilung auch nicht förderlich, aber sonst geht es. Warum fragst du?“ „Ich würde heute Abend schon gerne nochmal hin. Vielleicht sucht der sich sein Opfer ja da und wir bekommen etwas mit.“ „Du gibst so schnell keine Ruhe, oder?“ „Es sterben Menschen. Wie kann ich da Ruhe geben?“ „Auch wenn er gestern in Newton gemordet hat und überall wo er war, ein Markt gewesen ist, es heißt nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt.“ „Aber es drängt sich auf!“ „Ich will deinen Optimismus ja nur darauf vorbereiten, dass wir hier keinen Erfolg haben könnten. Gerade so ein Fall kann sich Jahre hinziehen, bis er gelöst wird.“ „Das weiß ich auch! Aber er hat sich uns so aufgedrängt. Ich will nicht mit einem offenen Fall in Rente gehen!“ „Dean, ich kann dich durchaus verstehen. Ich will nur nicht, dass du dich in dieser Geschichte verrennst. Ich meine, ich …“ „Was?“, fragte der Ältere gereizt. „Ich will nicht, dass wir weiter von einem Fall zum nächsten hetzen und ich dich doch noch an dieses Leben verliere. Ich will nicht, dass du wie Dad wirst!“, platzte er hervor. Sofort schlug er sich, erschrocken über seine eigenen Worte, die Hand vor den Mund und starrte seinen Bruder betroffen an. Wie waren sie denn hier gelandet? „Ich bin nicht John!“, erklärte der Ältere wütend und stand auf. „Nein, aber gerade erkenne ich ihn in dir. Diesen schon fast manischen Zwang einen Fall lösen zu müssen. Bitte Dean, verrenn dich nicht in diesem Fall“, flehte Sam leise. „Ich will mich nicht in diesem Fall verrennen, wie du so schön sagst. Ich will Leben schützen, ich …“ Dean brach abrupt ab. Genau so hatte John reagiert, wenn er ihn nach einer Verletzung bat noch etwas auszuruhen, sich zu schonen oder sich Zeit für Sam zu nehmen. Wurde er jetzt auch so? Hatte er Johns Mantra so verinnerlicht? Unendlich müde setzte er sich wieder auf sein Bett. Waren all seine Bemühungen diesem Leben zu entkommen sinnlos? Würde er wie John enden? Sie nahmen sich schon seit Wochen vor auszusteigen und wo waren sie jetzt? Sie steckten bis zu den Ohren in einem Fall. Wieder in einem Fall! Er stellte die Ellenbogen auf die Knie und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Eine Welle der Trauer überrannte ihn. Sie würden es nie in ein normales Leben schaffen. Sie würden als Jäger auf der Straße verrecken, ohne dass je ein Hahn nach ihnen krähen würde. Sam schloss die Augen. Er hatte Dean versprochen, ihm die Wahrheit zu sagen, auf ihn aufzupassen. Aber wenn er jetzt auf dieses Häufchen Elend auf dem Nachbarbett blickte, dann wünschte er sich, mal wieder, dass er einfach die Klappe gehalten hätte. Es dauerte eine ganze Weile, bis Dean zu einem Entschluss gekommen war und sich regte. Er setzte sich auf, straffte die Schultern und schaute seinem Bruder in die Augen. „Wir werden heute Abend nochmal auf den Markt gehen und uns umschauen. Wenn wir den Werwolf finden. Gut. Wenn nicht fahren wir morgen weiter zu Bobby“, entschied er. „Und wenn es heute Nacht trotzdem wieder ein Opfer gibt?“, Sam wusste nur zu gut, dass ihnen dieser Fall keine Ruhe lassen würde, ihnen beiden nicht, sollte es weitere Opfer geben. Blieb nur die Frage wie sie es dann handhaben wollten. „Darüber zerbrechen wir uns morgen den Kopf“, antwortete Dean heiser. Genau darüber wollte er jetzt auf keinen Fall nachdenken, auch wenn er genau wusste, was dabei rauskommen würde. „Du denkst, du kannst mit einem ungelösten Fall aufhören?“, ließ sich Sam nicht so einfach abspeisen. Er wollte das jetzt ein für alle Mal klären. „Nein, du?“, gab Dean ehrlich zu. Zumal ihn diese leise Stimme in seinem Hinterkopf immer wieder daran erinnerte, dass er sich Zeit bis Weihnachten ausgebeten hatte, er ja erst im nächsten Jahr aussteigen wollte. „Nein“, gab auch Sam zu. „Dieser verdammte Fall hat sich uns regelrecht aufgedrängt und ich glaube, wenn dieser Werwolf noch immer sein Unwesen treibt und wir ihn stoppen können, dann sollten wir das tun. Wenn wir ihn in diesem Mondzyklus allerdings nicht finden, sollten wir zu Bobby fahren und von da aus das Ganze weiter beobachten. Wir beide wissen, dass sich Fälle auch mal über einen langen Zeitraum hinziehen können, bis der Täter gefunden wird.“ Dean nickte nur und starrte dabei weiter blind zum Fenster. „Wir beobachten die Gegend hier und wir suchen weiter nach Opfern. Vielleicht ergibt sich so ja ein Muster. Und wenn wir uns sicher sind, können wir immer noch entscheiden, ob wir ihn jagen oder den Fall abgeben. Ich will einfach nicht, dass wir diese Chance auf ein normales Leben verstreichen lassen“, erklärte Sam niedergeschlagen. Wieder nickte Dean nur. Sams Idee klang gut. Aber konnte er es mit seinem Gewissen vereinbaren abzuwarten? Konnte er ruhig schlafen, wenn er wusste das Menschen sterben würden? Unruhig begann er im Zimmer hin und her zu laufen. Er hatte sich doch schon vor Wochen entschieden mit diesem ruhelosen Leben aufzuhören. Er hatte sich überlegt was er in der nächsten Zeit machen wollte, hatte beschlossen das Leben zu genießen. Warum fiel es ihm dann so schwer diesen Entschluss in die Tat umzusetzen? Warum sträubte sich dann aber alles in ihm dagegen, hier zu verschwinden? Sam hatte ihm mit seinem Vorschlag doch mehr als nur eine Brücke gebaut. Und doch! Je näher sie ihrem Ausstieg kamen, umso unwohler fühlte er sich bei dem Gedanken. Warum nur? Wirkte Johns Drill noch immer so stark nach? Hatte er dessen Befehle so verinnerlicht, dass sie sein ganzes Leben bestimmen sollten? Er wollte nicht so enden wie John und er wollte auf keinen Fall so werden! Er musste es endlich schaffen, sich von ihm zu lösen, aus seinem Schatten zu treten und die letzten Trümmer des John-Winchester-Denkmals in seinem Inneren beseitigen. Nicht dass aus dem Schutt ein neues, noch mächtigeres Denkmal wuchs! Sam ließ seinen Bruder nicht aus den Augen, auch wenn ihn dessen hin und her Gerenne fast wahnsinnig machte. Jede einzelne Regung auf Deans Gesicht versuchte er zu deuten, kam allerdings nicht wirklich dahinter, auch wenn er ahnte, worum es ging. Zu gerne würde er ihm helfen, doch diese Entscheidungen musste Dean selbst treffen. Und wieder einmal verfluchte er ihren Vater für dessen fast übermächtigen Einfluss auf seinen Bruder und sich selbst dafür, davon nichts bemerkt oder es ignoriert zu haben. Wie konnte er nur so blind gegenüber dem Menschen sein, der doch eigentlich alles für ihn war? Ob er Dean ganz sanft in Richtung eines normalen Lebens lenken konnte? Nein! Er würde nicht versuchen seinen Bruder zu beeinflussen. Irgendwann würde der das merken und dann zu recht sauer sein. Außerdem wäre das wohl eher die Art ihres Vaters gewesen und so wollte er auf keinen Fall werden. Dean blieb vor dem Fenster stehen und starrte in die langsam hereinbrechende Dunkelheit. Kapitel 130: Weitere Fakten --------------------------- @ Vanilein - Da haben wir glatt mal was gemeinsam ;-)) Ich mag John auch nicht. Da hätte er seine Kinder besser bei Bobby lassen sollen! Wünsch Dir ein schönes Wochenende. LG Kalea 130) Weitere Fakten „Wir sollten so langsam los“, sagte Dean plötzlich in die Stille hinein. Er löste sich vom Fenster, nahm seine Jacke und verließ das Zimmer. Schon wieder fühlte er sich emotional vollkommen erschöpft. Am liebsten würde er sich im Bett verkriechen und so schnell nicht wieder unter seiner Decke hervorkommen, wenn da nicht die Angst vor den Träumen wäre, die ihn davon abhielt diesen Wunsch wirklich in die Tat umzusetzen. Auf dem Weg zu seinem Baby zog er sich seine Jacke über. Sanft strichen seine Finger den Lack seines Wagens. Vielleicht sollte er mal versuchen hier zu schlafen? Sie war das einzig richtige Zuhause, das er seit Jahrzehnten kannte. Da konnte nicht mal Bobbys Haus mithalten, zumal das inzwischen vollkommen anders aussah. Auch wenn er an dieser Veränderung nicht unschuldig war, es war immer noch komisch in ein Haus zu kommen, dass man schon fast sein ganzes Leben kannte, das sich aber plötzlich vollkommen verändert hatte. Trotzdem, oder gerade deshalb liebte er es noch mehr. Mit ein bisschen Fantasie konnte er sich vorstellen da sein ganzes Leben verbracht zu haben. Bobby wäre ein toller Vater geworden. Irgendwann musste er ihn mal fragen, warum er keine Kinder hatte. Soweit er wusste war der alte Freund schon eine Weile mit Karen verheiratet gewesen, bevor die Dämonen sie benutzt hatten. Langsam öffnete er die Wagentür. Das Knarzen war wie ein Gruß für ihn, eine Einladung sich sicher und wohl zu fühlen. Er rutschte auf seinen Sitz, schob den Schlüssel ins Schloss und genoss die Sekunden bevor er ihn drehte. Das satte Grollen durchdrang ihn. Es hatte seine beruhigende Wirkung in all den Jahren nicht verloren. Noch einmal knarzte eine Tür und schon fühlte er seinen Bruder neben sich. Jetzt war seine Welt auf ihre, schwer verständliche Art, in Ordnung. In aller Ruhe lenkte Dean den Impala vom Parkplatz und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Sam musterte seinen Bruder. Irgendetwas war anders! Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als ihm bewusst wurde was es war. Dean war hier wesentlich entspannter als noch im Zimmer. Hier fühlte er sich sicher. Dean stellte den Wagen wieder auf dem Parkplatz ab. Dieses Mal parkte er neben einem ziemlich neuen Chrysler Aspen. Sie holten ihre Waffen aus dem Kofferraum und gingen auf den Marktplatz. Langsam liefen sie durch die Reihen. Hin und wieder kaufen sie sich etwas zu Essen oder zu Trinken oder sie blieben stehen um sich die ausgestellten Waren anzusehen. Sam kaufte sich sogar ein T-Shirt, mit einem Waschbären, der Yoga machte. Darüber was Dean dazu sagen würde, wollte er jetzt nicht nachdenken. Aber vielleicht hatte er es ja auch gekauft, um seinen Bruder endlich mal wieder frei lachen zu sehen. Als sie sich zum Essen an einen Tisch setzten schnappten sie in ein paar Gesprächsfetzen auf, dass die Schausteller des Mittelaltermarktes morgen nach Belleville weiterzogen. Sie wollten der 81 noch eine Weile treu bleiben. Die Brüder tauschten einen ihrer beredeten Blicke. Immerhin wussten sie wohin es demnächst gehen würde und es lag auf ihrem Weg. Sie waren bei den letzten Besuchern, die den Markt verließen. Dean erwachte mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Er hörte wie sich sein Bruder aufsetzte und drehte sich zu ihm. „Hab ich dich geweckt?“, wollte der Jüngere wissen. „Nein, ich … keine Ahnung“, erwiderte er und schob die Decke von sich. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und schlurfte zum Schrank um sich frische Kleidung herauszuholen. Sam musterte ihn noch kurz und ging dann ins Bad. Das Frühstück verlief schweigend. Beide hingen ihren Gedanken nach und beide hofften darauf, dass es in dieser Nacht keinen Mord gegeben hatte, denn auch wenn Sam keine Anzeichen dafür bemerkt hatte, als er Frühstück besorgen war, die Unruhe blieb. „Wie machen wir weiter?“, wollte Sam wissen, als er diese Stille nicht mehr aushielt. „Wir geben ihnen noch etwas Zeit. Wenn in der Nacht etwas passiert ist, sollte die Meldung bald kommen. Außerdem wollte ich sehen, ob ich über das Internet herausbekommen kann, ob diese Mittelalterfuzzis letzten Monat in der Nähe der Morde waren. Wenn, dann haben wir eine ziemlich konkrete Spur, wenn nicht können wir die zumindest ausschließen.“ „Du willst ihnen also nicht sofort hinterher?“ „Bis Belleville brauchen wir keine Stunde. Das reicht wenn wir heute Nachmittag losfahren.“ „Also übernehmen wir den Fall doch“, stellte Sam ruhig fest. „Wir sind dran“, sagte Dean. „Wenn es einer von den Mittelaltertypen war, wäre es unverantwortlich ihn ziehen zu lassen und wenn nicht? Es liegt auf unserem Weg und wenn wir bei Bobby mehr herausfinden, können wir immer noch einen anderen Jäger drauf ansetzen.“ „Okay“, sagte Sam und atmete tief durch. Es gefiel ihm nicht, aber die Alternative, nämlich den Fall Fall sein zu lassen, war noch schlimmer. „Machst du noch eine Kanne?“, fragte er und schwenkte seine leere Tasse. Dean blickte ihn fragend an. „Deiner schmeckt besser“, erklärte der Jüngere daraufhin mit einem schüchternen Lächeln. Wenige Minuten später war im Zimmer nur noch das Klappern der Tasten zu hören, das nur kurz vom Röcheln der Kaffeemaschine unterbrochen wurde. Sam stand auf, füllte ihre Tassen auf und kam an den Tisch zurück. Er stellte Deans Tasse neben dessen Laptop und verschwand wieder hinter seinen Bildschirm. „Der Schmied und die beiden Kämpfer gehören zusammen. Die sind schon seit Mai zusammen unterwegs“, sagte Sam in die Stille. „Sie haben eine Internetseite, auf der sie eine Art Tagebuch führen. Sie wollen der 81 weiter nach Norden folgen, bis sie auf den Winter treffen.“ „Die Zigeuner waren in Newton, Wichita und Blackwell dabei, genauso wie die Musikanten. Der Typ mit seinen Ziegen und der Bäcker scheinen erst hier dazugekommen zu sein. Vielleicht sind die auch von hier“, ergänzte Dean. „In dem Tagebuch steht auch, dass immer wieder eine Gruppe Gaukler zu ihnen stieß. Die waren dann mal für eine Woche oder ein Wochenende mit dabei. Letzten Monat allerdings nicht. Da hatte sich eine der Frauen das Handgelenk geprellt und konnte nicht auftreten. Sie wollen am nächsten Wochenende allerdings noch einmal dabei sein.“ „Die können wir vernachlässigen. Es sei denn, die wären trotzdem da gewesen und die Geschichte mit der Hand war nur eine Ausrede.“ „Ich habe mir alle Fotos die ich finden konnte runtergeladen. Wenn wir hier doch nicht weiter kommen, schicke ich die an Nick. Vielleicht kann der die ja mal durch seine Gesichtserkennung laufen lassen.“ „Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert“, stimmte Dean zu. Er blickte auf die Uhr und schloss die Seiten auf denen er gerade noch gesurft war. Er atmete tief durch und öffnete die Seite einer lokalen Informationsplattform und das letzte Bisschen Hoffnung starb. Er musste den Text nicht lesen um zu wissen, dass das Foto eines blassen, rothaarigen Mädchens nicht die Ballkönigin des letzten Schulballes zeigte. Er fühlte sich plötzlich alt und ausgelaugt. Sam seinerseits musste nicht fragen. An der Reaktion seines Bruders konnte er sehen, dass es wieder ein Opfer gegeben hatte. Schnell hatte sich Sam Zugang zum Polizeirechner verschafft und suchte da nach Informationen. „Sie haben sie inzwischen auch schon gefunden“, sagte er leise. „Ich will sie sehen“, erklärte Dean und klappte seinen Rechner zu. Jetzt, wo er diesen Fall für sich angenommen hatte, war er wieder der in sich ruhende Jäger, den nichts anderes interessierte, als das Monster zur Stecke zu bringen. Sam wusste nicht wie er darauf reagieren sollte. Einerseits war er froh, dass sie Menschenleben retten konnten, andererseits waren sie eben nicht die Jäger die sie sein müssten, um sich mit einem Werwolf anzulegen. Seine Rippen schmerzten noch immer und Deans Hände waren auch noch nicht wieder vollständig verheilt. „Soll ich dir nicht besser einen Stützverband anlegen?“, wollte der Ältere leise wissen. „Eigentlich hätte ich es lieber so gelassen, aber du hast Recht. Besser wäre es.“ „Okay Sammy. Hoch mit dem Hemd. Zeig mir deinen Luxuskörper.“ Aufreizend wackelte Dean mit den Augenbrauen. „Du bist so ein Trottel“, lachte Sam. „Wenn’s dir damit besser geht, Mistkerl“, grinste der Ältere und holte ihr Verbandszeug. Schnell hatte er Sams Rippen verbunden. „Dann lass uns mal FBI spielen.“ Er holte seinen Anzug aus dem Schrank. „Ich hoffe, dass es das letzte Mal ist, dass wir uns in diese Verkleidung werfen“, sagte Sam leise und begann sich ebenfalls umzuziehen. „Schön wäre es“, stimmte Dean ihm zu. Eine halbe Stunde später betraten die Winchesters das örtliche Polizeirevier. „FBI. Mein Name ist Caine, das ist Agent Taylor. Sie haben heute eine Susan Lydecker ermordet aufgefunden. Wir wollen die Leiche sehen und Einblick in Ihre Akten!“, forderte der ältere Winchester routiniert. „Worum geht es, Agent Caine?“, fragte der Polizist an dessen Hemd ein Namensschild hing das ihn als Officer Adams auszeichnete. „Wir hatten einen ähnlichen Mord in Wichita. Jetzt wollen wir überprüfen, ob wir hier einen Serienkiller haben.“ Dean vermied es den Mann anzusehen. Schon als er den Namen las zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. „Ich kopiere Ihnen die Akten und Officer Maloy bringt sie in den Kühlraum“, erklärte Officer Adams kühl. Ihm war Deans Reaktion natürlich nicht entgangen. Maloy war ein junger, rotgesichtiger Officer der, kaum dass er seinen Namen gehört hatte aufsprang und zu den Agenten trat. „Wenn sie mir folgen würden“, kratzbuckelte er zum sichtbaren Missfallen seines Vorgesetzten. Vor der Kühlraumtür trat der übereifrige Officer allerdings unruhig von einem Bein auf das andere. „Sie wollen nicht mit rein, richtig?“, fragte Sam. „Nein, ich …“ „Dann warten Sie hier. Wir sehen uns die Tote alleine an.“ „Sie sieht wirklich furchtbar aus“, versuchte der junge Mann weiter zu erklären. „Schon gut. Es ist nicht die erste Tote die wir sehen, die nicht an einem Herzinfarkt gestorben ist“, wehrte Dean etwas ungehalten ab. Er drehte den Türgriff nach unten und stemmte sich gegen die Tür, die mit einem satten Schmatzen aufschwang. Er schaltete das Licht an und betrat, gefolgt von Sam, den Raum. In der Mitte stand eine, mit einem Tuch abgedeckte Liege. Sam griff nach dem Tuch und hob es an. Langsam schob er es immer weiter von dem zerfetzten Körper. „Sie sieht furchtbar aus“, sagte Dean leise und schaute seinen Bruder an. In dessen Augen konnte er die Antwort auf seine Frage lesen. Ja, es war ein Werwolf. Er schluckte. Sam legte das Tuch zurück über den Körper und sie verließen den Raum. „Die Verletzungen sehen denen unserer Toten verdammt ähnlich“, erklärte Sam. „Aber der Typ Frau ist ein komplett anderer. Wenn der Pathologe fertig ist, schicken sie uns bitte einen Bericht zu. Dann vergleichen wir das und melden uns gegebenenfalls wieder. Bis dahin, vielen Dank für Ihre Hilfe und guten Tag!“ Dean nickte dem jungen Mann ebenfalls zu. Gemeinsam gingen sie zurück ins Polizeirevier. „Danke nochmals“, sagte Sam erneut und gab dem Officer die Hand. Leise seufzend ließ Dean sich auf den Fahrersitz seines Babys gleiten. Er legte die Hände auf das Lenkrad und starrte aus blinden Augen geradeaus. Erst als er hörte wie Sam seine Tür schloss, griff er nach dem Schlüssel und startete den Wagen. Aber nicht mal das satte Grollen konnte seine Gedanken zur Ruhe bringen. Er lenkte den Wagen auf die Straße. „Du weißt nicht, ob du froh darüber sein sollst, dass sich unsere Vermutung bewahrheitet hat, oder wütend“, versuchte Sam seinen Gesichtsausdruck zu deuten. „Seit ich mich dazu durchgerungen habe aufhören zu wollen, scheint mich das Übernatürliche regelrecht zu verfolgen, so als ob ich kein Recht auf ein normales Leben hätte“, antwortete er leise. „Du hast genauso ein Recht darauf wie jeder andere Mensch auf dieser Welt!“ erklärte der Jüngere energisch. „Aber du hast Recht. Mir kommt es auch so vor, als ob sie uns regelrecht verfolgen.“ Dean antwortete nicht. Was sollte er auch sagen. Sammy hatte seine Gefühle hervorragend zusammengefasst. „Belleville liegt auf unserem Weg und heute ist der letzte Tag in diesem Monat, an dem das Vieh aktiv ist. Wir fahren da hin, schauen uns um und wenn wir ihn finden, erledigen wir ihn, wenn nicht können wir bei Bobby weiter recherchieren. Das hier ist definitiv unser letzter Fall. Die Monster unseres Lebens haben uns bis jetzt nicht klein gekriegt und jetzt werden sie es auch nicht.“ Sam versuchte so überzeugend wie möglich zu klingen. Er wollte diesen Traum nicht aufgeben. Er wollte dieses Leben nicht bis ans Ende seiner Tage führen und er wollte nicht, dass Dean dieses andere, das richtige Leben nie kennen lernte. „Dein Wort in Gottes Ohr“, nuschelte Dean. Je näher sie Weihnachten kamen umso ferner schien der Traum. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie es nie bis zu Bobby schaffen würden. Wer wusste schon, was ihnen auf den letzten Kilometern noch über den Weg lief. „ Morgen früh verlassen wir Belleville und halten erst wieder an, wenn wir auf Bobbys Schrottplatz stehen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir das nicht schaffen sollten!“ Dean warf seinem Bruder einen langen Blick zu. Es musste einfach klappen! Er wollte nicht mehr zweifeln. Er wollte nicht mehr jagen. Er wollte leben! Entschlossenheit machte sich auf seinem Gesicht breit. Ruhe breitete sich in seinem Körper aus. Morgen um diese Zeit würden sie auf dem Weg zu Bobby sein. Morgen würde sein Dasein als Jäger hinter ihm liegen. Morgen würden sie Zivilisten mit einer ziemlich ungewöhnlichen, ziemlich tödlichen Waffensammlung im Kofferraum seines Wagens, um die er sich auch noch kümmern musste, sein. Doch jetzt war er ein Jäger, der sich voll und ganz auf seinen Fall konzentrieren wollte. Sam hatte seinen Bruder die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen. Er fand es immer wieder erstaunlich wie viele Gefühle sich auf dessen Gesicht widerspiegelten, wenn er sich unbeobachtet von Fremden wähnte. Bobby und ihm gegenüber hatte sich sein Bruder geöffnet, was aber nicht hieß, dass er sein Innerstes nicht sofort wieder verbergen konnte, wenn er nicht wollte dass sie ihn lesen konnten. Kapitel 131: Mittelalterfans ---------------------------- @ Vanilein - Ich und grausam? Ich verrate Dir mal ein Geheimnis. Ich bin Chucks Nachfolgerin - ich berichte nur. ;-)) Morgen starte ich in den Urlaub. mal sehen - vielleicht schaffe ich es nächste Woche ein Kapi zu posten. Auf jeden Fall gibt es aber in der Woche darauf wieder Lesefutter. LG Kalea 131) Mittelalterfans Kurz vor Belleville tankte Dean noch einmal. Wenn sie erst auf dem Weg zu Bobby waren, wollte er auf keinen Fall noch einmal anhalten müssen. Sollte ihnen das Übernatürliche dann noch einmal einen Fall aufzwingen wollen, würde es sich ihm vor den Wagen werfen müssen. Schon an der Tankstelle sahen sie die Plakate, die zum mittelalterlichen Spektakel einluden. Es sollte die letzte Station der Gauklertruppe in diesem Jahr sein. Die Brüder suchten sich ein Motel. Mit Sam im Schlepptau betrat der ältere Winchester die Anmeldung. An der Rezeption saß eine nette, ältere Frau, die Dean auf Anhieb sympathisch war. „Wir hätten gerne ein Zimmer“, sagte er und lehnte sich auf den Tresen. „Doppelbett?“, fragte sie. Kurz weiteten sich Deans Augen, dann überzog ein breites Lächeln sein Gesicht. „Tut mir leid Sie enttäuschen zu müssen. Der Lulatsch ist nur mein Bruder.“ „Oh“, machte sie und versuchte ihre Verlegenheit mit einem Lächeln zu überspielen. „Ein Doppelzimmer also?“ „Das wäre sehr nett.“ Nicht dass Dean sich nicht zur Not ein Bett mit Sam teilen würde. Obwohl? Nein, dann würde er doch lieber im Impala schlafen. Aus diesem Alter war er wohl endgültig raus. „Ich hätte da das Zimmer direkt an der Straße. Es ist etwas lauter als die anderen, aber auch etwas größer. Oder Sie nehmen das Zimmer …“ „Das Zimmer an der Straße ist vollkommen okay“, fiel Dean ihr ins Wort. Sie hatten schon schlimmer geschlafen, als in einem Zimmer an der Straße. Sie lächelte und nahm einen Schlüssel von dem Brett hinter sich. „Wie lange wollen sie bleiben?“ „Wahrscheinlich nur heute, aber … Ich denke wir nehmen das Zimmer vorerst für zwei Tage.“ Wer wusste schon, was passieren würde, auch wenn er alles daran setzen wollte morgen zu Bobby zu kommen. Er holte seine Brieftasche hervor und schob dabei die gefälschte Kreditkarte zurück in die Tasche. Die alte Dame hatte es nicht verdient betrogen zu werden. Im Kampf gegen die großen Konzerne war es sicherlich so schon schwer genug. Er kramte Bargeld hervor und legte es auf den Tresen. „Wenn sie noch irgendetwas brauchen, melden sie sich. Ich bin fast immer hier.“ „Machen wir. Vielen Dank“, sagte Dean und strahlte sie mit seinem schönsten Lächeln an. „Was war das denn?“, wollte Sam leicht irritiert wissen, als sie vor ihrem Zimmer standen. „Sie war nett!“ „Und deswegen gibst du ihr unser Bargeld?“ „Ich kann neues besorgen. Wir haben genug um bis zu Bobby zu kommen, selbst wenn wir vorher nach New York fahren würden“, erklärte Dean. „Außerdem wollte ich einmal ehrlich sein“, nuschelte er kaum hörbar und schob den Schlüssel ins Schloss. Er öffnete die Tür und betrat, sich langsam umschauend, den Raum. Es roch dezent nach Reinigungsmittel und Weichspüler. Die Wände waren weiß gestrichen. Es gab das übliche Bild an der Wand. Er warf seine Tasche vor das vordere Bett und ging zur Kaffeemaschine. Erst danach schälte er sich aus seinem Anzug. Auch Sam wechselte die Kleidung und richtete sich häuslich ein. Er holte seinen Laptop hervor und fuhr ihn hoch. „Willst du sofort zum Markt?“, wollte er wissen. „Meinst du, sie haben sich schon eingerichtet?“ „Ich weiß nicht“, überlegte Sam. „Wenn einer von denen allerdings der Werwolf ist, wird der heute noch auf Beutezug wollen und was haben die Gaukler und eine Wahrsagerin schon aufzubauen. Das Zelt vielleicht. Aber bei so vielen Helfern sollte selbst das schnell stehen.“ „Ich denke, wir sollten uns da nicht so direkt sehen lassen. Obwohl? Eigentlich ist das Quatsch. Wir wollen nach Sioux Falls, da liegt Belleville auf dem Weg. Und da wir so große Mittelalterfans sind, konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, uns das Spektakel noch einmal ansehen zu wollen.“ Sam gab ein amüsiertes, leicht abfällig klingendes Schnauben von sich. Jetzt standen sie schon aufs Mittelalter, aber was machte man nicht alles um Menschenleben zu retten! In aller Ruhe tranken sie ihren Kaffee und machten sich danach für ihren Einsatz fertig. Es würde eine lange Nacht werden und beide hofften, dass es die letzte als Jäger wurde. Die Sonne war schon untergegangen, als Dean den Impala auf dem Parkplatz abstellte. Wie schon am Abend zuvor holten sie sich ihre Waffen aus dem Kofferraum und schoben sie in den Hosenbund. „Dann mal los“, sagte Dean und kontrollierte sorgfältig, dass seine Jacke den Colt verdeckte. Er schob sich noch das Messer in die Halterung am Knöchel. Jetzt fühlte er sich gerüstet, um einen mordenden Werwolf aus dem Verkehr zu ziehen. Hoffentlich war das Vieh auch da. Er wollte ungern mit einem ungelösten Fall in den Ruhestand gehen. Wie das klang. Ruhestand. Er war dreißig und wollte in den Ruhestand gehen. Jeder normale Mensch würde bei so einem Gedanken wohl den Kopf schütteln. Allerdings war er kein normaler Mensch und schon seit fast zwanzig Jahren dabei. Seit sechsundzwanzig wenn er die Zeit dazu rechnete, in der er John den Rücken für seine Jagden freigehalten hatte. Inzwischen hatte sich auch Sam seine Beretta in den Hosenbund geschoben und das obligatorische Messer am Knöchel befestigt. Er richtete sich gerade auf, als er Deans Magen knurren hörte. „Dann lass und mal was Essen gehen“, grinste er. Dean nickte nur. Was sollte er dazu auch weiter sagen, ohne seinen kleinen Bruder noch mehr zum Lachen zu bringen? Sein Magen war und blieb ein Verräter! Schweigend gingen sie über das kleine Marktgelände und schauten sich um. Viel war es noch nicht, was es schon zu sehen gab, aber der Markt sollte ja auch erst am nächsten Wochenende seinen Höhepunkt haben. Sie holten sich an einem Stand ein Steak mit Pommes frites und setzten sich auf eine Bank gleich daneben. „Ward ihr nicht gestern schon auf dem Markt?“ Die Brüder drehten sich zu der Stimme um und erkannten den Schmied. „Wir sind auf dem Weg na Omaha und dann weiter nach Minneapolis“, erklärte Dean kauend. „Nach Minneapolis? Da würde ich ja fliegen!“ „Wir wollten uns mal eine Auszeit gönnen und übers Land fahren. Wer weiß schon, wann wir dazu wieder Gelegenheit haben?“, winkte Sam ab. „Ihr müsst ja Zeit haben“, wunderte ich der Mann. „Wir nehmen sie uns“, lachte Sam und nur Dean erkannte, wie falsch dieses Lachen war. „Hut ab! Ihr wisst das Leben zu leben“, sagte der Schmied beeindruckt. „Wenn ihr Langeweile haben solltet, ich kann einen Gehilfen brauchen.“ „Ich glaube nicht, aber danke für das Angebot“ antwortete Dean und hoffte, dass der Kerl endlich verschwand. „George, du hast Kundschaft“, rief jemand über den Platz. „Dann muss ich mal wieder“, sagte der Schmied und erhob sich. „Vielleicht sieht man sich ja noch.“ „Ja, bis dahin“, erwiderte Sam. „Ich dachte schon, der geht nie“, stöhnte Dean, als sie wieder allein an ihrem Tisch saßen. „Na komm, so schlimm war er doch auch nicht.“ „Nein. Wenn Zahnschmerzen zur Auswahl ständen, würde ich ihn nehmen.“ „Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass Menschen gesellig sein wollen“, erklärte Sam. „Und wenn ich das nicht will?“ „Dann musst du Einsiedler werden, oder dir so einen Ruf wie Bobby zulegen. Das schließt Frauen aber mit ein“, ergänzte Sam noch schnell, als er sah dass sein Bruder Überlegungen anstellen wollte. „Ich wusste da war ein Haken“, grummelte der Ältere. „Lass uns mal mit der Arbeit beginnen“, sagte er wenige Augenblicke später unvermittelt. „Willst du über den Platz?“ „Ja und dann zum Wäldchen da“, Dean deutete auf die Bäume, die sich schwarz hinter den Zelten der Mittelalterleute erhoben. Langsam liefen sie über den doch recht überschaubaren Platz. Sie blieben beim Schmied stehen der mit seiner Arbeit inzwischen fertig war und nur noch hin und wieder den Blasebalg bediente, damit das Feuer nicht ausging. Dafür begann jetzt einer der Gaukler mit brennenden Fackeln zu jonglieren. Ein paar Mädchen standen daneben und sahen ihm bewundernd zu. Es sah aber auch beeindruckend aus, wie der Mann dieses fliegende Feuer beherrschte. Die anderen Gaukler zeigten einige akrobatische Übungen und eine Frau sang zu mittelalterlicher Musik. Schon bald hatten die Brüder alles gesehen. „Willst du dir heute die Zukunft vorhersagen lassen?“, fragte Sam und deutete auf das Zelt der Wahrsagerin. „Nein, danke. Ich versuche so wenig wie möglich an die Zukunft zu denken“, erwiderte Dean. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, wenn er auf dieses Zelt schaute. „Vielleicht ist sie ja auch gar nicht da, oder hast du schon mal jemanden hineingehen sehen?“ „Nein, aber gerade herauskommen“, grinste Dean und deutete auf das Pärchen, das das Zelt verließ. „Okay, sie scheint echt zu sein“, beschloss Sam. „So echt wie eine Wahrsagerin sein kann!“, erklärte Dean mit leiser Verachtung. Gute Geister gab es nicht, also konnte man die auch nicht fragen und die Zukunft stand nicht fest. Immerhin hätte er in der Hölle landen sollen! Er mochte diese Scharlatane, die sich die Gutgläubigkeit der Menschen an das Übernatürliche zunutze machten, nicht. Nein, es gab keine guten Geister. Zumindest war ihm noch keiner begegnet. Dass ihre Mom ihnen damals in Lawrence vielleicht das Leben gerettet hatte, verdrängte er großzügig. Sie schlenderten gemütlich um das Marktgelände herum. Alles andere wäre nur noch verdächtiger gewesen. Der Markt befand sich auf einem abgeernteten Feld. Der Vollmond strahlte hell vom Himmel und es gab weder Baum noch Strauch, die ihnen als Deckung dienen konnten. Sollte sie jemand fragen was sie hier wollten, dann konnten sie immer noch sagen, dass sie sich noch etwas die Beine vertreten wollten, bevor sie zurück zu ihrem Zimmer fuhren. „Hier in der Nähe wird er sie sicher nicht umbringen wollen“, überlegte Sam. Er war sich ja noch nicht einmal sicher, dass der Typ wirklich bei den Schaustellern war, auch wenn alle Beweise dafür sprachen. „Das bezweifle ich auch“, erwiderte Dean. „Aber wo dann?“ „Bislang wurden die Leichen in der Nähe eines Waldstückes gefunden.“ „Wälder? Hier gibt’s höchstens Baumgruppen.“ „Da hinten, das könnte durchaus als Wald durchgehen“, sagte Sam und deutete in Richtung Osten, wo sich ein breiter dunkler Schatten am Horizont abzeichnete. „Okay, könnte, aber wie willst du den überwachen?“, begann Dean und unterbrach sich wieder. „Das wird `ne kalte Nacht“, stöhnte er. „Was willst du machen?“, fragte Sam misstrauisch. Irgendetwas war seinem Bruder in den Sinn gekommen. Etwas, dass ihm wohl wieder die miesere Rolle des Planes zuschusterte. „Du gehst zum Impala, fährst ungefähr eine Meile Richtung Belleville zurück und machst es dir da gemütlich. Hauptsache du schläfst nicht ein!“ Sam schnaubte. „Und du?“ „Ich bleibe hier, suche mir ein Plätzchen unter einem der Hänger und warte darauf, dass einer weg will.“ Sam verdrehte die Augen. Er hatte es geahnt. „Sieh zu, dass du dich nicht erkältest“, ermahnte er seinen Bruder grinsend und ging zum Impala. Auf dem Weg nahm er sich vor, dass er sich gut um seinen Bruder kümmern würde, sollte das doch passieren. Er setzte sich auf den Fahrersitz, startete den Motor und fuhr den Wagen vom Parkplatz. Eine knappe Meile von dem Feld entfernt hielt er wieder an. Er schaltete den Motor und das Licht aus und versuchte es sich so gemütlich wie möglich zu machen. Dean war währenddessen unter einen der Hänger gekrochen. Es dauerte nicht sehr lange, bis die Kälte begann ihm durch die Kleidung in die Knochen zu kriechen. Für solch eine Aktion war er eindeutig nicht richtig angezogen. Suchend schaute er sich um. Doch es gab keinen Platz, der ihm mehr Schutz gegen die Kälte bot. Immerhin fruchtete der Drill seines Erzeugers insoweit, dass er das Zittern seiner Muskeln ganz gut ignorieren konnte. Er schaltete sein bewusstes Denken aus und versuchte sich nur noch auf die Geräusche der Nacht zu konzentrieren. Irgendwo rief ein Käuzchen und auf dem Platz lief leise Musik. Etwas, dass eher Sam gefallen würde. Kapitel 132: Zigeunerin ----------------------- @ Vanilein - Ich nutze mal die momentane Regenpause, um Dir etwas Lesevergnügen zu bereiten - obwohl - wird es das? Die Idee ist aus enem Traum entstanden und musste unbedingt umgesetzt werden. Bin echt gespannt, wie sie ankommt und würde mich über über einen Komi wirklich freuen. LG Kalea 132) Zigeunerin Lange Zeit passierte nichts, außer dass die Schatten langsam weiterwanderten. Dean unterdrückte ein Gähnen. Inzwischen war er sich fast sicher, hier umsonst zu liegen. Er schaute auf seine Uhr. Fast eins. ‚Eine Stunde noch‘, rief er sich selbst zur Ordnung. Er hatte diesen Fall angenommen. Er hatte darauf bestanden das Vieh zu jagen. Jetzt ohne ein Ergebnis abzubrechen war, als würde er jedes weitere Opfer selbst an den Werwolf übergeben. Frustriert rieb er sich über die Augen. Plötzlich hörte er das Lachen eines Mädchens und die tiefe Stimme eines Mannes. Schritte kamen auf ihn zu. Er hielt die Luft an. Nicht dass die in den Hänger über ihm wollten! Sex gut und schön, aber nur wenn er dabei war. Als Zuhörer wollte er den nicht erleben! Die Schritte gingen vorbei und entfernten sich in östlicher Richtung. Hatte er mit seiner Vermutung doch richtig gelegen? Schnell tippte er seinem Bruder eine SMS: Der kleine Wald östlich. Bleibe dran. Dann arbeitete er sich unter dem Hänger hervor und folgte den Beiden mit großem Abstand zwischen den Feldern hindurch. Immer wieder schaute er sich um, doch er konnte nichts Verdächtiges sehen. Sam machte neben dem Impala Kniebeugen, als sich sein Handy mit der Ankündigung einer SMS bemerkbar machte. Schnell stieg er wieder ein, darauf hoffend, dass die Warterei jetzt vorbei wäre. Ihm war kalt. Er hätte zwar den Wagen anlassen und die Heizung voll aufdrehen können, doch die Häuser, die in der Nähe standen, hielten ihn davon ab. Er wollte keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Mit zitternden Fingern kramte er nach seinem Telefon und öffnete die SMS. Wie sehr musste Dean erst frieren, wenn er schon kaum noch Herr seiner Glieder war? Die Notiz lesen und den Wagen anlassen geschahen fast gleichzeitig. Schnell hatte er den Impala auf die Straße gelenkt und bog wenig später auf einen Feldweg ein, der in den Wald führte. Im Schatten der ersten Bäume hielt er an und stieg aus. Jetzt hieß es nur noch Dean finden. Der ältere Winchester war inzwischen ebenfalls bei den ersten Bäumen angekommen. Noch einmal schaute er sich um und trat gleich darauf in die Dunkelheit des Waldes. Dean atmete durch. Bis hierher war alles gut, jetzt musste er nur noch Sammy und das Pärchen finden. Die beiden Schatten, die sich anschickten die Straße vom Schaustellerlager aus zu überqueren, sah er nicht mehr. Nicht weit entfernt hörte er Äste knacken. Die Frau schrie panisch auf, doch der Schrei wurde fast sofort wieder erstickt. Er zog den Colt aus seinem Hosenbund und rannte, ohne sich weiter um seine Sicherheit zu sorgen, durch das Unterholz. Ein Schuss zerfetzte die Stille. Sammy! Kurz darauf kam Dean leise keuchend neben seinem Bruder an. „Bist du okay?“ Sam nickte lächelnd. So war Dean. Seine erste Sorge galt noch immer ihm. Noch immer hielt er die Waffe auf den Körper des Mannes gerichtet. Wind strich durch die Äste der Bäume. In diesem trügerischen Licht konnten die Winchester sehen, wie sich die grotesken Züge des Mannes glätteten und wieder zu denen eines Menschen wurden. „Das war knapp“, erklärte Sam leise. Er steckte seine Waffe weg und ging zu der jungen Frau, die wenige Meter entfernt von ihm lag. „Hat er sie gebissen?“, wollte Dean besorgt wissen. Sam hockte sich neben sie und drehte sie auf den Rücken. Vorsichtig begann er sie zu untersuchen. „Nein, alles okay“, sagte er und wandte sich dann an die Frau, die ihn mit panisch geweiteten Augen anstarrte. „Wir sind die Guten. Sie müssen keine Angst mehr haben“, erklärte er und hielt ihr die Hand hin. Zögerlich griff sie danach und ließ sich von Sam aufhelfen, während ihr Blick ängstlich auf Dean und den Mann auf dem Boden gerichtet war. Der ältere Winchester hielt die Waffe weiterhin in der Hand und auf den Mann gerichtet. Langsam näherte er sich ihm und er entspannte sich. Sammy hatte ganze Arbeit geleistet. Da wo das Herz war, klaffte jetzt ein großes Loch. Breit grinste er seinen Bruder an und steckte den Colt weg. Das war’s. Ihr letzter, wirklich letzter Fall. Er atmete tief durch, streckte seine Muskeln und klopfte sich den Dreck von seiner Hose. Und sah er, wie Sam die junge Frau, der er gerade aufgeholfen hatte, wieder fallen ließ. Augenblicklich fuhr er herum und starrte auf die Zwei, die unverkennbar zum fahrenden Volk gehörten. „Ihr habt unseren Sohn getötet!“, keifte eine schrille Frauenstimme und irgendetwas in dieser Stimme hielt Dean davon ab: ’Gern geschehen!’ zu sagen. Er streckte das Kinn vor und sah die Frau herausfordernd an. „Ihr habt eine fast tausendjährige Blutlinie ausgelöscht! Er hätte nur noch drei oder vier Menschen töten müssen, dann wäre seine Verwandlung abgeschlossen und sein Durst auf Menschenblut für immer gestillt gewesen!“, erklärte sie wütend. „Drei oder vier Menschen sind mindestens drei oder vier Menschen zu viel!“, erklärte Dean mit fester Stimme. Was bildete sich dieses Volk eigentlich ein? „Verflucht sollst du sein, für diesen Frevel!“, schrie sie. Dean erstarrte. „Eigentlich hab…“ begann Sam zu erklären. Er war während dieser kleinen Unterhaltung neben seinen Bruder getreten und wollte nun dieses scheinbare Missverständnis aufklären. Ein harter Schlag in den Magen ließ ihn japsend verstummen und nach hinten taumeln. Wütend schaute er zu Dean. Langsam trat die Zigeunerin näher an den älteren Winchester heran. Ihre fast gläsern wirkenden, starren Augen hielten seinen Blick regelrecht gefangen. Er straffte sich und versuchte seine Hand langsam zu seiner Waffe zu schieben. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Alles in ihm schrie Gefahr. Er wollte wegrennen. Doch er konnte sich nicht rühren. Gebannt verfolgte Sam das Geschehen, während die junge Frau versuchte noch weiter ins Unterholz zu kriechen. Die Zigeunerin blieb direkt vor Dean stehen. Ihre Ohrringe blitzten im Mondlicht. Er hörte das leise Klirren der Metallringe an ihrem Arm, als sie ihre knochige Hand hob und ihm über die Wange strich. Er spürte die Berührung kaum. Und doch folgte dieser Berührung ein leichtes Brennen. „Wolf!“, zischte sie ihm kaum hörbar ins Ohr, „Bis ans Ende Deiner Tage.“ Dann wandte sie sich ab. Deans Starre löste sich. Er wich zurück. Seine Hand tastete nach seiner Wange, die jetzt brannte, als wäre sie aufgerissen, aber er konnte keine Verletzung ertasten. Er spürte nur, wie sich das Brennen ausbreitete. Erst über sein Gesicht und dann griff es auf seinen Körper über. Die Frau schritt zurück unter die Bäume, unter denen sie kurz zuvor hervorgetreten war. Ihr Mann musterte den Winchester mit einem verächtlichen Schnauben. Er trat neben die Leiche seines Sohnes, hob sie hoch und warf sie sich über die Schulter als würde sie nichts wiegen. Wortlos folgte er seiner Frau. Noch immer unfähig sich zu rühren starrte Sam den Beiden hinterher. Dean schüttelte sich. Er machte einen Schritt, als sich der Wald plötzlich vor seinen Augen zu drehen begann. Er brach in die Knie. Sein Magen rebellierte und in seinem gesamten Körper schienen die Schmerzen zu explodieren. Er knurrte mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte die Schreie zu unterdrücken, die in seiner Kehle brannten. Mit letzter Kraft robbte er auf ein Gebüsch zu, als könnte ihm das Halt und Sicherheit bieten. Dicke Wolken schoben sich vor den Mond. Beim ersten Schrei seines Bruders löste sich Sams Erstarrung und er wirbelte herum. Er sah wie der zusammenbrach und sich vor Schmerzen auf der Erde krümmte, bevor diese totale Finsternis das weitere Geschehen vor seinen Augen verbarg. Die Frau war vergessen. Hilflos musste er die unterdrückten Schmerzensschreie seines Bruders anhören, die sich mit einem leisen Rascheln vermischten, das klang, als ob sich etwas über den Boden bewegen würde. Er hatte Angst vor dem, was ihn erwartete wenn die Wolken den Mond wieder freigeben würden und doch suchten seine Hände in seinen Taschen nach der Taschenlampe. Hektisch zerrte er an deren Griff. Sie löste sich aus dem Stoff und fiel zu Boden. Wütend schnaubend bückte er sich. Blind tastete er nach dem kühlen Metall. Die Schreie seines Bruders wurden immer atemloser und der Jüngere verdrängte bewusst, dass sich die Schreie veränderten. Endlich fand er die Lampe und schaltete sie ein. Kein Lichtstrahl traf den Boden. Sam schüttelte die Lampe, verfluchte sich, dass er nie an Ersatzbatterien dachte und versuchte den Kloß, der sich in seiner Kehle gebildet hatte herunter zu schlucken, genau wie die Tränen, die sich in seinen Augen bildeten. Endlich leuchtete die Lampe. Genau in Sams Augen. Er kniff sie geblendet zusammen und fluchte inzwischen lauthals, wie er nur so blöd sein konnte. Deans Schreie waren verstummt. Hektisch leuchtete Sam die Umgebung ab und fand seinen Bruder kurz vor einem Gebüsch auf dem Bauch liegen. Mit großen Schritten lief er zu ihm, den Strahl der Taschenlampe fest auf den Körper gerichtet. Hier stimmte etwas nicht. Er brach in Panik aus. Seine Hände zitterten so stark, dass der Lichtstrahl der Taschenlampe auf dem Boden hin und her zuckte. Dean? Wo war sein Bruder? Die Kleidung war viel zu flach! „Dean?“, fragte er atemlos und kniete sich neben ihn. Er bekam keine Antwort. „Dean?“, fragte er wieder und tastete die Kleidung ab. Nichts. Nichts, nur Boden! Aber dann fühlte er etwas. Da war etwas. Nicht Dean, aber da war etwas. Er drehte das Bündel auf den Rücken und wühlte sich durch die Lagen. Jacke, Hemd … ‚Nein!’, dachte Sam um plumpste auf den Hintern. „Nein, nein, nein, nein!“ Unter seinen Händen war nicht die erwartete Haut, nicht der Körper der da sein müsste! Er fühlte Fell. Weiches, dichtes Fell. Unfähig das Gefühlte wirklich zu erfassen hielt er inne. Vor ihm, im immer noch hin und her huschenden Schein der Taschenlampe, lag ein Wolf. Seine Flanken zitterten. Das konnte nicht … Wo war Den? Wo war sein Bruder? Immer wieder wühlte er in dem Kleiderbündel, nur um dann die Umgebung auszuleuchten und noch einmal durch das Bündel zu wühlen. Alles in ihm weigerte sich das zu glauben, was seine Augen sahen. Wütend wischte er die Tränen weg, die seine Sicht behindern wollten und suchte dann weiter nach seinem Bruder. Nur langsam sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein. Dean war der Wolf. Immer wieder strich er über Hals und Schulter des Tieres. Dean. Der Wolf. Dean schien bewusstlos zu sein. Seine Atmung kam stoßweise. Die Augen waren geschlossen. „Dean?“, fragte er leise, doch er bekam keine Reaktion. Was sollte er jetzt tun? Was würde passieren? Wie konnte er Dean helfen? Sams Gehirn schaltete sich ab. Die Wolken gaben den Mond wieder frei und die Schatten, die die kahlen Bäume auf den Waldboden warfen wirkten mit einem Mal erschreckend bedrohlich. Paralysiert saß er auf dem Waldboden. Er fühlte weder die Kälte, die immer tiefer in seine Knochen kroch noch die Tränen, die über seine Wangen liefen. Selbst die Schritte, die neben ihm erklangen, vernahm er nicht. Erst als ihn etwas an der Schulter berührte, zuckte er zusammen. Schnell drehte er sich zu der Quelle der Störung, während seine Hand zum Hosenbund zuckte, in dem er seine Beretta wusste. Es war nur das Mädchen, das neben ihm stand. Verdammt! Die hatte er ja vollkommen vergessen. „Hey“, krächzte er und stemmte sich in die Höhe. Mit der Hand wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. „Was ist mit Ihrem Hund?“, wollte sie leise wissen. „Mein … Dean … ich …“, begann Sam stotternd. Dean. Er war doch kein Hund! Dean war sein Bruder. Ein Mensch! Er … Hilflos schüttelte er den Kopf. „Ist er angeschossen worden?“ Es war alles so verwirrend. Mühsam versuchte sie sich zu erinnern was passiert war! Sie war auf dem Markt gewesen und dann mit jemandem in den Wald gegangen. Sie hatte Angst und sie bildete sich ein, einen Schuss gehört zu haben. ‚Angeschossen?‘ Sams Gehirn arbeitete, wenn überhaupt, in Zeitlupe. Doch dann nickte er. Das war noch die beste Erklärung für dieses Desaster. „Sie sollten mit ihm zu einem Arzt. Wir haben hier einen sehr guten Tierarzt. Soll ich Ihnen den Weg zeigen?“, versuchte sie zu helfen. Sam war kurz davor sie anzuschreien. Er brauchte keinen Arzt, er brauchte keine, wie auch immer gemeinten, Ratschläge. Alles was er wollte war seinen Bruder zurück! Und schon wieder breitete sich die Panik in ihm aus. Doch dieses Mal gelang es ihm, sie schnell zu verdrängen, auch wenn er fühlte, dass sie sich nur zurückzog. Sie würde wiederkommen. Zum Ausflippen war später noch genügend Zeit. Jetzt musste er erst einmal die Kleine loswerden. Er kniete sich neben den Fellkörper und wickelte ihn wieder in die Kleidung. Das schien ihm vorerst die beste Möglichkeit alles mitzubekommen. Er dachte sogar daran, Deans Schuhe mit in das Kleiderbündel zu packen. Vorsichtig schob er seine Hände unter den Körper und hob ihn an. Verdammt war der schwer! Mit so viel Gewicht hatte er nicht gerechnet. Ein Problem war das aber auch nicht für ihn. Immerhin trug er Dean nicht zum ersten Mal und der … Er weigerte sich noch immer ihn als Hund oder Wolf zu bezeichnen! Aber das was er da in die Kleidung gewickelt hatte wog fast genauso viel wie sein Bruder. Langsam ging er zum Impala. Kapitel 133: Ein Wolf? ---------------------- @ Vanilein - Hab ich Dich geschockt? - GUUUUT! - ;-)) Eine Beschreibung kommt - irgendwann. Noch ist Sam ziemlich durch den Wind. Den Schrecken muss er erstmal verarbeiten. Viel Spaß beim Lesen. LG Kalea PS. Ich freue mich über jeden Komi - also los - traut euch. Ich beiße nur ganz selten. 133) Ein Wolf? Beim Wagen angekommen legte er Dean auf den Boden, schloss den Wagen auf und bettete das Bündel so sanft er nur konnte auf die Rückbank. Sich seine Rippen reibend, deutete er dem Mädchen an, dass sie sich auf den Beifahrersitz setzen sollte. Er selbst rutschte hinter das Lenkrad, legte seine Hände darauf und atmete erst einmal tief durch. Danach schaute er zu der Kleinen. „Soll ich dich nach Hause bringen, oder lieber zu einem Arzt?“ „Ich möchte erst einmal nach Hause. Ich will duschen und mich umziehen. Ich fühle mich so schmutzig. Außerdem weiß ich gar nicht was passiert ist. Hat er … wurde ich … und wieso sind Sie überhaupt dagewesen? Wer sind Sie?“, fragte sie mit immer panischer klingender Stimme. Super! Das hatte ihm auch noch gefehlt. Fragen beantworten, auf die er keine Antwort hatte! „Ich war mit ihm … spazieren. Er liebt ruhige, nächtliche Wälder. Und nein, ich glaube nicht, dass er dich überhaupt angefasst hat. Außer der Platzwunde am Kopf siehst du nicht verletzt aus. Untersuchen lassen solltest du dich aber dennoch.“ „Ich möchte trotzdem erst duschen.“ „Gut, dann müsstest du mir nur verraten wo ich dich absetzen soll.“ Mit leiser Stimme lotste sie ihn durch die nächtlichen Straßen, bis sie endlich vor dem Haus standen, in dem sie wohnte. „Danke nochmal für alles. Ich meine ohne Sie … wie heißen Sie überhaupt?“ „Sam, meine Name ist Sam“, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. „Und wie kann ich Sie finden, wenn …“ „Ich bin nur auf der Durchreise“, wiegelte er sofort ab. „Oh. Okay, dann nochmals danke!“ Sie schloss die Tür. Unsicher ging sie auf das, im Dunklen liegende, Haus zu und hoffte, dass ihre Mutter wirklich schon schlief. Sie wollte jetzt weder mit ihr streiten noch von ihr bemuttert werden. Der Winchester schaute ihr noch kurz hinterher bevor er den Impala wieder auf die Straße lenkte und zu ihrem Motel zurückfuhr. Für einen winzigen Augenblick war er fast enttäuscht, dass sie jetzt weg war, musste er sich doch nun mit seinem eigentlichen Problem auseinandersetzen. Einem Problem, bei dem er noch nicht einmal wusste, wo er nach einem Ansatz zur Lösung suchen sollte. An einer Ampel musste er bei Rot warten. Im Rückspiegel versuchte er einen Blick auf das Bündel auf der Rückbank zu werfen. War es sinnvoll ihn ins Motel zu bringen? Sollte er nicht vielleicht besser zu dem Markt fahren und nach diesen Zigeunern suchen, damit die, was auch immer sie mit Dean gemacht hatten, wieder zurücknahmen? Brachte das etwas? Wohl eher nicht und bei den Menschen, die ebenfalls dort waren, würde es auch keinen Sinn machen, sie mit vorgehaltener Waffe zwingen zu wollen. Mal abgesehen davon, dass die nicht den Eindruck gemacht hatten, dass sie sich vor irgendetwas fürchten würden, wollte er auch nicht vor alles Leuten mit einer Waffe rumfuchteln und davon reden, dass sie seinen Bruder in einen Wolf verwandelt hatten. Er würde sofort in einer geschlossenen Anstalt landen und Dean? Wenn er Glück hatte kam er vielleicht in einem Tierheim unter, wo er in ein paar Monaten wegen Unvermittelbarkeit wohl doch getötet werden würde. Nein, er würde sich jetzt zuerst um Dean kümmern. Er schaute wieder auf die Ampel und sah gerade noch, wie die wieder auf Rot umsprang. Gut, dass es mitten in der Nacht war, sonst hätte er wohl ein lautstarkes Hupkonzert provoziert. Konzentriert schaute er auf die Ampel, um die nächste Grünphase nicht auch noch zu verpassen. Er lauschte dem so vertrauten Grollen des Impala und hatte dabei den Eindruck, dass sie irgendwie traurig klang. Er schüttelte den Kopf. Jetzt fing er auch schon an einem Auto Gefühle zu unterstellen. Die Ampel schaltete wieder um. Er warf noch einen Blick auf die Rückbank, dann fuhr er los. Sam parkte den Impala genau vor der Tür zu ihrem Zimmer. Mit einem Blick kontrollierte er wie es dem Bündel auf der Rückbank ging und stieg aus. Er öffnete ihre Zimmertür und ging dann erst den Wolf holen. So vorsichtig wie möglich hob er ihn hoch. Der Wolf gab ein klägliches Fiepen von sich. „Dean?“ fragte Sam entgegen aller Hoffnung, doch er bekam keine Reaktion. Traurig schloss er für einen winzigen Moment die Augen. Stumm rief er sich zur Ordnung. Er drückte den Körper in seinen Armen etwas fester an sich. Schnell trug er ihn ins Zimmer und legte ihn auf sein Bett. Noch einmal rannte er hinaus, um Deans Schuhe zu holen und den Impala abzuschließen, dann kam er zurück in ihr Zimmer. Er schloss die Tür, verriegelte sie und setzte sich neben seinen Bruder auf das Bett. Vorsichtig begann er das Fellbündel aus der Kleidung zu schälen. Immer wieder gab Dean ein klägliches, schmerzerfülltes Fiepen von sich, das ihn jedes Mal zum Innehalten brachte. „Hey“, flüsterte er jedes Mal leise und strich ihm vorsichtig über den Hals. Seine Finger verhakten sich in etwas, das er sofort genauer untersuchte. Es war Deans Talisman. Der kleine goldene Anhänger, den er von Bobby bekommen und eigentlich Dad schenken wollte. Und wieder drängten sich Tränen in seine Augen, die er unwirsch wegwischte. Er hatte keine Zeit zum Heulen! Zuerst musste er sich um Dean kümmern! Er streichelte noch ein paar Mal über die bebende Flanke des Wolfes und zog dann die Kleidung unter ihm hervor. Die würde er wohl erstmal nicht brauchen. Etwas landete klimpernd auf den Boden und rollte davon. Sam bückte sich und begann unter den Betten danach zu tasten. Endlich fand er dieses runde Etwas. Mit einigen Wollmäusen bedeckt kam er unter dem Bett wieder zum Vorschein. Aber er hatte Deans Ring in der Hand. Innerlich leer setzte er sich neben dem Bett auf den Boden und starrte blicklos auf das runde Ding. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und er hatte das Gefühl immer weniger Luft zu bekommen. Noch einmal schaffte er es sich zur Ordnung zu rufen. Er drehte sich auf die Knie und schaute zu dem Wolf, der noch immer reglos auf dem Bett lag. Nur das Heben und Senken des Brustkorbes und das Zittern, das noch immer in Wellen über den Körper lief zeigte, dass Leben in dem Tier war. „Was wird jetzt, Dean? Wie viel von dir ist in dem Wolf, wie viel Wolf bis du?“, fragte er mit erstickter Stimme und kraulte wieder durch das Fell. Unbewusst schob er seinen Finger in den Ring und nahm Dean den Talisman ab und zog ihn sich über den Kopf. Der würde den Wolf nur behindern. Er raffte die Kleidung zusammen und warf sie auf einen Stuhl. Deans Uhr und sein Armband legte er auf den Nachttisch. Noch einmal schaute er sich in dem kleinen Raum um. Im Moment schien hier alles in Ordnung zu sein. Seine Kehle zog sich zusammen. Er wollte schreien, schreien und auf irgendetwas einschlagen. Nichts, absolut gar nichts war auch nur im Mindesten in Ordnung! Wenigstens wusste er jetzt, im Gegensatz zu der Zeit als eine Kinderseele in Deans Körper gefangen war, dass etwas nicht stimmte und konnte darauf reagieren. Aber wie? Wie sollte er reagieren? Wie sollte er mit einem Wolf leben? Er flüchtete regelrecht aus dem Zimmer ins Bad und unter die Dusche und hoffte, dass das heiße Wasser ihn entspannen und ihm helfen würde eine Lösung zu finden. Das monotone Prasseln des Wassers und die Wärme entspannten ihn tatsächlich. Nur nicht so, wie er es sich gewünscht hatte. Die ganze Aussichtslosigkeit ihrer Situation wurde ihm mit einem Mal bewusst. Flüche konnte man nicht brechen. Man sollte ihnen tunlichst aus dem Weg gehen, hatte Dean mal gesagt. Mal abgesehen davon: War es überhaupt ein Fluch? Er hatte nichts gehört. Hatte sie ihn verhext? War sie eine Hexe? Er hatte nichts! Nichts womit er arbeiten konnte. Nichts was ihm erklärte was und wie es mit Dean passiert war, da war nur der Wolf, der vorher nicht dagewesen war und der in Deans Kleidung gelegen und seinen Schmuck getragen hatte. Die Tränen liefen ungehindert über seine Wangen und wurden von Wasser fortgespült. Sam war am Ende. Seine Knie zitterten und gaben unter ihm nach. Mutlos sank er auf den Boden und blieb dort hocken. Und immer noch prasselte das Wasser auf ihn ein, als ob die ganze Welt mit ihm weinen würde. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Würde Dean bei ihm bleiben? Konnte er mit einem Wolf weiter jagen? Sollte er sich eine Wohnung suchen? Dean in ein paar Räumen eingesperrt, egal ob als Wolf oder als Mensch, würde bei Zeiten durchdrehen. Aber er könnte sich vielleicht ein Haus kaufen. Eins mit viel Garten, da könnte der Wolf dann streunen. „NEIN!“ entrang sich ein gequälter Schrei Sams Kehle. Das durfte alles nicht wahr sein. Dean war dem Höllenhund entronnen. Sie hatte Lilith getötet und den Pakt gebrochen. Sie hatte so vielen Menschen das Leben gerettet, soviel Böses auf dieser Welt vernichtet und jetzt zerstörte ein einfacher Fluch ihr Leben? Das war nicht gerecht! Das hatte Dean nicht verdient! Nicht schon wieder! Warum musste es immer seinen Bruder treffen? Sie wollten aussteigen! Sie wollten schon lange ausgestiegen sein! Dieser verfluchte Werwolf hatte sich ihnen regelrecht aufgedrängt. Dabei hatte er Dean doch versprochen, ihn aus diesem Leben zu holen! ‚Hat ja auch geklappt, Sam! Dean ist kein Jäger mehr. Zumindest kein Jäger des Übernatürlichen‘, wisperte es sarkastisch in seinem Kopf. Er schlug die Hände vors Gesicht und weinte, weinte bis er keine Tränen mehr hatte und das Wasser eiskalt auf ihn niederprasselte. Er war so ein schlechter Bruder. Dean hätte einen besseren verdient gehabt! Mit steifen Muskeln erhob er sich und stakste aus der Dusche. Flüchtig trocknete er sich ab. Nur mit Handtuch um seine Hüften geschlungen kam er wieder ins Zimmer und wühlte in seiner Tasche nach Shorts. Deans Tasche stand neben seiner und einem plötzlichen Reflex folgend trat er dagegen und beförderte sie aus seinem Sichtbereich. Der Wolf hatte sich immer noch nicht gerührt. Nur hin und wieder gab er ein leises Winseln von sich. Sam ließ sich auf sein Bett fallen und beobachtete seinen Bruder. Dean zuckte zusammen, sein Winseln war eindeutig schmerzerfüllt und dann bewegten sich die Pfoten, als wollte er vor etwas davonlaufen. Der Jüngere hatte schon wieder einen Kloß im Hals. Er holte tief Luft, erhob sich und kroch hinter seinem Bruder ins Bett. Er zerrte die Decke über sie beide und vergrub seine Hand in dem weichen Fell an Deans Schulter. Die Gedanken in seinem Kopf liefen Amok und doch konnte er keinen einzigen zu fassen bekommen. Dabei gab es doch so vieles worüber er nachdenken müsste. Seine Nase in den Nacken des Wolfes gedrückt schlief erschöpft er ein. Die Sonne schien strahlend von einem leuchtend blauen Himmel und Sam hatte für einen Augenblick das Gefühl einen wirklich furchtbaren Traum gehabt zu haben. Dann realisierte er das Fell unter seiner Hand und schon wieder schossen ihm die Tränen in die Augen. So aussichtslos war es noch nie. Oder doch? Aber bis jetzt waren sie immer wieder entkommen. Konnte es auch hier ein gutes Ende geben? Plötzlich setzte er sich ruckartig auf. Beim Einschlafen hatte er noch das leichte Zittern in dem Körper vor sich gefühlt aber jetzt war da nichts mehr. Er schlug die Decke zurück und suchte verzweifelt nach einem Lebenszeichen, seine Hand immer noch auf dem Wolfskörper liegen lassend. Es dauerte eine Weile, bis er sehen konnte wie sich der Brustkorb hob und senkte und dann auch endlich die Wärme spürte, die der Körper ausstrahlte. Er stand auf, zog sich an, seinen Blick immer nur kurz von seinem Wolf nehmend. Dean schlief noch. Verzweifelt fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare. Was jetzt? Was musste er tun, was konnte er tun und was sollte er besser lassen? Was brauchte Dean? Er zwang sich die Augen zu schließen und rational an den Fall heranzugehen. Rational! Wie sollte er hierbei rational bleiben? Tränen drängten sich in seine Augen und Schleim verstopfte seine Nase. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals und für einen Augenblick fragte er sich, wieso er eigentlich überhaupt noch Tränen hatte. Hektisch sog er Luft durch den geöffneten Mund. Seine Nerven waren kurz davor zu versagen, die aufkommende Panik mehr als greifbar. Er musste hier raus, bevor er etwas tat, was er später bereute. Schnell griff er nach seiner Jacke und verließ fluchtartig das Zimmer. Kapitel 134: Misstrauen und fehlschläge --------------------------------------- @ Vanilein - Sam hat noch einen langen Weg vor sich ... einen ganz langen. LG Kalea 134) Misstrauen und Fehlschläge Schon im Wagen überkam ihn das schlechte Gewissen. Wie konnte er Dean alleine lassen? Er legte die Hände auf das Lenkrad, schloss die Augen und zwang sich ruhig durchzuatmen. In Gedanken zählte er langsam bis zehn. Es half nicht viel, aber für einen Augenblick fühlte er sich der Situation, zumindest im Ansatz, gewachsen. Wieder zwang er sich das ganze Dilemma analytisch zu betrachten. Konnte er sich einreden, dass Dean gerade nicht da war? Wenn er weiterkommen wollte, würde er es versuchen müssen! Noch einmal zählte er bis zehn. Dieses Mal schien es zu helfen. Langsam kam er etwas runter. Sein Puls beruhigte sich und der Drang etwas zerstören zu wollen ließ ein wenig nach. Gut! ‚Denk nach, Sam! Du hast dir schon immer einen Hund gewünscht.‘ Und schon war es mit seiner inneren Ruhe wieder vorbei. ‚Dean ist kein Hund!‘, fluchte er innerlich. Und trotzdem musste er ihn so behandeln. Wie konnte er das nur? Das Klopfen an der Seitenscheibe ließ ihn zusammenzucken. Ungehalten drehte er den Kopf zur Seite und kurbelte die Scheibe herunter. „Alles okay bei Ihnen?“, fragte die alte Dame, der das Motel gehörte, besorgt. „Ja“, krächzte Sam mit belegter Stimme. „Ja, irgendwie schon.“ Doch so leicht ließ sie sich nicht abspeisen. „Wo ist denn ihr Bruder?“ Sam wollte ihr den Hals umdrehen. Er zwang sich zu einem Lächeln, das jedoch ziemlich verunglückte. „Unserem Onkel geht es nicht so gut. Mein Bruder ist zu ihm gefahren“, erklärte er die offensichtliche Abwesenheit Deans. „Und Sie?“ ‚Verdammt! Wieso ging sie nicht einfach!‘ „Ich kann hier leider nicht so schnell weg.“ ‚Denk nach Sam!‘ „Wir haben uns einen Hund aus einem Tierheim geholt. Er sollte eingeschläfert werden. Leider ist er so scheu, dass ich ihn nicht alleine ins Auto bekomme. Ich muss warten bis mein Bruder wiederkommt, oder er sich noch etwas mehr an mich gewöhnt hat, um mir zu vertrauen.“ Was für eine Scheiße er doch erzählte. „Sie haben einen Hund mit?“ „Oh, Entschuldigung, ja. Wir hätten ihn Ihnen nicht verheimlichen dürfen. Aber es ist noch so neu für uns, ihn zu haben. Wir haben ihn glatt vergessen anzugeben. Ich hoffe das ist kein Problem?“ Er setzte seinen Welpenblick auf. Bei Dean hatte der immer gewirkt. Und auch die Frau schien nicht ganz immun dagegen zu sein. „Nein, es ist kein Problem. Solange er die anderen Gäste nicht belästigt.“ „Danke!“ Jetzt lächelte er sich wirklich an. Eine Sorge weniger. Blieben nur noch 536! „Ich muss los“, sagte er und startete den Wagen. „Natürlich. Stellen Sie mir ihren Hund einmal vor?“ „Vielleicht“ Sam lenkte den Wagen auf die Straße. ‚Wohin jetzt?‘ Immerhin hatte sie ihn dazu gebracht nicht mehr nur untätig herumzusitzen. Er setzte den Blinker und fuhr zu dem Marktgelände. Vielleicht bekam er ja aus diesen Zigeunern doch noch etwas heraus, auch wenn er es nicht glaubte. Aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Schon als er den Wagen auf dem ausgewiesenen Parkplatz abstellte sah er, dass das Zelt der Wahrsagerin weg war. „Verdammt“, fluchte er und schlug wütend auf das Lenkrad. Da hatte er ja mal richtig Glück! Warum war er ihnen in der Nacht nicht sofort hinterhergegangen? Weil er einen Wolf in Deans Kleidung gefunden und das Mädchen an der Backe hatte? Weil er weder den einen noch die andere sich selbst hätte überlassen können? Er hätte sie erschießen sollen, als er es konnte! Doch damit würde er jetzt genauso in der Patsche sitzen, auch wenn die beiden Zigeuner alles andere als unschuldig waren. Vielleicht wussten die Anderen ja etwas? Leise stöhnend rieb er sich die Schläfe. Zu allem Übel bekam er jetzt auch noch Kopfschmerzen. Er stieg aus, schloss den Wagen ab und ging über den Markt. Das Zelt war weg und auch von den Zigeunern war nirgendwo mehr etwas zu sehen. Dafür lief ihm der Schmied über den Weg. „Hey“, grüßte er ihn. „Weißt du wo diese Wahrsagerin hin ist?“ „Wieso, wolltest du dir doch noch die Karten legen lassen?“, fragte er lachend. ‘Das hat sie schon‘, überlegte er grimmig und versuchte freundlich zu klingen, als er antwortete. „Nicht wirklich. Aber ich wollte mal mit ihnen reden.“ „Die sind in der Nacht verschwunden. Kurz nachdem ich mich hingelegt habe, muss so gegen zwei gewesen sein. Ich hab mich nicht weiter drum gekümmert. Da rumpelte es öfter mal. Hat mich heute Morgen allerdings schon gewundert, dass sie plötzlich weg waren.“ „Weißt du wohin die sind, oder woher die kamen?“ „Nein. Die haben nichts von sich erzählt. Die haben allgemein kaum mit jemandem auf dem Markt gesprochen.“ „Warum sind die dann mit euch rumgezogen?“, wollte Sam irritiert wissen. „Wenn ich dir das sagen könnte. Wir waren nicht wirklich begeistert, als sie sich vor drei Monaten bei uns eingeklinkt haben. Aber eine Wahrsagerin passte ganz gut und nur weil sie Gipsys sind, müssen sie nicht schlecht sein.“ „Das stimmt wohl“, überlegte Sam und versuchte seine Enttäuschung so gut es ging zu verbergen. „Okay, danke Mann“, sagte der Winchester und machte sich wieder auf den Weg. Im Impala versuchte er sich zu entscheiden, was er jetzt tun sollte. Die Zigeuner waren weg, auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Vielleicht konnte er ja anhand der Verkehrskameras herausfinden wohin. Die Dinger hatten ihm schon so oft gute Dienste geleistet, warum nicht jetzt auch? Zuerst aber musste er sich um sein und um Deans Wohl kümmern und das hieß Essen besorgen. Aber was fraßen Wölfe? ‚Ich hab so viele Reportagen gesehen aber was sie fressen hab ich mir nicht merken können!’, schimpfte er sich lautlos. Schnell hatte er eine Zoohandlung in der Nähe gesucht und gefunden. Jetzt stand er vor dem Regal mit den Futtermitteln und schon wieder traten ihm die Tränen in die Augen. Dean hat Essen geliebt. Auch wenn er es in sich hinein geschaufelt hatte, als ob es kein Morgen mehr geben würde. Er hatte es geliebt! Und jetzt sollte er ihn mit irgendwelchen Dosen abspeisen? Dosen, die … ja was eigentlich enthielten? War da überhaupt irgendetwas von einem Tier drin? Verbissen kämpfte Sam die Tränen auch dieses Mal zurück. „Kann ich Ihnen helfen?“, wollte ein junger Mann wissen und schaute dem Winchester erschrocken in die Augen. „Schuldigung“, nuschelte er verschnupft, „Meine Freundin hat die Scheiben mit Sprühschnee dekoriert. Ich bin allergisch auf das Zeug.“ „Ach so“, nickte der Verkäufer verstehend. „Und wie kann ich Ihnen hier helfen? Gegen Allergien hab ich leider nichts.“ „Wir haben uns einen Hund aus dem Tierheim geholt“, blieb Sam bei seiner Lüge, „und jetzt brauche ich eine Komplettausrüstung. Leine, Halsband, Futter.“ „Was haben Sie denn für einen Hund?“ „Husky“, sagte Sam ohne zu überlegen. Die kamen einem Wolf wohl am Nächsten. „Haben Sie schon eine Vorstellung was sie nehmen wollen? Was hat er denn im Tierheim gefressen?“ „Alles, was es gerade gab.“ „Gut“, freute sich der jungen Mann. Hier hatte er ja ein wunderbar ahnungsloses Wesen vor sich. Dem konnte er mit Sicherheit alles Mögliche und vor allem Teure unterjubeln. Wenn er damit seinen Umsatz nicht bekam, dann sollte er wirklich den Job wechseln. „Also, wir haben hier sehr gutes Futter“, begann er Sam vollzuquatschen, dass dem Winchester schon bald regelrecht schwindelig wurde. „Und dann brauchen Sie noch ein Körbchen und Spielzeug. Von einem Halsband würde ich abraten. Heutzutage empfehlen wir ein Geschirr. Die haben wir hier. Was für eine Farbe soll es denn haben?“ „Schwarz“, sagte Sam ohne zu überlegen. „Schwarz, sehr schön. Ich würde Ihnen da ein reflektierendes Geschirr empfehlen.“ Sam nickte nur. Genauso wie bei der Leine und einigen Snacks. Als der Verkäufer ihm allerdings auch noch quietschendes Spielzeug und einen Wintermantel aufschwatzen wollte, reichte es ihm und sein Gehirn schaltete sich wieder ein. Letztendlich nahm er fünf Dosen von dem besseren Futter, das Geschirr mit Leine und ein paar Snacks. Alles andere würde sich ergeben, zumal er darauf hoffte, Dean schnellstens wieder in seiner menschlichen Gestalt vor sich stehen zu haben! Vorsichtig balancierte Sam seine Einkäufe mit einer Hand. Er fummelte den Schlüssel ins Schloss und schob die Tür auf. Aus den Augenwinkeln sah er wie etwas vom Bett sprang und in der Ecke unter dem Tisch verschwand. „Dean?“ fragte er und stellte alles auf und neben dem Fernseher ab. Er ging zu dem Tisch und hockte sich davor. Vorsichtig streckte er seine Hand aus. „Dean?“, fragte er wieder und versuchte seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. Sein Bruder musste total verwirrt sein, da war es nur zu verständlich, dass er so reagierte. Der Wolf versuchte sich noch weiter zurückzuziehen. „Dean, bitte. Komm her. Wir werden eine Lösung finden“, versuchte er es wieder und schob einen Stuhl beiseite. Dean drückte sich noch weiter an die Wand in seinem Rücken. Die Ohren hatte er nach hinten angelegt, die Lefzen waren zurückgezogen und seine Zähen entblößt. Ein Winseln entrang sich Deans Kehle. „Dean, komm schon, ich hab was zu essen mit“, lockte Sam und rückte noch ein Stückchen näher. Das Winseln erstarb und Dean drückte sich platt auf den Boden. Wenn er könnte, würde er wohl in einem Mauseloch verschwinden. Der Riese vor ihm machte ihm Angst. Er schnitt ihm jeden Fluchtweg ab. Er drückte sich noch fester an die Wand. Traurig holte Sam tief Luft. Die Tränen, die er nun nicht mehr zurückhalten konnte, liefen über seine Wangen. Was war nur mit Dean? Hatte er gar keine Erinnerungen an sein menschliches Leben? Hatte die Zigeunerin ihn zu einem echten Wolf gemacht? Zu einem richtigen Wildtier? Was sollte denn dann werden? Bis jetzt hatte er gehofft, dass Dean zwar ein Wolf war, ihn aber doch wenigstens kannte. Aber so wie er sich gab war das wohl nicht der Fall. Nicht einmal das hatte diese Hexe ihnen gelassen! ' Und jetzt? Wie gewinne ich das Vertrauen eines Wolfes? Wie kann ich ihn dann soweit zähmen, dass er weder für sich noch für andere zu einer Gefahr wurde?’ Noch einmal versuchte er sich ins Gedächtnis zu rufen, was er über Wölfe wusste. »Sie hatten eine sehr hohe Fluchtdistanz und waren so gut wie gar nicht mit einem Menschen sozialisierbar, wenn man sie nicht gleich nach der Geburt von der Mutter trennte. Sie waren eben keine Hunde. Wölfe liefen weite Strecken. Sie jagten in Rudeln oder allein. « Er schüttelte den Kopf. Das brachte ihn alles nicht wirklich weiter, auch wenn es die Panik erklärte, die Dean an den Tag legte. „Ich tu dir nichts“, versuchte er dem Wolf zu erklären. „Wir müssen zusammenhalten. Im Moment bin ich genauso hilflos wie du. Ich denke wir müssen gemeinsam lernen miteinander auszukommen.“ Dean machte sich noch platter. Seine Augen klebten förmlich an dem Menschen. Was wollte der von ihm? „Wir finden einen Weg, dich wieder zu dem zu machen, was du wirklich bist. Ich werde nicht ruhen, bis du wieder ein Mensch bist, Dean“, versprach er mit brüchiger Stimme. Von dem Wolf kam keine Reaktion. Sam blieb noch eine Weile von dem Tisch hocken und dachte nach. Vielleicht, wenn der den Wolf in Ruhe ließ? Vielleicht kam er ja dann? Er wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, stand auf und ging zu seinen Einkäufen. Dass der Wolf sich aufrichtete, um ihn im Auge zu behalten, bemerkte er nicht. Kapitel 135: Berührungsversuche ------------------------------- @ Vanilein : Die Hitze ist nichts für mich. Ich mag es 10 Grad weniger. Also max. 27 Grad. Das find ich toll. Aber wir können es uns ja nicht aussuchen. Also leise leiden und schwitzen ;-)) Immerhin hab ich kein so dickes Fell wie Dean. Du hast recht. Zu wissen wer man ist und etwas anderes zu sein wäre wohl noch schlimmer. Also bin ich doch echt nett zu Dean, oder? LG Kalea 135) Berührungsversuche Sam öffnete eine Dose und schaufelte etwas davon auf einen Teller. Besonders lecker roch das ja nicht gerade, vom Aussehen ganz zu schweigen. Und das sollte Premiumfutter sein? Naja, vielleicht sah es in Hundeaugen anders aus. Erst dann packte er sein Frühstück aus und verteilte es auf einem weiteren Teller. Den kalt gewordenen Kaffee schüttete er weg und machte sich mit ihrer Maschine einen neuen. Bis der durchgelaufen war blieb genügend Zeit. Er trug den Teller Hundefutter zum Tisch, unter dem Dean schon wieder lag. Vorsichtig schob er den Teller in dessen Reichweite. Doch solange er neben dem Napf saß, machte der Wolf keine Anstalten sich bewegen zu wollen und er überlegte, was er tun konnte. Rein instinktiv griff er in das Futter und bewegte seine Hand ganz langsam immer weiter auf Deans Schnauze zu. Der Wolf musterte ihn argwöhnisch und versuchte sich noch weiter in die Wand zu schieben. Kein Laut war zu hören. Sams Finger berührten die Wolfsschnauze. Er verschmierte das Futter auf dem Fell und ließ seine Hand über den Nasenrücken weiter nach oben wandern. Deans Kopf lag flach auf dem Boden. Er war wie erstarrt. Vielleicht half es ja, wenn er sich tot stellte? Der Riese vor ihm machte Angst und die Berührungen taten weh. Rein instinktiv wollte er beißen, doch konnte er das? Alles um ihn herum fühlte sich falsch an. Er fühlte sich falsch an und so blieb er einfach wie er war und wartete, dass es aufhörte. Seine Muskeln zitterten als der jüngere Winchester begann, ihn sanft zwischen den Ohren zu kraulen. Minuten verstrichen und er hatte Zeit, sich seinen Bruder genauer zu betrachten. Deans Pelz war größtenteils hell beige mit dunkler Unterwolle. Das Fell um die Nase und die Oberseiten der Ohren waren braun. Das Deckhaar auf dem Rücken und der obere Teil seines Gesichts waren schwarz. Die Augen wurden von hellem Fell umrandet. Augen die, und das war das Schlimmste für Sam, grün waren. Es waren eindeutig Deans strahlend grüne Augen. Dabei müssten sie doch braun sein, oder? Soweit er wusste gab es bei Wölfen keine grünen Augen, oder doch? Und dann, als Sam schon nicht mehr mit irgendeiner Reaktion rechnete, begann der Wolf das Futter von seiner Schnauze abzulecken. Sam nahm seine Hand weg und erhob sich. Er wollte sein Glück nicht zu sehr strapazieren. Er ging zum Wadchbecken und wusch sich die Hände, bevor er nach der Kanne der Kaffeemaschine griff und das schwarze Gebräu in eine Tasse fülltge. Nachdem er auch noch Milch dazugegeben hatte nahm er die Tasse und den Teller mit seinem Essen und setzte sich auf sein Bett. Dean gab ein leises Schnaufen von sich. Er schob seine Nase unter eine Pfote. Sam horchte auf. Er blickte zu seinem Wolf hinüber, doch der rührte sich nicht mehr. Ob ihm das Futter nicht zusagte? Er mochte es ja auch nicht. Vielleicht sollte er ihm richtiges Fleisch kaufen? Schon wieder wanderten seine Gedanken in alle möglichen Richtungen und er musste sich zwingen überhaupt einen Bissen herunter zu bekommen. Immer wieder warf er einen Blick zu dem Fellbündel unter dem Tisch, dass sich zwar noch etwas mehr zu entspannen schien, das Futter aber weiterhin nicht anrührte. Stattdessen folgte er jeder seiner Bewegungen mit argwöhnischen Blicken. Wie sollte es nur weiter gehen? Diese Frage fraß sich in ihm fest, aber so kam er zu keinem Ergebnis. Er brauchte seinen Laptop und außerdem musste er mal dringend ins Bad. Er stellte den Teller auf den Nachttisch und rutschte vom Bett. Sofort spannte sich auch der Wolf wieder an. Sam stöhnte. Was sollte jetzt werden? Er konnte doch nicht den ganzen Tag nur rumsitzen, damit Dean sich irgendwann vielleicht entspannte und fraß. Er musste diese Zigeuner suchen. Er musste einen Weg finden, um Dean wieder in einen Menschen zu verwandeln und er musste mit ihm raus. „Ich gehe nur ins Bad“, erklärte er dem Wolf ruhig und kam sich reichlich blöd dabei vor. Wieso musste er einem Wolf sagen was er tat. Aber er hoffte auch, dass es Dean half. Vielleicht konnte der sich ja so besser in die ganze Situation einfügen, schließlich wollte er dass es ihm gut ging, solange er in dieser Gestalt gefangen war. Sobald Sam die Tür hinter sich geschlossen hatte, erhob sich Dean und tappte zu der Tür. Er setzte sich davor und winselte leise. Der Mensch verwirrte ihn zwar und er machte ihm Angst, aber so ganz allein fühlte er sich hilflos. Urverwandt starrte er auf die Tür. Die Klinke noch in der Hand, erstarrte Sam. Hörte er richtig? Er trat ganz dicht an die Tür heran und legte das Ohr gegen das Holz, doch er hörte keinen Ton mehr aus ihrem Zimmer. Hatte er sich das jetzt eingebildet? Als Sam wieder in ihr Zimmer kam, sah er noch, wie das Fellbündel unter dem Tisch verschwand. So ganz hatte er sich also doch nicht getäuscht. Aber was hieß das jetzt? Wollte Dean nicht alleine sein? Vermisste er ihn, wenn er nicht im Zimmer war? Frustriert fuhr er sich mit den Händen durch die Haare und erstarrte. Kaum hatte er die Hände gehoben, zuckte der Wolf zusammen und verkroch sich noch weiter unter dem Tisch. Verzweifelt schloss Sam die Augen und atmete tief durch. Er nahm sich seinen Laptop vom Tisch und setzte sich auf sein Bett. Die Zigeuner zu suchen würde ihm wenigstens das Gefühl vermitteln etwas Sinnvolles zu tun. Stöhnend klappte Sam seinen Laptop zu. Nicht nur, dass das Ding jetzt komplett, mangels Strom, aufgegeben hatte, die Spur der Zigeuner hatte er auch noch endgültig verloren. Sämtliche Verkehrskameras hatte er angezapft und für eine Weile konnte er sie auch verfolgen, doch dann waren sie zwischen zwei Kamerapositionen irgendwo abgebogen oder sie rasteten da. Er fand sie nicht mehr. Und jetzt? Am Sinnvollsten wäre es hier die Zelte abzubrechen und ihnen bis zu der Stelle zu folgen. Er rutschte vom Bett und erhob sich, um das Ladekabel zu holen. Ganz automatisch schaute er nach seinem Bruder. Gefressen hatte der nichts, aber … Sam stutzte. Verdammt! Er könnte sich selbst in den Hintern treten. Wie konnte er nur so gedankenlos sein? Schnell verschwand er im Bad und nahm dann das Geschirr und ein paar Leckerlies aus der Einkaufstüte. Vorsichtig näherte er sich dem Wolf. Dean lag noch immer unter dem Tisch. Seine Augen verfolgten jede seiner Bewegungen und er hechelte stark. Ein bisschen wunderte sich Sam schon, dass ein Wolf aus freien Stücken stubenrein zu sein schien. Die Frage war im Moment nur, wie lange wohl noch. Dabei war er es doch immer, der einen Hund haben wollte, und der für ein paar Tage einen hatte. Allerdings hatte sich Bones damals selbst um seine Bedürfnisse gekümmert. Er hatte nie etwas zu fressen besorgen oder mit ihm Gassi gehen müssen. Er trat neben den Tisch, ging in die Hocke und streckte seine Hand aus. „Ganz ruhig Dean“, sagte er leise und hielt ihm die Hand unter die Nase. Vielleicht fasste er ja so langsam Vertrauen, wenn er die guten Eindrücke mit seinem Geruch verband? Er kraulte ihn sanft hinter den Ohren und flüsterte beruhigende Worte. „Na komm“, sagte er dann und begann dem Wolf das Geschirr über den Kopf zu streifen. Kaum fühlte Dean den Riemen um seinen Hals, begann er auch schon sich zu winden und zu drehen, um das Ding wieder los zu werden. Immer wieder winselte er schmerzerfüllt. „Ich kann dich nicht so ohne Leine laufen lassen. Bitte Dean, komm schon“, bettelte der Winchester. Der Wolf wehrte sich weiter. „Die Menschen werden dich ohne Leine nicht dulden. Selbst wenn ich mir sicher wäre, dass du wirklich du bist und kein wilder Wolf, was ich inzwischen ehrlich gesagt eher vermute, sie werden dich jagen und erschießen wollen. Ein Wolf ist selten unter Menschen geduldet.“ Dean winselte erneut und versuchte zur Seite auszubrechen. Sam musste seine ganze Kraft aufwenden, um ihn zu halten und ihm das Geschirr um den Körper zu schnallen. Irgendwann war auch das geschafft, ohne dass einer schwerer verletzt war. Der Winchester hatte zwar ein paar Kratzer abbekommen, aber nichts Schlimmeres und er wunderte sich, warum Dean nicht gebissen hatte. War das doch sein Bruder? War er einfach nur vollkommen verwirrt? Er konnte nicht einordnen, was sein Bruder war und das machte ihn langsam verrückt. Mit grimmiger Wut schob er diese Gedanken beiseite, legte sich die Leine um Schulter und Hüfte und kniete sich wieder neben Dean. Er hakte die Leine am Geschirr fest und umfasste den Riemen, der um Deans Hals und Brust führte. Mit sanfter Gewalt zog er den Wolf in die Höhe und mit sich zur Tür. Dean versuchte sich zu wehren. Er schüttelte sich immer wieder, stemmte die Füße in das Linoleum, fiepte und winselte, doch nichts half. Unerbittlich zog Sam ihn mit sich. Sam kämpfte mit den Tränen. Er fühlte den Zug an seinem Arm, er hörte die Krallen auf den Boden und das Winseln zerriss ihm fast das Herz, aber wenn sie jetzt nicht raus gingen, würden sie das wohl nie schaffen und sie würden nie hier wegkommen. Kurz vor der Tür merkte der Winchester dass Dean aus dem Geschirr zur rutschen drohte und er grub seine Finger zusätzlich noch in das Fell. Er öffnete die Tür, zog Dean nach draußen und schloss sie wieder. Gut dass es schon dunkel war und niemand sah, wie er das Tier behandelte! Sie kamen genau zwei Schritte. Neben der Anmeldung parkte ein Wagen. Ein Mann kam aus dem Haus und lief über den knirschenden Kies zu diesem Wagen. Dean erstarrte. Der Mann stieg ein und schlug die Autotür zu. Dean sprang nach vorn. Er wurde vom Geschirr gehalten. Sofort machte er einen Satz nach hinten und brachte Sam durch diesen Richtungswechsel fast aus dem Gleichgewicht. Der Jüngere hockte sich hin und zog seinen Wolf langsam zu sich. Beruhigend redete er auf ihn ein und begann ihn mit beiden Händen hinter den Ohren zu kraulen. „Ich weiß, dass das alles unheimlich verwirrend für dich sein muss, so viele Geräusche und Gerüche und ein Körper, der nicht ist wie er sein sollte, aber ich verspreche dir, dass wir es schaffen werden. Du wirst wieder ein Mensch! Und wenn es das Letzte ist, das ich tue. Du wirst nicht als Wolf sterben!“ Dean fiepte leise. „Na komm“, sagte Sam und erhob sich. Er umfasste jetzt nicht nur die Leine, sondern auch den hinteren Teil des Geschirrs, um so solche Aktionen besser abfangen zu können. Er atmete ein paar Mal tief durch und versuchte innerlich zur Ruhe zu kommen. Vielleicht half das Dean ja auch. Angeblich konnte Tiere die Stimmung ihrer Besitzer fühlen. Sagte zumindest dieser Cesar aus dem Fernsehen immer. Dem sollte er Dean mal vorstellen. Der würde nie glauben was er da zu sehen bekäme. Nein, besser nicht. Dean vorführen war das Letzte! Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Wo kamen denn solche abwegigen Gedanken her? An der Straße mussten sie warten, weil zwei Autos kamen. Wieder winselte Dean. Zitternd presste er sich an Sams Bein und schob ihm die Nase in die Hand. „Sch“, machte Sam und strich mit seinem Daumen über den Nasenrücken des Wolfes. Er freute sich, dass ihm sein Bruder so viel Vertrauen entgegenbrachte und ignorierte die leise Stimme in seinem Kopf die behauptete, dass er einfach nur verwirrt war und sich an das erstbeste Bekannte schmiegte. Kaum waren die Autos vorüber, überquerten sie die Straße, gingen zügig zwischen einigen Häusern hindurch und betraten freies Feld. Etwas weiter hinten konnte Sam Bäume erkennen. Dahin wollte er. Kapitel 136: Ein Tag als Wolf ----------------------------- @ Vanilein - mal sehen, wie Sam noch weiter über Deans Malzeiten denken wird, und wie Dean die ersten Ausflüge findet. LG Kalea 136) Ein Tag als Wolf Kaum waren sie zwischen den Bäumen, war Dean wie ausgewechselt. So viele neue Gerüche stürzten auf ihn ein. Hier war nichts beängstigend oder zu laut. Keine unbekannten Geräusche, die ihn erschreckten und keine Berührungen die schmerzten. Mit freudig erhobener Rute verfolgte der Wolf jeden Mäusegang. Jedes Gebüsch musste untersucht werden. In jeden Kaninchenbau musste er seine Nase stecken. Hin und wieder schnaufte er, als hätte er Staub oder Fusseln in die Nase bekommen und brachte so Sam zum Lachen. Und der hatte die Ruhe ihm einfach zu folgen. Schon bald war die kurze Leine gelöst worden. Kurz danach schnallte Sam sich die lange Leine vom Körper und ließ sie wenig später ganz los. Wenn sein Bruder jetzt durchstarten würde, wäre er wohl für immer verschwunden. Doch Sam baute auf die Neugier, die ihn alle drei Schritte stehen bleiben ließ und er verbot sich den Gedanken, dass Dean einfach so verschwinden würde. Sie waren Brüder und er weigerte sich noch immer zu glauben, dass nichts von Dean in dem Wolf war. Nichts außer den leuchtend grünen Augen. Zum ersten Mal seit Deans Verwandlung hatte er Zeit seine Gedanken einfach laufen zu lassen und natürlich drehten sie sich nur um seinen Bruder. Er hatte noch immer keine Ahnung, wie er mit der Situation umgehen sollte. Wie konnte er Dean schützen? Ohne ihn würde der nie überleben können, zumindest wollte er sich das einreden. Es durfte einfach nicht sein, dass Dean ihn jetzt verließ. Dean hatte den Deal gemacht weil er nicht allein leben wollte und so sehr wie er ihn dafür auch anfänglich belächelte und schon bald immer mehr verfluchte, er konnte auch nicht mehr allein leben. Oder er wollte es nicht. Es stimmte schon, sie waren wie ein Paar alte Latschen, wie ein altes Ehepaar und Sam konnte sich ein Leben ohne Dean einfach nicht vorstellen. Außerdem hatte Sam noch nie von Wölfen mit leuchtend grünen Augen gehört und er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass das ein Grund wäre seinen Bruder einem Trophäen-Kabinett hinzuzufügen. Nein. Dean musste bei ihm bleiben. Außerdem musste es ja wohl einen Weg geben, diesen Fluch oder was immer diese Hexe mit ihm gemacht hatte, zu brechen oder aufzuheben. Und wie sollte er das machen, wenn Dean nicht bei ihm war? Sam schüttelte den Kopf. Genau darüber wollte er nicht nachdenken! Er gähnte. So langsam sollten sie wieder zurück. Er ging die wenigen Schritte bis zu seinem Bruder, der die Nase noch immer am Boden hatte, und nahm die Leine wieder in die Hand. „Na komm, wir gehen zurück“, sagte er und wandte sich zum Waldrand. Sofort hing die Rute wieder traurig zwischen den Hinterbeinen. Sam konnte regelrecht spüren, wie Deans Laune wieder schlechter wurde. Eine knappe halbe Meile vor dem Motel reichte es Dean endgültig. Hatte er sich bis hierher noch lustlos mitziehen lassen, streikte er jetzt komplett und legte sich auf den Boden. Sam wartete eine Weile, doch der Wolf bewegte sich keinen Millimeter. Als Sam zu ziehen begann röchelte Dean, blieb aber weiter stur liegen. Er wollte nicht wieder zurück. Hier draußen war sein Revier. Hier gehörte er hin und hier konnte er leben, das fühlte er nur zu deutlich. Sam fror nicht nur äußerlich! „Na komm“, bat er leise und zog an der Leine. „Du musst doch Hunger haben.“ Ein paar Mal musste Sam noch an der Leine ziehen, bis Dean sich missmutig erhob und langsam hinter ihm her trottete. Er wollte nicht noch weiter vom Wald weg! Immer wieder blieb Dean stehen und immer wieder wollte er zurück in den Wald. Jedes Mal redete Sam ihm gut zu und schaffte es so, dass sie doch irgendwann wieder in ihrem Motelzimmer ankamen. Dean rannte sofort wieder unter den Tisch und legte sich platt auf den Bauch, während Sam sich noch schnell umzog und danach ins Bett fiel. Noch im Einschlafen überlegte er, dass er morgen Bobby unbedingt anrufen musste. Darüber nachzudenken, was er dem alten Freund sagen sollte, dazu kam er aber nicht mehr. Am späten Vormittag erwachte er, weil etwas auf seinen Beinen lag. Eine Sekunde blieb er noch still liegen und versuchte zu ergründen, was das wohl sein konnte. Er kam nicht darauf und zog sein Bein weg. Sofort verschwand das Gewicht und er hörte etwas auf den Boden springen und zum Tisch laufen. War das Dean? Hatte Dean auf seinem Bett geschlafen? Ein warmes Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Augenblicklich war Sam auf den Beinen. Er ging zum Tisch und davor in die Hocke. Vorsichtig streckte er die Hand aus. Deans Augen verfolgten jede Bewegung argwöhnisch. Als Sam ihm seine Hand auf den Kopf legte erstarrte er regelrecht und wartete darauf, dass das aufhörte. Das warme Gefühl in Sams Bauch verschwand. Er griff nach dem Futternapf, den Dean auch über Nacht nicht wieder angerührt hatte und ging zu der kleinen Küchenzeile, um das alte Futter zu entsorgen und den Napf mit frischen wieder zu füllen. „Bitte Dean, du musst was essen“, sagte er und stellte das Futter vor dessen Nase ab. Der Wolf schnaufte nur missbilligend und drehte den Kopf weg, was Sam wieder zu der Überlegung zurückbrachte, ob frisches Fleisch nicht doch besser wäre, und wenn ja, was für Fleisch. Was fraßen Wölfe in freier Wildbahn? Mit dieser Überlegung ging er ins Bad, doch auch das prasselnde Wasser der Dusche half ihm weder bei seinen Überlegungen noch brachte es die Entspannung, die sich sonst fast immer einstellte. Er wusste nicht mehr weiter. Nur mit dem Handtuch um die Hüften kam er wieder ins Zimmer. Er füllte die Kaffeemaschine und während das schwarze Gebräu in die Kanne lief, zog er sich an. Ein Blick auf den Teller mit dem Hundefutter zeigte ihm, dass Dean noch immer nichts gefressen hatte. Er seufzte leise. „Du musst doch Hunger haben“, sagte er leise und beschloss, gleich nachdem er den Kaffee getrunken hatte, loszufahren um Fleisch zu besorgen. Eine Stunde später kam er zurück. Er hatte Truthahnbrust mitgebracht, das einzige Fleisch, dass nicht in der Gefriertruhe gelegen hatte, weil er hoffte, dass frisches Fleisch den Wolf zum Fressen animieren würde, immerhin fraßen Wölfe doch nur frisches, oder? Nein, wohl eher nicht nur, aber das hier war ja in gewisser Weise auch Aas. Er schüttelte sich bei dem Gedanken. So hatte er das noch nie betrachtet. Sam schloss die Tür auf. Beim Eintreten sah er einen schwarzen Streifen von seinem Bett verschwinden. Verwundert blieb er stehen und sah zum Tisch, Dean lag darunter, als wäre nichts geschehen. Er schüttelte den Kopf und beeilte sich das Fleisch zu zerkleinern. Nachdem er es auch noch kurz abgebrüht hatte, legte er es in eine Schüssel und stellte es in Deans Reichweite. Das Hundefutter entsorgte er. So wie das roch, wollte er es auch nicht essen müssen. Erst als er seinen Bruder versorgt wusste, nahm er sich seinen Salat und schob ihn sich Gabel für Gabel gedankenverloren in den Mund, während der Laptop hochfuhr. Ob er Bobby noch mal um die Hilfe dieses Freundes bitten sollte? Vielleicht hatte der ja noch andere Möglichkeiten diesen Van zu finden? Porzellan klapperte und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er schaute sich suchend nach der Quelle dieses Geräusches um und entdeckte die Schüssel, die er vor ein paar Minuten mit Fleisch gefüllt hatte, leer an der Wand stehen. Erleichtert atmete er auf. Dean hatte gefressen. Das hieß zwar, dass er jetzt jeden Tag einkaufen musste, aber solange Dean fraß war ihm das egal. Hauptsache ihm ging es gut, soweit es einem Menschen gut gehen konnte, der plötzlich zu einem Wolf geworden war. Sam stand auf, brachte die Salatverpackung weg und die Kaffeekanne mit zum Tisch und begann aufs Neue nach den Zigeunern zu suchen. Frustriert strich er sich über das Gesicht. Es war zum Verzweifeln. Diese Zigeuner schienen sich bewusst von allen Verkehrskameras fern zu halten! Er gab es nicht gerne zu, aber er brauchte Hilfe! Schnell hatte er sein Handy aus der Hosentasche geholt und Bobbys Nummer gewählt. Beim dritten Klingeln ging der alte Freund dran. „Was?“, grummelte der unwirsch. „Störe ich?“, wollte Sam unsicher wissen. So war er ja noch nie, oder nur höchst selten empfangen worden. „Ich ...“, der alte Jäger schüttelte den Kopf. Die Jungs konnten nichts für sein Gefühlschaos! „Wolltet ihr nicht herkommen?“, fragte er wesentlich freundlicher. „Wollten wir!“ Sam stöhnte leise. Wenn sie es nur schon wären. Dann wäre all das nicht passiert! „Wir sind hier regelrecht über einen Werwolf gestolpert. Ihn konnten wir stoppen aber seine Eltern scheinen ebenfalls welche zu sein und die sind abgehauen, bevor wir sie stellen konnten.“ „Und jetzt braucht ihr meine Hilfe?“ „Genau! Du hast uns bei dem Fall in Dallas an einen Computerfreak verwiesen. Könnte der einen Wagen für mich aufspüren?“ „Davon gehe ich aus. Hast du ein Kennzeichen?“ „Hab ich“, antwortete Sam und gab Bobby alles, was er zu dem Wagen hatte. „Ich gebe es an Frank weiter. Wo ist eigentlich dein Bruder?“ „Dean? Zum Diner. Essen besorgen. Du weißt doch dass recherchieren nicht so seins ist und er ohne Essen ungenießbar wird“, log Sam und wunderte sich, dass ihm diese Lüge so glatt über die Lippen kam. Aber um nichts in der Welt wollte er dem alten Freund sagen, dass er versagt hatte, dass er seinen Bruder nicht beschützt hatte, so wie es seine Aufgabe gewesen wäre. „Grüß ihn von mir und bis bald“, grüßte Bobby noch, bevor er auflegte. „Bis bald“, murmelte Sam in das Besetztzeichen. „Aber nur wenn Dean wieder Dean ist!“ Insgeheim aber fragte er sich wie lange er diese Scharade aufrecht erhalten konnte. Wie lange würde Bobby sich hinhalten lassen? Wann musste er mit der Wahrheit rausrücken? Sam warf einen Blick auf seinen Bruder. Der lag unter dem Tisch, seine Pfoten unter dem Kopf und blinzelte gelangweilt. Ohne dass er es verhindern konnte, gingen seine Gedanken auf Wanderschaft. Was, wenn er Dean nicht zurückverwandeln konnte? Was wenn er die Zigeuner nicht fand? Würde sein Bruder so glücklich werden können? Würde er sein Revier finden? Könnte er Dean ein Leben lang einsperren? Würde sein Bruder für immer bei ihm bleiben? Erstickt japste er nach Luft, weil ihm ein dicker Kloß den Hals zuschnürte. Es war so ungerecht! Die ganze Welt schien sich gegen sie verschworen zu haben. Sie hatten immer wieder ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um Menschen zu retten und jetzt wo sie einmal an sich denken wollten, einmal etwas für sich tun wollten, warf ihnen das Schicksal einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine. Nur dass der Knüppel jetzt eher ein Gebirge war und er nicht wusste, wie er das beiseite räumen konnte. Wer konnte schon Berge versetzen? Noch nie hatte er sich so hoffnungslos gefühlt. Selbst als das Ende von Deans Pakt immer näher gekommen war, hatte er noch einen Funken Hoffnung gehabt. 'Reiß dich zusammen, Sam!', ermahnte er sich in Gedanken. Noch war es nicht soweit, die Flinte ins Korn zu werfen! Noch gab es Hoffnung! Er erhob sich und ging zu seinem Wolf. Vorsichtig setzte er sich neben ihn und legte seine Hand auf dessen Kopf. Augenblicklich versteifte sich Dean und als er begann seine Hand über das Fell gleiten zu lassen, erklang ein leises Wimmern aus dessen Kehle. Wieder und wieder ließ Sam seine Hand über das harte Fell gleiten. Es war fast wie ein geheimes Mantra, das die Verzweiflung in seinem Inneren langsam schmelzen ließ und es dauerte lange, bis er sich soweit gefangen hatte, um wieder aufstehen zu können. „Komm“, sagte er einem spontanen Entschluss folgend. „Auch wenn du jetzt ein Wolf bist, kannst du nicht nur unter dem Tisch liegen! Du warst nie ein Feigling und du konntest nie lange auf deinem Hintern sitzen. Lass uns die Stadt erkunden, bis wir etwas von Bobby hören.“ Er holte die Leine und befestigte sie am Geschirr, das Dean noch immer trug. Mit sanfter Gewalt zog er ihn unter dem Tisch hervor und aus dem Zimmer. Entschlossen wandte er sich in Richtung eines kleinen Parks, der in der Nähe lag. Dean musste unter Menschen, wenn er irgendwann mit denen zusammenleben wollte. Kapitel 137: Ein Rückschlag nach dem anderen -------------------------------------------- @ Vanilein - Ja, der winchestersche Stolz. Damit wird Sam wohl noch eine ganze Weile zu kämpfen haben. Genau wie mit einem zwiespältigen Dean. LG Kalea 137) Ein Rückschlag nach dem anderen Die Idee eines Spazierganges erwies sich als komplettes Desaster. Dean erschrak immer wieder vor allen möglichen Geräuschen und zerrte ihn hinter sich her ins nächste Gebüsch. Er brauchte jedes Mal eine kleine Ewigkeit und jede Menge guter Worte und sanfter Gewalt, um ihn daraus hervor und zum weitergehen zu bewegen. Sie brauchten mehr als eine Stunde, um die restliche halbe Meile zurückzulegen. Bis sie letztendlich wieder im Motel waren vergingen fast vier Stunden. Erschöpft ließ sich Sam auf das vordere Bett fallen. Seine Knie zitterten. Er war am Ende. „Ausflüge am Tag sind vorerst gestrichen“, informierte er Dean, der überraschenderweise nicht sofort wieder unter dem Tisch verschwunden war, sondern vor seiner Wasserschüssel stand und gierig trank. Sie würden in den nächsten Tagen nur noch in der Dunkelheit rausgehen, beschloss Sam, vor Allem wenn er an diese alte Ziege dachte, die als sich Dean im Park wenigstens etwas beruhigt und neben einer Parkbank erleichterte hatte, wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Sie drohte ihm mit ihrem Stock und zwang ihn die Hinterlassenschaften des Wolfes wegzuräumen. Erst nach längerem Suchen hatte er einen Zettel in seinen Taschen gefunden und konnte sich ans Aufräumen machen, auf das Genaueste beobachtet von der keifenden Alten. Man, was hatte er sich geekelt! Was ihn allerdings vollkommen irritiert hatte, war Deans Reaktion auf diese Furie. Er war wie ausgewechselt. Um seine Hinterlassenschaft zu beseitigen hatte er die Leine an einer der Bänke festgebunden und Dean war kurz davor gewesen, die Bank aus ihrer Verankerung zu reißen. Immer wieder war er wütend knurrend gegen sein Geschirr gesprungen. Nicht nur einmal war er dabei auf der Seite gelandet, weil ihn die Leine abrupt ausgebremst hatte. Sam würde es freiwillig nicht zugeben, aber in diesem Moment hatte er vor dem Wolf Angst. Dessen Wildheit war etwas, womit er weder gerechnet hatte noch so auf die Schnelle umgehen konnte. Andererseits war er aber auch total begeistert gewesen, wie Dean auf diese Frau reagiert hatte und wollte sich nur zu gerne einreden, dass er ihn beschützen wollte. Gut dass sich Dean, nachdem die Frau gegangen war, wieder beruhigt hatte. Friedlich hatte er unter der Bank gelegen und die Menschen beobachtet. Auf dem Rückweg war er etwas weniger scheu. Hin und wieder blieb er stehen und schnüffelte an einem Baum oder einer Ecke. Wenn er dann bemerkte, dass Sam ein oder zwei Meter weitergegangen war, sprang er erschrocken wieder an dessen Seite und trabte die nächsten hundert Meter eng an Sams Bein gedrückt weiter, nur um bald darauf den Versuchungen fremder Gerüche wieder zu erliegen. Kurz vor dem Motel kam dann allerdings ein Wagen mit kaputtem Auspuff an ihnen vorbei. Genau neben ihnen hatte der Wagen auch noch eine Fehlzündung und Dean verschwand mit einem Jaulen im nächsten Gebüsch. Um überhaupt in ihr Zimmer zu kommen, musste er den Wolf unter dem Busch hervor zerren und ihn ins Zimmer tragen. Mehr als hundertzwanzig Pfund sich windender Wolf hatte ihn seine ganze Kraft gekostet. Er brauchte ein paar Minuten um sich wieder zu erholen. Dean hingegen schien der Ausflug gut getan zu haben. Zumindest hier im Zimmer bewegte er sich freier. Er hatte seine Schüssel leer getrunken und lief jetzt unruhig auf und ab. Auch wenn er bei jedem Geräusch regelrecht einfror und lauschend den Kopf schief legte, so nahm er seine Wanderungen doch schon bald wieder auf. Sam war erleichtert. Wenigstens einer von ihnen fand sich wohl langsam in dieser verzwickten Situation zurecht. Und dann klingelte Sams Handy. Sofort erstarrte Dean. Seine Ohren richteten sich auf den Menschen. Er kniff den Schwanz zwischen die Hinterbeine und war in der nächsten Sekunde unter dem Tisch verschwunden. Der jüngere Winchester seufzte leise. Das war wohl nichts mit dem Hineinfinden in diese Situation! Er holte das Handy aus der Hosentasche und nahm das Gespräch an. Bobby war dran und informierte ihn, dass Frank den gesuchten Wagen in St. Joseph, Missouri gefunden hatte. „Und wo da?“ „An einer Ausfallstraße in Richtung Kansas City. Er sagte, dass er weiter dran bleibt.“ „Okay, danke Bobby. Ich klemme mich dann auch mal wieder hinter den Rechner. Vielleicht entdecke ich sie ja auch wieder. Das wurmt mich doch, dass ich sie verloren hatte.“ „Was habt ihr jetzt vor?“ „Ich weiß noch nicht. Folgen wäre mein erster Gedanke, aber wenn die wirklich nach Kansas City fahren, kann ich mich da totsuchen. Weißt du wann dein Freund die in St. Joseph gesehen hat?“ „Nein tut mir leid, das habe ich ihn nicht gefragt“, entgegnete Bobby. „Wo ist eigentlich Dean?“ „Duschen. Wir wollten in eine Bar. Unser Bargeld neigt sich dem Ende entgegen.“ „Grüß ihn und ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiß.“ „Alles klar Bobby, bis dann.“ Erleichtert atmete Sam auf nachdem er das Gespräch beendet hatte. Wie lange konnte er Bobby noch belügen? Oder besser, wann würde er bereit sein dem alten Freund die Wahrheit zu erzählen? „Was denkst du? Sollen wir ihnen folgen?“, fragte Sam den Wolf, der bei dem veränderten Klang von Sams Stimme sofort wieder erstarrte. Dabei hatte er doch gerade wieder begonnen im Zimmer herumzulaufen. Sam seufzte. Das würde ein langer Lernprozess werden, wenn es ihm nicht gelang diese Zigeuner zu finden. 'NEIN! Verdammt! Ich will nicht darüber nachdenken, was wäre wenn … Ich will Dean wieder haben. Menschlich, gesund und am Liebsten so, wie er damals in Bangor war. Da hatten sie sich, seiner Meinung nach, am Besten verstanden. Von Dean kam natürlich keine Antwort auf seine Frage. Er erhob sich, um seinen Laptop zu holen. Bei einem Blick auf Deans Schüsseln sah er, dass beide leer waren. Die eine konnte er schnell wieder füllen, für die andere musste er nochmal los, um Fleisch zu besorgen. Voll bepackt kam Sam von seiner Einkaufstour wieder. Er schloss die Tür auf und schob sich in den Raum. Ein beige-grauer Schatten schoss an ihm vorbei. Vor Schreck ließ Sam die Tüten fallen und versuchte diesen Schatten zu fassen zu bekommen, bevor der ganz aus dem Zimmer und für immer verschwunden war. Er reagierte gerade noch schnell genug und erwischte seinen Wolf. Am Schwanz! Dean jaulte schmerzhaft auf und während Sam versuchte sich komplett auf ihn zu werfen, schnellte der herum und fasste zu. Sams Schulter knirschte unter dem zangenartigen Griff von Deans Kiefer. Jetzt knurrte Sam vor Schmerzen. Tränen schossen ihm in die Augen. „Argh!“ Ein Schrei quälte sich durch Sams Kehle. Dean hatte fast sofort wieder losgelassen, wehrte sich aber mit allen vier Pfoten dagegen wieder ins Zimmer bugsiert zu werden. Nur mühsam schaffte Sam es sich und den Wolf Stück für Stück weiter ins Zimmer zu schieben. Mit letzter Kraft trat er die Tür zu. In diesem Moment erlosch auch Deans Widerstand. Das leise Winseln ging in ein kurzes Jaulen über und erstarb dann. Nur hin und wieder ließ er ein schmerzhaftes Fiepen hören. Sam kämpfte sich auf die Beine. Wahrscheinlich hatte er seinem Bruder weh getan und das tat ihm mehr als leid, auch wenn er es nicht wieder rückgängig machen konnte. Hoffentlich hatte er die kleine Vertrauensbasis, die gerade zwischen ihnen herrschte, nicht komplett zerstört. Sofort rappelte sich auch Dean auf und verschwand unter dem Tisch. Auf zittrigen Beinen stakste Sam ins Bad, wo er sich erst einmal auf den Toilettendeckel fallen ließ. Seine Schulter pochte. Jeder Schritt hatte ihn wie ein Vorschlaghammer getroffen. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht und auch sein Shirt klebte eklig am Rücken. Doch im Moment sah er sich noch nicht in der Lage, sich auszuziehen, ganz zu schweigen von einer Dusche. Minuten verstrichen, ohne dass sich der Winchester rührte. Fürs Erste genügte es ihm einfach nur zu atmen und den pochenden Schmerz in seiner Schulter zu ertragen. Erst als der Schmerz langsam nachließ, konnte er sich aufraffen sich Hemd und T-Shirt auszuziehen und nach weiteren quälend langsam verstreichenden Minuten, in denen die dadurch ausgelöste Schmerzattacke abebbte, schaffte er es, sich zu erheben und vor den Spiegel zu treten. Ein bleiches Wesen starrte ihm entgegen, doch das interessierte ihn nicht. Er würde sich erholen! Wichtiger war seine Schulter. Was hatten Deans Zähne angerichtet? Vorsichtig ließ er seine Finger über die dunkelroten Male gleiten. Die Haut war nicht verletzt. Doch das wäre wohl das geringere Übel gewesen. Er biss die Zähne zusammen und versuchte den Arm zu bewegen. Der Schmerz explodierte erneut in der Schulter und trieb ihm die Tränen in die Augen. Mühsam unterdrückte er einen Schrei. Je länger er den Arm jedoch bewegte, umso besser wurde es. Der Schmerz ebbte ab und er konnte die Knochen abtasten ohne gleich Sterne zu sehen. Gebrochen schien nichts zu sein, zumindest konnte er nichts fühlen, keine Unebenheit im Knochen und kein Knirschen bei den Bewegungen. Mit einem Verband würde es irgendwann wieder besser werden. Er konnte nur hoffen, dass Dean nicht noch einen Ausbruchsversuch starten würde, denn dem hätte er nichts entgegenzusetzen. Halten würde er ihn so nicht mehr können. Vorsichtig zog er sich wieder an. Er würde sich Verbandsmaterial für die Schulter kaufen müssen. Am Besten etwas, womit er den Arm ruhigstellen konnte. Vorerst schob er die Hand in den Bund seiner Hose. So sollte es erstmal gehen. Kaum dass er die Badezimmertür geöffnet hatte, suchte sein Blick den Wolf. Dean lag zusammengerollt unter dem Tisch, die Nase unter Pfote und Schwanz versteckt. Doch so entspannt wie das auf den ersten Blick aussah, war es nicht. Er konnte sehen wie angespannt der Wolf war. „Noch so eine Aktion und ich kette dich an die Wasserrohre“, erklärte er ernst und hoffte, dass Dean ihn verstand. Vielleicht war es wirklich besser, wenn er seine Bewegungsfreiheit einschränkte, wenn er den Raum verließ? Immerhin konnte irgendwann doch einmal das Zimmermädchen reinkommen und dann wollte er nicht, dass sie überrannt wurde. Mit diesen Überlegungen ging Sam nach draußen und holte seine Einkäufe herein, die er bei Deans Ausbruchsversuch fallengelassen hatte. Schnell hatte er das Fleisch klein geschnitten, kurz überbrüht und in eine Schlüssel gelegt. Er stellte sie vor Deans Nase ab. Der Wolf rührte sich nicht. Nur seine Augen verfolgten jede seiner Bewegungen. Sam ging langsam zurück und setzte sich auf das hintere Bett. Noch immer ließ Dean keine Reaktion erkennen. Erst als Sam durch ein Gespräch mit Bobby soweit abgelenkt war, dass er nicht mehr ständig zu ihm schaute, schlang er das Fleisch herunter. „Und er meint, dass sie in St. Joseph bleiben?“, fragte Sam aufgeregt, kaum dass Bobby ihm Franks Informationen übermittelt hatte. Endlich hatte er wieder eine Spur. „Es sieht zumindest danach aus. Aber Frank bleibt weiter dran.“ „Danke, Bobby. Wir machen uns gleich auf den Weg!“ Voller Freude legte Sam auf und begann hastig ihre Sachen zu packen. Mit der Leine kroch er unter den Tisch und konnte sich nicht beherrschen, den Wolfspelz zu zerzausen, bevor er den Karabiner in den Ring am Brustgeschirr einhakte. „Wir haben sie wieder, Dean. Jetzt finden wir eine Lösung und machen aus dir wieder einen Menschen!“, erklärte er euphorisch. Den widerstrebenden Wolf in den Impala zu bekommen stellte sich als schwieriger heraus, als er es sich in seiner Euphorie vorgestellt hatte, aber auch das konnte seine Laune nicht trüben. Selbst die Schmerzen in der Schulter waren weniger schlimm. Seit Bobbys Anruf war noch keine Stunde vergangen, bis Sam den Impala startete und ihn auf die Straße lenkte. Dean lag vor der Rückbank auf dem Boden. Kaum dass der Motor grollte und das leichte Vibrieren den gesamten Wagen erfasste, begann er leise zu jaulen. Je länger sie fuhren um so lauter und flehentlicher wurde das Winseln. Nur hin und wieder machte Dean eine Pause, in der er versuchte sich einen Ausweg aus diesem Gefängnis zu graben. Und obwohl das Jaulen an Sams Nerven zerrte, konnte es seine guten Laune nicht wirklich erschüttern. Einen merklichen Dämpfer bekam die kurz hinter Maryville. Leise Würgegeräusche drangen vom Fond an sein Ohr. Augenblicklich lenkte er den Wagen an den Straßenrand. In seiner Hektik prellte er sich die eh schon angeschlagene Schulter beim Aussteigen an der B-Säule. Der Schmerz breitete sich glühend heiß durch seinen Arm bis in die Fingerspitzen und über den Nacken und den Hals bis in seinen Kopf aus und explodierte in seinem Gehirn. Tränen drängten sich in seine Augen. „Verdammt“, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und versuchte sich langsam aufzurichten. Vorsichtig öffnete er die hintere Tür. Nicht dass ihm Dean hier entwischte. Er kam genau passend um zu sehen, wie sich der Wolf erbrach. „Na toll!“, entfuhr es ihm resigniert. Noch etwas, das sein Bruder später in Ordnung bringen musste! Dean leckte sich über das Maul. Er saß aufrecht und schaute Sam aus grünen Augen unverwandt an. Dass ein Ausdruck von „Das hast du jetzt davon“ in seinen Augen lag, bildete sich der jüngere Winchester wohl nur ein. Trotzdem konnte der sich dieses Eindruckes nicht erwehren. Er schloss die Tür wieder und holte einen alten Lappen aus dem Kofferraum, um damit die Fleischreste zu entfernen, die nicht auf der zerfetzten Fußmatte gelandet waren. Wieso war die überhaupt so zerrissen? Lange zerbrach er sich darüber jedoch nicht den Kopf da er die Matte mitsamt der Lappen gleich darauf komplett im Straßengraben entsorgte. In den letzten Wochen hatte Deans Baby wirklich leiden müssen. Der Wolf hatte sich während der ganzen Aktion nicht gerührt. Erst als Sam sich wieder hinter das Steuer setzte und den Motor startete, begann er wieder mit seiner Jaulerei. Sam warf noch einen Blick auf ihn, seufzte und hoffte, dass der Magen jetzt leer war. Außerdem nahm er sich vor ihn nicht mehr zu füttern, wenn er vor hatte das Motel zu wechseln, was hoffentlich nicht mehr so oft der Fall sein würde. Wenn sie Glück hatten, dann würden sie morgen in den Impala steigen und zu Bobby fahren. In der nächsten Woche würde er Dean beim Reparieren des Wagens helfen und wenn es nur die durchgehende Versorgung mit Kaffee sein sollte und dann? Über das Danach konnte sie sich in Ruhe ihre Gedanken machen. Hauptsache sie würden nie wieder jagen gehen! „Bitte Dean“, sagte er ruhig, „halt noch etwas durch.“ Kapitel 138: geht es je wieder vorwärts? ---------------------------------------- @ Vanilein - Dean war nie in dem Wolf. Er ist der Wolf. Ein Wildtier ohne jede Erinnerung daran, dass es je anders war. Sorry! Und wie lange das noch dauert - willst Du das wirklich wissen? LG Kalea 138) Geht es je wieder vorwärts? Der Traum eines baldigen ruhigen Lebens zerplatze in dem Moment, als Sam in die Straße in St. Joseph einbog, in der dieser Frank den Wagen der Zigeuner gefunden hatte. Er war nicht mehr da. Er lenkte den Impala an den Straßenrand, holte sein Handy hervor und rief Bobby an. „Sie sind weg“, erklärte er ohne eine Begrüßung. „Wer? Die Zigeuner?“ „Genau die!“ „Warum sind die so wichtig?“, wollte der alte Jäger wissen. „Sie sind die Eltern des Werwolfes, den wir erschossen haben! Das hab ich dir doch erzählt!“, erklärte Sam genervt. „Das erklärt aber nicht, warum du regelrecht ausflippst, nur weil die weitergezogen sind!“ „Wir wollen es einfach beenden. Ist das so schwer zu verstehen?“ „Jetzt werd mal nicht pampig!“ „Entschuldige bitte. Es ist einfach … Wir sind Beide noch angeschlagen und wollten eigentlich schon lange bei dir sein und mal nicht an Monster und Dämonen denken müssen. Nach dem Desaster mit Adam hatten wir uns entschieden kürzer treten zu wollen und nicht mehr von einem Fall zum nächsten zu hetzen. Einen Fall wollten wir noch machen. Jetzt sind wir drei Fälle weiter und noch immer ist nichts von Ruhe und Gelassenheit zu sehen. Wir sind ausgebrannt.“ Der alte Freund brummelte sich etwas Unverständliches in den Bart. Seine Jungs wollten kürzer treten? Vielleicht sogar aussteigen? Egal. Für ihn zählte gerade nur, dass sie dann wohl öfter bei ihm wären und damit wohl wieder etwas Leben hier ins Haus käme. „Sie sind in Richtung Kansas gefahren und selbst mit Franks Mitteln wird die Suche dauern. Er hat mir aber versprochen, dass er dran bleibt und ich sofort erfahre, wenn er sie wiedergefunden hat. Danach melde ich mich auch sofort bei dir.“ „Danke Bobby“, versuchte auch Sam versöhnlich zu klingen. Gleich darauf legte er auf. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er den Wolf. Der winselte leise. „Du hast Recht. Wir suchen uns ein Zimmer und dann gehen wir raus. Du bist schon wieder viel zu lange eingesperrt.“ Trotz dieses Versprechens brauchten sie noch mehr als eine Stunde, bis Sam endlich die Leine an Deans Brustgeschirr befestigte und ihn aus dem Auto ließ. Er gähnte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es inzwischen schon fast wieder Morgen war und die Stadt wohl langsam erwachen würde. Er wollte nichts lieber als in ein Bett und so lange schlafen bis alle Probleme sich von selbst lösen würden, doch das würde wohl nie passieren und Dean musste raus. Noch so ein Missgeschick wie auf der Fahrt hierher wollte er nicht riskieren, auch wenn sich der Wolf dieses Mal wohl nicht erbrechen würde. Ihr Motel lag in der Nähe eines größeren Parks und genau dahin wollte Sam jetzt. Sie überquerten eine Straße und Sam machte die Leine lang, damit er nicht jeden Schritt des Wolfes mitmachen musste, sollte der sich entschließen den Spaziergang nicht mehr nur eng an sein Bein gepresst zu machen. Die Wege des Parks waren beleuchtet. Es gab aber noch immer genügend dunkle Ecken und vor genau so einer blieb Dean plötzlich stehen. Er starrte in die Dunkelheit, die Ohren lauschend nach vorn gestellt. Unruhig begann er vor und zurück zu laufen und fiepte leise. Sam konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihn so irritierte. Aber vielleicht war da ja eine Maus oder ein anderes Tier? „Na komm“, sagte er und zog ihn weiter. Er setzte sich auf eine Bank, die den Blick über eine große Wiese zu einem kleinen Teich bot. Um diese Wiese herum standen einige Leuchten, sodass selbst Sams Augen alles überblicken konnten. Augenblicklich verkroch sich Dean unter der Bank. Doch die vielen Gerüche und Geräusche waren letztendlich stärker als seine Angst. Zentimeterweise kam er immer weiter unter der Bank hervor. Sam ließ die Leine ins Gras fallen. Sollte sich sein Wolf ruhig ein wenig die Beine vertreten. Nach und nach wurde Dean immer mutiger. Schon bald lief er über die Wiese. Überall gab es interessante Gerüche. Er folgte den Mäusegängen, sprang mit beiden Vorderbeinen in die Luft oder biss in Grashalme, die ihn in der Nase kitzelten. Alles musste er untersuchen. Erst als immer mehr Menschen an ihnen vorbei hetzten, fing Sam seinen Wolf wieder ein, um mit ihm zu ihrem Zimmer zu gehen. Kaum klickte der Karabiner in dem Ring an seinem Geschirr, hing Deans Rute wieder zwischen seinen Beinen und er presste sich auf dem Weg zurück erneut gegen Sams Beine. Im Zimmer kroch er leise winselnd unter den Tisch, legte die Pfote wieder über die Nase und blinzelte zu dem Menschen hoch. Warum musste der ihn da wegholen? Es war doch gerade so interessant! Sam machte sich nicht mehr die Mühe seine Kleidung ordentlich zusammen zu legen. Er warf sie nur auf das zweite Bett und kroch unter seine Decke. Sekunden später schlief er auch schon. Und erwachte Stunden später wieder mit einem Gewicht an seinem Bein. Vorsichtig hob er den Kopf und schaute in die grünen Augen seines Bruders, der ihn misstrauisch beobachtete. Noch lag er ruhig, doch als sich der Mensch bewegte, sprang er auf und verschwand wieder unter dem Tisch. Sam seufzte. Das Verhalten des Wolfes irritierte ihn. Mal war er wie ein Lämmchen und drückte sich gegen seine Beine und dann machte er wieder einen großen Bogen um ihn. Müde rieb er sich die Augen, stand auf und sammelte seine Sachen zusammen, um sich im Bad auch gleich anziehen zu können. Danach musste er dringend einkaufen und bei Bobby wollte er sich auch erkundigen, ob es von den Zigeunern etwas Neues gab. Dean musste unbedingt wieder aus diesem Pelz raus! So war das kein Leben, weder für Dean noch für ihn! Bevor Sam das Zimmer verließ befestigte er die Leine an einem der Heizungsrohre und hakte sie dann an Deans Geschirr fest. Nicht dass der noch einen Ausbruchsversuch startete, wenn er zurück kam! Auf der Suche nach Fleisch, einer langen Suchleine und zwei Schüsseln hetzte Sam durch die Geschäfte, weil er Dean so schnell wie möglich wieder von seiner Heizungshaft befreien wollte. Zwar ging er nicht davon aus, dass sein Wolf die Zeit seiner Abwesenheit nutzte, um durch das Zimmer zu laufen. Trotzdem wollte er ihn einfach nicht so anketten. Einen weiteren Fluchtversuch wollte er allerdings auch nicht riskieren. Er lenkte den Impala gerade wieder auf den Parkplatz, als sein Handy klingelte. „Ja?“, nahm er etwas atemlos ab. „Wo ist dein Bruder?“, knurrte Bobby ihn ohne einen Gruß an. „Dir auch einen schönen guten Tag Bobby“, erwiderte Sam und zwang sich zu einem Lächeln. Lange würde er den Freund nicht mehr hinhalten können. „Duschen vermute ich, wenn er nicht an sein Handy geht.“ „Um diese Zeit?“ „Wann leben wir schon mal in der Zeit, in der normale Menschen leben?“, fragte der Winchester resigniert. Bobby schien sich mit der Antwort vorerst zufrieden zu geben. Wie lange wollte sich Sam lieber nicht ausmalen. Er hoffte noch immer, dass bis dahin alles wieder so war wie es sein sollte. „Du rufst aber nicht nur an, um dich nach Dean zu erkundigen, oder?“ „Nein. Frank hat deine Zigeuner im Großraum Warsaw, Missouri, ... verloren will ich nicht gerade sagen. Sie haben ihn noch nicht wieder verlassen. Sagen wir es so.“ „Okay, danke. Wir sind dran!“ Wieder legte er sofort auf, nicht dass der alte Freund noch etwas sagen und so vielleicht verlangen konnte, doch noch mit Dean reden zu wollen. „Futter fällt erstmal flach“, erklärte Sam dem Wolf, kaum dass er das Zimmer betat. „Wir müssen weiter.“ Dean schnaufte leise und versteckte seine Nase wieder unter einer Pfote. Seine Augen blieben weiterhin fest auf den Menschen gerichtet. Er verstand dessen Worte zwar nicht, aber die Hektik, die der verbreitete, konnte nichts Gutes bedeuten. Aufgeregt lief der hin und her, machte Klappen auf und wieder zu und verschwand durch die große Klappe in die Freiheit. „Na komm, wir müssen noch mal Auto fahren, aber danach machen wir einen langen Spaziergang“, versprach Sam und löste die Leine von der Heizung. Nur mit Mühe gelang es ihm den widerstrebenden Wolf mit sich zu ziehen. Woher wusste der nur, dass es nicht zu einem Spaziergang raus ging? Hatte er seine Worte wirklich verstanden? Hieß das dann, dass Dean wie vor einem Jahr in einen Kinderkörper, nur jetzt in dem eines Wolfs gesperrt worden war? Nein! Das wollte er sich nicht ausdenken. Alles nur das nicht! Aber nein! Es konnte nicht sein, denn wenn, wo war dann plötzlich der Wolf hergekommen und außerdem müsste Dean sich dann doch an ihn erinnern! Er würde nicht weglaufen wollen und er würde mehr seine Nähe suchen. Nein! Er war sich sicher einen echten Wolf vor sich zu haben. Er musste wieder all seine Kraft einsetzen, um den Wolf in den Wagen zu bekommen. Endlich hatte er das Tier im Impala und die Tür hinter ihm geschlossen. Seine Hände zitterten und der Schweiß lief ihm über den Rücken. So schnell würde er den Wolf wohl nicht noch einmal in ein Auto bekommen. Hoffentlich erbrach er sich nicht wieder während der Fahrt. Sam wischte sich mit der Hand über die Augen und entschied, sich noch einmal duschen zu gehen. Seine Tasche hatte er ja noch im Zimmer. In Windeseile hatte er sich frisch gemacht und das Zimmer bezahlt. Jetzt stand er neben dem Wagen und lauschte irritiert. Ein schabendes Geräusch drang an sein Ohr. Was war das? Er bückte sich und schaute unter den Impala. Nein, da kam das Geräusch nicht her, aber so wie er neben der hinteren Tür an der Fahrerseite hockte, war es noch deutlicher zu hören. Sollte vielleicht …? Hastig erhob er sich und riss die Fahrertür auf. Und richtig. Dean lag auf dem Boden und versuchte sich erneut einen Weg in die Freiheit zu graben, dieses Mal musste die Innenverkleidung der Tür herhalten, an der er kratzte! „Dean!“, schimpfte Sam. Der Wolf hob kurz den Kopf, knurrte leise und widmete sich wieder seinem Befreiungsversuch. „Hör auf“, schrie Sam ihn an. Doch der reagierte nicht auf ihn, oder wenn überhaupt, dann intensivierte er seine Bemühungen noch. Der jüngere Winchester stöhnte. Das konnte ja heiter werden. Er startete den Motor und lenkte den Wagen vom Parkplatz. Vielleicht lenkte das Fahren Dean ja ab? Aber wie sollte er seinem Bruder den jetzt schon angerichteten Schaden erklären? Ob Bobby eine Türverkleidung hatte? Immerhin gab es einen ganzen Schuppen voll Impalateile. Wieder blieb ihm nur die Hoffnung. Wie sehr er das inzwischen hasste! In Warsaw war ihm das Glück einmal in diesen furchtbaren Tagen hold und er fand genau das Motel, dass er für sie brauchte. Es lag etwas außerhalb, hatte einzelne Bungalows und der Hund war halbwegs willkommen. Damit war das Glück aber auch schon aufgebraucht, denn als er Dean aus dem Wagen holte, sah er das ganze Ausmaß von dessen Zerstörungswut und ihm blutete das Herz. Weniger wegen des Wagens, mehr wegen seinem Bruder im Allgemeinen. Er konnte nur hoffen, ihn so schnell wie möglich wieder in seiner menschlichen Gestalt vor sich stehen zu haben und dann würde er ihm bei der Reparatur tatkräftig helfen und nicht nur für Kaffee sorgen. Jetzt allerdings musste er noch einmal los. Sein Wolf brauchte unbedingt Futter und davon jede Menge, immerhin hatte Dean heute noch nichts gefressen und das Fleisch von heute Morgen würde wohl nicht lange reichen. Kapitel 139: Ein Rettungsanker namens Bobby ------------------------------------------- @ Vanilein - Da wirst Du aber noch warten müssen, bis Dean wieder da ist ... Aber vielleicht hast Du ja eine Idee für Sam? LG Kalea 139) Ein Rettungsanker namens Bobby Die Tage vergingen. Sam auf einem umgestürzten Baumstamm, vielleicht eine Meile von ihrem Motel entfernt, und ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch, die er noch hatte, während Dean im Unterholz herumschnüffelte. Diese nächtlichen Spaziergänge waren inzwischen die einzige Zeit des Tages, die sie beide zu genießen schienen, soweit Sam diesen Zustand überhaupt genießen konnte. Sobald er jedoch mit Dean im Zimmer war, begann der unruhig hin und her zu laufen solange er auf seinen vier Buchstaben saß. Sobald er aufstand, oder sich auch nur etwas stärker bewegte, verschwand Dean unter dem Tisch. Er hatte sogar versucht ihn mit dem Plüschbären zu beruhigen, den er ihm auf dem Altertumsmarkt in Salina geschossen hatte, mit dem Erfolg, dass der ihn binnen Sekunden komplett zerfetzt hatte. Er fraß immer noch nur, wenn er sich unter seinem Tisch in Sicherheit wähnte und er selbst nicht im Raum war und er wich jeder Berührung aus. Sam wusste, dass er sich mehr mit ihm beschäftigen musste, doch wenn er das tat, musste er die Suche nach diesen Zigeunern vernachlässigen. So langsam wusste sich er keinen Rat mehr. Er legte die Schlaufe der Leine über einen hervorstehenden Ast. Auf keinen Fall wollte er seinen Wolf frei laufen lassen, Dean würde die Gelegenheit sofort nutzen und verschwinden und er hatte Angst davor. Außerdem redete er sich immer wieder erfolgreich ein, dass sein Bruder nie in der Wildnis überleben könnte. Er musste auf ihn aufpassen. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Platz, also stand er auf und lief ein paar Schritte hin und her. Auch ihm fehlte die Bewegung und das obwohl er eigentlich den halben Tag unterwegs war. Jede einzelne Straße fuhr er entlang. Jedem Waldweg folgte er, bis es nicht mehr weiter ging. Irgendwo mussten diese Zigeuner sein! Die immer hartnäckiger werdende Stimme seiner Vernunft, die ihm zuflüsterte, dass die hier schon lange wieder verschwunden waren, ignorierte er noch erfolgreich. Wie lange noch wusste er allerdings nicht zu sagen. Auch nicht, weil es einfach keine Alternative gab. Doch die Stimme wurde immer lauter und immer aufdringlicher. Seit fast einer Woche waren sie nun hier. Sam holte tief Luft und setzte sich wieder. Er hatte sich gerade dazu durchgerungen Bobby anzurufen, nachdem er ausgeschlafen hatte. Er wusste nicht mehr weiter und den alten Freund wollte er auch nicht mehr anlügen. Außerdem hatte der vielleicht eine Idee, wie sie Dean zurückbekommen konnten, die ihm noch nicht gekommen war. Es war zum aus der Haut fahren. Sie hatten so viel überstanden und jetzt sollte ein blöder Fluch sie so hart treffen? Plötzlich wurde ihm die Leine aus der Hand gerissen. Hektisch sprang er wieder auf, drehte die Taschenlampe an und hetzte der Leine hinterher. Weit musste er nicht laufen, bis er das Ende vor sich liegen sah. Schnell hob er sie auf, schob seine Hand durch die Schlaufe und wickelte die Leine einmal zusätzlich um sein Handgelenk. Was hatte Dean zu der Aktion gebracht? Neben sich hörte er kleine Knochen knacken. ‚Nein, das war kein … das … Dean hatte kein Tier gefangen!’ Denn wenn er das hätte, würde das bedeuten, dass er ohne weiteres in der Lage wäre für sich zu sorgen und das wollte er nicht. Er wollte nicht, dass sein Wolf alleine überleben könnte. Was würde ihn dann noch bei ihm halten? Eine Weile trat Sam noch von einem Bein auf das andere. Er fror. Bei seiner Grübelei vorhin hatte er gar nicht gemerkt, wie kalt es war, dabei war er eigentlich dick genug angezogen. Er schaute auf die Uhr. Bobby schlief noch und so langsam sollten auch sie wieder ins Warme kommen. Nicht dass Dean die Kälte etwas ausmachen würde. „Dean, komm futtern!“, rief er in den Wald. Er grinste. Schon am dritten Tag hier war Dean ihm bereitwillig wieder ins Motel gefolgt. Auch wenn er mit dem Fressen wartete bis er in ausreichender Entfernung war. Das Wort „Futter“ schien er also zu verstehen. Warum konnte das nicht auch bei anderen Sachen so sein? Dean kam mit erhobenem Schwanz angetrabt und folgte ihm auch heute wieder freiwillig ins Motel, wo Sam schnell die Schüssel füllte und neben die Schale mit Wasser neben Deans Decke stellte. Aber auch wenn Deans Nase sich bei den Leckereien erwartungsvoll blähte, er würde nicht fressen, solange der Mensch in Reichweite stand. Sam seufzte. Zeigte es ihm doch wieder mehr als deutlich, wie wenig sie in der Zeit zueinandergefunden hatten. Er schluckte die hilflose Wut herunter, die sich in ihm aufstauen wollte und ging ins Bad. Sofort schlang Dean das Fleisch herunter, schlappte noch etwas Wasser und rollte sich dann auf seiner Matratze zusammen. Wieder schob er die Nase unter eine Pfote und hielt seinen Blick unverwandt auf die Tür gerichtet, hinter der der Mensch verschwunden war. Sam machte sich schnell fertig. Als er zu seinem Bett ging, warf er noch einen Blick auf seinen Bruder, der ihn wie immer aus grünen Augen beobachtete. Wenn er nur wüsste, was in diesem Kopf vor sich ging! „Wir schaffen das Dean, wir machen aus dir wieder einen Menschen, das versprech ich dir!“, sagte er leise und kroch unter seine Decke. Noch im Einschlafen überlegte er sich, ob er nicht zu viel versprochen hatte. Aber das durfte nicht sein. Dean musste wieder Dean werden. Das war kein Leben für ihn! Mit demselben Gedanken wurde Sam ein paar Stunden später wieder wach. Dean lag mal wieder zu seinen Füßen auf dem Bett, sprang aber kaum dass er sich regte, so wie jeden Morgen, sofort herunter und verschwand unter dem Tisch. Von wo aus er kurz zu Sam hoch blinzelte und dann seine Nase wieder unter die Pfote schob. So verharrte er, den Menschen weiter unablässig beobachtend. Erst wenn der sich ruhig an den Tisch gesetzt haben würde, würde er wieder aus seinem Versteck hervorkommen. Sam richtete sich auf und griff nach seinem Handy. Er wählte Bobbys Nummer. Inzwischen war er verzweifelt genug, um endlich dessen Rat einholen zu wollen. Wie er ihm allerdings erklären wollte, was mit Dean passiert war wusste er auch noch nicht. Noch nie war er sich so hilflos vorgekommen. Fast noch nie! „Bobby?“, fragte er in den Hörer, kaum dass der sich am anderen Ende gemeldet hatte. „Wen hast du denn erwartet?“ „Kannst du herkommen? Wir sind immer noch in Warsaw, Missouri.“ „Was ist los? Was habt ihr für ein Problem?“ Sam hatte so verzweifelt geklungen, dass es sogar Bobby in seinem seelischen Zustand sofort auffiel. „Lass uns das besprechen, wenn du da bist, das würde einfach zu lange dauern. Aber kannst du alles mitbringen, was du über Flüche und wie man sie brechen kann, hast?“ „Mein Gott, Junge, was habt ihr schon wieder angestellt!“ Sam stöhnte. „Sag nicht, Dean wurde schon wieder verflucht!?!“ „Bitte Bobby, komm einfach her, ja?“ „Wo ist Dean? Geht’s ihm gut?“, bohrte der Ältere jetzt doch nach. „Ich …“, Sam schaute zu dem Wolf, „ich denke schon.“ „Gib ihn mir mal!“ „Das ist jetzt grade schlecht. Wir sind eigentlich grade erst ins Bett und er schläft noch. Ich will ihn nicht wecken.“ „Es geht um Dean, das mit den Flüchen?“ „Ja, schon“, druckste Sam herum. „Verdammt Sam!“ „Bitte Bobby komm einfach her, ja?“ Sam konnte fast hören, wie der nickte. „Ich komme sofort.“ Noch bevor Sam „Danke“ sagen konnte hatte der alte Jäger aufgelegt. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Sam seinen Bruder, doch der gab nur ein leises „rufff“ von sich. Sam zuckte kurz mit den Schultern, bevor er aufstand und sich für einen weiteren Tag sinnloser Suche bereit macht. Ja, inzwischen war er soweit, dass er diese Suche als sinnlos einstufte und doch würde er weitermachen, bis ihm etwas anderes einfiel. Noch konnte er sich zwingen, nicht aufzugeben. Noch! „Verdammt!“, fluchte er lauthals und brachte den Wolf mal wieder dazu erschrocken aufzuschauen. Es ging doch hier um Dean! Es ging um den wichtigsten Menschen in seinem Leben. Es ging um seinen Bruder, der immer und überall alles für ihn getan hatte. Er konnte ihn nicht hängen lassen. Er konnte ihn nicht in dieser Gestalt lassen! Also raffte er sich auf. Er befestigte die Leine, die Dean an die Heizung fesselte, wieder an dessen Geschirr und machte sich auf seine schier aussichtslose Suche. Stunden später kam er noch niedergeschlagener zurück, als er aufgebrochen war. Er ließ sich auf sein Bett fallen und schaute zu Dean. Er war am Ende und doch raffte er sich auf, um den Wolf von der Leine zu befreien. Er sollte nicht auch noch unter seinen Misserfolgen leiden müssen, zumindest nicht mehr als er es eh schon tat. „Na komm, wir gehen raus“, sagte er leise und holte die lange Leine. Sofort war Dean an der Tür und wartete mit erhobener Rute darauf, dass die endlich aufschwang. Gemeinsam einsam, nur durch die Leine verbunden, liefen sie durch den dunklen Wald. Während Dean mit hoch erhobener Rute alles untersuchte, was ihm vor die Nase kam, gab Sam darauf Acht, dass die Leine sich nirgends verhakte und ihn so in seinem Bewegungsdrang behinderte. Der jüngere Winchester kam nicht umhin festzustellen, dass sein Wolf in den letzten Tagen wesentlich sicherer geworden war. Nichts erinnerte noch an das ängstliche Wesen, das bei jedem Laut zusammenzuckte und sich an seine Beine presste. Die Kreise, die er um ihn zog, waren immer größer geworden und er war sich fast sicher, dass er, wenn es die Leine nicht gäbe, schon lange verschwunden wäre. Immerhin hatte er in den letzten Tagen zwei Ausbruchsversuche gestartet. Noch konnte er ihn halten. Noch. Geflissentlich versuchte Sam die noch leicht blutverschmierte Schnauze zu ignorieren, als sie wieder ins Zimmer kamen. Es gelang ihm nicht einmal halb so gut, wie er es wollte. Dean hatte also wieder Beute gemacht. Tiefe Traurigkeit machte sich in ihm breit. Nicht nur, dass er unfähig war seinen Bruder wieder zu einem Menschen zu machen, er schaffte es auch nicht seine Freundschaft zu gewinnen. Am liebsten würde er sich jetzt sinnlos betrinken! Dieses Mal schaffte er es noch diesen Wunsch niederzukämpfen. Wie lange er standhaft bleiben würde, blieb abzuwarten, aber es wurde immer schwerer. Energisch verdrängte er sämtliche Gedanken an Alkohol und diese ganze beschissene Situation und konzentrierte sich darauf Deans Fleisch zuzubereiten, bevor er sich in sein Bett fallen ließ, sich unter die Decke verkroch und versuchte einzuschlafen, was ihm natürlich nicht gelang. Er schob die Decke etwas weiter nach unten und drehte sich auf die Seite. Seinen Kopf bettete er auf seinen Arm und beobachtete den Wolf, soweit es die Dunkelheit in ihrem Zimmer zuließ. Irgendwann hatte Sam es so wohl doch geschafft einzuschlafen, bis ihn das energische Hämmern an der Tür aufschrecken ließ. Er quälte sich aus dem Bett und tapste verschlafen zur Tür. „Was ist denn mit dir los?“, wollte der ältere Jäger wissen, nachdem sein Blick über Sams tranige Erscheinung gewandert war. „Du hast mich geweckt?“, fragte der das Offensichtliche. „Das sehe ich, aber wieso beorderst du mich hierher? Ich schlag mir die halbe Nacht um die Ohren und du schläfst bis Mittag?“ „Wir sind erst vor ein paar Stunden ins Bett gekommen.“ „Vor ein paar Stunden ins Bett gekommen? Ist wieder alles okay mit Dean? Was war das für ein Fluch? Wie habt ihr ihn gelöst?“, bombardierte Bobby ihn mit Fragen und schob sich an ihm vorbei ins Zimmer. Sofort zog sich der Wolf noch weiter unter den Tisch zurück. Drohendes Grollen empfing den Jäger. „Was ist das denn und wo ist Dean?“ Sam war für einen Moment vollkommen perplex. Das Verhältnis zwischen ihm und Dean war zwar nicht gerade von Freundschaft geprägt, aber angeknurrt hatte der ihn noch nie. Bis auf den Biss, als er das erste Mal ausbrechen wollte, waren sie immerhin ganz gut miteinander ausgekommen. Er senkte beschämt den Kopf und verschwand wortlos im Bad, um sich anzuziehen. Dean hatte inzwischen die Zähne gefletscht. Die Ohren waren drohend nach hinten gelegt und Bobby wich zur Tür zurück. Er sah, dass der Hund ein Geschirr trug, also schien zumindest Sam mit ihm auszukommen. Aber wieso hatten seine Jungs jetzt einen Hund und wo zum Geier war Dean? Eigentlich kam er doch mit Hunden aus. Immer wieder hatte er einen. Wieso war dieser hier dann so aggressiv gegen ihn? Mehr als nur gespannt wartete er darauf, dass Sam wieder aus dem Bad kam und ihm das Ganze endlich erklärte. Doch der schien sich extra viel Zeit zu lassen. Kapitel 140: Verloren --------------------- @ Vanilein - Der Wolf hat keine Erinnerungen an sein Leben als Dean. Er ist einfach nur ein Wolf. Ein wildes Raubtier. Verwirrt und verängstigt, aber ein Wolf. keine Ahnung wie Sam das ändern sollte ... LG Kalea 140) Verloren „Na endlich! Ich hatte schon Angst, dass euer Hund mich anfällt!“, sagte Bobby sichtlich erleichtert, denn auch wenn der Wolf sich nicht bewegt hatte, die Drohgebärden waren geblieben. „Lass uns gehen, bevor er sich noch mehr aufregt!“, bat Sam betrübt. „Wo ist eigentlich dein Bruder?“, wollte Bobby nun drängender wissen. Deans Bett war unbenutzt!Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Der Winchester packte seinen Freund am Arm und zerrte ihn zur Tür, während Dean langsam unter dem Tisch hervorgerobbt kam. Sam schwieg bis sie in dem kleinen Restaurant waren, das zu der Motelanlage gehörte, und sich Kaffee und Essen bestellt und die gefüllten Tassen vor sich stehen hatten. Unschlüssig drehte er seine Tasse in den Händen. „WAS … IST … MIT … DEAN!“, wollte Bobby leise aber bestimmt wissen. „Das … der Wolf, … das ist Dean!“, flüsterte Sam. KLONG! Bobby stellte seine Tasse hart auf der Tischplatte ab. Kaffee schwappte über. Seine Augen wurden groß und für einen langen Augenblick vergaß er zu atmen. „Wie?“, stammelte er, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. „In jeder Stadt in der wir seit Dallas Halt gemacht hatten, flatterte uns ein Plakat vor die Füße, auf dem stand, dass ein Mädchen vermisst wurde. In den ersten Städten waren sie schon tot, von einem Werwolf zerfleischt. Je weiter wir auf der 81 nach Norden kamen, umso näher kamen wir diesen Ding. In Belleville, Kansas haben wir ihn gestellt und ich ihn erschossen.“ „Und was hat das mit damit zu tun, dass Dean jetzt ein Wolf ist?“ „Dieser Werwolf war der Sohn von Zigeunern. Die tauchten plötzlich auf und die Frau…“ Sam schluckte. Tränen traten in seine Augen. „Sam, bitte! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ „Sie meinte ihr Sohn hätte nur noch drei oder viel Mal töten müssen und dann hätte es für ein Leben gereicht und das wir eine uralte Linie ausgelöscht hätten. Und sie war wütend auf Dean weil er ihn erschossen hat. Dabei war ich es, aber Dean ließ mich nicht zu Wort kommen. Sie hat gesagt, dass sie ihn für diesen Mord verfluchen würde und hat ihm etwas ins Ohr geflüstert. Die Zigeuner nahmen ihren Sohn mit, als sie verschwanden. Wolken legten sich über den Mond und Dean hat geschrien. Als ich wieder was sehen konnte war Dean weg. In dem Bündel aus seiner Kleidung lag der Wolf.“ „Wie lange ist das her?“ „Bald zwei Wochen.“ „Und solange ist Dean schon so …“ „Er ist ein Wolf, Bobby. Er weiß nichts von seinem früheren Leben!“ „Bist du dir sicher?“ „Er akzeptiert mich als Fleischgeber und wenn er Angst hat. Sonst bin ich inzwischen wohl eher der, der ihn einengt. Wenn ich mich bewege, verschwindet er unter dem Tisch. Solange ich still sitze läuft er umher. Er ist scheu, unruhig und draußen neugierig und viel offener. Wenn er wirklich Dean wäre, müsste er dann nicht meine Nähe suchen? Er wurde verflucht und hat nicht die Seele mit jemandem getauscht.“ Der Ältere schaute zum Fenster raus und furchte die Stirn. „Ich weiß nicht mehr weiter, Bobby. Dean wird selbstständiger und ich habe Angst ihn zu verlieren. Wie kriege ich meinen Bruder wieder? Also den Dean, den wir kennen. Den, der an Autos schraubt, der ...“ Sam schluckte. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen traten. Jetzt wo Bobby hier war wurde ihm erst bewusst, wie sehr ihn das Ganze mitnahm. Er stand kurz davor zu explodieren. „Du weißt so gut wie ich, dass man einen Fluch nicht brechen kann.“ „Es ist mir scheiß egal was man kann und was nicht! Wir müssen diesen Fluch brechen, Bobby, wir müssen!“, Sam hatte die ersten Worte fast geschrien, nur die Anwesenheit einiger Gäste hielt ihn davon ab, es wirklich zu tun, doch zum Ende hin wurde er immer leiser. Die Tränen, die er eben noch verdrängen konnte, überfluteten jetzt seine Augen. Unbeachtet rollte eine davon über seine Wange. Der ältere Jäger schluckte. So verzweifelt hatte er Sam nur einmal gesehen und damals lag Dean im Krankenhaus unter einem Zelt und war eher tot als lebendig. „Sam, ich versteh dich und ich wünsche mir auch nichts mehr, als dass wir Dean wieder bekommen, aber ich habe keine Ahnung wie! Kennst du den Wortlaut des Fluches?“ „Sie sagte: ‚Ich verfluche dich für diesen Frevel’, und dann ist sie zu ihm hin, ganz dicht. Sie hat ihm die Hand an die Wange gelegt und so wie es aussah hat sie ihm auch was ins Ohr geflüstert, ich weiß es nicht.“ Hilflos hob der Winchester seine Schultern. Bobby schüttelte nur den Kopf und starrte in seinen Kaffee. Es gab keinen Weg einen Fluch zu brechen, so sehr er es sich für Dean auch wünschte. Ob es vielleicht die Option wie bei Deans Pakt gäbe? Dann müssten sie die Zigeuner finden! „Diese Zigeuner sind die, die Frank verfolgen soll“, stellte er ruhig fest.“ Hast du die schon befragt?“ „Ich bin am nächsten Tag zu ihrem Wohnwagen, aber sie waren schon weg. Wie vom Erdboden verschwunden. Dein Frank hat sie hier irgendwo verloren. Ich habe sie noch nicht wieder aufgespürt.“ „Am nächsten Tag? Wieso erst am nächsten Tag?“ „Verdammt, Dean hat geschrien, er ist zusammengebrochen. Ich hab mich zuerst um meinen Bruder gekümmert. Das war mir wichtiger als den beiden Alten hinterher zu rennen! Außerdem hatte ich noch das letzte Opfer dieses Werwolfes an der Backe. Um sie musste ich mich auch noch kümmern. Wenigstens die hat unverletzt überlebt. Ich hab auf dem Jahrmarkt jeden gefragt. Nichts. Niemand kennt sie, niemand weiß wo sie hin wollten. Und wie mir die Schausteller sagten, waren sie ganz froh, dass sie weg waren.“ Der Winchester ließ den Kopf hängen. „Außerdem bin ich, da ich mit Dean nur nachts raus kann, wenn kein Mensch auf der Straße ist, ziemlich eingeschränkt.“ Dean lag auf seiner Decke. Die Zweibeiner waren weg. Träge erhob er sich, schüttelte sich und setzte sich vor den Tisch. Irgendetwas juckte in seinem Pelz. Er schüttelte sich wieder. Es wurde nicht besser. Er begann zu kratzen. Immer weiter arbeitete sich die Pfote nach oben zum Ohr. Das Jucken ließ nach. Wieder schüttelte er sich. Er legte den Kopf schief. Dann tapste er ein paar Schritte zu seiner Wasserschüssel. Nichts hielt ihn fest. Der Zweibeiner hatte ihn nicht, wie sonst immer, festgemacht. Er trank ausgiebig und sprang danach auf das Bett. Ein paar Mal drehte er sich im Kreis und rollte sich zusammen. Bobby schaute immer noch auf seinen Freund. Auch ihm fehlten die Worte. Auch er wollte Dean wieder als Mensch vor sich stehen haben, aber er hatte absolut keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen konnten. Sam hatte den Blick gesenkt und kämpfte verbissen die Tränen nieder. „Lass uns ins Zimmer gehen. Die Bücher sollten wir besser nicht hier wälzen“, sagte der Ältere nach einer Weile. Er war wie vor den Kopf gestoßen vielleicht halfen ihm die wenigen Schritte dabei den Kopf etwas freier zu bekommen? Sam nickte. Er schob den noch immer fast vollen Teller beiseite, stand auf und ging ihre Rechnung bezahlen. Ein kurzer Blick auf den Tisch zeigte ihm, dass es dem alten Freund ähnlich ging. Auch er hatte sein Essen kaum angerührt. „Warten Sie einen Augenblick“, bat die nette Bedienung, „wir haben noch was für Ihren Hund.“ „Woher wissen Sie, dass ich ...?“, fragte der Winchester verwirrt. „Ich sehe Sie morgens immer wiederkommen“, lächelte sie. „Er ist so ein schönes Tier. Ist doch ein er, oder?“ „Ja, ist ein Rüde.“ Sie nickte und verschwand in der Küche. „Ich hole die Bücher“, sagte Bobby und ging zu seinem Wagen. Die Bedienung kam mit etwas eingewickeltem wieder. Sam schielte hinein und strahlte sie gezwungenermaßen an. Er hatte einen großen Knochen in der Hand. Wie sollte Dean denn dieses riesige Ding klein kriegen? Aber vielleicht? Er war ein Wolf. Er würde es ihm auf jeden Fall hinlegen. „Vielen Dank, ich werde es ihm gleich geben. Er wird sich bestimmt freuen“, sagte Sam und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Er lief zum Bungalow und schob den Schlüssel ins Schloss. Der Wolf stutzte. Der Schlüssel wurde gedreht. Dean sprang vom Bett und lief zu Tür. Sam öffnete die Tür und schob sie ein paar Zentimeter auf. „Sam“, rief Bobby und der Winchester drehte sich zu ihm um. „Kannst du mir mal helfen?“ Noch bevor Sam die Tür wieder zuziehen konnte, glitt sie ihm aus der Hand und ein beige-graues Fellknäuel schoss an ihm vorbei. „Dean!“, keuchte er und versuchte ihn zu fassen zu bekommen. Er erwischte den hinteren Riemen des Geschirrs. Deans Schwung riss ihm von den Füßen und ihn selbst herum. Der Riemen rutschte nach vorn. Dean sprang auf und zerrte. Er wollte weg! Er schüttelte sich, stemmte die Hinterpfoten in den Boden und schob sich rückwärts. Bobby sah was passierte. Er ließ die Bücher fallen und rannte zu Sam. Noch einmal stemmte sich der Wolf gegen den Riemen und schüttelte sich. Ein Ruck ging durch seinen Körper als das Geschirr über seinen Kopf rutschte. Er setzte sich auf sein Hinterteil. Das plötzlich fehlende Gegengewicht ließ Sam ebenfalls auf seinen Hintern fallen. Bobby sprang, doch er verfehlte den Wolf. Dean war aufgesprungen und hetzte in den Wald. „Dean!“ brüllte Bobby ihm noch hinterher, doch er sah nur die helle Schwanzspitze um die Ecke verschwinden. „Dean“ schrie jetzt auch Sam. Er ließ das Geschirr fallen, sprang auf und rannte ihm hinterher. Es war sinnlos. Der Wolf war viel zu schnell für ihn, aber er wollte die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Bobby sammelte inzwischen seine Bücher wieder ein und verschloss auch die Zimmertür seiner Jungs, bevor er dem jüngeren Winchester folgte. Am Waldrand blieb er kurz stehen und lauschte. Lange musste er nicht warten, bis er Sam durchs Unterholz brechen und immer wieder Deans Namen rufen hörte. Schnell wandte er sich ebenfalls in diese Richtung. „Hast du ihm noch einmal gesehen?“, wollte er etwas atemlos wissen. „Nein. Wir sind nur in den letzten Nächten meistens hier gelandet. Ich hab auf dem Baumstamm gesessen und Dean schnüffelte durchs Unterholz. Irgendwie habe ich gehofft, dass er hier sein könnte.“ Der alte Jäger blickte sich suchend um, aber hier gab es so viele Äste und Sträucher, die teilweise auch noch voller trockenem Laub hingen, dass sich ein Tier ohne Probleme neben ihnen verstecken konnte, ohne dass sie ihn sehen würden. „Ich fürchte, wir werden ihn nicht finden. Nicht solange er nicht gefunden werden will“, sagte er leise und legte seine Hand auf Sams Schulter. Wie sehr musste ihn dieser Verlust schmerzen? Wie groß waren die Vorwürfe, die er sich jetzt machte? „Verdammt Bobby, wir reden von Dean! Liegt dir denn gar nichts mehr an ihm? Willst du ihn nicht zurückhaben? Hast du ihn so schnell aufgegeben.“ „Er ist wie mein Sohn, Sam. Das seid ihr beide. Aber schau dich doch um? Hier ist genügend Unterholz, dass er zwei Schritte neben uns liegen könnte und wir würden ihn nicht sehen.“ Das Argument würde Sam durchaus einleuchten, wenn er denn für stichhaltige Argumente zugänglich wäre. „Ich kann nicht einfach so aufgeben“, flüsterte er kaum hörbar. „Ich weiß.“ Sam wandte den Kopf zu dem Freund und blickte ihn aus wässrigen Augen an. „Was soll ich denn jetzt tun? Ich ...“ Energisch wischte er sich über die Augen, drehte sich um und stapfte weiter durch das Unterholz. Solange es noch halbwegs hell war, würde er weiter suchen! „DEAN!“, brüllte er den Namen seines Bruders. „Dean ... Dean!“ Auch Bobby beteiligte sich an der Suche. Kreuz und quer stolperten sie zwischen den Bäumen entlang. Immer wieder riefen sie nach ihm. Doch nichts. Kein Dean, kein Wolf, nicht mal eine Schwanzspitze war zu sehen. Kapitel 141: Der Weg in die Einsamkeit -------------------------------------- Diese Woche gibt's schon Freitag ein neues Kapi. Denn ... ich fahre morgen für 2 Wochen in den Urlaub. Und dieses Mal gibt's da kein Internet. Also müsst ihr euch eine Weile ohne Fortsetzungen gedulden. Vielleicht schafft ja der eine oder andere mit einen Kommi zu schreiben? @ Vanilein - Und Dean antwortet bei Pam dann mit einem ... Ruff ...? Ob das eine gute Idee wäre? So einfach mache ich es den Jungs auch nicht. *evil grins* LG Kalea 141) Der Weg in die Einsamkeit Erschöpft blieb Sam stehen. Die Dämmerung hatte eingesetzt und unter den Bäumen war ohne Taschenlampe nichts mehr zu erkennen. Der eh schon traurig trübe Tag wurde noch trostloser. „Dean“, schniefte er. Langsam drehte sich der Winchester im Kreis. „Nichts“, sagte Bobby und trat neben seinen Jungen. Vorsichtig legte er ihm die Hand auf die Schulter. Er war sich nicht sicher, ob Sam eine Umarmung akzeptieren würde. Bei Dean war das keine Frage, doch Sam war da etwas anders. Der jüngere Winchester versuchte immer noch alles im Kopf zu lösen. Nur wenige Meter hinter ihnen, tief in einem Gebüsch verborgen hockte der Wolf und beobachtete die Zweibeiner aufmerksam aus grünen Augen. Er hielt den Kopf schief und schien zu überlegen, ob er wieder zu ihnen gehen sollte. Zurück in die Wärme, zu geregeltem Futter und einem bequemen Schlafplatz, einsam und angekettet, wenn der Zweibeiner nicht da war. Er schüttelte sich und rollte sich zusammen. Seine Schnauze bettete er auf den Pfoten. Langsam glitt er ins Traumreich hinüber. Sam war verzweifelt. Tränen liefen ihm über die Wangen. Schniefend drehte er sich zu dem einzigen Familienmitglied um, das ihm geblieben war. Ein kurzer Blick in Bobbys Augen zeigte ihm, dass es dem genauso beschissen ging. Einer Eingebung folgend überbrückte er den Schritt zwischen ihnen und schlang seine Arme um den Jäger. Stumm ließ er seinen Tränen freien Lauf. Jetzt würde er Dean auf keinen Fall mehr finden. Er musste sich etwas anderes überlegen. Doch im Moment war er vollkommen unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen. Bobby war einen Moment überrascht, dann schlang er seine Arme ebenfalls um Sam. Stumm hielten sie sich, bis das Gefühl der Gemeinschaft Trauer und Wut ein wenig dämpften. „Und jetzt?“, schniefte Sam und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir aus der Kälte kommen und dann überlegen wir, wie es weitergehen soll“, überlegte der Ältere. Der Winchester nickte und lief zum Motel. Im Zimmer angekommen ließ er sich auf das Bett sinken, nur um gleich wieder aufzustehen und sich aus der Minibar eine Flasche zu nehmen. Ohne sich zu setzen oder nach einem Glas zu greifen, kippte er deren Inhalt hinunter. Das Zeug schmeckte furchtbar, was ihn allerdings nicht davon abhielt, nach der nächsten Flasche zu greifen. „Alkohol ist keine Lösung“, wandte Bobby ein und setzte sich an den Tisch. „Ich weiß“, erwiderte Sam und nahm zwei Gläser aus dem Schrank. „Willst du auch?“ Er stellte die Gläser und die Flasche auf den Tisch. „Aber nicht diesen Fusel“, antwortete der Ältere nach einem Blick auf das Etikett. „Sag nicht, ihr habt nichts Besseres?“ Sam grinste bitter. „Sag du noch mal, dass Alkohol keine Lösung wäre.“ Er ging und holte den Whiskey, den sie zur Betäubung dabei hatten. Irgendwann hatten sie sich mal darauf geeinigt, dass sie, wenn sie sich schon betrinken mussten um Wunden versorgen zu können, wenigstens etwas Vernünftiges nehmen wollten. „Ist es wirklich nicht, aber oft bleibt einem nichts anderes übrig, um den Schmerz zu betäuben“, erklärte der Ältere wehmütig. So langsam hatte er das Bedürfnis sich dauerhaft zu betrinken. Erst Jody und jetzt Dean. Das war einfach zu viel! Vielleicht konnte man den Alkohol ja intravenös …? Sam stellte die Flasche auf den Tisch und Bobby goss ihnen sofort jeweils ein Glas voll. Die Flasche würde nicht mal annähernd reichen, um ihnen beiden zu einem Rausch zu verhelfen, geschweige denn den Kummer zu vertreiben. Schweigend stießen sie an. Schweigend kippten sie den Inhalt ihrer Gläser hinunter und schweigend füllte Sam die Gläser wieder auf. Aber schon beim dritten Glas stellte Sam die eine Frage, die Bobby in dem Moment mehr fürchtete, als ein Rudel Vampire. „Und wie soll es jetzt weiter gehen?“ Dabei schaute ihn der Winchester so voller Hoffnung an, dass es ihm den Atem raubte. „Ich habe keine Ahnung, Sam“, sagte er leise. Er fühlte sich unendlich müde. „Wenn wir morgen noch einmal den Wald absuchen?“ „Was soll das bringen? Ich meine … versteh mich nicht falsch, wenn ich auch nur den Hauch einer Chance sehen würde, dass wir wenigstens seine Schwanzspitze zu sehen bekommen, ich würde das ganze Land mit dir absuchen, aber ich glaube nicht, dass er gefunden werden will. Er wäre nicht abgehauen, wenn er ...“ Hilflos brach er ab und zuckte mit den Schultern. Warum nur? Warum musste den Jungs immer wieder etwas passieren? Warum immer wieder so etwas? Vor einem Jahr waren sie im Wilden Westen im Jahr 1853. Das war schon fast aussichtslos gewesen, aber jetzt? „Du hast Dean schon aufgegeben?“ Wut verzerrte Sams Stimme. „Nein, ich habe ihn nicht aufgegeben. Ich versuche das Ganze nur halbwegs rational anzugehen!“ „Rational? Wie kannst du Dean rational sehen wollen? Er ist mein Bruder! Dein Freund! Mehr als das! Du behauptest doch immer, dass wir so viel mehr für dich sind! Familie! Schön, wie du diese Aussage gerade bestätigst!“ „Ihr seid wie Söhne für mich und ich will Dean lieber heute als morgen als Mensch wieder vor mir stehen sehen ...“ „Und warum tust du dann nichts dafür?“ „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Wir brauchen Dean und eine Möglichkeit ihn wieder in sein menschliches Ich zu verwandeln. Aber solange wir diese Möglichkeit nicht haben … Was soll dein Bruder denn hier? Seine Tage in einem Zimmer mit einem Menschen verbringen, den er nicht kennt? Du hast selbst gesagt, dass er eher ein Wildtier zu sein scheint, als ein Mensch und dass er sich auch genau so benommen hat. Willst du ihn hier anketten? Er ist ein Wolf, Sam! So sehr ich mir auch wünschte, dass er genau das nicht wäre, so sehr ich mir wünschte, dass er wenigstens dich kennen würde, er tut es nicht!“ „Wir hätten das hinbekommen!“, begehrte Sam enttäuscht auf. „Möglich! Aber wenn nicht? Wölfe sind als erwachsene Tiere kaum noch auf den Menschen sozialisierbar.“ „Wir reden hier über Dean! Er ist kein WOLF! Er ist Dean!“ „Sam ...“ „Geh einfach! Ich … wir sind unterschiedlicher Meinung und ich will mich nicht weiter streiten! Ich habe meinen Bruder gerade zweimal hintereinander verloren! Ich will mich schlecht fühlen und ich will ihn wieder! Ich will keine gut überlegten Argumente hören! Ich will wütend sein! Ich ...“ Sam schniefte und kippte ein weiteres Glas hinunter. „Scheiße Bobby. Wir wollten aufhören! Wir … Geh einfach, okay?“ Sam war am Ende. Er konnte nicht mehr und er wollte nicht mehr. Er hatte Bobbys Hilfe gewollt, um Dean zurück zu bekommen. Jetzt war der ganz verschwunden und sein Lebensmut mit ihm. All sein Lebensmut, seine Hoffnungen und Wünsche waren verpufft. Er fühlte sich wie ein alter Luftballon und er wollte diese Leere mit jeder Menge Hochprozentigem füllen! Der alte Jäger seufzte. Er konnte Sam verstehen, aber er wollte auch dass Dean die Freiheiten behielt, die er scheinbar brauchte. Er jedenfalls würde kein Leben führen wollen, dass zwischen Rückbank eines Wagens und einem Motelzimmer so vollkommen gegen seine Natur verlaufen sollte. Er zuckte noch einmal bedauernd mit den Schultern und verließ das Zimmer, um sich an der Rezeption ein eigenes zu suchen. Die Tür fiel in den Rahmen und Sam schloss zufrieden die Augen. So gerne er den alten Freund auch hatte, im Moment wollte er ihn nicht um sich haben. Er griff nach der Flasche und machte sich nicht mehr die Mühe, deren Inhalt in ein Glas zu gießen. Das Einzige, wozu er sich an diesem Abend noch aufraffen konnte war, den Platz am Tisch mit seinem Bett zu tauschen. Er trank, bis die Flasche leer war und er einfach zur Seite kippte. Leise vor sich hin schniefend schlief er ein. In einem der freien Zimmer ging es Bobby nicht viel anders. Auch er hatte sich eine Flasche mit auf‘s Zimmer genommen und auch er versuchte der alles verschlingenden Einsamkeit zu entkommen, die ihn immer fester zu umspinnen schien. Erst hatte Jody ihn verlassen und jetzt war auch noch Dean weg. Dass mit dem Jungen auch Sam sich aus seinem Leben verabschieden würde, schien ihm nur logisch. ~“~ Dean erwachte in der relativen Dunkelheit eines Waldes, der an menschliche Behausungen grenzte. Er kroch aus seinem Versteck, streckte sich ausgiebig, gähnte genüsslich und trabte dann Richtung Westen, ohne sich noch einmal zu dem Bungalow umzudrehen, in dem er die letzten Tage verbracht hatte. Es schien eher als hätte er diesen Teil seines Lebens genauso vergessen, wie das andere Leben davor. ~“~ Der nächste Morgen kam für Sam mit einem dumpfen Pochen hinter den Schläfen. Träge und noch nicht gewillt sich der grellen Realität zu stellen, ließ er sich auf den Rücken fallen und keuchte schmerzerfüllt. Wie hatte er denn gelegen? Sein Bein kribbelte, der Fuß fühlte sich eiskalt an und in seiner Schulter spürte er ein Ziehen, als hätte er auf einem Stein gelegen. Er öffnete die Augen und stöhnte erneut. Das Tageslicht biss in seine Netzhäute. Schnell hob er den Arm und legte ihn über die Augen. Sich zu drehen, erschien ihm als noch schwieriger. „Nie wieder Alkohol“, nuschelte er und wusste doch, dass das nur eine leere Phrase war. Aber noch wollte er sich nicht geschlagen geben. Über Nacht schien noch ein kleines bisschen Hoffnung in ihm erwacht zu sein. Er drehte sich auf die Seite und schaffte es wenig später sich aufrecht hinzusetzen und noch ein paar Minuten später hievte er seinen Körper komplett in die Höhe und schlurfte ins Bad. Bobby lag schon seit einer Weile wach. Auch er hatte sich in den Schlaf gesoffen, doch der Alkohol schien seine Wirkung verloren zu haben. Er ließ ihn zwar einschlafen, die erholsame Nacht blieb allerdings aus. Nicht dass er die nach einer Sauforgie je gehabt hatte, er war nur nicht so schnell wieder in die grausame Wirklichkeit gerissen worden. An die fleckige Decke starrend überlegte er, ob er nicht sofort die nächste Flasche leeren sollte, um auf diese Weise noch eine Weile dem Verlust seiner Jungs zu entfliehen, denn er war sich ganz sicher, dass Sam ohne Dean nicht mehr zu ihm kommen würde. Der Ältere war wie der Klebstoff, der sie zusammenhielt. Dabei war es früher immer Sam, zu dem er einen viel leichteren Zugang fand, wenn John die Jungs mal wieder bei ihm ablud. Der Kleine fühlte sich bei ihm immer schnell zuhause, erst recht, nachdem er mit zehn einige Monate bei ihm blieb, weil Dean verschwunden war und John ihn angeblich überall suchte. Er selbst hatte diese Geschichte vor dem Kleinen aufrecht gehalten, auch wenn er seinem Vater kein einziges Wort davon glaubte. Dean würde nie verschwinden! Nicht freiwillig und nicht für so lange Zeit um dann, ganz plötzlich, unbeschadet wieder auftauchen. Was damals wirklich passiert war, wusste er bis heute nicht und letztendlich war es auch egal. Je älter Dean wurde umso seltener kamen die Brüder zu ihm und nachdem er sich mit John wegen dessen Engstirnigkeit einmal so richtig gestritten hatte, waren sie komplett weggeblieben. Bis sie dann vor drei Jahren wieder vor der Tür standen. Kurz danach war es zu diesem folgenschweren Unfall gekommen und die Jungs hatten sich langsam wieder in sein Leben und in sein Herz geschlichen. Allerdings war es jetzt eher Dean, dem er sich verbundener fühlte. Was aber auch nicht wirklich verwunderte. Beim Recherchieren war es wenig förderlich, wenn man eine längere Unterhaltung führte. Beim Schrauben an den Wagen oder auch beim Renovieren des Hauses ergaben sich unzählige Gesprächsthemen. „Nein“, sagte er laut und rutschte zum Bettrand. Wenn er schon den Verlust seiner Jungs betrauern wollte, dann würde er das nicht hier tun, sondern Zuhause. Da wo ihre Anwesenheit noch in jeder Ecke des Hauses fühlbar war, da wo er sich mit ihnen verbunden fühlte. Und da konnte er auch besser nach einem Weg suchen, um Dean wieder zu einem Menschen zu machen. Ihn zu finden sollte dann hoffentlich das geringere Übel werden! Kapitel 142: Ein einsamer Jäger ------------------------------- @ Vanilein : Mit den Empfindungen hast Du Recht. Nur haben bei Dean wohl die Instinkte die Oberhand und die sind eher dafür in Freiheit zu leben. Sam wird allein nach einer Lösung suchen müssen, denn Bobby, naja - der bekämpft seine eigenen Dämonen. Ob sich das noch wieder ändert??? ;-)) LG Kalea 142) Ein einsamer Jäger Gerade als Sam aus dem Bad kam, hämmerte es an seine Tür. Erschrocken richtete er sich auf. „Ich bin´s, Bobby“, hörte er den älteren Jäger rufen. „Hab Frühstück dabei.“ „Okay, Moment“, grummelte Sam und zog sich schnell etwas über, bevor er öffnete. „Was willst du?“, wollte der Winchester ungehalten wissen. „Das solltest du noch mal üben“, grinste Bobby und deutete auf Sams Shirt. „Erzähl es mir nachher“, winkte der Jüngere ab und verschwand noch einmal im Bad, während Bobby die Kaffeemaschine fütterte. Sam hatte also schon mit ihm abgeschlossen, überlegte er traurig. Er hätte es sich anders gewünscht, aber er wollte sich auch nicht verstellen müssen, um dem Jungen nach dem Mund zu reden und so konnte er ihm diese Entscheidung nicht einmal verdenken. „Ich werde hier nicht einfach alles stehen und liegen lassen und mit dir mitkommen“, erklärte der Winchester kategorisch, kaum dass er aus dem Badezimmer zurückkam. „Das erwartet auch keiner von dir!“ „Nicht? Gestern hieß es noch, dass wir hier nichts mehr tun können!“ „Der Meinung bin ich auch immer noch, aber ich kann auch verstehen, dass du bleiben und weiter nach Dean suchen willst.“ „Nicht nur nach Dean. Ich habe diese verdammten Zigeuner auch noch nicht gefunden. Was sagt denn dein ach so furioser Überwachungsspezialist?“ Sam Stimme troff vor Zynismus. „Ich habe nichts Neues von ihm gehört, aber du kannst mir glauben, ihn wurmt das mindestens genauso wie dich. Er hasst nichts mehr, als nicht über alles die Kontrolle zu haben.“ „Und was willst du jetzt tun? Hilfst du mir?“ „Nicht hier. Ich bin immer noch der Meinung dass Dean, solange wir keine Erlösung für ihn haben, draußen besser aufgehoben ist und ihn zu finden sollte eigentlich kein Problem werden, wenn wir wissen, wie wir den Fluch brechen können ...“ „Wie willst du ihn den finden?“ „Du hast doch bestimmt noch seine Kette oder den Ring?“ „Natürlich!“ „Dann sollte es auch möglich sein, ihn auszupendeln. Aber vorher sollten wir die Lösung für den Fluch haben.“ „Ich denke immer noch, dass Dean bei mir sicherer wäre!“ „Sicherer vielleicht, aber auch glücklich?“ Sam senkte den Blick. Darüber hatte er nicht nachgedacht. Allerdings konnte er auch noch immer nicht fassen, dass sein Bruder ein Wolf war und sich überhaupt nicht mehr an sein menschliches Leben erinnern kann. „Sein ganzen Leben war er für mich da. Er hat mich immer wieder gefunden. Wie kann er das vollkommen vergessen haben?“ Schon wieder drängten sich Tränen in seinem Augen. Hatte er gestern nicht schon genug geheult? „Wenn ich dir das sagen könnte.“ „Und wie soll es weitergehen?“ „Ich fahre zurück nach Sioux Falls. Dort werde ich die Bücher wälzen, die ich zu Flüchen habe und den ein oder anderen Jäger kontaktieren. Wir finden eine Lösung!“ Sam nickte nur kurz. Seine Gedanken kreisten schon wieder um diese verfluchten Zigeuner und darum, wie es seinem Bruder in der Wildnis wohl ergehen mochte? Sollte er Nick einschalten? Aber wie könnte der ihm helfen ein Tier zu finden? Schweigend tranken sie ihren Kaffee aus. Dann erhob sich Bobby. „Ich packe zusammen und fahre zurück. Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.“ „Hmhm“, machte Sam nur. Er war noch immer in seinen Gedanken gefangen. Erst als die Tür seines Zimmers ins Schloss fiel, zuckte er zusammen und starrte irritiert auf den leeren Platz, auf dem Bobby doch gerade noch gesessen hatte. Egal! Er zuckte nur mit den Schultern und machte sich dann daran, seine Sachen zusammenzusuchen. Er wollte wenigstens ein bisschen Ordnung in sein Chaos bringen. Er wollte sich nicht jetzt schon vollkommen aufgeben. Erst als er Bobby vom Parkplatz fahren hörte, griff er nach seiner Jacke und verließ das Zimmer. Er wollte ihm nicht in die Arme laufen, denn er hatte Angst, doch noch schwach zu werden und der leisen, aber hartnäckigen Stimme in seinem Kopf zu folgen, die ihm erklärte, dass er selbst falsch lag und nicht der alte Freund. Er wollte einfach nicht wahr haben, dass Dean als Wolf wirklich glücklicher war, wenn er frei durch die Wälder ziehen konnte. Dieses Wissen tat weh! Sein Bruder, dessen gesamtes Leben sich doch eigentlich nur um die Familie, um seinen Bruder gedreht hatte, sollte genau den vergessen haben. Der Vergleich mit El Paso drängte sich ihm auf und vielleicht konnte er erst jetzt wirklich ermessen, wie schmerzhaft das für Dean gewesen sein musste. Er schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Der Kloß in seinem Hals verschwand genauso wenig, wie die Tränen, die schon wieder seine Augen überfluten wollten. „Reiß dich zusammen, Sam! Heulen bringt dich nicht weiter!“, schimpfte er sich selbst. Wütend zog er sich die Jacke über und verließ das Zimmer. Ziellos fuhr er durch die Straßen der Stadt. Erst als er einen unfreiwilligen Tankstopp einlegen musste, wurde ihm bewusst, was er hier tat und wie sinnlos das war. So würde er weder Dean noch die Zigeuner finden, rief er sich zur Ordnung. Er besorgte sich noch ein Sixpack Bier und machte sich dann wieder an seine eigentliche Suche nach diesem einen Van. ~“~ Dean lief immer weiter in Richtung Westen. Das Jagdglück blieb ihm hold und so war das sichere Futter aus der Hand eines Menschen schnell vergessen und hatte dem gesunden Misstrauen eines Wildtieres Platz gemacht. Er schlief tagsüber in kleinen Höhlen oder tief versteckt in einem Gebüsch und wanderte nur nachts. Um die Höhlen der Zweibeiner machte er einen großen Bogen. In ihrer Nähe beschlich ihn jedes Mal das ungutes Gefühl eingesperrt sein. ~“~ Zwei Tage nachdem Bobby wieder gefahren war, fand Sam den Van am Ende eines Waldweges und so wie die Umgebung aussah, war hier schon seit Wochen niemand mehr. Die Alte hatte sie auf ganzer Linie ausgetrickst. Weiträumig umrundete Sam den Van, doch er fand kein Anzeichen, dass hier in letzter Zeit jemand gewesen sein könnte. Wenn er bedachte, wie lange sie diesen Van schon suchten, hatte er auch nichts anderes erwartet. Trotzdem wollte er einen Blick in das Innere werfen. Vielleicht hatten die Zigeuner ja doch etwas zurückgelassen, womit er sie finden konnte? Es dauerte keine Minute, bis er die Tür des Wagens geknackt hatte. Schnell huschte er hinein. Auch hier war es eisig kalt, aber wenigstens windgeschützt. Der Geruch nach Schimmel lag in der Luft. Er schaltete seine Taschenlampe an und begann sich umzusehen. Mit spitzen Fingern öffnete er den eingebauten Kühlschrank. An dem lag es nicht, der war leer. Systematisch begann er die Schränke zu durchsuchen. In einem fand er Obst und Brot, das sich gegen die Kälte einen dicken, grün-grauen Pelz angezogen hatte. Schnell schlug er die Tür wieder zu. Schimmel sollte ja nicht gerade gesundheitsförderlich sein. Die weitere Durchsuchung des Wageninnenraumes führte zu keinem weiteren Ergebnis. Frustriert wandte er sich wieder zur Tür. Hier gab es nichts, was ihn auf die Spur derer führte, die sein und Deans Leben zerstört hatten. Er schaltete die Taschenlampe aus und stutzte. Hatte da nicht was im Licht der verlöschenden Lampe aufgeblitzt? Sofort schaltete er die Lampe wieder ein und richtete ihren Strahl auf den Bereich zwischen dem Fahrersitz und der Tür. Ein paar Mal schwenkte er die Lampe hin und her und wollte es schon als Einbildung abtun, dass er etwas gesehen haben könnte, als es wieder aufblitzte. Den Lichtkegel auf die Stelle gerichtet, hockte er sich hin und griff nach dem Glitzerding. Es war ein Stück einer Perlenkette. Ob ihn das zu den Zigeunern führen konnte? Sam steckte sich dieses Stück Kette in die Tasche und überlegte, was er jetzt machen sollte. Sollte er die alte Wahrsagerin auspendeln und sofort losziehen oder sollte er ein oder zwei Tage hier warten? Vielleicht kamen sie ja doch noch zurück. Der Gedanke daran, hier in der Kälte zu hocken und darauf zu warten, dass etwas passierte, was so wahrscheinlich war, wie ein Engel und ein Dämon gemeinsam auf der Rückbank des Impala, bereitete ihm mehr als nur Unbehagen. Nein, das konnte er sich wenn überhaupt nur als allerletzte Option vorstellen. Wenn er allerdings ehrlich zu sich war, wusste er, dass er auch das machen würde, wenn er keinen anderen Ausweg fand. Zuerst aber würde er versuchen diese alte Hexe auszupendeln. Im Impala drehte er die Heizung hoch, noch bevor er den Motor startete. Gleich darauf lenkte er den Wagen in die Stadt. Um jemanden auspendeln zu können, brauchte er noch Einiges. Es war Abend bis er alles zusammen hatte. Schnell fuhr er zurück und begann mit den Vorbereitungen. Er zeichnete ein Pentagramm auf den Boden und stellte an jede der Ecken eine Kerze. Während er leise einige Beschwörungsformeln murmelte, zündete er nach und nach eine Kerze nach der anderen an. Er legte eine Karte der USA auf das Pentagramm. Mit dem Stück der gefundenen Perlenkette in der Hand, kniete er sich vor die Karte und versuchte seine Gedanken auf die Zigeuner zu lenken. Es gelang ihm nicht. Alle möglichen und unmöglichen Bilder zuckten durch seinen Sinn. Bilder von Dean, von dem Wolf oder Bobby, Bilder von alten Fällen und längst vergessenen Begebenheiten aus seiner Jugend. Selbst Jess tauchte in seinen Gedanken auf. Frustriert ließ er das Pendel sinken und kochte sich erst mal einen Kaffee. Zwar würde der ihn auch nicht zu Ruhe bringen, aber vielleicht konnte er in der Zeit seine Gedanken ordnen und sich dann auf das Wesentliche konzentrieren. Mit einem frustrierten Seufzen ließ er sich auf seiner Bettkante nieder. Die Hand, in der die Kaffeetasse ruhte, lag auf seinem rechten Oberschenkel. Auf dem linken hatte er den Ellenbogen des linken Armes abgestützt. Das Kinn in die linke Hand gelegt, starrte er auf den Fenster. Seine Gedenken wanderten zu Jess. Wie lange hatte er nicht mehr an sie gedacht? Wie lange hatte er sich eine normale Beziehung nicht einmal mehr vorzustellen versucht? Es war einfach nur ungerecht, dass sie immer wieder dazu verdammt waren, das Leben Andere zu retten und das eigene ihnen immer wieder zu entgleiten schien. Je näher sie einem Ausstieg kamen, umso mehr Knüppel wurden ihnen in den Weg geworfen. Warum durften sie das normale Leben nicht leben, das doch die meisten Menschen auf dieser Erde leben durften? Warum mussten sie um Monster und Dämonen wissen? Wäre es nicht schon schlimm genug gewesen, die Mutter zu verlieren? Er kippte den fast kalten Rest seines Kaffee herunter und machte sich daran, den Aufenthaltsort dieser Zigeuner zu finden und dieses Mal gelang es ihm. Das Ergebnis ließ ihn sich allerdings auf die Fersen setzen und die Karte ungläubig anstarren. Das Pendel war ein Stück oberhalb seiner USA-Karte gelandet. Kanada? Die Zigeuner waren in Kanada? Egal! Um seinem Bruder zu erlösen, würde er noch viel weiter fahren, als nur nach Kanada! Er holte sich seine Tasche und begann zu packen. Danach fuhr er noch einmal etwas zu Essen kaufen und tanken, um morgen in aller Frühe losziehen zu können. Blieb nur die Frage, wie gut die kanadischen Grenzkontrollen waren. Würden sie die Waffen im Kofferraum finden? Hatte Bobby nicht irgendwo im Norden eine Jagdhütte, in der er das Arsenal zwischenlagern konnte? Allerdings wäre eine Waffe mit Sicherheit ein besseres Verhandlungsargument. Konnte er seine Beretta mitnehmen? Hatte er dafür einen Waffenschein, oder war es sicherer auf die Hilfe örtlicher Jäger zu hoffen? Dass es in Kanada Jäger gab, stand für ihn außer Frage aber wo? Darüber konnte er sich auch morgen, während der Fahrt den Kopf zerbrechen! Er würde sich jetzt noch eine Kanadakarte besorgen und morgen früh den genauen Standort dieser Hexe ausfindig machen. Danach wollte er Bobby anrufen und sich entschuldigen und ihn nach kanadischen Jägern fragen. Vielleicht hatte der alte Freund, ob er das noch war? Vielleicht hatte Bobby ja schon eine Idee, wie sie den Fluch brechen konnten. Kapitel 143: total erkältet --------------------------- 143) total erkältet Der nächste Morgen kam nach einer langen Nacht viel zu früh. Erst hatte er sich voller Vorfreude darauf, Dean endlich erlösen zu können, oder zumindest einer Lösung etwas näher zu sein, von einer Seite auf die andere gedreht und dann als er sich entschied wieder aufzustehen und loszufahren, war er wohl todmüde doch noch eingeschlafen. Schnell machte er sich fertig, frühstückte hastig und bereitete endlich alles vor, um das Ziel seiner Fahrt zu finden. Sich zu konzentrieren kostete ihn, wie auch schon am Vortag, einige Versuche bis es ihm gelang und die Perlen über Kanada pendelten. Doch egal, über welche Stelle der Karte er das Pendel hielt und wie sehr er sich auf die Zigeuner konzentrierte, das Pendel wollte keinen festen Punkt finden. Konnten die sich in dieser Nacht so weit bewegt haben? Sam schob die Kanadakarte beiseite und legte erneut die seines Heimatlandes auf das Pentagramm. Wieder hielt er das Pendel darüber und konzentrierte sich. Vielleicht konnte er so ja wenigstens die grobe Richtung ausmachen. Dieses Mal landete das Pendel in Mexiko. Enttäuscht und frustriert ließ sich Sam auf seine Fersen sinken. Was sollte das denn? Klar war es möglich in einer Nacht von Kanada nach Mexiko zu kommen, man musste nur fliegen. Flogen Zigeuner? Gaben sie ihre Wohnwagen auf und setzten sich in einen Flieger? Das Erste konnte er auf jeden Fall bestätigen, schließlich hatten sie das hier schon getan, und warum dann nicht auch fliegen. Hatte ja nicht jeder Flugangst wie sein großer Bruder. „Okay“, sprach er sich selbst Mut zu und versuchte es noch einmal, um auch hier die grobe Richtung herauszubekommen, bevor er sich eine Karte von Mexiko besorgte. Und um ihn vollkommen zu verwirren, landete das Pendel in St. Joseph. „Was soll das?“, wütete er und war kurz davor das Kettenstück in eine Ecke zu feuern. Schnell ließ er sie fallen, bevor er dem Drang doch noch nachgab und ließ sich auf seine Fersen sinken. Er legte die Hände auf die Oberschenkel, schloss die Augen und zwang sich dazu, langsam zu atmen. Nach zehn ruhigen Atemzügen fühlte er sich etwas besser. Er öffnete die Augen und starrte auf die Karte. Was passierte hier? Warum bekam er bei jedem Versuch eine andere Stelle angezeigt? War er als Medium ungeeignet? Hatte die Zigeunerin diese Perlen vielleicht verhext? Hatte er zu oft hintereinander gependelt? Mussten die sich wieder aufladen oder was auch immer es brauchte, um die richtige Antwort zu bekommen. Frustriert fuhr er sich durch die Haare. Was sollte er jetzt tun? Warten, dass er vielleicht ein anderes Ergebnis bekam? Wann durfte er wieder pendeln? Vielleicht war ja auch die letzte Aussage richtig? Vielleicht kamen sie ja wieder hierher und holten ihren Van? Den für ein oder zwei Tage zu bewachen war immerhin besser als nichts zu tun. Vielleicht kamen sie ja wirklich zurück. 'Das glaubst du doch wohl selber nicht', wisperte eine Stimme in seinem Kopf und brachte ihn dazu resigniert zu schnauben. Nein! Er glaubte es nicht, aber er wollte diese winzige Hoffnung nicht auch noch begraben, denn das hieße, dass er mit Nichts in den Händen dastand. Dean war weg, mit Bobby hatte er es sich irgendwie auch verscherzt und die Zigeuner, die ihnen das alles eingebrockt hatten, waren ebenfalls verschwunden. Der Traum von einem normalen Leben war wie eine Seifenblase zerplatzt. Er hatte nichts mehr! Einzig das Wissen, dass sein Bruder jetzt nicht in der Hölle schmorte, unterschied sich von der Situation vor eineinhalb Jahren. Damals hatte er mit viel Glück und Rubys Hilfe Deans Leben retten können und genau das würde er jetzt auch wieder tun und wenn es sein musste allein! Energisch verbot er sich jeden Gedanken daran aufzugeben. Schnell stand er auf und überlegte, während er zur Jacke griff, was er alles brauchen würde, um den Wagen ein paar Stunden, oder Tage, schon allein bei dem Gedanken schauerte es ihn, zu überwachen. Minuten später verließ er sein Zimmer. Schon bald hatte er sich mit einigen Isolierbechern voller Kaffee und Sandwiches eingedeckt und kehrte zu dem kleinen, kaum sichtbaren Waldweg zurück. Was ihn dazu bewogen hatte hier überhaupt genauer hinzuschauen, würde ihm wohl ein ständiges Rätsel bleiben. Er parkte den Wagen etwas weiter entfernt in einer weiteren Einfahrt und packte seine Vorräte in den Rucksack. Aus dem Kofferraum holte er sich eine der Decken, die seit ihren Ermittlungen im Glacier-Park da drin lagen. Dabei fiel sein Blick auf ein in Leder gebundenes Buch. Campells Tagebuch! Dessen Existenz hatte er mehr oder weniger verdrängt! Dean hatte es bei Ellen gelesen und er wollte das eigentlich danach auch tun, doch dann überrannten sie die Ereignisse. Er schob es in seinen Rucksack. So konnte er sich während er in der Kälte wartete wenigstens beschäftigen. Er suchte sich einen halbwegs geschützten, vom Van und dem Weg schlecht einsehbaren Platz und hockte sich dort, in die Decke gehüllt hin. Langsam begann er zu lesen. So lange er konnte, ignorierte er die Kälte, die unerbittlich in seinen Körper kroch und der auch der Kaffee, der nur in den ersten zwei Stunden noch Wärme spendete, nichts entgegensetzen konnte. Zu guter Letzt war es nur noch seine Willenskraft, die ihn aushalten ließ. Als er allerdings so stark zitterte, dass er die Buchstaben kaum noch erkannte, gab er auf. So würde er sich wohl schneller eine Erkältung holen, als die Zigeuner finden. Für morgen müsste er sich etwas anderes ausdenken, denn wenn das Pendel ihn wieder in die Irre schicken wollte, würde er noch einen Tag hier ausharren. Noch wollte er sich nicht geschlagen geben, auch wenn die leise Stimme, die in seinem Kopf vehement darauf hinwies, dass es sinnlos war hier zu warten, immer lauter wurde. Was hatte er denn sonst? Dean würde ihn finden können und der würde auch nicht ruhen, bis er ein Mittel hätte, um ihn zurückzuverwandeln, aber er? Er hatte sich immer für den Schlaueren von ihnen beiden gehalten. Den Zahn hatte ihm Deans Abschlusszeugnis allerdings gezogen. Er war wirklich nur der kleine Bruder, auf den man sein ganzes Leben aufpassen musste! Aber er wollte das nicht. Er wollte doch einmal … „NEIN!“, schimpfte er laut. „Nicht schon wieder so!“ Das hatte ihnen eine für ihn zwar lange, für Dean aber sehr schmerzhafte Zeit eingebracht. Er wollte nicht schon wieder in solche Gedanken verfallen. Trotzdem schaffte er es nicht wirklich, seine Selbstzweifel komplett beiseite zu schieben. War es das, was Dean in genau diese Spirale getrieben hatte? Hatte Dad ihm immer wieder suggeriert, dass er Fehler gemacht hatte und dass diese Fehler jemanden weh getan oder vielleicht sogar das Leben gekostet hatten? Er selbst konnte sich an nichts der Art erinnern, aber wer wusste schon, was John für verquere Gedankengänge hatte, oder was Dean aus manchem Satz herausgelesen hatte. Vorsichtig richtete er sich auf und streckte so seine kalten Muskeln. Im Motel würde er sich als allererstes unter die heiße Dusche stellen und erst wieder hervorkommen, wenn er komplett durchgewärmt war. Außerdem sollte er sich etwas holen, das ihn auch von innen heraus wärmte. Gab es irgendwo in den Kaff mexikanisches Essen? Ungelenk stakste er zum Impala und ließ sich mit einem Stöhnen auf dem Fahrersitz nieder. Er angelte sich seinen Laptop nach vorne und suchte nach jeglicher Art Essen in der näheren Umgebung. Schnell war er fündig geworden. Es gab zwar keinen Mexikaner aber immerhin einen Chinesen und die hatten ja auch scharfes Essen. Eine Stunde später war er wieder in seinem Zimmer. Er stellte das Essen neben die Mikrowelle, schälte sich schnell aus seiner Kleidung und verschwand im Bad. Erst als das ganze Bad von Nebenschwaden durchzogen war, trat Sam wieder aus der Dusche. Er fühlte sich zwar noch immer nicht vollkommen aufgewärmt, allerdings hatte ihn diese Wärme auch müde gemacht und er wollte sich jetzt einfach nur noch ins Bett verkriechen. Trocken und mit frisch geföhnten Haaren kam er ins Zimmer, schob sein Essen in die Mikrowelle und kramte aus seiner Tasche die dicken Sachen heraus, die sie im Glacier-Park getragen hatten. Schnell saß er, dick eingemummelt, im Bett und kaute lustlos auf seinem Essen herum. Der nächste Tag begann für Sam mit Kopfschmerzen und einem kratzenden Hals. „Na toll“, krächzte er. Da hatte er sich also auch noch erkältet! Aber eigentlich war ihm das klar gewesen. So wie er gestern gefroren hatte. Und nicht nur gestern. Auch die Tage davor hatte er kaum auf seine Gesundheit geachtet. Die Sucherei nach Dean und die Nächte davor, die er auf Baumstämmen gesessen und seinem Wolf den Auslauf gegeben hatte, den der dringend brauchte. Er setzte sich auf und wollte nichts lieber, als sich wieder fallen zu lassen. Diese Bewegung tat seinem Kopf alles andere als gut. Außerdem begannen jetzt auch noch seine Augen zu tränen. Das würde binnen weniger Stunden zu einer ausgewachsenen Erkältung werden. Auf dem Weg ins Bad beschloss er, die Observation des Van sein zu lassen, die Zigeuner würden eh nicht kommen, und sich mit den Lebensmitteln einzudecken, mit denen er über die nächsten Tage kommen konnte. Außerdem brauchte er Medizin. Sie hatten zwar jede Menge Schmerzmittel und auch noch etwas Alkohol aber nichts, was bei einer Erkältung helfen würde. Der Supermarkt empfing ihn mit einer großen Anzeigetafel, die ihn darauf aufmerksam machte, dass es nur noch drei Tage waren. Drei Tage bis Weihnachten. Er schluckte. Weihnachten. Dieses Fest wollten sie bei Bobby verbringen. Ein leckeres Weihnachtsessen und den Abend mit Eierpunsch auf der Couch bei einem Spiel ausklingen lassen. Nebenbei hätten sie versuchen können Jody davon überzeugen, dass der alte Brummbär doch ein netter Kerl war und sich eine Beziehung mit ihm durchaus lohnen würde. Tja, dieses Jahr würde es nun weder Punsch noch leckeres Essen geben und Bobby musste seinen Liebeskummer wohl selbst in den Griff bekommen, genauso wie er selbst sein Versagen bei der Suche nach seinem Bruder und dessen Erlösung. Und das sich jetzt schon wieder Tränen in seine Augen drängten, lag auch nur an der Erkältung! Er nahm sich einen Einkaufswagen und begann neben jeder Menge Äpfel und Orangen auch das hineinzupacken, von dem er sich sicher war, dass es gegen Erkältungen half. Schnell lud er noch Tee und Wasser in den Wagen und packte auch einige Dosen Aspirin und Packungen mit heißer Zitrone ein. Außerdem nahm er noch eine Zitruspresse mit. Kurz vor der Kasse fiel ihm ein, dass er auch Taschentücher brauchte, also drehte er noch einmal um und nahm, entgegen seines eigentlichen Entschlusses doch noch eine Flasche Eierpunsch mit. Wenigstens damit wollte er an seinen Bruder denken. An der Kasse lud er auch noch ein paar Packungen Eis ein. So gerüstet sollte er wohl über die Tage kommen. Hustend und schniefend schleppte Sam seine Einkäufe ins Zimmer. Vor einer halben Stunde hatte es zu schneien begonnen. Große schwere Flocken waren während der Fahrt auf die Windschutzscheibe gefallen und hatten ihm die Sicht verschmiert. Jetzt landeten sie in seinen Haaren oder direkt im Kragen seiner Jacke und rutschten, eine nasskalte Spur hinterlassend, seinen Rücken hinunter und ließen ihn noch mehr frieren, als er es eh schon tat. Die Tüte aus dem Drugstore, gleich neben dem Supermarkt, in dem er sich auch noch mit Erkältungsmedizin eingedeckt hatte, stellte er neben das Bett. Er befüllte die Kaffeemaschine, um heißes Wasser zu kochen und schlurfte ins Bad. Bevor er ins Bett kroch, wollte er schnell noch duschen. Sein Shirt klebte unangenehm am Rücken und auch so fühlte er sich eklig verschwitzt. Mit einem zufriedenen Seufzen konnte er sich endlich ins Bett fallen lassen. Neben ihm stand eine Kanne voller heißer Zitrone, ein Teller mit aufgeschnittenen Äpfeln und ein Glas Orangensaft. Außerdem hatte er sich eine Schale Eis mitgebracht. Lustlos zappte er durch die Kanäle und löffelte hin und wieder etwas Eis, bis ihm die Augen zufielen und er in einen unruhigen Schlaf fiel. ~“~ Die Welt roch anders als Dean an diesem Abend erwachte. Er kroch aus seinem Versteck und schaute sich um. Alles war mit einer dicken, weißen, kalten Schicht bedeckt. Neugierig stieß er mit der Nase hinein und schnaufte. Er hob seinen Kopf wieder an. Eine kleine weiße Haube blieb auf seiner Nase liegen. Vorsichtig leckte er es ab. Wasser! Weißes Wasser? Er lief zu einem dick überzogenen Busch und plaffte ihn an. Alles klang so gedämpft. Die Welt hatte sich zugedeckt. Wieder stieß er die Nase in das weiße Zeug und hob den Kopf dieses Mal schneller an. Ein weißer Wattebausch flog in die Luft. Er schnappte danach. Kaute darauf herum. Weißes Wasser? Dean hopste mit allen vier Pfoten zugleich durch den Schnee und japste glücklich. Er sprang nach links und nach rechts. Übermütig kugelte er sich in der unberührten Pracht. Wieder sprang er umher. Dann lief er nur mit den Hinterpfoten, die Vorderpfoten schräg nach vorn gestellt und schob das weiße Zeug zusammen. Er biss in den Haufen. Immer wieder warf er kleine Batzen in die Luft, fing sie auf. Es dauerte lange, bis er genug gespielt hatte und sich daran machte etwas zu fressen zu finden, bevor er in der Dunkelheit weiterzog. Kapitel 144: Furchtbare Weihnachten ----------------------------------- 144) Furchtbare Weihnachten Hustend und keuchend erwachte Sam aus einem Traum, den er nicht mehr greifen konnte, der allerdings, zumindest wenn er seinen Gefühlen glaubte, keineswegs schön gewesen sein konnte. Fahrig wischte er sich über das Gesicht und suchte nach Taschentüchern. Sein Hals kratzte fürchterlich, aber das war ja auch kein Wunder, wenn die Nase vollkommen verstopft war. Wie sehr wünschte er sich jetzt Dean, oder wenigstens Bobby hier her, damit er nicht alleine leiden musste, aber er hatte den einen verloren und den anderen vertrieben. So war das also, wenn man einsam durch die Welt lief! Es war kein schönes Gefühl! Der nächste Hustenanfall ließ ihn sich keuchend, nach vornüber gebeugt zurück. Schweiß lief ihm über den Rücken. Er wollte nur noch duschen, etwas trinken und dann wieder ins Bett und weiter schlafen. Also kämpfte er sich auf die Füße, tappte zur Kaffeemaschine, um die erneut anzuschalten und verschwand dann im Bad. Eine Stunde später lag er vollkommen erschöpft im zweiten Bett. Gut, dass er noch immer ein Doppelzimmer hatte, aber er war ja auch davon ausgegangen, dass er seinen Bruder jetzt schon wieder als Menschen neben sich wusste. War wohl nichts! Er fühlte sich wie ein totaler Versager. Er schloss die Augen und dämmerte schnell wieder in einen unruhigen Schlaf. Fast unbemerkt vergingen für ihn die Tage. Er sah lediglich, dass es mal hell und mal dunkel war, wenn er erwachte und zwang sich jedes Mal dazu etwas zu essen, Tee zu trinken und sich zu duschen, um danach in das jeweils andere Bett zu fallen und erschöpft wieder einzuschlafen. Dann stand schließlich Weihnachten vor der Tür. Nicht dass es Sam dieses Jahr zu feiern gedachte, ihm ja war noch nicht einmal danach es überhaupt zu versuchen. Er verschlief den Tag in der Hoffnung, sich am nächsten Tag wieder etwas besser zu fühlen. Jody stand in ihrer kleinen Küche und bereitete sich ein paar Rühreier mit Speck zu. Sie hatte eigentlich keinen Hunger, aber sie wusste, dass sie essen musste. Essen! Sie schnaubte verächtlich. Wenn ihr Leben noch so wäre, wie es sein sollte, dann würde sie jetzt, wie vor zwei Jahren mit Owen und Sean am Tisch sitzen und den Weihnachtbraten essen. Immer wieder müsste sie ihren Sohn ermahnen still zu sitzen, weil der sehen wollte, ob Santa Claus nicht vielleicht doch in diesem Jahr eher kommt als sonst. Sie würde mit ihrem Mann reden und Pläne für das nächste Jahr schmieden. Aber nicht dieses Jahr. Dieses Weihnachtsfest saß sie vollkommen allein in einem noch immer fremden Apartment und stocherte in der Pfanne herum. Wahrscheinlich würde das Rührei doch wieder im Mülleimer landen, wie schon so oft in den letzten Tagen. Sie hätte bei Bobby Singer bleiben sollen! Sie mochte den altern Kauz doch! Sogar mehr als sie je zugeben würde, doch die Reaktion der Leute, der Hass und das Unverständnis hatten sie erschreckt und die Flucht ergreifen lassen. Dabei war sie doch noch nie ängstlich gewesen. Dieser verfluchte Geist hatte den taffen Sheriff bis ins Mark erschüttert. Sie wusste nicht mehr was sie denken sollte und wo ihr Weg sie hinführte. Ja, Bobby und Dean hatten ihr ein Leben ermöglicht, aber sie fragte sich inzwischen, ob es im Knast nicht einfacher wäre. Da wäre sie die durchgeknallte Mörderin ihres Mannes gewesen. Vielleicht hätte man ihr noch eine Art Schock zugebilligt, nachdem im Jahr zuvor ihr Sohn von einem betrunkenen Autofahrer überfahren worden war? Aber sie war frei! Frei? Sie schnaufte abwertend. Nein! Denn wenn sie wirklich frei wäre, wenn sie sich frei fühlen würde, dann wären ihr die Meinungen ihrer geschätzten Mitmenschen egal gewesen. Aber die hatten sie gewählt. Diese Menschen hatten sie zum Sheriff gemacht. Gab ihnen dies aber das Recht auch ihr Leben zu bestimmen? Sie hatte das Küchenfenster geöffnet, damit die Kochdämpfe abziehen konnten. Vor ihrer Haustür knirschte der Schnee. Ein Wagen hielt. Es erschreckte sie, dass sie nicht raussehen musste, um zu wissen, wem der Wagen gehörte. Ihr Herz machte einen kleinen Freudensprung, doch sie verbot sich die kleinste Regung. Sie wollte nicht wieder auf Gefühle hereinfallen, die dann doch nicht wahr werden durften. Sie schaltete den Herd aus und schob die Pfanne zur Seite. Vorsichtig zog sie die Gardine beiseite und schaute auf die Straße. Bobby hockte in seinem Wagen. Er machte keine Anstalten auszusteigen. Müde zuckte sie mit den Schultern, nahm die Pfanne und ging ins Wohnzimmer hinüber. Im Fernsehen lief irgendeine Serie. Die eingeblendeten Lacher nervten. Jody drehte den Ton leiser, bevor sie sich auf die Couch fallen ließ. Lustlos stocherte sie in ihrem Essen, zwang sich dann aber die Pfanne komplett zu leeren. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem Mann auf der Straße. Sollte er nicht mit Sam und Dean Weihnachten feiern? Wollten die Jungs nicht bei ihm sein, oder hatten sie es nicht geschafft? Mussten sie noch einen Fall bearbeiten? Menschen aus den Fängen von Geistern und Dämonen retten? War Bobby deshalb heute einsam und wollte es nicht sein? Sie brachte die leere Pfanne in die Küche und stellte sie in die Spülmaschine. Ein kurzer Blick nach draußen zeigte ihr, dass ihr heimlicher Besucher noch immer vor der Tür in seinem Wagen hockte. Bei der Kälte würde er sich den Tod holen! Jody straffte sich, griff nach ihrer Jacke und verließ die Wohnung. Immer wieder starrte Bobby zum Fenster hoch, hinter dem er ihre Küche wusste. Sie war da. Er konnte ihren Schatten sehen. Trotzdem fand er das letzte bisschen Mut nicht, um auszusteigen und zu ihr zu gehen. Er wollte ihr nicht nachlaufen, sie nicht bedrängen. Aber sie fehlte ihm. Es war schön gewesen, wieder eine Frau im Haus zu haben, zumal er sich nach dem letzten Sommer nicht einmal mehr schämen musste, wenn er jemand in sein Haus einlud. Sie hatten ganze Arbeit geleistet. Dean war ein Genie, was diese Arbeiten anging. Dean! Sein Hals wurde eng und er versuchte die aufkommende Panik zu bekämpfen. Mit fahrigen Bewegungen griff er in seine Innentasche und holte den Flachmann hervor, den er hastig aufschraubte und mit einem Zug leerte. Wütend und enttäuscht warf er die Flasche in den Fußraum auf der Beifahrerseite. Er war am Ende, kurz davor dem Alkoholismus zu verfallen. So lange hatte er widerstehen können, doch ohne die Jungs, ohne den Halt, den sie ihm, wenn auch unbewusst, gaben hatte er nichts mehr, das ihn vom Trinken abhalten konnte. Sam war zu Recht enttäuscht von ihm. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und ihn mit der Suche nach dem Wolf und nach einem Weg den Fluch zu brechen allein gelassen. Er hatte in den letzten Tagen zwar hier seine Bücher gewälzt, doch das war nicht das Gleiche! Er hätte bei Sam bleiben und ihm beistehen müssen. Aber wie, wenn doch jeder Blick auf das zweite Bett, jedes Wort und jeder Gedanke an den verschwundenen Bruder erinnerte? An den Jungen mit dem er inzwischen so viel mehr teilte als nur das Haus. Er stimmte Sam in der Annahme zu, dass es ein Fluch sein musste, doch ohne den Wortlaut konnten sie ihn nicht brechen. Wieder einmal nicht. Und dieses Mal konnte ihnen noch nicht mal Pam helfen, denn es gab schlichtweg keinen Gegenpart. Dieses Mal hatte Dean mit Niemandem die Seele getauscht. Dieses Mal war alles verloren! Mit aller Kraft, die ihm noch verblieben war, kämpfte er die Tränen herunter, die in seine Augen drängten und ihm Nase und Kehle verstopften. Heftig zuckte er zusammen, als sich die Beifahrertür öffnete. Aus trüben Augen starrte er die Frau an, die auf den Sitz rutschte. Sie schien ihm eher eine Fata Morgana zu sein, als ein realer Mensch. Reale Menschen mieden ihn schon seit einer Weile. Genau seit sie ihn … Er schluckte hart. „Du solltest gehen“, sagte er heiser. Er wollte sie nicht verletzen. „Und dich hier erfrieren lassen?“ Bobby schnaubte nur. Er fühlte diese Kälte nicht, die Kälte in seinem Herzen war schlimmer. „Komm mit rein“, sagte sie leise und öffnete die Beifahrertür. Er machte keine Anstalten sich zu bewegen. „Bobby!“, fuhr sie ihn an und sah, wie er zusammenzuckte. „Komm mit hoch oder soll ich dich nach nebenan in eine Zelle zum Ausnüchtern bringen?“, fragte sie schärfer als sie es wollte. Wieder zucke er zusammen und wieder streifte sie ein Blick aus trüben Augen. Was war nur passiert? „Jetzt komm. Mir ist kalt“, forderte sie und endlich bewegte er sich. Im Schein der Treppenhausbeleuchtung sah sie die tiefen Furchen, die sich in seinem Gesicht eingegraben hatten. Tiefe, schwarze Ringe unter den Augen verrieten den Schlafmangel. Aber am Meisten erschreckte sie, wie sehr seine Kleidung um den Körper schlotterte. Wann hatte er zuletzt richtig gegessen? Was war nur passiert und wo waren die Jungs? Sie drängte ihn die Treppen hoch und schob ihn in die Küche. Schnell nahm sie eine Kaffeetasse aus dem Schrank, füllte sie mit Punsch und drückte sie ihm in die klammen Finger. Sie wusste zwar, dass Alkohol nicht unbedingt die Lösung war, aber jetzt musste sie ihn erst einmal warm bekommen und vielleicht schaffte sie es so, ihn zum Reden zu bringen. Eine Weile saß sie einfach nur neben ihm und nahm hin und wieder einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse. Dann raffte sie sich auf. Der Mann brauchte nicht nur Wärme, er musste auch essen und in ihrem Kühlschrank schlummerte noch ihr Weihnachtsmenü. Sie nahm die Rindersteaks heraus. Gleich darauf holte sie ihre Pfanne aus der Spülmaschine und wusch die kläglichen Reste ihres Abendessens ab. Sie marinierte das Fleisch, bevor sie es in die Pfanne legte, frittierte Kartoffelecken und schnippelte einen Salat klein. Immer wieder schaute sie zu Bobby, doch der starrte nur blind vor sich hin. Viel zu fest hielten ihn seine trüben Gedanken gefangen. Selbst zum Essen musste sie ihn zwingen. So hatte sie ihn noch nie gesehen und bei dem, was sie von seinem Leben wusste, konnte sie sich auch nichts vorstellen, was ihn so aus der Bahn werfen würde. Es sein denn … Nein, an diese Möglichkeit wollte sie gar nicht erst denken! Endlich, nach gefühlten Stunden, hatte der Jäger seinen Teller geleert. Sofort zog sie ihn auf die Beine und schob ihn mit sanfter Gewalt ins Wohnzimmer, wo sie eine Decke um seine Schultern legte und den Fernseher ausschaltete. „Was ist los, Bobby? Wo sind Dean und Sam?“, wollte sie leise wissen und legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. „Weg!“, stieß er dieses eine Wort hervor und sah dabei aus, als hätte es seiner ganzen Kraft bedurft. „Wie weg? Sie lieben dich wie einen Vater! Die verschwinden nicht einfach so“, brachte sie aufgebracht hervor. Die Wärme, das Essen, der Alkohol und nicht zuletzt die Sorge, die er in ihrer Stimme hören konnte, ließ seine Dämme brechen. Eine einsame Träne rann über seine Wange. Er schloss die Augen und holte tief Luft. „Sie sind weg, glaub es mir, und zumindest Dean wird nie wiederkommen“, erklärte er heiser. „Aber warum, Bobby? Dean liebt dich. Er würde nie so einfach verschwinden!“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. „Er ist nicht einfach so verschwunden. Er … Er ist …“ Es fiel ihm so schwer darüber zu sprechen. „Dean … wir nehmen an, dass er verflucht wurde. Er ist jetzt ein Wolf. Ohne Erinnerungen an sein Leben davor. Ich kann es nicht erklären. Am Anfang war er vollkommen verängstigt und Sam hatte die Hoffnung, dass sie, bis er einen Weg gefunden hätte um ihn zu erlösen, zusammenleben könnten, doch Dean wurde sich seiner immer sicherer und ist vor ungefähr einer Woche abgehauen. Wie haben ihn nicht gefunden und wo er jetzt steckt? Weiß der Geier! Wo würdest du einen Wolf suchen?“ „Er ist … was?“ Fassungslos starrte sie den Mann an. Das war zu viel, um es zu verstehen. Ihre Knie gaben nach und sie ließ sich schwer auf das Sofa fallen. „Und Sam sucht ihn jetzt?“ „Ich weiß es nicht, aber ich denke schon. Ich habe ihm gesagt, dass es besser wäre, wenn wir erst etwas finden um den Fluch zu brechen und ihn dann suchen würden. Sam war anderer Meinung. Wir haben uns gestritten und bis jetzt hat er sich nicht mehr gemeldet.“ „Ihr seid solche Sturköpfe!“, schimpfte sie. „Dean war der Klebstoff, der alle zusammenhielt“, nuschelte Bobby rau. „Ohne ihn zerfällt alles. Wir …“ „Das ist Quatsch! Sam vermisst dich mit Sicherheit ebenfalls. Er wird seinen Bruder suchen und ist vielleicht gerade nicht erreichbar. Er meldet sich wieder!“, versuchte sie ihm Mut zu machen. Es sah Sam, so wie sie ihn kennengelernt hatte, nicht ähnlich diese Verbindung einfach so zu kappen. „Du darfst nur nicht aufgeben.“ „Ich glaube, das habe ich schon!“, nuschelte er und rieb sich mit der Hand müde über das Gesicht. „Nein! Du hast nicht aufgegeben und du wirst nicht aufgeben! Auch wenn Sam erst mal Zeit braucht, um diesen Verlust zu verdauen, auch wenn du erst mal Zeit brauchst, um das zu verdauen, du wirst weiter nach einer Lösung suchen und du wirst Sam anrufen. Ihr werdet eure Ergebnisse abstimmen, damit jeder auf dem Laufenden ist. Nur weil Dean nicht da ist, werdet ihr nicht einfach so auseinander rennen wir aufgescheuchte Hühner! Was wollt ihr ihm denn sagen, wenn er wieder da ist?“ „Er kommt nicht wieder! Er ist ein Wolf! Was meinst du denn wie lange Wölfe in freier Wildbahn leben?“, begehrte der alte Jäger auf. „Jedenfalls länger als du, wenn du hier weiter so rumjammerst!“, schimpfte sie. Erschrocken zuckte er zusammen. Diesen Ton kannte er nur vom Sheriff, nicht aber von der Frau Jody Mills. „Ihr habt Geister und Dämonen gejagt und überlebt. Ihr habt euch mit Vampiren abgelegt und du willst mir erzählen, dass ihr damit nicht klar kommt?“ „Du hast ja keine Ahnung“, stöhnte Bobby. „Dann erkläre es mir!“ Kapitel 145: Planänderung ------------------------- @ Vanilein - musst Dich nicht schlecht fühlen. Es ging ja auch so, wenn auch nicht wirklich gut ;-))) aber es ging. ja, Dean fehlt mir auch. SPN ohne Dean ist einfach nicht das, was es eigentlich sein sollte. Aber in dem Kapi gibst ein Bisschen von ihm. LG Kalea 145) Planänderung Der Jäger seufzte. Er schloss die Augen und versuchte sich zu sammeln. Leise begann er zu sprechen: „Dean ist verflucht worden und einen Fluch kann man nicht brechen, zumindest nicht so einfach. Nur der, der den Fluch ausgesprochen hat, kann ihn aufheben, aber die Zigeunerin ist wie vom Erdboden verschwunden. Außerdem bezweifle ich, dass sie das tun würde. Die Jungs haben ihren Sohn getötet.“ „Warum?“, wollte sie wissen. Einfach so töteten sie keinen Menschen. „Er war ein Werwolf, der entlang der 81 junge Mädchen zerfleischt hat.“ „Sie haben also nichts falsch gemacht.“ „Seine Mutter sieht das wohl anders. Selbst wenn wir sie finden, sie wird den Fluch nicht lösen.“ „Gibt es keine andere Möglichkeit?“ „Wenn wir den genauen Wortlaut wüssten, aber sie hat Dean etwas ins Ohr geflüstert. Sam hat es nicht gehört.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Wir haben nichts!“ Erschöpft schien er noch mehr in die Couch zu sinken. „Dass es jetzt keine Lösung zu geben scheint heißt nicht, dass es nie eine Lösung geben wird“, versuchte sie ihm Mut zu machen. „Du bleibst heute Nacht hier und schläfst dich aus. Morgen sieht die Welt schon wieder etwas freundlicher aus.“ Sanft drückte sie ihn auf die Seite. Seine Gegenwehr hatte schon einen gehörigen Knacks bekommen, als sie sich zu ihm ins Auto gesetzt hatte, hier in der Wärme war sie vollkommen geschrumpft und so war es nicht verwunderlich, dass er, kaum dass er lag, auch schon eingeschlafen war. Eine Weile musterte Jody den schlafenden Mann, dann ermahnte sie sich nicht nur zu starren und holte ihm eine Decke, die sie vorsichtig über ihn breitete. Sie nahm ihr Weinglas, füllte es noch einmal auf und setzte sich dann in den Sessel, ihm gegenüber. Wieder betrachtete sie den schlafenden Mann. Warum war sie davongelaufen? Ganz einfach - weil sie Angst hatte. Angst vor den Anfeindungen der Menschen. Angst davor, dass sie bei der nächsten Wahl nicht mehr Sheriff sein würde und Angst davor, dass sie vom Pech verfolgt war und noch jemand anderen in den Tod reißen würde. Aber war es das wert? Konnte sie es mit sich vereinbaren, dass fremde Menschen ihr Leben kontrollierten, nur um wieder Sheriff zu werden? Die Wahlen waren noch drei Jahre hin und bis dahin sollte wohl Gras über die Sache gewachsen sein und wenn nicht? Nun dann war sie eben nicht mehr Sheriff! Wenn ihre Taten nicht für sie sprachen, dann hatte sie den Posten nicht verdient! Und der Tod? Bobby wusste sich zu schützen sollte es noch so ein wild gewordener Geist auf sie abgesehen haben. Seans Unfalltod war genau das, ein Unfall und dagegen war niemand gefeit. Mit einem leisen Seufzen nahm sie sich vor, sich wieder mehr um Bobby zu kümmern. Der alte Kauz brauchte gerade jetzt Hilfe und Beistand. Sie würde noch nicht gleich wieder zu ihm ziehen, aber sie wollte ihm etwas näher kommen. Sie mochte ihn und dass er heute Abend hier war, zeigte ihr, dass er sie ebenfalls mochte. Warum also nicht. Sie konnten es langsam angehen und sehen was daraus werden würde. Still prostete sie dem schlafenden Mann zu und trank ihr Glas aus. Viele Kilometer entfernt, in St. Josef, wälzte sich ein vollkommen verschwitzter, schwer atmender Sam Winchester aus dem Bett. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte er gesoffen. Die Nase war zu, die Augen verklebt und seinem Hals tat selbst das Atmen weh. Außerdem hatte er das Gefühl, dass ihm etwas auf der Brust saß und so sein Atmen zusätzlich behinderte. Trotzdem versuchte er einmal richtig Luft zu holen und wurde augenblicklich mit einer heftigen Hustenattacke bestraft. Irgendwann schaffte er es, sich zu beruhigen. Er presste seine Arme vor die schmerzende Brust und schleppte sich ins Bad. Wenigstens hatte diese Attacke einiges von dem ekligen, grünen Schleim gelöst. Er pellte sich aus seiner verschwitzten Kleidung und stellte sich unter die Dusche. Das warme Wasser spülte auch einen Teil der Benommenheit weg, die ihn noch immer gnädig umfangen hielt. Seine Gedanken wanderten zu seinem Bruder und er fragte sich, wie es ihm wohl ging. Sollte er einen landesweiten Suchaufruf starten? Aber wer außer Jägern würde schon durch die Wälder streifen und nach einem Wolf Ausschau halten? Und würde er Dean denen nicht eher zum Fraß vorwerfen, als das sie sich bei ihm melden würden? Immerhin gab es keine grünäugigen Wölfe. Dean war eine Besonderheit, die wohl etliche Jäger zu gerne an der Wand hängen haben würden, statt sie zu fangen und ihm zu übergeben. Nein! Er musste darauf hoffen, dass er einen Weg finden würde ihn so zu finden, nachdem er wusste, wie er ihn wieder zum Menschen machen konnte. Als er aus dem Bad kam, fühlte er sich etwas frischer und so machte er sich daran, sich etwas halbwegs Vernünftiges zu Essen zu machen, Mikrowellenfutter. Nicht unbedingt das, was er bevorzugte, aber im Moment besser als immer nur Eis und Orangensaft. Während das Wasser durch die Kaffeemaschine lief, räumte er das Zimmer auf und machte es sich dann auf dem zweiten Bett bequem. In Ruhe aß er Truthahn mit Süßkartoffelbrei und Gemüse und stellte fest, dass es gar nicht so schlimm war, wie befürchtet. Er trank seinen ersten Kaffee seit Tagen und zappte gelangweilt durch die Programme. Wie anders war doch das letzte Weihnachtsfest, das er mit Dean in Naples verbracht hatte. Sie hatte damals eine Tradition begründen wollen. Schöne Tradition, die nicht mal ein Jahr gehalten hat! Langsam machte sich die Müdigkeit wieder in ihm breit und er war fast froh, sich erneut unter der Decke verkriechen und in eine gedankenlose Wirklichkeit abtauchen zu können. Weitere drei Tage vergingen, in denen Sam sich langsam erholte und sein Tatendrang, aber vor Allem die Wut auf die Zigeuner wieder hoch kam und er endlich seinen Bruder finden wollte. Er holte sich seinen Laptop aufs Bett und begann wahllos nach Zigeunern zu suchen. Es musste doch irgendwo jemanden geben, der sich mit solchen Flüchen auskannte, und der gewillt war, ihm zu helfen! Im Internet kam er allerdings nicht weiter. Es gab zwar jede Menge Medien und Handleser, aber ob darunter seriöse waren, konnte er so nicht herausfinden. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als in die Zigeunerhochburgen zu fahren und zu hoffen, dass er an den Richtigen geriet. Das „wenn nicht“ wollte er sich lieber nicht ausmalen. Sam packte seine Sachen, gewillt, am nächsten Morgen Richtung Oregon aufbrechen. Schon früh war er an diesem Morgen wach. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass die Straßen frei waren. In den Fenstern an der Rezeption blinkten bunte Lichter und eine Uhr zählte die Stunden herunter. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass heute Silvester war. Wieder war ein Jahr vergangen, in dem sie jede Menge übernatürliche Kreaturen vernichtet, aber nicht das Glück hatten, selbst aus diesem Leben aussteigen zu dürfen. Dabei wollte Dean spätestens heute dieses unstete Leben an den Nagel hängen. War wohl mal wieder nichts! Er kam sich so erbärmlich vor, war er es doch, der Dean nicht nur einmal versprochen hatte, dass er ihn aus diesem Leben holen würde, dass er alles tun würde, damit sein Bruder ein normales Leben kennenlernen konnte. „Da hast du wohl mächtig in die Minuskiste gegriffen, Sam!“, stellte er sauer auf sich selbst fest. „Dann wird es wohl endlich Zeit, etwas zu tun, um dieses Versprechen doch noch zu erfüllen!“ Er griff seine Tasche, warf noch einen kontrollierenden Blick in die Runde und verließ das Zimmer. Auf dem Weg zur Rezeption legte er seinen Rucksack in den Kofferraum. Er stutzte. Unter Deans Tasche schaute ein Stück eines ledergebundenen Buches hervor. Samuel Campells Tagebuch! Er hatte es bei seiner Observation zu Ende lesen wollen und war wegen der Erkältung nicht mehr dazu gekommen. Dean hatte es bei Ellen regelrecht verschlungen. War da nicht die Rede von einem Heilmittel für Vampire gewesen? Wenn ja, hatte er es noch nicht gefunden, außerdem half ihm das jetzt auch nicht weiter, aber vielleicht gab es darin ja auch andere Ansätze. Immerhin schien ihr Großvater über mehr Wissen zu verfügen, als Dad sich aneignen konnte. Dann sollte er wohl besser einkaufen fahren, wenn er doch noch hierbleiben und das Buch zu Ende lesen wollte. Schnell war er mit Lebensmitteln für zwei Tage und einer großen Packung Chips, Taccos und einiger Dips wieder da. Wenn er den Punsch schon an Weihnachten nicht mit Dean trinken konnte, so wollte er ihm Silvester auf diese Art Glück wünschen und seiner gedenken. 'Oh Gott! Wie das klingt. Als ob er tot wäre!`, schimpfte er sich im Stillen. Und doch fühlte es sich so an. Dean, sein großer Bruder Dean, der Mensch, der alles für ihn getan hatte, war gestorben. An seiner Stelle gab es jetzt einen Wolf, einen wunderschönen cremefarben-grauen Wolf mit grünen Augen. Er hätte wirklich ein paar Fotos machen sollen! Nicht einmal das war ihm als Andenken geblieben. Lustlos schaufelte er etwas aus den Boxen mit dem chinesischen Essen in sich hinein und ließ sich bald darauf, mit einer Tasse Kaffee, am Tisch nieder. Er nahm das Buch und schlug es auf. So schnell würde er diese Lektüre jetzt nicht wieder aus der Hand legen. Selbst als er aufstand, um sich frischen Kaffee einzugießen, nahm er das Buch mit und auch die ersten, vereinzelten Knaller ließen ihn kalt. Erst als immer häufiger und in immer kürzerer Zeit Knaller explodierten senkte er seine Lektüre. Irritiert schaute er zum Fenster, hinter dem sich schon wieder bunte Lichter abzeichneten. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es nicht mehr allzu lange bis Mitternacht war. Er stand auf, streckte seine Muskeln und machte sich daran, den Eierpunsch zu erwärmen. Noch einmal streckte er sich, dann schaltete er den Fernseher ein. Auf allen Programmen lief irgendeine Show und überall war eine Uhr eingeblendet, die die Zeit herunter zählte. Kurz griff er nach seinem Telefon. Sollte er Bobby anrufen? Schnell schob er das kleine Gerät wieder tiefer in die Tasche. Er hatte Bobby mehr oder weniger vom Hof gejagt, hatte gesagt, dass er selbst klarkommen würde und keine Hilfe brauchte. Jetzt ohne ein Ergebnis anzurufen, traute er sich nicht. Und so saß er mit einem Becher Eierpunsch in der Hand und Taccos und Dips neben sich auf seinem Bett und starrte auf die runterlaufenden Zahlen. Seine Gedanken machten sich selbstständig und wanderten zum letzten Silvester, dass sie bei Bobby verbracht hatten. Damals war zumindest Dean noch mit sich und dem Jägerleben im Reinen gewesen, aber damals war auch noch vieles anders. Damals war Dean nur von seinem Vater enttäuscht gewesen. Und bis zum Sommer hatte er wohl auch nicht wirklich mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Dieser ruhige Sommer brachte dann allerdings einiges in ihrer Weltanschauung durcheinander. Die Arbeiten hatte seinem Bruder Spaß gemacht und auch wenn Dean es nie zugeben würde, über einen Ausstieg hatte er schon hin und wieder nachgedacht. Bis Adam kam. Der Junge war der personifizierte Verrat an allem, was John ihnen immer als heilig gepredigt und Dean als seine Bibel angenommen hatte. Wenn Dean bis dahin nur an Dads Befähigung zum Vater-Sein gezweifelt hatte, so stellte er jetzt dessen komplettes Vermächtnis infrage und der Wunsch auszusteigen, ein eigenes Leben zu leben, rückte plötzlich in den Vordergrund. Sam seufzte laut. Die Uhr im Fernsehen zählte die letzten zehn Sekunden. Draußen knallten die Böller. Im Fernsehen wünschten sich die Menschen ein glückliches, gesundes neues Jahr und Sam stiegen die Tränen in die Augen. So einsam war er noch nie gewesen. Immer hatte er einen Menschen an seiner Seite. Viele Jahre war Dean da, dann Jess und danach wieder Dean. Viele Jahre war der Jahreswechsel nichts als ein Tag an dem es Feuerwerk zu sehen gab. Dieser Wechsel sollte ein ganz bedeutender werden und war zur Katastrophe geworden. Ja, Dean war aus ihrem bisherigen Leben ausgestiegen, aber wie! Sam schaffte es nicht mehr, die Tränen aufzuhalten und so liefen sie, unbeachtet, über seine Wangen und tropften in sein Hemd. Er legte das Tagebuch beiseite. Bisher hatte er etwas mehr als drei Viertel geschafft, aber noch nichts zu Flüchen gefunden, auch wenn es sonst jede Menge neuer Ansätze lieferte. Mühsam stemmte er sich in die Höhe, schlurfte ins Bad und holte sich dann den Plüschhasen aus seinem Rucksack, den Dean ihm geschossen hatte. Mit dem Hasen im Arm kroch er ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf und weinte sich, das Plüschtier fest an seine Brust gedrückt, in den Schlaf. Kapitel 146: Neues Jahr, neues Glück ------------------------------------ @ Vanilein : Vielen Dank für Dein Lob. Ich freue mich, dass Dir mein geschreibsl so gut gefällt. Du hast Recht, Bobby braucht Jody und Sam Dean. Ob ich wenigstens einen etwas glücklicher machen kann, mal sehen. Versprechen tu ich mal nichts ;-)) LG Kalea 146) Neues Jahr, neues Glück? Das neue Jahr begann für Sam mit Kopfschmerzen und einer vollkommen verstopften Nase. Er fühlte sich noch elender als am Tag zuvor. Aus dem Spiegel im Bad schaute ihm ein verquollenes, blasses Gesicht mit roten Augen an. Er schnaubte, frustriert drehte er sich weg und entschied, dass es auch mal ein paar Tage ohne rasieren gehen müsste. Schnell hatte er sich etwas Obst aufgeschnitten, Hunger hatte er keinen, Kaffee gekocht und setzte sich mit den Tagebuch wieder an den Tisch, um auch noch die letzten Seiten zu lesen. Fast unbemerkt verging dieser 1.Januar 2010. Der Morgen des 2. Januar fühlte sich für den einzigen verbliebenen Winchester schon etwas besser an, als der Tag zuvor, auch wenn das Loch, das Deans Flucht gerissen hatte, noch lange nicht verheilt war. Das würde es nie, nicht mal ansatzweise. Er lag auf dem Rücken und starrte in dem erwachenden Tageslicht an die Decke. Das Tagebuch hatte natürlich nichts Neues zum Brechen von Flüchen zu bieten gehabt, außer den altbekannten Aussagen, dass Flüche eben nicht zu brechen waren. Also wie sollte es jetzt weitergehen? Sollte er zu Bobby fahren und mit dem alten Jäger nach einer Lösung suchen? Sollte er weiter nach den Zigeunern suchen oder... Es gab da immer noch diese mysteriösen Koordinaten im Tagebuch seines Großvaters. Irgendetwas sagte ihm, dass er da am Ehesten fündig werden könnte. Voll neuem Tatendrang schlug er die Decke beiseite und stand auf. Schnell erledigte er seine Morgentoilette, räumte das Zimmer weitestgehend auf und packte seine Sachen. Er wollte nach Lansing, Michigan, dem Ort, in dem die Koordinaten lagen. Irgendetwas musste da sein sonst hätte es Samuel Campbell nicht so versteckt. Vielleicht barg dieser Ort ja noch mehr Erkenntnisse? Oder eine weitere Enttäuschung. Aber immerhin hatte er jetzt einen Plan und ein fassbares Ziel. Etwas, dass ihm mehr bedeutete als aufs Geratewohl loszuziehen. Außerdem lag es auf dem Weg nach Maine, wo es einige Hochburgen der amerikanischen Gypsys gab. Noch bevor es richtig hell war, verließ er den Parkplatz. Dieses Motel hier wollte er nie wieder sehen, denn es barg viel zu viele schlechte Erinnerungen. Sams Blick lag prüfend auf den verschneiten Straßen, über die er den Impala lenkte. Er freute sich regelrecht über die glatte Fahrbahn, denn so musste er sich auf das Fahren konzentrieren und hatte wenig Zeit über seine Situation nachzudenken. Nur seine laufende Nase durchbrach diese Konzentration öfter als ihm lieb war. Schon wieder tastete er auf dem Beifahrersitz nach einem noch benutzbaren Taschentuch. Seine Nase kribbelte immer schlimmer und dann war er doch zu langsam, um das Niesen unterdrücken zu können. „Verdammt“, schimpfte er und versuchte den schlingernden Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Als er losgefahren war, hatte er die Hoffnung, dass es mit einem Ziel vor Augen besser werden würde, doch hier, in Deans ureigenstem Reich fühlte er sich noch verlassener als in den letzten Tagen in dem Motelzimmer, das er sich noch mit seinem wölfischen Bruder geteilt hatte und das ihm in jeder Ecke an ihn erinnerte. Das Irritierendste an seiner momentanen Situation war aber, dass sie ihn noch einsamer zu machen schien. Er verspürte keine Lust mit der netten Bedienung in den Diners, in denen er für eine kurze Rast eingekehrte mehr Worte zu wechseln, als die notwendigen, und das obwohl nicht nur eine einem Flirt nicht abgeneigt schien. Auch beim Tanken verspürte er kein Bedürfnis mit dem Tankwart zu reden. Je länger er auf seiner Fahrt darüber nachdachte, umso mehr konnte er Dean plötzlich verstehen. Sein Bruder hatte auch selten Lust über das zu reden, was in seinem Innersten vorging. Er selbst wollte immer alles analysieren, weil er so für sich immer zu einer Lösung gekommen war, doch für dieses Dilemma gab es keine Lösung! Niemand war da, der ihm helfen konnte. Hatte sich Dean all die Jahre so gefühlt? Einsam und hilflos? Sein Bruder war für ihn immer eine Art Held gewesen, zumindest bis er sich als Teenager ganz erwachsen fühlte und meinte alles allein entscheiden zu können, da weder Dad noch Dean ihn verstanden. Bei diesem Gedanken kam er sich mies vor. Aber die Zeiten, in denen Dean alles alleine entscheiden musste, waren schon länger vorbei. Er war inzwischen wirklich erwachsen, er konnte mitentscheiden und auf sich und Dean aufpassen. Naja, meistens jedenfalls. Nur war dieses Meistens eben nicht genug gewesen, denn es hatte dazu geführt, dass er einsam über die winterlichen Straßen fuhr, statt mit seinem Bruder und Bobby die neu zu entdeckende Freiheit zu genießen. Resigniert seufzte er, schalte das Radio an und suchte sich einen Sender, der alles, nur nicht Deans Lieblingsmusik spielte. In Lansing mietete er in dem erste Motel, das auf seinem Weg lag, ein Doppelzimmer und schüttelte betrübt den Kopf als sein Blick auf das zweite Bett fiel. So langsam sollte er sich angewöhnen ein Einzelzimmer zu nehmen. Das würde nicht nur seine Kreditkarte weniger belasten, sondern ihm auch den Anblick des leeren Bettes ersparen und ihn nicht noch zusätzlich daran erinnern, dass ein wichtiger Teil, wohl eher der wichtigste Teil seiner Familie fehlte. Er schluckte, warf seinen Rucksack aufs Bett und flüchtete aus dem Zimmer, bevor ihn der Verlust wirklich überrannte. Er musste sich noch etwas zu essen suchen, bevor er daran ging, den Ort ausfindig zu machen, auf den die Koordinaten hinwiesen. Auf dem Supermarktparkplatz, der gleich neben dem Diner war, entledigte er sich der täglich kleiner werdenden Bazillensammlung, bevor er daran ging, etwas zu kaufen, das seinen Magen füllen konnte. ~“~ Das Telefon klingelte. Frustriert rieb sich Bobby die brennenden Augen. Er schob seine Kappe nach hinten und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, bevor er zum Hörer griff. Seit er Weihnachten bei Jody verbracht hatte, sah er die Welt nicht mehr ganz so schwarz. Sie hatten in den Tagen danach viel miteinander geredet und beschlossen, in Kontakt zu bleiben. Er war zwar nicht sonderlich überzeugt davon, dass das auch wirklich passieren würden, doch Jody hatte ihn schon am nächsten Tag überrascht, sich gemeldet und ihn zu Silvester eingeladen. Den Jahreswechsel hatten sie mit noch mehr reden und sehr wenig Alkohol begangen und er wusste noch immer nicht, wie sie es geschafft hatte, ihn zum Reden zu bewegen. Danach war er nach Hause gefahren und hatte sein Chaos beseitigt und bemühte sich, das auch nicht wieder einreißen zu lassen. Auch die Recherchen für andere Jäger nahm er wieder auf. Er war noch immer die Anlaufstelle in diesen Kreisen und vielleicht konnte er von den Erfahrungen der anderen ja auch profitieren und einen Weg finden, um Dean wieder in einem Menschen zu verwandeln. Wieder schrillte das Telefon und er ging endlich dran. „Ich wollte gerade auflegen“, wurde er von einem Jäger begrüßt. „Worum geht es?“, fragte Bobby. Er hatte keine Lust auf ein längeres Gespräch. Der Jäger schilderte ihm sein Problem, doch statt nach der Zusage, dass Robert Singer sich darum kümmern und wieder anrufen würde, aufzulegen, druckste er herum. „Was willst du?“, fragte Bobby ungehalten. „Ich es wahr, dass die Winchesters die Seite gewechselt haben?“, platzte der Jäger hervor. „Wer erzählt denn so einen Scheiß?“ „Hab da das ein oder andere Gerücht gehört und da niemand die Bengel in letzter Zeit gesehen hat …?“ „Sie sind in eigener Sache unterwegs“, erklärte Bobby. „Aber sie haben mit Sicherheit nicht die Seite gewechselt. Bei ihrer Geschichte … Wie kommst du nur auf so einen Mist?“ „Ich habe das Gerücht ja nicht in die Welt gesetzt!“, versuchte sich der Jäger zu verteidigen. „Dann verbreite es auch nicht weiter!“ „Bestimmt nicht. Ich dachte nur, dass es mehr als schade wäre. Sie sind gut und wir nicht gerade viele.“ „Ich kümmere mich um dein Problem und melde mich wieder“, versprach Bobby und legte auf. Grübelnd betrachtete er den Hörer. Musste er sich jetzt auch noch solcher Gerüchte erwehren? War es nicht schon schlimm genug, was passiert war? Aber Jäger waren da wohl genauso geschwätzig wie andere Menschen auch, sobald sie untereinander waren. Er nahm seine Tasse und ging in die Küche, um sich frischen Kaffee zu kochen. Während die Maschine vor sich hin röchelte, räumte er etwas auf. Immerhin kam Jody inzwischen ein oder zweimal in der Woche vorbei und er wollte sie mit seinem Saustall nicht direkt wieder vertreiben. ~“~ Sam setzte sich in dem Diner, wie Dean sonst immer, mit dem Rücken zur Wand in eine kleine Nische an einem Tisch. Von hier aus hatte er den Raum und die Tür im Blick, war aber selbst nicht so schnell zu entdecken. Er saß kaum, als auch schon eine junge Kellnerin zu ihm an den Tisch kam, ihm Kaffee einschenkte und nach seinen Wünschen fragte. „Die können Sie mir nicht erfüllen“, erklärte der Winchester mit einem traurigen Lächeln. „Aber wenn Sie einen Salat mit Putenstreifen für mich haben?“ Viel Hunger hatte er nicht. Daran war wohl seine Erkältung schuld. Außerdem waren seine Geschmacksnerven noch immer blockiert. Alles schmeckte irgendwie fade. Sie nickte lächelnd und verschwand. Nein, seine Wünsche konnte sie ihm nicht erfüllen. Wie auch? Dafür müsste sie hexen können. Vielleicht sollte er noch mal nach Saratoga Springs fahren und in dem Diner essen? Wenn er Glück hatte, war die Fee noch da. Obwohl er bei seinem Glück wohl eher als Wolf zu seinem Bruder traben würde, als dass er den als Mensch wieder neben sich stehen hätte. Außerdem wären das wohl wieder nur Träume! Nein, die Fee war keine Option. Außerdem wusste er nicht, ob Bobby schon einen Jäger gefunden hatte, der sie inzwischen in die ewige Verdammnis geschickt hatte. Gönnen würde er es ihr auf jeden Fall, diesem hinterhältigen Miststück! Die Kellnerin brachte seinen Salat und einem Teller voller Toastscheiben und wünschte ihm einen guten Appetit. Nachdem sie seinen Kaffee noch einmal aufgefüllt hatte, ließ sich ihn mit seinen Gedanken wieder allein. Er lächelte ihr dankbar hinterher und begann lustlos in dem Grünzeug herumzustochern. Seit Deans Verwandlung hatte er kaum noch Appetit, aber vielleicht lag es ja doch an seiner Erkältung, die ihm noch immer in den Knochen saß? Er hoffte es und zwang sich, den Teller zu leeren. Wer wusste schon, was ihn noch alles erwartete. Außerdem brauchte er all seine Kraft, um Dean zu erlösen. Schnell war er fertig. Gleich nachdem er bezahlt hatte, fuhr er zurück ins Motel und ging zu Bett. Er fühlte sich so unendlich müde und ausgebrannt. Wenn es nach ihm ginge, würde er die nächsten Wochen einfach verschlafen. Aber er musste ja noch Dean finden und einen Fluch brechen! Wenigstens war es ihm vergönnt, fast sofort einzuschlafen, was in den letzten Tagen nur selten vorgekommen war. Am nächsten Morgen quälte er sich trotz der durchgeschlafenen Nacht genauso unausgeschlafen aus dem Bett, wie er gefühlte Minuten zuvor hineingefallen war. Nach der Dusche fühlte er sich nicht mehr ganz so zerschlagen und wenigstens halbwegs in der Lage, dem Tag zu begegnen. Außerdem war er mehr als nur neugierig, was diese Koordinaten wohl anzeigen sollten, so versteckt wie sein Großvater, Samuel Campell, die aufgeschrieben hatte. Sein Großvater. Wie das klang. Bislang waren Großeltern eher etwas, dass alle anderen Kinder hatten. Er hatte ja nicht mal eine Mutter, Großeltern waren da noch utopischer. Immerhin hatten ihn einige seiner Klassenkameraden um seinen großen Bruder beneidet. Er warf das Handtuch, dass er noch um die Hüften trug auf das Bett und schlüpfte in seine Kleidung. Jetzt konnte der Tag beginnen! In dem Diner, in dem er am Tag zuvor gegessen hatte, besorgte er sich Kaffee, Sandwiches und Salat und fuhr zu der Adresse. Kapitel 147: Der Campell´sche Unterschlupf ------------------------------------------ @Vanilein - So sind die Waschweiber. Wer lange nicht da ist, über den wird hergezogen. ;-)) Und hey, das Geheimnis wird ja heute gelüftet. Mal sehen, ob es Dir gefällt. LG Kalea 147) Der Campell´sche Unterschlupf Eigentlich hatte er eher mit einem Container gerechnet, wie sie ihr Vater im ganzen Land verteilt hatte, aber nicht mit einem Gebäude, dass bis auf den Stacheldraht, der den Maschendrahtzaun und das Tor krönte, eigentlich wie ein normales Haus aussah. Hatte Campell alles an einem Ort gelagert? Hatte seine Mom hier gelebt? War das nur eine Basis? Er stellte den Motor des Impalas ab und stieg aus. Sofort fuhr ihm der Wind unter die Jacke und ließ ihn frösteln. Schnell schloss er den Reißverschluss und schob die Hände tief in die Taschen. Nicht, dass er seiner gerade abklingenden Erkältung neues Futter vorwarf. Langsam umrundete er das Gelände. Es sah verwildert aus. Überall wucherten kleinere Grasbüschel. Er konnte sogar einige größere Sträucher ausmachen, an denen etwas von dem Schnee hängengeblieben war, den der Wind sonst an den Wänden von Haus und Schuppen angehäuft hatte. Das Tor hing ein wenig schief in den Angeln und quietschte fürchterlich, als er versuchte es aufzudrücken, aber es bewegte sich. Bei seinem Rundgang fand er keine Hinweise auf Besucher. Es gab weder Reifenspuren, noch irgendeinen Trampelpfad, der auf Bewohner schließen ließ. Und offensichtliche Sicherungsmaßnahmen fand er auch keine. Das hieß zwar nicht, dass es keine gab, aber wenn das wirklich ein Ort war, an dem sich ihr Großvater mit seiner Familie aufhielt, vielleicht sogar wohnte, dann hatte er wohl eher mit Dämonenfallen als mit menschlicher Überwachungstechnik zu rechnen und wenn hier doch jemand wohnte, dann konnte er sich immer noch damit entschuldigen, sich in der Adresse getäuscht zu haben und nach den Campbells fragen. Energisch schob er das Tor auf, ging zum Wagen zurück und fuhr ihn in den Hof. Noch einmal schaute er sich die Gebäude genauer an. Die Außenwände bestanden aus Wellblech. Über Sams Gesicht huschte ein Lächeln. So ganz falsch konnte er wohl nicht sein. Er ging zum Eingang und klopfte ein paar Mal. Nichts rührte sich. „Hallo?“, rief Sam laut und klopfte noch einmal. Bis auf den Wind, der um die Ecken pfiff blieb alles ruhig. Das Haus war verlassen. Der Winchester holte seinen patentierten Universalschlüssel aus der Tasche und hatte das Schloss binnen Sekunden geknackt. Er schaute sich noch einmal um. Irgendwie war es ihm peinlich einen Jägerunterschlupf so leicht geknackt zu haben. Vorsichtig schob er die Tür auf und trat ein. Die Luft roch abgestanden, überall hingen Spinnweben und auf dem Boden und den wenigen Möbeln, die er von hier aus sehen konnte, lag eine dicke Staubschicht. Hier war schon seit einer halben Ewigkeit niemand mehr gewesen. Er schloss die Tür und ging den Flur entlang. Auf eine schwer zu beschreibende Art war Sam enttäuscht, hatte er doch tief in sich drin gehofft, dass es noch andere Familienmitglieder gab, immerhin war ihre Mom nicht die letzte in dem Stammbaum gewesen, deren Namen mit schwarzer Tinte geschrieben worden war. Was war mit den Anderen passiert? Warum war Dad nie auf die Suche nach ihrer Familie gegangen? Warum hatte er das Buch nicht gelesen? Hatte er es nicht gelesen? Wann hatte er es bekommen? Nein! Sam war sich sicher, dass John Winchester es nicht gelesen haben konnte, denn sonst wäre er auf die Suche nach diesem Familienzweig gegangen. Bei ihnen hätte er mehr Antworten bekommen, als irgendwo anders. Also was war dann aber mit den verbliebenen Mitgliedern der Familie Campell passiert? Waren sie alle im Kampf gegen die Monster dieser Welt gestorben? Sollte er sich auf die Suche nach ihnen machen? Wollte er das? Seine Familie war Dean. Und dann kam Bobby. Den Rest der Campell`sche Verwandtschaft kannte er nicht. Es hatte sie nie in seinem Leben gegeben und im Moment wollte er sie auch nicht kennenlernen. Vielleicht, wenn er Dean nicht wiederfinden konnte … Nein, selbst dann nicht, denn dann würde er sich wohl eher verkriechen, mit Bobby oder als einsamer Rächer weitermachen. Ohne seinen Bruder würde er sich niemandem anschließen, den er nicht schon näher kannte. Und eigentlich stand die Frage gar nicht erst zu Debatte. Er würde Dean zurück bekommen. Sam holte die Taschenlampe hervor. Auch wenn es draußen verhältnismäßig hell war, durch die dreckigen Fenster drang kaum ein Lichtstrahl in die Räume. Er schaltete die Lampe ein und begann sich genauer umzusehen. Er versuchte sich so vorsichtig wie möglich zu bewegen, um nicht mehr Staub aufzuwirbeln, als unbedingt notwendig war. Im Erdgeschoss gab es eine kleine Küche, ein Bad, eine Art Esszimmer mit Tisch und Stühlen, die nicht zueinander passten. Außerdem war da noch sowas wie einen Aufenthaltsraum in dem sich das Möbelchaos fortsetzte. Die Sessel und Sofas passten genau so wenig zusammen, wie die Möbel in dem Esszimmer. Hier standen zusätzlich noch Regale, in denen Bücher lagen, die sich aber bei einem kurzen Blick, den er hineinwarf als normale Literatur entpuppten. Es gab einen Fernseher und ein Radio, die vom Alter her wohl schon wählen gehen konnten. Ob die noch funktionierten? Egal! Er war hier ja nicht zum Fernsehen hergekommen! Der letzte Raum schien ein Büro gewesen zu sein. Dominiert wurde er von einem wuchtigen Schreibtisch und an den Wänden standen Regale mit Büchern. Hinter dem Schreibtisch konnte Sam noch eine alte Truhe sehen. Ob er sich die als Erstes einmal anschauen sollte? Das Schloss zu knacken stellte ihn auch hier vor keine Herausforderung. Er stemmte den Deckel hoch und schob die Decken beiseite, die den Inhalt vor neugierigen Blicken verbargen. Das Waffenarsenal, das sich hier vor seinen Augen auftat, ließ ihn schon eher glauben, dass hier Jäger gelebt hatten. Als Zuhause wollte er den Ort nicht bezeichnen, obwohl? Wenn er an Bobbys Haus dachte, wie es noch vor einigen Monaten gewesen war. Die Möbel waren alt und passten wohl nur zusammen, weil er irgendwann einmal geheiratet und in dem Haus eine Frau gelebt hatte. Trotzdem! Das hier war kein Zuhause. Zumindest hatte dann nie eine Frau hier gelebt, denn selbst seiner Studentenbude hatte Jess schnell und mit wenigen Handgriffen etwas Gemütlichkeit eingehaucht. Die fehlte hier aber vollkommen. Also doch nur ein Unterschlupf für Männer. Er schloss die Truhe wieder. Mit Waffen war er mehr als gut versorgt und soweit er das hatte überblicken können, war hier auch nichts darunter, dass im Kofferraum des Impalas noch fehlte. Auch hier lagen in den Regalen einige Bücher herum, die sich jedoch ebenfalls als wertlos für ihn herausstellten. Soweit er das beim kurzen Überfliegen der Zeilen herauslas waren es Geschäftsbücher einer Art Antiquitätenhandels, der auch mit ungewöhnlichen Artefakten aufwarten konnte. Wahrscheinlich war das als Tarnung für diesen Ort gedacht, oder sein Großvater und dessen Familie betrieben diesen Handel wirklich? Verkauften sie die Sachen, die sie bei den Monstern fanden? So ganz wollte er sich das nicht vorstellen. Das passte einfach nicht zu dem Bild, dass er sich von dieser Familie gemacht hatte. Sam nahm sich eines der Bücher und ging zu dem Schreibtisch. Noch wollte er sich nicht geschlagen geben. Noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass hier mehr war als nur ein Unterschlupf. Vielleicht konnte er aus den Angaben darin ja doch etwas Interessantes herauslesen. Er warf seinen Rucksack auf die Tischplatte und legte das Buch daneben. Kritisch musterte er den Stuhl. Ob der ihn tragen würde? Plötzlich polterte es dumpf und eine Art Rollen war zu hören. Augenblicklich fuhr Sam herum. Seine Hand ging zum Hosenbund und seine Finger schlossen sich um seine Beretta. Die Waffe im Anschlag schaute er sich um. Er sah niemanden, aber das hieß ja nichts. Ihrer Gegner hatten sich inzwischen in allen Größen und auch unsichtbar präsentiert. Er suchte den Boden ab, um die Ursache dieses Geräusches zu finden und da sah er sie. Eine Schneekugel. Sie hatte auf dem Schreibtisch gelegen. Sein Rucksack musste sie heruntergestoßen haben. Er hob sie auf und hielt sie in das Licht seiner Taschenlampe. Sie zeigte einen Weihnachtsmann mit Schlitten. Leider war kaum noch Flüssigkeit in der Kugel, so dass die Glitzerflocken lediglich noch um die Füße des Weihnachtsmannes wirbelten, als er sie schüttelte. Mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen stellte er die Kugel wieder auf den Schreibtisch und stutzte. Da war doch noch dieses dumpfe Geräusch gewesen! Hätte die Kugel auf dem Betonboden nicht zerspringen müssen! Er ging auf die Knie und begann den Boden abzuklopfen. Und so fand er etwas. Ein Teil des Schreibtisches stand auf einer Holzplatte, wenn er das Geräusch richtig deutete. Außerdem klang es darunter irgendwie hohl! Schnell stemmte er sich wieder in die Höhe und zerrte das schwere Teil zur Seite. Ein echter antiker Holzschreibtisch! Sam schüttelte den Kopf. Das einzige Möbelstück in dem ganzen Haus, das wohl einen gewissen Wert hatte. Ob es nur hier stand, um diesen Eingang zu verdecken? Was wohl darunter war? Kaum hatte er das schwere Ding verschoben, ging er erneut auf die Knie und untersuchte den Untergrund wieder. Ja, darunter war eindeutig ein Hohlraum. Gleich darauf fand er auch den fast unsichtbar in den Boden eingelassenen Griff. Er zerrte daran, stemmte die Luke auf und ließ sie zur Seite fallen. Milliarden Staubkörnchen wurden aufgewirbelt und reizten Nase und Rachen. Hustend und niesend flüchtete er aus dem Raum. „Verdammt!“, schimpfte er, als er sich wieder etwas beruhigt hatte. Er holte seinen Rucksack, um etwas zu trinken und zu warten, bis sich der Staub halbwegs gesetzt hatte. Lange hielt ihn seine Neugier aber nicht von der Luke fern. Er schaltete die Taschenlampe ein, kletterte hinunter und schaute sich mit großen Augen staunend um. Das komplette Haus war unterkellert! Hier unten gab es einen Gang von dem mehrere Türen abgingen! Irgendwie fühlte er sich an den Keller in diesem Gehöft in der Nähe von Windom erinnert, nur das dieser Gang nicht irgendwo um eine Ecke bog und sämtliche Türen eher zu einem U-Boot oder Bunker zu gehören schienen. Er versuchte die erste Tür zu öffnen und war erstaunt, wie leicht sich diese riesigen Hebel bewegen ließen. Er zog die Tür auf und betrat den Raum. Im Schein seiner Taschenlampe schälten sich mehrere Käfige aus der Dunkelheit und wieder konnte Sam die Erinnerungen an die Wechselbälger nicht unterdrücken. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Nie wieder wollte er Dean so zugerichtet sehen. Nie wieder hatte er Dean suchen wollen! Nie wieder hatte er ihn so vermissen wollen. Wie kurz doch ein „nie wieder“ war. Wütend schnaubend stapfte er aus dem Raum und schlug die Tür zu. Mit aller Kraft rammte er die Hebel wieder in ihre Ausgangsposition und hoffte, diese Tür nie wieder öffnen zu müssen. Blieben noch vier Türen. Ob dahinter ebenfalls solche Verliese waren? Aber wozu? Wozu brauchten Jäger solche Zellen? Sie suchten die Monster, identifizierten sie und schalteten sie aus. Er hatte noch nie von Jägern gehört, die das Übernatürliche einsperrten, um … was zu tun? Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Was waren das für Jäger? Gehörte sein Großvater auch dazu? Wurden diese Zellen erst später eingebaut? Er hoffte es. Er wollte es hoffen, denn wenn sein Großvater damit zu tun hatte, dann wollte er auf keinen Fall zu dieser Familie gehören! Wusste Mom davon? Dieser Gedanke schnürte ihm die Luft ab. Das konnte, das wollte er nicht glauben. Nicht um ihretwillen und nicht für Dean. Das wollte er seinem Bruder nicht antun, so sehr wie der an ihrer Mom hing. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er daran denken musste, wie Dean ihn angefahren hatte, damals als er ihn von der Uni holte weil er nicht alleine nach Dad suchen wollte. Oh man! Das war gefühlte Ewigkeiten her. Damals schien die Welt noch fast in Ordnung zu sein. „Und wenn du hier nicht so lange Maulaffen feilhalten würdest, wäre sie das vielleicht auch schon wieder!“, schimpft Sam vor sich hin. Er ging zu der nächsten Tür und wappnete sich für den Anblick weiterer Zellen. Erleichtert atmete er aus. Dieser Raum war mit Liegen und Betten und ein paar Spinden ausgestattet. Ein Schlafraum! Demnach war das hier wohl eher das Roudhouse als ein Haus einer Familie. Die Untersuchung der Spinde ergab nichts und Sam ging zur nächsten Tür, hinter der sich ein weiterer Schlafraum befand. Auch hier fand er nichts in den Spinden. Der nächste Raum erinnerte ihn stark an Bobbys Panikraum, auch wenn der hier komplett leer war. Die Wände waren aus Eisen und überall gab es Dämonenfallen. Noch ein Fehlschlag! Blieben noch zwei Türen. Beide waren mit besonderen Schlössern gesichert. Das eine erinnerte ihn an einen Tresor. Das war noch altmodische Technik. Da half kein Computer. Den Code zu knacken würde eine halbe Ewigkeit dauern. Nur wie? Er hatte kein Stethoskop um es zu versuchen, so wie er es in alten Filmen gesehen hatte. Mal abgesehen davon dass er bezweifelte, das es so überhaupt ging. Also zuerst die andere Tür. Das Schloss hier erinnerte ihn an eines dieser alten Schiebespiele. Es waren fünf mal fünf Blöcke, die es in die richtige Position zu bringen galt. Eine Weile starrte er einfach nur auf die Blöcke. Gerade und verschlungene Linien. Wahrscheinlich konnte er noch lange auf das Ding starren, ohne dass sich etwas passendes in seinem Kopf bilden wollte. Nein, so würde sich die Tür nie öffnen, also begann er wahllos ein paar Blöcke zu verschieben und plötzlich ergab sich ein Bild. „Eine Dämonenfalle“, flüsterte er überrascht. Trotzdem er erkannt hatte, was er hier vor sich hatte, dauerte es eine Weile, bis er das Schiebespiel richtig zusammengeschoben hatte. Sofort griff er nach einem Hebel. Nichts bewegte sich. Warum nicht? Die Dämonenfalle war richtig! Wieder und wieder überprüfte er sie, doch er konnte keinen Fehler finden. Ob er vielleicht doch erst die andere Tür öffnen sollte? „Verdammt“, fluchte er und schlug mit der Hand auf das Schiebespiel. Etwas knackte leise. Sam stutzte. Ein paar Blöcke, die die er richtig erwischt hatte, waren etwas tiefer als die anderen. Sollte es das sein? Musste er die einzelnen Blöcke noch nach unten drücken? Einen Versuch war es wert. Schnell presste er auch noch die anderen Blöcke nach unten. Etwas schien entriegelt zu werden. Er griff wieder nach einem Hebel und dieses Mal bewegte er sich. Ohne große Erwartungen stemmte er die Tür auf und erstarrte. Kapitel 148: Zwei Brüder, zwei Wege ----------------------------------- @ Vanilein - hach es ich doch schön Autor zu sein. Da kann ich stoppen wo ich will und weiß doch immer wie es weiter geht. ;-)) Die Antwort auf die Frage nach den Käfigen wird ich Dir allerdings schuldig bleiben. Darauf darfst Du eine Antwort finden. LG Kalea 148) Zwei Brüder, zwei Wege Der Raum war nicht groß, vielleicht zwei mal drei Meter. An drei Wänden standen Regale, die bis unter die Decke mit Büchern vollgestellt waren. In der Mitte stand ein Tisch mit vier Stühlen. Es gab ein winziges, vollkommen verdrecktes Fenster oben an der, der Tür gegenüberliegenden, Wand, durch das kein Licht mehr fiel. Neben der Tür hing eine Pinnwand voll mit Blätter und Zeichnungen, so wie auch ihr Dad seine Fälle immer an die Wand gepinnt hatte. Hier fand er auch einen Lichtschalter, den er betätigte. Eine einfache Glühlampe erwachte zum Leben und entlockte Sam ein kleines Lächeln. Endlich hatte er mal einen Funken Glück. Sofort begann er die Bücher zu untersuchen. Das hier war ein Schatz an Wissen, der auf keinen Fall verkommen durfte! Sobald er sich einen Überblick verschafft hatte, wollte er mit Bobby reden. Dieser Fund war wichtiger als ihre eventuellen Streitereien! Aber zuerst wollte er wissen, was genau er hier gefunden hatte. Wahllos nahm er eines der Bücher aus dem Regal und begann es durchzublättern. Wie im Rausch griff er sich ein Buch nach dem anderen, blätterte es durch und legte es beiseite, um es später in Ruhe lesen zu können. Das, worauf er hier gestoßen war, war ein Schatz! Jede Menge neuen Wissens, jede Menge neuer Lösungswege. Hin und wieder füllte er seine Kaffeetasse oder nahm einen Bissen von dem Sandwich, aber auch hierfür legte er das jeweilige Buch nicht beiseite. Erst als seine Augen brannten und er sie kaum noch offenhalten konnte, klappte er das Buch, dass er gerade gelesen hatte, zu und legte es auf den Berg der Bücher, deren Inhalt er schon überflogen hatte und der in Zwischenzeit immer weiter gewachsen war. Müde rieb er sich die Augen. Eigentlich wollte er diesen Raum noch nicht wieder verlassen, es gab noch so viel zu entdecken. Aber er würde wohl gleich auf dem Stuhl einschlafen. Außerdem hatte er nichts mehr zu essen oder zu trinken hier. Seine Vorräte, wenn er sie denn überhaupt so nennen wollte, waren aufgebraucht. Aber eigentlich musste er hier ja nicht weg. Hier war alles, was er zum Leben brauchte. Bett, Küche, Badezimmer. Er musste dieses Haus nicht mehr verlassen. Er konnte sich gleich nebenan hinlegen. „Nein!“, sagte er laut. Er hatte ein Motelzimmer und genau da würde er diese Nacht verbringen und morgen, nachdem er noch einmal eingekauft hatte, wiederkommen. Dann konnte er hier einziehen, bis er eine Lösung gefunden haben würde. ~“~ Viele hundert Meilen weiter westlich senkte sich die Dämmerung über das Land. Dean lag, geschützt unter den tiefhängenden Ästen einer Kiefer, zusammengerollt und hatte den Tag verschlafen. Jetzt kam langsam wieder Leben in den schlafenden Wolf. Er hob den Kopf und gähnte ausgiebig, bevor er begann sich in aller Ruhe zu putzen. Erst danach trat er auf die kleine Lichtung, an deren Rand die Kiefer stand. Er streckte sich ausgiebig und gähnte noch einmal. Schnuppernd hob er die Nase, vielleicht trug ihm der Wind ja die Witterung einer Beute zu, bevor er seine Wanderung fortsetzte. Dieses Revier war schon besetzt und er wollte nicht unbedingt mit der fremden Wolfsfamilie zusammenstoßen. Auch war das nicht der Ort, an dem er bleiben wollte. Noch immer trieb es ihn weiter westwärts. Plötzlich erstarrte er und verschmolz, dank seiner Färbung, fast vollständig mit seiner Umgebung. Der Wind trug ihm einen interessanten Geruch zu, den eines Weibchens, eines läufigen Weibchens. Tief in seinem Inneren meldete sich ein uralter Instinkt. Ein Instinkt, der stärker war als der Hunger oder der Drang sich ein eigenes Revier zu suchen. Er verkroch sich wieder unter seiner Kiefer und wartete. Schon bald erschien diese Wölfin am entgegengesetzten Rand der Lichtung. Sein Schwanz schlug freudig erregt auf den Boden und wirbelte einige trockene Blätter auf, die der Wind irgendwann einmal hierher geweht hatte. Langsam kroch er aus seinem Versteck wieder hervor. „Ruff“, begrüßte er die fast schwarze Wölfin. Sofort erstarrte sie. Dean legte sich auf die Seite und musterte sie mit schief gelegtem Kopf. „Ruff“, machte er noch einmal und gab gleich darauf ein leises Fiepen von sich. Sein Schwanz klopfte rhythmisch auf den Boden. Die Wölfin umkreiste ihn langsam, bevor sie sich näher an den Rüden traute. Er erhob sich wieder, damit sie ihn beschnuppern konnte und tat das gleichzeitig auch bei ihr. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn spielerisch am Fell zupfte und sich vor ihm auf dem Boden rollte. Schnell stieg Dean auf dieses Spielangebot ein. Er senkte seine Brust auf den Boden, wedelte mit dem Schwanz und gab wieder dieses leise „Ruff“ von sich, um dann mit heraushängender Zunge hechelnd zu ihr aufzusehen. Sie sprang auf ihn zu, machte gleich wieder einen Rückzieher und brach zur Seite aus. Eine Weile tobten sie ausgelassen über die Lichtung, bis unter den Bäumen fünf Jungwölfe auftauchten. Ihnen war die Warterei wohl zu langweilig geworden. Dean erstarrte und auch die Wölfin hielt in ihrem Spiel inne. Ein drohendes Grollen entrang sich seiner Brust. Kaum hörte sie das Knurren, versuchte sie auch schon den großen Rüden von ihren Jungen abzulenken, indem sie ihn umso heftiger am Pelz zog. Sie blaffte auffordernd und lief ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Für ein paar Augenblicke schaffte sie es sogar, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schnell wandte er sich jedoch wieder den Jungwölfen zu. Doch kaum machte er ein paar Schritte in die Richtung ihrer Welpen, vertrat sie ihm mit drohendem Knurren den Weg. Dean war viel zu neugierig. Er wollte die Jungen kennenlernen und versuchte die Wölfin mit beruhigendem Grollen von seinen friedlichen Absichten zu überzeugen. Mit schief gelegtem Kopf näherte er sich ihr und hechelte, bevor er langsam und ein wenig linkisch tapsend er auf die Fünf zulief. Er blaffte leise, als die Kleinen ihre Zähnchen fletschten, näherte sich ihnen noch weiter und beschnüffelte sie ausgiebig, bevor er ihnen den Rücken zuwandte und wieder zu der Wölfin laufen wollte. Der älteste und neugierigste der Jungen nahm das als Aufforderung und sprang ihn von hinten an. Und als wäre das ein Startsignal, stürzten sich auch die anderen Jungen auf den Wolf. Sie zogen ihn am Fell und haschten nach seiner schlagenden Rute, kletterten auf ihm herum und purzelten über seine Füße, immer mal wieder bemüht seine Schnauze zu fassen zu bekommen. Dean hatte sich bei dem ersten Angriff auf den Bauch fallen lassen und nahm dieses Spiel mit stoischer Ruhe hin. Die Wölfin beobachtete das Treiben genau. Sie war aus ihrem angestammten Revier geflüchtet, nachdem ihr Partner von dem lauten Knall der Menschen getroffen worden war. Er war nicht wieder aufgestanden und sie hatte die Jungen zu versorgen. Doch egal wohin sie in den letzten Tagen gekommen waren, überall hatte die Witterung von Menschen sie wieder vertrieben. Doch sie musste auch jagen! Der Rüde schien interessiert zu sein und so wie es aussah, akzeptierte er ihre Jungen. Der Geruch eines Rehs, den der Wind zu ihnen trug, beendete das Spiel abrupt. Dean erhob sich und blickte zu der Wölfin, die ihn und die Jungen noch immer aufmerksam musterte. Auch sie hatte den Geruch wahrgenommen. Die Wölfin brachte ihre Jungen mit einem kurzen Grollen dazu in Deckung zu gehen und schon lief sie zu dem Rüden. Lautlos setzten sie sich in Bewegung, so als würden sie schon immer zusammen jagen. Gemeinsam brachten sie den Bock zur Strecke und schleppten ihn zu der Lichtung, damit auch die Jungwölfe ihren Anteil fressen konnten. Als sie von ihrer Beute abließen, war für die wartenden Krähen nicht mehr viel zu holen. Dean leckte sich Schnauze und Pfoten und machte sich dann auf den Weg weiter westwärts. Stunden später lief etliche Meilen weiter westlich eine ganz normale Wolfsfamilie durch den unberührten Schnee einer mondbeschienenen Lichtung, auf der Suche nach einem Schlafplatz. Ein großer, heller Wolf führte. Die Wölfin, die hinter ihm lief war im Gegensatz zu ihm fast schwarz, genau wie die fünf Jungen, die in ihre Pfotenabdrücke traten. ~“~ Unbarmherzig klingelte Sams Wecker pünktlich um sieben. Er drehte sich auf den Bauch und zog sich die Decke über den Kopf. Der durchdringende Klingelton erreichte ihn trotzdem. Murrend stülpte er sich das Kissen über den Kopf, doch jetzt bekam er keine Luft mehr. Wie machte Dean das eigentlich immer? Der konnte doch unter der Decke prima schlafen. Dean! Schon alleine der Gedanke an seinen Bruder reichte, um sein schlechtes Gewissen zu aktivieren. Er rollte sich aus dem Bett, stemmte sich in die Höhe und schlurfte mit halbgeschlossenen Augen zum Bad, wo er sich erst mal ein paar Hände voll kaltem Wasser ins Gesicht schaufelte. Erst danach fühlte er sich halbwegs in der Lage, diesem Tag zu begegnen. Er duschte und während er sich abtrocknete und seine Haare mit Fön und Bürste so lange bearbeitete, bis er nicht mehr wie ein aufgeplatzter Mopp aussah, überlegte er sich wie es jetzt weitergehen sollte, wie er weitermachen wollte. Brachten ihn die Bücher weiter? Klar sie waren ein enormer Schatz an Wissen, der unbedingt bewahrt werden musste. Aber brachten sie ihn bei seinem jetzigen Problem weiter? Konnte er es riskieren zwei oder drei Wochen in dieser Bibliothek zu verbringen, ohne hinterher etwas Vorzeigbares zu haben? Was hatte er für Alternativen? Durch die Gegend fahren und hoffen, dass er Zigeuner fand? Es gab genügend Orte an denen die wohnten, aber hatten sie noch Zugang zu diesem alten Wissen, dass er brauchte? Würden sie ihm helfen, wenn er mit Verdächtigungen ankam? Und wie sollte er sie zwingen, wenn sie nicht helfen wollten? Nein, diese Bibliothek war wohl die derzeit beste Option. Durch diesen Entschluss gestärkt, begann er das Zimmer aufzuräumen, seine Sachen zu packen und alles in den Impala zu schaffen. Er checkte aus und fuhr zum nächsten Supermarkt, wo er seinen Wagen mit allem Lebenswichtigen für die nächsten Tage vollpackte. Würde es ihn weiterbringen, wenn er sich auch noch auf die Suche nach einem Stethoskop machte? Neugierig war er ja schon, was hinter der Tür war. „Ach was“, entschied er leise. Irgendwann würde er die zeit finden, diese Tür knacken zu wollen, also ja. Er würde auch noch ein Stethoskop besorgen. Bei dem verlassenen Unterschlupf angekommen, brachte er die Lebensmittel in die Küche. Er richtete sich in einem der Schlafräume ein und stellte den Impala im Hof ab. Er verschloss das Tor wieder und verschwand dann in der Bibliothek um erst wieder hervorzukommen, wenn er etwas gefunden hatte. Jeden Gedanken daran, dass es nicht so sein könnte, verbannte er rigoros aus seinem Kopf. Wie schon am Tag zuvor kämpfte sich Sam durch die Flut der Bücher. Und obwohl er sich vorgenommen hatte, keine Stichpunkte zu den einzelnen Büchern zu machen, schrieb er doch bei jedem auf, was darin enthalten war. Er konnte wohl nicht anders. Hin und wieder stieg er aus dem Keller ins Erdgeschoss, um sich frischen Kaffee zu kochen und etwas zu essen. Dass der Tag überhaupt verging, bemerkte er erst, als er bei den wenigen Malen, die er in die Küche ging Licht einschalten musste. Aber wie sollte er das in seinem Keller auch merken? Da unten brannte ständig das Licht und er saß die meiste Zeit mit dem Rücken zum Fenster. Er befüllte die Kaffeemaschine neu und holte sich einen Salat aus dem Kühlschrank. Gähnend streckte er sich. Sein Nacken schmerzte und sein Bein kribbelte unangenehm. Da hatte er sich beim Sitzen wohl einen Nerv eingeklemmt. Er zog sich seine Jacke über und verließ das Haus. Die eisige Luft nahm ihm kurzzeitig den Atem. Die Temperaturen mussten seit heute Morgen um einiges gefallen sein. Er fühlte sich an den Glacier Park, William, seine Frau Yuri und all die Anderen da erinnert. Am Meisten jedoch an den Schamanen, der Dean bei ihrer ersten Begegnung mit einem ruhelosen Wolf verglichen hatte. Rigoros drängte er diese Gedanken beiseite, doch es half nichts. Seine Augen füllten sich mit Tränen und sein Hals schmerzte. Hatte der Schamane damals schon etwas gewusst? Hatte er geahnt oder gesehen dass Dean zu einem Wolf werden würde? War es einfach nur das, was sein Bruder schon immer war, ein Wolf? Hatte die Zigeunerin ihn vielleicht gar nicht speziell in einen Wolf verwandelt, sondern nur in ein Tier, das seinem Charakter entsprach? „Was soll ich nur tun?“, fragte Sam hilflos in den beißenden Wind, vielleicht aber auch den Impala, neben dem er inzwischen stand. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte zu den dahintreibenden grauen Wolken hinauf. Wenn es einen Gott gab, müsste der ihm jetzt nicht helfen? Er schüttelte den Kopf. Wenn es einen Gott gab, hätte der dann nicht schon den Mord an seiner Mom verhindern müssen? Hätte der die Existenz all der Monster, gegen die sie in ihrem Leben schon gekämpft hatten, nicht verhindern müssen? Oder war der Plan ein ganz anderer? Sollte er alle seine Lieben verlieren um … Ja was? Wollten sie ihn prüfen? Sollte er zu etwas bewegt werden? Wozu? Was konnten höhere Mächte von ihm wollen? Er war ein einfacher Mensch! Okay, einer mit Wissen um das Böse der Welt und Dämonenblut in seinen Adern, aber das konnte es doch nicht sein, oder? Verdammt! Wütend trat er gegen einen Stein, der das Pech hatte vor seinem Fuß zu liegen. „Au!“, schimpfte er. Das verdammte Ding war wohl größer, als es den Anschein hatte. Sam drehte sich wieder zum Haus um. Er fror immer stärker und das Kribbeln seines Beines war auch verschwunden. In der Küche ließ er sich auf einen Stuhl fallen und begann lustlos seinen Salat zu essen. Danach ging er wieder in den Keller, um weiter zu recherchieren. Kapitel 149: "Der Colt tötete den Phönix" ----------------------------------------- @ Vanilein: Ich bin ja so böööööse ;-)) *einen Hexentanz ums Feuer ausführ* Und ich liebe es ... Und ich liebe es, Dich im Dunkeln tappen zu lassen, wenn es darum geht, wie es weiter gehen wird. Hach ist das schön ... so schön. Aber ich mach mal lieber weiter, bevor Du mir die Freundschaft kündtigst ... ;-)) LG Kalea 149) „Der Colt tötete den Phönix“ Fast unbemerkt vergingen die Tage. Ein Buch nach dem anderen versah er mit einem Inhaltsverzeichnis und räumt es zurück ins Regal, um sich sofort das nächste zu nehmen. Inzwischen kannte Sam sich in den Räumen, die er ständig benutzte, blind aus. Er lebte wie auf Autopilot. Nur wenn seine verspannten Muskeln zu sehr protestierten oder die Kopfschmerzen unerträglich wurden, machte er eine kurze Pause auf dem Hof. Seine Gedanken konnte er so allerdings nicht beruhigen. Sein Kopf schwirrte vor lauter Wissen, seine Augen brannten fast unaufhörlich. Wann hatte er in der letzten Zeit so viel gelernt? Selbst an der Uni hatte er nicht so viele Bücher auf einmal gelesen. Aber auf der Uni ging es auch nicht um Leben und Tod! Immer wenn er die Bibliothek verließ, wanderten seine Gedanken zu Dean. Wie ging es ihm? Lebte er noch? War er vielleicht sogar glücklich in seinem neuen Leben? Bei diesem Gedanken zog sich seine Brust zusammen und er bekam kaum Luft. Nein, er wollte nicht, dass Dean sich in seinem jetzigen Leben wohl fühlte. Er wollte nicht, dass er so glücklich wurde! Dean war ein Mensch! Er sollte in einem menschlichen Leben sein Glück finden! Er sollte als Mensch eine Familie gründen und er sollte als Mensch für ihn erreichbar sein, ihn mit seinen Sprüchen nerven und er sollte endlich den Impala wieder auf Vordermann bringen! Vielleicht hätte Bobby sie ja schon wieder repariert, aber er musste sich ja mit dem Freund streiten. Tränen traten ihm in die Augen. Er hatte nicht mehr die Kraft sich gegen die Verzweiflung zu wehren. Wie oft war er in den letzten Tagen der Verzweiflung nahe gewesen und wie oft hatte er sich der Tränen erwehren können. Heute schaffte er es nicht. Schniefend stand er auf und schlurfte zu seinem Bett. Haltlos weinend ließ er sich auf die Matratze fallen. Er wusste nicht mehr weiter. Nur hin und wieder wischte er sich die Nase am Handrücken ab, bis die Tränen irgendwann doch versiegten. Besser fühlte er sich trotzdem nicht. Er stieg ins Erdgeschoss hinauf und kramte sein Handy heraus. Egal ob Bobby ihn zusammenscheißen oder auflegen würde, er musste jetzt eine menschliche Stimme hören, sonst würde er durchdrehen. Schniefend lauschte er der Tonfolge, die aus dem Hörer klang. „Jah!“, meldete sich der Ältere und klang genauso müde, wie Sam sich fühlte. „Hey Bobby“, grüßte Sam heiser. „Ich … Es tut mir leid, wie ich dich angefahren habe, in St. Josef.“ „Schon okay. Wir waren … wir sind beide mit den Nerven zu Fuß“, wiegelte der ab. „Wenn du allerdings hoffst, dass ich was habe, um Deans Fluch zu brechen, muss ich dich enttäuschen.“ „Wäre ja auch zu schön gewesen, aber wann war schon mal etwas einfach, wenn es um Dean ging?“, versuchte er seine Enttäuschung zu verbergen. „Ich habe auch noch nichts dazu, aber ich habe hier einen Schatz gefunden, den solltest du dir unbedingt ansehen.“ „Einen Schatz?“, fragte der Ältere ungläubig. „Hmhm. Kannst du herkommen und mir am Besten einen Wagen mitbringen? Der Impala sieht furchtbar aus und ich habe Angst, wenn die Polizei mich einmal erwischt, dann nehmen sie ihn mir auseinander. Außerdem hat sie es nicht verdient, so auszusehen.“ „Sie?“, lachte der alte Jäger. „Dean sagt immer sie“, versuchte Sam zu erklären. „Ich ...“ „Schon gut Sam. Ich versteh dich. Wo bist du?“ „Ich geb dir am Besten die Koordinaten. Es ist ein verlassenes Haus. Komm einfach rein, wenn ich dich nicht hören sollte.“ „Du willst mir also nicht verraten, worum es sich handelt?“ „Nein, das solltest du mit eigenen Augen sehen!“ „Okay. Ich sag Jody Bescheid und komme dann.“ „Jody und du, ihr seid wieder zusammen?“ „Wir gehen uns nicht mehr aus dem Weg“, relativierte der Ältere Sams Hoffnung. „Ich freue mich so für dich. Bis dahin.“ „Ich weiß noch nicht, wann ich hier wegkomme“, erklärte Bobby kurz. „Nicht so schlimm. Ich bin wohl noch eine Weile da.“ Sam lächelte als er auflegte. Das war seit Wochen die erste gute Nachricht. Er kochte sich frischen Kaffee, ging wieder nach unten und nahm sich das nächste Buch. Auf dem ledernen Einband war die Zahl 1860 eingeprägt. Schon auf der ersten Seite löste sich dieses kleine Rätsel. Es war ein Tagebuch. Genauer gesagt das Tagebuch von Samuel Colt ab 1860. Dem Samuel Colt, dem Erfinder der Waffe, die alles Übernatürliche töten konnte. Voller Neugier stürzte er sich auf das Buch, auch wenn er sich keine wirklich neuen Erkenntnisse erhoffte. Colt beschrieb die Arbeit an einem der Bahnhöfe seiner Privatbahn, deren Schienen er ja schon kennengelernt hatte, damals als Jake ihn erstochen und Dean den Pakt geschlossen hatte, um ihn zurückzubekommen. Noch ein furchtbares Kapitel in ihrem Leben, das besser nie geschrieben worden wäre. So vieles wäre nie passiert wenn er damals das Messer nicht fallengelassen hätte. Dieses eine verfluchte Messer in dieser einen verfluchten Sekunde. Sam schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Mit etwas Mühe konzentrierte er sich wieder auf das Buch. Es gab Zeichnungen von Schlössern, die wohl für keine wirkliche Tür geschaffen worden waren und von verschiedenen Sicherheitsmaßnamen, die Colt zusätzlich ergriffen und die, Sams Wissen nach, nichts gebracht hatten. Hin und wieder jagte Colt. Eher weil ihn die Dämonen aufstöberten, als dass er nach ihnen suchte. Alles in Allem eine eher langweilige Lektüre und wenn es nicht Colt gewesen wäre, hätte er das Buch wohl schon lange wieder bei Seite gelegt. Und dann stand da ein Satz, der Sam aufhorchen ließ. Der Colt tötete den Phönix. Der Colt? Klar, den gab es damals schon. Viel bemerkenswerter war das Was: Einen Phönix? Konnte ein Phönix überhaupt getötet werden? Er hatte immer gedacht, dass es den gar nicht gab. Was war ein Phönix überhaupt? Wirklich ein Vogel? Ein Feuervogel wohl nicht. Den hätten doch wohl schon andere Menschen erwähnt, oder andere Jäger. Aber er kannte niemanden, der je von einem Phönix gesprochen hatte und er war auch im Internet nie über die Meldung, dass jemand einen Feuervogel gesehen hatte, gestolpert. Unwirsch schüttelte er den Kopf. Die Existenz eines Phönix‘ war zwar bemerkenswert und irgendwann vielleicht auch mal eine tiefergehende Recherche wert, aber jetzt vollkommen irrelevant. Er sollte sich besser den wirklich wichtigen Dingen zuwenden. Natürlich las er das Buch trotzdem bis zum Ende und er fand auch noch die eine oder andere interessante Neuigkeit, die er wieder auf einer Liste notierte, genau wie das Datum und den Ort an dem der Colt den Phönix tötete. Mitternacht war vorbei, als er das Buch zur Seite legte und beschloss erst einmal zu schlafen. Es brachte nichts, weiter zu machen. Den nächsten Morgen begann er mit einer ausgiebigen Dusche. Soviel Selbsterhalt war er sich schuldig. Außerdem hoffte er, dass Bobby ja vielleicht doch noch heute kam und er wollte ihm nicht wie ein abgerissener Penner gegenübertreten. Nach einem fast genauso ausgiebigen Frühstück räumte er die Küche auf und machte sich erst dann daran, ein weiteres Buch auf die John-Winchester-Weise zu lesen und natürlich machte er auch hier wieder Notizen. Auch dieses Buch bot jede Menge neuen Wissens, auch wenn es im Moment für ihn eher uninteressant war. Doch dann stieß er auf ein Kapitel über den Phönix. War das jetzt Zufall? Bis jetzt hatte er noch nie von einem gehört und dann innerhalb von nicht mal 24 Stunden gleich zwei Mal? Er wusste noch immer nicht, was er davon halten sollte. Trotzdem interessierte ihn das Thema. Und wenn es sich so anbot, würde er es auch in Ruhe lesen. Je weiter er mit dem Kapitel kam, umso mehr musste er sich zusammenreißen, um nicht mit, vor Staunen, offenem Mund auf die Zeilen zu starren. Dieser Phönix, oder besser seine Asche, war für fast alles gut. Es konnte eine Mutter Aller vernichten, was auch immer die war. Die Asche konnte Vampire heilen, auch wenn sie schon lange Zeit Vampire waren und Blut getrunken hatten, und sie konnte einen Werwolf zurückverwandeln. Mit dieser Asche wäre Maddison der Tod erspart geblieben und ihm, sie zu töten. Noch heute fühlte er sich furchtbar, wenn er daran dachte! Die Asche konnte Hexensprüche und Verwünschungen rückgängig machen. Sie konnte Höllenhunde vernichten und – was für ihn am Wichtigsten war – sie konnte Flüche aufheben. Und das alles nur, indem man sie schluckte. Sam ließ das Buch sinken und versuchte sich darüber klar zu werden, was er gerade gelesen hatte. Nur langsam sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass er die Lösung in den Händen hielt, um seinen Bruder wiederbekommen zu können! Was er allerdings nicht so ganz verstand war, warum Bobby nichts davon wusste? Dass die Asche eines Phönix‘ so gut wie alles heilen oder rückgängig machen konnte, war doch etwas, das alle Jäger wissen mussten! Warum hatten sie dann noch nie etwas davon gehört? Er blätterte wieder zum Anfang des Kapitels, kramte seinen Block und den Stift unter den Büchern hervor, die darauf verteilt lagen und begann noch einmal zu lesen. Gleichzeitig schrieb er jede neue Info auf. Nach zwei Stunden ließ er Buch und Stift sinken und starrte blicklos gegen die Wand. Seine Gedanken liefen, entgegen seiner äußerlichen Ruhe, allerdings Amok. Wo fand er einen Phönix und wie konnte er ihn erkennen? Colt hatte einen in Sunrise, Wyoming erschossen. Die Möglichkeit in der Zeit zu reisen und diese Asche einfach aufzusammeln, fiel wohl aus. Wo fand er also einen Phönix. Wie erkannte er ihn und wie brachte er ihn dazu in Flammen aufzugehen, damit er etwas von dessen Asche nehmen konnte? Hatte der Colt den Phönix wirklich getötet oder war er wieder auferstanden, oder wie das bei dem hieß? Konnte ein Phönix wirklich sterben? Hatte es nur diesen einen gegeben oder gab es mehrere? Konnte sich ein Phönix vermehren? Außerdem musste er einen Weg finden, um seinen Bruder aufzuspüren. Sollte er ihn sofort suchen und dann den Phönix oder erst den Feuervogel? Unruhe ergriff ihn. Er musste sich unbedingt bewegen! Also begann er, die Bücher, bis auf Colts Tagebuch und das über den Phönix, wieder in den Regalen zu verstauen. Nachdenken konnte er auch so. Um Dean, selbst als Wolf, wieder bei sich zu haben würde er vielleicht nicht direkt seine Seele verkaufen, aber er würde viel dafür geben. Doch er musste auch Bobby zustimmen. Dean, der Wolf, war in Freiheit mit Sicherheit glücklicher als an einer Leine. Außerdem wusste er nicht, wie lange die Suche nach dem Fabeltier dauern würde. Nein. Zuerst musste er die Asche haben, dann konnte er Dean aufspüren. Aber wie fand er einen Phönix? Wonach musste er suchen? Ob die sich wirklich aus ihrer Asche neu erschaffen konnten? Bestanden sie aus Feuer? War das alles nur Mythos? Immer mehr Fragen spukten durch sein Gehirn. Es dauerte nicht lange bis Sam alle Bücher aufgeräumt hatte. Er schaute sich noch einmal in dem Raum um. Sollte er hier weiter suchen? Gab es hier eine Möglichkeit, dass ein Weg einen Phönix zu finden in einem Buch stand? Wenn er sich die Menge der Bücher hier anschaute und sich vor Augen führte wie wenige er davon erst gelesen hatte, es konnte Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, bis er die richtige Stelle fand, oder auch nicht. Nein, erst mal wollte er versuchen so einen Phönix zu finden. Nur wo bekam er Informationen über einen her? Was sagte die Mythologie über einen Phönix? Sie verbrannten wenn ihr Leben zu Ende ging und schufen sich aus der Asche neu. Selbstverbrennungen? Was war ein Phönix? Sam schloss die Tür zu diesem Reich des Wissens wieder sorgfältig ab und ging nach oben. Er kochte frischen Kaffee und setzte sich mit seinem Laptop an den wackeligen Küchentisch. Schnell hatte er eine W-Lan-Verbindung aufgebaut und surfte er durch die Weiten des Netzes, um mehr über diesen mystischen Feuervogel herauszufinden. Kapitel 150: Besuch ------------------- @ Vanilein : Na wenn Du bald sagt, scheinst Du ja eine Idee zu haben. Vielleicht solltest Du Sam helfen? Lass Dich nicht aufhalten, er ist bestimmt für jeden Tipp dankbar. LG Kalea ( Ich schwinge mich mal wieder auf meinen Besen ... ;-)) 150) Besuch Die Schatten wurden länger. Schon bald würde sich die Dunkelheit komplett über das Tal gelegt haben. Die Wölfe schliefen zusammengerollt unter einem riesigen dornigen Busch. Dicht aneinander gedrängt hatten sie die Nacht verbracht. In das Knäuel kam Leben. Dean hob den Kopf. Er gähnte. Witternd hob er die Nase, bevor er aufstand und sich ausgiebig streckte. Er setzte sich etwas abseits und begann sich in aller Ruhe zu putzen. Der Wind trug ihm einen verführerischen Geruch zu. Dean streckte sich noch einmal, gähnte erneut und machte sich dann auf den Weg, diesem Geruch nachzuspüren. Nicht weit von ihrem Schlafplatz entfernt fand er eine Gruppe Truthühner. Er schlich sich so weit wie möglich an sie heran, ohne dass sie ihn bemerkten, bevor er sich auf sie stürzte. Schnell hatte er einen getötet und einen weiteren gepackt. Er wollte ihn ebenfalls töten, doch etwas hielt ihn davon ab. Er packte den Truthahn am Rücken und schleppte ihn zu ihrem Lager. Inzwischen waren die anderen ebenfalls wach und die Jungen tobten unter den wachsamen Blicken ihrer Mutter im Schnee herum, bis sie ihn kommen sahen. Sofort umringten sie ihn und versuchten den Vogel in seinem Fang zu packen. Ein tiefes Grollen drang aus seiner Brust und verschaffte ihm etwas Bewegungsfreiheit. Er schleppte den Truthahn noch ein paar Meter weiter und ließ ihn dann auf den Boden fallen. Der Truthahn hockte starr im Schnee. Nichts passierte. Diese Chance musste er nutzen. Er plusterte sich kurz auf. Perplex starrten die Jungen den Vogel an. Wieso lebte das Futter noch? Der Vogel ergriff die Flucht. Erst jetzt erwachte der Jagdtrieb der Jungen. Sie versuchten sich auf ihn zu stürzen, behinderten sich dabei aber mehr, als das sie die Beute verfolgten. Immer wieder liefen sie sich vor die Füße oder stießen sich zur Seite. So würden sie nie Beute machen. Das planlose Verhalten der Jungtiere half dem Vogel allerdings auch nicht weiter, denn kaum entfernte er sich zu weit von den Jungen, war die Wölfin bei ihm und tötete ihn mit einem Biss. Dean erhob sich. Kurz schnupperte er an den toten Truthahn. Er schüttelte sich und lief los, um jetzt auch die andere Beute zu holen. Die Jungen versuchten inzwischen ihr Futter zu fressen. Sie bissen immer wieder in Brust und Schenkel. Doch statt des erwarteten Fleisches hatten sie nur Federn in ihren Mäulern. Sie schüttelten die Köpfe, niesten und spukten Federn. Die Wölfin beobachtete das Schauspiel mit einem Ausdruck, der menschlicher Schadenfreude nicht ganz unähnlich war, ohne einzugreifen. Ihre Welpen mussten lernen wie man Beute machte und auch, wie man an das Fleisch kam. Erst als Dean mit dem anderen Vogel kam, verließ sie ihren Platz, um sich ihren Teil des Futters zu holen, bevor sie mit ihm zusammen erneut zur Jagd aufbrechen würde. ~“~ Irgendwann klappte Sam den Laptop zu und nahm sich einen Block. Grübelnd starrte er auf das Fenster, hinter dem es inzwischen vollkommen finster war. Ein Phönix. Immer wieder war er auf den mystischen Feuervogel gestoßen. Aber auch darauf, dass das Wort ‚der Wiedergeborene‘ oder ‚der wiedergeborene Sohn‘ bedeutete. Viele ihrer Monster waren nicht das, was die Welt von ihnen annahm. Vampire konnten sehr gut am Tag draußen herumlaufen und Knoblauch vertrieb sie auch nicht und ein Werwolf verwandelte sich nicht wirklich in einen Wolf. Also wenn er sich von der Vorstellung des Vogels verabschiedete, was blieb dann? Ein Wesen, dass aus seiner Asche wiedergeboren wurde? Etwas, dass unsterblich war? Ein Mensch, der über Generationen lebte? Nein. Mit dieser Eingrenzung würde er, wenn überhaupt, wohl nicht nur auf einen Phönix stoßen, immerhin hatten sie schon mit Hexen und Seelenvampiren zu tun gehabt, die über Generationen lebten und sich immer wieder neu erfanden. Die Chancen die aufzuspüren waren geringer, als das Ostern und Weihnachten auf einen Tag fielen. Er riss das Blatt von seinem Block, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb, aus dem es wieder heraussprang. Auf ein Neues! Was sagte die Mythologie noch über einen Phönix? Sie verbrannten wenn ihr Leben zu Ende ging und schufen sich aus der Asche neu. Selbstverbrennungen? Selbstentzündungen! Das war es! Selbstentzündungen! Er musste Menschen finden, die durch spontane Selbstentzündung gestorben waren. Wie das klang! Aber etwas Wahres war dran. Spontane Selbstentzündung! Die sollte nicht so schwer zu finden sein! Sofort griff er nach seinem Laptop, klappte ihn auf und fast sofort wieder zu. Natürlich wollte er Dean finden und natürlich lieber sofort, als in einer Stunde erlösen, aber er brauchte auch dringend etwas Bewegung. Schon jetzt merkte er, wie ihm dieses Stillsitzen nervlich angriff. Mit einem tiefen Atemzug schob er seinen Rechner etwas weiter auf den Tisch, griff nach seiner Jacke und ging nach draußen. Schneeflocken trudelten zu Boden, als er vor die Tür trat. In der Dämmerung sahen sie wie dunkle Punkte vor dem etwas helleren Himmel aus. Sam ging die Stufen hinab und stellte sich, den Kopf in den Nacken gelegt hin und für einen kurzen Moment gelang es ihm sämtliche Gedanken auszuschalten und dieses Schauspiel zu genießen. Das Geräusch eines näherkommenden Wagens beendete seine Gedankenlosigkeit. Er schaute sich um und verschwand dann hinter eine Hausecke. Er musste ja hier nicht gleich auf dem Präsentierteller hocken. Der Wagen rollte langsam vor das Haus und Sam fluchte. Er hatte das Licht in der Küche angelassen. Sein Laptop lag auf dem Tisch und er hatte keine Waffe dabei. Verdammt! Angespannt beobachtete er den Wagen aus seiner Deckung heraus. Wer war der Fremde? Ein Jäger? Ein Mitglied seiner Familie? Er sah zu, wie der Wagen anhielt und ein Mann mit Baseballkappe ausstieg. Bobby! Erleichtert atmete er durch und trat hinter seiner Ecke hervor. Nervös ging er auf den alten Freund zu. War Bobby noch sauer? Wenn ja, konnte er es ihm nicht verdenken. „Hey“, grüßte er heiser. „Sam!“, auch der alte Jäger war nervös. Sie hatten sich seit Deans Flucht nicht mehr gesehen und auch nicht mehr gesprochen. Früher wäre das kein Grund zur Sorge gewesen doch inzwischen hatten sie eigentlich wesentlich mehr Kontakt. „Können wir irgendwo was essen gehen? Ich bin hier schon seit Tagen nicht mehr rausgekommen“, bat er. In einer Umgebung mit Menschen um sie herum, konnte es wohl nicht so schlimm werden. „Hab außer dem Frühstück heute auch noch nichts gegessen“, nickte der Ältere. „Ich mach nur schnell das Licht aus und schließe ab, dann können wir“, brach der Winchester in Hektik aus und verschwand im Haus. Eine Stunde später saßen sie in einem kleinen Diner und warteten schweigend auf ihr Essen. „Ich … Es tut mir leid“, begann Sam leise und starrte auf seine Tasse. „Wir waren beide nicht zurechnungsfähig“, wiegelte der alte Jäger ab. Auch er hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert. Sam nickte erleichtert, brütete aber weiter vor sich hin. Erst als sie ihr Essen vor sich stehen hatten, kam sich der Winchester zu dumm vor, noch länger so dazuhocken. Er hatte angerufen, also sollte er die Katze auch aus dem Sack lassen. Er holte tief Luft und trank noch einen Schluck. „Hast du schon mal was von einem Phönix gehört?“, begann er ganz unverfänglich. „Ein mythischer Feuervogel, der sich aus seiner Asche neu erschaffen kann. Warum fragst du?“ „Ich habe eine Lösung gefunden, um Deans Fluch, oder was auch immer ihn zu einem Wolf gemacht hat, zu brechen“, strahlte Sam kurz, nur um gleich darauf wieder ernst zu werden. Er hatte etwas gefunden, das so einfach zu finden war wie ein guter Dämon. „Du hast was? Wie? Hat das mit diesem Phönix zu tun?“ „Genau das ist das Problem. Wir müssen einen Phönix finden.“ „Bist du dir sicher, dass es die gibt? Ich dachte immer, dass die ein Mythos sind. Ich habe noch nie von einem Jäger gehört, der einen Phönix erlegt oder wenigstens gesehen hat. Woher hast du die Informationen?“ „Das glaubst du mir nicht, wenn ich es dir sage. Das musst du selbst sehen“, sprudelte Sam hervor. „Aber ich habe da einen Schatz gefunden, den ich unmöglich weiter da brachliegen lassen will.“ Bobby kratze sich am Kopf. Warum machte es der Junge so spannend? „Und woher hast du das Wissen über diesen Schatz?“ „Du erinnerst dich an Windom, Minesota? Und unseren Halbbruder Adam Milligan? Dad hatte ein Tagebuch bei ihm deponiert. Adam hat es Dean gegeben. Und … Wie auch immer, Dean hat zwei zusammengeklebte Seiten darin entdeckt. Auf denen standen neben einem Stammbaum der Familie Campbell auch Koordinaten, die zu diesem Haus hier führten. Nachdem ich mit diesen Zigeunern nicht weitergekommen bin, habe ich mir das Tagebuch vorgenommen. Ich dachte, vielleicht finde ich da drin einen Weg Dean zu erlösen. Den Weg hab ich nicht gefunden, aber mir sind die Koordinaten wieder aufgefallen und ich bin hergefahren. Du glaubst nicht, was hier für ein Schatz liegt.“ „Du willst es mir ja nicht erzählen!“, grummelte der Ältere. „Ich zeige es dir gleich. Jedenfalls habe ich noch immer keinen Weg gefunden, diese beiden Zigeuner ausfindig zu machen, dafür aber einen Weg deren Fluch zu brechen. Und dazu brauche ich einen Phönix.“ „Ich bin immer davon ausgegangen, dass der nicht existiert. Und ich denke, das geht allen Jägern so. Wie also willst du ihn finden?“, wollte der alte Jäger wissen. „Ich hab da so eine Theorie. Allerdings muss ich die noch testen“, machte Sam eine vage Aussage, da die Bedienung gerade wieder zu ihnen an den Tisch kam und nach ihren weiteren Wünschen fragte. „Wir wollen dann zahlen“, beantwortete Sam diese Frage, trank seinen Kaffee aus und stand auf. „Ob es Dean gut geht?“, konnte sich der Winchester die eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte, nicht mehr verkneifen, kaum dass sie wieder im Wagen saßen. „Er ist ein Jäger, Sam und er ist stark. So schnell haut den nichts auf die Bretter“, erklärte Bobby und hoffe, dass es wirklich so sicher klang, wie es sollte und er hoffte, dass es wirklich so war. „Er lebt also noch?“ „Warum sollte er das nicht?“ „Weil er einfach edel aussah und dann auch noch grüne Augen hat? Welcher Jäger kann sowas schon widerstehen?“ Sam klang kläglich. „Hör auf, Sam! Dean lebt! Alles andere ist einfach nicht akzeptabel!“, polterte der alte Jäger los. „Aber ...“ „Nichts aber, Sam! Er lebt! Ende der Diskussion!“ Es durfte nicht anders sein! Dean durfte nicht als Wolf sterben und es war vollkommen undenkbar, dass sein Pelz irgendwo bei einem Jäger an der Wand hing. Nein! Dean lebte und war glücklich und gesund, bis sie ihn in die menschliche Welt zurückholten! „Okay“, flüsterte Sam fast unhörbar. Zu gerne wollte er sich dieser Meinung anschließen, doch die Angst, dass es anders war, ließ sich nicht vollständig vertreiben. Endlich standen sie wieder vor dem Haus. Sam öffnete das Tor, damit Bobby seinen Wagen ebenfalls auf dem Hof parken konnte. Er schloss es hinter ihm wieder und beeilte sich dann, die Haustür zu öffnen. Neugierig schaute sich der alte Jäger in dem Haus um. „Schau dich ruhig erst mal hier oben um, ich mache uns Kaffee“, sagte Sam und ging in die Küche. „Hier ist gibt’s nicht viel. Also was hast du wo gefunden? Denn ganz ehrlich? Selbst vor unserem Renovierungsanfall sah es bei mir wohnlicher aus. Gibt es draußen im Schuppen diesen ominösen Schatz?“ „Als ich hier reinkam, hab ich auch überlegt, warum Samuel Campbell sich mit den Koordinaten solch eine Mühe gegeben hat. Hier oben gibt es nichts, was wichtig wäre. Selbst im Büro stehen keine wichtigen Bücher und der Schuppen? Da ist nichts, womit man sich länger beschäftigen müsste.“ Er nahm die Kaffeekanne aus der Maschine und holte Tassen aus dem Schrank darüber. „Kannst du das nehmen?“, fragte er und hielt es Bobby hin. Schnell holte er noch Milch aus dem Kühlschrank und ging ins Büro voraus. Er stellte die Milch weg und wuchtete den Schreibtisch beiseite. „Wie bist du denn darauf gekommen?“, wollte Bobby wissen. Sam deutete auf die Schneekugel. „Die hab ich aus Versehen runter geworfen. Sie fiel auf die Klappe. Sonst wäre ich wohl schon lange wieder abgezogen.“ Er wuchtete die Klappe auf, nahm die Milch und stieg nach unten. Zielstrebig ging er auf die Tür zu, hinter der die Bücherei versteckt war. „Was ist in den anderen Räumen?“, wollte Bobby wissen. „Die beiden“, Sam zeigte auf zwei Türen, „sind Schlafräume. Was hinter den Türen ist, willst du nicht wissen, ist auch vollkommen unerheblich und die Tür“, er deutete auf die letzte, die er noch nicht geöffnet hatte, „hab ich noch nicht aufbekommen. Das können wir vielleicht später mal machen. Ein Stethoskop habe ich schon besorgt. Wichtig aber ist die Tür.“ Sam verschob die einzelnen Teile, bis sie wieder ein Pentagramm ergaben und drückte sie dann nach unten. Ein leises Klacken zeigte an, dass sich die Verriegelung gelöst hatte und Sam öffnete die Tür. „Das sind ziemliche viele Sicherheiten für eine Tür“, überlegte der alte Jäger. „Die ist schon in Ordnung, warte es ab.“ Sam ließ dem alten Freund den Vortritt, mogelte sich dann an ihm vorbei und freute sich still über die immer größer werdenden Augen Bobbys. Kapitel 151: Das Ende der Fee ----------------------------- @ Vanilein - Nur wenn alle janken, jammern und jaulen geht es mir gut! Haha! Nein, so schlimm bin ich dann doch nicht. Aber warum sollte es ich einfach sein lassen, wenn es kompliziert auch geht? Und ja, ICH weiß wie es zu lösen ist. Aber das verrate ich (noch) nicht. LG Kalea PS: Der Besen wird langsam zu kalt muss mich mal nach einem wärmenden Modell umschauen ;-)) 151) Das Ende der Fee „Das ist … Wahnsinn!“, stammelte der alte Jäger und griff sich ein Buch aus dem Regal. Kurz blätterte er darin herum, stellte es zurück und nahm das nächste. „Ist das? … Von dieser Enzyklopädie habe ich gehört, sie aber immer für einen Mythos gehalten, weil niemand sie bisher gesehen hatte.“ Er stellte das Buch wieder weg. „Oh man, das ist Wissen für Generationen, das hier schlummert. Wie ist Campbell denn daran gekommen?“, überlegte er laut. „Soweit mir bekannt ist, sind die Campbells schon Jäger gewesen, als sie mit der Mayflower über den Ozean kamen. Wenn sie diese Bücher durch all die Jahrhunderte zusammengetragen haben...?“ „Wäre eine Erklärung“, brummelte Bobby. Er schaute auf die Enzyklopädie in seinen Händen und ließ seinen Blick dann über die Schätze in den Regalen wandern. Sollte er die lesen oder sollte er erst schauen, was es hier sonst noch gab? Schweren Herzens legte er das Buch auf den Tisch und nahm ein weiteres zur Hand. Er schlug es auf und blickte etwas verwundert auf das dicht beschriebene Blatt hinter den Deckel. „Ich hab bei den Büchern, die ich gelesen, naja, eher überflogen habe, ein Inhaltsverzeichnis gemacht“, erklärte der Winchester etwas verlegen. „Du scheinst ja Zeit gehabt zu haben“, grinste der Ältere. „Nein, ich …, ich wollte nur ...“ „Schon okay, Sam. Wollte dich nur ein wenig aufziehen. Wie viele Bücher hast du überarbeitet?“ „Ein paar aus dem Regal hier. Hab mich eine reichliche Woche hier unten eingegraben, bis ich das hier fand.“ Er nahm ein Buch vom Tisch und hielt es Bobby hin. „1860?“, las Bobby die eingeprägte Jahreszahl. „Ja, es ist ein Tagebuch von 1860 bis 1861. Ziemlich uninteressant wenn es nicht von Colt wäre. Aber selbst das wäre kein Grund es wirklich aufzuheben wenn da nicht ...“ Er nahm es Bobby aus der Hand und schlug eine Seite auf. Seinen Finger auf eine Zeile deutend, hielt er es dem Freund wieder hin. „Der Colt tötete den Phönix“, las Bobby. Er kratzte sich am Bart. „Der Colt tötete den Phönix!“, wiederholte er. „Colt hat also einen Phönix gesehen. Hast du deshalb nach dem Feuervogel gefragt?“ „Nein, ich hab das auch erst mal so hingenommen. Es gibt ihn, okay. Interessant, aber nichts, was jetzt überlebenswichtig wäre, bis ich ...“, Sam nahm ein zweites Buch von Tisch und schlug es auf, „das hier fand.“ Bobby nahm ihm das Buch ab und begann das Kapitel über den Phönix zu lesen. Ein paar Minuten stand Sam einfach nur da und schaute dem Freund beim Lesen zu, doch das wurde ihm schnell zu langweilig und so nahm er sich ein weiteres Buch und begann die Kapitel zu überfliegen. Immer wieder machte er kurze Notizen. „Das ist irre!“, sagte Bobby nach einer Weile und ließ das Buch sinken. „Wenn dass alles stimmt, was hier drin steht, dann ist die Asche eines Phönix ein Allheilmittel. Was ich allerdings nicht verstehen kann ist, warum niemand je von einem Phönix gehört zu haben scheint“, meinte Bobby etwas ratlos, als er das Buch wieder sinken ließ. „Könnten diese Phönixe, gibt’s überhaupt mehrere?“, unterbrach sich der Winchester selbst, „Egal! Können die dafür sorgen, dass ihre Existenz nicht bekannt wird? Aber wie? Ich meine es gibt so viele übernatürliche Kreaturen und irgendwie haben Jäger von fast allen schon mal gehört. Wieso dann von denen nicht?“ „Das ist die Frage“, stimmte Bobby ihm zu. „Vielleicht gibt es nur einen? Oder aber sie hinterlassen keine menschlichen Opfer. Dann würden wir uns nicht für sie interessieren.“ „Du meinst, sie wären auch Jäger? Egal!“, entschied Sam. „Darüber können wir uns aber auch noch den Kopf zerbrechen, wenn wir Dean wieder haben. Jetzt interessiert mich eigentlich nur, wie ich diesen Phönix finden kann und wie ich ihn dazu bringe, sich zu verbrennen“, erklärte Sam energisch. „Die einzige Information zu einem Phönix, die wir haben ist die, dass Colt einen erschossen hat“, fasste Bobby zusammen. „Was, wenn er wirklich tot ist, wenn er nicht wieder auferstehen konnte, nachdem Colt ... Alles andere Übernatürliche bringt er ja auch um“, gab er zu bedenken. „Schon, aber alles andere ist auch nicht unsterblich, oder genauer gesagt, es kann nicht wieder auferstehen“, erklärte Sam mit fester Stimme. „Auch wieder war. Gehen wir also davon aus, dass er auch den Colt überlebt hat.“ „Hmhm. Leider können wir nicht durch die Zeit reisen, um genau an dem Tag da zu sein und den Trickster zu suchen bringt wohl auch nichts. Selbst wenn er uns durch die Zeit schicken würde, ich bezweifle, dass er uns wirklich dahin schicken würde.“ „So ganz falsch ist die Idee aber nicht. Du weißt immerhin wo der Phönix erschossen wurde. Vielleicht gibt es Aufzeichnungen darüber und wir können so rausbekommen, was dieser Phönix war.“ „Aufzeichnungen über einen Erschossenen 1861?“ „Wenn´s ein Duell war?“ „Hm“, Sam blieb skeptisch. „Vielleicht haben sie ihn gejagt, vielleicht war er ein Dieb oder Mörder? Ich denke mal, etwas das verbrennt, wenn es erschossen wird, ist nicht ganz so normal dass es nicht auffällt.“ „Gut, dann suche ich danach. Auch wenn ich noch nicht überzeugt bin“, erklärte Sam. „Irgendwo müssen wir anfangen, denn das was wir bis jetzt haben, ist nichts.“ „Stimmt leider!“ „Dann los! Je eher wie eine Lösung finden, je eher haben wir Dean wieder.“ Sam nickte kurz. „Ich gehe nach oben. Hier unten ist das Netz kaum vorhanden. Kommst du mit?“ „Kann ich machen“, erwiderte Bobby. Ihm war es egal, wo er las. Er nahm sich einige Bücher aus dem Regal und trug sie mit Sams Hilfe nach oben. In der Küche machten sie es sich so gemütlich wie möglich. ~“~ Mit hoch erhobener Rute und der Nase fast auf dem Boden verfolgte Dean eine vielversprechende Spur. Hin und wieder warf er seiner Gefährtin einen Blick zu, doch die schien sich überhaupt nicht dafür zu interessieren. Im Gegenteil ein paar Mal hatte sie versucht ihn von der Spur abzulenken. Aber er wollte nicht spielen! Er wollte Beute schlagen! Und dann sah er es. Ein braunes Tier, ein Urson, gerade groß genug für einen Imbiss. Als er sich auf seine Beute stürzen wollte, bemerkte ihn das Tier und versuchte zu flüchten. Schnell sprang er ihm in den Weg und wollte zubeißen. Seine sicher geglaubte Beute sträubte sich und schlug mit dem Schwanz. Ein Schlag streifte seine Schnauze. Jaulend sprang er zur Seite. Etwas stach ihm in den Nasenrücken. Er schüttelte den Kopf und wischte immer wieder mit der Pfote darüber. Es wollte einfach nicht aufhören! Er fiepte jämmerlich, schnaufte und nieste und rieb die Nase über den Boden. Das Urson war vergessen. Der Schmerz blieb. Seine Gefährtin näherte sich ihm langsam und versuchte ihrerseits ihm zu helfen. Beistand spendend schmiegte sie sich an ihn. Sie hatte diese Erfahrungen auch schon machen müssen. ~“~ Weit nach Mitternacht klappte Sam den Rechner zu. „Im Netz ist nichts zu finden. Sunrise ist inzwischen eine Geisterstadt und im Internet gibt es keine Aufzeichnungen darüber. Ich denke, ich werde hinfahren und in den Nachbarorten suchen müssen. Vielleicht gibt es irgendwo ein Archiv. Sonst bleibt mir nur, weiter nach Selbstentzündungen zu suchen.“ „Hast du denn dazu fundierte Erkenntnisse?“ „Nein, nicht wirklich. Es gibt zwar immer wieder Berichte über spontane Selbstentzündungen aber wenn ich tiefer bohre, gibt es immer einen anderen Auslöser für einen Brand.“ „Wenn es auch nur zur Hälfte stimmt, dass ein Phönix sich alle fünfhundert Jahre erneuert, dann haben wir mehr als schlechte Karten.“ „Das auch noch. Aber irgendetwas muss es doch geben, was ihn verrät!“ Sam klang schon fast verzweifelt. „Gute Frage!“, stimmte ihm Bobby leise zu. „Was verrät unsere Täter? Die meisten vertragen kein Eisen und kein Salz.“ „Na toll. Ich suche also jemanden, der auf Eisen und Salz allergisch reagiert. Da hab ich ja richtig große Erfolgschancen!“, grinste Sam verbittert. „Können die nicht Blut trinken, Herzen fressen oder ach ich weiß nicht. So wären sie eher zu finden.“ „Bislang sagt die Mythologie eigentlich nur Gutes über einen Phönix.“ „Hm.“ „Wir kommen heute wohl zu keiner Entscheidung mehr. Lass uns ins Bett gehen“, überlegte Bobby und schob die Bücher in die Mitte des Tisches. Auch Sam erhob sich und ging voraus in den Schlafraum, den er sich ausgesucht hatte. „Willst du hier schlafen oder lieber nebenan?“ „Ich mir eigentlich egal.“ „Hier hab ich ein wenig Ordnung gemacht. Nebenan müssten wir noch putzen, so staubig wie das da ist.“ „Dann bleibe ich hier“, bestimmte der alte Jäger. Schon kurze Zeit später versuchten sie sich den Anschein zu geben zu schlafen, aber zumindest Sam wälzte noch lange einen Gedanken nach dem nächsten. Wie sollte er vorgehen? Brachte es wirklich etwas wenn er nach Wyoming fuhr und vor Ort suchte? Vielleicht hatten die Nachbarorte ja noch Aufzeichnungen? Oder sollte er lieber hier bei Bobby bleiben und mit ihm weitersuchen? Vier Augen sahen mehr als zwei. Als er endlich doch einschlief war er zu der Entscheidung gekommen, hinzufahren, sollte Bobby seine Hilfe nicht unbedingt brauchen. Er hatte nur ein paar Stunden Schlaf gefunden und der war auch noch von schlechten Träumen geprägt. Verschlafen quälte er sich am nächsten Morgen aus dem Bett. „Was hast du die letzte Nach noch getan?“, wollte Bobby wissen, nachdem er sich träge auf seinen Stuhl hatte fallen lassen. „Bin einfach nicht zur Ruhe gekommen.“ „Worüber hast du nachgedacht?“ „Ob du hier meine Hilfe brauchst oder ob ich weiterziehen kann. Eine Lösung zu haben, sie aber eher unerreichbar zu wissen, könnte mich fast wahnsinnig werden lassen.“ „Dann fahre los. Versuch mehr über Finch rauszubekommen.“ „Und du? Brauchst du hier keine Hilfe?“ „Ich überlege noch, ob ich hier bleibe oder die Bücher nicht allesamt ins Auto packe und sie zu mir bringe.“ „Finde ich sinnvoller. Hier war seit Jahren oder Jahrzehnten keiner mehr. Wir können einen Zettel an die Tür hängen, wo sie sich melden sollen, wenn sie die Bücher suchen.“ „Dann lass uns frühstücken fahren.“ „Ich hab noch ein bisschen was hier und inzwischen kann ich auch Pfannkuchen machen“, grinste Sam. „Wow. Pizza und Pfannkuchen? Du wirst noch zum Gourmetkoch, wenn du noch länger alleine bist.“ „Ich will weder das eine noch das andere“, erklärte der Jüngere kategorisch. „Kochen können ist an sich nicht schlecht.“ „Nein, wohl nicht, aber nicht aus diesem Grund.“ „Was hältst du davon, wenn ich Frühstück mache und du schon einige Bücher nach oben bringst?“ Sam nickte, trank seinen Kaffee aus und machte sich daran, den Kellerraum auszuräumen. „Hast du schon jemanden zu dieser Fee nach Saratoga Springs schicken können?“, wollte Sam wissen, kaum dass sie sich zu einem verspäteten Mittagessen in der Küche niedergelassen hatten. Dieser Gedanke trieb ihn schon seit ein paar Stunden um. „Sie ist Geschichte“, erklärte Bobby nur. „Und wie?“, fragte Sam sichtlich überrascht. „Ich hab einen Jäger hingeschickt und der hat sie erwischt.“ „Wie und wen. Ich meine, die war nicht ohne. Sie konnte Gedanken lesen!“ „Es gibt da einen Jungen, etwa in eurem Alter, er heißt Garth. Der ist verrückt genug, um solche Aufträge erfolgreich ausführen zu können.“ Bobby grinste schief. Garth war wirklich ein Fall für sich und im normalen Leben entweder ein Fall für den Psychiater oder der beste Seelenklempner den es geben könnte. „Garth?“, überlegte der Winchester. „Hab noch nie von ihm gehört.“ „Er ist noch nicht lange dabei. Mal abgesehen davon … wie viele Jäger kennst du? Du bist ständig mit Dean unterwegs, so dass eventuell benötigte Hilfe immer von deinem Bruder kommen kann. Ihr seid kaum mal bei Ellen und wenn, bleibt ihr, wie alle Jäger auch, lieber unter euch. Bei mir ist das was anderes. Ich kenne viele. Aus meiner aktiven Zeit und vor allem jetzt. Obwohl kennen auch übertrieben ist. Ich kenne sie von Namen her.“ Sam nickte. Irgendwie wurmte es ihn schon, dass ein anderer sie so problemlos ausschalten konnte, was ihn und Dean eine halbe Ewigkeit in ihren Fängen gehalten hatte und vor Allem Dean so hatte leiden lassen. „Du bist ihr vollkommen unvorbereitet in die Fänge gelaufen. Woher solltest du wissen was oder wer sie ist und wie sie ihre Gaben benutzt?“ „Aber wenn ich mir nicht gewünscht hätte, auch mal der Held zu sein, dann ...“ „Du hast dir das mit Sicherheit so nicht gewünscht“, unterbrach ihn Bobby unwirsch. „Irgendwie schon.“ Kapitel 152: Suchet, aber ob ihr findet? ---------------------------------------- 152) Suchet, aber ob ihr findet? „Was genau hast du dir denn gewünscht?“, versuchte der alte Jäger Sams Schuldgefühle zu bremsen. Es reichte schon, dass Dean jede Schuld auf seine Schultern laden musste, damit brauchte der Jüngere jetzt nicht auch noch anfangen! „Dass Dean nicht immer wegen meiner Dusseligkeit leiden muss und dass nicht immer nur er mich rettet, sondern auch mal ich ihn.“ „Immerhin den ersten Teil deines Wunsches hat sie dir nicht erfüllt, jedenfalls nicht, nachdem was ihr mir erzählt habt. Ist doch klar, dass du dir wünschst, dass Dean nicht leiden muss! Und auch der Rest ist nichts Verwerfliches oder gar Ungewöhnliches.“ Sam nickte leicht. So ganz wollte er den alten Freund noch nicht glauben. „Weißt du was dieser Garth mit ihr gemacht hat?“ „Er hat mit ihr gewettet, gepokert, irgendwas in der Art und sie so dazu gebracht, dass sie ihm einen Wunsch erfüllen musste.“ „Und der war?“, fragte Sam ungeduldig. „Dass sie sämtliche Wünsche, die sie in den letzten Jahren oder Jahrzehnten auf ihre Art erfüllt hat, jetzt selbst einmal erleben darf.“ „Hut ab“, murmelte Sam, „allerdings befürchte ich, dass sie bald wieder da ist.“ „Meinst du? Alleine was sie euch angetan hat dürfte sie doch wohl eine ganze Weile beschäftigen, oder.“ „Wenn sie an meiner Stelle ist, ja. Ich würde sie dann aber lieber an Deans Stelle wissen.“ „Da sie alle Wünsche durchleben muss, dürfte sie auch Deans Part erleben müssen und das wäre ihr Ende“, gab Bobby zu bedenken. „Hoffen wir es“, erwiderte Sam ungerührt und trank seinen Kaffee aus. „Machen wir weiter?“ „Wenn wir irgendwann mal fertig werden wollen.“ „Ich hoffe, wir schaffen es bis heute Abend, damit wir morgen früh losfahren können. Hast du bei dir einen Wagen für mich?“, fragte Sam, der ja eigentlich gehofft hatte, schon auf dem Weg nach Sunrise zu sein. „Ich hab einen 1995 Chevy Silverado, der ein paar kleine Macken hat und noch lackiert werden muss. Den kannst du nehmen.“ „1995? Seit wann baust du so neue Autos wieder auf?“ „Seit Rave einen irgendwo in einer Konkursmasse günstig ersteigert hat. Er wollte schon länger so einen haben. Jetzt hat er ihn und ich soll ihm den fertig machen, Und bevor du fragst, der stand bei einem Auffahrunfall in der Mitte. Der vohrherige Besitzer konnte sich die Reparatur nicht mehr leiden, wie noch mehr nicht. Sah ziemlich schlimm aus. Waren aber Gott sei Dank fast nur Blechschäden.“ „Und Rave ist nicht böse, wenn ich ihn fahre?“ „Fast nur Blechschäden“, grinste der alte Jäger. „Okay?“ Doch da sich Bobby nicht näher darüber auslassen wollte, erhob sich Sam, brachte seine Tasse in die Spüle und ging wieder in den Keller. Etwas mehr als die Hälfte hatten sie schon nach oben gebracht. Und da wartete ja auch noch die letzte ungeöffnete Tür. Insgeheim hoffte er, die die nicht auch noch Bücher verbarg. Er holte tief Luft und räumte die nächsten Bücher aus dem Regal. Am späten Abend hatten sie es geschafft. Müde ließ sich Sam auf sein Bett fallen. „Wollen wir noch essen fahren?“, fragte Bobby nicht minder geschafft. „Hunger hab ich schon und der Kühlschrank ist leer. Lust hab ich allerdings keine“, erklärte Sam sofort und ließ sich nach hinten fallen. „Na los. Dann können wir gleich noch was zum Frühstück holen und morgen so früh wie möglich starten“, versuchte der Ältere ihn zu ermuntern. „Das ist ein Argument“, gab sich Sam geschlagen und rappelte sich wieder auf. Er begann seine Sachen zu packen. Viel hatte er ja nicht ausgeräumt. Er musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht komplett abzurutschen und wie ein Penner auszusehen. Bislang hatten sie das immer vermieden. Sie hatten zwar nie die neueste Mode getragen und er selbst musste jahrelang mit Sachen Vorlieb nehmen, die Dean zu klein geworden waren. Als er dann endlich seinen Wachstumsschub hatte und Dean erst einholte und bald darauf auch überragte, war sein Bruder zu alt, um noch abgetragene Kleidung von ihm zu übernehmen. Trotzdem hatten sie immer darauf geachtet, dass ihre Kleidung sauber war. Jetzt wollte er das von dem was er trug nicht unbedingt behaupten. Er musste dringend waschen fahren. Doch einen Schritt nach dem anderen. Und jetzt war Essen dran. Sie fühlten sich etwas besser, als sie wieder in den Unterschlupf kamen. Das Essen war gut gewesen und hatte ihre leeren Speicher aufgefüllt. „Jetzt noch die letzte Tür? Ich bezweifle zwar, dass sich dahinter noch so ein Schatz befindet, aber jetzt einfach zu fahren ohne sie zu öffnen, wäre auch falsch, oder?“ Bobby nickte. Und wie willst du es anfangen?“ „Ich hab ein Stethoskop hier und irgendwie wollte ich schon immer wissen, ob man so wirklich einen Safe knacken kann. In den alten Gangsterfilmen geht es.“ Sam grinste ein wenig schüchtern. „Dann los“, munterte Bobby ihn auf. Auch er war neugierig und es war schön den jüngere Winchester endlich wieder einmal so unbeschwert zu sehen, auch wenn es nur für einen Augenblick war. Denn weder er selbst noch Sam würden Dean je vergessen, geschweige denn auch nur akzeptieren können, dass er nicht hier bei ihnen war, dass er als Wolf durch irgendwelche Wälder strich. Da wäre selbst der Tod einfacher hinzunehmen. Sam hatte inzwischen das Stethoskop geholt und Bobby schob diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich ganz auf den Winchester, der gerade seine Finger bewegte, als wollte er sie aufwärmen, so wie es die alten Panzerknacker in den Filmen machten. „Jetzt fang endlich an“, lachte Bobby. Sam grinste kurz. Er schob sich die Ohrhörer ind die Ohren und legte die Membran an die Stelle, die Bobby ihm zeigte. Ja, da hätte er den Mechanismus auch vermutet. Er begann das Rad nach rechts zu drehen. Nichts. Gut, dann noch einmal links. Er gab die Zahl an Bobby weiter und drehte wieder nach rechts. Nichts. Er stellte alles wieder auf Null und begann von vorn. „Noch ein versuch und dann können die mich mal“, knurrte Sam frustriert. Sie standen hier schon eine halbe Ewigkeit und versuchten dieses Schloss zu knacken, doch nichts war bis jetzt geschehen. Dabei hatte alles so gut angefangen, denn die ersten Zahlen waren die Koordinaten dieses Hauses. Aber danach wurde es schwierig. Bobby nannte ihm die Zahlen und er drehte. Und dann kam die nächste Zahl. Er drehte noch einmal nach rechts und es knackte. Wieder versuchte er das Rad zu drehen. „Es geht“, verkündete er erstaunt. „Endlich“, fügte Bobby hinzu. Er nahm seine Kappe ab, wischte sich über die Stirn und setzte sich seine Mütze wieder auf. Erwartungsvoll starrten die Jäger auf die Tür. Sam wappnete sich für den Anblick weiterer Zellen. Man konnte ja nie wissen. Vielleicht hatten sie hier die ganz gefährlichen Monster? Erleichtert atmete er aus. Überrascht starrten die Jäger auf das riesige Arsenal an Waffen, dass sich aus der Dunkelheit schälte. Damit konnte man eine ganze Armee ausrüsten! Wofür brauchten sie hier so viele Waffen? Langsam gingen sie durch die Regalreihen. Hier gab es jede erdenkliche Waffe allen Alters. Vom Schwert über Pflöcke, Pflöcke? Wozu waren die denn? Revolver, Schrotflinten und sogar einige mittelalterliche Piken fand er. Außerdem Armbrüste und Bögen. Und doch war da nichts, was er den Tiefen des Impala hinzufügen wollte. „Brauchst Du etwas davon?“, fragte Sam den Freund. „Nein. Aber es ist gut, dass wir wissen, was hier drin ist.“ Da musste Sam ihm zustimmen. „Trotzdem würde ich jetzt gerne schlafen.“ „Nicht nur du, Junge, nicht nur du.“ Keine zehn Minuten lagen sie in den Betten und schliefen. ~“~ Seite an Seite trabten Dean und seine Gefährtin über eine verschneite Lichtung, auf der Suche nach Beute. Sie waren gerade erst in diese Gegend gekommen und hatten hier eine Höhle gefunden, in der sie vorerst bleiben wollten. Sie waren noch immer vorsichtig und jagten nicht in der Nähe ihres Schlafplatzes, denn noch wussten sie nicht, ob die Jungen hier sicher waren. Sie folgten der Spur eines Hirsches, als sie ein Rascheln innehalten ließ. Dean hob witternd die Nase. Es roch verlockend, aber das hatte es damals auch, und dann hatte es furchtbar in der Nase gestochen. Lange hatte er diesen Schmerz gefühlt. Misstrauisch legte er den Kopf schief und prüfte die Luft. Der Geruch, den ihm der Wind zutrug, war ein anderer aber das hieß nicht, das diese Beute nicht auch wieder biss, egal wie verlockend sie roch. Seine Gefährtin schien diese Bedenken nicht zu haben. Sie schlich sich an das verlockend riechende, raschelnde Ding heran, einen Waschbären, den wohl der Hunger aus seiner Winterruhe aufgescheucht hatte. Sie stürzte sich auf ihn, kaum dass sich ihr die Gelegenheit bot. Das Tier drehte und wendete sich, und versuchte sich kratzend und beißend zu befreien. Für die Wölfin war es nicht der erste Waschbär, den sie fing. Sie packte ihn im Nacken und schleppte ihn zu ihren Jungen, die das Jagen lernen mussten. Den zappelnden Wachbären noch im Maul plaffte sie leise und rief so die Jungwölfe aus der sicheren Deckung. Dean wartete etwas abseits, während sie ihren Fang in den Schnee plumpsen ließ. Sofort versuchte der sich schimpfend und fauchend einen Weg in die Freiheit zu bahnen. Die Jungwölfe ihrerseits behinderten sich gegenseitig in ihrem Bemühen der erste zu sein, der die Beute erlegte. Mit schief gelegtem Kopf beobachtete Dean das Schauspiel, bei dem der Waschbär sein Leben zwar teuer verkaufte, letztendlich jedoch nie eine reale Chance hatte zu gewinnen. ~“~ Am nächsten Morgen machten sich sie Jäger nach einem minimalen Frühstück auf den Weg. In der Bibliothek hatten sie einen Zettel hinterlegt, auf dem Bobbys Telefonnummer stand, falls sich ja noch jemand für die Bücher interessierte. Irgendwie hoffte Sam es. So könnte er dann vielleicht doch jemanden aus seiner Familie kennenlernen. „Home sweat home“ Bobby atmete tief durch, als er vor seinem Haus stand. Er nahm sich seine Tasche und betrat die Veranda. Sam parkte den Impala neben dem Pickup und stieg ebenfalls aus. Auch er nahm seine Tasche und folgte dem alten Freund ins Haus. „Riecht es hier nach Essen?“, fragte er und hob schnuppernd die Nase. „Hm“, brummelte Bobby und betrat die Küche. Am Kühlschrank klebte ein kleiner Zettel auf dem „Guten Appetit“, stand. Sofort zierte ein Lächeln sein Gesicht und in seinem Inneren machte sich ein warmes Gefühl breit. Die Frau war einfach eine Wucht! Er öffnete den Kühlschrank und schaute hinein. Mehrere mit Alufolie abgedeckte Schüsseln standen darin. Er liebte diese Frau mit jedem Tag mehr und scheinbar war er ihr nicht ganz so egal, wie er es sich immer einredete. Sam ließ seine Tasche im Flur fallen. „Und was gibt es zu essen?“, fragte er und steckte den Kopf in die Küche. „Für dich? Waschpulver oder hast du vergessen, was du mir beim Frühstück gesagt hast?“ „Nein?“, erwiderte Sam zögernd. „Also los! Die Bücher räumen sich auch nicht von selbst weg!“ „Oh man. Du bist schlimmer als Dad!“ „Das will ich überhört haben!“, grummelte der Ältere und ging nach draußen, um seinen Wagen auszuräumen. Der Winchester trollte sich in den Keller und stopfte den Inhalt seiner Tasche komplett in die Waschmaschine. Kurz überlegte er, ob er das was er am Leib trug auch gleich noch mit waschen sollte, doch dann entschied er sich dagegen und schloss die Tür. Es brachte nichts sich jetzt umzuziehen und heute Abend wieder vollkommen verschwitzt in frische Kleidung zu steigen. Die Maschine begann Wasser einzufüllen, als er nach oben ging, um Bobby beim Ausräumen der Bücher zu helfen. „Erst mal ins Büro“, empfing ihn der Ältere. „Von da aus kann ich sie nach und nach nach oben bringen. Obwohl ich bezweifle, dass diese Menge da noch reinpasst. Vielleicht sollte ich im Panikraum ein paar Regale aufbauen?“ „Sicher ist der ja“, pflichtete Sam ihm bei. Kapitel 153: Elias Finch ------------------------ 153) Elias Finch Das Ausladen ging wesentlich schneller als das Einladen, auch, weil sie diese schmale Treppe nicht ständig hoch und runter mussten. Trotzdem dauerte es bis zum Abend, bis sie sich erschöpft gegen den Kotflügel des Impalas lehnten. „Du kannst ihn gleich rüber zur Halle fahren. Wenn dein Bruder den so sieht, reißt er dir den Arsch auf! Was hast du damit eigentlich angestellt?“ „Dean weiß dass er so aussieht. Das sind die Auswirkungen der Fee, als sie uns für ihre Spiele ausgesucht hatte. Sie hat mich im Wagen attackiert und ich habe versucht sie abzuwehren. Dabei sind wir zwischen zwei Bäumen gelandet.“ „So lange muss sie schon so aussehen?“ Bobby war entsetzt. „Naja, Dean wollte sie reparieren, wenn wir hier sind. Wir waren auf dem Weg zu einem Konzert.“ „Habt ihr endlich mal wieder was für euch getan?“ „Ja. Und danach wollten wir herkommen und überlegen, wie es weitergehen soll.“ Sam schniefte. „War wohl nix“, nuschelte er, löste sich vom Kotflügel und stieg ein. „Kannst dann gleich duschen gehen. Ich schau inzwischen mal, was es zu Essen gibt“, sagte Bobby noch und ging ins Haus. Schon bald ließen sie sich einen leckeren Hackbraten mit Gemüse und Süßkartoffelbrei schmecken und fielen dann, rechtschaffen müde, in ihre Betten. Auch das Frühstück verlief ruhig. „Jody lässt dich grüßen und wünscht viel Erfolg bei der Suche nach dem Phönix.“ „Du hast es ihr erzählt?“ Sam wusste nicht, ob er sich jetzt freuen oder entsetzt sein sollte. Immerhin bedeutete das ja wohl, dass sie wieder mehr am Leben des alten Brummbären teilnahm. Da hatte wenigstens einer von ihnen etwas Glück gefunden. Ein wehmütiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. „Ja. Naja. Ich hatte Weihnachten einen ziemlichen Tiefpunkt und da haben wir geredet“, gab der alte Jäger leise zu. „Ich freu mich für dich!“, sagte Sam und lächelte ihn warm an. „Weil ich einen Tiefpunkt hatte?“ „Nein, weil sie endlich eingesehen hat, dass du gar kein so übler Kerl bist!“ „Ich werd dir gleich, übler Kerl“, grummelte Bobby und musste sich schwer zusammenreißen, um nicht breit zu grinsen. „Und was machst du jetzt? Fährst du nach Sunrise?“, fragte er, um von dem Thema abzulenken. „Ich wollte los, sobald wir hier fertig sind. Es ist zwar schön mit dir zu plaudern und ein festes Zuhause zu haben, aber ohne Dean fehlt einfach was.“ „Du musst dich nicht entschuldigen. Fahr und finde einen Weg zu diesem Phönix. Ich suche hier weiter. Wir hören erst auf, wenn wir ihn wieder hier haben!“ „Danke, Bobby.“ „Gern geschehen“, grinste der Jäger. „Und jetzt trink aus und raus hier.“ „Willst du mich loswerden?“ „Was denkst du denn. Meine Freundin wartet nur darauf, dass du verschwindest!“, erklärte er mit einem Zwinkern. „Na da will ich euch nicht weiter im Weg stehen.“ Hastig schüttete Sam seinen Kaffee hinunter und erhob sich. „Na so war das jetzt auch nicht gemeint“, stöhnte Bobby. „Ich dachte du willst mich loswerden?“ „Diese Jugend. Immer kriegen sie alles in den falschen Hals.“ Bobby schüttelte den Kopf, erhob sich aber. „Ich will trotzdem los. Sobald wir Dean wiederhaben, können wir dir gerne für länger auf den Geist fallen.“ „Davon gehe ich aus“, lachte der Ältere. „Und Gnade euch, wenn nicht!“ Er trank aus und ging voraus zur Scheune. „Der sieht aber auch nicht viel besser aus, als der Impala“, maulte Sam, kaum dass er vor dem Pickup stand. „Mit einem Neuwagen kann ich leider nicht dienen. Entweder den oder den Impala! Meinen Pick up brauche ich, denn kannst du leider nicht kriegen.“ „Ich dachte nur ...“ „Ich hab gesagt, dass die Blechteile neu sind. Vom Lackieren war noch keine Rede. Und er hat Synchronisationsprobleme. Die Zwei solltest du nicht nehmen und beim Rückwärtsgang immer erst vorsichtig testen. Manchmal nimmt er den nicht.“ „Du sagtest doch, dass er fast fertig wäre“, begann Sam „Ist er ja auch. Es fehlen nur noch Motor und Getriebe.“ „Oh man. Was tut man nicht alles, damit es Dean wieder gut geht.“ „Meinst du sein Wohlbefinden hängt mit dem Wagen zusammen?“ „So wie er reagiert, wenn sie was hat? Definitiv.“ Sam atmete tief durch und versuchte ein schiefes Grinsen, auch wenn ihm die Tränen in die Augen stiegen. Was würde er dafür geben, wenn Dean endlich wieder neben ihm stände. „Und dein Kumpel Rave ist nicht sauer, wenn ich seinen Wagen nehme?“ „Dann sind Motor und Getriebe eben noch nicht da. Außerdem denke ich, dass er nichts dagegen hat, wenn wir so deinen Bruder schneller finden. Also los.“ „Okay“ sagte Sam etwas beruhigt, immerhin wollte er nicht, dass Bobby sich mit seinem Freund verzankte, nur weil er nicht mit einem demolierten Wagen rumfahren mochte. „Es ist gut Sam. Rave wird es verstehen.“ Sam nickte. Er räumte das Handschuhfach des Impalas aus und verstaute alles in Handschuhfach des Silverado, warf seine Tasche auf den Beifahrersitz und schwang sich hinter das Lenkrad. Ihre Waffen ließ er im Impala. Der Pickup hatte keinen wirklichen Platz dafür, also packte er nur seine Beretta, den Colt und eine Schrotflinte mit dem dazugehörigen Salz ein. „Bis bald“, verabschiedete er sich von Bobby und versuchte den Rückwärtsgang, der auch sofort funktionierte. Langsam rollte er von Hof. In Guernsey wollte er mit seiner Suche beginnen. Das lag Sunrise am Nächsten. Er suchte sich ein Motel und durchforstete noch einmal das Internet. Dass es nicht viel zu finden gab, wusste er ja schon. Hoffentlich fand er morgen etwas im Archiv der hiesigen Zeitung. Sonst musste er die Suche auf die nächsten Orte ausdehnen. Spät ging er ins Bett und früh stand er wieder auf. Er machte sich fertig und fuhr zu der Zeitung. Gegen Mittag hatte er einen kleinen Achtungserfolg. Er fand die Erwähnung eines Duells am 5. März 1861 zur Mittagszeit. Allerdings bezweifelte der Verfasser des Artikels, dass dieser Teufel in Menschengestalt wirklich tot bleiben würde, immerhin hatte man ihn ja schon gehenkt. Wie er danach wiederkommen, den Richter, den Sheriff und den Hilfssheriff töten konnte, würde wohl immer das Geheimnis dieses Dämons bleiben. Wahrscheinlich hatte er etwas um seinen Hals gewickelt, das ihn schützte. Sam starrte auf den Leuchtschirm. Jetzt wusste er zwar, dass Colt Recht hatte, aber hatte er wirklich einen Phönix erschossen? Es konnte so vieles sein. Er musste also nach diesem namenlosen Mörder weiter suchen. Wenigstens sollte er zu finden sein, wenn sie ihn zuvor gehenkt hatten. Er rieb sich die Augen und machte dann regelrecht verbissen weiter. Schnell wurde der Winchester fündig. Drei Tage zuvor hatten sie einen Mann namens Elias Finch wegen des Mordes an seiner Frau gehenkt. Als letzten Wunsch hatte er darum gebeten, dass seine Hände nicht mit Handschellen, sondern mit einem Seil gebunden wurden. Der Sheriff und sein Gehilfe hatten einen Fluchtversuch vermutet, der jedoch nicht kam. 'Bobby hatte also ebenfalls Recht. Ein Phönix war auf Eisen genauso allergisch, wie die meisten übernatürlichen Kreaturen. Immerhin hatte er jetzt einen Namen. Blieb nur die Frage, ob ihm der überhaupt weiterhalf. Colt hatte geschrieben, dass der Colt einen Phönix getötet hatte. Wenn der Colt wirklich alles töten konnte, dann hatte der Phönix aufgehört zu existieren. Und wenn es wirklich nur einen gab, war die Chance auf Asche für immer dahin, es sei denn, er lernte irgendwann jemanden kennen, der ihn in der Zeit zurückschicken und die Asche von Finch aufsammeln ließ. Darüber sollte er heute Abend auf jeden Fall mit Bobby reden. Aber jetzt wollte er sehen, was er noch zu Finch finden konnte. Vielleicht gab es ja noch wichtige Details, wie Kinder zum Beispiel. Frustriert verließ er am Abend die Redaktion. Außer dem Achtungserfolg mittags hatte er nichts Wissenswertes mehr gefunden. Er setzte sich in den Wagen und wählte Bobbys Nummer. Schon nach dem zweiten Klingeln ging der alte Freund dran. „Hey, wollte dir nur meine Rechercheergebnisse mitteilen. Also der Phönix heißt Elias Finch und wurde von Colt erschossen. Davor haben sie versucht ihn zu hängen. Das scheint er aber überlebt zu haben. Kurz danach hat er sich an dem Richter und dem Sheriff samt Gehilfen gerächt. Das Problem, dass ich allerdings sehe: Wenn der Colt wirklich alles tötet ...“ „Du meinst, dass der Phönix jetzt ebenfalls tot sein müsste?“ „Ich denke ja, auch wenn ich es, schon um Deans Willen, nicht hoffe. Ich habe noch nichts über Kinder oder weitere Familienangehörige gefunden. Vielleicht vererbt sich sowas ja?“ „Meinst du es war je vorgesehen, dass ein Phönix Kinder kriegen kann?“ „Ich hätte auch nie gedacht, dass Dämonen Kinder bekommen können.“ „Hmhm.“ „Ich wollte noch in ein paar anderen Zeitungsarchiven suchen, vielleicht finde ich ja ein Bild von diesem Finch.“ „Du meinst, dass du damit dann besser suchen kannst?“ „Zur Not könnte ich es ans FBI schicken. Wir kennen da jemanden, der ihn mal durch die Dateien jagen könnte.“ „Halt mich auf dem Laufenden, ja?“ „Mach ich. Und Bobby?“ „Hm?“ „Grüß Jody, okay?“ Der alte Jäger grummelte sich etwas Unverständliches in den Bart, bevor er auflegte. Sam steckte das Handy weg und startete den Wagen. Die nächsten Tage verbrachte der Winchester in diversen Zeitungsarchiven und durchsuchte Mikrofilme, Computerdateien und alte Zeitungen. Der einzige Erfolg, den er verbuchen konnte, war irgendwann ein ziemlich gutes Bild, mit dem er die Suche nach diesem Finch hoffentlich auch von seinem Motelzimmer aus fortführen konnte. Letztendlich merkte Sam nur am sich ändernden Wetter das die Tage vergingen. Er hatte ein paar Fotos von Personen, die durchaus dieser Finch sein konnten, im Netz gefunden und deren Spuren folgte er jetzt. Mit Bobby hielt er regelmäßig Kontakt, wollte er doch auf keinen Fall wieder in so ein Funkloch fallen, wie sie es über den Jahreswechsel hatten. Jody schien ebenfalls regelmäßig bei dem alten Brumbären ein und aus zu gehen. Manchmal hörte er sie im Hintergrund und freute sich jedes Mal darüber, hatte doch wenigstens einer von ihnen ein bisschen Glück gefunden. Außerdem war der alte Freund jetzt wesentlich umgänglicher. ~“~ Sam klappte seinen Rechner zu. Er rieb sich seine brennenden Augen und versuchte die verspannten Schultern zu entspannen. Seit Wochen war er nur noch sporadisch hinter dem Bildschirm hervorgekommen. Und er war frustriert. Gerade hatte er eine weitere Mail von Nick bekommen, in der er ihm mitteilte, dass er noch immer niemanden gefunden hatte, der dem Bild nicht nur ähnlich sah. Der Winchester trat an das Fenster und schaute in den Schneeregen. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre! Immerhin passte das Wetter zu seiner Stimmung. Obwohl? Nein, heute war das Wetter gegenüber seiner Stimmung noch echt optimistisch. Heute war der 24. Januar. Der Tag, an dem Sam vielleicht einen Burger zum Frühstück hätte machen wollen. Der Tag, an dem er Dean ein Geschenk überreichen und mit ihm abends im einer Bar versacken wollte. In Tag der ein Tag in ihrem neuen, normalen Leben sein sollte! Doch nichts davon würde heute passieren. Naja, vielleicht würde er noch losziehen und in einer Bar versacken? Vielleicht. Aber eigentlich wollte er sich lieber in seinem Bett verkriechen, das leere Bett daneben anstarren und sich in den Schlaf heulen, denn er hatte es noch immer nicht geschafft, Dean zurück zu verwandeln. Nicht nur das! Er hatte noch immer nicht die Spur einer Lösung, denn der Phönix wuchs sich wohl eher zu einem Hirngespinst aus, als zu einer echten Lösung. Was war er nur für ein Bruder? Kapitel 154: Eine neue Hoffnung ------------------------------- @ Vanilein : keine Ahnung, ob ich Deine Hoffnung schon erfüllen kann ... LG Kalea Wünsche allen einen besinnlichen 3. Advent. 154 ) Ein neue Hoffnung? „Hey“, grüßte Jody. Sie schloss die Bürotür leise und stelle den frischen Kaffee auf dem Schreibtisch ab. „Was suchst du?“ Ihr Freund hatte etliche Bücher um sich herum verstreut. „Alles und nichts. Ich versuche einem Jäger zu helfen, der nicht weiter kommt. Er hat mehrere Opfer, die unter furchtbaren Qualen gestorben sind und er kommt einfach nicht weiter.“ „Und was vermutest du?“ „Ich weiß es nicht. Noch sind zu viele Fragen offen.“ Unschlüssig ließ Jody ihren Blick über den Schreibtisch schweifen. Er blieb an einem Zettel hängen, der halb aus den Seiten eines Buches herausschaute und auf dem sie nur einige Wörter entschlüsseln konnte. Sie zog das Buch zu sich, drehte es richtig herum und schlug es auf. Ihre Augenbrauen zogen sich immer mehr zusammen, als sie die Worte komplett las. Brüder, rechtschaffener Mensch in der Hölle / Phönix „Was heißt das?“, wollte sie wissen und hielt Bobby den Zettel hin. Der Jäger wischte sich müde über das Gesicht. „Wenn ich dir das sagen könnte. Es muss eine Bedeutung haben, aber welche?“ „Und jetzt suchst du danach?“ „Ja, immer wenn ich in einem meiner Bücher lese, immer wenn ich Zeit habe, dann suche ich nach einer Bedeutung. Es könnte einiges, vielleicht sogar alles erklären.“ „Und was alles?“ „Es ist nicht mein Rätsel. Ich versuche nur bei der Lösung zu helfen“, wich er aus. „Aber wenn ich dir helfe und wenn ich die Lösung finde, kannst du es mir dann sagen?“ „Vielleicht?“ „Sind eigentlich alle Jäger so verschlossen?“ „Ich kenne nur einen, der ziemlich mitteilsam ist, allerdings bezweifle ich auch bei ihm, dass er dir wirklich Informationen geben würde. Nein. Jäger bleiben gern unter sich und reden mit Außenstehenden schon mal gar nicht über ihre Fälle.“ „Ich bin keine Außenstehende, oder?“ „Doch. In der Beziehung bist du eher Opfer als ...“ „Ich bin kein Opfer! Ich war noch nie ein Opfer! Und ich will auch keines sein!“ „Entschuldige. Opfer ist vielleicht das falsche Wort, nehmen wir Betroffene. Ich möchte dich eigentlich auch da raushalten. Es ist eine furchtbare Welt in die du gerissen werden würdest.“ „Aber ich möchte dir helfen!“ Bobby holte tief Luft. „Wenn du bei Ermittlungen helfen willst, werde ich nichts dagegen sagen und dir die wichtigen Fakten erklären, aber ich werde nicht aus den Nähkästchen plaudern. Können wir uns darauf einigen?“ „Damit kann ich leben, denke ich“, schweigend schaute sie sich um, bevor sie in die Küche ging, um frischen Kaffee zu holen. „Gehört der Phönix auch zu den Rätseln anderer?“, ließ sie nicht locker. Sie stellte eine Tasse neben den Bildschirm. „Ja und nein. Er ist ein mythologisches Wesen, von dem ich, und nicht nur ich, immer geglaubt habe, dass er überhaupt nicht existiert. Aber Sam hat Aufzeichnungen gefunden, die belegen dass zumindest einer gelebt haben muss.“ „Ist ein Phönix das, was er in den Geschichten ist?“ „Ich bezweifle, dass er wirklich ein Vogel ist, dass er sich aus seiner Asche neu erschaffen kann, scheint schon eher möglich. Auf jeden Fall soll seine Asche fast alles heilen oder rückgängig machen können.“ „Alles heilen?“ „Naja, ja. Also Vampire sollen wieder Menschen werden und Werwölfe auch. Außerdem soll sie Flüche aufheben können.“ „Flüche? Das was Dean zu einem Wolf gemacht hat … ihr geht doch davon aus, dass es ein Fluch war, oder? „Ja.“ „Wie kann man einen Phönix finden?“ „Genau das ist derzeit die Frage aller Fragen. Sam hat eine Spur, der er nachgeht und ich suche hier in den Bücher, ob es weitere Hinweise auf einen Phönix gibt.“ „Dann werde ich mal versuchen, dir zu helfen.“ Kurz drückte sie seine Hand und nahm sich ein Buch. Sie ließ sich in dem Sessel nieder und begann zu lesen. Schweigen senkte sich über das Zimmer und der Schnee, der draußen inzwischen wieder in großen, dicken Flocken vom Himmel fiel, schien alles noch zusätzlich einhüllen zu wollen. Die Zeit verging und weder Sam noch Bobby oder Jody kamen der Lösung ihres Problems auch nur ein Stückchen näher. Inzwischen war es Ende Februar. Sam meldete sich regelmäßig bei Bobby. Nick hatte irgendwann angerufen und mitgeteilt, dass er die Zigeuner einmal in Saint Louis gesichtet, sie aber wieder aus dem Blick verloren hatte. Sam ging weiterhin seinen beiden Spuren nach, wobei er sich jedoch mehr auf den Phönix konzentrierte. Er hatte sich überlegt nicht nur nach dem Mann auf dem Foto zu suchen, sondern auch die spontanen Selbstentzündungen mit in seine Suchparameter aufzunehmen und so fuhr er durch das Land, von einem rätselhaften Tatort zum nächsten und mied, so gut es ging die Gesellschaft anderer Menschen. Er war zu einem einsamen Jäger geworden. Und so war Sam auch heute morgen wieder aufgebrochen, um zu einem weiteren Tatort zu kommen. Er sah das Ortseingangsschild vor sich. Zwiespältige Gefühle kämpften in ihm um die Vorherrschaft. Es war eine spontane Entscheidung gewesen, sagte er sich. Er musste eh hier lang und da fiel der kleine Abstecher kaum ins Gewicht. Trotzdem fühlte er sich unwohl. Die Leere in seinem Inneren war schon seit einer halben Ewigkeit sein ständiger Begleiter und doch betrauerte er Nacht für Nacht den Verlust, den er vor so vielen Wochen erlitten hatte! Warum mussten sie immer verlieren? Gab es nicht auch für sie irgendwann mal einen kleinen Gewinn? Nichts Finanzielles. Das hätte er genug. Nein. Er wollte doch nur ein kleines bisschen Glück. Lachen und ein friedliches Leben! Doch scheinbar gehörte er zu den Menschen, für die das zu viel verlangt war. Schmutzig grau lagen die Schneereste an den Straßenrändern und gaben der Welt das Aussehen seines Inneren. Sam atmete tief durch. Er hatte den Impala vor dem Haus geparkt und sah zur Tür. Würde sie ihm helfen können? Er stieg aus. Noch einmal holte er tief Luft, dann ging er auf das Haus zu. Kaum hatte er geklingelt riss Missouri auch schon die Tür auf. „Sam, mein Lieber. Komm rein!“, rief sie freudig und zog ihn in ins Wohnzimmer. „Setz dich Junge, wie kann ich dir helfen?“ Sie sah sich um und bevor Sam etwas sagen konnte schnatterte sie weiter: „Wo ist eigentlich dein leicht unterbelichteter Bruder?“ Sam starrte traurig auf seine Hände bevor ihm aufging WAS sie gesagt hatte. Er verspannte sich. „Hat er dich sitzen lassen? Ich wusste es doch. Früher oder später würde er dich einfach hängen lassen. Er war schon immer unzuverlässig! Welchem Rockzipfel ist er den diesmal hinterhergerannt?“ Was wusste sie schon von Dean? Sie hatte sie vor vier Jahren kennengelernt, nein eigentlich kannten sie sie ja schon auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte, also eher wieder getroffen, und ihnen bei einem Fall geholfen, irgendwie. Sie hatte schon damals so abschätzig über Dean gesprochen. Sams Gedanken glitten ab. „Du solltest dich nicht grämen, mein Junge. Irgendwann kommt er wieder angedackelt!“, hörte er sie sagen als er sich wieder auf sie konzentrierte. Sam sprang auf. Er wusste nicht, dass sie nur aus seinem Gesicht lesen konnte, weil er sich unbewusst gegen ihre Gedankenleserei gesperrt hatte und sie seine Trauer vollkommen falsch deutete. Er wusste nicht mal, dass er sie aus seinem Kopf raushalten konnte. Aber das war ihm egal. Jetzt war die Trauer verdrängt worden, von der kochenden Wut in ihm. „Was wissen sie schon von ihm? Dean ist der beste und treueste Mensch, den ich kenne, er war immer für mich da. Niemand hat sich je so um mich gekümmert. Sie nicht, Dad nicht, niemand! Und sie werfen ihm Treulosigkeit vor? Sie? Sie haben ihn doch, kaum dass sie ihn gesehen haben, genauso herablassend behandelt wie Dad. Für sie war Dean doch von Anfang an auch nur jemand dem man Befehle erteilen konnte, die der rücksichtslos zu befolgen hatte. Genau wie Dad haben sie in ihm doch nie einen eigenständigen Menschen gesehen! Was wissen sie schon von meinem Bruder? Sie sind genauso ignorant wie alle anderen! Genauso arrogant und blind!“ Sam hatte sich in Rage geredet. Tränen standen in seinen Augen. Missouri schnappte erschrocken nach Luft und versuchte in Sam zu lesen. Doch wie schon vorhin hatte er sich ihr versperrt. Sie holte noch einmal Luft und wollte sich erkundigen was passiert war als Sams Handy klingelte. Der Winchester zuckte regelrecht zusammen. Er kramte in seiner Tasche und holte das Telefon hervor. Er starrte auf die Nummer und überlegte kurz woher er sie kannte. Dann ging er dran. „Ja?“ „Hallo, Sam?“ „William?“ Sam schaute verwundert. Warum meldete sich der Medizinmann bei ihm? Und warum jetzt? Hatten sie wieder Probleme? Dieses Mal würde er ihnen nicht helfen können! „Sam, ich hatte in dieser Nacht einen Traum von einem Wolfsrudel. Der Leitwolf war ein kräftiger Rüde mit grünen Augen. Allerdings gibt es keine Wölfe mit grünen Augen! Ich verstehe das nicht und ich habe keine Ahnung, warum ich diesen Traum hatte, aber als ich aufgewacht bin wusste ich, dass ich dich anrufen musste und das du wissen würdest was es damit auf sich hat.“ „Weißt du auch wo das Rudel war?“, fragte der junge Winchester atemlos. Er hatte zwar noch keinen Weg Dean wieder in einen Menschen zu verwandeln, aber wenn er ihn sehen könnte, wenn er sich überzeugen könnte, dass es ihm gut ging ... „Ja, im Kings Canyon National Park. Sie kommen immer wieder auf eine große Lichtung“, und dann beschrieb der Medizinmann ihm den genauen Weg. „Danke“, Sams Stimme klang warm, „du weißt gar nicht wie sehr du uns geholfen hast. Nochmal, danke.“ Er legte auf und strahlte das Telefon an bevor er es in die Tasche steckte. „Sam?“, fragte die Wahrsagerin, „warum bist du hergekommen? Wie kann ich dir helfen?“ „Sie können mir nicht mehr helfen, als es dieser Anruf getan hat“, konterte er kühl. „Die Hilfe die ich mir von Ihnen erhofft hatte, habe ich von jemandem bekommen, der meinen Brudermehr zu schätzen weiß als Sie es tun!“, damit drehte sich der Winchester zur Tür und lies die korpulente Frau einfach stehen. Auf dem Weg zum Impala rief er den alten Freund an. „Bobby, William hat mich eben angerufen. Er weiß vielleicht wo Dean ist.“ „Du willst hin?“ „Ja, ich habe zwar immer noch keine Ahnung wie der Fluch zu brechen ist, aber ich will wenigstens wissen, ob es ihm gut geht.“ „Das will ich auch.“ „Willst du mitkommen?“ „Da fragst du noch?“, wollte der Ältere entrüstet wissen und entlockte Sam ein leichtes Lächeln. Schnell gab er ihm die Wegbeschreibung und machte sich auf den Weg seinen Bruder zu finden. Missouri stand am Fenster und starrte Sam hinterher. Sie wusste so gar nicht was sie von der Situation halten sollte, aber sie würde es wohl auch nicht erfahren. Was war nur passiert, das der Junge so heftig auf ihre Äußerungen reagiert hatte. Als sie sich das letzte Mal sahen, fand er es eigentlich noch ganz witzig, wie sie mit seinem Bruder umgesprungen war. Sam und Bobby trafen sich auf einem kleinen Parkplatz in Silver City. Hier konnten sie auch gut unterkriechen. Sie suchten sich eine kleine Hütte, die noch halbwegs in Schuss war und richteten sich für ein paar Tage ein. Bobby heizte den kleinen Herd an und Sam hockte sich auf seinen Schlafsack. Mit erzwungener Ruhe kontrollierte er seine Ausrüstung. Er hatte seine dicke Winterkleidung vor sich. Sie sah nach dem Jahr im Kofferraum noch fast tadellos aus, ein wenig zerknittert vielleicht, aber wer sollte sie hier schon sehen? Hier lag der Schnee fast kniehoch und sie wussten nicht, wie der Platz aussah, den William Sam beschrieben hatte. Am liebsten wäre Sam jetzt sofort losgestürzt. Aber die Sonne hing schon auf dem Horizont und selbst wenn sie das Rudel finden sollten, sie würden es nicht sehen. Also aßen sie schweigend zusammen und hingen wieder jeder seinen Gedanken nach. „Es tut mir leid“, sagte Sam plötzlich in die Stille. Bobby schaute von seinem Buch auf: „Du musst dich nicht schon wieder entschuldigen, Sam. Das hast du nun schon oft genug getan“, sagte er leise. „Hm“ brummelte der Jüngere und ließ seine Gedanken wieder zu Dean wandern. Er war total aufgeregt. So nahe war er seinem Bruder die letzten drei Monate nicht gekommen und jetzt hoffte er natürlich, dass er ihn auch wirklich zu Gesicht bekam, auch wenn er genau wusste, dass Dean ihn nicht erkennen würde. Tränen stiegen in seine Augen, Tränen, die er nicht aufhalten wollte, oder konnte. Er kroch in den Schlafsack, zog sich die Decke über den Kopf und gab sich seinen Gefühlen hin. Bobby sah die zuckenden Schultern und stand auf. Er wollte hinüber gehen und ihn trösten, aber wie? Wie tröstete man jemanden, der um seinen Bruder trauerte, den er über alles liebte und von dem er wusste, dass der ihn ebenfalls über alles liebte, der sich aber einfach nicht mehr an ihn erinnern konnte, weil er kein Mensch mehr war? Bobby setzte sich wieder auf den Schemel und überlegte, wie er das Ganze sah, wie er der Situation gegenüber stand. Er liebte Dean und er wünschte sich nichts mehr in der Welt, als den Dean zurück, den sie vor dem Höllenhund gerettet hatten, aber den Dean würde er wohl nie wieder zu Gesicht bekommen. Der Dean war dank eines Fluches verschwunden, von der Erde getilgt und außer ihm und Sam würde ihn wohl nie jemand vermissen. Bobby blinzelte die Tränen weg, die sich in seine Augen drängten. Das war einfach nicht fair! Er erhob sich wieder und ging zu Sam, der noch immer leise vor sich hin schniefte. Vorsichtig legte er ihm die Hand auf die Schultern und drückte sanft zu. Eine Weile blieb er so, bevor er selbst in seinen Schlafsack kroch und versuchte genauso erfolglos wie Sam Schlaf vorzutäuschen. Kapitel 155: Blut im Schnee --------------------------- Ich wünsche euch ein besinnliches Weihnachtsfest, viele Geschenke und wundervolle Tage im Kreise eurer Lieben. LG Kalea 155 Blut im Schnee Es war noch nicht mal auch nur andeutungsweise hell, als die Jäger schon wieder auf den Beinen waren und sich für einen Tag in Schnee und Kälte ausrüsteten. Sie kochten jede Menge Kaffee, füllten ihre Rucksäcke mit Thermokleidung zum Überziehen, Armeemahlzeiten, die zwar nicht schmeckten aber schnell heiß wurden und den Thermoskannen. Als sich der erste Streifen Helligkeit im Osten gingen sie los. Es dauerte über zwei Stunden, bis sie den knorrigen, vor Jahren umgekippten Baum, den William beschrieben hatte, endlich erreichten. Überhaupt war die Wegbeschreibung des Schamanen sehr genau gewesen und Sam fragte sich zum wiederholten Mal, ob er nicht schon mal hier gewesen war. Zumindest bewunderte er ihn für diese Vision. Seine waren damals nie so genau gewesen. Sie suchten sich einen geschützten Platz in der Nähe des Baumes unter einem überhängenden Gebüsch und richteten sich für eine längere Wartezeit ein. Die Zeit kroch langsamer dahin, als die Kälte in ihre Knochen. Die erste Kanne Kaffee war noch nicht geleert, als Sam schon kurz davor war, vor Kälte zu zittern. Bobby holte gerade Luft und zu fragen, wann sie sich über ihr Mittagessen hermachen wollten, als auf der anderen Seite der Lichtung, fast genau vor ihnen, ein Reh unter den Bäumen hervorsprang. Es kam nicht mehr sehr weit. Hinter ihm kamen zwei Wölfe aus dem Unterholz, die es hetzten. Einer von ihnen sprang auf das Reh. Er erwischte es am Hinterlauf und brachte es zu Fall. Sofort war der zweite, kräftigere Wolf zur Stelle und tötete das Reh mit einem Biss in die Kehle. Er wartete noch eine Weile bis seine Beute aufgehört hatte sich zu bewegen. Erst dann ließ er von seiner Beute ab, gab ein leises Grollen von sich und begann dem Reh den Bauch aufzureißen. Bobby schaute zu Sam und knuffte ihn kurz, als der so gar nicht reagierte. Erschrocken japste der Winchester. Er merkte erst jetzt, dass er die Luft angehalten hatte und atmete tief ein. Er schaute zu Bobby und nickte kurz. Seine Augen schimmerten feucht. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Sofort wandte er sich wieder dem Geschehen auf der kleinen Lichtung zu. Gerade rechtzeitig um zu sehen, wie fünf kleinere Wölfe auf die Lichtung kamen und sich sofort gierig über die Beute hermachten. Tränen liefen über seine Wangen und hinterließen brennende Spuren. William hatte Recht gehabt. Der große Wolf, der der das Reh getötet hatte, war Dean! Ihm war zwar nicht klar, wie Dean so schnell an eine Familie kommen konnte, aber es war eindeutig Dean. Er hatte ihn schon an der Zeichnung seines Gesichts, seines ganzen Fells erkannt, kaum dass der aus dem Gebüsch hervorgeschossen war. Und nur wie um das zu bestätigen, sah Sam durch seinen Feldstecher die grünen Augen seines Bruders durch die schräg einfallende Sonne regelrecht aufleuchten. Er musste hart schlucken. So dicht neben ihm zu sein und ihn doch nicht in die Arme schließen zu können, ihn nicht mal ansprechen zu dürfen, war fast zu viel für ihn. Sam kämpfte wieder mit den Tränen und trotzdem konnte er den Blick nicht abwenden. Einträchtig nebeneinander liegend oder stehend fraßen die Wölfen, bis Dean, gesättigt, mit vollem Bauch zu einem geschützten Platz unter einem überhängenden, von der Sonne beschienenen, Stein trottete. Er ließ sich in den Schnee fallen. Der zweite erwachsene Wolf, die Fähe, folgte ihm. Kaum stand sie neben ihm, rollte er sich auf den Rücken und angelte spielerisch immer wieder nach ihr, doch sie ging nicht auf ihn ein. Sie blickte aufmerksam in die Richtung, in der Sam und Bobby saßen und hob witternd ihren Kopf. Eine Weile blieb sie so hocken, dann stand sie wieder auf und knuffte ihn mit ihrer Nase in die Seite. Er drehte sich erneut auf die Seite und sie begann ihm die, vom Fressen noch blutige, Schnauze zu putzen, bevor sie sich neben ihn legte. Beide ließen sich von der Mittagssonne den Pelz wärmen. Lange hatten sie allerdings keine Ruhe. Schon bald fingen die kleineren Wölfe an sich zu langweilen. Sie jagten sich, kullerten vor den beiden Alten im Schnee und begannen schließlich auf ihnen herumzuklettern. Immer wieder bissen sie ihnen ins Maul oder zerrten an den Schwänzen. Sam hatte noch einmal die Luft angehalten, als er sah, wie Dean zu dem Platz lief, den er sich für ihre Beobachtungen ausgesucht hatte, kaum dass sie hier angekommen waren. Er warf einen kurzen, dankbaren Blick zu Bobby und sah, dass auch der mit den Tränen kämpfte. Er versuchte den Klos in seinem Hals herunter zu schlucken. Es ging nicht. Das war so ungerecht! Das Glück, das Dean in ihrem Leben verwehrt geblieben war, hatte er hier durch einen Fluch, gefunden. Gebannt starrte er auf seinen Bruder. Irgendwann waren es auch die Jungen müde und rollten sich neben den Altwölfen zusammen. Die beiden Jäger wagten kaum sich zu rühren. Sie wollten die Tiere nicht verscheuchen und sie wollten beiden den Schlaf dieser Familie schützen. Nach einem ausgiebigen Verdauungsschlaf trollte sich die Gruppe wieder. Sam warf seinem Freund einen kurzen Blick zu und sie waren sich einig, dass sie dem Rudel folgen würden. Mühsam krochen sie aus ihrem Versteck und streckten die kalten, kribbelnden Glieder. Dann folgten sie der Fährte. Erst ein paar Stunden später, als es schon fast zu dunkel war, um die Fährte sehen zu können, beschlossen sie zu ihrer Hütte zurückzukehren. Sie würden morgen hier weiter machen. Schnell heizten sie den Herd an und fütterten ihn so lange weiter, bis der fast glühte, doch sie wollten, sie mussten die Kälte aus ihren Knochen kriegen, wenn sie nicht in wenigen Tagen erkältet oder mit einer Lungenentzündung aufwachen wollten. Erschöpft ließen sie sich bald darauf auf ihre Schlafplätze fallen. Wortlos vergruben sie sich in den Decken. Sie hatten beide nicht mehr das Bedürfnis zu reden. Die Tage vergingen und wieder saßen Sam und Bobby zu einem kurzen Abendbrot zusammen. Inzwischen hatten sie sich an den Anblick des Rudels, an den Anblick eines glücklichen Wolfes, der einmal Dean Winchester gewesen war, gewöhnt. Es schmerzte nicht mehr so sehr und Bobby stellte gerade seine Tasse ab und sah Sam an. „Ich will morgen nochmal hin. Ich … ich will ihm Auf Wiedersehen sagen“, begann der von sich aus. Bobby nickte. „Ich kann ihn hier nicht wegholen. Er ist glücklich und sicher. Es geht ihm gut und ich denke nicht, dass er das noch wäre, wenn ich ihn mitnehmen würde. Ich könnte ihm nur wieder ein Leben in einem Motelzimmer bieten. Dean fühlt sich hier wohl und hier soll er bleiben. Es muss mir reichen, dass ich weiß, dass es ihm gut geht und ich werde ihn immer wieder mal besuchen“, erklärte der heiser. Wieder nickte Bobby. Er sah die Tränen in Sams Augen und versuchte seine zu unterdrücken. „Sobald wir etwas gefunden haben um den Fluch zu brechen, diesen Phönix oder die Zigeuner, kommen wir wieder her und dann nehmen wir ihn mit.“ „Ich bin mir gerade noch nicht mal sicher, ob ich den Fluch noch brechen will. In was für ein Leben würde ich ihn dann wieder zerren und aus was für einem Leben würde ich ihn rausreißen? Ich meine, ich will meinen Bruder wieder haben, ich will seine dummen Sprüche hören, ich will dass er mich mit seiner Musik nervt, aber er ist hier so viel glücklicher. Ich … Ich muss darüber nachdenken, Bobby.“ Der Ältere nickte wieder. Sie hatten in den letzten sechs Tagen kaum miteinander gesprochen. Sie waren dem Rudel immer weiter gefolgt und hatten einige Plätze gefunden, an denen es Höhlen hatte. Sie hatten sich, soweit es ging, in das Leben des Rudels geschlichen, ohne sie zu stören. Und sie hingen bei ihren Beobachtungen den Erinnerungen an Dean nach. Vor allem Sam hatte davon so viele, so viele traurige, die ihm immer wieder klar machte, wie glücklich Dean hier war. Nein Sam wollte ihn hier nicht rausreißen. Nicht ohne ein Mittel den Fluch sicher zu brechen. Noch bevor der Morgen dämmerte waren die Männer wieder auf den Beinen. Sie hatten beide nicht schlafen können und sich nur vor einer Seite auf die andere gedreht. Jeder hing noch immer seinen traurigen Gedanken nach. Schweigend prüften sie ihre Ausrüstung, füllten Kaffee in die Thermoskannen und setzten sich dann, weil die Sonne immer noch nicht aufgegangen war, an den klapprigen Tisch um zu Frühstücken. „Du musst was essen, Sam.“ „Ich hab keinen Hunger“, sagte der Winchester schob weiter sein Essen über den Teller. „Ich weiß dass es richtig ist Dean hier zu lassen. Hier ist er glücklich, hier kann er leben. Aber warum fühle ich mich dann so, als ob ich ihn im Stich lasse? So als ob ich alles verrate, was uns heilig ist? Ich will meinen Bruder zurück, egal was es kostet. Mein Verstand sagt mir, dass wir das Richtige tun, mein Herz schreit dass wir nichts Schlimmeres tun könnten. Was soll ich denn machen, Bobby?“, Sam zog die Nase hoch. Tränen glänzten in seinen Augen. Der ältere Jäger holte tief Luft, er fühlte sich ähnlich, vielleicht etwas rationeller, vielleicht war seine Vernunft ausgeprägter? Und doch fühlte auch er sich falsch bei der Entscheidung. Und auch er war sich sicher, dass er oft, sehr oft hierher kommen und Dean besuchen würde. Vielleicht konnte er Jody ja mal mitnehmen? Wenigstens hatten sie jede Menge Fotos von dem Wolf und seiner Familie. Auch wenn das nur ein schwacher Trost für den Verlust war. Sie brachen auf, als sich die ersten Schatten bildeten. Bald würde die Sonne aufgehen und sie hätten noch einen Tag um Dean ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen, um ihn mit seiner Familie zu sehen. Sam atmete tief durch. Der Gedanke an Deans Familie, an Dean und seine Familie gab ihm Kraft. Doch er wusste, dass er heute Abend am Boden zerstört sein würde und er wollte nicht darüber nachdenken, wie er die Nacht und die nächsten Tage überleben würde. Nur nicht an morgen denken! Sie stapften durch den verharschten Schnee. Die Sonne stieg täglich höher und taute die oberste Schicht an. Nachts war es immer noch kalt genug, um alles wieder gefrieren zu lassen. „Sam!“, keuchte Bobby erschrocken. Er hatte vor kurzem die Führung übernommen und war gerade auf eine frische Wolfsspur gestoßen, eine Spur, die nicht viel Gutes besagte. Sofort stolperte der Jüngere nach vorn. Erschrocken starrte er auf die Blutstropfen die sich neben der Wolfspur deutlich abzeichneten. Sie starrten sich an: „Hoffentlich…“ keuchte Sam und wagte es nicht, den Gedanken auszusprechen. Und doch schnürte ihm allein der Anblick des Blutes die Kehle zu. Hier war Deans Revier. Gab es hier noch andere Wölfe? Vielleicht war das ein Einzelgänger? Wollte er Deans Familie übernehmen oder bedrohte er sie und Dean hatte ihn vertrieben? „Was meinst du?“, fragte er tonlos. „Ich habe keine Ahnung“, sagte Bobby fast genauso tonlos. „Es ist ihr Revier.“ „Und wenn Dean einen fremden Wolf vertrieben hat?“ „Du willst der Spur folgen?“, fragte Bobby geradeheraus. „Was haben wir zu verlieren? Wenn es ein fremder Wolf ist, dann haben wir einen Tag umsonst hier draußen verbracht. Aber wen stört das? Wir haben keinen Zeitplan. Wir können uns auch morgen von Dean verabschieden“, redete sich Sam in Rage. Er sagte sich zwar immer wieder, dass er sich sicher war das Richtige zu tun, wenn er seinen Bruder hier lassen wollte, aber er war sich nicht mal halb so sicher wie er sich gab und einen Tag länger in seiner Nähe war mit Sicherheit kein Fehler, auch wenn ihn das einen Tag länger von der Suche nach einer Lösung abhielt. Die Tage hier hatten endlich die Kopfschmerzen vertrieben, die ihn schon seit Wochen plagten. Die Zeit hier hatte er genutzt, um seine Gedanken zu sortieren. Er fühlte sich freier, nicht mehr so eingeengt wie in den Wochen davor und ja, er brannte darauf seine Suche nach dem Phönix endlich fortsetzen zu können. Trotzdem wollte er hier nicht weg. Hier war Dean. Hier war seine Familie, auch wenn die ihn so nie akzeptieren würde, weil er ein Mensch war. Nein, ein weiterer Tag hier wäre sicherlich keine Verschwendung. „Du willst nicht weg“, stellte Bobby ruhig fest. „Doch natürlich! Ich will endlich weiter nach einer Lösung suchen“, sprudelte Sam hervor und fühlte sich, wie bei einer Lüge ertappt. „Nein, ja doch, nein ...“, stammelte er. Der alte Jäger legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. „Geht mir genauso“, sagte er ruhig. Sam nickte dankbar. Ein Blick in Bobbys Augen bestätigte ihm seine stumme Bitte. Sie würden die Spur verfolgen und sich morgen von Dean und seiner Familie verabschieden. Sie liefen ein paar Meter vor und zurück, um die richtige Richtung zu finden, dann stapften sie weiter, den Blick auf die Blutstropfen geheftet. Kapitel 156: Hoffen und Bangen ------------------------------ @ Vanilein : Kann Dir nicht versprechen, dass Dean nix passiert. Aber er wird wenn, dann nicht alleine sein. Ich wünsche Dir und allen anderen Lesern einen guten Rutsch in ein gesundes 2016 LG Kalea 156) Hoffen und Bangen Sie folgten der Spur schon eine Weile, als Bobby, der noch immer voran ging, wieder stehen blieb. „Sam?“ Er wies auf eine Stelle vor sich. Der Wolf war gestürzt und wohl auch eine Weile hier liegen geblieben. Der ziemlich großer Blutfleck und die Spuren im Schnee ließen nur diesen Schluss zu. Sam schluckte. Er schaute Bobby in die Augen und konnte seine Befürchtungen auch in dessen Augen lesen. Energisch schüttelte er den Kopf. „Wenn wir ihn finden, sollten wir ihn erlösen. Ich glaube nicht, dass er die Verletzungen überlebt“, sagte Bobby heiser. Sam nickte nur und wusste doch, dass er das vielleicht nicht können würde. Was wenn es Dean wäre? „Dann fahren wir eben übermorgen, mit eine paar weiteren schönen Erinnerungen an Dean und seine Familie und mit ein paar zusätzlichen Fotos nach Hause!“, sprach der Ältere aus, was der Jüngere hoffte. Diese Bilder mussten mit einer glücklichen Wolfsfamilie überschrieben werden! Sie atmeten kurz durch und machte sich wieder auf den Weg, den verletzten Wolf zu finden. Es war fast Mittag als sie ihn sahen. „Nein!“ brüllte Sam und rannte die letzten Meter, so schnell es der verharschte Schnee zuließ, zu dem Fellbündel unter dem Strauch. Er hatte schon von Weiten erkannt, wer da lag. Voller Verzweiflung ließ er sich auf die Knie sinken und streckte seine Hand nach dem Tier aus. Sofort schnappte Dean zu. „Au! Verdammt“, fluchte der Jüngere und riss seine Hand zurück. Deans Zähne hatten tiefe Kratzer hinterlassen. Wieder streckte er seine Hand aus, ging dabei aber viel langsamer vor. Ein drohendes Grollen kam aus Deans Brust. „Ruhig Dean, ganz ruhig. Wir wollen dir helfen“, versuchte er es. Der Wolf stemmte sich in die Höhe, schnappte noch einmal nach Sam und schleppte sich dann ein paar Meter weite,r auf der Suche nach einem sichereren Versteck, in dem er in Ruhe sterben konnte. Sam kam nur wenige Sekunden nach ihm auf die Füße und wollte ihm folgen. Bobby hielt ihn mit einem leichten Kopfschütteln zurück. Dean brach zusammen. Ein schmerzerfülltes Japsen war zu hören, dann sank der Kopf des Wolfes in den Schnee. Reglos blieb er liegen. Sam war augenblicklich wieder bei ihm. Vorsichtig streckte er die Hand nach seinem Bruder aus. Der rührte sich nicht. Er legte seine Hand auf das Fell. Sanft kraulte er hindurch. Hart und flach konnte er Deans Atmung fühlen. Sofort zerrte er sich den Rucksack von den Schultern und begann darin zu wühlen. Bobby trat zu ihm. Er wollte helfen, doch er wusste nicht, was Sam suchte und so begnügte er sich vorerst damit, seinen Blick über das geschundene Tier gleiten zu lassen. 'Erlösen kam hier ja wohl nicht in Frage.’ Erschrocken über seine Gedanken zuckte der Ältere zusammen. Aber wenn er rational darüber nachdachte, wusste er, dass er ohne zu zögern jedes andere Tier von seinen Qualen erlöst hätte. Nur dass dieser Wolf keine Tier anderes Tier war. Er war nicht einmal ein Tier im eigentlichen Sinne. Dieser Wolf war etwas Besonderes. Sam hatte die Decke auf dem Rucksack gezogen und breitete sie auf dem Boden aus. Jetzt wusste Bobby was er tun wollte und sah sich nach ein paar Schösslingen um, die sie als Tragestangen nutzen konnten. So vorsichtig wie nur möglich bugsierten sie den Wolf auf die Decke, befestigten die an den Stangen und schulterten sie. Sie atmeten noch einmal durch und machten sich auf den Weg zurück zur Hütte. Die Suche nach dem verletzten Tier hatte sie fast zu ihrem Ausgangspunkt zurück geführt, so waren sie Gott sein Dank nicht mehr allzu weit davon entfernt. So schnell es nur ging kämpften sie sich durch den kniehohen Schnee und doch schien es eine Ewigkeit zu dauern bis sie wieder da waren. Sam lief voran, damit wenigstens Bobby, der auf dem Hinweg fast ausschließlich geführt hatte, es etwas leichter hatte. Endlich waren sie an der Hütte angekommen. Hastig räumte Sam den Tisch frei, damit sie den Wolf darauf legen konnten. Es machte ihnen beiden Angst, dass der sich bisher hatte weder gerührt noch einen Laut von sich gegeben hatte. Lebte er überhaupt noch? Doch als Bobby das Fell etwas zur Seite schob, um sich die Wunden ansehen zu können, grollte Dean drohend und versuchte zu beißen, sobald er diesen auch nur nahe kam. Immer wieder kam er hoch und mehr als einmal fasste er auch wirklich zu. Aber gleich darauf sank er wieder kraftlos auf den Tisch und winselte leise. Auch Sams Versuche ihn zu halten oder wenigstens zu beruhigen, brachten nicht viel. Inzwischen blutete die aufgerissene Flanke wieder heftiger. Bobby knurrte ebenfalls wütend. Wenn das so weiter ging, würde er ihm nie helfen können! Er schaute sich kurz um und machte dann aus einem Strick einen einfachen, aber effektiven Maulkorb, den er dem Wolf überstülpte. Dean versuchte natürlich sofort sich zu befreien. Mit drei weiteren schnellen Handgriffen hatte Bobby ihm auch noch die Pfoten zusammengebunden. Jetzt lag der Wolf vollkommen wehrlos auf den Tisch. Ein Anblick, der nicht nur Sam die Tränen in die Augen trieb. Ein leises Winseln stahl sich aus Deans Kehle, dann ließ er sich einfach fallen. Die grünen Augen fielen zu und er entspannte sich. Sam hatte in der Zwischenzeit jedes Stück Stoff, das sie entbehren konnten, angefeuchtet, damit sie die auf die Wunde legen konnten, um Blut und Schmutz aufzuweichen. So behutsam wie es nur ging wusch Bobby die Wunde aus. Dean versuchte wieder sich zu befreien, er gebärdete sich wie wahnsinnig, strampelte und knurrte wütend. Immer wieder versuchte er sich aufzurichten, wurde aber von den Stricken effektiv daran gehindert. Sam hatte seine Hände in dem dichten Fell vergraben und war genauso entschlossen wie der sich zu befreien, jedem dieser Befreiungsversuche entgegen zu wirken und seinen Bruder zu beruhigen. Beide hatten mit ihren Bemühungen nur mäßigen, eher aber gar keinen Erfolg. Zu guter Letzt sank Dean einfach nur erschöpft auf den Tisch. Er war am Ende seiner Kräfte. Sam kraulte ihn beruhigend zwischen den Ohren und streichelte immer wieder über dessen Hals und Schulter und murmelte sinnlose, beruhigende Worte in das Wolfsohr. Endlich warf Bobby auch den letzten Lappen zur Seite und blickte besorgt zu Sam. „Ich hab getan was ich konnte, aber ich befürchte die Wunden haben sich schon entzündet. Da ist so viel Fell und Dreck darin. Ich hoffe er schafft es“, fügte er noch leiser hinzu. Die Augen des Jüngeren füllten sich schon wieder mit Tränen. Gemeinsam trugen sie Dean auf Sams Liege. Die war näher am Ofen. Dann deckten sie die Wunde mit Mull ab und lösten die Fesseln. Sam setzte sich zu seinem Bruder. Er nahm dessen Kopf auf seinen Schoß und streichelte ihn weiter beruhigend, wie er hoffte. Dean war zu schwach um sich zu wehren. Jetzt hieß es warten, hoffen und beten. Deans Zustand verschlechterte sich zusehends. Die Jäger versuchten abwechselnd dem Wolf Wasser einzuflößen und wickelten ihn immer wieder in feuchte Tücher, sein Fell triefte förmlich, um das Fieber zu senken, von dem Sam sich noch nicht mal Gedanken darüber gemacht hatte, dass auch Tiere welches bekommen konnten. Die ganze Zeit wich er nicht von Deans Seite. Seine Hände hatte er in dessen Fell vergraben, hatte sich regelrecht in den Wolfspelz gekrallt und er war dankbar, für jeden Herzschlag, den er fühlte, für jedes krampfhafte Luftholen, das den Brustkorb unter seinen Händen leicht anhob, aber er spürte auch wie Herzschlag und Atmung immer schwächer wurden und er spürte die Hitze, die von dem Körper ausging. Sie hatten die Wunden noch zwei Mal gespült. Dean hatte zwar die ganze Zeit leise schmerzerfüllt gewinselt aber keinen Versuch mehr unternommen sich zu wehren. Eine halbe Ewigkeit hatte Sam und Bobby diskutiert, ob sie ihn vielleicht in eine Tierklinik bringen sollten, sich jedoch dagegen entschieden. Erstens war die nächste meilenweit entfernt und zumindest das erste Stück führte über eine sehr holprige Piste und selbst wenn sie diese Klinik mit einem lebenden Dean erreicht hätten, was wäre dann mit ihm geschehen? Hätten sie ihn wieder in Freiheit entlassen oder müsste er den Rest seines Lebens in einem Zoo fristen, hinter Gittern, begafft von Menschen, die keine Ahnung hatte wer er war und wie sehr Dean seine Freiheit geliebt hatte? Nein! Sie hatten sich gegen diesen Möglichkeit entschieden, immer in der Hoffnung, dass er es so schaffte. Doch als der Morgen graute hatten sie den Kampf verloren. Deans Herz hörte einfach auf zu schlagen. Sam brach weinend zusammen. Er rutschte von der Liege und sackte daneben zu Boden. Er umfasste seine Knie mit den Armen, legte den Kopf darauf und ließ seiner Trauer freien Lauf. Sie hatten gekämpft, sie hatten den Höllenhund überlebt und jetzt hatte ein Fluch sie getrennt und Dean das Leben gekostet. Auch wenn er die letzten Monate wohl glücklich gewesen war. Unschlüssig stand Bobby daneben. Auch er kämpfte mit den Tränen. Ein dicker Kloß schnürte ihm den Hals zu. Was sollte, was würde jetzt werden? Wie würde Sam das verkraften? Er zog die Decke komplett über den Wolfskörper und ging, nur um irgendetwas zu tun zu haben, zum Herd. Er kochte Kaffee und reichte Sam eine Tasse, mit wenig Milch aber viel Whiskey. Der nahm sie an, trank einen Schluck und war für einen Augenblick durch das Brennen in seiner Kehle von seiner Trauer abgelenkt. Mit tränennassen Augen schaute er zu dem Älteren. Die unausgesprochene Frage: ‚Wie sollte es jetzt weitergehen?’ stand auch in seinen Augen. Bobby schüttelte nur den Kopf, immer noch unfähig zu sprechen und Sam wurde von einer neuen Welle der Trauer überschwemmt. Bobby starrte auf die Liege. ‚Und jetzt?’ Die Dunkelheit schien sie verschlingen wollen. Die Welt erstarrte in Kälte. Plötzlich bewegte sich etwas unter der Decke. „Sam!“, keuchte der Ältere erschrocken. Sofort schaute der auf und folgte Bobbys erschrockenem Blick. ‚Hier stimmte etwas nicht!’ Er riss die Decke von der Liege. DEAN! Er lag noch genauso auf der Seite wie er als Wolf gestorben war. Aber jetzt … Für einen Augenblick war Sam unfähig zu denken, unfähig auch nur zu verarbeiten, was seine Augen sahen. Dean, sein Bruder, sein Wolf, Dean war wieder ein Mensch. Jetzt, im Tod hatte er wieder seinen menschlichen Körper. ‚NEIN!’, schoss es durch Sams Kopf. ‚NEIN! Du bist nicht als Wolf gestorben nur um jetzt als Mensch beerdigt zu werden. Vergiss es!’ Er zerrte seinen toten Bruder rücksichtslos von der Liege auf den Boden und drehte ihn auf den Rücken. Augenblicklich begann er mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. Zwanzig Mal Herzdruckmassage, ein Mal Luft in seine leeren Lungen pumpen. Wieder und wieder und wieder. Nichts geschah. „Sam!“ Sam lief der Schweiß in die Augen. Er blinzelte. „Sam!“ Der Winchester reagierte nicht. Bobby war sich nicht mal sicher, ob er ihn überhaupt hörte. „Sam!“, jetzt legte er ihm die Hand auf die Schulter und der erstarrte. „Lass es gut sein“, sagte er leise. Der Jüngere starrte Bobby wütend an und machte gleich darauf unbeirrt weiter. „Du … wirst … hier … jetzt … nicht“, Sam holte tief Luft und presste sie in Deans Lungen, „sterben!“ „Komm … schon … Dean … los … ATME“, wieder zwang er Luft in die Lungen. Nichts passierte. Sam spürte, wie die Verzweiflung sich in ihm breit machte. „Sam, bitte, lass ihn. Lass es gut sein“, bat Bobby leise und kaute auf seiner Lippe. Sam sah ihn verzweifelt an, dann nickte er. Bobby musste sich umdrehen. Tränen liefen über seine Wangen. Ein dicker Klos steckte in seinem Hals. Der Winchester ließ sich neben dem toten Körper seines Bruders auf den Boden fallen. „Aber ich…“ stammelte er. Wut flackerte in seinen Augen. Er stemmte er sich wieder in die Höhe. „Verdammt Dean. Komm zurück!“ Mit seiner ganzen Kraft knallte er seine Fäuste auf Deans Brustbein. „Du kannst mich jetzt nicht einfach so alleine lassen!“ wieder schlug Sam mit voller Wucht zu. Der Körper unter ihm bäumte sich auf. Gierig versuchte er Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Sam wollte gerade ein drittes Mal zuschlagen. Ungläubig bremste er ab und ließ sich auf seinen Hintern fallen. Kapitel 157: Tiefschläge wohin man schaut ----------------------------------------- 157) Tiefschläge wohin man schaut „Bobby“ keuchte Sam fast tonlos. Der Jäger drehte sich um und riss seine Augen weit auf. Sam rutschte an seinen Bruder heran und zog ihn in seine Arme. „Dean!“ Fest drückte er ihn an seine Brust. Immer wieder strich er ihm über den Rücken, wuschelte ihm durchs Haar. Dean hielt die Augen geschlossen und versuchte einfach zu atmen. Fast sofort begann er zu zittern. „Oh mein Gott, Dean“, Sam hob seinen Bruder auf die Liege. Während Bobby sich wieder um die Verletzungen kümmerte, kramte Sam nach ein paar Sachen für ihn. Kaum trat Bobby zurück, begann Sam ihn anzuziehen und wickelte ihn in wärmende Decken. Er strich ihm immer wieder über den Arm, bis Bobby ihm die Hand auf die Schulter legte. „Lass ihm Zeit“, sagte er leise und hielt ihm einen Kaffee hin. Sam nickte unentschlossen, griff aber nach der Tasse und setzte sich mit dem Freund an den Tisch. „Was jetzt?“, fragte Sam nachdem er einen Schluck genommen hatte und Beide ihre Blicke nicht von dem Gesicht des älteren Winchester wenden konnten. Soweit hatte er nicht gedacht. „Ich fahre gleich los und besorge noch ein paar Lebensmittel. Unser Vorrat ist fast erschöpft. Du solltest noch Holz hacken und dann sehen wir zu, dass wir ihn gesund bekommen.“ „Und der Fluch ist vorbei?“ „Ich weiß es nicht“, schüttelte Bobby den Kopf. „Er hat sich wieder in einen Menschen verwandelt. Hoffen wir es.“ Bobby schickte noch ein Stoßgebet gen Himmel als Sam nickte. In den nächsten zwei Wochen kämpften sie gegen das Fieber, dagegen, dass Dean weder austrocknete noch verhungerte. Sie fütterten ihn mit Kartoffelbrei, Gemüse und Geflügelfleisch und gaben ihm bitteren Kräutersud zu trinken, dessen Rezeptur sich Bobby vor einer gefühlten Ewigkeit von Ruby hatte geben lassen. Wieder einmal kletterte Sam hinter seinen Bruder. Er lehnte sich an die Wand, legte sich Dean auf die Brust und stopfte ein Handtuch als Latz um seinen Hals. Vorsichtig schob er ihm Löffel um Löffel Kartoffelbrei mit zerpflücktem Hühnchen in den Mund. Nicht immer traf Sam Deans Futterluke genau. Plötzlich hob der die Hand und wischte sich mit der Daumenwurzel übers Gesicht. Gleich danach hielt er sie vor den Mund und schleckte sie sauber, nur um seine Putzaktion dann gleich bei dem Rest seines Gesichtes fortzuführen. „Dean?“, Sam war schockiert. Er drehte das Gesicht seines Bruders zu sich. Der hatte die Augen immer noch geschlossen und winselte leise protestierend. Sam ignorierte das eben Geschehene und fütterte Dean zu Ende, danach wickelte er den glühenden Körper wieder in die Decken. In dieser ganzen Zeit war Dean nicht wirklich zu Bewusstsein gekommen. Viel zu fest hatte das Fieber ihn in seinen Klauen. Aber er schien zu träumen. Die knurrenden oder fiependen Laute, die er dabei von sich gab, ignorierte Sam genauso wie die Laufbewegungen, die sein Bruder dabei mit Armen und Beinen machte, als sei er noch immer ein Vierbeiner. ‚Er war einfach viel zu lange Wolf gewesen’, überlegte er, und er hatte ja auch noch nicht wirklich Zeit gehabt seine Rückverwandlung zu bemerken. Nein! Dean war wieder sein Dean. Sein großer Bruder Dean. Und wenn das Fieber vorbei wäre und sich seine Wunden geschlossen hätten, dann würde er anfangen zu quengeln, wann er aufstehen durfte und kaum das er das endlich konnte würde er darauf brennen zu Bobby zu fahren und sich sein Baby genauer anschauen zu dürfen.' Sie würden sich bei Bobby ausruhen und überlegen, wie es in ihrem Leben weitergehen sollte. Rigoros hielt sich Sam an dem Gedanken fest. Seit über einem Tag schlief Dean jetzt schon ruhig. Sam saß ausgelaugt auf einem der Schemel am Tisch und hielt sich an seiner Kaffeetasse fest. Müde rieb er sich immer wieder über die Augen. Bobby war Holz holen. So langsam sollten sie hier wieder verschwinden. Er wunderte sich eh schon, dass noch niemand aufgetaucht war um nachzuschauen, was sie hier so lange machten. Auf der anderen Seite: Vielleicht oder eher wahrscheinlich stiegen hier öfter ein paar Städter für eine Weile aus und genossen das karge Leben, um dann wieder voller Elan in ihre langweiligen Jobs zu gehen und sich immer wieder zu sagen, wie gut sie es doch da hatten? Erschrocken riss Sam seinen Kaffee wieder in die Höhe. Die braune Flüssigkeit schwappte über seinen Arm. Er war im Sitzen eingeschlafen! Mit leisem Fluchen stellte er die Tasse auf den Tisch und leckte sich den Kaffee von der Hand. Sein Blick fiel auf die Liege, auf der Dean noch immer bewegungslos lag, dachte er. Aber sein Bruder war wach und schaute ihn mit noch leicht fiebrig glänzenden Augen an. „Dean!“ rief Sam. Der zuckte zusammen. „Dean!“, rief Sam noch einmal. Kein Erkennen trat in Deans Augen. Der Jüngere stand auf, seinen Bruder rutschte etwas weiter an die Wand hinter ihm. Zweibeiner bedeuteten nie etwas Gutes! Sam machte einen Schritt auf Dean zu. Der presste sich an die Wand. Ein weiterer Schritt von Sam und aus Dean Kehle kam ein drohendes Grollen. Sam zog erschrocken die Luft ein. Sein Bruder reagierte genauso wie an dem Tag an dem er nach dem Fluch zu ersten Mal als Wolf aufgewacht war. Und wie damals wollte er sich nicht einschüchtern lassen. Es war noch immer Dean, sein Bruder. Er machte noch einen Schritt auf Dean zu. Das Grollen wurde laut und drohend. Sam hockte sich vor die Liege. „Dean bitte. Ich bin's, Sam. Dein Bruder. Du bist kein Wolf mehr. Hör auf damit, okay?“, erklärte er so ruhig wie möglich und streckte seine Hand aus. Dean rollte sich auf den Bauch, die Arme rechts und links neben seinen Schultern und sein Körper spannte sich. Sam streckte seinen Arm langsam weiter aus. Er wollte seine Hand auf Deans Schulter legen. Kaum berührte er sie, fuhr Dean herum und schnappte zu. „Au verdammt! Dean, du bist kein Wolf mehr, hör auf mit der Scheiße!“, fluchte er laut und rieb sich den Arm. Was war nur mit ihm? So langsam sollte er doch merken, dass er kein Wolf war, oder? Sein Bruder grollte weiter drohend. Die Tür wurde aufgestoßen und Bobby kam mit einem Arm voller Holz herein. Hinter der Tür, hinter dem Menschen war die Freiheit, die er wollte. Sie rief ihn. Sie lockte ihn. Hinter dem Menschen gab es den Weg zurück zu seiner Familie. Er sprang auf und verhedderte sich in den Decken. Hektisch strampelte er sich frei und sprintete los. Sam wollte ihn halten, doch er griff daneben. Dean rammte Bobby mit seiner Schulter, eher aus Versehen, die Tür war einfach nicht breit genug für zwei Menschen, und brachte ihn zu Fall. Die Scheite polterten zu Boden. Ihm war es egal. Er war draußen. Er war frei. Sam sprang über das Chaos aus Holz und Bobby und hetzte seinem Bruder hinterher. Gott sei Dank wurde der von seiner Verletzung noch soweit behindert, dass Sam den winzigen Tick schneller war und ihn erreichte. Er warf sich auf ihn und brachte Dean zu Fall. Sofort wandte der sich, ganz Wildtier, dass er bis vor Kurzem noch gewesen war, gegen den Jüngeren und biss zu. Er verbiss sich regelrecht in Sams Unterarm. Dem jüngeren Winchester traten vor Schmerz die Tränen in die Augen, doch er zwang sich, nicht loszulassen. Er presste sich mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Bruder und versuchte ihn am Boden zu halten. Dean kämpfte wie besessen um seine Freiheit. Er trat um sich und kratzte und jaulte vor Schmerzen als Sam mit dem Ellenbogen gegen seine verletzte Seite stieß. Endlich war Bobby auch da und fasste fest mit zu. Wieder jaulte Dean vor Schmerzen, denn Bobby hatte seine Hand fest auf die Verletzung gedrückt. Allmählich erlahmte Deans Widerstand. Sie hoben ihn hoch und trugen ihn zurück in die Hütte. Bobby presste die inzwischen wieder blutende Wunde fest gegen seine Hüfte. Es tat ihm in der Seele weh, dem Jungen noch mehr Schmerzen bereitet zu haben, aber so konnte er wenigstens gewährleisten, dass er sich nicht doch noch aus ihren Händen wand. Das Jaulen ging in ein leises Winseln über und der Widerstand erstarb gänzlich. Schlaff hing Dean in ihren Armen. Sie legten ihn auf die Liege und sofort begann der alte Jäger sich um die Verletzung zu kümmern. „Holst du mir ein paar feuchte Lappen, Sam?“, fragte er. Der Jüngere nickte und ging zur Wasserkanne. Dean witterte seine Chance. Blitzschnell fuhr er herum und bohrte seine Zähne in Bobbys Unterarm. Der Jäger keuchte erschrocken auf. Reflexartig schlug er zu. Dean japste. Seine Zähne hinterließen blutige Striemen auf dem Arm als der ihn wegdrückte. Der Halbwolf schüttelte sich kurz, bevor er aufsprang. Nur weg hier. Er kam nicht weit. Sofort warf sich Sam wieder auf ihn. Und wieder entbrannte ein Kampf, den die Jäger gegen einen, noch immer geschwächten, Dean klar gewannen. Sam grinste für einen Augenblick, als er Bobbys blutenden Arm sah. Da hatte er ja noch richtig Glück gehabt. Bei ihm hatten Deans Zähne nur Kratzer und wahrscheinlich blaue Flecken hinterlassen. Schlagartig wurde er jedoch wieder ernst und Tränen begannen seine Sicht zu verschleiern. Er blinzelte sie weg. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was das für sie bedeutete. Bobby ignorierte seine Wunden ebenfalls. Er erhob sich und holte ein paar Stricke, die er um Deans Handgelenke und danach um seine Knöchel schlang. Sam hockte sich hinter seinen Bruder und überdehnte ihm mit aller Kraft den Rücken, nicht dass er nochmal zubiss, bevor sie sich daran machten, ihn erneut zu versorgen. Dean ließ das alles stumm, aber mit gefletschten Zähnen, über sich ergehen. Endlich waren sie fertig und hoben ihn wieder auf die Liege. Hände und Füße ließen sie gefesselt. Sam goss Kaffee in zwei Tassen und ließ sich dann neben Bobby auf den anderen Schemel fallen. Der alte Jäger reinigte gerade seine Bisswunden, um sie gleich verbinden zu können. „Brauchst du Hilfe?“, fragte er leise und deutete auf dessen Arm. „Nein, aber du solltest dich um deine Verletzungen kümmern.“ Sam nickte nur. Das würde er schon noch tun. „Was jetzt Bobby?“, fragte er stattdessen traurig. „Er benimmt sich genauso wie ein wilder Wolf, nur dass er jetzt vom Aussehen her ein Mensch ist. Was soll ich denn machen? Ich kann ihn doch so nicht mitnehmen. Soll ich ihn in eine Klapsmühle abschieben? Die pumpen ihn mit irgendwelchem Zeug voll und binden ihn ans Bett. Das ist kein Leben für ihn. Dann hätte er besser sterben sollen. Und bei dir können wir ihn auch nicht unterbringen. Er würde weglaufen wollen, oder soll er im Panikkeller hausen bis er irgendwann eingeht?“ Bobby starrte in seine Tasse und schüttelte den Kopf. „Wenn er wenigstens auch äußerlich noch ein Wolf wäre, dann könnten wir ihn laufen lassen. Er war hier glücklich! Aber jetzt…“ Sam liefen die Tränen über die Wangen und starrte auf seinen Bruder. Der winselte immer wieder leise und mühte sich die Stricke an seinen Handgelenken zu zernagen. Bobby starrte ebenfalls auf den Verletzten. Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet und ließ seine Stimme kratzig klingen, als er aufstand und sagte: „Ich fahr mal los Lebensmittel holen. Vielleicht finde ich auch ein paar Medikamente. Außerdem müssen wir unser Verbandszeug aufstocken. Vielleicht fällt mir ja auch was zu ihm ein.“ „Was willst du holen?“, fragte Sam alarmiert. „Etwas zur Beruhigung. So ist er eine Last für sich und uns und vielleicht haben wir Glück und er gewöhnt sich doch noch an uns.“ „Hast du Hoffnung?“ „Wenig bis gar nicht, aber wir müssen es versuchen. Außerdem wollte ich endlich mal wieder mit Jody reden, bevor sie sich noch richtig Sorgen macht.“ „Sag ihr einen lieben Gruß von mir“, bat Sam und lächelte gequält. Wann immer sie aus ihrem Funkloch herauskamen, hatte Bobby sie angerufen. Nur zur Beruhigung, wie er immer betonte. „Sie ist nur eine gute Freundin“, wiegelte der Ältere auch sofort ab. „Klar. Grüße sie trotzdem.“ Bobby nickte. Er räumte das Verbandszeug weg und nahm seine Jacke vom Haken. Kapitel 158: Ein Hoffnungsschimmer ---------------------------------- 158) Ein Hoffnungsschimmer Als Sam den Wagen wegfahren hörte, stand er auf und ging zu Dean. Er setzte sich neben ihn auf den Boden. Sein Bruder hielt in seinem Tun inne und knurrte drohend. Doch da der Mensch weder wieder ging noch Anstalten machte, sich ihm weiter zu nähern stellte er das Knurren bald wieder ein und widmete seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Zernagen seiner Fesseln. Sam beobachtet ihn dabei und ließ seinen Blick über den nackten Oberkörper gleiten. Sie hatte ihm das T-Shirt zerschnitten, es war eh eingerissen und so mit Blut getränkt gewesen, dass es nicht mehr zu retten war, und mit den gefesselten Händen konnten sie ihm kein Neues anziehen. Er war froh, dass Dean vom Fieber immer noch so sehr geschwächt war, im Vollbesitz seiner Kräfte wäre er wahrscheinlich nicht zu fassen gewesen. Er hatte Haken geschlagen wie ein Hase und war in den drei Monaten noch drahtiger geworden, knochiger, sehniger. Kein Gramm Fett zu viel konnte er an seinem Bruder feststellen. Die gesunde Ernährung und das Leben eines Raubtieres schien ihm richtig gut bekommen zu sein. Dean blaffte frustriert und schnüffelte an den Stricken, um dann sein Glück an einer anderen Stelle zu versuchen. Sam hatte er so aus seinen Überlegungen gerissen. „Lass es Dean. Du wirst dich nur noch mehr verletzen“, erklärte er ruhig. Der Halbwolf schaute ihn aus klugen Augen an, aus klugen Wolfsaugen. Kein Verstehen war darin zu lesen. Sam schnürte es die Kehle ab. Er hatte alles falsch gemacht! „Hätte ich dich besser sterben lassen sollen? Du warst glücklich hier. Dein halbes Leben bestand aus Schmerz, dein Tod sollte nicht auch noch aus Schmerzen bestehen. Ich hab dich so vermisst und als du wieder zum Menschen geworden bist hatte ich die irrsinnige Hoffnung, ich könnte meinen Bruder zurück bekommen. Ich wollte dich so wie du vor diesem verdammten Fluch warst. Ich wollte nichts mehr, als dich zurück. Ich … ich musste diese Chance ergreifen. Aber ich wollte nicht, dass du ein Halbwesen wirst, das du das Halbwesen wirst, das du jetzt bist. Was soll ich nur tun Dean?“ Der ließ ein leises Fiepen hören. Er hatte aufgehört an seinen Fesseln zu nagen und Sam während seines Monologs aufmerksam gemustert. Jetzt legte er den Kopf schief und schüttelte sich. Sam hob seine Hand und bewegte sie vorsichtig in Richtung Dean. Die grünen Augen verfolgten sie dabei misstrauisch, aber er grollte nicht. Also fuhr Sam in seiner Bewegung fort. Er legte die Hand in Deans Nacken und begann ihn vorsichtig zu kraulen. Der Halbwolf ließ seinen Kopf auf die eben noch benagten Handgelenke fallen und schloss seine Augen zu schmalen Schlitzen. Der Jüngere fuhr in seinem Tun fort und da kein Protest kam, weitete er die Streicheleinheiten immer weiter aus. Bald strich er Dean über Kopf, Hals und Schulter und verdrängte den Gedanken, wie das wohl aussehen musste. 'Ob sein Bruder wusste, dass sie verwandt waren, ob er es spüren konnte?' fragte sich Sam plötzlich. Aber wenn, warum hatte er dann vorhin noch gebissen und sich wie ein tollwütiges Tier gebärdet? Warum war er dann damals weggelaufen? Nein. Das war wohl eher Wunschdenken als Realität! Eine halbe Ewigkeit saßen die Brüder einträchtig nebeneinander, doch dann hob Dean plötzlich den Kopf und begann wieder drohend zu knurren, seinen Blick unverwandt auf die Tür gerichtet. Sein Bruder runzelte die Stirn. ‚Was hatte er?’ Wenig später hörte auch er Bobbys Wagen und gleich darauf die Schritte. Bobby trat zur Tür herein. Sam sah zu Dean. Sein Gehör musste auch als Mensch noch hervorragend sein, oder war Dean wirklich nur von der Gestalt her ein Mensch? „Ruhig Dean, es ist Bobby. Er hat dich verbunden und dich gepflegt. Ohne ihn würdest du nicht mehr leben“, versuchte Sam ihm zu beruhigen. Er hatte nur mäßigen Erfolg. Kurzentschlossen kletterte er auf die Liege, zog Dean auf seinen Schoß und wartete jeden Augenblick auf einen Biss von ihm. Doch nichts dergleichen geschah. Scheinbar hatte Dean entschieden, dass es mit Sam auszuhalten war, oder er hatte sich daran erinnert, dass der ihn gefüttert hatte, jedenfalls schien er nur noch in Bobby einen Feind uu sehen, doch er beruhigte sich sogar noch etwas mehr, als Sam begann ihm weiterhin den Nacken zu kraulen. Der Jäger reichte Sam eine Flasche. Er hatte irgendetwas darin aufgelöst. „Was ist das?“, wollte der Jüngere leise wissen. „Beruhigungsmittel. Wir können nicht riskieren, dass er nochmal versucht wegzulaufen. Abgesehen davon, dass er noch nicht stark genug dafür ist, wie sollte er hier überleben? Er ist kein Wolf aber ein Mensch ist er auch nicht und selbst wenn er zu seiner Familie läuft. Sie würden ihn nicht erkennen. Wenn er Glück hat beißen sie ihn tot bevor er elendig verhungert oder erfriert. Obwohl ich das Letztere als seine sicherste Todesursache annehmen würde, wenn er hier, so wie er ist, verschwindet.“ Sam nickte traurig. Vorsichtig drückte er Deans Kopf gegen seine Brust und hielt ihm die Flasche an die Lippen. Dean schnüffelte an der Flasche und schnaubte ungehalten. Wieder schüttelte er sich. „Bitte Dean, trink das. Es wir dir gegen die Schmerzen helfen und du kannst besser schlafen“, versuchte Sam ihm zu beruhigen. Wieder sah er sich diesem erschreckenderweise wissenden Blick ausgesetzt. Erneut schnupperte Dean an der Flasche, dann stupste er sie mit seiner Nase an und schaute wieder zu Sam. Der bekam große Augen. 'Was passierte hier?' Langsam schüttete er ihm die Flüssigkeit in den Mund. Dean trank. Sam legte die leere Flasche weg und kraulte und streichelte seinen Bruder so lange, bis der sich entspannte. Vorsichtig schob er sich unter ihm hervor und stand auf. Eine ganze Weile musterte er seinen Bruder. Wieder musste er hart schlucken. Die leuchtend grünen Augen waren zu schmalen trüben Schlitzen geworden. ‚Das war so gar nichts. Nicht der Wolf und nicht Dean. Hoffentlich endet das bald’, wünschte er sich sehnlichst. „Ich überlege die ganze Zeit, wie wir diese Situation lösen können“, begann Sam unschlüssig. „So ist es kein Leben. Weder für ihn noch für uns. Einen Phönix haben wir nicht. Aber vielleicht könnten andere Zigeuner helfen. Vielleicht könnten die wieder einen echten Wolf aus ihm machen. Ich meine, ich hab die Suche nach ihnen zwar eher vernachlässigt, weil mir war die Suche nach einem Phönix wichtiger, und soweit ich weiß, hat Nick die zwei Alten auch noch nicht gefunden, aber“, versuchte er zu erklären und ließ die Schultern hängen. „Ich glaube einfach nicht daran, dass sie, oder andere Zigeuner, ihn wieder zu einem Menschen machen können. Ich glaube nicht, dass einer von denen uns helfen will.“ Resigniert blickte Sam zu seinem Bruder. „Ich weiß nicht. Ich habe meine Fühler mal ausgestreckt und andere Jäger gefragt. Einer von ihnen kennt einige Zigeuner. Der hat sich bei denen umgehört. Es gibt nur noch diese Zwei, die sich auf das alte magische Wissen verstehen. Er hat bestätigt, dass sie aus einem uralten Geschlecht stammen, allerdings haben die einen sehr speziellen Ruf in ihrer Volksgruppe. Keiner will denen in die Quere kommen. Keiner wird sich gegen die stellen. Sie haben alle Angst vor ihnen.“ „Seit wann weißt du das?“ „Ich habe es ein paar Tage vor deinem Anruf erfahren und wollte selbst noch etwas genauer recherchieren, bevor ich dir diese schlechte Nachricht überbringe.“ Sam nickte. Schlechte Nachrichten hatte es in den letzten Wochen am laufenden Band gegeben. Da konnte er auf eine mehr wirklich verzichten, immerhin hatte er Bobby auch nicht von jedem Fehlschlag erzählt. „Vielleicht sollten wir mal bei einigen Indianern nachfragen. In ihren Mythologien steht der Wolf sehr weit oben, oft ist er auch ein Bruder der Menschen. Vielleicht können sie helfen.“ „Indianer?“ Sofort drängte sich ein Name in Sams Bewusstsein. Wieso hatte er da nicht schon früher dran gedacht. Er war so ein Idiot. „Ich such mir mal ein funktionierendes Netz und ruf einen Freund an. Vielleicht kann er helfen“, platzte er hervor und war, kaum dass er den Satz beendet hatte, auch schon zur Tür heraus, einen vollkommen verwirrten Bobby zurücklassend. Die Hektik, die Sam verbreitete und das Zuschlagen der Tür ließen Dean wieder aufwachen. Irritiert schaute er sich in dem Raum um. Wo war der Mensch, der ihn gefüttert hatte? Da war nur der Andere! Wütend knurren versuchte er sich von seinen Fesseln zu befreien. Sam fuhr ein paar Meilen, bis er einen höhergelegenen Punkt erreichte und sein Handy wieder Empfang bestätigte. Sofort hielt er an und wählte die Nummer von William. Es klingelte ein paar Mal, bevor sich der Schamane meldete. Sam dankte ihm für den Hinweis und erzählte ihm dann die ganzen traurige Geschichte. Er berichtete wie Dean verflucht worden war und das er der Wolf mit den grünen Augen war. Er erzählte davon, wie sie ihn gefunden hatten, dass er eine Familie gefunden und glücklich gewesen war und dass sie ihn Tage später schwer verletzt gefunden und mitgenommen hatten. Zum Schluss berichtete er leise davon, dass sie ihm nicht helfen konnten und was passiert war, nachdem Dean gestorben war und umriss mit kurzen Worten in was für einem Dilemma sie sich jetzt befanden. Die ganze Zeit hatte der Schamane ihm schweigend zugehört. „Ich weiß nicht, ob ich euch helfen kann, aber ich werde versuchen mit unseren Geistern zu reden. Kommt her und wir sehen weiter“, sagte er nach einer langen Pause, kurz bevor Sam nachfragen konnte, ob er überhaupt noch dran war. So ein Fall war ihm noch nicht untergekommen und er wusste nicht, ob die Geister überhaupt darauf antworten würden. Aber es waren Sam und Dean Winchester. Die beiden hatten ihre Kinder gerettet und Amaruq seine Freiheit wiedergegeben. Das war schon mehr als genug, um ihnen alle Hilfe anzubieten, die sie geben konnten. „Wir kommen.“, sagte Sam erleichtert, „wir fahren morgen früh los, dann können wir übermorgen Abend da sein. Hoffentlich halten die Beruhigungsmittel ihn so lange ruhig.“ „Beruhigungsmittel? Das könnte zu einem Problem werden. Bitte gib ihm spätestens übermorgen nichts mehr. Sein Geist muss klar sein, wenn wir versuchen ihn zurück zu holen.“ „Okay“, antwortete Sam schweren Herzens, „Danke!“, fügte er noch hinzu bevor er auflegte. Die Erleichterung überrannte ihn regelrecht. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand eine schwere Last von den Schultern genommen und gleichzeitig schämte er sich, dass er nicht selbst auf die Idee gekommen war. Dean hätte vielleicht schon vor Monaten wieder ein Mensch werden können. Er legte die Arme über das Lenkrad, bettet seine Stirn darauf und ließ seine Tränen freien Lauf. Lange Zeit schaffte er es nicht sich zu beruhigen. Doch irgendwann versiegten die Tränen. Er wischte sich die Nase am Ärmel ab und versuchte die Tränen halbwegs zu trocknen, bevor er den Wagen startete und zurückfuhr. Mit wenigen Worten berichtete er Bobby von der neuesten Entwicklung. „Morgen früh fahren wir los. Ich weiß zwar nicht wie sie uns helfen werden, aber alles ist besser als ihn hier weiter unter Drogen zu halten.“ Bobby nickte. Unbewusst rieb er sich seinen Arm. „Kommst du mit?“, wollte Sam wissen. „Nein, ich habe etliche Anfragen auf meinem Handy. Bislang habe ich alle vertröstet oder abgewimmelt, aber wenn ihm der Schamane helfen kann, stehe ich nur im Weg.“ „Hör auf so zu denken! Du wirst nie im Weg stehen, Bobby!“, fuhr Sam dem alten Jäger an. „William würde sich bestimmt freuen, dich kennenzulernen und Juri? Sie ist ein Schatz.“ „Lass gut sein, Junge. Ich möchte wirklich nach Hause.“ Mit dieser Aussage hatte er nicht gelogen. Er wollte mal wieder in einem richtigen Bett schlafen. Er wollte mal wieder richtiges Essen essen und natürlich wollte er Jody wiedersehen. Auch wenn das wohl das Letzte wäre, was er zugeben würde. Sie hatte ihm in den letzten Wochen gefehlt! Ohne große Hast packten sie ihre Sachen und räumten die Hütte soweit auf, dass sie am Morgen nur noch frühstücken und die letzten Spuren beseitigen mussten. Ihnen beiden war nicht nach Reden. Plötzlich schienen alle Themen aufgebraucht und jeder hing für sich dem nach, was sie hier erlebt hatten und was jetzt kommen würde und Beide hofften, dass es gut ausging. Wirklich gut! Kapitel 159: Der Weg zur Erlösung ??? ------------------------------------- 159) Der Weg zur Erlösung??? Wieder einmal waren die Jäger lange vor dem Morgengrauen wach. Sie saßen bei einem kargen Frühstück am Tisch. Dean verfolgte jede Bewegung der Beiden mit großen Augen. Sam stand auf und holte das von gestern übrig gebliebene Hühnchen, das er Dean geben wollte. Er setzte sich wieder auf seinen Schemel und begann das Fleisch von den Knochen zu lösen. Krampfhaft schluckte er den Kloß in seinem Hals herunter. Das Schlimmste daran, das Dean wie sein Bruder aussah, sich aber immer noch wie ein Wolf benahm, war für ihn, dass er seine Hände nicht benutzte, dabei war er doch immer jemand gewesen, der am liebsten mit seinen Händen arbeitete. Doch jetzt? Jetzt waren es Pfoten, im Moment zwar unnütz zum Laufen, aber putzen konnte man sich damit noch immer hervorragend. Dean sah womit Sam sich beschäftigte. Er richtete sich etwas auf, seine Augen begannen zu leuchten. Leise aber fordernd blaffte er den jüngeren Winchester an. Bobby grinste traurig. Dann stand er auf und ging zu dem kleinen Tisch, der neben dem Ofen stand. Dean grollte drohend. „Warum nur knurrt er bei jeder deiner Bewegungen?“, wollte Sam leise wissen. „Bei mir macht er das doch nicht!“ Bobby antwortete nicht. Es tat ihm weh, auch wenn er es, zumindest ansatzweise, verstehen konnte. „Machst du ihm die Beruhigungsmittel fertig?“ „Ja, ich denke es ist besser wenn du in Ruhe fahren willst.“ „Mach bitte nur die Hälfte von dem was er gestern bekommen hat. Ich will was probieren. Wenn es nicht ausreicht, kann ich ihm noch was geben.“ Der Ältere nickte und gab Sam, der auch gerade mit dem Abpulen fertig war und jetzt zu dem Halbwolf ging, die Flasche. Sam versuchte sich wieder hinter Dean zu setzen. Der angelte allerdings sofort mit seinen immer noch gefesselten Händen nach den Leckerbissen auf dem Teller. „Lass es, du kriegst ja gleich was“, schimpfte Sam lachend. Dean winselte frustriert, versuchte es aber weiter. Endlich saß Sam und schob Dean das erste Stück in den Mund. Sofort schlang der das herunter. Ein irgendwie zufriedener Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Schnell verschwand Stück für Stück von dem Teller, bis er leer war und Dean schon wieder frustriert schnaubte. „Später gibt’s noch was“, versuchte Sam ihn zu vertröste. Dann drückte er ihn etwas näher an seine Brust. Er hielt ihm die Flasche hin. Dean schnüffelte daran und schnaubte missfallend. „Bitte trink das. Wir wollen zu William. Der kann uns vielleicht helfen. Aber die Fahrt wird lang und für dich bestimmt langweilig. So kannst du schlafen und deine Schmerzen lindert es auch.“ Beruhigend kraulte Sam ihm den Nacken. Dean schnaufte noch einmal, dann trank er die Flasche leer. Sam wartete bis sein Bruder sich entspannte. Erst dann hörte er auf ihn zu kraulen. „Schlaf Dean“, forderte er leise. Der schloss die Augen und entspannte sich gleich darauf noch etwas mehr. Bobby schüttelte nur den Kopf. Vielleicht spürte der Wolf ja doch, dass Sam seine richtige Familie war? Daran wollte er sich festhalten, denn dann tat Deans Reaktion auf ihn nicht so weh. Sie lösten Deans Fesseln, zogen ihn an und Sam strich fetthaltige Creme auf Deans aufgerissene Mundwinkel. Schnell packten sie ihre restlichen Sachen zusammen und trugen alles zu den Autos. Zum Schluss legten sie den Halbwolf auf die Rückbank. Bobby holte Handschellen und schloss sie um den Türgriff und Deans Handgelenk. Auf keinen Fall sollte der noch einen Fluchtversuch starten können. So kurz wie sie vor dem Ziel standen, wollten sie ihn nicht noch einmal verlieren. Der erste graue Schimmer kündigte den Tag an, als sie auf die 198 abbogen. Sie trennten sich als die Sonne den Horizont schon wieder berührte. Sam und Bobby hatten noch gemeinsam zu Mittag gegessen und da der Jüngere nichts gefunden hatte, was er Dean wirklich anbieten konnte, hatte er beschlossen seinen Bruder erst abends zu füttern. Außerdem dämmerte der immer noch vor sich hin, als Sam wieder hinter das Lenkrad rutschte. Ob es noch die Beruhigungsmittel waren oder ob Dean einfach nur liegen blieb, konnte Sam nicht sagen, aber er war sich sicher, auch ohne Williams Bitte hätte er Dean morgen nichts mehr gegeben. Selbst der Wolf in Dean schien ihm inzwischen zu vertrauen und Sam konnte nur vermuten das es vielleicht daran lag, dass er ihm die ganze Zeit als er mit hohem Fieber in der Hütte lag, den Schweiß vom Körper gewaschen, ihm kalte Umschläge gemacht und ihn gefüttert hatte. Vielleicht hatte Dean dabei seinen Geruch aufgenommen und ihn damit verbunden, dass ihm geholfen wurde? Sam wusste es nicht aber er wollte dieses Vertrauen nicht leichtfertig verschenken, gab es ihm doch ein Stückchen Hoffnung, das Dean doch bei ihm blieb, selbst wenn er wieder ein echter Wolf werden sollte. Aber wollte er ihn bei sich? Oder wollte er ihn lieber bei seiner Familie wissen? Der Winchester schüttelte den Kopf und warf einen Blick in den Rückspiegel. Dean lag mit offenen Augen da. „Wir entscheiden das, wenn wir wissen was aus dir wird, oder was denkst du?“, fragte er ihn. „Ruff“, bekam er zur Antwort. Sam lächelte. An der nächsten Möglichkeit hielt er an und löste Deans Fesseln. „Nicht weglaufen, okay?“ Dean schlappte Sam kurz über die Hand und Sams Brust zog sich schmerzhaft zusammen. „Morgen ist das hier zu Ende. So oder so!“, versprach er und Dean gab ein leises Fiepen von sich. Als Sam weiterfuhr, wischte er sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Plötzlich kletterte Dean etwas umständlich auf den Beifahrersitz. Sam blieb fast das Herz stehen. „Ruff“, ließ Dean sich hören und stupste Sams Arm mit seiner Nase an. Dann rollte er sich zusammen, schaute mit großen Augen erneut zu Sam hoch und legte gleich darauf seinen Kopf auf dessen Oberschenkel. Jetzt war es an Sam mit großen Augen auf seinen Bruder zu starren. Ein beklemmender Druck breitete sich in Sams Brust aus. Er japste nach Luft und merkte erst jetzt, dass er sie angehalten hatte. Zögernd nahm er die Hand vom Lenkrad und begann Dean den Nacken zu kraulen. Wieder und wieder redete er sich ein, dass ein Wolf auf seinem Bein lag, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Es tat ihm weh, seinen Bruder so zu sehen. Dean, der immer der stärkere war, der, der ihn auch mal in den Arm genommen und getröstet hatte. Er vermisste ihn so sehr! Hin und wieder wuschelte er ihm durch die Haare und strich langsam über Kopf, Hals und Schulter. Dean gab noch eine ganze Weile ein dumpfes, zufriedenes Grollen von sich, dessen Vibrieren sich bis in Sams Bein bemerkbar machte, bis er eingeschlafen war und sich noch weiter entspannte. Endlich fand Sam ein Motel und hielt an. Er stieg aus und mietete ein Zimmer. Mit dem Schlüssel in der Hand fuhr er den Wagen bis vor die Tür und half Dean beim Hineingehen. Der war immer noch auf reichlich wackeligen Beinen unterwegs. 'Liegt das an seiner Verletzung, oder war er so viel Wolf, dass er nicht auf zwei Beinen laufen konnte?' Auch diese Frage wusste Sam nicht zu beantworten. Er hatte bei einem Stopp Putenfleisch besorgt und schnitt es klein, während er Wasser heiß machte. Als es kochte warf er die Brocken hinein und ließ sie noch ein paar Minuten kochen. Immer wieder versuchte er während der Zeit Dean abzuwehren. „Du wirst dir weh tun“, erklärte er ihm, ziemlich erfolglos. Endlich hatte er das Fleisch aus dem Topf geangelt und befand es für kalt genug, um es Dean geben zu können. Schnell löste er noch ein paar Tabletten in einer kleinen Flasche Wasser auf und ging zum Bett. „Na komm“ rief er seinem Bruder zu und klopfte auf das Bett neben sich. Der ließ sich nicht zweimal bitten. Sofort hockte er sich neben ihn und ließ sich füttern. Als der Teller leer war, zog Sam seinen Halbwolf an sich und hielt ihm die Flasche hin. Dean schnüffelte daran. Es roch anders als die letzten Male. „Es sind ein paar Vitamine und Mineralstoffe. Mit dem Geflügel bekommst Du nicht genug“, erklärte Sam wieder ruhig und Dean trank. Gleich darauf räumte der Jüngere alles auf den Nachttisch. Dean rollte sich auf den Rücken, verdrehte den Kopf so, dass er seinen Bruder sehen konnte und stupste ihn mit der Hand an. Sam schaute ihn fragend an. Wieder tatzte Dean nach ihm und fiepte leise. Sam stupste ihn an. Dean japste leise und angelte wieder nach Sam. Es dauerte nicht lange und die beiden Winchesters waren in eine Balgerei verwickelt. Fast so, als wären sie beide noch Kinder. Plötzlich stieß Sam mit seinem Ellenbogen gegen Deans Verletzung. Der jaulte auf, fuhr herum und packte zu. Sam keuchte erschrocken als er Deans Zähne an seinem Handgelenk fühlte. Jetzt hatte er das Vertrauen seines Bruders zerstört. Er hatte ihm weh getan, schoss es Sam durch den Kopf. Doch Dean biss nicht zu. Er grollte nur drohend. „Tut mir leid, Dean, ich wollte dir nicht weh tun“, entschuldigte er sich. Der Halbwolf musterte ihn noch kurz mit seinen grünen Augen, dann ließ er Sams Hand wieder los. Der Jüngere musterte sein Handgelenk. Er sah Deans Gebissabdruck auf seiner Haut. „Tut mir leid Dean“, wiederholte er noch einmal. „Lass mich die Wunde mal sehen. Außerdem sollten wir uns langsam ins Bett legen, morgen wird nochmal hart.“ Er zog Dean aus und untersuchte dann die Wunde. Alles unter den wachsamen Augen seines Wolfsbruders. Die Wunde sah gut aus. Gleich darauf machte er sich selbst bettfertig. Dean lag auf dem anderen Bett aber als Sam sich unter seiner Decke verkrochen hatte, kam er zu ihm. Sam legte seine Decken über sie beide, schloss ihn in die Arme und schlief, seine Nase in Deans Nacken gepresst, ein. 'Heute!', war das erste, das Sam einfiel als er erwachte. Dean lag noch neben ihm, war aber wohl schon eine Weile wach. „Heute!“ sagte er noch einmal laut. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Er holte tief Luft, dann stand er auf. Er zog Dean an, gab ihm das restliche Fleisch und machte sich fertig. Schon bald saßen sie wieder im Auto. Sam hatte Dean zwar wieder auf die Rückbank verbannt, was den allerdings nicht davon abhielt nach kurzer Zeit wieder nach vorn zu klettern, um sich wie schon am Tag zuvor auf dem Beifahrersitz zusammen zu rollen. So verschlief er fast die gesamte Fahrt. Kapitel 160: Eine Lösung - Eine Gute ? -------------------------------------- 160) Eine Lösung - Eine Gute? Endlich kamen die ersten Häuser von West Glacier in Sicht. Sam atmete erleichtert auf. Sie hatten es geschafft und wenn William ihnen jetzt auch noch helfen konnte, dass wäre wirklich alles so wie es sein sollte. „Wir sind da“, erklärte Sam seinem Bruder voller Freude und steckte ihn mit seiner glücklichen Unruhe an. Dean setzte sich auf und musterte seine Umgebung neugierig. 'Hier hat sich wirklich nichts verändert', stellte Sam für sich fest. Er setzte den Blinker und lenkte den Wagen auf den Parkplatz vor Williams Haus. Ob sie hier genauso glücklich wieder fahren würden, wie im letzten Jahr? Obwohl? Glücklich war vielleicht nicht das richtige Wort, denn über Dean hing damals das Damoklesschwert eines furchtbaren Todes. Und auch wenn William erklärt hatte, alles getan zu haben, dass das nie passieren würde, hatte er selbst sich doch Sorgen gemacht. Zum Glück umsonst. Jetzt wünschte er sich einfach mit einem ganzen Dean wieder fahren zu können. Der Schamane stand schon in der Tür und erwartete sie. Er lief um den Wagen herum zur Fahrertür. Dean beobachtete ihn stumm, mit gefletschten Zähnen. Schnell ließ Sam das Fenster herunter. Er wollte seinen Wolfsbruder nicht länger beunruhigen als notwendig. Nicht, dass noch in letzter Sekunde ein Unglück passierte. „Er ist wirklich ein Wolf im falschen Körper“, sagte der Schamane ohne Dean noch einmal anzuschauen. „Kannst Du ihn zu den Hütten bringen? Du weißt ja wo. Der Weg ist frei. Wir haben schon alles vorbereitet.“ Sam nickte. Er legte den Gang ein und ließ den Wagen anrollen. Mit gemischten Gefühlen fuhr er zu den Hütten. Eigentlich hatte er die, genau wie sein Bruder, nie wieder von innen sehen wollen. Sie bargen viel zu viele schlechte Erinnerungen. Ob es jetzt besser werden würde? Würde er seinen Bruder neben sich sitzen haben, wenn er hier wieder wegfuhr? Würde Dean den Wagen lenken? Er wollte es für sich und noch mehr für seinen Bruder hoffen, doch er war sich nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Minuten, als er die Ortsgrenze passiert hatte. Vor den Hütten hielt er an. Er winkte Jonah, der neben einer Tür stand, während er um den Wagen herumlief, um Dean zu helfen. Kurzentschlossen nahm er seinen Bruder auf die Arme und trug ihn in die Hütte, wo er ihn auf das Bett legte. „Bleib hier, ich schaue mal, was ich für dich zu futtern finde, okay?“, bat er leise. Sein Bruder musterte ihn wieder mit diesen großen, wissenden Augen. Sam schluckte hart und flüchtete regelrecht. Hoffentlich hörte das bald auf! Er wäre fast in William hineingelaufen. Der Schamane hatte sich inzwischen zu seinem Bruder gesellt und auch die anderen Gemeindemitglieder trudelten nach und nach ein. Viele von ihnen grüßten Sam mit einem freundlichen Nicken, mischten sich aber nicht in die kleine Runde. „Wie lange ist er schon Wolf?“, wollte der Inuit noch wissen. „Fast vier Monate.“ „Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Es ist verdammt lange. Ich bete, dass wir euch helfen können.“ Sam holte tief Luft. Dann nickte er und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. Unsicher starrte er zu Boden. „Was willst du?“, fragte Ukpik leise. Sam zog fragend die Augenbrauen zusammen. Was sollte er wollen? „Was willst du für ihn?“ „Ich weiß es nicht. Ich meine, ich will Dean zurück. Meinen Bruder Dean. Aber egal was passiert, ich will, dass er wieder ganz ist. Ich meine...“ er brach ab und versuchte wieder einmal seine Tränen zurückzuhalten. „Ich verstehe dich, Sam. Ich werde versuchen, was ich kann. Wir alle werden es. Bitte geh wieder zu ihm. Wir bereiten uns vor und dann komme ich zu euch.“ Der Winchester nickte. Er ging zurück in die Hütte, wo er sich zu seinem Bruder auf die Liege setzte „Futter gibt’s erst später“, erklärte er leise. Dean schaute ihn noch eine Weile abwartend an, bevor er sich neben ihn legte. In Gedanken versunken kraulte Sam Deans Nacken. Was würde jetzt passieren? Doch egal was. Die Unsicherheit hatte bald ein Ende! Sam wusste nicht, wie lange sie hier schon so saßen, als der Schamane zu ihnen kam und einen Becher mit einer dunklen Flüssigkeit darin zu ihnen brachte. Sam erschrak als sich die Tür öffnete. Dean richtete sich sofort auf und fletschte wieder stumm seine Zähne. „Das sollte er trinken. Es bereitet ihn für die Zeremonie vor. In zwei Stunden beginnen wir damit.“ Der Winchester nickte und sah Ukpik hinterher. Er zog Dean an sich und hielt ihm das Getränk hin. Dean schnüffelte misstrauisch. „Trink Dean. Es hilft dir wieder eins zu werden.“ Der Halbwolf winselte leise. „Bitte Dean.“ Zögerlich begann er zu trinken. Hielt aber immer wieder inne und winselte leise. Sam kraulte und streichelte ihn die ganze Zeit und fragte sich, wie viel Vertrauen sein Halbwolf wohl noch zu ihm hatte. Irgendwann verlor sich Dean. Alles war leicht und egal. Nur die beruhigende Hand war ihm noch wichtig. William und Jonah kamen und halfen Sam seinen Bruder auszuziehen. Dann trugen sie ihn zu dem Waschkübel und schrubbten ihn sauber. Hin und wieder gab Dean ein leises Winseln von sich. Doch anders als bei den letzten Malen, die er in diesem Ding zubringen musste, wehrte er sich diesem Mal überhaupt nicht und Sam fragte sich, was in den Gebäu gewesen war und warum er ihm dann keine Beruhigungsmittel hatte geben dürfen? Er hatte angenommen, dass es wegen der Zeremonie war, doch dann hätte William ihn doch nicht selbst betäuben dürfen, oder? Sie hoben ihn aus dem Wasser, trockneten ihn ab und Jonah brachte ihn in die Zeremoniehütte. „Bitte warte draußen“, bat William, „wir bringen ihn dir zurück.“ Er folgte seinem Bruder, während Sam in der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit zurückblieb. Er sollte in die Hütte gehen, doch er konnte nicht. Er konnte jetzt nicht still sitzen. Er wollte hier bei seinem Bruder bleiben! Er wollte zu ihm! Er wollte bei ihm sein und ihm beistehen, wie auch immer das aussehen könnte, doch er war dazu verdammt, hier zu warten! Unruhig lief Sam vor der Tür hin und her. Bis ihm die Kälte so sehr in die Knochen gekrochen war, dass er nun doch in die Hütte flüchtete, um seine Wanderung da fortzusetzen. Endlich öffnete sich die Tür der Hütte. Sam blieb stehen und starrte den Männern entgegen, die jetzt den Raum betraten. Sie trugen einen Wolf in ihren Armen und die Hoffnung in ihm zerbrach. Er starrte auf den Wolf und wusste nicht, was er fühlen sollte. Vielleicht hatte es einfach nicht sein sollen? Vielleicht sollte Dean als Wolf sterben? Immerhin war es so besser, als das Wesen, das er bis vor wenigen Stunden war. Irgendwie war er froh, aber er wusste dass die Trauer kommen würde und mit ihr die Wut. Er atmete tief durch und schaute dem Inuit entgegen. „Was...?“, keuchte er als er Ukpik anschaute. So alt hatte der Schamane noch nie ausgesehen. „Es tut mir leid Sam. Wir... ich habe Deans Seele, den menschlichen Teil seiner Seele nicht finden können. Er ist wohl doch schon zu lange ein Wolf.“ Sam nickte nur betrübt und half Jonah den Wolf auf die Liege zu legen. „Er ist von der Umwandlung noch geschwächt. Es wird dauern bis er wieder auf den Beinen ist. Aber wir können versuchen ihn noch mehr auf dich zu prägen, wenn du das möchtest.“ „Ich weiß nicht was ich will. Einerseits möchte ich ihn bei mir behalten aber wenn ich daran denke, wie glücklich er mit seiner Familie war ...“ Er zuckte mit den Schultern und drehte sich weg, um den Anderen die Tränen nicht zu zeigen, die sich in seine Augen drängten. „Kann ich ihm dieses Glück verwehren?“, fragte er nach einer Weile. „Das musst du selbst entscheiden“, sagte Ukpik erschöpft. „Aber wir können ihm noch eine Jacke von Dir unterlegen und du solltest dich weiter um ihn kümmern. Vielleicht will er dann von selbst bei dir bleiben.“ Sam nickte unsicher. War das richtig? Er wusste es einfach nicht! William wandte sich der Tür zu. „Danke“, sagte Sam leise. Der Schamane lächelte müde. Er warf noch einen Blick auf den Wolf und griff nach der Klinke. Er musste sich dringend ausruhen. „Jonah und Graham bleiben in der Nähe, falls du Hilfe brauchst“, sagte er noch und ging nun wirklich. Das Klicken des Schlosses drang überlaut an Sams Ohren. Er zuckte zusammen. Kurz warf er einen Blick auf die geschlossene Tür, dann schaute er wieder zu seinem Wolf. Dean schien zu schlafen. Er hielt die Augen geschlossen. Seine Atmung kam jedoch stoßweise und immer wieder lief ein leichtes Zittern durch die Muskeln. Unfähig sich zu bewegen, blieb Sam an den Tisch gelehnt stehen. Sollte er Dean zudecken? Sollte er sich zu ihm setzen? So, als Wolf, war es die schlechtere der Möglichkeiten, aber immer noch so viel besser als dieses Halbwesen. Blieb die Frage, ob er ihn noch weiter auf sich prägen sollte. Wollte er das? Die Frage konnte er mit einem eindeutigen ja beantworten, aber war es auch für Dean gut? War Dean da draußen nicht besser dran? Konnte sein Bruder da anknüpfen, wo er aufgehört hatte? Konnte er zu seiner Familie zurück? Sie hatten nie herausgefunden, wer ihn so schwer verwundet hatte. Allerdings sah die Wunde nicht nach einem weiteren Wolf aus, eher nach dem Gehörn eines Hirsches. Dann war das wohl beim Beuteschlagen passiert. Das bedeutete einerseits, dass er jederzeit zu seiner Familie konnte, andererseits aber auch, dass so eine Verletzung wohl wieder möglich war. Am Liebsten hätte er seinen Bruder dicht bei sich. Doch was wollte der? Vielleicht sollte er die Entscheidung Dean überlassen? Sam holte tief Luft und versuchte den Kloß in seinem Hals loszuwerden. Es gelang ihm nicht. Aber er fasste eine Entscheidung. Ja, er würde mit Dean zurück in den Kings Canyon Park fahren und ihn da freilassen, dann lag es an Dean zu seiner Familie zu laufen oder mit ihm wieder ins Auto zu steigen. Innerlich ruhiger ging er langsam auf die Liege zu, auf der Dean lag. Er legte eine Decke über den zitternden Körper und setzte sich daneben auf den Boden. Er wollte Dean nicht mit Macht auf sich prägen, auch wenn alles in ihm danach schrie, ihn an sich zu ziehen und nie wieder loszulassen. Sam hörte die Tür und leise Schritte und schaute kurz auf. Jonah, Graham und noch zwei Männer betraten den Raum. Sie stellten eine Tasse mit dampfendem Inhalt auf den Tisch und ließen sich auf den Stühlen nieder. Sam wandte sich wieder ab. Er wollte nicht reden. Unbemerkt verging fast ein ganzer Tag. Juri war ein paar Mal da gewesen und hatte Essen gebracht. Graham und Jonah waren den ganzen Tag bei ihm geblieben, hatten sich aber zwischendurch auf einer Liege ausgestreckt und ein paar Stunden geschlafen. Es war gerade wieder dunkel geworden, als es der Winchester einfach nicht mehr in der Hütte aushielt. Auch wenn es Dean langsam besser zu gehen schien, war er noch lange nicht wieder annähernd so fit wie vor der Umwandlung und er wollte schreien. Er wollte um sich schlagen. In dieser Hütte sein zu müssen, war noch genauso furchtbar wie im letzten Jahr. Er schaute zu Graham und Jonah, die gerade mit ihrem Abendbrot fertig waren. Sams Teller stand noch immer unberührt auf dem Tisch. „Könnt ihr eine Weile bei ihm bleiben? Ich muss mal raus. Ich hab das Gefühl schreien zu müssen“, sagte er leise. Sie nickten. Kapitel 161: Vertrauen ---------------------- @ Vanilein: Mal sehen - vielleicht kenne ich da jemanden, der jemanden kennt ... LG Kalea 161 ) Vertrauen Sam zog sich seine Jacke über und ging in die Nacht. Planlos und ohne Ziel lief er durch die Gegend und entfernte sich immer weiter von den Hütten. Er fühlte sich leer. Er konnte nicht mehr denken. Worüber auch? Er hatte sich die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, was werden würde, doch er war zu keinem Ergebnis gekommen, zu keinem, dass ihn auch nur ein wenig mit dem Schicksal versöhnen konnte.. ‚Hallo Sam‘, hörte er plötzlich eine Stimme in seinen Gedanken. Er schaute sich um. Er drehte sich im Kreis, doch er konnte niemanden sehen. Nichts außer einem schwarzen Schatten in schwarzer Nacht. „Wer bist du?“, fragte er zu dem dunklen Schatten. „Ich wollte dich kennen lernen. Du musst etwas ganz besonderes sein.“ „Wieso?“ „Dein Bruder macht dir immer wieder ein Geschenk, das die wenigsten Menschen jemals erhalten, er ist immer wieder bereit dein Leben mit seinem zu schützen.“ „Was soll denn daran ein Geschenk sein? Ich will nicht, dass er das tut.“ „Es ist die Liebe, die dahinter steht. Diese bedingungslose Liebe, die dein Bruder für dich empfindet.“ Dean hob den Kopf. Er spürte, dass da draußen Gefahr lauerte. Er stand etwas schwerfällig auf und stieg von der Liege. Steifbeinig ging er zur Tür. Er blieb davor stehen und schaute zu den Männern. Leise blaffte er. „Sam kommt bald wieder. Du solltest dich wieder hinlegen. Du brauchst Ruhe“, sagte Graham leise. Dean jaulte. Jonah stand auf und schob den Wolf wieder zur Liege. „Du brauchst Ruhe, Dean“, bestimmte jetzt auch er. Der Wolf kletterte wieder auf seinen Ruheplatz. Noch einmal schaute er zu den Männern, dann holte er Schwung und bevor die Inuit reagieren konnten, schoss er durch das Fenster. Ein Holm des Fensterkreuzes schlug ihm schmerzhaft in die Seite und auch die Umwandlung steckte ihm noch in den Knochen. Dean landete unglücklich. Ein starker Schmerz jagte durch sein Bein. Er japste und hinkte dann, so schnell er auf drei Beinen konnte, zu seiner Familie. „Ha, und da kommt er schon“, lachte der schwarze Schatten. „Wer bist du?“, wollte Sam wieder wissen. „Man nennt mich Amaruq.“ „Wegen dir wäre mein Bruder fast gestorben.“ „Es hätte mir leid getan, wenn das passiert wäre. Ich wollte ihn nicht töten.“ Dean erreichte die Beiden. Sofort stellte er sich vor Sam und knurrte den Riesenwolf drohend an. „Er will dich mit seinem Leben schützen und dabei weiß er noch nicht einmal warum. Er weiß nicht, dass du sein Bruder bist und doch ist er bereit für dich zu sterben.“ „Ich will aber dass er lebt. Ich will meinen Bruder wieder“, sagte Sam wütend. Dean knurrte ebenfalls lauter. Er schob sich noch einen Schritt weiter vor Sam und stellte seine verletzte Pfote vorsichtig ab. „Was würdest du dafür geben?“, fragte Amaruq. „Alles.“ „Würdest du ein Leben dafür geben?“ „Ich würde mein Leben für Dean geben“, bestätigte Sam ohne zu Zögern. „Es geht nicht um dein Leben, Sam.“ „Worum geht es dann? Wessen Leben forderst du?“ „Bist du bereit, das Leben deines Bruders zu opfern, um ihn wieder zu bekommen?“ „Wie soll ich Deans Leben opfern, um Dean zurück zu bekommen? Wie soll das funktionieren?“ „Wenn eure Liebe zueinander, wenn dein Vertrauen groß genug ist, wirst du deinen Bruder wieder bekommen“, erklärte Amaruq kryptisch. Sam sah auf seinen Bruder. Die Zähne drohend gefletscht, das Fell gesträubt stand er schützend vor ihm. Er könnte seinen Bruder wieder bekommen, den Dean, der alles für ihn war. Sam nickte. „Was muss ich tun?“ „Geh! Geh und lass es uns austragen. Wenn du nichts mehr hörst, kommst du zurück und holst ihn ins Haus. Lasst ihn liegen. Erst nachdem der Tag gestorben und der folgende erwacht ist, bereitet ihr ihn für das Ritual vor. Dann soll der Schamane ihn als den großen Krieger ehren, der er ist. Wenn eure Liebe stark genug ist, wird er zurückkommen. Aber ihr müsst unbedingt warten, bis der neue Tag erwacht ist!“, betonte er erneut. Sam schaute wieder auf Dean. Sollte er es wagen? Sollte er Deans Leben opfern, um Dean wieder zu bekommen? Dean würde sein Leben geben, ohne zu fragen. Aber er war nicht Dean. Er holte tief Luft, dann nickte er. „Geh, Sam. Geh und vertraue!“ Sam lief davon. Er wollte sich verkriechen, doch er konnte es nicht. Er konnte nicht in die Hütte flüchten. Er konnte Dean nicht alleine sterben lassen. Und so musste er das Unvermeidliche miterleben. Er hörte wie die Wölfe aufeinander trafen. Er musste mit anhören wie einer der Beiden vor Schmerzen jaulte und er wusste, dass es nicht Amaruq war. Wieder und wieder hörte er wie die Körper aufeinander prallten, hörte ihr Keuchen. Schließlich drang nur noch das Scharren von Füßen im Schnee und ein Röcheln an seine Ohren. Danach herrschte Stille. Ein langes Jaulen zerriss die Nacht. Sam stürzte zu dem Kampfplatz. Er fand Dean. Schlaff und tot. Etliche Wunden bedeckten seinen Körper. Sam brach in die Knie. Wie hatte er Dean das antun können? Wie hatte er einem Wolf vertrauen können, einem Wolf, der Dean schon einmal töten wollte? Er saß neben dem Zweibeiner und blaffte leise, doch der reagierte nicht. Er erhob sich und schnüffelte an dem toten Körper im Schnee. Er schnaubte und winselte leise, aber der Mensch kümmerte sich nur um dieses tote Ding! Der Wolfskörper verwandelte sich vor Sams Augen wieder in seinen Bruder. Nackt und mit verdrehtem Handgelenk lag Dean vor ihm auf dem eisigen Schnee. Unzählige dunkle Flecken verunstalteten die bleiche Haut. Er sackte neben ihm auf die Knie. Ein gequälter Schrei entrang sich seiner Kehle. Die Verzweiflung überrannte ihn. ‚Das hatten wir doch schon, und es ging nicht gut!‘, hämmerte der eine Gedanke durch seinen Kopf, während ihm die Tränen über die Wangen liefen und kalte, brennende Spuren hinterließen. Er nestelte eine Weile ungeschickt an seinem Reißverschluss herum, bevor er seine Handschuhe auszog und wütend in den Schnee feuerte. Er zerrte an dem Reißverschluss, nachdem er ihn endlich richtig zu fassen bekam. Hastig schälte er sich aus seiner Jacke. Es war sinnlos, doch er wollte seinen Bruder nicht so schutzlos in der Kälte lassen! Er zog den Körper an sich und wickelte die Jacke um ihn. Eine ganze Weile hockte er einfach nur da, unfähig sich zu rühren und unfähig die Tränen zu stoppen, die noch immer über seine Wangen liefen. Als er es endlich schaffte, sein Gesicht von Deans Schulter zu lösen. stemmte er sich hoch. Fest an sich gepresst, trug er den kalten Körper zu den Hütten. Der Wolf lief leise winselnd neben ihm her. „Was ist passiert?“, fragten die Inuit fast gleichzeitig, kaum dass Sam die Tür aufgestoßen hatte. Sie sprangen auf und wollten ihm helfen, doch er drängte sie zur Seite. Vorsichtig legte er den Körper seines Bruders auf die Liege und erzählte erst dann von seiner Begegnung mit Amaruq. Kaum hatte er geendet, stürzte Jonah auch schon nach draußen, um wenig später mit einem, noch immer müde aussehenden, William wiederzukommen. „Du hast mit Amaruq gesprochen?“ „Ja und ich weiß nicht, ob ich das nicht besser gelassen hätte!“, erwiderte Sam bitter. „Ich … Ohne dieses unsägliche Angebot hätte ich jetzt wenigstens den Wolf. So ...“ Sam schüttelte den Kopf und schaute wieder zu der leblosen Hülle seines Bruders. „Du musst Vertrauen haben, Sam“, bat der Schamane. „Ich weiß nicht“, gab der Winchester leise zu. „Ich vertraue euch. Ich vertraue meinem Bruder und ich liebe ihn über alles. Aber einem Gott? Einem Wolf, der Dean schon mal ermorden wollte! Wie soll ich dem vertrauen?“ „Du vertraust auch eurem Gott nicht?“, wollte Jonah wissen. „Ich bemühe mich, aber es ist sehr schwer nicht mit ihm zu hadern, bei dem, was wir schon alles gesehen haben.“ „Trotzdem muss ich dich bitten mir noch einmal zu erzählen, was genau Amaruq zu dir gesagt hat. Wort für Wort!“, schaltete sich William wieder in die Unterhaltung ein. „Lasst ihn liegen. Erst nachdem der Tag gestorben und der folgende erwacht ist, bereitet ihr ihn für das Ritual vor. Dann soll der Schamane ihn als den großen Krieger ehren, der er ist. Wenn eure Liebe stark genug ist, wird er zurückkommen. Aber ihr müsst unbedingt warten, bis der neue Tag erwacht ist!“, wiederholte Sam die Worte des Wolfes. „Dann werden wir warten“, bestimmte der Schamane. „Aber ...“, begehrte Sam auf. „Bis der neue Tag erwacht sind es noch fast sechs Stunden. Wir sollten uns ausruhen, um für die Zeremonie Kräfte zu sammeln“, versuchte William an Sams Vernunft zu appellieren. „Aber wir können doch ...“ „Willst du wieder so ein Halbwesen wie das mit dem du hierher gekommen bist?“ „Nein, ich will ...“ Sam schaute den Schamanen aus verquollenen Augen an. Wie sollte er sich jetzt ausruhen? Wie sollte er je wieder Ruhe finden? Aber er verstand den Schamanen und nickte kurz, bevor er neben der Liege seines Bruders auf die Knie sank. Er griff nach Deans Hand und schmiegte seine Wange an dessen eisige Finger. „Bitte Dean, du musst zu mir zurückkommen“, stammelte er leise. Wie viele dieser aussichtslosen Situationen mussten sie noch ertragen, bevor es auch für sie ein bisschen Glück gab? Rigoros verdrängte er diese trüben Gedanken und versuchte sich an all die schönen Momente in ihrem Leben zu erinnern. An Deans Lachen, an sein spitzbübisches Grinsen, an das Funkeln in seinen Augen. Daran, wie gerne er ihn aufgezogen hatte und wie leicht es seinem Bruder gelang, ihm eine Freude zu machen sei es mit diesem verdammten Plüschhasen oder mit einer Packung Cornflakes und wie oft hatte er Dean eine Freude gemacht? Wieder verdrängte er diese Gedanken. Sein Bruder musste zurückkommen! Es musste einfach klappen! Er wollte ihm doch noch zeigen, wie das richtige Leben war! Lange Zeit saß der Wolf neben dem Mann, der noch immer vor der Liege mit dem toten Menschen hockte. Plötzlich ging ein Ziehen und Reißen durch seinen Körper. Er jaulte vor Schmerzen, sank auf den Boden und wurde von immer neuen Krämpfen geschüttelt. Dann war es vorbei. So plötzlich wie es begonnen hatte, hörte es auch wieder auf. Verwirrt setzte der Dean sich auf und schaute auf seine Hände. Er fuhr sich über sein müdes Gesicht und versuchte sich darüber klar zu werden, was passiert war. Er konnte sich noch an den Werwolf erinnern und an die Zigeunerin. Der Fluch. Sie hatte ihn verflucht. Sie hatte ihn zu einem Leben als Wolf verflucht. Zu ... wieder schaute Dean auf seine Hände. Sie hatte gesagt: “Wolf bis ans Ende deiner Tage.“ Immer noch starrte Dean auf seine Hände. Er war wieder ein Mensch. Er war ... Sammy! Er … Dean kam nicht dazu den Gedanken zu beenden. Kapitel 162: Fremde Götter -------------------------- @ Vanilein: Mal sehen - vielleicht kenne ich da jemanden, der jemanden kennt ... LG Kalea 162) Fremde Götter „Meinst du nicht, dass es besser wäre, wenn du uns uns bei den Vorbereitungen helfen würdest“, wollte der Schamane leise wissen. Sam schüttelte den Kopf, doch das ließ William nicht gelten. Er fasste den widerstrebenden Winchester an den Schultern und schob ihn langsam aber unmissverständlich aus dem Raum. >>>Dean sprang auf und wollte seinem Bruder folgen. Er musste ihm doch sagen, dass er wieder bei ihm war! Er musste ihm doch sagen, dass alles wieder gut wurde! Er kam bis zur Tür. Eine junge Frau vertrat ihm den Weg. Sie hatte dunkles, halblanges Haar, dass in einem starken Kontrast zu ihrer hellen Haut stand. Sie sah gut aus, wenn sie nur nicht so ernst geschaut hätte. „Hallo Dean“, grüßte sie ihn. „Kenne ich dich?“, wollte er misstrauisch wissen und trat einen Schritt zurück. „Ich bin Tessa.“ „Tessa ...“ Der Name sagte ihm nichts. Sie trat an ihn heran und legte ihre Hand an seine Wange. Bevor er zurückzucken konnte, fluteten Bilder von ihm in Krankenhauskleidung seine Erinnerungen. Er lag im Koma. Der Unfall. Der Unfall nachdem John sein Leben für ihn eingetauscht hat. „Du bist der Tod“, sagte er und sie nickte. „Ja, und ich bin wegen dir hier.“ Sein Blick wanderte zwischen ihr und dem Körper auf der Liege hin und her. Nur langsam begriff er, dass das sein Körper war, der da lag. „Ich bin tot!?!“, stellte er nach einer halben Ewigkeit verwirrt fest. Unruhig lief er hin und her und versuchte Licht in den Nebel seiner Gedanken zu bringen. Er hatte Kopfschmerzen. In seinem Kopf schwirrte alles. In den letzten Monaten hatte er nur reagiert, war einzig seinen Instinkten gefolgt und jetzt sollte er denken? Er wollte nicht denken, er wollte sich mit Sam unterhalten, wollte wissen, was passiert war und … Sam!?! „Wo ist Sam?“, fragte er alarmiert. „Ich weiß es nicht, Dean, aber du solltest dich mit dem Gedanken anfreunden, dass du dieses Mal mit mir kommst.“ Unwirsch schüttelte er den Kopf „Ich will zu Sam!“ Nichts anderes hatte in seinem Kopf Platz. Er ging zur Tür und griff nach der Klinke. Er bekam sie nicht zu fassen. Seine Hand glitt durch das Metall! Er knurrte irritiert, was …? Dean schüttelte noch einmal den Kopf und lief einfach auf die Tür zu und durch sie hindurch. Er stand im Schnee. Langsam sah er sich um. Die Hütten, die er nie wieder von Innen sehen wollte! Tja, so war das in seinem Leben. Was er wollte bekam er nicht, dafür durfte er all das auskosten, was er nicht wollte. Tolles Schicksal! Irgendwo hier musste Sammy sein! Er begann auf die anderen Hütten zuzugehen. Er schaute in die Fenster und endlich fand er seinen Bruder. Sam sah ... Dean konnte es nicht fassen, Sam sah irgendwie gefasst aus. Was war passiert? Wie lange war er schon tot? Hatten sie Sam unter Beruhigungsmittel gesetzt? Was hatte sie mit ihm gemacht?<<< Sam nickte. Er wandte sich zur Tür um und verließ den Raum. Langsam ging er zu der Hütte zurück, in der Dean lag. Dean folgte ihm. Sam setzte sich neben die Liege. „Bitte Dean, komm zurück. Ich liebe dich, ich brauche dich!“, schluchzte er. >>>„Ich bin hier, Sammy. Hier bei dir“, versuchte der auf sich aufmerksam zu machen. Verdammt! Sam hatte doch mal Visionen gehabt. Wieso jetzt nicht mehr? Wieso klappte das nicht, wenn es wirklich gebraucht wurde! „Dean, du solltest dich von ihm verabschieden. Bitte. Du weißt was passiert, wenn du hier bleibst.“ „Sam hatte Visionen, warum sollte er mich nicht auch so hören oder noch besser fühlen können?“, fragte er wütend. „Er wird älter werden und er wird sterben und dann wird er weg sein und du bist immer noch hier“, versuchte sie ihm ins Gewissen zu reden. Dean nickte und setzte sich auf die Liege. Lange schaute er zu Sam, der wie versteinert da saß und eine stumme Zwiesprache mit dem Körper auf der Liege zu führen schien. „Dean!“ „Noch ein paar Minuten, bitte.“ Jetzt nickte Tessa. Sie wusste ja dass es schwierig war und sie konnte verstehen, dass er sich verabschieden wollte. Immerhin schien er sich ja nicht ganz so sehr dagegen zu sperren mit ihr zu gehen, wie damals vor einigen Jahren. Der Winchester atmete tief durch. Was er jetzt zu sagen hatte, würde nicht einfach werden doch er wollte es richtig machen. „Sammy“, begann er leise, „ich hätte schon vor langer Zeit sterben sollen und du weißt was alles passiert ist, nur weil John mich zurückgeholt hat. Ich habe Angst zu gehen, aber ich habe noch mehr Angst hier zu bleiben. Ich will nicht so werden, wie die ganzen verrückten Geister, die wir vernichtet haben. Und ich will nicht, dass du mich zurückholst. Ich will nicht, dass du auch noch einen Pakt schließt, um mein Leben zu retten. Nicht um diesen Preis. Ich meine … Ich will nicht gehen, aber ich ...“ Dean schluckte. Zu gerne würde er seinen Bruder jetzt in den Arm nehmen. „Sammy, ich ...“<<< Tränen liefen über Sams Wangen. Er versuchte zu hoffen und er versuchte zu glauben, aber es war schwer. Dean lag vor ihm auf der Liege, tot und kalt und der Schamane breitete eine Zeremonie vor, die, nach Sams Verständnis, eine Beerdigung werden sollte. „Ich liebe dich Dean!“, schluchzte er. >>> „Ich liebe dich auch, Sammy und ich möchte dich nicht allein lassen, aber ich bin tot“, tief holte Dean Luft, er sah keinen Weg, wie er wieder in seinen Körper kommen konnte. „Leb wohl Sammy. Ich werde versuchen, über dich zu wachen!“Langsam ging er auf Tessa zu. Ein helles Licht zwang ihn und sie die Augen zu schließen. Als sie sie wieder öffneten, stand eine junge Frau vor ihnen. Sie hatte lange dunkle Haare und mandelförmige, braune Augen. Sie trug ein sehr helles Lederkleid. „Er ist nicht für dich“, wandte sie sich sofort an Tessa. „Er ist tot und es ist meine Aufgabe die Toten ins Licht zu führen.“ „Ja, aber dieser ist nicht tot.“ „Ich wäre nicht gekommen, wenn er nicht tot wäre.“ „Ähm, hallo? Ich stehe daneben!“, knurrte Dean und trat neben die Frauen. Sie schienen ihn trotzdem nicht wahrzunehmen. „Hey!“, brüllte er, packte Tessa am Arm und drehte sie zu sich herum. „Was soll das?“, wollte er wissen. „Ich weiß es nicht.“ „Wer bist du?“, wandte sich Dean jetzt an die Andere. „Ich bin Malina, die Sonnengöttin“, erklärte die Frau.<<< Die Tür öffnete sich und William und Jonah betraten den Raum. In ihren Zeremoniegewändern waren sie jetzt ganz Inuit. „Es ist soweit, Sam. Wir wollen beginnen“, sagte Jonah. Sam nickte. Er stand auf. Vorsichtig schob er seine Hände unter Dean hindurch und hob den Körper an. Fest an sich gedrückt trug er ihn aus dem Raum. >>>„Hey wo wollt ihr mit mir hin?“, rief Dean und wollte den Männern folgen. „Bleib hier Dean. Sie bereiten dich, deinen Körper, für die Zeremonie vor“, erklärte Malina. „Welche Zeremonie?“ „Eine Beerdigung der großen Krieger.“ „Beerdigung? Ich soll beerdigt werden? Warum nicht verbrannt und warum soll ich dann hier bleiben?“, der Winchester schaute sie ratlos an. „Diese Zeremonie ist wichtig. Wir brauchen sie, um deine Seele, um dich wieder mit deinem Körper zu vereinen. Nur so können wir den Fluch wirklich als beendet ansehen.“ „Aber...“, Dean schüttelte den Kopf. Der Fluch. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. „Du hast so vielen Menschen das Leben gerettet, so viel Böses von dieser Welt getilgt, dass es uns eine Ehre ist, dir einen Gefallen zu tun. Nur deshalb bin ich überhaupt bereit mit meinem Bruder zusammen hier her zu kommen. Nur für dich, euch habe ich diese Ausnahme gemacht.“<<< In der Zeremonienhütte lag Deans Körper inzwischen wieder auf dem Altar. Vor einem Tag war er ein Halbwolf, der wieder eins mit seiner Seele werden sollte, und vor etwas mehr als einem Jahr kämpfte er um sein Leben. Heute war er tot. Sie hatten ihn gewaschen und in die Kleidung eines Kriegers gehüllt. Die Hütte war mit dem Rauch verbrannter Kräuter gefüllt, der Sam wieder die Tränen in die Augen trieb. Die Männer schlugen einen eintönigen Rhythmus auf ihren Trommeln. Eintönig und traurig. Ukpik sang dazu und es klang so traurig, wie der Rhythmus der Trommeln. Zwischen den Strophen sog der Schamane immer wieder an einer Pfeife und blies den Rauch über Deans Körper. Plötzlich öffnete sich eine Tür. Drei Männer traten ein. Einer hatte ein von Ruß geschwärztes Gesicht. Der Zweite trug einen Mantel aus Wolfspelz und der Dritte hatte einen komischen Auswuchs auf der Stirn. Sie traten an den Altar und sofort zog sich William respektvoll zurück. Sam starrte die Ankömmlinge mit großen Augen interessiert an. Wer waren diese Männer? Diese Drei traten einer nach dem anderen an den Altar. Zuerst legte der mit dem schwarzen Gesicht seine Hand auf Deans Stirn. Als nächster trat der mit dem Wolfspelz heran. Er legte seine Rechte auf Deans Herz. Als letzter folgte ihnen der mit dem Auswuchs. Er legte seine Hände auf die seiner Begleiter. In einer für Sam unverständlichen Sprache begann er zu sprechen. >>>Dean stand immer noch bei den Frauen und versuchte zu verstehen, was hier passierte. Mit einem Mal erfasste ihn eine Macht und zerrte ihn davon. Hilfesuchend versuchte er sich an Tessa festzuhalten, doch die Kraft war zu stark. „Lass los, Dean. Es wird alles gut werden“, erklärte Malina mit einem Lächeln, bevor der Sog zu stark wurde und er loslassen musste.<<< Unter den Händen der drei Fremden bäumte sich Deans Körper auf. Gierig sog er die Luft in seine Lungen und musste husten. Sam sprang von seinem Sitz auf und stürzte nach vorn. „Dean?“, fragte er und hielt seinen Bruder an den Schultern. Doch der hörte ihn nicht. Immer noch versuchte er nur zu atmen und musste doch bei jedem einzelnen Atemzug auch wieder husten. „Wer … wer seid ihr?“, wollte Sam von den Fremden stammelnd wissen. Auch ihn reizte der Rauch und er versuchte mit schlucken den Hustenreiz zu unterdrücken. „Das ist Anningan, der Mondgott“, der mit dem Wolfspelz zeigte auf dem Mann mit dem schwarzen Gesicht. „Das ist Tulungersaq, Vater Rabe, der, der alles Leben schuf“, erklärte er feierlich und deutete auf dem mit dem Auswuchs. „Und ich bin Amaruq.“ „Du bist Amaruq?“, fragte Sam. „Du bist der Schatten, der mich gestern ...“ „Ich bin Amaruq“, bestätigte der Mann. „Danke!“, stammlte Sam, „Das … danke!“ „Du solltest die nächsten Tage auf ihn achten. Er war sehr lange ein Wolf und ich weiß nicht, wie fest das schon in ihm verwurzelt ist. Er muss sich erst wieder daran gewöhnen Mensch zu sein.“ Er lächelte leicht bedauernd. „Ich hab versucht ihn so weit wie möglich zu schonen. Er hielt das nicht unbedingt für eine gute Idee. Er hat es mir sehr schwer gemacht. Er war ein würdiger Gegner.“ Sam konnte nur nicken. „Danke!“, stammelte er wieder. „Du musst ihm helfen Mensch zu bleiben!“, erklärte Amaruq eindringlich. Sam nickte noch einmal. Gleich darauf wandte er sich wieder seinem Bruder zu und zog ihn in seine Arme, um ihn möglichst nie wieder loszulassen. „Dean!“, keuchte er immer wieder atemlos. „Dean!“ Schon wieder liefen Tränen über sein Gesicht, aber dieses Mal waren es Tränen der Freude. „Sammy!“, krächzte der ältere Winchester und versuchte seinen kleinen Bruder ebenfalls zu umarmen. Seine Hände gehorchten ihm nicht. Die Fremden verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren und die Männer in der Zeremonienhütte unterhielten sich immer noch leise und voller Erstaunen über das Erscheinen ihrer Götter, für einen Mann, der ihnen zwar geholfen, aber doch keiner der ihren war. Kapitel 163: Versorgt --------------------- @ Vanilein : Sorry. keine Ahnung wie das passieren konnte, hab das letzte Kapi geändert. kannst jetzt 2 lesen ;-)) Vielen Dank für Deinen Kommi. Mal sehen, ob Sam seinem Bruder helfen kann ... LG Kalea 163) Versorgt Sam hielt seinen Bruder weiterhin in den Armen. Nanouk und Graham standen dicht bei den Winchesters und hatten ein wachsames Auge auf den Älteren. „Du solltest dich in einem Krankenhaus durchchecken lassen“, sagte Sam leise. „Bin … kay“, krächzte Dean und versuchte sich von Sam zu lösen und zum Rand des Altar zu rutschen. Er fühlte sich unter den Blicken der Männer immer unwohler. Er hörte wie sie über ihn redeten und er hörte die Verehrung, die in ihrem Stimmen mitschwang. Er war von ihren Göttern gerettet worden! Aber auch wenn er sich der Bedeutung dieser Worte noch nicht wirklich bewusst war, so fühlte er sich doch wie ein Tiger im Zoo. Bewundert, angestarrt und eingesperrt. Er musste hier raus! Selbst Sams Umarmung schien ihm immer mehr auf der Haut zu brennen. Außerdem begann er seinen Körper mehr und mehr zu spüren. Jeder Atemzug brannte in seiner Kehle und hinterließ ein unangenehmes Ziehen in seiner Seite. Seine rechte Hand pochte und er fühlte sich, als wäre er in eine Müllpresse gekommen. Was war nur passiert? Mit sanfter Gewalt versuchte er erneut sich von seinem Bruder zu lösen und rutschte nun endgültig zum Rand des Altars. Er schwang die Beine über den Rand und konnte gerade noch ein Stöhnen unterdrücken, als sich diese Bewegung schmerzhaft in seiner Seite bemerkbar machte. Er schob seinen kleinen Bruder etwas weiter weg und rutschte vom Altar. Kaum landete er auf seinen Füßen, knickten ihm die Knie weg. Sam fing ihn auf. „Sag doch was“, tadelte der leise, während er ihn fest an sich drückte und ihn zum Wagen trug. Deans Proteste ignorierend, blieb er erst am Pickup stehen. Vorsichtig stellte er ihn neben der Beifahrertür auf die Füße. „Du kannst dich gleich hinsetzen“, versicherte er ihm, denn auch wenn sich sein Bruder bemühte sich nichts anmerken zu lassen, er fühlte, wie der sich anspannte. Hastig öffnete er die Tür und schob den Älteren auf den Sitz. Er schlug die Tür zu und wollte den Wagen umrunden, als er Graham neben sich stehen sah. „Er muss in ein Krankenhaus“, versuchte Sam jede Unterhaltung abzuwürgen. So dankbar er den Männern hier war, dass sie Dean zurückgebracht hatten, jetzt war es ihm wichtiger, dass sein Bruder versorgt wurde. „Bring ihn nach Whitefish“, sagte der Flatheat nur. „Die sind besser ausgestattet als das Hospital hier in West Glacier.“ „Danke“, sagte Sam und meinte es ehrlich. Er fühlte sich mies, dass er ihm eine belanglose Unterhaltung unterstellt hatte. Graham war nicht so, das hätte er wissen müssen. Schnell warf er ihm ein entschuldigendes Lächeln zu, umrundete den Wagen und rutschte auf den Fahrersitz. Auf dem Weg zur Klinik brach der jüngere Winchester alle Geschwindigkeitsrekorde. Selbst Dean hätte nicht schneller fahren können. Er parkte vor dem Eingang der Notaufnahme. Augenblicklich kam ein Pfleger heraus und stürmte auf Sam zu. „Sie dürfen hier ...“, begann der ungehalten. Doch dann fiel sein Blick auf den Beifahrer, den Sam aus dem Wagen hob und er stürmte zurück. Kurz darauf kam er mit einem Rollstuhl zurück. „Danke“, sagte Sam erleichtert und setzte seinen Bruder in den Stuhl. „Was ist mit ihm?“, wollte der Pfleger auf dem Weg zum nächsten freien Raum wissen. „Er ist in eine Schlägerei geraten.“ „Um diese Uhrzeit?“ „Ja, er wollte einer jungen Frau helfen, die von ihrem Freund unsanft bedrängt wurde. Der Typ war auf Krawall gebürstet und schlichtenden Worten so gänzlich abgeneigt. Er hat sofort zugeschlagen.“ Dean hörte der ganzen Unterhaltung nicht zu. Die Arme vor seine Brust gepresst, versuchte er eine Haltung zu finden, die die Schmerzen in seiner Seite nicht noch stärker werden ließ. Es war aussichtslos. „Legen sie ihn schon mal auf die Liege. Ich hole einen Arzt“, erklärte der Pfleger und verschwand. Sam nickte. Vorsichtig holte er seinen Bruder aus dem Stuhl und setzte ihn auf die Liege. Nur langsam entspannte sich Dean. „Dr. Conway wird gleich bei ihnen sein“, informierte sie der Pfleger wenige Minuten später. „Und ich möchte Sie bitten Ihren Wagen aus der Einfahrt zu nehmen. Wir brauchen den Platz.“ „Sobald er versorgt ist“, versuchte Sam Zeit zu schinden. Er wollte Dean jetzt nicht alleine lassen. „Jetzt!“, beharrte der Pfleger. „Sonst sehe ich mich gezwungen, einen Abschleppwagen zu rufen.“ „Bitte!“ Sam probierte es mit seinem Welpenblick. „Fahren Sie Ihren Wagen weg!“ Sam nickte zerknirscht. Er konnte ihn ja verstehen. Trotzdem fühlte er sich unwohl Dean jetzt allein zu lassen. Er schien alles andere als Herr seiner Sinne zu sein. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er leise. Dean reagierte nicht. „Lauf nicht weg“, versuchte Sam noch zu scherzen. Er legte seine Hand kurz auf Deans Schulter und verließ gleich darauf den Raum. Sofort rollte sich Dean so gut er konnte zusammen. Sam hatte ihm die Sicherheit gegeben, die er im Moment brauchte. Jetzt fühlte er sich allem und jedem schutzlos ausgeliefert. Leise grollend versuchte er sich zu beruhigen. Nachdem er den Pickup auf dem nächsten freien Parkplatz abgestellt hatte, hetzte er zurück. Er kam kurz vor einer jungen Ärztin zum Stehen, die gerade den Raum betreten wollte, in dem sein Bruder lag. „Hier ist besetzt“, wies sie ihn zurecht. „Ich weiß. Er ist mein Bruder“, erwiderte der Winchester. Sie nickte nur und erlaubte ihm zu folgen. Sie trat an die Liege heran und versuchte sich schnell einen Überblick zu verschaffen. „Was ist passiert?“ „Soweit ich das gesehen habe, ist er in eine Schlägerei geraten. Als ich dazukam, war der Typ dabei ihn zu erwürgen.“ Dr. Conway nickte schweigend. Sie griff nach Deans Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen. Der Winchester zuckte zurück. Verwirrt schaute er sich um. Er konnte noch immer nicht richtig einordnen, was mit ihm passiert war, oder was gerade mit ihm passierte. Sam war die einzige Konstante für ihn, das einzige Vertraute in einer plötzlich so unbekannten Welt. Er suchte Sams Blick und versuchte sich an seinem Ärmel festzukrallen. „Er kann nicht zufassen. Das ist mir auf dem Weg hierher schon aufgefallen“, erklärte der Jüngere. „Sofort Röntgen und dann suchen Sie mir einen OP“, forderte die Ärztin von der Schwester, die gerade durch die Tür kam und führte ihre Untersuchungen fort. Sie leuchtete in Deans Augen und tastete seinen Hals ab. Ohne Murren ließ der Winchester die Untersuchungen über sich ergehen. Nur hin und wieder verzog er sein Gesicht vor Schmerzen. Erst als sie versuchte ihn abzuhören und dabei gegen die Wunde an seiner Hüfte stieß, knurrte er hörbar durch zusammengebissene Zähne. „Was ist das?“, fragte sie bei einem Blick auf die Wunde. „Ein Jagdunfall vor ein paar Wochen.“ „Die Wunde ist nicht in einem Krankenhaus versorgt worden“, stellte sie fest. „Nein, wir waren zu weit weg. Außerdem hatten wir einen Arzt in unserer Jagdgruppe. Er hat ihn untersucht und versorgt.“ „Sie scheinen auf Schmerzen zu stehen“, stellte sie ruhig fest und untersuchte die Wunde an der Hüfte, die bei dem Kampf mit Amaruq wieder aufgerissen war. „Nicht wirklich“, versuchte Sam das zu relativieren. „CT, röntgen, das ganze Programm und dann in den OP“, wies sie den Pfleger an, der ebenfalls im Raum war. „Kann ich mit?“, wollte Sam wissen und wurde sofort verächtlich von der Ärztin gemustert. „Was ist er, sagten Sie?“ „Mein Bruder!“, erwiderte Sam. „Er ist alles was von meiner Familie übrig ist, und das schon seit Jahren. Es ist einfach … Wir sind immer füreinander da und ...“ „Er ist hier in guten Händen. Aber Sie können gerne im Wartebereich warten. Wir informieren Sie, wenn er in den Aufwachraum kommt“, antwortete sie kühl und stürmte mit wehendem Kittel davon. Sam drückte Dean noch einmal kurz die Schulter. „Ich bleibe in der Nähe.“ Und natürlich hielt er sein Versprechen. Er ertrug die Blicke des Personals, die von verächtlich über genervt bis wütend reichten. Egal wo sie seinen Bruder hinschoben und welche Untersuchungen der über sich ergehen lassen musste, er war da und schaffte es immer wieder sich kurz in Deans Blickfeld zu schieben, zumindest solange, bis sich die Türen hinter ihm geschlossen hatten. Mittag war schon eine Weile vorbei, als Dean endlich, noch ziemlich benommen von der Aufwachstation, in ein Zimmer geschoben wurde. Der Pfleger schloss ihn an den Tropf an, kontrollierte noch einmal die Verbände und ließ Sam dann mit seinem Bruder allein. Es dauerte nicht lange, bis ihm die Ärztin in den Raum folgte. „Sind Sie sich sicher, dass es nur eine Schlägerei war?“, fragte sie geradeheraus. „Was soll es sonst gewesen sein?“, stellte sich Sam dumm. „Sagen Sie es mir. Die Verletzung an der Hüfte haben wir gereinigt und genäht. Er wird eine hübsche Narbe behalten! Sein rechtes Handgelenk ist komplett gebrochen, genau wie der linke Arm und sein Hals sieht aus, als hätte jemand versucht, ihn zu strangulieren. Das kann niemand nur mit seinen Händen machen. Soviel Kraft hat niemand. Also frage ich sie nochmal: Sind Sie sich sicher, dass es eine Schlägerei war?“ „Ich habe nur gesehen, wie der Typ auf ihm hockte!“ „Sie versuchen hier nicht einen Selbstmordversuch Ihres Bruders zu decken?“ „Einen was? Mein Bruder würde sich nie selbst töten wollen!“ Sam war entsetzt. „Das würde eine Großzahl der Verletzungen eher erklären, als das was Sie mir hier aufgetischt haben“, erklärte sie ruhig. „Selbstmörder kommen in die Hölle!“, sprudelte es aus dem Winchester hervor. Dean hatte mit mehr als nur einem Fuß in der Hölle gestanden. Nein, das würde er wohl nicht noch einmal wollen. Obwohl? Wenn er genauer darüber nachdachte. Irgendwie war es schon ein Selbstmordversuch, als Dean diesem Wolf gegenübergetreten war. „Sie sind strenggläubig?“ „Ja. Wir glauben dass es eine Hölle gibt und das Selbstmörder dahin kommen.“ Gut, sie glaubten es nicht nur, sie wussten zumindest ersteres genau, doch das musste er ihr ja nicht erzählen. „Okay, ich werde Ihnen glauben“, nickte sie. „Wie lange wird er noch so ...“ „Es sollte langsam klarer werden. Die Wirkung der Narkose lässt sichtlich nach. In ein paar Stunden sollte er wieder normal reagieren. Eine Schwester wird dann auch den Katheter entfernen und wenn es keine Komplikationen gibt, können wir ihn schon bald wieder entlassen. Es sei denn sie möchten ihn noch weiter in Behandlung wissen.“ „Nein. Ich möchte mit ihm nur noch nach Hause fahren. Da kann er sich am Besten erholen.“ „Ihre Entscheidung“, sagte sie kühl. „Danke, Doktor“, antwortete der Winchester nicht weniger unfreundlich. Mit einem Nicken verließ sie das Zimmer. Sam zog sich den einzigen Stuhl neben das Bett seines Bruders, nahm dessen Finger in seine Hand und schloss die Augen. 'Nur ein paar Minuten.' Er war so müde, aber er wollte Dean nicht alleine lassen, nicht nach allem was in den letzten Tagen passiert war. Außerdem wollte er doch unbedingt wissen, was jetzt mit seinem Bruder war. War er wieder ein Mensch? War es seine Verletzungen wert gewesen? Geräuschvoll wurde die Tür geöffnet. Sam riss den Kopf hoch und schaute sich verwirrt um. Inzwischen war es draußen schon wieder dunkel. Er war wohl doch richtig eingeschlafen! Müde rieb er sich die Augen und schaute dann dem Bett entgegen, das ins Zimmer geschoben wurde. Kurz begegnete er dem genervten Blick des Pflegers. Aber das war ihm egal. So schnell würde er seinen Bruder nicht mehr alleine lassen. Der Mann in dem Bett sah auch ziemlich fertig aus. Was der wohl hatte, überlegte Sam. Aber eigentlich war es ihm egal. Es gab nur einen Menschen, der für ihn zählte. Als der Pfleger das Zimmer wieder verließ brannte nun auch noch ein zweites Nachtlicht. Vielleicht würde ihm das ja dabei helfen nicht sofort wieder einzuschlafen? Kapitel 164: Hilflos -------------------- Bist Du sicher, dass Dean wieder zurück ist ???? Wenn Du Dich da mal nicht irrst. LG Kalea 164) Hilflos Sam brauchte das Licht nicht, um wach zu bleiben. Dean schlief schon eine Weile unruhig und als er plötzlich zusammenzuckte und leise wimmerte, war er augenblicklich hellwach. Deans Arme und Füße zuckten. Sams Herz setzte einen Schlag aus. War das jetzt alles umsonst gewesen? War Dean wieder zum Wolf geworden? Amaruq hatte gesagt, dass er nicht wüsste, wie tief der in seinem Bruder schon verwurzelt wäre. Warum nur hatte er nicht eher an die Inuit gedacht? Es war doch nun wirklich noch nicht so lange her, dass der Wolf ihn an Deans Bett gefesselt hatte. Verdammt! Und wieder rissen Deans Bewegungen ihn aus seinen Gedanken. „Ist gut Dean, ich bin da“, sagte er leise und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hat dein Prinzesschen Albträume?“, riss Deans Bettnachbar ihn aus seinen Gedanken. „Was? Wer?“, fragte er verwirrt. „Na so wie du ihre Hand hältst ...“ „ER ist mein Bruder!“ „Du hältst die Hand deines Bruders?“, fragte der Mann angewidert. „Er liegt hier, weil er sein Leben für mich riskiert hat und du?“ „Blinddarm-OP.“ „Tja, dann frag dich mal, warum keiner bei dir ist.“ Sam konnte sich diesen Schlag nicht verkneifen. Deans Bettnachbar schnaubte nur abfällig und drehte seinen Kopf weg. Sam war es nur recht. Er wollte mit niemandem reden. Er wollte still hier sitzen und wenn Dean endlich aufwachen würde, wollte er sehen, dass er wieder ganze Mensch war und gleich darauf mit ihm zu Bobby fahren. Dean würde gesund werden und dann würden sie ihr Leben, ihr richtiges Leben starten! Die Nacht verging. Sam kämpfte immer wieder damit, nicht doch noch einzuschlafen. Es gelang ihm nicht immer, doch sobald sein Kinn auf seine Brust sackte, fuhr er jedes Mal wieder hoch. Als sich der neue Tag ankündigte, indem es auf dem Gang lauter wurde, ließ er Deans Hand los und ging nach draußen. Sein Bruder schlief noch immer und er brauchte jetzt dringend einen Kaffee und etwas zu essen. So schnell er nur konnte, würgte er sich ein trockenes Sandwich durch den Hals und spülte es mit furchtbar schmeckendem Kaffee herunter. Er holte noch einen Tee für Dean und hoffte, dass der endlich ausgeschlafen hätte. Leise betrat Sam das Zimmer. Sofort legte sich ein breites Strahlen auf sein Gesicht. Deans Augen waren offen. „Hey“, grüßte er und trat neben das Bett. Nur langsam fokussierten sich Deans Augen auf ihn und er wollte nichts lieber, als ihn zu schütteln und zu schreien, dass er hier wäre. Doch er schluckte seine Gefühle herunter. „Wie fühlst du dich?“, fragte er stattdessen und hielt ihm den Becher hin. Deans Blick huschte unsicher zwischen seinen eingegipsten Händen, Sam und dem Becher hin und her. Sam lächelte entschuldigend. Er schob seine Hand unter Deans Rücken und half ihn dabei sich aufzurichten, bevor er ihm den Tee an die Lippen hielt, damit er trinken konnte. Dean verzog das Gesicht. Das dünne Zeug schmeckte furchtbar, doch er hatte so großen Durst, dass er es trank, auch wenn das Schlucken schmerzte. Jeden Schluck musste er sich hinunter quälen. „Weiß … nicht“, beantwortete er die Frage, nachdem er den Becher geleert hatte. Seine Stimme klang rau von den Verletzungen des Kampfes und unbenutzt und er sprach die Worte so klar aus, als hätte er sie sich erst zurecht legen müssen. „Willst du noch schlafen?“, fragte Sam. Dean schüttelte langsam den Kopf, ließ sich aber wieder gegen das hochgestellte Kopfteil des Bettes sinken. Den Blick richtete er wieder auf das Fenster, doch seine Aufmerksamkeit galt nicht dem, was seine Augen ihm zeigten. Seine Aufmerksamkeit galt dem, was durch seine Ohren in sein Gehirn drang. Auf dem Gang stritten sich zwei Schwestern welche von ihnen dieses Mal zu dem unleidlichen Patienten gehen sollte, der schon seit einer halben Ewigkeit auf seiner Klingel herumdrückte. Die Motoren der Aufzüge klapperten und die Seile quietschten in den Rollen. Ein Pfleger schob den Essenswagen durch den Gang und rammte ihn vor jeder Zimmertür gegen die Fußleiste, so dass das Geschirr leise klapperte. Sam schien von all dem nichts mitzubekommen, doch Dean wünschte sich nichts sehnlicher, als aus diesem Zimmer heraus und zurück in seinen Wald zu kommen. Als der Pfleger dann auch noch eines der Tabletts fallen lies, saß er senkrecht. Sofort stand Sam neben ihm und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Es ist okay, Dean, Ich bin bei dir“, versuchte er ihn zu beruhigen, auch wenn er nicht wusste, was ihn so aufgeschreckt hatte. War es das Geschepper irgendwo draußen auf dem Gang gewesen? Nur langsam normalisierte sich Deans Atmung wieder und er versuchte sich ein wenig zu entspannen. Das gelang ihm genau solange, bis der Pfleger bei ihrem Zimmer angekommen war und schwungvoll die Tür aufstieß. „Frühstück“, rief er. Die Klinke knallte gegen die Wand und Dean zuckte erneut zusammen. Hier würde er keine Ruhe finden. Dieses Mal war sogar Sam erschrocken. Alarmiert schaute er zu seinem Bruder. „Nach Hause ... bitte, ich ...“, versuchte Dean seinen Wunsch zu formulieren, kaum dass der laute Pfleger das Zimmer wieder verlassen hatte. Er hatte noch immer Schwierigkeiten die Worte zu formulieren. Der Jüngere musterte ihn eine Weile, dann nickte er. Dean hatte nichts, was sich nicht bei Bobby auskurieren ließ, außerdem hatte die Ärztin ihm ja gesagt, dass er schnell entlassen werden konnte. „Ich kümmere mich darum“, versprach er und wandte sich zum Gehen. „Versprich du mir etwas zu essen, ja?“ Leise schnaubend schüttelte er den Kopf. Seit wann musste er Dean bitten zu essen? Kaum war Sam aus dem Zimmer verschwunden, zog sich der Älteren umständlich den Nachttisch heran, schob die Abdeckung vom Teller und zuckte erneut zusammen, als die auf dem Boden aufschlug. Dieser Krach fraß sich in seine Ohren und nistete sich pochend hinter seiner Stirn ein. Langsam begann das Licht, das das Zimmer erhellte seine Kopfschmerzen zu verstärken. Er wollte nichts lieber, als sich unter der Decke zu verkriechen, doch er konnte sie nicht richtig fassen und noch weniger so fest halten, um sie höher zu ziehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf Sam zu warten. Hilfesuchend schaute er zu seinem Bettnachbarn, doch der beschäftigte sich nur geräuschvoll mit seinem Teller. Sein Blick wanderte weiter zur Tür. Allerdings würde sein kleiner Bruder wohl nicht so schnell zurück kommen. Er schob den Teller beiseite und ließ sich wieder gegen das Kopfteil seines Bettes fallen. Genervt schloss er die Augen. So konnte er wenigstens das tote Licht aussperren. Lange konnte er diese verhältnismäßige Ruhe jedoch nicht genießen. Auf dem Gang hörte er Schritte und Stimmen, die er kannte. Die Tür ging auf. Yuri betrat, gefolgt von William, Jonah und Graham, das Zimmer. „Hallo mein Junge. Was machst du denn für Sachen?“, begann sie augenblicklich und musterte ihn eindringlich. Dann fiel ihr Blick auf seinen Teller. „Du musst doch was essen!“, rügte sie ihn besorgt. Dean verdrehte nur die Augen. Sie war laut und das Licht tat seinen Augen weh, doch er wusste tief in seinem Inneren, dass sie sich noch genauso sehr um ihn sorgte, wie vor einem Jahr. „Aber wie sollst du auch“, erklärte sie es sich und schaute auf seine Verbände. Sie ließ ihm keine Zeit für aufkommende Schamgefühle sondern setzte sich auf sein Bett und begann den Toast kleinzuschneiden. In aller Ruhe schaufelte sie Rührei darauf und hielt es ihm vor den Mund. Der Kerl im Nachbarbett feixte breit, als er das sah. „Ich hoffe für Sie, dass Sie in nie in so eine Situation kommen und wenn doch, dass Sie ebenfalls jemanden haben, der Ihnen dann hilft“, sagte Graham und stellte sich so, dass er Dean vor den Blicken dieses Mannes abschirmte. „Ist mit dir wieder alles okay?“, wollte William besorgt wissen. Dean hob den Blick und schaute dem Schamanen in die Augen. Er wusste nicht, ob wieder alles im Lot war, es fühlte sich jedenfalls nicht so an. William schien ihm bis in die Seele zu schauen. Eine ganze Weile sagte er nicht, dann nickte er bedächtig. „Irgendwann wird es das“, sagte er nur. Dean zuckte mit den Schultern. Er wusste ja nicht einmal was in Ordnung kommen sollte. Was war die Ordnung? Er wusste, dass er zu Sam gehörte, aber er wollte nichts lieber als zurück zu seiner Familie. Nein! Nichts war auch nur halbwegs in Ordnung! Für einen Augenblick schloss er die Augen, doch Yuri ließ ihm keine Ruhe. Vorsichtig schob sie ihm die volle Gabel gegen die Lippen und er öffnete seine Augen wieder und ließ sich gleich darauf auch das Essen in den Mund schieben. Wie sehr hasste er es hier zu liegen und sich so behandeln lassen zu müssen. Sam betrat das Zimmer. Sofort schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Nicht nur, dass die Freunde hier waren, nein Yuri hatte, ganz das mütterliche Wesen als das er sie kennengelernt hatte, auch sofort die Initiative ergriffen und half, wo sie nur konnte. Die vier Besucher schauten ihm sofort entgegen. Nur der, von dem er sich eine Reaktion erhofft hatte, hielt den Blick weiter abwesend gegen die Wand gerichtet. Sofort machte sich das ungute Gefühl, dass er die ganze Nacht versucht hatte zu verdrängen, wieder in ihm breit. Was war nur mit Dean? Hatte ihn die Umwandlung so mitgenommen? Hing ihm der Kampf noch in den Knochen oder …? Nein, an die letzte Möglichkeit wollte er nicht denken! Nicht nach all dem, was sie auf sich genommen hatten. „Hallo Sam. Du siehst müde aus. Hast du richtig gegessen?“, riss Yuri ihn aus seinen trüben Gedanken und bevor er es sich versah, hatte sie ihn auch schon in den Arm genommen. „Mir geht es gut“, wiegelte er verlegen ab. Nach einer Weile schaffte er es auch, sich aus ihrer Umarmung zu lösen. „Sie wollen dich noch einmal durchchecken Dean, aber einer Entlassung sollte nichts im Wege stehen, sagte der Arzt, auch wenn er natürlich nicht wirklich davon begeistert ist, dass du schon raus willst“, wandte er sich nun an seinen Bruder. Der schnaubte nur leise und versuchte die Geräusche, die weiterhin seine Ohren malträtierten, so gut es ging, auszublenden. Es gelang ihm nicht wirklich. Warum war er nur plötzlich so empfindlich auf Geräusche? Eine Schwester kam, um ihn abzuholen. „Sie gehören zu ihm?“, fragte sie in die Runde und deutete wage auf Dean. „Ja“, bestätigten die Besucher. „Dann muss ich sie bitten in den Warteraum zu gehen.“ „Ja, natürlich. Wir wollten eh gleich wieder los“, erwiderte William und trat vor Dean. „Lass dich nicht unterkriegen. Wir werden uns wiedersehen.“ Er legte dem Winchester eine Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. Auch die Anderen verabschiedeten sich schnell. „Du wirst immer ein Bett bei uns finden“, lud Yuri ihn für einen weiteren Besuch ein. „Wir haben dir so viel zu verdanken, euch Beiden, das können wir nie wieder gutmachen.“ Dean nickte abwesend und schon schob die Schwester ihn aus dem Raum. „Geben Sie mir Bescheid, wenn sie mit ihm fertig sind?“, bat Sam. Er war der Schwester auf den Gang gefolgt. „Ich wollte mich in Ruhe von ihnen verabschieden.“ „Sie sind dann im Warteraum?“ „Ja, ich bin da“, bestätigte Sam. Er war nicht scharf darauf mehr Zeit als nötig mit Deans aufdringlichem Bettnachbarn zu verbringen. Kapitel 165: irgendwie falsch ----------------------------- @ Vanilein : Oha! Ist das jetzt gut oder schlecht für mich? LG Kalea 165) Irgendwie falsch „Ich weiß nicht, wie ich euch danken kann“, begann Sam, als sie vor dem Gebäude standen. „Du musst uns nicht danken“, wiegelte William ab. „Ihr habt Dean ...“ „Sam“, begann jetzt auch Jonah, „selbst wenn wir ein Leben gegen ein anderes rechnen würden, stünden wir noch immer so tief in eurer Schuld, dass wir die nie abtragen könnten.“ Sam seufzte. „Das ist unser Job. Wir ...“ „Dann sieh das als meinen Job an“, unterbrach ihn William. „Ich kann mit unseren Geistern reden und ich kann sie um Hilfe bitten. Dank euch haben wir unsere Götter treffen dürfen! Das ist mehr als wir je zu hoffen wagten.“ „Das … Ich ...“, versuchte Sam einen Satz zu beginnen. „Sam! Wir verdanken dir, euch ein paar wundervolle Augenblicke, wir verdanken euch das Leben unserer Kinder. Es gibt nichts, was wir für euch tun können, das dem auch nur im Mindesten gerecht werden würde. Es ist gut so, wie es ist“, erklärte Graham. „Ihr könnt jederzeit wieder zu uns kommen, Sam. Nicht nur wenn es solche Probleme gibt. Ich würde mich freuen, euch mal für ein paar Tage als ganz normale Gäste im Haus zu haben“, sagte Yuri. „Wollt ihr nicht wenn Dean entlassen wird ...“ „Ich denke, er möchte erst mal nach Hause und ehrlich gesagt, ich auch. Auch wenn euer Angebot verlockend klingt. Wir waren jetzt so lange weg.“ „Lass sie doch erst mal wieder zueinanderfinden“, warf William ein und Yuri nickte traurig. Doch gleich darauf strahlte sie wieder und umarmte Sam noch einmal. „Passt auf euch auf“, sagte sie und hakte sich bei William unter. Gemeinsam gingen sie langsam zu ihrem Wagen. Sam holte Deans Tasche aus dem Pickup und setzte sich dann in den Warteraum, den er erst wieder verlassen wollte, wenn er zu seinem Bruder durfte. Mittag war schon wieder vorbei, als eine Schwester zu ihm kam. „Sam Winchester?“, fragte sie. Der Angesprochene sprang auf. „Ihr Bruder ist wieder in seinem Zimmer. Seine Entlassungspapiere liegen an der Anmeldung“, erklärte sie kurz und verschwand wieder. Wie von Furien gehetzte rannte Sam durch die Gänge. Er verschätzte sich bei der Berechnung seines Bremsweges und schlidderte an der Tür vorbei. Sofort machte er kehrt und stürmte ins Zimmer. „Hey“, grüßte er leise und versuchte aus der undurchdringlichen Mine seines Bruders etwas herauszulesen. Dean starrte weiter blind aus dem Fenster. Sam stellte sich neben ihn. „Willst du wirklich heute noch hier raus?“, fragte er ruhig. Der Blick, den Dean ihm zuwarf, sagte genug. Er nickte stumm und begann dessen Kleidung aus der Tasche zu holen. „Vielleicht sollten wir bei William und Yuri übernachten?“, schlug Sam vor, doch wieder hielt ein Blick von Dean ihn davon ab, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. „Was ist los, Dean?“, fragte er leise. „Ich …“, hilflos schüttelte der Ältere den Kopf. „Lass mich mich selbst finden, bevor ich mich anderen stellen muss.“ Noch immer kamen die Worte schleppend über dessen Lippen. „Ich will nicht noch mehr Menschen ...“, wieder starrte Dean auf seine eingegipsten Hände und Sam verstand, dass er sich wohl noch nie in seinem Leben derart auf andere verlassen musste, weil er sich selbst nur mit viel Mühe den Knopf an seiner Hose schließen konnte, wenn überhaupt. Bei der nächsten Gelegenheit sollten sie Jogginghosen und Slipper für ihn kaufen. „Also nach Hause?“, fragte Sam und Dean nickte erleichtert. Alles was im Moment zählte, war hier raus zu kommen. Beim Umziehen ließ sich der Ältere ohne viel zu protestieren helfen, doch als Sam ihm den Rollstuhl zurechtrückte, schnaubte er entrüstet. „Kann alleine laufen!“ „Das glaube ich dir sofort, aber so sind die Vorschriften. Hier raus kommst du nur in dem Ding“, erklärte Sam und versuchte ernst zu bleiben. Mit leisem Schnauben ließ sich der Ältere in den Stuhl fallen. Schnell legte Sam ihm noch die Tasche auf den Schoß und schob ihn zum Fahrstuhl. An der Anmeldung unterschrieb Sam die Papiere und dann waren sie endlich erlöst. Auf dem Parkplatz angekommen holte Sam tief Luft. Sie waren wirklich frei, erlöst und endlich wieder zusammen! Etwas umständlich öffnete er die Beifahrertür und half Dean in den Pickup. Die ganze Zeit erwartete er die eigentlich unausweichliche Frage nach dem Impala, doch sie kam nicht. Sam brachte den Rollstuhl zurück und atmete erst auf, als er neben seinem Bruder saß. „Wir fahren jetzt zu Bobby und egal was sich uns in den Weg wirft, wir werden zu Bobby fahren und uns um nichts anderes als um unser Wohl kümmern. Keine Zigeuner, keine Werwölfe, nichts! Okay?“ Endlich wandte Dean ihm den Kopf zu. Ein vorsichtiges Lächeln huschte über das Gesicht und Sam fühlte sich endlich wieder vollkommen. „Gott! Ich hatte solche Angst, dich nie wieder so neben mir sitzen zu sehen“, gab er ehrlich zu. „Ich bin da“, erklärte Dean schleppend. Er versuchte noch immer sich in dieser neuen Realität zurecht zu finden. Alles war plötzlich so ganz anders. „Ja und den Rest schaffen wir auch noch!“ Sam wusste nicht, wem er mit diesem Satz mehr Mut machen wollte, sich oder Dean, doch das war auch egal. Sie waren wieder zusammen und Dean und Sam Winchester gemeinsam, konnten alles schaffen. An diesem Tag schafften sie allerdings noch nicht einmal die Hälfte der Strecke. Die letzten mehr oder weniger durchwachten Nächte steckten Sam in den Knochen und so suchte er ihnen, kaum dass die Sonne untergegangen war, ein Motel. „Willst du mitkommen oder soll ich nur schnell was zu Essen holen?“, fragte Sam. Er unterdrückte ein Gähnen. Deans Antwort war ein Blick auf seine eingegipsten Arme. „Ich wollte dich wenigstens fragen“, erklärte der Jüngere mit einem schiefen Lächeln. Er half seinem Bruder aus dem Wagen und öffnete die Zimmertür. „Kommst du alleine klar?“ Dean schnaufte nur. Er wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden um sich selbst finden zu können. „Dann fahr ich mal“, übersah Sam diese Reaktion. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie es Dean ging. Sein Bruder, der selten bis nie auf fremde Hilfe hoffen durfte, war es einfach nicht gewohnt zu fragen oder sich auf andere verlassen zu können, auch wenn er in den letzten Jahren öfter Hilfe bekommen hatte, so war es für ihn wohl immer noch ungewohnt. Und jetzt? Dean war faktisch hilflos ohne jemanden an seiner Seite. Dass es etwas anderes sein konnte, darüber wollte er nicht nachdenken. Auf dem Weg zerbrach er sich den Kopf, was er für seinen Bruder holen sollte. Was konnte der mit seinen kaum beweglichen Händen essen? Außerdem brauchte er dringend Kleidung mit der er nicht jedes Mal fragen musste, wenn er ins Bad wollte. Nur zu gut konnte sich Sam daran erinnern, wie es war, als die Seele des kleinen Kyle in Deans Körper steckte. Doch was damals vielleicht noch niedlich war, würde jetzt zumindest auf Deans Seite als äußerst nervig angesehen werden. War ja auch furchtbar immer jemanden um Hilfe bitten zu müssen. Er kam an einem Kaufhaus vorbei. Da würde er gleich noch nach Kleidung schauen. Müde rieb er sich über das Gesicht. Eigentlich wollte er nichts lieber als in ein Bett, doch das musste noch warten. Sam setzte den Blinker und fuhr auf den Parkplatz des Kaufhauses. Die Kleidung sollte er wohl besser vor dem Essen kaufen. In der Herrenabteilung schaute er sich suchend um. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine ältere Verkäuferin. „Ich suche Jogginghosen und Pullover oder Hemden mit weiten Ärmeln. Mein Bruder hat sich den Arm gebrochen“, erklärte er sein Anliegen. „Jogginghosen haben wir hier. Da sollte es kein Problem sein etwas Passendes zu finden. Bei der Oberbekleidung sieht es schon schwieriger aus. Derzeit sind eher eng geschnittene Ärmel modern. Aber ich denke ...“, sie drehte sich um und suchte in einem Regal. „genau. Hier haben wir noch etwas mit weiteren Ärmeln. Es ist nicht ...“ „In der Not frisst der Teufel Fliegen“, meinte Sam nur, als der das Teil sah. Es war wirklich nicht schön. „Und was ist mit kurzärmligen Hemden und einen langärmligen T-Shirt drunter?“ „Wir haben kaum kurzärmelige Hemden da. Wenn Sie in 14 Tagen nochmal kommen würden ...“ „Wir sind nur auf der Durchreise!“, unterbrach sie der Winchester. „Ich nehme den Pullover“, sagte er kurzentschlossen. Wenige Minuten später hatte er den und zwei Jogginghosen bezahlt und die Tüte auf dem Beifahrersitz gepackt. Jetzt fehlte nur noch das Essen. Verwundert schaute Sam zu ihrem Zimmer. Wenn er nicht genau wüsste, dass das ihres war, würde er denken, dass das Zimmer unbewohnt war. Wo steckte sein Bruder. Schlief Dean? Er griff nach den Tüten und stieg aus. Etwas umständlich schloss er die Wagentür, fasste seine unhandlichen Einkäufe fester und ging zum Zimmer. Er öffnete die Tür und trat ein. „Dean?“, fragte er halblaut. Sollte sein Bruder wirklich schlafen, wollte er ihn nicht wecken. Das Essen konnten sie aufwärmen. Er bekam keine Antwort. Umso mehr erschreckte er sich, als er das Licht einschaltete und seinen Bruder in der dunkelsten Ecke des Raumes hocken sah. „Was ist mit dir?“, fragte er mit einem leichten Anflug von Panik in der Stimme. Der Ältere zuckte zusammen. Er musterte Sam mit weit aufgerissenen Augen, bevor er sich entspannte. „Was ist mit dir?“, fragte Sam noch einmal eindringlich, doch Dean schüttelte nur den Kopf. „Es … ich bin falsch!“, flüsterte er leise und kam an den Tisch. Sam schluckte. Genau das wollte er nicht hören und doch hatte Dean wohl Recht. Seine Welt hatte isch gerade wieder vollkommen geändert. Er musste ihm Zeit lassen. „Ich hab dir Jogginghosen mitgebracht und einen Pullover mit weiten Ärmeln. Leider ist die Mode mit den Fledermausärmeln schon eine Weile durch, aber ich hoffe, dass es so auch geht“, überging der Jüngere Deans Reaktion und packte die Tüten aus. „Ich hab Wraps“, sagte er und stellte die Styroporverpackung auf den Tisch. Er holte Besteck und begann Deans in kleine Stücke zu zerschneiden. Schwer ließ sich Dean auf einen Stuhl fallen. Er schob sich die Gabel zwischen die Finger und begann zu essen. Es war nicht einfach und mehr als einmal fiel ihm der Bissen wieder herunter, aber nach und nach landete alles in seinem Mund. „Noch Hunger?“, fragte Sam. „Ich hab Apfelkuchen!“ „Satt“, erklärte Dean leise und verkroch sich auf ein Bett. Das hintere zum ersten Mal seit Sam gegangen und er immer mehr alleine gejagt hatte. „Hast du wirklich keinen Hunger mehr?“ Sam wollte das einfach nicht glauben. „Nicht mehr. Morgen.“ Er war fertig. Das Essen hatte angestrengt. Der ganze Tag hatte an seinen Kräften gezehrt. Er kämpfte sich aus seiner Kleidung. Nur für den Knopf seiner Jeans musste er Sams Hilfe in Anspruch nehmen. Sam konnte sich das Elend nicht länger mit ansehen. Er fasste einfach zu, zog seinen Bruder zu sich und öffnete die Hose. „Ich hab Jogginghosen mitgebracht. Dann musst du dich nicht mit dem Knopf rumärgern“, erklärte er wie nebenbei noch einmal und fing sich einen skeptischen Blick ein. „Ich bin im Bad“, sagte er nur und flüchtete regelrecht. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fragte er sich warum. Irgendwie war Dean komisch. Lag es daran, dass er die letzten Monate als Wolf gelebt hatte? Aber da war er doch auch ein Jäger und er hatte Familie. Traurig seufzte Sam. Ja, Dean hatte Familie. Würde er die hier auch endlich finden? Könnte er endlich ohne die Jagd leben? Er wünschte es sich, für Dean und für sich. Aber erstmal musste sie die nächsten Wochen überstehen und dann würde schon alles gut werden! Nur nicht den Optimismus verlieren. Gequält grinste er sein Spiegelbild an. Er duschte, putze sich die Zähne und freute sich auf ein Bett und eine ruhige Nacht. Er betrat ihr Zimmer und erstarrte. Dean hatte sich am Fußende seines Bettes zusammengerollt. „Willst du dich nicht richtig hinlegen?“, fragte er leise und erhielt keine Antwort. Vielleicht schlief sein Bruder ja wirklich so fest? Eigentlich konnte er sich das nicht vorstellen. Ein Wolf, und als solcher benahm sich Dean gerade, würde doch immer auf seine Umgebung reagieren, oder? Er ging zum Bett und zog die Decke über ihn. 'Du musst ihm helfen ein Mensch zu bleiben', hallten Amaruqs Worte in seinen Ohren wider. Das würde wohl schwerer werden als erwartet. Egal! Heute war er zu müde um noch irgendeine Diskussion über sich ergehen zu lassen. Morgen konnte er mit Dean reden und sie würden eine Lösung finden! Kapitel 166: Laute Welt ----------------------- 166) Laute Welt Immer mal wieder schaute Sam während der Fahrt zu seinem Bruder, der auf der Beifahrerseite gegen den Türrahmen gelehnt, apathisch aus dem Fenster starrte. Dean trug die Jogginghose, den Pullover, dem Sam nach mehreren vergeblichen Versuchen den über den Gips zu bekommen, den linken Ärmel abgeschnitten hatte und seine Schuhe, deren Schnürsenkel nur in den Schaft geschoben worden waren. Warum auch immer. Dean hatte sich dazu nicht geäußert, außer dass er regelrecht geflüchtet war, als er die zubinden wollte. Inzwischen war der Mittag schon lange vorüber und wieder warf Sam einen Blick auf seinen Bruder. „Da vorne gibt’s wieder ein Diner“, begann Sam so unverfänglich wie möglich. Dean starrte weiter aus dem Fenster. „Sag nicht, dass du noch immer keinen Hunger hast.“ Von dem Älteren gab es noch immer keine Antwort. „Dean! Du musst essen! Willst du wegen der Verbände nicht oder hast du wirklich keinen Hunger?“, versuchte es Sam jetzt. Ein langer vielsagender Blick seines Bruders war die Antwort. „Ich kann dir doch helfen. Niemand würde daran Anstoß nehmen, wenn ...“ Ein weiterer vielsagender Blick ließ ihn verstummen. Dean wollte es nicht, auch wenn er das nicht wirklich verstehen wollte. Es war doch wirklich nicht das erste Mal, dass er Dean so helfen würde! Wenn er in so einer Situation wäre, würde er sich helfen lassen. Oder? Das letzte Mal als er sich den Arm gebrochen hatte, war noch nicht einmal so lange her und es war der rechte, jedoch hatte er sich nur das Handgelenk angebrochen und konnte so noch ganz gut hantieren. Sein Bruder hatte nicht nur ein angebrochenes rechtes Handgelenk, nein er hatte auch noch einen gebrochenen linken Arm und der Gips reichte von der Handfläche bis über den Ellenbogen. Mit diesem Arm konnte er rein gar nichts anfangen. Er konnte keine Tasse halten, keine Gabel, nichts. Obwohl? Halten vielleicht schon, leider bekam er so nur nichts in den Mund. Der Arm war so vollkommen nutzlos und das für mindestens vier Wochen. Und mit der rechten Hand konnte Dean kaum greifen. Wie sollten sie ihn in der Zeit ernähren? Eine Schnabeltasse fiel ja wohl aus, obwohl Dean die, mit Kakao vermischte, Ersatzmilch damals geschmeckt hatte. Nein. Soweit wollte er nicht gehen. Aber irgendetwas musste ihnen doch einfallen! Ob sich sein Bruder zu Hause eher füttern ließ? Hatten Jody oder Bobby eine Idee? Er konnte es nur hoffen. Erleichtert atmete Sam auf, als er den Pickup auf den singerschen Schrottplatz lenkte. „Wir sind zuhause“, sagte er und stieg aus. Er lief um den Wagen herum, um seinem Bruder zu helfen. Aus den Augenwinkeln sah er Jody und Bobby auf die Veranda treten. „Das Empfangskomitee ist auch schon da“, grinste er seinen Bruder an und merkte erst als der sich merklich versteifte, dass das wohl genau das war, was er nicht wollte. „Na komm, sie beißen nicht“, versuchte er ihm Mut zu machen, doch Dean entspannte sich kaum. Was hatte er nur? Er wollte es noch einen Augenblick verdrängen und einfach nur das Glück genießen, hier zu sein. „Bobby“, sagte der jüngere Winchester und fiel seinem Ziehvater um den Hals. All die Anspannung, Angst und die Sorgen der letzten Monate fielen von ihm ab und dem Älteren ging es nicht anders. Nur Dean stand etwas verloren daneben und schaute in die kalte Nacht hinaus. „Habt ihr Hunger?“ fragte Jody. „Wir haben ein bisschen was vorbereitet.“ Sam nickte sofort. Aus Rücksicht auf seinen Bruder hatte er nur zum Tanken angehalten und seinen größten Hunger am Nachmittag mit einem Müsliriegel gestillt. Dean versteifte sich jedoch sofort wieder. „Kommt rein. Hier draußen ist es alles andere als gemütlich“, sagte Bobby und warf einen kurzen, traurigen Blick auf den älteren Bruder. Was mit ihm war, würde er schon noch erfahren, auch wenn es ihn doch brennend interessierte. Das musste warten. Nur widerwillig löste sich Dean von der friedlichen Nacht. Die Kälte störte ihn nicht. Der Lärm, den die Menschen machten, schon. Die Menschen, wie das klang. Er war doch selbst ein Mensch und doch fühlte er sich den Wölfen gerade mehr verbunden als denen, die er seine Familie nannte. Er konnte nur hoffen, dass sich das in den nächsten Tagen änderte. Und einen Teil konnte er selbst dazu beitragen. Er musste sich einfach nur wieder einleben. Dann würde er auch den Krach nicht mehr als solchen empfinden! Dean gab sich einen Ruck und folgte den anderen ins Haus, wo er sich gleich seine Schuhe von den Füßen kickte. Erleichtert atmete er auf. So ging es ihm schon viel besser. In der Küchentür blieb er stehen. Sein Blick fiel auf seinen Stammplatz und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Auf dem Tisch stand ein Teller mit vielen kleinen Sandwichstücken und in jedem steckte ein Patyspieß. So konnte selbst er essen. „Hau rein“, sagte Jody, der sein Blick nicht entgangen war. „Ich kann dir auch noch mehr machen.“ Das ließ sich Dean nicht zweimal sagen. Ausgehungert fiel er über den Teller her und Jody musste sich mit der Lieferung von Nachschub so beeilen, dass Bobby ihr unter die Arme griff. Lächelnd zwinkerte sie Sam zu. Der Tipp war wirklich Gold wert gewesen. Endlich ließ sich Dean gegen die Stuhllehne sinken. Zufriedenheit lag auf seinem Gesicht, „Danke“, sagte er leise. Vorsichtig fädelte er seine Finger durch den Henkel der Tasse und versuchte zu trinken. Es kam, wie es kommen musste. Dean bekam die Tasse nicht richtig zu fassen und bekleckerte sich den Pullover. Wortlos verließ Bobby die Küche und ging nach oben. „Ich bring dir morgen meine Thermotasse mit. Die hat einen größeren Henkel“, sagte Jody und Sam seufzte. Das würde so wohl noch öfter passieren. Da war die Thermotasse eine gute Idee. Die hatte einen Deckel. Oder ob sie Dean einfach einen Latz verpassten? Besser nicht! das würde seinen Bruder richtig demontieren. Etwas, das er auf keinen Fall wollte. Bobby kam mit einem älteren Hemd und einem T-Shirt von sich wieder. „Versuch das mal“, sagte er und hielt Dean beides hin. Der Winchester nickte kurz. Er stellte die Tasse ab und schaute sich unsicher um. „Ich ...“, begann er schleppend, „bin müde“, fügte er gleich darauf hinzu und deutete nach oben. „Ruh dich aus“, sagte Bobby und beobachtete den Jungen, wie er vom Stuhl rutschte und aus der Küche ging. „Was ist mit ihm?“, wollte er von Sam wissen, kaum dass sich die Tür wieder geschlossen hatte. „Hast du einen Whiskey?“, fragte der Winchester statt einer Antwort. „Hat ein Vogel Federn?“ „Hast du einen für mich? Einen ohne Weihwasser?“ Grinsend holte Bobby eine Flasche und drei Gläser aus einem Schrank. „Also, was ist mit ihm?“, fragte er noch einmal. „Wenn ich das so genau wüsste. Es ist als müsste ich ihn immer wieder zurückholen. So als wäre er mit seinen Gedanken weit weg. Er redet kaum und starrt die ganze Zeit vor sich hin.“ „Aber den Wolf ist er los?“ „Amaruq meinte, dass ich auf ihn aufpassen sollte, er wäre viel zu lange Wolf gewesen.“ „Was heißt aufpassen?“, hakte Jody nach. „Ich soll ihm helfen Mensch zu bleiben.“ „Was heißt das denn?“, fragte sie ratlos. „Ich habe keine Ahnung“, gab Sam ratlos zu. „Denn alles was ihn menschlich macht, ist ihm derzeit genommen.“ „Ein Mensch besteht nicht nur aus Händen!“ „Nein, aber du weißt selbst, dass Dean lieber praktisch arbeitet als theoretisch. Gib ihm ein Haus zum Umbauen, lass ihn an Autos schrauben und er ist glücklich. Gib ihm ein Buch ...“ „Ich weiß, dass er nicht gerne liest.“ „Und was machen wir jetzt mit ihm?“ „Ich lass mir was einfallen“, versprach Bobby und hoffte, dass ihm wirklich etwas einfiel. „Und sonst? Jetzt wäre die Zeit alles genauer zu erzählen“, lenkte der Hausherr das Gespräch in eine andere Richtung. Jody holte einige Flaschen Bier und Sam begann zu erzählen, was in den letzten Tagen passiert war. Als er geendet hatte und nach oben ins Bett wollte, schaute er bei seinem Bruder ins Zimmer. Im Licht der Flurlampe konnte er erkennen, dass sich Dean wieder auf dem Bett zusammengerollt hatte. Auch etwas, das sich noch ändern musste! Und er würde es sofort angehen. „Dean?“ Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Sofort zuckte der Ältere zusammen und richtete sich auf. „Leg dich richtig ins Bett, bitte! Du bist kein Wolf mehr.“ Kurz starrte Dean ihn verständnislos an, bevor er sich unter die Decke verkroch. Sam nahm es als gutes Zeichen und verschwand nun ebenfalls in seinem Zimmer. Er zog sich um, kroch unter die Decke und war binnen Minuten eingeschlafen. Die letzten Tage hatten ihn an sein Limit gebracht. Die ersten Anzeichen des erwachenden Lebens im Haus trieben den älteren Winchester aus dem Bett. Er hatte die halbe Nacht nicht geschlafen. Die Decke war viel zu schwer gewesen und ohne hatte er gefroren. Außerdem beschäftigten ihn die Worte, die er gestern eher unfreiwillig mit anhören musste. Menschlich bleiben. Ja das musste er. Einen Weg zurück zu seiner wölfischen Familie gab es nicht, soviel stand für ihn fest. Er war ein Mensch und er wollte es bleiben, auch wenn es ihm gerade mehr als schwer fiel wieder einen Bezug zu diesem Leben zu finden. Der Gedanke tat weh. Sam, Bobby und selbst Jody bedeuteten ihm doch so viel mehr als eine Wölfin und ihre Jungen, die er nur wenige Monate begleitet hatte und doch trauerte er ihnen nach. Diese Zeit war so viel einfacher gewesen und er so viel freier. Es hatte ihn einiges an Überwindung und Kraft gekostet seine Gedanken auf die Zeit vor dem Wolf zu richten. Doch je länger er darüber nachdachte, umso einfacher wurde es und als er aufstand, war er zwar noch immer müde aber auch bereit, sein Leben als Mensch in Angriff zu nehmen. Sie würden aussteigen! Sie würden leben und sie würden ganz normalen Berufen nachgehen! Er musste nur noch die Zeit, bis er die Gipsverbände los wurde, überstehen. Voller Zuversicht begann er sich anzuziehen. Doch schon bei den Schuhen wurde sein Tatendrang gebremst. Kaum hatte er die an den Füßen, wollte er sie auch schon wieder ausziehen. Sie drückten und sie waren so schwer, dass er das Gefühl hatte, am Boden festgenagelt zu sein. Und als er vor der Küche ankam, zog er sie auch wieder aus. Es ging einfach nicht! Aber Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut! „Was machst du denn schon hier?“, wollte Bobby verwundert wissen, kaum dass Dean die Tür aufgeschoben hatte. Dean biss die Zähne zusammen. Warum war Bobby nur so laut? Er schaute auf und zuckte kurz mit den Schultern, da der Freund ihn noch immer fragend anschaute. Schnell ließ er sich auf seinen Stuhl fallen. Jody kam in die Küche und drückte dem alten Brummbären einen Kuss auf die Wange. „Morgen ihr zwei. Was habt ihr heute vor?“ „Ich wollte in die Werkstatt. Der Impala muss dringend auf Vordermann gebracht werden. Hilfst du mir, Dean?“ Ganz automatisch war Bobby bei der Frage etwas lauter geworden und wieder biss Dean die Zähne zusammen. Warum mussten die so schreien? Und wieder fühlte Dean den Blick auf sich gerichtet. „Wie?“, fragte er deshalb und hielt ihm seine Gipsarme entgegen. „Du kannst mir Gesellschaft leisten.“ Zögerlich nickte der Winchester. „Etwas mehr Begeisterung hätte ich mir schon erhofft“, grummelte der Ältere. „Ja“, sagte Dean und versuchte ein Lächeln. Die Drei waren mit ihrem Frühstück schon fast fertig, als Sam die Küche betrat. „Ihr hättet mich wecken können“, maulte er und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Geräuschvoll kratzte er das Rührei aus der Pfanne. Dean war kurz davor zu flüchten. Die normalen Gespräche waren gerade noch zum Aushalten, doch das war zu viel. So langsam er konnte, stand er auf und deutete in Richtung Badezimmer. „Brauchst du Hilfe?“, rief Sam ihm nach. Dean trieb das die Tränen in die Augen. Keinem der drei schien etwas aufzufallen, also was stimmte nicht mit ihm? Er schüttelte den Kopf und flüchtete. Eine Weile beschäftigte er sich im Bad und setzte sich dann ins Wohnzimmer. Bobby hatte den Kamin angefeuert. Das Spiel der Flammen beruhigte ihn, genau wie das leise Knistern. Und die Wärme tat gut. Hier konnte er in Ruhe nachdenken. Tief in sich versunken starrte er weiter auf das Feuer. Erst Bobby riss ihn in die Wirklichkeit zurück. „Kommst du mit?“ Verdattert schaute Dean den Freund an, bevor er nickte und sich erhob. Bobby hielt ihm eine alte Jacke hin. „Versuch die mal, die geht hoffentlich über den Gips“, meinte der. Nach zwei vergeblichen Versuchen gab er auf. „Dann eben ohne den Arm. Die Jacke ist weit genug“, lachte der Ältere und schloss den Reißverschluss. Den losen Ärmel schob er in die Tasche. „Na los. Versuchen wir aus deinem Baby mal wieder eine Schönheit zu machen.“ Der Winchester versuchte ein Lächeln. Kapitel 167: Eine Entscheidung ------------------------------ @ Vanilein : Ganz lieben Dank für Deine Treue und Deine Kommis. Ich freu mich jedes Mal wieder diebisch darüber. Und Dean? Bei mir könnte er wohl leben. Hier ist es relativ ruhig - bis auf meine Nachbarin, die ständig bohren und hämmern muss ... Bis zu einem normalen Leben? Hm. Das wird wohl noch dauern, fürchte ich. So, und jetzt viel Spaß beim Lesen LG Kalea 167) Eine Entscheidung Für Dean war der Aufenthalt in der Werkstatt eine Qual. Jedes Klappern, jedes Knirschen fraß sich, Kopfschmerzen verursachend, in seine Gehörgänge und als Bobby einer Schraube mit dem Hammer zu Leibe rücken musste, war seine Schmerzgrenze erreicht. Er konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken und flüchtete ins Haus. Unschlüssig stand er in der Küche. Warum war es nur so schwer Mensch bleiben zu wollen? Noch wollte er nicht aufgeben, noch wollte er kämpfen. Er ging ins Wohnzimmer und nahm sich ein Buch aus dem Regal. Vonnegut, den mochte er eigentlich. Das Lesen ging so lange gut, bis Sam ins Zimmer gepoltert kam, überlaut auf seinen Laptoptasten herumhämmerte und geräuschvoll seinen Kaffee schlürfte. „Zu laut!“, keuchte er schmerzerfüllt und sah wieder nur eine Möglichkeit. Er flüchtete in sein Zimmer. Hier war er wenigstens soweit von den Geräuschen des täglichen Lebens geschützt, dass er nicht ständig mit hämmernden Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. Mühsam versuchte er sich auf sein Buch zu konzentrieren. In den folgenden Tagen wurden Deans Ausflüge ins menschliche Leben immer weniger. Alles um ihn herum war viel zu laut und er verschob seine Aktivitäten immer weiter in die Nacht. Wenn die Menschen im Haus schliefen, gab es kaum etwas das ihm wehtat und er konnte aufatmen. Stundenlang saß er dann auf der Terrasse und schaute in die Sterne. Einmal hatte Sam ihm Gesellschaft geleistet. Sie hatten sich ein wenig unterhalten und Sam hatte ihn eindringlich gebeten, doch wieder mehr am Leben im Haus teilzunehmen. Er hatte es ihm nicht versprechen können. Danach war das Gespräch schnell ins Stocken geraten, da Dean sich einfach außerstande sah, seine widerstrebenden Gefühle zu beschreiben und es ihm auch nicht wirklich gelang, sich wegen der fast unerträglichen Lautstärke, die alles für ihn hatte, verständlich zu machen. Hier draußen war seine Welt in Ordnung. Jeden Abend, wenn er aufstand, bat Sam ihn erneut darum zu kämpfen wieder Mensch zu werden und jeden Abend zeigte er ihm seine Gipsarme und fragte ihn wie. Wie sollte er etwas tun und was? Er schaffte es immer weniger sich richtig zu konzentrieren und so stellte er das Lesen nach etwas mehr als einer Woche auch ein. Einzig das Bett benutzte er noch wie ein Mensch. Immerhin war das warm. An die schwere Decke hatte er sich schnell gewöhnt, genauso wie an die Stoppersocken, die Sam ihm am dritten Tag mitgebracht hatte, weil er in normalen Socken ständig rutschte. Immer seltener verbrachte er etwas Zeit mit den Menschen, die er Familie nannte und selbst dann hockte er meistens auf der Anrichte neben dem Kühlschrank, dessen ruhiges Brummen für ihn zu einer Art Rettungsanker geworden war. Sam, Bobby und Jody beobachteten diese Entwicklung mit wachsender Sorge, doch sie fanden in ihren inzwischen unzähligen Gesprächen auch keinen gangbaren Ausweg und so trösteten sie sich immer wieder damit, dass es besser würde, wenn Dean erst die Gipsverbände los war. Bis dahin wollten sie ihn in Ruhe lassen, auch wenn es keinem von ihnen wirklich richtig vorkam. Wieder waren ein paar Tage vergangen in denen sich wenn überhaupt, alles eher zum Schlechteren wendete. Und auch dieser Tag reihte sich in diese Spirale ein. Draußen war es inzwischen dunkel geworden und Dean hoffte, in der Küche alleine zu sein. Er wollte nicht mit ihnen reden. Er wollte nicht hören dass er sich mehr bemühen musste am Leben teilzunehmen und er wollte sich keine Ratschläge mehr anhören, egal welcher Art die sein würden. Sam hätte ihn Wolf sein lassen sollen, dann wäre vieles einfacher gewesen. Und er tot! Aber wäre das so schlimm? Er war auf der Hälfte der Treppe, als er bemerkte dass Sam und Bobby in der Küche waren. Während er sich umdrehen, um wieder in seinem Zimmer zu verschwinden, hörte er worüber sie so leise redeten. Als ob das etwas bringen würde! Dean schnaubte leise. „Er entgleitet uns und das ist meine Schuld“, begann Sam verzweifelt. „Amarok hat mir gesagt, dass ich auf ihn Acht geben soll, damit er menschlich bleibt. Aber wie soll er das, wenn ihm die Hände genommen sind? Nichts, was einen Menschen ausmacht kann er tun.“ „Der Mensch besteht nicht nur aus seinen Händen!“, wiederholte Bobby seine Feststellung von dem Tag, als sie hier angekommen waren. eindringlich. „Nein? Was bleibt denn noch ohne? Selbst ich kann nicht wochenlang nur lesen und ich lese gerne! Den Impala musst du reparieren!“ Bobby nickte. Dean hatte ja versucht dabei zu sein, aber er war nach kurzer Zeit geflüchtet. Der Verdacht, den er schon eine Weile hegte, kam wieder hoch. „Es sind nicht nur die Hände“, mutmaßte er laut. „Da muss noch mehr sein.“ „Was noch, Bobby?“, wollte Sam besorgt wissen. „Ich vermute dass es … ich weiß nicht. Er sagte mal, dass es zu laut ist. Ich hab es darauf geschoben, dass er die Stille der Wälder vermisst. Aber so langsam sollte er sich doch wieder an die geräusche hier gewöhnt haben, oder? Wenn er sich nur mehr Mühe geben würde?“ „Ich weiß nicht, ob es nur das ist. Ich habe da einen anderen Verdacht.“ Bobby schob sich die Mütze in den Nacken und kratzte sich am Kopf. „Ich bin ein Idiot, dass ich dem nicht sofort nachgegangen bin, als es mir auffiel.“ „Was?“, drängte Sam zu wissen. „Lass es mich erst austesten bevor ich die Pferde scheu mache, okay?“ Sam zuckte mit den Schultern. Er würde warten. „Ich hole mir einen Kaffee.“ „Mach mir auch einen“, bat Bobby. Dean ging die Treppe wieder nach oben und verkroch sich in seinem Zimmer. Er drückte sich in eine Ecke seiner Couch und starrte in die Dunkelheit. Seine jetzige Familie machte sich Sorgen! Seine jetzige Familie? Sam und Bobby kannten ihn schon fast sein ganzes Leben! Die Wölfin, das war eine Affäre! Klar er war mit ihr länger zusammen, als mit allen anderen Frauen in seinem Leben, Mom mal ausgenommen. Selbst mit Cassy war er nicht so lange zusammen gewesen. Außerdem war die Beziehung mit der Wölfin so viel intensiver als jede seiner anderen. Er war da glücklich und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er sein restliches Leben mit ihr verbracht. Er hatte sein Leben mit ihr verbracht! Denn wenn Sam und Bobby nicht gekommen wären, wäre er jetzt tot. Vielleicht wäre das ja besser gewesen. Hier war alles nur laut. Nachts konnte er leben. Nachts war seine Welt in Ordnung, während sich am Tag jeder Laut wie ein Messer in seine Ohren bohrte und er schaffte es nicht mal, sich die Ohren zuzuhalten! Wie armselig er doch war! Wütend starrte Dean auf seine Gipsverbände. Es war so viel einfacher in Bildern zu denken, als in Worten. Es war so viel einfacher mit einem Grollen zu antworten, als Worte zu formen. Er war ein Wrack, noch immer ein Halbwesen und so weit davon entfernt Mensch zu sein. Aber wollte er das wirklich? Immer tiefer fraß sich das schlechte Gewissen in seine Seele. Seine Familie machte sich Sorgen! Sie hatten ihm das Leben gerettet! Warum konnte er es ihnen nicht danken? Warum musste er sich so benehmen? Ab Morgen würde er sich zusammen reißen. Ab Morgen! Heute Nacht wollte er noch einmal Wolf sein. Einmal noch die Nacht spüren! Als im Haus alles ruhig war, schlich sich Dean hinaus. Er blieb auf der Veranda stehen, schaute in den Himmel und atmete die klare Luft. Die Sterne funkelten und es war merklich kälter als in den letzten Nächten. Der Winter wollte wohl doch nicht kampflos das Zepter abgeben. Er verließ die Veranda und ging an den aufgereihten Unfallwagen vorbei. Schon bald fiel er in einen leichten Trab. Er lief an dem Wracks vorbei, durch die Wiesen hinter Bobbys Grundstück, zu dem Wald in dem er vor nicht einmal zwei Jahren seinen Parcours gebaut und sich wochenlang dort gequält hatte, bis er wieder der war, der er sein wollte und heute? Heute war er wieder hier und heute wollte er sich erneut ändern. Zurück zu seinem alten Ich oder vorwärts zu einem Ich mit dem er leben konnte. Der Mond leuchtete so hell, dass es selbst für seine menschlichen Augen genügend Licht gab, um gut sehen zu können. Er setzte sich auf einen Stamm und schaute wieder zum Himmel hinauf. Er fühlte sich einsam, aber dieses Mal brauchte er nicht zu überlegen, nach welcher Familie er sich sehnte. Schon vor Stunden war es ihm klar geworden. Es gab nur ein Wesen, nur einen Menschen zu dem er wirklich gehörte. Trotzdem konnte er die Traurigkeit nicht ganz niederkämpfen. Ein Jaulen stieg in seiner Kehle auf und er konnte und wollte es nicht stoppen. Sam wälzte sich in seinem Bett unruhig von einer Seite auf die Andere. Egal wie er sich anstrengte, er fand einfach keine Lösung, wie er Dean helfen konnte. Wie nur sollte er verhindern, dass sein Bruder noch weiter abglitt und was hatte Bobby damit gemeint, dass da noch mehr war? Das Jaulen eines Wolfes durchdrang die Nacht. Gab es hier in der Gegend Wölfe? War das Dean? Hatte der sich inzwischen so weit von ihnen entfernt, dass er jetzt endgültig wieder dieses Halbwesen war, das er mit Hilfe von William zu retten versucht hatte? Er stand auf und trat ans Fenster. Er hatte seinen Bruder nie Jaulen gehört. Winseln, fiepen oder dieses leise „Ruff!“ Aber nie jaulen. Das Jaulen brach abrupt ab. Dean presste sich die Gipsverbände vor die Brust. Das Husten, das seinen Abschied von den Wölfen jäh unterbrochen hatte, wollte einfach nicht aufhören. Er schaffte es kaum genügend Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Lange hing er hustend und japsend nach vorn über gebeugt da und versuchte endlich wieder normal atmen zu können. Als er es konnte, stemmte er sich leise ächzend in die Höhe und ging langsam zurück zum Haus. Kurz kämpfte er mit dem Knauf der Küchentür. Er hatte noch immer seine Schwierigkeiten diese Dinger zu öffnen. Doch er schaffte es und schlich fast lautlos nach oben. In seinem Zimmer entledigte er sich seiner Kleidung und der Socken, die er getragen hatte. Er würde wohl neue brauchen, die hier waren ziemlich durchgelaufen, da er sich mit Schuhen an seinen Füßen immer noch nicht wohlfühlte. Er kroch in sein Bett und hoffte, dass er es schaffte sein Vorhaben morgen auch umzusetzen. Augenscheinlich hatte sich nichts geändert, als Sam am nächsten Morgen aufwachte. Jody war genauso wenig da wie Bobby und Dean schlief noch. Er machte sich sein Frühstück und räumte danach sein Zimmer auf, bevor er sich daran machte, seine Recherchen für einen Jäger fortzusetzen. Er hatte sich angeboten, da Bobby noch immer mit dem Impala und dem Pickup für Dr. Jamesson beschäftigt war. Er saß noch nicht lange, als er den Pickup des alten Freundes auf den Hof kommen hörte. Sofort klappte er seinen Rechner zu und ging nach draußen. Der Wind pfiff ihm durch die Kleidung, kaum dass er auf die Veranda getreten war. Erstaunt schaute er sich um und schlang die Arme schützend um den Körper. „Sie haben einen Schneesturm angekündigt. Heute Nacht oder morgen soll er kommen“, informierte ihn Bobby. „Ich hab einige Vorräte besorgt. Kannst du die Vorräte in den Keller bringen? Ich mach uns inzwischen einen Kaffee.“ Sam nickte, nahm sich die Wasserbehälter und brachte sie weg. Bobby schaffte die Tüten mit den Lebensmitteln ins Haus. Im Obergeschoss hörte er eine Tür schlagen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dean war wach. Da konnte er seine Vermutung ja gleich auch noch überprüfen. Er stellte eine Tasse unter den Hahn der Kaffeemaschine und drückte auf die Knöpfe für Sams Milchkaffee. Während das Gebräu einlief, räumte er seine Einkäufe weg. Dean hatte sich aus dem Bett gekämpft. Er wollte einen weiteren Versuch wagen als Mensch zu leben, also sollte er auch zu einer für Menschen üblichen Zeit aufstehen! Eigentlich würde er gerne duschen, doch das fiel wegen seiner Gipsarme aus. Vielleicht konnte er Sam später noch um Hilfe bitten? Wenigstens die Zähne konnte er sich alleine putzen. Es dauerte zwar und war alles in Allem eine Quälerei, aber wenn er die Zahnbürste in die Hand nahm, das Ende gegen den Gips gedrückt, funktionierte es ganz gut. Außerdem sollte er sich mal wieder rasieren. Sein Bart war über den Status Dreitagebart weit hinaus. Hatte Bobby nicht einen Bartschneider? Damit würde er nicht ganz so schlimm aussehen. Nach einer kurzen Suche fand er das Teil und bekam es sogar unter Kontrolle. Trotzdem war es mühsam. Ob er hier auch mal Sam in Anspruch nehmen konnte? Nach einer halben Ewigkeit war das Ergebnis seines Versuches nicht perfekt, aber er war zufrieden, hatte er es sich am Anfang doch schlimmer vorgestellt. Jetzt musste er nur noch in halbwegs salonfähige Kleidung kommen. Hoffentlich bekam er seine Verbände durch die Ärmel. Das wovor ihm wirklich graute, waren die Schuhe und die Lautstärke dieses Lebens. Irgendwie musste er darüber wohl mit den dreien reden, aber wie? Wie konnte er es ihnen erklären? Nach zwei Versuchen die Schuhe anzuziehen gab er auf. Die Dinger fühlten sich an, als wären sie drei Nummern zu klein und mit Dornen gefüllt. Nein, heute musste sein jetziger Aufzug reichen! Kapitel 168: Es sind die Ohren ------------------------------ Ich wünsche euch ein Frohes Osterfest und ganz viele Osternester. LG Kalea 168) Es sind die Ohren Dean war gerade dabei sich die Stoppersocken wieder anzuziehen, als er Bobby rufen hörte. Sam betrat die Küche und bekam seinen Kaffee in die Hand gedrückt. „Setz dich“, bat Bobby, „ich möchte etwas probieren.“ „Und was?“ „Das siehst du gleich“, erwiderte der Ältere. Er nahm den kleinen Apfelkuchen, den er mitgebracht hatte und begann ihn in mundgerechte Stücke zu schneiden. In jedes dieser Stücke steckte er einen breiten Eisstiel und stellte den Teller auf Deans Platz am Tisch, bevor er, „Dean, kommst du mal bitte“, so ruhig sagte, als stände der gleich neben ihm. „Du wolltest so jetzt nicht wirklich nach meinem Bruder rufen, oder?“, fragte Sam ungläubig. „Ist der überhaupt ...“ „Er ist wach. Ich habe vorhin die Tür oben gehört.“ „Wie soll er dich denn so hören?“ „Lass es“, knurrte Bobby und schüttelte den Kopf. Sam erstarrte regelrecht. Langsam stieg die Erkenntnis in ihm hoch. Aber das konnte nicht! Nein! Nicht das! Dean musste sich doch nur mehr Mühe geben, an ihrem Leben teilnehmen zu wollen! Er hatte sich dich einfach nur noch nicht wieder an die Lautstärke des menschlichen Lebens gewöhnt! ‚Bitte nicht das‘, bettelte er in Gedanken. In dem Moment kam Dean durch die Tür. „Was?“, fragte er heiser. Schnaufend ließ Sam die Luft aus seinen Lungen entweichen, unfähig die ganze Tragweite seiner Erkenntnis zu erfassen. „Ich hab Apfelkuchen mitgebracht. Er ist noch leicht warm, so wie du ihn am liebsten hast.“ Sofort begannen Deans Augen so zu leuchten, wie sie in den letzten Wochen nur äußerst selten geleuchtet hatten. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und begann zu essen. Mit geschlossenen Augen kaute er bedächtig Stück für Stück. Dieser Genuss war noch immer regelrecht überwältigend. „Willst du einen Kaffee?“, fragte Bobby und warf Sam ein triumphierendes Lächeln zu. „Kakao“, bat Dean. „Stimmt. Dazu wolltest du lieber Kakao“, erinnerte sich jetzt auch der Ältere. So hatte Dean es früher geliebt und er begann auf altmodische Weise Kakao zu kochen. „Kaffee“ schniefte Dean plötzlich. „Du hast doch gerade erst deinen Kakao bekommen!“ Jetzt war Sam irritiert. „Für Jody“, erklärte der ältere Winchester und versenkte sich schnell wieder in den Genuss seines Kuchens. Leise seufzend drehte sich Bobby zur Kaffeemaschine um. Ungläubig schaute Sam von einem zum Anderen. Woher wusste Dean dass Jody kam? War das mit seinem Gehör so ausgeprägt? Das würden sie nie in den Griff bekommen! Oder doch? Aber wie? Und dann endlich, als der Kaffee durchgelaufen war, hörte auch Sam einen Wagen vor der Tür halten. Besorgt schaute er zu seinem Bruder und schüttelte leicht den Kopf. Was bedeutete das jetzt für sie? Für sie alle? Bobby nahm die Tasse und ging dem Sheriff entgegen. „Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte sie und nahm die dampfende Tasse dankbar an. Vorsichtig pustete sie hinein, während sie sie zwischen ihren klammen Fingern hielt. „Draußen wird es immer kälter“, sagte sie noch. „Dean hat dein Kommen verpetzt“, erklärte der Jäger grinsend. „Hat er mich gesehen?“ „Nein.“ „Aber wie ...“ „Sag nicht, dass es das ist, was ich mir gerade in den dunkelsten Farben ausmale!“, fiel ihr Sam ins Wort. Er war Bobby in den Flur gefolgt. „Kommt mit“, sagte Bobby und deutete auf sein Büro. Er lehnte sich an seinen Schreibtisch und wartete, bis Sam die Tür geschlossen hatte. „Also was weißt du? Du hast gestern schon so eine komisch Andeutung gemacht und was ich gerade miterlebt habe … Bitte sag nicht, dass das wahr ist!“ „Ich hatte einen Verdacht was Deans Verhalten anbelangt, ja“, nickte Bobby. Auch er musste sich erst einmal sortieren. So schlimm waren selbst seine Befürchtungen nicht gegangen. „Und der hat sich meiner Meinung nach leider bestätigt“, begann Bobby. „Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, bat Jody unruhig. „Dean ist nur rein äußerlich wieder vollkommen ein Mensch. Sein Gehör ist immer noch das eines Wolfes.“ „Wie kommst du darauf?“ Ihr war so direkt nichts aufgefallen. Aber sie hatte in der letzten Zeit auch nicht viel mit dem älteren Winchester zu tun gehabt. „Das darf einfach nicht wahr sein!“, schimpfte Sam verärgert. Warum musste es immer wieder seinen Bruder treffen? Warum konnte nicht einmal etwas einfach nur gut ausgehen? Warum musste es immer noch schlimmer kommen? „Wie oft bist du in den letzten Tagen ins Wohnzimmer gekommen und der Fernseher war auf die leiseste Stufe gedreht, wenn er allein im Raum war? Wie oft ist Dean geflüchtet, wenn wir uns lauter unterhalten haben? Wie oft ist er zusammengezuckt, wenn eine Tür schlug oder etwas runterfiel, dass er nicht gesehen hat? Wie oft verzog er gequält das Gesicht?“ „Ich will das nicht, Bobby! Nicht für Dean, bitte! Hat er nicht schon genug gelitten?“, stammelte Sam entsetzt. Seine Schultern sackten nach unten und die Luft entwich leise pfeifend aus den Lungen. „Warum kann nicht einmal etwas gut ausgehen?“, murmelte er enttäuscht. So langsam fraß sich der eine Gedanke in ihm fest: ‚Wir hätten ihn Wolf sein und sterben lassen sollen! Er hatte wirklich schon genug gelitten!‘ Die Hoffnungslosigkeit überrannte ihn gerade wie ein Tornado. „Wie können wir ihm helfen?“, dachte Jody dagegen eher praktisch. „Ich meine wir können hier versuchen ruhiger zu sein, aber wir können ihn nicht hier einsperren. Irgendwann wird er raus wollen. Die Welt wird nicht leiser sein nur weil er Probleme hat und als Einsiedler leben ist glaube ich auch nicht seins.“ „Ich denke wir sollten die Bücher wälzen“, wandte sich der Jäger an Sam. „Vielleicht gibt es einen Zauberspruch, eine Fluch, was auch immer, womit wir ihm schnell helfen können, bis wir eine endgültige Lösung finden“ „Vielleicht gewöhnt er sich ja daran?“, überlegte Jody. „Aber ein Fluch? Ein Zauberspruch?“,grübelte Sam, der nur zu gerne nach dieser Möglichkeit griff seiner Resignation zu entkommen. „Das wäre die letzte Lösung ja, aber ich wäre bereit sie zu wählen, sollte uns nichts anderes einfallen“, sagte Bobby. „Als letzte Möglichkeit, ja“ „Wie wäre es mit Oropax, für den Anfang?“, fragte der Sheriff und holte ihr vibrierendes Handy aus der Tasche. „Sheriff Mills“, meldete sie sich. „Ich bin davon ausgegangen, dass er noch an die Stille des Waldes gewöhnt war“, überlegte Sam zerknirscht. „Ich wollte so etwas einfach nicht sehen oder glauben.“ „Ich habe mir auch nichts dabei gedacht, als es mir zum ersten Mal auffiel“, versuchte Bobby ihn zu beruhigen. „Aber er ist mein Bruder!“ „Und deshalb tust du jetzt alles dafür, um ihm zu helfen“, versuchte Bobby ihn noch weiter aufzubauen. Er hatte Sams Stimmungsschwankungen wohl mitbekommen. „Ich muss wieder los“, erklärte Jody mit Bedauern in der Stimme. „Der angekündigte Schneesturm erfordert meine Anwesenheit.“ „Wann kommst du wieder?“ „ich denke heute Abend. Wenn wir alles vorbereitet haben, können wir nur noch abearten und das kann ich auch hier. Morgen ist mein freier Tag. Mal sehen, ob das so bleibt.“ „Sei vorsichtig und wenn es nicht geht, bleib lieber bei dir“, bat Bobby sie. „Mach ich“, lachte Jody und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Bis bald“, rief sie noch und verließ das Haus. Schon bald war das leiser werdende Geräusch ihres Wagens zu hören. Bobby und Sam gingen wieder in die Küche. „Ich bin fast versucht dir einen Latz zu schenken“, grinste Sam und zeigte auf Deans Brust. Der verdrehte genervt die Augen. „War mein letztes Passendes.“ „Ich hab auch keins, das deinen Fäustlingen gerecht wird“, bedauerte Sam. „Ihr solltet einkaufen fahren, während die Waschmaschine arbeitet.“ Dean verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Um nichts in der Welt wollte er das Grundstück verlassen und sich in das Getümmel werfen. Hier war es ihm meistens schon zu laut, wie sollte er dann eine volle Einkaufshalle ertragen? Der Hausherr grinste kurz, als er die Reaktion sah und begann dann in einer der Schubladen zu kramen. Er holte eine kleine Packung hervor und legte sie vor Dean auf den Tisch. „Vielleicht helfen die?“, sagte er leise. Dean starrte auf das Päckchen und musste einen Augenblick überlegen, was er sah, dann erhellte sich seine Mine schlagartig. „Hier im Haus solltest du die aber nicht nehmen. Deine Ohren könnten sich sonst entzünden.“ Sofort verzog Dean wieder das Gesicht. „Wir versprechen dir hier im Haus so ruhig wie möglich zu sein und du, dass du uns sagst, wenn es dir zu laut wird.“ Dean nickte. So ganz war er noch nicht überzeugt, aber er wollte es auf jeden Fall versuchen. „Also fahren wir einkaufen?“ Die Abneigung gegen diesen Vorschlag war dem älteren Winchester eindeutig anzusehen. „Würde gerne duschen, vorher“, warf er leise ein. „Okay, geh schon mal hoch, ich komm dir gleich helfen“, erklärte Sam und räumte seine Tasse weg. „Was ist heute mit ihm?“, wollte er von Bobby wissen. „Er hat seit Tagen nicht so viel mit uns gesprochen und einkaufen hätten wir ihn selbst mit vorgehaltener Pistole nicht gekriegt!“ „Ich überlege auch schon. Vielleicht geht es ihm besser?“ „Oder er hat unser Gespräch gestern mitgehört?“ „Wenn es so ist, dann hat es mehr bewirkt als wir erwarten konnten. Dean bemüht sich und wir sollten ihm so gut wir können unterstützen!“ „Dann schau ich mal, wie ich ihm helfen kann“, sagte Sam und verschwand ebenfalls nach oben. Sam betrat das Bad. Er sah Dean mit seinem bekleckerten Shirt kämpfen und griff einfach zu. Dean ließ sich schon immer eher helfen, wenn man einfach machte und nicht erst lange um Erlaubnis bat und so auch jetzt. „Den Rest schaffst du?“, fragte Sam und begann sich seine Schuhe, die Socken und die Hose auszuziehen. Dean schaute ihn fragend an. „Ich hab schon geduscht“, grinste er schief und Dean zuckte mit den Schultern. „Am besten du stellst dich in die Dusche, die Arme an die Wand und keine Angst, ich erschieß dich nicht.“ Wieder musste Sam grinsen. Es sah wirklich so aus. Er stieg hinter seinem Bruder in die Dusche und begann ihn zu waschen. Eigentlich hatte er gehofft, das nach Deans Genesung von dem Höllenhundangriff nie wieder tun zu müssen, eigentlich, auch wenn er es natürlich jeder zeit wieder tun würde. „Ich guck mal, ob ich vielleicht doch noch was habe, dass du anziehen kannst“, sagte Sam und verließ das Bad, nachdem er seinem Bruder noch beim Abtrocknen geholfen hatte. Nach längerem Wühlen fand er in den Tiefen seines Kleiderschrankes einen, nicht nur an den Ärmeln ziemlich ausgeleierten Pullover, von dem er geglaubt hatte, dass der schon lange zu Putzlappen verarbeitet worden wäre. Er schämte sich, seinem Bruder den anbieten zu müssen. Dean sollte nicht wie der letzte Penner rumlaufen, nur weil er verletzt war. Nein, sie musste wirklich einkaufen fahren, auch wenn Dean die Verbände in zwei höchstens drei Wochen wieder los sein würde. Er nahm noch eine Jacke von sich mit, die an den Ärmeln etwas weiter war und wartete im Flur auf seinen Bruder. „Tut mir leid, ich hab nur dieses ausgeleierte Ding“, entschuldigte er sich auch sofort. „Ich hab nur bekleckerte“, meinte der Ältere langsam und verzog das Gesicht. Eins war so blöd wie das Andere. Bobby trat aus der Küche, als er seine Jungs die Treppe herunterkommen hörte und hielt Dean die Oropax hin. „Die solltest du mitnehmen. Kriegst du sie alleine rein?“ Der ältere Winchester zuckte mit den Schultern. Er nahm eins zwischen die Finger, fummelte etwas, bis er es im Ohr hatte und nickte dann. Er schaffte es alleine. Nur raus würde er sie wohl nicht selbstständig bekommen, doch darüber musste er jetzt noch nicht nachdenken. „Solltest du nicht noch Schuhe anziehen?“ Dean verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, nickte aber widerstrebend. „Soll ich sie dir zubinden, oder reicht es, wenn ich die Schnürsenkel nur reinstecke?“ „Reinstecken“, entschied Dean. So konnte er die schnell wieder loswerden, wenn es gar nicht mehr auszuhalten war. Und schon als Sam Bobbys Pickup-Truck vom Hof lenkte war er kurz davor, sie sich von den Füßen zu streifen. Sich an Kleidung zu gewöhnen war fast problemlos gewesen. Warum klappte es dann mit den Schuhen nicht? Kapitel 169: Abstürze --------------------- 169) Abstürze Im Einkaufszentrum ging es Dean wie mit seinen Schuhen. Kaum war er drin, wollte er schon wieder raus. Das Stimmengewirr fraß sich selbst durch das Oropax und er wollte sich gar nicht ausmalen, wie laut es ohne diesen Schutz war. Klar, er hatte einkaufen schon immer gehasst, aber er wollte es ja. Er wollte leben. Die ganze Palette davon und dazu gehörte wohl auch einkaufen! Unbewusst drängte er sich näher an Sam, damit er den nur nicht verlor. Der Krach und die schiere Menge an Menschen machten ihm Angst. Vielleicht hätte er seinen Entschluss, wieder am Leben teilnehmen zu wollen, doch nicht sofort so radikal umsetzen sollen? Jetzt war es zu spät. Jetzt hieß es nur Augen zu und durch! Der Jüngere lotste ihn in ein kleines Bekleidungsgeschäft. Hier war es schon fast beruhigend leise, aber das war wohl auch kein Wunder, immerhin stand ein Schneesturm vor der Tür und da waren Lebensmittel und Kerzen wohl wesentlich wichtiger als Bekleidung. „Hallo“, grüßte er die Verkäuferin. „Wir brauchen Oberteile, die mein Bruder über seine Verbände bekommt.“ „Ach herjee. Wie ist das den passiert?“, fragte sie neugierig. Diese beiden Männer stellten die einzige Ablenkung dar, die sie seit mehr als einer Stunde hatte und die wollte sie so schnell nicht wieder gehen lassen. „Motorradunfall“ Etwas anderes fiel Sam auf die Schnelle nicht ein. „Kann man bei dem Wetter Motorrad fahren?“, fragte sie mit einem leicht vorwurfsvollen Ton. „Vor drei Wochen war das Wetter dazu ideal“, erklärte Sam. „Leider hat ein Autofahrer ihm die Vorfahrt genommen.“ „Oh, das tut mir leid“, sagte sie jetzt voller Mitgefühl und wollte noch besser helfen. „Also, sie suchten Oberteile, die über den Gipsverband gehen? Da hätten wir karierte Flanellhemden. Natürlich geht auch jedes andere Hemd. Sie könnten ein kurzärmeliges T-Shirt drunterziehen. Wir haben auch Jacken, deren Bündchen mit Druckknöpfen zu verschließen sind.“ “Hemden“, sagte Dean leise. „Okay, erst mal die Hemden“, sagte Sam. „Folgen sie mir bitte“, lächelte sie und ging voraus. Eine knappe Stunde später hatten sie vier Hemden und doppelt so viele T-Shirts. Auf eine neue Jacke wollte Dean zwar verzichten, Sam drängte ihn jedoch dazu eine zu nehmen. Die würde allerdings, genau wie die Hemden, in Sams Bestand übergehen, sobald Dean seine Gipsarme los war. Die Modemacher gingen wohl davon aus, dass Menschen, die stärkere Ärmel brauchten auch ein breiteres Kreuz oder einen größeren Körperumfang hatten. Also holte Sam die Hemden noch einmal in Deans normaler Größe. Gegen eine zweite Jacke konnte der sich allerdings mit der Begründung, er habe noch die vom letzten Jahr, wehren. Auf dem Rückweg zum Wagen blieb Sam vor dem Schaufenster eines Friseurs stehen und betrachtete seine Frisur kritisch. Er war schon so lange nicht mehr beim Friseur gewesen und sah verheerend aus. „Ich könnte einen Haarschnitt brauchen“, überlegte er leise. „Und du?“ Dean nickte. Seine Haare waren auch um einiges länger als normal und der Friseur schien heute genauso wenig gefragt zu sein, wie das Bekleidungsgeschäft vorhin. In dem Laden war nur ein Kunde. Die Brüder betraten das Geschäft. Sofort kam ein Friseur auf sie zu. „Was kann ich für sie tun?“, freute er sich über die unerwartete Beschäftigung, „Möglichst kurz und rasieren bitte“, ergriff Dean die Gelegenheit sofort. Sam würde ihm zwar ohne weiteres bei einer Rasur helfen, aber es fiel ihm noch immer schwer um Hilfe zu bitten, zumal er derzeit ja eigentlich permanent darauf angewiesen war, dass ihm einer etwas abnahm, was er nicht konnte. Der Wind hatte nochmals merklich aufgefrischt, als sie das Einkaufscenter verließen und zum Pickup liefen. An der Mauer und einigen Reifen der parkenden Wagen lagen kleine Schneehäufchen, die immer wieder von den stärker werdenden Windböen weitergeweht wurden. „Lass uns zusehen, dass wir zurückkommen“, sagte Sam und schloss den Wagen auf. Er warf die Einkaufstüten nach hinten und half seinem Bruder einzusteigen. Schnell schloss er die Beifahrertür, lief um den Wagen herum, stieg ein und startete den Motor. Kaum rollte der Pickup an, lehnte sich Dean zurück, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Einige Male war die Schere seinen Ohren verdammt nahe gekommen, zumindest hatte es sich für ihn so angehört und er war mehr als einmal versucht gewesen, auszuweichen. Da war die Rasur schon wesentlich entspannender gewesen und das obwohl die scharfe Klinge des Rasiermessers nicht nur einmal über seine Kehle strich. Komisch, dass ihm das weniger ausmachte, als die Schere an seinem Ohr. Die Rückfahrt war eine Schlingerpartie. Immer wieder musste Sam gegen Windböen anlenken und er war mehr als froh, als er den Wagen endlich vor der Veranda von Bobbys Haus abstellen konnte. „So ein verdammtes Wetter. Sollte es nicht langsam mal Frühling werden?“, schimpfte er und schlug die Wagentür zu. Sein Bruder zuckte zusammen. Mit schmerzhaft verzogenem Gesicht stieß er ein leises Wimmern aus. Sam erstarrte. „Oh verdammt, Dean. Es tut mir leid“, erklärte er zerknirscht. Er wartete, bis sein Bruder nickte. Erst dann schlang die Jacke fester um sich, nahm die Tüten und stapfte zum Haus. „Ist das widerlich draußen“, schimpfte er und trat sich den Matsch von den Schuhen. Schnell schälte er sich aus seiner Jacke und wandte sich dann seinem Bruder zu, um ihn ebenfalls aus seiner Winterjacke zu befreien. Kurz stutzte er über das erleichterte Grinsen, dass Deans Gesicht für einen Augenblick richtig jungenhaft aussehen ließ, doch dann schaute er nach unten und sah, dass sein Bruder die Schuhe ebenfalls schon von den Füßen bekommen hatte. „Was ist das mit deinen Schuhen? Drücken die? Hätten wir neue kaufen sollen?“, wollte er ruhig wissen. Dean zuckte nur mit den Schultern. Er wusste es ja selbst nicht. „Keine Ahnung, geht schon“, nuschelte er leise. Bobby erschien mit zwei Tassen in der Küchentür und gab jedem der Brüder eine. „Ihr habt den Ausflug ja richtig genutzt“, grinste er und die Jungs nickten. Gemeinsam ließen sie sich am Küchentisch nieder. „Wie weit bist du mit dem Impala schon gekommen?“, fragte der ältere Winchester langsam. „Ich muss noch spachteln und lackieren. Also nicht sonderlich weit. Leider.“ „Danke“ „Du musst dich dafür nicht bedanken, Dean!“ „Danke“ Bobby nickte lächelnd, bevor sie das Spiel noch länger trieben. Der Wind ließ die Fenster leise klappern. „Das wird heftig“, meinte er leise. „Gut, dass wir alles hier haben.“ Dean schaute ihn fragend an. „Ich war heute Morgen schon einkaufen. Und wenn es Jody hierher schafft, kann es morgen Irish Stew geben.“ Dean lächelte versonnen, das mochte er. „Du solltest übrigens die Oropax rausmachen“, sagte Bobby ruhig und deutete auf Deans Ohren. „Ohne deinen Friseurbesuch wäre es vielleicht nicht aufgefallen.“ Der ältere Winchester grinste schief, schnaufte leise und schaute zu Sam. „Kannst du nachher?“ „Klar“ Den Rest des Tages verbrachte Dean dösend auf der Couch. Er hatte eine Weile ferngesehen. Da Sam recherchierte, konnte er die Lautstärke für seine Ohren angenehm einstellen. Doch es dauerte nicht lange, bis er den Kasten ausschaltete, weil er sich langweilte. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hörte er Bobby in der Küche hantieren und erhob sich. Sam war noch immer mit seinem Rechner beschäftigt. Er steckte sich, gähnte und ging zu dem alten Freund, um ihm, wie früher, auf der Arbeitsplatte sitzend, Gesellschaft zu leisten. Bobby war fast fertig, als Jody ins Haus gepoltert kam. „Verdammter Schneesturm“, schimpfte sie. „So langsam reicht es mir mit der Kälte.“ Sie hatten alle möglichen Vorbereitungen für den Sturm getroffen und dann entschieden, dass es sinnlos war, wenn sie alle auf der Wache hockten. Also war sie hierher gefahren. Wenn sie ausrücken musste, dann konnte sie das auch von hier aus. Außerdem waren hier die Menschen, die ihr am Herzen lagen. Sie klopfte sich den Schnee von der Kleidung und ging in die Küche, aus der es schon verführerisch roch. Dean rutschte von seinem Platz und holte umständlich einen weitere Teller aus dem Schrank. Jody unterdrückte den Impuls ihm zu helfen. Wenn er es machen wollte, dann sollte er, denn viel mehr konnte er kaum zu ihrem gemeinsamen Leben beitragen. „Bin wieder da“, sagte sie leise und drückte dem Koch einen Kuss auf die Wange. „Das ist gut“, erwiderte der. „Kannst du bitte hier weitermachen? Ich wollte Gus noch etwas bringen.“ „Vogel müsste man sein“, lachte sie und nahm ihm das Messer ab. „Du bist ein Engel“, grinste Bobby und drückte ihr nun seinerseits einen Kuss auf die Wange. Er nahm die Schale mit den Resten und wollte sie zum Schuppen bringen. Da hatten sie eine kleine Futterstelle für den Raben eingerichtet. „Zieh dir die Jacke drüber, der Wind ist eisig“, bat sie. Bobby nickte und holte sich seine Winterjacke. „Holst du Sam?“, wandte sie sich an Dean, der sofort ins Wohnzimmer ging. Schnell war er wieder da. Sie füllte einen Teller mit den kleingeschnittenen Fleischstücken und Kartoffelecken. „Möchtest du auch Salat?“, fragte sie und stellte den Teller auf seinen Platz. „Gerne, danke“ Dean setzte sich und begann langsam zu essen, während sie ihm ein Glas Wasser eingoss und es neben seinen Teller stellte. „Kommt Sam auch gleich?“ „Hmhm“, machte Dean. Er legte die Gabel weg und versuchte für seinen Arm eine weniger schmerzhafte Haltung zu finden. Dieser Sturm ging ihm in die Knochen. Klappernd landete seine Gabel auf dem Boden. Dean verdrehte die Augen. Der Tag war bisher so gut. Warum konnte er dann nicht auch so gut enden? Er beugte sich nach vorn, um die Gabel wieder aufzuheben und fegte dabei sein Wasserglas vom Tisch. Das Klirren schmerzte in seinen Ohren. „Toll“, stöhnte er. Jetzt hatte er ganze Arbeit geleistet. Er wollte gerade aufstehen, um die Sauerei auch aufzuwischen, als Sam die Küche betrat. Mit einem Blick erfasste der das Malheur und sah, dass sein Bruder kurz davor war in eine Scherbe zu treten. „Dean nicht!“, schrie er laut. Nicht nur der ältere Winchester zuckte zusammen. Auch Jody erschrak. Ihr rutschte der Topfdeckel aus der Hand und fiel scheppernd zu Boden. Das war nun endgültig zu viel für Dean und sein empfindliches Gehör. Mit einem Jaulen sprang er auf. Gleichzeitig versuchte er die Arme hochzureißen, um sich zu schützen, doch das funktionierte einfach nicht. Hektisch suchte er nach einem Ausweg und fand ihn in Bobby der gerade wieder in die Küche kam. Noch bevor der Ältere reagieren konnte, hatte sich Dean an ihm vorbei gedrückt und war im Schneegestöber verschwunden. „Scheiße“, fluchte Sam und wollte ihm sofort folgen. „Nichts da!“, sagte Bobby barsch und hielt ihn am Arm fest. „Was soll das, Bobby?“, schimpfte der Winchester und funkelte den Freund böse an. „Du ziehst dich erst mal richtig an. Ich weiß, dass du so schnell wie möglich zu ihm willst, aber wir wissen nicht wie lange die Suche dauern wird und ein Kranker im Haus reicht vollkommen!“, wies ihn der alte Jäger zurecht. Murrend verschwand Sam nickend im Flur und beeilte sich in die Winterschuhe zu kommen. „Soll ich euch helfen?“, fragte Jody. Sie fühlte sich schuldig, immerhin war sie es, die Deans Flucht ausgelöst hatte. „Ich denke, wenn Sam und ich uns die Finger abfrieren, reicht das. Aber du könntest uns mit einem Grog erwarten.“ Er wackelte erwartungsvoll mit den Augenbrauen und holte zwei Taschenlampen aus einer Schublade. „Na das sollte ich hinbekommen“, lachte sie beklommen. Schnell überprüfte er die beiden Lampen und stellte eine auf die Arbeitsplatte. „Die kann Sam mitnehmen“, sagte er und verschwand wieder im Schneetreiben. In dem Moment kam Sam durch die Tür. „Du kannst die Taschenlampe mitnehmen, meinte Bobby“, sagte Jody und zeigte auf die Lampe. „Danke, das sollte helfen“, erwiderte Sam und schloss den Reißverschluss seiner Winterjacke. „Drück die Daumen, dass wir ihn schnell finden“, bat er sie und verschwand ebenfalls in der Kälte. Augenblicklich hatte er das Gefühl, dass lauter spitze Nadeln sein Gesicht traktierten. Er zog die Mütze tiefer ins Gesicht und die Schultern hoch. Viel half es nicht. Als Erstes wollte er beim Impala nachsehen. Bislang fühlte sich Dean da immer am Wohlsten. Doch die Hoffnung seinen Bruder schnell finden zu können zerschlug sich, als er einen Schritt aus dem Windschatten des Hauses trat und noch nicht einmal mehr Bobbys Fußspuren sehen konnte. Warum musste es ausgerechnet heute einen Schneesturm geben? Er stapfte los. Gerade wollte er die Tür der Werkstatt öffnen, als diese aufgeschoben wurde und Bobby ihm entgegenkam. „Hier ist er nicht“, sagte der Jäger und machte auch Sams diese Hoffnung kaputt. „Und jetzt?“ „Jetzt suchen wir die Reihen ab und hoffen, dass er sich in einer der unteren Schrottkarren verkrochen hat.“ „Na dann viel Erfolg“, stöhnte Sam. Er sah die Chancen eines schnellen Erfolges verpuffen. „Ich fange hier vorn an, du hinten. Wenn wir ihn nicht finden, müssen wir uns was anderes überlegen. Aber erst mal hoffen wir, dass er in der Kälte nicht allzu weit gelaufen ist.“ Der Winchester nickte betrübt und stapfte davon. „Dean“, rief er ihn immer wieder und war sich doch sicher, dass er ihn wohl nicht einmal hörte, wenn er direkt neben ihm stand. Der Wind fauchte viel zu stark um die alten Wracks und riss ihm jede Silbe regelrecht den Lippen. Kapitel 170: Unerwartete Hilfe ------------------------------ 170) Unerwartete Hilfe Dean bekam von all dem nichts mit. Bei dem letzten lauten Scheppern, als der Topfdeckel heruntergefallen war, hatten seine Instinkte übernommen und jedes rationale Denken überlagert. Für diesen Tag hatte er zu viel gewollt und verloren. Er war einfach in die Kälte gestürzt, nur weg von Allem, was ihm auch nur irgendwie wehtun konnte. Schon nach wenigen Metern war der Sturm durch seine Kleidung gedrungen und ließ ihn erzittern. Der Schnee biss in seine Füße. Stoppersocken waren wohl doch nicht die geeignete Bekleidung, um bei diesem Wetter draußen herumzulaufen. Suchend schaute er sich nach einem Unterschlupf um. Es dauerte eine Weile, doch dann fand er in der Reihe der Wracks einen Wagen, dem eine der Vordertüren fehlte. Er kletterte hinein und rollte sich auf der Rückbank zusammen. Eine Weile starrte er fasziniert auf die Schneeflocken, die der Wind über die Heckscheibe trieb und genoss das Jaulen des Sturmes. Kein plötzlicher Krach, der sich anfühlte als würden Messer in sein Gehirn gerammt und niemand der plötzlich losbrüllte. Noch hatte er sich nicht so weit wieder in Griff, dass er sich zutraute zurück zu gehen. Der Versuch auf ein menschliches Leben war für heute gescheitert. Dabei hatte doch heute Morgen alles so gut angefangen! Nein, er war nicht gescheitert. Es war ein Rückschlag, aber er wollte, er musste es schaffen. Für sich und für seine Familie. Er schaute wieder auf die wirbelnden Flocken und nahm sich vor, gleich wieder hinein zu gehen und es weiter zu versuchen. Trotzdem wäre sein Winterpelz jetzt nicht schlecht! Doch er trug nicht einmal Kleidung, die ihn gegen diese Kälte schützte. Egal wie sehr er sich zusammenrollte, er zitterte immer mehr. Seine Füße fühlte er schon nicht mehr. Er musste ins Haus. Gleich, gleich würde er gehen. Die Kälte und das Fauchen des Windes ließen ihn immer müder werden. Ein paar Mal blinzelte er noch, bevor ihm die Augen ganz zufielen. Plötzlich fühlte er etwas unter seinem Kopf, doch er hatte schon nicht mehr die Kraft seine Augen zu öffnen oder sich gar aufzusetzen. Er wollte nur noch schlafen. Betrübt blickte Mary auf ihren Jungen. Sie wusste nicht, ob ihr erlaubt war, sich ihm zu zeigen, doch das war ihr im Moment vollkommen egal. Sie wollte nicht mehr mit ansehen müssen, wie ihm das Leben immer mehr entglitt und so verloren wie er gerade war, spielte es wohl kaum eine Rolle, wenn er sie sah. Sanft strich sie ihm durch die strubbeligen Haare. „Dean“, versuchte sie ihn zu wecken. Der grummelte nur. „Komm schon mein Engel, du wirst hier erfrieren! Steh auf und geh ins Haus. Sam und Bobby suchen dich schon!“, versucht sie ihn dazu zu bewegen, in die sichere Wärme zurückzukehren, doch ihr Junge war schon viel zu träge, um sich zu bewegen. „So müde“, murmelte er nur. „Dean!“ forderte sie jetzt in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Mom?“, nuschelte er und versuchte sich so zu drehen, dass er sie anschauen konnte. „Dean! Du musst kämpfen“, sagte sie leise und schloss betrübt die Augen. Ihr Junge hatte schon aufgegeben. „Du wirst dich verlieren!“, versuchte sie trotzdem weiter zu ihm durchzudringen. ‚Das ist mir egal!’, erwiderte er in Gedanken, hielt aber weiterhin Blickkontakt mit ihr. „Du wirst mich verlieren!“ ‚Das hab ich doch schon!’ Noch einmal wollte er sich jede Linie ihres Gesichtes einprägen. „Und du wirst Sam verlieren!“ „My?“, wisperte er leise und suchte in ihrem Blick nach einer Bestätigung. Mary nickte betrübt und brachte ihren Sohn dazu sich nun doch zu bewegen. Aber seine Muskeln waren schon viel zu sehr ausgekühlt. Egal wie sehr er sich bemühte, er schaffte es nicht sich aufzurichten und sank mit einem frustrierten Schnaufen auf die Rückbank zurück. Noch versuchte er ihren Blick festzuhalten. Aber seine Augen fielen ihm immer wieder zu und es wurde jedes Mal schwerer die Lider noch einmal zu heben, bis er es wenig später gar nicht mehr schaffte. Kurz schloss Mary die Augen. Ihr Junge brauchte mehr als nur ihre mentale Hilfe. „Sch“, machte sie und strich ihm sanft über die Wange. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Still betete sie um Hilfe, um schnelle Hilfe, denn Dean wurde immer ruhiger. Da erschien Anna auf dem Beifahrersitz. Einen Augenblick musterte sie Mutter und Sohn stumm. Sie drehte sich noch etwas weiter zu ihnen herum. Sanft strich sie ihm über die Wange. Er hatte sie vor den Dämonen gerettet. Er hatte ihr Leben beschützt und auch wenn sie seines vor ein paar Monaten schon einmal gerettet hatte, war es jetzt erneut an ihr, ihn zu schützen. Entschuldigend lächelte sie Mary an und legte ihm dann die Finger an die Stirn. Fast sofort erschien das bläulich weiße Leuchten und der Winchester entspannte sich sichtlich. Sie nahm ihre Hand zurück. „Ich habe sein Gehör wieder auf das menschliche Hören eingestellt. Wenn er es will, kann er aber auch auf das Hörvermögen des Wolfes zurückgreifen“, erklärte sie ihr, um überhaupt etwas zu sagen. „Warum hilfst du ihm immer wieder?“, wollte Mary wissen. „Ich …“ Anna schüttelte den Kopf. „Der Himmel scheint im Umbruch zu sein. Die einen wollen etwas, die Anderen sind total dagegen. Etwas ist im Gange und so wie es aussieht sollen deine Jungs dabei eine wichtige Rolle spielen.“ Augenblicklich hob sie abwehrend die Hände. „Es sind nur Gerüchte, aber wenn wirklich etwas dran sein sollte, möchte ich dass sie sich aus eigenem Willen darauf einlassen oder es ablehnen. Dean wäre in dem Zustand in den er abzugleiten drohte ein williger Spielball für alle Seiten. Das können wir nicht zulassen.“ „Wir?“ „Es gibt jemanden, der über mir steht. Ich allein hätte nicht die Macht etwas ausrichten zu können!“ „Egal wer hinter dir steht. Danke, Anna!“ Mary lächelte sie warm an. Der rothaarige Engel nickte. „Auch wenn es nicht so aussieht, auch wir haben ein Auge auf deine Söhne“, sagte sie, bevor sie wieder verschwand. Zärtlich strich Mary ihrem Jungen durch die Haare und überlegte. Trotz Annas Hilfe musste er dringend in die Wärme zurück. „Dean? Wach auf mein Engel!“, versuchte sie erneut zu ihm durchzudringen. Sie drehte sein Gesicht etwas weiter zu sich herum, um zu schauen, ob sie ihn erreichen konnte, doch er regte sich nicht. Stumm verfluchte sie ihren Zustand, da sie ihn so zwar berühren, seine Körpertemperatur aber nicht prüfen konnte. Und so machte ihr seine viel zu langsame und viel zu flache Atmung noch mehr Angst. Warum hatte Anna ihm nicht auch hier geholfen? „Dean. Bitte wach auf, mein Engel“, versuchte sie es noch einmal. Plötzlich fühlte sie Sam. Ihr Jüngster kam näher! Sie seufzte. Wie gerne hätte sie mehr Zeit mit Sam gehabt. Wie gerne hätte sie mit ihm ähnliche Erinnerungen geteilt, wie mit seinem großen Bruder. Wie gerne hätte sie sein Aufwachsen begleitet, sein erstes Wort gehört, die ersten Schritte erlebt. Mary schluckte. Sie drängte die Tränen zurück. Sie war gestorben, weil sie ihn schützen wollte. Hatte sie das? Noch einmal atmete sie durch. Jetzt war keine Zeit für Sentimentalitäten! „Hilfe ist unterwegs“, wisperte sie. Sanft strich sie noch einmal über Deans Wange. Wie immer seit er fünf Wochen alt war und sie aus seiner Wiege heraus zum erstem Mal angestrahlt hatte, legte sich dieses besondere Lächeln über Deans Gesicht. Manchmal hatte sie stundenlang an seinem Bettchen gestanden und ihm immer wieder sanft über die Wange gestreichelt, nur um es noch einmal zu sehen, egal ob er schlief oder wach war. Nie hatte sie sich an diesem Lächeln sattsehen können. Jetzt musste sie sich allerdings davon losreißen, sonst würde Sam vorbeigehen! Es brauchte ein wenig Konzentration ihrerseits und schon sprang die hintere Autotür auf. Manchmal war es doch gut, ein Geist zu sein. Schnell machte sie sich unsichtbar. Das Lächeln auf Deans Gesicht verblasste. „Verdammt“, fluchte Sam lauthals. Er schaffte es gerade so, nicht gegen das plötzlich auftauchende Hindernis zu laufen. Wenn er hier stürzen würde, müsste Bobby ihn auch noch suchen. Nein, daran wollte er nicht denken. Einen zu suchen reichte schon. „Verdammter Schrotthaufen!“ Wütend wollte er die Tür wieder zuwerfen, als sein Blick über die Rückbank glitt. „Dean!“, keuchte der Jüngere erschrocken. „Verdammt! Dean!“ , hektisch schlug er seinem Bruder auf den Unterschenkel. Der musste sich doch rühren! „DEAN!“ Nichts. Keine Reaktion. Hoffentlich war er noch nicht erfroren! Wie lange lag er jetzt eigentlich schon hier draußen? Wie schnell konnte man bei diesen Temperaturen erfrieren? Sam entledigte sich seiner Handschuhe in Rekordzeit und stopfte sie in die Jackentaschen. Er umfasste Deans Bein und zog ihn unerbittlich zu sich. „Komm schon, Dean!“, bettelte er und fasste richtig zu, bevor sein Bruder ganz aus dem Wagen fiel. Er presste ihn fest an sich und versuchte gleichzeitig eine Reaktion von ihm zu bekommen, doch nichts. Deans Gesicht blieb ausdruckslos und seine Augen geschlossen. Sam warf die Wagentür zu, fasste seinen Bruder fester und trug ihn so schnell er nur konnte zum Haus, das Kilometer entfernt zu sein schien, bevor es endlich doch als dunkler Fleck in dem tosenden Grau auftauchte. Gut, dass er sich hier auskannte! Sonst hätte er sich wohl hoffnungslos verirrt. Leise ächzend schob sich Sam mit seiner kostbaren Last in die Küche. „Oh mein Gott“, entfuhr es Jody als sie Dean sah. Hastig suchte sie nach einem Lebenszeichen. Der Junge war viel zu kalt! Sie holte ihr Telefon aus der Tasche und schob es mit einem Blick nach draußen wieder hinein. Rave jetzt hierher zu bitten ging nicht. Klar, er würde versuchen zu kommen, doch das konnte sie nicht verantworten. „Ich bring ihn am besten sofort oben in die Wanne. Da können wir ihn langsam aufwärmen“, sagte Sam. „Kannst du schon mal Wasser einlassen?“, fragte er sie und Jody nickte. „Klar kann ich“, erwiderte sie und lief los. Auf der Treppe holte sie ihr Handy wieder hervor und begann zu wählen. Hoffentlich bekam er das auch mit?!? Doch schon nach dem dritten Mal Klingeln ging der Jäger dran. „Sam hat ihn, komm wieder rein“, bat sie leise, und hantierte mit den Wasserhähnen. „Was? Warte, der Sturm, ich versteh kein Wort“, brüllte er ins Telefon. Erschrocken hielt sie das kleine Teil so weit weg, wie es ihr Arm erlaubte, wartete einen Augenblick und nahm es wieder ans Ohr. „Jody?“, hörte sie ihn fragen. „Sag mir, dass Sam ihn gefunden hat!“ „Komm rein, er hat ihn“, bestätigte sie lauter. „Gott sei Dank!“ Sie legte auf, behielt das kleine Teil aber in der Hand. Schnell prüfte sie die Wassertemperatur. „Brauchst du Hilfe?“, wollte sie von Sam wissen, der seinen Bruder gerade auf den Toilettendeckel setzte. „Nein, es geht. Wenn dann rufe ich.“ „Okay, viel Glück beim Auftauen“, lächelte sie und verließ das Bad. Kurz schaute sie auf das Telefon und schob es wieder in die Tasche. Nein, sie konnte es nicht verantworten Rave durch diesen Schneesturm zu schicken. Nicht solange es nicht wirklich um Leben und Tod ging. Sie ging nach unten. Gerade als die die Küche betrat, hörte sie draußen schwere Schritte. Lächelnd stellte sie eine Tasse unter den Kaffeeautomaten und holte den Whiskey aus dem Schrank. Bobby betrat die Küche während sie den Kakao mit Whiskey verfeinerte und ihm sofort in die klammen Hände drückte. „Du bist ein Engel!“, lächelte er sie dankbar an. „Du wolltest doch so empfangen werden.“ „Schon, aber ich wollte schon so vieles in meinem Leben“, brummelte er und pustete vorsichtig in die Tasse, bevor er einen Schluck nahm. „Wie geht es ihm?“, fragte er gleich darauf. „Sam wollte ihn in oben die Wanne stecken und ich habe überlegt, ob ich Rave anrufen sollte, aber ich will ihn nicht unbedingt durch dieses Wetter jagen.“ „So schlimm?“ „Er war eiskalt und reagierte nicht.“ Der Jäger nickte. „Ich geh mal hoch“, sagte er und stellte seine Tasse ab. Er zog eine Schublade auf und holte eine Rolle Mülltüten und Klebeband heraus. Im Gehen zog er sich die Jacke aus und hing sie an die Garderobe, bevor er endgültig nach oben stapfte. Die Badezimmertür stand offen. Er trat ein. Sam hockte vor der Toilette und zog seinem Bruder gerade das T-Shirt über den Kopf. „Gut dass du kommst“, begrüßte er den Freund. „Hast du irgendwo etwas, womit wir seine Gipsarme schützen ...“, begann er und brach ab, kaum dass er die Rolle in dessen Hand sah. Der Ältere musterte Dean besorgt. „Meinst du, dass er alleine in der Wanne sitzen bleibt, ohne zu ertrinken?“ „Ich bezweifele es. Wollte mich nur erst um ihn kümmern, bevor ich ...“ Sam deutete auf halbvolle die Wanne. „Dann lass ihn uns mal badefertig machen“, sagte Bobby leise. Das hatte er nie wieder tun wollen. Aber so war es wohl bei ihnen mit dem Wollen. Kapitel 171: Eisbaden --------------------- 171) Eisbaden Eine Weile mühten sich Sam und Bobby damit ab, Deans Gipsverbände so gut es ging wasserdicht zu machen. Während der Ältere noch die letzten Klebestreifen anbrachte, zog sich Sam Hemd und Hose aus. Er stellte sich seitlich neben seinen Bruder, umfasste ihn unter den Armen und zog ihn mit dem Rücken an sich. „Kannst du ihm noch die Hose ausziehen?“, bat er und versuchte das Schauern zu unterdrücken, dass die Kälte, die sein Bruder ausstrahlte, an seinem Bauch auslöste. Schnell fiel auch dieses Kleidungsstück und Sam stieg mit Dean in die Wanne. „Oh man ist das kalt“, keuchte er und unterdrückte den Reflex den Fuß sofort wieder zurückzuziehen. Bobby hielt seine Hand in das in die Wanne laufende Wasser. Es war wirklich verdammt kalt. „Und du willst da wirklich mit rein?“ „Er zittert nicht mehr und wach bekomme ich ihn auch nicht“, erklärte Sam besorgt. „Hauptsache du erkältest dich nicht auch noch, bei dem Eisbad.“ Bobby runzelte die Stirn und fragte: „Brauchst du noch Hilfe?“ „Hier komme ich erstmal klar. Drück die Daumen, dass es nur ein Schnupfen wird.“ „Du oder er?“ „Wir beide?“ „Meinst du, dass wir so viel Glück haben?“ Sam grinste gequält. Er umfasste seinen Bruder fester und hob ihn in die Wanne. „Ruf einfach wenn du Hilfe brauchst. Ich drehe in seinem Zimmer die Heizung hoch und hole noch ein paar Decken“, verabschiedete sich der Jäger aus dem Raum. Er wollte nicht unbedingt Zeuge von Sams Eisbad werden. Schon vom hinschauen kroch es ihm ein kalter Schauer nach dem anderen den Rücken herauf. Sam setzte sich in das eisige Wasser und verfluchte die Idee unbedingt mit seinem Bruder baden zu wollen. Er schnaubte. So war es zwar nicht, aber das Ergebnis blieb das gleiche. Er saß in eisigem Wasser und fror. Schnell drehte er das warme Wasser etwas auf. Auch wenn es ewig dauern würde, blieb ihm doch die Illusion, dass die Wärme bis zu ihm drang. Vorsichtig begann er abwechselnd Deans Arme, Brust und Bauch zu reiben. Vielleicht schaffte er es so seinen Bruder schneller warm zu kriegen. Zwischendurch kontrollierte er immer wieder die Vitalzeichen seines Bruders, nur um jedes Mal wieder enttäuscht durchzuatmen. Und dann endlich spürte er das erste Zittern, das durch Deans Körper lief. Fast hätte er es übersehen, so sehr wie er selbst zitterte. Doch es kam eindeutig von Dean. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Erleichtert atmete er auf. Jetzt würde es endlich besser werden. Es dauerte allerdings noch eine halbe Ewigkeit, in der das Zittern erst stärker und dann wieder schwächer wurde, bis es endlich fast komplett nachließ. Immer wieder hatte Bobby zur Tür hereingeschaut, um ihm zu helfen Dean trockenzulegen, doch bisher hatte er ihn immer wieder weggeschickt. Gerade als er den alten Freund rufen wollte, schaute der mal wieder rein. „Bist du nun endlich durchgeweicht oder hast du dich schon aufgelöst?“ „Bin kurz davor“, seufzte Sam. „Aber wir können ihn rausholen.“ „Dann mal los“, sagte Bobby und fasste Dean unter Armen und zog ihn soweit von Sam weg, dass der aufstehen konnte. Schnell hüllte sich der jüngere Winchester in Bobbys Bademantel. Er wollte wenigstens heiß duschen aber jetzt war erst einmal wichtig Dean so schnell wie möglich ins Bett zu bekommen. Sam hob seinen Bruder aus der Wanne und hielt ihn solange, bis Bobby ihn in ein großes Handtuch gewickelt hatte. Dann setzte er ihn auf die Toilette, um ihn trocken zu reiben. Dean ließ das Ganze ohne viel Gegenwehr über sich ergehen. Er war noch immer viel zu müde, um sich überhaupt zu regen und er hoffte darauf, dass sie ihn endlich in Ruhe ließen, damit er schlafen konnte. Doch dieses Privileg konnte Sam ihm noch nicht gewähren. Sie zogen ihm Shorts und ein T-Shirt an. Sam trug ihn in sein Zimmer und legte ihn ins Bett. „Hey, noch nicht einschlafen, bitte“, forderte Sam und richtete ihn einfach wieder auf. Dean war zu schwach, um sich zu wehren, aber auch zu schwach, um selbstständig zu sitzen. Sam musste ihn stützen. Es dauerte nicht lange, bis Bobby mit heißem Kräutertee ins Zimmer kam und gemeinsam brachten sie Dean dazu den heißen Tee zu trinken. Erst danach durfte er endlich schlafen. Bobby wickelte ihn in die Decken, wie ein Baby in ein Steckkissen. Er nahm die Tasse. „Erhol dich gut“, wünschte er seinem Jungen, bevor er das Zimmer verließ. Viel Ruhe war dem allerdings auch jetzt nicht vergönnt. Schon bald riss ihn ein heftiger Hustenanfall aus dem Schlaf. Sein Hals kratzte und seine Nase war vollkommen verstopft. Jedes Mal wenn er versuchte Luft zu holen, wurde er von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt und er schaffte es nicht, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Erst als Sam ihn bei den Schultern fasste und ihn mit sanfter Gewalt dazu brachte, den warmen Kräutertee zu trinken, klang das Kratzen im Hals soweit ab, dass er besser Luft bekam. Erschöpft ließ er sich zusammengerollt auf die Seite fallen und war gleich darauf wieder eingeschlafen. Vorsichtig legte Sam die Hand an Deans Wange und seufzte besorgt. Sein Bruder fühlte schon jetzt viel wärmer an, als es normal war. War ja auch kein Wunder. Er hatte in den letzten Tagen schon gehustet und geschnieft und dass er die ganze Zeit nur in Socken rumgelaufen war, war seiner Gesundheit wohl auch nicht so förderlich gewesen. Irgendwann bemerkte er Bobby neben sich und es erschreckte ihn, dass er nicht sagen konnte, wie lange der alte Freund schon da war. „Geh ins Bett“, forderte Bobby. „Nein, ich ...“ „Wir werden unsere Kräfte noch brauchen, also tu mir den Gefallen und geh.“ „Und du? Solltest du nicht bei Jody sein?“ „Sie ist schon eine Weile weg. Es gab einen Unfall, nicht nur einen, jedenfalls wird sie in ihrem Job gebraucht.“ „Oh“, machte Sam betreten. „Wenn du meinst ...“ Bobby nickte. „Dann geh ich mal.“ „Schlaf dich aus und wenn du mich morgen früh ablöst, reicht das.“ „Danke“, sagte Sam leise und erhob sich. Etwas steif stakste er zur Tür. Wie lange hatte er denn hier gesessen? Mit einem letzten fragenden Blick verließ er das Zimmer und ging ins Bad. Er putzte sich die Zähne und glättete seine Haare mit den Fingern. Müde starrte er in den Spiegel und sein Spiegelbild starrte genauso müde zurück. Er strich sich noch einmal mit beiden Händen die Haare zurück und verließ das Bad. Wenig später lag er im Bett und obwohl er hundemüde war, fand er so schnell keinen Schlaf. Seine Gedanken kreisten immer wieder um die eine Frage: Wie lange würde Bobby sie noch hier ertragen, wenn sie immer wieder so hier aufliefen? Immer wieder waren sie angeschlagen oder gar dem Tod näher als dem Leben, wenn sie hier ankamen. Ob sie es dieses Mal schafften wirklich auszusteigen? Als er dann endlich doch einschlief, war ihm kein erholsamer Schlaf beschert. Er wälzte sich immer wieder von einer Seite auf die andere, wachte öfter auf und wusste dann nie, was er komisches geträumt hatte. Und so stand er am Morgen auf und fühlte sich regelrecht gerädert. Er ging duschen und schaute, sich die Haare trocken rubbelnd, in Deans Zimmer. „Tut mir leid, ich ...“ „Schon gut Sam. Mach dich in Ruhe fertig“, antwortete der alte Freund ruhig. „Kann ich dir was mitbringen? Ich wollte schnell noch was essen.“ „Ich sagte doch, lass dir Zeit. Und wenn du mir nachher einen Kaffee und ein Sandwich mitbringen würdest.“ „Kommt sofort“, erklärte Sam erleichtert. Wenigstens etwas, das er für den Freund tun konnte. Er brauchte nicht lange, um sich komplett fertig zu machen und fast noch weniger Zeit zum Frühstücken. Mit einem Tasse Kaffee ging er nach oben. „Sandwiches stehen im Kühlschrank. Ich dachte, du könntest auch mal eine Pause brauchen“, erklärte Sam und gab Bobby die Tasse. „Dachtest du?“ „Hmhm. Außerdem hast du dein Buch fast ausgelesen!“ „Hm“, grummelte der alte Jäger jetzt und nahm einen Schluck Kaffee. „Wonach suchst du?“ „Immer noch nach einem Weg für Deans Gehör und nebenbei mache ich mir gleich noch ein Inhaltsverzeichnis.“ „Du also auch“, grinste Sam. „Du bist ansteckend“, nickte der alte Jäger. „Und wie geht es ihm“, wollte der Winchester wissen und schämte sich, erst jetzt zu fragen. „Nicht besser.“ „Hoffen wir dass es nicht noch schlimmer wird“, flüsterte Sam und ließ sich mangels einer anderen nahegelegenen Sitzgelegenheit auf dem Fußende des Bettes nieder. „Ich bezweifle, dass sich deine Hoffnung erfüllt“, gab Bobby zu bedenken. „Warum?“ „Hör mal genau hin.“ Verwirrt schüttelte Sam den Kopf. Außer dem Rappeln und Fauchen des Sturmes, hörte er nichts. Doch dann hielt der für einen Moment inne und Sam nickte betrübt. Jetzt hörte auch er das leise Rasseln, das jeden von Deans Atemzügen begleitete. „Und jetzt?“ „Gehe ich gleich mal schauen, was ich an Tabletten im Haus habe. Ich glaube zwar nicht, dass es viel ist, aber es wird uns über den Tag helfen. Außerdem können wir uns überlegen, was wir an Hausmitteln kennen, um ihm zu helfen und warten ab, ob es schlimmer wird. Noch will ich Rave nicht in den Sturm jagen.“ „Gut, ich frage gleich mal das Internet“, sagte Sam, rutschte vom Bett und holte seinen Laptop. „Feuchte Luft, offenes Fenster und warm einpacken“, vermeldete der Winchester wenig später. Außerdem könnten wir ihm eine Art Wickel mit Frischkäse auf die Brust legen. Das soll wohl gegen den Husten helfen.“ „Und Wadenwickel gegen das Fieber“, ergänzte Bobby. Die hatte seine Mutter hin und wieder mal bei ihm gemacht, wenn er hohes Fieber hatte. „Nur haben wir keinen Frischkäse!“ „Aber die Wadenwickel können wir versuchen.“ „Noch ist sein Fieber eher hilfreich. Ich würde noch warten“, meinte Bobby und gähnte verhalten. „Geh ins Bett, Bobby. Ich komme hier klar“, sagte Sam ruhig. „Es bringt nichts, wenn wir uns hier beide fertig machen.“ „Ich werde dich an deine Worte erinnern“, erwiderte der Ältere ruhig. Er stand auf und verließ mit einem letzten Blick auf den älteren Winchester den Raum. „Jetzt musst du mit mir vorlieb nehmen“, sagte Sam leise und zog Deans Decke etwas höher. Sein Bruder zitterte wieder heftiger und jetzt wo er es wusste, war das Rasseln in seiner Lunge deutlich zu hören. Wenn sich der Sturm bis heute Abend nicht gelegt hatte, würde er Dr. Jamesson anrufen und ihn abholen. Unruhig warf Dean den Kopf hin und her. Er keuchte und hustete trocken. Sam seufzte. Wenigstens den Husten würde er ihm nur zu gerne abnehmen. Er nahm den Lappen von Deans Stirn, bevor er ganz auf dem Kopfkissen landete. Schnell wusch er ihn aus und legte ihn zurück. Und wieder drehte sich seine Gedankenspirale. Wie lange konnte er das noch verantworten? War es nicht jetzt schon fast zu spät? Hätte er nicht schon vor Stunden einen Arzt rufen sollen? Vorsichtig legte er seine Hand an Deans Wange. Er fühlte sich nicht so schlimm an, wie er befürchtete hatte, aber auch nicht wirklich gut. Er atmete tief durch. Jetzt würde er erst einmal frischen Tee kochen und dann konnte er immer noch entscheiden, ob er einen Arzt holen wollte. Allerdings war er sich schon jetzt sicher, dass er Dean nie länger alleine lassen würde, also musste er wohl warten, bis Bobby wieder da war. „Hältst du es eine Weile ohne mich aus?“, fragte er leise. „Ich mach dir frischen Tee.“ Noch einmal zog er die Decke höher. Er nahm das feuchte Tuch von Deans Stirn und stürmte die Treppe hinunter. Er wollte nicht zu lange weg bleiben. Kapitel 172: Ärztlicher Beistand -------------------------------- 172) Ärztlicher Beistand Sam war noch nicht ganz am Fuß der Treppe angekommen, als Dean sich erneut keuchend auf die andere Seite warf. Mary hatte ihren Jungen die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen. Jetzt trat sie aus den Schatten und setzte sich an sein Bett. Zärtlich strich sie ihm durch die schweißnassen Haare. „Alles wird gut, mein Engel. Halte durch“, sagte sie leise und konnte sich nicht zurückhalten, ihm sanft über die Wange zu streicheln. Für die Dauer eines Lidschlags erschien das leichte Lächeln auf seinem Gesicht. Doch es wurde fast sofort von einem heftiger Hustenanfall weggewischt. Mary fasste zu, zog ihren Jungen an ihre Brust und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Es ist gut, mein Großer. Sammy ist gleich wieder da. Er macht dir Tee“, sagte sie leise. Sie hielt ihn, wie sie ihn früher immer gehalten hatte, wenn er krank war. Er war nicht oft krank, aber die wenigen Male war er sehr anhänglich gewesen. Versonnen strich sie ihm weiter über den Rücken und wünschte sich wieder einmal noch zu leben und wirklich für ihre Söhne, da sein zu können, denn sie war sich sicher, dass auch Sam Unterstützung nötig hatte. Endlich hörte sie ihren jüngeren Sohn die Treppe hochkommen. Sie ließ Dean wieder in die Kissen gleiten und deckte ihn zu. Als Sam durch die Tür kam, stand sie auf und stellte sich neben das Fußende von Deans Bett. „Hey“, grüßte Sam und lächelte, kaum dass er sah, das sein Bruder wach, auch wenn er blicklos Richtung Fußende starrte. Neugierig schaute sich Sam um. Gab es da doch etwas zu sehen? Der nächste Hustenanfall riss Sam aus seinen Gedanken. Quälend lange Minuten vergingen, bis Dean sich endlich wieder beruhigte und Sam ihn dazu bringen konnte, ein paar Schlucke Tee zu trinken, ohne dass er Angst haben musste, dass der sich verschluckte. Leise stöhnend ließ sich Dean in die Kissen fallen. Und wieder wanderte sein Blick zum Fußende seines Bettes. Seine Lider wurden schwer. Er war so müde und doch wollte er nicht schlafen, aus Angst sie wieder zu verlieren. Er wollte sie so lange wie möglich festhalten, egal ob es ein Trugbild war oder nicht. „Was siehst du da?“, fragte Sam leise, da sein Bruder so gar keine Anstalten machte, den Blick von dieser einen Stelle abzuwenden. „Mom“, krächzte Dean kaum hörbar. Ruckartig fuhr Sam herum. Mom? „Mom?“, fragte er laut. Enttäuschung und Angst schwangen in seiner Stimme mit. Er atmete tief durch. Es stand doch schlimmer um ihm, als er befürchtet hatte. Dean schaffte es nicht mehr zu antworten. Er war viel zu erschöpft, um sich noch länger gegen die bleierne Müdigkeit zu stemmen. „Ich … nich gehn“, bettelte er fast tonlos und schloss die Augen. Mary seufzte. Nein, sie würde erst gehen, wenn es ihrem Jungen wieder gut ging. Gleichzeitig wünschte sie sich, dass auch Sam sie sehen könnte, aber sie wusste nicht, ob sie überhaupt hier sein durfte und sie wollte nichts tun, was die Mächte im Himmel auf sie aufmerksam machte. Sam seufzte fast gleichzeitig mit seiner Mom. Dean fantasierte. Er legte ihm die Hand auf die Stirn. Ja, Dean glühte regelrecht. Er zog sein Handy aus der Tasche und ging aus dem Zimmer. Gerade als er wählen wollte, klingelte das kleine Teil. „Ja?“, fragte er etwas ratlos. Die Nummer kannte er nicht. „Sam, hier ist Jody. Wie geht es Dean?“ „Immer schlechter. Er fantasiert! Ich wollte gerade den Arzt anrufen.“ „Lass mal. Wir haben hier inzwischen alles unter Kontrolle und ich wollte kurz nach Hause kommen. Also kann ich Rave auch gleich mitbringen.“ „Das wäre Klasse! Danke!“ Erleichtert legte Sam auf und ging nun endlich ins Bad, um eine neue Schüssel kaltes Wasser zu holen. Deans Temperatur musste unbedingt runter. Während das Wasser in die Schüssel lief, kam ihm erst so richtig zu Bewusstsein, was Jody gerade gesagt hatte. Sie kam nach Hause! Ein trauriges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Dean hatte sich gewünscht, dass Jody den alten Brummbären mochte und jetzt konnte er ihm nicht mal mitteilen, dass sein Wunsch sich erfüllt hatte. Klar, er konnte es ihm sagen aber was brachte das? Dean fantasierte! Er sah Mom! Auch wenn er ihm und sich wünschen würde, dass Mom wirklich da wäre, sie war es nicht. Sie durfte fast ihr ganzes Leben nicht für sie da sein. Schnell drehte er das Wasser ab und ging zurück zu seinem Bruder. Unbewusst musterte er die Stelle, die Dean die ganze Zeit angestarrt hatte, doch da war nichts. Er seufzte noch einmal und machte sich dann daran, Dean Wadenwickel anzulegen und ihm zusätzlich noch die Handgelenke und die Stirn zu kühlen. Es dauerte noch etwas mehr als eine Stunde, bis er Schritte auf der Veranda hörte. Füße stampften sich den Schnee ab und dann wurde ein Schlüssel in die Tür geschoben. „Bin gleich wieder da“, informierte er seinen Bruder und verließ das Zimmer. Hastig rannte er die Treppe herunter. „Hey“, grüßte er. „Wie wäre es mit einem Kaffee?“ „Ich bin nur kurz hier, um zu duschen. Ich muss gleich wieder los. Geh du lieber mit Rave hoch. Ich denke da wirst du mehr gebraucht. Aber danke“, lächelte Jody und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Sie fand es niedlich, wie sich Sam bemühte. Mit Sicherheit langweilte er sich da oben, würde es aber nie zugeben, denn es ging um seinen Bruder. Trotzdem. Sie kannte das ja von ihrem Sohn. So gerne sie den Jungen hatte, ihm Gesellschaft zu leisten wenn er krank war, war ihr immer eine Herzensangelegenheit, aber es war auch nervenaufreibend und sie konnte es nie erwarten, ihn wieder durch die Räume toben zu sehen. Sam würde es nicht anders gehen, auch wenn Dean nicht mehr wirklich tobte. Dean war wach. Mary saß für alle anderen unsichtbar auf der Bettkante und hielt das, was sie von seiner Hand fassen konnte. Als Sam mit dem Arzt hereinkam, stand sie auf und trat ein paar Schritte zurück. Auf keinen Fall wollte sie der Hilfe im Weg stehen. Außerdem hatte sie so die Chance ihren Jüngsten ein wenig zu beobachten. „Ihr solltet noch mehr lüften“, sagte der Arzt, kaum dass er das Zimmer betreten hatte. „Ich weiß, dass das schwer ist, bei diesem Wetter, aber es ist wichtig. Gerade für ihn und wenn ihr ihn hierbehalten wollt.“ „Er soll auf keinen Fall in ein Krankenhaus, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.“ „Dachte ich mir.“ Dr. Rave Jamesson schaute sich noch kurz um und musterte dann die Gipsarme. „Wie habt ihr das denn hinbekommen?“ „Unfall mit einem Schneemobil“, erklärte Sam ruhig. „Schneemobil?“ „Wir waren im Glacier Nationalpark.“ „Okay“, gab sich der Arzt zufrieden. Er wusste ja, was sie machten und auch wie wenig sie von ihrer Arbeit preisgeben würden. „Wir waren wirklich da.“ „Das glaube ich dir sogar. Wie lange muss er die noch tragen?“ „Ein bis zwei Wochen auf jeden Fall.“ „Bis dahin sollte er auch soweit wieder auf dem Damm sein.“ In diesem Augenblick wurde der ältere Winchester von einem weiteren heftigen Hustenanfall geschüttelt. Sofort setzte sich Sam zu ihm, zog ihn an sich und hielt ihn leicht über die Bettkante. Es wäre nicht das erst mal, dass er sich durch das Husten auch noch erbrach. Vorsichtig strich er seinem Bruder über den Rücken. Zumindest das Erbrechen blieb ihm dieses Mal erspart, was aber nicht hieß, dass es ihm dadurch besser ging. Er wimmerte bei jedem erkämpften Atemzug leise. Diese Schmerzen würde Sam ihm nur zu gerne abnehmen, wenn er schon sonst kaum etwas für ihn tun konnte! Dr. Jamesson beobachtete seinen Patienten aufmerksam. „Kannst du ihn noch halten, ich möchte mir seine Lunge anhören“, fragte er, nachdem sich Dean wieder beruhigt hatte. Sam nickte. Er zog seinen keuchenden Bruder fester an sich. Dean fühlte sich furchtbar. Er war zu schwach, um überhaupt alleine sitzen zu können, also ließ er seinen Kopf gegen Sams Schulter fallen. Seine Augen huschten suchend umher und blieben an seiner Mom hängen. Sie hier zu sehen, bedeutete ihm so viel und dass sie ihm ein Lächeln schenkte war wie Balsam. Selbst die Schmerzen schienen nicht mehr ganz so schlimm zu sein. Vorsichtig schob Sam das durchgeschwitzte T-Shirt seines Bruders nach oben. Das würde er auch gleich noch wechseln, überlegte er und registrierte erschrocken, dass Dean schon wieder zitterte. Auch das Rasseln seiner Lunge schien noch schlimmer geworden zu sein. Es war wirklich kein Wunder, dass er fantasierte! Dr. Jamesson brauchte nicht lange, um seine Diagnose zu stellen. „Hat er sich schon länger krank gefühlt oder kam es schnell?“, fragte er Sam trotzdem. „Gestern um die Zeit ging es ihm eigentlich noch gut“, antwortete der nach einem Blick auf die Uhr. Da waren sie beim Essen gewesen, kurz bevor sein Bruder in die Kälte geflüchtet war. „Okay, dann muss ich nicht länger testen. Er soll wirklich nicht ins Krankenhaus?“ „Nein, nicht wenn es nicht unbedingt nötig ist“, bestätigte Sam noch einmal. Vorsichtig ließ er den Kranken wieder ins Bett gleiten und deckte ihn richtig zu. Alles andere konnte er gleich noch machen, wenn der Arzt wieder weg war. „Ist er allergisch auf Antibiotika?“ „Nicht dass ich wüsste.“ „Gut.“ Er drückte Sam zwei Packungen in die Hand. „Drei Mal täglich eine bis alle Tabletten aufgebraucht sind. Sollte es morgen noch nicht besser geworden sein, muss er auf jeden Fall in ein Krankenhaus. Sollte sich sein Zustand noch weiter verschlechtern auch.“ Er musterte den Winchester. „Wie weit seid ihr?“ Jody steckte ihren Kopf durch die Tür. „Wir sind durch“, antwortete Rave und packte seine Gerätschaften wieder zusammen. „Und wie schlimm ist es?“ „Wenn er einer meiner normalen Patienten wäre, würde ich ihn in ein Krankenhaus einweisen und auch so steht er kurz davor. Seine Lunge ist so angegriffen, dass er gerade so noch genügend Sauerstoff bekommt. Sollten sich seine Lippen oder Fingernägel jedoch blau färben, rufst du sofort einen Krankenwagen!“, wandte er sich mit dem letzten Satz an Sam. Erschrocken nickte der Winchester. So schlimm hatte er es trotz der vorangegangenen Warnungen nicht erwartet. Er schob die Decke am Fußende nach oben und begann die Handtücher von Deans Beinen zu entfernen. Wenn es so schlimm stand, wollte er alles daran setzen, das Fieber endlich etwas zu senken. Dr. Jamesson legte seine Hand auf Deans Beine. „Warte mit den nächsten Wickeln, bis er sich wieder aufgewärmt hat. Eine Stunde mindestens und zieh ihm Socken an. Auch wenn sich das absurd anhört, die Füße sollten warm bleiben.“ „Okay“, nickte Sam. „Wenn jetzt alles gut geht, sehen wir uns in zwei Wochen, wenn er die Gipsverbände los werden will.“ Rave holte noch ein Packung fiebersenkende Tabletten aus der Tasche. Fragend schaute Sam den Arzt an. „Ich möchte ihn kurz röntgen und seine Lunge kontrollieren.“ „Wir werden da sein“, erwiderte Sam erleichtert. „Gut, dann gute Besserung“, verabschiedete sich Dr. Jamesson und verließ das Zimmer. „Brauchst du noch was?“, fragte Jody. „Nein, erst mal habe ich hier alles“, entgegnete Sam. „Halt die Ohren steif“, sagte sie, ohne einen der Brüder genauer anzusehen. Sie mussten beide stark sein, jeder auf seine Weise. Wenige Minuten später hörte Sam die Haustür zuschlagen und Bobbys schwere Schritte die Treppe nach oben kommen. Sie hatten sich wohl sprichwörtlich die Klinke in die Hand gegeben. Gleich darauf stand der Jäger in der Tür. „Rave klang ziemlich besorgt. Ich habe gerade noch mit ihm gesprochen“, sagte der Ältere und musterte ihren Patienten. „Ja, er hat ziemlich deutlich gemacht, dass er Dean lieber im Krankenhaus sehen würde.“ „Und was denkst du?“ „Dass es ihm hier besser geht, solange es nicht schlimmer wird.“ „Gut, dann werde ich mich mal an die Suppe machen.“ „Danke Bobby.“ Kapitel 173: Ringo ------------------ 173) Ringo „Brauchen wir noch Medikamente für ihn, dann würde ich gleich losfahren. Oder willst du?“ „Ich möchte lieber hier bleiben“, erwiderte Sam, auch wenn die Aussicht sich die Beine vertreten zu können sehr reizvoll war. „Bringst du Vick Vaporup mit und ein paar richtig dicke Socken? Außerdem wäre ein Inhalator vielleicht ganz hilfreich.“ „Ich sehe zu, was sich machen lässt. Und was zu Essen?“ „Mir reicht ein Sandwich oder was vom Chinesen und für Dean? Kannst du Tomaten-Reis-Suppe kochen?“ „Ich bringe alles dafür mit. Eigentlich wollte ich ihm eine Geflügelbrühe kochen.“ Sam atmete tief durch und nickte. Alles was ihm half. „Gemeinsam kriegen wir ihn wieder auf die Beine“, versuchte der Ältere ihn aufzumuntern. „Danke Bobby“ Das war genau das, was Sam gebraucht hatte, eine Aufmunterung und die Versicherung, dass alles wieder gut werden würde. Ein bisschen Hoffnung, an die er sich klammern konnte. „Wir schaffen das, wäre doch gelacht! Außerdem ist es nicht das erste mal, dass er hier ...“ Bobby brach ab. Diese Erinnerungen waren nicht unbedingt das, was er jetzt heraufbeschwören wollte. „Ich fahr dann mal“, sagte er leise und drehte sich zur Tür. „Bis nachher“, verabschiedete sich Sam leise. Auch er hätte diese Erinnerungen lieber nie wieder erwähnt. Doch sie waren nicht so einfach zu verdrängen. Also erhob er sich und begann voller Zweckaktionismus das Zimmer aufzuräumen. Er holte frisches Wasser und neue Handtücher und wusch seinem Bruder den Schweiß vom Körper. Er wickelte ihn in ein paar große Badetücher, packte ihn fest in die Decken ein und öffnete die Balkontür sperrangelweit, damit endlich wieder frische Luft in das Zimmer strömen konnte. „Bin gleich wieder da“, versprach er Dean, schnappte sich die herumliegende Wäsche und ging in den Keller, wo er die Waschmaschine fütterte. In der Küche kochte er frischen Tee und machte sich selbst eine heiße Zitrone, von der er hoffte, dass sie ihn gegen die ganzen Bakterien zu schützen, nicht dass es Dean irgendwann wieder besser ging und er die Lungenentzündung hatte. Liebevoll schaute Mary ihrem Jüngsten hinterher. Wie toll er sich doch um seinen Bruder kümmerte. Doch kaum hatte Sam das Zimmer verlassen, begann Dean sich unruhig hin und her zu werfen. Mit Sorge wandte sie sich zu ihm um. Wenn sie wenigstens das Fenster wieder schließen könnte, bevor er sich freigestrampelt hatte. Fieberhaft überlegte sie, wie sie Sam wieder nach oben bekommen konnte, doch dann fiel ihr etwas ein, bei dem Dean immer mit großen, strahlenden Augen an ihren Lippen hing und wie sehr er es gehasst hatte, wenn er dabei eingeschlafen war. Lächelnd erinnerte sie sich an einige kalte, verregnete Tage an denen sie mit ihrem Sohn auf dem Schoß vor dem Kamin gesessen und ihm die Geschichten erzählt hatte. Das war kurz bevor der Dämon ihr das Leben genommen hatte. Noch heute fühlte sie die Trauer, wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich in diesen Tagen wünschte, irgendwann einmal mit Sam und Dean so zusammensitzen und ihnen die Geschichten erzählen zu können. Wann hatte sie ihm das erst mal erzählt? Damals war sie mit Sam schwanger, irgendwann kurz nach Deans viertem Geburtstag. Dean kämpfte leise wimmernd um mehr Luft. Mary schüttelte die Erinnerungen und die Trauer ab und setzte sich auf das Bett. Sanft strubbelte sie ihm durch die verschwitzen Haare, nahm seine Finger in ihre und begann zu erzählen: „Es war einmal vor langer Zeit da lebte in der Prärie eine Kolonie Präriehunde. Fleißig arbeiteten sie an ihren Tunneln, suchten Futter und kümmerten sich um ihre Familien. Sie erinnerte sich an das erste Mal, als sie ihm diese Geschichte erzählte. Er hatte sich aufgesetzt und sie gefragt: „Was ist die Prärie, Mom?“ „Das ist eine große Wiese, wie die Weide am Ende der Straße, da wo die Kühe stehen, nur viel, viel größer.“ „Und eine Konolie?“ „Eine Kolonie ist wie eine Stadt. Wie Lawrence.“ „Haben diese Hunde auch so eine Familie wie Daddy und ich und du?“ „Fast so eine Familie wie wir, ja.“ „Fast?“ „Sie haben mehr Kinder“, lachte sie. „Und der Daddy ist öfter weg.“ „Das ist doof! Ich will auch Geschwister. Wann kriege ich meinen Bruder?“ „Eine Weile musst du schon noch warten, Schatz.“ „Wie lange?“ „Wenn die ersten Kirschen reif sind, sollte er da sein.“ „Wann ist das?“ „Wenn der Schnee geschmolzen ist“, versuchte sie seine Fragerei zu beenden. Dean dachte nach. Er liebte den Schnee und er wollte doch morgen noch einen Schneemann mit Daddy bauen! Das hatte Daddy versprochen! „Nicht schmilzen. Ich will doch morgen mit Daddy einen Schneemann bauen!“ „Morgen schmilzt der Schnee noch nicht“, beruhigte sie ihn.“ „Das ist gut! Was ist mit den Hunden?“ Mary lächelte bei der Erinnerung an dieses Gespräch. Aber auch weil ihren Worten wohl noch dieselbe Magie innezuwohnen schien, wie vor so vielen Jahren. Auch heute wurde Dean ruhiger, so als ob er diesen längst vergessenen Geschichten lauschen wollte. Hatte er sie vergessen? Irgendwie hoffte sie, dass es nicht so wäre, auch wenn in seinem Leben so viel passiert war, dass diese einfache Gute-Nacht-Geschichte wohl schon lange verdrängt worden war. Aber selbst wenn. Seine Reaktion zeigte ihr, dass es ihm gefiel und so machte sie weiter. Noch bevor der Frühling richtig loslegte spürte die schwangere Präriehunde-Dame Liv, dass es bald Zeit war ihre Jungen zur Welt zu bringen. Tief unter der Erde in ihrem Bau hatte sie dafür extra eine kuschelig warme, sichere Höhle als Kinderstube eingerichtet. In der folgenden Nacht war es endlich soweit. Liv brachte fünf Junge zur Welt. Drei Mädchen, Lilly, Rose und Pebbles sie war die zarteste der Kinder, und zwei Jungen Gray und der Letztgeborene, Ringo. „Nackt, blind und taub sahen sie eher wie rosa Maden aus, denn Präriehunde.“ Mary hielt lächelnd inne. An der Stelle hatte Dean sie damals gefragt, ob er auch blind und taub zur Welt gekommen wäre. „Nein. Du konntest sehen und hören, wenn auch nicht so gut wie jetzt, aber genau wie diese fünf Kleinen hast du auch nur gegessen und geschlafen.“ Und wie damals strich sie ihm sanft die Haare aus der Stirn. „Wie Sammy“, hatte Dean einmal gesagt, als sie ihm die Geschichte, nach Sams Geburt, mal wieder von Anfang an erzählte. „Ja, wie Sammy“, hatte sie lächelnd geantwortet. Die Jungen entwickelten sich schnell zu kleinen, frechen, aufgeweckten Präriehund-Kindern. Es verging nicht viel Zeit, bis ihnen die gewohnte Umgebung ihres Kinderzimmers zu langweilig wurde. Eines Tages, Liv war gerade losgegangen, um Futter zu besorgen, standen sie unschlüssig im Zimmer herum und überlegten, was sie machen wollten, bis ihre Mutter zurückkam. Pebbles zog in einem unbeobachteten Moment ihr Kissen vom Bett und schlich sich an Ringo heran. Sie tippte dem Jüngsten auf die Schulter. Er drehte sich um … Paff … bekam er ein Kissen vors Gesicht und plumpste auf den Hintern. Helles, vierstimmiges Gelächter und Gejohle begleitete seinen Versuch wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er rappelte sich auf. Pebbles hatte noch immer das Kissen in der Hand. „Duuu“, grollte er und stürzte sich auf sie. Während Ringo sie überall kitzelte, wo er sie erreichen konnte, versuchte sie sich seiner Angriffee zu entgehen. In einem wirren Knäuel aus Armen und Beinen kullerten sie über den Boden. Schnell stürzten sich die anderen Drei auf das Knäuel. Liv hörte das Gejohle, als sie zurückkam. Schnell packte sie alles in die Vorratskammer und betrat das Kinderzimmer. „Was ist denn hier los?“, rief sie entsetzt. Doch niemand reagierte. Seufzend näherte sie sich dem Gewusel. Sie griff zu und zerrte das erste Junge zu sich. Sofort wollte die Kleine, es war Lilly, sich wieder ins Getümmel stürzen, doch ein heftiger Knuff ihrer Mutter ließ sie innehalten. Sie wurde in ihr Bett geschickt und musste dem Treiben ihrer Geschwister tatenlos zusehen. Sie blieb nicht lange alleine. Nach und nach zog ihre Mutter einen nach dem anderen aus dem Getümmel und trieb sie auf ihre Betten, bis nur noch Gray und Rose übrig waren. Die Beiden zu trennen fiel ihrer Mutter besonders schwer, denn Gray hatte sich im Ohr seiner Schwester verbissen und wollte nicht loslassen, egal wie sehr das Mädchen auch schrie. Erst als Liv ihn in eines seiner Ohren biss, ließ er jammernd los. „Es reicht“, schimpfte sie laut, als alle Kinder still saßen. „Was sollte das denn, bitte schön?“ „Pebbles hat angefangen“, petzte Gray. „Es ist mir egal, wer angefangen hat. Ich habe auch nichts dagegen, wenn ihr spielt aber ich will keine Keilerei. Es wird nicht gebissen, gekratzt oder getreten. Habt ihr mich verstanden?“ Die Fünf nickten murrend. Das blieb nicht die einzige Rauferei der Geschwister. Je größer sie wurden, um so häufiger kam es zu Streitereien, während die Mutter auf Futtersuche war. Mary erinnerte sich daran, wie sehr Dean schon damals an seinem kleinen Bruder hing und wie er ihr einmal versprach, nie mit Sam zu raufen sondern immer auf ihn aufzupassen. Das hatte er getan. Auch wenn sie jede Streiterei hingenommen hätte, wenn sie dafür ein normales Leben mit ihnen hätte führen können. Sie strich Dean erneut durch die verschwitzten Haare. Sie war stolz auf ihre Jungs und froh darüber, dass sie sich so gut verstanden. „Liv hatte es nicht leicht allein mit ihren Kleinen. Ständig musste sie die kabbelnden Kinder trennen, die sich sofort gegenseitig die Schuld in die Schuhe schoben, und ein Machtwort sprechen. Gray war der schlimmste Satansbraten und ignorierte die „es wird nicht gebissen“-Regel, die seine Mutter aufgestellt hatte. „Wo ist denn der Daddy?“, wollte Dean einmal wissen. „Hatte er auch einen Unfall wie Mr. Daniels?“ Sie hatte sich nie Gedanken über einen Vater gemacht, was wohl daran lag, dass John zu der Zeit öfter verschwunden war. Sie wollte einfach keinen Mann in der Geschichte. Dass Dean ihr eine Antwort regelrecht auf dem Silbertablett lieferte, kam ihr damals nur recht. „Ja, er hatte auch einen Unfall.“ „Wird er wieder gesund?“ „Bestimmt“ Genau in diesem Augenblick kam Sam die Treppe nach oben. Er hörte eine weibliche Stimme und erstarrte. Wer war das? Es klang weder wie Ruby noch wie Jody. Aber das konnte auch nicht sein! Die eine konnte nicht einfach so ins Haus, seit sie es bei dem Umbau komplett gesichert hatten und die andere hätte er kommen hören müssen. Sein Herz setzte einen Schlag aus und begann gleich darauf zu rasen. Wer war bei Dean? Was wollte dieses Wesen von ihm? Er stürmte auf die Tür zu, als ihm etwas bewusst wurde. Mit der Hand an der Klinke hielt er inne und lauschte. „Liv wurde klar, dass ihre Kinder in ihrer Abwesenheit beaufsichtig werden mussten. Sie bat Moyra, die Tante der Kleinen, den jungen Präriehunden beizubringen sich in den vielen Gängen des Baus zurecht zu finden. Alle fünf mochten Moyra, da sie ihnen immer kleine Leckereien mitbrachte. „Hoppla“, lachte Tante Moyra und fing Rose ab, die ihr nicht mehr ausweichen konnte. Liv hatte ihren Kindern einen Tag nach ihrer Moralpredigt erlaubt im gesamten Bau zu spielen. Nur nach draußen durften sie noch nicht. Das war für sie noch viel zu gefährlich. Die fünf Rabauken störte das nicht weiter. Sie entdeckten immer noch neue Gänge und die langen Gänge, die toten Enden und die Vorratskammern bargen jede Menge Verstecke und Platz zum Toben. „Hab dich“, grinste Ringo und schlug seiner Schwester auf dem Arm. „Das ist gemein“, jammerte sie. „Tante Moyra hat mich festgehalten!“ „Selber schuld“, lachte Ringo und blieb bettelnd vor seiner Tante stehen. „Was hast du uns mitgebracht?“ „Lauf und hol die anderen“, sagte sie geheimnisvoll. Sofort jagten die Geschwister durch den Bau und Ringo… Sam hielt es nicht mehr aus. Die Stimme kam ihm seltsam bekannt vor, doch er konnte sie nicht zuordnen. Er musste wissen, wer bei seinem Bruder war und ihm eine Geschichte erzählte! Lautstark schlug er die Klinke nach unten und riss die Tür auf. „Wer bist ...“, begann er und verstummte sofort wieder. Der Raum war verdammt kalt! Schnell schloss er das Fenster und untersuchte das Zimmer gründlich. Kein Fremder war in dem Raum. „Wer bist du und was willst du?“, fragte er noch einmal in die relative Stille, die nur von Deans geräuschvollen Atemzügen unterbrochen wurde. Natürlich erhielt er keine Antwort. Er setzte sich vorsichtig auf Deans Bett und legte ihm die Hand auf den Arm. „Bin wieder da“, verkündete er unnötigerweise, nur um etwas zu sagen. Aufmerksam musterte er seinen Bruder. Irgendwas war anders, nur was? Er glühte noch immer und auch das Rasseln seiner Lunge hatte sich kaum geändert. Und trotzdem. Sam würde es nicht unbedingt beschwören wollen, aber Dean schien ruhiger zu schlafen. Lag das an der Stimme? Aber wer war sie? Noch einmal ging er in Gedanken durch, was er gehört hatte. „Ringo“, flüsterte er leise. „Ringo?“ Und dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. „Ringo!“ Deans Teddy hieß Ringo! „Mom?“, fragte er aufgeregt. „Mom! Bitte zeig dich!“ Jetzt war ihm auch klar, warum er die Stimme zu kennen schien. „Bitte!“, flehte er noch einmal. Kapitel 174: Tomatensuppe mit Reis ---------------------------------- 174) Tomatensuppe mit Reis Mary blickte betrübt zwischen ihren Jungs hin und her. Dean hatte hohes Fieber. Für ihn konnte sie eine Fieberfantasie sein, aber Sam? Er war gesund und er würde genau wissen, dass er sie sah und sie wusste immer noch nicht, ob sie überhaupt hier sein durfte. Schnell verschwand sie aus dem Zimmer. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Gleich darauf stand sie zwischen den aufgebauten Wracks und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Ihren Blick hielt sie auf die dahin hetzenden Wolken gerichtet. Es war Blödsinn so in den Himmel zu starren, das wusste sie auch, aber sie wollte sich nicht sagen lassen, dass sie vielleicht irgendwelche ungeschriebenen Regeln verletzt hatte und sie wollte sich die Chance nicht verbauen, ihre Jungs weiterhin besuchen zu können. „Ich möchte mich Sam zeigen. Wenn ich bis morgen keine Antwort bekomme, werde ich ihm gegenübertreten. Es ist an der Zeit, dass er erfährt, dass ich weiterhin über ihn und seinen Bruder wache“, erklärte sie mit fester Stimme. Es war ihr inzwischen egal, ob die höheren Mächte da oben sie hier entdeckten. Wenn sie nicht hier sein dürfte, hätte Anna ihr ja was sagen können! „Morgen Abend!“, entschied sie noch einmal fest und brachte sich mit dem nächsten Gedanken zurück in das Zimmer. Sam ließ die Schultern hängen. Wie hatte er auch annehmen können, dass Mom hier wäre! Aber wer hatte dann von Ringo erzählt? Der Einzige, der diesen Namen je erwähnt hatte, war Dean, als er ihm sagte, dass sein Teddy Ringo hieß. Was allerdings der Bär mit einer Tante Moyra zu tun hatte und was sie in ihren Taschen hatte, würde ihm wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Es sei denn Dean würde ihm davon erzählen, oder die Stimme kam zurück. Er schnaufte, schloss die Augen und versuchte diese Gedanken zu vertreiben. Sie brachten ihn hier nicht weiter! Letztendlich war es jedoch Dean, der seine Grübelei über Ringo zum Erliegen brachte, weil ihn der nächste Hustenanfall aus den Laken riss. Wieder dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sich sein Bruder beruhigte. „Das hilft ihm hoffentlich“, ließ Bobbys Stimme den jüngeren Winchester erschrocken zusammenzucken. Der Jäger war gerade ins Haus gekommen, als Dean zu husten begann und sofort nach oben gelaufen, auch wenn er nur hilflos danebenstehen konnte. Sam schaute ihn irritiert an. Seine Mine klärte sich aber schnell, als er das Vick und die Tüte eines Durgstores hier in der Nähe in Bobbys Händen sah. „Danke“ Sofort schob er die Decken zur Seite und schälte seinen Bruder aus den Handtüchern. Seine Hand berührte das durchgeschwitzte Shirt. „Er ist schon wieder nassgeschwitzt“, resignierte er, deckte ihn wieder zu und stand auf. „Du hast hier alles im Griff?“, wollte Bobby wissen. „Ja, ich komme klar.“ „Dann koche ich Suppe.“ „Kannst du vorher nach der Waschmaschine schauen? Sie müsste durch sein.“ „Okay.“ Gemeinsam verließen sie das Zimmer. Mary schaute ihrem Sohn eine Weile dabei zu, wie der sich um Dean bemühte, doch sie fühlte sich nutzlos. Mit einem Gedanken brachte sie sich in die Küche. Vielleicht konnte sie hier ja etwas tun? Auf jeden Fall tat ihr das Zusehen müssen hier nicht so weh, wie bei Dean. Bobby schälte gerade Tomaten, die er gleich darauf in kleine Stücke schnitt. Sollte das wirklich Tomaten-Reis-Suppe werden? Die hatte sie, als Dean klein war, nur noch selten aus frischen Zutaten gemacht. Irgendwie war es damals in, die gerade aufkommenden Fertigprodukte zu verwenden. Jetzt freute sie sich, dass hier frisch gekocht wurde. Das hätte sie dem alten Jäger gar nicht zugetraut. Bobby pfiff bei der Arbeit leise vor sich hin. Als die Suppe köchelte, brachte er die Abfälle nach draußen und Mary nutzte die Zeit, um die Suppe mit etwas Thymian und Zucker zu würzen. Der Jäger kam zurück. Er probierte die Suppe erneut und wunderte sich. Diesen Geschmack hätte er nicht erwartet. Komisch! Vorhin, als er probiert hatte, schmeckte sie noch nicht so intensiv! Vielleicht kam es ja durch das Kochen? Er füllte eine Suppentasse, garnierte sie mit Petersilie und stellte sie auf das Tablett. Gleich darauf holte er die Packung mit Sams chinesischem Essen aus der Mikrowelle und stellte sie ebenfalls auf das Tablett. Ein Bier für Sam und Tee für Dean komplettierte das Arrangement. Er nahm noch ein Geschirrtuch aus dem Schrank und trug alles nach oben. „Du solltest Kellner werden“, empfing ihn der jüngere Winchester grinsend und legte den Inhalator beiseite. „Das Tuch über dem Arm steht dir“, fügte er noch hinzu, als er den fragenden Blick seines Gegenübers sah. „Zu stressig und die Gäste sind auch nicht mehr das was sie mal waren. Er schob Sams Hand zur Seite, als der nach der Tasse mit der Suppe greifen wollte. „Das mach ich. Du isst jetzt erst mal was. Ich will nicht, dass du auch noch auf der Nase liegst!“, bestimmte der Ältere. „Und du?“, konnte sich Sam einen Einspruch nicht verkneifen. „Ich hab heute schon was gegessen und ich hab auch genug von der Suppe probiert. Wusste gar nicht, dass die so lecker schmeckt.“ „Hast du noch nie Tomatensuppe mit Reis gegessen?“ „Meine Mutter gehörte zu der Fraktion, die Hühnerbrühe für das Allheilmittel hielt.“ Sam nickte. Er schob Dean einige Kissen und Decken in den Rücken, so dass er im Sitzen essen konnte. Dean fühlte sich unsanft aus seinem Dämmerzustand gerissen. Die Kopfschmerzen, die bis eben nur ein dumpfes Hintergrundbrummen waren, schlugen wieder richtig zu. Sein ganzer Körper schien eine einzige Schmerzquelle zu sein. So gut er konnte versuchte er sich aus Sams Händen zu befreien. Er wollte zurück in diese angenehme Dämmerung. Als ihm das nicht gelang, murrte er und wurde für dieses Aufbegehren mit einem weiteren Hustenanfall bestraft. Mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht krümmte er sich zusammen. Sam fing ihn auf. Wieder und wieder strich er ihm über den Rücken und hoffte, ihm so wenigstens einen Teil der Schmerzen nehmen zu können. Endlich ließ der Husten nach und Dean entspannte sich etwas. Sam schob ihn zurück in die Kissen. Er nahm einen Waschlappen und wischte ihm Schweiß und Tränen vom Gesicht. Dean drehte den Kopf weg. Er versuchte sich zusammenzurollen, um wieder einschlafen zu können. Er wollte zurück in seine fast schmerzfreie Traumwelt, in der er auf Moms Schoß saß und sie ihm von Ringos Abenteuern erzählte. Er wollte nicht hier sein. Er wollte zurück in eine fast perfekte Welt! Doch diesen Gefallen taten sie ihm nicht. Sam richtete ihn so gut es ging wieder auf und drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen. Fast sofort hielt ihm Bobby einen Löffel Suppe an die Lippen. „Nich“, japste Dean tonlos. „Komm schon“, bettelte Sam. „Sie wollen dir doch nur helfen“, versuchte Mary ihn zur Zusammenarbeit zu überreden. „Du musst was essen, Schatz. Mir zuliebe.“ Deans Kraft reichte nicht aus, um seine Gegenwehr weiter aufrecht zu halten. Er öffnete die Lippen und ließ sich den Löffel in den Mund schieben. Die Suppe lief über seine Zunge. Der Geschmack weckte weitere Erinnerungen. Er schluckte. „Mom“, formten seine Lippen und seine Augen suchten das Zimmer ab. Bobby starrte erst Dean und dann Sam ungläubig an. Wie konnte ein Löffel Suppe diese Reaktion auslösen? Hatte der er unwissentlich den Geschmack getroffen, den die Suppe bei Mary hatte? Waren Deans Nerven so blockiert, dass sie ihm alles Mögliche vorgaukelten? Sam schaute sich wieder einmal im Zimmer um. Natürlich war da niemand außer ihnen. Hatte Dean wirklich nur gemeint, dass die Suppe wie bei Mom schmeckte? Er hoffte es. „Was hast du alles da reingetan?“, wollte er nun von Bobby wissen. „Nichts, was nicht im Rezept stand“, erklärte der und schon ihrem Patienten den nächsten Löffel in den Mund. „Egal was es war, merk dir das Rezept. Wenn es wirklich so wie bei Mom schmeckt, können wir es nochmal verwenden.“ „Ich mach mir ein Eselsohr in das Buch und jetzt iss dein Essen oder ich bringe dir nichts mehr mit“, grummelte der Ältere. Sam grinste, nickte und griff nach dem Karton mit dem chinesischen Essen. Fast schon einträchtig futterten die Brüder und fast gleichzeitig waren sie fertig. Sam zog seinen Bruder an sich und Bobby nahm die zusätzlichen Kissen weg, damit Dean sich wieder richtig lang machen konnte. Sam deckte ihn zu, schob ihm den Inhalator wieder über Mund und Nase und schaltete ihn ein. „Schlaf dich gesund“, bat er seinen großen Bruder leise und folgte Bobby in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Mary trat wieder näher. Sie setzte sich auf die Bettkante und strich ihrem Jungen über die Wange. „Sammy hat recht. Schlaf mein Engel.“ „Ringo“, nuschelte Dean und Mary nickte lächelnd. „Wo waren wir? Ach ja. Schritte näherten sich ihm. Hastig verschwand Ringo in einem Nebengang. Nur weg hier! Er war noch nicht weit gekommen, als er es rumpeln und poltern hörte. „Himmel!“, schimpfte die aufgebrachte Stimme seiner Mutter. „Was ist das denn?“ Mitten im Gang war ein riesiges Loch. „Lilly, Rose, Gray, Ringo, Pebbles“, rief sie. „Sofort in euer Zimmer!“ Wütend stapfte sie in das Zimmer ihrer Kinder. Ein Kind nach dem anderen kam an und hockte sich unter den durchdringenden Blick ihrer Mutter auf sein Bett. „Wer von euch hat das Loch im Gang gegraben?“, fragte sie aufgebracht. Die fünf machten sich noch kleiner. „Keiner?“ Ihr Blick wanderte von einem zum Anderen. Hastig versuchte Ringo seine schmutzigen Pfoten hinter seinem Rücken zu verstecken. Der wütende Blick seiner Mutter brannte ein Loch in sein Fell. „Ich“, gab er kleinlaut zu. „Dann wirst du dieses Loch jetzt auch wieder zuschaufeln, das Essen ordentlich aufräumen und das Abendessen für deine Geschwister machen.“ „Beeil dich! Ich habe extragroßen Hunger!“, rief Gray seinem Bruder hinterher, als der mit hängenden Ohren davonschlich. „Dann kannst du ihm ja helfen!“, bestimmte Liv hart.“Dann ist er schneller fertig.“ „Aber ich ...“ „Willst du auch in den nächsten Tagen das Essen machen?“ „Nein“, erwiderte der Junge kleinlaut und folgte seinem Bruder. Missmutig schob Ringo die Erde wieder in das Loch zurück. War wohl keine so gute Idee gewesen. Gray stieß zu seinem Bruder und begann wie ein Wilder die Erde zusammen zu scharren. Absichtlich schaufelte er nicht nur eine Ladung genau auf seinen Bruder. „Hey“, schimpfte der und schüttelte sich. Gray machte ungerührt weiter. „Wegen dir muss ich hier arbeiten!“, giftete der. „Spinnst du?“, fuhr der Jüngste den Älteren an und warf die Erde zurück. Sofort sprang der ihn an und verbiss sich in seinem Fell. Ringo schrie erschrocken auf und begann sich strampelnd zu wehren. Immer wieder biss Gray ihm in den Pelz, bis er irgendwann ein Ohr erwischte. Wieder kam Liv dazu und wieder versuchte sie ihre Kinder zu trennen, doch dieses Mal schaffte sie es nur, indem sie Gray von ihrem Jüngsten wegriss. „Es reicht, Gray. Du schläfst ab heute in dem toten Gang hinten links. Dort wirst du auch essen. Erst wenn es dir ehrlich leid tut, darfst du wieder mit deinen Geschwistern spielen!“ Unnachgiebig deutete sie auf den Gang. Erst dann konnte sie sich dem blutenden Ohr ihres Jüngsten widmen. Es würde heilen, aber den Riss im Ohr würde er wohl behalten.“ Sanft strich Mary ihrem Jungen durch die nassen Strähnen. Wie schon früher war er eingeschlafen. Das Beste, was ihm in dieser Situation passieren konnte. Er schlief zwar nicht so ruhig wie normal, aber er warf sich auch nicht so sehr hin und her, wie noch vor ein paar Stunden. Jetzt hatte sie Zeit, sich um ihren anderen Sohn zu sorgen. Wo blieb der nur? Gerade als sie sich in die Küche zappen wollte, hörte sie ihn die Treppe hochgepoltert kommen. Er hatte Bobby in der Küche geholfen und sich bei einem Kaffee regelrecht festgequatscht. Erst als Bobby nach draußen wollte, um Gus ein paar Brocken Fleisch zu bringen, war er mit hochrotem Kopf aufgesprungen und nach oben gerannt. Er hatte Dean vergessen! Bobby hatte nichts gesagt, sah er doch, dass es dem Jungen mal ganz gut tat, sich ein paar Minuten nicht sorgen zu müssen. Vor der Tür atmete Sam noch einmal durch und drückte die Klinke gleich darauf so leise wie nur möglich herunter. „Tut mir leid“, wisperte er beschämt. Besorgt und schuldbewusst blickte er zu seinem Bruder. Einen Moment schaute er ihm beim Schlafen zu. Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit. Hier war nichts Schlimmes passiert, während er seinem Vergnügen nachgegangen war. Wie hatte er Dean nur so erfolgreich aus seinen Gedanken verdrängen können? So lange hatte er nach ihm oder besser nach einer Lösung gesucht und jetzt wo er ihn wieder hatte, wo Dean seine Hilfe brauchte, verquatschte er sich bei Bobby. Leise schnaufend ließ er sich auf seinem Stuhl nieder. So schnell würde er hier nicht mehr weggehen! Kapitel 175: Reden und Zuhören ------------------------------ 175) Reden und Zuhören Eine ganze Weile hörte er, nichts denkend, seinem Bruder beim Atmen zu. Hin und wieder füllte er den Inhalator mit Kochsalzlösung auf, bis er irgendwann wirklich aufstand, um ein paar Schritte zu machen. Er holte den Quilt von der Couch und legte ihn noch zusätzlich über seinen Bruder, bevor er die Balkontür weit öffnete. Erst als er selbst fror, schloss er sie, brachte den Quilt zurück auf die Couch und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Er stellte die Ellenbogen auf die Knie und stützte sein Kinn in die Hände. Den Blick nicht von Dean nehmend, versank er wieder in seinen Gedanken. Dass Bobby und Jody, die inzwischen von ihrer Schicht zurück war, immer wieder mal ihre Köpfe zur Tür hereinsteckten, registrierte er genauso wenig, wie den Austausch des Inhaltes seiner Tasse. Es interessierte ihn einfach nicht. Wichtig war nur Dean, der vor ihm in diesem Bett, relativ ruhig, schlief. Unbewusst lauschte er dem leisen Schnorcheln des Inhalators. Durfte der die ganze Zeit laufen? Sam zuckte mit den Schultern. Er schien den Husten zu unterdrücken und half Dean beim Atmen, warum also nicht? Aber was war mit Deans Ohren, mit seinem Gehör? Sollte er sich nicht daransetzen, um endlich eine Lösung zu finden? Sich hier im Haus zu verkriechen und nie wieder unter Menschen zu gehen, war keine Lösung. Zumal es ja auch hier genügend Krach gab, das hatte er gerade erst bewiesen. Doch obwohl er wusste, dass er etwas tun sollte, konnte er sich nicht dazu aufraffen aufzustehen, zur Tür zu gehen und seinen Laptop zu holen. Ein paar Minuten wollte er noch hier sitzen. „Sam?“, wurde Bobby etwas lauter und legte dem Jungen seine Hand auf die Schulter. Der Winchester zuckte zusammen und wandte den Kopf. „Was?“, fragte er verwirrt. Er konnte am Blick des Freundes ablesen, dass der ihn wohl nicht zum ersten Mal angesprochen hatte. „Komm essen, Jody hat Frühstück gemacht.“ „Frühstück?“, wollte der Winchester irritiert wissen. Er hatte nicht bemerkt wie viel Zeit vergangen war. „Ich hab keinen Hunger.“ „Das mag sein, aber du musst essen.“ „Nein, ich will ihn nicht alleine lassen. Außerdem“, er warf einen unruhigen Blick auf die Uhr, „Außerdem ist es bald Zeit, dass er die Antibiotika bekommt.“ Verdammt! Es war wirklich schon mehr als ein Tag vergangen, seit Dean hier lag. Aber hatten die Antibiotika auch geholfen? Musste sein Bruder trotzdem ins Krankenhaus? Er war sich nicht sicher. „Wann?“, riss Bobby ihn erneut aus seinen Grübeleien. „Halbe Stunde, zwanzig Minuten“, entgegnete Sam und schob sich den Quilt von den Schultern. Wie war der denn dahin gekommen? „Dann hast du ja noch Zeit zum Essen.“ „Bobby, bitte. Ich will ...“ „...jetzt etwas Essen, vielen Dank dafür, dass du Bescheid gesagt hast“, unterbrach ihn der Ältere. „Ich möchte aber lieber hier bleiben.“ „Sam!“, beschwor ihn der Jäger, „er wird dir nicht weglaufen und du brauchst die Kraft. Du hast die ganze Nacht hier gesessen. Komm schon. Jody hat sich so viel Mühe gegeben.“ Sam holte tief Luft, er rieb sich mit der Hand über das Gesicht und blickte wieder zu Bobby. „Okay“, gab er nach. Es brachte nichts noch weiter gegen den Jäger anreden zu wollen. Er würde sich letztendlich dessen Argumenten ja doch ergeben. Außerdem konnte er dann auch noch seinen Laptop oder ein paar Bücher mitbringen. „Bin gleich wieder da“, sagte er zu Dean und folgte dem aufdringlichen Freund. Bobby grinste vor sich hin. Es war ganz gut, dass Sam mal rauskam. Vielleicht schafften sie es ja auch, ihn zu etwas Schlaf zu überreden? Der Geruch von frischen Waffeln mit Ahornsirup und Kaffee empfing Sam, kaum dass er den Fuß auf der Treppe hatte. „Morgen“, nuschelte er und ließ sich in der Küche auf einen Stuhl fallen. „Morgen, Sam“, grüßte Jody. „Wann bist du gekommen?“, versuchte der Winchester ein Gespräch anzufangen, auch um seine Müdigkeit zu verscheuchen, die er jetzt, da er nicht mehr in dem kalten Zimmer saß, umso deutlicher fühlte. „Kurz nach Mitternacht. Ich hab auch kurz bei euch reingeschaut, aber du warst in Gedanken versunken.“ „Dann hast du mir den Quilt übergeworfen?“ „Ja. Es ist ziemlich frisch in dem Zimmer.“ „Rave meinte, dass frische Luft gut für Dean ist.“ „Schon, aber er hat doch eh ständig den Inhalator über Mund und Nase. Das sollte an Luftfeuchtigkeit für ihn doch wohl reichen. Du musst dir nicht auch noch eine Erkältung holen, nur weil du da in der Kälte hockst.“ „Ich hab vergessen die Heizung wieder aufzudrehen“, gestand Sam leicht zerknirscht. „Ist ja kein Problem. Es zeigt nur dass du eine Mütze Schlaf brauchen könntest.“ „Ich will nicht ...“ „Dean wird nicht schneller gesund, nur weil du ihn die ganze Zeit bewusst oder unbewusst anstarrst und auch nicht, wenn du dir eine Grippe einfängst. Selbst wenn er es wollte, er könnte dir dieses Mal nicht helfen.“ „Ich weiß! Es ist nur … ich hab nicht richtig auf ihn aufgepasst und ich hab übersehen, dass er ...“ „Sam! Hör auf!“, schimpfte Bobby laut, sodass der Winchester regelrecht zusammenzuckte, und fuhr dann leiser fort: „Du kannst nichts dafür, dass Dean in einen Wolf verwandelt wurde.“ „Aber ich habe diesen Werwolf erschossen! Seine Mutter hätte mich zum Wolf machen müssen, nicht ihn!“ „Und du kannst nichts dafür, dass er keine Erinnerungen an sein früheres Leben hatte“, überging Bobby den Einwurf. „Aber ich hätte für ihn da sein müssen!“ „Darüber haben wir schon einmal diskutiert und ich bin mir sicher, dass es einem Wildtier in Freiheit immer besser geht, als bei bester Pflege bei Menschen eingesperrt. Nein Sam, du hast getan was du konntest und du hast ihn zurückgeholt. Es war deine Liebe zu ihm, die es möglich gemacht hat, dass er wieder er selbst ist und das mit seinem Gehör bekommen wir auch noch hin.“ „Ich fühle mich aber nicht wie der Held, als den du mich hier preist“, erwiderte Sam leise. „Ich komme mir eher vor wie das Anhängsel, dass kein Fettnäpfchen auslässt.“ „Dean und du, Sam, ihr ergänzt euch. Der eine versucht die Fehler des anderen auszubügeln und in den letzten Jahren funktionierte der eine ohne den anderen nicht richtig. Das war so, als ihr klein ward und das ist jetzt wieder so. Eigentlich müsst ihr nur noch die Richtung festlegen, in die ihr wollt.“ „Wenn das so einfach wäre“, stöhnte Sam. Jody nahm den Kaffee aus der Maschine. Sie drückte ihrem Brummbären die Tasse in die Hand und strich ihm liebevoll über den Arm. Diese Rede war wundervoll gewesen und hoffentlich fiel sie auch auf fruchtbaren Boden. Sam brauchte diese mentale Unterstützung genauso wie Dean. Sie stellte eine weitere Tasse in die Maschine und drückte den Knopf für Milchkaffee. Während der durchlief stellte sie die Teller mit Waffeln, Würstchen, Eiern und Speck und den Ahornsirup auf den Tisch. Sie nahm Sams Kaffee und stellte die Tasse vor ihn. „Jetzt warte doch erst mal ab bis Dean wieder gesund ist, dann wird sich alles andere auch lösen lassen“, empfahl sie ruhig. „Ich hoffe es. Und wegen seines Gehörs wollte ich gleich meinen Laptop mit nach oben nehmen. Die Tabletten scheinen zu helfen, er hustet nicht mehr so oft. Hast du noch ein paar Bücher, die ich ...“ „Ich denke, du solltest nach dem Essen ein paar Stunden schlafen. Danach kannst du dich gerne in die Recherche stürzen“, wandte Bobby ein. „Ich bin nicht müde“, erklärte Sam und konnte sich ein Gähnen nicht mehr verkneifen. „Das sehe ich“, grinste Bobby und schob sich ein Stück Pfannkuchen in den Mund. Sam rieb sich etwas verlegen die Nasenwurzel, trank einen Schluck Kaffee und überlegte sich, wie er seinen Anspruch auf den Platz an Deans Seite bekräftigen konnte. Er wollte sich nicht vertreiben lassen und er wollte nicht schlafen. Klar war das kindisch, denn Dean wurde dadurch nicht schneller gesund, aber sein Bruder hatte in seinem Leben so viel für ihn getan, dass er wenigstens etwas zurückgeben wollte. „Sam, du hast ihm inzwischen so oft beigestanden und ihn von einigen Verletzungen bewahrt, meinst du nicht, dass sich das so langsam ausgleicht?“, gab ihm Bobby eine Antwort auf seine unausgesprochenen Gedanken. „Ich weiß nicht ...“ „Von mir aus setz dich wieder zu ihm, aber beschwere dich nicht, wenn du vom Stuhl gekippt bist und dir irgendwas gebrochen hast.“ Sam atmete tief durch. Bobby hatte mit jedem Wort recht und doch fühlte es sich falsch an, wenn er daran dachte sich in seinem Zimmer zu verkriechen und auszuschlafen. „Ich habe ihn doch gerade erst wieder.“ „Er wird dir nicht weglaufen. Das kann er gar nicht“, stellte Bobby leise fest. „Ich weiß.“ Aber dieses Wissen machte die Entscheidung auch nicht leichter. Oh man, er benahm sich wirklich wie ein verliebter Teenager. Die Leute hatten schon Recht, wenn sie sie krumm anschauten. Welcher erwachsene Mann hing denn noch so an seinem Bruder? Sam schob diese Gedanken auf seine Müdigkeit. Er kniff die Augen zusammen. Er konnte einfach nicht mehr klar denken. „Du gibst ihm nachher seine Medikamente und dann legst du dich hin. Ich mache hier klar Schiff, suche mir ein paar Bücher zusammen, die mir bei unserem Problem vielleicht helfen und komme dann hoch. Ich bleibe bei ihm, bis du wieder da bist“, nahm ihm Bobby auch noch die letzten Bedenken. „Okay“, gab Sam sich geschlagen. Im Moment schlief Dean die meiste Zeit. Da war er lieber da, wenn er wieder ansprechbar war. Noch einmal rieb er sich die Augen. Er war wirklich mehr als müde. Gleich nachdem Sam das Zimmer verlassen hatte, setzte Mary sich auf dessen Stuhl. Sie hoffte, dass Bobby ihren Jüngsten dazu bringen konnte, sich hinzulegen. Sonst würde sie das tun. Auch wenn sie nicht wusste wie. Immerhin konnte sie bisher nur Dean wirklich beeinflussen. Eine Weile bewachte sie den Schlaf ihres Großen. Was hatten ihre Jungs nicht schon alles durchmachen müssen. Warum nur? Was hatten sie oder John falsch gemacht, damit ihre Kinder derart bestraft werden mussten? Gut, Johns Erziehungsmethoden waren nicht in ihrem Sinne gewesen, aber sie konnte ihn bis zu einem gewissen Grad durchaus verstehen. Er war durch ihren Tod in eine Welt gerissen worden, die sie so weit wie nur irgendwie möglich von ihrer Familie entfernt halten wollte. Doch auch dieser Wunsch hatte sich nicht erfüllt. Warum? Was spielte ihre Familie für eine Rolle? Und was wusste Anna? Wer waren diese übergeordneten Stellen, von denen sie gesprochen hatte. Wer wollte ihnen schaden? Sie nahm sich vor, Anna zu fragen, wenn sie sie wieder sah. Irgendetwas musste die doch wissen! Doch jetzt sollte sie ihre Aufmerksamkeit besser wieder auf Dean richten. Ihr Junge schien Sams Abwesenheit zu spüren. Er wurde wieder unruhig. Sie setzte sich wieder auf Deans Bettkante und überlegte kurz, welche Episode sie erzählen könnte. „Vorsichtig tapsten die fünf kleinen Präriehunde vorwärts, immer darauf bedacht ihre Mom ja nicht zu verlieren. Um sie herum wurde es langsam immer heller. Ringo, der ganz vorne lief, hielt inne. Was war das? Vorsichtig schnuppernd hob er sein Näschen, doch es roch nicht anders als sonst auch. Intensiver vielleicht und irgendwie angenehmer. Plötzlich stupste ihn etwas von hinten an. Ringo erschrak, schaffte es aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er drehte sich kurz um. „Was soll das?“, flapste er seinen Bruder an, der von hinten drängelte. „Was bleibst du einfach stehen“, knurrte Gray von Neugier getrieben. „Du kannst ja vorgehen!“ „Nee, mach mal. Ich will dir den ersten Platz nicht streitig machen.“ Das war so typisch für den Älteren. Wenn es ums Raufen ging oder darum seine Schwestern zu ärgern, war er mutig, wenn es aber darum ging, etwas Neues zu entdecken oder zu tun, so ließ er anderen den Vortritt. Ringo, dessen zerbissenes Ohr noch immer schmerzte, knuffte ihn hart in die Seite und drehte sich dann wieder zu dem hellen Loch um. Langsam lief er weiter, bis sein Körper von dieser strahlenden Helligkeit vollkommen umhüllt war. Sein Pelz fühlte sich herrlich warm an. Er tippelte noch wenige Schritte und stand auf einem Wall. Kaum hatten sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnte, schaute er sich staunend um. Die Welt war riesig und voller Farben und Gerüche. Nacheinander kamen auch seine Geschwister aus der Höhle und stellten sich neben ihn auf den Wall. Sie staunten genau wie er über diese neue, schier endlose Wunderwelt. Nur Gray konnte sich mit dem Platz, den er sich ausgesucht hatte nicht zufrieden geben. Vielleicht gab es auf einer anderen Seite mehr zu sehen? „Ich will hier gucken“, maulte er und stieß Rose vom Wall. Erschrocken quiekend kullerte sie den Hügel hinab. Unten angekommen schüttelte sie sich, schaute nach oben und kicherte. Schnell kletterte sie wieder auf den Wall und ließ sich erneut herunterkullern. Lilly beobachtete das Spiel interessiert und als ihre Schwester zum dritten Mal heraufgeklettert kam, sprang sie Ringo in die Seite. Ineinander verschlungen kullerten sie ebenfalls den Wall hinunter. Kapitel 176: Sehen und gesehen werden dürfen -------------------------------------------- 176) Sehen und gesehen werden dürfen Von diesem Augenblick an gab es kein Halten mehr. Sobald die Jungen erwachten, drängten sie nach draußen und abends hatte ihre Mutter ihre liebe Not, um sie wieder in die Höhle zu bekommen. Alles musste untersucht werden, überall buddelten sie Löcher und Gräben und in alles mussten sie ihre Zähne schlagen.“ Wieder einmal hielt Mary inne. Ihre Gedanken wanderten zurück und sie erinnerte sich daran, wie schwer es ihr gefallen war, Dean abends ins Haus zu bekommen und wie zappelig er morgens war, wenn er nicht gleich nach dem Frühstück nach draußen durfte. Zärtlich strich sie Dean die verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht und fuhr mit der Geschichte fort. „Schon bald war Liv gezwungen, sie einem Anderen anzuvertrauen, damit sie sich wieder um die Futtersuche kümmern konnte. Sie rief ihre Jungen zusammen und brachte sie zu einem alten Präriehund, dessen Fell schon ziemlich struppig war. Seine Augen glänzten jedoch noch voller Leben. „Hallo Eddy“, grüßte sie. „Ich bringe dir meine Rasselbande, damit sie endlich was Vernünftiges lernen.“ „Dann lass sie mal hier. Ich kümmere mich darum.“ „Danke“, sagte sie und wandte sich an ihre Kinder, „Und ihr benehmt euch. Eddy ist der beste Lehrer, den wir haben!“ Die Kleinen schauten sich ratlos an. Lehrer? Lernen? Sie wollten spielen! „Also ich bin Eddy. Ihr könnt aber auch Onkel Eddy zu mir sagen, so wie es schon so viele Junge vor euch getan haben. Ich bin auf dem Weg zu den anderen Schülern, also kommt am besten gleich mal mit!“ Ratlos schauten sie immer wieder zu ihrer Mutter zurück. Sollten sie wirklich hier bleiben? Liv nickte nur. „Benehmt euch!“, forderte sie ihre Fünf noch einmal auf und wandte sich ab, um endlich ihre Vorratskammern auffüllen zu können. Murrend folgten sie dem alten Zottel. Eddy führte die Jungen zu einem Stein, vor dem schon andere junge Präriehunde saßen und neugierig auf die drei Haufen starrten, die vor ihnen lagen. „Wir nehmen heute unsere Nahrungsmittel durch. Also: Diese Pflanzen“, er zeigte auf den ersten Packen, „könnt ihr jederzeit problemlos essen, egal ob frisch oder für den Wintervorrat getrocknet. Diese Pflanzen hier“, er deutete auf eine Gruppe daneben, „solltet ihr nur frisch und dann auch nur in kleineren Mengen zu euch nehmen. Und diese Pflanzen sollten nie auf eurem Speiseplan landen!“ Er deutete auf die dritte Gruppe. „Warum nicht?“, fragte Gray kauend. Der alte Lehrer musterte den Zweig, den der junge Präriehund in seiner Pfote hielt. Zum Glück hatte er nur eine der Pflanzen erwischt, die zwar heftige Bauchschmerzen und vielleicht auch Durchfall hervorriefen, aber nicht tödlich waren. Sollte er ruhig am eigenen Leib spüren, was passierte wenn man nicht hören konnte. „Das wirst du schon noch merken“, erklärte der Eddy ruhig und bat die anderen dann ausgiebig an den Pflanzen zu riechen, um sie sich einzuprägen. Danach sollten sie selbst auf die Suche gehen und alle Pflanzen, die sie fanden den Gruppen zuordnen. „Und das sollen wir jetzt alles wissen?“, fragte ein Mädchen namens Isobell, nachdem Eddy sie wieder zusammengerufen und die einzelnen Haufen überprüft hatte. „Nein“, lachte Eddy gutmütig. „Das werden wir noch oft wiederholen. Solange, bis ihr sie blind unterscheiden könnt.“ „Wie geht es dir?“, wollte er nach einem Blick auf Gray wissen. „Ich bin okay“, presste der zwischen den Zähnen hervor. „Dann ist's ja gut. Ihr könnt alle nach Hause gehen. Morgen früh treffen wir uns wieder hier und ich zeige euch, wie man die schönsten Tunnel und Höhlen gräbt.“ „Oh ja, buddeln“, freuten sich die Kinder, die schon eine Weile länger bei Eddy lernten.Und auch Livs Kinder strahlten begeistert. Quitschend und lachend tobten die jungen Präriehunde zu ihren Höhlen. Sie rannten die Hügel, die die Eingänge umgaben hinauf und ließen sich auf der anderen Seite wieder herunterrollen. Sie sprangen sich in den Nacken oder die Seite, knufften sich oder zogen sich am Fell. Nur einer trottete langsam hinter allen her. „Was ist mit ihm?“, fragte Liv den alten Lehrer besorgt und schaute zu ihrem Sohn. „Oh, dein Neunmalklug musste unbedingt von den Pflanzen fressen, die ich als nicht essbar klassifiziert hatte.“ „Er hat etwas Giftiges gefressen? Wie konntest du das zulassen?“, wollte sie mit vor Wut blitzenden Augen wissen. „Ich habe mir die Pflanze angesehen. Sie war nicht giftig. Allerdings wird er in der Nacht Bauchweh und vielleicht auch Durchfall haben. Wenn es schlimmer wäre, hätte ich ihn zum Erbrechen gebracht, das weißt du.“ „Und was soll ich jetzt machen?“ „Bedauere ihn ein wenig und erkläre ihm, dass es besser wäre zu hören, was Ältere ihm sagen.“ „Und du bist dir sicher, dass er wirklich nur Bauchschmerzen bekommt?“ „Die hat er schon, aber er ist zu stur, um das zuzugeben.“ „Ich hoffe, dass du Recht hast“, murmelte sie leise und folgte ihren Kindern zu ihrem Bau. Müde und schlecht gelaunt trotteten vier kleine Präriehunde am nächsten Morgen zur Schule. „Was ist denn mit euch los? Habt ihr die Nacht durchgemacht? Das könnt ihr vielleicht, wenn ihr größer seid, aber jetzt nicht. Ihr könnt mir gleich noch einmal die Pflanzen zeigen, die ich euch gestern als ungenießbar bis giftig benannt habe“ forderte Eddy Livs Kinder auf. Grübelnd blickte er auf die müde Schar. „Ward ihr gestern nicht noch fünf? Wo ist euer Bruder?“ irgendwie bekam er jetzt ein schlechtes Gewissen. Hatte der Kleine gestern doch zu viel von der Eibe gefressen? „Gray hatte die ganze Nacht Bauchschmerzen. Er musste dreimal kotzen. Heute Morgen ging es ihm noch nicht so gut, da hat Mama entschieden, dass er zuhause bleiben darf. Uns hat er mit seinem Gejammer die halbe Nacht wach gehalten aber wir mussten heute hierher kommen. Ich finde das echt ungerecht!“, beschwerte sich Pebbles lautstark. Oje. Da ging seine Erziehung wohl nach hinten los, überlegte sich Eddy. Dass die Vier leiden mussten hatte er nicht gewollt. „Gut. Planänderung“, verkündete er laut. „Wie werden heute keine neuen Gänge graben. Wir haben ja noch die Höhlen, die ihr vor ein paar Tagen angelegt habt. Diese werden wir heute zu Wohnhöhlen erweitern, auspolstern und wir werden Vorratshöhlen anlegen.“ So hatten Livs Kinder Zeit sich auszuruhen. Für Grays Fehler wollte er sich nicht auch noch bestrafen. Gray seinerseits lernte aus diesem Fehler nur, dass ihm nichts passieren konnte und das nutze er weidlich aus. Ganz schlimm wurde es, als Eddy ihnen die einzelnen Warnrufe beibrachte. Klapperschlangen, Adler, Wölfe. Sie alle wurden mit einem speziellen Ruf angezeigt und Eddy schärfte ihnen immer wieder ein, jeden dieser Warnrufe nur dann einzusetzen, wenn wirklich Gefahr drohte, denn es konnte schlimm enden, wenn diese Rufe irgendwann nicht mehr ernst genommen werden würden. Alle jungen Präriehunde schworen sich daran zu halten. Alle, nur einer nicht. Gray. Er machte sich einen Spaß daraus, die Kolonie immer wieder mit einem dieser Rufe zu schockieren. Beim ersten Mal fand es seine Mutter noch ganz lustig, doch dann musste sie einsehen, dass er es zu weit trieb und sie nahm ihn zur Seite: „Gray, es reicht. Du bist ein Risiko für unser aller Zusammenleben! Du gefährdest die ganze Kolonie!“ Doch Gray besserte sich nur soweit, dass er die Warnrufe nicht mehr jeden Tag sinnlos benutzte, denn er fand es einfach zu schön, wie alle panisch alles stehen und liegen ließen und in ihren Höhlen verschwanden. Und so kam, was kommen musste. Gellend schallte der Warnruf „Adler“, über die Kolonie. Ein zweiter und dritter Wachposten fielen in diesen Warnruf mit ein und alle Präriehunde hasteten zu dem nächstgelegenen Höhleneingang. Nur Gray hielt das Ganze für einen Spaß. Er hatte die anderen so oft veräppelt, warum sollten die das nicht auch einmal tun? Unbefangen hockte er auf einem Erdwall und besah sich die Panik, die diese Warnrufe ausgelöst hatten.Er freute sich, wie die ganze Kolonie immer wieder darauf hereinfielen! Dass es dieses Mal alles andere als ein Spaß war, bemerkte er erst, als sich die Krallen des Raubvogels in seinen Pelz bohrten. Hätte er mal besser auf seine Mutter und den alten Lehrer gehört! Doch jetzt war es zu spät. Panisch schrie er auf, doch ihm konnte niemand mehr helfen und der Adler flog mit seiner Beute davon.“ Mary hielt inne. Sie trat etwas näher an das Bett heran. „Hey“, grüßte sie ihren Älteren und fuhr ihm durch die Haare. „Mom“, flüsterte er heiser. Er war schon eine Weile wach und hatte ihr zugehört. Auf keinen Fall wollte er sie unterbrechen, viel zu schön waren die Erinnerungen, die diese Geschichte in ihm wach riefen, auch wenn er … „Diese Stelle mochte ich nie!“ „Ich weiß. Sie sollte nur dazu dienen, dir zu erklären, dass es besser ist auf das zu hören, was Erwachsene sagen.“ „Ich wünschte nur, Sammy hätte diese Geschichten auch hören können“, wisperte er kaum hörbar. „Ich auch, Schatz, ich auch.“ Eine Weile genossen sie die Stille bis Mary wieder unsichtbar wurde. Gleich darauf betrat Sam das Zimmer. „Hey“, freute er sich seinen Bruder wach zu sehen. „Hey“, krächzte der mit gemischten Gefühlen. Einerseits freute er sich seinen Bruder zu sehen, andererseits war er traurig, dass Mom verschwunden war. Warum konnte sie nicht bleiben und Sam begrüßen? „Du musst deine Medizin nehmen“, erläuterte sein Bruder und hielt ihm die Tablette hin. Mühsam setzte Dean sich auf. Er schob sich die Tablette in den Mund und griff nach der Tasse Tee. Seine Hand zitterte, als er die letzten Schlucke trank. Sofort hielt Sam seine Hand noch etwas dichter an die Tasse und nahm sie ihm ab, kaum dass er sie absetzte. Ein kurzes Lächeln huschte über Deans Gesicht, dann fielen ihm die Augen zu und er sank zurück in die Kissen. „Schlaf dich gesund, Dean“, sagte er leise und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Immer wieder fielen auch ihm die Augen zu, doch er wollte noch warten bis Bobby wieder da war. „Sam?“ Bobby legte dem Winchester die Hand auf die Schulter. Sam zuckte zusammen und hob den Kopf. „Hm?“, fragte er und blinzelte zu dem Jäger hoch. „Ich bin hier. Du kannst ins Bett gehen.“ „Okay“, nuschelte er, machte aber keine Anstalten sich bewegen zu wollen. Erst als Bobby ihn erneut die Hand auf die Schulter legte, erhob er sich, leise ächzend und schlurfte zur Tür. Neben der kleinen Couch blieb er stehen und überlegte einen Augenblick, ob er sich nicht gleich hierhin legen sollte. Die Couch sah jedoch alles andere als einladend für mehr als ein Nickerchen aus und der Wunsch nach etwas mehr Komfort war stärker, als der Drang sich sofort hinlegen zu können. Für Bobby sah es fast so aus, als ob jemand Sam anschieben würde, als der sich mit einem Ruck wieder in Bewegung setzte und aus dem Zimmer schlurfte. Träge lief er über den Gang. Nichtsahnend legte er die Hand um den Türknauf seines Zimmers. Aufgeregt schaute Mary auf das sich drehende Teil. Gleich würde ihr Baby durch die Tür kommen. Gleich würde ihr Kleiner sie sehen können! Vielleicht würde er es als Halluzination abtun. Vielleicht würde er denken, dass er schon träumte, doch das war egal. Sie würde sich ihm endlich zeigen! Einen Wimpernschlag bevor Sam die Tür weit genug aufgeschoben hatte erschien Anna, legte ihr eine Hand auf die Schulter und brachte sie beide zu einem unbekannten Ort. „Was soll das?“, fragte Mary erschrocken. „Die Zeit ist dafür noch nicht reif“, erklärte der rothaarige Engel. „Warum nicht?“ „Das wurde mir nicht gesagt.“ „Aber Dean hat mich gesehen!“ „In Deans Erinnerungen bist du lebendig. Er kennt dich. Deine Anwesenheit kann genau so gut ein Trugbild sein. Eine Fieberfantasie. Sam hat dich nur einmal gesehen. Er würde wissen, dass du eine Erscheinung bist und das ist nicht erwünscht!“ „Warum nicht?“ „Ich kann nur wiederholen, dass die zeit dafür noch nicht reif ist!“ Mary überlegte eine Weile, bevor sie den Engel wieder anschaute. „Und wann?“ „Vielleicht später.“ „Vielleicht?“ „Ich kann dir nur diese Botschaft überbringen. Du darfst dich Dean zeigen, wenn sein Zustand so wie jetzt … Es wird ihm die Kraft geben weiter zu kämpfen, ohne dass er wirklich glaubt dich gesehen zu haben. Sam bleibt für dich tabu. Entweder du akzeptierst es so oder ich muss dich in den Himmel bringen. Dann wird es keine Gelegenheit mehr geben, deine Jungs zu begleiten. Es wird für dich ein Leben in deinen Erinnerungen sein, ohne die Chance aus diesem Kreislauf ausbrechen zu können.“ „Ein Leben in den Erinnerungen? Heißt das ich muss mein Leben wieder und wieder leben? Das ist die Hölle, nicht der Himmel!“, stellte sie aufgebracht fest. „Du lebst in deinen schönen Erinnerungen“, versuchte Anna zu relativieren. „Auch schöne Erinnerungen werden irgendwann zu einer Last. Nein. Dann wäre ich lieber im großen schwarzen Nichts.“ „Du bist wie dein Sohn, oder ist er wie du?“, überlegte der Engel laut. „Und jetzt?“ Mary wollte über diesen Satz besser nicht nachdenken. „Deine Entscheidung. Hierbleiben und nur für Dean SICHTBAR sein oder mitkommen.“ 'Warum betonte Anna das eine Wort extra?', überlegte Mary. Doch darüber konnte sie sich später noch Gedanken machen. Jetzt wollte sie nur noch zurück zu ihren Kindern, auch wenn sie sich nur einem ihrer Söhne zeigen durfte. Kapitel 177: Mary ----------------- 177) Mary „Ich gehe zurück. Der Himmel, den du mir da anbietest ist eher die Hölle. Nein. Den kann ich nicht wählen.“ „Gut, dann halte dich an dein Versprechen.“ Eine kurze Berührung am Arm und schon stand Mary wieder in Sams Zimmer. Während ihrer Unterhaltung hatte der sich hingelegt und war eingeschlafen. Mary zog die Decke etwas höher über seine Schulter. „Es tut mir so leid, Sammy. Zu gerne würde ich mich dir zeigen und dir sagen, wie stolz ich auf dich bin und wie traurig, dass ich nicht bei euch war, als ihr groß wurdet. Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass ich die Verbundenheit, die ich zu Dean fühle, auch zu dir hätte, doch sie haben anders entschieden. Ich durfte dich nicht aufwachsen sehen, genauso wenig wie Dean. Ich wünschte dass du genauso mein Junge geworden wärst wie es dein Bruder ist und ich hoffe darauf, dass wir uns eines Tages wirklich gegenüber stehen. Eines Tages, hier auf der Erde und nicht erst, wenn du gestorben bist. So lange will ich nicht warten müssen! Und ich will dich auch nicht nur in meinen Erinnerungen sehen dürfen.“ In den Erinnerungen leben!?! Bei diesem Gedanken schüttelte es sie regelrecht. Was für eine furchtbare Vorstellung! Schnell verdrängte sie diesen Gedanken wieder. „Schlaf gut, Sammy. Du wirst deine Kraft brauchen.“ Zärtlich strich sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht und ließ Finger über seine Wange streichen. Kein Lächeln erschien auf Sams Gesicht. Er hatte schon als Baby nicht so reagiert wie sein Bruder auch wenn sie es sich insgeheim gewünscht hatte, nur hin und wieder, wenn Dean sich zu ihm hinab beugte, um ihm einen Gute-Nacht-Kuss zu geben war ein leichtes Lächeln über das runde Babygesicht gehuscht. Wieder einmal betrauerte sie, dass sie noch nicht einmal miterleben durfte, wie Sammy zum ersten Mal richtig lachte. Kurz schloss sie die Augen und holte tief Luft. Als sie die Augen wieder öffnete, ließ sie ihren Blick noch einmal in aller Ruhe über ihren Jüngsten gleiten. „Bis bald, Sammy“, sagte sie leise und ging durch die Wand in Deans Zimmer. Durchs Haus zog der Geruch von Hähnchen, als Sam am Nachmittag erwachte und ins Bad ging. Es roch verdammt lecker. Sofort meldete sich sein Magen. 'War das nicht eigentlich Deans Part?', überlegte er. Schnell schlüpfte er in seine Kleidung und ging nach unten. Er wollte sich nur etwas holen und dann Bobby bei Dean ablösen. Leider war Jody wohl mit dem Essen noch nicht fertig. Sie stand am Herd und rührte in einem Topf. „Was gibt es leckeres?“ „Süßkartoffel-Hähnchen-Auflauf.“ „Kann ich dir helfen?“, fragte er sie. „Eigentlich hab ich alles im Griff. Aber wenn du willst kannst du den Tisch decken und dann Bobby holen.“ „Mach ich, dann nehme ich mir was mit rauf.“ „Du kannst ruhig hier mit uns essen. Dean schläft. Ich war heute schon zwei Mal oben und hab Wasser, Saft und Kaffee hochgebracht. Es scheint ihm langsam besser zu gehen.“ „Das ist der erste Lichtblick, seit ich ihn in den Schneesturm gescheucht habe“, entgegnete Sam erleichtert. „Du hast ihn nicht in den Schneesturm gejagt. Wie kommst du denn auf das schmale Brett?“ „Falls du dich erinnerst, hab ich ihn angeschrien, dass er sitzen bleiben soll, womit ich dich auch gleich noch so erschreckt habe, dass du den Topfdeckel fallengelassen hast.“ „Und? Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Nicht deine Schuld, Sam. Es ist nicht alles was passiert, deine Schuld.“ „Ich mache mir aber Vorwürfe.“ „Die mache ich mir auch. Egal ob ich mir immer wieder sage, dass es nicht unsere Schuld war. Wir wollten nicht, dass er sich erschreckt und in die Nacht flüchtet. Leider ist es trotzdem passiert. Jetzt können wir nur alles daransetzen, dass es ihm bald wieder besser geht.“ „Ich weiß, trotzdem ...“ „Gehst du Bobby fragen, ob er essen kommen will? Dann kannst du dich gleich selbst überzeugen wie es Dean geht“ unterbrach sie Sams Gedankengang. Sam nickte. Er machte sich weiter Vorwürfe, doch Jody hatte Recht, davon wurde es nicht besser. Er verließ die Küche und ging wieder nach oben. „Hey“, meldete er sich leise an. „Wie geht’s ihm?“ „Zurzeit ist er mehr als pflegeleicht. Er schläft viel und trinkt genug“, erwiderte Bobby und legte sein Buch zur Seite. „Was mir allerdings Sorgen macht ist, dass er, wenn er wach ist immer nur auf eine Stelle starrt. Ich weiß nicht, was er da sieht. Ich meine er war noch nie ein so friedlicher Patient, aber das beunruhigt mich immer mehr.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen und ich weiß nicht, was da sein soll. Wir können ihn nur fragen, wenn es ihm besser geht.“ Er wollte nicht sagen, dass er vermutete Mary Winchester wäre hier. Wie würde er dastehen, wenn es doch nicht so war und was würde Bobby dann tun? Nein, er behielt diese Vermutung lieber für sich. Vielleicht hatte er sich ja geirrt? Vielleicht fantasierte Dean wirklich? Mit dem Gedanken was passieren sollte wenn sich herausstellte das Mary ein böser Geist geworden war und sie verfolgte, konnte und wollte er sich nicht beschäftigen. „Jody schickt mich. Sie fragt, ob du essen kommen willst“, erinnerte er sich wieder an den eigentlichen Grund seines Hierseins. „Klar. Es riecht bis hier her so lecker, das kann ich nicht ablehnen.“ „Bringst du mir was nach oben?“, bat Sam. „Nein.“ „Nein?“ Jetzt verstand Sam gar nichts mehr. „Nein, du kommst mit runter. Er schläft und du kannst mir beim Tragen der Bücher helfen.“ „Helfen kann ich dir, aber danach gehe ich wieder hoch.“ „Sam“, beschwor Bobby den jüngsten Winchester. „Er hat nur eine Lungenentzündung. Das ist zwar alles andere, als eine einfache Erkältung aber lange nicht so schlimm wie vor fast zwei Jahren, als er dem Höllenhund nur knapp entkommen war. Er wird die halbe Stunde problemlos überstehen.“ „Ich weiß, es ist nur ...“ „Du hast ein schlechtes Gewissen und benimmst dich jetzt wie eine Glucke, oder anders ausgedrückt so, wie du es dir von Dean immer verbittest.“ „Okay, ich hab es verstanden!“ „Gut, dann lass uns gehen.“ Gemeinsam verließen sie das Zimmer. Augenblicklich ließ sich Mary, nun wieder sichtbar, auf Deans Bettkante nieder. Sie hatte lange über Annas Worte nachgedacht und sie würde sich genau daran halten. Nur Dean durfte sie sehen. Davon, dass auch sonst niemand sie hören durfte, hatte Anna nichts gesagt. „Dieser Sommer war heißer und trockener als die vorhergehenden. Die Futtersuche war mühsam und die Einigkeit, die sonst in der Kolonie herrschte, bröckelte, je länger kein Regen fiel. Doch selbst die längste Trockenheit musste irgendwann zu Ende gehen. Weit in der Ferne zogen dunkle Wolken auf und auch wenn sie die Ebene, in der die Kolonie lag, nicht erreichten, so wurde es doch merklich kühler und die Präriehunde atmeten auf. Sofort begannen die Jungen wieder zu spielen und auch die Älteren ließen sich mehr Zeit bei der Suche nach Futter. Keiner hatte es mehr eilig zurück in die Baue zu kommen. Und auch die Streitereien wurden endlich wieder weniger. In weiter Ferne zuckten unaufhörlich Blitze über die Berge und hin und wieder grollte der Donner über die Kolonie, doch die Tiere störten sich nicht daran. Sie genossen den Wind, der ihnen das Fell zerzauste und neue Gerüche zutrug. Als sie am nächsten Morgen aus ihren Bauen kamen, wurden sie von einem leisen Grollen empfangen, das so ganz anders klang als der Donner am vergangenen Tag. Irritierend war auch, dass das Grollen ständig zu hören war. Verunsichert spitzten sie die Ohren und hoben schnuppernd ihre Nasen. Einen Grund für dieses unbekannte Geräusch konnten sie jedoch nicht ausmachen und so gingen sie schnell zu ihrer Tagesbeschäftigung über. Das Grollen wurde langsam aber stetig lauter und gegen Mittag kam zu dem Grollen auch noch ein Beben hinzu und die Kolonie wurde erneut unruhig. Die ersten schmutzig braunen Lachen, die sich durch das trockene Bachbett leckten, wurden noch mit Begeisterung begrüßt. Die hielt allerdings nicht lange an, denn das Bachbett füllte sich rasend schnell und schon bald traten die Wassermassen über die Ufer. Wenig später schwappten die ersten Wellen gegen die Erdhügel, die die Eingänge zu den Bauen umgaben und vor genau solchem Wasser schützen sollten. Viele Präriehunde verkrochen sich in ihren sicheren Höhlen. Liv tippelte immer wieder unruhig auf dem Wall, der ihren Höhleneingang, wie ein Burgwall umgab, hin und hier. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache und ihren Jungen daher nicht erlaubt, nach unten zu gehen. Immer wieder warf sie einen Blick auf die braunen Fluten, die langsam aber stetig über das Land krochen und schaute dann zu den höher gelegenen Felsen. Sollte sie ihre Jungen dahin führen? Einige Stellen waren schon von dem gurgelnden, sich drehenden Wassern überflutet. Der Weg war alles andere als sicher. Sie zögerte. Als sie sich endlich entschied, dass sie es doch wagen sollten, war es zu spät. Das Wasser hatte auch ihren Wall erreicht und stieg sekündlich. Welle um Welle schwappte heran und leckte an dem Wall, der noch hielt. Aber wie lange noch? Das Wasser brachte nicht nur Schlamm und kleinere Steine mit, es hatte weiter oben auch schon tote Äste mitgerissen, Sträucher und ganze Bäume entwurzelt, die jetzt von den Fluten vorwärts getrieben wurden. Die ersten Erdwälle brachen und viele der Familien, die sich in ihren Bauen in Sicherheit gebracht hatten, ertranken. Nur wenige von ihnen schafften es rechtzeitig ins Freie und auch nur, um sich der nächsten Katastrophe gegenüber zu sehen. In einiger Entfernung sah Liv einen Stamm, der auf dem Wasser schwamm und ziemlich schnell auf sie zukam. „Lilly, Ringo“, rief sie ihre Jungen zu sich. „Springt auf den Stamm da, sobald der in Reichweite ist“, erklärte sie ihnen. „Pebbles, Rose, ihr auch. Oder wenn ihr es nicht auf diesen schafft dann nehmt den Nächsten. Wir müssen hier weg!“ Die Jungen nickten ängstlich. Der Stamm kam immer näher. „Los, Ringo“, forderte sie laut und knuffte ihren Sohn in die Seite. Der schrie erschrocken auf und sprang. Viel zu kurz. Mit einem Bauchklatscher landete er in der braunen Brühe, um Längen von dem rettenden Baumstamm entfernt, und ging unter. Er war regelrecht starr vor Angst. Um ihn herum war alles dunkel. Etwas Hartes rammte ihm in die Seite. Er erwachte aus seiner Schockstarre und begann hastig mit den Beinen zu strampeln. Es dauerte trotzdem noch eine gefühlte Ewigkeit, bis sein Kopf die Oberfläche durchbrach und er hastig nach Luft schnappen konnte. Mit großen Augen schaute er sich um. Wo war er? Alles um ihn herum war braun mit weißen Schaumkronen. Von seiner Kolonie war nirgendwo etwas zu sehen. Hier und da glaubte er einen Präriehund zu erkennen, der wie er hilflos in den Fluten paddelte, doch er wurde viel zu schnell herumgewirbelt und weiter getrieben, um sich dessen sicher sein oder gar zu ihnen schwimmen zu können. Angst machte sich ihn seinem kleinen Körper breit und lähmte seine Pfoten, die noch immer wie wild ruderten. Erneut ging er unter. Er hatte nicht mehr die Kraft sich zurück an die Oberfläche zu arbeiten. Gerade, als er einen tiefen Atemzug machen wollte, streifte seine Pfote etwas Festes. Reflexartig fasste er zu. Er mobilisierte Kräfte, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß, zog sich an das Holzstück heran und kletterte hinauf. Um ihn herum waren nur braune, gurgelnde Wassermassen, die alles mit sich rissen, was in ihrem Weg lag. Sein Holzstück wurde hin und her geworfen und drehte sich immer wieder um die eigene Achse. Er war hilflos auf diesem kleinen Stückchen Treibholz gefangen. Nichts konnte diesen Fluten standhalten. Erschöpft und mutlos ließ sich Ringo auf dem Stück nieder. Seine Pfoten verkrallte er in den Ritzen. Er legte den Kopf auf das Holz. Bleierne Müdigkeit machte sich in ihm breit. Er schloss die Augen und war kurz darauf eingeschlafen. Das Holzstück wurde immer weiter getrieben. Als Ringo erwachte, schaukelte sein Floß leicht auf den Wellen. Es war in eine kleine Bucht eines großen Flusses getrieben worden. Die Sonne schien warm vom Himmel. Vögel sangen und Grillen zirpten. Nichts erinnerte hier mehr an die Katastrophe, die er erlebt hatte. Alles sah friedlich aus und doch traute sich der kleine Präriehund nicht sein sicheres Holzstück zu verlassen. Bis zum Ufer war es ein ganzes Stück und er hatte Angst ins Wasser zu gehen. Was, wenn er wieder davongerissen wurde? Leise schnaufend ließ er sich auf den Bauch fallen und starrte sehnsüchtig zum grasbewachsenen Ufer. Die Zeit verstrich, die Schatten wanderten weiter. Ringos Magen knurrte. Sonst geschah nichts. Der Wind strich durch das Gras und trieb den Geruch von saftigem Grün über das Wasser. Ringos Magen knurrte noch lauter. Kapitel 178: Ein Schlafplatz, verscheuchte Geister und geheilte Ohren --------------------------------------------------------------------- 178) Ein Schlafplatz, verscheuchte Geister und geheilte Ohren Die Sonne begann hinter den Horizont zu sinken. Ringos Magen knurrte inzwischen nicht nur, es zwickte ihn auch ganz fürchterlich im Bauch und ihm wurde klar, dass er etwas tun musste. Hier konnte er noch ewig liegen, ohne das etwas passieren würde. Er wartete bis sein Magen etwas weniger wehtat, richtete sich auf und sprang. Platschend landete er im Wasser. Die Kälte drang sofort durch seinen Pelz und ließ ihn erschauern. So schnell er nur konnte, paddelte er ans Ufer. Er kletterte hinauf und schüttelte sich ausgiebig. Eigentlich müsste er sich auch noch trocken putzen, doch sein Magen verlangte sein Recht und so machte sich der kleine Präriehund über das saftige Gras her. Erst als er das Gefühl hatte platzen zu müssen, hörte er auf. Inzwischen war es dunkel geworden und Ringo begann sich zu putzen. Währenddessen überlegte er, wo er wohl schlafen konnte. Müde war er eigentlich noch nicht. Er wusste aber, dass Feinde in der Nacht lauerten, vor denen er sich in Sicherheit bringen sollte. Suchend schaute er sich um, doch in der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen. In den Gängen ihres Baus war es zwar auch dunkel, doch da half ihm sein Geruchssinn. Hier war er fremd. Unsicher lief er zum Wasser zurück. Sollte er zu seinem Holz schwimmen? Wäre er da sicher? Wohl eher nicht! Außerdem wäre er dann wieder nass und jetzt gab es keine Sonne, die ihn trocknete. Nein. Das Holz konnte er vergessen. Als die Sonne noch schien hatte er einen Baum, nicht weit entfernt am Ufer stehen sehen. Vielleicht fand er da ja einen geschützten Platz? Mit großen Sprüngen sauste er in die Richtung. Einige Wurzeln der Weide waren freigespült worden und bildeten jetzt ein dichtes Gewirr, das ihm ausreichend Schutz für die Nacht bieten sollte. Er zwängte sich durch das Wurzelgewirr und fand einen recht bequemen Ruheplatz. Hier konnte er sich endlich ausgiebig putzen und dabei überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte. Wie sehr er seine Geschwister und seine Mom doch vermisste! Er wollte unbedingt wieder zurück ...“ „Was“, polterte Bobby. Sam zuckte zusammen. Er stand schon eine Weile auf der Treppe und lauschte der Geschichte um Ringo. Hatte Deans Teddy den Namen von diesem kleinen Präriehund?Er war sich fast sicher. Genauso wie er sich fast sicher war, dass Mom diese Geschichten erzählte. Dean hatte ja schon mehrfach gesagt, dass er sie sah und er hatte es als Halluzination abgetan. Mom war hier und sie sorgte dafür, dass es Dean besser ging. „Nicht“, versuchte er den alten Freund jetzt davon abzuhalten in Deans Zimmer zu stürmen und der Geschichte ein Ende zu bereiten. Er war erfolglos. Laut schlug Bobby die Klinke nach unten und riss die Tür auf. Natürlich sah er niemanden außer dem älteren Winchester, der versuchte sich aufzurichten und den Arm nach seiner Mom ausstreckte, um zu verhindern dass sie aufhörte zu erzählen. Er scheiterte an seiner Erschöpfung und an der Schwere seines Gipses. Keuchend ließ er sich wieder in die Kissen fallen und musste dieses Aufbegehren auch noch mit einem weiteren, heftigen Hustenanfall bezahlen. Sam drängelte sich an Bobby vorbei und warf ihm dabei einen traurig-wütenden Blick zu. Er kniete sich auf das Bett und zog Dean an sich. Vorsichtig rieb er ihm immer wieder über den Rücken und hoffte, dass das Husten bald nachlassen würde. Doch erst als er leise auf seinen Bruder einredete und ihn so langsam dazu brachte mit ihm zu atmen, konnte er sich beruhigen. „Mom“, krächzte Dean und ließ sich erschöpft wieder in die Kissen fallen. „Ich weiß“, erwiderte Sam traurig. „Du weißt?“, fragte Bobby irritiert. Schuldbewusst senkte Sam den Kopf. Er vermutete es mehr als er es wusste, aber ja. „Ich habe diese Stimme schon ein oder zweimal gehört“, gab er zu. „Sie erzählte von einem Präriehund mit Namen Ringo. Dean hat mir vor ein … oh man. Er hat mir, als wir auf dem Weg hierher waren und bevor er zum Wolf wurde erzählt, dass sein Plüschbär Ringo hieß. Ich hab mir den Rest gedacht. Die Stimme kam mir irgendwie vertraut vor und Dean hat immer wieder behauptet, dass er Mom sehen würde. Wir haben es als Hirngespinst eines Kranken abgetan. Sie ist wirklich hier, Bobby. Sie ist bei Dean wenn wir nicht da sind. Sie beruhigt ihn wenn wir es nicht können. Willst du ihm das wirklich nehmen?“ „Nein, aber wieso zeigt sie sich nur ihm?“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich weiß es nicht, aber es macht mich traurig. Ich würde sie auch gerne sehen können.“ „Vielleicht kommt sie nur, wenn ihr schwer krank seid?“, versuchte Bobby Sams Enttäuschung ein wenig zu dämpfen. „Ich weiß nicht“, erwiderte Sam. Vielleicht kam sie auch nur zu Dean, immerhin kannte er sie nicht wirklich. „Aber ich freue mich für dich“, sagte er zu seinem Bruder und zog die Decke etwas höher. „Ich weiß ja wie sehr du sie geliebt hast.“ Bobby wollte sich gerade zurückziehen, als sein Telefon klingelte. Schnell lief er nach unten, wollte er Dean doch nicht wieder wecken. „Ja“, meldete er sich etwas atemlos. „Jetzt sag nicht, dass du dich angesteckt hast“, wollte Rave besorgt wissen. „Nein, ich bin nur von oben gekommen.“ „Gut, dann kannst du mir ja sagen, wie es dem Winchester geht.“ „Es wird besser. Die Antibiotika schlagen an“, antwortete Bobby. „Gut. Ich komme in den nächsten Tagen noch mal vorbei. Behaltet ihn im Auge und wenn es schlimmer wird ...“ „Bringen wir ihn ins Krankenhaus“, unterbrach Bobby die Belehrungen. „Sehr schön, Robert Singer. Das hast du wirklich toll auswendig gelernt. Ich hoffe nur, du kannst es auch anwenden“, grinste Rave. „Das werden wir hoffentlich nie herausfinden, Mr. Jamesson“, lachte Bobby. Es tat gut einfach mal mit jemandem wie früher herumzualbern. „Wie geht es Jody?“ „Gut, denke ich. Sie ist im Wohnzimmer. Soll ich sie holen?“ „Nein, lass mal. Sag ihr einen lieben Gruß“, verabschiedete sich der Arzt. Bobby legte auf, holte zwei Bier und ging zu Jody ins Wohnzimmer. „Liebe Grüße von Rave“, beantwortete er ihren fragenden Blick. „Nur liebe Grüße? Nicht grüß das Fröschchen?“ „Nein, stell dir vor das hat er nicht erwähnt“, lachte Bobby. „Vielleicht sollte ich ihn anrufen und fragen, ob er krank ist.“ „Besser nicht.“ Er reichte ihr ein Bier und ließ sich neben ihr aufs Sofa fallen. Sie rutschte etwas näher an ihn heran und Bobby legte einen Arm um sie. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und Bobby fühlte sich fast wie im siebten Himmel. Wann hatte er zuletzt eine Frau im Arm? Das Beste aber war, dass Jody nicht ganz wehrlos war und die Geister und Dämonen sie nicht wirklich schocken konnten. Fast unbemerkt vergingen die folgenden Tage. Sam und Bobby wechselten sich an Deans Krankenlager ab und dessen Zustand verbesserte sich langsam aber stetig. Der einzige Wermutstropfen war, dass Mary nichts mehr von sich hören ließ. „Was hältst du von Frühstück?“, wollte Sam an einem Morgen von seinem Bruder wissen. Dean war wach, aber noch nicht wirklich ansprechbar. Er hatte die ganze Nacht kaum noch gehustet und das Rasseln seiner Lunge war auch kaum noch hörbar. „Weiß nicht“, erwiderte der. Er hatte keine Meinung dazu. Sam hatte ihn aus seinem Träumereien gerissen und er musste sich erst sortieren. „Jody macht Pfannkuchen mit Ahornsirup. Zum Reinlegen. Dafür lasse ich sogar meine Cornflakes stehen. Aber du kannst auch Rühreier und Toast bekommen, wenn du möchtest.“ „Lieber Pfannkuchen“, antwortete Dean. Vielleicht kam der Hunger ja beim Essen. „Okay“, lächelte Sam ihn warm an. Wenn Dean wieder etwas anderes aß als Suppe, dann musste es ihm ja besser gehen. „Vorerst verkriech dich aber lieber unter der Decke. Ich will hier mal lüften.“ Wortlos kam Dean der Bitte nach und Sam öffnete die Balkontür, bevor er wieder nach unten ging, um das Frühstück zu holen. Als er wiederkam, balancierte er einen mit Pfannkuchen vollgepackten Teller, zwei Gläser, eine Kanne Orangensaft und eine Flasche Ahornsirup auf einem Tablett. Dean schaute ihm entgegen und fragte sich, wie er wohl die Tür geöffnet hatte. Sam stellte das Tablett auf seinem Stuhl ab. Der Wind blähte die Vorhänge und die Zimmertür knallte zu. Der jüngere Winchester erschrak und fegte eines der Gläser vom Tablett, als er sich zur Tür umdrehte. Besorgt musterte er seinen Bruder. War das jetzt wieder zu viel für Deans Ohren? Die letzte Aktion dieser Art hatte ihm die Lungenentzündung beschert! Doch ganz entgegen seiner Befürchtungen schaute Dean ihn eher amüsiert als panisch an. „Deine Ohren!“, stellte Sam verwundert fest und erst jetzt schien das auch seinem Bruder aufzufallen. Dean lauschte in sich hinein. Weder die Tür noch das Glas hatten übermäßig laut geklungen! Er legte den Kopf leicht schief und versuchte mehr als nur die Geräusche zu hören, die Sam machte als er die Balkontür schloss und dann in den Flur verschwand, um Kehrschaufel und Besen zu holen. „Und?“, wollte der Jüngere wissen, als er das Zimmer wieder betrat. „Ich kann Bobby in der Küche mit Jody reden hören“, sagte er. „Und worüber?“, fragte Sam eher rhetorisch. „Dass der Truck für Rave fertig ist und Bobby ihn heute wegbringen will und dass er dann endlich Zeit für den Impala hat.“ Sofort schaute der Ältere auf seine eingegipsten Arme. „Du wolltest mich schützen, Dean. Du hast dich zwischen mich und Amaruq gestellt.“ „Ich ...“, begann der Ältere unsicher, brach aber sofort wieder ab. Er wusste dass er Sam schützen wollte. Er wusste nur nicht warum! Wenn er sich an die Zeit als Wolf erinnerte, waren da keine Gefühle für Sam. Er war in der Wildnis glücklich gewesen und er war es mit seiner Wolfsfamilie. Aber für Sam hatte er nichts empfunden und das schmerzte ihn mehr als er wohl je zugeben würde, denn Sam war seine Familie. Sam und Bobby. Und doch sehnte er sich noch immer nach der Freiheit der Wälder. Dean schüttelte traurig den Kopf. Was sollte er dazu sagen? Es gab keine Worte mit denen er Sam das erklären konnte, ohne ihn zu verletzen. Schon fast schüchtern ließ er seinen Blick zu den Pfannkuchen wandern. Sam grinste. Er nahm den Teller und setzte sich auf Deans Bettkante. Er schnitt die Pfannkuchen klein. Dann hielt er Dean die Gabel hin und ließ es ihn selbst versuchen. Es ging besser als gedacht, dauerte aber immer noch eine halbe Ewigkeit, doch Sam freute sich viel zu sehr, dass sein Bruder wieder wach und auf den Weg der Genesung war, als dass er in Ungeduld ausbrechen wollte. Irgendwann war aber auch der vollste Teller leer und auch die Kanne mit dem Orangensaft ausgetrunken. Dean ließ sich erschöpft in die Kissen fallen. Selbst das Essen strengte ihn noch an. „Wie geht’s deinem Gehör?“, fragte Sam noch einmal. „Alles noch gut“, murmelte der Ältere und schloss die Augen. „Schlaf“, sagte Sam und schob ihm die Atemmaske des Inhalators über das Gesicht. Sofort versuchte Dean sich davon wieder zu befreien. „Bitte lass es. Es hilft dir beim Atmen.“ Deans Widerstand erstarb. Selbst für diese Auseinandersetzung war er zu erschöpft. Sam stellte alles wieder auf das Tablett und brachte es nach unten. „Es geht ihm ganz gut“, beantwortete er den fragenden Blick Jodys. Er räumte das Geschirr weg, warf die Scherben in den Müll und holte danach seine Jacke. Die gute Nachricht von Deans Gehör musste er Bobby sofort erzählen. „Dean hört wieder richtig“, platzte er auch sofort heraus, kaum dass er die Tür der Werkstatt geöffnet hatte. „Wer hört was?“ „Dean. Seine Ohren scheinen wieder in Ordnung zu sein.“ „Wie kommst du darauf?“, fragte der Ältere skeptisch. „Als ich das Frühstück nach oben gebracht habe, knallte die Tür zu und ich hab ein Glas fallengelassen. Er hat ganz normal darauf reagiert.“ „Du dezimierst also meinen Bestand an Gläsern?“ „Verdammt, Bobby. Ich erzähle dir, dass Deans Gehör wieder normal ist und du meckerst wegen deiner Gläser“, empörte sich Sam. „Solltest du dich nicht mit mir für ihn freuen?“ „Ich freue mich ja, ...“ „Davon merke ich aber nichts.“ „Sam!“, wurde Bobby etwas lauter. Der Winchester zuckte zusammen und starrte ihn sauer an. „Ich freue mich wenn er wirklich wieder normal hört. Das erspart uns viel Arbeit und ihm unnötige Schmerzen. Aber kannst du mir bitte erklären, wie eine Lungenentzündung etwas am Gehör ändern kann?“ „Woher soll ich das wissen?“, blaffte Sam zurück. „Ich weiß es auch nicht und ich habe noch nichts in der Art gehört. Deshalb bleibe ich skeptisch. Vielleicht sitzen seine Ohren noch zu, so wie bei einer Erkältung. Es wäre schön, wenn es wirklich so wäre, auch wenn ich schon gerne wissen würde, wie es dazu gekommen ist. Er hat viel zu lange darunter gelitten, als das es jetzt einfach so weg sein könnte.“ „Vielleicht ...“, begann Sam, brach aber gleich wieder ab. Ob Mom das geregelt hatte, aber wie? Geister konnten nicht heilen. Die wenigsten von ihnen waren überhaupt gut. Ob Dean etwas wusste? „Ich werde ihn im Auge behalten“, überlegte Sam leise. „Und ich werde weiter nach einer Lösung suchen, auch wenn ich das irgendwie für wenig erfolgversprechend halte.“ „Dann lass es, Sam. Du musst nichts tun wovon du nicht überzeugt bist“, sagte der alte Freund leise. „Ich weiß nicht. Es ist einfach … Er hat schon so viel durchmachen müssen. Ich will ihn nicht noch mehr leiden sehen!“ „Das will hier niemand, Sam.“ „Du hast Recht. Ich werde mir ein paar Bücher nehmen und sie katalogisieren. Vielleicht finde ich was. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Wie weit bist du mit dem Impala?“ „Das wird noch eine ganze Weile dauern.“ „Dann viel Erfolg. Kann ich dir noch was bringen, bevor ich mich hinter den Büchern verkrieche?“ „Nein, danke“, erwiderte der Ältere und kroch wieder in den Kofferraum. Kapitel 179: Die Ritter der Tafelrunde -------------------------------------- 179) Die Ritter der Tafelrunde „Was suchst du?“, fragte Dean heiser. Er war schon eine Weile wach, doch das hatte sein kleiner Bruder wohl noch nicht bemerkt, so vertieft wie er in seine Lektüre war. Sam zuckte zusammen und schaute auf. „Du bist wach?“, stellte er unnötigerweise fest. „Eine Weile.“ Sam nickte. Er strahlte seinen Großen regelrecht an und griff nach einem Becher, den er Dean an die Lippen hielt, kaum dass der sich etwas aufgerichtet hatte. „Wasser“, maulte der Ältere pflichtschuldig. „So wie du klingst, bekommst du noch lange keinen Kaffee“, grinste Sam. „Wäre ja auch zu schön gewesen.“ „Vielleicht lässt sich Jody ja morgen früh zu einem Kaffee überreden.“ „Jody oder du?“ „Jody und ich?“ „Hm“, gab Dean von sich und ließ sich wieder in die Kissen fallen. Selbst dieses kurze Sitzen hatte ihn erschöpft. Er atmete ein paarmal durch, bevor er sich wieder an Sam wandte. „Und wonach suchst du nun?“ „Alles und nichts. Ich gehe die Bücher durch und mache mir Notizen. Ein Inhaltsverzeichnis, wenn du so willst. Das wollten wir ja schon lange mal machen. Und als ich dann die Bücherei der Campbells entdeckt hatte... Viele der Bücher kannte nicht mal Bobby.“ „Bücherei der Campbells?“, fragte Dean etwas ratlos. „Oh“, Sam grinste verlegen. „Als ich nach einem Weg gesucht habe, dich wieder zu einem Menschen zu machen, bin ich zu den Koordinaten aus Samuel Campbells Tagebuch gefahren. Es ist ein Unterschlupf der, soweit ich das beurteilen konnte, schon seit Ewigkeiten nicht mehr genutzt wird. Im Keller gab es eine versteckte Bibliothek. Bobby hat die Bücher mit hierher genommen. Jetzt versuchen wir sie zu erfassen und in seine Sammlung aufzunehmen. Naja und nebenbei versuche ich noch was für deine Ohren zu finden“, sprach Sam das Thema gleich noch an. „Meine Ohren?“ „Dein Gehör?“ „Das ...“ Dean schloss die Augen und lauschte in sich hinein. Sam hatte ganz normal für ihn geklungen, aber wenn er sich etwas konzentrierte, konnte er auch Jody in der Küche hantieren hören genauso wie das Radio, das sie leise laufen hatte. Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. „Dean?“, fragte Sam besorgt. „Es ist ...“ etwas ratlos suchte er Sams Blick. „Ich höre dich normal, aber ich kann auch hören, was in der Küche im Radio läuft.“ „Jody hat das Radio an?“, wollte der Jüngere wissen. „Ja, es läuft Queen und sie singt leise mit.“ Dean gähnte. „Das ist gruselig!“ „Dass sie mitsingt? So schlecht klingt es gar nicht.“ „Nein, dass du das hörst!“ „Hm“, schaffte Dean noch, bevor ihn der Schlaf übermannte. Sam holte tief Luft. War das jetzt gut oder schlecht. Wollte Dean es so lassen oder sollten sie eine Lösung finden? Er nahm den Becher und ging nach unten. „Du magst Queen?“, fragte er während er den Wasserkocher füllte. „Warum fragst du? Wie kommst du überhaupt jetzt darauf?“, wollte sie wissen. „Hab dich singen gehört.“ „Du hast mich ...“ Das war ihr jetzt peinlich. „Ich ...“ „Also ich fand es gut“, log Sam und hoffte, dass es das wirklich war. Deans Geschmack war manchmal so gar nicht mit seinem kompatibel. Der Wasserkocher schaltete sich ab und Sam füllte das Wasser in den Becher. Er beeilte sich aus der Küche zu verschwinden. Grinsend betrat er Deans Zimmer. Den Sheriff so aus der Fassung zu bringen war ihm auch noch nicht gelungen. Er griff sich das Buch, das er vorhin zur Seite gelegt hatte und las weiter. Dean brauchte noch fast eine Woche, bis er sich kräftig genug fühlte den ganzen Tag außerhalb des Bettes zu verbringen. Bislang hatte er seine Ausflüge auf das Bad beschränkt. Erst in den letzten zwei Tagen hatte er sich ein paar Schritte mehr auf dem Flur und hin und wieder einen Gang auf den Balkon getraut, war jedoch immer wieder schnell ins Bett zurückgekehrt. An diesem Morgen allerdings wollte er unbedingt richtig aufstehen. Noch einen Tag länger im Bett und er würde durchdrehen. Mit Sam vor sich nahm er langsam die Treppe in Angriff und war froh als er unten angekommen war. Er hielt sich an der Wand fest und versuchte einfach nur zu atmen. „Vielleicht hättest du doch noch einen Tag warten sollen“, gab Sam zu bedenken. „Noch einen Tag da oben und ich wäre durchgedreht“, keuchte der Ältere. „Ich meine ja nur ...“ „Ich weiß, Sammy. Aber ich will endlich mal wieder unter Menschen kommen. Ich muss mal was anderes sehen, als die Tapete meines Zimmers.“ „Okay“, erwiderte Sam leise. Er fand noch immer, dass Dean zu früh zu viel wollte, aber er war auch froh, seinen Bruder endlich wieder auf den Beinen zu sehen. Dean löste sich von der Wand und schob die Küchentür auf. „Hey“, sagte er leise und ging zu dem letzten freien Stuhl. „Dean?“, kam es unisono von Jody und Bobby. „Was machst du denn hier?“, wollte der Jäger wissen. „Ich wollte eigentlich mit euch frühstücken, aber wenn ihr mich nicht wollt ...“, überlegte er leise und wollte sich wieder hoch stemmen. „Bleib sitzen. Wir freuen uns, dass du wieder auf den Beinen bist. Es ist nur ungewohnt, dich hier zu sehen“, versuchte Jody die Wogen zu glätten. War aber auch zu blöd, wenn man so begrüßt wurde. „Heute gibt’s Waffeln oder willst du lieber Rührei und Speck?“, ging sie gleich darauf zur Tagesordnung über. „Waffeln sind okay“, antwortete Dean und schon goss sie eine weitere Kelle Teig auf das Waffeleisen. Während eine zweite Waffel buk, schnitt sie die erste in kleine Stücke und kippte Ahornsirup darüber. Den Teller stellte sie vor Dean. „Lass es dir schmecken“, sagte sie und setzte sich. Der ältere Winchester mühte sich mit der Gabel und den klebrigen Stücken auf seinem Teller ab. Nicht jedes Teil landete unfallfrei in seinem Mund, doch die Drei wussten, wie schwer es mit den Gipsarmen war und wie sehr es Dean hasste, so unselbstständig zu sein. Und ob sie nun ein Teil mehr oder weniger waschen mussten war auch egal, Hauptsache Dean wurde langsam wieder gesund. Nach dem Essen stemmte sich der Winchester hoch und tapste ins Wohnzimmer. Seine Reserven waren erschöpft und die Lust auf weitere Ausflüge für heute auch. Nur zum Essen kam er in die Küche und war mehr als froh, als er am Abend wieder in sein Bett fallen konnte, auch wenn er das nie zugeben wollte. Schon am nächsten Tag ging es ihm etwas besser. Er verbrachte zwar auch an dem Tag die meiste Zeit wieder auf der Couch und half Sam bei seinen Büchern, auch wenn er wenig Lust dazu hatte. Aber so hatte er wenigstens ein bisschen das Gefühl sich nützlich zu machen. Zu Bobby in die Werkstatt zu gehen traute er sich dann doch noch nicht zu, auch wenn es ihn brennend interessierte, wie weit der Freund mit seinem Baby war. Er hörte Jody ins Haus kommen und legte das Buch weg. Für heute hatte er genug gelesen! Er stemmte sich hoch und ging in die Küche. „Hey“, lächelte sie ihn an. „Willst du was trinken?“ „Nein, ich dachte, ich frage dich mal, ob ich dir helfen kann?“ „Nicht direkt, aber du kannst mir Gesellschaft leisten.“ Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht. „Du liest nicht gerne?“, fragte Jody. „Nicht so.“ Mehr wollte er dazu nicht sagen. „Ich könnte hier Hilfe brauchen“, sagte sie und legte das Fleisch auf die Arbeitsplatte. „Ich glaube, ich bin ziemlich unnütz“, sagte er leise und grinste schief. „Kosten geht aber, oder?“ „Das geht fast immer.“ Dean lachte. „Gut und die Fritteuse kannst du auch beaufsichtigen.“ Dean setzte sich, wie schon vor so vielen Jahren, in einem gefühlt anderen Leben, auf die Arbeitsplatte und schaute Jody beim Kochen zu. Hin und wieder stellte er eine Frage. Jody freute sich über sein Interesse und erklärte ihre Herangehensweise und so kamen sie von einem zum Anderen. „Muss ich eifersüchtig werden?“ Bobby stand schon eine Weile in der Terrassentür, ohne, dass ihn einer der Beiden bemerkt hätte. „Und wenn?“, grinste der Winchester breit. „Du würdest doch keinen Verwundeten auf die Straße setzen.“ Dean setzte seinen Hundeblick auf. „Und wenn doch?“, stellte jetzt Bobby die Frage. „Mach dir nix draus. Ich hab auch noch eine Wohnung. Da könntest du unterkommen“, ging nun auch Jody auf das Geplänkel ein. „So sieht das also aus“, grummelte der Jäger. „Du stehst auf Jungspunde. Oder kann ich dich doch noch mit meinem Charme umgarnen?“ „Oh ha. Jetzt fährt er die Geheimwaffe auf.“ Dean machte ein betrübtes Gesicht. „Geh meine Rose. Gegen den Charme von Ritter Graubart komme ich nicht an.“ „Den Charme von Ritter ...“, prustete Jody los. „Herrlich! Wo hast du denn diese Bezeichnung her?“ Sie konnte sich kaum halten vor Lachen und lockte so auch Sam in die Küche. „Das will ich dir auch geraten haben, du Weißfuß“, funkelte Bobby Dean gespielt böse an. „Was habt ihr denn? Darf ich mit lachen?“ Die ausgelassene Stimmung hatte ihn angezogen. „Rit...ter Grau … Grau ...“, versuchte Jody einen Satz, doch es klappte einfach nicht. Immer wenn sie zu Bobby und damit auch auf dessen Bart schaute, musste sie sofort wieder lachen. „Was hast du angestellt?“, wandte sich Sam nun direkt an seinen Bruder. „Nix. Ich sitze hier nur ganz friedlich“, wehrte der sich und hob seine Arme. Jody kicherte noch immer vor sich hin. „Oh man“, stöhnte Sam und verdrehte die Augen. Er musste aber auch schon grinsen. Diese Stimmung war eindeutig ansteckend. „Übrigens, da kocht was über“, sagte er noch und verschwand wieder im Wohnzimmer. „Oh“, machte Jody. Sie zog den Topf mit der Paprikasoße vom Herd und wendete die Steaks. „Gehst du dich waschen, du Ritter? Wir können gleich essen“, begann sie und musste sofort wieder kichern. „Da hast du ja was angerichtet“, grummelte Bobby in Deans Richtung und wischte sich gleichzeitig eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich hab doch nur die Wahrheit gesagt“, verteidigte sich Dean. „Dass du ein Ritter bist, kannst du nicht abstreiten, aber König Artus … naja … Der würde eher mir stehen.“ „Also das ist ja wohl. Du und König Artus. Gerade bist du eher der Hofnarr“, grinste Bobby. „Mach Sam zu König Artus.“ „Dann müssen wir ihm aber noch seine Guinevere suchen.“ „Immerhin die Geschichte hast du gelesen!“ „Die Lehrerin war nett“, verteidigte sich Dean. Er rutschte von der Arbeitsplatte und begann langsam und etwas umständlich den Tisch zu decken. Jody zwang sich nicht genau hinzuschauen sondern ihn machen zu lassen. Notfalls würde sie ihr Geschirr mitbringen, schließlich wohnte sie eh schon hier. Ihre Wohnung war doch nur noch ein Alibi. Sie nahm sich vor in den nächsten Tagen mal mit Bobby über einen Umzug zu reden, schließlich war sie ja schon fast jeden Tag hier. Kapitel 180: Wenn das schlechte Gewissen drückt ----------------------------------------------- 180) Wenn das schlechte Gewissen drückt Dean schaffte es den Tisch ohne Unfälle zu decken. Er holte Sam. Während des Essens schaute der jüngere Winchester immer wieder ratlos zwischen Bobby und Jody hin und her, konnte sich aber einfach nicht erklären warum sie immer mal wieder kichern musste. „Ich werde ihn nicht abrasieren, nur damit du dich wieder beruhigst“, platzte Bobby plötzlich hervor. „Oh Gott, nur das nicht, Ritter Graubart“, flehte sie. „Wie soll ich dich denn dann nennen? Ritter ohne Bart oder der bartlose Ritter?“ „Da hast du ja was angerichtet!“, stellte der Ältere in Richtung Winchester erneut fest. „Ich hab doch gar nichts gemacht!“ Dean klimperte mit den Augen. „Ritter Graubart?“, fragte Sam. Sofort prustete Jody wieder los. „Was habt ihr in das Essen getan?“, wollte Bobby nun wissen. „So albern war sie früher nie.“ „Daran bist nur du schuld“, versuchte Jody sich zu beruhigen. „Ach ich.“ „Klar, wer wollte mich denn mit Dean verkuppeln?“ „Hey, lasst mich da raus, ich hab mich gerade erst von meiner Familie trennen müs... getrennt, irgendwie.“ Dean schluckte. Sam erstarrte. „Ich ...“ Dean schüttelte den Kopf. Seine Gabel klapperte auf den Tisch und er flüchtete regelrecht aus der Küche. Augenblicklich legte auch der Jüngere sein Besteck beiseite und folgte seinem Bruder. Wie hatte diese ausgelassene Stimmung gerade so umschlagen können? Klar hatte er auch gehört was Dean gesagt hatte, aber war das der einzige Grund? Vermisste Dean seine Familie? Konnte er sich erinnern? Wenn ja, woran? Oben hörte er eine Tür schlagen und folgte dem Geräusch. Er öffnete die Tür zu Deans Zimmer, schaute hinein und trat, als er seinen Bruder nicht sehen konnte, ein. Hatte er sich geirrt? Es war doch Deans Zimmertür gewesen, oder? „Dean?“ Er schaute sich um. Die Balkontür stand offen. Er sah seinen Bruder am Geländer stehen und in die Sterne schauen. Er trat neben ihn und folgte seinem Blick. Schweigend standen sie eine ganze Weile nebeneinander. Es war lange nicht mehr so kalt wie noch vor etwas mehr als einer Woche, als Dean in den Schneesturm geflüchtet war, aber auch noch lange nicht warm genug, dass man die Nacht draußen verbringen wollte. „Komm mit rein, Dean“, versuchte Sam dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Dean reagierte nicht. Sam legte seine Hand auf Deans Oberarm. „Du denkst an sie?“, schoss er ins Blaue und ließ mal wieder offen wen er meinte. Dean nickte kurz. „Du wärst gerne wieder ein Wolf?“, versuchte er konkreter zu werden. „Wenn ich dafür die Dinger los wäre“, grinste der Ältere bitter und hob seine eingegipsten Arme ein wenig. Doch der Scherz konnte weder ihn noch Sam überzeugen. Wieder schauten sie schweigend in den Himmel. „Du vermisst sie?“, fragte Sam in die Stille. „Es ist ...“, begann der Ältere und brauch wieder ab. Wie sollte er das erklären? Er zuckte mit den Schultern. „Du wärst lieber bei ihnen?“ „Ich habe mich entschieden“, antwortete Dean leise. Auch wenn er nicht wirklich eine Wahl gehabt hatte, wenn er leben wollte. Wieder in dieses Halbwesen abzudriften war eigentlich keine Option gewesen und als Wolf zurück konnte er nicht, egal ob er es wollte oder nicht. Außerdem war der wichtigste Grund, um ein Mensch zu sein, hier. Er würde sich wohl immer für Sam entscheiden. Immer, solange er sich bewusst entscheiden konnte, würde er Sam wählen. Trotzdem ... „Aber du bist damit nicht glücklich.“ „Es ist schwer“, sagte er und ließ offen, was genau er damit meinte. Fragend schaute Sam zu seinem Bruder. „Was?“ „Sie ist mit fünf Welpen alleine. Es ist schwer allein genügend Beute zu machen.“ „Du erinnerst dich an die Zeit?“ Dean nickte. „Die ersten Tage sind verschwommen, voller Angst und Schmerzen. Aber danach … ja.“ „Und jetzt wärst du lieber wieder ein Wolf?“ „Es war so real, so ehrlich, so umfassend. Das erste Mal im Schnee spielen, das Adrenalin bei einer erfolgreichen Jagd“, erzählte Dean stockend. „Wie bist du eigentlich so schnell an ein Rudel gekommen?“, fragte Sam neugierig. „Es gibt kein Rudel. Es ist eine Familie. Eltern und Welpen. Sie hatte keinen Partner und fünf Junge. Irgendwann war sie da. Wir haben gemeinsam gejagt und als ich weitergezogen bin, sind sie mir gefolgt.“ „Warum hast du die Jungen leben gelassen?“ „Warum hätte ich sie töten sollen?“ Irritiert schaute Dean zu seinem Bruder. „Wenn ein Löwe ein Rudel übernimmt, tötet er die Jungen, damit die Weibchen schneller wieder läufig werden und er seine Gene weitergeben kann.“ „Es war kein Rudel. Es war einfach nur eine Familie.“ „Und du fühlst dich schuldig, dass du sie alleine gelassen hast?“ Dean nickte leicht. „Sie wäre so oder so alleine. Du wärst jetzt tot.“ Das war wohl wahr. Wieder nickte Dean. „Wenn ich ein Wolf … wenn ich kein Mensch mehr geworden wäre? Ich meine bei William. Hättest du mich mitgenommen?“ Aus irgendeinem Grund war ihm das plötzlich wichtig. „Ich hätte dir die Entscheidung überlassen. Ich wollte mit dir wieder in den Kings-Canyon-Nationalpark fahren und dich laufen lassen. Es wäre mir schwer gefallen und ich hätte vielleicht auch mit dem Gedanken gespielt dir einen GPS-Chip einzupflanzen, um dich jederzeit finden zu können, aber ich wollte dich entscheiden lassen. Die Suche nach einer Lösung hätte ewig dauern können und du warst da glücklich. Du warst vollkommen.“ Den letzten Satz brachte er fast tonlos über die Lippen. Die Kälte kroch ihnen unaufhaltsam unter die Haut. „Komm rein, Dean. Es bringt nichts, wenn du dir die nächste Lungenentzündung holst.“ Dean nickte zwar, regte sich aber nicht. Plötzlich riss er sich vom Anblick der Sterne los und tappte ins Zimmer. Sam folgte ihm, schloss die Tür und ließ sich auf den Stuhl fallen, während Dean, wie ein Häufchen Elend, auf seinem Bett hockte. „Dean, du ...“ Sam wollte ihn so gerne aufheitern, ihm irgendetwas sagen, dass die ausgelassene Stimmung von vorhin zurückbrachte, doch ihm fiel nichts ein. Dean fühlte sich, als wäre mit einem Mal alles zusammengebrochen. Als wäre er auf einer Insel gestrandet. Er konnte das rettende Schiff sehen, aber er war unfähig sich bemerkbar zu machen. Egal was er tat, egal wie er sich entschied, alles fühlte sich falsch an. Bis zum Abendbrot war doch alles gut gewesen. Seit er wieder halbwegs klar im Kopf war, hatte er sich auf das hier und jetzt konzentriert, doch dieser eine Satz hatte alles wieder hochgebracht und jetzt schien eine Last auf seinen Schultern zu liegen, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Plötzlich war alles schwarz. Wieder einmal war er der Verantwortung nicht gewachsen gewesen. Er sorgte sich um seine Kurzzeitfamilie, dabei wusste er doch dass das vollkommener Blödsinn war, denn ohne Sam und Bobby wäre er jetzt tot. Der Hirsch hatte ganze Arbeit geleistet. Aber so war es in der Natur. Jeder kämpfte um sein Leben. Und er fühlte sich undankbar, weil er überhaupt so an sie dachte. Sammy hatte ihn gerettet. Sammy war schon immer sein Leben gewesen. Und doch bekam er die Wölfe nicht aus seinem Kopf, aus seinem Herzen. Umständlich zog er sich den Pullover über den Kopf, trat sich Schuhe und Hosen vom Körper und kroch unter die Decke. Er wollte nicht mehr reden. „Du musst gleich noch die Antibiotika nehmen“, sagte Sam und erhob sich. Als er mit der Tablette zurückkam reagierte Dean nicht. Er musste ihn regelrecht schütteln, bis der sich aus seiner Lethargie befreite und das Medikament nahm. Gleich darauf ließ er sich wieder fallen. Sam deckte ihn richtig zu und hoffte, dass es ihm morgen besser ging. „Gute Nacht, Dean“, wünschte er und ging wieder nach unten. „Was ist mit ihm?“, wollte Bobby besorgt wissen. „Zu viele Erinnerungen?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Er kann sich erinnern?“ „An fast alles, sagt er.“ „Und jetzt fühlt er sich schuldig“, stellte der Alte Jäger niedergeschlagen fest. „Ich befürchte es“, erwiderte Sam. „Wenn wir ihm das mal ausreden könnten.“ „Ich glaube dafür würde ich meine Seele hergeben!“, entgegnete Sam. „Lass das mal lieber keinen hören.“ Dean starrte noch lange ziellos in die Dunkelheit. Seine Gedanken waren im Kings Canyon Nationalpark und er versuchte sich vorzustellen, wie es seiner Familie wohl ging. Wie das klang! Seine Familie. Und doch, irgendwie waren sie es gewesen. Er hätte die Jungen gerne weiter aufwachsen gesehen. Die Fähe hatte sich entschieden mit ihm zu ziehen und er hatte die Verantwortung angenommen, auch wenn Verantwortung zutiefst menschlich war. Das Leben als Wolf war einfach. Es ging um Fressen und darum die Familie zu schützen. Hatte William ihn voriges Jahr nicht als einsamen Wolf bezeichnet? Als Wolf, der sein Revier noch nicht gefunden hatte. Hatte er das in den letzten Wochen? War diese Wolfsfamilie die einzige, die er je haben würde? Je länger er in diesem Gedankenkarussell gefangen war, je länger er versuchte sich das Leben seiner Wolfsfamilie vorzustellen, umso sicherer war er sich, dass er sie noch einmal sehen wollte, aber auch, dass Sam seine Familie war. Sam, Bobby und inzwischen auch Jody. Und doch! Irgendwann, wenn er nicht mehr so gehandikapt war, wollte er sie sehen. Auch diese Nacht verging. Dean hatte keinen Schlaf gefunden. Er hörte Bobby und Jody aufstehen und setzte sich auf. Umständlich begann er sich anzuziehen. Er brauchte jetzt unbedingt Ablenkung oder er würde noch tiefer in dem schwarzen Sumpf sinken, in dem er die ganze Nacht herumgeirrt war. Kurz nach Jody betrat er die Küche. Sie schaute ihn an und hielt ihm die Packung Toastbrot hin, die sie in der Hand hatte. „Die kannst du schon mal toasten“, sagte sie und holte Eier, Speck und Würstchen aus dem Kühlschrank. Sie schlug die Eier in eine Schüssel und stellte die ebenfalls vor den Winchester. „Und die kannst du nebenbei verrühren.“ Wortlos starrte der sie an. 'Sagt er was?', fragte sie sich, doch der Winchester schwieg. Er griff sich den Schneebesen und begann umständlich das Ei zu verrühren. „Du hast ja schon kompetente Hilfe“, stellte Bobby verwundert fest und beobachtete den Winchester genau. Dean sah alles andere als gut aus. „Du kannst dich um den Tisch kümmern oder Speck braten“, wies sie ihm auch gleich eine Aufgabe zu. „Scheuchst du deine Deputys auch so rum?“ „Was denkst du denn?“, lachte sie ihn an. „Bei dir möchte ich nicht arbeiten.“ Bobby verdrehte die Augen und begann den Tisch zu decken. Für Zwei war am Herd kein Platz. Dean stellte die Schüssel ab und kümmerte sich um die nächsten Toastscheiben. „Danke dir“, lächelte Jody ihn an und begann das Rührei zu braten. „Kannst du Sam holen?“, bat sie Dean, als der Tisch fast fertig gedeckt war. Wieder kam der ihrer Bitte wortlos nach. „Er sieht furchtbar aus“, sagte sie leise, kaum dass der Winchester die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Wie mein Sohn, wenn er mir etwas Schlimmes beichten musste. Das personifizierte schlechte Gewissen.“ Bobby nickte. „Er hat sich von klein auf jede Menge Verantwortung aufgehalst oder hat sie aufgehalst bekommen.“ „Und du meinst …?“ „Er hat ein schlechtes Gewissen seiner Familie gegenüber.“ „Sam und du, ihr seid doch seine Familie. Wieso sollte er euch gegenüber ein schlechtes Gewissen haben?“ „Der Wölfin und ihren Jungen gegenüber.“ „Der Wölfin? Du meinst weil er sie mit den Jungen allein gelassen hat? Aber er wäre gestorben! Das ist unlogisch.“ Bobby holte tief Luft. „Das weiß er auch. Trotzdem hat er da Gefühl sich seiner Verantwortung entzogen zu haben. Er fühlt sich für sie verantwortlich und er hat ein schlechtes Gewissen uns gegenüber. Dean ist kompliziert.“ „Und wie können wir ihm helfen?“ „Mach so weiter. Beschäftige ihn, lenke ihn ab. Je weniger er grübeln kann umso besser für ihn.“ Kapitel 181: Die Ruhe genießen ------------------------------ 81) Die Ruhe genießen Das Frühstück verlief ruhig und als Bobby danach verkündete, am Impala weiter schrauben zu wollen, war Dean sofort dabei. Er zog sich seine Schuhe an und stand an der Terrassentür bereit, um Bobby zu folgen. In der Halle drückte ihn gleich das nächste schlechte Gewissen. Von seinem Baby stand nur noch ein Gerüst auf den Rädern. Die komplette Außenhülle hatte der alte Jäger demontiert und stand, teilweise schon gespachtelt, teilweise erst geschliffen an den Wänden. So lange hatte sie noch nie so schlimm ausgesehen! Sanft ließ er seine Finger über einen der geschundenen Kotflügel gleiten. Nicht mal ihr konnte er wirklich helfen. „Was kann ich tun?“, fragte er leise, ohne den Blick von seinem Baby zu nehmen. Bobby überlegte kurz. Was konnte er tun. Nicht viel mit den Verbänden. Er konnte ja so schon kaum zufassen. „Ich hab den Kofferraum komplett ausgeräumt. Du kannst mal aussortieren was ihr noch braucht und was weg kann.“ Er zeigte auf einige Kisten, die auf einer Werkbank vor einem Fenster standen. Dean nickte. Er strich noch einmal über die C-Säule seines Babys und ging zu den Kisten. Es dauerte fast eine Stunde, bis er alles aussortiert hatte und noch einmal solange, alles außer den Waffen neu zu verpacken. Die Waffen legte er in zwei Kisten. „Lass stehen, ich nehme sie nachher mit rein“, bot Bobby ihm an, doch der Winchester schüttelte stur den Kopf. Umständlich schaffte er es sich eine Kiste auf die Arme zu ziehen und trug die ins Haus. Bobby schüttelte nur den Kopf, war aber auch froh, dass der Junge nicht nur grübelnd in einer Ecke saß. Dean holte auch noch die zweite Kiste. „Hast du noch was?“, fragte er, bevor er auch die ins Haus brachte. „Nein, erst mal nicht.“ Der Winchester nickte und ging ins Haus. Leise ächzend stellte er die Kiste im Flur ab. Er schlurfte ins Wohnzimmer, ließ sich auf die Couch fallen und schloss kurz die Augen. Nur kurz ausruhen. Dann wollte er duschen gehen. Er fühlte sich furchtbar. Sein Shirt klebte am Rücken, seine Atmung kam stoßweise und seine Knie zitterten. Fast sofort war er eingeschlafen. Sam wartete eine Weile, ob sich sein Bruder regte dann stand er auf und brachte ihn mit sanfter Gewalt dazu, sich hinzulegen. Er holte eine Decke für ihn und deckte ihn damit zu. Seine schmutzigen Gipsarme legte er auf die Decke. Auch wenn es nur Staub zu sein schien, Dean musste den nicht überall verteilen. Er warf noch einen Blick auf seinen schlafenden Bruder und ging dann mit einem Thermobecher voller Kaffee zu Bobby. „Was hast du denn mit Dean gemacht?“, fragte er den alten Jäger. „Warum?“ „Er ist fix und fertig auf der Couch eingeschlafen.“ „Ich hab ihn nur gebeten den Inhalt eures Kofferraumes aufzuräumen.“ Sam nickte. „Wahrscheinlich hat er sich zu viel zugemutet. Gesund ist er ja auch noch nicht wirklich.“ „Mit einer Lungenentzündung ist nicht zu spaßen“, bestätigte Bobby. „Behalten wir ihn einfach im Auge, um ihn notfalls ausbremsen zu können“, überlegte Sam laut und Bobby nickte. Mit einem Korb voll Holz kam Sam ins Haus zurück und machte im Kamin Feuer. Stunden später blinzelte Dean ins Sonnenlicht, das ihm ins Gesicht schien. „Oh man“, stöhnte er leise und richtete sich auf. Wie lange hatte er denn geschlafen? Wenn die Sonne schon so weit war, musste es Nachmittag sein! Er stemmte sich in die Höhe und ging in die Küche, wo Sam und Bobby bei einer Tasse Kaffee saßen. Er holte sich eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter die Kaffeemaschine. Umständlich fummelte er daran herum, doch die beiden ließen ihn machen. Sie konnten ihm nicht alles abnehmen und er musste lernen um Hilfe zu bitten. 'Notfalls muss ich Jody um ihr Geschirr bitten', überlegte der Hausherr. „Ausgeschlafen?“, wollte Sam wissen, als Dean endlich saß. „Hmhm. Warum habt ihr mich nicht geweckt?“ „Wenn du am Vormittag einschläfst und auch nicht wach wirst, wenn ich im Kamin rumore, dann lasse ich dich schlafen. Außerdem hast du nichts verpasst.“ „Du bist noch lange nicht wieder fit, Dean. Du brauchst die Ruhe.“ „Ich will mich aber nicht noch länger ausruhen!“, quengelte der ältere Winchester. „Dir wird aber nicht viel anderes übrig bleiben“, stellte Bobby ruhig fest und deutete auf die Gipsarme. Dean verdrehte die Augen und versuchte zu trinken, ohne zu kleckern. „Deinen Ohren scheint es besser zu gehen“, griff Bobby eines der Themen auf, über die Sam und er gesprochen hatten, bevor Dean zu ihnen stieß. „Ja, sie … keine Ahnung wie … es ist nicht mehr zu laut.“ „Vielleicht solltest du mal zum Ohrenarzt gehen.“ „Lieber nicht“, überlegte Dean. Nachher pusteten die ihm die Ohren frei und das ganze Dilemma begann von vorn. Darauf konnte er gut verzichten. Er trank seinen Kaffee aus. „Ich mach dann mal die Waffen.“ Bobby legte ihm eine Hand auf einen Gips. „Warte damit bis du die Fingerübungen wirklich brauchen kannst. Die Kisten stehen keinem im Weg.“ „Und was mach ich dann?“ „Setz dich auf die Terrasse. Es ist angenehm draußen. Genieß die Ruhe“, schlug Bobby vor. Dean verdrehte die Augen. „Ich weiß, dass du das nicht kannst, aber versuch es. Deine Lunge braucht ihre Zeit. Ich will nicht, dass du einen Rückfall hast.“ „Es ist langweilig!“, maulte Dean. „Langeweile macht kreativ“, grinste Sam und fügte ein: „Hab ich gelesen“, hinzu, als er die ratlos fragenden Blicke der beiden Anderen sah. Dean zuckte mit den Schultern und erhob sich. „Dann geh ich mich mal kreativ langweilen“, entschied er genervt. „Lass uns vorher noch deine Verbände wechseln, bevor du alles zusaust“, schlug Sam vor und erntete ein ergebendes Augenverdrehen. Gehorsam tapste Dean ins Bad. „Was soll ich denn machen?“, fragte Sam auf Bobbys skeptischen Blick. „Nichts. Es ist nur … Ich überlege nur gerade, wie ich mich an seiner Stelle fühlen würde.“ „Darüber will ich gar nicht nachdenken“, gestand Sam. „Aber das Schlimmste hat er überstanden. Es kann nur noch vorwärts gehen!“ „Trotzdem werden uns allen die Tage noch lang werden.“ „Ich wollte dich gerade nicht so anfanhren“, entschuldigte sich Sam im Bad und half seinem Bruder dabei sich die Finger zu waschen und wechselte dann auch die Verbände. „Du hattest ja Recht. Es … Wie lange muss ich die eigentlich noch …?“, fragte Dean geknickt. Er kam sich immer nutzloser vor. „Drei, vier Tage, dann sind fünf Wochen rum. Es waren keine einfachen Brüche.“ „Okay, drei Tage.“ Dean atmete tief durch und begann zu husten. Seine Lunge nahm ihm hin und wieder noch tiefere Atemzüge übel. Vielleicht war ausspannen ja nicht so ganz verkehrt. Auch wenn er nicht wusste was er so alles machen konnte, um sich die jetzt schon drohende Langeweile zu vertreiben. Bobby schaffte inzwischen den Schaukelstuhl, der sonst auf der vorderen Veranda stand, auf die Terrasse hinten und holte Deans Decke. Gerade als der Winchester wieder nach unten kam, füllte er eine Thermotasse mit Kaffee. „Mach es dir gemütlich“, sagte er, drückte Dean die Tasse in die Hand und deutete auf dem Schaukelstuhl. „Oh man, ich muss wirklich alt geworden sein“, grummelte der Winchester. Er nahm die Tasse und lies sich mit der Decke helfen, „wenn du mich jetzt auch schon verwöhnst.“ „Genieß es. In ein paar Jahren wirst du mir so zur Seite stehen müssen.“ „Ich hoffe dass aus den paar Jahren noch sehr viele werden.“ „Du willst mir nicht helfen?“ „Ich will dass du noch lange fit bleibst und im hohen Alter im Bett stirbst“, erwiderte der Winchester ernst. „Dass das bei Jägern ein frommer Wunsch ist, weißt du?“ „Ich werd doch noch hoffen dürfen?“ „Aber immer doch.“ Bobby nickte grinsend und ging in die Werkstatt, um dem Impala seinen alten Glanz wiederzugeben. Dean schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und döste in der Sonne. Seine Gedanken ließ er laufen. Irgendwo würden sie schon hängen bleiben. Er hoffte nur, dass es ein angenehmes Thema wäre. Erst als er Jody in der Küche hantieren hörte, schob er die Decke beiseite und ging ins Haus. „Kann ich helfen?“, fragte er und setzte sich, als sie verneinte, wieder auf die Anrichte. „Was willst du machen, wenn du die Dinger los bist?“, fragte Jody ihn während sie die Zwiebeln schnitt. „Nicht Koch“, grinste er. „Warum nicht?“ „Blöde Arbeitszeiten.“ „Die sollten dir doch liegen, die kennst du doch“, lachte sie überrascht. „Eben. Die sind ganz schlecht, um heiße Bräute aufreißen zu können.“ „Das hast du dir für deine Zukunft vorgenommen?“ „Auch. Irgendwie muss ich meine freie Zeit dann ja ausfüllen.“ Das Geplänkel tat ihm gut, konnte er so die Gedanken, die sich ihm auf der Terrasse aufgedrängt hatten, einfach beiseiteschieben. „Vom heiße Bräute aufreißen kann man aber nicht leben.“ „Echt nicht?“, Dean schaute sie entsetzt an. „Außer du wirst Gigolo.“ „Bin ich dafür nicht schon zu alt?“ „Wahrscheinlich schon.“ „Gut. Also doch kein Koch und die Bräute nebenbei.“ „Darauf läuft es wohl hinaus“, antwortete sie und hielt ihm einen Löffel hin. „Schmeckt schon mal ganz gut“, erklärte er. „Was wird das?“ „Der Ansatz für einen Shepardspie. Den soll es morgen geben.“ „Braucht der so lange?“ „3 bis 4 Stunden braucht die Schulter schon. Wenn du Hackfleisch nimmst, geht es natürlich schneller.“ „Und mit einer Schulter schmeckt es besser?“, schlussfolgerte er. „Genau.“ „Und was essen wir dann heute?“ „Chilli con carne. Hast du schon Hunger oder reicht es wenn ich gleich damit anfange?“ „Es reicht danach. Wenn du mich so weiter fütterst brauche ich gleich gar nichts mehr“, lachte er. „Das merk ich mir. Du kriegst nie wieder was von mir“, schmollte sie gespielt. „Oh bitte nicht. Du bist die beste Jody die ich kenne.“ „Das hoffe ich doch“, lachte sie. „Wenn‘s ums Essen geht, wirst du handzahm.“ „Nur wenn jemand so gut kochen kann.“ „Na darauf bilde ich mir jetzt was ein.“ Schon bald war sie mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag fertig und spannte Dean dann bei leichteren Arbeiten mit ein. Dem Winchester war es nur recht. So konnte er sich ganz auf das Kochen konzentrieren und musste nicht weiter darüber nachgrübeln, wohin ihn sein Leben führen sollte. Nach dem Essen machten sie es sich vor dem Fernseher gemütlich. 'Fast wie eine echte Familie', überlegte Dean. Er schielte zu Sam. Warum hatten sie das nicht erleben dürfen? War es einfach nur die Gemeinheit des Lebens oder steckte da mehr dahinter? Alistairs Worte fielen ihm ein. Brüder! Wozu brauchte er sie. Wozu brauchte er einen rechtschaffenen Mann? Wieso war er das überhaupt. „Dean?“ Sam stieß ihm mit der Bierflasche leicht gegen den Arm. Er klang besorgt. „Was?“ Der Ältere schaute verwirrt auf. Er musterte Sam. Sein Blick fiel auf das Bier und auf seinem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. „Danke“ Sam musterte seinen Bruder besorgt, erwiderte dann aber das Lächeln. Er ging zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen, seinen Blick noch immer auf Dean gerichtet. Was hatte sein Bruder? Sollte er ihn fragen? Kapitel 182: Augen auf bei der Berufswahl ----------------------------------------- 182) Augen auf bei der Berufswahl Der nächste Tag wurde noch etwas schöner als der vorherige. Wieder verbrachte Dean die meiste Zeit dösend und grübelnd auf der Veranda. „Hey“, machte sich Sam bemerkbar und hielt ihm einen Kaffee hin. „Hey“, erwiderte der Ältere. „Worüber denkst du nach?“, wollte Sam wissen. Er lehnte sich an die Brüstung und signalisierte so, dass er sich nicht so leicht abspeisen lassen würde. „Über alles und nichts“, versuchte Dean es trotzdem. „Alles und nichts lenkt dich aber nicht so sehr von deiner Umgebung ab.“ „Ich …“ Dean holte tief Luft und versuchte den aufkommenden Husten mit einem Schluck Kaffee zu unterdrücken. Er schaffte es nicht ganz und brauchte eine Weile, bis er wieder richtig Luft bekam. Sam schaute ihn weiterhin abwartend an. Er wollte sich auf keinen Fall so abspeisen lassen. Sie musste wieder einen Weg zueinander finden und sie mussten sich besser absprechen. Nicht dass sowas wie mit Dallas nochmal passierte. „Ich versuche mir darüber klar zu werden, wie mein Leben weitergehen soll“, gestand er dann den Blick irgendwo in die Ferne gerichtet. „Und wie weit bist du damit?“, wollte Sam mit gemischten Gefühlen wissen. „Soweit dass ich absolut keine Ahnung habe. Ich weiß es einfach nicht.“ „Willst du denn weiter jagen oder willst du aussteigen?“, versuchte der Jüngere das Dilemma einzugrenzen. „Wenn ich das wüsste. Ich meine du möchtest aussteigen und mir wäre es auch lieber, dieses Leben hinter mir lassen zu können, aber was dann? Was kann ich machen? Wie soll ich mein Geld verdienen? Wie stehe ich dir am Wenigsten im Weg?“, fragte der Ältere mit rauer Stimme. „Dean! Du … wie kommst du auf diese hirnrissige Idee mir im Weg stehen zu können? Du bist mein großer Bruder. Du hast mich aufgezogen! Egal was du tust, du wirst mir nie im Weg stehen!“ „Und wenn doch? Du möchtest studieren und ich? Was kann ich denn?“ „Hör auf dein Licht unter den Scheffel zu stellen! Ich habe dein Zeugnis gesehen. Du bist alles andere als dumm!“ „Und doch hab ich mir nie Gedanken über ein Leben ohne die Jagd gemacht. Das ist dumm!“ „Nein Dean, das ist realistisch. Du hast dein Leben den Wünschen von Dad untergeordnet. Für ihn gab es kein Leben ohne die Jagd und für dich auch nicht. Du hast immer zu Dad aufgesehen. Er war dein Held. Du hättest nie an ihm gezweifelt, wenn sich nicht nach und nach herausgestellt hätte, dass er dich nach seinem Gutdünken belogen und manipuliert hat. Jetzt willst du dein Leben leben. Du hast so lange nicht an Dads Weg gezweifelt. Ist doch klar, dass du erst mal herausfinden musst, was du willst.“ „Und wenn ich es nie weiß?“ „Vielleicht kann ich dir helfen die Suche einzugrenzen?“ „Und wie?“ Dean war zwar noch mehr als skeptisch, dass dieses Gespräch zu etwas führte, aber warum nicht. Sam hielt ihn immerhin davon ab in trübsinniges Brüten zu verfallen und er hatte jede Menge mehr Erfahrungen mit dem richtigen Leben. Warum sollte er nicht auf das Wissen seines kleinen Bruders zurückgreifen? Er wollte ja schließlich auch, dass Sam auf ihn hörte, wenn er etwas besser wusste. Sam nickte. Er stieß sich vom Geländer ab und ging, einen ziemlich ratlosen Dean zurücklassend, ins Haus. Mit einem Stuhl, zwei Flaschen Bier und einer Tüte Chips kam er wenige Minuten später zurück. „So lässt es sich besser denken“, grinste er, gab Dean ein Bier und stellte seinen Stuhl hin. „Also“, begann er. „Büroarbeit fällt für dich wohl eher aus. Dafür bist du einfach zu zappelig. Den ganzen Tag sitzen würde auf Dauer wohl nicht nur dich wahnsinnig machen.“ Dean überlegte kurz und nickte dann zustimmend. Büro war wirklich nichts für ihn. „Du hast mal gesagt, dass du als Kind Feuerwehrmann werden wolltest … Wie denkst du heute darüber?“ „Keine Ahnung. Das war eine Idee, als Moms Tod noch sehr präsent gewesen war.“ „Und heute? Du kannst weiterhin Menschen helfen. Es gibt jeden Tag neue Herausforderungen und sie löschen ja nicht nur Feuer.“ „Woher …?“ „Notruf California, erinnerst du dich? Die Serie haben wir immer wieder im Fernsehen gesehen.“ Dean überlegte eine Weile, dann nickte er. Ja, er konnte sich erinnern. Damals mochte er diese Serie, auch wenn er sie inzwischen vergessen hatte. „Wenn du willst, könnte ich mal recherchieren was du für Voraussetzungen haben musst, um Feuerwehrmann werden zu können“, bot sich Sam an. Er wusste ja wie schwer es Dean zurzeit fiel mit seinem eingegipsten Armen am Computer zu arbeiten. Dean zuckte mit den Schultern. Irgendwie klang das nach einer guten Idee, aber wollte er das? Im Moment fühlte er sich überfahren und so, als ob wieder jemand sein Leben planen würde. Sam schwieg. Hatte er seinen Bruder jetzt überfahren? War er zu schnell mit diesem Vorschlag? Kurz überlegte er, bevor er weitere berufe ansprach. „Wie wäre es mit Privatermittler? Du bist gut darin Leute zu finden.“ „Wohl eher selbst zu verschwinden“, grinste der Ältere traurig. Im letzten Jahr hatte er erst seine Seele mit einem Kind getauscht und dann war er zum Wolf geworden. In Ermittlungsarbeit hatte er sich nicht hervorgetan. „Journalist?“ „Als rasender Reporter? Nee. Und für größere Storys müsste ich wohl fliegen.“ „Koch?“ „Scheiß Arbeitszeiten.“ „Handwerker? Die Arbeit am Haus hat dir Spaß gemacht und du hast von Dave erzählt. Davon dass du da gerne gearbeitet hast.“ „Klingt nach einer Idee.“ „Du kannst auch hier bei Bobby arbeiten. Er wollte ja eh wieder mehr an den Wagen schrauben.“ Für eine Weile, zumindest bis er wirklich wusste, was er wollte, war das eine Alternative, die er auch schon ins Auge gefasst hatte. Er nickte. „Und du?“ „Was ich?“ „Was willst du machen? Immer noch Jura?“ „Ja, solange mir nichts Besseres einfällt. Das war immer mein Traum. Ich will ihn mir erfüllen.“ „Ich freu mich für dich, dass du etwas gefunden hast, dass für dich so wichtig ist und ich wünschte, ich hätte das auch.“ „Du wirst auch was finden, Dean. Wenn du die Dinger erst mal los bist und wieder richtig zufassen kannst. Ich bin mir sicher, dass du dann kaum noch zu halten sein wirst. Es war noch nie dein Ding einfach nur rumzusitzen.“ Wieder zuckte Dean mit den Schultern und hoffte, dass sein kleiner Bruder recht hatte. „Kann ich dich was fragen?“, wollte Sam nach einer Weile einträchtigen Schweigens wissen. Dean blickte zu ihm. „Und was?“ „Naja ...“, begann Sam unsicher. „Als du mit der Lungenentzündung ... als du nicht ansprechbar warst … War Mom da?“, platzte er hervor. „Wie kommst du darauf?“ „Du hast immer wieder auf eine Stelle gestarrt und wenn ich dich gefragt habe, was da ist hast du gesagt, Mom.“ Lange schaute Dean eher durch seinen Bruder hindurch als ihn an bevor er antwortete: „Für mich war sie es.“ Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich dagewesen war oder wieder nur ein Traum, doch das war egal. Für ihn war sie real gewesen. So wie sie früher für ihn dagewesen war, wenn es ihm schlecht ging. Sam nickte nur. Dean schien sich wirklich nicht sicher zu sein. Eigentlich wollte er noch nach Ringo fragen, doch er wollte seinen Bruder nicht noch mehr verwirren. Irgendwann später gab es vielleicht eine bessere Zeit dafür. Eine Weile schaute er einfach nur den Stäuchern zu, wie sich sich leicht im Wind bewegten, doch mm ohne Decke hier draußen sitzen zu können, war es noch zu kalt. Sam begann zu frieren. Er stand auf, nahm die leeren Bierflaschen und wandte sich zur Tür. „Sammy?“, begann Dean. „Ja?“ „Kannst du trotzdem mal nach den Anforderungen für die Feuerwehr suchen?“ Bevor er sich lange Gedanken darüber machte ob er vielleicht wirklich zur Feuerwehr gehen könnte, brachte ihm die Unterlagen bestimmt schon Gewissheit, ob sich die Grübelei überhaupt lohnen würde, oder ob er es sich sofort aus dem Kopf schlagen konnte. „Ich setze mich gleich mal dran.“ „Und Sammy?“ „Ja?“ „Danke.“ Ein breites Strahlen legte sich auf Sams Gesicht und er verschwand im Haus. Dean lehnte sich wieder zurück und genoss weiterhin die Sonne bis er Jody, wie schon am Vortag, in der Küche hantieren hörte. Er schob die Decke beiseite und ging ins Haus, um ihr wieder Gesellschaft zu leisten. „Willst wohl doch Koch werden?“, fragte sie. „Da hättest du mehr Chancen“, wiegelte er ab. „Wenn du mich hier nicht willst, kannst du mir das ruhig sagen. Ich … es ist einfach nur langweilig den ganzen Tag da draußen zu sitzen und mit dir kann ich gut reden.“ „Da hast du aber gerade noch so die Kurve gekriegt“, meinte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Warum“, fragte der Winchester unschuldig. „Keine Frau hört gerne dass sie der Ersatz für Langeweile ist.“ „Das hab ich so gar nicht gesagt.“ „Du hast doch gesagt, dass du zu mir kommst, weil du dich draußen langweilst.“ „Ich langweile mich auch hier drin“, sagte er und schaute kurz auf seine eingegipsten Arme. Dann zuckte er mit den Schultern und wollte in sein Zimmer gehen. Da konnte er sich auch langweilen. „Bleib hier, Dean. Ich freue mich wenn du da bist. Tut mir leid, dass ich deine Worte auf die Goldwaage gelegt habe. War ein doofer Tag.“ Der Winchester musterte sie kurz und setzte sich dann wieder auf die Anrichte. Doofe Tage hatte jeder mal. Seine waren in der letzten Zeit auch nicht sonderlich gut. Nach dem Abendessen zog Sam seinen Bruder beiseite. „Für einen Job bei der Feuerwehr kannst du dich bis 35 bewerben. Du musst sportlich sein. Sie machen Einstellungstests, einen Persönlichkeitstest und einen Rorschachtest. Eine Ausbildung als Rettungsassistent wäre von Vorteil.“ „Dann kann ich das schon vergessen.“ „Warum?“ „Du meinst doch wohl nicht, dass wir einen Psychotest bestehen würden.“ „Wenn es nur daran liegt. Die Fragen gibt‘s mit Sicherheit im Internet und die richtigen Antworten auch. Außerdem könnten wir Nick fragen. Der sollte so einen Test auch hinter sich haben.“ „Du willst also weiter lügen?“ „Wenn du damit weiterhin Leben retten kannst. Das normale Leben hat die Wahrheit nicht gepachtet. Da wird genauso gelogen und betrogen wie wir es bei unserem bisherigen Job getan haben. Nur dass wir Menschen schützen wollten und die normalen Menschen nur auf ihren Vorteil bedacht sind.“ „Und so ein Leben ist erstrebenswert?“ „Es ist monstersicher. Das ist alles was für mich zählt“, entgegnete Sam. Eine Weile musterte Dean seinen Bruder. Ein sicheres Leben. Das wollte der schon immer und ja, auch er hätte nichts dagegen, wenn sie von Himmel und Hölle in Ruhe gelassen werden würden. Aber hatten sie überhaupt eine Chance dazu? Irgendeine Macht hatte sie scheinbar zu etwas auserkoren. Wozu? Doch all diese Gedanken waren egal, wenn er in die glücklich strahlenden Augen seines kleinen Bruders schaute. Sammy hatte sein halbes Leben für ihn auf der Straße verbracht. Jetzt war es an ihm, Sammys Traum zu erfüllen. Er würde etwas finden, um im normalen Leben zu bestehen und er würde dafür sorgen, dass Sam seinen Traum leben konnte. Unmerklich nickte er. Sam hatte es trotzdem gesehen. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Ich suche mal nach dem Test“, erklärte er. „Solltest du dich nicht erst mal um deine Pläne kümmern?“, fragte der Ältere. „Du willst nicht …?“, brachte Sam enttäuscht hervor. „Ich kann auch hier arbeiten, Bobby beim Restaurieren helfen und Geld in die Kasse bringen.“ Enttäuschung machte sich auf Sams Gesicht breit. Dean wollte sich wohl einen Weg zurück freihalten, zurück zu den Monstern. „Das ist es nicht“, beantwortete Dean die ungestellte Frage. „Ich komme mir nur gerade vor, als ob du mein ganzes Leben verplanst. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt Feuerwehrmann werden will. Es war ein Kindheitstraum, weil Mom bei einem Feuer starb. Aber ja, es ist etwas, dass zu machen ich mir für mein Leben vorstellen könnte. Trotzdem möchte ich nicht irgendwo arbeiten, wenn du ganz woanders studierst. Von mir aus suche nach diesem Test. Ich denke nur dass es für mich einfacher ist einen Job zu finden, als für dich einen Studienplatz.“ Sam musterte seinen Bruder eine Weile, dann nickte er. Vielleicht hatte Dean ja Recht. Nein nicht vielleicht. Dean hatte Recht! „Ich geh dann mal ...“, sagte Sam und deutete ins Wohnzimmer. Dean nickte. Ihm war der traurige Tonfall seines Bruders aufgefallen und es tat ihm leid. Er wollte ihn nicht so anfahren aber er wollte auch nicht schon wieder von jemandem vereinnahmt werden. Das hatte er sein ganzes Leben lang und ja, Sam hatte ihm mit seinen Vorschlägen geholfen, aber er musste selbst eine Entscheidung für sein Leben treffen. Er musste wissen, was er wollte und er musste sich sicher sein, dass es das richtige für ihn war. „Ich geh hoch“, sagte er zu Bobby, der hinter ihm in der Küchentür stand. „Es war richtig, Dean. Sam meint es gut, aber er ist manchmal etwas voreilig. Er will den zweiten Schritt vor dem ersten machen.“ „Es fühlt sich trotzdem an als hätte ich was Falsches gesagt.“ „Das eine schließt das andere nicht aus.“ Dean ließ den Kopf hängen und stapfte die Stufen hinauf. „Brauchst du Hilfe?“, rief ihm Bobby fragend hinterher. „Nein, ich denke ich komme klar.“ „Gute Nacht, Junge.“ „Dir auch.“ Kapitel 183: Es geht voran -------------------------- 183) Es geht voran Lange lag Dean in dieser Nacht noch wach und grübelte. Was sollte er tun? Handwerker? Feuerwehrmann? Privatermittler war wohl nicht so sein Ding. Viel zu schnell würde er da wieder auf seine alten Feinde stoßen. Letztendlich entschied er sich dafür erst einmal abzuwarten wo Sam einen Studienplatz finden würde und dann da nach einem passenden Job für sich zu suchen. Bis dahin konnte er sich hier nützlich machen und Bobby bei der Restauration alter Wagen helfen, wenn es denn Kunden dafür gab. Aber auch so konnten sie ein paar alte Wagen fertig machen. Es gab bestimmt Menschen die einen billigen Wagen suchten. Doch zu allererst musste er seine Behinderungen los werden. Noch knapp neunzig Stunden. Frustriert drehte er sich auf die andere Seite und versuchte endlich einzuschlafen. Der nächste Morgen erwartete ihn mit Regen. Stöhnend setzte er sich auf. Seine eingegibsten Arme schmerzten. Außerdem fiel wohl auch sein Sonnenbad ins Wasser. Er würde vor lauter Langeweile glatt noch anfangen zu lesen. So weit war es schon mit ihm gekommen. Noch allerdings konnte er sich mit der morgendlichen Routine ablenken. An frühen Nachmittag war es dann soweit. Dean durchsuchte Bobbys Bücherschrank. Nach längerem Suchen zog er sich „Texas“ von James Michener heraus, ließ sich auf die Couch fallen und begann zu lesen. Entgegen seiner Befürchtung machte es ihm sogar Spaß und es dämpfte die Gedanken, die fast unablässig durch seinen Kopf kreisten und denen er sich stellen musste, wenn er nicht mehr bei jedem Handgriff auf Hilfe angewiesen war. In den folgenden Tagen pendelte Dean zwischen seinem Buch und der Küche. Mehr ließ das Wetter nicht zu, und auch Bobby verweigerte ihm jede Mitarbeit solange er noch seine Gipsarme hatte. Aber selbst die längsten neunzig Stunden vergingen irgendwann. „Kommst du?“, fragte Sam. Er hatte sich einige Unis herausgesucht und wollte denen seine Bewerbungsmappe mit der Frage nach Auffrischungskursen zuschicken. Die Umschläge lagen, bereit abgeschickt zu werden, auf dem Schreibtisch. Er wollte sie auf dem Weg zu Rave bei der Post abgeben. Danach konnte er nur noch abwarten. Bei jeder Uni, die er sich ausgesucht hatte, hatte er seinen Bruder gefragt was der dazu sagen würde, doch Dean war der Ort eigentlich egal. Er wollte nur, dass Sam glücklich wurde. „Lass mir noch zwei Seiten“, brummelte Dean. Er war mit seinem Buch fast am Ende. „Ich glaube kaum dass du, auch wenn dir Rave deine weißen Tatzen heute abnimmt, schon wieder voll loslegen kannst“, dämpfte Sam seine Vorfreude. „Du bist ein schlechter Bruder!“, maulte Dean. „Ich bin nur ehrlich!“ „Toll. Wenn du ehrlich sein sollst lügst du und wenn du lügen sollst, bist du ehrlich. Könnten wir das ändern?“ „Wohl eher nicht.“ „Lass uns fahren“, grummelte Dean und legte das Buch beiseite. Letztendlich konnte er es wirklich auch nachher zu Ende lesen. „Hallo Dean, Sam“, grüßte der Arzt. „Ihr seid wegen der Gipse da?“ „Wir können sie auch selbst … aber Sie sagten ja wir sollten nochmal kommen“, begann Sam. „Ja, ich wollte mir deine Lunge anhören“, wandte sich der Arzt an Dean. „Okay“, nickte der heiser. „Können wir aber erst die Dinger runterschneiden?“ „Gut. Geh gleich in den Röntgenraum durch.“ Sam half seinem Bruder aus der Jacke und setzte sich dann ins Wartezimmer. „Wie geht‘s Bobby?“ frage Rave während er Deans Arm in die richtige Richtung drehte. „Ganz gut“, nuschelte Dean durch zusammengebissene Zähne. Die Haltung in die Rave seinen Arm zwang, war verdammt schmerzhaft. „Ist Jody schon eingezogen?“ „Sie hat ihre Wohnung noch.“ „Du willst nicht darüber reden?“ „Dazu müssen Sie sie fragen. Es ist ihre Sache.“ „Okay“, grinste Rave. Der Junge gefiel ihm immer besser. Endlich waren sie fertig und die Bilder entwickelt. „Die Knochen sind gut zusammengewachsen“, erklärte Rave. Wir können dich von den Dingern befreien, aber du solltest mit bloßen Händen noch keine Bäume ausreißen wollen. „Ich kann mich beherrschen“, grinste Dean. Er würde endlich wieder selbständig duschen können, er würde sich wieder rasieren können und er konnte endlich Bobby bei den letzten Handgriffen am Impala helfen. Wenn das kein Lichtblick war? Rave holte unterdessen die Gipssäge aus dem Schrank. Schnell war die staubige Arbeit getan und Deans Arme mit neuen Verbänden stabilisiert. „So, und jetzt will ich mir deine Lunge anhören.“ Rave befestigte den letzten Klipp an dem Verband. „Muss das sein?“, maulte Dean. Irgendwie hatte er gehofft um diese lästige Angelegenheit drumrum zu kommen. „Ja, es muss sein oder willst du einen Rückfall riskieren?“ „Sam passt schon auf dass ich mich nicht überanstrenge!“ Der jüngere Winchester verdrehte die Augen. „Mach schon, Dean oder willst du den ganzen Tag hier hocken und diskutieren?“ Schnaufend fummelte Dean an seinem Shirt. So ganz funktionierten die Hände wohl doch noch nicht, auch wenn er seine Arme wesentlich besser drehen konnte, in den Fingern hatte er nicht viel Kraft zurückbehalten. Es würde also noch ein längerer Weg zurück zur Normalität werden. Leise ächzend zog er es sich über den Kopf. Gewissenhaft hörte Rave die Lunge des Winchesters ab und bewunderte dabei wieder das Tattoo über dessen Herz. „Ist das wegen eures Jobs“, fragte er. Dean verdrehte nur die Augen während Sam nickte. „Und wofür?“ „Es schützt davor, dass Dämonen dich benutzen können“, erklärte Sam. „Sollte das dann nicht jeder Mensch haben?“ „Vielleicht schon, aber wer weiß schon dass es Dämonen wirklich gibt.“ „Eigentlich sollten das auch alle Menschen wissen.“ „Und was tun?“, fragte Dean ungehalten. „Das gäbe eine riesige Panik unter den Menschen. Keiner wüsste damit umzugehen und jeder würde jeden verdächtigen. Nein. So wie es ist, ist es nicht perfekt aber besser als alle Alternativen“, erklärte Sam ruhig. „Ihr müsste es wissen“, lenkte der Arzt ein. Damit hatte er wirklich keine Erfahrungen. Wahrscheinlich sollte er wohl wie der sprichwörtliche Schuster bei seinen Leisten bleiben. Er beendete die Untersuchung und klopfte Dean kurz auf die Schulter. „Alles gut, soweit.“ Mühsam zog sich der Winchester wieder an. „Du solltest dich weiterhin schonen. Keine Jagd für drei Wochen, Minimum, wenn es möglich ist und auch sonst weiterhin viel trinken, viel schlafen und die Kraftanstrengungen so gering wie möglich halten. Danach kannst du langsam wieder anfangen in Form zu kommen.“ „Okay“, nickte Dean und hoffte, dass er das einhalten konnte. Immerhin wollte er noch etwas erledigen, bevor er in den Jägerruhestand gehen konnte. Auf der Rückfahrt musterte Sam seinen Bruder immer wieder mit besorgtem Blick. Er hatte ihm auf dem Parkplatz vor Raves Praxis den Autoschlüssel angeboten, doch Dean lehnte mit einem kurzen Kopfschütteln, aber wortlos, ab! Und genauso wortlos saß er jetzt auf dem Beifahrersitz. „Was ist los, Dean?“, fragte Sam, als er an einer Ampel warten musste. „Nichts … Ich ...“ Der Ältere starrte weiter auf seine Hände, die er immer wieder öffnete und schloss. „Ich weiß es nicht“, gestand er dann. Eigentlich war das auch nicht richtig, aber er wusste einfach nicht, wie er das ansprechen sollte, was ihm auf der Seele lag. Wie erklärte er etwas, von dem er selbst noch nicht wusste was genau er wollte? „Du redest aber mit mir wenn du es weißt?“, bat Sam ruhig. „Und wenn ich nicht weiß wie ich es erklären soll?“ „Dann erzählst du es so, wie es dir im Kopf rumspukt und wir finden es gemeinsam raus?“ „Hm“, machte Dean und beendete so dieses Gespräch. So sehr er sich auf diesen Moment gefreut hatte, so sehr er ihn herbeigesehnt hatte, so sehr machte er ihm jetzt Angst. Jetzt gab es bald keine Ausrede mehr um das anzusprechen, was ihm schon seit diesem verhängnisvollen Satz durch den Kopf ging. Wie würde seine Familie hier reagieren und wie wäre seine Familie da? Wäre er nur da wirklich glücklich geworden? Hatte er sie verraten? Lebten sie noch? Außerdem war da noch etwas anderes, an das er sich dumpf erinnerte. Konnte das sein? Bei Bobby angekommen nahm er sich als erstes die Waffen aus dem Impala vor. So konnte er weiter vor sich hin brüten, ohne dass es jemandem wirklich auffiel. Frustriert ließ er die Einzelteile seines Colts, in mehrere Lappen gewickelt, in die Tasche fallen. Er hatte weder die Waffen richtig reinigen, noch seine Gedanken sortieren können. Für das eine waren seine Finger noch viel zu steif und das andere viel zu durcheinander, mit Vermutungen und Befürchtungen versetzt, als das es zu ordnen wäre. Er ging nach oben, wusch sich die Hände und kam mit neuen Binden wieder nach unten. „Kannst du ...“, fragte er Sam und hielt ihm seine Hände hin. Sam nickte und begann ihm die Verbände anzulegen. „So fertig“, erklärte Sam und zog die Ärmel wieder herunter. Dean nickte. Er machte jedoch keine Anstalten gehen zu wollen. Gerade als Sam fragen wollte, was los wäre, platzte er mit einer Frage hervor, die der Jüngere so nicht erwartet hätte. „Kannst du mir morgen mit den Wracks helfen?“ „Was hast du vor?“, fragte der Jüngere irritiert. „Ich wollte endlich mal auflisten, was hier für Schätze stehen und was man noch nutzen kann. Wenn ich bei Bobby einsteigen will … Es wäre einfacher.“ Er zuckte mit den Schultern. „Klar kann ich dir helfen“, freute sich Sam. Es war noch immer ein besonderer Moment wenn Dean um Hilfe bat, wenn er es doch selbst machen könnte. Dean stand noch immer unschlüssig vor Sam. „Dieser Test für die Feuerwehr … hast du da schon mehr gefunden?“ „Ich muss es nur noch ausdrucken. Ich hab die Fragen und die Antworten und für das polizeiliche Führungszeugnis können wir Nick fragen. Jody würde dir wohl auch eins ausstellen oder wir reden mit William. Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Willst du jetzt wirklich zur Feuerwehr?“ „Ich weiß es nicht“, gab der Ältere ehrlich zu. „Es ist etwas, das ich mir für mein Leben vorstellen könnte. An Autos zu schrauben ist eher ein Hobby. Auch wenn ich es gerne mache, ich will nicht mein Leben damit verbringen.“ „Ich drucke es gleich aus“, erklärte Sam. Wenige Minuten später hielt Dean mehrere Bögen in der Hand. Das würde seine Gedanken wohl eine Weile beschäftigen, überlegte er und begann zu lesen. Als er Jody in der Küche hantieren hörte, ging er mit seinen Blättern zu ihr. „Was hast du denn da?“, wollte sie wissen. „MMPI“ „Willst du zur Polizei?“ „Feuerwehr, vielleicht, wenn ich begreife, warum die wissen wollen, wie es meiner Verdauung geht oder ob ich Automagazine oder eher die aus dem Baumarkt sammle.“ „Die Fragen sollen klären, ob du ein guter Staatsbürger bist. Aber frag mich bitte nicht, was das eine mit dem Anderen zu tun hat.“ „Gibt‘s eigentlich Punktabzug, wenn ich bei dem Rorschachtest Franzose bin?“ „Wieso Franzose?“ „Bei dem bunten Bild sehe ich Chamäleons.“ Er hielt ihr das Bild hin. „Stimmt. Wenn du es so sagst, könnten die es auch sein.“ „Was hast du da gesehen?“ „Irgendein Säugetier.“ „Ich sag‘s ja, Franzose.“ Verständnislos schnaubend schüttelte er den Kopf und legte das Bild beiseite. „Muss es dann morgen Froschenkel geben?“, stichelte sie grinsend. „Igit! Wage es dich“, schimpfte Dean. „Kann ich dir helfen?“ „Noch nicht“, erwiderte sie und lächelte, als er sich wieder auf die Anrichte setzte. „Was sagt Rave?“, wollte sie nach einer Weile wissen. „Ich soll‘s nicht übertreiben.“ „Und, übertreibst du‘s?“ „Ich hab versucht unsere Waffen zu reinigen. Ich kriege sie mit Mühe auseinandergebaut aber zusammen ist unmöglich.“ „Und wenn du Sam das machen lässt?“ „Ich will es selbst können. Außerdem ist das nicht gerade Sams Lieblingsbeschäftigung.“ „Dann bist du also für die Waffen zuständig?“ „Ich mache es gern.“ „Gut zu wissen“, lachte sie und hielt ihm einen Löffel zum Kosten hin. Kapitel 184: Ich will sie sehen ------------------------------- 184) Ich will sie sehen Am nächsten Morgen kam Dean ohne Verbände zum Frühstück. „Meinst du dass das so schon klappt? Übertreibst du jetzt nicht?“, fragte Bobby besorgt. „Die werden doch nur dreckig. Wir wollten die Wracks erfassen“, erklärte der Winchester etwas kleinlaut. „Und das muss heute sein?“ „Ich kann nicht noch einen Tag Löcher in die Luft starren. Du lässt mich ja auch noch nicht mitarbeiten!“ „Ich will doch nur ...“ „Bobby! Ich langweile mich hier zu Tode!“ „Und eure Waffen?“ „Dafür sind meine Finger noch zu steif! An den alten Wracks kann ich nichts mehr kaputt machen.“ „Deshalb will ich dich ja auch nicht beim Impala dabei haben.“ „Du bist zu gut zu mir.“ Dean verdrehte die Augen. „Tu, was du nicht lassen kannst“, erklärte der alte Jäger in einem Ton, der ganz deutlich besagte: 'Beschwer dich aber nachher nicht, wenn es dir nicht gut geht.' Letztendlich verstand er den Jungen ja. So lange zum Nichtstun verdammt zu sein war die Hölle. Trotzdem wollte er seiner väterlichen Aufsichtspflicht nachkommen. „Beim nächsten Mal hör ich wieder auf dich“, grinste der Winchester. „Ich werde dich daran erinnern!“ Und so verbrachten die Brüder die folgenden Tage auf dem Schrottplatz. Dean kletterte in den Wracks herum und begutachtete die einzelnen Teile, während sein Bruder, mit Stift und Klemmbrett bewaffnet, daneben stand und alles notierte, was sein Bruder ihm zurief. Und wenn Dean sich den nächsten Wagen vornahm schrieb er noch eine Nummer auf den vorderen Kotflügel. Am Abend, wenn Dean seinen Händen die benötigte Ruhe gönnte, übertrug Sam seine Liste in den Rechner. Letztendlich war es nur eine grobe Begutachtung, aber immerhin wussten sie so wenigstens, was überhaupt auf dem Schrottplatz stand. Solange sie bei den Wracks waren, war Deans Welt in Ordnung, doch Wind, Regen und die noch immer unangenehmen Temperaturen zwangen sie immer wieder ihre Arbeit zu unterbrechen oder für den Tag ganz zu beenden. Zurück im Haus dauerte es allerdings nur wenige Minuten, bis Dean wieder in einem Strudel aus trüben Gedanken und schlechtem Gewissen versank. Er hatte immer mehr das Gefühl, dass egal was er machen würde, es nur im Desaster enden konnte. Egal wie er sich entscheiden würde, es wäre ein Fehler. Er musste, er wollte aussteigen. Er wollte dieses Jägerleben beenden. Für sich, vor allem aber für Sam. Sein kleiner Bruder sollte endlich weg von der Straße und das tun, was er sich schon so lange wünschte. Das Problem bestand einfach nur darin, dass er Angst vor diesem normalen Leben hatte. Mit dem Jägerdasein kannte er sich aus, aber wie lebte man ein richtiges Leben? In all den Jahren hatte er nie wirklich davon geträumt. Sam ja, aber er war so damit beschäftigt gewesen, John alles recht zu machen, dass er nie auch nur einen Gedanken an ein anderes Leben als das, was er führte, verschwendet hatte. Würde er das können? Jeden Tag zur Arbeit gehen. Es würde Menschen geben, die ihm etwas bedeuteten. Konnte er zulassen, dass sie gefährdet werden würden? Konnte er ohne tiefere Bindungen ein normales Leben leben? Konnte er sich jetzt noch von seinem Rückzug zurückziehen? Nein! Das wäre ein Verrat an all den Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Nur weil er etwas nicht kannte oder vielleicht sogar Angst davor hatte, Angst davor zu versagen, kneifen? So war er nicht erzogen worden. Dieser Herausforderung würde er sich stellen und mit Sams Hilfe konnte er sie auch meistern. Blieb seine Wolfsfamilie. Er wollte sie sehen. Er wollte wissen, wie es ihnen ging, aber konnte er Sam bitten mit ihm dahin zu fahren? Konnte er ihm gestehen, dass er sich um sie sorgte? Würde er seiner Menschenfamilie damit nicht vor den Kopf stoßen? Er hatte ihnen doch schon genug Sorgen gemacht! Und wieder einmal versuchte er das Problem mit sich auszumachen. Sam, Bobby und Jody bemerkten Deans emotionalen Rückzug fast sofort und sie warfen sich immer wieder fragende Blicke zu, doch egal wer den älteren Winchester fragte, er bekam immer nur die lapidare Antwort das alles okay sei. Zumal Dean eigentlich normal reagierte, wenn man ihn um etwas bat oder er helfen sollte. Nur wenn er nichts zu tun hatte, versank er in seinen Grübeleien. „Was ist los, Dean“, fragte Sam. Er reichte seinem Bruder die zweite Tasse Kaffee, die er mitgebracht hatte und lehnte sich neben ihn gegen eines der Wracks. „Und jetzt sag nicht, dass alles in Ordnung ist, das ist es nicht.“ Dean, der gerade Luft geholt hatte, um genau das zu sagen, atmete wieder aus und starrte auf den Boden. „Bitte Dean. Es frisst dich auf und mittlerweile solltest du doch wissen, dass du mit mir über wirklich alles reden kannst.“ „Es ist nur, ich ...“, wieder stockte der Ältere, bevor er alles auf eine Karte setzte: „Ich will sie sehen!“ Sam wusste für einen Augenblick nicht, was Dean meinte. „Ich will wissen, ob es ihnen gut geht.“ „Du fühlst dich noch immer für sie verantwortlich?“ Sam war ein Licht aufgegangen, wen Dean meinte. „Ich habe sie dahin gelockt.“ „Du weißt, dass das Quatsch ist.“ Sam blickte seinen Bruder an. „Ist es das?“ „Vom logischen Standpunkt aus betrachtet ja, rein emotional gesehen wohl eher nicht. Dean du ...“ „Jetzt fang nicht wieder damit an, dass ich eigentlich tot sein müsste“, begann Dean aufgebracht. „Du nein, der Wolf ja.“ Sam holte tief Luft. „Wenn es dir so wichtig ist, fahren wir hin. Du kannst hier eh noch nicht viel ausrichten und bis ich Antworten auf meine Bewerbungen bekomme, vergehen sicherlich auch noch Wochen.“ „Du meinst ...“ Nur langsam sickerte die Bedeutung von Sams Worten in sein Gehirn. Er begann zu stahlen. Warum hatte er sich nur solche Gedanken gemacht, wenn es doch so einfach sein konnte? „Wann willst du los?“ „Kommt darauf an, wie weit Bobby mit dem Impala ist und wie schnell ich mit unseren Waffen fertig werde.“ Dean trank den Kaffee aus und machte sich voller Tatendrang auf den Weg zu Bobby. Angefressen schüttelte Sam den Kopf. Wann hatte Dean das letzte Mal wegen ihm so gestrahlt? Und seit wann nahm Dean das Leben so schwer? War es sonst nicht immer sein Part gewesen, sich über alles und jeden Gedanken zu machen? Ihm kam eine Idee. Er wollte auch endlich mal wieder der Grund für Deans Strahlen sein! Er nahm sich das Klemmbrett von der Motorhaube und ging ins Haus, um diese Notizen in den Rechner zu übertragen. Leise betrat Dean die Werkstatt und schaute sich um. Sein Baby stand noch immer auf der Grube. Sofort machte sich das schlechte Gewissen in ihm breit. Seit sie ihm gehörte hatte nie jemand anderer als er selbst die anfallenden Reparaturen an ihr ausgeführt. Es fühlte sich komisch an, sie jetzt in anderen Händen zu wissen. Sanft ließ er seine Finger über das kalte Blech gleiten, als er nach hinten ging. Bobby beobachtete ihn mit einem Schmunzeln. Dean und sein Wagen, das war mehr als nur Besitzerstolz, mehr als nur die Liebe zu einem Fahrzeug. „Wie weit bist du?“, fragte der Winchester leise und schaffte es nicht seinen Blick zu heben.“ Es war falsch, dass Bobby allein an ihr schraubte! „Ich sollte heute fertig werden. Ist nicht mehr viel. Warum fragst du?“ „Ich … wir … Die Wölfe. Ich wollte mich verabschieden“, druckste Dean herum. Bobby nickte. Er konnte den Jungen verstehen. Immerhin hatte er einen Teil seines Lebens mit der Wölfin geteilt. „Wann wollt ihr los?“ „Wenn du heute fertig wirst, morgen oder übermorgen.“ „Okay, ich sage dir Bescheid wenn ich fertig bin.“ „Danke Bobby“ Schnell machte sich Dean wieder aus dem Staub, bevor ihn sein schlechtes Gewissen komplett überrollte. Jody fuhr auf den Hof. Sie war nicht nur körperlich müde. Diese Nacht hatte ihr mal wieder gezeigt, was das normale Leben für Schlechtigkeiten auf Lager hatte. Gut, dass es solche Nächte nicht so oft gab, denn das wäre ein Grund, sich einen anderen Beruf zu suchen. Ihr Blick fiel auf den Impala, der vor der Veranda parkte. Die Jungs wollten sich heute auf den Weg machen. Und nein, Jäger wollte sie auch nicht wirklich werden, auch wenn es interessant war. Müde rieb sie sich über das Gesicht und betrat das Haus. Feiner Kaffeeduft empfing sie und verdrängte die trübsten Gedanken. Es tat gut, nach so einer Nacht von einer Familie empfangen zu werden. Ja, inzwischen waren diese Männer zu ihrer Familie geworden. Sie mochte die Jungs genauso gerne, wie Bobby und über ihre Gefühle zu dem alten Zausel musste sie nicht länger nachdenken. Es war nicht diese große, überschwängliche Liebe der Jugend, es waren langsam wachsende Gefühle von Freundschaft, Respekt und nicht zuletzt Zuneigung, die immer noch stärker wurde. So hatte sie sich zuletzt bei Owen gefühlt. Bevor Sean bei diesem Unfall ums Leben gekommen war. Danach waren die Gefühle langsam erkaltet und irgendwann hatten sie nur noch nebeneinander her gelebt. Und gerade als sie begonnen hatten, sich endlich wieder näher zu kommen, war dieser Geist aufgetaucht. „Hey“, grüßte Sam von der Treppe aus. „Hey“ Energisch schob sie die Gedanken an die Nacht beiseite. „Ihr wollt gleich los?“, fragte sie und deutete auf die Tasche. „Ja, nach dem Frühstück.“ „Ist dein Bruder noch oben?“ „Er kümmert sich um die Waffen.“ In dem Moment kam der ältere Winchester mit einer verdächtig leeren Tasche aus dem Keller. Er brachte sie nach draußen und sortierte das Wenige in den Kofferraum. „Was habt ihr jetzt vor?“, wollte Jody während des Frühstücks wissen. „Wir wollen zum Kings-Canyon und danach?“ Dean warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. „Und da wir eh durch Las Vegas müssen, wollten wir die Casinos für ein paar Tage unsicher machen. Außerdem wollen wir nochmal zum Grand Canyon.“ „Nochmal?“ „Das ist das Schöne an so einem unsteten Leben. Wir haben die meisten Sehenswürdigkeiten des Landes schon gesehen“, erklärte Sam mit einem wehmütigen Lächeln. „Wenigstens war nicht alles schlecht“, überlegte Jody leise. „Nein, alles nicht“, bestätigte jetzt der ältere Bruder, bevor er wieder in der Betrachtung seines Kaffees versank. Gerade als er ausgetrunken hatte, schob Sam ihm ein kleines Päckchen über den Tisch. „Was ist das?“, wollte er unsicher wissen. „Mach es auf und du weißt es.“ Dean musterte das Zeitungspapier und Sam grinste. Er wusste nicht, was ihn geritten hatte, es einzupacken, aber irgendwie fand er es richtig. Noch einmal drehte Dean sein Geschenk und packte es dann schnell aus. Verwundert starrte er seinen Bruder an. „Das ist ...“ „Deins, klar. Aber du hast es so lange nicht getragen.“ Dean lächelte. Er schob sich seinen Ring wieder über den Finger und die Kette über den Kopf. Einen Augenblick wog er den Anhänger in der Hand. Seine Augen blitzten. Jetzt war er wieder Dean Winchester. Gleich darauf verabschiedeten sie sich mit einer herzlichen Umarmung voneinander. Bobby schob Sam einen Umschlag in die Hand. „Danke“, sagte der. „Du bekommst es wieder.“ „Es ist euer Geld“, wehrte der alte Jäger ab. „Ich dachte, dass hast du angelegt?“ „Habe ich auch. Das ist ein Teil der Rendite. „Ein Teil?“, fragte Sam ungläubig. Er hatte sich nie mit der Börse oder anderen Arten Geld anzulegen befasst. Warum auch. Das was sie normalerweise erspielten, ging für ihr tägliches Leben drauf. Und für das, was das Geld nicht abdeckte, mussten die gefälschten Kreditkarten herhalten. „Keine Angst, es ist noch genug da.“ „Du bist der Experte“, erklärte Sam und löste sich aus der Umarmung, um Jody ebenso herzlich zu drücken. „Pass auf den alten Sturkopf auf“, bat er sie. „Das hat mir dein Bruder auch schon aufgetragen“, lachte sie und löste sich wieder von ihm. „Kommt gesund wieder“, wandte sie sich an Beide. „Wir passen aufeinander auf“, erwiderte Dean ruhig. „Davon gehe ich aus!“, brummelte der alte Jäger. Sam lächelte. Es tat gut, dass sich jemand, der nicht Dean hieß, um ihn sorgte. Er öffnete den Kofferraum, hob die Abdeckung hoch und starrte in ein fast leeres Waffenversteck. Was war das denn? Dean wollte sich doch darum kümmern? Der Ältere startete derweil den Wagen und Sam fasste das als die Aufforderung auf, die es sein sollte. Er schlug den Kofferraumdeckel zu und lief nach vorn. „Wolltest du dich nicht um unsere Waffen kümmern?“, fragte er, während er auf den Beifahrersitz rutschte. „Wollte ich und habe ich.“ „Aber der Kofferraum ist leer?!?“ „Genau.“ Schon wieder grinste Dean. Er lenkte den Impala mit einem eleganten Schlenker des Hecks auf die Straße. „Erleuchtest du mich?“ „Wenn wir keine Waffen haben, können wir auch keinen Fall übernehmen.“ Schlagartig erhellte sich Sams Mine. Diese Logik war … „Du bist so ein Idiot!“, grinste er breit. „Trottel!“ Erleichtert ließ sich Sam gegen die Rückenlehne fallen. Wann hatte er zuletzt einfach nur die vorbeifliegende Landschaft beobachten können? Kapitel 185: Einkäufe --------------------- 185) Einkäufe Kurz vor Las Vegas steuerte Dean eine Tankstelle an. Baby hatte Hunger, und er auch. „Willst du heute hier übernachten?“, fragte Sam und deutete auf das Motel gleich nebenan. „Wenn die ein Zimmer für uns haben. In Las Vegas können wir auf dem Rückweg halten.“ „Das wäre auch die beste Gelegenheit den Grand Canyon ohne Dad zu erkunden.“ „Können wir gerne machen“, nickte Dean. Erinnerungen ohne John, oder besser noch die Erinnerungen an John damit überschreiben. Er wollte so viel wie möglich von seiner Existenz löschen, um nicht doch wieder in die Muster zu verfallen, die der angelegt hatte. Sam stieg aus und ging in den Laden. Solange sein Bruder mit dem Tanken noch nicht fertig war, hatte er Zeit sich etwas umzusehen. Der kleine Shop war genauso eingerichtet wie jeder andere auch. Viel schien hier nicht los zu sein, was aber auch verständlich war. Die große Glitzermetropole war in greifbarer Nähe. Hier hielt doch nur an, wer gar nicht anders konnte, oder Las Vegas meiden wollte. Langsam schlenderte er durch die drei Gänge, immer wieder einen Blick nach draußen werfend. Eben hängte Dean die Tankpistole ein. Er drehte sich zur Kasse um. Sein Blick streifte das kleine Stück Regal, auf den einige Plüschtiere saßen, um dann über die Getränke und Süßigkeiten zu schweifen. Er stockte. Hatte er da nicht ganz oben etwas gesehen? Noch einmal ließ er seinen Blick über das Regal schweifen. Und richtig. Oben in der Ecke bei den Plüschtieren saß ein Teddy, der zumindest farblich dem Ringo, den er in Erinnerung hatte, mehr als nur ähnlich sah. Und auch das Gesicht war bei genauerem Hinsehen gar nicht so weit vom Original entfernt. „Ist der zu verkaufen?“, fragte er den Mann hinter der Kasse und deutete auf den Bären. „Warum nicht?“ „Er sieht so aus, als ob er da schon länger sitzen würde.“ „Stimmt. Solche Bären sind schon eine Weile nicht mehr gefragt.“ „Dann nehme ich ihn mit, wenn ich das darf“, erklärte Sam und ging zu dem Regal. „Warum sollten Sie das nicht dürfen?“, wunderte sich der Mann hinter der Kasse. Sam streckte sich etwas und holte den Bären herunter. Er schüttelte ihn, klopfte den Staub aus dem Pelz und pustete noch einmal darüber bevor er ihn neben die Kasse setzte. Vielleicht sollte er ihn noch waschen? „Den und die Zwei“, sagte er und holte seine Brieftasche hervor. Während Dean draußen einstieg und zum Motel fuhr. Schnell hatte er bezahlt und den Bären in seiner Jacke verstaut. Er hoffte, ihn unbemerkt ins Zimmer schmuggeln zu können. Noch bevor er das Motel erreicht hatte, verließ sein Bruder die Rezeption. „Ganz hinten, das letzte Zimmer“, rief Dean ihm zu und stieg in den Impala, um ihn vor ihrem Zimmer zu parken. Zu dem kleinen Diner, keine hundert Meter entfernt, konnten sie laufen. Als sie nach dem Essen in ihr Zimmer zurückkamen, verschwand Dean erst einmal im Bad. Sam grinste. Besser konnte es gar nicht kommen. Er strubbelte dem Teddy noch einmal durch den Pelz, um ihn noch etwas ansehnlicher zu machen, und setzte ihn dann auf das Bett seines Bruders. Schnell rutschte er wieder auf seins und zappte gelangweilt durch die Kanäle, bis das Bad wieder frei wurde. Im Ersten Moment sah Dean gar nicht, dass sich etwas geändert hatte, doch als er sich ebenfalls auf sein Bett fallen lassen wollte, erstarrte er. „Was?“, fragte er irritiert. Wie kam der Bär denn hierher? Er stutzte. War das überhaupt der Bär? „Der sieht anders aus!“, stellte er fest und schaute fragend zu seinem Bruder. „Er sieht Ringo ähnlicher, glaube ich“, meinte Sam nur. „Hm. Aber wieso? Wo ist der andere?“ „Den hast du, dein wölfisches Du, in seine Bestandteile zerlegt. Tut mir leid!“ „Wieso, ich meine wenn ich das war? Wieso tut es dir dann leid?“ „Weil ich ihn dir gegeben habe. Ich dachte, ich könnte dich damit beruhigen“, versuchte Sam zu erklären. „Damals warst du sehr ängstlich. Du warst gerade erst zum Wolf geworden und … Es tut mir leid.“ „Wieso? Du konntest doch nichts dafür!“ „Aber ich hab ...“ „Ich hab ihn zerlegt, hast du gesagt.“ „Wenn ich ihn dir nicht gegeben hätte ...“ „Sammy, bitte hör auf. Wir drehen uns hier im Kreis und kommen zu keinem Ergebnis. Der hier ist … Danke! Und ja, er sieht Ringo wirklich ähnlicher. Danke.“ Dean nahm den Bären. Seine Gedanken gingen erneut auf Wanderschaft. Seine Finger glitten unbewusst über den Pelz. Ja, er war weicher, der ganze Bär war weicher, aber das Gesicht passte schon irgendwie. „Ist Ringo je wieder nach Hause gekommen?“, wollte Sam leise wissen. „Ja, er ...“ Dean erstarrte. „Woher?“ Sein Blick heftete sich auf Sam. „Ich hab sie gehört.“ „Wen hast du …?“ Deans Blick wurde noch ratloser. „Mom. Als du die Lungenentzündung hattest. Sie hat dir die Geschichte von Ringo erzählt, zumindest einen Teil. Wir, Bobby und ich, konnten sie nicht sehen, aber wir konnten sie hören“, erklärte Sam traurig. Warum kam sie immer nur zu Dean? War es, weil er Erinnerungen an sie hatte? Für ihn selbst war sie nur eine Fantasiegestalt, leider. Zu gerne hätte auch er sie gesehen. „Das tut mir leid“, entschuldigte sich jetzt der Ältere. Sam schüttelte traurig den Kopf. Dean konnte nichts dafür und doch tat es weh. „Ich bin nur traurig, dass ich ihr scheinbar nicht so wichtig bin.“ „Das ist nicht wahr! Sie hat dich geliebt. Sie war so glücklich als sie mir erzählt hat, dass ich ein Geschwisterchen bekomme und du hättest sie sehen sollen! Wie sie gestrahlt hat, als sie mit dir nach Hause kam. Vielleicht ...“ „Lass gut sein, Dean. Es wäre nur schön gewesen, sie auch sehen zu können.“ Dean atmete tief durch. Er konnte nichts ändern, aber er hätte sich für Sammy gewünscht, dass auch er ihre Mom kennen würde und ein paar schöne Erinnerungen an sie hätte. Vorsichtig setzte er den Teddy auf den Nachttisch und ließ sich dann auf sein Bett fallen. Bis sie in ihre Betten krochen, redeten sie kaum noch miteinander. Jeder hing seinen Gedanken nach. Es war ein trauriges Schweigen. Am nächsten Morgen fuhren sie weiter. Die Stimmung war noch immer irgendwie gedrückt. Dean wollte Sam nicht noch mehr verletzen und Sam war noch immer traurig darüber, dass Mom sich nur seinem Bruder gezeigt hatte, auch wenn er wusste, dass das eigentlich Blödsinn war. Es war früher Nachmittag, als sie Wofford Hights erreichten. „Ich denke, wir sollten uns hier mit allem Notwendigen eindecken. Viel mehr Einkaufsmöglichkeiten kommen nicht mehr“, durchbrach Sam die Stille. „Dann such ich uns mal einen Supermarkt samt Parkplatz“, antwortete Dean erleichtert. Endlich redete Sam wieder mit ihm. Dieses erzwungene Schweigen fühlte sich furchtbar an. „Hier ist ein Camping-Laden“, meldete sich Sam gleicht darauf zu Wort und zeigte auf das Hinweisschild am Straßenrand. „Brauchen wir noch was?“, wollte der Ältere wissen und setzte den Blinker. „Einen zweiten Rucksack, Moskitospray und ein paar Decken vielleicht. So bequem sind die Betten in den Hütten nicht.“ „Okay.“ Dean war es fast egal wo er schlafen würde. Sie hatten ihre Schlafsäcke eingepackt und dass es sich in denen ganz gut schlafen ließ, hatte er ja schon ausprobiert. Allerdings kannte sich Sam, was die Hütten hier anbelangte, wohl besser aus und es ging ja auch um sein Wohlbefinden. Also warum nicht noch ein paar Decken kaufen. Die konnte man immer gebrauchen. Kaum waren sie wieder auf der Straße, deutet Sam auch schon auf die andere Fahrbahnseite, wo sich ein kleiner Lebensmittelladen befand. In aller Ruhe schoben sie ihren Wagen durch die wenigen Regalreihen und deckten sie sich mit Obst und wenig schnell verderblichen Nahrungsmitteln ein. Sie packten Milch und Cornflakes in den Wagen und stapelten neben einigen Gallonen Wasser auch einige Sixpacks Bier auf die untere Ablage. Sie packten geraden ein paar Tüten Brot in den Wagen, als ein neuer Kunde den Laden betrat. „Hallo Pete“, grüßte der Mann hinter der Kasse. „Roger! Wie geht’s?“ „Mir ganz gut.“ „Aber?“ „Ich musste Marion gestern Abend ins Krankenhaus bringen.“ „Oh mein Gott. Warum das denn?“ „Sie ist von einer Klapperschlange gebissen worden!“ „Einer Klapperschlange? Hier gibt es keine ...“ „Ich weiß und doch war es eine. Ich habe sie auch gesehen. Aber als Paul heute Vormittag nach dem Vieh gesucht hat, um es wegzubringen, war keine Schlange mehr zu finden. Es ist zum verrückt werden. Ich kann Marion nicht ins Haus zurückbringen, wenn das Biest noch irgendwo lauert.“ „Hat Paul dein Haus ausgeräuchert?“ „Das will er morgen machen. Bis dahin muss ich nur noch einen Platz zum Schlafen finden.“ „Du kannst bei uns im Gartenhaus übernachten“, schlug der Ladenbesitzer vor. „Ich dachte mir, ich falle mal unserer Tochter auf den Geist. Connor würde sich freuen.“ „Das glaube ich sofort. Eine Nacht mit Opa zocken, welches Kind will das nicht.“ Roger lachte. „Oder wir fahren campen. Das haben wir schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gemacht.“ „Hm“, brummelte der Ladenbesitzer und zog etwas über den Scanner. „3,56“, verlangte er gleich darauf. „Scheint eine schwarze Woche zu sein“, meinte Pete, kaum dass er das Geld weggepackt hatte. „Wie kommst du darauf?“ „Heute Morgen ist mein Nachbar in ein Erdwespennest getreten. Der Rettungsdienst kam gerade noch rechtzeitig.“ „Ich dachte Wespenstiche sind nicht tödlich?“ „In der Menge wohl schon. Außerdem ist er allergisch auf Wespengift.“ „Oh verdammt. Na dann lass dich nicht ausrauben!“ „Ich hab 'nen Baseballschläger unter der Kasse.“ „Und der hilft gegen Schusswaffen?“, fragte Pete spöttisch. Gleich darauf hörten die Brüder die Ladentür zuschlagen. Sie schauten sich verwundert an. „Hier sollten wir nicht bleiben“, grinste Dean. „Seit wann bist du abergläubisch?“ Jetzt strahlte Dean seinen Bruder breit an. „Wenn wir das wären, wären wir wohl schon lange nicht mehr im Geschäft, oder?“ Sam schüttelte nur den Kopf und ging zum nächsten Regal. Er legte noch ein paar Salami und eingeschweißte Käsesticks in ihren Korb. „Wenn du noch mehr einkaufen willst, müssen wir uns einen zweiten Wagen mieten“, grinste Dean, so langsam befürchtete er, dass der Kofferraum seines Babys nicht genug Platz bot. „Wie lange willst du denn bleiben?“, wollte Sam nun wissen. „Ich hab keine Ahnung. Ein paar Tage? Ich denke, dass ich sie finden kann. Wenn sie allerdings weitergezogen sind, dann könnten wir Jahre nach ihnen suchen.“ „Das willst du dann aber nicht tun, oder?“ „Nein. Ich wollte zwei oder drei Plätze abklappern. Wenn sie da nicht sind, werden wir sie wohl nie finden.“ Sam nickte. Das klang vernünftig und er hoffte, dass sie sie wirklich fanden. Es wäre für seinen Bruder wichtig. Es würde ihn in dem bestätigen, was sie tun wollten. Es wäre die Gewissheit, niemanden im Stich gelassen zu haben und ohne schlechtes Gewissen aussteigen zu können. „Ich denke, wir sollten uns bei den Rangern anmelden. Jetzt werden sie wohl mehr unterwegs sein“, gab der Jüngere zu bedenken. Dean zuckte mit den Schultern. Wenn Sammy es für richtig hielt, würde er nicht widersprechen. Sie wollten rechtschaffene Bürger werden, also sollten sie auch als solche auftreten. Er grinste schon wieder. Er und rechtschaffen! Das Wort hallte in seinem Kopf wider. Augenblicklich wurde er ernst. Alistair hatte davon gesprochen, dass er rechtschaffen wäre und dass er und Sam perfekt geeignet waren. Was er nicht gesagt hatte war, wofür! Ob Anna schon etwas gefunden hatte? Wusste sie, worum es da gehen konnte? Unwirsch schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Das führte doch zu nichts, außer, dass er wieder in Melancholie versank. Sam war der plötzliche Stimmungsumschwung seines Bruders natürlich nicht entgangen. Sollte er ihn fragen? Würde er eine Antwort bekommen? „Worüber denkst du nach?“ Er konnte wohl doch nicht so schnell aus seiner Haut. Dean musterte seinen Bruder skeptisch. Sollte er es ihm sagen? Brachte es etwas, ihn auch noch mit seinen Grübeleien zu belasten? Wenn er es ihm nicht sagte, dann würde Sam auch grübeln. Verdammte Zwickmühle! „Ich hab mich gefragt, ob Anna inzwischen weiß, was Alistairs Worte bedeuten sollten.“ So einfach hätte er sich das mit dem Ändern von Gewohnheiten nicht vorgestellt. Ob das so blieb? Jetzt war es an Sam sein Gegenüber skeptisch zu mustern. „Wie kommst du denn plötzlich darauf?“ „Wenn wir rechtschaffene Leute werden wollen ...“ Das Wort „Rechtschaffen“ hatte er extra betont. Der Jüngere nickte. Daher wehte der Wind also. „Das würde mich auch interessieren. Aber denkst du, dass sie uns das sagen würde?“ „Nein, wohl eher nicht. Wenn wir es nicht selbst rausfinden … Oder wenn es zu spät ist.“ „Dann auf jeden Fall.“ Sam grinste bitter. „Ich habe auch Bobby davon erzählt. Er hat auch noch nichts gefunden, sonst hätte er sicher schon gesagt.“ „Hm“, machte Dean und schob den Wagen zur Kasse. Irgendetwas mussten diese Worte doch bedeuten. Sie zahlten und machten sich, nachdem sie alles im Kofferraum des Impalas verstaut hatten, wieder auf den Weg. Kapitel 186: Eine Bruchbude --------------------------- 186) Eine Bruchbude „Da drüben ist die Rangerstation“, sagte Sam plötzlich und deutete auf eine Einmündung weiter vorn. „Okay, dann wollen wir mal gute Staatsbürger sein.“ Dean lenkte sein Baby auf den Parkplatz. Sie stiegen aus und betraten den kleinen Raum. „Hallo“, grüßten die Brüder unisono. „Wir wollten eine der Hütten mieten, die hier überall rumstehen“, begann Sam. „Sie meinen keine Lodge?“, wollte ein Ranger wissen. „Nein. Die alten Hütten, die entlang der Straße stehen.“ „Die müssen sie nicht mieten. Eigentlich kümmert sich niemand um die Hütten. Da können wir auch keine Miete nehmen. Wir müssen sie nur darauf hinweisen, dass sie die auf eigene Gefahr beziehen.“ „Damit können wir leben“, erklärte Dean mit einem Lächeln und fragte: „Also können wir uns eine aussuchen?“ „Wäre schön, wenn wir wissen welche und sie uns sagen, wie lange sie bleiben wollen.“ Dean nickte: „Das können wir tun.“ Er schaute auf den Plan, den der Ranger auf den Tisch legte. „Die hier sieht gut aus und bleiben? Ein paar Tage, denke ich.“ „Sie wissen aber, dass sie mit dem Wagen nicht bis zur Hütte fahren können?“ „Wie nahe kommen wir dran?“ „Es geht ein schmaler Weg von der Straße ab, den sollten Sie nehmen können. Es ist ungefähr eine halbe Meile bis zu einem Platz an dem Sie Ihren Wagen stehen lassen könnten. Der ist ziemlich gut geschützt. Von da aus ist es noch eine halbe bis eine Meile bis zu der Hütte“, wandte sich der Ranger direkt an den älteren Winchester. Dean warf seinem Bruder einen Blick zu und nickte dann. „Kein Problem. Das sollten wir schaffen. Danke.“ „Also dann“, sagte der Ranger und nickte ihnen zu. „Wenn sie sich in einer Woche noch nicht zurückgemeldet haben, kommen wie nachschauen.“ „Okay. Danke!“ „Musste es unbedingt diese Hütte sein?“, fragte Sam, kaum dass sie wieder im Wagen saßen. „Musste sie.“ „Und warum?“ „Weil ich den Impala nicht wer weiß wie lange unbewacht an einer Straße stehen haben will und weil ich nicht möchte, dass wir die ganze Zeit mehr oder weniger bewacht werden.“ „Das ist es ja. Es ist zu weit von der Straße weg!“ „Hast du Angst, dass wir unsere Vorräte zu weit tragen müssen?“, stichelte Dean. „Nein es … es kam nur gerade wieder alles hoch, was das letzte Mal hier passiert war. Wir hatten uns auch eine Hütte ziemlich weit ab der Zivilisation gesucht und ich habe es mehr als einmal verflucht, dass wir dich nicht zu einem Arzt bringen konnten, ohne dir noch mehr Schmerzen zu bereiten. Es war ...“ Sam schniefte kurz. Diese Erinnerungen hatte er noch immer nicht verdaut. „Ich wollte euch nicht ...“ „Du kannst doch nichts dafür, auch wenn du dich vorgedrängt hast, denn ich hab diesen Werwolf erschossen!“; maulte der Jüngere. So ganz konnte er es ihm noch immer nicht verzeihen, dass er den vermeintlich leichteren Teil des Ganzen erwischt hatte. „Das heißt also du wolltest zum Wolf werden?“, fragte Dean ungläubig. „Du … Ach ich weiß doch auch nicht. Es war furchtbar. Die ganze Zeit war furchtbar und ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht sofort auf die Idee gekommen bin, William zu fragen. Es hätte dir Schmerzen und mir jede Menge Frust erspart.“ „Sammy! Du …“ Dean schüttelte den Kopf. Wie sollte er seinem Bruder diese Schuldgefühle ausreden? Ja, er hatte sich vorgedrängt. Irgendwie war ihm diese Zigeunerin komisch vorgekommen und er wollte nicht, dass Sam etwas passierte. „Sie war komisch. Ich wollte nicht, dass dir was passiert“, erklärte er dann auch geradeheraus. „Du würdest also immer noch dein Leben für meins geben?“, wollte Sam laut ausatmend wissen. „Ich glaube, das kann ich nicht so schnell ablegen. Und ganz ehrlich? Ich weiß nicht mal, ob ich das je ablegen will.“ Er schaute seinen kleinen Bruder ernst an. „Das heißt also, wenn ich will dass es dir gut geht, muss ich darauf achten, dass mir nichts passiert?“ „So könnte man es beschreiben.“ „Na toll. Jetzt hab ich den schwarzen Peter.“ Sam verdrehte die Augen. Dean grinste: „Keine Angst Sammy, ich pass auf dich auf.“ Sam schnaufte nur. Das war ein Teufelskreis! Dean setzte den Blinker und bog in den Waldweg ab. „Ach du heiliger ...“, entfuhr es Sam, als er die Hütte von Nahmen sah. Lange würde die wohl nicht mehr stehen und hier wollte Dean …? „Willst du wirklich hier bleiben?“ „Warum nicht?“ Dean rüttelte an einem der tiefhängenden Dachbalken. „Die wird uns nicht über´m Kopf zusammenbrechen. Außerdem sind wir eh die meiste Zeit draußen.“ Sam schüttelte nur den Kopf. War sein Bruder so anspruchslos, abgebrüht, auf die Wölfe fixiert, dass ihm das hier egal war? Misstrauisch umrundete er die Hütte. Die Fenster waren vernagelt und die Tür hing etwas windschief in den Angeln, so dass er sich dagegenstemmen musste, um sie zu öffnen. Der Innenraum sah auch nicht wirklich vertrauenerweckend aus. Die ganze Einrichtung bestand aus einem gemauerten Kohleherd, der an einer Wand stand. Es gab weder einen Tisch noch Stühle und an einigen Stellen schien Licht durch das Dach. Mit einem leisen Seufzen rüttelte er hier und da an den Balken. Sie schienen besser zu sein, als sie aussahen. Diese Woche würde das Dach wohl nicht über ihnen zusammenbrechen, zumindest hoffte er, dass sie das nicht taten! Er holte noch einmal tief Luft. Sie würden es überleben! Schnell hatten sie ihre Sachen verstaut und machten sich noch einmal auf den Weg, um auch noch den Rest zu holen und den Impala zu tarnen. Er stand zwar abseits der Straße, aber so wie sie poliert war, konnte ein verirrter Sonnenstrahl sie vielleicht doch verraten. Erst dann richteten sie sich in der Hütte ein wenig häuslich ein. „Wie hast du dir das morgen gedacht?“, fragte Sam. Sie saßen vor dem Herd auf ihren Schlafsäcken, die dampfenden Kaffeebecher in den Händen. „Ich will vor'm Morgengrauen los. Es gibt drei oder vier Plätze, an denen sie sein könnten.“ „Und wenn du sie gefunden hast?“ „Das sehen wir dann.“ Dean trank seinen Kaffee aus. Er stellte die Tasse auf den Rand des Herdes, kroch in seinen Schlafsack und rollte sich zusammen. Sam betrachtete seinen Bruder noch eine ganze Weile im Licht des Feuers, das in dem offenen Herd langsam herunterbrannte, bevor er es mit den Resten seines Kaffees löschte und ebenfalls in seinen Schlafsack kroch. Dean hatte sich verändert, aber er konnte nirgendwo mit dem Finger draufzeigen. Aber er nahm sich vor, weiter auf ihn zu achten, bevor er endlich auch einschlief. Leise Geräusche weckten ihn wieder. Vorsichtig blinzelnd öffnete er ein Auge. Das Feuer glomm im Herd. Ein Schatten huschte hin und her und hin und wieder klapperte leise Geschirr. Hatte er das Feuer nicht richtig gelöscht? War ein Tier in ihre Hütte eingebrochen? So langsam wie möglich versuchte er seinen Kopf zu drehen, um einen Blick auf die Quelle der Geräusche zu erhaschen. „Wenn du schon wach bist, kannst du auch aufstehen“, erklärte Dean leise. Sam zuckte zusammen. „Woher …?“ „Du hast dich angespannt, das tust du nicht, nicht so lange du schläfst.“ Sam schüttelte den Kopf und setzte sich auf. Worauf sein Bruder so alles achtete! Das war schon fast gruselig. Er gähnte. „Tut mir leid, dass ich dich geweckt hab“, entschuldigte sich der Ältere leise. „Du hättest noch schlafen können.“ „Schon okay. Ich bin nur verwundert, dass du schon wach bist.“ „Hatte doch gesagt, dass ich früh los wollte.“ „Trotzdem kommst du selten so zeitig freiwillig aus dem Bett. Es muss dir sehr wichtig sein.“ „Sam, ich hab ...“ „Es ist okay, Dean! Wirklich“, wiegelte der Jüngere ab. Er wollte nicht reden, denn er wollte nicht hören, wie wichtig Dean die Wölfe waren. Er wollte nicht zugeben, wie eifersüchtig er auf diese Tiere war, immerhin hatte er bis dahin Deans komplette Aufmerksamkeit gehabt und jetzt musste er sie teilen. Das fühlte sich komisch an. Früher hatte er es gehasst so in Deans Fokus zu sein und jetzt nervte es ihn, dass es nicht mehr so war. Das musste er erst verdauen! Er schälte sich aus seinem Schlafsack und zog sich an, bevor er nach draußen ging, um sich am Brunnen zu waschen. „Ist das kalt“, schimpfte er keuchend, kaum dass er den Raum wieder betreten hatte. Er stellte sich neben den Herd und hielt die Hände ans Feuer. „Das hättest du einfacher haben können“, grinste Dean und zeigte auf den Kessel, der neben dem Feuer stand. „Du hast schon Wasser heiß gemacht?“, stellte Sam fest und schnaufte. „Ich wollte dir einen heißen Kaffee bieten, wenn ich schon nicht mit einem leckeren Frühstück aufwarten kann.“ „Och, Cornflakes und Milch reichen mir schon“, lächelte Sam. „Das war mir fast klar. Du und deine Cornflakes. Woher kommt das eigentlich, dass du die so liebst.“ „Warum liebst du Burger?“ „Weil ich da alles habe. Brötchen, etwas Grünfutter, Fleisch und Käse.“ „Aber warum dann kein Steak?“ „Weil das teurer ist.“ Die Erkenntnis traf Sam wie ein Schlag. Selbst bei seinem Lieblingsessen schaute sein Bruder noch darauf möglichst wenig zu verursachen, seien es nun Kosten oder Unannehmlichkeiten. Immer wieder ordnete Dean sich anderen unter, stellte sich hinten an. Selbst als Kind hatte er schon Mom getröstet als Dad sie verlassen hatte. Warum nur? War Dean wirklich so selbstlos oder hatte da jemand seine Finger im Spiel. Sollte sein Bruder so sein? Hatte ihn jemand genau so erschaffen? Eiskalt lief es ihm bei diesen Gedanken den Rücken herunter. Alistairs Worte drängten sich ihm auf. Ein rechtschaffener Mann. Dean war den Worten des Dämons zufolge ein rechtschaffener Mann und er sollte in der Hölle landen. Was wollten sie dort von ihm? „Sammy?“ Dean klang besorgt. Was war nur passiert? Sam war gerade total blass geworden. Er legte seinem kleinen Bruder die Hand auf die Schulter. „Was?“, erschrocken fuhr der Jüngere auf. „Das frage ich dich. Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen. Obwohl das ja nichts Neues und schon gar nichts, um so blass zu werden wäre.“ „Nein, ich ...“ Verzweifelt suchte Sam nach einer plausiblen Antwort. Auf keinen Fall wollte er jetzt in die gleiche Kerbe schlagen, die Dean gestern angesprochen hatte. „Irgendwie sind die Erinnerungen an unseren letzten Aufenthalt hier präsenter als ich erwartet hatte“, erklärte er leise und hoffte, dass sein Bruder ihm das abkaufte. „Tut mir leid, Sammy.“ Damit musste er wohl leben. Sam bekam bei Deans betroffenem Gesichtsausdruck ein schlechtes Gewissen. Das hatte er mit seiner Notlüge nun auch nicht gewollt. Verdammt! Für seinen Bruder schien es einfacher sich zu ändern, als für ihn. Daran musste er noch arbeiten! Sie frühstückten in einträchtigem Schweigen und machten sich dann auf ihre Wanderung. Kapitel 187: Fährtensuche ------------------------- 187) Fährtensuche Die Sonne hatte ihren Zenit inzwischen schon eine Weile überschritten. Sam trabte etwas lustlos hinter Dean her und fragte sich, wieso sein Bruder noch so fit war, schließlich war seine Lungenentzündung noch nicht so lange her! Drei oder vier Plätze hatte Dean gesagt, drei oder vier! Vier hatten sie inzwischen abgelaufen und Dean ging noch immer guter Laune weiter. Nicht dass er ihm den Optimismus nicht gönnte, aber wo wollte er noch suchen? Er hatte doch gesagt, dass er sie nie finden würde, wenn er an den drei oder vier Plätzen nicht waren! In diesem Augenblick blieb Dean stehen. Er schaute sich um und ging dann in die Hocke. Wie ein erfahrener Spurenleser untersuchte er eine Stelle und schaute sich wieder um. Sam ließ sich leise ächzend an einen Baumstamm gelehnt auf den Boden fallen und versuchte das Pochen in seinen Schuhen zu ignorieren. Er holte eine Wasserflasche aus seinem Rucksack und trank ausgiebig, bevor er die Flasche an seinen Bruder weiterreichte. „Und?“ „Sie sind noch nicht lange weg.“ „Und jetzt?“ Dean trank einen großen Schluck. „Gehn wir weiter.“ „Drei oder vier Plätze“, grübelte Sam leise. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass sein Bruder nicht eher Ruhe geben würde, bis er sie gefunden hatte. „Das hier ist der Zweite.“ „Der zweite Zweite. Oder eher der zweieinhalbte Zweite!“ Dean grinste. Er trank noch einen Schluck und packte die Flasche dann in seinen Rucksack. „Der Erste war eher ein Notlager. Wir haben es ein paar Mal benutzt als wir gerade erst hier angekommen waren. Es bot wenig Schutz. Die Jungen wären viel zu schnell zu sehen gewesen und wir hatten kaum Sicht. Außerdem war die Richtung des Windes von da aus nicht wirklich zuzuordnen. Es lag einfach auf dem Weg, genau wie das vorhin. Das bot zwar mehr Schutz, war aber zu weit von den Pfaden der Beute weg.“ Sam lehnte sich überlegend an den Stamm. Worauf ein Wolf so alles achtete. „Soll ich dir noch was abnehmen?“, wollte der Ältere wissen und hielt ihm die Hand hin. „Geht schon“, erklärte Sam. Irgendwie kratzte ihn diese Frage an der Ehre. Die dargebotene Hand nahm er jedoch dankbar an und ließ sich auf die Füße ziehen. Angespannt näherte sich Dean dem letzten, ihm bekannten, Lagerplatz seiner Wolfsfamilie. Ob sie hier waren? Die Frage war, was wenn nicht. Er wollte sie so gerne wiedersehen, wollte sich überzeugen, dass es ihnen gut ging, aber wenn sie hier auch nicht waren, dann wusste er nicht weiter. Sie hätten überall sein können. Sie konnten ihr Revier verlegt haben. Er wäre nicht in der Lage, sie dann noch zu finden. Dass sie den Lagerplatz an dem sie zuvor vorbeigekommen waren, benutzt hatten, hieß nicht, dass sie nicht von da aus losgezogen waren. Sam sah die Anspannung seines Bruders, doch er konnte ihm nicht helfen. Wie auch. Wie sollte er ein Wolfsrudel finden, dass selbst der nicht finden konnte, der mit ihm gelebt hatte? Dean bedeutete seinem Bruder hier zu bleiben und begann einen großen Bogen zu schlagen. Wenn sie hier waren, wollte er sie durch nichts dazu veranlassen, diesen Platz zu verlassen. Wenn? Sie mussten einfach hier sein! Die Hälfte des Bogens hatte er abgeschritten, als sich seine Mine aufhellte. Sie waren hier! Diese Spur war von letzter Nacht und sie führte zum Bau hin. Erleichtert hielt er inne, atmete tief durch und beendete seine Runde, nicht dass sie doch noch auf der anderen Seite verschwunden waren. Wenn Sam es nicht schon an Deans Haltung gesehen hätte, dass das Rudel hier Erfolg war, das strahlende Lächeln seines Bruders zeigte es ebenfalls. „Sie sind da. Lass uns verschwinden!“ Jetzt verstand Sam gar nichts mehr! „Was? Wieso?“ „Schrei doch noch lauter“, grummelte der Ältere ungehalten. „Und wieso? Ich wollte wissen wo sie sind und morgen wiederkommen. Jetzt schlafen sie eh.“ Er zog Sam wieder auf die Füße und machte sich auf den Rückweg, der zum Glück nicht einmal annähernd so lang war, wie der Jüngere befürchtet hatte. Dean hatte sie im Kreis geführt und dafür war er ihm mehr als dankbar. Hundemüde und mit lahmen Beinen ließ sich Sam auf seinen Schlafsack fallen, kaum dass er durch die Tür gestolpert war. Er war zu einem Couchpotato mutiert und das fraß mächtig an seiner Selbstachtung. Seine Füße brannten und sein Rücken schmerzte. Dabei war er mal so stolz auf seine Ausdauer gewesen. „Keinen Meter mehr“, stöhnte er während er versuchte sich seine Schuhe von den Füßen zu streifen. „Dann ruh dich aus“, sagte Dean, der gerade mit einem Arm voll Holz in die Hütte kam. Er hockte sich vor den Herd und entfachte das Feuer. „Wieso bist du noch so fit?“ Sam wünschte sich ein kühlendes Fußbad. „Wir sind doch nur gewandert“, erklärte Dean ganz selbstverständlich. „Gewandert? Seit wir klein waren und uns Dad durch die Wälder gescheucht hat, bin ich keine so weite Strecke mehr „gewandert“, wie du es so schön nennst.“ Der ältere Winchester legte den Kopf schief und musterte seinen Bruder eine Weile überlegend. „Schon komisch. Ich bin als Wolf jeden Tag meistens noch weiter gelaufen. Es hat mir nie etwas ausgemacht, obwohl ich als Mensch eigentlich nur ungern längere Strecken gelaufen bin. Und du, der du in meinen Augen immer ein Frischluftfanatiker warst, bist jetzt so müde. Warum?“ „Ich hab wohl einfach zu lange in staubigen Archiven gesessen“, überlegte Sam leise. „Willst du´s erzählen?“, fragte Dean leise. Er hatte schon wieder ein schlechtes Gewissen, dass er sich in der ganzen Zeit, in der er schon wieder Mensch war, nicht wirklich dafür interessiert hatte. „Heute nicht. Ich fürchte, ich schlafe bei der Hälfte ein.“ „Ist wirklich alles mit dir in Ordnung?“, wollte der Ältere besorgt wissen, seinen Blick forschend auf den kleinen Bruder gerichtet. „Ich bin wirklich okay, Dean“, versicherte der, „bin nur so lange Wanderungen nicht mehr gewohnt. Und mir tun die Füße weh.“ Dean nickte zwar, jedoch konnte Sam an seiner Mine ablesen, dass er noch immer nicht beruhigt war. „Und nichts mehr vorher essen?“, fragte Dean misstrauisch. „Mein Magen hängt in den Kniekehlen! Jetzt sag nicht, dass du dieses Mal keinen Hunger hast!?!“ Der Ältere grinste nur und holte zwei Dosen aus seinem Rucksack, die er öffnete und ins Feuer stellte, bevor er noch einmal darin zu kramen begann. Schnell zauberte er Salami und Toastbrot hervor und begann das so gut wie möglich zu einem Abendessen zu arrangieren. „Fehlen nur noch Marshmallows“, überlegte er, während der Tost am Rand des Feuers langsam Farbe annahm. „Oder Stockbrot“, stimmt Sam zu. „Das sollten wir uns für den Sommer merken, bei Bobby hinterm Haus. Er und Jody sind bestimmt dabei. Oder für deinen Geburtstag.“ Sam hatte schon einige unschöne Geburtstage begehen müssen, das wollte er ihn möglichst schnell vergessen lassen. „Klingt gut“, gähnte Sam. „Das Essen braucht noch etwas“, erklärte Dean besorgt. So müde hatte er seinen Bruder schon lange nicht mehr erlebt. Obwohl schon lange auch falsch war. Eigentlich war Sam noch nie so fertig gewesen, wenn er gesund war. „Geht schon noch“, lenkte Sam ein. Er konnte nur zu gut in Deans Gesicht lesen, dass der sich Sorgen machte und das wollte er nicht. „Mir tun eigentlich nur die Füße weh.“ „Bist du dir sicher, dass es nicht mehr ist?“, bohrte Dean nach. „Es ist nicht mehr.“ Sam setzte sich auf. „Ich würde nur gerne meine Füße in kaltes Wasser halten.“ „Das soll helfen?“ fragte der Ältere nur wenig beruhigt. Er musterte seinen Bruder eindringlich, zuckte dann mit den Schultern und rührte in den beiden Dosen. „Morgen sollten wir mal was anderes essen“, überlegte er. Er hatte zwar als Kind meistens von solchem Essen gelebt, aber das musste er ja nicht wiederholen. Lecker war nämlich etwas anderes. Nach dem Essen verkroch sich Sam in seinen Schlafsack und ließ sich in Morpheus Arme fallen. Dean löschte das Feuer, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es seinem Bruder wirklich gut ging und der ruhig schlief und kroch ebenfalls in seinen Schlafsack. Eine Weile schaute er Sam noch beim Schlafen zu. Früher, als sie Kinder waren, hatte er das oft getan, da Sammy immer wieder Albträume hatte. Zum Glück hatten die sich irgendwann gelegt. Begleitet von dessen ruhigen Atemzügen schlief auch er ein. Ein paar Stunden später war er wieder wach. Er streckte sich, entfachte das Feuer etwas und musterte seinen Bruder noch einmal aufmerksam. Nicht dass er ihn geweckt hatte, denn der konnte ruhig noch ein paar Stunden schlafen. Jetzt wo er wusste, wo sein Rudel war, mussten sie nicht mehr so zeitig los. Als er sich sicher war, dass der Jüngere fest schlief, nahm er seine Jacke und schlich zur Tür. Im Hinausgehen griff er nach der Armbrust und machte sich auf den Weg das Vorhaben, das er im Stillen gefasst hatte, in die Tat umzusetzen. Es war eine sternenklare Nacht, so dass er seine Umgebung gut erkennen konnte. Ohne dieses Licht wäre es ihm wohl schwer gefallen. Als Wolf konnte er hervorragend im Dunkel sehen, als Mensch hatte er damit so seine Probleme, auch wenn seine Augen wohl besser mit Dunkelheit umgehen konnten, als die vieler anderer, die nur die nächtliche Beleuchtung der Städte kannten. Dean fand eine Lichtung an deren Rand ein kleiner Bach über runde Steine murmelte. Er lief noch ein ganzes Stück bachabwärts, um da ein paar Schlucke zu trinken. Er wollte seine Anwesenheit nicht sofort verraten. Zurück an der Lichtung ließ er sich im Schatten einer alten Kiefer nieder. Er schloss die Augen und lauschte. Der Wind strich durch die Zweige und ließ das alte Laub der umstehenden Bäume rascheln. Er hörte Eichhörnchen und die ersten Vögel zwitschernd den Tag begrüßen. Langsam löste der die Nacht ab. Die Sterne verblassten. Und dann waren da die leichten Tritte von Rehen. Dean schaute sich, die Augen unter seinen langen Wimpern verborgen, vorsichtig um. Zwei junge Rehböcke traten ihm gegenüber auf die Lichtung. Ängstlich witterten sie, doch der Jäger saß auf der von ihnen abgewandten Seite des Windes und war für sie so unsichtbar. Sie beruhigten sich und begannen zu trinken. Wie in Zeitlupe griff Dean nach seiner Waffe, spannte sie und legte den Pfeil ein. Er zielte kurz und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Lautlos brach der junge Bock zusammen, während sein Begleiter panisch in die Büsche sprang. Kurz hatte Dean überlegt, ob er den auch noch schießen sollte, sich aber dagegen entschieden. Wenn sie den einen Bock annahmen, konnte er ihnen später noch einen mitbringen. Hier wimmelte es von Wild. Er verwischte seine Spuren und brachte den Bock zu einer Stelle, an der sie auf dem Weg zur Höhle vorbeikommen würden. Dort hängte er ihn über die unteren Äste eines Baumes. Nicht dass sich andere an diesem Festbraten vergriffen. Mit einem Arm voll Holz betrat er die kleine Hütte, in der Sam sich gerade aufsetzte. „Wo warst du?“, murmelte der jüngere Winchester verschlafen. „Holz holen.“ „Christo!“ Dean erstarrte. Sofort sprang Sam auf und versuchte zu seinem Rucksack zu kommen, verhedderte sich jedoch derart in seinem Schlafsack, dass er höchst unelegant zu Boden ging. Dean konnte nicht mehr an sich halten. Er ließ das Holz fallen und ging prustend in die Knie. „Ein Telemark sieht aber anders aus“, japste er. „Du bist so ein dämlicher Idiot!“ „Und du ein Trottel!“ Er hielt Sam die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. „Wieso bist du schon wach?“, wollte der auch gleich wissen, kaum dass er wieder stand. „Du hast nur einfach länger geschlafen, weil du gestern so fertig warst?“ „Es ist gerade mal kurz nach acht!“ „Alter Langschläfer!“, grummelte Dean gutmütig. Doch Sam ließ sich damit nicht abspeisen und schaute ihn weiterhin auffordernd an. „Vielleicht hab ich noch den Rhythmus des Wolfes drin?“, versuchte er sich in einer Erklärung, die der Jüngere wohl oder übel schluckte. So ganz wollte er das einfach nicht glauben, da sein Bruder noch nie freiwillig zeitig aufgestanden war. Doch er fand auch keine andere Erklärung für sein Verhalten. Besessen war er jedenfalls nicht. Zumindest von keinem Dämon. Er benahm sich einfach nur nicht so Dean-typisch, wie er das erwartet hatte. „Wann willst du los?“, wechselte er deshalb das Thema. Irgendwie wunderte er sich jetzt doch, dass sein Bruder nicht drängelte. „Wenn du fertig bist und wir gefrühstückt haben.“ „Okay“ Kapitel 188: Win verlockendes Geschenk -------------------------------------- 188) Ein verlockendes Geschenk Den breiten Rücken seines Bruders vor sich musste Sam nicht so sehr darauf achten, wohin er trat und so hatte er Zeit, sich in Gedanken mit den Veränderungen zu befassen, die sein Bruder anscheinend durchgemacht hatte. Lag es wirklich nur an der Umgebung? War er durch seine Zeit als Wolf zum Frühaufsteher geworden? Würde er das bleiben? Hatte er sich sonst noch verändert? Er kam zu keinem Ergebnis, außer zu dem, dass er Dean wohl noch eine Weile länger beobachten musste, um sich ein Urteil zu diesen und anderen Fragen bilden zu können. Gerade als er soweit mit sich ins Reine gekommen war, blieb der, über den er hier nachdachte, unverwandt stehen, und er hatte Mühe nicht in ihn hinein zu laufen. Noch größer wurden seine Augen allerdings als er sah, wie Dean an einem Baumstamm ein Stück hinaufkletterte. Sams Blick folgte der Richtung. Auf dem Baum hing ein Rehbock! Wie kam der denn ... „Du warst nicht nur zum Holz holen draußen“, platzte es aus ihm hervor. „War ich nicht“, stimmte ihm der Ältere zu und ließ den Rehbock neben ihm auf den Boden plumpsen. „Du warst jagen und willst den Rehbock den Wölfen bringen.“ „Das Geschenk lässt uns hoffentlich in ihre Nähe und macht uns so interessant, dass sie nicht sofort die Flucht ergreifen“,nickte Dean. „Du denkst sie verschwinden, sobald sie uns wittern?“ „Ich denke, dass sie verschwinden, bevor wir sie zu Gesicht bekommen, ja. Ich würde es tun.“ „Du meinst du als Wolf?“ „Dean nickte. Sam wusste nicht so recht, was er von diesen Aussagen halten sollte. Letztendlich musste er sie so hinnehmen und hoffen, dass Dean wirklich nur aus Erfahrung sprach und nicht wieder zum Wolf wurde. Hatten sie wirklich alles getan, um ihn menschlich bleiben zu lassen? Unruhe erfasste sein Inneres. „Du bist aber okay, oder?“, fragte er leise. „Warum sollte ich nicht …?“, begann Dean und brach ab. Ihm war der Sinn von Sams Frage aufgegangen. Sein kleiner Bruder machte sich Sorgen dass er wieder abglitt. So wie mit der Kälte, die ihn vor etwas mehr als einem Jahr fast umgebracht hätte. „Du traust Amaruq nicht, oder?“ „Nein, nicht wirklich. Ich meine, ich bin ihm mehr als dankbar dass er uns den Weg gezeigt hat, dich wieder zu einem Menschen zu machen und das er dabei geholfen hat, dass du es auch wirklich wurdest, aber er hat schon einmal versucht dich umzubringen.“ „Mir geht’s gut, Sammy und ich verspreche, dir Bescheid zu sagen, sollte ich eine Veränderung spüren.“ Sam nickte, auch wenn er nicht wirklich beruhigt war. Aber hier musste und wollte er seinem Bruder vertrauen. „Und wie willst ...“, begann er und brach ab, als er sah wie Dean den Rehbock schulterte. Er griff nach ihrem Rucksack, warf ihn sich über die Schulter und fragte: „Soll ich nicht besser mit anfassen?“ „So schwer ist der nicht“, wiegelte Dean ab und machte sich auf den Weg. Hin und wieder rückte der Ältere das Tier auf seinen Schultern zurecht. Sams Hilfe lehnte er aber ein um das andere Mal ab und das nicht um sich keine Blöße zu geben, sondern aus einem ganz anderen Grund wie er Sam bei einer kurzen Rast mitteilte. „Ich will so wenig wie möglich menschlichen Geruch an dem Tier haben.“ Fragend schaute der Jüngere ihn an. „Sie ist den Menschen immer aus dem Weg gegangen, noch mehr als ich. Ich vermute, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben muss. Nein, eigentlich weiß ich dass es so ist. Sie hat Welpen und keinen Partner. Ein Wolf würde seine Familie nicht freiwillig im Stich lassen. Ihr Partner wurde also entweder bei einem Kampf tödlich verletzt oder von Menschen umgebracht.“ Wieder machte sich in Sam die Angst breit, dass sein Bruder den Wolf in sich doch noch nicht vollständig aufgegeben hatte. Doch dann kam ihm etwas anderes in den Sinn und er musste ganz gegen seinen Willen lächeln. „Was?“, fragte Dean irritiert. „William hat dich vor gut einem Jahr als einsamen Wolf bezeichnet. Gut, einsam warst du in dem Sinne nie, aber je mehr du von einem Wolf erzählst, umso mehr erkenne ich dich darin.“ Dean schüttelte den Kopf. So ganz konnte er seinem Bruder gerade nicht folgen. „Du sagtest gerade, dass ein Wolf seine Familie nie grundlos im Stich lassen würde. Du auch nicht. Du würdest auch alles für sie tun. Du tust alles für deine Familie. Egal welche. Und dafür bewundere ich dich“, gab Sam unumwunden zu. ‚Und ich habe Angst, dass dich das hier irgendwann zerreißt. Wie weit geht die Sorge um die Wölfe. Warum sorgst du dich überhaupt um sie. Die Jungen sollten doch schon ziemlich groß sein und sie kam auch vorher ohne dich klar!‘, grübelte er ohne jedoch auch nur ein Wort davon auszusprechen. Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht, bevor er sich abrupt umwandte, den Rehbock wieder aufnahm und weiterging. Sam atmete tief durch. Das war mal wieder ein Lob, mit dem sein Bruder noch immer nicht gelernt hatte umzugehen. Ob das jemals passieren würde? Kurz bevor sie die Höhle, in der Dean seine Wölfe vermutete, erreichten, wies er Sam einen Platz unter einem Baum in der Nähe zu. Der Wind strich an der Höhle vorbei, bevor er auf Sam traf und er hoffte, dass er sie so nicht noch mehr ängstigte, als er es mit ihrer Anwesenheit eh schon tat. Er war ein Mensch. Eigentlich war es eher unwahrscheinlich, dass sie sich ihm zeigen würden und doch hoffte er darauf. Er legte den Rehbock etwas abseits neben die Höhle, so dass sie ihn riechen konnten. Dann ging er zu einem Baum, der ein paar Meter neben den Eingang wuchs und deren Vorplatz Schatten spendete. An den Stamm gelehnt ließ er sich nieder, die Beine leicht gespreizt ausgestreckt, und wartete. Die Zeit verstrich und Dean schalt sich in Gedanken immer lauter einen Idioten. Sie würden nicht rauskommen. Er war ein Fremder und noch schlimmer: ein Mensch. Nicht für zehn Rehböcke würde sie sich ihm zeigen und ihre Kinder schon gar nicht. Und doch war da ein Funken Hoffnung, der nicht verlöschen wollte. Ein leises, beruhigendes Grollen stieg in seiner Brust auf. Ob für sich oder für seine Wölfe wollte er nicht ergründen. Sam versuchte so ruhig wie möglich unter seinem Baum zu verharren. Er wusste, wie viel es Dean bedeutete, aber auch wie winzig die Chance war, die Wölfe wirklich zu Gesicht zu bekommen. Er lauschte der Natur und bewunderte das Spiel von Licht und Schatten. Hin und wieder versuchte er so geräuschlos wie möglich eine bequemere Sitzposition zu finden. Die Zeit verstrich quälend langsam. Gerade als Sam sich sicher war, dass sie hier vergeblich warteten und er aufstehen und zu seinem Bruder gehen wollte, zeigte sich im Höhleneingang eine dunkle Nasenspitze. Er hielt den Atem an. Würde sie herauskommen? Auch Dean erstarrte regelrecht und das obwohl er auch so schon reglos dagesessen hatte. Die Nase bewegte sich, schnüffelte und zog sich wieder zurück. Dean Herz machte einen Sprung und begann schneller zu schlagen. Ein freudiges Strahlen überzog sein Gesicht, als er zu Sam blickte und auch Sam lächelte. Der Rehbock war ein wirklich gutes Lockmittel, denn schon wenig später erschien die Nase wieder im Höhleneingang und dieses Mal schob sie sich ein ganzes Stück weiter nach draußen. Witternd blickte sie sich um, immer bereit sofort wieder in den Tiefen des Baus zu verschwinden. Es war nicht nur der Geruch von frischem Fleisch, der sie aus ihrer Sicherheit lockte, es war dieser eine Ton, dieses beruhigende Grollen, das sie an etwas erinnerte, an Etwas, das sich gut angefühlt hatte. Immer weiter kam sie hervor und war doch jeden Augenblick auf einen Angriff gefasst. Ihre Ohren spielten und ihre Nase witterte in alle Richtungen, während sie sich langsam weiter an die Quelle des beruhigenden Grollens heranarbeitete. Endlich stand sie vor Dean. Ihre Schnauze berührte seine Wange während sie ihn ausgiebig untersuchte. Der Geruch kam ihr irgendwie bekannt vor, genau wie das Grollen. Von diesem Wesen ging keine Gefahr aus, beschloss sie. Sie gab ein leises „Ruff“ von sich und wandte sich dann dem Rehbock zu, um auch den ausgiebig zu untersuchen. Sam hatte inzwischen sein Handy hervorgeholt und filmte was das Zeug hielt. Er wollte seinem Bruder so viele Erinnerungen wie möglich bildlich festhalten. Der Rehbock war in Ordnung. Sie blaffte leise und begann den Kadaver aufzubrechen. Nach und nach kamen fünf Jungwölfe aus der Höhle. Sie musterten den Winchester argwöhnisch und wandten sich dann, einer nach dem anderen, ihrer Mutter und dem Fressen zu. Als sie endlich von der Beute abließen, war von dem Rehbock nicht mehr viel zu erkennen und Sam wunderte sich, wie viel so ein Wolf doch vertilgen konnte. Bei dem Gedanken nistete sich augenblicklich ein Lächeln auf seinem Gesicht ein. Wieder etwas, das Dean mit einem Wolf gemein hatte. Die Familie leckte sich die Schnauzen und während die Fähe sich über der Höhle in die Sonne legte, sich ausgiebig putzte und dann in der Sonne zu dösen begann, waren die Jungwölfe eindeutig auf Abenteuer aus. Sie jagten sich und sobald einer den andere eingeholt hatte, begann eine kurze Balgerei. Dabei näherten sie sich dem älteren Winchester, wie unbeabsichtigt, immer mehr. Und dann stolperte der Erste über seine Beine. Dean hob die Hand und der Jungwolf, es war der älteste und neugierigste des Wurfes, strich mit der Flanke an den Fingern entlang. Erschrocken starrten sich Wolf und Mensch in die Augen, bis der Jungwolf sich schüttelte. Er erhob sich auf die Hinterpfoten, um gleich darauf mit den Vorderpfoten auf Deans Bein zu landen. Spielerisch biss er dem Winchester ins Bein und in seine Jacke. Schüttelte sie und begann Ärmel und Hände zu untersuchen. Vielleicht gab es da ja noch den ein oder anderen Leckerbissen? Immerhin roch der Mensch nach jeder Menge Futter. Dean strahlte breit und versuchte die Attacken so gut es ging abzuwehren. Gegen den einen Jungwolf gelang es ihm ja noch halbwegs, als jedoch auch die anderen fanden, dass das ein tolles neues Spiel war, unterlag der Mensch haushoch. Und doch gab es in diesem Augenblick nichts Schöneres für Dean, als unter einem Haufen Jungwölfe begraben zu werden. Sam war sich nicht sicher, was er angesichts dieses Überfalls tun sollte. Brauchte Dean Hilfe? Sein Bruder war vollkommen unter den schwanzwedelnden Körpern der Jungwölfe begraben und doch klang es für ihn nicht so, als ginge es ihm wirklich schlecht, oder konnte Wölfe lautlos töten? Mit Sicherheit. Doch noch sprangen die Jungen immer wieder weg, um sich von neuem in das Knäuel zu stürzen. Nein. Er würde weiter hier bleiben und filmen und knipsen was das Zeug hielt. Dean würde sich melden, wenn es ihm zu viel wurde. Da war er sich sicher. Plötzlich hörte er einen Ton, den er so gar nicht zuordnen konnte. Kam er von Dean? Kam er von der Wölfin, der das Spiel ihrer Jungen zu wild geworden war? Die Jungwölfe reagierten sofort und ließen von ihrem neuen Spielgefährten ab. Zwei von ihnen trotteten zu ihrer Mutter und ließen sich neben ihr fallen. Der, der mit dem Spiel angefangen hatte, legte sich neben Dean und die anderen Beiden rollten sich auf halbem Weg zwischen Dean und ihrer Mutter zusammen. Dean setzte sich leise ächzend wieder auf. Die Welpen hatten ihm ganz schön zugesetzt, aber nichts, was nicht in ein paar Tagen wieder heilen würde. Um nichts hätte er dieses Spiel unterbrochen, doch ihre Mutter schien es anders zu sehen. Sie hatte den Warnlaut ausgestoßen, der die Jungen sofort veranlasste aufzuhören. Irgendwie bedauerte er es, und doch war er auch froh dass sie aufgehört hatten. Er suchte Sams Blick. 'Mir geht’s gut.' 'Sieht nicht so aus', antwortete der Jüngere wortlos. 'Wenn dann nur äußerlich.' Sam nickte. So ganz war er davon nicht überzeugt, aber wenn sein Bruder es so sagte ... 'Und jetzt?' 'Ich würde gerne noch bleiben.' Vielleicht schaffte er es ja auch dass sie Sammy akzeptierten? 'Okay' Der Jüngere nickte. Kapitel 189: Angriff -------------------- 189) Angriff Dean ließ sich wieder gegen den Baumstamm fallen und legte eine Hand vorsichtig an die Seite „seines“ Wolfes, nicht dass er ihn mit der ungewohnten Berührung vertrieb! Gemeinsam genossen sie, dösend, die Ruhe und die Strahlen der Sonne, die sie ab und an streiften. Irgendwann erhob sich die Wölfin. Sie streckte sich, gähnte und sprang von ihrem Aussichtsplatz. 'Schade' dachte Dean, denn jetzt hieß es wohl Abschied nehmen, doch die Jungen machten keine Anstalten sich bewegen zu wollen, während ihre Mutter in der Höhle verschwand, und der Winchester entspannte sich wieder. Die Zeit verging unbemerkt, bis sich die fünf Jungen wie auf ein geheimes Zeichen hin erhoben und vier von ihnen in der Höhle verschwanden. Der Jungwolf, der bei Dean gelegen hatte, steckte sich ausgiebig, gähnte und wandte sich dann dem Menschen zu. Er rückte ganz dicht an Deans Gesicht heran und schnupperte kurz. Dann drückte er ihm die feuchte Nase gegen die Schläfe, schnaufte kurz und wandte sich ab, um als Letzter in der Höhle zu verschwinden. Dean blieb noch einen Augenblick mit einem dümmlichen Grinsen im Gesicht sitzen, bevor er sich soweit gesammelt hatte, dass er diese ganzen Eindrücke vorerst abschütteln konnte. Er erhob sich. Zeitgleich stand auch Sam auf, streckte sich und schob sein Handy zurück in die Hosentasche. Dean lief zu seinem Bruder. „Das … ich ...“, stammelte er bei dem Versuch, seine Gefühle irgendwie in Worte zu fassen. Es gelang ihm nicht mal ansatzweise und so fiel er seinem Bruder um den Hals. Er musste dieses Glück einfach teilen. Für zwei Sekunden erstarrte Sam, dann schlang er seine Arme um seinen Bruder und erwiderte diese Umarmung herzlich. Dass sie vom Eingang der Höhle aus beobachtet wurden, bekam keiner der Brüder mit. „Willst du ihnen morgen wieder einen Rehbock mitbringen?“, fragte Sam auf dem Weg zurück. Für ihn stand unumstößlich fest, dass sie morgen nicht abreisen würden. „Nein, ich wollte es mal ohne Bestechung versuchen“, bestätigte der Ältere Sams Annahme unbewusst. Auf dem ganzen Rückweg zur Hütte wollte er schreien, singen, tanzen, die ganze Welt umarmen vor Glück, doch er verschloss das Gefühl ganz tief in sich und hoffte, es in weniger guten Zeiten wieder hervorkramen zu können. Wie hätte er hier auch mit Sam tanzen sollen? Sein Bruder würde ihn einweisen lassen, bei dem Ansinnen. Als sie bei der Hütte ankamen, war er noch immer vollkommen überdreht. Er holte Wasser für Kaffee, kramte in ihren Vorräten, um irgendwie ein Menü zusammenstellen zu können, dass dem Tag entsprach und fand nichts, was auch nur annähernd genügen konnte. Er holte Holz und machte Sam mit seiner Rastlosigkeit wahnsinnig. „Dean!“, forderte der Jüngere und vertrat ihm den Weg. Er umfasste dessen Schultern und hielt ihn fest. „Du benimmst dich wie eine Braut vor ihrer Hochzeitsnacht!“ „Woher weißt du wie sich eine Braut vor ihrer Hochzeitsnacht fühlt“, ein Grinsen huschte über Deans Gesicht, „Samantha?“ „Ich war mit Jess auf einer Hochzeit“, überging Sam den letzten Einwurf. „Die Braut führte sich auf wie du, Deana.“ Der Ältere stutzte, grinste und schlug gleich darauf seinem Bruder lachend gegen den Oberarm. „Gut gekontert, Alter.“ Sam strahlte. Deans gute Laune hielt hoffentlich noch eine ganze Weile. „Und warum scheuchst du hier jetzt durch die Gegend?“ „Ich meine so ein Tag … Das was heute passiert ist … Ich ...“ Dean stieß die Luft aus seinen Lungen und ließ die Schultern hängen. „Sowas müsste man feiern. Aber wir haben nichts hier!“ „Wir könnten essen fahren“, überlegte Sam. „So spät ist es noch nicht.“ „Eine Stunde hin, eine zurück, im besten Fall, wäre noch nicht mal das Problem, aber schau uns an. So lässt uns niemand in ein Restaurant.“ „Dann holen wir das nach, wenn wir wieder in der Zivilisation sind“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. „Ich würde aber gerne jetzt mit dir feiern!“, schmollte der Ältere. „Dann lass mich mal schauen“, erwiderte Sam kryptisch und begann in ihren Vorräten zu kramen. Eine Stunde später saßen sie bei Dosenravioli, die Sam mit Salami, frischer Paprika und Croutons aus Toastbrot aufgepeppt hatte. Sie stießen mit ihren Bierflaschen an. „Wie hast du?“, fragte Dean leise. „Als Student lernst du aus wenig etwas zu machen.“ „Dann war dein Studium ja doch nicht ganz umsonst“, grinste der Ältere. Sam knuffte ihn gegen die Schulter, doch das konnte seine übersprudelnde Laune auch nicht trüben. Selbst Sams Behandlung der Wunden, die die Jungwölfe ihm beigebracht hatten, nicht. Bester Laune machten sie sich am nächsten Tag wieder auf den Weg zu Deans Zweitfamilie. Sam hatte die Bilder und Filme vom Vortag auf seinen Laptop gespielt. Nicht dass ihm im schönsten Moment der Speicherplatz ausging. Bei der Höhle angekommen wollte Sam sich wieder auf den Platz setzen, den er schon am Vortag innegehabt hatte, doch Dean hielt ihn auf und deutete auf einen Platz keine drei Meter von seinem entfernt. Er wollte versuchen Sam als Freund zu integrieren. Vielleicht klappte es ja? Sam war sich nicht so sicher, dass das was sein Bruder vorzuhaben schien auch wirklich funktionieren würde. Aber Dean kannte seine Wölfe besser als er und so genoss er die wärmenden Strahlen der Sonne, die durch das junge Laub der Bäume noch bis auf den Boden fallen konnten. Die Wölfin ließ nicht lange auf sich warten. Vorsichtig witternd erschien sie im Höhleneingang, erstarrte aber, kaum dass sie den fremden Menschen gewahr wurde. Sie zog sich wieder tiefer in die Sicherheit ihrer Behausung zurück. Dean versuchte sie mit einem beruhigenden Grollen davon zu überzeugen, dass ihr und den Jungen von dieser Seite keine Gefahr drohte. Sie regte sich nicht. Dean war kurz davor aufzugeben und die Idee, Sam etwas mehr in die Wolfsgemeinschaft einbinden zu wollen, als unausführbar abzuhaken, als sie doch noch aus der Höhle kam und zuerst ihn und dann auch Sam intensiv untersuchte. Erst danach gab sie ihre Zustimmung, dass auch die Jungen die Höhle verlassen durften. Viel zu lange hatten die auf diese Erlaubnis warten müssen und so tobten sie sich erst einmal richtig aus, bevor sie sich wie auf ein geheimes Zeichen hin auf Dean stürzten. Wieder schaffte es der Winchester nur Minuten dem Ansturm standzuhalten und wieder ließ er sich auf die Seite fallen, um den Jungwölfen weniger Angriffsfläche zu bieten, doch irgendetwas war anders. Die Angriffe eines Wolfes wurden immer heftiger und gingen immer gezielter gegen Deans Hals und seine Kehle und egal wie eng sich der Winchester auch zusammenrollte, die scharfen Zähne fanden immer wieder einen Punkt, an dem sie schmerzhaft zupacken konnten und nicht nur einmal konnte er ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken. Sam überlegte fieberhaft, wie er seinem Bruder helfen konnte. Einerseits wollte er die Wölfe nicht beunruhigen, andererseits konnte er aber auch nicht zulassen, dass Dean verletzt wurde. Gerade als er aufstehen wollte, erhob sich die Wölfin und gab einen warnenden Lauf von sich. Vier Jungwölfe ließen fast sofort von Dean ab und trollten sich mit eingezogenen Schwänzen bis zur Höhle, wo sie sich hechelnd niederließen. Nur der aggressivste Jungwolf wollte nicht aufhören. Er versuchte weiter Deans Kehle zu fassen zu bekommen. Die Wölfin knurrte noch einmal drohend und als ihr Junges wieder nicht reagierte, packte sie ihn am Nacken und zerrte ihn von Dean weg. Sie schüttelte ihn heftig und knurrte wieder drohend, nachdem sie ihn endlich losgelassen hatte und der Jungwolf sich mit eingeklemmter Rute zu einem weiter entfernten Platz trollte, wo er sich niederließ und sich erst einmal heftig zu putzen begann. Sam sprang auf, als die Wölfin ihren Welpen von Dean zerrte und lief zu seinem Bruder. Vorsichtig legte er ihm die Hand auf die Schulter. „Dean?“ Der Ältere versuchte sich noch enger zusammenzurollen. „Dean?“, fragte Sam besorgt. „Bin okay“, krächzte der jetzt endlich, ließ sich ächzend auf den Rücken fallen und versuchte die Schmerzen in Armen, Beinen und seinem Hals zu ignorieren. „Du siehst aber nicht so aus!“ „Wahrscheinlich bin ich das auch nicht“, gab er leise zu und stemmte sich ächzend in die Höhe. „Aber ich werd es wieder sein.“ „Was war das?“, wollte Sam noch immer beunruhigt wissen. Dean schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie das Spiel so ausarten konnte. „Er war schon immer aggressiver, aber so hat er sich nie gehen lassen“, versuchte er Sam zu erklären. „Und was heißt das für uns? Sollten wir nicht besser verschwinden, bevor noch mehr passiert? Ich meine ich will nicht, dass du hier noch schwerer verletzt wirst!“ „Das will ich auch nicht, Sammy. Lass mir ein paar Minuten, um das alles zu sortieren.“ Widerstrebend nickte Sam und ließ sich neben Dean nieder. Er würde nicht noch einmal von der Ferne zuschauen, wie sein Bruder misshandelt wurde. Misstrauisch ließ er seinen Blick über die Wölfe schweifen. Genau wie der Ältere, der gleichzeitig noch eine innere Bestandsaufnahme mache. Was tat ihm weh? Wo hatte der Jungwolf ihn verletzt und wie schwer? Die Wölfin tapste ein wenig steifbeinig zu Dean zurück und stupste ihn mit ihrer Nase gegen seine Wange. Dabei gab sie ein leises Schnaufen von sich. Vorsichtig begann sie die Kratzer an seiner Hand zu lecken. Dean japste überrascht und Sam hielt angespannt die Luft an. Wurde das ein weiterer Überfall? „Is ja gut“, wehrte sich der ältere Winchester, als die Zunge seinem Gesicht immer näher kam. Er schob die Wölfin etwas von sich weg und begann abwesend ihren Hals zu kraulen. Sam wusste noch immer nicht, was er von dem Ganzen halten sollte. Da die Wölfe jedoch keine Feindseligkeiten mehr auszustrahlen schienen und auch Dean sich zusehends beruhigte, ließ seine Anspannung ebenfalls nach. Sie legte sich neben Deans Bein und ließ ihren Kopf auf seinem Oberschenkel ruhen. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Liebkosungen. Allerdings konnte Sam die Ruhe nicht lange genießen. Schon bald begannen die Jungwölfe die beiden Menschen neugierig zu umkreisen. Alarmiert schaute er zu Dean. Doch der saß entspannt da und kraulte der Wölfin den Hals. „Dean?“, fragte Sam leise. „Sie sind neugierig und wollen wissen, was du für einer bist. Lass sie schnuppern. Sie werden dir nichts tun, solange du ruhig bist.“ „Und wenn sie nicht mehr freundlich sind?“ So ganz traute der Jüngere dem Braten nicht. Schließlich hätten sie Dean fast tot gebissen. „Dann ändert sich ihr Verhalten. Sie zeigen ihre Zähne und legen die Ohren an. Eigentlich sehen sie dann aus wie ein drohender Hund.“ „Okay“, gab Sam zurück. Er beobachtete die Wölfe weiterhin misstrauisch, versuchte sich aber zu entspannen. Ein paar Mal stupsten die Jungwölfen Sams Arm oder Bein an und nahmen schnaufend seinen Geruch auf. Doch schon bald ließen sie sich wieder im Schatten der Bäume nieder und dösten. Ruhe legte sich über die Lichtung vor der Wolfshöhle. Irgendwann erhob sich die Wölfin. Sie schüttelte sich, dehnte ihre Muskeln und gähnte. Dean erschrak. Er war fast eingeschlafen. Still rief er sich zur Ordnung. Er hockte hier draußen mit Wölfen! Auch wenn sie mal seine Familie gewesen waren, so hatte ihm der Angriff am Vormittag doch wohl mehr als deutlich gezeigt, dass sie noch immer wilde Raubtieren waren! Allerdings war der Angriff auch der Grund dafür, dass sein Körper sich diese Auszeit genommen hatte. Die Wölfin schaute noch einmal zu den Menschen und verschwand in der Höhle. Kapitel 190: Weitere Geschenke ------------------------------ 190) Weitere Geschenke Dean drehte sich zu seinem Bruder um. Sein Blick traf Sams und er konnte die Frage darin lesen. Er zuckte mit den Schultern. „Ein paar Minuten noch?“ Sam nickte und lehnte sich wieder an den Stamm in seinem Rücken. Die Wölfin kam zurück und … Deans erstarrte. Im Maul trug sie einen Welpen. Sie trabte zu ihm und legte ihm das Bündel Leben in den Schoß. Der Winchester japste erschrocken. Was passierte hier? Forschend beobachtete ihn die Mutter. Konnte sie ihrem Gefühl trauen? Lange stand sie da. Unschlüssig, ob sie den Welpen bei dem Menschen lassen konnte oder ihn besser wieder in die Höhle brachte. Der Kleine blieb nicht still auf Deans Bauch liegen. Unsicher richtete er sich auf dem nachgiebigen Untergrund auf. „Hey“, begrüßte Dean ihn leise, nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte. Der Kleine legte den Kopf etwas schief und lauschte den unbekannten Tönen. Dean hob die Hand und begann ihn vorsichtig zu streicheln. Dem Welpen stand der Sinn allerdings weniger nach Liebkosungen, wo hier doch so viele neue Gerüche darauf warteten erforscht zu werden. Er schob seine Nase in Deans Ärmel, schnaufte geräuschvoll und zog sie, da er hier ja nicht weiter kam, wieder heraus. Er wandte sich zur Seite und kroch immer tiefer in die Jacke zwischen Arm und Hüfte. Gerade noch rechtzeitig schob Dean seine Hand unter den Bauch des Welpen, bevor der ins Leere trat und abstürzte. Er hob ihn auf und brachte ihn so wieder ans Licht. Der Kleine schnaufte und nieste und setzte seine Wanderung, unbeeindruckt davon, dass er an einer ganz anderen Stelle war, fort und wanderte Deans Bein entlang. Trotz seiner viel zu großen Pfoten landete er bei jedem zweiten Schritt auf der Nase, weil er zwischen Deans Beine rutschte. Und wieder folgte der Winchester ihm mit seiner Hand, um einen Komplettabsturz verhindern zu können. Bei seinen Knien angekommen, griff er wieder ein und setzte den Welpen zurück auf seinen Bauch. Dem Kleinen passte die Unterbrechung seiner Erkundungen gar nicht und er knurrte wütend, was bei ihm allerdings eher niedlich als furchteinflößend war. Sam gab ein amüsiertes Geräusch von sich, das seinen Bruder dazu veranlasste, kurz zu ihm zu schauen. Auch er grinste breit. Der Welpe war einfach nur goldig. Sam hielt wieder sein Handy in der Hand und filmte. Mit dem Kinn deutete er auf Deans Bauch. Der Ältere wandte sich wieder dem Welpen zu. Gerade rechtzeitig, um dabei zusehen zu können, wie der Kleine sich schon wieder auf Erkundungstour begab. Dieses Mal wollte er das Gesicht des Menschen untersuchen. Er stemmte seine Hinterpfoten in Deans Bauch und erklomm mit seinen Vorderpfoten dessen Brust. Beim Hals angekommen, streckte er sich noch etwas weiter, machte den Hals so lang er nur konnte und verlor das Gleichgewicht. Mit einem erschrockenen Fiepen landete er auf dem Rücken und ruderte mit seinen Pfötchen in der Luft, um sich wieder auf den Bauch drehen zu können. Dean half nach. Seine Finger kamen der kleinen Schnauze zu nahe und schon schnappte der Welpe danach. Die spitzen Zähnchen bohrten sich in seinen Finger. Kurz keuchte der Winchester. Doch der Kleine hatte zum Glück noch lange nicht die Beißkraft eines ausgewachsenen Wolfes. So ließ es sich ganz gut aushalten. Etwas wehmütig schaute er zu Sam, der, als er zahnte, auch seine Finger als Beißring missbraucht hatte. Der Welpe trat in Deans Bauch. Er kaute und nuckelte an Deans Finger und wurde dabei immer ruhiger. Die Wölfin war ein paar Mal unruhig aufgestanden, als ihr Junges missmutig quietschte, hatte sich jedoch immer wieder schnell beruhigt. Der Mensch war gut zu ihrem Jungen. Sie erhob sich und verschwand in der Höhle. Sam rutschte etwas näher an seinen Bruder heran und streckte vorsichtig eine Hand aus, um den Kleinen auch einmal zu streicheln. Sanft fuhr er mit den Fingern über das weiche Fell. „Wie alt schätzt du ihn?“, wollte er leise wissen. „Vier, vielleicht fünf Wochen.“ „Und wie lange ist die Tragzeit bei Wölfen?“, stieß er in ein Horn, das Dean zwanghaft vermieden hatte, seit die Wölfin mit dem Kleinen angekommen war. „Ich bin ein Mensch!“, erklärte er etwas atemlos. „Und du warst ein Wolf.“ Dean nickte: „Ja, war ich.“ „Ein Wolf im besten Mannesalter“, bohrte Sam noch tiefer in der Wunde. Dean nickte nur mit einer schmerzverzerrten Mine. Natürlich hatte er sich mit ihr gepaart. Er war ein Wolf. In diesem Leben hatte es keinen Platz für Vernunft. Alles war instinktgesteuert! Und ja! Er war auf eine schwer zu beschreibende Art glücklich Vater zu sein. Waren das doch wohl die einzigen Kinder, die er je haben würde, sollte ihr Leben so weitergehen wie bisher. Aber selbst wenn sie wirklich ausstiegen, konnte er es zulassen, eine Frau, Familie in sein Leben zu lassen ohne zu klären, was Alistair eventuell mit ihm vorgehabt hatte? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Hätte, wäre, wenn. Sollte er sein Leben wirklich davon beherrschen lassen? „Und wenn es meiner wäre?“, fragte er und schaute Sam offen in die Augen. „Keine Ahnung? Was willst du mit ihm tun, sollte es so sein?“ „Was soll ich denn deiner Meinung nach mit ihm, mit ihnen“, korrigierte er sich mitten im Satz als er die Wölfin mit einem zweiten Welpen aus der Höhle kommen sah, „machen?“ „Keine Ahnung, es sind deine.“ „Es sind Welpen Sam! Zu klein, um sie von ihrer Mutter zu trennen und außerdem frei geboren und das sollen sie bleiben. Meine hin oder her!“, erklärte der ältere Winchester entschieden. „Oder willst du dein Leben hier im Wald verbringen?“ „Ich? Mein Leben, wieso? Was habe ich denn damit zu tun?“ „Du bist mein Bruder! So wie die Kleinen zu ihrer Mutter gehören, so gehöre ich zu dir. Um mein Leben mit ihnen zu teilen, müsste ich hierbleiben. Logische Schlussfolgerung – du auch.“ „Dean, ich … wir … „ Sam atmete tief durch. Er wusste nicht so recht was er darauf sagen sollte. In den letzten Wochen, seit Dean wieder ein Mensch war, hatte er auf so ein klares Bekenntnis zu seinem menschlichen Leben und zu seiner, ihrer Familie gewünscht. Das jetzt zu hören, damit fiel ihm ein riesiger Fall vom Herzen. „Du hast Recht. Sie gehören hier her und ich will ein normales Leben leben, mit dir.“ „Dann haben wir das Thema ja jetzt abgearbeitet“, erklärte Dean und wandte sich den insgesamt fünf Jungen zu. Sie schienen nicht das erst Mal draußen zu sein, dafür bewegten sie sich schon zu sicher, waren aber für längere Ausflüge noch viel zu tapsig. Neugierig untersuchten sie alles, was ihnen vor die Nase kam. Holzstücke und Steine wurden benagt, Moos gekostet und eine Wurzel, die vom Regen freigespült worden war, erklommen. Immer wieder stolperten sie über ihre viel zu großen Pfoten oder purzelten von der Wurzel und immer war Deans Hand da, um sie aufzufangen. Die Wölfin beobachtete dieses Treiben eine Weile und entschied, dass die Menschen ihren Welpen nichts tun würden. Sie blaffte leise. Zwei Jungwölfe, darunter der, der Dean so aggressiv angegriffen hatte, erhoben sich und folgten ihr, als sie sich abwandte und in den Wald trabte. Die anderen drei Jährlinge blieben reglos wo sie waren. Die Sonne wanderte langsam über den Himmel. Sam und Dean wurden mehr oder minder erfolgreich von den Kleinen erklommen, ausgiebig beschnuppert und benagt. Es dauerte, bis sich vier von ihnen einer nach dem anderen zusammenrollten und einschliefen. Nur der fünfte schien nicht müde zu werden. Wieder und wieder startete er knurrend Angriffe auf Sams Schuh. Er biss in die Schuhspitze und kaute immer wieder an den Bändern. Lachend schob Sam ihn ein um das andere Mal weg. Es ließ den Kleinen nur noch energischer angreifen. Knurrend packte er einen Schnürsenkel, schüttelte ihn heftig und zerrte daran. Die Schleife an Sams Schuh löste sich und der Kleine purzelte auf dem Rücken. Sam bemühte sich die Kamera trotz seines Lachanfalls ruhig zu halten, doch er bezweifelte, dass es ihm gelang. Dean versuchte den wild strampelnden Welpen wieder auf die Beine zu stellen. Er erntete einen wütend knurrenden Angriff gegen das Bündchen seines Jackenärmels. „Du wirst mal ein ganz großer Jäger“, erklärte Dean grinsend und versuchte seinen Ärmel aus den Fängen dieses jetzt noch gar nicht großen Jägers zu befreien, indem er seinen Arm hob. Der Welpe ließ nicht los. Im Gegenteil er schüttelte den Kopf noch heftiger. Aber da er jetzt keinen Boden mehr unter den Füßen hatte, pendelte er wie wild an Deans Arm. Der Winchester fasste zu. Nicht dass der Kleine sich nicht mehr halten konnte und sich bei der Landung auf dem Boden weh tat. Vorsichtig löste er die kleinen, spitzen Zähnchen und setzte ihn ins Gras. Der Welpe griff noch ein paar Mal Sams Schnürsenkel und den Saum von dessen Hose an, bevor er auch endlich müde wurde und sich an seine Geschwister kuschelte, um zu schlafen. Jetzt hatten auch die Winchesters Ruhe und dösten in der wärmenden Sonne, genau wie die Jungwölfe. Plötzlich schlug Sam seinem Bruder den Arm vor die Brust. Augenblicklich war der Ältere wach. „Was?“, fragte er etwas atemlos. Mit dem Kinn deutete Sam in Richtung Wald. Deans Blick folgte dieser Richtung. Erleichterung machte sich in seinem Inneren breit. Auch wenn er eigentlich nie daran gezweifelt hatte, das Bild, das sich ihm bot, zerstreute endgültig alle Zweifel. Die Wölfin kam mit den beiden Jungwölfen von ihrem Jagdausflug zurück. Alle drei trugen ein totes Kaninchen im Fang, die sie etwas abseits der Höhle fallen ließen. Sofort stürzten sich die drei zurück gebliebenen Jungwölfe auf das Futter. Die Wölfin trat an die Menschen heran. Sie musterte ihre Welpen und schaute Dean dann in die Augen. Erst als der den Blick senkte wandte sie sich ab. Sie packte einen der Kleinen am Genick und schaffte ihn zurück in die Höhle. Als auch die Jungwölfe in der Höhle verschwunden waren erhob sich Dean. Etwas steifbeinig löste er sich vom Baum und half Sam auf die Beine. Der starrte seinen Bruder eine Weile an und schüttelte dann den Kopf. „Was?“, wollte der Ältere wissen. „Das … Es … Es sah eben fast so aus als hätte sie dir etwas gesagt.“ „Das nicht“, begann Dean zögerlich. „Aber?“ „Diese Jagd war für mich. Sie sollte mir zeigen dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass sie alleine klar kommen.“ „Sie weiß wer du bist?“ „Nicht in dem Sinne wie du oder ich es wissen. Aber ja, ich denke schon, dass sie es weiß. Sie hätte uns sonst nie in die Nähe ihrer Jungen gelassen.“ Sam nickte, auch wenn er die wirkliche Tragweite dieser Aussage wohl nie ganz verstehen würde. Wie sollte er auch. Dass sein Bruder ein Wolf, war hatte er hautnah erlebt und doch würde er es nie ganz begreifen können. Wie konnte ein Mensch ein echter Wolf werden? Das war Magie, mit der er nie wieder etwas zu tun haben wollte. „Lass uns zur Hütte zurückgehen. Die Audienz ist für heute beendet“, erklärte Dean heiser und verließ die Lichtung. Auf dem Rückweg zur Hütte hingen beide, jeder für sich, in Gedanken dem eben noch Erlebten nach. Sam freute sich, dass sie jetzt wohl bald in ein neues Leben aufbrachen und Dean war zwischen der Freude darüber, dass sie lebten und ohne Probleme klar kamen und der Trauer darüber, dass sie ihn nicht brauchten, hin und her gerissen und es war egal, wie oft er sich wegen dieser Trauer einen ausgemachten Idioten schimpfte. Er war es doch, der genau das gewollt hatte. An dieser Trauer gab es allerdings noch eine andere Seite. Eine Frau und Kinder. Das war es, was er sich ganz tief in seinem Inneren wünschte, wovon er jedoch nie zu träumen gewagt hatte. Hier war es wahr geworden. Es war seine Familie und er würde sie sich selbst überlassen. Auch wenn er wusste dass es nicht so war, er fühlte sich wie ein Verräter. Kapitel 191: Eine Entscheidung ------------------------------ 191) Eine Entscheidung Erleichtert atmete Dean auf, als sie bei der Hütte ankamen, konnte er sich hier doch wenigstens etwas ablenken. Er entfachte das Feuer im Herd, um ihnen Kaffee kochen zu können. Sam packte den eingeschweißten Kuchen aus und verteilte ihn auf den Papptellern. „Willst du morgen wieder hin?“, fragte er. Er schob sein Handy in den Rucksack. Es hatte kaum noch Strom und auch der Akku seines Laptops war inzwischen fast leer. Das Überspielen der Bilder würde er erst im Motel machen können. „Keine Ahnung. Ich hab gesehen, was ich sehen wollte. Sie kommen ohne mich klar“, erwiderte er betrübt. Sam schloss die Augen und nickte. Das war offensichtlich gewesen. Beides! Also eins nach dem anderen. „Willst du morgen wieder hin?“ „Ich weiß nicht“, entgegnete der Ältere leise. Er wusste es wirklich nicht. Ja, er wollte wieder hin. Er wäre gerne Teil ihres Lebens, doch das ging nicht, wenn er nicht als Einsiedler in diesen Wäldern enden wollte. Also würde er sich mit jedem Besuch nur selbst weh tun. Außerdem würde er sie nur behindern. „Willst du das Leben, das auf dich wartet gegen ein Leben wie in der Steinzeit tauschen?“, versuchte Sam ihn zu einer Entscheidung zu drängen. „Steinzeit?“ Irritiert schaute Dean auf. „Wenn du mit ihnen ziehen willst, müsstest du wie ein Steinzeitmensch leben. Im Wald zu schlafen mag ja im Sommer nur unbequem sein, im Winter stelle ich es mir fast unmöglich vor. Du könntest aber auch Biologie studieren und dann die Wölfe offiziell erforschen. Käme letztendlich aber wohl auf das Selbe heraus.“ „Ich will sie nicht studieren!“ „Aber so würdest du für das Leben bei ihnen vielleicht wenigstens etwas Geld kriegen.“ „Ich will nicht bei ihnen leben und vermarkten will ich sie schon gleich gar nicht.“ „Warum bist du dann so angepisst?“ „Ich bin nicht angepisst!“ „Dann eben niedergeschlagen.“ Dean atmete tief durch. Er nahm den Filter von der Kaffeetasse, leerte ihn, füllte ihn erneut und machte sich daran die zweite Tasse aufzubrühen. Erst als er Sam den fertigen Kaffee reichte, antwortete er: „Es ist einfach nur … Sie sind wahrscheinlich die einzige eigene Familie, die ich je haben werde.“ Sam schloss die Augen. Daher wehte der Wind. „Das weißt du doch gar nicht. Wieso sollte da draußen keine Familie auf dich warten?“ „Mit Alistairs Worten als Damoklesschwert über mir?“ „Willst du dir von einem Dämon dein Leben diktieren lassen?“ „Haben wir das nicht schon?“ „Und deshalb müssen wir das auch weiterhin tun? Wir wollten aussteigen, schon vergessen?“ So langsam wurde Sam wütend. Sie drehten sich irgendwie im Kreis. „Ja, aber kann ich ihm Frau und Kinder zum Frauß vorwerfen oder mich durch sie angreifbar machen?“ „Dann musst du ja nicht weiter darüber nachdenken, aussteigen zu wollen.“ „Aber du willst unser altes Leben hinter dir lassen!“ „Es geht um DEIN Leben, Dean.“ „DU bist mein Leben, Sammy. Es ging und geht für mich immer zuerst um dich.“ „Ich bin erwachsen und sollte selbst auf mich aufpassen. Meinst du nicht, dass du jetzt anfangen solltest auch mal an dich zu denken?“ „Aber ich hab doch nur dich“, platzte der Ältere schon fast verzweifelt hervor. „Das wird sich ändern, glaub mir. Du wirst Freunde finden und Kollegen und irgendwann auch eine Frau.“ „Und worüber soll ich mit denen reden? Über das Monster der Woche?“ „Auch das wird sich ergeben.“ „Du hast gut reden. Du wirst damit ja auch keine Probleme haben!“ „So sicher wie du denkst, bin ich mir auch nicht, aber ich denke, wenn wir einen Schritt nach dem anderen tun, sollten wir es schaffen.“ Skeptisch musterte Dean seinen kleinen Bruder. Ja er wollte aussteigen, aber er hatte auch Angst davor es nicht zu schaffen. Sein ganzes Leben lang hatte er gejagt, das konnte er im Schlaf. „Okay?“, versuchte er sich selbst etwas Optimismus zuzusprechen. Er atmete tief durch und wandte sich wieder seinem Kaffee zu. Schnell hatte er den Filter beiseite gestellt und sich mit seiner Tasse zu Sam gesetzt. Sein Blick fiel auf die beiden Teller. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Du willst nicht mehr von dem Kuchen?“ „Nee, lass mal. Das Stück reicht mir vollkommen.“ „Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Dean während er das erste Stückchen auf seinem Teller aufspießte, um es sich in den Mund zu schieben. „Kommt darauf an was du vor hast.“ „Wie, was ich vor habe?“ Dean schaute etwas dümmlich aus seiner Wäsche. „Naja, willst du morgen wieder zu den Wölfen?“ „Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es echt nicht. Aber du könntest mir erst mal erzählen, wie du mich gefunden und was du in der Zwischenzeit gemacht hast.“ „Du bist verdammt hartnäckig! Willst du das wirklich wissen?“ Sam wusste nur zu gut, dass er sich in der Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. „Es geht um dich, da will ich alles wissen!“ Dean schob sich das nächste Stück Kuchen in den Mund. Sam trank noch einen Schluck Kaffee und begann zu erzählen. Er ließ nichts aus, nicht den Streit mit Bobby, nicht seine Erkältung und nicht die Tage in Campbells Keller. Er erzählte, dass er sich wieder mit Bobby versöhnt hatte und von den vielen Archiven, in denen er eine Spur des Phönix‘ gesucht hatte. Schweigend lauschte Dean bis sein kleiner Bruder geendet hatte. Er musste immer wieder schlucken und sein schlechtes Gewissen blähte sich auf wie ein Heißluftballon. „Kannst du dich an die Zeit als Wolf erinnern? So richtig meine ich?“, wollte Sam leise wissen. Viel zu gut sah er, was in Deans Kopf vor sich ging. Dean nickte nur. Die Zeit war unbeschwert. Als Mensch würde er sich als glücklich beschreiben. Konnte er das wirklich werden? Er stand auf, streckte sich und schaute aus dem Fenster. Inzwischen war es dunkel geworden. „Hast du noch Hunger?“, wollte er heiser wissen und sammelte ihr Geschirr ein. „Haben wir denn noch was?“ „Eine Dose Ravioli, etwas Salami, trockenes Brot und eine Dose Bohnen mit Fleisch.“ „Klingt super“, erwiderte der Jüngere und verdrehte die Augen. „Also, Hunger?“ „Nein, aber wenn wir das jetzt nicht essen, dann wohl nie. Lass es uns vernichten.“ „Brot und Salami könnten wir draußen verfüttern und für den Rest würde sich wohl auch jemand finden. Hier kommt nichts um“, sagte Dean. Er wog die Dosen in seinen Händen und hoffte, dass Sam es irgendwie essen wollte. So konnte er sich immerhin beschäftigen. „So dicke haben wir es auch nicht.“ „Okay, dann stürzen wir uns mal drauf.“ Schnell hatte der Ältere die Dosen geöffnet und auf den Herd gestellt. „Ich hole noch Holz“, erklärte er und verschwand nach draußen, während Sam Salamibrote machte und sie auf einem Teller verteilte. Das Essen verlief ruhig. Jeder hing seinen Erinnerungen nach. „Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Sam, als sie gemeinsam aufräumten. „Keine Ahnung!“, begann Dean und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich möchte sie nochmal besuchen und ich möchte sie nie wiedersehen. Ich … Vielleicht weiß ich morgen mehr.“ Er schaute unsicher zu Sam. Konnte der sein Gestammel überhaupt deuten? „Kannst es dir ja auch morgen früh noch überlegen oder willst du ganz früh hier weg?“ „Nein, das wohl nicht.“ Sam nickte und da es sonst nichts mehr zu tun gab, begann er sich für die Nacht fertig zu machen. Dean folgte seinem Beispiel und so lagen sie schon bald in ihren Schlafsäcken, Obwohl er wie immer fast sofort eingeschlafen war, fand Dean in dieser Nacht keine Ruhe. Seine Gedanken kreisten um die Wölfe, um Sam und um das Leben, das mit dem Morgengrauen beginnen sollte. Sollte es doch, oder? So ganz konnte er sich das nicht vorstellen. Würden sie nur noch Fälle lösen, die ihnen direkt vor die Füße fielen oder würden sie nie wieder einen Fall anfassen? Konnten sie das? Was wollte er jetzt mit seinem Leben anfangen? Was für einen Beruf ergreifen? Wie sollte es überhaupt weitergehen? Stand diese Frage überhaupt zur Debatte? Sam hatte so viel auf sich genommen, um ihn wieder zu einem Menschen zu machen, da war es doch wohl nur recht und billig, wenn er jetzt das Seine dazu tat, damit Sammy endlich ein normales Leben leben konnte. Und doch blieb die Angst davor, die Unsicherheit, wie es weitergehen würde. Egal wie oft er sich sagte, dass sich alles ergeben würde und wie sehr er sich anstrengte, er schaffte es einfach nicht dieses immer schneller kreisende Karussell in seinem Kopf anzuhalten. Leise schälte er sich aus seinem Schlafsack und ging nach draußen. Die Nacht war sternenklar und kalt. Er lehnte sich an die Wand und malte mit seinem Atem kleine, flüchtige Wolken in die Luft, bis sein Blick an den Sternen hängen blieb. Langsam wurde er ruhiger. Erst als er das Zittern seiner Muskeln nicht mehr unterdrücken konnte, löste er den Blick und ging wieder in die Hütte. Er griff sich seine Kleidungsstücke, kritzelte schnell eine Nachricht an Sam auf ein Blatt und huschte, nach der Armbrust greifend, wieder hinaus. Erst hier traute er sich, sich anzuziehen ohne Sammy zu wecken. Doch selbst in die dicke Winterbekleidung verpackt, wurde ihm nicht wärmer. Er nahm die Armbrust und begann zu laufen. An einer Lichtung blieb er stehen. Seine Atmung kam stoßweise und sein Hals brannte, doch er fror nicht mehr und das Chaos in seinem Inneren hatte sich auch gelegt. Zwar waren noch immer nicht alle Fragen beantwortet, doch er konnte sich wieder auf einen Punkt konzentrieren, ohne in Panik zu verfallen, dass er etwas übersah. Nachdem er wieder normal atmete, suchte er sich einen geschützten Platz und wartete darauf, dass der Morgen anbrach. Einige Rehböcke traten auf die Lichtung und rissen Dean aus seiner Lethargie. Er spannte die Armbrust, legte einen Pfeil ein und zielte kurz. Leise surrend schnellte der Pfeil durch die Luft und riss einen Bock von den Füßen. Während die anderen Tiere in Panik davon hasteten, rannte Dean zu seiner Beute. Mit einem gezielten Stoß mit dem Messer beendete er dieses Leben. Er wischte das Messer am Fell ab und schob es wieder in die Halterung. Der Winchester schulterte den Bock, griff die Armbrust und machte sich auf den Weg, sein Abschiedsgeschenk auszuliefern. Je näher er der Höhle kam, umso sicherer wurde er sich, was seine Zukunft anging. Und auch wenn er sein Leben noch nicht bis ins Kleinste durchdacht hatte, so war er sich doch sicher, was er nach Vegas tun wollte. Mal sehen, wie Sam dazu stand. Vor der Höhle angekommen legte er den Bock so ab, dass sie ihn sofort finden konnten. Er nuschelte ein leises „Lebt wohl“, und verließ diesen Ort. Sie würden wissen, von wem das Geschenk war. Der Weg zurück zu Sam fühlte sich für ihn wie ein Aufbruch an. Es irritierte ihn. Er hatte mit dem Gegenteil gerechnet. Er freute sich aber auch darüber. Es machte den Abschied leichter, denn er würde nie wieder hierher zurückkommen. Sam lief unruhig vor der Tür hin und her. Der Zettel war alles andere als aussagekräftig gewesen. Komme wieder, Dean. Was hieß das schon? Zwar war er noch nicht so weit, dass er losziehen und ihn suchen wollte. Die Vernunft, die ihm erklärte, dass er ihn nie finden würde, hatte noch die Oberhand. Weit davon entfernt loszuziehen war er allerdings auch nicht mehr. Und dann sah er Dean unter den Bäumen hervortreten. Er atmete erleichtert auf und ging in die Hütte zurück. „Hey“, grüßte Dean und kratzte sich verlegen am Kopf. „Hey“, erwiderte Sam und versuchte in Deans Gesicht zu lesen. „Hier, den kannst du brauchen.“ Er hielt ihm eine Tasse dampfenden, wunderbar nach Zivilisation riechenden Kaffee entgegen. „Danke.“ Deans Hände schlossen sich um die wärmende Tasse. Mit geschlossenen Augen inhalierte er das Aroma. „Alles okay bei dir?“, fragte Sam heiser. Sein Blick ruhte noch immer auf seinem Bruder und das, was er sah irritierte ihn. Er runzelte die Stirn. Dean schien regelrecht zufrieden! „Mir geht’s gut.“ „Und wie viel von dem Satz ist wirklich wahr? Dean, du … was ist über Nacht passiert? Wo warst du?“ „Ich konnte nicht schlafen. Mir ist einfach zu viel durch den Kopf gegangen. Ich wollte dich nicht wecken, also bin ich aufgestanden und wollte draußen über alles nachdenken. Ist ja auch egal. Ich war nochmal bei den Wölfen.“ Er atmete tief durch und schaute seinem Bruder in die Augen. Wenn du willst können wir hier weg.“ „O-kay“, dehnte der Jüngere. Machte aber keine Anstalten, sich bewegen zu wollen. „Was ist los, Sammy?“ „Du müsstest niedergeschlagen sein, wütend, traurig … keine Ahnung, aber jedenfalls nicht so entspannt!“ „Mir geht’s gut. Wirklich!“ Sam zuckte mit den Schultern, nickte und startete einen weiteren Versuch seinen Bruder zum Reden zu bringen. „Wann willst du wieder hierher?“ „Nie. Sie werden uns vergessen, unser Geruch wird vergehen und dann sind sie ganz normale Wölfe, die das Glück haben in einem Nationalpark ein Revier gefunden zu haben.“ Wehmut klang jetzt doch in Deans Stimme mit. „Du willst sie wirklich nie wiedersehen?“ „Nein. Es ist besser so“, erklärte er ernst. Tränen glänzten in seinen Augen, doch er blinzelte sie weg. „Außerdem würde es nur weh tun.“ Die letzten Worte hatte er nur noch genuschelt, doch Sams Ohren waren gut genug, um das zu verstehen. Er nickte traurig. Warum musste ihr Leben immer aus Abschieden bestehen? Das konnte nur aufhören, wenn sie endlich sesshaft werden würden. Kapitel 192: Winchester Horror Story ------------------------------------ 192) Winchester Horror Story „Wir haben noch eine halbe Packung Cornflakes und etwas Milch. Die würde ich sogar mit dir teilen“, versuchte er sie Situation aufzulockern. „Die Milch?“ „Die Cornflakes und die Milch.“ „Oh mein … seh ich so schlimm aus? Bist du krank oder besessen? Du hast noch nie deine Cornflakes mit mir geteilt“, ging Dean nur zu gerne darauf ein. „Ein wenig verhungert vielleicht und ziemlich verfroren. Ein Problem kann ich lösen, das andere müssen wir verschieben“, bedauerte Sam gespielt. „Du bist auch nicht mehr das, was du mal warst.“ „Jetzt bin ich deprimiert! Warum das denn nicht?“ „Früher wärst du alle Probleme sofort angegangen!“ „Tut mir leid, meine magischen Fähigkeiten hab ich gegen Größe eingetauscht.“ „Schlechter Tausch!“, grinste Dean, der so hin und wieder doch etwas neidisch auf die körperliche Größe seines KLEINEN Bruders war. „Warum? Ich wäre sonst nur einen Meter zwanzig groß geworden“, konterte der Jüngere. „Okay“ Dean grinste bei dem Versuch sich seinen Bruder in der Größe vorzustellen. „Dann lass uns mal lieber essen, bevor du noch zu schrumpfen anfängst.“ „Keine Angst, das ist auf Dauer so festgeschrieben.“ „Dann kann ich die Cornflakes ja alleine essen.“ „Nix da. Ich teile wohl mit dir, aber ich gebe dir nicht alles!“ „Jetzt enttäuscht du mich aber.“ „Niemand ist perfekt, Dean.“ Leider“, seufzte der Ältere gespielt niedergeschlagen. Nach dem Essen räumten sie die Hütte auf und brachten ihre Sachen zum Impala. „Baby!“, grüßte Dean seine Schönheit und strich ihr sanft über die A-Säule. Sam lächelte. Solange sein Bruder den Wagen so begrüßte, war die Welt in Ordnung. Er rutschte auf seinen Platz und wartete darauf, dass Dean ebenfalls einstieg und den Wagen anließ, damit sie in ein neues Leben starten konnten, oder war er da zu euphorisch? Das Frühstück langte bis Wofford Heights. Dean sah ein Hinweisschild und lenkte den Impala auf den Parkplatz. „Passt doch zu dir, oder?“, neckte er Sam und deutete auf den Namen. „Chatterbox“ „Seid wann bin ich eine Klatschbase?“, empörte sich Sam. „Das nicht, aber manchmal kannst du einen schon tot quatschen. Besonders wenn du etwas wissen willst, dass man dir aus welchem Grund auch immer, nicht erzählen kann oder möchte.“ Der Jüngere verdrehte die Augen. Es war ja schön dass Deans Laune nicht im Keller hing, aber musste das immer auf seine Kosten sein? Oder war das so ein Geschwisterding, dass die älteren die jüngeren immer wieder aufziehen mussten? Ein paar Mal hatte er das auch in den Schulen erlebt, in die sie gegangen waren. Aber sollte das nicht irgendwann vorbei sein? Niedergeschlagen folgte er seinen Bruder in das Cafe. Sie suchten sich sich einen Platz, der nicht so gut einsehbar war, von dem sie aber alles sehen konnten. Kaum saßen sie, kam auch schon eine nett aussehende Kellnerin mit den Karten. Sie orderten Kaffee und vertieften sich in das Menü. „Was ist los?“, fragte Dean plötzlich. „Nichts, ich ...“ „Ich seh dir an der Nasenspitze an, dass du was hast.“ „Es ist nichts. Ich bin nur … Ich meine, ich freue mich ja, wenn du glücklich bist, aber muss das immer auf meine Kosten sein?“ Dean schaute ihn fragend an. „Quasselstrippe, ich? Ich erinnere mich an Zeiten, das hast du Dad vollgequtascht, wenn wir von einem Motel zum nächsten zogen. Du hast ihm regelrecht Löcher in den Bauch gefragt und Dad war nicht nur einmal genervt.“ „Da hatte ich seine Aufmerksamkeit. Die Jagd, das war das Einzige worüber ich mit John wirklich reden konnte. Das einzige Thema bei dem er mich eher als Partner angesehen hat. Wenn ich über Baseball geredet habe, hat er zugehört aber ich hab immer gemerkt, dass es ihn nicht wirklich interessierte, genauso wie die Schule.“ „Das kenn ich vom Fußball.“ „Und ich konnte mich damit wunderbar von meinen Problemen ablenken. Er hätte nie mit mir über Mom geredet oder über meine Träume, solange ich denn welche hatte. Du warst zu klein. Dich wollte ich damit nicht belasten. Außerdem hattest du eigene Probleme.“ Sam nickte. Die Tage an denen ihr Vater die Nerven für, in seinen Augen, Nebensächliches hatte, waren gezählt. „Trotzdem! Könntest du es lassen, mich damit aufzuziehen?“ „Wenn du es auch mal gut sein lassen kannst, wenn ich dir nicht sofort alles erzähle?“ „Ich kann nichts versprechen, aber ich werd es versuchen.“ „Gleichfalls“, erwiderte Dean. „Hey, hier gibt’s meatloaf“, las Sam kurze Zeit später vor. „Alive …?“ „Das hoffe ich doch nicht.“ „Oder I’d Do Anything for Love?“ „Ich liebe dich doch auch, Schatz. Aber das müssen wir nicht vor allen Leuten ...“ Dean verdrehte die Augen. Diesmal hatte Sammy ihn erwischt. Er schlug seine Karte zu und erhob sich. „Bestellst du für mich mit?“ Er deutete zur Toilette. „Mach ich.“ Eine Weile studierte Sam noch die Karte und überlegte was Dean wohl mochte. Er liebte Burger hatte in letzter Zeit aber eher die gesünderen Varianten gewählt. Egal! Er schloss die Karte und wartete auf die Kellnerin. Dean war noch nicht lange wieder zurück, als die Kellnerin einen großen Bacon-Cheeseburger mit Pommes vor ihm abstellte. Sam hatte sich ein Putensandwich und einen großen Salatteller bestellt. Davon konnten sie beide essen. „Können Sie nochmal nachfüllen?“, fragte Dean und deutete auf seine Tasse. „Klar“, lächelte sie, holte die Kanne und füllte die Tassen auf. „Guten Appetit wünsche ich ihnen.“ „Vielen Dank“, lächelte der Ältere zurück. Er schaute ihr hinterher, als sie zurück zur Theke ging. Die Rückansicht war fast so gut die die vordere, stellte er fest. Wenn sie bleiben würden, würde er heute Abend vielleicht noch einmal wiederkommen. Er nahm seinen Burger in beide Hände, hob ihn zum Mund und erstarrte. Etwas in seinen Händen schien sich zu bewegen! Er versteifte sich. Seine Mine wechselte von irritiert, ratlos zu angewidert. Sam musterte seinen Bruder fragend, genoss aber das sich ihm bietende Schauspiel. Ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Eine riesige Kakerlake schob ihren Kopf zwischen Käse und Brötchen hervor. Die Mundwerkzeuge bewegten sich hin und her. Dean schluckte geräuschvoll. Sams Grinsen wurde breiter. Die Schabe kam noch ein Stückchen weiter nach vorn. Ein Fühler löste sich aus dem Käse. Er streifte Deans Hand, als er in seine normale Lage kam. Gleich darauf löste sich auch der zweite Fühler. Der ältere Winchester ließ den Burger fallen. Der platschte auf den Teller. Das Oberteil klappte zur Seite und die Schabe rutschte über den Käse. Sam konnte sich nicht mehr halten und prustete los, während Dean so weit wie möglich in die Polster seiner Bank rutschte und versuchte dem Drang, nicht nur das Frühstück auf demselben Weg wieder loszuwerden, auf dem er es zu sich genommen hatte, zu widerstehen. Im Stillen schwor er sich nie wieder einen Burger zu essen! Die Kakerlake versuchte unterdessen ihre Beine von dem Käse zu befreien und Sam liefen die Tränen über die Wangen vor Lachen. Diese Situation war einfach mehr als nur absurd. „SAM“, bellte Dean sauer. „Es … es tut mir … leid, aber ich … ich ...“ japste Sam und winkte ab. Er konnte sich einfach nicht beruhigen. Erst als sein Bauch schmerzte, schaffte er es wenigstens zeitweise wieder ein ernstes Gesicht zu machen. Trotzdem huschte immer wieder ein breites Grinsen über sein Gesicht. Inzwischen stakste die Schabe vom Teller, über den Tisch und plumpste, als sie am Rand angekommen war auf den Boden, wo sie irgendwo unter den Bänken verschwand. „Sie ist weg! Kannst du dich jetzt wieder beruhigen?“, fragte Dean um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht. Er erreichte das Gegenteil und Sam prustete erneut los. Dean verdrehte die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust lehnte sich mit ergebenem Schnaufen an die Rückenlehne. So langsam ging es ihm wieder besser. Er würde hier nichts mehr essen, er würde nie wieder einen Fuß in dieses Cafe setzen, aber jetzt wo dieses Vieh weg war, war er nicht mehr kurz davor, sich übergeben zu müssen. Hunger hatte er allerdings auch keinen mehr. Der jüngere Winchester winkte ab und lachte schon wieder. Er holte tief Luft und mahnte sich selbst zur Ernsthaftigkeit. Das war wirklich eklig gewesen, auch wenn es zu putzig aussah, wie diese Schabe versuchte sich von dem Käse zu befreien und er hätte schwören können, dass sie dabei würdevoll hatte aussehen wollen. „Ich glaube wir sollten uns ein anderes Restaurant ...“, begann Sam, um seinem Bruder entgegen zu kommen, als sich sein Salat bewegte. Jetzt war es an ihm mit großen Augen auf sein Essen zu starren. Da war doch nicht etwa auch eine …? Die Gewissheit kam schnell. Ein schwarzer Kopf schob sich unter einem Salatblatt hervor, Fühler schnipsten nach vorn und Sam schluckte trocken. In seinem Essen war ebenfalls eine Schabe. Immerhin konnte Dean darüber wenigstens etwas grinsen. „Was...?“, begann er, kam jedoch nicht weiter. Aus der Küche ertönte ein spitzer Schrei. Gleichzeitig sprangen einige der Gäste schimpfend und fluchend auf. Andere kreischten. Aber alle hatten eins gemeinsam. Sie liefen nach draußen. Die Brüder tauschten einen Blick. 'Ist das nicht eher unwahrscheinlich?' 'Fällt das in unser Metier?' 'Sollen wir und darum kümmern?' 'Nein! Wir sind raus, also raus hier!' Gemeinsam standen sie auf und verließen das Cafe ohne die Panik der anderen, aber mit dem gleichen Ekel. Draußen atmeten sie erst einmal ruhig durch. „Und jetzt?“, fragte Sam, „fahren wir weiter oder ...“ Sie standen zwischen den anderen Gästen als Dean plötzlich begann sich durch die Menge zu drängeln. „Nein, nein, nein!“, schimpfte er und rannte auf die Straße. Ungläubig starrte er dem Heck seines Babys hinterher, das von einem Abschleppwagen entführt wurde. Sam holte, kaum dass er Deans entsetzten Ausruf gehört hatte, sein Handy hervor und schoss ein Foto des Entführers. „Das ist meiner!“, brüllte er dem Entführer hilflos hinterher. „Was soll das?“ „Ist das Ihrer?“, fragte ein älterer Herr mit selbstgerechtem Grinsen. Dean war nur zu einem Nicken fähig. „Dann hätten Sie eben nicht vor einem Hydranten parken dürfen!“, erklärte der selbsternannte Verkehrsapostel. „Da war kein Hydrant“, mischte sich Sam ein. Er hatte sie gerade erreicht. „Natürlich! Ich bin doch nicht blind!“ „Wohl schon. Vor dem Hydranten steht ein silberner Honda!“ „Oh“, machte der Mann mit einem dümmlichen Grinsen. „Ist das alles? Oh?“, wütete Dean atemlos. „Als hätten Sie noch nie falsch geparkt!“, sagte der Kerl schnippisch, wandte sich ab und zog sein Handy aus der Tasche, um auch den Honda abschleppen zu lassen. Die Brüder starrten diesem unverschämten Typen nur wortlos hinterher. Sowas war ihnen noch nie untergekommen. Plötzlich fühlte Sam wie sich eine Hand an seinen Arm klammerte. Er drehte sich um. „Hey, hey, Dean!“ Schnell umfasste er Deans Schultern und richtete ihn auf. Sein Bruder war kurz davor zu hyperventilieren. „Ganz ruhig atmen. Komm schon. Ein, aus, ein, aus“, versuchte er seinen Bruder zu erreichen. Nur langsam konnte der sich beruhigen und endlich auch wieder zu einem normalen Atemrhythmus finden. „Und jetzt“, fragte der Älteren keuchend. „Jetzt sehen wir zu, dass wir deine Schönheit auslösen. Auch wenn der Idiot sie fälschlicherweise hat abschleppen lassen, werden die sie uns wohl nicht für umsonst rausrücken.“ Dean nickte betrübt. Die hatten sein Baby entführt. Sam zog sein Handy aus der Tasche und suchte nach dem örtlichen Abschleppunternehmen, während sein Bruder noch immer wie paralysiert die Straße entlang starrte. Immer wieder holte er tief Luft. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis er sich mit der Tatsache abfinden konnte, dass sein Baby einfach so abgeschleppt worden war. Wie damals als Bella ihnen ständig in die Quere gekommen war. Bella! Hätte sie sich ihnen eher anvertraut, wäre sie vielleicht noch am Leben. „Hören Sie, sie haben unseren Wagen fälschlicherweise … Nein das behaupte ich nicht nur! Er war nicht falsch ...“ Sam verdrehte die Augen. Es gab wohl wirklich keine Möglichkeit den Impala so zu bekommen. „Okay und wann können wir ihn abholen?“ „Was? Wann? Geht es nicht ...“ „Ja, okay!“ Dean würde toben oder den nächsten Anfall bekommen, oder beides. „Können wir wenigstens unsere Taschen …?“ „Nein wir haben nichts ... bitte ...“ „Haben Sie VIELEN DANK!“, knurrte er. Noch nicht mal ihre Reisetaschen bekamen sie! Das war doch eine Frechheit! Und alles nur wegen dieses Idioten, überlegte er wütend. „Und?“, fragte der Ältere auch schon leise. „Nicht vor morgen Vormittag. Der Chef, der die Wagen herausgibt, ist auf einer Beerdigung. Und bevor du fragst: Nein wir bekommen unsere Reisetaschen nicht.“ Dean sackte regelrecht in sich zusammen. „Und jetzt?“ „Wir holen uns einen Mietwagen und mieten hier ein Zimmer. Ist doch egal ob wir heute oder morgen nach Vegas fahren.“ Dean pustete die Backen auf und blies die Luft geräuschvoll wieder aus. Er fühlte sich verlassen! Niedergeschlagen nickte er. Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. „Haben wir noch Kreditkarten?“ „Klar“, grinste Sam. „Wenn die zu blöd sind den richtigen Wagen abzuschleppen, brauchen die auch nicht mit einer Bezahlung rechnen. Na komm. Die Zeit bis du sie wieder in die Arme schließen kannst, wird auch vergehen.“ „Sicher?“ „Klar“ Sam lachte. Sein Bruder war gerade einfach nur niedlich. Als hätte seine Freundin ihn sitzenlassen. Doch das durfte er ihm auf keinen Fall sagen. Gleich gegenüber des Cafés gab es ein Motel. „Nehmen wir das?“, wollte er wissen. „Wenn da keine Kakerlaken wohnen.“ Dean riss sich von seinem Verlust los und versuchte sich auf das Naheliegende zu konzentrieren. „Die werden wohl auch welche haben, aber nicht so große wie hier“, versicherte Sam und hoffte, dass er Recht hatte. Noch so ein Vieh musste er nicht sehen. Er schulterte seinen Rucksack und lief zur Rezeption. Lustlos trottete Dean hinter ihm her. Kapitel 193: Pechsträhne ------------------------ 193) Pechsträhne Etwas unschlüssig standen sie mit dem Schlüssel in der Hand vor dem Eingang zur Rezeption. „Wollen wir ins Zimmer oder besorgen wir uns erst einen Wagen und gehen einkaufen?“, frage Sam mit einem unsicheren Seitenblick auf seinen Bruder. Wie würde der auf das Thema reagieren? „Warum warten wir nicht einfach und holen sie uns heute Nacht? Wäre ja nicht das erste Mal, dass wir irgendwo einbrechen!“ „Wir wollten aussteigen und als normale Bürger leben“, gab Sam zu bedenken. „Das normale Leben nervt!“, maulte der Ältere. „Du hast es noch nicht mal probiert!“ „Warum soll ich mich an Regeln halten müssen, wenn es andere nicht tun?“ „Davon, dass Andere Fehler machen, werden deine nicht richtiger, Dean. Wir werden uns viel mehr an Regeln halten müssen als bisher. Aber wir werden auch nicht mehr jeden Tag um das Leben des andere fürchten müssen. Bleibt die Frage, was dir wichtiger ist. Leben oder Regeln.“ „Dein Leben, das weißt du. Trotzdem ist es nicht gerade ein einfacher Einstieg, gleich so einen Schlag in den Magen zu bekommen.“ „War das Leben denn schon jemals fair oder einfach für uns?“ „Ich mag es trotzdem nicht!“ „Das musst du auch nicht. Und jetzt lass uns einen Wagen holen.“ Dean nickte und folgte seinem Bruder, als der zur nächsten Bushaltestelle lief. Die Autovermietung war fünf Meilen entfernt. Das war zwar keine Strecke, die sie nicht auch hätten laufen können, aber so niedergeschlagen wie sein Bruder war, wollte er ihm das nicht auch noch zumuten, entschied Sam. „Das ist so demütigend!“, erklärte Dean, als sie im Bus saßen. „Wir haben einen Wagen und ...“ „Lass gut sein, Dean. Das zieht dich nur noch weiter runter.“ Der Ältere verzog das Gesicht zwar zu einem Grinsen, seine Augen blieben jedoch ernst. So von seiner Schönheit getrennt zu werden, konnte und wollte er einfach nicht verwinden. Er fühlte sich, als wäre er entwurzelt worden. Das richtige Leben war ja vielleicht gut und schön, aber noch war der Impala der Ort, an dem er sich zuhause fühlte. Und die Aussicht auf eine Einkaufstour machte seine Laune auch nicht besser. Drei Stunden später lenkte Sam den Mietwagen auf den Parkplatz vor ihrem Motelzimmer. Er warf seinen Blick zu seinem Bruder, der sich vehement geweigert hatte diesen Wagen zu fahren. War das nur der Frust dass sein Baby entführt worden war oder steckte mehr dahinter? Spätestens wenn sie Baby wieder hätten, würde sich diese Frage wohl klären. Er atmete kurz durch und stieg aus. „Wow“, sagte Dean und ein leiser, anerkennender Pfiff kam über seine Lippen, als sie ihr Zimmer in dem Motel gegenüber dem Chatterbox-Cafe betraten. Der Raum war hell und freundlich eingerichtet und weder an den Wänden noch auf den Betten prangten Blümchen. Eine echte Wohltat für die Augen. Er warf seine Einkaufstüten auf das vordere Bett und begann Kaffee zu kochen. Gleich darauf machten sie sich schweigend über ihr eingeschweißtes Essen, dass sie an einer Tankstelle geholt hatten, her. Lecker war etwas anderes! Erst danach konnte sich Dean dazu aufraffen, seine Einkäufe wegzuräumen. „Und jetzt?“ Dean warf sich auf das vordere Bett und zappte unmotiviert durch die Kanäle. Die Zeit musste doch irgendwie vergehen, oder? Sam griff nach der Tageszeitung, die sie mitgebracht hatten und begann darin zu lesen. „Schon komisch“, sagte er nach einer ganzen Weile. Dean legte die Fernbedienung weg und blickte zu Sam. „Was?“ „Der ganze Ort scheint vom Pech verfolgt zu sein.“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Erinnerst du dich an das Gespräch, dass wir hier beim Einkaufen in dem Lebensmittelgeschäft mitgehört haben, bevor wir zu den Wölfen gefahren sind? Hier drin stehen noch mehr solcher Unglücke.“ „Du meinst also, wir stolpern schon wieder in einen Fall?“ „Ich hoffe nicht. Aber wenn doch?“ Dean holte tief Luft. „Vielleicht sollten wir keine Zeitung mehr lesen?“, sagte er nur. Er wusste ja selbst nicht, was genau er wollte. Aussteigen, klar, aber konnte er damit leben, dass Menschen zu Schaden kamen, weil sie nicht mehr halfen? Sam faltete die Zeitung zusammen. Er sah das Minenspiel seines Bruders und konnte dem nur zustimmen. Auch er wollte raus und auch er hatte Angst davor Menschen seine Hilfe zu verweigern. „Wäre eine Möglichkeit. Ich denke es wird leichter werden, mit der Zeit.“ „Ich hoffe es, sonst drehen wir durch. Wie schön muss es sein von nichts zu wissen“, grübelte der Ältere. „In dieser Beziehung beneide ich die normalen Menschen“, stimmte Sam ihm zu. „Nur in dieser?“ „Nein, auch in fast jeder anderen Beziehung. Nur eins wäre wohl ohne das Jagen nicht so.“ „Und was?“ „Die Beziehung zu dir.“ „Ich mich auch“, grummelte Dean, doch der Blick den er seinem kleinen Bruder zuwarf war so voller Wärme, dass er seine Worte Lügen strafte. Sam lächelte. Die Titelmusik von Dr. Sexy MD beendete diesen Moment bevor er ihnen peinlich werden konnte. Dean griff nach der Fernbedienung und schaltete lauter. Sam holte ein paar Bier aus dem Kühlschrank, reichte eine Flasche an seinen Bruder weiter und setzte sich auf sein Bett. In aller Ruhe genossen sie den Abend, den nicht mal die Dusche, die sich einfach nicht für eine Temperatur entscheiden wollte, trüben konnte. „Sammy“, forderte Dean leise. „Hm“, grummelte der und drehte sich auf die Seite. „Dein Kaffee wird kalt“, grinste der Ältere und wedelte seinem kleinen Bruder den Kaffeeduft entgegen. „Was?“ Sam blinzelte verschlafen. „Kaffee?“ „Hm“ Sam reckte sich, schlug die Bettdecke beiseite und setzte sich auf. Er nahm die Tasse entgegen und pustete hinein. Langsam trank er einen Schluck. Erst dann registrierte er, dass Dean schon fertig angezogen war und leise vor sich hin pfiff. Wie spät war es denn schon? „Wieso bist du schon wach?“, wollte er noch immer leicht verschlafen wissen und schielte zur Uhr. „Wir wollten nach Vegas“, erinnerte Dean ihn an ihr weiteres Ziel. „Ob wir nun eine Stunde eher oder später hinkommen ...“ „Ich will hier weg, bevor die Kakerlaken bis hierher kommen.“ „Es sind nur Kakerlaken, Dean, keine Ratten.“ Sam musterte ihn eindringlich. „Baby wartet“, nuschelte er leise. Über Sams Gesicht huschte ein Lächeln. Da war er ja, der wahre Grund. „Eine Frau sollte Mann nicht warten lassen“, lachte Sam, „Hast Recht.“ Hastig trank er seinen Kaffee aus und flitzte ins Bad. Als er wieder ins Zimmer kam, wurden seine Augen groß. Dean hatte ihre Sachen zusammengepackt und die Betten gemacht. Er schien wirklich große Sehnsucht nach seiner schwarzen Schönheit zu haben. Schnell zog er sich an. Seine Haare glättete er zwischendrin mit den Händen. Nicht dass Dean noch vor Liebeskummer starb. „Wir wollen den schwarzen '67 Impala auslösen“, begann Sam kaum, dass er das Büro des Abschleppdienstes grußlos betreten hatte. „Den Sie gestern unberechtigt abgeschleppt haben“, konnte sich Dean nicht verkneifen hinzuzufügen. Er erntete dafür einen genervten Blick von Sam und ein Schnauben von dem Kerl hinter dem Schreibtisch. „Der stand vor einem Hydranten, steht hier“, erklärte der Mann, nachdem er die Papiere gefunden hatte. „Da stand ein silberner Honda“, beeilte Sam sich den Sachverhalt sicher zu stellen, bevor Dean explodierte. „Vielleicht haben sie ihre Karre ja umgeparkt und den Honda in die Lücke gefahren?“ „Wir haben was?“, begann Dean ungläubig. „Wieso sollten wir einen Wagen, der uns nicht gehört, umparken?“, unterbrach ihn Sam schnell. „Was weiß ich! Ist egal. Und wenn sie hier Männchen machen, sie kriegen die Karre eh nicht. Im Kofferraum lagen Waffen!“ „Was haben Sie in unserem Kofferraum zu suchen?“, fragte Sam. „Wie sind Sie da reingekommen“, wollte Dean wissen. „Der war abgeschlossen!“ „Erstens: Wir sind verpflichtet jedes Auto zu untersuchen. Könnte ja eine Bombe drin sein!“ „Wer hat Sie ...“ „Wir haben das so festgelegt. Steht in unseren AGB! Und zweitens: Wir haben ihn aufgebrochen!“ „Sie haben was? Das werden Sie ...“, begann Dean aufgebracht. „Dean! Hör auf. Bitte!“, versuchte Sam seinen Bruder zurückzuhalten. „Der hat … Der … der ...“, stammelte der ältere Winchester immer atemloser. „Nein, nein, nein“, begann Sam hilflos. Er fasste seinen Bruder bei den Schultern und schob ihn aus der Bretterbude, die das Büro beherbergte. Er drängte ihn auf die windschiefe Bank davor und drückte seinen Oberkörper nach vorn. „Ruhig und langsam atmen, Dean. Komm schon. Langsam ein … aus … ein … Okay?“ Kaum hatte sich Deans Atmung etwas beruhigt, wandte er sich wieder dem Büro zu. „Du bleibst hier, ich regle das!“ bestimmte er, nicht dass sein Bruder wirklich noch hyperventilierte. Wütend betrat er das Büro wieder. „Also, ich will den Wagen, den Sie beschädigt haben!“, forderte Sam ernst. „Da waren Waffen im Kofferraum!“ „Deshalb war der ja auch abgeschlossen!“ „Egal! Bevor ich Ihnen die Karre gebe, müssen sie zur Polizei.“ „Bitte?“ Sam war sich sicher, sich vollkommen verhört zu haben. Polizei? „Wir melden jede Waffe der Polizei. Die wollen jetzt Ihre Waffenscheine sehen. Dann bekommen wir ein Okay von ihnen und sie kriegen ihre Karre wieder. Ohne deren Okay kein Auto. Und jetzt halten Sie mich nicht weiter auf, ich habe auch noch Anderes zu tun!“, knurrte der Besitzer des Abschleppunternehmens genervt. Er schob Sam zur Tür hinaus, schloss gut hörbar ab und verließ das Büro auf der anderen Seite. „Und Baby?“, fragte Dean entgegen jeder Hoffnung. „Nichts zu machen.“ Sam schüttelte bedauernd den Kopf. „Er will dass wir unsere Waffenscheine bei der Polizei vorlegen, dann bekommen wir sie wieder.“ „Waffenscheine?“, fragte Dean panisch. „Wo sollen wir denn ...“ Etwas in ihm schien zu zerbrechen. Er ließ den Kopf hängen. Seine Schultern sackten nach unten. Sam betete stumm, dass das nicht das Ende von Deans normalem Leben war. So viel Pech konnte man doch wohl kaum an einem Tag haben, oder? Hatten sie eine Hasenpfote untergeschoben bekommen? Hatten sie die wieder verloren? Waren sie schon wieder in die Fänge einer bösartigen Fee geraten? Sofort ratterte er in Gedanken all ihre Gegner durch und versuchte zu erkunden welcher ihrer Feinde ihnen auf diese Art schaden könnte. 'Hör auf, Sam!', schimpfte er sich in Gedanken. Es war kein Fall! Es durfte kein Fall sein! Sie waren raus und sie würden nicht wieder einsteigen! Denn wenn … Darüber wollte er nicht lieber nachdenken. „Wir hätten sie doch gestern holen sollen!“, nuschelte Dean resigniert. „Vielleicht, aber dann hätten die sie und uns wohl zur Fahndung ausgeschrieben und das wäre gerade jetzt ziemlich nachteilig. Wir haben eine weiße Weste.“ „Dafür kann ich mir gerade aber nichts kaufen und meinen Wagen kriege ich davon auch nicht wieder!“ „Schon wahr. Trotzdem bringt es uns nichts, wenn wir hier noch lange rumstehen. Wir fahren zur Polizei.“ Er wandte sich ab und ging zum Wagen. Dean verzog das Gesicht und folgte ihm missmutig. „Willst du fahren?“ „Was?“, fragte er leise, öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen. 'Wohl nicht', verneinte Sam seine Frage in Gedanken. Das konnte ja heiter werden. Resigniert schnaufend rutschte er wieder hinter das Lenkrad und brachte den Wagen zurück auf die Straße. „Was wollen sie?“, fragte eine Polizistin, kaum dass die Brüder die Polizeistation betreten hatten. „Wir sollten uns hier melden“, informierte Sam sie so emotionslos wie möglich. „Warum?“ „Weil irgend so ein I...“, begann Dean wütend. „Weil unser Wagen grundlos abgeschleppt wurde“, unterbrach Sam ihn schnell. „Im Kofferraum lagen Waffen.“ Er warf Dean einen warnenden Blick zu, den dieser geflissentlich ignorierte. Er war stinksauer. Sein Baby war entführt und misshandelt worden. Da konnte er doch nicht ruhig bleiben! „Ach, sie sind das!“ Sie musterte die Brüder abschätzig. „Der Sheriff will mit ihnen reden“, erklärte sie kalt, machte aber keine Anstalten ihnen den Weg zu zeigen oder den Sheriff zu verständigen. „Würden Sie dann so freundlich sein und uns sagen, wo wir den Sheriff finden?“ Lange würde wohl auch Sam nicht mehr ruhig bleiben können, wenn Dean dessen Stimmlage richtig interpretierte. „Er ist bei einem Unfall. Sie können da warten.“ Sie wies auf die Stühle, die an der Wand aufgereiht standen. Zähneknirschend setzten sich die Brüder. Kapitel 194: Clowns ------------------- 194) Clowns Dean grübelte die ganze Zeit darüber nach, hier zu verschwinden und sein Baby heute Nacht zu holen. Das normale Leben konnte ihm gestohlen bleiben, wenn es schon so begann. Er wollte gerade aufstehen und gehen, als der Sheriff zur Tür herein kam. Der musterte die Brüder und warf der Polizistin einen fragenden Blick zu. „Der Impala in dem die Waffen gefunden wurden“, erklärte sie. „Ach ja. Kommen sie mit!“ Er verschwand in seinem Büro. Die Brüder folgten ihm. „Setzen sie sich“, forderte er sie mit einer Handbewegung auf zwei Stühle vor seinem Schreibtisch auf. Dean konnte sich ein genervtes Schnauben, während er sich setzte, nicht verkneifen. „Ach Sie finden es nervig, wenn wir unser Pflicht tun?“, fragte der Gesetzeshüter im Bewusstsein seiner Autorität. „Sie haben Ihren Wagen vor einem Hydranten geparkt und sie hatten Waffen im Wagen! Dafür könnte ich Sie in Untersuchungshaft nehmen!“ „Der Wagen stand vor keinem Hydranten. Das war ein silberner Honda. Und die Waffen lagen im verschlossenen Kofferraum“, stellte Sam die Sachlage ruhig klar. „Falschaussagen sind strafbar, das ist Ihnen klar, oder?“ „Das ist keine Falschaussage!“ Sam kramte sein Handy hervor. Gut, dass er das Foto gemacht hatte! „Und warum wurde er dann abgeschleppt?“ „Weil es ein Missverständnis gab“, versuchte der jüngere Winchester zu erklären und reichte sein Handy weiter. Auf dem Foto waren der Hydrant und der silberne Honda verschwommen, aber trotzdem ganz gut zu erkennen. „Hm. Aber warum sollte der Besitzer des Abschleppunternehmens den Kofferraum aus freien Stücken aufbrechen?“ „Gute Frage“, knurrte der ältere Winchester. „Und wenn ...“ „Dean, bitte.“ Sam kramte in seinem Rucksack. „Hier sind die Waffenscheine“, sagte er um einen neutral freundlichen Ton bemüht. „Sie sind auf unseren Vater ausgestellt. Er hat die Waffen damals gekauft und uns geschenkt.“ „Das kann jeder sagen. Ich will ihren Vater sehen.“ „Geben Sie mir Ihre Knarre, dann ...“ Dean war kurz davor aus der Haut zu fahren. „Dean!“ „Was? Er will zu Dad. Ich ...“ „Hör auf!“, Sam funkelte seinen Bruder wütend an. „Entschuldigen Sie meinen Bruder bitte. Er hat den Wagen von Dad geschenkt bekommen und ihn gerade erst mit viel Liebe restauriert. Zu wissen, dass er jetzt schon wieder beschädigt wurde, das ist ...“, Sam stockte und schaute kurz zu seinem Bruder. „Und was unseren Vater anbelangt, er ist vor vier Jahren an den Folgen eines Unfalls gestorben.“ „Gibt es jemanden, der bezeugen kann, dass es ihre Waffen sind?“, wollte der Sheriff etwas versöhnlicher wissen. Sollte der blonde Kerl aber noch einmal auch nur einen falschen Mucks von sich geben, würde er ihn in eine Zelle verfrachten. „Unser Onkel und sein Freundin“, antwortete Sam. „Und der wäre?“ „Robert Singer aus Sioux Falls und seine Freundin ist Sheriff Jody Mills.“ Hoffentlich hatte er jetzt nicht zu viel verraten, überlegte Sam. „Ich dachte Sheriff Mills ist verheiratet“, wollte er Sheriff lauernd wissen. „War sie, ja. Aber ihr Mann starb bei einer Gasexplosion. Sie und unser Onkel sind sich in den letzten Monaten näher gekommen.“ Bei einer Tagung hatte er Sheriff Mills mal kennengelernt und sich zu ihr hingezogen gefühlt. Damals hatte sie ihn abgewimmelt und ihm erklärt, dass sie verheiratet war. Er suchte ihre Nummer heraus und rief in ihrem Büro an. „Sheriff Mills bitte“, verlangte er, als sich ein junger Mann meldete. Er erfuhr dass sie heute frei hatte und bekam ungefragt ihre Handynummer. Sam sah was der Sheriff notierte und wählte Jodys Nummer. Es klingelt nur zweimal bevor sie dranging. „Hey Sam, was gibt’s?“ „Hier will jemand bestätigt haben, dass John Winchester unser Vater war.“ „Wieso das denn?“ „Jemand hat den Impala abschleppen lassen und die haben dann auch noch den Kofferraum aufgebrochen. Sie haben dem Sheriff hier gemeldet, dass wir Waffen im Kofferraum haben.“ „Hat er das Versteck gefunden?“ „Nein, alles okay.“ „Warte ich hole Bobby.“ „Danke, kannst du noch schnell mit dem Sheriff hier sprechen? Er scheint dich zu kennen.“ „Dann gib ihn mir mal.“ Sam lächelte kurz und reichte sein Telefon weiter. „Sheriff Mills“, informierte er den hiesigen Sheriff. Nach einem kurzen Gespräch über die Belanglosigkeiten des Lebens und die Widrigkeiten im Job stellte er die Frage nach den Winchester-Brüder und deren Waffen. „Ich weiß, dass sie welche haben. Sam eine Beretta und Dean einen Colt, zu weiteren Details muss ich Ihnen ihren Onkel geben. So lange kenne ich sie dann doch noch nicht.“ Schnell reichte sie das Telefon weiter und atmete erleichtert durch. Sie würde wohl nie ein Fan dieses Mannes werden. „Wie kann ich helfen?“, fragte Bobby ruhig. „Sie kennen Samuel und Dean Winchester?“ „Meine Neffen, natürlich.“ „Und ihren Vater?“ „John? Er starb vor vier Jahren. Wir hatten nicht das beste Verhältnis. Worum geht es?“ „Hat er seinen Söhnen Waffen geschenkt?“ „Ja. Dean einen Colt und Sam eine Beretta, als sie alt genug dafür waren.“ Für seinen Geschmack viel zu früh, aber das würde er dem Typen nicht auf die Nase binden. „Okay. Außerdem haben sie eine Armbrust dabei ...“ „Oh klasse! Sie haben dran gedacht. Ich hatte sie gebeten, die aus der Jagdhütte mitzubringen.“ „Sie haben eine Jagdhütte?“ „In Montana, ja.“ „Ist das nicht etwas weit weg von Kalifornien?“ „Sie wollten noch zu einer Freundin, soweit ich weiß.“ „Und fahren mit Waffen im Wagen rum?“ „Im verschlossenen Kofferraum? Warum nicht?“ „Gut. Sie haben ihren Neffen sehr geholfen.“ „Was soll das denn heißen?“ Ohne eine weitere Antwort drückte der Sheriff das Gespräch weg. Er gab Sam das Handy zurück. „Ihr Onkel hat ihnen den Arsch gerettet“, erklärte er kalt und wies auf die Tür. „Gehen sie, bevor ich es mir anders überlege und sie doch noch einsperre!“ Auf keinen Fall wollte er, dass sie jetzt vielleicht noch Anzeige gegen das Abschleppunternehmen erstatteten. Das Foto war da ziemlich eindeutig. Dean holte tief Luft. Doch bevor er auch nur einen Ton von sich geben konnte, packte Sam ihn am Ärmel und zerrte ihn vom Stuhl und zur Tür hinaus. Zur selben Zeit verließen vier Clowns die städtische Bücherei. Sie waren die Attraktion des vierteljährlichen Kinderlesetages gewesen. Sie lachten über Anekdoten und alberten herum, während sie zu ihrem Wagen gingen. „Was sollte das?“, schimpfte der ältere Winchester aufgebracht, kaum dass sie vor der Tür der Polizeistation standen. „Ich wollte einfach keine Nacht hinter Gittern verbringen“, sagte Sam leise. „Meinst du, die würden uns wirklich einsperren? Ich hab nicht viel Ahnung, aber Jody wüsste bestimmt wie wir uns da wehren könnten. Die haben Baby misshandelt und entführt!“ „Bitte Dean, lass es einfach gut sein. Ich glaube nicht, dass ...“ Sam erstarrte. Sein Blick war auf die Clowns gefallen, die neben ihrem Mietwagen standen. Sie lachten noch immer über einen ihrer Witze, doch für Sam sah es aus, als fletschten sie ihre Zähne. Gleich würden sie sich auf ihn stürzen und ihn in die Kanalisation zerren, um ihn da zu fressen. „Sammy?“ Vorsichtig berührte Dean seinen Bruder am Arm. „Sie sind nicht ...“ Hektisch sog Sam die Luft in seinen Lungen. Er atmete langsam aus, doch die Panik ließ sich nicht beherrschen. Die Clowns standen immer noch drohend vor ihm. Er stieß einen erstickten Schrei aus und erwacht aus seiner Starre. Seine Beine explodierten regelrecht. Er hetzte zwischen den Wagen hindurch. Haken schlagend wie ein Hase rannte er über Stock und Stein. Nur weg von hier! Irritiert schauten die vier Clown-Darsteller den flüchtenden Winchester hinterher. Einer von ihnen machte eine Geste, die nur zu deutlich zeigte, was er den dem Mann hielt. Er schüttelte den Kopf und stieg in den Wagen. Sam rannte, als wären Höllenhunde hinter ihm her. Die Bäume schlugen nach ihm und versuchten ihn zu halten. Er trat auf lose Steine und blieb an Wurzeln hängen, die seine rasende Flucht aufzuhalten versuchten und er schlug der Länge lang hin. Doch er war nicht zu stoppen. Immer wieder rappelte er sich auf und hetzte weiter. Noch fühlte er keine Schmerzen. Noch regierte die Panik seinen Körper. Jede Menge Adrenalin rauschte durch seine Adern. „Verdammt“, fluchte Dean lauthals und versuchte seinem Bruder zu folgen. Und obwohl die Bäume hier nicht sonderlich dicht standen, hatte er ihn schon bald aus den Augen verloren. „Sammy?“ „Sam?“ Dean blieb stehen und lauschte. Doch außer seinem pochenden Herzschlag hörte er nichts. Sein Bruder war und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Das konnte doch nicht wahr sein! Der konnte ihn doch nicht so schnell abgehängt haben! Schon fast hilflos drehte er sich im Kreis. Ein paar Mal holte er tief Luft und versuchte sich so zu beruhigen. Wenn er jetzt auch noch in Panik verfiel, würde das niemandem helfen. Nur nicht an Baby denken! Endlich hatte sich sein Puls beruhigt. Er atmete noch einmal tief durch. Mit geschlossenen Augen lauschte er. Nichts. Nur der Wind strich leise durch die Äste. 'Jetzt wäre eine Wolfsnase wirklich von Vorteil', überlegte Dean. 'Obwohl? Wohl besser nicht.' Wenn er an das Desaster mit seinem Gehör dachte. Sein Gehör! Nach seiner Lungenentzündung war sein Gehör wieder normal, aber wenn er es wollte, dann hatte er auch Dinge hören können, die eigentlich für einen Menschen nicht zu hören waren. Wenn er sich jetzt richtig anstrengte, vielleicht konnte er Sammy dann ja doch hören? Noch einmal lauschte Dean. Und richtig. Ganz leise konnte er das Schniefen eines Menschen hören. Verwundert runzelte er die Stirn. War das Sam? Aber warum sollte der weinen? Klar er hatte sich erschrocken, aber das war doch für einen erwachsenen Mann kein Grund zum Heulen, oder doch? Hatte sich noch jemand in diesen Stückchen Land verlaufen? Eigentlich würde er das für eher unwahrscheinlich halten. Aber er hätte es bis eben auch noch für unwahrscheinlich gehalten, dass Sam so einfach wegrennt. Was war hier nur los? Erst wurde sein Baby entführt und dann brachten ein paar Clowns Sam dazu, zu flüchten. Immerhin lenkte der ihn so, wenn auch ungewollt, wenigstens von der Sorge um seine schwarze Schönheit ab. Obwohl? Ohne Sams Flucht hätte er sie vielleicht schon wieder. Er atmete noch einmal tief durch. So schwer es ihm auch fiel, Baby noch länger in der Hand ihrer Entführer zu wissen, Sam war wichtiger, viel wichtiger. Wütend rief er sich selbst zur Ordnung. Was sollte das denn heißen? Natürlich war Sam wichtiger als Baby. Sein kleiner Bruder war wichtiger als sein Leben, wichtiger als alles, was es auf der Welt geben konnte. Wie zum Teufel kam er denn auf solche Gedanken? Noch einmal lauschte er angestrengt. Das Schluchzen war noch immer zu hören. Er drehte sich einmal um sich selbst, um die genaue Richtung zu orten und schon rannte er los. Er war vielleicht eine halbe Meile gelaufen, als plötzlich ein Hirsch neben ihm aus dem Unterholz brach. Dean versuchte zu stoppen. Er strauchelte, trat auf einen lockeren Stein und landete unsanft auf der linken Seite. Leise fluchend rieb er sich sein Knie, bevor er sich wieder aufrappelte. Ungehalten schlug er sich den Schmutz von der Hose. Seine Hüfte hatte wohl auch etwas abbekommen. Aber das musste warten! Viel langsamer als zuvor lief er weiter. Kapitel 195: Wieder vollzählig ------------------------------ 195) Wieder vollzählig „Sammy“, sagte Dean erleichtert und trat in den Sichtbereich seines Bruder. Nur langsam hob der den Kopf. Kaum sah der seinen Bruder, fing er auch schon wieder an heftig zu schluchzen. Augenblicklich kniete sich der Ältere vor ihn und nahm sein Gesicht in seine Hände. „Was ist denn passiert, Sammy?“, fragte er leise und versuchte sanft die Tränen mit seinen Daumen von Sams Wangen zu wischen. „Ich ...“, schniefte der Jüngere. Er schaffte es nicht seinen Blick zu heben. „Ich ...“ Wieder schluchzte er heftig. Dean wartete geduldig. „Ich hab meinen Schuh verloren!“ Wie um es zu beweisen wackelte er mit seinen Zehen in einem schmutzigen, nassen Strumpf. Schon wieder liefen Tränen über seine Wangen und Dean versuchte gegen den Drang anzukämpfen auf etwas einzuschlagen, damit er nicht loslachen musste. Sam hatte mal wieder einen Schuh verloren. Das schrie doch förmlich danach ihn damit aufzuziehen. Aber irgendetwas war hier ganz und gar nicht so lustig, wie es sich anfühlte. „Sonst bist du okay?“, fragte er leise, als er seiner Stimme wieder traute. Nicht dass sich doch noch ein erleichtertes Lachen aus seiner Brust drängte, dafür war sein kleiner Bruder viel zu aufgewühlt und verunsichert. „Ich glaub ich hab mir den Knöchel verstaucht.“ „Deswegen musst du doch nicht gleich weinen.“ „Aber du hast gesagt, dass du mir den Schuh am Fuß antackerst, wenn ich noch mal einen verliere!“ „Wann hab ich denn das gesagt?“, fragte er ruhig, auch wenn er sich genau daran erinnerte. „Damals in Bangor, als wir den Höllenhund verfolgt hatten.“ „Du weißt schon, dass ich das nicht ernst gemeint habe, oder?“ „Das schon, es war nur … Diese Clowns haben mich so erschreckt und der Knöchel tut weh und ...“ Sam holte tief Luft und wischte sich energisch die Tränen vom Gesicht. „Ich schäme mich so, Dean!“ „Das musst du nicht. Ich bin heute Morgen wegen meines Babys durchgedreht. Irgendwas scheint hier komisch zu sein“, beschwichtigte der Ältere seinen kleinen Bruder und zog ihn in eine kurze Umarmung. „Sollen wir dem nachgehen?“, fragte Sam, als sie sich wieder voneinander gelöst hatten. „Wenn wir noch im Dienst wären vielleicht. Aber wir haben keine Waffen hier und nur weil wir emotional angeschlagen sind … welcher unserer Spielkameraden löst denn so ein Chaos aus?“ „Keine Ahnung“, überlegte Sam leise. „Lass uns erst mal hier verschwinden, dann können wir immer noch überlegen, was wir tun oder auch nicht.“ Sam nickte und ließ sich aufhelfen. Langsam machten sie sich auf den Weg zurück. Je näher sie dem Parkplatz kamen, umso schwerer hing Sam am Arm seines Bruders und als sie um die letzte Ecke bogen, blieb er ganz stehen. „Sammy?“, fragte Dean etwas irritiert, da ihn sein Bruder ziemlich abrupt gestoppt hatte. „Ich …, ich ...“, stammelte der Jüngere kaum hörbar. „Sie sind weg“, versicherte er ihm, da er wusste, dass sein Bruder durch die Clown-Attacke noch immer gehemmt war. „Bist du sicher?“ „Ja. Ich hab sie losfahren gesehen“, log der Ältere ungeniert. „Wirklich?“ Sam klang noch immer ängstlich. „Warum sollten sie denn hier warten?“ „Weil... weil ich ...“ „Sie sind weg. Aber ich kann nachsehen, wenn du mir nicht glaubst.“ „Du willst mich hier alleine …?“, wisperte Sam panisch. „Wenn ich nachschauen soll?“ „Nein!“ Sams Stimme war kurz davor umzukippen. Er atmete tief durch. „Ich komme mit“, verkündete er. „Dann los.“ Kurz zögerte der Jüngere noch. Dann gab er sich einen Ruck und lief, dicht an seinen Bruder gedrängt, mit ihm auf den Parkplatz. Er atmete hörbar auf, als weder von den Clowns noch deren Wagen noch etwas zu sehen war. Dean hatte also doch nicht gelogen. Stumm leistete er ihm Abbitte. Jetzt wollte er nur noch hier weg und so schob er seinen Bruder regelrecht zu ihrem Fahrzeug. „Warte kurz“, bat Dean, kaum dass sie neben dem Wagen standen und löste Sams Hand von seinem Arm. Er öffnete die Beifahrertür und half ihm einzusteigen. Im Motel angekommen half Dean seinem Bruder sich aufs Bett zu legen. Er machte ihm einen kühlenden Umschlag um den Knöchel, drückte ihm die Fernbedienung und seinen Laptop in die Hand. „Brauchst du noch was?“ Irgendwie hatte er ein schlechtes Gewissen. Immerhin musste Sammy sich die letzten Wochen intensiv um ihn kümmern und das war bei seiner Weltanschauung einfach nicht richtig. Er war der große Bruder und es war seine Pflicht dafür zu sorgen, dass es Sammy gut ging, nicht umgekehrt. „Nein Dean. Ich denke ich bin gut versorgt.“ Jetzt, hier in ihrem Zimmer war es Sam peinlich, wie er sich da draußen benommen hatte. Ja, er fühlte sich im Beisein von Clowns mehr als nur unwohl, warum er allerdings so panisch reagiert hatte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Und dass Dean jetzt hier herumlief wie ein aufgeschrecktes Huhn, machte die Sache auch nicht besser. Verdammt! Sie wollten doch nach Las Vegas und jetzt saßen sie hier noch immer fest! Doch das Schlimmste an der Situation war, dass er schon wieder einen Schuh verloren hatte. Wie oft denn noch? „Ich fahr mal schnell los, Schuhe kaufen. Irgendwelche besonderen Wünsche?“, wollte der Ältere in der Tür stehend, wissen. „Nein. Einfach nur ein Paar Schuhe.“ Dean nickte und verließ gleich darauf das Zimmer. Das Schaufenster des Schuhladens lockte mit Highheels in allen Farben und abenteuerlichen Absatzhöhen. Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht. Die gab es bestimmt auch in Sams Schuhgröße, oder? Doch als er sich vorstellte, wie Sam in den Dingern durch die Gegend stöckeln würde, fiel ihm sein verstauchter Knöchel wieder ein und schon machte sein schlechtes Gewissen die Freude zunichte. Er betrat das Geschäft und ging ohne einen weitere Blick auf die, auch hier, breit verteilten Highheels zu werfen zur Herrenabteilung, die ein ziemlich unscheinbares Dasein in einer Ecke fristete. Schon bald verließ er den Laden mit zwei Kartons unter dem Arm wieder. Sollte Sam jetzt nochmal einen Schuh verlieren, dann hätte er einen als Reserve! Kurz überlegte er, ob es eigentlich immer der gleiche Schuh war, den Sam verschlampte. Nein. Beim ersten Mal war es der linke, in Bangor der rechte und jetzt wieder der linke Schuh. Er verstand nur nicht warum Sam immer wieder einen Schuh verlor. Das wuchs sich wirklich zu einer Manie aus. „Bin wieder da“, sagte er unnötigerweise, kaum dass er die Tür ihres Motelzimmers geöffnet hatte. Er balancierte mehrere Tüten und Becher auf den Kartons ins Zimmer, schob die Tür mit einem Fuß zu und stellte alles auf Sams Nachttisch ab. „Was bringst du denn da alles mit?“, wollte der Jüngere auch sofort wissen. „Zwei Paar Schuhe, falls du noch einen verlieren solltest und Essen.“ „Hast du schon wieder Hunger?“ „Guck mal auf die Uhr!“, maulte Dean. Sam warf einen Blick auf seine Armbanduhr und erstarrte. „Oh“, machte er. „Ja, oh!“ „Sollen wir nicht besser erst den Impala holen? Nicht das der Schrottplatz inzwischen schließt.“ Dean erstarrte. Das durften die nicht tun! Er konnte nicht noch eine Nacht ohne sein Baby …! Aber Sam konnte nicht laufen. Unsicher kaute er auf seiner Lippe herum während sein Blick zwischen dem Essen und Sam hin und her wanderte. „Das Essen können wir doch bestimmt in der Mikrowelle aufwärmen oder ...“, nahm Sam die Zügel in die Hand. „Hab Salat für dich mitgebracht“, erklärte Dean kleinlaut. „Der kann im Kühlschrank warten. Ich probier mal, ob ich in die Schuhe komme.“ „Aber du musst deinen Knöchel schonen!“ „Ich kann ja im Wagen sitzen bleiben, während du den Impala holst und ich muss auch nicht mit, wenn du den Leihwagen zurückgibst. Da kann ich es mir schon im Impala gemütlich machen.“ „O-kay“ Dean war noch nicht wirklich überzeugt. Angespannt beobachtete er wie Sam seinen Fuß in einen Schuh schob und dann vorsichtig aufstand. „Die passen“, stellte der Jüngere glücklich fest. „Ich kenn dich eben“, strahlte Dean. Sam versuchte ein paar Schritte und war erstaunt, wie gut das doch ging. Er setzte sich wieder auf sein Bett und zog auch noch den anderen Schuh an. „Wenn du das Essen in den Kühlschrank stellst, können wir los“, verkündete er dann. Endlich erwachte Dean aus seiner Starre. Er räumte die Styroporpackungen weg und beeilte sich, um zum Wagen zu kommen. „Ich will den 1967 Impala“, forderte Dean grußlos, kaum dass er durch die Tür des Büros auf dem Schrottplatz trat. „Zweihundert Dollar und die Karre gehört Ihnen.“ „Zwei … was?“ „Ich kann den auch weiterverkaufen. Dafür kriege ich bestimmt etwas mehr.“ „Ach so läuft das hier? Sie klauen die Wagen unbescholtener Bürger und verkaufen die weiter?“, knurrte Dean wütend. „Ich klaue nicht!“ „Dann sind sie eben nur der Hehler!“ „Raus, bevor ich Sie wieder einsperren lasse!“ „Sie wollen mir drohen? Das kann ich auch. Bis jetzt haben wie Ihr hinterhältiges Spiel mitgespielt. Aber wenn sie mir den Wagen nicht augenblicklich herausgeben, erzähle ich dem FBI was hier passiert. Mal sehen was die dazu sagen! Ich bezweifle, dass die sich einfach so abwimmeln lassen. Wie viel haben Sie mit diesen Betrügereien denn schon verdient? Wie viele rechtschaffene Bürger haben Sie so denn schon betrogen?“ Dean war regelrecht stolz auf sich. Warum war ihm das nicht schon heute Morgen eingefallen? „Hier wird niemand betrogen!“, verteidigte sich der Besitzer des Abschleppunternehmens. „Ach nein?“ Dean zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. „Okay, okay“, versuchte ihn der Mann hinter dem Schreibtisch zu beschwichtigen. „Sie bekommen die Karre für fünfzig Dollar.“ Dean drückte auf „wählen“. „Zwanzig Dollar“ Die Stimme war kurz davor umzukippen. „Hey, ich ...“ „Okay, okay“ Der Mann kramte schnaufend und mit hochrotem Kopf in einer Schublade. „... ich melde mich gleich wieder“, sagte der Winchester, als der Kerl ihm den Schlüssel zuwarf. Fragend schaute er den Mann an. „Da hinten“, erklärte der wütend und wedelte mit der Hand in eine unbestimmte Richtung. „Und unsere Waffen?“ „Liegen im Kofferraum!“ „Das hoffe ich für Sie“, erklärte Dean kalt. „Sollte ich irgendwie mitbekommen, dass das hier weitergeht, informiere ich doch noch das FBI!“ Er verließ das Büro. „Geht doch“, brummelte er, kaum dass er vor der Tür stand und schaute sich suchend nach seinem Baby um. Er entdeckte sie ziemlich weit hinten, aber zum Glück nicht zugestellt. Mit weit ausgreifenden Schritten lief er auf seine geliebte schwarze Schönheit zu. „Es tut mir so leid, Baby“, erklärte er zerknirscht und strich ihr über das Dach, während er nach hinten ging, um sich zu überzeugen dass der Typ die Wahrheit über ihre Waffen gesagt hatte. Er warf einen kurzen Blick in den Kofferraum. Ein wütendes Knurren stieg in seiner Kehle auf, als er das verkratzte Schloss und die Dellen sah, die sie bei dem Versuch den Kofferraum zu öffnen, hinterlassen hatten. Einen Lidschlag lang überlegte er, ob er sich den Schaden genauer anschauen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Erst einmal wollte er den Impala und sich in Sicherheit bringen. Den Rest konnte er später begutachten und beheben. Wie oft musste er seinen Wagen eigentlich noch reparieren, bis er mal wieder länger damit fahren konnte? Das war doch früher nie das Problem gewesen. Kapitel 196: Wiedersehen ------------------------ 196) Wiedersehen Schnell stieg er ein und schob den Zündschlüssel ins Schloss. Er startete den Wagen und das Grollen des erwachenden Motors war wie ein Willkommensgruß und Balsam für die brennende Wut, die die Misshandlung seiner Schönheit hinterlassen hatte. Er legte den Gang ein und lenkte den Impala vom Hof. Im Vorbeifahren nickte er Sam zu, der inzwischen auf dem Fahrersitz ihres Leihwagens saß und fuhr zur Leihwagenfirma voraus. Dean gab den Wagen wieder ab und fuhr sie dann, in seinen Grübeleien versunken, zum Motel zurück. Auch Sam hing seinen Gedanken nach. Das Ganze kam ihm so unreal vor. Am Motel angekommen half Dean seinem Bruder ins Zimmer und schob ihn auch sofort aufs Bett, damit der seinen Knöchel schnell wieder hochlegen konnte. Sam hatte zwar nichts gesagt, aber er hatte an seinen Bewegungen ablesen können, dass der wieder mehr schmerzte und er hatte seine stille Hoffnung, den Ort heute noch verlassen zu können, begraben. Er wollte Sam nicht auf den Rücksitz verbannen, damit der seinen Fuß hochlegte, wenn er sich hier doch viel besser erholen konnte. Vielleicht sollten sie hier noch ein oder zwei Tage dranhängen, auch wenn er diesen merkwürdigen Ort viel lieber sofort verlassen wollte. Dean warf noch einen Blick auf Sam, bevor er sich zusammenriss und den vorerst wichtigen Dingen zuwandte. Er stellte sein Essen in die Mikrowelle und deckte den Tisch. „Geh raus, Dean“, forderte Sam leise. „Schau dir den Schaden an.“ „Du bist wichtiger!““ „Geh schon, du hast doch sonst keine Ruhe.“ Der Jüngere deutete grinsend auf den Tisch und Dean sah, dass er zwar vier Messer, jedoch keine Gabel auf dem Tisch verteilt hatte. „Ich ...“, begann er und brachte die Messer zurück. „Geh! Solange kann ich auch noch warten.“ Dean nickte. Er atmete tief durch und schoss regelrecht zur Tür hinaus. Sam musste schon wieder grinsen. Vorsichtig zog er seinen Schuh aus und tastete den Knöchel ab. Viel besser war es noch nicht geworden. Aber wie auch. Verstauchungen dauerten und diese hier war gerade mal ein paar Stunden alt. Vor dem Zimmer ließ Dean seine Finger vorsichtig über das zerkratzte Schloss und die Spuren, die das Brecheisen hinterlassen hatten, gleiten. Er schob den Schlüssel in das Schloss und versuchte, ob der Kofferraum richtig schloss. Dass es funktionierte, wusste er ja schon. Zumindest in der Beziehung konnte er sich entspannen. Soweit war alles in Ordnung auch wenn er bei Bobby noch einmal Hand an seine Schönheit legen musste. Er ging wieder ins Zimmer zurück. „Wie sieht´s aus? Überlebt sie es?“, empfing ihn Sam grinsend. „Es wird gehen.“ „Las Vegas steht also nichts mehr im Weg?“ „Außer deinem Knöchel? Nein“, antwortete der Ältere und hakte gleich nach. „Wie geht’s dir?“ „Soweit ganz gut. Solange ich den Fuß hochlegen kann, tut er kaum noch weh. Ich denke, morgen geht es wieder. Außerdem könnte ich ja einen Stützverband anlegen.“ „Das sollten wir gleich noch machen“, stimmte Dean zu. „Nach dem Essen“, wiegelte Sam Deans schon wieder aufkeimenden Aktionismus ab. „Nicht dass du noch jemanden anfällst, so wie dein Magen knurrt.“ „Okay“, stimmte der Ältere zu. Seine Sorge um Sam und sein Baby hatten ihn den Hunger vergessen lassen. Er half Sam beim Aufstehen. Langsam gingen sie zum Tisch und dann holte er ihr Essen. „Schon komisch“, begann Sam leise, nachdem er den ersten Hunger gestillt hatte und legte seine Gabel nieder. „Was? Dass du nur die Hälfte deines Hasenfutters gegessen hast?“ „Nein“, grummelte er und schob sich eine volle Gabel in den Mund. „Erinnerst du dich an das Gespräch des Besitzers des Lebensmittelgeschäftes mit einem Kunden, als wir vor einer Woche hier waren?“, wollte er wissen nachdem er geschluckt hatte. „Sie haben sich darüber unterhalten, dass eine Frau von einer Schlange gebissen wurde und ein Mann, der in ein Erdwespennest getreten war“, fasste er der Gespräch zusammen. „Was willst du damit andeuten?“ „Dass hier irgendwas nicht ganz koscher ist. Die Clowns, dass der Impala abgeschleppt wurde, die Kakerlaken im Essen. Willst du behaupten, dass so was normal ist?“ „Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was normal ist. Für mich sind das einfach blöde Zufälle.“ „Ein paar zu viel, oder?“ Dean zuckte mit den Schultern. „Wie oft hat jemand den Kofferraum geknackt und unsere Waffen gefunden?“ „Nie. Aber sie haben auch noch nie so offen da drin rumgelegen.“ „Und gerade jetzt macht es einer? Das kann kein Zufall sein, Dean.“ „Was denn sonst? Willst du schon wieder nach einem Fall suchen?“ „Nein ich will nicht nach einem Fall suchen. Ich denke nur, dass der Fall uns gefunden hat.“ „Der letzte Fall, der uns gefunden hat, hat aus mir einen Wolf gemacht“, gab der Ältere zu bedenken. Sam wimmerte leise. „Nicht dass ich diese Erfahrungen bereue. Ich möchte sie nur nicht noch einmal machen und das Ende will ich schon gar nicht noch einmal erleben müssen“, fuhr er fort. Sam konnte nur bestätigend nicken. Nie wieder wollte er seinen Bruder so verlieren. „Du hast ja Recht. Ich hatte nur gehofft, es übersehen zu können“, lenkte Dean ein. „Werden wir das je können? Wie sollen wir bei unserem Wissen einen Fall übersehen?“ „Wir werden lernen müssen, dass es auch andere Jäger gibt.“ „Auch wenn wir vor Ort sind?“ „Wahrscheinlich auch dann.“ „Und was machen wir jetzt, Dean?“ Der Ältere verdrehte die Augen. Der Sam, der ihn gerade anschaute, erinnerte ihn an den kleinen Sammy, der mal wieder umsonst auf Dad gewartet hatte. Unbewusst musste er bei der Erinnerung lächeln. „Was?“, fragte Sam sofort nach. „Du erinnerst mich gerade ein einen kleinen Sammy, den ich mal vor einer Ewigkeit gekannt habe.“ „Und was hättest du dem gesagt?“ „Nicht das, was ich Dir jetzt sage.“ „Du lässt dir mal wieder alles aus der Nase ziehen!“ „Weil mir die Antwort nicht gefällt!“ „Wir gehen dem nach“, stellte Sam ernst fest. „Wenn es dein Knöchel erlaubt“, schränkte Dean ein und Sam verzog das Gesicht. Jetzt hing die Entscheidung wieder bei ihm. Aber das geschah ihm wohl ganz Recht. Er wollte ja in Entscheidungen mit einbezogen werden und außerdem hatte er darauf hingewiesen, dass es vielleicht ein Fall war. „Okay, ich mache mir gleich einen Stützverband und dann sehen wir mal.“ „Eigentlich ist es Quatsch heute noch irgendwohin zu gehen. Ich meine, für uns ist es normal um die Zeit zu arbeiten, aber jetzt noch zu einer Befragung aufzukreuzen, ohne dass es einen Anlass gibt“, überlegte Dean laut. „Einen Anlass haben wir schon.“ „Ja, aber es ist keine Gefahr in Verzug ...“ „Wo hast du denn gelernt so geschwollen zu reden?“, grinste Sam. „Ich ...“ Dean verstummte. Er verzog genervt das Gesicht. „Es ist okay. Ich bin nur überrascht“, beschwichtigte Sam sofort. „Es klingt gut. Du klingst verdammt autoritär.“ „Dann hätte ich es wohl schon so machen sollen, als du ein Teenager warst.“ „Ich bezweifle, dass das geholfen hätte.“ „Stimmt. Du hattest mit Autoritäten Probleme, wenn John oder ich es waren.“ „Das Privileg des Kleinsten.“ „Der warst du schon nicht mehr als du sechzehn warst.“ „Okay, des Jüngsten“, grinste Sam. „Aber du hast Recht. Unsere Fragen ändern nichts an dem, was war. Also können wir auch morgen losziehen. Dann quäle ich mal weiter das Internet.“ „Okay“, nickte Dean. Er holte sich die Fernbedienung und warf sich auf sein Bett. Lustlos zappte er durch die Kanäle, während es sich sein Bruder mit seinem Lieblingsspielzeug auf dem Bett bequem machte. Schnell schaltete Dean den Fernseher wieder aus. Es lief nichts, was ihn auch nur halbwegs fesseln konnte. Er schloss die Augen und döste, von dem beruhigenden Klappern der Laptoptasten begleitet, ein. „Hey!“ Dean erwachte und blinzelte zu Sam hoch. „Was?“ „Geh ins Bett.“ Er streckte sich, gähnte herzhaft und setzte sich auf. Wie lange hatte er geschlafen? Irritiert schaute er zu seinem kleinen Bruder auf. „Du hast dein Schlafshirt an.“ Dean stand noch immer auf der Leitung. „Weil ich ins Bett will.“ „Okay“, langsam rappelte er sich auf und schlurfte ins Bad. Sam hatte ihn wohl aus einer Tiefschlafphase gerissen. Nur langsam wurde er etwas wacher. Etwas, das ihm nur in Sams Gegenwart passierte. Niemand anderer, außer John, hätte sich ihm auch nur nähern können, ohne dass er wach geworden wäre. Bei niemand anderem, auch bei seinem Vater nicht, hätte er je so fest geschlafen. Schnell machte er sich fertig und ging wieder ins Bett. Entgegen seiner Befürchtung jetzt nicht mehr schlafen zu können, glitt er schnell wieder in Morpheus Arme. An folgenden Morgen erwachte er als erster. Kein Wunder, er hatte ja auch ein paar Stunden mehr am gestrigen Abend. Die aufgehende Sonne brach durch die Wolken und vertrieb die dunklen Schatten, die vor ihrem Fenster lungerten. Der perfekte Beginn für einen perfekten Tag? Immerhin konnte er ihn auch für Sam perfekt starten lassen. Leise verschwand er im Bad und kaum dass er fertig war, schlich er aus dem Zimmer, um Sammy sein Lieblingsfrühstück zu besorgen. Als er zurückkam, saß Sam auf seinem Bett und versuchte seinen Knöchel zu verbinden. „Warte“, sagte er und lud seine Einkäufe auf dem gedeckten Tisch ab. „Das musstest du doch nicht“, erklärte er leise. „Wenn du schon auf bist und Frühstück holst ...“ „Ich habe auch keinen verstauchten Knöchel!“ Er nahm Sam den Verband aus der Hand, hockte sich vor ihn und begann den Fuß zu verbinden. „Und?“, wollte Dean leise wissen und trat zurück, damit Sam seinen Fuß belasten konnte. „Besser als gestern auf jeden Fall.“ „Nein, Sammy. Entweder du kannst normal laufen oder wir lassen das.“ Das letzte Röcheln der Kaffeemaschine enthob ihn vorerst einer Antwort. Sie gingen zum Tisch und setzten sich. Dean zauberte eine kleine Packung Cornflakes und Milch aus einer Tüte, außerdem noch ein Croissant und etwas Obst. Sich selbst hatte er einen Burger mitgebracht. „Burger zum Frühstück?“ „Es ist einer mit Putenfleisch“, schränkte der ältere Winchester ein. „Was ist los?“ „Mir war nicht nach fettig.“ Dean zuckte mit den Schultern und biss hinein. Sam lächelte. Sein Bruder hatte sich doch nicht so sehr verändert. „Was hast du gestern noch rausgefunden?“, fragte er nach wenigen Minuten. „Wenn ich das wüsste! Immer wenn ich dachte, ich hätte etwas genaueres, zerfloss es mir mit der nächsten Schlagzeile wieder. Das ist einfach nur frustrierend. Das Einzige, was ich sagen kann ist, dass es eben keine Zufälle sind, denn dafür ist sind einfach zu viele.“ „Was hast du alles?“ „Die Notaufnahme des Krankenhauses platzt schon seit Tagen aus allen Nähten. Und die wenigsten haben nur einen Schnupfen, oder, was hier auch schon harmlos wäre, gebrochene Gliedmaßen. Viele der Patienten haben Krebs, im Endstadium, Parkinson oder Alzheimer. Von gestern auf heute. Die Ärzte operieren am Fließband. Geburten verkomplizieren sich, die Neugeborenen sind krank. In der Grundschule haben sich gestern etliche Kinder mit Salmonellen vergiftet. Das Essen kommt aus einer Großküche. Die anderen Abnehmer hatten aber diesbezüglich keine Probleme. Es gab Hausbrände, diverse Unfälle in Haus und Garten, verpasste Vorstellungstermine, vergeigte Prüfungen, ein paar Jungs aus dem Footballteam haben Knieprobleme oder gebrochene Knochen. Der beste Werfer trifft nicht mehr. Soll ich fortfahren?“ Dean starrte blicklos aus dem Fenster. Er rollte unbewusst seine Tasse zwischen seinen Händen hin und her. „Dean?“, fragte der Jüngere lauter. Der Blonde zuckte zusammen, verschüttete etwas von seinem Kaffee auf seine Hose und stellte die Tasse leise fluchend auf den Tisch. „Jetzt brauche ich auch noch eine saubere Hose! Wir sollten demnächst waschen gehen.“ „Aber nicht hier. Nachher liegen wir noch in der Maschine.“ Sam grinste kurz und fragte weiter: „Worüber hast du nachgedacht?“ „Ich bin unsere üblichen Verdächtigen durchgegangen. Aber das was du erzählt hast, könnte zu allem und jedem passen. Okay, Ghouls, Werwölfe, Vampire und Wechselbälger können wir ausschließen, aber sonst? Eine Hexe, ein Fluch, die Kombination aus beidem, Dämonen? Gab es hier einen alten Indianerfriedhof? Eine Tulpa können wir wohl auch ausschließen, oder?“ Er stand auf und holte sich seinen Laptop. „Wonach willst du suchen?“, wollte Sam wissen. „Wetterdaten, oder hast du eine andere Idee?“ „Die haben nichts ergeben“, hielt Sam ihn auf. „Und was willst du dann tun?“ Dean schwante nichts Gutes. „Wir könnten nochmal in das Cafe gehen. Den Arzt, den Busfahrer und den Schornsteinfeger könnten wir auch besuchen. Die liegen alle noch im Krankenhaus. Sie waren, soweit ich herausgefunden habe, mit die ersten Opfer. Vielleicht haben sie ja was gemerkt.“ Der Ältere nickte ergeben und ging zum Schrank, um sich in Schale zu werfen. Sam rutschte stand ebenfalls auf und humpelte zur Kommode. „Du kannst kaum laufen!“, protestierte der Ältere. „Es ist gut, Dean. Der Schuh wird den Knöchel auch noch stützen. Ich lasse dich nicht alleine in dieses Kakerlakennest gehen!“ Dean atmete einmal durch. Er wollte da gar nicht hin, aber das stand wohl nicht zur Auswahl. Schon allein bei dem Gedanken an die Kakerlaken stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Das war‘s dann wohl mit dem perfekten Tag! „Mir wäre es am liebsten, wenn keiner von uns dahin ginge.“ „Das bleibt ein Wunsch, Dean.“ „Man wird ja wohl noch träumen dürfen“, schnaufte der Ältere und ergab sich in sein Schicksal. Kapitel 197: Der Ekel wartet überall ------------------------------------ 197) Der Ekel wartet überall Schnell hatten sie sich umgezogen und waren die wenigen Meter zu dem Café gelaufen. Sie gingen auf die Eingangstür zu, an der ein großes Schild darauf hinwies, dass das Café auf unbestimmte Zeit geschlossen war. „Okay“, freute sich Dean und machte auf dem Absatz kehrt. Er kam nicht einmal einen Schritt weit, als Sam ihn auch schon am Arm packte und auf einen Mann deutete, der grade um eine Ecke kam. „Gehört Ihnen das Café?“ „Nein ich arbeite hier nur.“ „Können Sie uns sagen, was hier passiert ist?“ „Vorgestern Vormittag stürmten plötzlich Millionen von Kakerlaken aus der Küche in den Gastraum. Das Essen wimmelte von Würmern und war teilweise verschimmelt. Dabei war das bei der Lieferung alles okay. Ich war dabei, als die Lieferung an dem Morgen kam. Wir verarbeiten immer alles frisch! Der Kammerjäger soll heute noch einmal kommen und das vergasen, was er noch nicht erwischt hat, obwohl ich bezweifle, dass die letzte Aktion viel gebracht hat.“ Er verdrehte die Augen. „Ich war nur hier um nach meinem Chef zu sehen.“ „Wo ist der?“ „Er hat hier eine Liege, wenn es mal spät wird. Jetzt sitzt er in der Küche. Egal wie sehr ich ihn dränge, er will hier nicht weg.“ Verzweifelt schaute der Koch zu Sam. „Danke!“ Der Winchester nickte dem Mann kurz zu, schaute sich dann um und fand seinen Bruder wenige Schritte entfernt. „Dean?“ „Du willst da nicht wirklich rein, oder?“ In Deans Blick lag die unausgesprochene Bitte jetzt „nein“ zu sagen. Er wusste nicht, warum sich alles in ihm dagegen sträubte. Vorhin war das ja auch noch fast in Ordnung gewesen aber jetzt wollte er diesem Tempel des Ekels keinen Schritt näher kommen. Er fühlte sich, als müsste er gleich in ein Flugzeug steigen von dem er genau wusste, dass der Pilot gleich nach dem Start aussteigen würde, mit dem einzigen Fallschirm! Doch sein Bruder blieb hart. „Doch, genau das!“ Ergeben nickte Dean. Wäre ja auch zu schön gewesen! Danach würde er sich für mindestens eine Stunde in die heiße Wanne legen und seine Kleidung würde in einem Sack verschwinden und samt und sonders in der Tonne landen. Er würde nie wieder ein Teil davon anziehen, dann schon lieber fliegen! Er warf seinem Bruder einen wütenden Blick zu, folgte ihm dann aber. In diese Ekelhöhle wollte er Sam auf keinen Fall alleine gehen lassen, nicht dass die Viecher ihn auffraßen. Schweigend gingen sie um das Haus herum zum Lieferanteneingang und betraten einen kurzen, düsteren Flur. Die Tür zur Küche stand sperrangelweit offen. Langsam gingen sie darauf zu. Unter ihren Schuhen knirschte es, so als würden sie Popcorn zertreten. Dean schluckte. Popcorn. Der Gedanke klang gut! Er wollte gar nicht wissen, was genau es war, worauf er hier herumlief. Und auch Sam schluckte trocken. Hier drin konnte er Deans Abscheu plötzlich nur zu gut verstehen und schimpfte sich im Stillen einen Idioten, weil er nicht auf seinen großen Bruder gehört hatte. Er vermied es ebenfalls, nach unten zu schauen. „FBI, Special Agent Tyler und das ist mein Kollege Special Agent Caine“, stellte Sam sie vor. „Was ist hier passiert?“ Der Inhaber hob nur kurz den Kopf, bevor er wieder blicklos vor sich hin starrte. „Sir?“ „Ich hab keine Ahnung", murmelte er geistesabwesend. „Können wir uns bitte draußen weiter unterhalten?“, wollte Dean wissen ohne den Mann anzusehen. Sein Blick klebte förmlich an einer über die Wand krabbelnden Schabe und fiel dann, ganz automatisch doch auf den Boden. Noch rannten die Viecher nur über seine Schuhe, doch die erste hatte schon ihre Fühler in die Höhe gereckt und schien sich zu überlegen, wie lange sie wohl für den Aufstieg an seiner Hose brauchen würde. Der ältere Winchester würgte trocken. Das hier war mehr als nur eklig! Er fühlte sich, als würde er langsam durch den Raum gleiten. Gleich würden sie ihn umwerfen und fesseln und wer weiß was mit ihm anstellen! Wie hieß noch mal der Film mit den Kakerlaken im Apartment? Sein Fluchtinstinkt setzte schlagartig ein. Er wollte weg! „Warum? Ich bin ruiniert! Sollen sie mich doch gleich mit auffressen, so wie sie es mit meinem Lokal gemacht haben!“ „Es wäre trotzdem gesünderer, wenn wir hier verschwinden würden“, gab Sam zu bedenken. „Ich bin doch schon tot!“ „Sam, ich...“, begann Dean unsicher und stampfte dann heftig mit dem Fuß auf. Es knackte und knirschte unter seinem Fuß und ekliger Schleim spritzte zur Seite. „Ich … ich warte draußen!“, erklärte der Ältere kategorisch und verließ die Küche fluchtartig. Vor der Tür wischte er sich die Krabbeltiere von der Hose. Doch das Gefühl von tausenden dieser Schaben überrannt zu werden, blieb. Immer wieder putzte er sich über die Hosen und seine Jacke. Es war egal. Es krabbelte weiter und verursachte immer weitere Ekelschauer, die über seinen Rücken rannen. Der Ekel hatte ihn fest in seinen Klauen. Sam hatte es in der Zwischenzeit auch irgendwie geschafft, den Besitzer des Restaurants zum Verlassen seiner Küche zu bringen. Gemeinsam kamen sie heraus. „Könnte Ihnen jemand schaden wollen?“, fragte er und putzte sich die Kakerlaken von der Kleidung. Dean war kurz davor, sich die Haut blutig zu kratzen, nur um das krabbelnde Gefühl loszuwerden. Die Viecher waren ja noch ekliger als Ratten! „Nein, keine Ahnung. Vor knapp zwei Jahren ist meine Ex mit meinem Koch durchgebrannt. Danach hatten wir hier eine ziemliche Durststrecke, doch jetzt hab ich einen neuen, besseren Koch gefunden und das Restaurant lief wieder hervorragend. Bis … !“, beantwortete der Mann Sams Frage mit einem niedergeschlagenen Seufzen. „Ist Ihnen nichts aufgefallen?“ „Nein, die Lieferungen waren in Ordnung. Wir haben sie entgegen genommen, geprüft und eingelagert. Da war alles in Ordnung. Und selbst wenn nicht. Wir haben fünf Kartons mit Salat und Gemüse bekommen. Das Fleisch war in Kühlboxen, die wir sofort ins Kühlhaus gestellt haben. Wenn da was drin gewesen wäre, wäre das jetzt auch mindestens tiefgekühlt. Und die fünf Kartons? Die hätten bis oben voller Ungeziefer sein müssen und selbst dann hätten das nie diese Mengen sein können. Ich weiß nicht, wo die hergekommen sein könnten! Mein schlimmster Albtraum ist wahr geworden! Ich kann aufhören! Nie wieder wird jemand bei mir essen! Nie wieder werde ich einen Fuß auf den Boden bekommen! Ich bin ruiniert!“, hilfesuchend blickte der Besitzer zu Sam. „Welche Firma beliefert Sie?", wollte der Winchester wissen. Er schrieb sich die Namen des Bauern und der Lieferfirma auf. „Vielen Dank. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, hier ist meine Karte.“ „Ich glaube nicht“, sagte der Restaurantbesitzer traurig und wandte sich ab. Sam ging zu seinem Bruder. „Und jetzt?“, fragte er. „Keine Ahnung. Hast du nicht noch so eine Ekeltour auf deinem Programm?“ „Das war nicht mein Programm!“ „Nein. Aber wir sind gerade so richtig schön eingesaut ...“ Dean klang niedergeschlagen. „Was ist los?“ „Nichts“, erwiderte der Ältere leise. Was sollte er auch sagen. Er fühlte sich gerade wie ein Hamster im Rad oder wie Sisyphus. Egal was er sagte oder tat, es würde nur schlimmer werden. Sam seufzte. Er war sich sicher, dass Dean wegen ihm so schlecht drauf war. Er hätte diesen Fall nicht annehmen dürfen. Andererseits schienen sie ja eh bis zum Hals drin zu stecken, so dass es egal war, ob sie es wollten oder nicht. Es tat ihm nur leid, dass sich sein Bruder mal wieder so unwohl fühlte. „Gehen wir uns erst mal umziehen“, verkündete er fröhlich. Dean brummelte und marschierte zu ihrem Zimmer, ohne sich um seinen hinkenden Bruder zu kümmern. Als der es dann endlich auch bis in ihr Zimmer geschafft hatte, wäre er fast über die Schuhe des Älteren gestolpert. War vielleicht gar keine so schlechte Idee, überlegte er sich und zog seine Schuhe ebenfalls aus. Er sammelte Deans auf und ging ins Zimmer. Eigentlich wollte er die gleich in der Dusche abwaschen, doch die Tür war zu. Sein Bruder hatte sich im Bad verbarrikadiert. Kaum im Zimmer angekommen hatte sich der Ältere in voller Montur unter die Dusche gestellt. Die wenigen Meter über die Straße waren die kleinen Krabbelfüße, die über seinen Körper liefen nicht weniger geworden. Und kurz bevor er die Zimmertür erreichte, wäre er am Liebsten stehengeblieben und hätte sich die Kleidung vom Leib gerissen. Er ekelte sich vor sich selbst und wollte sich die Haut vom Leib kratzen. Alles juckte, ihm standen regelrecht die Haare zu Berge. Er wollte nur noch dass es aufhörte! Jetzt drehte er das Wasser immer heißer und begann sich langsam seiner nassen Kleidung zu entledigen. Mit krebsrot gescheuerter Haut und einem Handtuch um die Hüften kam Dean eine halbe Ewigkeit später zurück ins Zimmer. Er holte sich ein sauberes T-Shirt und Shorts aus dem Schrank, zog sich seine Jeans über und setzte sich dann auf sein Bett, nicht gewillt, das so schnell wieder zu verlassen. Er wusste selbst, dass er sich gerade ziemlich hysterisch aufführte und die Tagesdecke bestimmt auch nicht porentief rein war, aber es war ihm egal. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so vor etwas geekelt! Besorgt blickte der Jüngere zu dem Häufchen Elend auf dem Bett. Was war nur mit Dean? Brachte es etwas ihn jetzt darauf anzusprechen? „Dean?“, versuchte er es ruhig und hielt ihm eine Tasse Kaffee hin. Ganz langsam hob der Ältere den Kopf. „Was ist los?“ „Das ist meine letzte saubere Hose. Ich glaube wir müssen einkaufen!“ „Du willst schon wieder freiwillig einkaufen gehen?“ „Oder waschen.“ „Was ist mit deinem Anzug?“ „Liegt vor der Dusche.“ Sam ahnte Schlimmes. Er wollte es eigentlich nicht bestätigt wissen, aber er ging trotzdem nachschauen. Außerdem musste er ja auch noch ihre Schuhe säubern. Er blickte auf den undefinierbaren Haufen vor der Dusche. Ja, den Anzug konnten sie nur noch wegwerfen. Dean hatte damit geduscht! Er ging zurück ins Zimmer. „Was ist los mit dir?“, wollte er ruhig wissen und zog sich einen Stuhl etwas weiter an das Bett seines Bruders heran. „Keine Ahnung!“ „Dean, bitte. Das ist doch nicht normal. Du ekelst dich doch sonst nicht so vor Kakerlaken.“ „Es waren ja auch noch nie so viele! Und hast du dir die mal angesehen? Die waren riesig!“ „Dean!“ „Die wollen bestimmt die Weltherrschaft an sich reißen!“ „Das waren dann eher Pinky und der Brain!“ „Und wenn die Kakerlaken wie Clowns geschminkt wären?“ Sam atmete tief durch. Er fand es noch immer übertrieben, wie sein Bruder sich benahm. Trotzdem! So kamen sie nicht weiter. Irgendwie waren diese Krabbeltiere seinem Bruder wohl auf den Magen geschlagen. Hoffentlich nicht im wörtlichen Sinne. Er stand auf, holte Deans Laptop und gab ihm den. „Ich fahre gleich einkaufen und du kannst ja schon mal recherchieren, ob vielleicht ein Fluch dahinter steckt. Hier sind die Namen des Lieferdienstes und der Lieferanten des Cafés. Vielleicht hängen die Salmonellen-Vergiftung auch damit zusammen. „Das könnte ja noch sein, aber wie soll denn der Schulbus da reinpassen?“ „Finde es raus! Soll ich dir sonst noch was mitbringen?“ „Nein, Danke.“ Er holte sich eine Tüte, in die er Deans vollkommen derangierten Anzug steckte, um ihn gleich in der nächsten Mülltonne zu entsorgen. Er hatte gerade die Hose in die Tüte gestopft als er eine Bewegung wahrnahm. War das jetzt? Nein! Das war mit Sicherheit nur eine optische Täuschung. Ein Spiel von Licht und Schatten! Eine Halluzination! Sam verbot sich noch weiter darüber nachzudenken. Mit spitzen Fingern stopfte er die Jacke ebenfalls in die Tüte und ließ Hemd und Krawatte folgen. Er knotete die Tüte zu und ging nun ebenfalls duschen. Als er fertig war, zog er sich seine Jacke an, nahm die Tüte und warf noch einen Blick auf seinen Bruder, der lustlos auf den Tasten seines elektronischen Helfers herumhackte. „Wenn ich wiederkomme, fahren wir essen“, sagte er. „Wenn man vom Pferd fällt soll man sofort wieder aufsteigen, also bekämpfen wie die Erinnerung an die Kakerlaken mit einer guten an ein weiteres Restaurant.“ „Hab keinen Hunger“, nuschelte der Ältere ohne zu merken, dass ihn Sam doch gehört hatte und seine Sorge um Dean so noch etwas größer wurde. Irgendwie schien es fast so, als ob sich dessen größte Ängste manifestiert hätten. Aber nein, dann hätten da nicht Kakerlaken sondern Ratten auf sie gewartet. Die mochte Dean ja noch viel weniger. Er verschob den Gedanken auf später und konzentrierte sich auf die Fahrt und den folgenden Einkauf. Kapitel 198: Die Definition von Fluss ------------------------------------- 198) Die Definition von Fluss Dean surfte weiter lustlos im Internet. Er wusste nicht so recht wonach er noch suchen sollte. Der Lieferdienst war eines von mehreren örtlichen Unternehmen dieser Art und hatte bei der Übernahme der Lebensmittel nichts Ungewöhnliches bemerkt. Außerdem war das Chatterbox-Café nicht der einzige Adressat gewesen. Auf der Tour hatte der Lieferwagen noch mehrere Restaurants und Läden angefahren und keiner hatte Probleme mit Ungeziefer gemeldet. Also konnte es daher nicht kommen, zumal er sich nicht vorstellen konnte, dass die Kartons so dicht waren, dass keine Schabe hätte entweichen können. Frustriert fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht. Eine ganze Weile starrte er Löcher in die Luft, dann holte er sich Sams Notizen und begann diese zu lesen, doch er konnte in dem konfusen System seines Bruders nichts erkennen. Vielleicht sollten sie sich mal gegenseitig erklären, wie sie vorgingen. Immerhin hatte Sam mit seinen Stichpunkten in Naples auch nichts anfangen können. Noch einmal ging er ihr Gespräch vom vorigen Abend durch. Sie hatten überlegt, ob es Dämonen oder ein Fluch sein könnten. Er begann sich die Wetterdaten der letzten Jahre vorzunehmen. Vollbepackt kam Sam in ihr Zimmer. Die Tüten ließ er auf Deans Bett fallen. Den Anzug hängte er an die Schranktür. „Hier, damit du dich wieder unter Leute trauen kannst“, erklärte er ruhig. Leicht humpelnd ging er zu einem der Stühle und ließ sich leise ächzend darauf fallen. Dean schien jedoch nicht besonders neugierig zu sein. Er klickte sich weiterhin durch das Internet. „Dean?“, drängte Sam etwas lauter. Er erhielt keine Reaktion, also stand er auf, ging zu Deans Bett und ließ sich darauf nieder. Er nahm sich den Block, auf dem sein Bruder einige Zahlen und Namen aufgeschrieben und wieder durchgestrichen hatte. Frustriert legte er ihn gleich darauf wieder weg. Er wurde mal wieder nicht schlau aus diesen Stichpunkten. Immerhin schien der Ältere inzwischen mit seiner Suche fast fertig zu sein. Dean brauchte wirklich nicht mehr lange, bis er den Artikel zu Ende gelesen hatte und seinen Rechner zuklappte. Er schaute zuerst zu seinem Bruder und warf einen kurzen Blick in die Tüten, bevor er die, ohne sie auszupacken, in den Schrank räumte. Den Anzug räumte er ebenfalls unbesehen weg. Zurzeit hatte er zu nichts eine Meinung. „Dann können wir jetzt ja Essen fahren“, stellte Sam ruhig fest. „Ich hab keinen Hunger!“ „Du hast schon Hunger, aber mehr Angst, dass uns wieder Ungeziefer aus dem Essen angrinst“, warf Sam ein. Dean legte den Kopf schief. Ohne eine ausgesprochene Antwort musterte er seinen Bruder kurz. „Wenn doch, wissen wir wenigstens, dass es an uns liegt.“ „Das hilft uns dann aber auch nicht weiter.“ „Nein, das nicht. Aber dann können wir andere, übernatürliche Ursachen ausschließen. Oder aber dieser Restaurantbesitzer hat die gleichen Ängste.“ „Und wir wären wieder keinen Schritt weiter. Außerdem … was willst du denn tun, wenn das inzwischen meine größte Angst ist?“ „Ist es nicht!“ „Nicht? Dann bist du dir sicherer als ich.“ „So schnell änderst du deine Prioritäten nicht. Und jetzt komm.“ Dean atmete einmal tief durch. Er griff nach seiner Jacke und sah seinem Bruder mit einem riesigen schlechten Gewissen dabei zu, wie der zum Impala hinkte. Wie hatte er ihn nur einkaufen schicken können? Er war doch sonst nicht so egoistisch! Aber diese Kakerlaken hatten ihn vollkommen aus dem Konzept gebracht. Sam schien die Clowns besser wegstecken zu können, als er diese Krabbelviecher. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht, da musste er seinem Bruder recht geben. Etwas weiter außerhalb fanden sie ein kleines chinesisches Restaurant. Sie setzten sich in eine der kleinen Nischen und bestellten. „Was hast du eigentlich herausgefunden?“, wollte der Jüngere wissen, kaum dass die Bedienung wieder außer Hörweite war. Seinem leicht nörgelnden Tonfall war anzuhören, wie sehr er auf die Antwort brannte, hatte er während der Fahrt doch nicht fragen wollen, nicht dass Dean sofort wieder wendete. „Es gab hier keine Omen. Das Wetter hat zwar hin und wieder verrückt gespielt, aber wo hat es das nicht? Hier haben natürlich, wie überall, Ureinwohner gelebt, aber es gab hier weder eine Kultstätte noch einen Friedhof. Das können wir also auch streichen. Was natürlich nicht heißt, dass es nicht doch ein Fluch gewesen sein könnte. Aber ich glaube irgendwie nicht, dass es etwas mit dem Ort zu tun hat.“ Der Jüngere nickte. Das hatte er gestern Abend auch rausgefunden. Eine Weile schaute er gedankenverloren vor sich hin. „Dann muss es doch mit den Opfern zu tun haben. Und welche Gemeinsamkeit haben die?“, sprach er seine Überlegungen aus. „Das ist ja das Problem! Die Kinder der Grundschule sind natürlich im Krankenhaus gelandet. Der Busfahrer und die Schulkinder, die in dem Bus saßen, auch. Genauso wie der Arzt, der da gearbeitet hat und natürlich auch da versorgt wurde. Inzwischen ist er allerdings zu Hause. Und da wären auch noch die ganzen Personen in der Notaufnahme. Die Gäste aus dem Cafe sind, wie wir auch, nicht ins Krankenhaus gegangen. Die werden wohl einfach nur nie wieder da essen. Und die vergeigten Prüfungen, egal welcher Art, haben auch nichts mit dem Krankenhaus zu tun. Trotzdem denke ich, sollten wir da anfangen. Da haben wie die meisten Opfer an einem Ort.“ „Viele von denen sind aber auch schon wieder entlassen und zu Hause.“ Sam schüttelte den Kopf. Irgendetwas schien da nicht zu passen. Die Kellnerin brachte ihr Essen und unterbrach so für kurze Zeit seine Gedanken. Doch kaum war sie wieder weg, richteten die Brüder ihr Augenmerk auf das eigentliche Problem. „Ich denke, wir sollten uns erst mal auf die Stadt konzentrieren“, sagte Sam während er nach dem Besteck griff. „Und was schlägst du vor?“, wollte Dean wissen. „Wir durchsuchen die städtischen Archive nach ungewöhnlichen Vorkommnissen.“ Der Ältere verdrehte die Augen und holte tief Luft. „Ich hasse es!“, grummelte er leise. Er zog die Stäbchen aus ihrer Hülle hervor, rieb sie kurz aneinander und begann den Inhalt seines Tellers zu untersuchen, nicht dass ihn hier auch gleich wieder irgendwelches Ungeziefer anschaute. Er fand nichts und begann zögerlich zu essen. Je mehr sich der Teller leerte umso stärker machte sich sein Hunger bemerkbar und so schaufelte er die letzten Bissen in sich hinein, als gäbe es kein Morgen mehr. Sam beobachtete seinen Bruder mit einem Lächeln. Zumindest dieses Trauma schienen sie überwunden zu haben und vielleicht, wenn sie Glück hatten, löste sich ihr Fall ja genauso in Luft auf. Zuversichtlich verließen sie das Restaurant. Sie wollten gerade die Straße überqueren, als Dean abrupt stehen blieb. Er streckte seinen Arm zur Seite und brachte so auch seinen Bruder dazu stehen zu bleiben. „Was ist?“, fragte der Jüngere leise „Da war was“, informierte Dean und versuchte die Dunkelheit mit seinem Blick zu durchdringen. Er hatte zwei rote Punkte gesehen, aber jetzt war das nichts mehr. „Da ist ni...“, begann Sam. Er wollte sich gerade abwenden und weitergehen, als auch er etwas sah. Zwei rote Punkte in einem dunklen Schatten verschwanden im Abwasserkanal. „Hinterher“, rief Dean und rannte auch schon los. Er war als Erster bei dem Kanaldeckel. Mit aller Kraft zerrte er daran, aber erst als auch Sam zufasste, gelang es ihnen den Eisendeckel anzuheben und zur Seite zu ziehen. Dean kletterte als erster in den Kanal. Er holte seine Taschenlampe hervor und schaltete sie an, um Sam einen sicheren Abstieg zu ermöglichen, schließlich hatte der einen verstauchten Knöchel. Kaum stand der Jüngere ebenfalls im Abwasserkanal, schaute er sich auch schon suchend um. „Weißt du wohin?“ „Keine Ahnung.“ „Und was denkt dein Bauch?“ „Dass er lieber nicht hier wäre?“ „Okay, das glaube ich ihm sogar, es ist aber nicht gerade hilfreich.“ „Du hast gefragt.“ „Ich wollte eigentlich eine Richtung haben“, grummelte Sam. „Das wäre auch eine gewesen“, lachte Dean. „Nach oben. Aber da du das wohl nicht gelten lassen willst, ich würde da lang gehen.“ Er deutete in eine Richtung. „Und das weißt du weil ...“ „Eigentlich klingt es hier überall nur nach Abwasserkanal.“ „Du hörst also niemanden laufen oder so?“ „Nein. Aber meinst du, dass Schatten Krach machen?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Wenn es nur ein Schatten wäre nicht, aber meistens hängt ein Schatten an jemandem dran und hat keine rot leuchtenden Augen. Außer der von Peter Pan.“ „Gut, der kann fliegen.“ Dean grinste kurz. Er ließ den Lichtkegel der Taschenlampe einmal vor sich über den Boden gleiten und setzte sich gleich darauf in Bewegung. Schweigend folgten sie dem Kanal. Jedes auftretende Hindernis hielt er so lange im Lichtkegel fest, bis er sich sicher war, dass Sam es gesehen hatte, erst dann schwenkte er die Taschenlampe wieder nach vorn. Je weiter sie kamen, umso mehr Wasser floss in den Kanälen und umso schlimmer wurde der Geruch. Die Brüder hielten sich schon eine ganze Weile einen Arm vors Gesicht, um wenigstens halbwegs atmen zu können. Das würde wieder eine Duschorgie nach sich ziehen. Fragte sich nur, wer von beiden wohl schneller im Badezimmer war, denn Sam bezweifelte dass, sollte es Dean sein, er dieses Mal auf das Recht des Schnelleren verzichten würde. Genau so wenig wie er selbst. (you know, Familys that shower together …lol) Morgen würden sie dann nicht nur in den Archiven sondern auch im örtlichen Waschsalon rumsitzen müssen. Vielleicht konnten sie sich ja aufteilen. Er wollte Dean gerade darauf ansprechen und ihn fragen, wie lange sie hier noch erfolglos suchen wollten, als er merkte wie sein Fuß wegrutschte. Verdammt! Er war so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass er nicht auf den Boden geachtet hatte und auf irgendetwas Glitschiges getreten war. Er ruderte mit den Armen, versuchte sich an der Kanalwand abzufangen. Es brachte nichts. Er konnte das Gleichgewicht nicht zurückerlangen und fiel. Schmerzhaft landete er auf den Knien. Doch das Schlimmste war, dass er sich bei dem Versuch nicht gänzlich auf die Nase zu fallen auf dem schmalen Sims abstützte, auf dem sie entlangliefen. Seine Hand rutschte von der Kante ab und platschte laut vernehmlich ins Abwasser. „Igit“, fluchte er. Er wollte sich jetzt auf keinen Fall Gedanken darüber machen, was alles in der Brühe herumschwamm. Augenblicklich fuhr Dean herum. „Sammy?“ Sein Blick glitt über seinen knienden Bruder. „Ist dir was passiert?“ „Nein, ich bin nur ausgerutscht“, erklärte der, setzte sich auf seine Fersen und versuchte das Abwasser von seiner Hand zu schütteln. „Ey“, fauchte Dean und sprang über den Schmutzwasserbach. Kurz kämpfte er um sein Gleichgewicht, schaffte es aber, anders als Sam, auf den Füßen zu bleiben. Allerdings verlor er dabei seine Taschenlampe. „Verdammt“, fluchte er und sah ihr dabei zu, wie sie langsam auf die Kannte zu rollte. Der Absturz blieb aber aus. „Entschuldige“, erklärte der Jüngere leicht zerknirscht. „Bist du fertig?“, wollte der Ältere grummelnd wissen. „Na … ja.“ Dean bückte sich, um die Lampe aufzuheben. Über ihm raschelte etwas. Ein leises Quieken war zu hören und plötzlich quollen Massen von Ratten aus einem Rohr direkt über dem älteren Winchester. Sie nutzten seinen Rücken als Platz zum Zwischenlanden und sprangen von da aus nach unten, um auf dem Sims wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Eine der Ratten blieb auf Deans Rücken sitzen. Sie musterte Sam aus runden Knopfaugen. Wie, als müsste sie überlegen, kratzte sie sich hinter dem Ohr und begann dann auch noch, sich in aller Ruhe das Gesicht zu putzen. Dean war wie erstarrt. Er wusste genau, was ihn da heimsuchte und doch war er unfähig, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Fest kniff er die Augen zu, damit er die Ratten nicht sehen musste. Sam seinerseits war hin und her gerissen. Einerseits war er geschockt wie viele Ratten sich durch das Rohr drängten, andererseits war er froh, sich auf der andere Kanalseite zu befinden und dann faszinierte ihn Deans Minenspiel, das sich zwischen Ekel, Unglauben und Panik bewegte. Das war so eine unglaubliche Mischung, dass er unweigerlich grinsen musste. Und je länger dieser Rattenstrom wurde, umso mehr musste er sich das Lachen verkneifen, bis er es, als der Strom endlich verebbte, nicht mehr schaffte. Die letzten Ratten sprangen aus dem Kanal und von Deans Rücken auf den Boden. Der Wächter beendete seine Säuberungsaktion, tippelte kurz auf seinem Platz hin und her. Er machte Männchen, als ob er in das Rohr schauen wollte. Und erst danach verließ er seinen Platz und rannte seinen Artgenossen hinterher. Kapitel 199: Ängste ------------------- 199) Ängste Dean stand noch immer wie erstarrt. Er hatte die Zähne hart aufeinander gepresst und die Augen zusammengekniffen. „Hey, Alter, es ist vorbei, du kannst wieder gucken“, feixte Sam. Deans Atmung kam gepresst. „Dean! Hey!“, sofort wurde der Jüngere wieder ernst. Deans Atmung wurde immer hektischer und immer flacher. „Verdammt“, schimpfte Sam und beeilte sich über den Abwasserstrom zu kommen. Er legte seinem Bruder eine Hand auf den Rücken und die andere auf die Brust. Energisch und doch so vorsichtig wie möglich versuchte er ihn aufzurichten. „Komm schon, Dean. Bitte. Es ist vorbei. Sie sind weg. Bitte! Atme mit mir. Komm schon. Ein, aus, ein, aus.“ Es dauerte bis sich Dean Atmung Sams Rhythmus anpasste. Und endlich bewegte sich der Ältere auch selbstständig. Leise ächzend drehte er sich zu Sam: „Raus hier“, war alles, was er, fast tonlos über seine Lippen brachte. Nur zu gerne nickte der Jüngere, nahm Deans Handgelenk in seine Hand und zog ihn zum nächsten Ausstieg. Auf keinen Fall wollte er riskieren, dass sie auf dem Weg zu ihrem Einstig noch einer Horde Ratten über den Weg liefen. Dean würde dann wohl ausflippen und er wollte keinen irreparablen Schaden bei seinem Bruder riskieren. Obwohl der ja schon weitaus Schlimmeres gut weggesteckt hatte. Aber hier schien alles irgendwie schlimmer zu sein und er wollte nichts forcieren. So wie sie derzeit bei all ihren Ängsten überzureagieren schienen, war hier alles möglich. „Willst du vorgehen?“, fragte Sam ruhig, als sie unter einer Eisenleiter standen. Dean nickte und begann sofort die Sprossen nach oben zu klettern. Er stemmte sich gegen den Kanaldeckel, doch der ging nicht auf. Mit aller Macht rammte er seine Schulter wieder und wieder gegen den Gullydeckel, doch das Ding rührte sich nicht. Panik begann sich erneut in seinem Inneren auszubreiten. „Warte, ich helfe dir“, versuchte Sam so ruhig wie möglich zu ihm durchzudringen. Nicht dass sich Dean noch die Schulter brach. Er kletterte die Eisensprossen ebenfalls nach oben und stellte sich hinter seinen Bruder. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und versuchte dieses zerstörerische Muster zu unterbrechen. „Dean!“ Sofort stoppte der Ältere. Er drehte sich zu seinem Bruder um und Sam erschrak, als er das Flackern des Wahnsinns in Deans unruhig hin und her zuckenden Augen sah. „Ich … ich ...“ stammelte Dean hilflos. „Wir kommen hier raus, das verspreche ich dir!“, sagte er so ruhig er nur konnte. „Bist du sicher?“ „Ja! Und jetzt versuchen wir es zusammen.“ Dean nickte dankbar. „Eins, zwei, drei“, zählte der Jüngere und dann stemmten sie sich gemeinsam gegen den Gullydeckel. Nichts. Das Ding wollte sich einfach nicht bewegen. „Ich glaube wir müssen uns einen anderen Ausstieg suchen“, bedauerte Sam ihr Versagen nach einer Weile. „Nein! Ich kann da nicht wieder runter.“ „Dann gehe ich alleine und du bleibst hier oben. Ich komme dich holen“, überlegte Sam. Hoffentlich bekam er den Deckel von oben auf. Was passieren würde, wenn er den dann auch nicht öffnen konnte, wollte er sich lieber nicht ausmalen. „Ich bleib hier nicht allein! Ich kann das nicht!“, wisperte Dean panisch. „Ich bleib hier nicht alleine, ich bleib hier nicht ...“ „Dean!“, versuchte Sam energisch zu seinem Bruder durchzudringen. Der Ältere zucke zusammen und wandte seinen Kopf seinem kleinen Bruder zu. „Was?“ „Entweder du bleibst hier und ich gehe allein oder wir gehen zusammen. Ich kann nicht gehen und bleiben. Das funktioniert einfach nicht.“ „Okay?“ „Was okay?“ „Ich ...“ fragend schaute Dean seinen Bruder an. „Kommst du mit?“ „Nein!“ „Gut, dann gehe ich allein und du bleibst hier!“ „O-kay“, erwiderte Dean unentschlossen. Nickte dann aber. Hier oben alleine war weniger schlimm, als noch einmal nach unten zu steigen und vielleicht einer Ratte zu begegnen. Schon bei dem Gedanken an das kleine Pelztier sträubten sich ihm sämtliche Nägel. Sam nickte. Sein Bruder schien mit keiner der Möglichkeiten wirklich glücklich zu sein, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen, denn dann würden sie morgen noch hier hocken. „Ich beeile mich“, sagte er und drückte Deans Schulter. Gerade als er wieder nach unten steigen wollte, hörten sie über sich eine Wagentür schlagen. Ein Motor wurde gestartet und gleich darauf entfernte sich das Motorengeräusch. „Jetzt sag nicht, dass ein Auto auf dem Deckel geparkt hatte“, grummelte er. Noch bevor er sich wieder neben Dean stellen und mit ihm gemeinsam versuchen konnte den Gullydeckel zu heben, hatte der sich schon mit aller Macht nach oben gestemmt. Ohne das Gewicht des Wagens darauf, war der fast federleicht und flog bei Deans Attacke regelrecht in die Höhe. Sofort schoss der ältere Winchester die letzten Sprossen hoch und ließ sich auf die Straße fallen. Mit geschlossenen Augen pumpte er die frische Luft in seine Lungen. „Komm hoch oder willst du hier zu guter Letzt noch überfahren werden?“, fragte Sam und zerrte an der Jacke seines Bruders. Nur widerwillig erhob sich der Älteren und schlurfte zum Bordstein, wo er sich gleich wieder fallen lassen wollte. „Nichts da!“, schimpfte Sam. „Wir gehen jetzt gemeinsam zum Wagen.“ Grummelnd ergab sich Dean einem Schicksal, dass es alles andere als gut mit ihm zu meinen schien. Lustlos trottete er hinter Sam her, der den Standpunkt des Impalas in seinem Handy eingegeben hatte und sich jetzt von dem Navigationsgerät dahin führen ließ. Es war ziemlich weit und er wunderte sich, welche Entfernung sie in dem dunklen Labyrinth zurückgelegt hatten. Sie brauchten über eine Stunde, bis sie bei dem Impala angekommen waren. „Baby“, keuchte Dean erleichtert. Er strich seiner schwarzen Schönheit sanft über die Dachreling. Bevor er sich auf den Fahrersitz fallen ließ, holte er eine Tüte aus dem Kofferraum und entledigte sich seiner Jacke und der Schuhe. Auf keinen Fall wollte er diesen Abwassergestank länger als notwendig in seinem Allerheiligsten haben. Er breitete die Schlafsäcke über die Vordersitze und ließ sich, nachdem er damit fertig war endlich, mit einem erleichterten Seufzen auf den Sitz fallen. Sam hatte in dieser Zeit den Kanaldeckel wieder richtig auf den Einstieg geschoben. Nicht dass noch jemand hineinfiel. Bei der Pechsträhne, die diese Stadt gerade heimsuchte, war es schon ein Wunder, dass das bis jetzt noch nicht passiert war. Er ging zum Impala und wollte sich gerade neben seinem Bruder auf dem Beifahrersitz zusammenfalten ... „Schuhe aus!“, fauchte Dean. „Sag mal spinnst du?“ „Entweder du ziehst dir die Schuhe aus oder du läufst!“ „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ „Mein vollster Ernst, Sam! Ich will nichts von diesem Dreck, der da unten war, in meinem Wagen!“, knurrte der Ältere und versuchte das Gefühl des Ekels, das ihn schon wieder erfasste zu ignorieren. Irritiert blickte der Jüngere in den Fußraum. Warum sollte er seine Schuhe ausziehen, wenn Dean seine anbehalten hatte? Doch das hatte der nicht, wie ihn dessen nur in Socken verpackten Füße erkennen ließen. Murrend zog er also seine Schuhe aus und hielt sie demonstrativ in den Innenraum des Impala. „Und wohin jetzt damit?“ „Auf der Rückbank liegt eine Tüte. Kannst sie ja da rein packen. Und nachher putzen“, fügte er leise nuschelnd hinzu. Sam hatte ihn trotzdem verstanden. „Putz deine Schuhe gefälligst selbst!“ „Ich zieh meine eh nie wieder an!“ Sam schüttelte den Kopf. Was hatte sein Großer nur? „Du buddelst Leichen aus, die seit Jahren in ihren Gräbern vor sich hin modern, du kriechst durch Gänge und Tunnel voller Spinnen und du hast irgendwelches widerliches Zeug von Ruby getrunken und jetzt reagierst du so?“ „Ja, und?“ Mit einem Griff zum Lautstärkeregler des Radios würgte der Ältere jede weitere Diskussion ab. Ohne weitere Verzögerungen schafften sie es bis zum Motel. Ein Umstand, den Sam schon mal als Erfolg verbuchte, bis Dean den Wagen in voller Fahrt auf den Parkplatz vor ihrem Zimmer lenkte. „Ey“, schimpfte er und versuchte sich in letzter Sekunde am Türgriff festzuklammern, um von dem Schwung nicht auf seinen Bruder geworfen zu werden. Dean trat die Bremse hart durch und Sam musste seinen Halt an der Tür binnen eines Augenblickes gegen einen Halt am Armaturenbrett tauschen. Er schaffte es in letzter Sekunde, bevor er gegen die Frontscheibe knallte. „Ey!“, schimpfte er noch vehementer. „Hast du sie noch alle?“ Der Ältere reagierte nicht darauf. Er zerrte den Zündschlüssel aus dem Schloss und fiel regelrecht vom Fahrersitz. Er fing sich gerade noch so ab und hetzte wie von Furien gejagt zu ihrem Zimmer. Noch bevor Sam ausgestiegen war, war er schon durch die Tür. „Der spinnt“, überlegte der Jüngere laut und machte auch gleich noch die entsprechende Geste. Er fischte die Tüte mit ihren Schuhen von der Rückbank und folgte ihm in aller Ruhe. Das Rennen, als Erster im Bad sein zu können, hatte er eh verloren. Er legte die Tüte neben die Badezimmertür und überlegte dann, was er noch tun konnte. Gegessen hatten sie. Eigentlich sollten sie in den Betten verschwinden. Aber konnten sie auch schlafen? Sein Bruder war vollkommen von der Rolle. Ob es etwas brachte, wenn er ihn darauf ansprach? Dean reagierte viel stärker auf diesen, was war es? Er wollte es erst einmal Angstdämon nennen. Okay, also Dean reagierte viel stärker auf diesen Angstdämon. Warum? Und wie konnte er ihm helfen? Darüber brauchte er nun wirklich nicht lange nachdenken. Schnell durchsuchte er die Schränke ihrer Küchenzeile und fand eine fast volle Packung Salz, mit der er Tür die und das Fenster sicherte. Das im Bad würde er sich gleich noch vornehmen. Jetzt sollte sich auch Den sicherer fühlen. Es sei denn … Nein. Das Ding war nicht hinter ihnen her und ihnen somit auch nicht gefolgt! Er schaltete den Fernseher an und machte es sich auf einem Stuhl so gemütlich, wie es mit seiner stinkenden Kleidung halt ging. Endlich kam Dean wieder ins Zimmer. Und selbst in der kurzen Zeit, in der er einen Blick ins Bad werfen konnte, hatte Sam die Nebelschwaden wabern sehen. Sein Bruder schien sich schon wieder mit einer Brühwurst verwechselt zu haben. Und genauso sah er auch aus. Seine Haut war knallrot und zeigte deutliche Striemen. „Was ist mit dir los?“, fragte er leise, als sich sein Bruder angezogen und auf seinem Bett niedergelassen hatte. „Ich … es ist einfach …“, schon fast verzweifelt schüttelte der Ältere den Kopf. „Es tut mir leid, Sammy. Es ist meine Schuld, dass du die ganze Zeit alleine warst. Ich wollte das so nicht. Ich ...“ Sam schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht allein, oder? Korrigiere mich, aber ich denke, du hast Angst. Deshalb bist du so anfällig für dieses Ding.“ „Ich …“ Dean zuckte mit den Schultern. Was sollte er antworten? Er senkte den Blick und schüttelte schon aus Gewohnheit den Kopf. Ein Winchester hatte nie Angst! „Streite es nicht ab. Du hast Angst vor der Zukunft. Du möchtest aussteigen, aber du hast Angst, weil du nur die Jagd kennst. Du denkst, dass es ein Tanz auf dem Vulkan ist. Du fühlst dich, als ob du über einem Abgrund stehst und in das große schwarze Loch blickst, in das du springen sollst. Aber das ist nicht so. Du hast gesagt, dass du Feuerwehrmann werden möchtest und selbst wenn nicht. Selbst wenn du dich bewerben solltest und sie dich nicht nehmen, du wirst in kein bodenloses Loch fallen. Ich meine, ich habe dir immer wieder versprochen für dich da zu sein und okay, ich habe dieses Versprechen mehr als einmal gebrochen, aber das soll nie wieder vorkommen. Außerdem, egal was du tust, Bobby und mit ihm auch Jody werden immer für dich da sein. Sie werden dich auffangen. Du kannst alles versuchen. Du kannst dich ausprobieren und selbst wenn alles in die Hose gehen sollte, so kannst du immer noch auf den Schrottplatz arbeiten und Wracks rekonstruieren. Es wird immer reiche Leute geben, die diese Oldtimer lieben. Es wird immer Menschen geben, die ihr Geld so anlegen wollen. Vielleicht sind es weniger als vor der Krise, aber sie werden nicht aussterben. Und nicht nur du wirst damit dein Auskommen haben. Du, Bobby und ich, wir könnten für alle Zeit auf dem Schrottplatz leben und wir würden nicht verhungern. Es mag nicht das sein, was wir von unserem Leben erwarten, aber wir könnten leben.“ Kapitel 200: Die Suche nach dem Monster --------------------------------------- Ein liebes Hallo an meine Leser ... Wäre ja schon schön mal zu hören, ob euch die Geschichte überhaupt gefällt ... 200) Die Suche nach dem Monster Dean atmete tief durch. „Wahrscheinlich hast du Recht ...“ „Nicht wahrscheinlich. Ich habe Recht und das weißt du.“ „Ja, aber wollen wir das?“ „Wir müssen es nicht. Wir haben alle Möglichkeiten. Es ist nur der letzte Anker.“ „Sag das nur nicht Bobby.“ „Besser nicht“, grinste Sam. „Ich wollte dir damit auch nur verdeutlichen, dass du keine Angst vor der Zukunft haben musst. Sie ist wie ein neuer Fall. Am Anfang wissen wir nicht womit wir es zu tun haben, dann stecken wir vielleicht ziemlich in der Patsche, doch am Ende gehen wir siegreich aus der Schlacht hervor. Wir haben vielleicht ein paar Blessuren, aber was soll´s. Das heilt und wir sind stärker und kämpfen weiter.“ Dean nickte langsam. „Vielleicht hast du Recht.“ „Vielleicht?“ „Okay. Du hast Recht. Ich finde es trotzdem nicht so simpel und ich kann die Vergangenheit nicht einfach so unter den Tisch kehren. Ich meine, ich bin doch für dich verantwortlich und ich ... Es tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe, damals in St. Joseph. Und … du setzt so viele Hoffnungen in mich. Ich will dich nicht wieder enttäuschen, doch ich weiß nicht, ob ich der bin, den du in mir zu sehen scheinst. Als Jäger bin ich gut und als großer Bruder scheine ich nicht alles falsch gemacht zu haben. Aber jetzt einfach als Bruder? Adam hat mich aus der Bahn geworfen und wenn du nicht gewesen wärst? Und jetzt? Ich bin verschwunden, als du mich gebraucht hättest und ich muss zugeben, wenn es William nicht gelungen wäre mich zurück zu verwandeln, ich wäre wohl wieder zu meiner Wolfsfamilie gelaufen, wenn du mir eine Wahl gelassen hättest.“ „Ich weiß“, erwiderte Sam ruhig. „Du weißt?“ Dean starrte seinen Bruder verwundert an. Damit hätte er nicht gerechnet. Hatte Sam nicht gesagt, dass er … „An dem Tag, als Bobby und ich dich verletzt gefunden haben wollten wir uns verabschieden. Wir haben doch gesehen, wie glücklich du bei deiner Familie gewesen bist. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, dass du dieses Leben gegen das an meiner Seite tauschen solltest. Und ich hätte dich auch wählen lassen, wenn es William nicht gelungen wäre, aus dir wieder einen Menschen zu machen, oder besser, wenn Amaruq nicht aufgetaucht wäre.“ Sam schluckte hart. Lange starrte Dean blind vor sich hin, bevor er seinen Blick hob und den Jüngeren direkt anschaute. „Es tut mir leid, was du durchmachen musstest.“ „Ich weiß, Dean, aber es ist vorbei. Lass uns nach vorn sehen. Und jetzt gehe ich duschen.“ Dean nickte. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. „Du stinkst.“ „Auch das weiß ich“, antwortete der Jüngere mit einem warmen Lächeln. Während Sam im Bad versuchte die Spuren ihres Abwasserkanal-Abenteuers loszuwerden, schaute sich Dean suchend im Zimmer um. Er wollte noch nicht schlafen, weil er wusste, dass er ohne Sammys beruhigende Atemzüge wohl nicht einschlafen konnte und er hatte Angst vor den Träumen. Aber vielleicht … Er suchte sich eine Stadtkarte aus dem Internet und begann sämtliche Orte darauf einzuzeichnen, an denen es Vorfälle gegeben hatte. Schnell ließ sich erkennen, dass sie sich nur auf einen Teil des Ortes begrenzten. Einem Teil, in dem sie sich dummerweise ihr Zimmer gesucht hatten. Eine Weile starrte er auf die vielen Punkte. Er runzelte die Stirn. Konnte das sein? Schnell holte er sich Block und Stift und begann die Vorfälle in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Als Sam aus dem Bad kam war er gerade dabei die Punkte durch diese Zahlen zu ersetzen. „Was machst du da?“, fragte Sam und ging zum Schrank. Er holte sich frische Kleidung heraus. Mitten in seinem Tun ging ihm auf, dass sein Bruder nicht reagiert hatte. Er hielt inne. „Dean?“ Er schaute zu ihm, doch der war noch immer über seinen Rechner gebeugt. Kurz ließ er seinen Blick auf seinem Bruder ruhen. Es war immer wieder faszinierend ihm dabei zuzusehen, wenn er hochkonzentriert eine Idee ausbrütete. Er wandte sich wieder ab, um sich schnell fertig anzuziehen. Dann trat er neben seinen Bruder und studierte die Karte, auf der inzwischen jede Menge Zahlen standen, die von innen nach außen immer höher wurden. „Das ist jetzt nicht das, was ich denke, oder?“, fragte er wenig verwundert. „Wenn du denkst, dass ich hier alles eingetragen habe, was durch Ängste ausgelöst worden sein kann, dann doch.“ „Es breitete sich aus.“ „Es breitet sich aus“, bestätigte Dean. „Und es ging hier los“. Er kreiste die drei Häuser in der Mitte ein. „Dann sollten wir morgen hinfahren.“ „Okay“, nickte Dean, machte aber keine Anstalten sich zu erheben, oder auch nur darüber nachdenken zu wollen, ins Bett zu gehen. „Was ist los?“, fragte Sam leicht alarmiert. „Nichts, ich … nichts.“ Der Ältere schloss kurz die Augen, atmete durch und klappte seinen Rechner zu. Er stand auf und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Willst du auch eins?“ „Nein, danke. Ich will eigentlich nur noch schlafen“, wehrte Sam ab. „Okay.“ Dean nahm die Flasche, ging zum Bett und ließ sich darauf fallen. Er wollte nicht schlafen. An diesem Tag hatten ihn fast alle seine Ängste irgendwie überrannt und er fürchtete, dass er die die noch fehlten als Albträume erleben würde. Darauf konnte er dankend verzichten. Ob er einfach noch mal loszog? Irgendwo gäbe es bestimmt eine willige, vollbusige Schönheit, der er bei seinem Glück glatt ein Kind machen würde, oder sie entpuppte sich als ein er! Dann schon lieber die Albträume! Fast automatisch wanderten seine Gedanken erst zu den Wolfswelpen und dann zu Ben. Er mochte den Jungen und er wäre stolz, sein Vater zu sein. Allerdings hatte Lisa ihm unmissverständlich klar gemacht, dass Ben nicht sein Sohn war. Er schob den Gedanken beiseite, nahm einen Schluck aus der Flasche und schaute Sammy dabei zu, wie der sich bettfertig machte. Sammy. Sein kleiner Bruder hatte gesagt, dass er Angst hätte. Angst vor dem Neuen. Angst vor dem richtigen Leben. Er hatte es abgestritten. Klar, ein Winchester hatte niemals Angst. Oh man, wie weit sie sich doch von der Zeit, als dieser Spruch noch galt, entfernt hatten. Inzwischen war so viel passiert. Er hatte den Pakt geschlossen und sie hatten ihn in letzter Sekunde lösen können. Überhaupt schien Sam seit diesem Tag eher der große Bruder gewesen zu sein. Immer wieder hatte der ihn aufbauen, auf ihn aufpassen müssen. Und ja. Wenn er ganz ehrlich zu sich war, dann hatte Sam Recht. Er hatte Angst vor dem Leben. Aber genauso musste er ihm auch darin Recht geben, was er über Bobby gesagt hatte. Der alte Jäger und sein Schrottplatz wären immer ein Zuhause für ihn. Vielleicht sollte er sich eine Scheibe von Sams Zuversicht abschneiden und einfach ins kalte Wasser springen. Der Rettungsring war da. Er musste nur den Arm ausstrecken wenn ihn die Kräfte verließen, oder ihm das alles einfach zu viel wurde. Es wäre kein aufregendes Leben mehr, aber er hätte sein Auskommen und er wäre ein ganz normaler Mensch, der vielleicht hin und wieder auch mal jagen gehen konnte. Aber das Wichtigste daran war, dass Sam leben konnte. Er wäre von der Straße und Sammy würde endlich Anwalt werden können. Diesen Entschluss begoss er mit dem Rest seines Bieres und machte sich dann ebenfalls bettfertig. Vielleicht konnte er ja doch schlafen? Von Sams ruhige Atemzügen begleitet, schlief er ein und entgegen seiner Befürchtungen auch ruhig durch. Den Vormittag des folgenden Tages nutzten sie, um ihre Wäsche zu waschen und Baby einem gründlichen Wellness-Programm zu unterziehen. Erst als sie, bis auf die zerkratzte Heckpartie, wieder wie aus dem Ei gepellt glänzten, auch im Inneren nichts mehr von ihrem vorabendlichen Abwasserkanal-Abenteuers zu riechen war und sie sich auch um ihr leibliches Wohl gekümmert hatten, fuhren sie zu den drei Häusern, die im Zentrum der Vorfälle lagen. In dem Haus, das sie sich als erstes ausgesucht hatten, wohnte eine Familie Brandson. Der Vorgarten sah gepflegt aus, der Rasen war gemäht und zwischen den Gehwegplatten wuchs kaum ein grüner Halm. Dean zog das EMF aus der Tasche. Er schaltete es ein und warf einen kurzen Blick darauf, bevor er es in die Tasche zurückschob. Sam schaute ihn fragend an, doch Dean schüttelte den Kopf. Der Ausschlag war zwar deutlich, immerhin leuchteten drei der fünf Lämpchen, aber wenn der ganze Spuk von hier ausgehen würde, müssten dann nicht alle Lämpchen angehen? Sie betraten die Veranda und Sam klingelte. Nichts rührte sich und so hatten sie Zeit, sich genauer umzusehen. Auch das Haus war gut in Schuss. Hier und da blätterte zwar etwas Farbe ab, doch im Gegensatz zu Bobbys Haus war das hier von außen eine Augenweide. Aber wie toll war dessen Haus innen. Sam spähte durch ein Fenstern. Es war die Küche. „Hier ist keiner Zuhause“, sagte er. „Lass es uns erst in den anderen Häusern versuchen.“ Dean nickte. „Ich glaube nicht, dass hier der Ausgangspunkt liegt“, erklärte er und hielt Sam nun das EMF hin. „Nicht, wenn das Ding so eine Macht hat, wie wir vermuten“, stimmte Sam ihm zu und trat von der Veranda. Sie gingen zum nächsten Haus. Hier sah es ganz anders aus. Die Farbe war fleckig und blätterte an vielen Stellen ab. Der Rasen war braun und die Gehwegplatten, auf die sie traten, wackelten. Wieder zog Dean das EMF aus der Tasche und wieder war der Ausschlag deutlich, aber nicht deutlich genug, um den Ausgangspunkt hier zu vermuten. Bevor er dies Sam jedoch mitteilen konnte, hatte der schon geklingelt. Eine dicke Frau Mitte dreißig öffnete und starrte die beiden Männer vor ihrer Tür feindselig an. „Was?“, blaffte sie ungehalten. „Wir kommen von der städtischen Wasserwirtschaft. Hier in der Gegend wurden vermehrt Ratten gemeldet und jetzt wollten …“, begann Sam. „Unterstellen Sie, dass es bei mir dreckig ist?“ „Das würden wir nie tun“, versicherte Sam sofort. „Bei mir ist es nicht dreckig und ich habe auch keine Ratten!“, keifte sie weiter. „Dürfen wir uns davon selbst überzeugen?“, versuchte Dean seinem Bruder zu helfen. „Wagen sie es“, knurrte sie und griff neben die Tür. Als ihre Hand wieder sichtbar wurde, umschlossen ihre dicken Wurstfinger eine Schrotflinte. „Verschwinden sie sofort!“, keifte sie und hob die Waffe etwas höher. Im Umdrehen fasste Dean den Ärmel von Sams Jacke und zog ihn mit sich. Hier wollte er definitiv nicht helfen. „Die verdient jede Ratte, die in ihrer Umgebung rumläuft“, grummelte er, kaum dass sie außer Hörweite waren. „Fragt sich nur, ob die Ratten sie auch verdienen?“ „So dreckig sind, glaube ich, nicht mal die“, lachte Sam. Fragend schaute Dean seinen Bruder an. „Du konntest nicht in ihr Haus sehen.“ „Dann sollten wir ihr vielleicht die Kakerlaken von dem Cafe auf den Hals wünschen.“ „Die würden sich bestimmt wohlfühlen.“ Blieb noch das dritte Haus. „Warum ist es eigentlich immer das Letzte?“, fragte Dean angefressen. „Gesetz der Gehässigkeit.“ „Gibt es das wirklich?“ „Murphys Gesetz? Das wäre fast das gleiche.“ „Fast. Vielleicht solltest du mal eine wissenschaftliche Abhandlung darüber schreiben.“ „Warum ich? Und jetzt sag nicht, dass du nicht schreiben kannst.“ „Das schon, aber du hast das Gesetz entdeckt und du kannst dich viel besser ausdrücken als ich.“ „Klar Dean, du bist ja auch soooo dumm!“ Sam verdrehte die Augen. Sie waren vor dem Haus angekommen und so wurde Dean einer Antwort enthoben. Das Haus war eine Mischung aus den beiden vorher besuchten. Es war lange nicht so gut in Schuss wie das erste, doch sie konnten sehen, dass sich die Bewohner alle Mühe gaben. Die Fenster glänzten, der Vorgarten war gepflegt und neben dem Haus gab es einen Spielplatz mit einer Rutsche, einem Sandkasten und einer Schaukel. Die Brüder betraten die Veranda und Sam klingelte. Kapitel 201: Das Monster im Schrank ----------------------------------- 201) Das Monster im Schrank Schnell wurde ihnen geöffnet. „Bitte?“, fragte eine junge Frau. Sie musterte die Männer vor ihrer Tür überrascht. „Wir kommen von den Wasserwerken. Hier in der Gegend wurden vermehrt Ratten gemeldet“, begann Sam sie vorzustellen. „Ratten? Uns ist nichts aufgefallen.“ Jetzt klang sie irgendwie ängstlich. Sam warf seinem Bruder einen kurzen, fragenden Blick zu, den der auch prompt bestätigte. Er hatte auf dem Weg hierher einen Blick auf das EMF geworfen und es leuchtete wie ein Weihnachtsbaum. „Dürfen wir uns trotzdem umschauen?“ „Wenn es sein muss, aber sie werden nichts finden.“ „Dann sind wir schnell wieder verschwunden“, beruhigte Dean sie. Sie nickte zwar, blieb aber weiterhin angespannt. Kurz schaute Dean zu seinem Bruder. Auch Sam war ihr Misstrauen aufgefallen. Was war hier im Busch? Sie öffnete die Tür. Dahinter stand ein kleiner, vielleicht fünfjähriger Junge, der die beiden Männer ebenfalls misstrauisch beäugte und kaum dass Sam einen Schritt über die Schwelle machte, zu der jungen Frau lief und sich hinter ihr versteckte. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und drückte sanft zu. Alles würde wieder gut werden! „Wir schauen nur schnell in die Bäder und die Küche“, versprach Dean dem Kleinen und lächelte freundlich. „Wo müssen wir hin?“, wollte er von der jungen Frau wissen. „Oben die erste Tür rechts und hier unten ...“ Sie wedelte mit der Hand in die entsprechende Richtung. Die Brüder verständigten sich mit einem weiteren Blick. Während Sam nach oben ging, schaute sich Dean im Erdgeschoss um. Er kontrollierte die Toilette und das Waschbecken im Bad und ging dann in die Küche. Sie hatten wohl gerade gegessen. In der Küche lagen Schulbücher auf dem Tisch und Spielzeug auf der Eckbank. Die Zimmer waren, soweit es es durch die offenen Türen sehen konnte, aufgeräumt, ließen aber die Hand einer Mutter vermissen. Er warf einen Blick in die Spüle. Natürlich gab es keine Ratten. Im Flur hörte er den Jungen flüstern. „Was sind Ratten?“, fragte er. „Kleine fiese Monster, die durch die Wasserleitungen kommen könnten. Aber die gibt es hier nicht! „Die Männer haben aber gesagt …“ „Ich weiß. Wir haben hier aber keine!“ „Wenn die die Rattenmonster nicht jagen müssen, können die dann das Monster aus meinem Schrank vertreiben?“ Die Zeit für eine Antwort ließ Dean ihr nicht. Er trat aus der Küche und wartete an der Treppe darauf, dass Sam wieder nach unten kam. Der Junge fasste sich ein Herz. Er trat neben den Winchester und zog ihn vorsichtig an der Jacke. Dean schaute zu ihm hinab. Er konnte sehen, dass der Kleine etwas auf dem Herzen hatte. Sofort ging er in die Hocke. „Hey, ich bin Dean und du?“ „Alex. Rachel sagt, dass ihr Monster sucht“, begann er leise. Dean schaute fragend zu der jungen Frau. Sie runzelte die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. Wenn der Kerl von den Wasserwerken sich das anhören wollte … Sie hatte aufgegeben ihrem kleinen Bruder zu erklären, dass es keine Monster gibt. „Manchmal jagen wir auch Monster“, bestätigte Dean ernst. „Könnt ihr auch das Monster, das in meinem Schrank wohnt, verjagen?“ Sam erstarrte auf der Treppe. Ein Monster im Schrank! Sein Vater hatte ihm damals eine 45er gegeben. Er seufzte unhörbar. „Du hast ein Monster im Schrank?“, wollte Dean ruhig wissen. Der Kleine nickte. „Es rumpelt immer wenn es kommt und geht.“ „Es kann raus?“ Wieder nickte der Kleine. „Und wie sieht es aus“, fragte der Winchester leise. „Wie einer von der Monster AG?“ „Hören Sie endlich auf meinem Bruder noch mehr Angst zu machen“, schimpfte Rachel und versuchte nach dem Kleinen zu greifen. Sam kam die Treppen komplett herunter. Er trat neben die junge Frau, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie in die Küche. „Lassen Sie ihn. Er kennt sich damit aus.“ „Er kennt sich …“, abschätzig schaute sie Sam an. „Ein erwachsener Mann, der sich mit Monstern auskennt? Sie gehören in die Anstalt!“ „Das mag sein, aber wollen Sie, dass ihr Bruder ewig mit der Angst leben muss?“ „Wir hatten alle Angst vor dem Monster im Schrank! Das vergeht wieder.“ „Wir können ihm jetzt helfen. Es wird nicht lange dauern“, versprach der Winchester und hoffte, dass es stimmte was er behauptete. Im Flur beantwortete der Junge unterdessen Deans Frage: „Nein“ Er schniefte und wisperte kaum hörbar: „Ein bisschen wie Sulley, wenn er ganz ganz böse ist.“ „Du meinst, dass es rote Augen hat?“ Der Kleine wischte sich schniefend die Nase. „Es ist nur böse. Es will nicht nur einen Angstschrei. Es will mehr.“ „Woher weißt du das?“ „Es flüstert nachts und es lacht wenn es wiederkommt.“ „Zeigst du mir deinen Schrank?“, fragte Dean und hielt dem Kleinen die Hand hin. Zögerlich griff der danach und stieg die Treppe nach oben. Je näher sie seinem Zimmer kamen, umso langsamer wurde er. „Soll ich vorgehen?“, fragte Dean leise sobald sie den Absatz erreicht hatten und der Kleine nickte. „Sagst du mir auch wohin?“ Der Junge deutete auf eine Tür und während Dean voran ging, überlegte er fieberhaft, wie sie dieses Monster vernichten konnten. Sie hatten nur ihre Pistolen und eine Armbrust dabei. „Wieso hat er eigentlich solche Angst vor dem Ding?“, wollte Sam unterdessen von der jungen Frau wissen. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Hören Sie, wir wollen Ihnen nur helfen“, erklärte Sam eindringlich. „Oder wollen Sie, dass er noch weiter in Angst leben muss?“ Sie seufzte. „Wir haben unsere Eltern verloren. Ich war 19 und konnte die Vormundschaft übernehmen. Aber egal. Joel, er ist 14, ist in einem schwierigen Alter. Er bräuchte Eltern, doch die kann ich ihm nicht bieten. Er rebelliert und da ich mir seine Marotten nicht gefallen lasse, lässt er es wohl an Alex aus. Ich arbeite die meiste Zeit, damit sie nicht ins Heim müssen. Ich bekomme das Wenigste mit.“ Dean schaute sich unterdessen im Zimmer des Jungen um. 'Nicht gerade kindgerecht', überlegte er. Immerhin hatte er sein Kinderzimmer noch gut vor Augen. Allerdings setzte die Finanzkrise inzwischen vielen Familien zu und da war so ein Zimmer besser als nichts. Alexander hatte sich auf sein Bett verkrochen. Wenigstens hier fühlte er sich halbwegs sicher. Dean überlegte immer noch fieberhaft, wie er den Jungen helfen konnte, als er Schritte die Treppe nach oben kommen hörte. Sam. Das erkannte er sofort und wohl auch die anderen Schritte, die zu der jungen Frau gehörten.. „Hey“, grüßte Sam ruhig. „Schon eine Idee?“ „Nein noch nicht wirklich. Und du?“ „Es scheint eine Art Tulpa zu sein. Sein großer Bruder macht ihn damit immer wieder Angst.“ „Stimmt das?“, fragte Dean nun den Kleinen. Der nickte: „Er sagt immer, dass es mich holen kommt wenn ich erzähle, was er macht.“ „Und was macht er?“ Rachel war ebenfalls oben gekommen und lehnte jetzt am Türrahmen. Der Kleine schüttelte wild den Kopf und begann zu weinen. „Das Monster wird mich holen“, schniefte er immer wieder. „Dich wird niemand holen“, erklärte Dean im Brustton der Überzeugung, während Rachel sich neben ihren jüngsten Bruder setzte und ihn in den Arm nahm. „Ich lasse nicht zu das das Monster dich holt“, versuchte sie zu trösten. „Aber es hat Mom und Dad geholt!“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Ich hab Mom erzählt, dass Joel auf dem Spielplatz immer raucht und mit den anderen Großen aus Papiertüten was trinkt und dann waren sie weg!“ Jetzt liefen dem Kleinen dicke Tränen über die Wangen. „Daran bist du nicht schuld!“, tröstend zog sie ihn in ihre Arme. „Macht Joel das denn immer noch?“, fragte sie ruhig. Schniefend nickte Alexander an ihrer Brust. „Es ist gut!“ Sanft strich sie ihm über den Kopf. „Das Monster wird dich nicht holen.“ Nach Bestätigung heischend schaute sie zu den Männern von den Wasserwerken, die sie vor weniger als einer halben Stunde noch hatte loswerden wollen. Sam zog seinen Bruder auf den Flur. „Was denkst du?“, fragte er leise. „Wenn es eine Tulpa ist, dann lebt es vom Glauben des Jungen“, überlegte Dean. „Sag mal Alexander, wann kommt das Monster denn immer?“, wollte er gleich darauf an den Jungen gewandt wissen. „Nachts.“ „Es kommt nur nachts? Du hast es noch nie am Tag gesehen?“ „Nein. Am Tag ist es nicht da.“ „Gut“, grinste der ältere Winchester. Er schaute sich im Zimmer um und grinste, als sein Blick auf die Schreibtischleuchte fiel. Er ging zu Alexander und hockte sich vor ihm hin. „Das Monster kommt wirklich nur im Dunkeln, oder?“ Der Kleine nickte. „Gut, dann musst du mir jetzt helfen.“ „Ich?“, quietschte der Kleine erschrocken und presste sich noch dichter an seine Schwester. „Ich denke sie wollen ihm helfen! Jetzt ängstigen sie ihn nur noch mehr“, fuhr sie Dean wütend an. „Wir werden nicht immer hier sein und wer soll ihm dann helfen?“ „Kann ich das dann nicht?“, fragte sie und legte ihren Arm schützend um den Jungen. „Es muss er sein. Sonst wird er sich nie von dieser Angst befreien“, versuchte Sam zu erklären. „Außerdem stärkt es sein Selbstbewusstsein, wenn er es schafft“, antwortete Dean. „Und wenn nicht?“ Rachel war noch immer nicht überzeugt. „Wir sind hier. Es wird gut gehen!“, erklärte Sam voller Überzeugung. „Haben Sie Salz im Haus?“, fragte Dean. „Ja, warum?“ „Damit halten wir das Monster im Schrank fest“, sagte Dean ruhig. „Ich denke es soll raus?“, ratlos und ein wenig verärgert schüttelte Rachel den Kopf. „Es darf nicht einfach verschwinden wenn wir es vernichten wollen.“ „Sie sind nicht von den Wasserwerken!“, erkannte Rachel. Sofort zog sie ihren kleinen Bruder fester an sich. „Stimmt ...“, gab Sam zu. „Wir ...“ „Verschwinden sie hier, oder ich rufe die Polizei!“, unterbrach sie ihn wütend. Diese beiden Männer waren ihr von Anfang an suspekt gewesen. Warum hatte sie ihrem Gefühl nicht getraut? „Wir wollen Ihnen nur helfen, dann sind wir wieder weg und sie sehen uns nie wieder“, versuchte Sam sie zu beruhigen. „Klar! Sie reden meinem Bruder ein, dass es Monster gibt und dann wollen sie ihm helfen es zu vertreiben. Wie krank ist das denn?“ „Das ist eine gute Frage.“ Dean grinste bitter. Ja, welcher normale Mensch tat so was. Sie waren eben doch nicht normal! „Allerdings haben nicht wir Ihren Bruder erzählt, dass er ein Monster im Schrank hat, sondern er mir. Und weil wir uns damit auskennen, haben wir beschlossen, ihm zu helfen!“ „Welcher normale Mensch tut so was?“ Sam konnte die Gedanken seines Bruders regelrecht lesen. Er überlegte fieberhaft, was er erwidern konnte. Auf keinen Fall wollte er, dass der die falschen Schlüsse zog. Aber tat Dean das noch? War er nicht inzwischen selbst davon überzeugt, dass sie aussteigen wollten? „Es gibt Menschen, die sich damit befassen und die wenigsten sind das, was Sie als normal bezeichnen würden, aber alle haben einen Grund, warum sie das tun. Also lassen Sie uns unsere Arbeit machen und dann sind sie uns und ihr Problem los“, antwortete Dean inzwischen. Er schaute fragend zu Rachel. Und ließ Sam etwas sprachlos zurück. Der lächelte nur. Dean wollte raus, aber weder verurteilte er das was sie taten, noch beschönigte er es. Unentschieden starrte die junge Frau auf das dunkle Fenster. Die Nacht brach herein. Plötzlich rumpelte es im Schrank und ein leises Kichern war zu hören. Kapitel 202: Ein Sieg und ... ----------------------------- 202) Ein Sieg und ... Augenblicklich verkroch sich der Kleine hinter Dean. Rachel starrte mit vor Angst geweiteten Augen auf den Schrank. „Was ist das?“, wisperte sie. „Das Monster?“, fragte Sam eher rhetorisch und Dean nickte. „Ich dachte es wäre einfach eine Einbildung.“ „Diese Einbildung hat schon jede Menge Menschen aus der Stadt ins Krankenhaus gebracht. Es ist ein Wunder, dass noch niemand gestorben ist!“, stellte Sam ruhig fest. „Sie meinen, dass kommt von diesem Ding da drin?“ „Davon gehe ich aus. Alexanders Angst ist ihm nicht mehr genug. Es wird gieriger.“ „Oh mein Gott! Und ich habe ihm nicht geglaubt! Aber wie ist es da rein gekommen?“ „Ich vermute, dass Joel…“, begann Sam und schaute fragend zu ihr. Als sie nickte fuhr er fort. „Also Joel hat ihm immer wieder mit dem Monster im Schrank Angst gemacht. Vielleicht lebte wirklich eins da drin, doch es war eher harmlos. Alexander hatte Angst und dann sind auch noch ihre Eltern gestorben, nachdem er ihnen etwas erzählte, das ihm sein großer Bruder unter der Androhung, dass das Monster sie holen wird, verboten hatte. Das steigerte seine Angst weiter und das Monster wurde mächtiger.“ „Und was ist es?“ „Können wir das vielleicht klären, wenn wir es los sind?“, unterbrach Dean diese Fragestunde. Er wollte es erledigt haben, bevor es verschwand und sie morgen wiederkommen mussten. „Und wie?“ „Wir brauchen Salz!“, erneuerte Dean seine Forderung. „Ich hole es!“, sagte sie und verließ das Kinderzimmer. Auf der Treppe wäre sie fast gestolpert, so schnell versuchte sie die hinunter zu rennen. „Könnt ihr das Ding wirklich verjagen?“, fragte Alexander hoffnungsvoll und schaute zu Dean hoch. „Klar können wir das“, er warf einen Blick zu seinem Bruder und der nickte lächelnd. „Und du hilfst uns dabei.“ „Das kann ich nicht. Ich hab Angst!“ „Du schaffst das. Außerdem sind wir bei dir.“ „Und wenn es mir wehtun will?“ „Das werden wir nicht zulassen. Vertrau uns. Wir besiegen es und dann kannst du in Ruhe hier leben und schlafen und was ein kleiner Junge sonst noch in so einem Zimmer macht.“ Rachel war inzwischen wieder oben angekommen und hörte Deans letzte Worte. Ein Gedanke blitzte in ihrem Kopf auf, doch sie schob ihn beiseite. Jetzt galt es erst einmal ihrem kleinen Bruder zu helfen. „Das Salz“, sagte sie und reichte dem älteren Winchester die Packung. „Okay“, nickte Dean. Er untersuchte den Schrank und schüttelte den Kopf. „Wir müssen ihn wegrücken“, sagte er zu Sam. Als der nickte wandte er sich wieder an den Kleinen: „Wir müssen das Monster überlisten. Kannst du uns helfen, Alexander?“ „Wie?“ „Pass auf. Wir tun so, als ob deine Schwester den Schrank öffnen will und du willst, dass der zubleiben soll. Kannst du sie vom Öffnen abhalten?“ „Sie macht ihn aber nicht wirklich auf, oder?“ „Nein, noch bleibt er zu.“ „Okay?“ So ganz war der Junge noch nicht überzeugt. „Du schaffst das!“, sprach Sam ihm Mut zu. „Okay.“ „Gut, dann los!“, forderte Dean ihn auf und dirigierte seinen Bruder gleichzeitig mit einem Blick auf eine Seite des Schrankes. „Los geht´s“, forderte er den Jungen auf und der brüllte aus Leibeskräften: „Nein, nicht aufmachen! Ich will nicht das du den Schrank aufmachst und das Monster raus lässt!“ Die Winchesters hoben den Schrank währenddessen an und stellten ihn etwas von der Wand entfernt wieder ab. Hoffentlich verschwand das Monster jetzt nicht. „Super gemacht“, lobte Dean den Jungen lächelnd. Sam streute einen Kreis aus Salz um den Schrank. „So und jetzt verjagen wir das Ding ein für alle Mal“, grinste Dean und zwinkerte dem Jungen zu. „Und wie?“ „Das erkläre ich dir dann.“ Dean nahm die Schreibtischleuchte und schaltete sie an. So ganz war er mit ihrem Licht nicht zufrieden. „Gibt es noch was Helleres?“ „Wir haben einen Strahler in der Garage, aber ich weiß nicht, ob der funktioniert“, überlegte Rachel. „Können Sie den holen?“ Sie nickte und ging. „Bleib bei ihm“, forderte der ältere Winchester seinen kleinen Bruder auf und verließ das Zimmer ebenfalls. „Wo geht er hin?“, wollte Alexander leise wissen. „Er ist gleich wieder da“, erklärte Sam und stellte sich dieselbe Frage. Dean lief derweil durch das Haus und schaute in die Zimmer. Er suchte einen Kamin. Im Wohnzimmer wurde er fündig. Er nahm den eisernen Schürhaken, grinste kurz und suchte weiter. Ein zweiter wäre nicht schlecht. Und er fand ihn im Essbereich der Küche. Mit den beiden Schürhaken lief er wieder nach oben. „Für dich“, erklärte er, schon wieder grinsend, und drückte Sam einen in die Hand. Rachel kam kurz darauf mit einem zugestaubten Bauscheinwerfer ins Zimmer. „Ich weiß nicht, ob der noch funktioniert“, bekannte sie. „Dass sehen wir gleich.“ Dean nahm ihr den Scheinwerfer ab. Er legte seine Waffe nieder und begann ihn einer groben Reinigung zu unterziehen. Auch wenn er die Tulpa damals in Richardson, Texas mit Feuer besiegt hatte, hier war das wohl kaum eine Option. Schnell wischte er die Spinnweben beiseite und steckte den Stecker in die Dose. Der Scheinwerfer erwachte zum Leben und tauchte das Zimmer in gleißende Helligkeit. „Der funktioniert“, grinste er und drehte ihn zum Schrank. Sofort wurde das Rumpeln darin heftiger. „Hah!“, grinste Dean breit. Sie hatten das Monster und wenn sein Plan funktionierte, dann war es auch bald Geschichte! Er zog den Stecker wieder aus der Dose und trat zu dem Jungen. „Okay, jetzt kommt es auf dich an.“, begann er. „Du stellst dich hier her, hältst den Scheinwerfer genau auf den Schrank und sagst mit fester Stimme: „Ich will das du verschwindest und nie wieder kommst! Kannst du das?“ „Ich weiß nicht.“ Der Kleine schüttelte ängstlich den Kopf. Das Monster im Schrank kicherte leise. „Doch du kannst es!“, behauptete Dean. Er legte seine Hand auf Alex' Schulter, schaute ihm in die Augen und lächelte zuversichtlich. „Okay?“ zögerlich griff der Junge nach dem Scheinwerfer und stellte sich auf die angegebene Position. Rachel stöpselte den Stecker wieder in die Dose. „Und wenn es nicht geht?“, wisperte er leise. „Es wird gehen!“, erklärte Dean fest und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass das auch wirklich stimmte. Alexander zögerte trotzdem. Er warf einen Blick zu dem anderen Winchester und erst als der auch nickte, schien er zu einem Entschluss zu kommen. Er atmete er tief durch, fasste den Scheinwerfer fester, schaute zu Dean und richtete ihn dann genau auf den Schrank. „Okay“, sagte er so ruhig, wie er nur konnte. Dean fasste den Schürhaken fester und trat in den Salzkreis. Er warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. Sam trat ebenfalls näher an den Schrank heran und erhob seine Waffe. „Dann los“, gab Dean das Kommando und umfasste den Griff der Schranktür, während Sam seine Hand um den Griff der anderen Tür schloss. „„Ich will, dass du verschwindest!“, begann Alexander noch etwas zögerlich und hob den Strahler etwas höher. Die Winchesters öffneten den Schrank gleichzeitig. Das Licht fiel hinein und erleuchtete auch die hinterste Eckte taghell. Das Monster kreischte. Rote Augen irrlichterten im Schrank hin und her. „Und ich will, dass du nie wieder kommst!“, erklärte der Junge mit fester Stimme. Noch einmal schrie das Monster auf und zerplatzte dann regelrecht. Die schemenhaften Schatten zerfielen und die Farben im Schrank wurden viel klarer. Die Winchester-Brüder atmeten erleichtert auf. „Es ist vorbei“, sagte Dean und strahlte seinen Bruder breit an. „Hast du es bezweifelt?“ „Nein!“ Rachel atmete hörbar aus. Sie lief zu ihrem Bruder, nahm ihm den Strahler aus der Hand und zog ihn in ihre Arme. „Es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Es tut mir so leid“, flüsterte sie immer wieder. „Aber ich mache es wieder gut. Joel wird dich nie wieder ärgern“, versprach sie dem Kleinen. „Wir gehen dann mal“, meldete sich Sam zu Wort. Er legte den Schürhaken weg und wandte sich zur Tür. Rachel wandte ihren Kopf zu den Brüdern. „Danke“, wisperte sie ohne ihren Bruder loslassen zu wollen. Doch da drückte der Kleine sie weg. Er lief zu Dean. Der Winchester ging in die Hocke und wurde sofort von den Jungen umarmt. „Danke“, flüsterte er. „Ich hätte das alleine nie geschafft.“ „Kein Problem“, sagte Dean ruhig. „Jetzt weißt du ja wie es geht, wenn nochmal eins auftauchen sollte.“ In dem Moment hörten sie unten die Haustür zuschlagen. „Na warte“, grummelte Rachel und lief nach unten. Alexander und die Winchesters folgten ihr. Noch bevor die junge Frau etwas sagen konnte, sah der Teenager seinen kleinen Bruder und begann: „Brauchst du so viel Verstärkung, um in dein Zimmer zu gehen?“ Er schnaubte abschätzig und verdrehte genervt die Augen. „Bist du nicht langsam zu groß, um so ein Angsthase zu sein?“ „Hör auf deinen Bruder immer wieder zu ärgern“, fauchte Rachel ihn an. „Hast du deine Hausaufgaben fertig?“ „Ich geh ja schon“, motzte der größere der Jungs. „Und wenn du damit fertig bist, kannst du auch gleich anfangen deine Klamotten zu packen. Du wirst dein Zimmer mit Alexander tauschen!“, bestimmte Rachel. „Wieso sollte ich?“ „Vielleicht weil du auch mal mit dem Monster das Zimmer teilen willst?“ „Das werde ich ganz bestimmt nicht!“ „Aber den Kleinen ängstigen, das kannst du gut!“ Sie trat näher an ihrem Bruder heran. „Und wonach riechst du überhaupt? Alkohol? Gras? Sag mal hast du sie noch alle?“ Die Winchesters drückten sich an den Streithähnen vorbei. Das hier war das normale Leben in dem sie nichts mehr zu suchen hatten, denn es war nicht ihr normales Leben. „Das kann dir doch wohl egal sein. Du bist nicht meine Mutter!“ In diesem Augenblick rutschte Rachel die Hand aus. Das Klatschen ihrer Hand auf Joels Wange mischte sich mit dem Zuschlagen der Haustür. „Puh“, machte Sam und fragte auf dem Weg zum Impala: „Woher wusstest du, dass wir das Ding mit Licht vernichten konnten?“ „Wusste ich nicht.“ „Aber du ...“ Der jüngere Winchester war fassungslos. „Wenn es nicht funktioniert hätte ...“ „Hat es aber, Sammy“, lachte Dean. „Willst du den Abschluss unseres letzten Falles feiern?“, fragte Sam kaum dass sie im Impala saßen. „Ich weiß nicht“, begann Dean unschlüssig. „Jetzt sag nicht, dass du weiter jagen willst?“ So ganz konnte Sam seine Enttäuschung nicht verbergen. „Wenn du unbedingt feiern willst, komme ich mit“, lenkte Dean schnell ein. Diese Richtung der Diskussion missfiel ihm. „Nein, es ist nur ...“ Sam zuckte mit den Schultern. „Ich dachte es wäre ein Grund zum Feiern.“ „Ich glaube einfach nicht, dass wir nie wieder jagen gehen.“ „Du willst nicht aufhören!“ „Jetzt dreh mir bitte nicht die Worte im Mund um, Sammy.“ „Aber wenn du jetzt schon darüber nachdenkst wieder jagen zu wollen.“ „Darf ich dich daran erinnern was passierte, als ich mich wirklich darauf gefreut habe, aufzuhören?“ „Nein, du … Ich ...“, hilflos zuckte Sam erneut mit den Schultern und brach ab. Was sollte er darauf auch sagen. Er hatte sich einfach gefreut, dass sie endlich ausstiegen und jetzt schien sein Bruder das nicht zu wollen. Dean bremste ab, wendete und steuerte Harrys Bar an, an der sie gerade vorbeigefahren waren. „Trinken wir was und reden“, erklärte er sein Vorhaben auf Sams fragenden Blick hin. Sams Herz rutschte in seine Hose. Das wollte Dean nur, wenn er ihm etwas sagen musste, dass er auf keinen Fall so hören wollte. Geknickt stieg er aus und folgte seinem Bruder in die Bar. Die Motorräder, die auf dem Parkplatz herumstanden, trugen auch nicht gerade dazu bei, dass seine Stimmung besser wurde. Kapitel 203: Auf nach Vegas --------------------------- 203) Auf nach Vegas Dean lief schnurstracks auf den Tresen zu. 'Wollte er nicht reden?', grübelte Sam im Stillen. „Zwei Bier“, orderte der ältere Winchester beim Barmann. „Kann man hier auch essen?“ „Chicken Wings und Sandwiches.“ „Dann nehmen wir eine Portion Chicken Wings und drei Sandwiches.“ „Wollen sie hier an der Bar bleiben?“ Dean schaute sich um. „Wir nehmen den Tisch da hinten“, erklärte er dann, nahm die Biere und steuerte die auserkorene Ecke an. Wie üblich schob er sich auf den Platz, von dem er den besten Überblick über die Bar hatte. Er stellte die Gläser ab und wartete bis sich sein Bruder ihm gegenüber setzte. „Jetzt guck nicht so bedröppelt, Sammy.“ „Ich guck nicht bedröppelt!“ „Doch. Mit dem Gesicht würden sie dich glatt aus ´nem Tierheim adoptieren.“ Der Ältere grinste breit. „Ich will nicht ...“ ungewollt musste Sam doch grinsen. Schnell wurde er jedoch wieder ernst. „Also sag was du zu sagen hast!“, forderte er und versuchte sich innerlich gegen die Antwort zu wappnen, denn dass sie ihm nicht gefallen würde, war ihm mehr als klar. „Eigentlich habe ich nichts zu sagen, doch du interpretierst in meine Antwort Aussagen hinein, die ich klarstellen will und ich denke, dass es einfacher ist, das hier zu tun.“ „Also willst du doch weiter jagen!“ „Du wolltest feiern und ich hatte Hunger. Eigentlich wollte ich mich mit einem Bier auf'´s Bett verziehen, ein wenig durch die Kanäle zappen und dann schlafen, damit wir morgen in aller Ruhe nach Vegas aufbrechen können.“ „Aber ...“ „Das Essen in der Chatterbox war nicht das, was ich jetzt wollte und mehr liegt nicht auf dem Weg.“ Der Barmann brachte ihnen eine große Box Chicken Wings und einen Teller mit den Sandwiches und enthob Sam so vorerst einer Antwort. „Können wir noch zwei Bier bekommen?“, fragte Dean. Der Mann nickte. Er ging zur Bar zurück. „Das mit dem Essen kann ich ja verstehen. Aber warum nicht feiern? Wir werden jetzt bestimmt keinen Werwolf mehr jagen und selbst wenn uns einer anspringt. William würde uns sicher helfen“, versuchte Sam einen schalen Witz. „Davon gehe ich auch aus“, antwortete Dean ruhig. „Es ist nur … Verdammt Sammy! Der Weg zurück war so unendlich schwer. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal schaffen würde. Ich weiß nicht mal, ob ich es überhaupt versuchen wollen würde.“ „Das heißt, dass du ein Wolf bleiben wollen würdest, sollte es nochmal so weit kommen?“ Als Dean nickte, versuchte Sam sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Er hatte doch fast alles getan, um seinen Bruder wieder zum Menschen zu machen und jetzt sagte der ihm, dass er lieber ein Wolf geblieben wäre? Das tat weh! Dean konnte die Gedanken seines kleinen Bruders regelrecht sehen und es tat ihm leid, dass er ihn enttäuscht hatte, doch er wollte ehrlich sein. „Wäre es dir lieber, ich würde dich anlügen?“ Der Jüngere starrte ihn verletzt an. Er schüttelte den Kopf. Nein, natürlich wollte er das nicht, aber er wollte auch nicht hören, dass seine ganze Suche irgendwie für die Katz gewesen sein sollte. Dean fuhr sich frustriert durch die Haare. Vielleicht hätte er einfach seine Klappe halten sollen. Dass er das nicht hatte tat ihm inzwischen leid, aber jetzt wollte er alles los werden. Er seufzte. „Ich wollte nicht feiern, weil das letzte Mal, als ich mich wirklich auf den Ausstieg gefreut habe, das Desaster nicht größer hätte sein können. Ich will so was nicht nochmal heraufbeschwören.“ „Seit wann bist du abergläubisch?“ „Sind wir das in unserer Branche nicht von Hause aus?“ Sam schaute dem Barmann dabei zu, wie er die neuen Gläser auf ihrem Tisch abstellte und die leeren mitnahm. „Man sollte davon ausgehen“, antwortete er dann wage. „Ich habe mich bei Bobby für euch, für dich entschieden, auch weil es keinen Weg zurück gab“, setzte Dean seine schonungslose Beichte fort. Er wollte das endlich vom Tisch haben. „Das Leben als Wolf, mit dieser Familie, es kam dem, was ich als Familienleben kannte, so wahnsinnig nahe. Eltern die sich um ihren Nachwuchs kümmerten, Nahrung besorgen, mit den Jungen spielen, ihnen das Jagen beibringen. Alles das, was ich mir von einem normalen Leben wünsche. Es war so einfach. Keine Lügen, kein Verbiegen, um irgendwem zu gefallen.“ Hilflos zuckte Dean mit den Schultern. Er wusste nicht, wie er es anders erklären sollte und er wollte sich nicht noch tiefer reinreiten. Er wollte Sam nicht noch mehr weh tun. „Willst du mir damit sagen, dass du dich nur für mich, für uns entschieden hast, weil du keine andere Wahl hattest?“ Sam war so enttäuscht, dass er Deans Aussage wörtlich nahm. „Wenn du es so sehen willst, ja. So, wie du dich gegen John und mich entschieden hast, als du nach Stanford gegangen bist.“ Dean verzog das Gesicht. Das jetzt aufzuwühlen tat weh, aber er wollte Sam aus dieser Abwärtsspirale seiner Gedanken lösen und da war Wut gegen ihn immer noch das beste Mittel. „Das war doch was ganz anderes!“ „Hmhm. Du wolltest da hin. Ich wollte nicht zum Wolf werden.“ Der Jüngere schaute erschrocken auf. Dean hatte Recht. Er wollte seine Familie damals hinter sich lassen. „Aber du warst so anhänglich auf dem Weg zu William und du wolltest mich unbedingt vor Amaruq retten. Das passt irgendwie nicht dazu, dass du Wolf bleiben wolltest!“ „Da war eine Verbindung“, der Ältere zuckte mit den Schultern. „Ich kann es nicht näher beschreiben. Du warst da und nur das zählte.“ „Warum sagst du dann, dass du lieber Wolf geblieben wärst?“ „Weil ein Teil von mir wirklich viel lieber frei durch die Wälder laufen würde. Der größere Teil ist allerdings froh wieder Mensch zu sein, auch wenn das alles andere als einfach ist, im Gegensatz zu dem Leben eines Wolfes.“ Sam nickte. Da hatten sie mal wieder klassisch aneinander vorbeigeredet. „Und du willst dich nicht freuen, um das Schicksal nicht herauszufordern.“ „So in etwa, ja.“ „Wie soll es jetzt weiter gehen?“ „Wir essen auf und fahren dann ins Motel und morgen nach Vegas. Danach könnten wir ja vielleicht noch mal über El Paso nachdenken“, sagte er. „Ich würde gerne mehr über die Harrissons erfahren.“ „Klingt gut“, erwiderte Sam. Er hob sein Glas und prostete seinem Bruder zu. Sie würden noch an ihrer Kommunikation arbeiten müssen, aber wenn er es lernte, nicht jede Aussage Deans auf die Goldwaage zu legen und der sich etwas unmissverständlicher auszudrücken, dann würden sie das auch schaffen. Allerdings, „Und was ist mit dem Jagen?“ „Ich würde es gerne so halten, wie wir es uns in Dallas vorgenommen haben. Wir jagen nur, wenn uns ein Fall vor die Füße fällt. Ich denke, wenn du studierst, haben wir eh keine Zeit dafür, was auch immer ich dann tue.“ „Versprichst du mir, nicht alleine loszuziehen?“ „Versprochen Darling, ich werde nicht alleine losziehen.“ Dean klimperte aufreizend mit den Wimpern. „Trottel“ „Miststück“ Froh, dieses Missverständnis aus der Welt geschafft zu haben, tranken sie ihr Bier aus, zahlten und machten sich auf den Weg zu ihrem Motel. Im Zimmer angekommen ließen sie sich auf ihre Betten fallen. Dean angelte nach der Fernbedienung und zappte durch die Programme. Als er bei Dr. Sexy MD hängen blieb, griff Sam nach seinem Laptop. Er wollte sich überzeugen, dass sie die Ursache aller Ängste auch wirklich erledigt hatten. „Irgendwann packen sie dich“, hörte Sam plötzlich eine Stimme neben seinem Ohr. Erschrocken zuckte er zusammen, quietschte ziemlich unmännlich und fegte dabei fast seinen Laptop vom Bett. Lachend fasste Dean zu. „Was soll das?“, fuhr Sam ihn wütend an. „Ich hab dich dreimal angesprochen. Was kann ich denn dafür, wenn du nicht reagierst“, grinste Dean breit. „Man, ich ...“, Sam rieb sich seinen schmerzenden Nacken. „Was wolltest du?“ Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Wie konnte er sein Umfeld nur derart ausblenden. Das passierte ihm wirklich nur bei seinem Bruder. Selbst bei Bobby bekam er mit, was um ihn herum geschah. „Ich wollte dir nur sagen, dass das Bad frei ist und dass ich schlafen gehe.“ „Okay“ Sam klappte den Laptop zu und rutschte vom Bett. „Was gab es denn so Interessantes im Netz?“ „Ich hab mich bei der Polizei reingeschlichen und nach weiteren Vorkommnissen gesucht, die darauf schließen lassen könnten, dass das Monster nicht die Ursache allen Übels war.“ „Und?“ „Heute Abend ist nichts in der Art passiert.“ „Also haben wir es?“ „Jah.“ „Ich bin ja so gut“, schwärmte Dean von sich. „Du bist ein Trottel!“, grinste Sam. „Miststück“, gab Dean zurück und kroch unter seine Decke. Irgendwann würde er im eigenen Bett schlafen. Während er in Morpheus Arme sank versuchte er sich zu erinnern, wie das damals gewesen war. Ein eigenes Bett. Bei Bobby hatte er fast so etwas wie das, aber nur fast. Leise verließ Sam das Bad nach seiner Katzenwäsche wieder. Er schlich sich zu seinem Bett und kroch ebenfalls unter die Decke. Im Licht seiner Nachttischleuchte warf er noch einen Blick zu seinem Bruder. Ein Lächeln lag auf dessen Gesicht. Zu gerne würde jetzt sehen können, was Dean träumte. Es war noch immer viel zu selten, dass er mal schöne Träume hatte. Er löschte das Licht, drehte sich auf die linke Seite und wisperte leise: „Gute Nacht, Dean.“ Er schloss die Augen. Schnell waren in dem Zimmer nur noch die ruhigen Atemzüge der beiden Männer zu hören. Der folgende Tag erwachte und mit ihm die, in so vielen Jahren perfektionierte, brüderliche Routine. Sie packten ihre Sachen und während Sam die Zimmerschlüssel zurück zur Rezeption brachte, ließ Dean seinen Blick noch einmal kontrollierend durch das Zimmer schweifen. Weder wollte er von dem Wenigen, dass sie besaßen etwas fahrlässig verlieren, noch wollte er, dass jemand sie mit dieser Gegend und dem gelösten Fall in Verbindung brachte. Sie kamen und sie gingen und niemand würde sich an sie erinnern. Er zog die Zimmertür hinter sich zu, warf seine Tasche in den Kofferraum des Impalas und ließ sich hinter das Lenkrad fallen. Er startete den Motor und freute sich an dem beruhigenden Grollen. Sam rutschte auf den Beifahrersitz und schon lenkte Dean den Wagen in Richtung Vegas. Am frühen Nachmittag checkten sie in einem kleinem Motel in der Nähe des Strips ein, schließlich wollten sie hier ihr Glück versuchen und waren nicht zum Erholen gekommen. Das Zimmer des Super 8 war eine Wohltat für die Augen, hell und gemütlich, auch wenn sie sich hier wohl nur zum Schlafen aufhalten würden. „Was hältst du davon, wenn wir gleich noch losziehen?“, wollte Sam wissen und warf seinen Rucksack aufs Bett. Sie hatten unterwegs an einem Diner gehalten, um etwas zu Essen, doch kaum hatte Dean seinen Burger mit Pommes frites vor sich stehen, drehte er sich angewidert weg. Nur mit Mühe schaffte er den Burger und selbst den hätte er liebend gerne stehen lassen. „Ich würde gerne erst was essen, das nicht nach altem Frittenfett riecht“, erwiderte er ruhig und versuchte das Schaudern zu ignorieren, dass ihm schon bei dem Gedanken an den Geruch über den Rücken lief. „Hast du deshalb in dem Diner nicht … Ist dein Geruchssinn auch ...“, erschrocken starrte Sam seinen Bruder an. Darüber hatte er nie nachgedacht. Hatte Dean noch mehr vom Wolf behalten? „Nein ist er nicht, aber das Zeug war nun wirklich nicht zu ignorieren. Das hättest auch du gerochen, wenn du etwas anderes als Salat genommen hättest.“ „Ein Punkt für mich?“, wollte der Jüngere wissen. „Mindestens einer“, grinste Dean und nahm seine Jacke. „Aber bilde dir nichts darauf ein und schon gar nicht, dass ich von nun an auch auf Kaninchenfutter stehe.“ „Damit kann ich leben“, feixte Sam. „Wie wäre es mit mexikanisch oder wir gehen ganz feudal essen?“ „Da wir unsere Kasse in den nächsten Tagen auffüllen werden, können wir ruhig mal feudal essen gehen.“ „Also ein Rip-eye Steak für dich und ich nehme auch eins.“ „Dachte schon du willst wieder Salat.“ „Den kann ich dazu essen. Aber hin und wieder will ich auch mal Fleisch essen.“ „Ich muss also nicht befürchten, dass du zum Vegetarier mutieren willst?“ „Ich hätte nicht mal gedacht, dass du weißt, was ein Vegetarier ist.“ „Man muss seinen Feind doch kennen. Außerdem bin ich sogar Veganer! Secondhand -Veganer.“ „Du bist was?“ Sam starrte ihn mit offenem Mund an. Dean und Veganer? Oder eher Secondhand-Veganer? Was hatte der jetzt schon wieder ausgebrütet? „Secondhand-Veganer. Kuh frisst Gras, ich esse Kuh.“ „O-kay“, nahm Sam diese Erklärung mit einem müden Grinsen hin. War ja klar, dass sowas kommen musste. „Dann komm du Veganer.“ „Secondhand-Veganer. Soviel Zeit muss sein!“, lachte Dean. Schon wieder fühlte sich Sam regelrecht gezwungen, seine Augen zu verdrehen. Kapitel 204: Ein ganz normaler tag in Las Vegas ----------------------------------------------- 204) Ein ganz normaler Tag in Las Vegas Zwei Querstraßen weiter hatte Sam ein Steakhaus entdeckt, zu dem er sie jetzt lotste. Dean parkte den Impala und folgte seinem Bruder in das Restaurant. Doch schon an der Tür musste er gegen den Drang ankämpfen, sofort wieder zu gehen. Er hasste die Schilder, die darauf hinwiesen, dass sie natürlich nicht die freie Platzwahl hatten. Am liebsten würde er auf dem Absatz kehrt machen, doch genau in diesem Augenblick kam ein Kellner auf sie zu. „Nur sie beide oder kommt ihre Begleitung noch?“ „Nein, nur wir“, erwiderte Sam. „Dann folgen sie mir bitte.“ Er brachte sie zu einem Tisch der ziemlich weit vorn an der Fensterfront stand und erkundigte sich auch sofort nach den Getränken. „Zwei Bier, bitte“, bestellte Sam und ließ sich mit dem Rücken zum Eingang nieder. Dean atmete tief durch und setzte sich seinem Bruder gegenüber. Wie er das doch hasste, nicht alles im Blick zu haben. Sam sah, wie unruhig sein Bruder war und wie angespannt. „Du hättest lieber einen Platz hinten in einer Ecke“, stellte er ruhig fest. „Ist das so offensichtlich?“ „Für mich? Ja.“ „Deswegen liebe ich die Diner, aber wir werden demnächst wohl nicht nur in denen essen. Also sollte ich mich an solche Situationen gewöhnen, oder?“ Der ältere Winchester schnaufte. Sam lächelte, beruhigen, wie er hoffte. „Das wird schon.“ Innerlich freute er sich über diese Äußerung mehr, als er zugeben würde. Hieß es doch, dass sich sein Bruder ernstlich mit einem Ausstieg beschäftigte. „Ich verrate dir, wenn sich hinter deinem Rücken was Gefährliches tut“, erklärte er überzeugend. „Okay“ Dean versuchte sich zu entspannen, was ihm allerdings nicht wirklich gelang. Der Kellner kam und brachte ihr Bier und die Karten. Sie hatten sich entschieden ihren Urlaub so richtig feudal zu beginnen und so ließ Dean seinen Bruder Vorspeise und Dessert für sie aussuchen. Er selbst bestellte sich ein großes Rip-Eye Steak mit Backkartoffel. Schweigend warteten sie auf ihre Vorspeise. „Das war mehr als gut“, erklärte Dean, als er den Impala auf die Straße lenkte. „Aber jeden Tag möchte ich das nicht haben.“ „Willst du nicht oder kannst du´s dir nicht leisten?“, hakte der Jüngere nach. „Beides“ Sam nickte zustimmend. Auch für ihn wäre so ein Essen täglich nichts. Aber hin und wieder wollte er es schon genießen. Er lehnte sich zufrieden zurück und schaute sich um. Sein Blick fiel auf den Stratosphere-Tower. „Wie wäre es mit ein wenig Nervenkitzel“, fragte er grinsend. Wohlwissens, dass er Dean da nie hochbekommen würde. „Hattest in deinem Leben ja auch noch nicht genug, oder?“, ging der Ältere so gar nicht auf die Anspielung ein. „Das schon, allerdings nie so sicheren.“ „Na danke. Darauf kann ich gerne verzichten.“ „Du kneifst?“, konnte Sam nicht aufhören zu sticheln. „Ich komme mit, wenn du mit mir in eine Clownsvorstellung gehst und dich da freiwillig zu ihnen auf die Bühne meldest.“ „Vergiss den Tower“, brummelte Sam ungehalten. Es war aber auch zu blöd, dass sein Bruder seine Schwächen genauso gut kannte wie er dessen. „Dann also zu M&Ms World?“ „Hmhm.“ Sam war sauer auf sich selbst. Er hätte Dean schon gerne dabei zugesehen, wie der vor Angst fast erstarrte, immerhin war es da fast wie fliegen. Leider konnte er sich nicht dazu durchringen dessen Gegenvorschlag anzunehmen. Diese Angst steckte ihm so tief in den Knochen. Heimlich bewunderte er seinen Bruder, der seine Flugangst ja schon für einen Fall, oder eher für ihn, überwunden hatte. Um nichts in der Welt wollte sein Bruder ihn damals alleine fliegen lassen. Und er konnte nur hoffen, dass er in einer umgekehrten Situation genauso selbstlos reagieren würde. Im letzten Augenblick bekam er mit, wie Dean den Impala auf dem Parkplatz abstellte. Das hätte ihm nur wieder besorgte Blicke eingebracht, wenn er so tief in Gedanken versunken gewesen wäre, dass er das Aussteigen verpasst hätte. Unisono schlossen sie die Wagentüren. Ohne die Spielautomaten des Casinos, durch das sie gehen mussten, zu beachten betraten sie diesen Tempel von Deans geliebten Schokokugeln. Mit großen Augen blieb der Ältere gleich hinter dem Eingang stehen. Wie viel sinnloses Zeug es mit diesen beiden Figuren gab, war unglaublich. Langsam ließ er seinen Blick durch den Laden wandern. An einer langen geschwungenen Wand waren unzählige riesige Glasröhren mit M&Ms in fast jeder vorstellbaren Farbe. Da musste er hin, doch dann fiel sein Blick auf den Rennwagen und seine Schritte führten ihn fast automatisch in diese Richtung. Sam begnügte sich damit, neben seinem Bruder zu bleiben und ihm beim Staunen zuzuschauen. Viel mehr interessierte ihn hier eh nicht. Gleichzeitig überlegt er sich, ob er ihm jetzt, wo sie bei ihrer Kleidung nicht mehr nur auf praktisch, also in möglichst gedeckten Farben, achten mussten, ein T-Shirt mit Gesicht mitnehmen konnte, oder eine Tasse? Jetzt wäre es ja eigentlich kein Problem, wenn es das eine oder andere zerbrechliche Stück in ihrem Besitz gab. Sie könnten es auch erstmal bei Bobby lassen? Nachdem Dean den Wagen eine Weile bewundert und für sich entschieden hatte, dass der zwar nicht schlecht, aber nie eine Konkurrenz für sein Baby sei, ging er weiter und schaute sich um. Schlüsselanhänger, Geschirr, Jacken, Rucksäcke und Babykleidung. Das alles kam für ihn nicht infrage. Aber eine Tasse oder ein neues Schlafshirt konnte er sich durchaus vorstellen. So steuerte er jetzt die Ecke mit den Kleidungsstücken an. „Was hältst du von dem grünen für dich?“, grinste Dean und hielt seinem Bruder eins vor die Brust. Sam warf einen kurzen Blick auf die, die noch am Ständer hingen und versuchte dann den Blick auf dem Shirt nachzuahmen. Ganz gelang es ihm nicht, aber Dean hatte seinen Spaß. „Okay, dass kannst du recht gut. Dann vielleicht doch ein Gelbes oder in orange? Das Rote könnte dir auch stehen.“ „Nee, lass mal. Ich will ja nicht, dass du vor Lachen nicht in den Schlaf kommst“, wiegelte Sam ab. Dean zuckte bedauernd mit den Schultern und entschied sich für ein blaues T-Shirt. Jetzt musste er aber zu der Wand. Er nahm ein paar Tüten und begann die zu füllen. Immer schön eine Farbe nach der anderen und eine Geschmacksrichtung nach der anderen. Zusammenschütten konnte er sie auch später noch, wenn er das denn wollte. Sam schaute ihm eine Weile dabei zu und ging dann los, um einen Einkaufskorb zu holen. Die ganzen Tüten zu tragen und noch neue zu füllen würde auf Dauer unhandlich werden. Letztendlich füllte er selbst noch eine Tüte für Dean mit all den Mädchenfarben, die der aus irgendeinem Grund vergessen zu haben schien. Auf dem Weg zur Kasse mussten sie an den Regalen mit dem Geschirr vorbei. „Was hältst du davon?“, wollte Dean wissen und hielt Sam eine Packung mit zwei Tassen hin, auf denen die Figuren vor einer Identifizierungswand standen und ein Schild mit der Aufschrift „wanted“ hielten. „Willst du die bei Bobby lassen?“ „Solange wir nichts Eigenes haben? Warum nicht?“ „Dann sollten wir vielleicht noch welche für Bobby und Jody mitnehmen.“ „Gute Idee“, stimmte Dean zu. Er nahm noch eine grüne und eine blaue Tasse aus dem Regal und legte sie mit in den Korb. „Was ist das denn?“, fragte er irritiert, als er seine Schätze an der Kasse auspackte und die Mädchentüte fand. „Die hast du vergessen.“ „Ich hab nichts ...“ Dean musterte seinen Bruder irritiert. Doch gleich darauf hellte sich seine Mine auf und er grinste breit. „Bist halt doch ein Mädchen!“ Sam schnaufte nur. Was hatte er auch anderes erwartet? Ohne noch weiter darauf herumzureiten legte Dean die Tüte auf das Band und bezahlte sie. Die Dämmerung hatte eingesetzt, als sie wieder auf den Parkplatz kamen. „Willst du noch in das Aquarium oder verschieben wir das auf morgen?“, fragte Dean. So ganz wusste er nicht, was ihn in dem Shark Reef erwartete, oder was er davon erwarten sollte. Aber solche Besuche gehörten eben auch zum normalen Leben. Er konnte sich noch an ein oder zwei Ausflüge in einen Zoo, in seiner Schulzeit, erinnern und er wusste auch noch wie aufgedreht die meisten Kinder waren. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, also waren sie wohl nicht so toll, oder aber seine Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt. „Lass uns heute gehen. Es ist gerade mal kurz nach sechs und wir haben noch die ganze Nacht zum Zocken. Vielleicht sind wir danach ja pleite und müssen zurück zu Bobby.“ „Das hoffe ich doch nicht.“ „Oder du sprengst die Bank und wie müssen den Ort schnellstens verlassen?“ „Auch das bezweifle ich“, antwortete Dean ruhig. „Aber du hast Recht. Zum Geld organisieren haben wir noch genug Zeit. Also los.“ Sie stiegen in den Impala und Dean lenkte sein Baby zum Parkplatz des Mandalay Bays. Die Menschenschlange vor dem Eingang war schon irgendwie beängstigend. Wie lange sollten sie hier warten? Doch jedes Bedenken war unbegründet. Sie rückten schnell vor und konnten ihren Obolus entrichten. Der Eingangsbereich hinter den Kassen erinnerte Sam an den verfallenen Tempel aus dem Dschungelbuch. „Gleich kommt King Louis um die Ecke“, sagte er. „Wer?“ Dean starrte seinen Bruder verwundert an. „Mogli? Das Dschungelbuch? Hast du denn wirklich kein Kinderbuch gelesen?“ So ganz wollte er das einfach nicht glauben. „Außer Puh dem Bären? Nein. Nachdem Mom … Mir war einfach nicht nach Kinderbüchern, es sei denn du wolltest die hören. Aber bis zum Dschungelbuch sind wir nie gekommen. Du hast ziemlich schnell lesen gelernt.“ Dean grinste, doch seine Augen blieben ernst. „Dann solltest du das demnächst mal lesen. Es ist gut geschrieben.“ „Okay, wenn ich Zeit habe“, antwortete der Ältere und nahm sich vor, das Buch wirklich in Angriff zu nehmen. Langsam liefen sie durch den mit Pflanzen überwucherten Tempel. Links und rechts gab es Gehege in denen Krokodile, Schlangen und Warane lebten. Es gab Terrarien mit kleineren Echsen und Dean fragte sich, was daran denn jetzt so umwerfend sein sollte. Die Tiere konnte er auch in einer besseren Zoohandlung sehen. Okay, die Warane vielleicht nicht, aber Krokodile und Echsen wohl schon. Sam hingegen sog jede Information in sich auf, die sich ihm hier bot. Er war vollkommen in seinem Element. Dean lächelte. Alleine diesen Ausdruck mal wieder auf dem Gesicht seines kleinen Bruder zu sehen, hatte das Eintrittsgeld gelohnt. Wann war Sammy das letzte Mal so glücklich? Und wann hatte er das je genießen können? Hinter der nächsten Ecke kamen auch endlich die Tiere in Sicht, die diesem Riff seinen Namen gaben. Die Brüder blieben hinter den anderen Besuchern stehen und schauten den Hammerhaien zu, wie sie ruhig ihren Bahnen zogen. Diese Ruhe übertrug sich auf den älteren Winchester. Sam, der hinter ihm stand, bemerkte die Wandlung. Vielleicht sollten sie sich ein Aquarium anschaffen, wenn es Dean half sich zu entspannen, überlegte er, verwarf den Gedanken aber wieder als er sah, dass ihn die kleineren Fische in den folgenden Aquarien kaum interessierten. Ein Haibecken würden sie sich wohl kaum leisten können. Und dann tauchten sie in den Glastunnel ein und Dean konnte nicht verhindern sich zu überlegen, wie viele Tonnen hier wohl auf die gebogenen Scheiben drückten und wie dick die sein mussten. Er wollte nicht erleben, wie diese Röhre brach. Schnell konzentrierte er sich auf die Bewohner des Beckens. Versonnen musterte er die Haie, die über sie hinweg glitten, als sie unter dem riesigen Becken hindurch gingen. Die wenigsten Menschen mochten Haie. Viele hielten sie für gefährlich, jagten sie und wollten sie wohl auch am liebsten ausrotten, und hier standen alle da und starrten bewundernd auf die großen Fische. Ob sich ihre Einstellung ändern würde? Er war sich da nicht so sicher. „Worüber denkst du nach?“ Sam sah das widersprüchliche Minenspiel seines Bruders als Spiegelung in den Scheiben. „Was wohl passiert, wenn es einen Riss im Glas gibt.“ „Das möchte ich nicht erleben“, erwiderte Sam leise und konnte ein Schauern nicht ganz unterdrücken. Der Gedanke war beängstigend. „Ich auch nicht.“ „Schnell raus hier?“ „Da hinten ist es auch nicht sicherer.“ Der Ältere grinste schief. Schnell lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf einen der größeren Haie. Würde er je so in sich ruhen können? Kapitel 205: Gewinnen und verlieren ----------------------------------- 205) Gewinnen und verlieren Hinter dem Tunnel gab es ein eng umlagertes Streichelbecken, dass die Brüder kopfschüttelnd umrundeten. Warum musste man einen Fisch streicheln? Sie wandten sich den anderen Becken zu. Mitten im Raum standen Zylinder mit den Quallen. Mit Schaudern erinnerte sich Dean an Nicce. Nur zu gut hatte er noch vor Augen, wie sie die Quallen am Strand zu retten versuchte und wie gebannt er von ihren Augen war. Nur zu gern würde er das was danach mit ihm geschehen war aus seinem Gedächtnis verbannen. Schnell ging er weiter. Vor einem Becken mit Kugelfischen hielt er inne. Neben ihm stand ein kleiner Junge, der die Nase fest gegen das Glas presste. Er schien diese Fische entweder zu imitieren oder aber dazu zu bewegen zu wollen, dass sie sich aufbliesen. Immer wieder plusterte er die Wangen auf. Der Winchester ließ sich mitreißen und blies nun seinerseits die Wangen auf. Sam grinste. Hier hatte er den Beweis, dass sich sein Bruder trotz allem, was sie inzwischen erlebt hatten, noch nicht wirklich verändert hatte und immer noch der war, der ihn damals aus Stanford geholt hatte. Ob er diesen Dean jetzt wieder öfter sehen könnte? Langsam wanderten sie von Raum zu Raum und betrachteten die vielen verschiedenen Meerestiere, die hinter dickem Glas ruhig ihre Bahnen zogen. Der letzte Raum war wie das Wrack eines gesunkenen Zerstörers gestaltet. Staunend schauten sie sich um. Die Geräusche und die gebogenen Scheiben ließen den Eindruck entstehen, dass sie wirklich zwischen all den Haien und Fischen tauchten. Es war beeindruckend. Draußen atmeten sie erst einmal durch. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut ist“, gestand Dean leise. Sam nickte. „Ich hab zwar einiges darüber gelesen, aber so toll hatte ich es mir auch nicht vorgestellt.“ „Es war das Geld wert.“ „Dass du jetzt wieder reinholen wirst.“ „Das hoffe ich doch.“ „Wo willst du hin? Mirage, Bellagio, Ceasars? Oder bleiben wir gleich hier?“ „Ich möchte das Luxor sehen und ins MGM!“ „Und ich das Flamingo.“ „Dann lass uns heute ins Flamingo fahren“, entschied Dean. Vom Parkplatz aus kamen sie direkt ins Casino des Flamingo. Sam hätte sich zwar zu gerne die Eingangshalle angesehen, aber Dean dazu zu zwingen sein Baby von einem Fremden fahren zu lassen, dazu konnte er sich dann doch nicht durchringen. Vielleicht hatte er ja nachher noch Zeit sich die Halle anzusehen. Das Casino an sich war einfach nur schreiend bunt. „Ich möchte hier nicht arbeiten müssen“, erklärte der Ältere und Sam nickte zustimmend. Ein paar Stunden hier zu verbringen würde ihm für´s Leben reichen. Ob die anderen Casinos auch so schreiend bunt waren? Wahrscheinlich. Die Brüder schauten sich kurz um. Natürlich gab es hier jede Menge einarmiger Banditen, an denen etliche Menschen ihr Geld verspielten. Dean schüttelte den Kopf. Hier würde er nie sitzen wollen und mit stumpfem Gesichtsausdruck auf blinkende Knöpfe drücken. Da zog er doch die schon fast angenehme Stille bei einem gepflegten Pokerspiel in einer Bar vor. In aller Ruhe gingen sie weiter in den Raum hinein, zu den Tischen, an denen Poker oder Black Jack gespielt wurde. Hier war es nicht wirklich ruhiger. Sie tauschten ihr Geld in Jetons und schauten sich um. „Poker, Black Jack oder Roulette?“, fragte Sam seinen Bruder leise. „Poker.“ „Okay“ Sam folgte seinem Bruder zu einem der Tische und überlegte, wie er zu ihrer Haushaltskasse beitragen konnte. Gegen Dean zu spielen wäre zwar reizvoll und irgendwann würde er das auch mal tun wollen, einfach um zu wissen, wer besser war. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass Dean gewinnen würde, wollte er sein Glück mal versuchen. Aber nicht heute und nicht hier. Denn das wäre ja schon fast grob fahrlässig. Er schaute sich um und entschied sich für Black Jack, ein paar Tische weiter. „Ich möchte mein Glück mal beim Black Jack versuchen“, sagte Sam und deutete auf den Tisch, den er sich ausgesucht hatte. Dean nickte. Er schaute seinem Bruder in die Augen und wünschte ihm mit einem Lächeln viel Glück. Gleich darauf ließ sich der Ältere an einem Tisch nieder. Mit einem kurzen Nicken grüßte er die anderen Spieler und legte seine Jetons vor sich. Als eine neue Runde gegeben wurde, stieg er mit ein. Irgendwann, Sam hatte die Zeit komplett aus den Augen verloren, erhob sich einer der Spieler. Er hatte an diesem Tag kein Glück und nur drei Chips im Wert von 25 Dollar vor sich liegen. Die schob er jetzt der Bank hin. „Ich hoffe, sie haben mehr Glück als ich“, verabschiedete er sich von seinen Mitspielern, und ging. Sam nutzte die Chance, um ebenfalls die Runde zu verlassen. Im Gegensatz zu dem glücklosen Spieler hatte er seinen Einsatz jedoch fast verdoppelt. Er gab dem Kartengeber ebenfalls einen seiner Jetons. Die restlichen schob er sich in die Taschen. „Vielen Dank für das Spiel“, sagte er und ging mit einem Nicken. Er schaute sich nach Dean um. Sein Bruder saß noch am gleichen Tisch und hatte seine Jetons auch erheblich aufgestockt. Er ging zu ihm. „Wie lange willst du noch spielen?“ „Wenn du gehen willst? Lass mich nur die Runde noch beenden“, erwiderte der Ältere. „Nein, mach ruhig weiter. Ich schau mich ein wenig um“, wiegelte Sam ab und ging, nachdem sein Bruder genickt hatte, zum Bankschalter, um seinen Gewinn in Dollar zu tauschen. Stolz schob er das Bündel in die Innentasche seiner Jacke. Kurz überlegte er, wohin er sich wenden sollte und entschied, bevor er seine Runde drehte, erst einmal zur Toilette zu gehen. Kritisch musterte Sam sich im Spiegel, während er sich die Hände abtrocknete. Er sah müde aus, fertig. Sie hatten in den letzten Jahren zwar immer wieder Pausen gemacht, erzwungene und gewollte, aber dieser Job nahm einen doch mit. Gut, dass sie ausstiegen. Er würde sich bei Bobby ein paar Wochen Ruhe gönnen und dann? Vielleicht hatte er schon Antworten auf seine Bewerbungen? Je nachdem würde er vielleicht neue schreiben müssen oder sie konnten sich nach einer neuen Bleibe umsehen. Vielleicht konnte er das Wintersemester schon nutzen. Er bezweifelte zwar, dass er im Oktober wirklich mit dem Studium anfangen konnte, aber vielleicht konnte er ja ein paar Aufbaukurse besuchen? Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, grinste sich noch einmal zuversichtlich zu und verließ die Toilette. Auf dem Gang kam ihm eine Gruppe lachender, schwatzender junger Frauen entgegen, die wohl gerade alt genug waren, um hier überhaupt herein zu dürfen. Ihre gute Laune war ansteckend. Sam fasste nach der Klinke und zuckte zurück. „Verdammt“, schimpfte er und schüttelte seine Hand. Wo hatte er sich denn elektrisch aufgeladen? Noch einmal schüttelte er seine Hand, griff erneut nach der Klinke und zog die Tür auf. Zielstrebig steuerte er die Roulette-Tische an. Dean warf seine Karten auf den Tisch. Diese Hand hatte ihm kein Glück gebracht. Er rieb sich müde über die Augen. Vielleicht sollte er besser aufhören, bevor er seinen Gewinn wieder verspielte. Außerdem vermisste er seinen Bruder. Klar, der wollte sich einfach noch etwas umsehen, außerdem war er erwachsen. Trotzdem. Irgendwie hatte er erwartete, dass der sich nochmal bei ihm meldete. „Mir langt´s“, sagte er, warf dem Kartengeber einen Chip zu und erhob sich. Er schob sich die Jetons in die Taschen und ging seinen Bruder suchen. Er fand ihn an einem Roulette-Tisch. Kurz legte er Sam die Hand auf den Arm. „Wie sieht´s aus?“, wollte er wissen. Sam schaute ihn kurz irritiert an, dann lächelte er breit. „Gut dass du kommst. Kannst du meine Schulden bezahlen?“ „Schulden?“, echote Dean verständnislos. „Du hattest doch gesagt, dass du gewonnen hast?“ „Aber jetzt habe ich verloren!“, maulte Sam. „Zahlst du jetzt?“ „Ist ja schon gut“, wehrte Dean ab. Auf keinen Fall wollte er hier und jetzt mit seinem Bruder eine längere Diskussion anfangen. „Wie viel?“, wollte er wissen. Die Summe, die der ihm nannte, ließ ihn schlucken. Er atmete tief durch und holte die Jetons aus den Taschen. Innerlich fluchend reichte er seinen Gewinn an den Croupier weiter, der die gleich an die Spieler am Tisch verteilte. „Du kommst mit!“, erklärte er Sam unmissverständlich und packte ihn am Arm. Er schäumte vor unterdrückter Wut. „Spinnst du? Wir wollten unser Bargeld aufstocken und nicht noch die letzte Reserve verspielen“, schimpfte er auf dem Weg zum Bankschalter. „Man kann doch wohl mal verlieren!“, maulte der Jüngere. „Mal, Sam. Mal ja. Aber nicht so viel, dass du dir Geld borgen musst. Seit wann bist du so unvernünftig?“ „Ich bin nicht unvernünftig!“, versuchte sich der zu rechtfertigen. „Nein? Wie nennst du es dann, wenn wir trotz meines und deines vorherigen Gewinnes nicht mal mehr die Hälfte von dem haben, mit dem wir reingekommen sind?“ Dean legte die letzten Jetons, die er noch hatte, auf den Tresen und bekam das Geld ausgezahlt. „Können Sie ihn auf die Sperrliste setzen?“, fragte er die junge Frau hinter dem Tresen. So unvernünftig wie Sam gerade war, wollte er ihn mehr in der Nähe von etwas wissen, wo Geld zu verlieren war. „Er ist spielsüchtig.“ „Ich kann ihn bei uns auf die Streichliste setzen lassen“, erwiderte sie leise. „Bei den anderen Casinos auch?“ „Nein. Das müssten Sie direkt bei denen erfragen, oder bei der Polizei. Die können ein Verbot für Las Vegas erwirken.“ „Okay, danke.“ Dean lächelte sie an. 'Wäre ja auch zu schön gewesen“, dachte er und packte Sam wieder am Arm. „Was soll das? Ich bin erwachsen!“, knurrte der und versuchte sich loszureißen. „Du benimmst dich aber nicht so!“, schimpfte der Ältere. Er war angefressen. „Wir wollten neu anfangen und dazu brauchen wir Geld! Dass du es mit vollen Händen rauswirfst, bringt uns nicht weiter!“ „Und? Du hattest doch genug gewonnen!“ „Zum Glück!“ „Ich hätte das schon wieder reinbekommen“, maulte Sam. Dean schüttelte nur den Kopf. So viel Uneinsichtigkeit hatte er bei seinem kleinen Bruder noch nie erlebt. „Versprich mir einfach, dass du nicht noch mehr Geld verspielst, okay?“, bat er leise. Sam gab ein Grunzen von sich, dass Dean, einfach weil er es wollte, als Zustimmung interpretierte. Er schloss den Impala auf und schob den Jüngeren auf den Beifahrersitz. Eher enttäuscht als wütend schlug er die Tür zu. Er lief um den Wagen herum und stieg ebenfalls ein. Müde wischte er sich über das Gesicht. Startete den Wagen und brachte sie zu ihrem Motel. Während der ganzen Fahrt saß Sam schmollend auf seinem Platz und starrte in die Dunkelheit. Und auch als sie auf dem Parkplatz angekommen waren, würdigte er Dean keines Blickes. Er stieg langsam aus und schaute seinem Bruder dabei zu, wie der sich eine der M&Ms Tüten aus dem Kofferraum holte, bevor er ihm in gehörigem Abstand zum Zimmer folgte. Demonstrativ wartete Dean an der Tür bis sein Bruder ins Zimmer getreten war. Laut vernehmlich schloss er sie. „Geh einfach ins Bett, Sam. Wir reden morgen“, sagte er leise. Er warf seine Jacke achtlos über den kleinen Sessel und verschwand im Bad. Ausdruckslos starrte Sam ihm hinterher. Sollte er hier bleiben oder sollte er wieder losziehen? Warum sollte er auf ihn hören? Sein Blick wanderte zwischen den Türen hin und her. Dean kam zurück, bevor er zu einer Entscheidung gekommen war. „Du kannst ins Bad.“ Er legte seine Kleidung ordentlich neben seine Jacke und kroch ins Bett. Sam stand noch kurz unschlüssig mitten im Raum, doch bevor der Ältere etwas sagen konnte, verschwand er im Bad. Spielen konnte er auch später noch. Die Casinos würden nicht verschwinden. Als er wieder ins Zimmer kam, sah er sich forschenden grünen Augen gegenüber. Er seufzte lautlos und begann sich umzuziehen. Der ältere Winchester beobachtete seinen Bruder aufmerksam. Irgendetwas lief hier falsch! Etwas war nicht so wie es sein sollte, aber er fand keinen Ansatz für sein komisches Gefühl. Sam ging ins Bett und drehte ihm den Rücken zu. Lange lag Dean noch wach und grübelte, während er zuhörte, wie sich sein kleiner Bruder von einer Seite auf die andere drehte. Kapitel 206: Sam! Sam? ---------------------- 206) Sam! Sam? Träge streckte er sich unter seiner Decke und wäre am Liebsten wieder eingeschlafen. Doch alles in ihm schlug Alarm. Hier stimmte etwas nicht! Er drehte sich auf dem Rücken und schaute zu Sams Bett. Sofort war er hellwach und jetzt endgültig beunruhigt. Sam war nicht da! War er wieder losgezogen? Verspielte er schon wieder ihr Geld? Hatte er überhaupt geschlafen? Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er das Bett seines Bruders. Es war zerwühlt. Sam war also schon aufgestanden und sein Instinkt hatte ihn schlafen lassen. „Verdammt!“, fluchte er lauthals. Natürlich schlugen seine Instinkte bei Sam nicht an. Warum sollten sie? Und jetzt? Frustriert setzte er sich auf die Bettkante. Mit einem Mal fühlte er sich alt und so unendlich müde. Er wollte nicht denken und er wollte sich nicht mit Sams Komplettausfall gestern Abend auseinandersetzen. Aber er würde ihn fragen müssen! Er rieb sich über die Augen. Erstmal aufstehen, duschen und dann, nach einer oder zwei Tassen Kaffee würde er sich überlegen, wie es weitergehen sollte und wie er Sam finden konnte. Zur Not musste er zur Polizei und ihn auf eine allgemeine Sperrliste setzen. „Nein!“, sagte Dean laut. Er wollte sich nicht damit auseinandersetzen, was Sam vielleicht tat. Warum misstraute er ihm plötzlich? Okay, sein kleiner Bruder hatte einen Fehler gemacht, aber das hieß nicht, dass er schon wieder einen machte! Und überhaupt! Außer dass er seinen Gewinn verspielt hatte, war nichts passiert! Und Sam war bestimmt nur Frühstück besorgen! Er würde seinem Bruder nicht misstrauen! Es war Sammy! Sein kleiner Sammy! Rigoros schob er die Gedanken beiseite. Suchend schaute er zu seinem Nachttisch. Hatte er da nicht gestern Abend die Tüte mit den M&Ms hingelegt? Wo war die? Er stand auf und ging um sein Bett herum. Nein, runtergefallen war die Tüte nicht und unter dem Bett lag sie auch nicht! Komisch! Hatte er sie bei seinen Sachen gelassen? Irritiert kratzte er sich am Kopf und beschloss erst einmal Kaffee zu kochen und ins Bad zu gehen. Dann konnte er immer noch suchen. Vielleicht war bis dahin ja auch Sam wieder da. Er goss sich gerade seinen ersten Kaffee ein, als sich die Tür öffnete. „Genau richtig“ grinste er und befüllte eine zweite Tasse. Er drehte sich zu seinem Bruder und hielt irritiert inne. „Kein Frühstück?“ „Warum sollte ich Frühstück holen?“ „Ich dachte du wärst deshalb los?“ „Nein, war ich nicht!“ „Und wo warst du dann?“ Dean stellte seine Tasse weg und ging zum Sessel, um sich endlich fertig anzuziehen. „Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig?“ „Bist du nicht. Ich dachte nur wir frühstücken zusammen und ziehen dann wieder los.“ Das komische Gefühl, dass Dean vorhin noch erfolgreich verdrängt hatte, meldete sich nun mit aller Macht zurück. „Tja, falsch gedacht“, erklärte Sam kalt und schüttete den Kaffee weg. Dean erstarrte kurz, zog sich dann die Hosen hoch. „Weißt du wo die Tüte M&Ms hin ist? Ich dachte ich hätte sie auf den Nachttisch gelegt, aber ...“ „Die hab ich ins Klo gekippt.“ „Warum? Was ist mit dir los? Sam, du ...“, hastig drehte er sich zu Sam um. Gerade richtig, um zu sehen, dass der seine Hand schon wieder am Türknauf hatte. „Ich darf nicht spielen, du bekommst keine Schokolade!“ „Christo“, brach es aus Dean heraus. Sam grinste nur schief und drehte den Türknauf. Dean sah Rot. Mit wenigen Schritten überbrückte er die kurze Distanz vom Sessel zur Tür. Er packte Sam am Arm und drehte ihn mit aller Kraft zu sich um. Der nutzte den Schwung und schlug unvermittelt zu. Sein rechter Haken erwischte Dean am Kinn und ließ ihn rückwärts taumeln. Erst der Sessel hielt ihn auf. Mühsam beherrscht richtete sich der Ältere auf. „Was soll das?“, fragte er atemlos und ging auf Sam zu. Der zuckte nur mit den Schultern. „Du nervst“, erklärte er lapidar und wandte sich wieder zur Tür. Diese zwei Worte brachten das Fass zum Überlaufen. Er holte aus und schlug zurück. Hart traf er Sams Kinn, doch der schien regelrecht immun zu sein. Er taumelt kaum. Im Gegenteil. Er hatte noch die Unverschämtheit breit zu grinsen. Der holte nun seinerseits aus. Seine Faust traf Deans Magen. Er packte seinen Bruder am Kragen seines Shirts. Die Schläge prasselten nur so auf den Älteren ein. Rechts, links und zum Schluss ein Tritt in den Magen. Dean klappte wie ein Taschenmesser zusammen. Sam war erbarmungslos. Seine Finger krallten sich in Deans Schulter und zerrten ihn wieder in die Senkrechte nur, um ihn erneut mit Schlägen zu traktieren. Der letzte davon traf ihn so hart, dass er sich um die eigene Achse drehte und nach hinten taumelte. Er schaffte es nicht mehr sich abzufangen und prallte mit dem Bauch gegen die Kommode. Sein Gesicht schlug noch so hart gegen die Wand, dass seine Nase gut hörbar knirschte. Blut tropfte auf die Holzplatte. Doch Sam ließ ihm nicht die Zeit die Schmerzen in seiner Nase und dem Unterbauch zu verarbeiten, geschweige denn die Blutung zu stoppen oder durchzuatmen. Er wurde wieder gepackt, herumgedreht und schon landete der nächste Schlag in seinem Magen. „Sam?“, krächzte er atemlos. Was war nur in seinem kleinen Bruder gefahren? Es schien ja fast so, als wollte der ihn totschlagen? Er sammelte noch einmal all seine Kräfte und versuchte sich zu wehren, bevor Sam sein Vorhaben vollenden konnte. Sam seinerseits, konnte über diese hilflosen Bemühungen nur lachen. Er nutzte den Schwung von Deans nächstem Schlag und beförderte ihn mit einer Leichtigkeit durch den Raum, als wäre der kein erwachsener Mann, sondern eine Stoffpuppe. Der Ältere schaffte es lediglich sich zur Seite zu drehen, damit er nicht mit dem Gesicht im Glastisch landete. Laut splitternd zerbrach die Tischplatte. Keuchend rollte sich Dean auf dem Rücken. Er war am Ende. Sam stellte sich über ihn: „Ich brauche keinen Moralapostel, der hinter mir her dackelt!“, erklärte er kalt. „mmy?“, keuchte Dean atemlos. Sam hockte sich über ihn und begann ihn zu würgen. „Halt einfach dein Maul!“ Deans kaum noch vorhandene Gegenwehr erstarb nach ein paar Sekunden gänzlich. Er verdrehte die Augen und ergab sich der lauernden Dunkelheit. Doch selbst das schien Sam in seiner Raserei noch nicht genug zu sein. Er ließ Deans Hals los und schlug noch einmal hart zu. Für den Bruchteil einer Sekunde begrüßte Dean den Schmerz, der wie ein elektrischer Schlag durch seinen Körper jagte, ließ der ihn doch endgültig in die Bewusstlosigkeit abtauchen. Er krampfte kurz und entspannte sich dann. „Schwächling“, spuckte der Jüngere angewidert aus. Er erhob sich. Hastig begann er die Schränke nach einer Tasche zu durchsuchen. Seinen Bruder würdigte er keines Blickes. Er nahm sich die erste Tasche, die er fand und stopfte alles, was aussah, als ob es ihm gehören könnte hinein. Dabei stieß seine Hand gegen etwas Hartes. Er öffnete die Außentaschen förderte ein Paar Handschellen zutage. Ein boshaftes Grinsen legte sich auf sein Gesicht, während sein Blick zwischen den metallenen Armbändern und dem bewusstlosen Körper hin und her wanderte. Er ging zu ihm hinüber und packte einen Fuß. Rücksichtslos zerrte er ihn ins Bad, wo einen Ring der Handschellen um ein Wasserrohr unterhalb des Waschbeckens schloss und den anderen um Deans Handgelenk zusammendrückte. Er trat dem Bewusstlosen noch einmal in den Rücken und verließ das Bad. Penibel achtete er darauf, dass er die Badezimmertür richtig schloss. Er packte seine restlichen Sachen zusammen, durchsuchte danach noch einmal das Zimmer. Er fand Deans Brieftasche. In aller Ruhe durchwühlte er sie. „Dean Winchester“, las er von dessen Führerschein ab. Er zuckte mit den Schultern, schob das Dokument zurück und zog die Scheine heraus. Achtlos warf er die Brieftasche auf eines der Betten, nahm seine Tasche und griff nach den Impalaschlüsseln. Schnell hängte er das „Bitte nicht stören“-Schild an die Tür und verließ das Zimmer. Schmerzen. Sein ganzer Körper schien ein einziger pulsierender Schmerz zu sein. Sein Arm kribbelte und in seiner Schulter hackte der Puls. Er versuchte sich zu drehen, um sich auf der anderen Seite zusammenzurollen. Er war einfach noch nicht so weit, sich dem Licht, den Schmerzen und der Ursache des Ganzen zu stellen. Er kam nicht weit. Irgendetwas bremste sein Handgelenk schmerzhaft aus. Ein zweiter Versuch führte zu demselben Ergebnis. Zu gerne wüsste er, was ihn da festhielt, doch er schaffte es nicht die Augen zu öffnen. So kämpfte er sich leise keuchend, mühsam näher an seinen Arm heran. Bevor er sich doch weiter mit seiner Lage befassen konnte, verlor er erneut das Bewusstsein. Kälte, die die Schmerzen soweit zurückgedrängt hatte, dass sie erträglich wurden, riss ihn zurück ins Leben. Doch er traute sich nicht, sich zu bewegen. Etwas war hier! Leises Klappern erfüllte den Raum. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er begriff dass das Klappern von ihm stammte. „Oh Gott“, keuchte er und rieb sich mit der Rechten über das Gesicht. Was er dabei unter seinen Fingern fühlte, ließ ihn nichts Gutes ahnen. Das Sam hatte ihn ziemlich zugerichtet. Dass es sein kleiner Bruder Sam war, wollte er einfach nicht glauben. Irgendetwas musste irgendwo mit ihm passiert sein. Aber was? Doch das musste noch warten. Zuerst einmal musste er hier raus! Mit diesem Entschluss gelang es ihm endlich seine Augen zu öffnen und sein Handgelenk zu untersuchen. Das Sam hatte ihn an ein Wasserrohr gekettet! „Na toll“ Er ließ den Kopf auf die Fließen sinken und atmete ein paar Mal tief durch. In Gedanken ging er den Inhalt seiner Hosentaschen durch. Hatte er etwas darin, womit er sich befreien konnte? Er wollte nicht riskieren noch hier zu liegen, wenn das Sam zurückkam. Wenn der ihn jetzt schon so zugerichtet hatte, wollte er nicht wissen, was der noch mit ihm anstellen könnte. Mühsam fummelte er mit der Rechten in seiner linken Hosentasche und förderte eine Büroklammer zu Tage. Jetzt musste er es nur noch schaffen, seine zitternden Hände ruhig zu halten, damit er das Schloss knacken konnte. Lange Zeit gelang es ihm einfach nicht. Dean ließ den Kopf erneut auf die kalten Fließen sinken, schloss die Augen und versuchte Kälte und Schmerz an einen Ort, tief in sich drin, zu verbannen. Er wusste, dass er sich später damit auseinandersetzen musste, doch nicht jetzt. Jetzt brauchte er einen klaren Kopf und eine ruhige Hand. Er atmete tief durch und versuchte noch einmal, sich auf seine Hände zu konzentrieren. Der kleine Metallstift rutschte in das Schloss und zwei, drei Sekunden später schlug sein Ellenbogen auf den harten Boden. Wie ein weiterer Stromschlag jagte der Schmerz durch seinen Arm und explodierte in seinem Gehirn. Mühsam wälzte er sich auf die Seite und blieb mit zugekniffenen Augen, leise keuchend, so lange liegen, bis er wieder halbwegs klar denken konnte. Er stemmte sich auf die Knie und richtete sich, am Wannenrand abstützend, langsam und leise ächzend auf. Bewusst vermied er einen Blick in den Spiegel und schwankte ins Zimmer. Offene Schübe und eine geöffnete Schranktür verrieten ihm, was er schon geahnt hatte. Das Sam war weg. Sein Blick fiel auf die Betten. Am liebsten würde er sich unter der Decke verstecken, sich ausschlafen und hoffen, dass er, wenn er wieder aufwachte, das alles nur geträumt hatte. Sein schmerzender Körper schalt ihn einen Narren. Er seufzte und fühlte sich so unendlich müde. Er wischte sich erneut mit der Hand über das Gesicht. Es brachte nichts hier herum zu jammern. Er musste sich einen sicheren Schlafplatz suchen. Einen Platz an dem er sich seine Wunden lecken und überlegen konnte, wie es weitergehen sollte und wie er seinen Sammy zurückbekam. So schnell es sein geschundener Körper zuließ, räumte er seine Sachen auf sein Bett. Fehlte nur noch die Tasche aus dem untersten Fach des Schrankes, um alles da hinein zu stopfen. Er beugte sich hinunter. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Egal, er musste hier weg! Kapitel 207: Es muss weiter gehen, irgendwie -------------------------------------------- 207) Es muss weitergehen, irgendwie! Lautes Poltern ertönte und ein heftiger Schmerz fraß sich durch seine linke Schulter. Wieso das denn? Erst jetzt registrierte er, dass er halb auf der Seite lag. Er drehte sich auf den Rücken und stöhnte schon wieder schmerzhaft. Jetzt protestierten sein Nacken und die Schulterblätter. Er blinzelte ein paar Mal. Sein Blick fiel von unten an die Decke des Kleiderschrankes. Wie war er denn hier gelandet? Leise stöhnend stemmte er sich in die Höhe und ließ sich auf der Bettkante nieder. Seine Tasche, die er vorsorglich gleich noch aus dem Schrank gezogen hatte, warf er neben sich. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte den Kopf in die Handflächen. Hinter seiner Stirn hämmerte es wie in einer Großschmiede. Da hatte das Sam ja was angerichtet. 'Himmel Herrgott', fluchte er stumm. Wer hatte da nur was gegen sie? Das war doch nicht mehr normal, oder? Er atmete noch ein paar Mal ruhig und langsam so tief durch, wie es seine schmerzenden Rippen erlaubten. Vorsichtig stemmte er sich in die Höhe. Er kramte in seiner Tasche und holte sich, als er die Schmerztabletten gefunden hatte ein Glas Wasser. Hastig schluckte er die und hoffte auf eine baldige Beruhigung der Schmiedearbeiten. Langsam und jede ruckartige Bewegung vermeidend, packte er seine Tasche. Er quälte sich in seine Jacke und kramte nach dem Wagenschlüssel. Seine Finger griffen ins Leere. „Na toll“ Wenn sein Kopf nicht so schmerzen würde, würde er jetzt lauthals fluchen. Das Sam hatte Baby entführt! Er knurrte ungehalten und warf sich seine Tasche über die Schulter. Sofort ging das Knurren in ein ersticktes Japsen über. 'Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?' Dean Winchester schlich wie ein geprügelter Hund aus dem Motel. Das „Bitte nicht stören“- Schild hatte er registriert, aber einfach keine Kraft mehr sich darüber auch noch Gedanken zu machen. Die Schmerztabletten wirkten, aber er fragte sich wie lange. Er brauchte dringend ein neues Motelzimmer möglichst weit weg von hier, falls das Sam zurückkam. Er musste nicht weit laufen, bis ihn ein Taxi auflas. „Wohin solls gehen?“, fragte der Fahrer. Unverhohlen starrte er den jungen Mann an. Wer hatte den denn so zugerichtet. „Irgendein Motel“, erwiderte Dean. „Soll ich Sie nicht besser ins Krankenhaus bringen?“ „Geht schon“, winkte der Winchester ab. „Ich hab keinen Nerv ewig in einer Notaufnahme zu sitzen.“ „Sicher?“ „Ja. Ich will in ein Motel!“ „Wie Sie meinen!“ Der Taxifahrer setzte ihn an einem Motel 6 ab. Er nannte den Preis. Dean zog seine Brieftasche und erstarrte. Das Sam hatte ihn um sein gesamtes Bargeld erleichtert. Sein Auto, sein Geld und seine Selbstachtung. Da war ja nicht mehr viel von ihm übrig! Er zog eine seiner Kreditkarten hervor und war froh darüber, die nicht schon entsorgt zu haben. Zwanzig Minuten später schloss er die Zimmertür hinter sich und ließ seine Tasche fallen. Sein Blick huschte zwischen Bett und Badezimmertür hin und her. Sollte er erst seine Wunden versorgen oder sich ein paar Augenblicke Ruhe gönnen? Die Diskussion mit den Typen an der Rezeption hatte ihm fast den letzten Nerv geraubt. Warum meinten alle, dass er nicht selbst wüsste, was gut für ihn war? Mit einem langsamen, tiefen Atemzug entschied er sich fürs Bad. Vielleicht war es ja besser, sich zuerst um sich zu kümmern. Wenn es wirklich so schlimm war wie die Beiden annahmen und er sich fühlte, wäre er danach wohl wieder fix und fertig und da war ja noch die Sache mit dem Sam. Nein, zuerst seine Wunden und dann die Ruhepause. Er bückte sich vorsichtig und griff nach seiner Tasche. Es war zwar nicht viel, aber etwas Verbandsmaterial war noch darin, und weitere Schmerztabletten. Dean ging ins Bad und ließ die Tasche auf den Toilettensitz fallen. Langsam trat er vor den Spiegel. Das Sam hatte ganze Arbeit geleistet. Ein Auge war fast zugeschwollen. Er hatte eine Platzwunde über der Braue und die Lippe war an drei Stellen aufgeplatzt. Außerdem war sein Kiefer geschwollen. Und das war nur das, was in seinem Gesicht sichtbar war. Er quälte sich aus seiner Kleidung. Vorsichtig legte er seine Hände auf die Rippen und zwang sich immer wieder tief ein und aus zu atmen. Nichts knirschte. Das war gut. Okay, Prellungen brauchten länger als Brüche, aber es bestand nicht die Gefahr, dass er sich eine Rippe in die Lunge bohrte. Nach und nach tastete er so alle geschundenen Stellen an seinem Körper ab, dann betrachtete er sich im Spiegel. Die Bestandsaufnahme fiel nicht wirklich beruhigend aus. An fast jedem Körperteil würden sich blaue Flecken bilden. Die Haut schillerte jetzt schon bunt. Er hatte neben den Rippen noch geprellte Nieren und seine Hüfte schmerzte. Verdammt! Was war das in Sam? Auf der Ablage über dem Waschbecken stand eine Packung Reinigungstücher. Er öffnete sie und zog eines heraus. Alkoholgeruch schlug ihm entgegen. Dean holte Luft, biss die Zähne zusammen und versuchte sich so gut es ging gegen die Schmerzen zu wappnen, die diese Aktion ihm gleich bringen würde. Es brannte trotzdem wie Teufel! Nachdem er mit seinem Äußeren zufrieden war, stellte er sich unter die Dusche. Das heiße Wasser spülte einen großen Teil seiner Schmerzen mit durch den Ausguss und er konnte sich entspannen. Wohlige Müdigkeit machte sich in seinen Knochen breit. Er trocknete sich ab, schlüpfte in ein sauberes Shirt und Shorts und schlurfte zurück ins Zimmer. Er zog die Vorhänge zu und ließ sich ins Bett fallen. Ein paar Stunden Ruhe und dann wäre er wie neu geboren! Stunden später fühlte er sich zwar ausgeruhter, aber leider nicht wie neu geboren. Immerhin waren die Schmerzen nicht mehr so schlimm, dass sie sein Denken und Handeln behinderten. Der Einzige, der ihn davon abhielt, sich ausschließlich mit dem Sam zu befassen, war sein Magen. Dean griff nach seiner Jacke und machte sich auf die Suche nach einem Diner. ~“~ Sam seinerseits saß mit starrem Blick vor einem einarmigen Banditen und warf Münze um Münze in den Schlitz. Immer wieder drückte er die Tasten und hoffte auf das erlösend Klingeln, das erklingen würde, wenn er endlich den Jackpot gewonnen haben würde. Oder ob er sein Glück doch nochmal am Roulette-Tisch versuchen sollte? ~“~ Ganz spontan und vollkommen entgegen seiner sonstigen Vorlieben was seinen fahrbaren Untersatz betraf, hatte sich Dean, nachdem er sich in dem Diner gestärkt hatte, bei der Autovermietung für einen fast funkelnagelneuen Geländewagen entschieden. Immerhin der Automarke war er treu geblieben. Er hatte sich mit Kaffee und ein paar Sandwiches eingedeckt und parkte jetzt in einer Seitengasse ihres ursprünglichen Motels. Von hier aus konnte er den Parkplatz ganz gut überwachen, ohne selbst sofort gesehen zu werden. Er grübelte, was mit Sam passiert sein könnte und darüber, ob er noch einmal ein paar Stunden in einem Casino sein Bargeld aufstocken sollte. Wie lange würde er hier bleiben müssen. Wie viele Schulden würde das Sam anhäufen? Eine seiner Karten war noch fast unbenutzt. Mit der konnte er noch ein paar Tage leben, ohne Gefahr zu laufen, dass ihn jemand aufspüren würde. Er rutsche etwas tiefer in den Sitz und richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Die Stunden vergingen. Dean war das Warten ja gewohnt, doch hier war es etwas vollkommen anders. Hier wartete er nicht auf einen Fremden. Hier war es immer noch sein kleiner Bruder. Die Stadt erwachte langsam, als das Sam den Impala mit einem schwungvollen Schlenker, der Dean alle Ehre gemacht hätte, den der ihm aber unter Androhung härtester Strafen verbieten würde, auf dem Parkplatz abstellte. Er stieg aus und ging zu ihrem Zimmer. Dean dankte sämtlichen Schutzmächten und seiner Voraussicht, immer eine Büroklammer in der Hosentasche zu haben. Er war sich nicht sicher, ob er bis jetzt überlebt hätte, und wenn doch, ob er die nächsten Minuten auch noch überleben würde, so wie das Sam die Tür hinter sich zuwarf. Kurz schaute der ins Bad und war irgendwie froh, dass der Typ nicht mehr da war. Sich jetzt noch mit ihm zu befassen, dazu hatte er nun wirklich keinen Nerv. Er wollte ein paar Minuten ausruhen und dann seinen Gewinn aus dem Roulette weiter aufstocken. Er wollte den Jackpot! Eher würde er hier nicht verschwinden! Er hatte in den letzten Stunden zwar nicht viel gewonnen, aber auch nichts verloren. Also war das ein guter Tag! Während der junge Mann im Zimmer seinen Gedanken nachhing, schlich der heimliche Beobachter zu seinem Baby. „Hallo mein Mädchen“, begrüßte er sie leise und strich ihr über den vorderen Kotflügel. „Hat Sam dich gut behandelt? Wenn nicht, dann nimm es ihm nicht übel. Er ist nicht mehr er selbst. Aber das wird wieder“, versprach er ihr und öffnete den Kofferraum. Er nahm seinen Laptop heraus und brachte eine kleine Wanze an der Rückbank an. So würde er sie auf jeden Fall wiederfinden. Er schloss den Kofferraum wieder, strich ihr noch einmal über das Heck und lief zurück zu seinem Mietwagen. Auf dem Fahrersitz rief er sich noch einmal jede Sekunde von Sams kurzem Auftritt eben ins Gedächtnis. Die Gesten waren falsch und der Gang ebenfalls. Nein, das war wirklich nicht sein kleiner Bruder. Aber was war da in ihm? Frustriert rieb sich Dean über das Gesicht. Er war müde und die Wirkung der Schmerzmittel hatte schon vor Stunden nachgelassen. Das lange Sitzen war einfach nichts für seinen geschundenen Körper. Er warf einen Blick auf das Motelfenster, hinter dem er das Sam wusste. Gerade ging das Licht aus. So schnell würde der also wohl nicht mehr losziehen, und selbst wenn. Er hatte ja jetzt eine Verbündete, die ihm verraten würde, wo das Sam sich aufhält. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. Dean wartete trotzdem noch ein paar Minuten, dann startete er den Wagen und fuhr zu seinem Motel. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, lehnte er sich dagegen und atmete erleichtert durch. Die ganze Aktion hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er je offen zugeben würde. Es sich selbst einzugestehen, war ja schon schwer. Oder wurde er einfach nur alt? Aber wie musste sich Bobby dann fühlen? Mit einem unwirschen Knurren schob er den Gedanken beiseite und stemmte sich von der Tür ab. Er nahm eine Schmerztablette und begann sich bettfertig zu machen. Schnell schluckte er noch eine weitere Tablette, zog die Vorhänge wieder zu und kroch ins Bett. Er war hundemüde und doch konnte er nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten um Sam und um das, was ihm das angetan hatte. Ein Dämon konnte es nicht sein, den hätte er gesehen. Aber was dann? Ein Geist? Ein Fluch? Wohl eher nicht! Eine Hexe? Konnte die einen Menschen so komplett kontrollieren? Das Handeln wohl, das hatte er ja schon bei dieser DeVendt erleben müssen, aber da waren die Menschen doch immer noch sie selbst. Bei Sam war es, als wäre er jemand ganz anderer. Hatte er es hier mit einem Gestaltwandler zu tun? Das könnte er mit Silber ganz schnell feststellen. Er musste Sam nur noch einmal gegenübertreten. I m Moment war das aber auch genau das, was sein Körper so gar nicht brauchte. Klar, jetzt wäre er aufmerksamer, aber er war auch angeschlagener als gestern. Er drehte sich noch ein paar Mal von einer Seite auf die andere. Wie schön war doch die Zeit, als er immer und überall schlafen konnte! Und als Sams ruhige Atemzüge ihn in den Schlaf begleiteten. Irgendwann war er doch noch eingeschlafen. Als er erwachte, fühlte er sich jedoch alles andere als erholt. Sam machte ihm wohl mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Dean warf einen Blick auf seine Uhr. Kurz nach drei. Das Sam war bestimmt schon wieder in irgendeinem Casino versackt. Er kämpfte sich aus dem Bett und wäre nur zu gerne sofort wieder hineingekrochen. Zu den Schmerzen kam jetzt auch noch eine Art Muskelkater hinzu. Jede Bewegung tat weh. Er fuhr seinen Laptop hoch, kochte Kaffee und ging heiß duschen. Als er die Dusche wieder verließ, konnte er sich zwar um einiges leichter bewegen, dafür sah er allerdings die Hand vor Augen nicht mehr, soviel Wasserdampf erfüllte den kleinen Raum. Doch im Moment zählte nur das leichtere Bewegen. Die Sicht war ihm egal. Er konnte sich auch später rasieren, oder morgen! Vielleicht sollte er sich einen Vollbart stehen lassen, wie diese Hipster? Schon alleine der Gedanke ließ ihn zusammenfahren. Brrr! Lieber nicht! Dean schlang sich das Handtuch um die Hüften und ging ins Zimmer zurück. Er goss sich einen Kaffee ein und kontrollierte dann den Standort seines Babys. Der Peilsender meldete den Impala auf dem Parkplatz des MGM. Dean schnaufte. Da hatte er eigentlich heute auch sein wollen. Er schüttete den Kaffee herunter, brachte die Tasse zur Spüle und ging ins Bad. Eigentlich wollte er sich doch rasieren. Ein Blick auf sein geschundenes Gesicht, ließ ihn den Gedanken dann aber doch wieder verwerfen. Der Bart verdeckte zwar die leichten Schwellungen und die blauen Flecke nicht wirklich, aber er wollte auch nicht noch darauf hinweisen. Während er sich anzog überlegte er, ob er sich Essen holen und hier recherchieren sollte. Nein, entschied er. Hier war es ihm eindeutig zu ruhig. Hier würde ihm die Decke auf den Kopf fallen und hier würde er Sam noch mehr vermissen, zumal der ja noch immer den Großteil ihrer Recherchearbeiten machte. Er packte also seinen Laptop ein und ging zum Wagen. Kapitel 208: Charlie -------------------- 208) Charlie Seit Stunden starrte Dean jetzt schon auf den Bildschirm seines Laptops. Seine Frustrationsgrenze war schon lange überschritten, doch immer wenn er den Rechner zuklappen wollte fiel sein Blick auf den leeren Platz ihm gegenüber. Sein Sammy hätte die Lösung schon vor einer halben Ewigkeit gefunden! Müde rieb er sich über das Gesicht. So langsam bekam er Kopfschmerzen und seine Rippen meldeten sich auch schon wieder. Das lange Sitzen tat ihnen alles andere als gut. Er schloss alle Seiten und öffnete einen Suchdienst. Zum gefühlt zehntausendsten Mal. Blicklos starrte er auf das Eingabefenster. „Noch immer nichts gefunden?“, fragte die Kellnerin, die ihn im ersten Moment fast glauben ließ, dass Anna vor ihm stand. „Nein, ich komme einfach nicht weiter“, gab er frustriert zu und musterte sie einen Augenblick länger. Nein, es war nicht Anna. Es war nur eine andere rothaarige junge Frau. „Irgendwie scheinen sich alle gegen mich verschworen zu haben.“ Er grinste schief. Schaute aber sofort wieder ernst, da jede Bewegung seiner Gesichtsmuskeln ebenfalls weh tat. „Was suchen Sie denn?“, wollte sie interessiert wissen und tauschte eine volle gegen eine leere Bierflasche. „Nur rein interessehalber“, wiegelte der Winchester ab. „Dafür suchen Sie aber ziemlich verbissen.“ Dean zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Was sollte er auch darauf antworten. Sie konnte ihm nicht helfen. Oder doch? „Kennen Sie sich mit der Geschichte von Las Vegas aus?“ „Nein, tut mir leid. Ich bin erst vor Kurzem von Michigan hierher gezogen.“ Sie schenkte ihm noch ein ehrliches Lächeln und ging, während der Winchester eine weitere Suchrunde startete. Irgendetwas musste er doch finden. Was er wahrscheinlich auch würde, wenn er wüsste wonach er suchte. Der Akku ist fast leer! Das Warnfenster erschien schon wieder. Dean atmete fast erleichtert durch und schloss sämtliche Fenster. „Hey“, machte die rothaarige Kellnerin auf sich aufmerksam. Er schaute auf. „Kann ich kassieren? Ich hab gleich Feierabend.“ Dean nickte und holte ein paar der wenigen Scheine aus der Tasche, die er noch einstecken hatte. So langsam sollte er sich überlegen, wie er an Bargeld kam. Mit einem kurzen Lächeln bezahlte er seine Rechnung. Er trank sein Bier aus, nahm den Laptop und ging nach draußen. Gleich darauf kam er ohne Rechner zurück. Er schaute ein paar Minuten bei den Billardspielen zu. Als eine Partie beendet war und der unterlegene Spieler keine weitere Revanche wollte, stieg er ein. Drei Stunden später hatte er sein Barvermögen von knapp fünfzig Dollar auf reichlich fünfhundert mehr als verzehnfacht. Wenigstens hier blieb ihm das Glück hold. Er verließ die Bar und ging zu seinem Wagen. Er stieg ein, schob den Schlüssel ins Zündschloss und startete. Jetzt wollte er eigentlich nur noch ins Bett, doch vorher musste er noch schnell nach seinem Baby schauen. Natürlich stand seine schwarze Schönheit noch nicht vor dem Motelzimmer. Er fuhr noch ein paar Querstraßen weiter, bevor er am Straßenrand parkte und den Rechner noch einmal hochfuhr. Das warnende Kästchen auf dem Bildschirm klickte er genervt weg. Schnell hatte er das Sam im Luxor geortet. „Oh man“, stöhnte Dean leise und rieb sich den Nacken. Er war das alles so leid. „Reiß dich zusammen, Winchester!“, befahl er sich. „Jammern bringt dich nicht weiter!“ Er klappte den Rechner zu und warf ihn auf die Rückbank. „Also auf ins Motel und morgen geht’s weiter.“ Irgendein Lösungsansatz musste doch zu finden sein! Vielleicht sollte er einfach aufhören das zu finden, was Sam so verändert hatte und dafür eins nach dem anderen ausschließen? 'Denk nach, Dean!' Nein, er würde jetzt nicht zum Motel fahren und sich ausschlafen. Noch nicht! Er würde zu Sams Motel zurückfahren und warten, bis der zurück war, dann würde er die Tür mit Salz sichern. Damit hätte er die Katze im Sack. Blieb nur die Frage, wie er ihn soweit unschädlich machen konnte, um auszutesten was genau seinen kleinen Bruder befallen hatte. Dieser neue Ansatz machte ihn zwar nicht munterer und er ließ auch die Schmerzen nicht weniger werden, aber er gab ihm neuen Mut. Dean startete den Wagen, wendete ihn und stutzte. Der Lichtkegel streifte zwei Personen am Ende der Sackgasse. Rote Haare blitzten kurz auf. Irritiert hielt er inne. Hier stimmte etwas nicht! Er parkte den Wagen und rannte die wenigen Meter zurück. „Rück das Geld raus, Schlampe!“, bellte der Kerl die junge Frau an. Er hatte ihre Haare um seine Hand gewickelt und zog immer wieder daran, so das ihr Kopf jedes Mal gegen den Rand des Müllcontainers schlug, an den der Kerl sie gedrängt hatte. „Ich hab kein Geld“, wimmerte sie leise. „Lüg mich nicht an! Ich weiß dass du es jeden Abend wegbringst!“ „Heute wollte es mein Chef selbst wegbringen! Bitte ...“, flehte sie leise. So leise wie möglich schlich sich Dean an den Typen heran, der sich so auf sein Opfer konzentrierte, dass ihm das auch problemlos gelang. Er schlang seinen Arm um der Hals des Kerls. „Lass sie in Ruhe“, raunte Dean dem Kerl ins Ohr. Doch der Typ reagierte nicht. „Wirds bald?“, knurrte Dean und verstärkte mit Hilfe seiner Linken den Druck so gut er konnte. Langsam schnürte er ihm die Luft ab. Endlich ließ der verkappte Dieb die Haare der jungen Frau los. Er erstarrte und ließ sich von Dean langsam rückwärts von der Kleinen wegziehen. Doch diese Schrecksekunde dauerte nicht allzu lange. Viel zu schnell fing er sich wieder und versuchte dem Winchester einen Ellenbogen in die Seite zu rammen. Dean wich aus. Dabei ließ er den Typen los. Der wirbelte herum. In letzter Sekunde konnte Dean einer rechten Gerade ausweichen, die genau auf sein Kinn gezielte. Er riss die Arme hoch und bekam einen Schlag in den Magen. Die Luft entwich pfeifend seinen Lungen, während er wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Sofort trat der Kerl nach. In diesem Augenblick erwachte die Kellnerin aus ihrer Starre. Sie nestelte an dem Reißverschluss ihrer Tasche und zerrte das Pfefferspray hervor. „Hör auf!“, schrie sie diesen brutalen Dieb an. Der grinste böse, trat noch einmal zu und drehte sich dann zu der Kleinen um. Er hatte sie für schlauer gehalten, aber wenn sie ihm schon die Freude machte nicht abgehauen zu sein, würde er sich jetzt holen, was ihm zustand. „Ich hätte ...“, begann er großspurig und erstarrte. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er auf ihre Hand, dann schrie er vor Schmerzen. Er riss die Arme vors Gesicht, fluchte und jammerte und taumelte aus der Gasse. Sie lief zu ihrem Retter, der noch immer am Boden lag. Sie beugte sich zu ihm. Sofort machte der sich noch kleiner, hob einen Arm, um seinen Kopf zu schützen und versuchte sie mit der anderen Hand zu erwischen. „Ich bin‘s nur“, sprudelte sie hervor und machte einen Satz nach hinten. „Der Kerl ist weg. Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist.“ 'So eine doofe Frage!', schalt sie sich. 'Natürlich war nichts in Ordnung!' Dean drehte sich auf den Bauch, stemmte sich auf Hände und Knie und kam langsam wieder auf die Beine. Er bekam noch immer keine Luft. Mit wackligen Knien stand er vorn über gebeugt neben dem Container und hielt sich daran fest. Immer wieder versuchte er vergeblich zu atmen. Endlich füllten sich seine Lungen wieder mit Sauerstoff. Er atmete tief ein und musste sofort husten. Blut tropfte aus seinem Mund, er hatte sich bei dem Angriff von dem Idioten auf die Zunge gebissen. Entschlossen packte die junge Frau seinen Arm und zog ihn aus der Gasse. „Ich bringe Sie in ein Krankenhaus. Sie müssen dringend untersucht werden. Wer weiß, was Sie sich gebrochen haben“, plapperte sie drauf los, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Abrupt blieb Dean stehen. „Kein Krankenhaus!“forderte er tonlos und ärgerte sich über die Schwäche in seiner Stimme. „Lassen Sie mich einfach hier bei meinem Wagen. Ich komm schon klar!“ „Ich lasse Sie doch jetzt nicht so einfach hier zurück! Sie sind verletzt!“ „Das wird schon wieder“, knurrte er. Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er lehnte sich gegen den Kotflügel des Geländewagens. „Das ist Ihrer?“ Dean nickte und fummelte umständlich den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Er öffnete die Tür und kämpfte sich auf den Fahrersitz. Kurz entschlossen drängte die Kellnerin ihn auf den Beifahrersitz und setzte sich selbst hinter das Steuer. „Was?“, resignierte Dean. Eigentlich war er ja froh, dass jemand da war. Er war alles andere als in der Lage jetzt Auto zu fahren. Kaum hatte sie den Motor gestartete und den Wagen auf die Straße gelenkt, ließ er den Kopf gegen die Lehne fallen und schloss die Augen. Seine Instinkte schlugen zwar Alarm, doch er konnte einfach nicht mehr. Das Sam hatte ihm derart zugesetzt, dass er wohl ein paar Wochen brauchen würde, um die Folgen vollkommen verarbeiten zu können und der Typ gerade hatte in die selben Kerben geschlagen. Jetzt war nicht nur sein Körper heftig angeschlagen. Auch sein Ego hatte so einiges abbekommen. Wann war er das letzte Mal so verprügelt worden? „Wir sind da“, riss ihn eine weibliche Stimme in die Realität zurück. Er schaute sich um. „Wo da?“, fragte er irritiert. Das hier war weder der Parkplatz seines Motels noch dem von Sam. „Ich hab Sie mit zu mir genommen. Sie wollten in kein Krankenhaus und ich bin Rettungsassistentin. Naja, angehende. Ich mache eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin. Ich bin fast fertig“, plapperte sie und rutschte von Fahrersitz. Sie lief um den Wagen herum und half Dean beim Aussteigen. Eigentlich nahm sie keine Fremden mit zu sich, schon gar keine fremden Männer, aber der hier hatte sie gerettet und er war so angeschlagen, dass er wohl kaum eine Gefahr für sie sein konnte. „Ich bin übrigens Charlie. Ich glaube, ich hab mich noch nicht vorgestellt.“ „Dean“, erwiderte der Winchester. Auch er rutschte vom Sitz und blieb erst mal in der Tür stehen. Er atmete ein paar Mal durch und schaute sich um. „Sie hätten mich auch einfach nur zu meinem Motel fahren können“, sagte er leise und war doch froh, dass sie es nicht getan hatte, denn er bezweifelte, dass er es überhaupt bis in sein Zimmer geschafft hätte. „Sie haben für mich Ihr Leben riskiert, da werde ich Sie bestimmt nicht einfach auf der Straße zurücklassen. Vergessen Sie es.“ Sie tauchte unter seinem Arm durch, legte ihren um seine Hüfte und half ihm in ihre Wohnung. Gleich hinter der Wohnungstür ließ sie ihn los und ging zur Küchenzeile, um heißes Wasser zu kochen. Ihre Wohnung war nur ein kleines Apartment, doch ihr reichte es und sie wollte hier ja auch nicht für ewig bleiben. Dean schaute sich um. Eine heiße Dusche und paar Stunden Schlaf würden seine Lebensgeister schon wieder wecken. Sein Blick blieb an der Couch hängen. Er tappte darauf zu. Selbst für die Dusche war er zu fertig. Er wollte sich gerade fallen lassen, als Charlie ihn ansprach. „Lassen Sie mich erst Ihre Verletzungen sehen?“ Für einen Augenblick musste er überlegen, wer sie war. Er legte den Kopf schief und musterte sie skeptisch. „Ich bin fast ausgebildete Rettungssanitäterin. Bitte, ich ...“ Dean nickte und begann sich umständlich Hemd und T-Shirt auszuziehen. Er ließ seine Kleidung einfach fallen und drehte sich dann zu Charlie um. „Wow, dass ist ...“, entfuhr es ihr. Das war ja mal ein Prachtexemplar Mann, das da vor ihr stand. Ein geschundenes Prachtexemplar. „... Ich meine, oh Gott. Das … Sie haben ganz schön was abbekommen.“ Langsam trat sie näher an ihn heran und begann seinen Oberkörper abzutasten. „Dean! Lassen Sie das sie weg, das macht mich alt“, versuchte er einen lockeren Spruch. „Charlie“, lächelte sie ihn an und reichte ihm die Hand. Charlie hatte wunderbar kühlende Hände und doch tat jede ihrer Berührungen weh. Unbewusst begann Dean, um sich zu beruhigen, fast lautlos auf Wolfsart zu grollen. Immer wieder musterte sie sein Gesicht. Sie wollte ihm nicht noch mehr wehtun, doch er hatte die Augen geschlossen und zeigte auch sonst keine Reaktion auf ihre Berührungen. Da war nur dieses kaum merkliche Vibrieren in seiner Brust. Jetzt war es an ihr, ihn irritiert zu mustern. Was war das? „Gebrochen ist nichts“, erklärte sie erleichtert, als sie endlich fertig war und riss ihn so aus seiner Trance. „Okay“ Er bückte sich nach seiner Kleidung und zog sich genauso umständlich wieder an. „Danke“, sagte er leise und ging langsam zur Tür. Er wünschte sich jetzt nur noch ein Bett. Aber so wie er sich fühlte, würde er es wohl höchstens bis zum Wagen schaffen. Er hätte darauf bestehen sollen, dass sie ihn zu seinem Motel fuhr. Jetzt musste er mit einem Autositz vorlieb nehmen. „Warte“, platzte sie heraus. Der Winchester erstarrte und drehte sich langsam wieder zu ihr um. „Ich kann dich nicht so wieder da rausschicken!“ „Warum nicht. Ich komm schon klar“, erklärte er müde. Er machte einen Schritt auf einen der Stühle am Esstisch zu und stützte sich an der Lehne ab. „Hippokratischer Eid“, versuchte sie eine Erklärung und grinste schief. Dean rieb sich über das Gesicht und legte seine Hand dann wieder auf die Lehne. Er traute seiner Standfestigkeit nicht. „Hat das nicht was mit medizinischer Hilfe zu tun?“ „Ich will nur vermeiden, dass du die Treppe runter stürzt.“ „Und warten bis ich im Stehen einschlafe?“ „Du kannst die Couch haben. Ich muss sie nur schnell ...“ Hektisch begann sie die Kissen beiseite zu räumen. Kapitel 209: Noch mehr Ärger ---------------------------- 209) Noch mehr Ärger „Was hast du eigentlich so verzweifelt gesucht? Im Internet, meine ich?“, fragte Charlie aus ehrlichem Interesse und um die Zeit zu überbrücken. „Dies und das“, antwortete Dean einsilbig. „Ich kann dir vielleicht helfen. Ich bin ganz gut ...“ „Du bis eine verkappte Hackerin?“ „Sowas in der Art. Ich … ich meine ich kenn mich damit ganz gut aus. Ich hab das früher als, sagen wir, Nebenerwerb gemacht.“ „Ist ein Rettungssanitäter so gut bezahlt, dass du das jetzt nicht mehr machst?“, zweifelte Dean. „Nein. Es ist ehrlich.“ Sie lief ins Schlafzimmer und holte Bettzeug. Dean seufzte. Ehrlich? Wann war er das letzte mal ehrlich? Vor ein paar Monaten. Das Leben als Wolf war ehrlich. „Außerdem wollte ich neu anfangen. Weg von den alten Freunden, dem alten Umfeld. Es wurde immer schlimmer und als Kugeln flogen ...“ Sie versuchte ein Lächeln. „Kugeln? Du scheinst da ziemlich tief drin gehangen zu haben.“ „Wir haben nicht nur Spiele gehackt. Ich musste da einfach raus und weit weg. Nochmal ganz neu anfangen.“ „Und das erzählst du mir so einfach frei von der Leber weg? Du kennst mich doch gar nicht!“ „Du hast mir das Leben gerettet!“ „Oder du mir.“ „Wir uns?“ Wieder lächelte sie ihn an. Der Winchester schwieg. „Und deine Familie?“, wollte er nach einer Weile wissen. Denn auch wenn er sich vorstellen konnte irgendwo neu anzufangen, seine Familie, Sam oder Bobby zu verlassen war ein Ding der Unmöglichkeit. Zumindest solange er ein Mensch war, musste er einschränken. Als Wolf war das etwas ganz anderes gewesen. Da hätte er sich nicht vorstellen können diese Familie allein zu lassen. Doch egal wie, er hatte beides schon getan. Er fühlte sich gerade mehr als schlecht und ließ den Kopf hängen. „Meine Mom wurde bei einem Unfall schwer verletzt. Sie lag jahrelang im Koma und ist vor ein paar Monaten gestorben“, erklärte sie leise. „Das tut mir leid.“ „Als sie noch lebte, hätte ich nicht gehen können.“ Charlie schluckte hart. „So, fertig. Du kannst dich hinlegen. Ich werd rüber gehen.“ Sie deutete auf das Schlafzimmer. „Wenn was ist, melde dich einfach.“ Dean nickte und kam langsam wieder zum Sofa zurück. Er schälte sich erneut aus seiner Kleidung und legte sich hin. Eine Weile versuchte er noch eine Stellung zu finden, bei der die Schmerzen nicht ganz so groß waren. Als er aufwachte, fühlte er sich nicht mal halb so ausgeruht wie er gehofft hatte. Charlie war gerade leise ins Bad gehuscht. Sie hatte ihn wohl nicht wecken wollen. Doch außer bei Sam konnte er nun mal nicht schlafen, wenn sich um ihn herum jemand bewegte, dem er nicht vertraute. Vielleicht, wenn er es wirklich gewollt hätte, hätte er wieder einschlafen können. Doch Charlie musste bestimmt bald los und er sich auf die Suche nach Sam machen. Er wollte seinen kleinen Bruder endlich wieder haben. Dafür musste er nur noch herausfinden wer oder was Sammy so manipulierte. Er stand auf, zog sich an und begann die kleine Küchenzeile zu durchsuchen. „Du hättest ...“, begann Charlie als sie aus dem Bad wiederkam und unterbrach sie fast sofort wieder. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee stieg ihr in die Nase. „Also daran könnte ich mich gewöhnen.“ Lächelnd nahm sie die Tasse entgegen und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Du hättest noch liegen bleiben können“, setzte sie ihren begonnenen Satz fort. „Nee, lass mal. Ich muss los. Außerdem willst du bestimmt gleich weg, oder?“ „Ich hab Spätschicht, heute.“ Dean nickte kurz. Er trank seinen Kaffee aus und brachte die Tasse zur Spüle. „Ich werd dann mal … und danke!“ „Ich muss dir danken!“ „Pass auf dich auf!“, bat Dean sie und griff nach dem Türknauf. „Wie geht es dir?“, wollte sie noch wissen. Nicht, dass sie etwas übersehen hatte. „Wenn ich Ruhe habe, in ein paar Tagen besser“, winkte der Winchester ab. „Dann solltest du dir die Tage nehmen!“ „Erst muss ich etwas erledigen, dann kann ich an mich denken!“ „Dass diese Einstellung ungesund ist, weißt du aber, oder?“ Dean schaute sie nur traurig an. Klar wusste er das, doch es ging um Sammy! Und für den hatte er schon viel ungesundere Dinge getan. „Was ist mit deinem Wagen?“, wollte er dann noch wissen. „Ein Kollege holt mich ab. Der kann mich nach der Schicht da absetzen. Bis dahin steht der da ganz gut.“ „Okay“ Dean nickte und verließ nun endgültig die Wohnung. Etwas hölzern lief er die Treppe hinunter und war froh, dass ihn niemand sah. „Verdammt!“ Fluchend schlug er mit der Hand auf das Lenkrad. Baby stand nicht auf dem Parkplatz. „Wäre ja auch zu schön gewesen!“ Er überlegte sich, ob er anhalten und den Laptop aus dem Kofferraum hohlen sollte, doch der war ja fast stromlos. Das brachte also auch nichts! Er atmete noch einmal tief durch, startete den Wagen und lenkte ihn auf den Parkplatz des Motels. Er stieg aus und klopfte lautstark gegen die Tür. „Sam?“ Natürlich öffnete niemand. Dean zog eine alte Kreditkarte hervor und hatte die Tür schneller geöffnet, als es Sam gekonnte hätte, wäre er da gewesen. „Hey, Alter“, sagte Dean, musste ja keiner merken, dass er hier einbrach, auch wenn er niemanden sah hieß das ja nicht, dass ihn auch wirklich niemand beobachtete. Er huschte hinein. Kurz schaute er sich um. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Die Bruchstücke des Tisches lagen noch herum und auch sonst hatte hier niemand aufgeräumt. Er holte das Salz aus der Tasche und begann die Fenster zu sichern. Das Sam würde hier rein, aber nur sein kleiner Bruder würde den Raum wieder verlassen. Dafür wollte er sorgen. Er wollte das Zimmer gerade wieder verlassen, als die Tür aufgeschoben wurde. „Was willst du denn hier?“, fragte das Sam. „Sammy, ich ...“ „Du kannst es nicht lassen, oder?“ „Was?“ „Hat dir das erste Mal nicht gereicht? Willst du mehr?“ „Ich will meinen kleinen Bruder zurück!“ „Och, hast du dein Baby-Brüderchen verloren?“, höhnte das Sam. „Nein, er ist noch da drin und ich will ihn zurück!“ „Mir gefällt der Körper aber.“ „Komm schon, Sammy! Kämpfe! Du bist stärker!“ „Komm schon Sammy!“, höhnte das Sam. „Es tut mir leid, Sammy!“, sagte Dean, der sich langsam immer näher an dem Ding im Körper seines kleinen Bruders herangeschoben hatte. „Was denn?“ Dean schlug ohne weitere Vorwarnungen zu und rammte seine rechte Faust in Sams Seite. Sofort setzte er nach. Seine Linke traf Sams Solarplexus. Doch außer dass ihn der Schwung ein Stück nach hinten trieb, zeigten seine Schläge keine Wirkung. Noch einmal holte Dean aus. Doch der Schlag, der Sams Kinn traf, hatte schon nicht mehr die Kraft, die den ersten beiden innegewohnt hatte. Es war Sam den er hier verdrosch! „Sammy!“ Dean klang verzweifelt. Ihm dämmerte, dass das hier eine blöde Idee war. Einen Geist, oder was auch immer konnte er nicht verletzen. Seinen Bruder schon. Doch diese Gedanken brachten nichts, außer dass sein Beschützerinstinkt ansprang und sein schlechtes Gewissen sich meldete. Das Sam grinste nur. Er packte Dean am Arm und zerrte ihn herum. Der Schwung trieb den älteren Winchester rückwärts gegen eine Wand. (ähm warum hat Dean nicht das salz nach sam geschleudert?) Dean hatte nicht einmal die Chance sich von dem Aufprall zu erholen. Kaum hatte sein Rücken die Wand berührt, war das Sam auch schon vor ihm und packte seinen Hals. Unerbittlich schnürte er ihm die Luft ab. Dean schlug verzweifelt auf den Ellenbogen ein und trat gegen die Knie, es half nichts. Das Sam hatte nur dieses widerliche Grinsen im Gesicht, das er ihm nur zu gerne ausgetrieben hätte, wenn er es denn könnte. „Sammy, bitte“, wisperte er tonlos. Sein Blickfeld engte sich immer weiter ein. „Das klingt so lächerlich! Ich bin ein erwachsener Mann!“, fauchte das Sam zog ihn ein Stück von der Wand weg und rammte ihn mit aller Macht dagegen. Jetzt sah Dean auch noch Sterne. „Sam...my“ „Mein Name ist Ezra! Ezra James! Hör auf mich Sam zu nennen! Sam wird es nie wieder in diesem Körper geben! Das ist jetzt mein Körper und das wird er bleiben!“ Noch einmal rammte er Deans Kopf gegen die Wand und ließ dann von dem Winchester ab. „Sollte ich dich noch einmal sehen, wird es dein letzter Tag auf dieser Erde sein!“ Wütend schnaubend verließ er das Zimmer und ging zum Impala. Er startete den Wagen und fuhr vom Parkplatz. Sollten sie doch sehen, wie sie hier zu ihrem Geld kommen. Er würde nicht mehr hierher zurückkommen. Dean ergab sich der lauernden Dunkelheit, die ihm eine, zumindest kurzzeitige, Schmerzfreiheit versprach. 'Ezra James, Ezra James' Dieser Name kreiste unablässig in Deans Kopf. Er wälzte sich auf die Seite und versuchte eine Bestandsaufnahme. Was tat ihm eh schon weh und was war die Folge des letzten Angriffes? Aber eigentlich war das egal! Er kämpfte sich auf die Beine. Nur schnell weg hier! Er traute dem Typen zu, dass der seine Drohung wahr machte und das wollte er Sam nicht antun. Weder sollte sein kleiner Bruder zusehen müssen, wie jemand in seinem Körper seinen Bruder tötete, noch sollte er, wenn er seinen Körper wieder hatte mit genau dieser Erinnerung leben müssen. Sammy würde das nicht überstehen! Er taumelte aus dem Zimmer und zu seinem Auto, startete den Wagen und schaffte es sogar unfallfrei bis zu seinem Motel. In seinem Zimmer schaffte er es sogar noch seinen Laptop ans Stromnetz zu stöpseln, bevor er auf sein Bett und in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel. Es war schon wieder dunkel, als Dean ins hier und jetzt zurückkehrte. Er setzte sich auf und wollte nichts lieber tun, als sich wieder fallen zu lassen und weiterzuschlafen. Er war am Ende seiner Kräfte und was noch viel schlimmer war, mit den Nerven. Warum? Warum nur immer sie? Warum durften sie nicht einmal einen kurzen Urlaub machen, ohne dass einem von ihnen was passierte? Was wollte sie so unbedingt in diesem Leben halten? Was gab es, das sie noch nicht bekämpft hatten? Wozu sollten sie auserkoren sein? „NEIN!“, krächzte er und musste augenblicklich husten. Seine Kehle fühlte sich an, als hätte sie jemand mit Sandpapier bearbeitet. Er trank ein paar Schlucke Wasser und kochte sich dann einen Kaffee. Diese Nacht würde lang werden! Doch schon eine halbe Stunde später klappte er seinen Rechner zu und verließ fluchtartig das Zimmer. Ständig hörte er Sams verzerrte Stimme, die ihn verhöhnte und leise, eher wie ein Hintergrundrauschen seinen kleinen Bruder, der ihn anflehte, ihm endlich zu helfen. Er wusste, dass er weder den einen noch den anderen wirklich hörte und er wusste auch, dass sein kleiner Bruder ihm nie einen Vorwurf machen würde und doch fühlte er sich, als hätte er versagt. Er sollte auf Sammy aufpassen und genau das hatte er nicht getan! Er wunderte sich nicht wirklich, als er vor der Bar stand. Hier konnte er genauso gut das Internet durchsuchen und hier war es so laut, dass er die Stimmen nicht hören musste. Schnell hatte er seinen Rechner wieder startklar gemacht und war wieder auf der Suche nach Ezra James. „Sag mal: Stehst du drauf?“, riss ihn eine ziemlich ungehaltene weibliche Stimme aus seiner Konzentration. „Ich? Was?“, fragte er und musste sofort wieder husten. Reden war heute definitiv nicht sein Ding. „Vielleicht solltest du deinen Typen anzeigen. Irgendwann wird er dich umbringen!“, fuhr Charlie mit ihren Schlussfolgerungen fort. Dean verzog einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen, wurde aber sofort wieder ernst. „Es ist nicht das wonach es aussieht“, erklärte er so leise, dass Charlie sich wirklich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. „Das sagen alle.“ Dean nickte. „Ich steh nicht auf Typen und schon gar nicht auf prügelnde, auch wenn es für dich vielleicht so aussieht. Es ist kompliziert.“ „Ist es das nicht immer?“ Sie stellte ihm sein Bier hin und ging kopfschüttelnd. Wieso ließen Menschen sowas mit sich machen und wieso er? Er hatte das doch mit Sicherheit nicht nötig! Aber was mischte sie sich in fremde Angelegenheiten ein. Das hatte sie schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Sie sollte endlich damit aufhören und sich nur noch um sich selbst kümmern. „Leichter gesagt als getan“, murmelte sie leise. In den nächsten Stunden warf sie immer mal wieder einen Blick auf den jungen Mann, doch der machte keine Anstalten verschwinden zu wollen. „Hey, Charlie. Mach Feierabend“, rief sie ihr Chef zu sich. „Ja, danke, Hank.“ Sie ging nach hinten, um die Abrechnung zu machen und überlegte nebenbei was sie jetzt tun konnte. Sollte sie noch einmal mit ihm reden? „Nein! Weder du, Charlene Bradbury noch dein alter Ego Celeste Middlton werden noch einmal mit diesem Mann reden.“ Der Typ roch nach Ärger und den Drang danach hatte sie mit ihrem Namen abgelegt. Sie wollte sich nicht mehr in irgendwelche krummen Sachen hineinziehen lassen. Nur deshalb musste sie aus Topeka weg und nur deshalb hatte sie ihren Namen geändert. Sie wollte endlich normal und in Frieden leben! Kapitel 210: Salzen und Verbrennen ---------------------------------- 210) Salzen und verbrennen Charlie startete gerade ihren Wagen, als sie Dean aus der Bar kommen sah. Er warf den Laptop auf den Beifahrersitz, startete den Geländewagen und schoss mit quietschenden Reifen davon. „Scheiß drauf“, fluchte sie und folgte ihm. „Es ist nicht so wie es aussieht“, maulte sie mit verstellter Stimme und beobachtete ihn dabei, wie er in einen Baumarkt ging. „Nein, es ist schlimmer!“ Oh Verdammt! Warum musste sie ihm auch folgen? Warum konnte sie nicht einmal ihrem gesunden Menschenverstand trauen und die Finger von solchen Situationen lassen? Und jetzt? Konnte sie nach Hause fahren und sich ins Bett legen, während er sich … Ja was eigentlich? Umbringen ließ? Vielleicht war es ja doch was anderes? Vielleicht lag sie ja falsch und er wollte seine Frau überraschen. Und womit? Mit einem Terrarium für eine Riesenboa? Was Dean in den Geländewagen packte, konnte sie nicht erkennen. Doch sie sah ihn einsteigen und davonfahren. Und wieder stellte sie sich die Frage, ob sie folgen sollte. Unwirsch schüttelte sie ihren Kopf. Das war nicht die Frage! Die Frage war, ob sie es sich selbst gegenüber verantworten konnte, ihm nicht zu folgen? Konnte sie das, was sie gesehen hatte und das, was sie daraus schloss so einfach verdrängen und zu ihrem normalen Tagesablauf übergehen? Nein! Genau das würde sie nicht können. Also startete sie den Wagen und folgte dem Winchester. Ein-, zweimal hätte sie ihn fast verloren. Ein Glück nur, dass der Geländewagen keine ganz alltäglichen Rücklichter hatte und sie ihn so schnell wiedererkannte. Doch dann bog er auf einen Friedhof ein. Charlie parkte am Straßenrand und überlegte. Seine Verletzungen und die Tatsache, dass er gerade in einem Baumarkt war, verwoben sich in ihrem Hirn zu den abenteuerlichsten Fantasien, die sie nun wirklich nicht haben wollte! „Oh mein Gott!“, stöhnte sie. Nein. Daran wollte sie nun wirklich nicht denken! Nicht sowas! Er hatte ihr doch gesagt, dass er weder auf Kerle stand, noch komische Vorlieben hatte! Nein! Er fuhr einfach nur über einen Friedhof weil es kürzer war! Also dann! Sie lenkte ihren Wagen wieder in den fließenden Verkehr und umrundete den Friedhof. Natürlich konnte sie ihn nirgendwo mehr sehen! Jetzt hatte sie ihn doch verloren! Irgendwie hatte sie nun ein schlechtes Gewissen. Auf der anderen Seite war sie aber auch froh. Wer wusste schon, in was sie sich wieder manövriert hätte. „Also auf nach Hause“, murmelte sie und wählte dieses Mal selbst die Abkürzung über den Friedhof. „Och nö! Charlie Bradbury! Warum konntest du nicht wieder drumrum fahren?“ Vor ihr schälte sich der SUV aus der relativen Dunkelheit. Sie bremste. „Und nun?“ Sie starrte auf den Wagen. Nein. Auf dem Friedhof würde sie ihn nicht suchen. Aber sie konnte hier warten. Wenn er nicht bald wiederkam … „Ja, was dann?“ Sie legte ihre Stirn auf das Lenkrad und versuchte zu einer Lösung zu kommen. Dean suchte im Schein der Taschenlampe den einen Grabstein, der ihm zeigte, wo er zu graben hatte und er brauchte nicht lange zu suchen. Er stellte den Sack mit dem Salz und den Benzinkanister neben den Stein und begann mit seiner schmutzigen, schweißtreibenden Arbeit. Der Boden war zwar ziemlich hart, aber er kam trotzdem ganz gut voran. Charlie schreckte auf, als sie einen weiteren Wagen kommen hörte. Sie duckte sich hinter ihr Lenkrad und beobachtete den Riesen, der ausstieg und wütenden Schrittes auf den Friedhof lief. „Das ist nicht gut!“, wisperte sie leise, so als hätte sie Angst davor, von ihm gehört zu werden. „Das ist gar nicht gut!“ Ohne weiter nachzudenken, stieß sie ihre Wagentür auf und stieg aus. So vorsichtig wie möglich versuchte sie dem Langen auf den Fersen zu bleiben. Schon bald stieß Dean auf altes, vermodertes Holz, das unter seinen Schlägen schnell nachgab. Er zertrümmerte den Sargdeckel und kletterte aus dem Loch. Großzügig verteilte er Salz und Benzin. Mit einem traurigen Grinsen entzündete er sein Sturmfeuerzeug. „Fahr zur Hölle, Ezra James!“, sagte er und …, gerade als er das Feuerzeug in das Grab werfen wollte, wurde er brutal nach hinten gerissen. Er versuchte es trotzdem noch und warf. Es landete auf der Kante, fiel aber nicht hinein. Dean strampelte. Er trat und schlug um sich und versuchte seine Füße so fest wie nur möglich in den Boden zu stemmen. Es half ihm nichts. Das Sam zerrte ihn immer weiter von dem Grab weg. „Ich habe dir gesagt, dass du mir nicht noch einmal unter die Augen treten sollst oder du würdest es bereuen. Du konntest es ja nicht lassen, also hast du dir das jetzt selbst zuzuschreiben!“ Er zerrte Dean etwas weiter in die Höhe, schlang seinen Arm um dessen Hals und begann ihn zu würgen. Dieses Mal würde er nicht eher aufhören, bis alles Leben aus diesem Schwächling verschwunden wäre. Wie toll fühlte sich doch dieser starke Körper an! Charlie starrte auf das Grab, in das sie fast gefallen wäre und dann zu den kämpfenden Männern, die sie eher hören als sehen konnte. Was sollte sie denn jetzt tun? Bis die Polizei hier wäre, wäre Dean tot! Aber warum hatte der ein Grab ausgehoben? Wollte er sterben? Was wurde hier gespielt? Immer wieder huschte ihr Blick zu den Männern. Unbemerkt bröckelte immer wieder etwas von dem Boden am Rand des Grabes ab und fiel hinein. Mit zitternden Fingern holte sie ihr Telefon hervor. Auch wenn sie Deans Leben vielleicht nicht retten konnte, so konnte sie doch dafür sorgen, dass der Lange nicht ungestraft mit einem Mord davonkommen würde. Plötzlich rutschte das brennende Sturmfeuerzeug mit in die Grube. Gerade als Charlie die Taste drücken wollte, um die Verbindung zur Polizei herzustellen, erwachte das Feuer in dem Grab mit einer riesigen Stichflamme zum Leben. Erschrocken ließ sie sich nach hinten fallen. Was war das denn? Wieso machten sie Feuer in einem Grab? Sie starrte zu den Männern und traute ihren Augen kaum. Der Riese schien ebenfalls in Flammen zu stehen. Er schrie auf und ließ Dean fallen. Wie eine Stichflamme breitete sich das Feuer über Sam aus und erlosch genauso schnell wieder. Sam brach in die Knie. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was passiert war. Mit aller Macht drängte sich das Geschehene in sein Gedächtnis und raubte ihm den Atem. „Oh mein Gott! Dean! Nein, Nein, nein, bitte nicht, nein“, stammelte er und ließ seinen Blick über den leicht verdrehten Körper seines Bruders gleiten, der bewegungslos vor ihm lag. Hastig fasste er dessen Ärmel und drehte ihn auf den Rücken. Fahrig suchte er nach einem Puls und verfluchte seine zitternden Finger. Endlich fand er das kaum noch fühlbare Pochen in der Ader. Gott sein Dank! Das war verdammt knapp gewesen! Erleichtert ließ er sich auf seine Hacken fallen und atmete tief durch. Sam stutzte. Er holte noch einmal tief Luft. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Vorschlaghammer. Dean atmete nicht! „Komm schon, Dean, bitte!“, bettelte er wähnend er sich neben ihn kniete und mit der Mund zu Mund Beatmung begann. Charlie hatte sich wieder aufgerappelt. Angestrengt starrte sie zu den Männern, die sie nur schemenhaft erkennen konnte. Doch was sie da sah, war ja wohl auf keinen Fall normal! Ihre Fantasie schlug Purzelbäume. So hatten sie nicht gewettet. Sie flickte doch keinen Typen zusammen, nur damit der sich hier umbringen ließ! Wütend kämpfte sie sich auf die Beine und stapfte zu dem beiden Schemen. „Was wird das hier? Was für perverse Spielchen spielt ihr?“, fragte sie ungehalten. Doch sie bekam keine Antwort. Noch immer war Sam ausschließlich damit beschäftigt seinem Bruder Luft in die Lungen zu pumpen. Und dann, endlich setzte Deans Atmung wieder ein. Leise stöhnend sog er den ersten selbstständigen Atemzug in seine Lungen. Augenblicklich presste er die Arme vor die Brust und rollte sich auf der Seite zusammen. Sein Hals brannte, als hätte ihm jemand heiße Lava hineingeschüttet und für einen winzigen Augenblick war er versucht das Atmen wieder einzustellen. Aber sein Körper schrie nach dem Sauerstoff, von dem er noch immer viel zu wenig bekam. Sam ließ sich erschöpft auf seine Hacken fallen. Auch er musste erst wieder zu Atem kommen. Charlie ließ ihm diese Zeit nicht. „Was sollte das? Was treibt ihr hier für perverse Spielchen?“, herrschte sie ihn an. „Ich … wir …“, Sam schüttelte den Kopf. Wie sollte er das erklären? Wer war sie überhaupt? „Das ...“ Hilfesuchend huschte sein Blick zu Dean, doch der versuchte immer noch Luft durch seinen brennenden Hals zu bekommen und würde ihm nicht helfen können. Charlie zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Auf die Erklärung war sie zwar mehr als gespannt, doch zuerst gab es wichtigere Dinge. Sie packte den Winchester und zerrte an seiner Jacke. „Was?“, wollte Sam irritiert wissen und versuchte sich von ihren Händen zu befreien. „Lass mich deine Verletzungen sehen!“ „Welche Verletzungen?“ „Deine Jacke, du hast gebrannt! Schon vergessen?“, maulte sie ungehalten und versuchte weiterhin ihn von der Jacke zu befreien. Wieso die sich allerdings so vollkommen normal anfühlte, konnte sie sich nicht erklären. „Ich habe nicht gerannt!“, erklärte er und hielt ihre Hände fest. „Natürlich, ich hab es doch gesehen!“ „Nein, es ist nicht so wie du denkst.“ „Klar. Den Satz hör ich ja auch zum ersten Mal.“ „Bitte, es … ich ...“ „S‘mmy?“ Sofort wandte Sam seine Aufmerksamkeit von der aufdringlichen, jungen Frau ab und seinem Bruder zu. Er schob ihre Hände beiseite, ging um seinen Bruder herum und ließ sich vor ihm wieder auf die Knie sinken. „Dean? Wie geht’s dir?“ „O … kay?“ „Nein, das bist du nicht.“ „Du … okay?“, versuchte der ältere Winchester es noch einmal schleppend. Intensiv musterte er seinen kleinen Bruder. „Ja!“ Sam schloss die Augen und versuchte die Tränen, die sich plötzlich mit aller Macht in seine Augen drängten, zu unterdrücken. Warum war er immer noch wichtiger für seinen Bruder als dessen eigene Gesundheit? „Ich bin wieder ich selbst“, wisperte er mit erstickter Stimme. „Aber dir geht es alles andere als gut!“ „Doch … du bist okay.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Deans Stimme war schon nicht kräftig gewesen, als er diese wenigen Worte begann. Die letzten konnte Sam nur noch erahnen. Er schluckte die erneut aufkommenden Tränen herunter. Ja, auf seine eigene, kaum verständliche Art, ging es seinem Bruder gut. „Komm, ich bring dich in ein Krankenhaus“, sagte er leise. „Kein Kra … Zimmer … schlaf'n“, stammelte Dean und Sam nickte nur. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, fuhr Charlie, die das ganze Theater bis jetzt ungläubig schweigend verfolgt hatte, dazwischen. „Er muss in ein Krankenhaus! Und zwar sofort!“ „Er ist mein Bruder. Ich weiß was ich zu tun habe“, knurrte Sam sie an und beugte sich zu seinem Bruder. „Ich rufe die Polizei! Du bringst ihn ja doch nur um!“, schimpfte sie und suchte ihr Telefon. „Verdammt!“ Sie hatte es neben dem offenen Grab fallenlassen. Sam kümmerte sich nicht um sie. Hier war nur einer wichtig und das war sein Bruder. Charlie stapfte wütend davon. „Komm hoch. Ich bring dich ins Motel“, sagte er ruhig und half Dean beim Aufstehen. Hatte der Sauerstoff, den Dean mit jedem Atemzug in seine Lungen zwang im Liegen gerade so noch ausgereicht, so war er für diese Anstrengung nun eindeutig zu wenig. Sein Blickfeld engte sich noch weiter ein. Bunte Sterne explodierten vor seinen Augen und dann gab sein Körper auf. Dean sackte bewusstlos zusammen. Schnell fing Sam ihn auf, immerhin hatte er damit gerechnet, auch wenn er bis eben noch hoffte, dass es nicht so schlimm wäre. „Warum muss es immer so enden?“, fragte er leise und drückte seinen Bruder gegen seine Brust. „Was …?“, wollte Charlie atemlos wissen. Sie hatte ihr Handy geholt und dabei immer ein Auge auf dieses komische Paar gehabt. Als sie Dean stürzen sah, rannte sie sofort wieder zu ihnen. Sam verdrehte die Augen. Was wollte die denn schon wieder hier? „Was wohl“, knurrte er sie an. „Wo ist das nächste Krankenhaus?“ „Aber ich dachte, er wollte ...“ „Er ist bewusstlos! Da bringe ich ihn sicher nicht ins Motel, also wo?“, wollte er ungehalten wissen. „Aber du hast doch gesagt, dass du ihn zum Motel …?“, begann sie ungläubig und folgte ihm, als er Dean zum Wagen trug. „Er hasst Krankenhäuser und würde alles tun, um da nicht hin zu müssen“, versuchte Sam zu erklären. Er stand vor den Wagen und überlegt, welchen er wohl nehmen sollte, entschied sich dann aber schnell für den Geländewagen. Dann konnte er den nachher noch wegbringen, wenn er Deans Baby holte. Ohne dieses Muss würde er Deans Seite erst wieder verlassen wenn es ihm wieder gut ging. Vorsichtig setzte er seinen Bruder auf den Beifahrersitz und schnallte ihn an. „Sagst du mir jetzt wo, oder muss ich durch die Stadt kreisen, bis ich eins finde?“ „Ein paar Blocks Richtung Süden.“ „Danke!“ Er stieg ein, startete den Wagen und fluchte über diese aufdringliche junge Frau, die mit ihm startete und ihm jetzt im Weg herumfuhr. Konnte sie nicht warten, bis er weg war? Kapitel 211: Unerwartete Hilfe nach der Rettung ----------------------------------------------- 211) Unerwartete Hilfe nach der Rettung Im Stillen leistete er ihr Abbitte, als er sah dass sie ihn zum Krankenhaus gelotst hatte. Er fuhr auf den Parkplatz und suchte sich einen Platz, der möglichst nah an der Eingangstür zur Notaufnahme lag. Er hob seinen Bruder vom Beifahrersitz und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass Dean noch eine kleine Weile bewusstlos blieb. Natürlich wurde sein Gebet nicht erhört. „Was?“, machte sich der ältere Winchester leise bemerkbar und versuchte sich aus Sams Griff zu winden. „Du warst eine ganze Weile weggetreten, Dean. Tut mir leid, aber ich musste dich ins Krankenhaus bringen.“ „Ich … nicht!“ „Doch Dean. Ich hab dich gerade schon fast verloren. Ich will dich nicht wirklich ...“ Dean ergab sich Sams bettelndem Dackelblick. „Was haben wir hier?“, fragte ein Arzt, der Sam entgegen trat. „Wir sind in eine Schlägerei geraten. Ich … ich war zu langsam. Einer der Typen hat ihn gewürgt. Er war bewusstlos!“, ratterte der jüngere Winchester los. „Okay, in die Zwei. Folgen Sie mir“, ergriff der junge Doktor die Initiative. „Schicken Sie bitte Doktor Arnold in die Zwei“, bat er eine Schwester, als sie am Empfang vorbei kamen und hielt Sam gleich darauf eine Tür auf. Der legte seine kostbare Last auf die Liege. „Bleib bitte, Dean. Dein Leben ist für mich genauso wichtig wie meins für dich!“, erklärte Sam leise und zu seinem Erstaunen nickte Dean. Er war einfach viel zu erschöpft. Sein Hals brannte und sein Schädel dröhnte wie eine Kirchenglocke. Vorsichtig streckte er sich auf der Liege aus. „Sie sind in eine Schlägerei geraten?“, fragte ein weiterer Arzt, als er das Zimmer betrat. „Ja, wir ...“ „Haben Sie was abbekommen, Mr.?“, unterbrach er Sam fast sofort wieder. „Winchester, Sam Winchester und das ist Dean. Nein, nicht wirklich. Ich war nur zu langsam, um ihm zu helfen.“ „Sie sind zusammen?“ „Nein, wir ...“, Sam schluckte. Was hatten die alle nur? „Nein. Wir sind Brüder!“ „Okay“, nahm Dr. Arnold die Antwort gleichmütig hin, während er Deans Pupillenreaktion prüfte. „CT, MRT, großes Blutbild, Röntgen“, listete er seinem Assistenten die durchzuführenden Untersuchungen auf. „Und Sie, Mr. Winchester, möchte ich bitten, draußen zu warten. Wir geben Ihnen Bescheid, sobald wir mehr über den Zustand Ihres Bruders wissen.“ „Danke“, entgegnete Sam erleichtert. „Und du, mach keinen Blödsinn“, wandte er sich noch kurz an seinen Großen, bevor der aus dem Raum gerollt wurde. Dean reagierte nicht. Er war einfach nur froh hier liegen zu können und halbwegs Luft zu bekommen. Schnell hatte Sam die Formalitäten erledigt und stand unschlüssig im Warteraum herum. Was jetzt? Er wollte so schnell wie möglich wissen, was sie mit seinem Bruder machten und wie es ihm ging, aber er wollte auch den Impala holen und vielleicht noch das Grab zuschaufeln. Musste ja nicht jeder sofort sehen, dass da einer Knochen verbrannt hatte. Er drehte sich zu der netten Schwester am Empfang um: „Können Sie mich anrufen, wenn mein Bruder aus dem Untersuchungsraum raus ist? Ich muss noch was erledigen und das will ich lieber machen, solange er beschäftigt ist.“ Sie schaute ihn fragend an, doch dann nickte sie und schrieb sich seine Nummer auf. Auf dem Weg zum Wagen zog er den Schlüssel aus der Tasche. Einen Augenblick starrte er auf den Anhänger. Es war eine Karte mit einer Adresse einer Autovermietung. 'Klar, was sonst Sam! Wir wollten raus aus dem illegalen Leben!', überlegte er. Müde rieb er sich die Augen. Viel lieber wollte er jetzt in ein Bett und sich richtig ausschlafen. Aber so wie er Dean kannte, hatte der das in den vergangenen Tagen auch nicht und das wohl nicht nur, weil er ihn derart zusammengeschlagen hatte, dass er vor Schmerzen nicht zur Ruhe kam. Nein, Dean hatte etwas gesucht, um ihn von seinem Parasiten zu befreien. Jetzt war es an ihm die Spuren zu beseitigen und dann würden sie wieder ein ganz normales Brüderpaar sein, das in Vegas ein paar Tage verbrachte und dann weiterfuhr. „Also los!“, machte sich der jüngere Winchester Mut, stieg ein und fuhr zum Friedhof. Sam parkte den Geländewagen hinter dem Impala. Er schaute auf die Uhr. Bald würde es hell werden. Bis dahin sollte er hier fertig sein! Er stieg aus. „Dich komme ich nachher holen“, versprach er Deans schwarzer Schönheit und grinste. Sein Bruder färbte ab! Ein paar Reihen vor dem Grab von Ezsra James erstarrte er. Die Geräusche, die an sein Ohr drangen verrieten ihm eines: Hier war jemand! Langsam schlich er sich näher und erstarrte, als er diesen Jemand erkannte. Wieso buddelt die Kleine das Grab wieder zu? Wer war diese Charlie eigentlich und was wusste sie? Wie weit hatte Dean sie eingeweiht? War sie auch eine Jägerin? Antworten auf diese Fragen würde er wohl nur von ihr bekommen! „Was wird das?“, fragte er und trat aus den Schatten der Bäume in den Lichtkegel der, auf dem Grabstein liegenden, Taschenlampe. Erschrocken zuckte sie zusammen und sah sich um. „Ich hab … ich meine, ich wollte … Ich ...“, stammelte sie. Sam machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Sie ließ die Schaufel fallen und wich zurück. „Ich hätte mich raushalten sollen?“, fragte sie ängstlich. „Was tust du hier?“, wollte der Winchester wissen und hob dabei die Hände mit den Handflächen nach außen, um zu zeigen, dass er ihr nichts tun würde. „Ist das nicht klar?“ „Ja schon. Aber warum schaufelst du das Grab wieder zu? Hast du mit meinem Bruder zusammengearbeitet?“ „Zusammenarbeitet?“ „Ja, zusammengearbeitet! Warum solltest du sonst hier sein?“ Er nahm sich die Schaufel und begann ihr Werk fortzuführen. „Er hat mir das Leben gerettet und … Ich hatte ein schlechtes Gefühl, als er losgefahren ist und … Er war furchtbar zusammengeschlagen worden und … und wegen mir fast erwürgt. Ich wollte mich irgendwie revanchieren. Es … Er ...“ hilflos brach sie ab. Alles was sie sagen konnte klang hohl. „Dean hat dir das Leben gerettet?“, fragte Sam interessiert. Er wusste einfach nicht, wie weit er bei ihr gehen konnte, ohne zu viel zu verraten. „Ja, ein Typ wollte Geld von mir. Dean kam zufällig vorbei und hat mir geholfen. Er hat ziemlich was abbekommen. Ich hab ihn dann mit zu mir genommen. Er wollte in kein Krankenhaus. Ich mache gerade eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin und da ...“ Sie atmete durch. „Ich quatsche zu viel, oder?“ „Nein. Schon okay.“ Sam lächelte. War mal etwas anderes, dass er von seinem Gegenüber freiwillig so viele Informationen bekam. Er begann wieder zu arbeiten. Irgendwann wollte er hier ja auch fertig werden und das am Besten bevor es hell wurde und hier Leute rum liefen. „Was war das da vorhin? Du hast gebrannt, aber du bist nicht verletzt. Bist du ein Stuntman? Aber warum hat Dean dann ein Grab ausgehoben?“, konnte sie ihre Neugier dann doch nicht zügeln. „Und warum wolltest du ihn erwürgen?“ Sam atmete durch. War ja klar, dass solche Fragen kommen mussten, schließlich war sie nicht auf den Kopf gefallen! „Hör zu. Ich bin dir mehr als dankbar, dass du dich um Dean gekümmert hast und auch dafür, dass du hier aufräumen wolltest, aber ...“ „Du sagst mir nicht was hier gespielt wird?“ „Nein, werde ich nicht.“ „Und wenn ich dich anzeige?“ Sie würde es nie tun, doch sie wollte wissen, wie viel von seinem Leben er bereit war zu schützen. „Dann würde ich mit Dean verschwinden. Wir sind nicht die Bösen. Wir haben niemandem etwas getan. Wenn du uns anzeigen willst, kann ich dich nicht davon abhalten, aber ich werde nicht darauf warten, dass sie mich oder meinen Bruder holen kommen.“ „Du würdest deinem Bruder die medizinische Hilfe verweigern?“ „Soweit ich es verantworten kann? Er wird eh nicht lange bleiben, also, ja.“ „Okay.“ „Okay? Und das war´s? Mehr nicht?“ „Nein. Ich wollte nur wissen, wie weit du gehen würdest, um deine Geheimnisse zu schützen. Ich wäre nie zur Polizei gegangen, aber ...“ Sie wusste nur zu gut, was man alles tat und was man tun würde, um sein Privatleben zu schützen. Auch wenn sie gerne mehr von ihm gehört hätte, hätte sie sich so eine aufwendige Recherche ersparen können, denn sie wollte schon wissen, was hier gespielt worden war. Sam musterte sie kurz, zuckte mit den Schultern und schaufelte weiter. Es wunderte ihn schon, wie schnell sie sich zufrieden gab, doch letztendlich war es ihm egal. Er wollte hier nur fertig werden. Kurz vor Sonnenaufgang legten sie die letzten Grassoden an ihren alten Platz und verteilten Äste und Blätter darüber. So würde hoffentlich keinem so schnell ins Auge stechen, das hier in der Nacht gegraben worden war. Gerade als Sam sein Handy aus der Tasche holte, um nachzusehen, ob er vielleicht den Anruf des Krankenhauses überhört hatte, klingelte es. Sofort ging er dran: „Ja, Winchester?“ Er lauschte eine Weile. „Und wie lange?“, wollte er dann wissen. „Okay, danke. Bis dahin bin ich da.“ Er lächelte, als er auflegte und das Telefon wieder in seine Tasche schob. „Und?“, fragte Charlie. Vielleicht erfuhr sie ja doch noch was. „Dean geht es ganz gut. Er schläft.“ Er grinste. „Sie haben ihm … egal. Er ist okay.“ Der Rest ging sie nichts an! „Danke für deine Hilfe!“, sagte er noch und meinte es auch so. Er nickte ihr zu und lief zum Wagen. Eine Stunde später stand er vor der Tür zu Deans Krankenzimmer. Die irritiert fragenden Blicke der Schwestern ignorierte er. Natürlich hätte er gerne geduscht und auch ein paar Stunden Schlaf wären nicht schlecht gewesen, doch das war in der Kürze der Zeit nicht zu schaffen gewesen. Wenigstens den Leihwagen hatte er zurückgebracht und war jetzt mit dem Impala hier. Er wollte sich noch schnell überzeugen, dass es Dean gut ging. Und er wollte sich entschuldigen. Zögerlich klopfte er an die Tür und trat ein. Sein Blick huschte zu dem Bett und über die darin liegende Gestalt nach oben bis zu Deans Gesicht. Sein Bruder war wach, auch wenn seine Augen noch leicht verschleiert waren. „Hey“, grüßte er leise und trat ans Bett. Sofort wollte der Ältere sich die Atemmaske vom Gesicht schieben. „Nicht, Dean. Sie hilft dir.“ „Ich will hier raus!“, verlangte der Ältere so heiser, dass Sam Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Ich weiß, aber ich bitte dich noch eine Weile zu bleiben.“ „Warum?“ „Die Ärzte wollen sich sicher sein, dass du wirklich wieder okay bist. Und ich auch. Dein Hals ist geschwollen. Du bekommst reinen Sauerstoff und ein Schmerzmittel.“ Er deutete auf den Infusionsbeutel. „Es tut mir so leid, Dean. Ich hab dich nicht nur einmal fast erwürgt. Ich … ich hätte kämpfen müssen. Ich … Er war so stark. Ich konnte einfach nicht gegen ihn ankommen! Bitte, entschuldige!“ „Ist okay, Sammy. Ich hab dich wieder und er ist weg“, wisperte Dean. Sam seufzte laut und schaute auf seine Hände. Auch wenn Dean es so abtat, er konnte es sich nicht verzeihen. Er hätte seinen Bruder fast getötet! Wie sollte er sich das je verzeihen? „Bitte bleib hier, Dean, bis es dir wieder besser geht. Ich will nicht, dass du doch noch umkippst, oder … Denk von mir aus, es ist die Rache für Rocky Ford, als ich der Meinung war, dass du mich im Ärztehaus versauern ließest. Es ist mir egal. Ich möchte nur, dass du, dein Hals, wieder normal funktioniert und ich nicht immer Angst haben muss, dass du plötzlich keine Luft mehr bekommst. Bitte, tu mir diesen Gefallen!“, bettelte Sam nun schon fast. Dean musterte ihn eine Weile, dann nickte er. Er fühlte sich viel zu angeschlagen, um mit seinem Bruder zu diskutieren. Außerdem merkte er selbst, dass er hier besser atmen konnte und seine Schmerzen nur noch wie ein dumpfes Hintergrundbrummen war. Dass er fast Panik bekam, kaum dass Sam ihm näher als eine Armlänge kam, konnte er dank der Medikamente ganz gut ignorieren. Eine Weile würde er es hier schon aushalten können. Er kämpfte damit, die Augen offenhalten zu können. Sam riss die Augen auf. Keine Diskussion? Kein „Ich will hier raus!“? Kein „Ich kann mich auch im Motel erholen!“? Kein „Mir geht’s gut!“? Sofort blähte sich sein schlechtes Gewissen weiter auf. Wie schlimm hatte er Dean verletzt? Er unterdrückte ein Schniefen und die Tränen, die aufsteigen wollten. „Versuch zu schlafen, Dean.“ „Hmpf.“ „Warte!“ Sam fiel noch etwas Wichtiges ein. „Kannst du mir sagen in welchem Motel du wohnst?“ „Jackentasche, Schlüssel. Motel 6, 007“, nuschelte der Ältere in seine Atemmaske und grinste kurz, bevor er den Kampf gegen die Beruhigungsmittel verlor. Auch Sam musste nei der Zimmernummer kurz grinsen, bevor das schlechte gewissen wueder zuschlug. Er schluckte schon wieder hart. Was hatte er nur angerichtet und wie konnte er das je wieder gut machen? Er holte sich den Schlüssel aus Deans Jacke und wollte gehen. Eine irrationale Angst drückte seine Brust zusammen. Er trat noch einmal an das Bett seines Bruders, nur um sich davon zu überzeugen, dass es ihm wirklich soweit gut ging. Vorsichtig zog er die Decke etwas höher über Deans Schultern und selbst dann schaffte er es nur mit Mühe sich loszureißen und erst einmal an sich zu denken. Kapitel 212: Ängste ------------------- 212) Ängste Erleichtert atmete Sam auf, als er den Impala auf dem Parkplatz des Motels abstellen konnte. Er war total übermüdet und doch wollte er mehr als einmal zum Krankenhaus fahren und sich an Deans Bett setzen, nur um zu sehen, dass er atmete. Dabei war er doch gerade erst da gewesen, aber sein schlechtes Gewissen ließ sich wohl nicht so schnell überzeugen. Wie auch. Er war schuld, dass sein Bruder da lag! Und er hatte in der Stadt noch mehr Schaden angerichtet. Aber das würde er alles wieder geradebiegen ... sobald er ausgeschlafen hatte. Er ging ins Zimmer und lehnte sich mit einem leisen Seufzen von innen gegen die Tür. Kurz schaute er sich um. Es gab nur ein Bett! Dean hatte sich wohl das Erstbeste genommen, das es gab. Ein sicherer Unterschlupf, von dem aus er operieren konnte. Oh Gott. Was für einen gequirlten Käse dachte er denn da. Er war einfach zu müde für tiefgreifende analytische Schlussfolgerungen! Er zog sich auf dem Weg zum Bett lediglich die Jacke aus und streifte sich die Schuhe von den Füßen und ließ sich auf das Bett fallen. Sekunden später war er auch schon eingeschlafen. Schon wenige Stunden später war er soweit ausgeruht, dass seine ungelösten Probleme die Chance ergriffen und sich immer stärker in sein Bewusstsein drängen konnten. Mit einem leisen Stöhnen erwachte er. Ausgeschlafen war aber etwas anderes. Er wälzte sich auf den Rücken. Blind starrte er an die Decke und fragte sich, was er jetzt wie erledigen wollte und musste. Der wichtigste Punkt war Dean, klar. Da würde er als erstes hinfahren und versuchen ihm wenigstens einen Muffin ins Zimmer zu schmuggeln. Und etwas zu lesen. Außerdem musste er sein altes Zimmer bezahlen und die Spielschulden. Hoffentlich reichte das Limit seiner Kreditkarten! Gut dass er auf seinen Bruder gehört und die noch nicht alle vernichtet hatte. Energisch schlug er die Decke zurück. Je eher er begann, umso eher wurde er fertig und vielleicht konnte er Dean ja auch schon bald aus dem Krankenhaus holen. Mal sehen, wie lange der es wohl da aushielt. Die Dusche belebte ihn auch noch etwas. Geföhnt und frisch rasiert fand er sich auch endlich respektabel genug. Er verließ das Zimmer und machte sich auf die Suche nach einem Diner. Sein Magen knurrte schon bedenklich. Schnell hatte er eines gefunden. Er suchte sich eine ruhige Ecke und bestellte sich neben Kaffee auch einen Salat mit Hähnchenbruststreifen und ein Putensandwich. Kaum war die Bedienung gegangen, versank er auch schon wieder in seiner Gedankenwelt und versuchte sich die nächsten Schritte zurecht zu legen. Wo war dieser Ezsra James alles gewesen? Wo hatte er Schulden gemacht? Er war zwar die ganze Zeit dabei gewesen, aber wenn er jetzt versuchte sich zu erinnern, war es eher wie ein Traum, als wie eine echte Erinnerung. Dass er seine Bestellung bekam, bemerkte er kaum und auch das Essen geschah eher unterbewusst. Er hätte nicht sagen können, wie es geschmeckt hatte. Erst als er die Rechnung verlangte schaute er die Kellnerin wieder bewusst an und wunderte sich, warum die so unfreundlich war. Kannte sie ihn? Hatte er ihr etwas getan? Wohl eher nicht. Er konnte sich ja nicht einmal daran erinnern, ob sie ihn wirklich bedient hatte! Oh man, vielleicht sollte er doch noch etwas mehr im hier und jetzt leben und sich nicht nur in seine Gedankenwelt verkriechen. Mit Dean war das nie Problem, der passte auf ihn auf, aber der war nicht da! Den Muffin zwischen einigen Zeitschriften getarnt, betrat er Deans Zimmer. Der Fernseher lief. Sofort schaute er zu seinem Bruder. Er konnte nicht erkennen, ob Dean wirklich wach war. „Hey“, machte er sich leise bemerkbar. Er wollte ihn auf keinen Fall wecken, sollte der wirklich schlafen. Leise trat er an das Bett heran und musterte seinen Bruder. Die Atemmaske war durch einen einfachen Schlauch ersetzt worden. Durfte er vielleicht schon wieder raus? Waren die Verletzungen nicht ganz so schlimm wie sie ausgesehen hatten? Es würde seine Schuldgefühle nicht mindern, aber es wäre doch Balsam auf seine Seele, auch wenn er das wohl nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben würde. Langsam drehte Dean ihm den Kopf zu. „Hey“, antwortete er genauso leise und noch keine Spur weniger heiser. „Hab dir einen Muffin mitgebracht und ein paar Zeitungen, damit du nicht eingehst vor Langeweile. „Danke.“ „Du musst nicht reden. Ich hör doch wie sehr es dich anstrengt“, wehrte Sam ab. Dean nickte kurz. Er wollte auch nicht mehr als notwendig sagen. „Das heißt also, du darfst die Annehmlichkeiten dieses Etablissement noch eine Weile genießen?“ Dean musterte ihn eine Weile stumm bevor er kurz nickte. „Ich...“, begann er leise und griff nach der Decke. „Nein!“, wehrte Sam erschrocken ab. „Ich meine … ich kann es dir nicht vorschreiben, aber ich bitte dich, bleib noch hier bis ich … bis es dir wirklich besser geht. Du klingst noch genauso angeschlagen wie heute morgen und ich … ich will meine Schulden bezahlen und da kann ich nicht die ganze Zeit auf dich aufpassen.“ „Schulden?“, sprang Dean sofort auf das Thema an, froh so seine Erleichterung darüber, dass Sam ihn nicht mitnehmen wollte, verbergen zu können. „Ja, ich wollte das ausgleichen, was mein Körper verspielt hat. Nicht dass uns irgendwann die Schuldeneintreiber jagen. Und zu erzählen, dass es mein böser Zwilling war, wird wohl nicht viel bringen.“ Dean nickte kurz. „Hast du so viel?“ „Ich hoffe es. Sonst muss ich mein Glück mal am Pokertisch versuchen. Auch wenn du das besser kannst.“ Er lächelte etwas verlegen. „Den Muffin lege ich dir in den Nachttisch. Muss ja nicht jede Schwester sofort sehen, dass du heimlich versorgt wirst“, begann Sam und räumte den Muffin weg, nur um seine Unsicherheit zu überspielen. Dean schaute ihm dabei zu, warf noch einen kurzen Blick auf den Fernseher und gähnte verhalten. „Oh, du bist müde?“, fragte der Jüngere sofort. „Geht so. Du sagtest, dass du los willst, also ...“ „Ja, ich ...“ Sam schluckte sein schlechtes Gewissen herunter. Sie eierten hier umeinander herum. Er wollte nicht wirklich gehen, schließlich hatte er Dean ins Krankenhaus gebracht. Hier aber noch länger rumzustehen brachte ihn jedoch nicht weiter. Was für eine blöde Situation! „Brauchst du noch was?“, wollte er also wissen. „Nein, ich hab alles.“ Deans Stimme schwand immer mehr. Er war wirklich alles andre als fit. „Dann lass ich dich schlafen und komme morgen wieder. Hast du einen besonderen Wunsch?“ Dean schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Jetzt war er wirklich müde. „Schlaf gut“, verabschiedete sich Sam und verließ das Zimmer. Der Ältere blickte ihm hinterher und atmete erleichtert durch, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Zeitgleich schimpfte er sich einen Angsthasen und Idioten. Es war Sam, den er da gerade mit kaum zu unterdrückender Begeisterung gehen sah. Es war sein kleiner Bruder! Der einzige Mensch, für den er bereit gewesen war, in die Hölle zu gehen! Und doch war ihm Sams Anwesenheit gerade mehr als nur unangenehm gewesen. Er war kurz davor gewesen zu flüchten. Ging es noch peinlicher? Traurig blickte er zur Tür. Hoffentlich legte sich das schnell wieder. „Verdammt!“, fluchte er und bereute diese Aktion augenblicklich, fühlte sich sein Hals doch jetzt an, als würde er Schleifpapier atmen. Er biss die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Es konnte doch nicht sein, dass dieser vermaledeite Geist schaffte, was bisher nichts in ihrem Leben gelungen war. NEIN! Er würde sich hier ein paar Tage ausruhen und Gras über diese Geschichte wachsen lassen und dann würden sie zusammen, Sammy und er gemeinsam, in ein neues, normales Leben starten! Mit diesem Gedanken schlief er ein. ~“~ „Hey“, grüßte Jody als sie an diesem Nachmittag zur Tür herein kam. Sie hängte ihre Dienstwaffe an den Garderobenhaken, ihre Jacke darüber und ging ins Wohnzimmer. Kurz hörte Bobby sie in einem Schrank suchen. Leise klirrte Glas, als es aneinander stieß und dann kam sie in die Küche. Sie ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und goss den Whiskey in die zwei Gläser. Die Flasche stellte sie, ohne sie zuzuschrauben zur Seite, schob ein Glas zu Bobby und trank das andere in einem Zug leer. Sofort füllte sie es nach. „Was ist los?“, fragte der Jäger. „Marcy, sie ...“, kopfschüttelnd brach sie ab und trank auch das zweite Glas aus. Als sie jedoch erneut nach der Flasche griff, legte Bobby seine Hand auf ihre. „Was ist mit deiner Freundin?“, wollte er leise wissen. „Das weiß wohl keiner. Sie war vor drei Wochen übers Wochenende im Osten wandern. Als sie zurückkam ging es ihr gut, doch dann ...“ Jody schüttelte den Kopf. „Sie dachte sie hätte sich vielleicht erkältet, aber die Symptome passten nicht. Mal fühlte sie sich blendend, dann ging es ihr so schlecht, dass sie kaum aus dem Bett kam. Am Tag darauf war alles wieder gut, danach hatte sie Albträume oder so starke Atemnot, dass sie meinte ersticken zu müssen. Sie war mehrfach beim Arzt, doch der konnte ihr nicht helfen. Er hat zwar alles unternommen, doch die Werte waren in Ordnung und so bekam sie nur harmlose Mittel, die das Immunsystem unterstützen sollten. Ein paar Tage war alles gut. Seit vorgestern geht es ihr immer schlechter und gestern Abend wurde es ganz schlimm. Sie wollte aber nicht zum Arzt. Ich hatte ihr versprochen, dass ich heute Morgen nach ihr schaue. Ich hab sie bewusstlos und vollkommen unterkühlt in ihrem Bad gefunden und den Krankenwagen gerufen. Nach meiner Schicht bin ich zu ihr ins Krankenhaus gefahren. Ihre Werte sind, wie schon bei ihrem Arzt, soweit in Ordnung, keine Anzeichen einer Entzündung, nichts. Nur ihr Puls ist viel zu hoch. Sie dürfte nicht bewusstlos sein und sie dürfte da nicht liegen. Die Ärzte meinen, dass ihre Hirnströme ebenfalls zu hoch sind. Also scheint sie wieder Albträume zu haben.“ Sie goss ihnen beiden noch je ein Glas ein und schraubte die Flasche danach zu. „Es ist fast, als ob sie etwas quälen würde“, meinte sie leise. „Sie ist doch meine vielleicht noch einzige Freundin hier! Ich bin Sheriff verdammt, aber ich kann ihr nicht helfen!“ „Was hast du gerade gesagt?“, horchte Bobby auf. „Dass ich Sheriff bin, ihr aber nicht helfen kann?“ „Nein, davor!“ „Dass es fast so wäre, als ob sie etwas quälen würde?“ „Das könnte sogar wirklich so sein. Weißt du wo sie wandern war?“ „Nur dass es irgendwo im Osten war, aber sie hat mit Sicherheit Unterlagen darüber, außerdem könnte ich zur Not ein Bewegungsprofil ihres Handys erstellen lassen. Warum fragst du?“ „Mir kommt da ein Verdacht. Dazu muss ich allerdings wissen, wo sie war.“ „Du hast einen Verdacht? Was?“ „Willst du das wirklich ...“ „Hör auf das immer wieder zu betonen. Ich bin erwachsen und meinst du nicht, dass ich schon lange viel zu sehr in deine Welt hineingeschaut habe? Ich weiß, dass du mich schützen willst.“ Sanft legte sie ihre Hand auf seine. „Du musst das nicht alleine tragen. Ich kann dir auch dabei helfen.“ „Du hast doch schon genug Probleme“, versuchte er einzuwenden. „Und die werden auch bleiben, egal ob ich dir helfe oder nicht. Außerdem würde es mich davon ablenken und ich hätte endlich mal wieder das Gefühl wirklich helfen zu können.“ Bobby seufzte. Letztendlich war er ja selbst schuld. Er hatte sie in diese Welt gebracht, oder besser er hatte sie noch weiter hineingezogen. Jody Mills war eine taffe Frau, die sich nicht mit Halbwissen und Ausflüchten abspeisen ließ. Das war auch mit ein Grund, warum er sie so mochte. „Es gibt mehrere Kandidaten. Wenn deine Freundin ein Kind wäre, würde ich auf eine Strigha tippen. Die entzieht Kindern ihre Lebensenergie. Aber auch bei Erwachsenen gibt es einige Kandidaten. Inccubus, Etmmus, Udug. Deshalb wäre es gut zu wissen, wo sie war.“ „Ein wütender Geist, wie bei mir kommt nicht infrage?“ „Udug oder Etmmus sind auch Geister aber so ein Geist wie bei dir? Ich denk nein. Es gibt da noch andere Kreaturen, von denen ich nicht hoffe, dass es einer davon ist.“ „Sind die schlimmer oder besser als die, die du vorhin genannt hast?“ „Wohl eher schlimmer.“ „Dann werde ich mal losfahren und bei Marcy Blumen gießen. Nebenbei kann ich mich gleich noch umsehen, wohin sie wollte.“ „Mach das“, antwortete Bobby und schaute ihr hinterher, als sie sich sofort erhob und zum Haustür ging. Sie griff nach ihrer Jacke, ließ die Waffe aber da und war gleich darauf schon verschwunden. Bobby seufzte erneut und begann das Abendessen vorzubereiten. Er konnte eh nur abwarten bis Jody wieder da war, oder ihm Bescheid gab. Bis dahin hatte er noch Zeit sich sinnvoll zu beschäftigen. Kapitel 213: Ein Udug --------------------- 213) Ein Udug Er war gerade soweit, den Tisch zu decken, als er Jodys Wagen auf den Hof fahren hörte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das nenn ich mal Timing“, sagte Bobby leise. „Ich hab ihren Fotoapparat gefunden. Die Bilder ihrer Wanderung sind drauf. Ich habe auch ihre Motelbuchung und eine Route, die sie in der Wanderkarte markiert hat.“ Jody strahlte als sie die Sachen auf den Küchentisch packte. „Können wir trotzdem erst essen?“, wollte Bobby wissen. „Oh, klar. Ich bringe es ins Arbeitszimmer.“ Schnell raffte sie alles wieder zusammen und brachte es weg. Das Essen verlief alles andere als ruhig, obwohl sich Jody dazu zwang ihre Ungeduld nicht allzu stark zu zeigen. Dabei war sie doch Sheriff und als solche das Warten eigentlich gewohnt! Aber zum Einen wollte sie ihrer Freundin unbedingt helfen und zum Anderen fand sie es mehr als spannend ihrem Freund, wie sich das anhörte!, bei seinen Ermittlungen über die Schulter schauen zu können. Damals. Auch das klang komisch! Also, damals als Bobby, Dean und Sam „ihren“ Geist gesucht hatten, konnte sie ja leider nicht wirklich viel aufschnappen. Doch jetzt wollte sie unbedingt sehen, wie Bobby an einen solchen Fall heranging. Schon bald saßen beide vor dem Computer und gingen Marcys Fotos durch, vielleicht waren darauf ja einige Hinweise. „Wieso fotografiert deine Freundin Grabsteine?“, fragte Bobby etwas ratlos. „Sie findet diese alten, verwitterten Steine interessant. Vor Allem, wenn darauf eben nicht nur der Standardspruch steht.“ Bobby nahm das schulterzuckend hin und untersuchte ein Foto genauer, bevor er es einscannte und begann es mit diversen Programmen zu bearbeiten. Seine Intuition gab ihm Recht. Es dauerte eine Weile doch dann hatte er eine unscheinbare, irgendwie verschobene Gestalt sichtbar gemacht. „Oh mein Gott. Was ist das?“, wollte Jody augenblicklich wissen. „Das gilt es jetzt zu klären. Vielleicht hält er sich einfach nur da auf und war zwar nicht sonderlich erbaut darüber, dass ihn jemand gestört hat, ist aber sonst harmlos. Vielleicht hat er sich aber auch an Marcy gehängt und tut ihr jetzt all das an“, erklärte Bobby. „Gibt es auf der Station, auf der deine Freundin jetzt liegt, Kameras?“ „Warum fragst du?“ „Weil wir so überprüfen könnten, ob dieser Geist sie verfolgt hat. Du kannst aber auch morgen, wenn du sie besuchen gehst, ein paar Fotos machen. Am besten von den Schatten und um ihr Bett herum. Da wird er sich wohl am ehesten aufhalten, wenn es ein Geist ist.“ „Und wenn ich jetzt gehe?“ „Es ist nach elf. Klar, du bist der Sheriff und kannst wahrscheinlich immer in Krankenhäuser rein, aber wie sieht das aus?“ „Und wenn es ihr in der Nacht schlechter geht?“ „Sie wird gut überwacht. So schnell stirbt es sich nicht“, versuchte er Hoffnung zu verbreiten, die er auch nicht wirklich teilte. Doch was blieb ihnen sonst übrig, ohne ihren Ruf komplett zu zerstören. Jody liebte ihren Beruf. Das wollte und konnte er ihr nicht nehmen. „Aber ...“ Sie brach ab, Bobby hatte ja Recht. Es war Quatsch jetzt ins Krankenhaus zu stürmen und alle Ecken zu fotografieren. Ohne begründeten Verdacht konnte sie das niemandem erklären. Auch wenn es ihr schwer fiel, sie musste bis morgen warten. Unschlüssig ließ sie ihren Blick über den Schreibtisch schweifen. Er blieb an einem Zettel hängen, der halb aus den Seiten eines Buches herausschaute und auf dem sie nur einige Wörter entschlüsseln konnte. Sie zog das Buch zu sich, drehte es richtig herum und schlug es auf. Ihre Augenbrauen zogen sich immer mehr zusammen, als sie die Worte komplett las. >>> Brüder, rechtschaffener Mensch in der Hölle / Phönix <<< „Was heißt das?“, wollte sie wissen und hielt Bobby den Zettel hin. Der Jäger wischte sich müde über das Gesicht. „Wenn ich dir das sagen könnte. Es muss etwas bedeuten, aber was?“ „Und jetzt suchst du danach?“ „Ja, immer wenn ich in einem meiner Bücher lese, immer wenn ich Zeit habe, dann suche ich nach einer Bedeutung. Es könnte einiges, vielleicht sogar alles erklären.“ „Und was alles?“ „Es ist nicht mein Rätsel. Ich versuche nur bei der Lösung zu helfen“, wich er aus. „Aber wenn ich dir helfe und wenn ich die Lösung finde, kannst du es mir dann sagen?“ „Vielleicht?“ „Sind eigentlich alle Jäger so verschlossen?“ „Ich kenne nur einen, der ziemlich mitteilsam ist, allerdings bezweifle ich auch bei ihm, dass er dir wirklich Informationen geben würde. Nein. Jäger bleiben gern unter sich und reden mit Außenstehenden schon mal gar nicht über ihre Fälle.“ „Ich bin keine Außenstehende, oder?“ „Doch. In der Beziehung bist du eher Opfer als ...“ „Ich bin kein Opfer! Ich war noch nie ein Opfer! Und ich will auch keines sein!“ „Entschuldige. Opfer ist vielleicht das falsche Wort, nehmen wir Eingeweihte und ich möchte dich eigentlich auch da raushalten. Es ist eine furchtbare Welt in die du gerissen werden würdest.“ „Aber ich möchte dir helfen!“ Bobby holte tief Luft. „Wenn du bei Ermittlungen helfen willst, werde ich nichts dagegen sagen und dir die wichtigen Fakten erklären, aber ich werde nicht aus den Nähkästchen plaudern. Können wir uns darauf einigen?“ „Damit kann ich leben, denke ich“, schweigend schaute sie sich um, bevor sie in die Küche ging, um frischen Kaffee zu holen. „Gehört ein Phönix auch zu den Rätseln anderer?“, ließ sie nicht locker. Sie stellte eine Tasse neben den Bildschirm. „Ja und nein. Er ist ein mythologisches Wesen, von dem ich, und nicht nur ich, immer geglaubt habe, dass er überhaupt nicht existiert. Aber Dean hat Aufzeichnungen gefunden, die belegen dass zumindest einer gelebt haben muss.“ „Ist ein Phönix dass, was er in den Geschichten ist?“ „Ich bezweifle, dass er wirklich ein Vogel ist, dass er sich aus seiner Asche neu erschaffen kann, scheint schon eher möglich. Auf jeden Fall soll seine Asche fast alles heilen oder rückgängig machen können.“ „Alles heilen?“ „Naja, ja. Also Vampire sollen wieder Menschen werden und Werwölfe auch. Außerdem soll sie Flüche aufheben können.“ „Flüche? Das was Dean zu einem Wolf gemacht hat … du sagtest doch, dass es ein Fluch war, oder?“ „Ja.“ „Wie kann man einen Phönix finden?“ „Genau das ist die Frage aller Fragen. Sam hatte einige Spuren, der er nachgegangen ist und ich habe in den Büchern gesucht, ob es weitere Hinweise auf einen Phönix gibt. Bislang haben wir nichts gefunden. Wenigstens Dean haben wir wieder, auch wenn das wohl weniger unser Verdienst ist.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihr habt mit Göttern zu tun, mit mythischen Wesen und da komme ich mit sowas Banalem wie Marcys Krankheit!?!“ „Deine Freundin ist nicht banal. Kein Fall ist banal. Wir helfen denen, die Hilfe brauchen, egal wer es ist und mit wem wir es zu tun kriegen!“ „Du willst mich beruhigen?“ „Nicht nur.“ „Danke Bobby!“ Sie lächelte ihn warm an und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Ich geh dann mal ins Bett. Morgen werde ich Marcys Wohnung nochmal genauer durchsuchen und bei ihr Fotos machen“, sagte sie leise. „Ich suche noch etwas weiter“, erwiderte er und legte seine Hand auf ihre. Mit einem sanften Kuss verabschiedete sie sich endgültig. Kurz schloss Bobby die Augen. Er rieb sich die Nasenwurzel, holte tief Luft und widmete sich wieder seiner Suche nach dem, was Marcy quälen könnte. Je schneller er den fand, umso schneller konnte er Jody von einer Sorge befreien. Bobby warf einen Blick auf die Uhr. Schon wieder war ein Tag, fast unbemerkt, vergangen. Wie schön waren doch die Tage, als er mit seinen Jungs das Haus renoviert hatte, da konnte man am Abend wenigstens sehen, was man am Tag geschafft hatte. Hier schob er nur Bücher von links nach rechts. Das war irgendwie schon frustrierend! Blind auf seine Bürotür starrend, ließ er den Tag Revue passieren. Jody war schon vor Stunden ins Bett gegangen. Sie hatte einen langen Tag hinter sich und ein genauso langer erwartete sie, wenn sie aufstand, genau wie ihn. Wie sie es versprochen hatte, war Jody bei ihrer Freundin gewesen und hatte nicht nur die Blumen gegossen, sondern auch alles durchsucht und jeden nur möglichen Hinweis auf ihre Wanderung mitgebracht. Außerdem hatte sie jede Ecke im Wohnhaus und in ihrem Zimmer im Krankenhaus fotografiert. Jetzt lag es an ihm die ganzen Hinweise zu Fakten zu bündeln. Er brütete, seitdem er sich heute Morgen an den Schreibtisch gesetzt hatte, über seinen Ausdrucken. Dank Jodys Fotos wusste er inzwischen, dass der unscharfe Schatten auf dem Friedhof auch das war, was Marcy langsam aber sicher in den Tod trieb. Er tippte auf einen Udug, einen Geist, der die Lebenden quälte. Leider wusste er noch immer nicht, wer dieser Udug war. Jedes Grab zu öffnen dessen Stein Marcy fotografiert hat, kam einfach nicht in Frage. Einerseits waren es einfach zu viele Gräber. Andererseits war der Ort in den letzten Jahrzehnten um den Friedhof herum gewachsen und der jetzt ein Teil des Parks, der die einzelnen Ortsteile miteinander verband. Er ging in die Küche, um sich eine neue Tasse Kaffee zu holen. Solange er darauf wartete, glitt sein Blick über den Garten hinter der Veranda. Automatisch wanderten seine Gedanken zu seinen Jungs und er hoffte, dass sie bald wieder hier waren und es auch blieben, bis sie sich entschieden hatten, wie ihre Leben weitergehen sollte. Sam wollte studieren und Dean? Der Junge schien sich etwas ernsthafter für die Feuerwehr zu interessieren. Immerhin hatte Sam ihm schon diesen komischen Test ausgedruckt. Vielleicht klappte es ja damit. Zu wünschen wäre es Beiden, dass sie endlich ein erfülltes, glückliches und vor allem sicheres Leben leben könnten. Er atmete tief durch. Sentimentalitäten brachten ihn hier nicht weiter, denn er musste sich noch um einen Geist kümmern. Grübelnd nahm er die Tasse vom Gitter der Maschine und ging zurück in sein Büro. Je schneller er diesen Udug fand, umso schneller konnte Marcy und damit auch Jody helfen. „Dann mal los“, spornte er sich selbst an. Als Jody am nächsten Nachmittag ins Haus kam, empfing er sie mit einer Flasche Bier und dem Abendessen. Er hatte sie vor einer Weile angerufen und gebeten, nichts zu essen mitzubringen, da er kochen würde, aber nicht verraten warum. „Wie komme ich zu der Ehre?“ Sie trank einen Schluck und schaute den Jäger fragend an. „Ich muss morgen weg.“ „Du hast ihn gefunden?“, wollte sie aufgeregt wissen. Ihre Laune stieg binnen Sekunden. Marcy so leiden zu sehen, ging ihr mehr als nur an die Nieren. Obwohl sie ja irgendwie nicht bewusst litt. Marcy lag seit zwei Tagen im Koma. Aber heute Mittag war der Tiefpunkt erreicht gewesen. Die Ärzte mussten sie an eine Herz-Lungen-Maschine anschließen. Nur weil die Hirnströme, die die Ärzte inzwischen permanent überwachten noch Aktivitäten anzeigten, hatten sie sie noch nicht für tot erklärt. Da kam ihr Bobbys Nachricht gerade recht, um wieder etwas Hoffnung zu schöpfen. „Nein, nicht wirklich. Ich habe ihn bis auf vier Personen eingrenzen können.“ „Und wie?“ „Marcys Fotos“, er suchte die bearbeiteten heraus und deutete auf die, die den Geist zeigten, „siehst du seine Kleidung? Außerdem Goggle maps, einem nicht ganz legalen Besuch bei der Friedhofsverwaltung, um den Liegeplan zu bekommen.“ Er grinste verschmitzt. „Den zumindest für mich glücklichen Umstand, dass vor einem Jahr Vandalen ein paar Mal einiges verwüstet haben und die Stadt deshalb beschlossen hat überall Kameras anzubringen und einiges an Recherchearbeit.“ „Du wärst bestimmt auch ein guter Cop geworden!“, sagte sie und küsste ihn zärtlich. „Morgen früh will ich los. Bis Wakefield, Massachusetts sind es fast 24 Stunden und wegen der Waffen, kann ich nicht fliegen. Leider kenne ich da keinen Jäger, bei dem ich mir was borgen könnte. Die Kräutermischung, um den Udug zu bannen, hab ich schon fertiggestellt.“ „Was ist da drin?“ „Salz, Weihrauch, Alraune und Mistel. Kurz vor den verbrennen muss ich dann nur noch ein faules Ei untermischen.“ „Lecker“, lachte sie und verdrehte die Augen. „Dann solltest du aber bald ins Bett und dich ausschlafen. So eine Fahrt ist nicht ohne und das Wetter kann auch noch tückisch sein“, meinte Jody besorgt. Bobby lächelte. Es tat gut, wenn sich jemand um ihn sorgte. Das kannte er so bisher nur von seinen Jungs. Sofort machte sich ein warmes Gefühl in seinem Inneren breit. Seine Jungs! Auch wenn sie nicht seine eigenen Kinder waren, so war er doch sicher, dass er auch die nicht mehr lieben konnte und er pries noch heute den Tag, an dem sie plötzlich vor seiner Tür standen und seine Hilfe erbaten, damals vor fast vier Jahren. Und bald würden sie wieder hier sein! „Soll ich mitkommen?“, riss Jody ihn aus seinen Gedanken. Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm. „Ich kann einen Tag frei machen.“ „Nein“, wehrte er sofort ab. „Es ist besser wenn du bei so einer Aktion nicht in Erscheinung trittst. Ein Sheriff der bei einer Grabschändung hilft, kommt nicht so gut.“ „Du hast Recht. Das würde mir hier den Boden komplett unter den Füßen wegziehen. Die warten doch nur darauf, dass ich Fehler mache.“ „Deswegen bleibst du hier, gießt meine Blumen und fährst in den nächsten Tagen von hier aus zum Dienst. Ich lasse mich oft genug tagelang nicht draußen sehen. Kein Mensch wird merken dass ich weg bin.“ „Du hast doch gar keine Blumen“, stellte sie nach einer Weile des Schweigens fest. „Dann sollte ich mir mal welche kaufen, oder?“ Sie zuckte nur unsicher mit den Schultern. Früher war sie mal der Meinung dass Pflanzen eine Wohnung erst wohnlich machten, heute hatte sie keine einzige in ihrem Zuhause. Allerdings war es das auch nicht. Ihr Zuhause war vor einem halben Jahr explodiert. „Ich denke, ich werde mal darüber nachdenken“, sagte er leise und nahm sie in den Arm. „Schon bald geht es Marcy wieder besser“, versprach er. „Das wäre schön.“ Sie küsste ihn sanft. „Versprich mir, dass du auch auf dich achtest.“ „Wenn du mich darum bittest, werde ich es tun.“ „Und sonst nicht?“ „Sonst hatte ich kaum etwas wofür es sich zu leben lohnte, die Jungs mal ausgenommen.“ „Das ist ein trauriges Leben, das du geführt hast.“ „Das Leben eines Jägers.“ Er löste sich von ihr und ging nach oben. Morgen wollte er so weit wie möglich fahren. Erst wenn er die Augen gar nicht mehr offenhalten konnte, wollte er kurz rasten. Vielleicht schaffte er es ja bis Übermorgen Vormittag nach Wakefield und konnte den Udug in der Nacht vernichten. Er hoffte es. Kapitel 214: Die Fälle lauern überall? -------------------------------------- 214) Die Fälle lauern überall? Vier Tage hatte Dean es im Krankenhaus ausgehalten. Jetzt saß er in seiner normalen Straßenkleidung auf seinem Bett. Seine Entlassungspapiere waren ihm von einer Schwester vor wenigen Minuten in die Hand gedrückt worden und lagen neben ihm. Den Blick auf die Tür gerichtet, spielte er mit einer Hand nervös mit der Tablettenpackung, die ihm der Arzt gegen eventuelle Schmerzen in die Hand gedrückt hatte und die jetzt in seine Jackentasche steckte. Sam war jeden Tag da gewesen und er hatte sich jeden Tag wieder von Neuem ins Gedächtnis rufen müssen, dass es sein kleiner Bruder war. Der Mensch, den er sein ganzes Leben lang kannte, der Mensch, dem er schon die Windeln gewechselt hatte. Es brachte nicht wirklich viel. Sobald Sam sich ihm auf mehr als drei Schritte genäherte, begann er sich unwohl zu fühlen. Er hatte versucht sich das nicht anmerken zu lassen, doch Sam war feinfühlig. Er wusste nicht, ob es ihm wirklich gelungen war, ihn zu täuschen. Wenigstens hatte der ihn nie darauf angesprochen, was aber vielleicht auch daran lag, dass er an seinem zweiten Tag hier einen Bettnachbarn bekommen hatte, der mit seinem gebrochenen Bein noch nicht einmal aufstehen konnte und sie ihre Probleme nicht vor Fremden ausbreiten und diskutieren wollten. In dieser Beziehung waren die Besuche von Charlie angenehmer. Sie war zweimal dagewesen und hatte ihm jedes Mal ein paar Schokoriegel mitgebracht. Weniger schön waren ihre forschenden Blicke gewesen. Sie hatte nie etwas zum Grund seines Hierseins gesagt, doch er wusste auch so, dass sie sein Schweigen missbilligte und er hatte ihr ihre abwegigen Gedanken nicht ausreden können. Sie blieb der Meinung, dass er und Sam eben keine Brüder waren und ihre Beziehung zumindest ihm nicht gut tat. Doch auch das würde gleich keine Rolle mehr spielen. Er war entlassen und sie würden verschwinden und Charlie nie wiedersehen. Da war es vollkommen egal, was sie dachte. „Wann wirst du abgeholt?“, riss sein Bettnachbar ihn aus seinen Gedanken.. „Sam sollte gleich da sein.“ Dean drehte sich nur kurz zu ihm um. Sein Blick fiel auf das Fenster, hinter dem sich ein schöner Tag zeigte, dann schaute er wieder zur Tür. „Warum?“ „Nur so. Du bist nervös, als ob du deine Flamme seit Monaten zum ersten Mal wiedersiehst.“ „Er ist mein Bruder“, erwiderte der Winchester leise, ohne den Blick von der Tür zu nehmen. „Hmhm“, machte der Andere eindeutig zweideutig. Sams Erscheinen enthob Dean einer Antwort. „Hey“, grüße der jüngere Winchester mit einem breiten Lächeln. Auch er war nervös. Noch vor der Tür hatte er sich gut zugeredet. Dean war ihm nicht böse, schließlich war nicht er es gewesen, der ihn fast umgebracht hatte. Und natürlich wusste er das auch. Trotzdem blieb das schlechte Gewissen, denn egal wie er es drehte, es war sein Körper. Und nur den konnte Dean sehen, da es eben „nur“ ein Geist war, der ihn vereinnahmt hatte. Auch Dean versuchte sich an einem Lächeln. Er erhob sich und griff nach seiner Tasche. „Lass mal. Die kann ich nehmen. Du bist krank.“ „Entlassen!“ „Das heißt bei dir aber nicht gesund!“ Sam grinste seinen Bruder an und griff nach der Tasche. „Du kannst den hier tragen“, lachte er und warf ihm den Impalaschlüssel zu. Jetzt lächelte Dean wirklich. „Baldige Entlassung“, wandte er sich noch einmal an seinen Bettnachbarn und folgte seinem Bruder. „Ich hab gestern mit Bobby telefoniert. Er wollte heute zu einem Fall nach Wakefield und lässt grüßen. Er fragt, ob wir gleich zu ihm kommen wollen, jetzt wo du hier raus bist“, begann Sam unverfänglich, kaum dass sie durch den Gang liefen. Schließlich wusste man ja nie, wer noch mithörte. „Wakefield?“ Dean drückte den Rufknopf für den Fahrstuhl. „Er hat nicht gesagt, worum es ging. Nur, dass er ein paar Tage nicht da ist. Aber Jody ist Zuhause. Fahren wir sofort hin?“ „Keine Ahnung. Eher nicht.“ „Warum nicht?“ „Ich glaube, ich bin noch nicht soweit ihm die Wahrheit darüber zu sagen.“ Dean deutete auf seinen Hals, der noch immer in den schönsten Blautönen schillerte. Sie betraten den Fahrstuhl. „Oh“, machte Sam betreten und drückte auf den Knopf zum Erdgeschoss. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich in der Kabine aus und schien sich mit jedem Meter in die Tiefe zu verdicken. In der nächsten Etage öffneten sich die Fahrstuhltüren schon wieder und Beide mussten sich zusammenreißen, um nicht erleichtert aufzuatmen. Sie hatten wohl jeder für sich doch noch nicht mit den letzten Tagen abgeschlossen. Ein Pfleger bugsierte ein Krankenbett in den Fahrstuhl. Schweren Herzen schluckte der jüngere Winchester die Frage herunter. Er wollte es eigentlich lieber jetzt als gleich klären, was genau Dean damit meinte, doch er würde sich gedulden, bis sie im Impala saßen. Im Erdgeschoss verließen sie den Fahrstuhl und gleich darauf das Krankenhaus und gingen langsam über den Parkplatz. Kurz bevor sie den Impala erreichten, blieb Dean wie angewurzelt stehen. Er starrte auf seine schwarze Schönheit, die mit der Mittagssonne um die Wette glänzte, als wäre sie gerade erst frisch vom Band gelaufen. „Was?“, fragte er verwundert und schaute zu Sam. „Ich hatte Zeit und da ich dich nicht so verwöhnen konnte ...“ „Wow! Du siehst wundervoll aus, Baby“, wisperte er leise und strich ihr über den Kotflügel. Sam verstaute derweil Deans Tasche im Kofferraum und freute sich still, dass diese Überraschung gelungen war. Gemeinsam stiegen sie ein und gemeinsam schlossen sie ihre Türen. Als ihnen das bewusst wurde, schauten sie sich an und grinsten. So ganz hatte dieser James ihre Vertrautheit wohl doch nicht zerstört. „Bobby?“, begann Sam noch einmal. Dean schüttelte den Kopf. „Lass uns erst nach El Paso fahren. Dann bin ich die schicke Verzierung an meinem Hals auch wieder los“, erklärte er leise. Sam nickte mit einem leisen Seufzen. Vielleicht war es wirklich besser so. Dieser verdammte Geist hatte ihren Zusammenhalt mehr gestört, als er für möglich gehalten hätte. „Was hast du über diesen James herausgefunden?“, wollte er von dem Älteren wissen. „Wahrscheinlich weniger als du“, erwiderte der. „Er war ein notorischer Spieler, der eigentlich immer verlor. Als er dann endlich doch mal den Jackpot geknackt hat, wurde er von einem Geldeintreiber erschossen.“ „Ich hab auch nicht viel mehr“, begann Sam ruhig. „Nur ein paar Daten. Wann er in die Stadt gekommen ist, sein Geburtstagsdatum und wann er starb. Sowas halt. Und wie viel er verspielt hat.“ „Und wie viel?“ „Über eine viertel Million.“ „Oh man.“ „Und wie geht es jetzt mit uns weiter?“, fragte Sam leise. „Was soll mit uns weitergehen?“, stellte Dean sich dumm. Er wollte noch immer nicht darüber reden. Er saß mit Sam in seinem Wagen und war noch nicht weggelaufen, obwohl der näher als eine Armlänge war. Das war doch mehr als nur ein Schritt hin, zu einem normalen Umgang miteinander, fand er. „Wir! Unser Verhältnis zueinander. Du merkst es doch auch, dass mit uns etwas nicht stimmt“, versuchte Sam verzweifelt zu erklären. Dean seufzte. Klar merkte er es. Aber er wollte es einfach verdrängen, wie alles, was ihm unangenehm war, er aber nicht aktiv ändern konnte. „Mit uns hat noch nie alles gestimmt. Wir sind Jäger! Und das was du meinst? Die Zeit heilt alle Wunden“, erklärte er leise. „Und wenn nicht? Ich meine ...“ „Sam! Du hast dich nicht darum gerissen, ihm deinen Körper zu leihen und ich bin mir sicher, dass du alles getan hast, um mich zu schützen. Ich weiß, dass du das nicht wolltest. Also hör auf dich mit Selbstvorwürfen zu martern. Ich habe es überlebt und der Rest wird auch wieder.“ „Aber du ...“ „Bitte Sam, lass es einfach gut sein, ja?“ Dean schaute zu seinem Bruder hinüber und versuchte ein Lächeln, auf das der Jüngere nur zu gerne einging, auch wenn es noch etwas gequält wirkte. Die Fahrt verlief ruhig. Sam hüllte sich in Schweigen, so gerne er das Thema auch weiter erörtert hätte, er respektierte Deans Bitte. Er würde abwarten, ob sich ihr Verhältnis in den nächsten Tagen entspannte. Vielleicht konnte er es ja auch etwas beschleunigen? Mal sehen, was ihm einfiel, um Dean milde zu stimmen. Bei diesem Gedanken huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Darin hatte er doch Übung. Dean seinerseits genoss es einfach hinter dem Lenkrad seines Babys zu sitzen. Hier fühlte er sich sicher und hier machte ihm Sams Nähe kaum etwas aus. Nur sein noch immer angeschlagener Körper verdarb ihm die gute Laune etwas. Je länger sie unterwegs waren, umso öfter versuchte Dean eine halbwegs schmerzfreie Haltung zu finden. In Wickenburg gab er auf. Er lenkte den Impala auf den Parkplatz des nächsten Motels und konnte nicht schnell genug aussteigen. Noch in der geöffneten Tür stehend, atmete er langsam tief ein und versuchte den Schmerz zu ignorieren, der seinen Brustkorb nun noch heftiger durchzog. Sam warf seinem Bruder einen besorgten Blick zu. Hätte er ihn noch länger im Krankenhaus lassen sollen? Einen Tag wenigstens, oder zwei? Nein, auch wenn es ihm dann vielleicht körperlich besser gegangen wäre! Wenn Dean sich gleich etwas hinlegen konnte, würde es ihm mindestens genauso schnell besser gehen. Klar, er liebte es mit seinem Baby unterwegs zu sein, doch diese gestauchte Haltung war gerade Gift für seinen geschundenen Körper. „Ich hol den Schlüssel“, sagte er mit einem weiteren kurzen Blick auf seinen Bruder und ging zur Rezeption. Eine Stunde später setzte sich Dean auf. Vorsichtig sog er die Luft tief in seine Lungen. Dank der Schmerzmittel, die er, unter Sams wachsamem Blick, genommen hatte bevor er sich hinlegte, fühlte es sich ganz gut an. Er wollte zwar noch keine Bäume ausreißen, aber es war erträglich. Wieso ging es ihm überhaupt so beschissen? Die letzten Tage im Krankenhaus fühlten sich doch gut an! Er streckte sich so gut es ging und schaute zu Sam. „Und?“, fragte der, „Wie geht’s?“ „Ich hab Hunger!“ „Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Soll ich was holen?“ „Ich würde lieber in das Diner, an dem wir vorhin vorbeigefahren sind. Die Stühle hier sehen nicht wirklich bequem aus und ich … ich würde gerne ein paar Schritte laufen. Ich hab die letzten Tage nur gelegen oder gesessen. Ich glaube ich dreh durch, wenn ich noch länger stillsitzen muss.“ Sam legte den Kopf schief und musterte seinen Bruder. „Klar“, sagte er und lächelte. Der Wolf hatte Dean doch wirklich zum Frischluftfanatiker gemacht. Wenn das nicht mal was Gutes war. Sie zogen sich ihre Jacken über und machten sich auf den Weg. Um diese Uhrzeit war das Diner fast brechend voll. Es gab nur einen freien Tisch, der auch noch ziemlich am Eingang stand. Das war ja so gar nicht ihr Ding. Doch jetzt noch weiter zu ziehen, war ihnen auch zu blöd. Also ließen sie sich daran nieder und bestellten. „Wie geht es dir?“, fragte Sam. „Ganz gut, warum?“ „Nur so. Du bist gerade aus dem Krankenhaus raus.“ „Ich glaube, ich würde nicht mal einen Bonsai ausreißen können, aber es geht“, erklärte Dean noch einmal und hoffte, dass es so sicher klang wie es sollte. Eine Weile schaute er sich im Diner um. Sein Blick wurde regelrecht von der wohl neuesten Ausgabe der Weekly World News angezogen. Hastig schloss er die Augen drehte den Kopf wieder zu Sam und griff nach der schon ziemlich zerlesenen, örtlichen Tageszeitung, die auf ihrem Tisch lag. Das, was ihm der Leitartikel der Weekly World News andeutete, wollte er nicht wissen! Sam schaute sich nun ebenfalls um. Was hatte Dean so verstört? Auch ihm fiel der Artikel ins Auge. Leise stöhnend schaute er auf die Rückseite der Zeitung, die Dean nun angestrengt las. „Wir sollten mit Bobby reden“, sagte Dean leise und legte die Zeitung weg, weil die Kellnerin ihr Essen brachte. Sam horchte auf. Sein Bruder klang deprimiert. „Warum?“ Dean schlug die Seite der Zeitung auf, die er gerade überflogen hatte und zeigte auf einen Artikel in der Rubrik „Sonstiges“. „Der Mythos hat wieder zugeschlagen - Chupacabra gesichtet“, lautete die Überschrift. In dem Artikel wurde dann darüber informiert, dass in der Nähe von Thatcher noch immer verwilderte Hunde herumliefen, die angeblich schon wieder mehrere Kinder angegriffen hätten. „Und du meinst, es sind wirklich Chupacabra?“ „Samuel Campbell hat was darüber geschrieben, dass sie in der Umgebung hier einen gejagt haben.“ „Aber das ist ewig her“, gab Sam zu bedenken. „Und wenn es nicht nur einer war? Oder wieder welche hergekommen sind?“ „Wie kommst du darauf?“ Grübelnd legte Sam die Stirn in Falten. Er hatte das Buch doch auch gelesen. Aber was stand da genau? „Dieses „angeblich schon wieder“. Und weil Campbell schrieb, dass der Chupa, den sie damals gejagt haben, Menschen angefallen hat. Außerdem glaube ich, dass ich mal was darüber gelesen habe, dass die nur dann Menschen jagen, wenn sie Junge haben.“ Die Furchen auf Sams Stirn wurden tiefer. „Wir sollten Bobby anrufen“, bestätigte er die Aussage seines Bruders, bevor er sich endlich seinem Essen widmete, obwohl er plötzlich keinen Appetit mehr hatte. Und so wie Dean auf seinem Teller herumstocherte, ging es ihm wohl genauso. „Bobby weiß eine Lösung. Er weiß immer eine!“, versuchte Sam Optimismus zu verbreiten. „Nur, ob uns die Lösung gefallen wird, bleibt fraglich.“ „Versuch doch nicht alles so schwarz zu sehen“, bat Sam und hoffte, dass er so sicher klang wie er es wollte und nicht wie er sich fühlte, denn leider waren ihre Erfahrungen andere. Kapitel 215: Ein Fall gelöst ---------------------------- 215) Ein Fall gelöst Fast zur gleichen Zeit unterdrückte Bobby einen Jubelschrei. Endlich hatte er herausgefunden, wessen Geist Marcy Ward langsam das Leben aussaugte. Er notierte sich den Namen. Mit einem Glücksgefühl in der Brust schlug er die Bücher zu und brachte sie zu der netten Bibliothekarin, die ihm schon den halben Tag geholfen hatte, mehr zu der Geschichte des Ortes zu finden. „Das war's“, erklärte Bobby geschafft und lächelte sie freundlich an. „Haben sie ihn also endlich gefunden?“ „Ja, hab ich.“ „Und war es ihr Vorfahr, der für diese Seuche verantwortlich gemacht worden ist?“, wollte sie neugierig wissen. „Nein, es war ein Benedict Lerman, der für die Schuld an den verendeten Kälber und Ferkel tragen sollte. Er soll sie aus Neid vergiftet haben, genau wie die Tochter des Ranchers. Sie haben ihn gehenkt. Keine Ahnung, ob sie sich kannten.“ „Dieser Benedict Lerman kann einem wirklich leidtun“, sagte sie. „Das stimmt wohl. Aberglaube kann die schlimmsten Blüten tragen. “ „Gott sei Dank“, lächelte sie. „Aber was erzählen sie jetzt ihren Enkeln?“ „Jedenfalls nicht die Geschichte eines Urgroßvaters, der wegen angeblichem mehrfachen Mordes gehenkt wurde“, erklärte Bobby achselzuckend. Genau diese Geschichte hatte er ihr aufgetischt, als er um ihre Hilfe bei der Suche nach seinem Geist bat. „Vielen Dank nochmal für ihre Hilfe.“ Mit einem freundlichen Nicken verabschiedete er sich von ihr. Auf dem Weg zu seinem Wagen rief er Jody an. „Ich hab‘ ihn“, sagte er, kaum dass sie sich gemeldet hatte. „Es ist Benedict Lerman.“ „Der Grabstein, der etwas abseits stand?“ „Genau der. Ich werde mich heute Nacht um ihn kümmern. Das Wetter spielt mir in die Karten.“ „Das ist gut. Marcy geht es immer schlechter. Sie zeichnen kaum noch Hirnströme von ihr auf und machen mir keine Hoffnungen, dass sie es schaffen wird, zumal sie noch immer keine Ursache gefunden haben, die die immer höher werdenden Entzündungswerte erklären würde.“ „Dann lass sie noch eine Weile suchen. Morgen sollte es ihr hoffentlich besser gehen.“ „Meldest du dich, wenn du es geschafft hast?“ „Das kann aber spät werden, oder eher früh. Ich will auf den angekündigten Nebel warten.“ „Egal. Ich möchte wissen, wenn es vorbei ist.“ „Gut, rufe ich an.“ „Und ich bringe morgen was Leckeres mit, wenn ich einkaufen fahre. Das müssen wir feiern, sobald du wieder da bist.“ „Das klingt gut. Und Jody?“ „Ja?“ „Pass auf dich auf, okay.“ „Du bist gut. Ich denke, ich bin hier sicherer als du. Also, bitte gib auf dich Acht, ja?“ Bobby grinste. Genau das wollte er hören. „Ich geb mir Mühe“, erwiderte er und legte auf. Jetzt würde er etwas essen fahren und sich dann ein Motelzimmer suchen, um ein paar Stunden zu schlafen, bevor er zur Geisterverbrennung fuhr. Noch bevor er das Handy wegstecken konnte, klingelte es. Auf dem Weg zum Motel zog Dean sein Handy heraus und rief Bobby an. Vielleicht wusste der ja einen Jäger, der sich darum kümmern konnte. Vielleicht hatten sie endlich einmal Glück? Ein winziger Funken Hoffnung glomm in Deans Brust. „Hey“, meldete er sich leise, kaum dass Bobby abgenommen hatte. „Dean hier.“ „Wie geht’s dir, Junge?“ „Soweit ganz gut. Die Rippen sind noch angeschlagen und wir kommen langsamer voran als ich gehofft hatte, aber wenn wir bei dir sind, werd ich wohl wieder an Autos schrauben können.“ Sam horchte auf. Wie schlecht ging es seinem Bruder, wenn er das gegenüber Bobby schon so unumwunden zugab? Oder wollte er nur darauf hinweisen, dass sie diesen Fall nicht machen würden? „Weswegen ich aber jetzt anrufe: In der Nähe von Thatcher gibt es Chupacabras. Sie greifen Menschen an. Kannst du einen Jäger herschicken?“ Sam grinste. Dean wollte den Fall wirklich abgeben. Er wollte sie erst gar nicht ins Spiel bringen! Ein warmes Gefühl machte sich in seinem Inneren breit. Dean dachte endlich mal an sich! Er wollte wirklich aussteigen. Er war ausgestiegen! „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Wo seid ihr?“ „Noch vor Phoenix.“ „Okay, ich melde mich. Du kannst aber auch schon mal mit Ellen reden. Dann muss ich das nicht.“ „Danke und mach ich“, Dean legte auf. „Bobby versucht einen Jäger zu finden“, erklärte er Sam. Der nickte. „Dann drücke ich uns mal die Daumen, dass er auch wirklich einen findet, der in der Nähe ist.“ „Hm“, grummelte Dean und schob seine doch ziemlich angeschlagene Laune auf die Schmerzen in seinen Rippen, die vom Sitzen wieder stärker geworden waren. Ob Sam noch eine dieser tollen Tabletten dabei hatte, die ihn immer komplett aus dem Verkehr zogen? Aber so würden sie morgen nicht weiterfahren können und das wollte er dann doch schon. Nein, eine von seinen musste reichen. Kaum im Zimmer angekommen, verzog er sich ins Bad. Er duschte, rieb seine Rippen mit einer kühlenden, schmerzstillenden Salbe ein und nahm noch eine Tablette. Sich auf dem Waschbecken abstützend, schaute er in den Spiegel. Hörte das denn nie auf? Er war es so müde! Das letzte Jahr war eine einzige Abwärtsspirale gewesen. Auch wenn er sich an die Monate als Wolf gerne erinnerte. Sie kamen ihm inzwischen wie ein Durchatmen vor. Wie ein Ausblick auf das was sein könnte, wenn er den Ausstieg endlich durchzog. Ja, diese Monate hätten mit seinem Tod geendet. Aber das würde das Leben auch, irgendwann. Er seufzte. Dieses Wolfsleben war vorbei und ein richtiges wartete auf ihn. Er warf sich einige Hände kaltes Wasser ins Gesicht und verließ das Bad. Sofort sah er sich dem besorgten Blick seines kleinen Bruders gegenüber. „Ich bin okay.“ „Das bist du nicht!“ „Aber ich werde es wieder sein, in ein paar Tagen oder Wochen.“ Er ging zu seinem Bett. Dass er dabei einen Bogen um Sam machte fiel nur dem jüngeren Winchester wirklich auf und seine Sorgen wuchsen proportional zu seinem schlechten Gewissen. Dean hatte seine Attacken auf ihn weder körperlich noch seelisch verarbeitet. Aber wie sollte er auch. Nur weil er es heute neben ihm aushielt, hieß das ja nicht, dass er das Trauma überwunden hatte. Wie auch? Gestern war er noch auf Abstand gegangen, auch wenn der zu heute doch um ein Vielfaches größer gewesen war. Er seufzte leise und beobachtet seinen Bruder dabei, wie der sich unter der Decke auf den Bauch drehte, das Kissen zu Recht knuffte und mit seinen Armen umschloss. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Es gab Dinge, die sich wohl nie änderten und den Rest konnten sie auch schaffen. Unschlüssig schaute Sam sich im Zimmer um. Sollte er nach dem Chupacabra suchen? Nein, sie wollten den Fall nicht. Wenn er jetzt nach Einzelheiten suchen würde, wäre das wie ein Verrat an Dean, ein Verrat an dem normalen Leben, das auf sie wartete und das sie endlich beginnen wollten. Also ließ er das auch schön bleiben, er wollte ja keine schlafenden Hunde wecken! Aber was machte er dann mit seiner freien Zeit? Durch die Kanäle zappen? Zum Schlafen war es ihm noch viel zu früh und es erschreckte ihn schon, dass Dean genau das tat. Hätte er ihn doch noch im Krankenhaus lassen sollen? Vielleicht wäre es besser gewesen, immerhin hatte er vorhin schon mal darüber nachgedacht und wenn er es getan hätte, wären sie wahrscheinlich nicht auf diesen blöden Artikel gestoßen! Plötzlich stemmte sich Dean auf die Arme. Sein Blick suchte Sams. „Hör auf zu denken. Ich kann dein Trübsal bis hier her blasen hören, Samantha. Es hält mich von meinem wohlverdienten Nickerchen ab. Ich bin okay. Es wird von Tag zu Tag besser, also schalt ab und gönn uns beide etwas Ruhe.“ Sam starrte seinen Bruder an, der sich wieder auf den Bauch fallen ließ. Grinsend schüttelte er den Kopf. Das war mal wieder typisch Dean. Egal wie es ihm ging, er sorgte sich immer auch um ihn. Vielleicht wurde ja doch noch alles gut? Nein, nicht vielleicht! Es wird alles gut! Er schaute noch einmal zu seinem Bruder, bevor er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holte, es sich auf seinem Bett bequem machte und sich ein Buch aus einer Online-Bibliothek suchte. Es war schon verrückt. Wann hatte er denn schon mal Zeit gehabt, einfach nur aus Spaß an der Freude zu lesen? Sein Handywecker riss Bobby aus einem unruhigen Schlaf. Er setzte sich auf und rieb sich müde über das Gesicht. Viel Schlaf hatte er in den drei Stunden nicht bekommen. Grübelnd blieb er noch kurz sitzen und schaute auf das dunkle Fenster. Sowas kannte er nicht von sich! Eigentlich konnte er doch immer und überall schlafen. Oder drückten ihn die Sorgen um Jodys Freundin und seine Jungs so sehr? Er hatte am Abend noch mit jedem Jäger telefoniert, den er kannte, denn wenn Dean schon so offen darüber sprach, dass es ihm nicht gut ging, dann wollte er auch darauf hören. Viel zu selten gab der Junge zu, dass es ihm nicht gut ging. Blieb die Frage nach dem Warum. Doch das konnten sie klären, wenn sie alle wieder in Sioux Falls waren. Schwerer machte ihm die Tatsache zu schaffen, dass jeder Jäger, den er erreicht hatte, absagen musste. Doch noch war nichts entschieden. Noch hatte er ein paar Eisen im Feuer. Jetzt sollte er sich allerdings erst mal um das drängendere Problem kümmern: Benedict Lerman. Schnell hatte er sich angezogen und sein Zimmer geräumt. Er hatte es noch am Abend bezahlt und den jungen Mann an der Rezeption erzählt, dass er morgens extrem früh los musste und niemanden extra wecken wollte. Gut, extrem früh war es. Gerade mal kurz nach zwei. Eine Zeit, zu der die meisten Menschen schliefen, eine Zeit also, zu der man am Besten unbemerkt ein Grab öffnen und einen Geist vernichten konnte. Schnell mischte er das faule Ei mit seiner Salzmischung und beeilte sich, das Glas wieder zu verschließen. Himmel! Er dachte wirklich, dass sein Geruchssinn abgehärteter wäre. Der Nebel, der sich am Abend wie eine Decke über die Stadt gelegt hatte, war noch dichter geworden. „Gut so“, murmelte Bobby als er auf den Parkplatz trat. Er stieg in seinen Wagen und fuhr nach Norden. Erst ein paar Straßen weiter lenkte er den Wagen zurück in die Stadt und steuerte den Friedhof an. Er parkte seinen Wagen auf dem Parkplatz und ging zu dem Grab. Der Nebel dämpfte sämtliche Geräusche und doch versuchte er so leise wie möglich zu sein. Vorsorglich zog er einen Salzkreis um das Grab, nicht das Lerman doch noch hier auftauchte und ihn davon abhalten wollte, seine Leiche zu verbrennen. Ein Udug hing zwar wie ein Blutegel an seinem Opfer bis er es buchstäblich ausgesaugt hatte, aber wenn das Opfer schon sehr schwach war, konnte er diese Verbindung auch eher lösen, um sich an einen neuen Wirt zu suchen. So bewahrten sie ihre toten Körper vor dem Verfall und sich selbst davor zu vergehen. Nur wie diese Dinger entstanden, hatte er noch nicht wirklich klären können. Einige Quellen sprachen davon, dass sie unsachgemäß beerdigt worden waren. Aber lag es nur daran? Eine Stunde später stand er neben dem flackernden Feuer. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte Jodys Nummer. Schon nach dem ersten Klingeln ging sie, etwas atemlos, dran. „Ist er weg?“ „Ja, sollte er sein“, lächelte der Jäger. „Hast du neben dem Telefon geschlafen?“ „Ich hab nicht...“, begann sie, lenkte dann aber ein. „Es war ein harter Tag. Ich bin doch tatsächlich eingeschlafen!“ „Dann geh jetzt ins Bett. Ich schaufle das Grab gleich noch zu und fahre zwei, drei Orte weiter. Da warte ich dann, bis du mir endgültig Entwarnung gibst.“ „Ich werde auf jeden Fall bevor ich zum Dienst fahre bei Marcy vorbeischauen. Ich melde mich dann bei dir.“ „Tu das. Gute Nacht!“ „Dir auch“, sagte sie erleichtert und legte auf. Sam streckte sich. Er blinzelte in die Sonne, die durch ihr Fenster herein schien und einen schönen Tag ankündigte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und setzte sich auf. Ein Blick zu Dean zeigte ihm, dass der noch schlief. Sollte er sich darüber Sorgen machen? Klar, die Zeit war okay, aber sein Bruder war gestern viel früher ins Bett gegangen, als normal. Sollte er da nicht auch viel früher wach sein? Er schluckte seine Sorgen herunter. Dean war angeschlagen und es würde besser werden. Sam stand auf und verschwand im Bad. Als er ins Zimmer zurückkam, war sein Bruder noch immer nicht wach und er überlegte, ob er Frühstück holen sollte. Er entschied sich dagegen. Dean wollte sich gestern Abend bewegen. Das wollte er ihm heute nicht verwehren. Vielleicht wollte er auch erst unterwegs essen? Er konnte abwarten. Sam kochte Kaffee. Als das braune Gebräu durchgelaufen war, nahm er sich eine Tasse und seinen Laptop und setzte sich an den Tisch, wo er in aller Ruhe weiterlesen konnte, bis Deans Telefon klingelte. Er streckte sich, stand auf und machte sich auf die Suche nach dem kleinen Störenfried. Gerade als er ihn lokalisiert hatte, brach das Klingeln ab. Sam seufzte. Er warf einen Blick auf seinen Bruder und ging zum Tisch zurück. Unschlüssig stand er vor seinem Laptop. So langsam bekam er Hunger. Sollte er doch los? Das Klingeln seines Handys beendete diese Überlegung fürs Erste. Er zog es aus der Tasche. „Ellen, hallo“ „Ich hab schlechte Nachrichten“, begann sie leise. Warum erst lange um den heißen Brei reden. Davon wurde die Nachricht auch nicht besser. „Die Jäger, die ich gefragt habe, waren alle eingebunden und auch ziemlich weit weg von euch. Tut mir leid.“ „Danke, Ellen, da kann man nichts machen. Grüß Jo.“ „Mach ich und Sam!“ „Ja?“ „Passt auf euch auf!“ „Wir geben unser Bestes“, erwiderte der Winchester und legte auf. „Mist“, murmelte er leise. Das waren schon mal fünfzig Prozent schlechte Nachrichten. Hoffentlich hatte Bobby mehr Glück. Kapitel 216: Doch noch ein Fall ------------------------------- 216) Doch noch ein Fall Er wollte sein Telefon gerade zurück in die Hosentasche schieben, als es wieder klingelte. „Das ist Gedankenübertragung“, grinste er. „Hey, Bobby.“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich sein Bruder aufsetzte und zu ihm hinüber schaute: Er stellte auf Lautsprecher, so musste er nicht alles wiederholen. „Hallo Sam.“ Der alte Jäger klang müde. „Ich hab rumtelefoniert. Die Jäger, die ich erreichen konnte, sind beschäftigt und können so schnell auch nicht zu euch kommen. Tut mir leid. Ich könnte in drei Tagen da sein, wenn ich mich gleich auf den Weg mache.“ Dean nahm seinem Bruder das Handy aus der Hand. „Wo bist du?“ „In Maine. Hab einen Udog gejagt.“ „Einen Udog? Die sind selten.“ „Deshalb aber nicht weniger gefährlich.“ „Wohl wahr“, nickte der älter Winchester. „Gut, ich mach mich auf den Weg.“ „Fahr nach Hause, Bobby. Es bringt nichts, wenn du hierher hetzt. Wir kümmern uns darum.“ „Hat Ellen …?“ „Nein. Ich habe gerade mit ihr gesprochen. Sie hat auch keinen“, schaltete sich Sam wieder in das Gespräch ein. „Und ihr wollte wirklich …?“ „Wollen nicht, aber wir können auch nicht so tun, als ob wir es nicht wüssten.“ „Ich denke, du bis angeschlagen?“ „Wenn Sam auf mich aufpasst, wird es schon gehen.“ „Und dass ihr aussteigen wollt?“ „Das scheint das Übernatürliche nicht wirklich zu interessieren“, gab Dean verbittert zurück. „Dean, du ...“ „Lass gut sein, Bobby. Fangen wir mit dem Ausstieg eben nächste Woche an.“ „Dann mal viel Glück! Ich mache mich trotzdem auf den Weg zu euch!“, bestimmte der alte Jäger. „Musst du nicht. Du wirst zu Hause erwartet!“ „Ihr auch! Okay, einigen wir uns darauf: Ich fahre Richtung Sioux Falls und ihr haltet mich auf dem Laufenden. Wenn was ist, komme ich zu euch!“, bestimmte er. „Okay. Wir bleiben in Verbindung“, beendete Sam das Gespräch. Fragend schaute er zu Dean. „Nein, ich bin mir nicht sicher, aber wir können das Vieh nicht so weitermachen lassen. Der hat Junge und die werden in der Nähe bleiben“, grummelte Dean, sauer darüber, dass er sich wieder hatte breitschlagen lassen. „Chupacabras sind ortsgebunden?“ „Zumindest in den ersten Jahren.“ „Warum hat die dann noch nie jemand wirklich gesehen?“ „Eigentlich leben sie von Wild und sind nachtaktiv. Das hat zumindest Campbell so aufgeschrieben.“ „Dann lass uns hier unsere Zelte abbrechen und weiterziehen. Frühstücken können wir unterwegs“, machte Sam Nägel mit Köpfen. „Und du bist nicht böse?“ Dean schaute ziemlich zerknirscht, hatte er doch wieder über Sams Kopf hinweg entschieden. „Nein. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Bist du schon wieder einsatzfähig?“ „Es muss gehen. Ich hab‘ Tabletten, mit denen komme ich ganz gut über die Runden, denke ich.“ „Denkst du?“ Sam seufzte. Wenn er seinem Bruder jetzt sagte, er solle sich schonen, würde der zwar „ja“ sagen, sich wohl aber trotzdem nicht wirklich daran halten. Also musste er darauf achten, dass Dean nichts passierte! Dean nickte und trottete ins Bad. „Verdammt“, fluchte er, kaum, dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Sam atmete tief durch. Ja, verdammt! Ließ das Übernatürliche sie denn nie in Ruhe? Solange sie durchs Land fuhren wohl nicht. Aber sich irgendwo verkriechen war auch keine Option. Da würden sie beide durchdrehen. Das Sicherste war wohl, sie suchten sich schnellstmöglich eine Beschäftigung. Wenn er sein Studium wieder aufnahm und Dean vielleicht ja doch zur Feuerwehr ging, dann konnten sie dem Übernatürlichen nicht mehr hinterherjagen. Zufrieden mit seiner Entscheidung begann er seine Sachen zu packen. „Sobald wir diesen Fall hinter uns haben, bewerbe ich mich an einem College um mein letztes Jahr zu machen und nebenbei suche ich nach Aufbaukursen für mein Jurastudium“, informierte Sam seinen Bruder während ihres Frühstücks. Dean schaute von seiner Zeitung auf. „Du willst Nägel mit Köpfen machen.“ „Du denkst, ich übereile es? Ich … Wenn wir Termine haben, dann können wir keinen Fall mehr machen. Die Kurse kann ich bestimmt in Sioux Falls machen, dann hast du genug Zeit, dir zu überlegen, was du machen willst“, versuchte sich der Jüngere zu erklären. „Ich meine, die Kurse kosten Geld und wir haben nichts zu verschwenden.“ „Find ich gut“, sagte Dean nur. „Du hast nichts dagegen?“, wollte Sam verblüfft wissen. Er hätte gedacht, dass er seinen Bruder mit seinem Vorschlag eher überrascht hätte und er Einwände haben würde. „Warum sollte ich? Wir haben auf jede erdenkliche Art versucht aus diesem Leben zu kommen und es ging immer in die Hose. Vielleicht klappt es so.“ „Du hast keine Hoffnung?“ „Ich würde mich freuen“, wich der Ältere einer Antwort aus. Sam nickte. Er konnte seinen Bruder verstehen, hoffte aber, dass sie es so endlich schaffen würden. „Dann lass uns mal zusehen, dass wir hier fertig werden.“ „Was stand in der Zeitung?“, fragte Sam, kaum, dass sein Bruder den Impala auf die Straße gelenkt hatte. Er klappte seinen Laptop auf und suchte sich ein Netz. „In der Nähe von Swift Train Junction ist ein Zeltplatz. Noon Campground. Da soll der Chupa öfter gesehen worden sein. Außerdem liegt eins der Kinder noch im Krankenhaus.“ „Dann sollten wir da beginnen“, stimmte Sam zu und versuchte weitere Fakten zu den Chupacabras zu finden. Kurz starrte er auf seinen Bildschirm. Das war´s wohl mit dem einfach nur zum Spaß lesen! Schnell schüttelte der diesen Gedanken ab und schon huschten seine Finger über die Tasten. Dean suchte einen Sender, der seine Musik spielte und summte leise mit. „Wohin?“, riss Dean seinen Bruder aus seiner Recherche, als das Ortseingangsschild von Thatcher in Sicht kam. „Das Krankenhaus ist in Sufford.“ „Dann suchen wir uns da ein Motel und werfen uns in Schale?“ „Okay. Als was willst du auftauchen?“ „Wir haben noch die Ausweise vom US Wildlife Service, von dem Geisterhund in Maine.“ „Und du meinst, dass sie uns die hier abnehmen?“, zweifelte Sam. „Wir machen hier Urlaub?“ „Hm, warum eigentlich nicht. Wir können Nick angeben als Referenzperson.“ „Oder wir weihen Jody in die Telefone ein.“ „Meinst du, dass sie die noch nicht kennt?“ „Keine Ahnung was Bobby ihr schon alles gezeigt hat.“ Dean grinste breit. „Also, was wissen wir?“, fragte Dean, als sie von dem davor liegenden Parkplatz zum Krankenhaus liefen. Sie hatten ein Motel gefunden und sich ihre Anzugjacken angezogen. Ganz so edel musste man beim Wildlife Service ja wohl nicht sein. „Die Kinder haben gezeltet. Sie sind angegriffen und drei von ihnen verletzt worden. Sie haben das Monster beschrieben. Ziemlich genau das, was ich an Beschreibungen eines Chupacabras habe. Die örtlichen Behörden denken, dass es ein Kojote war. In der Umgebung wurden Schafe gerissen. Eigentlich war das niemandem eine Erwähnung wert, doch irgendjemand von den Eltern hat die Geschichte wohl an die Presse verkauft. Ein Kind, eine Gabriella Hanscum liegt noch im Krankenhaus. Die anderen wurden schon wieder entlassen.“ „Na dann mal los.“, sagte Dean und ging zur Anmeldung. „Wir sind vom US Wildlife Service und würden uns gerne mit Gabriella Hanscum unterhalten“, erklärte der der Schwester. „US Wildlife Service? Sie hab‘ ich mir irgendwie anders vorgestellt.“ „Tut mir leid, aber kurze Hosen stehen mir so überhaupt nicht“, wehrte Dean ab. „Wieso wollen Sie mit Gabriella reden?“ „Es geht um die Tierangriffe.“ „Ich dachte das wäre ein Kojote gewesen? Sheriff Hanscum meinte, dass alles erledigt wäre.“ „Davon wissen wir nichts. Unser Chef meinte nur, wenn wir schon mal hier sind, sollten wir uns das auch anschauen. Aber umso besser, dann dauert es nicht lange und wir können weiter Urlaub machen“, grinste Dean sie an. „Sie müssen während ihres Urlaubes arbeiten? Das ist ja unfair.“ „Noch unfairer ist es, dass wir extra bis hierher gekommen sind, um der Arbeit zu entgehen“, schaltete sich jetzt auch Sam mit ein. „Na dann viel Glück und schnelles Gelingen. Die Kleine liegt in Zimmer 3.27.“ „Danke“, Dean nickte ihr freundlich lächelnd zu, bevor er seinem Bruder folgte. „Gabriella Hanscum, Sheriff Hanscum?“, überlegte Sam laut, als sie im Fahrstuhl in die dritte Etage fuhren. „Die Tochter des Sheriffs?“ Dean sah nicht wirklich glücklich aus. „Vermute ich auch. Hauptsache wir kommen mit unseren Ausweisen durch.“ „Warum nicht? Es ist ja nicht der erste Sheriff, mit dem wir es zu tun haben. Wenn wir wie immer vorgehen, sollte uns eigentlich nichts passieren. Außerdem wollen wir ja nur mit der Kleinen reden und dann sehen die uns nie wieder, also … was soll´s?“ Sam nickte. Die Fahrstuhltüren glitten leise auseinander. Vor ihnen standen zwei Schwestern mit einem Patienten im Rollstuhl. Die Brüder traten zur Seite und verließen den Fahrstuhl. Vor dem Zimmer 3.27 blieben sie kurz stehen und zupften ihre Anzugjacken zurecht, bevor sie klopften. „Agent Ford und Agent Hamill, mein Partner“, stellte Dean sie vor. „Wir sind vom US Wildlife Service. Dürfen wir kurz mit ihnen Beiden reden?“ „Was will der Wildlife Service von meiner Tochter?“, fragte die blonde, etwas korpulentere Frau in der Uniform eines Sheriffs. Dean musterte sie kurz. Sheriff Hanscum war eine Frau? Warum nicht? Jody war ja auch Sheriff. „Es geht um den Angriff auf Gabriella und ihre Freunde.“ „Und da kommen sie jetzt erst? Das ist schon über eine Woche her! Meine Tochter soll morgen entlassen werden.“ Sam seufzte. „Eigentlich haben wir Urlaub. Doch als unser Chef von den Vorfällen hier hörte, hat er uns gebeten, doch mal Näheres in Erfahrung zu bringen.“ Sheriff Hanscum schüttelte den Kopf. „Ihr Vorgesetzter steht auf Schauergeschichten?“ „Jeder hat ein Hobby, oder?“, fragte Dean ruhig. „Von mir aus“, gab sie sich geschlagen. „Wenn du es denn noch mal erzählen willst. Hauptsache es steht nicht wieder lang und breit in der Presse.“ „Presse? Die Word Weekly News würde ich nicht unbedingt als ernstzunehmende Presse bezeichnen.“ „Aber sie haben sie gelesen.“ „Wir sind darüber gestolpert, als wir uns informiert haben, worum es hier gehen könnte“, erklärte Sam. „Und sie glauben, dass es Chupacabras gibt?“, wollte der Sheriff lauernd wissen. Auf die Antwort war sie wirklich gespannt. „Wir glauben, was wir sehen“, erklärte Dean der Wahrheit entsprechend. Sheriff Hanscum atmete tief durch. Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Fenster. Sam warf noch einen Blick auf den Rücken der Frau und wandte sich dann an ihre Tochter. „Was können Sie uns zu dem Vorfall erzählen? Woran können Sie sich erinnern?“ Gabriella schaute nun ebenfalls zu ihrer Mutter, doch von ihr kam nichts. Sie wandte sich den beiden Männern zu. „Wir wollten auf dem Noon Campground zelten. Der Nachmittag war normal, wir haben die Zelte aufgebaut, Feuer gemacht und angefangen Marshmallows zu rösten. Es war schon dunkel, als plötzlich ein Tier aus dem Wald kam und uns sofort angegriffen hat. Wir haben geschrien und versucht es mit Feuer zu vertreiben, damit wir wenigstens in die Autos kommen konnten. Es …“ Sie stockte und schaute hilfesuchend zu ihrer Mutter. Die trat an das Bett heran, nahm die Hand ihrer Tochter und drückte diese aufmunternd. „Es hat um sich gebissen und Gwen am Bein erwischt. Dave und ich haben versucht sie zu retten. Da ließ es von ihr ab und hat erst Dave in die Hand gebissen und dann mich in den Oberschenkel. Es hat so weh getan.“ Gabriella begann zu weinen. „Das tut uns leid“, versuchte Dean sein Mitgefühl auszudrücken. „Kannst du uns sagen, wie es aussah?“, wollte nun Sam wissen. Sie schniefte und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Wie ein Hund. Ich meine von der Größe her. Es hatte hartes, struppiges Fell, so in Flecken. Der Rest war kahl. Es hat sich komisch angefühlt.“ „Du hast es angefasst?“, fragte Dean verwundert. „Ich wollte es von mir wegschieben. Es hat aber erst losgelassen, als Andy ihm einen brennenden Ast in die Seite gerammt hat.“ „Andy ist dein Freund?“ „Ja, er war so mutig!“ „Das war er wirklich!“, stimmte ihr Dean zu. „In der Nähe vom Noon Campground?“, hakte Sam noch einmal nach. „Ja, wir fahren da nie wieder hin!“, erklärte die Kleine voller Überzeugung. Weißt du aus welcher Richtung es kam?“ „Nicht wirklich. Irgendwo aus dem Wald. Es war plötzlich da.“ Bei der Erinnerung schauderte sie noch immer zusammen. „Gibt es hier Kojoten?“, wollte Sam wissen. „Bislang haben wir keine gesehen. Aber das heißt ja nichts. Es wurden Schafe gerissen, also gehe ich davon aus, dass wir hier welche haben“, antwortete der Sheriff. „Und wenn es streunende Hunde waren?“, überlegte Dean. „Auch das wäre möglich.“ Donna Hanscum zuckte mit den Schultern. „Wir schauen uns da mal um“, erklärte Sam an den Sheriff gewandt. „Also ich an Ihrer Stelle würde da nicht hingehen, aber sie sind erwachsen. Hauptsache ich muss dann nicht Ihre Überreste zusammensuchen.“ „Es ist nicht das erste Tier, das Menschen angreift, mit dem wir es zu tun haben“, versuchte Sam sie zu beruhigen. „Aber danke für die Warnung.“ Die Brüder verabschiedeten sich und verließen das Zimmer. „Ich bin gleich wieder da“, erklärte Donna Hanscum ihrer Tochter und folgte den beiden Männern. Irgendetwas an ihnen hatte sie irritiert, aber was? An der Ecke zu den Fahrstühlen blieb sie stehen, vielleicht hatte sie ja Glück und bekam etwas von den Plänen der beiden mit. „Soweit ich weiß, sind die nicht tagaktiv“, gab Dean zu bedenken. „Du willst also erst heute Abend los?“ „Keine Ahnung. Ich denke nur, dass wir jetzt nur Spuren suchen könnten. Allerdings ist der Überfall schon eine Woche her und ich muss zugeben, ich hab‘ wenig Lust die ganze Gegend abzusuchen und irgendwelchen Hunden hinterher zu jagen.“ „Ich dachte du magst Waldspaziergänge?“ „Nicht unbedingt!“ Sam schnaubte grinsend. Die Fahrstuhltüren glitten leise auf und die Brüder traten ein. „Dann betreiben wir mal wieder etwas Recherche“, sagte Sam grinsend. Sheriff Donna Hanscum ging zu ihrer Tochter zurück. „Brauchst du noch was? Ich muss gleich los.“ „Nein Mom, ich bin versorgt. Geh ruhig.“ „Brauchst du wirklich nichts? Ich kann dir noch einen Saft oder was zu lesen holen?“ „Mom!“, maulte Gabbie. „Du musst mich nicht bemuttern. Es reicht, wenn du das zuhause wieder machst.“ „Ach du ...“, schimpfte Donna lachend. Sie trat an das Bett heran, gab ihrer Tochter einen Kuss und drückte sie zum Abschied fest an sich. Kapitel 217: Waldspaziergang ---------------------------- 217) Waldspaziergang Im Fahrstuhl überlegte Sheriff Hanscum, was sie jetzt tun würde. Eigentlich wollte sie den beiden Männern folgen. Sie war County-Sheriff und sie wollte wissen, was in ihrem Revier passierte. Außerdem war sie auch noch ihrer Tochter verpflichtet, diese Gefahr zu beseitigen. Sie verließ das Krankenhaus und wollte gerade nach ihrem Telefon greifen, um sich für den heutigen Tag im Büro abzumelden, als sich das kleine Teil bemerkbar machte. Sie nahm das Gespräch an und lauschte eine Weile der aufgeregten Stimme am anderen Ende. „Ich komme“, antwortete sie knapp und legte wieder auf. Leise seufzend setzte sie sich in ihren Wagen. Mrs. Molina konnte selbst ihr die Nerven rauben. Wie musst es dann Jenny gehen? Mrs. Molina musste man ein paar Mal erlebt haben, um ihr die Nervosität nehmen zu können. Oder auch nicht. Ein Lächeln schlich sich über ihr Gesicht. Ihr Deputy kam mit dieser Dame überhaupt nicht klar. Sie war einmal dazugekommen, wie sie ihn fast mit ihrem Stock geschlagen hätte. Wenig später betrat Sheriff Donna Hanscum ihre Wache. Sie zog sich ihre Uniform zurecht und ging zu ihrem Büro. „Mrs. Molina“, begrüßte sie die ältere Dame, die auf einem Stuhl auf dem Gang saß und den Chihuahua auf ihrem Schoß verhätschelte. „Seit wann ist das hier Sitte, eine Dame auf dem Gang warten zu lassen?“, schimpfte sie auch sofort los, kaum, dass sie Donna zu Gesicht bekam. „Da sich niemand allein in meinem Büro aufhalten darf, wenn ich nicht im Haus bin und Jenny Sie nicht mit ein paar Randalierern im Warteraum warten lassen wollte, war das hier die beste Alternative.“ „Ich hätte Ihnen schon nichts durcheinander gebracht!“ „Das glaube ich Ihnen gerne, aber es ist Vorschrift.“ „Hmpf“, machte die Dame eingeschnappt und starrte demonstrativ auf die Tür. Donna öffnete diese. „Kommen Sie doch herein“, bat sie Mrs. Molina und ging vor. „Möchten Sie einen Kaffee?“ „Nein, danke. Mein Herz. Und Sie sollten auch nicht so viel davon trinken!“ ‚Ich sollte so vieles nicht so viel‘, überlegte Donna und orderte bei Jenny einen Kaffee für sich. „Worum geht es denn heute?“, wollte sie gleich darauf wissen und setzte sich hinter ihren Schreibtisch. „Ich will, dass sie dieses räudige Vieh einschläfern lassen!“, forderte die alte Dame vehement. „Welches räudige Vieh?“, fragte der Sheriff, auch wenn es ihr fast klar war. „Die Töle von Ceesay!“ „Und warum? Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, sah er gesund aus.“ „Er wollte Cleopatra bespringen!“ „Deshalb kann ich ihn doch nicht einschläfern lassen!“ „Warum nicht? Ist ja nicht das erste Mal, dass der über Cleopatra herfällt!“ „Wie wäre es denn, wenn Sie Ihre Cleopatra sterilisieren lassen würden?“ „Was fällt Ihnen ein? Das wäre ja … als wenn … nein! Das ...“ Donna seufzte. Das konnte eine längere Diskussion werden. Dabei hatte sie doch wirklich Dringenderes zu tun, als dieser aufgeblasenen Alten das Ego zu streicheln. Rausschmeißen konnte sie sie allerdings auch nicht, denn sie war irgendwie mit dem Bürgermeister verwandt. Die Winchester-Brüder verbrachten einige Stunden in der Bibliothek. „Und?“, fragte Dean. Er klappte das Buch zu, in dem er gerade gelesen hatte. Sein Magen knurrte und wenn er sich den Campingplatz noch anschauen wollte, bevor sie die Nacht da verbrachten, sollten sie so langsam los. „Du willst los?“, stellte Sam ruhig fest. Er hatte auf alten Mikrofilmen nach Zeitungsausschnitten gesucht, in denen es um Hundeangriffe ging. „Wenn ich mir den Campingplatz noch ansehen will, ja.“ „Wir.“ „Was wir?“ Dean schaute etwas ratlos. „Wenn wir uns den Campingplatz noch ansehen wollen.“ Auch wenn ihm klar war, dass Dean hier wohl der Experte war, was das Lesen von Spuren anbelangte, so würde er ihn doch unterstützen. Ganz unbedarft war er ja auch nicht. „Wir“, bestätigte Dean. Sie packten zusammen und fuhren zum nächsten Diner. „Was hast du herausgefunden?“, fragte Dean seinen Bruder. „Es gab im Laufe der Jahre immer wieder mal Angriffe von Hunden. Aber Chupacabras sind erst seit Kurzem gesichtet worden.“ „Also sind die irgendwann hier wieder eingewandert?“, überlegte Dean laut. „Eigentlich sind die ja eher in Mittelamerika beheimatet. Aber wenn die Lebensbedingungen hier stimmen, warum nicht.“ „Seit wann werden die hier wieder gesichtet?“ „Erste ernstzunehmende Berichte hab‘ ich vor vier Jahren gefunden. Seitdem haben sie dreimal Menschen angefallen.“ „Das heißt, dass sie dreimal Junge hatten oder haben“, stellte Dean leise fest. „Müssen wir die auch noch jagen?“ So langsam fragte sich Sam worauf sie sich hier eingelassen hatten. „Die können sonst wo sein. Wölfe laufen weit, um ein neues Revier zu finden“, warf Dean ein. „Es sind nur keine Wölfe.“ „Nein. Ich wollte damit nur verdeutlichen, dass wir überall suchen könnten, ohne sie zu finden. Wir werden wohl warten müssen, bis sie irgendwo auftauchen.“ „Darum können sich andere Jäger kümmern. Wir sind nach diesem Fall definitiv raus!“, erklärte Sam mit Nachdruck. „Denkst du?“ Sam ließ den Kopf hängen. Sie hatten schon so oft versucht auszusteigen. „Ich bleibe bei meinem Plan mit den Sommerkursen“, erwiderte er leise. „Und was hast du rausgefunden?“ „Es gibt in der Gegend ein paar Höhlen, um die sich Gerüchte ranken, dass in einer in den Apachenkriegen ein oder mehrere Krieger, je nach Erzähler und Höhle, von der Armee mit Hunden gehetzt worden sein sollen. Er oder sie sollen in der Höhle Zuflucht gesucht haben. Die Hunde haben sie aufgestöbert und regelrecht zerrissen. Die oder den Körper haben sie in die Höhle geworfen“, erzählte Dean. „Und du meinst, dass es mit den Chupacabras zu tun haben könnte?“ „Ich glaube nicht. Es ist einfach nur ein interessanter Fakt, denke ich.“ „Und wenn nicht?“ „Dann haben wir es hier nicht mit Chupas zu tun, sondern mit wütenden Geistern. Wie die dann allerdings in Hundegestalt Menschen angreifen können, ist mir schleierhaft. Genauso wie die Tatsache, dass es bisher nur drei Angriffe gegeben haben soll.“ „Es können durchaus mehr sein. Nicht alles landet in den Zeitungen.“ „Na dann Prost Mahlzeit!“ Dean fuhr sich genervt durch die Haare. „Was meinst du?“ „Dann müssten wir sämtliche Höhlen absuchen, ob da irgendwelche Spuren zu finden sind und versuchen alle Knochen zu verbrennen. Ob wir wirklich alle nach so langer Zeit finden, wage ich zu bezweifeln! Da ist mir der Chupa schon lieber.“ Sam nickte. „Der sollte zu finden sein.“ „Und genau das werden wir jetzt auch!“ Dean erhob sich und ging ihr Essen bezahlen. Die Tür schloss sich hinter Mrs. Molina. Donna wartete noch, bis sie die nervige Frau über den Parkplatz zu ihrem Wagen gehen sah, bevor sich es sich gestattete erleichtert durchzuatmen. ‚Hoffentlich kam die nicht so schnell wieder!‘, betete sie und beobachtete die Frau weiter. Mrs. Molina lenkte ihren Wagen vom Parkplatz und Donna verließ endgültig ihr Büro. „Ich bin erstmal weg. Ich stelle mein Telefon auf lautlos, also wenn was ist … Ich schau hin und wieder mal drauf“, informierte sie Jenny. „Aber Sie können auch den Deputy anrufen.“ „Mach ich“, erwiderte Jenny mit einem erleichterten Lächeln. Auch sie war froh dieses keifende Wesen nicht mehr sehen zu müssen. Sheriff Hanscum verließ die Wache mit einem kurzen Gruß. Sie ging zu ihrem Wagen, um jetzt endlich zu dem Zeltplatz zu fahren. Auf dem Weg konnte sie in aller Ruhe über diese beiden Ranger nachdenken. Waren das wirklich Ranger? Irgendwie kamen die ihr nicht so vor. Doch was waren sie dann? Ein Verdacht stieg in ihre auf. Konnte das sein? Wenn ja, dann hatten sie hier ein ernstes Problem und sie musste sich wohl bei ihrer Tochter entschuldigen, denn sie hatte diese Geschichte nicht geglaubt. Aber wie auch. Zwar hatte sie schon einmal Kontakt zu einem Wesen, von dem sie sich sicher gewesen war, dass es das nur in den Filmen gab. Sie war eines Besseren belehrt worden. Aber hieß das jetzt, dass es alles gab, was die Filme an Albtraumgestalten hervorbrachten? Hatten die Drehbuchautoren diese Monster gesehen? Das wollte sie dann doch lieber nicht wissen. Außerdem brachten sie diese Gedanken jetzt nicht weiter. Suchend schauten sich die Winchesters auf dem Zeltplatz um. Sie hatten den Impala am, der Einfahrt gegenüberliegenden Rand so geparkt, dass er nicht direkt von der Straße zu sehen war. Sollte allerdings jemand auf den Zeltplatz kommen, würde er die schwarze Schönheit sehen, egal wo sie stand. „Und jetzt?“, fragte Sam. Er nahm sich seine Beretta aus dem Kofferraum und schaute sich um. „Ich denke wir drehen eine Runde um den Platz.“ „Du willst sehen, woher das Vieh gekommen ist?“ Sam sah sich nicht als der große Fährtenleser, auch wenn er es halbwegs konnte. Aber er hatte ja jetzt auch einen ehemaligen Wolf neben sich. Er grinste still. „Genau. Oder wir versuchen es erst anhand des Feuers.“ Dean deutete auf die Aschereste in einem Steinkreis. Der Jüngere nickte und gemeinsam gingen sie hinüber. „Die Kleine hat gesagt, dass sie das Vieh nicht kommen sah. Aber was hilft uns das, außer dass wir ausschließen können, dass sie mit dem Rücken zur Straße saß“, stellte Sam frustriert fest. Dean stand am Feuer und schaute sich um. „Also ich hätte mich wohl den Hang herunter angeschlichen“, sagte er leise und deutete auf die Bäume, die gegenüber der Straße wuchsen. „Der kürzeste Weg um anzugreifen?“, mutmaßte Sam. Er umrundete die Feuerstelle langsam. „Und den Wind nicht im Rücken. Der Wind kommt meistens von da“, er deutete in östliche Richtung, den Berg hinab. Sam bückte sich und hob etwas auf. „Eines der Mädchen hat hier gesessen.“ Er hielt seinem Bruder eine zierliche, silberne Kette hin, an der ein Anhänger in Form eines halben Herzens hing. „Und die andere dann wohl ihr gegenüber.“ Dean schaute den Hang hinauf. Unbewusst machte er einen Schritt, um wieder etwas mehr Abstand zwischen sich und Sam zu bringen. „Gabriella trug keine Kette. Allerdings können sie ihr die auch bei den Untersuchungen abgekommen haben.“ Der jüngere Winchester nickte. „Dann wohl doch die Runde um den Zeltplatz.“ Wortlos, die Hände in den Jackentaschen vergraben, lief Dean los. Sam folgte ihm mit etwas Abstand. Hier war ein Profi am Werk und das wollte er nicht stören, außerdem hatte er dessen Schritt sehr wohl bemerkt. Leise keuchend blieb Donna unter den Bäumen am Rand des Campingplatzes stehen. Sie hatte ihren Wagen ein gutes Stück unterhalb geparkt und war das letzte Stück gelaufen. Schließlich wollte sie sich nicht sofort verraten. Sie ließ ihren Blick über den Zeltplatz schweifen. Sofort fiel ihr Blick auf einen schwarzen Straßenkreuzer. War das der Wagen der Ranger? Wollten die hier nicht die Nacht verbringen? Wo war ihr Zelt? Aber eigentlich wollten sie hier ja nicht schlafen, sondern nach einem, was auch immer, Ausschau halten, oder? Sie schaute sich weiter um und sah die beiden Männer im Wald verschwinden. Da war sie wohl gerade rechtzeitig gekommen? Ein kleines Glücksgefühl machte sich in ihrer Brust breit. Kaum waren die Männer endgültig unter den Bäumen verschwunden, lief sie am Rand des Platzes entlang zu der Stelle. Es war nicht gerade einfach den beiden zu folgen, aber auch nicht unmöglich. „Hier ist alles und nichts zu finden“, resignierte Dean. Eine Woche nach dem Angriff waren die Spuren längst verwischt, und außer Sams leisem Keuchen konnte er auch nichts hören, oder doch? Lauschend legte er den Kopf schief. „Irgendwer kriecht hier noch rum“, stellte er leise fest. „Wir werden verfolgt?“ „Klingt so.“ „Mensch oder ...“ „Mensch. Ein nicht wirklich fitter Mensch.“ Dean grinste kurz. „Sollten wir ihn nicht besser vertreiben?“ „Hier ist nichts offensichtlich Gefährliches. Mal abgesehen davon, dass es öffentliches Gebiet ist. Was willst du ihm denn sagen?“ „Auch wieder wahr. Also konzentrieren wir uns auf den Chupacabra?“ Dean nickte kurz. „Bleibt die Frage, wie wir ihn finden.“ Er ließ seinen Blick durch das Gehölz schweifen. „Du hast doch was von Höhlen erzählt“, begann er gleich darauf. „Ja, es soll hier einige geben.“ Sam holte sein Handy hervor und suchte die gespeicherten GPS-Daten heraus. „Von Zweien hab‘ ich die Daten gespeichert. Zu mehr reichte die Zeit nicht.“ „Lass uns erstmal die beiden kontrollieren. Danach sehen wir weiter.“ Nickend gab Sam die ersten Koordinaten in ein Ortungsprogramm ein. „Da lang“, sagte er und deutete in eine Richtung. Dean machte eine einladende Handbewegung, um seinem Bruder den Vortritt zu lassen. Da er nicht wirklich darauf achten musste, wohin er ging, konnte er sich ganz auf die Geräusche der Umgebung konzentrieren. ‚Schon erstaunlich, wie sich das Gehör anpassen konnte‘, überlegte er. Mittlerweile gelang es ihm sogar Sams Schritte fast komplett auszublenden. Lag das wirklich nur an der Gewöhnung? Aber wie? Bevor er in den Schneesturm geflüchtet war, war ihm alles zu laut gewesen und nach der Lungenentzündung hörte er wieder normal? So ganz wollte er nicht an die wundersame Heilung glauben, zumal er das wesentlich empfindlichere Wolfsgehör ja nutzen konnte. Aber wer hatte dann seine Finger im Spiel? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Er wollte nicht darüber nachdenken. Er wollte diesen Fall beenden und sich dann darauf konzentrieren auch noch den Rest des Vegas-Traumas zu überwinden um die Zeit mit Sam genießen zu können, denn wenn sie erst ihrer eigenen Arbeit nachgingen, würde die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten wohl ziemlich zusammenschrumpfen. Nein! Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken! Er verbannte diese Vermutungen aus seinem Kopf. und genoss einfach, dass er hier nichts denkend durch den Wald laufen konnte. Kapitel 218: Chupacabra ----------------------- 218) Chupacabra „Mist“, fluchte Sheriff Hanscum leise. In ihren Bemühungen den Männern zu folgen, hatte sie nicht wirklich darauf geachtet, wohin sie trat und war jetzt auf einem losen Stein weggerutscht. Sie lehnte sich an einen Baum und massierte sich den schmerzenden Knöchel. Vorsichtig versuchte sie aufzutreten. Es ging ganz gut. Vorerst. Plötzlich knurrte etwas neben ihr. Hastig fuhr sie herum , versuchte ihre Waffe zu greifen und zu schießen, doch sie war zu langsam. Etwas riesiges, schmutzig Graubraunes schoss auf sie zu und verbiss sich in ihrer Pistole, die sie,um ihre Kehle zu schützen, hochgerissen hatte. Sie schob die Waffe noch etwas weiter in das Maul dieses Monsters, drehte sie und hoffte, dass sie sich so schützen konnte. Das Vieh versuchte immer wieder zuzubeißen, doch die Waffe hinderte es daran. Wütend verdoppelte es seine Bemühungen und begann außerdem noch mit den Pfoten zu scharren. Donna war in einer Zwickmühle. Ließ sie die Waffe los, würde das Vieh sie schnell fallenlassen und wäre wieder hinter ihr her, hielt sie sie fest, zerkratzte es ihr langsam aber sicher den Bauch. Aber egal wie, lange würde sie hier so oder so nicht mehr durchhalten. „Verdammt“, schimpfte der ältere Winchester plötzlich und fuhr herum. So schnell er nur konnte, sprintete er den Weg zurück, den sie gekommen waren. Irgendetwas war knurrend über ihren Verfolger hergefallen. Er musste ihm helfen, denn das was er da zu hören bekam, klang alles andere als gut. Sam wollte gerade fragen was denn los sei, als er einen Schrei vernahm. Ohne ein weiteres Wort rannte er hinter seinem Bruder her. In vollem Lauf riss Dean seinen Colt aus dem Bund. Er wurde erst langsamer, als er die zwei Körper am Boden sah. Schnell erfasste er, wer da miteinander kämpfte. Er verkürzte die Entfernung noch um ein paar Schritte, um sicherer zielen zu können und drückte ab. Kugel um Kugel traf den Chupacabra, doch erst die vierte ließ ihn über Sheriff Hanscum zusammenbrechen. Sam hatte seinen Bruder während der letzten Schüsse erreicht. Zusammen liefen sie zu dem Knäuel aus Körpern. „Sheriff Hanscum! Was machen Sie denn hier?“, fragte Sam, wohl wissend, dass sie verfolgt worden waren, nur nicht von wem und zog den Chupabara mit seinem Bruder zusammen von ihr herunter. „Wo hat er sie erwischt?“, versuchte Dean nun ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und begann sie zu untersuchen. „Ich ...“, stotterte sie und schlug um sich, bemüht sich von seinen Händen zu befreien. „Sheriff! Bitte!“ Sie hielt inne und musterte ihn. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass der Angriff vorbei war und die beiden Männer ihr helfen wollten. Sie ließ es zu, dass sie sie auf die Füße zogen und noch einmal genau untersuchten. „Wir bringen Sie besser ins Krankenhaus“, erklärte Dean leise. „Nein … ich … das geht schon“, versuchte sie die Hände abzuwehren. „Ist es tot?“ Ihr Blick huschte immer wieder zu dem Chupacabra. Dean schob sie sanft in Sams Hände, nicht dass sie wieder zu Boden ging, sie sah alles andere als stabil aus, und ging zu dem Kadaver. Er zog seinen Colt aus dem Bund und feuerte noch zwei Kugeln in den Kopf des Tieres. „Jetzt ist er es definitiv!“, erklärte er ruhig und hockte sich neben den toten Körper. Vorsichtig strich er mit der Hand über das struppige Fell auf dem Rücken. Er hatte mal gelesen, dass die … Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Musst du den jetzt noch streicheln? Du hast ihn gerade erschossen“, stellte Sam mit einem Blick auf seinen Bruder etwas ungläubig fest und wandte sich sofort wieder der verletzten Frau zu. „Hab ich‘s doch gewusst“, grinste der Ältere. Jetzt hatte er Sams ganze Aufmerksamkeit. „Was?“ Und auch Sheriff Hamscum schaute auf. Vorsichtig schob Dean seine Hand im Fell quer über den Rücken, um sie dann langsam in Richtung Kopf zu bewegen. Große harte Stacheln richteten sich auf. Sam keuchte. „Wenn den einer versucht von hinten anzugreifen, reißt der sich das Maul auf. Fast wie ein Urson, ein Baumstachelschwein, dass überall am Körper kleine fiese Stacheln hat“, erklärte Dean. „Woher weißt du das?“ „Erfahrungen, Sammy.“ Dean grinste kurz, wurde aber sofort wieder ernst und ließ seinen Blick über den Sheriff gleiten. „Wie sieht es aus?“ „Die Wunden sind nicht tief und wohl auch nicht gefährlich, aber sie sollten gereinigt und verbunden werden, bevor sie sich entzünden.“ „Also bringen wir sie ins Krankenhaus?“ „Nein! Ich bin okay!“, erklärte sie mit fester Stimme. „Sheriff, bitte. Das sieht zwar nicht so schlimm aus, kann aber schlimm werden!“, versuchte Sam es eindringlich. „In meinem Wagen hab ich Verbandszeug! Ich werde jetzt auf keinen Fall ins Krankenhaus fahren und sie hier draußen lassen. Das Vieh ist gefährlich und ich bin es auch meiner Tochter schuldig, dass ich das hier beende!“ „Darum kümmern wir uns“, versuchte Dean sie umzustimmen. „Nein! Ich bin der Sheriff und das hier ist mein Revier. Ich ...“ „Es ist unser Job sich um diese Dinger zu kümmern. Wir erledigen das hier und verschwinden wieder.“ „Sie erledigen das und verschwinden wieder?“, wiederholte sie den Satz und ließ ihn sich regelrecht auf der Zunge zergehen. „Sie sind nicht vom Wildlife Service. Sie sind Jäger.“ „Wir sind …“, wollte Dean ihr widersprechen. „Sie hatten schon mal mit einem Jäger zu tun“, bestätigte Sam ihre Feststellung indirekt und fing sich einen wütend fragenden Blick seines Bruder ein, den er mit einem kurzen Schulterzucken beantwortete. Der Ältere wandte sich leise grummelnd ab und begann ein paar stärkere Äste zu holen, um den Kadaver zu bedecken. Sam grinste kurz. Er meinte ein „Erzähls doch gleich allen“, gehört zu haben, war sich aber nicht ganz sicher und wandte sich wieder dem Sheriff zu. „Wir gehen erst mal zum Campingplatz zurück und versorgen Ihre Wunden. Danach sehen wir weiter.“ Vielleicht kam sie ja noch zur Einsicht, dass sie das hier den Profis überlassen konnte, und stimmte dem Krankenhaus zu. „Wo oder wann haben Sie von Jägern erfahren?“, fragte der jüngere Winchester gerade heraus. Er hatte seinen Arm so um den Sheriff gelegt, dass er sie jeder Zeit auffangen konnte, sollten sie die Kräfte verlassen. Dank seines Gehörs bekam Dean die Frage wunderbar mit, und das obwohl er ihnen in einigem Abstand folgte, und dabei die Umgebung nicht aus den Augen ließ. Er schnaubte kurz, war ja klar, dass sein kleiner Bruder, nachdem er sie quasi geoutet hatte auch wissen wollte, woher sie von ihnen wusste. Obwohl? Interessieren würde ihn das auch. „Ich war noch nicht lange Deputy als wir auf eine alte Jagdhütte aufmerksam gemacht wurden, in der Schwarzbrenner sein sollten. Wir, also Evan, auch ein Deputy, Sheriff Buckmiller und ich sind der Sache nachgegangen. Es waren keine Schwarzbrenner. Es waren Vampire. Doch das haben wir erst bemerkt, als es schon fast zu spät war. Das heißt, für den Sheriff war es zu spät. Er hatte die Hütte kaum betreten, als ihn schon eines dieser Dinger gebissen hatte. Evan und mich haben sie überwältigt und in eine andere Hütte verschleppt. Nach unserer Befreiung erfuhren wir, dass der Suchtrupp so ziemlich überall gesucht hatte. Leider waren sie noch nicht bis zu uns vorgedrungen. Das hätte wohl noch Tage gedauert, bis sie uns gefunden hätten und ich will mir nicht vorstellen, ob wir das überstanden hätten. Aber eigentlich hat es auch Evan nicht überstanden. Er hat gekündigt, kaum dass er aus dem Krankenhaus raus war und arbeitet jetzt in einer Fabrik am Fließband. Er lebt bei seiner Mutter und außer zum Arbeiten traut er sich kaum aus dem Haus, seitdem.“ Sie seufzte leise. „Und wie sind sie da raus gekommen?“, hakte Sam ruhig nach. Er wollte nicht, dass sie immer tiefer in den trüben Gedanken versank. „Zwei Tage waren seit unserer Entführung vergangen. Ein Mann stand plötzlich in der Hütte. Er hat den Vampiren den Kopf abgeschlagen und uns da raus geholt. Er hat uns bis zum Krankenhaus gebracht, uns erklärt, dass wir erzählen sollten, dass wir die Schwarzbrenner zu einer anderen Hütte verfolgten und erwischten und die diese Hütte in Brand gesteckt haben. Der Sheriff ist dabei tödlich verletzt worden und durch die folgende Explosion konnten wir ihn nicht mehr rausholen.“ „Hat der Jäger gesagt, wer er war?“, wollte Sam jetzt wissen. „Rufus Tanner. Ich hab ihn auf dem Weg ins Krankenhaus ein wenig ausgefragt. Sehr gesprächig war er ja nicht.“ „Rufus Turner“, verbesserte Sam sie. „Turner, stimmt.“ Donna lächelte ihn an. Die Zwei hatten ihr zwar das Leben gerettet, so ganz sicher war sie sich nicht gewesen, dass sie nicht zu viel verraten hatte, mit ihrer Erzählung. Aber sie hatten den kleinen Test bestanden. Sie hatte wohl Glück gehabt. Das letzte Stück bis zum Parkplatz schwiegen sie. „Wir sollten sie wirklich in ein Krankenhaus bringen“, versuchte Sam sie noch einmal umzustimmen. „Wir haben hier kein Verbandszeug.“ „Ich habe welches in meinem Wagen“, erklärte sie erneut. „Und wo ist der?“, demonstrativ schaute sich der ältere Winchester um. „Zweihundert, dreihundert Meter die Straße runter“, sagte sie mit einem Grinsen und warf Dean den Schlüssel zu. „Ich brauch nur ein paar Minuten und etwas zu Trinken, dann geht’s schon wieder.“ Dean starrte ungläubig auf den Schlüssel in seiner Hand. „Ich soll Ihren Wagen herholen?“ Sie war in Uniform! Das hieß, er sollte einen Polizeiwagen fahren! „Und? Sie können doch autofahren, oder?“ „Können schon!“ „Ich bin hier County-Sheriff und ich erlaube es Ihnen. Es ist ein Notfall.“ „Okay?!?“ So ganz sicher war sich Dean noch nicht, aber er lief los. Als er wenige Minuten später wieder auf den Zeltplatz kam, hatte sie etwas getrunken und sah auch schon viel besser aus. Sam war gerade dabei, die Wunde mit Wasser zu reinigen. „Das nenne ich Timing“, lachte er. „Und? Hat der Wagen gebissen?“, wollte Donna grinsend von dem Älteren wissen. „Das nicht!“, erklärte er. „Wohl habe ich mich darin aber auch nicht wirklich gefühlt.“ „Warum? Sitzen Sie sonst eher hinten?“ „Selten, sehr selten“, erwiderte Dean leise und grinste kurz. „Wo ist der Verbandskasten?“ Donna grinste ebenfalls kurz, ob des abrupten Themenwechsels. „Im Kofferraum.“ Dean holte ihn und hielt ihn dann so, dass sein Bruder die Wunden noch einmal richtig desinfizieren und danach mit Pflaster abdecken konnte. „Und Sie wollen wirklich in kein Krankenhaus, Sheriff?“, fragte er noch einmal eindringlich. „Nein. Ich will mitkommen. Das hier ist mein Revier und ich bin es den Menschen hier, ich bin es meiner Tochter schuldig, dass ich dabei bin! Ich werde sie nicht die ganze Arbeit machen lassen und mich ausruhen!“, redete sie sich in Rage. Die Winchesters warfen sich einen ihrer so vielsagenden Blicke zu und nickten dann. „Okay! Aber Sie bleiben hinter uns!“, gab sich Sam mehr oder weniger geschlagen. „Wir wissen hier von zwei Höhlen. Können Sie uns mehr darüber erzählen?“, wollte Dean auch sofort von ihr wissen. Sie hatten eine einheimische Quelle, warum die nicht nutzen? „Es gibt mehr als nur zwei.“ „Wissen Sie auch wo genau die alle sind.“ „Moment, ich habe ein Karte im Wagen“, sie lief zu ihrem Fahrzeug, öffnete die Beifahrertür, holte die Karte aus dem Handschuhfach und breitetet sie am Fenster der Beifahrertür aus. Schnell griff Sam zu und hielt die eine obere Ecke an der C-Säule fest, während Dean das Gleiche mit der andere an der B-Säule machte. Donna lächelte, zog einen Stift aus ihrer Jacke und begann Kreise zu ziehen. „Hier, hier und hier. Hier ...“ „Wie viele denn noch?“, stöhnte Dean und sah seine Hoffnung, das ganze heute noch abzuschießen, schwinden. „In der Nähe des Zeltplatzes sind es sechs, vielleicht sieben. Im Umkreis des Ortes zwölf und wenn wir den gesamten Kreis nehmen, dann 37. Von denen sind allerdings fünf verschüttet.“ „Das mindert die Zahl ungemein“, stöhnte Dean sarkastisch. „Kümmern wir ins erst mal um die Höhlen hier in der Umgebung oder was denkst du wie weit so ein Chupacabra läuft, um Beute zu machen?“, fragte Sam seinen Bruder. „Solange sie noch nicht sicher auf den Beinen sind, wird er sich wohl nicht weit entfernen. Je sicherer sie werden, umso weiter werden die Kreise, wenn sie die Höhlen nicht immer wieder komplett wechseln.“ „Sie wissen mehr über diese Chupacabras?“, wollte Donna interessiert wissen. „Nein, aber ich hab mich eingehender mit Wölfen befasst.“ ‚Befasst‘ Sam grinste breit. So konnte man das auch umschreiben. Kapitel 219: Erfolg und Misserfolg ---------------------------------- 219) Erfolg und Misserfolg Plötzlich schnarrte Donnas Funkgerät. Dieses Geräusch kam so vollkommen unerwartet, dass selbst der Sheriff zusammenzuckte. Sie umrundete den älteren Winchester und beugte sich in den Wagen. „Sheriff Hanscum hört“, meldete sie sich und setzte sich auf den Beifahrersitz. Während Donna versuchte Jenny aus der Ferne zu helfen, begann Sam die Daten der Höhlen in seinem Handy zu speichern. Langsam rückte er dabei immer näher an Dean heran und drängte ihn so gegen die offene Beifahrertür. Als dann auch noch Donna ihr Gespräch beendete und wieder aussteigen wollte, war das für den Winchester zu viel. Sein Herz begann zu rasen. Sein Brustkorb schien mit einem Mal wie eingeschnürt und unfähig seinen Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Er pumpte immer hektischer nach Luft. „Dean!“, versuchte Sam diesen verhängnisvollen Kreislauf noch zu unterbrechen, bevor … Zu spät! Dean gab mit jedem verzweifelten Versuch richtig einzuatmen ein klägliches Japsen von sich. Sam kniff verzweifelt die Augen zu. Wie sollte er helfen? Sonst konnte er ihn mit seiner Nähe und Ruhe beistehen, doch jetzt? Dieser Anfall war eindeutig durch seine Nähe verursacht worden. Egal wie gut es Dean gerade noch gegangen war, seine Attacken in Vegas wirkten noch nach. Und er hatte so gehofft, dass das ausgestanden wäre. ‚Verdammt!‛, fluchte er stumm. Vorsichtig umfasste er Deans Handgelenke und drehte ihn zu sich. „Ganz ruhig Dean. Ich bins, Sam! Okay? Atme mit mir! Ein – Aus – Ein – Aus.“ Sam versuchte so ruhig wie nur möglich zu bleiben, obwohl auch ihm das Herz bis zum Hals schlug. Hoffentlich klappte das hier! „Ein – Aus“ Und endlich wurde auch Deans hektisches Japsen leiser und er schaffte es immer besser durchzuatmen. Die Panik verschwand aus seinen Gesichtszügen. Er löste sich von Sam und flüchtete regelrecht aus dessen Nähe. Ja sein kleiner Bruder hatte ihm gerade geholfen und doch fühlte er sich unwohl in dessen Nähe. Hoffentlich gab sich das bald wieder! Er war doch sein Sammy! Sein kleiner Bruder! Er war doch früher nicht so wehleidig gewesen! Mit staksigen Schritten lief Dean neben dem Wagen auf und ab, immer darauf bedacht seinem Bruder nur nicht zu nahe zu kommen. Sam musste sich beherrschen, um nicht zu ihm zu gehen. Er wollte ihm helfen, wollte ihm die Stütze sein, die sein Bruder ihm so oft gewesen war, doch er wusste, dass das genau der falsche Weg wäre, denn es war seine Nähe, die diese Attacke ausgelöst hatte. Hilflos schaute er zu, wie sein Bruder einige Meter vor ihm stehen blieb, sich nach vorn beugte und die Hände auf den Oberschenkeln abstützte. Langsam und tief atmete Dean immer wieder durch, bis er fühlen konnte, dass sich auch sein Herzschlag normalisierte. Donna schaute von einem zum anderen. Sie wusste nicht genau wie die Zwei zueinander standen, aber sie schienen sich schon ewig zu kennen. Zumindest las sie das aus dem Gesicht des Größeren. Der schaute so flehentlich zu seinem Partner, dass das wohl nicht zum ersten Mal passiert war und er sich die Schuld dafür gab. Warum wohl? Das würde sie schon interessieren. Endlich fühlte sich Dean in der Lage wieder auf seinen Bruder zuzugehen. Er richtete sich auf und machte einen Schritt. Augenblicklich legte sich ein Strahlen auf Sams Gesicht und er kam ihm ebenfalls einen Schritt entgegen. Sofort erstarrte Dean in seiner Bewegung. Bedauernd schüttelte er den Kopf. Er konnte es nicht. Er konnte diese Nähe noch nicht wieder zulassen und er wusste, dass wenn Sam auch nur noch einen Schritt weiter auf ihn zumachte, er flüchten würde. Er verstand ja, dass Sam ihm helfen wollte und er verstand auch, dass es nicht Sams Schuld war. Er gab sie ihm nicht einmal. Trotzdem konnte er diese Reaktion nicht steuern. Sie würden einfach abwarten müssen, bis sich das wieder gab. Der Jüngere nickte und wartete, bis Dean sich ihm von sich aus näherte und er wollte, er musste sich damit begnügen, was er an Nähe zuließ, auch wenn der, jetzt beträchtlich größere, Abstand doch schmerzte. Als Dean nun zur Karte kam, trat er bewusst einige Schritte zurück. „Können sie mir die Höhlen nochmal zeigen, ich ...“, wandte sich der Ältere an den Sheriff. Donna nickte und wiederholte ihre Aufzählung der Höhlen. „Okay, wir haben vielleicht noch zwei, maximal drei Stunden Tageslicht. Nehmen wir uns die drei vor, die hier in der Nähe sind, das sollten wir schaffen.“ Er rutschte ein Stück zu Seite, damit auch Sam sehen konnte, was er vor hatte. Der nickte. „Und was ist mit Ihnen?“, wollte er jetzt vom Sheriff wissen. „Das ist ein ziemlicher Marsch. Wollen Sie sich das wirklich antun?“ „Ich hab jetzt so oft ja gesagt, dass ich selbst wenn ich es wollte, keinen Rückzieher mehr machen kann, ohne mein Gesicht zu verlieren“, sie grinste etwas verlegen, „aber nein, ich will nicht ins Krankenhaus und ich will nicht hier bleiben und Däumchen drehen müssen. Ich bin dabei.“ Sam holte tief Luft. Er schaute zu Dean. Auch der signalisierte sein Okay und auch er war davon nicht wirklich begeistert. Er trat langsam an die Karte heran und deutete noch einmal auf die Höhlen, die er heute noch ansteuern wollte. Danach packte Sam eine Flasche Wasser in seinen Rucksack. Sie luden ihre Waffen mit Silberkugeln. Sicher war sicher, und stecken sie sich in den Hosenbund. „Sie bleiben möglichst zwischen Sam und mir!“, bat Dean den Sheriff, auch wenn sie diese Bitte eher wie ein Befehl anhörte. Donna nickte. Sie sah ein, dass sie hier eher eine Außenstehende war und wollte den Beiden so wenig wie möglich im Weg stehen. Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt, als sie die letzte Höhle erreichten. Sie hätte Dean, als Wolf, auch gefallen, aber der Eingang war so groß, dass ein Mensch, gebückt zwar, aber doch relativ bequem hineingelangen konnte. Er hätte sie für seine Familie nicht genommen, mochte sie noch so viele Annehmlichkeiten in sich bergen. „Ich hätte sie nicht genommen“, sagte er dann auch leise zu Sam, ging aber trotzdem ein paar Schritte hinein und hielt inne. Es sieht fast so aus, als ob er lauschen würde, überlegte Donna. Das hatte er bei den anderen Höhlen auch schon getan! Aber was wollte er hier draußen hören? Dieser Mann wurde immer mehr zum Rätsel. Waren seine Ohren so gut? „Hier könnte was sein“, erklärte Dean leise. „Aber ich weiß nicht was.“ „Gehen wir rein?“, fragte Sam und zog seine Waffe aus dem Bund. Dean nickte. Er zog seine Waffe aus dem Bund und begann sie noch einmal zu kontrollieren. Währenddessen legte Sam seinen Rucksack neben den Höhleneingang und widmete sich dann ebenfalls seiner Waffe. „Können Sie hier bleiben und uns den Rückzug decken?“, versuchte Dean den Sheriff davon abzuhalten, mit ihnen in die Höhle zu kommen. Er rechnete mit Gegenwehr, doch zu seiner Überraschung stimmte sie ihm zu. Die Wunden an ihrem Bauch juckten, sie fühlte sich müde und ausgelaugt. Nie hätte sie gedacht, dass sie das bisschen Klettern so mitnehmen würde. Ja, sie hatte ein paar Pfund zu viel auf den Rippen, aber das war noch nie ein Hindernis gewesen. Sie war fit, doch das hier war ein anderes Kaliber. Vor allem wenn sie sich vor Augen führte, dass die zwei Ranger, oder was immer sie sonst waren, noch nicht mal schneller atmeten. Vielleicht sollte sie ja doch auf ihren heißgeliebten Kuchen verzichten? Sie zog ihre Waffe aus dem Holster, nahm den Rucksack und ging zu einem Baum, gleich in der Nähe des Höhleneinganges, von dem aus sie das Geschehen hoffentlich gut im Blick haben würde. Am den Stamm gelehnt, ließ sich sich nieder. Sam warf ihr noch einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte er sich ganz auf seinen Bruder. „Können wir?“, wollte der wissen und leuchtete schon mal die Höhle aus, soweit er schauen konnte. Sam nickte. Er holte seine Taschenlampe aus der Jacke und schaltete sie ein. Kurz schaute er zu Dean und nickte auffordernd. Gemeinsam drangen sie in die Höhle vor. Leises Knistern und Knirschen drang an Deans Ohr. Einen Augenblick hielt er inne und versuchte diese Geräusche zu orten. Sollten sie hier wirklich weitergehen? Sollte er Sam dieser Gefahr aussetzen? Allerdings sah keiner der Felsbrocken, die hier herumlagen, so aus, als wäre er gerade erst heruntergekommen. Warum sollte es dann genau jetzt zu einem Steinschlag kommen? „Was ist?“, wollte Sam wissen. Doch Dean stoppte ihn mit einer Handbewegung. Von weiter vorn drang leises Fiepen an sein Ohr. „Ich denke, die sind da drin“, wisperte der Ältere und lief weiter. Immer wieder mussten sie über Steine und Balken steigen. Das hier schien mal eine Mine oder eher ein weiterer Unterschlupf von Schwarzbrennern gewesen zu sein, überlegte Sam und nahm sich vor auf dem Rückweg mal mit dem Sheriff darüber zu sprechen, ob es die immer noch gab und ob sich so was überhaupt lohnte. Zu Zeiten der Prohibition ja, aber jetzt? Dean erstarrte und Sam musste sich wieder auf seinen Bruder konzentrieren, nicht dass er noch in ihn hinein lief. „Wir sind ziemlich dicht dran“, wisperte der Ältere. Sam nahm seine Waffe in Anschlag und nickte. Gemeinsam schlichen sie die letzten Meter. Der Gang machte eine Biegung. Dean deutete nach weiter links. Sam nickte. Der Ältere zählte mit den Fingern von drei herunter. Mit ihren Waffen im Anschlag stürmten sie um die Ecke und feuerten sofort. Die ersten Treffer schienen die Fähe kaum zu beeindrucken. Sie sprang auf. Dean warf sich zur Seite und prallte mit der Schulter gegen einen Stützpfeiler, der unter diesem Aufprall mitsamt dem Winchester zu Boden ging. Die Chupacabra-Fähe stürzte sich auf Sam und riss ihn zu Boden. Noch im Fallen feuerte Sam weiter. Einige Kugeln schlugen in den weichen Bauch. Auf dem Boden liegend schoss er noch zwei Kugeln direkt von der Unterseite des Mauls in den Schädel. Das Tier brach tödlich getroffen über ihm zusammen. Währenddessen hatte sich Dean wieder aufgerappelt. Seine Waffe nachladend trat er zu den Welpen und schoss jedem von ihnen in den Kopf. Dann trat er zu Sam und zerrte den Kadaver von ihm herunter. „Musst du dem Sheriff alles nachmachen?“, fragte er grinsend. „So toll ist ein Chupacabra doch nun wirklich nicht zum Kuscheln.“ „Ach halt die Klappe“, grummelte Sam. „hilf mir lieber raus. Das Vieh ist schwer.“ Gemeinsam zogen und schoben sie die Fähe zur Seite. Dean hielt seinem Bruder die Hand hin und zog ihn auf die Beine. „Mal abgesehen davon“, begann Sam und schlug sich ein wenig von dem Dreck von seiner Kleidung, „wer hat schon die Chance mit einem Chupacabra zu kuscheln?“ Dean verzog das Gesicht. Auf diese zweifelhafte Freude konnte er gut verzichten. Aus dem Augenwinkeln sah Sam wie ein weiterer Stützbalken zur Seite kippte. Er zerrte seinen Bruder zu sich. Dean trat auf den Kadaver und kam ins Straucheln. Ein Teil der Decke brach herunter und begrub das Wurflager der Chupacabras. „Raus hier“, brüllte Dean während er an der Wand neben Sam sein Gleichgewicht zurückzuerlangen versuchte. Er fasste Sam am Arm und drehte ihn in Richtung Ausgang. Über Steine und Schutt springend rannten sie so schnell sie das in dem zuckenden Licht ihrer Taschenlampen verantworten konnten zum Ausgang. Dem Dominoeffekt, mit dem die fast vollkommen verrotteten Balken jetzt nachgaben, konnten sie nicht entkommen. Ein paar Meter vor dem Ausgang hatte die herunter brechende Decke sie erreicht. Dean sprang. Er würde es eh nicht mehr schaffen, aber er konnte Sam das letzte Bisschen Schwung mitgeben, damit der überlebte! Er rammte sich in Sams Rücken und trieb den so aus der Höhle. Im Fallen sah er eine Nische. Er landete auf dem Boden und rollte sich zur Seite. Vielleicht, wenn Sam schnell Hilfe holen konnte … Kapitel 220: Gefunden --------------------- 220) Gefunden Sam stolperte aus der Höhle. Hustend kam er zum Stehen. Er hörte das Rumpeln und Poltern hinter sich und er sah das entsetzte Gesicht Donnas. Eisige Finger krochen ihm über den Rücken. Wollte er wirklich wissen, was da hinter ihm passierte? Wollte er Schrödingers Katze töten? Nein! Aber er wollte seinen Bruder an seiner Seite wissen! Langsam drehte er sich um und erstarrte. Das was er sah, war schlimmer, als alles was er sich hätte ausmalen können! Sein Denken setzte aus. „DEAN!“ Sam sprang regelrecht nach vorn. Er musste ihm helfen! Er musste seinen Bruder da rausholen! Ein fester Handgriff umklammerte sein Handgelenk und hielt ihn zurück. Wütend drehte sich Sam um. „Lassen Sie mich gehen“, fauchte er. „Du kannst ihm jetzt nicht helfen. Du bringst dich nur selbst in Gefahr“, antwortete Donna eindringlich. „Das wäre es mehr als wert! Er ist mein Bruder und ich muss ihm helfen!“, erklärte Sam wütend, nickte aber auch fast sofort. Tränen standen in seinen Augen. Er musste untätig mit ansehen, wie immer mehr Schutt aus dem Höhleneingang quoll. Von seinem Bruder war nichts zu sehen. Donna hatte ihr Handy aus der Tasche gezogen und wählte den Notruf. „Ein Mineneinsturz, nördlich vom Crazy Horse Creek“, erklärte sie eindringlich. „Eine Person wurde verschüttet.“ Mehr musste Sam nicht hören. Hilfe war unterwegs. Würde sie noch rechtzeitig eintreffen? Noch immer polterte einige Steine von der Decke und rollten und hüpften über den Schutt nach draußen und den Hang hinunter. Sam wartete nicht, bis keine Gefahr mehr drohte. Kaum dass einmal keine Steine aus dem Eingang purzelten, stürzte er los. Aber wo sollte er anfangen? Wo lag Dean? Er hatte den Stoß, der ihn aus der Gefahrenzone beförderte, fast mittig in den Rücken bekommen, eher rechts, aber lag Dean da? Hatte er sich vielleicht zum Rand des Einganges rollen können? Aber an welchen Rand? Wo lag er? Er musste ihm doch helfen! Er … Sie wollten doch leben! Mühsam blinzelte er gegen die Tränen an, die sich in seinen Augen bildeten und ihm die Kehle zuschnüren wollten. Egal wie: Er musste seinen Bruder wieder haben! Hilflos schaute er sich um. Wo sollte er nur anfangen? Wo würde er alles schlimmer machen? Links neben ihm schimmerte etwas Helles durch das Geröll. War das Deans Taschenlampe? Hatte er sie bei sich? War sie nur dahin gerollt und Dean lag ganz wo anders? Es war zum Verzweifeln! Er konnte sich einfach nicht entscheiden, doch er musste etwas tun! Er konnte nicht warten! Ohne nachzudenken wandte er sich nach links und begann Steine und Stützbalken wegzuzerren. Aber was, wenn Dean auf der anderen Seite lag, oder noch schlimmer: Genau unter ihm? Unwirsch knurrend schob er den Gedanken beiseite. So würde er überhaupt nicht beginnen und Dean garantiert verlieren! Also warf er Steine beiseite und schob mit den Händen Sand und Staub weg. Egal wie sehr er sich seine Hände und Knöchel aufschrammte. Völlig egal, ob er sich die nächsten Wochen nur noch durch einen Trinkhalm ernähren konnte weil er unfähig war zuzufassen. Egal, ob er sich die Finger brach oder er sich die Schienbeine zerschlug und die Hosen zerfetzte. Alles war ersetzbar oder würde heilen. Alles! Wenn er nur Dean nicht verlor! Er bemerkte kaum, dass Donna auf der rechten Seite ebenfalls Steine und Schutt beiseite räumte. Irgendwo in der Ferne erklang das typische Klopfen eines Hubschraubers, zuerst kaum hörbar bei dem Krach, den sie selbst machten, doch es wurde stetig lauter. Donna kletterte über die Steine, die sie aus dem Höhleneingang befördert hatten und lief ein paar Meter weiter, bis zu einer Stelle, an der die Bäume weiter auseinander standen. Sie zündete eine Leuchtfackel, warf sie auf den steinigen Boden und wartete, bis sie den Hubschrauber sah und hörte, wie er über sie hinwegflog. Er würde in der Nähe landen. Sie atmete tief durch. Jetzt mussten sie nur noch den jungen Mann finden und das bald. Donna lief wieder zu der Höhle. Sie wusste nicht, ob ihre Bemühungen überhaupt Erfolg haben würden, doch sie konnte nicht aufgeben. Eigentlich hätte sie ihre Tochter abholen sollen, aber sie konnte doch nicht einfach verschwinden, Sie konnten nicht einmal warten, bis professionelle Hilfe kam. Der Mann unter den Trümmern hatte diese Zeit nicht, obwohl die Suche dann wahrscheinlich schneller gehen würde. Die beiden Männer hatten ihr Leben für sie und ihr County aufs Spiel gesetzt. Sie hatten ihr Leben gerettet! Und sie hatten die Leben, die Gesundheit vieler hier gerettet. Wenn diese Monster sich hier ausgebreitet hätten … Es wäre verheerend geworden, da war sie sich sicher. Sheriff Hanscum straffte die Schultern und überbrückte die letzten Schritte zum Höhleneingang. Entgegen Sams irgendwie chaotisch scheinender Suche, ging sie methodisch vor und räumte die Steine beiseite, die ganz vorn lagen. Lange konnte sie nicht arbeiten. „Hallo?“, hörte sie die Stimme eines Mannes. „Hier, wir sind hier“, rief sie und trat ein Stück von der Höhle zurück und wischte sich mit staubigen Händen dem Schweiß von der Stirn. „Sie haben uns angefordert, Sheriff?“, fragte der eine Sanitäter schon kurz bevor er sie erreichte. „Ja, wir haben einen Verletzten“, erklärte sie und deutete zur Höhle. „Hier soll es eine verschüttete Person geben? Die Feuerwehr ist unterwegs, allerdings werden sie wohl noch eine Weile brauchen. Ist nicht gerade der einfachste Weg“, bedauerte der andere Mann. „Ja, wir suchen noch.“ Wieder ließ sie ihren Blick über den Höhleneingang wandern. In diesem Moment stieß Sam auf ein Stück Stoff. „Dean“, japste er. Er tastete sich, soweit es die Steine und die Balken die sich über seinem Bruder verkantet hatten zuließen, an dem Stoff entlang. Ein Bein. „Alter komm schon“, versuchte er eine Reaktion zu bekommen und klopfte ihm auf das Bein. Dean reagierte nicht, natürlich nicht. Lebte er noch? Rigoros schob Sam den Gedanken beiseite. Er brachte ihn nicht weiter! „Können Sie mir mal helfen?“, fragte er in die Dunkelheit und schaute sich suchend um. Erst jetzt gewahrte er die beiden Männer die neben Donna standen. Wo kamen die denn her? Egal! Je mehr Hände umso besser! „Du hast ihn?“, fragte Donna aufgeregt, während sie zu dem Winchester lief. „Ja, aber ich komme nicht ran!“, äußerte er verärgert über seine eigene Unzulänglichkeit. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und drehte sich wieder den Balken zu. „Wir kommen!“ Schnell rannte Donna, die Sanitäter im Schlepptau, die letzten Meter zu dem Schuttberg. Mit vereinten Kräften hatten sie Dean in wenigen Minuten soweit befreit, dass sie ihn bergen konnten. Er lag mit dem Gesicht Richtung Felsen. Sam packte ihn unter den Armen und zerrte, kaum dass sie genug Schutt beseitigt hatte und er zufassen konnte. Es war ihm völlig egal, was sonst noch auf dem Körper seines Bruders lag. Er musste hier raus. Die Sanitäter verdrehten die Augen. Das war alles andere als der Gesundheit ihres Patienten zuträglich, doch wenn sie noch länger warteten, würde es wahrscheinlich noch schlimmer, also fassten sie auch mit zu. Gleich darauf hatten sie ihn geborgen. Vorsichtig legten die Sanitäter ihn auf die Trage und trugen ihn ein Stück von dem Höhleneingang weg. Dort begannen sie mit ihrer Untersuchung. Im Schein der Taschenlampen konnten sie sehen, dass der ältere Winchester eine Platzwunde am Kopf hatte. Aus seinen Ohren und der Nase sickerte Blut. Der Puls war schwach, aber vorhanden und die Atmung viel zu flach. Einer der Männer öffnete Jacke und Hemd und schob das Shirt hoch. Über den ganzen Oberkörper verteilt hatte ihr Patient Hämatome, die seine Vermutung auf gebrochene Rippen verstärkte. Jetzt, da Dean in Sicherheit war, spürte Sam die Erschöpfung. Seine Beine waren plötzlich wie Pudding und er ließ sich zu Boden sinken, bevor sie unter ihm nachgaben. „Brauchen Sie auch Hilfe?“, fragte der zweite Sanitäter auch gleich nach. „Nein, ich muss nur wieder zu Atem kommen“, erwiderte Sam zittrig. „Wie geht es ihm?“ „Er hat etliche Prellungen und vermutlich mehrere gebrochene Rippen. Sein Puls ist schwach und die Atmung ist ziemlich flach.“ Bei diesen Worten schob der Arzt Dean die Sauerstoffmaske übers Gesicht. Im Hubschrauber würden sie ihn intubieren. Das war sicherer. „Wir bringen ihn sofort ins Krankenhaus.“ Sam nickte und versuchte sich wieder in die Höhe zu stemmen. „Kann ich mitkommen?“ Er stand, wenn auch ziemlich wacklig, endlich wieder auf seinen Füßen. „Das halte ich für eine gute Idee!“ Sheriff Hanscum umfasste Sams Arm und stützte ihn auf dem Weg zum Helikopter. „Du solltest dich ebenfalls durchchecken lassen“, redete sie leise auf den jungen Mann ein, der wie ein Zombie neben ihr herlief. „Mir geht’s gut, wenn es ihm gut geht“, würgte er sie einfach ab. Er wollte nicht reden. Er wollte nicht einmal denken, denn dann würde er sich Gedanken darüber machen müssen, warum sein Bruder schon wieder auf einer Trage lag, warum der ihm schon wieder das Leben gerettet hatte, warum es immer Dean war, der Kopf und Kragen und sein Leben für ihn riskierte. Warum mussten sie überhaupt immer wieder ihr Leben riskieren? Nein! Besser nicht darüber nachdenken. Besser gar nicht denken! Scheinbar teilnahmslos ließ er sich von Donna in den Hubschrauber schieben, von einem der Sanitäter neben Deans Trage bugsieren und auf einen Notsitz drücken. Er schnallte sich an, als sie es ihm sagten. Donna schaute dem Hubschrauber hinterher. Sie atmete tief durch, als er über den Baumkronen verschwand. Vorerst konnte sie hier nichts weiter tun. Sie hob ihre Taschenlampe auf und machte sich an den Abstieg zum Parkplatz. Als das Klopfen des Hubschraubers so leise geworden war, dass sie problemlos telefonieren konnte, zog sie ihr Handy hervor und wählte erneut den Notruf. Sie gab die Bergung der verschütteten Person durch. Jetzt brauchten sie keine weitere Unterstützung mehr. Danach wählte sie die Nummer ihrer Tochter und erklärte ihr in wenigen Worten was passiert war und das sie wohl noch etwas brauchen würde, bis sie sie abholte. Langsam stieg sie den Berg hinab und dachte über die nächsten Schritte nach. Sie musste den Kadaver verschwinden lassen! Dafür war Jerome der Beste. Die Anwesenheit der beiden „Ranger“ konnte sie in ihrem Bericht erklären. Da würde sie auch gleich reinschreiben, dass die zwei in ihrem Auftrag in der Höhle waren. Das würde es zu einem Staatsauftrag machen und ihnen die Krankenhauskosten ersparen. Außerdem könnte sie noch mit Ensting James, dem Verwaltungschef des Krankenhauses reden. War doch gut, wenn man maßgebende Leute noch aus der Schulzeit kannte! Sam saß starr auf dem kleinen Sitz im Helikopter, seinen Blick unverwandt auf seinen Bruder gerichtet. Er machte seinen Arm frei, als ihn der Sanitäter neben ihm darum bat. Erst als er den Einstich fühlte, zuckte er zurück. „Was ist das?“, fragte er unwirsch und rieb sich die Stelle. „Nur ein Mittel, um Ihren Kreislauf zu stabilisieren“, beruhigte der Mann ihn. Sam nickte abwesend. Sein Blick glitt wieder zu seinem Bruder. Es ließ ihn noch nervöser werden, als er bemerkte, dass sie ihn inzwischen an ein Beatmungsgerät angeschlossen hatten. „Was ist mit Dean?“, fragte er mit belegter Stimme. Der Sanitäter schüttelte den Kopf. Was war das mit diesen Beiden? „Wir mussten ihn intubieren, er bekommt nicht genügend Sauerstoff“, erklärte er. „Wie stehen Sie zueinander?“, versuchte er gleichzeitig seine Neugier zu befriedigen und den Mann abzulenken. „Er ist mein Bruder“, erklärte Sam leise. „Er hat mich aufgezogen.“ „Wie das, er kann doch kaum älter sein als Sie?!?“ „Ist 'ne lange Geschichte“, wiegelte Sam schnell ab. Er wollte nicht darüber reden. Er schaute zu, wie sie Dean genauer untersuchten, während seine Gedanken zu dem Hubschrauberflug vor zwei Jahren wanderten. Damals war Dean aufgewacht und heute wünschte er sich das ebenfalls, auch wenn er wusste, wie sein Bruder auf das Fliegen reagieren würde. Doch es wäre ein Lebenszeichen. Eines, dass real war, nicht wie die zuckenden Linien, die doch letztendlich alles bedeuten konnten. Und egal wie sehr er sich an dem Gedanken festhielt, dass die Sanitäter sich nicht so um Dean bemühen würden, dass sie nicht einmal fliegen würden, wäre er tot, die Angst um seinen Bruder pressen seinen Brustkorb immer weiter zusammen. Der Hubschrauber flog eine Kurve und setzte gleich darauf auf. Die Türen wurden aufgerissen und sofort setzte die hektische Geschäftigkeit ein. Ein Assistenzarzt und ein Pfleger halfen, Dean auf eine Rollliege zu legen. Gleich darauf schoben sie ihn gemeinsam ins Gebäude, während die Rettungssanitäter alle Fakten herunter ratterten. Sam tapste hinter der Trage her und fühlte sich so unendlich verloren und hilflos. Kapitel 221: Hoffen und Bangen ------------------------------ 221) Hoffen und Bangen Als Erstes wollte Donna Hanscum jedoch ins Krankenhaus fahren. Sie musste ihre Verletzungen kontrollieren lassen uns sie wollte nach Sam und Dean schauen. Und natürlich wollte sie zu Gabby. Ob sie sich überzeugen ließ doch noch eine Nacht im Krankenhaus zu bleiben, sollte das alles länger dauern? Sie hoffte es. Aber vielleicht ging ja doch alles schneller und sie konnten den Abend auf der Couch lümmelnd mit Pizza und Cola ausklingen lassen. Dann wäre der Tag für Gabby wenigstens nicht ganz misslungenen. Donna kam auf den Parkplatz und sah den Impala, einträglich neben ihrem Geländewagen stehen. Der musste auch noch zu seinem Besitzer. Das konnte sie gleich noch veranlassen! Noch einmal zog sie ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer des hiesigen Abschleppunternehmens. Dem Besitzer erklärte sie die Sachlage und bat ihn, den Wagen zum Krankenhaus zu schleppen. Währenddessen hatte sie sich auf den Fahrersitz ihres Wagens geschwungen und jetzt, wo sie den Fuß nicht mehr belastete, fühlte sie ihn unangenehm pochen genau wie die Kratzer auf ihrem Bauch, die außerdem noch genauso unangenehm juckten, wie ihr Arm. Noch mehr Verletzungen, die sie im Krankenhaus untersuchen lassen sollte. Nein, an diesem Tag hatte sie sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert! Die Ärzte und Pfleger hetzten mit Dean durch einen Gang, in einen schon wartenden Fahrstuhl, den sie im Untergeschoss, wo sich die OP-Räume befanden wieder verließen. Sam verwehrten sie den Zutritt jedoch. Ein Pfleger lotste ihn in die Notaufnahme, wo sie sich sofort um ihn kümmerten. Wie in Trance beantwortete er Fragen. Er ließ sich behandeln und weigerte sich vehement, sich noch mehr Beruhigungsmittel geben zu lassen, damit sie ihn auf ein Zimmer bringen konnten. Er würde nicht gehen, bevor er nicht wusste, wie es seinem Bruder ging. Er wollte nicht hier bleiben! Er wollte zu Dean! Er wollte sein Leben! Warum hatten sie diesen verdammten Fall nur angenommen? Um nicht gleich auf einem Stuhl einzuschlafen, schlurfte er zur Anmeldung, um ihre Papiere auszufüllen und ihre Krankenkarte abzugeben und verlangte dann den Weg zu den OP-Räumen zu erfahren. „Mr. Winchester, bitte! Sie brauchen Ruhe!“, redete die Schwester auf ihn ein, wie auf einen lahmen Gaul. Er schüttelte immer wieder nur den Kopf. Das einzige, was er brauchte, war der Weg zu seinem Bruder. Seufzend gab sich die Schwester geschlagen und wies ihm diesen Weg. Dankbar nickte Sam ihr zu, sammelte seine Unterlagen ein und folgte ihren Anweisungen. Einzig Kaffee, den er an einem Automaten ziehen konnte, an dem er vorbei kam, stand er seiner Müdigkeit zu. Donna war inzwischen ebenfalls im Krankenhaus angekommen. Sie fuhr sofort auf die Station, auf der ihre Tochter lag und ging zu ihr. Nach einem leisen Klopfen trat sie ins Zimmer. „Mom“, begann Gabby vorwurfsvoll. „Wolltest du mich nicht schon lange ...“, erschrocken brach sie ab und musterte die derangierte Gestalt. „Was ist passiert? Geht es dir gut?“ „Es ist nichts, was nicht eine heiße Dusche und eine Nacht Schlaf wieder in Ordnung bringen können. Und eine große Pizza“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. „Was ist mit dir. Willst du nach Hause? Das könnte allerdings noch dauern, ich will das erst noch von einem Arzt kontrollieren lassen.“ Sie deutete auf den vor Schmutz starrenden Verband an ihrem Arm. „Ich würde gerne mit nach Hause, egal wie lange es dauert“, erklärte die Kleine ernst.“ Donna nickte. „Gut. Ich spreche mit dem Arzt. Er soll die Papiere fertig machen und ich schaue bei dir rein wenn ich fertig bin. Wenn du schon schläfst, hole ich die morgen ab.“ Gabby nickte und nahm sich fest vor ja nicht einzuschlafen, während ihre Mutter ärztlich versorgt wurde. Es interessierte sie brennend, was für den derzeitigen Zustand ihrer Mutter verantwortlich ist. Donna lächelte und machte sich auf den Weg, den Arzt zu suchen, bevor sich in die Notaufnahme ging. Frisch verbunden und mit einigen ziemlich unangenehmen Tollwutspritzen wurde sie eine knappe Stunde später wieder entlassen. An der Anmeldung bekam sie genaue Anweisungen, wann sie sich für weitere Spritzen wieder hier einzufinden hatte und die Entlassungspapiere ihrer Tochter. Sie steckte sie ein und wollte gerade mit dem Aufzug zu ihr fahren, als ihr Blick den Kaffeeautomaten streifte. Augenblicklich musste sie an die beiden jungen Männer denken. Sie holte zwei Kaffee und lenkte ihre Schritte zum OP-Bereich. „Hey“, grüßte sie leise und setzte sich neben Sam auf einen Stuhl. „Gibt‛s schon was Neues?“ Sie hielt ihm den Kaffee hin. „Nein“, Sam schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. Das Gebräu rann heiß durch seine Kehle und obwohl er schon mehrere Kaffee hatte, wärmte es ich doch ein wenig, denn hier unten war es verdammt kalt! „Wollten Sie nicht zu Ihrer Tochter?“, fragte Sam und der Sheriff nickte ohne jedoch Anstalten zu machen aufzustehen. „Wie heißt ihr wirklich?“, fragte sie plötzlich. Sam schaute sie irritiert, fragend an. „Mit welchem Namen hast du euch hier angemeldet?“ Erschrocken schaute Sam sie an und schluckte. Diese Frage traf ihn vollkommen unvorbereitet. „Sam“, begann sie leise überlegte es sich dann aber anders. „Ich wollte euch danken, dass meine Tochter nicht auch noch die Mutter verloren hat, dass ihr mir das Leben gerettet habt und dass ihr mein County wieder zu dem sicheren Ort gemacht habt, der es vor diesen Viechern war.“ „Ihr Mann ist gestorben?“, hakte Sam leise nach. Es interessierte ihn nicht wirklich, aber es lenkte ihn von seinen Gedanken ab, die sich unaufhörlichen Spirale abwärts bewegten. „Ja, aber das ist schon fast zehn Jahre her. Ich … wir haben uns auf dem College kennen und lieben gelernt. Ich hatte Kriminologie und Juristik belegt und er studierte Wirtschaft. Eigentlich war es nur ein Kompromiss. Seine Eltern wollten das Studium und er die Tischlerei seines Onkels übernehmen. Ich wurde schwanger, wir heirateten und er machte das Studium fertig. Gabby kam drei Tage nach der Abschlussfeier. Ich habe meinen Abschluss im Jahr darauf gemacht und dann bin ich zur Polizeischule. Mein Mann sagte immer ich wäre seine Polizistin.“ Donna lächelte versonnen, wurde jedoch schnell wieder ernst. „Er starb durch ein Aneurysma im Gehirn. Ohne meine Arbeit wäre ich durchgedreht. Meine Tochter war der Grund jeden Tag aufzustehen und eine Arbeit halt mir ihn zu überstehen. Es war hart.“ Sie brach ab und versuchte die Tränen herunter zu schlucken. „Das tut mir leid“, sagte Sam heiser. „Ist lange her“, wiegelte sie ab, doch ihre raue Stimme verriet sie. Sie räusperte sich, schnaufte kurz durch und wandte sich dann an Sam. „Ich möchte eure Anwesenheit hier legalisieren. Ich weiß das Jäger kaum in der Legalität agieren, doch dazu sollte ich schon eure Namen, die mit denen du euch hier angemeldet habt verwenden“, erklärte sie eindringlich. „Warum?“, wollte Sam noch einmal wissen. Bisher hatte das noch nie jemanden interessiert. „Ich sagte es dir schon. Ihr habt dafür gesorgt, dass mein County sicher ist, dass meine Tochter weiter unbeschwert aufwachsen kann und ihr habt mein Leben gerettet.“ „Wären Sie ohne uns heute im Wald gewesen?“, fragte Sam leise. „Nein, aber irgendwann hätte ich mich diesem Problem stellen müssen und dann wärt ihr nicht da gewesen. Ich will mir nicht ausmalen, wie das ausgegangen wäre!“ Ein eisiger Schauer rann ihr über den Rücken. Sam griff in seine hintere Hosentasche und zog die kleinen Versicherungskarten hervor. „Dean und Samuel Winchester? Ihr seid Brüder?“ Der Winchester nickte. „Ich wollte … Ich muss … Dean hat mich aufgezogen und ich muss einfach bei ihm sein, egal was passiert. Ich will nicht nur zusehen müssen, ich will für ihn da sein. Genau wie Sie für Ihre Tochter.“ Donna grinste schief. Aufmunternd legte sie ihm die Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. „Ich lasse dich dann mal wieder allein.“ Sie hatte die Aufforderung verstanden. Sam nickte nur und starrte dann weiter vor sich hin. Eine halbe Ewigkeit später lief Sam immer noch vor den Türen zum OP hin und her. Er hatte es nicht mehr auf dem Stuhl ausgehalten und noch mehr Kaffee? Er hatte jetzt schon das Gefühl, dass ihm diese braune Krankenhausbrühe bis unterhalb der Unterlippe stand. Unzählige Male hatte er sein Handy in der Hand und mit sich gerungen, Bobby anzurufen. Doch was sollte er ihm sagen? Er wollte ihn nicht schon jetzt beunruhigen. Es reichte doch wenn er hier auf und ab lief, wie ein Tiger im Käfig. Was aber noch schwerer wog, als der Unwille Bobby zu beunruhigen, war die Tatsache, dass er zum Telefonieren seinen Platz hier verlassen müsste und so vielleicht verpasste, dass sie Dean endlich aus dem OP brachten. Also stopfte er das Telefon immer wieder zurück in die Tasche und blieb. Zweimal war eine Schwester herausgekommen. Zweimal hatte sie nur entschuldigend den Kopf geschüttelt. Sie konnte ihm nichts sagen. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich zu Boden gleiten. Vielleicht war das ja keine gute Idee und er würde gleich einschlafen, aber wenn er noch länger hier herumlief, würde er wohl einfach umkippen und das wäre noch schlechter. Gerade als er saß, schwangen die Türen auf. Sofort sprang er auf die Füße und musste sich für einen Augenblick an der Wand abstützen, weil sein Kreislauf diese schnelle Bewegung nicht mitmachte. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“ Ein Pfleger war fast sofort neben ihm, umfasste seinen Arm und musterte ihn besorgt. Sam grummelte unwirsch und befreite sich mit einer fahrigen Bewegung. „Alles gut!“ Er rieb sich die Augen, atmete tief durch und trat an die Liege. „Wie geht es ihm?“ Unsicher ließ er seinen Blick über seinen Bruder gleiten und konnte sich des Gefühls eines Deja vus nicht erwehren. Dean war fast noch weißer als das Laken auf dem er lag. Überall hingen Schläuche und Kabel. Er war noch immer intubiert und sein Kopf war von einer Art Mütze bedeckt und mit Schaumstoffblöcken fixiert. Außerdem war das rechte Bein ruhiggestellt und die linke Hand bandagiert. Sam schluckte hart und schniefte leise. „Treten Sie bitte zur Seite! Wir bringen ihn auf die Intensivstation. Sobald er versorgt ist, möchte ich mit Ihnen sprechen, danach können Sie eventuell noch kurz zu ihm“, erklärte ein Arzt unmissverständlich und schob ihn aus dem Weg. „Was ist mit ihm?“, musste Sam trotzdem eindringlich fragen. „Gedulden Sie sich bitte noch etwas“, würgte der Arzt ihm ab. „Wir müssen uns erst noch um den Patienten kümmern. Bitte gehen Sie in den Wartebereich!“ Sams Schultern sackten nach unten. Er nickte resigniert. Was sollte er auch sonst tun? Deans Leben war wichtiger. Und trotzdem fraß diese Ungewissheit noch mehr an seinen Nerven, als es die lange Wartezeit vor den OP-Türen schon getan hatte. Die Tränen, die er so lange zurückhalten konnte, drängten sich nun mit aller Macht in seine Augen. Er stürmte nach draußen. Im Laufen zog er sein Telefon aus der Tasche. Jetzt brauchte er dringend Beistand! Schon als er den Wartebereich durchquerte, wählte er Bobbys Nummer. Kapitel 222: Eine Sonde im Kopf ------------------------------- 222) Eine Sonde im Kopf Unruhig lief Sam vor der Tür auf und ab, während er darauf wartete, dass sich Bobby endlich meldete. „Wenn das nicht wichtig ist ...“, hörte er den alten Brummbären schimpfen. „Bobby?“, schniefte Sam erleichtert. „Sam? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, grummelte der Jäger schon versöhnlicher. „Ich hab … Ich ...“, stammelte der Winchester schniefend. „SAM! Was ist los?“ So langsam schwante dem Jäger Böses. Schnell stand er auf und ging vors Schlafzimmer. Jody hatte morgen Dienst. Er wollte sie nicht wecken wen sie bis jetzt noch schlief und ihm schwante nichts Gutes. „Dean! Er … ich hab keine Ahnung. Sie … Sie haben ihn ...“ „Sam! Ganz ruhig. Hol tief Luft und dann erklärst du mir noch einmal, was mit deinem Bruder ist!“, versuchte er zu dem Winchester durchzudringen. Der kämpfte darum Bobbys Rat zu befolgen. Er atmete ein paar Mal tief durch, auch wenn sein Hals sich anfühlte, als wäre er zugeschnürt. Je verzweifelter er versuchte sich der Situation klar zu werden, umso mehr wurde er sich des ganzen Ausmaßes bewusst. Hektisch schaute er sich nach einer Sitzgelegenheit um, bevor seine Beine nachgaben. „Was ist passiert?“, fragte der alte Freund leise. Doch statt einer Antwort hörte er nur leises Schniefen und einen Sam, der versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Das klang gar nicht gut! „Sam?“, drängte Bobby laut. Was war mit dem Jungen? Er rieb sich müde über die Augen. Wie spät war es eigentlich? Wie lange hatte er geschlafen? Wohl nicht sehr lange, war er doch gerade erst zurückgekommen. Die Schlafzimmertür öffnete sich und Jody schaute heraus. Mist! Jetzt hatte er sie doch geweckt. „SAM?“ „Bobby“, japste der Jüngere leise. Endlich hatte er sich soweit wieder im Griff, dass er etwas sagen konnte. „Dean … er liegt im Krankenhaus. Ich hab keine Ahnung wie schlimm es wirklich ist, aber es SIEHT verheerend aus“, presste er mühsam hervor, bevor ihm die Stimme erneut versagte. „Was ist passiert?“, fragte der Jäger fassungslos. Er lehnte sich gegen eine Wand. „Bobby?“, besorgt musterte Jody ihre Partner. Er war plötzlich kreidebleich geworden. Doch der Jäger schüttelte nur den Kopf. Zuerst musste er wissen, wie es den Jungs ging. Dann konnte er sich um alles Anderen kümmern. „Der Chupacabra. … Wir haben sie in einem alten Stollen gefunden und erschossen. … Die … Decke kam runter! Der ganze Stollen ist eingestürzt. Dean hat es nicht mehr raus geschafft. Wir … wir mussten ihn ausgraben. Er war bewusstlos ... Sie sind gerade mit der OP fertig und bringen ihn auf die Intensiv. Ich weiß noch nicht was los ist“, gab Sam die Fakten abgehakt weiter. Bobby ließ sich an der Wand zu Boden gleiten. „Ich muss gleich wieder rein. Der Arzt will mit mir sprechen, wenn sie Dean versorgt haben.“ „Wo seid ihr?“, wollte der Jäger leise wissen. „Noch immer in Sufford, Arizona“ „Ich komme zu euch!“ Etwas anderes kam für ihn nicht in Frage. Seine Jungs brauchten seinen Beistand und er wollte nicht hier am Telefon hocken und auf Informationen warten. Dabei würde er durchdrehen. Sam wusste, dass er dem Freund erklären sollte, dass er alleine klar kommen würde, dass es keinen Sinn machte, wenn sie zu zweit an Deans Bett saßen, doch er konnte es nicht. Er war dankbar für den Beistand, den Bobby ihm geben würde. Er brauchte ihn, denn ohne, da war er sich sicher, würde er das nicht überstehen und er musste doch für Dean da sein! „Okay. Danke Bobby!“ Er legte auf und schlurfte nach drinnen. Um nichts in der Welt wollte er jetzt den Arzt verpassen! „Was ist passiert?“, fragte Jody leise, kaum dass ihr Freund das Telefon sinken lies. „Dean liegt im Krankenhaus. Sam weiß aber noch nichts Genaues, nur dass er die OP überstanden hat und jetzt auf der Intensivstation ist. Sie haben die Chupacabra gejagt und Dean wurde verschüttet. Sie wollten diese Jagd nicht, aber ich konnte niemanden finden, der sie ihnen abgenommen hätte.“ Er raufte sich die wenigen Haare. „Ich hätte hinfahren sollen!“ „Oh mein Gott!“, stöhnte sie entsetzt und versuchte sich aus den konfusen Fakten ein Bild zu machen. Bobby rappelte sich auf. „Ich muss los.“ „Du bist gerade erst ins Bett gekommen!“ „Es geht um die Jungs, Jody! Schlafen kann ich auch später noch!“ „Es geht um die Jungs! Richtig! Willst du auch noch im Krankenhaus landen, nur weil du während der Fahrt eingeschlafen bist?“, fragte sie ungehalten. Du legst dich wieder hin. Ich suche uns einen Flug und packe dann. Danach werde ich dich wecken!“ „Uns?“, fragte der Jäger ungläubig. „Du willst mitkommen?“ „Wie du schon sagtest: Es geht um die Jungs!“ „Aber ich … Du ...“ „Es sind deine Jungs! Du bist mein Partner, also sind es auch meine Jungs!“ Sie hatte die Brüder schon lange in ihr Herz geschlossen. Sie hatte ihren einzigen Sohn verloren und sie war sich ziemlich sicher nie wieder ein eigenes Kind zu bekommen, doch die zwei konnte sie kaum weniger lieben, wie ein eigenes Kind. „Ich wecke dich schon rechtzeitig.“ Sie lächelte ihn warm an. „Du willst wirklich mitkommen?“ „Ich nehme mir frei. Natürlich komme ich mit!“ „Du bist die Beste“, erklärte er leise. Mit einem Kuss auf die Wange verschwand er wieder im Bett, froh eine solche Frau gefunden zu haben. Im Warteraum schaute Sam sich um. Wollte er sich überhaupt setzen? Wohl eher nicht, denn dann würde er einschlafen, egal wie unbequem die Stühle waren. Ein paar Handvoll Wasser ins Gesicht wären da eine viel bessere Idee! Also schaute er sich nach den Toiletten um und fand die Tür gleich um die Ecke. Müde, beide Hände auf dem Waschbeckenrand abgestützt starrte er sein Spiegelbild an. Jetzt konnte er die irritierten Blicke der anderen Patienten auch endlich verstehen. Er sah aus, als wäre er durch einen Aschekasten gekrochen. So würden sie ihn wohl kaum zu Dean lassen! Verdammt! In der Notaufnahme hatten sie ihn versorgt und auch Hände und Gesicht gesäubert, der Rest an ihm … Er hätte die Zeit nutzen sollen, um sich umzuziehen. Eine Dusche wäre auch von Vorteil gewesen! Sam schnaubte. Und wenn sie ihm gesagt hätten, dass Deans OP drei Tage dauern würde, er wäre nicht gegangen! Also mussten die paar Hände, eher ein paar Finger voll Wasser ins Gesicht reichen. Gleich darauf schüttelte er den Kopf. Er schaute noch einmal an sich herab und hoffte, den Anforderungen der Intensivstation zu genügen. ‚Wohl eher nicht‘, wisperte eine Stimme in seinen Gedanken und er konnte ihr nur Recht geben, auch wenn er sie nur zu gern zum Schweigen gebracht hätte. Er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Mit all seiner noch verbliebenen Kraft kämpfte er gegen die Tränen, die seine Augen schon wieder überschwemmen wollten. Fahrig strich er sich die Haare zurück und verließ den kleinen Raum. Als er in den in den Warteraum zurückkam, sah er den Arzt an der Information stehen sah. Sofort ging er auf ihn zu. „Doktor?“ Er musterte den Arzt ausgiebig. „Dr. Brewster und Sie sind … Mr. Winchester?“ Auch der Arzt ließ seinen Blick über den jungen Mann gleiten. „Ja, Dean ist mein Bruder. Wie geht es ihm? Wann kann ich zu ihm?“ „Folgen Sie mir“, sagte der Arzt und ging zum Fahrstuhl voraus. Zu dieser Tageszeit war der Fahrstuhl leer und so konnte Dr. Brewster Sam schon hier auf den neusten Stand bringen, was seinen Bruder anbelangte. „Ihr Bruder hat mehrere, teils schwere Prellungen der Rippen, Schulter und Becken. Drei Rippen sind gebrochen, genau wie das rechte Wadenbein. Das linke Handgelenk ist ebenfalls angebrochen. Er hat außerdem mehrere Prellungen, die grade erst abklingen und auch nicht ohne waren und eine angebrochene Nase.“ Fragend schaute der Arzt zu Sam. „Er ist vor kurzem in eine schwere Schlägerei geraten, als er eine Frau verteidigen wollte“, versuchte Sam zu erklären. „Passiert ihm das öfter?“ „Eigentlich nicht, ich meine, wir leben nicht gerade ungefährlich, aber wir suchen diese Art der Auseinandersetzungen nicht.“ „Was machen sie beruflich?“ „Wir sind Privatermittler“, erklärte Sam leise. Der Aufzug hielt an und er folgte dem Arzt auf den Gang. Dr. Brewster wiegte den Kopf. Privatermittler! Er öffnete die Tür seines Büros und bat den jungen Mann mit einer Handbewegung einzutreten und Platz zu nehmen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und holte tief Luft. Was er jetzt zu sagen hatte, war nicht einfach. „Ihr Bruder hat einen heftigen Schlag gegen den Kopf bekommen. Die Folge ist ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten, vielleicht auch dritten Grades, das heißt, sein Gehirn ist angeschwollen und es hat sich ein Hämatom gebildet. Wir haben ihn ins künstliche Koma versetzt und mussten eine Sonde legen, um den Druck in seinem Schädel im Augen behalten zu können und ihn gleichzeitig zu reduzieren. Er wird permanent überwacht, damit wir so schnell wie möglich eingreifen können, sollte diese Maßnahme nicht ausreichen.“ „Künstliches Koma? Das heißt?“ wisperte Sam unfähig einen Gedanken zu fassen. „Das heißt, dass sein Gehirn sich voll und ganz auf die Heilung konzentrieren und dass ich Ihnen keine Prognose über seine Heilung machen kann. Es ist alles möglich. Wir müssen abwarten, wie es sich in den nächsten Stunden entwickelt. Vielleicht müssen wir noch einmal operieren.“ Der Arzt blickte Sam ernst an. „Noch mal operieren?“ Sam war froh zu sitzen. Dieser Schlag hätte ihn sonst zu Boden geschickt. Wütend starrte er den Arzt an und versuchte sich zu fassen. Die Tränen liefen ungehemmt über seine Wangen. ‚Nein! Nein! Nein! Das darf nicht wahr sein. Wir haben so viel überstanden. Deans Deal und die Zeit danach. Wir sind durch die Zeit geschickt worden und wieder wohlbehalten hier gelandet. Dean hatte ein Wolfsleben geführt. Er ist als Wolf gestorben und von Göttern zurückgeholt worden. Wofür? Für ein Bett im Krankenhaus? Für eine Sonde in seinem Gehirn? Schädel-Hirn-Trauma! Was hieß das jetzt genau? Was kam danach? Gab es ein danach? Das ist einfach nicht fair. Verdammt!’ „Mr. Winchester?“ Erst als der Arzt seine Hand auf Sams Arm legte, konnte sich der aus seinem Gedankenkarussell befreien. „Ja“, krächzte er heiser und blickte auf. „Ist mit Ihnen alles okay?“ „Nein, ich ...“, Sam schüttelte den Kopf um wieder halbwegs klar denken zu können. „Entschuldigen Sie, ich hab wohl nicht richtig zugehört. Ich ...“ „Ich weiß wie schwer es ist, sowas zu verkraften.“ Dr. Brewster lächelte warm. „Ich sagte, dass wir diese Nacht abwarten müssen. Je nachdem, wie sich das Hämatom entwickelt müssen wir es möglicherweise entfernen. Erst wenn er aufgewacht ist, können wir beurteilen, ob und was für Schäden es verursacht hat.“ „Schäden?“, krächzte Sam. „Das Hämatom ist in der linken hinteren Gehirnhälfte. Diese Hälfte steuert die rechte Körperseite. Doch bevor er nicht wacht ist, können wir nichts sagen. Vielleicht haben wir Glück und er steht auf und alles ist gut.“ „Wie oft passiert das?“ „Jeder Patient ist anders. Jetzt heißt es erst mal die Nacht abwarten.“ Rein vom Logischen ausgehend verstand Sam, dass ihm der Arzt nicht mehr sagen konnte. Doch es ging um Dean und da war ihm die Logik egal. Er wollte wissen, was mit ihm war. Er wollte den Arzt schüttelt, ihn anschreien. Doch er tat nichts dergleichen. Er straffte sich, wischte sich müde über das Gesicht und erhob sich. „Kann ich zu meinem Bruder?“ Der Arzt musterte ihn skeptisch. „Nur kurz. Ich will ihn nur wissen lassen, dass ich da bin.“ „Wirklich nur kurz und nur an die Tür, bitte. Wir müssen das Risiko von Infektionen so gering wie möglich halten. Danach sollten Sie sich ausschlafen und dann können Sie gerne wiederkommen. Die Schwestern werden über jede Unterstützung froh sein.“ Sam verstand zwar nicht was der Mann damit meinte, doch das war ihm im Moment auch egal. Er wollte nur zu seinem Bruder! Dr. Brewster nickte und ging voraus. Kapitel 223: Dabei hatte der Tag so gut angefangen! --------------------------------------------------- 223) Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen! Die diensthabende Schwester musterte den Winchester abfällig und wenn der Arzt ihr nicht sein ausdrückliches Einverständnis gegeben hätte, hätte sie ihn achtkantig wieder von der Intensivstation geworfen. Doch so drückte sie mehr als nur beide Augen zu. Sie reichte ihm sterile Kleidung zum Überziehen, Handschuhe und einen Mundschutz und beobachtete ihn mit Argusaugen, als er an die Tür des Zweibettzimmers trat, in dem Deans Bett stand und räusperte sich gut vernehmlich, als er die, von ihr festgelegte, unsichtbare Barriere überschritt. Erschrocken zuckte Sam zurück. Unsicher schaute er zu der Schwester, doch sie schien zufrieden.„Hey“, machte er sich leise bemerkbar. „Ich bin hier, Dean. Mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut. Ich …“, er schluckte hart. Alles in ihm sträubte sich dagegen, das jetzt zu sagen und noch mehr, es auch zu tun. Er wollte hier nicht weg! Er wollte Dean nicht alleine lassen! Er schluckte, holte tief Luft und sprach es aus, bevor er es sich anders überlegen konnte: „Ich fahre erst mal ins Motel. Die Schwester lässt mich nicht näher an dich ran, bevor ich nicht geduscht habe.“ Er warf einen Blick zu der Schwester und grinste schief. „Ich hab mit Bobby gesprochen. Er will auch herkommen.“ Die Schwester räusperte sich erneut. „Ich geh erst mal. Sei nett zu den Schwestern“, verabschiedete sich Sam. Er ließ seinen Blick noch einmal über den Körper gleiten, der so weit von ihm entfernt lag. Wie gerne hätte er wenigstens Deans Hand genommen, nur um zu fühlen, dass er lebte. Diese zuckenden Linien, die da über die Monitore flackerten, beruhigten ihn nicht im Geringsten. Die Schwester räusperte sich schon wieder. „Bis nachher!“, wandte er sich noch einmal an Dean und verließ, unter dem wachsamen Blick dieser Schwester, den kleinen Raum. ‚Das kann ja heiter werden, wenn Dean hier länger liegen muss‘, überlegte er, während er sich dieses modisch schicken Überziehers entledigte und alles in die Mülltonne stopfte. Er verließ die Station. Kurz wanderte sein Blick zur Treppe. Nein, heute war er viel zu müde, um freiwillig noch einen Meter mehr zu gehen, als er musste, auch wenn er sich sicher war, dass er die Treppen in ein paar Tagen willkommen heißen würde. Er drückte auf den Knopf, um sich den Fahrstuhl zu holen. Aber wie kam er ins Motel? Siedend heiß fiel ihm ein, dass der Impala noch immer auf dem Campingplatz stand! Den musste er also auch noch holen! Oh man! Das Elend nahm kein Ende! Er verließ den Fahrstuhl und ging durch den Wartebereich zur Tür. „Mr. Winchester?“ Sam hörte es nicht. „Mr. Winchester?“, versuchte es die Schwester jetzt nachdrücklicher. Sie lief ihm hinterher. „Öhm? Ja?“ Sam fuhr herum. „Mr. Morrison war hier. Er hat Ihren Wagen gleich hier vorn abgestellt.“ Sie deutete nach rechts. „Das muss ein Irrtum sein. Ich kennen keinen Mr. Morrison.“ „Er hat ein Abschleppunternehmen. Sheriff Hanscum hat ihn gebeten Ihren Wagen vom Noon Campground hierher zu bringen.“ „Okay?“, antwortete Sam skeptisch, lächelte sie aber an. „Danke.“ Er verließ das Krankenhaus und wandte sich in die angegebene Richtung. Er musste nicht mal suchen. Der Impala stand unter einer Laterne gleich hier vor dem Krankenhaus. Aber wieso? Wieso hatte dieser Abschleppunternehmer ihn hierher gebracht? Egal! Er war viel zu müde, um darüber nachzudenken. Er freute sich nur, dass er sich jetzt kein Taxi rufen musste, das ihm zum Zeltplatz brachte. „Hey“, grüßte er Deans schwarze Schönheit, schloss die Tür auf und stieg ein. Er legte den Kopf auf die Rückenlehne und schloss, leise seufzend, die Augen. Doch schnell riss er sie wieder auf. Nicht, dass er hier einschlief! Sofort startete er den Motor und lenkte sie vom Parkplatz. Sams Handy riss ihn aus dem unruhigen Schlaf. Als er sich aufsetzte und nach dem Störenfried angelte, fühlte er sich wie gerädert. Mit einem Auge schielte er zur Uhr. Es war fast Mittag. Er hatte schon mit weniger Schlaf auskommen müssen und war munterer gewesen. Doch er war wohl nicht nur körperlich ausgelaugt. Müde rieb er sich die Nasenwurzel und ging dran. „Ja?“ „Wir sind in Tucson“, meldete sich Jody ohne eine weitere Begrüßung. „Bobby besorgt uns gerade einen Wagen. Wo wohnst du?“ Sam brauchte eine Sekunde, bis er das alles verarbeitet hatte. Gerade als Jody nachfragen wollte, antwortete er: „Ich wohne im Garden Inn. Soll ich euch ein Zimmer besorgen?“ „Das wäre toll. Aber du musst jetzt nicht extra da anrufen. Wir können das auch machen.“ „Das macht mir keine Umstände, Jody. Ich bin im Motel. Du hast mich gerade aus dem Bett geklingelt.“ „Oh. Tut mir leid! Das wollte ich nicht“, entschuldigte sie sich. „Nicht schlimm. Ich sollte wirklich aufstehen. Also, ich besorge euch ein Zimmer und warte bis ihr hier seid.“ „Nein Sam! Du willst doch sicher so schnell wie möglich zu Dean.“ „Schon, aber ...“ „Du sagtest doch, dass er auf der Intensivstation liegt. Ich bezweifle, dass wir drei zusammen da rein dürfen.“ „Da hast du allerdings Recht“, stöhnte der Winchester leise. „Wenn du uns ein Zimmer besorgst, ist das genug. Fahr zu Dean. Wir sehen uns im Krankenhaus“, verabschiedete sie sich. Sam ließ das Handy sinken. Jody war auch hier! Bobby war auf dem Weg hierher und Jody war bei ihm! Dieser Gedanke hinterließ ein wunderbar warmes Gefühl in seinem Inneren. Das war wie bei einer Familie, einer echten Familie! Sie waren eine Familie! Automatisch schoben sich seine Mundwinkel nach oben und er fühlte schon viel besser. Leise pfeifend stand er auf und machte sich fertig. Er buchte ein Zimmer auf den Namen Singer und machte sich dann auf den Weg zum Krankenhaus. Jody und Bobby kamen her! Er konnte es immer noch nicht fassen! Noch immer lächelnd lenkte Sam den Impala auf fast den selben Platz, auf dem er auch in der Nacht gestanden hatte. Er nahm den Kaffeebecher aus der Halterung und knüllte die Papiertüte, in der das Sandwich eingepackt gewesen war, das er sich unterwegs schnell gekauft hatte, in der Hand zusammen. Beim Aussteigen versuchte er so wenige Krümel wie möglich auf der Bank des Impala zu hinterlassen, denn auch wenn Dean wohl noch eine Weile nicht mit seinem Baby fuhr, wollte er sie doch nicht zusauen. Letztendlich würde er ihr aber wohl noch eine Wellnessbehandlung spendieren, bevor er sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgab. Darin hatte er ja in der letzten Zeit mehr Erfahrung gesammelt, als er das je gewollt hatte. Er schloss den Wagen ab und ging zum Eingang. Schnell entsorgte er noch seinen Müll im dafür bereitstehenden Eimer und strebte dann, mit großen Schritten, dem Fahrstuhl entgegen. Doch dann fiel ihm etwas ein und er ging zurück zum Empfang. „Es geht um meinen Bruder, Dean Winchester. Er liegt hier auf der Intensivstation. Mein Onkel und seine Lebensgefährtin sind auf dem Weg hierher. Sie wollen meinen Bruder auch gerne sehen.“ „Sie möchten, dass sie ihn besuchen dürfen?“, fasste die Schwester zusammen. „Genau“ Sam lächelte erleichtert. „Das dürfen nur die nächsten Angehörigen! Wenn er auf einer normalen Station ist, ist das kein Problem, aber auf Intensiv ...“ „Wir haben sonst niemanden mehr. Mein Onkel hat uns aufgezogen. Unsere Eltern sind schon lange tot.“ „Das tut mir leid.“ „Ist schon ewig her. Wir kannten sie kaum. Mein Onkel und seine Lebensgefährtin sind für uns Eltern.“ Eine Weile musterte die Schwester den jungen Mann, dann nickte sie. „Wie heißen sie?“ „Sam Winchester.“ „Ihr Onkel und seine Lebensgefährtin.“ Sam grinste entschuldigend. Er hatte wohl doch zu wenig Schlaf gehabt. „Robert Singer und Jody Mills." „Okay. Ich setze sie mit auf die Liste.“ Sie tippte etwas in den Computer und stutzte. „Moment bitte!“, hielt die Schwester Sam auf, als er sich abwandte. „Ja?“, erwiderte er ungeduldig. Er wollte jetzt nur noch zu seinem Bruder! „Dr. Baral hat noch einige Untersuchungen für Sie angeordnet.“ „Dr. wer?“ „Dr. Baral. Sie ist unser leitende Unfallchirurgin. Sie leitet derzeit auch die Notaufnahme.“ „Okay? Aber muss das jetzt sein? Ich komme zu Ihnen, bevor ich gehe“, versuchte Sam sich zu drücken. Mal abgesehen davon, dass er jetzt wirklich nichts anderes wollte, als nach Dean sehen. „Tut mir leid. Jetzt! Die Schwestern auf der Intensiv haben auch Anweisung bekommen, sie erst reinzulassen, wenn die Ärztin ihr Okay gibt. Sie will unbedingt noch mit Ihnen sprechen, bevor sie zu Ihrem Bruder gehen.“ „Ich ...“ Sam schüttete den Kopf, schaute zu ihr und nickte seufzend. „Folgen Sie mir bitte!“ Die Schwester trat aus dem Empfangsbereich heraus und ging zu einem der Untersuchungsräume. Mit hängendem Kopf trottete Sam hinter der Schwester her. Das Hochgefühl, das Jodys Anruf ausgelöst hatte, verflog gerade vollständig. Resigniert ließ er sich auf der Liege nieder. Die Schwester musterte ihn aufmerksam. „Wo sind Sie gestern verletzt worden?“ Irritiert schaute Sam sie an. Was hatte das den jetzt damit zu tun, ob er auf die Intensivstation konnte oder nicht? „An Armen, Händen und einige Kratzer am Bauch. Alles halb so wild“, winkte er ab. „Wieso ordnet ein Unfallchirurg eigentlich Untersuchungen an, die doch keinen chirurgischen Hintergrund haben? Ich hab die Wunden vorhin noch kontrolliert.“ Die Schwester verdrehte die Augen. Warum konnte sie nicht einfach ihre Arbeit machen. Damit wäre ihnen beiden geholfen! „Wir können das hier auch lassen“, grummelte sie. „Fein!“ Sofort rutschte der Winchester von der Liege und lief zur Tür. „Gut! Rechnen Sie aber nicht damit, dass Ihnen auf der Intensivstation Eintritt gewährt wird, solange ich mein Okay nicht an den Arzt weitergebe.“ Sam erstarrte mitten in der Bewegung zur Salzsäule. Wie in Zeitlupe drehte er sich um. „Warum? Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?“ „Ansteckungsgefahr! Weder Ihr Bruder noch einer unserer anderen Intensivpatienten legt Wert auf zusätzliche Komplikationen!“ Der Winchester schluckte. Aber wieso sollte er ansteckend sein? „Wieso?“ „Tollwutgefahr?!?“, antwortete sie kühl. Tief durchatmend kam Sam zur Liege zurück. Darüber hatte er nicht nachgedacht. Wieso auch. Das Vieh hatte keinen Schaum vorm Maul. Er zuckte mit den Schultern und begann sich aus seiner Kleidung zu schälen. Wenn es sie glücklich machte ... und wenn er dann endlich zu Dean durfte! Fast eine Stunde später war sie fertig. „Die Spritzen müssen wir nach drei, sieben, vierzehn und achtundzwanzig Tagen wiederholen. Und jetzt warten Sie bitte auf Dr. Baral. Sie kommt Sie abholen!“, erklärte sie noch, bevor sie ihn endgültig entließ. Langsam zog sich Sam wieder an. Je mehr er anzog um so mehr sickerten die Worte der Schwester in sein Bewusstsein. Dr. Baral wollte ihn abholen! Wer war Dr. Baral und warum durfte er nicht zu Dean? Was war mit ihm? Lebte er noch? Dieser Gedanke traf ihn mit aller Härte. Er taumelte. Mit einem erstickten Japsen tastete er zu der Liege und ließ sich darauf nieder. Seine Knie zitterten, genau wie seine Hände. Vor seinen Augen drehte sich alles und sein Magen beschloss, sein Frühstück auf dem selben Weg wieder nach draußen zu befördern, auf dem es hineingekommen war. Krampfhaft schluckend versuchte er es bei sich zu behalten. „Mr. Winchester?“ Die Schwester steckte ihren Kopf noch einmal in den Raum. Blitzschnell erkannte sie die Situation und holte eine Schale, die sie ihm in die Hand drückte. Hatte er die Spritzen nicht vertragen? Sam würgte immer heftiger und erbrach sich letztendlich doch. „Mr. Winchester?“, versuchte sie seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sam schüttelte den Kopf. „Dean?“, krächzte er und hoffte, dass sie verstand. Doch es schien nicht so. „Was ist mit meinem Bruder?!“, verlangte er zu wissen und wischte sich fahrig über den Mund. „Ich habe keine Informationen. Tut mir leid.“ „Bitte! Ich ...“ „Legen Sie sich hin. Ich versuche Dr. Baral zu finden.“ „Ich ...“ „Ich weiß, dass Ihnen das jetzt nicht weiterhilft, aber mehr kann ich leider wirklich nicht tun.“ Er ließ den Kopf hängen. Die Schwester verließ den Raum und kam gleich darauf wieder. „Trinken Sie“, sagte sie mitfühlend und reichte ihm einen Becher Wasser, bevor sie endgültig verschwand. Sam spülte sich den Mund und ließ sich dann auf die Liege sinken. Er drehte sich auf die Seite, mit dem Rücken zur Tür. Musste ja nicht jeder sehen, dass er weinte. Kapitel 224: Unerwartete Hilfe ------------------------------ 224) Unerwartete Hilfe Eine Weile überließ er sich seinen Gefühlen, dann rief er sich in Gedanken zur Ordnung. Leise schniefend setzte er sich auf. Mit der Hand fuhr er sich ein paar Mal über das Gesicht und beseitigte so die meisten Spuren seiner Trauer. Gerade rechtzeitig. Es klopfte kurz und gleich darauf trat eine Ärztin ein. „Mr. Winchester?“ Sam nickte nur stumm. „Alles okay mit Ihnen?“ „Ja, ich …“ Sam straffte sich. „Wann kann ich meinen Bruder mitnehmen?“ Es gab noch so viel zu klären! Bobby kam her und er ... „Das wird wohl noch eine Weil dauern.“ „Warum, ich meine wollen Sie noch eine Autopsie ...“ In diesem Augenblick ging Dr. Baral auf, dass sie vollkommen aneinander vorbei redetet. „Er lebt“, erklärte sie etwas atemlos und legte ihre Hand auf Sams. „Es tut mir leid, dass dieser Eindruck entstanden ist. Er lebt!“ „Aber warum musste ich dann warten? Warum wollten Sie mit mir reden? Warum konnten Sie mir das, was zu sagen ist, nicht nachher sagen?“ „Es gab Komplikationen. Wir mussten Ihren Bruder noch einmal operieren, da der Druck auf sein Gehirn zu sehr zunahm. Wir sind gerade erst fertig geworden.“ Sam schaute sie fragend an. Dean lebte, das musste er erst einmal sacken lassen. Aber ... „Komplikationen?“ „Das Blutgerinnsel haben wir entfernen können. Jetzt müssen wir abwarten. Er liegt weiterhin im künstlichen Koma, damit sich sein Gehirn nur auf die Heilung konzentrieren muss.“ „Und das heißt jetzt?“ Noch immer war der Winchester skeptisch. „Das Gleiche, was Ihnen Dr. Brewster gestern schon erzählt hat. Wir müssen abwarten bis er wach ist. Ich denke in vier, fünf Tagen werden wir einen ersten Versuch starten können, ihn zu wecken.“ Sie seufzte leise. Diesen Teil ihres Berufes hasste sie. „Sie können gleich zu ihm. Reden Sie mit ihm. Wenn Sie weitere Angehörige haben, bitten Sie sie herzukommen, wenn es irgendwie möglich ist. Je mehr ein Patient fühlt, dass er geliebt wird, um so besser sind die Chancen.“ „Unser Onkel kommt mit seiner Lebensgefährtin her.“ „Das ist gut.“ Dr. Baral wandte sich zur Tür. „Und jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten. Gehen Sie zu ihrem Bruder.“ Sam starrte die Ärztin an. Er musste die Informationen erst mal sortieren. „Na los“, forderte sie ihn mit einem Lächeln auf. Jetzt gab es kein Halten mehr. Der Winchester sprang auf, verließ den Raum und lief zum Fahrstuhl. „Mr. Winchester“, begrüßte ihn die Schwester, als sie ihm die Tür öffnete. „Haben Sie irgendwelche ansteckenden Krankheiten? Eine Erkältung?“ Sie ließ ihm keine Zeit sich zu wundern, woher sie seinen Namen wusste. Sam schüttelte den Kopf. „Gut, denn sonst dürfte ich Sie nicht zu ihm lassen. Ihr Bruder liegt im Koma, aber das hat Dr. Baral Ihnen sicher gesagt. Reden Sie mit ihm und bitte, lassen Sie sich nicht von den vielen Schläuchen abschrecken.“ „Ich habe ihn gestern schon gesehen“, versuchte Sam ihren Redefluss zu unterbrechen. „Oh, gut! Dann wissen Sie ja, was auf sie zukommt. Sie müssen sich immer gut desinfizieren und sterile Kleidung tragen.“ Sie wies auf das Regal an der Wand und wartete, bis der Winchester fertig war. Dann bedeutete sie ihm, ihr zu folgen. „Mr. Winchester, Ihr Bruder ist hier“, informierte sie Dean und trat zur Seite, damit der an ihr vorbei in den Raum gehen konnte. „Hey Dean“, machte Sam sich bemerkbar und trat weiter in den kleinen Raum. Langsam ließ er seinen Blick über den reglosen Körper seines Bruders gleiten. Eigentlich müsste er sich an diesen Anblick inzwischen gewöhnt haben und doch wurde ihm das Atmen schwer. Dean war bleich, bis auf die noch immer grünlich gelb schimmernden, abklingenden Blutergüsse, die er ihm verpasst hatte und einige dunkelblaue, die wohl von den herabstürzenden Steinen waren. Ein breiter Schlauch führte in seinen Mund und ein dünner in seine Nase. Sein Brustkorb hob und senkte sich im Rhythmus des leisen Zischens, dass das Beatmungsgerät von sich gab. Sein Bein war hochgelagert und die linke Hand lag bandagiert auf seinem Bauch. Jede Menge Schläuche und Kabel umrahmten den Körper und führten zu Monitoren und Überwachungsgeräten. Das Schlimmste war jedoch, dass Deans Kopf noch immer fixiert war. Für einen Augenblick überkam ihn der Verdacht, dass das hier nur eine Kopie seines Bruders war, die sie ihm als seinen Dean zu verkaufen versuchten. Hastig schob er diese Gedanken beiseite, nahm sich aber vor, das Zimmer gegen Dämonen zu sichern. Nur wie? Reichte es die Symbole mit Weihwasser zu zeichnen? Er biss sich auf die Zunge um nicht doch noch laut „Christo“ zu sagen. Er zog sich einen Stuhl an das Bett, setzte sich und legte seine Hand auf Deans Arm, der sich halbwegs lebendig anfühlte. Zu kalt, aber nicht so kalt. „Du hast mir einen verdammten Schrecken eingejagt, gestern“, begann er das auszusprechen, was ihm im Kopf herumging. „Mr. Winchester?“ Sam zuckte zusammen. Er schaute auf. In der Tür stand eine Schwester. Stand sie da schon lange? Wie viel hatte sie gehört? Musste er gehen? Sein Blick huschte über Deans Gesicht und die Monitore, bevor er wieder zu ihr sah. „Ja?“, fragte er irritiert. „Im Wartebereich ist Besuch für Ihren Bruder. Ein Mr. Singer?“ Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht. „Können Sie Mr. Singer und seine Begleitung reinbringen?" „Eigentlich dürfen hier nicht mehr als zwei Besucher gleichzeitig ...“ „Mein Onkel ist extra von South Dakota hergekommen. Können Sie nicht eine Ausnahme machen? Bitte“, versuchte Sam es mit seinem Dackelblick. „Sollten nicht eher Ihre Eltern kommen?“, fragte die Schwester etwas irritiert. „Die sind schon lange tot. Bobby und Jody sind unsere einzige Familie und immer für uns da!“, erklärte Sam mit Nachdruck. Damit entlockte er der Schwester ein Lächeln. Sie nickte kurz und ging. Sie brauchte keine drei Schritte zu gehen, da kam ihr schon Dr. Brewster mit den beiden Besuchern entgegen. Bobby hielt für einen Schritt inne. Sams Worte zu hören, auch wenn er ihre Aussage tief in seinem Innersten kannte, tat einfach nur gut. Jody bemerkte dieses kurze Zögern und lächelte ihn warm an. Auch bei ihr hinterließen sie ein warmes Gefühl und sie nahm sich vor, alles für die Jungs zu tun, was ihr möglich war. „Kommen sie“, forderte der Arzt sie gerade auf und machte eine einladende Geste in das Krankenzimmer. Gleich nach ihrem Partner betrat Jody den Raum. Unbewusst tastete ihre Hand nach Bobbys. Das alles hier erinnerte sie an ihren Sohn, als der nach dem Unfall in eben so einem sterilen Raum gelegen hatte und leider auch gestorben war. Sie schluckte heftig und vertrieb diese Erinnerungen. Das hier war nicht ihr Sohn! „Bobby“, freute sich Sam, den alten Freund zu sehen. „Hallo Jody“, begrüßte er sie nicht minder herzlich. „Wie lange muss er so ...“, wollte Bobby leise wissen. „Er hat ein Schädel-Hirn-Trauma. Wir musste ihn heute Nacht noch einmal operierten Er liegt im künstlichen Koma, damit sein Gehirn in Ruhe heilen kann. In vier oder fünf Tagen wollen wir versuchen ihn zu wecken. Erst danach können wir sagen, ob er weitere Schäden davongetragen hat“, erklärte Dr. Brewster ernst. Während Jody erschrocken nach Luft schnappte, fragte sich Bobby wieso Sam bei dieser Aussage so ruhig bleiben konnte. Stand er unter Schock? Mit Argusaugen beobachtete er den jüngeren Bruder und nahm sich vor, mit ihm zu sprechen, sobald er ihn außerhalb dieses Zimmers erwischte. Jetzt hieß es ein Auge auf seine Jungs zu haben. Auf beide! Obwohl er sich gerade doch mehr um Sam sorgte. „Bitte bleiben sie nicht zu lange. Er braucht trotzt allem auch viel Ruhe“, bat der Arzt. „Wenn sie Fragen haben, stehe ich ihnen jederzeit zur Verfügung. Mein Büro ist im vierten Stock, Zimmer 408.“ Er nickte ihnen noch einmal grüßend zu. „Danke Doktor.“ Jody lächelte ihn kurz an, bevor er das Zimmer verließ. Sie trat ans Bett und legte ihre Hand auf Deans. „Du musst dir keine Sorgen machen. In Sioux Falls geht alles seinen gewohnten Gang und ich passe auf Bobby auf. Ruh dich aus und werd wieder gesund, denn auf Dauer werde ich es ohne dich nicht schaffen, auf die zwei Sturköpfe aufzupassen.“ Sie drückte die Hand in ihrer kurz und machte den Platz für Bobby frei. Auch der griff nach Deans Hand. Leise gab er ihm einen schnellen Bericht über seinen Fall und erklärte, dass es ihm gut ging und dass auf dem Schrottplatz alles in Ordnung war. „Und jetzt lassen wir dich schlafen. Mal sehen, ob sich Sam zu einem Kaffee überreden lässt.“ Er schaute fragend zu dem jüngeren Winchester. Der verzog das Gesicht, doch dann nickte er. „Bis dann Junge“, sagte Bobby und verließ mit seiner Freundin das Krankenzimmer. „Ich geh nur kurz was essen, dann bin ich wieder da. Also schlaf gut. Bis gleich“, verabschiedete sich Sam nun ebenfalls und folgte den Freunden. Gemeinsam schälten sie sich aus ihrer sterilen Schutzkleidung und fuhren mit dem Fahrstuhl in die Cafeteria, wo Sam, kaum dass sie gemeinsam an einem Tisch saßen, noch einmal ausführlich von der Jagd auf den Chupacabra, bis hin zum Einsturz der Höhle berichtete. Gerade als er erzählte, dass sie ihm heute morgen mehrere Spritzen gegen Tollwut verpasst hatten, sah er Sheriff Hanscum, die sich suchend umschaute. Er hob grüßend die Hand. Sie lächelte und kam zu ihrem Tisch. „Das ist Sheriff Hanscum“, stellte Sam die Ordnungshüterin vor. „Und das sind mein Onkel, Bobby Singer und seine Partnerin, Jody Mills.“ „Jody Mills? Doch nicht etwa Sheriff? Jody Mills?“, wollte Donna augenblicklich wissen. Sie musterte die Frau aufmerksam, dann lachte sie. „Sheriff Mills! Ich hab einiges von Ihnen gehört! Sie haben Koslowski ziemlich alt aussehen lassen.“ „Koslowski?“ Jody konnte den Namen nicht zuordnen. „Bei einer Schulung vor einigen Jahren. Der Mann kam aus Montana hierher und spielte sich ziemlich auf. Kurz nachdem er hier angefangen hatte, war diese Schulung und er war noch in Ihrer Gruppe angemeldet. Sie haben ihn beim Schießen besiegt.“ „Oh man, das ist ja schon nicht mehr wahr“, lachte Jody. Jetzt konnte sie sich an diesen Typen erinnern. „Aber es stimmt. Er war ziemlich angefressen. Ich hatte nur vergessen, wie der Kerl hieß.“ „Angefressen war der hier auch noch“, freute sich Donna. „Tut mir leid, wegen der Tollwutspritzen“, wandte sie sich gleich darauf an Sam. „Was? Wieso wissen Sie von den ...“, begann der Winchester. „Eigentlich bin ich schuld, dass Ihre Neffen in der Höhle waren. Ich habe sie gebeten nachzusehen, ob diese tollwütigen Kojoten da drin sind.“ „Tollwütige Kojoten?“, fragte der alte Jäger grinsend. „Sie können frei sprechen. Sie wissen Bescheid“, warf Sam ein. Allerdings interessierte es ihn auch brennend, was die tollwütigen Kojoten jetzt mit den Chupacabras zu tun hatten. „Dann wird das wohl eine längere Geschichte“, seufzte Donna. „Ich hole mir einen Kaffee. Will noch jemand?“ „Ich komme mit“, erbot sich Jody und stand auf. Die Männer am Tisch zurücklassend, gingen sie zum Automaten. Wenige Minuten später waren die beiden Frauen zurück und setzten sich. „Wir hatten hier mehrere Todesfälle, die durch Tiere verursacht wurden. Der Pathologe war sich fast sicher, dass die Tollwut gehabt haben mussten. Warum sonst sollten Kojoten Menschen anfallen. Ich habe diese Erklärung aufgegriffen und meinen Bericht über die gestrigen Ereignisse dahingehend abgefasst.“ „Sie“, wandte sie sich jetzt direkt an Sam, „waren im Namen des Countys unterwegs und werden deshalb jetzt auch auf Kosten des Countys medizinisch versorgt. Ob diese Monster Tollwut hatten, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Die menschlichen Todesopfer wurden inzwischen eingeäschert. Um es jedoch glaubhaft erscheinen zu lassen, musste ich den Tollwutverdacht weitermelden. Und durfte mir dann natürlich heute morgen auch gleich meine Spritzen abholen.“ Sam schaute den Sheriff ungläubig an. Er brauchte eine Weile, um diese Erzählung zu verarbeiten. „Unsere, Deans Behandlung wird komplett bezahlt?“, brachte er nach einer Weile fassungslos hervor. „Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Sie haben mein Leben gerettet. Und ich will gar nicht dran denken, wie viele Opfer es gegeben hätte, wenn sich diese Viecher ausgebreitet hätten. Wenn es nach mir ginge, sollten Sie eine Medaille bekommen.“ „Die brauchen wir nicht“, lachte Sam etwas gequält. Die Spritzen, die er in den Bauch bekommen hatte schmerzten, jedoch lange nicht so sehr wie die Tatsache, dass Dean im Koma lag. Und doch schlich sich auch Freude über dieses unverhoffte Geschenk in seine trüben Gedanken. Es nahm ihm doch einige seiner Sorgen ab. Ihre Krankenversicherung deckte zwar die ärgsten Kosten ab, aber mit Sicherheit nicht alles das, was Dean zur Genesung brauchen würde. „Danke!“ Sam lächelte Donna warm an und auch Bobby und Jody bedankten sich aufrichtig bei ihr, für diese Unterstützung. Kapitel 225: Kleine Fortschritte -------------------------------- 225) Kleine Fortschritte ??? In den nächsten zwei Tagen schwankte Sam zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, je nachdem, ob es Vormittag oder Nachmittag war. Morgens fuhr er ins Krankenhaus und nachmittags besuchten Jody und Bobby seinen Bruder. Schon alleine ein Blick auf die Uhr, während sie zu Mittag aßen, ließ heiße Eifersucht in ihm aufwallen,dabei liebte er Bobby mehr, als seinen eigenen Vater. Also versuchte er seine Aufmerksamkeit in dieser Zeit voll und ganz auf den Aufbau ihrer Datenbank im Internet zu lenken. Und es gelang ihm. Als Jody und Bobby wieder nach Sioux Falls mussten, hatte er eine Maske erstellt, in die er alle relevanten Daten eingeben konnte. Trotz seiner widersprüchlichen Gefühle, verabschiedete Sam sich nur ungern von dem alten Freund, denn er war sich sicher, dass er wohl ohne dessen beruhigender Präsenz kaum weiter so ruhig bleiben und auf sich achten würde. „Ruf an, nicht nur wenn was sein sollte“, bat Bobby, der sich nur schwer davon hatte überzeugen lassen, dass es sinnvoller war, wenn mit zurückfuhr. Doch er hatte einen wichtigen Restaurationsauftrag angenommen und auch wenn Deans Verletzungen ein guter Grund war den gerade jetzt ruhen zu lassen, so war der Kunde wohl nicht der einsichtigste wenn es darum ging, dass er etwas nicht dann bekam, wenn er es wollte. „Ich melde mich jeden Abend, zumindest solange Dean noch auf der Intensivstation liegt. Dann schmeißen die mich ja eh raus“, versprach er mit einem bitteren Lächeln. „Halt die Ohren steif“, bat Jody und zog den Jungen in eine feste Umarmung, bevor sie auf der Beifahrerseite des Mietwagens einstieg. „Dem kann ich mich nur anschließen“, brummelte Bobby und zog Sam ebenfalls in eine feste Umarmung. „Ich versuchs“, krächzte Sam etwas heiser. So froh er war ab sofort den Platz an Deans Seite wieder ganz für sich beanspruchen zu können, so traurig war er, dass er jetzt wieder allein sein würde. Die Abende im Motel waren lang und einsam. ‚Reiß dich zusammen Winchester‘, schimpfte er sich im Stillen. ‚Du benimmst dich wie ein Kleinkind!‘ „Ich komme klar und sobald Dean wieder wach ist, machen wir uns auf den Weg zu dir.“ „Übertreibt es nicht!“, lachte der alte Freund. „Aber ich weiß schon, Dean wird nicht lange hierbleiben wollen. Sollte es doch länger dauern, kommen wir in zwei Wochen wieder her!“ „Das klingt nach einem Plan!“, nickte Sam. „Und jetzt solltest du fahren, bevor der Flieger ohne euch abhebt.“ „Du willst uns loswerden?“ „Klar, ich will mit Dean alleine sein. Dazu hab ich ja sonst kaum Gelegenheit“, versuchte er es mit einem bitteren Scherz. „Na dann turtelt mal schön und lasst euch nicht erwischen.“ Bobby klopfte Sam noch einmal freundschaftlich auf den Rücken und stieg nun ebenfalls ein. Sam wartete bis der Wagen hinter der nächsten Ecke verschwunden war und ging dann zurück in sein Zimmer. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, schüttete Dressing in die Salatbox und schüttelte sie ordentlich durch. Sein Bruder würde das mit einer hochgezogenen Augenbraue quittieren. Er schluckte. Dann setzte er sich mit seinem Abendbrot an den Tisch, wo er ihren letzten Fall in seine Maske eintippte. Hin und wieder machte er sich Notizen, wo er noch etwas für die Eingabe anpassen musste. Am nächsten Morgen war er ziemlich müde. Er hatte bis weit nach Mitternacht über den Änderungen gesessen. Doch seine Müdigkeit schob er beiseite. Jetzt gehörte seine ganze Aufmerksamkeit seinem Bruder. Schlafen konnte er auch später noch! Lächelnd hörte die Schwester einen Augenblick zu wie Sam seinem Bruder ein Abenteuer von Pooh-Bär erzählte. Sie räusperte sich. „Mr. Winchester?“ Sam schaute erschrocken auf. „Ja?“, fragte er mit einem rosa Schimmer um die Nase. Gott war ihm das peinlich. „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Im Gegenteil. Ich finde es schön. Viele Angehörige sitzen schweigend hier, rutschen nervös auf den Stuhl herum und hoffen, dass die Zeit bald um ist, damit sie ohne schlechtes Gewissen gehen können.“ „Naja, es ist nur ... Diese Geschichte kenne ich auswendig. Er hat sie mir immer vorgelesen, als wir noch Kinder waren.“ „Dann lieben sie sie beide, also ist es doch genau richtig, oder?“ Sam zuckte die Schultern. So ganz war er noch nicht davon überzeugt. Aber wenn sie es sagte? „Dr. Brewster möchte nachher mit Ihnen reden“, erklärte sie ihre Anwesenheit. „Okay?“ Sam schluckte nervös. „Ich glaube nicht, dass es etwas Schlimmes ist“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Doch Sam blieb skeptisch. Er atmete tief durch, doch um weiterzuerzählen fehlte ihm plötzlich die Ruhe, außerdem hatte er den Faden verloren. Er schaute auf die Uhr. Die Besuchszeit war schon fast vorbei, deshalb verabschiedete er sich. „Ich bin ja gespannt, was dein Arzt will. Was bei dem Gespräch rauskommt sag ich dir heute Abend. Und ich schau mal, ob ich ein Buch finde“, versprach er noch und verließ das Zimmer. Wenig später klopfte er an die Tür von Dr. Brewsters Büro. „Sie wollten mich sprechen?“, fragte er, kaum dass er die Tür einen Spalt geöffnet hatte. „Mr. Winchester. Ja, kommen Sie herein.“ Er bot Sam einen Stuhl an. „Es geht um Ihren Bruder, wie Sie sich sicher denken können.“ Sam nickte unsicher. Er hatte sich die Monitore bei jedem seine Besuche zwar genau angeschaut und keine großartigen Veränderungen feststellen können, aber er war kein Arzt. Was wusste er schon? „Nichts Schlimmes!“ Dr. Brewster lächelte ihn warm an. Er konnte sehen, wie unwohl sich Sam gerade fühlte. „Die Schwellungen seines Gehirns sind zurückgegangen und wir wollen versuchen ihn aufwachen zu lassen. In zwei Stunden entfernen wir die Sonde. Er bekommt danach auch keine Narkosemittel mehr. Es wäre schön, wenn sie ihn durch den Aufwachprozess begleiten könnten.“ „Ich darf bei ihm bleiben?“, fragte Sam ihn nun völlig überdreht. „Über Nacht?“ „Das wollte ich damit ausdrücken.“ „Dean wird wach? Das ist … Oh man. So schnell? Irgendwie hab ich nicht damit gerechnet.“ „Es kann immer noch Tage dauern, bis er wirklich ansprechbar ist“, versuchte der Arzt die Euphorie zu dämpfen, „Und selbst müssen wir abwarten. Bei dieser Art Verletzung ist es leider vollkommen unmöglich vorherzusagen, ob und wenn ja welche Spätfolgen zu erwarten sind.“ „Es bleibt trotzdem die beste Nachricht seit wir hier sind!“ Sam wollte sich seine Zuversicht nicht rauben lassen! Irgendwann mussten sie ja auch mal Glück auf ganzer Linie haben! „Gut, dann sehen wir uns heute Nachmittag zur Besuchszeit“, sagte der Arzt und erhob sich. Für Sam fühlte es sich ein wenig an wie rausgeworfen zu werden, doch so ein Arzt hatte sicher mehr zu tun, als mit ihm zu plaudern. Kurz stand er etwas planlos auf dem Gang. Was jetzt? 'Essen, schlafen und hierher zurück', umriss er seinen weiteren Tagesablauf. Mit schnellen Schritten verließ er das Krankenhaus. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Besuchszeit lief Sam vor der Intensivstation auf und ab. Ob Dean noch hier lag? Vielleicht hatten sie ihn nach der OP aber auch gleich in ein anderes Zimmer gebracht? Wohl eher nicht. Dass sie ihn nicht mehr im künstlichen Koma hielten, hieß ja nicht, dass er schon wach war. Wie lange dauerte so ein Aufwachen? Vor zwei Jahren ... war das wirklich erst zwei Jahre her, dass Dean in der Hölle hätte landen sollen? Ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken und er schob den Gedanken schnell zur Seite. Also. Was war jetzt mit dem Aufwachen? Der Arzt klang da ziemlich ungenau und sehr verhalten! Warum? Befürchtete er Komplikationen? Aber welche? Er hatte in den Tagen, wenn Bobby und Jody bei Dean waren, auch nach den Folgen eines Schädel-Hirn Traumas gesucht und so viel gefunden, dass er die Suche, aus Angst dass etwas davon eintreten würde, nur weil er es so gelesen hatte, schnell wieder eingestellte. Klar war das irrational, das wusste er auch, trotzdem hatte er die Suche nicht wieder aufgenommen. Den Blick auf den Türknauf gerichtet, als würde der sich nur durch seinen Willen drehen, stand er an die Wand gelehnt. Irgendwann mussten sie ihn doch reinlassen, oder? Oder war bei der OP etwas schief … Nein! NEIN! NEIN! NEIN! Daran würde er nicht denken! Wenn hätten sie ihm schon längst Bescheid gegeben und nein! Dr. Brewster war ein guter Arzt! In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Intensivstation. „Mr. Winchester?“ Ein, Sam fremder, Pfleger schaute sich suchend um. „Ja!“ Mit einem langen Schritt stand Sam neben ihm. „Sie wissen Bescheid?“, fragte der Pfleger und deutete auf das Regal mit der sterilen Kleidung. „Ja.“ „Gut, dann ziehen Sie sich bitte um und warten hier, bis ich sie hole.“ „Können Sie mir nicht schon etwas zu meinem Bruder sagen?“ Die Frage verhallte ungehört im Raum. Der Pfleger war schon weiter geeilt. Schnell war er wieder zurück. Er sah zu, wie Sam sich den Mundschutz befestigte und nickte kurz. „Folgen Sie mir“, sagte er ruhig, kaum dass der Winchester zu ihm blickte. „Mr. Winchester“, begrüßte Dr. Brewster Sam, neben Deans Bett stehend, mit einem Lächeln. „Die OP ist gut verlaufen. Das ist wohl das Dringendste, was Sie wissen wollen.“ Sam nickte. Sein Blick glitt langsam über den Menschen in dem Bett, der unverkennbar sein Bruder war und der doch so wenig mit ihm zu tun hatte. Noch immer führten viel zu viele Kabel und Schläuche von ihm zu den Maschinen und Überwachungsgeräten und noch immer war sein Kopf mit dickem Schaumstoff fixiert. „Die kommen bald weg“, erklärte der Arzt als er Sams Blick sah. „Wir wollen nur warten, bis er entweder aufgewacht oder die Wunde soweit verheilt ist, dass sie nicht bei einer unbedachten Bewegung wieder aufbricht.“ Sam nickte kurz. „Und die OP?“ „Wie schon gesagt: Sie ist gut verlaufen. Die Schwellungen sind zurückgegangen und es haben sich auch keine neuen Hämatome gebildet. Wir sind mit der Heilung sehr zufrieden.“ „Und wann wacht er auf?“ „Wenn ich Ihnen das sagen könnte...“, seufzte Dr. Brewster. „Seit der OP bekommt er keine Narkosemittel mehr. Jetzt heißt es abwarten, ob er in ein echtes Koma abgeglitten ist, wovon wir allerdings nicht ausgehen. Mit ganz viel Glück blinzelt er sie heute Nacht noch an. Ich möchte Sie nochmal bitten hier zu bleiben. Reden Sie mit ihm. Versuchen Sie ihn zu beruhigen, falls er unruhig werden sollte. Es ist nicht einfach aus einem Koma aufzuwachen!“, erklärte er eindringlich. „Es tut den Patienten gut, wenn sie vertraute Stimmen hören, vertraute Personen sehen.“ „Ich werde auf jeden Fall hier bleiben!“ Etwas Anderes wäre für ihn sowieso nicht infrage gekommen. Der Arzt lächelte. So entschlossen war nicht jeder der Angehörigen mit denen er sprach und so entschieden traten noch weniger auf, zumindest wenn es um Erwachsene Patienten ging. Vielen machten die Geräte so viel Angst, dass sie nur zu gerne hier wieder flüchteten. „Sie sind selten“, erklärte er leise. Sam schaute ihn irritiert an. „Er ist mein Bruder! Er hat mich aufgezogen! Ich … Ich würde ihn nicht alleine lassen, egal was kommt oder wie lange es dauert!“ „Es könnte sein, dass Sie viel Geduld brauchen werden.“ „Wir schaffen das!“, erklärte der Winchester im Brustton der Überzeugung. „Wie lange muss er noch beatmet werden und wann kommen die ganzen anderen Kabel und Schläuche weg?“ „Ich denke, dass wir morgen Vormittag einen Versuch starten können, ihn von der künstlichen Beatmung zu befreien. Alles Andere müssen wir sehen sobald er wach ist. Ich weiß, dass Sie sich mehr erhofft haben." „Schon okay. Ich denke ich bin das Warten gewöhnt.“ Wieder musterte der Arzt Sam irritiert, doch er fragte nicht nach, sondern wandte sich zum Gehen. „Gut! Dann werde ich Sie jetzt alleine lassen. Sollten Sie etwas brauchen, klingeln Sie. Wir sehen uns morgen wieder.“ Dr. Brewster nickte ihm noch kurz zu, „Mr. Winchester.“ „Sam, bitte. Mr. Winchester war unser Vater.“ „Okay, Sam.“ Der Arzt lächelte und verließ nun endgültig das Zimmer. Nach einem weiteren, kurzen Blick auf die Monitore, zog sich Sam einen Stuhl neben das Bett, setzte sich und schob seine Hand unter Deans. „Jetzt haben wir Ruhe“, grinste er leise. Das klang ja fast als wären sie ein Liebespaar, das zum ersten Mal sturmfrei hatte. „Ich hoffe nur, du verkriechst dich nicht wieder bei Mom.“ Viel hatte er von Deans letzten Komaträumen zwar nicht gesehen, damals als er versucht hatte ihn aus den Fängen des alten Brauer zu reißen, aber dass der Ort schön und friedlich war doch. Und das Mom da war. Ihm kam ein anderer Gedanke. „Mom?“, fragte er in die verhältnismäßige Stille des Zimmers. Ob sie hier war? Das letzte Mal, als es Dean schlecht ging war sie da, vielleicht ja jetzt auch? Kapitel 226: Offene Augen ------------------------- 226) Offene Augen Eine Weile lauschte er dem Schnaufen und Zischen des Beatmungsgerätes, dann schüttelte der den Kopf. Hier waren nur Dean und er. „Mit dem Jäger-Journal bin ich zumindest soweit, dass ich jetzt alles nur noch abschreiben und unsere Fälle kopieren muss. Einige habe ich ja schon auf meinem Laptop in Dateien. Die muss ich nur übertragen“, er grinste, "So hatten die Stunden, in denen ich nicht hier sein durfte wenigstens etwas gutes. Ich weiß allerdings noch immer nicht, wie die Seite mal heißen soll. Jäger-Journal ist zu allgemein. Da kommt wohl auch jeder normale Jäger mal drauf und ich überlege noch, wie ich die Zeichnungen digitalisieren soll. Dad hat die ja oft mitten in den Text gepackt“, begann Sam zu erzählen und berichtete dann, als ihm zu dem Thema nichts mehr einfiel davon, dass es draußen immer heißer und drückender wurde. Er erzählte vom Abschied von Bobby und Jody und landete irgendwann bei einigen Anekdoten seines Studentenlebens, die Dean noch nicht kannte. Pooh-Bär wollte er ihm, jetzt wo die Möglichkeit bestand, dass Dean aufwachen konnte, nicht unbedingt erzählen. Gegen Morgen begann Dean unruhig zu werden. Sofort war Sam wieder hellwach. Er richtete sich auf und zog den Stuhl noch näher an das Bett. „Dean? Komm zurück. Ich bin hier und … Egal wie nervig du dann bist, weil du noch nicht aufstehen darfst und überhaupt … Mach die Augen auf und nerv mich. Ich werde es klaglos ertragen!“ „Na wenn das kein Angebot ist“, lachte Dr. Brewster. Der Winchester zuckte erschrocken zusammen. „Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt hab." „Schon okay.“ „Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich der Arzt. „Wie geht es ihm, das ist wichtiger, denke ich“, entgegnete Sam etwas harscher als beabsichtigt. Dr. Brewster musterte Sam kurz, dann schaute er auf die Monitore. „Die Narkosemittel sind aus seinem Kreislauf raus.“ „Woran sehen Sie das?“ Dr. Brewster deutete auf einen der Monitore. „Hier wird seine Gehirnaktivität angezeigt. Es ist viel aktiver als noch gestern Abend.“ „Aber er ist noch nicht aufgewacht.“ „Das Gehirn ist auch im Schlaf aktiv.“ „Er träumt also?“, für einen Augenblick stolperte Sams Herz. Lag Dean doch wieder im Koma, so wie damals? Wollte er nicht aufwachen? War er wieder bei Mom? Die Vorzeichen jetzt waren andere, aber … Mühsam schluckte er seine Ängste herunter und konzentrierte sich wieder auf den Arzt. „... wir werden gleich versuchen die künstliche Beatmung einzustellen.“ Sam nickte. Da hatte er wohl die Antwort auf seine Frage verpasst. Er schluckte und versuchte sich auf den Arzt zu konzentrieren. Einerseits wollte er nicht noch eine wichtige Information überhören, andererseits hoffte er so seine Ängste verdrängen zu können. „Kann ich hierbleiben?“, fragte er leise. „Wenn Sie uns nicht im Weg stehen.“ „Bestimmt nicht!“ Dr. Brewster lächelte kurz. Sein Blick wanderte von dem einen Bruder zum anderen und er fragte sich was da noch zwischen ihnen war. Gut, Dean hatte Sam, nach dessen eigenen Worten, aufgezogen, was er schon merkwürdig fand, immerhin war er nicht so viel älter, aber trotzdem waren beide inzwischen erwachsen und da ging man doch eigentlich eigene Wege, oder? Zumindest war das bei allen, die er kannte so. Aber so sehr es ihn auch wunderte, so sehr bewunderte er diesen Zusammenhalt auch. Zu seinem Geschwistern hatte er weniger Kontakt als er es sich wünschte. Die hereinkommenden Ärzte und Schwestern beendeten seine Überlegungen vorerst. Sam verzog sich ohne ein weiteres Wort in die Ecke am Fenster, von wo aus er, dank seiner Größe, so ziemlich alles mitbekommen konnte, was sie mit Dean anstellten. Er schaute zu, wie alle, die um das Bett standen, gebannt auf seinen Bruder starrten und wie einer der Pfleger die Beatmungsmaschine abstellte. Dieser eine Mann hielt seinen Blick auf seine Uhr gerichtet. Gebannt starrte auch Sam auf den Brustkorb seines Bruders. ‚Bitte Dean, atme‘, flehte er stumm, doch nichts passierte. Stunden schienen zu vergehen und auch die Ärzte wurden langsam unruhig. Würden sie den Versuch abbrechen? Sam wusste es nicht, doch er hoffte noch immer, dass sie es nicht tun mussten. Plötzlich hob sich Deans Brustkorb und Sam atmete ebenfalls wieder ein. Die Ärzte warteten noch fünf Minuten. „Gut, befreien wir ihn von dem Schlauch“, sagte einer der Ärzte. Sie warteten noch ein paar Minuten, dann verließ der Tross das kleine Zimmer. Dr. Brwester tat zu Sam. „Er hat die nächste Hürde genommen. Das ist gut!“, erklärte er lächelnd und drückte Sam eine kleines Pumpspray in die Hand. „Wenn er wach wird, wird er einen trockenen Mund haben, dann können Sie ihm das geben. Ein kurzer Stoß! Nur leicht anfeuchten! Auf keinen Fall soll er schlucken!“, erklärte der Arzt eindringlich. „Warum nicht?“ „Wir wollen erst sicher sein, dass sein Schluckreflex intakt ist. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma müssen wir mit Allem rechnen und auch das Intubieren kann problematisch sein. Nichts wäre schlimmer als wenn er jetzt Wasser in die Lunge bekommen würde. Wir wollen einfach sicher gehen.“ Sam nickte. Auch er wollte nichts riskieren, was Deans Genesung behindern konnte. Gegen Mittag öffnete Dean zum ersten Mal, seit er verschüttet worden war, die Augen. Er blinzelte nur kurz in das grelle Licht der Neonleuchten und war gleich darauf wieder eingeschlafen. Für Sam war das der wohl schönste Augenblick seit Wochen. Sanft strich er immer wieder über Deans Hand und versuchte seiner überschäumenden Freude Herr zu werden. Klar würde wohl noch das Eine oder Andere auf sie zukommen. Deans Knochen waren noch nicht ausgeheilt und er würde wohl auch noch hier bleiben müssen, vielleicht auch noch eine Weile im Bett, doch das war egal. Dean war wach. Er hatte auch diesen Schlag weggesteckt! Jetzt wollte er einfach nur noch nach vorn blicken! Das neue Leben wartete! Eine Schwester schaute mal wieder kurz in den Raum. Eigentlich musste sie hier nichts kontrollieren, der junge Mann am Bett würde schon Alarm schlagen. Der Anblick dieses jungen Mannes, der sich durch nichts entmutigen ließ und immer noch am Bett seines Bruders ausharrte, hinterließ jedoch ein so tolles Gefühl, dass sie nicht anders konnte, als immer wieder hier hereinschaute. „Kann ich mir einen Kaffee holen?“, fragte Sam sie dieses Mal. „Ich kann Ihnen einen von uns bringen“, bot sie ihm an. „Das ist nett und ich komme bestimmt darauf zurück, aber jetzt würde ich mir gerne ein bisschen die Beine vertreten. Ich hab das Gefühl hier langsam anzuwachsen.“ „Gehen Sie ruhig. Wenn Sie wiederkommen, klingeln sie zweimal kurz. Ich lasse sie dann so rein.“ Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Auch mit Kaffee?“ „Auch mit Kaffee.“ „Danke“, Sam schenkte ihr ein warmes, leicht verunglücktes Lächeln, denn er musste gähnen. Er warf einen kurzen Blick auf seinen schlafenden Bruder und stakste mit steifen Beinen zur Tür. „Ich weiß dass Sie meinem Rat nicht folgen werden, ich muss ihn Ihnen aber trotzdem geben“, begann sie und legte ihm ihre Hand auf den Arm. „Fahren Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus.“ „Sollte ich, hm? Aber ich kann, ich will ihn nicht alleine lassen. Nicht jetzt.“ „Das dachte ich mir“, nickte sie und machte den Weg frei. Über eine Stunde später kam Sam mit einem Becher Kaffee zurück. Er klingelte zweimal kurz hintereinander an die Tür der Intensivstation und wartete mit angehaltenem Atem. Die Schwester öffnete. „Ich dachte schon, Sie hätten sich meinen Rat doch zu Herzen genommen.“ „Sie haben Recht, immerhin bin ich in der Cafeteria eingenickt, aber ich kann ihn jetzt einfach nicht alleine lassen!“ „Irgendwann werden Sie das wohl oder übel tun müssen.“ „Schon, aber nicht jetzt, bitte!“ Sam setzte seinen besten Dackelblick auf. „Kommen Sie schon rein“, lachte die Schwester. „Aber wenn ich Feierabend habe, nehme ich Sie mit nach draußen!“ Noch einmal versuchte der Winchester es mit seinem Hundeblick. „Ich muss Sie enttäuschen, das hilft nur einmal“, sie lächelte. „Sie brauchen wirklich Schlaf.“ Sam nickte nur. Schnell ging er in Deans Zimmer. Sein müder Blick wanderte wie üblich erst über die Monitore und dann zu seinem Bruder. Dean blickte ihn aus großen Augen fragend an. ‚Alles normal‘, schoss es ihm durch den Kopf und er ging zu seinem Stuhl. Noch während er den ersten Schritt machte erstarrte er. Der Kaffeebecher rutschte ihm fast aus der Hand. Dean war wach! Er war wirklich wach! „Oh mein Gott, Dean!“, wisperte Sam heiser. Tränen drängten sich in seine Augen. Hilflos klammerte er sich an seinem Kaffeebecher fest. Dean blieb stumm. Sein Blick lag weiterhin starr auf Sam, während er dem Klang der Stimme nachhorchte. ‚Dean? War das ein Name? Wessen?’ Er hatte keine Ahnung was das Wort bedeutete, doch im Moment war das noch nicht einmal schlimm. Irgendwo tief in sich drin wusste er, das es das werden würde. Aber jetzt noch nicht. Der junge Mann vor seinem Bett starrte ihn noch immer völlig entgeistert an. „Wo bin ich?“ fragte er heiser. Augenblicklich wurde er von einem Hustenanfall geschüttelt. Seine Rippen schmerzten bei jedem krampfhaften Versuch Luft zu holen. Sams Blick klebte förmlich an seinem Bruder. Er war noch immer unfähig sich zu bewegen und die Frage hatte er kaum verstanden. Doch er wollte so unbedingt zu Dean. Mit all seiner Willenskraft zwang er sich endlich einen Schritt zu machen, um Dean zu helfen. Aber wie? Durfte er ihn bewegen? Sein Kopf lag noch immer in einer Schaumstoffschale! Schnell stellte er seinen Kaffeebecher auf den Nachttisch. Vorsichtig legte er ihm eine Hand an die Wange. „Hey“, versuchte er zu ihm durchzudringen. Deans Augen fokussierten sich kurz auf sein Gesicht, dann huschten sie unruhig weiter auf der Suche nach Hilfe. Er schluckte unsicher und hielt ihm das Spray hin. Automatisch griff Dean danach. „Nur kurz drücken!“, forderte Sam, „Es hilft gegen das Kratzen.“ Dean schaute ihn mit tränenverschleierten Augen an und Sam fasste zu. Vorsichtig dirigierte er das Spray an die richtige Stelle und betätigte den Pumpknopf. Noch zweimal benutzte Dean das Spray, dann wurde der Husten weniger und hörte endlich ganz auf. Die Schwester schaute ins Zimmer. „Wir haben alles im Griff“, versuchte Sam sie zu beruhigen, doch erst nachdem sie alle Werte kontrolliert hatte, schien sie ihm zu glauben und ging wieder. „Wo?“, krächzte Dean noch einmal. Sam schluckte. Der Klos in seinem Hals wollte nicht verschwinden. Er räusperte sich. „Du bist im Krankenhaus.“ „Krankenhaus?“ „Die Mine ist eingestürzt. Du hast mich noch nach draußen schubsen können, hattest aber selber keine Chance mehr dich zu retten und wurdest verschüttet. Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, bis wir dich gefunden hatten.“ Sam schniefte. Diese Erinnerung schmerzten noch immer. Er schluckte hart, bevor er fortfahren konnte. „Dein linkes Handgelenk ist angeknackst und das rechte Bein. Du hast drei gebrochene Rippen und etliche Prellungen. Und du hast fast eine Woche im künstlichen Koma gelegen. Die Ärzte waren sich nicht sicher, wie du das wegstecken würdest. Man, ich bin so froh dich wieder zu haben. Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.“ Sam schniefte noch einmal. Er griff nach seinem Kaffeebecher und nahm einen Schluck. Dean blinzelte immer häufiger. Er war so müde, aber eins musste er noch fragen. „Wer bist du?“ Kapitel 227: Hiobsbotschaften ----------------------------- 227) Hiobsbotschaften Jetzt rutschte Sam der Becher doch aus der Hand und fiel zu Boden. Nur gut, dass er fast leer und außerdem mit einem Deckel verschlossen war. Die Sauerei hätte er nicht erklären können und er wollte der netten Schwester keinen Ärger machen. Sie würde ihn sonst nie wieder so hier herein lassen. Er schluckte als er Deans Blick noch immer auf sie fühlte. „Das ist ... ich ... du?“ Sam bekam keinen klaren Satz heraus. Ungläubig starrte er seinen Bruder an und versuchte zu verstehen, was hier gerade passierte. Dean bekam von den Gefühlschaos, das er in seinem kleinen Bruder ausgelöst hatte nicht mehr viel mit. Er schaffte es nicht mehr die Augen noch länger offen zu halten. Noch bevor Sams Gehirn die ganze Tragweite der Frage seines Bruders begriffen hatte, fielen Deans Augen zu und er tauchte wieder in die Dunkelheit ab, in der nichts wirklich von Bedeutung war. Sam taumelte gegen seinen Stuhl und plumpste auf die Sitzfläche. ‚Oh mein Gott! Nein, bitte nicht. Was jetzt? Was bedeutete das?’ Als der Arzt kurze Zeit später den kleinen Raum betrat, war Sam noch immer von der Rolle. Dr. Brewster musterte den Winchester irritiert, kontrollierte aber zuerst Deans Werte, bevor er ihn darauf ansprach. „Die Schwester sagte, dass Ihr Bruder wach war“, stellte er in ruhigem Ton fest und blickte zu Sam. „Ich weiß“, antwortete der etwas heiser. „Und dazu hab ich eine Frage, Doktor.“ Der Arzt trat näher zu Sam. „Kann es sein, dass ... ich meine“, Sam schluckte unbehaglich. Übertrieb er vielleicht? Nahm er das alles zu ernst? „Er wollte wissen, wer ich bin.“ Jetzt war es raus und er atmete erleichtert auf. Dr. Brewster musterte erst Sam dann Dean. „Es könnte durchaus möglich sein, dass er unter Amnesie leidet. Die schlimmste Verletzung seines Gehirns war im dem Bereich, in dem die Erinnerungen gespeichert werden. Aber ich würde dem jetzt noch keine so große Bedeutung beimessen. Er hatte eine schwere Hirnverletzung und lag im Koma. Die meisten Patienten sind nach dem Aufwachen erst einmal verwirrt. Lassen Sie ihm Zeit richtig wach zu werden, dann hat sich das Problem vielleicht ja schon geklärt.“ Freundlich lächelte der Arzt Sam an. „Und wenn es Amnesie ist, wie lange dauert die?“ So schnell wollte Sams Angst einfach nicht vergehen. „Wenn er wirklich darunter leiden sollte, kann Ihnen das kein Arzt sagen. Vielleicht für immer. Vielleicht kommen die Erinnerungen wieder. Vielleicht auch nur ein Teil. Manchmal geschieht das von allein. Doch dass ist selten. Er hat Sie gefragt wer Sie sind?“, hakte er noch einmal nach. Sam nickte, den Blick nicht von seinem Bruder nehmend. „Sollte er wirklich unter einer Amnesie leiden, würde das bedeuten, dass ihm sämtliche Erinnerungen fehlen.“ „Gott, nein!“, keuchte Sam. „Noch ist nichts bewiesen“, versuchte Dr. Brewster Sam zu beruhigen. „ Lassen Sie ihm Zeit. Die sollten Sie sich übrigens auch für sich nehmen. Wie lange sind Sie jetzt hier? Seit gestern?“ „Seit gestern“, bestätigte Sam leise. „Dann fahren sie jetzt in Ihr Motel und schlafen ein paar Stunden. Ich werde den Schwestern die Anweisung geben, Sie frühestens in sechs oder sieben Stunden wieder hier herein zu lassen!“ „Das können Sie doch nicht machen! Ich meine, ich ...“ Sam war entsetzt. „Sam, ich bin Arzt und habe einen Eid geleistet Leben zu schützen und Gesundheit zu erhalten. Ihre ist zur Zeit ernsthaft gefährdet.“ „Ich kann doch nicht einfach ...“ Sam verschlug es die Sprache. „Er braucht mich!“ Tränen der Enttäuschung und Wut drängten sich in seine Augen. „Genau, er wird Sie brauchen. Ausgeschlafen! Er wird Ihnen alles abverlangen. Sie werden ihn bremsen müssen und sie werden ihn antreiben müssen. Sie werden der Prellbock für seine Launen sein, bis er wieder selbstständig agieren kann, und das Normalfall. Sollte er jedoch auch noch unter Amnesie leiden, wird es sie noch viel mehr Kraft kosten. So schaffen Sie nicht mal einen Bruchteil dessen, bevor sie neben ihm im Bett landen! Bitte Sam. Noch schläft er viel. Noch können Sie sich diese Auszeit bedenkenlos nehmen. Tun Sie es!“ Sam drehte sich zum Fenster und unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht, aber nur vielleicht hatte Dr. Brewster ja Recht. Sein Blick glitt über das blasse Gesicht seines schlafenden Bruders. Er nickte leicht. „Okay“, sagte er leise und ließ die Schultern hängen. „Ich fahre. Nachher!“ Dr. Brwester nickte kurz: „Bleiben Sie nicht mehr zu lange“, forderte er leise und verließ das kleine Zimmer. Sam wischte die Kaffeepfütze auf und blickte dann wieder zu Dean. Dr. Brewsters Aussagen wollte er einfach nicht glauben. Er kannte seinen Bruder und er wusste, dass der nervig bis unausstehlich sein konnte. Aber er würde doch nie ...! Nein, das wollte er einfach nicht glauben. Trotzdem hatte der Arzt Recht. Er war müde und Deans Frage hatte ihn mehr geschockt als er zugeben wollte. Er seufzte. „Schlaf dich aus und ärgere die Schwester nicht“, sagte er leise und wandte sich dann zur Tür. Nur raus hier, bevor sein Herz über seinen Verstand siegte. Auf dem Parkplatz warf er seinen leeren Kaffeebecher in einen Papierkorb. Er ging zum Impala und ließ seine Hand über das schwarze Blech gleiten, während er um sie herum zur Fahrerseite ging und rutschte gleich darauf auf den Sitz. Das Knarren der Tür klang in seinen Ohren genauso traurig, wie er sich fühlte. Während der Fahrt haderte er mit sich, dass er sich so leicht hatte vertreiben lassen. Ja er war müde und ja er könnte im Stehen einschlafen, aber er hätte sich trotzdem wehren sollen! Es fühlte sich an, als hätte er Dean in seiner schwersten Stunde alleine gelassen! Wütend auf sich und die Welt fuhr er auf den Parkplatz vor ihrem Motelzimmer, stieg aus und schlug die Wagentür mit aller Kraft zu. Es war nicht richtig Deans Baby für sein Versagen büßen zu lassen, aber sie hätte ihn ja unterstützen können! Sie hätte ja einfach nicht anzuspringen brauchen! Im Zimmer ließ er sich auf sein Bett fallen. Er leerte den Inhalt der Tüte, die er sich bei einem Diner geholt hatte, lieblos auf dem Nachttisch aus. Er öffnete die beiden Boxen, riss die Ketchupbeutelchen auf und verteilte das rote Zeug über den Pommes und den Hähnchennuggets. Abechselnd schob er sich Pommes und Nuggets in den Mund, ohne wirklich etwas zu schmecken. Aber das war egal. Er wollte nur so schnell wie möglich seinen Magen beruhigen, um gleich schlafen zu können. Unruhig wippte Sam von einem Fuß auf den anderen, während er darauf wartete, dass ihm endlich jemand die Tür zur Intensivstation öffnete. So lange hatte er Dean, seit dem Unfall nicht alleine gelassen. Er fühlte sich zwar so ausgeruht wie seit Bobbys Besuch nicht mehr, hatte aber auch ein ungutes Gefühl im Bauch, dass einfach nicht verschwinden wollte. Endlich hörte er das Klicken des Schlosses und dann ging die Tür auf. „Mr. Winchester“, begrüßte in die Schwester lächelnd. „Ich freue mich ja Sie zu sehen, aber ich glaube, Sie kommen nicht wegen mir, oder?“ „Nein?“ Sams Augen weiteten sich erschrocken. „Ihr Bruder liegt nicht mehr hier.“ Sofort rutschte Sam das Herz einen halben Meter tiefer. „Nicht?“, japste er tonlos. „Nein, da Ihr Bruder stabil ist, hat Dr. Brewster eine Verlegung auf die neurologische Station angeordnet.“ „Danke“, keuchte Sam erleichtert. Ein Gebirge polterte von seinem Herzen. Er wandte sich ab. ‚Wo war denn jetzt diese Station?‛ Gerade als er sich umdrehen und fragen wollte rief ihn die Schwester zurück: „Mr. Winchester?“ Fragend schaute Sam zu ihr. „Dr. Brewster möchte erst noch mit Ihnen sprechen. Er ist gerade hier. Wenn Sie noch einen Augenblick warten, bringt er Sie gleich runter.“ „Okay.“ Sam klang ein klein wenig frustriert, nickte aber. Was sollte er auch sonst tun? Er lehnte sich neben der Tür gegen die Wand und begann die Linoleumfliesen zu zählen. Nach dem vierten Mal verlegte er sich darauf, die Fugen zu zählen, das dauerte länger. Endlich öffnete sich die Tür. Dr. Brewster verließ die Intensivstation. „Sam!“, begrüßte er den Wartenden freundlich. „Sie sehen besser aus, ausgeruhter!“ „Dr. Brewster“, antwortete Sam mit einem Nicken. „Sie habe Dean verlegen lassen?“ „Ja, ich bringe Sie gleich hin, aber vorher gehen wir in mein Büro. Wir haben einige Tests mit ihm gemacht und die Ergebnisse möchte ich mit Ihnen besprechen.“ „Okay?“ Schon wieder rutschte Sams Herz nach unten. Der Weg durch die Flure des Krankenhauses schien endlos zu sein, doch endlich waren sie im Büro des Arztes und nahmen Platz. „Was ich Ihnen zu sagen habe, wird in Ihren Augen wohl einer Hiobsbotschaft gleichkommen“, begann der Arzt ernst. Er nahm eine Akte vom Stapel und schlug sie auf. „Wie schon gesagt, haben wir einige Test mit ihm gemacht.“ Sam seufzte leise. Jetzt kamen also die Tiefschläge. Aber warum musste der Arzt erst ewig um den heißen Brei herumreden? Dr. Brewster konnte sich denken, wie das Alles für einen Angehörigen klingen musste und er hoffte, dass er so ein Gespräch nie auf der anderen Seite des Schreibtisches führen musste. „Es ist nichts, was sich nicht beheben lässt und es ist nichts, womit er nicht leben könnte“, versuchte er Sams Ängste schon von vornherein etwas zu beruhigen machte es aber wohl nur noch schlimmer. „Spucken Sie es aus, Doc. Diese homöopathischen Dosen machen es auch nicht besser“, grummelte der Winchester. Er wollte endlich wissen woran er war. „Gut! Also: Sie haben Recht. Ihr Bruder leidet unter einer retrograden Amnesie. Er hat keinerlei Erinnerungen an sein Leben. Er ist ... stellen Sie sich ein Vorschulkind vor. Sein Wortschatz ist auch ungefähr auf dem Niveau. Schreiben und lesen wird er wohl neu lernen müssen. Vielleicht kommt es aber auch wieder, wenn er den ersten Versuch gemacht hat, das können wir in der Kürze der Zeit noch nicht sagen. Außerdem ist die Motorik seiner rechten Körperseite etwas eingeschränkt. Aber das lässt sich mit einer Therapie schnell beheben.“ Sam schluckte. Er versuchte die Tränen zu unterdrücken, die in seinen Augen brannten. „Das heißt, ich hab statt meines großen Bruders ein behindertes Kind?“ Da wäre ja Kyle besser! „NEIN! Sam!“, unterbrach der Arzt seine Gedankengänge wütend. „Nein Sam! Dean ist kein behindertes Kind. Ja, er kann derzeit seine rechte Hand und das Bein nicht so gut steuern, aber die Motorik lässt sich trainieren. Seine linke Hand kann er zur Zeit nicht benutzen und wenn er auch noch Schreiben übt, ist das schneller erledigt, als Sie glauben wollen. Außerdem ist sein rechtes Bein eh noch geschient. Er kann noch nicht aufstehen. Wenn er wieder zu laufen beginnt ist in vier bis sechs Wochen nichts mehr davon zu spüren. Und die Amnesie? Er lernt schnell und …“ „Woher wollen Sie das denn wissen?“, fuhr Sam den Arzt wütend an. Er wusste, dass er ungerecht reagierte, doch er war gerade nicht in der Lage rational zu denken, geschweige denn zu handeln. „Ich habe ihm ein paar Farbkarten gezeigt, die er am Anfang nicht benennen konnte. Ich habe ihm die Farben genannt. Am Ende der Untersuchung habe ich ihm die Farbkarten erneut gezeigt. Er wusste jede Farbe.“ Dr. Brwester legte Sam eine Hand auf den Arm. „Er lernt ...“ „Farben“, schnaubte Sam. „Er hat sein Leben vergessen und Sie kommen mir mit Farben?!?“ „Ja, ich komme Ihnen mit Farben. Irgendwo müssen wir ja anfangen. Es ist ein schneller Test, der uns zeigt, wo wir stehen und damit auch, wie wir dem Patienten am schnellsten und am effektivsten helfen können.“ „Aber er ist ein Kind! Ich ... Er ist derjenige, der gut mit Kindern kann! Ich kann das nicht!“ Hatte er nicht schon genug Fehler bei Kyle gemacht? Musste sich das wiederholen? „Sie sollen ihn ja auch nicht wie ein Kind behandeln!“ „Aber Sie sagten doch ...“ Sam war noch immer unfähig zu denken. Ein Kind. Dean war ein Kind. Das ... „Er hat JETZT in etwa den Wissensstand eines Vier- bis Sechsjährigen. Und doch sollten Sie ihn ganz normal behandeln, so wie Sie mit Ihrem Bruder umgehen. Erklären Sie ihm, was er nicht weiß. Zeigen Sie ihm die Welt, Ihre Welt. Aber achten Sie auf ihn. Sie dürfen ihn weder über- noch unterfordern.“ „Na super“ Sam holte tief Luft, doch es half ihm nicht. Seine Selbstbeherrschung brach zusammen. Tränen liefen ihm über die Wangen. Wie sollte es denn jetzt weitergehen? Er barg sein Gesicht in den Händen. Kapitel 228: Eine Geschichte ---------------------------- 228) Eine Geschichte Dr. Brewster wartete geduldig, bis Sam sich wieder gefangen hatte. Er wusste, dass das, was da auf den jungen Mann einprasselte im Moment viel zu viel war. Ihm waren Angehörige, die mit Tränen oder einfach nur wütend reagierten viel lieber als die, die ihre Gefühle in sich hineinfraßen und irgendwann im falschen Augenblick explodierten. „Und jetzt? Wie soll es denn jetzt weiter gehen?“, fragte Sam leise schniefend, nachdem er sich halbwegs gefangen hatte. Dieser Gefühlsausbruch war ihm peinlich, doch es hatte ihn gerade einfach überrollt. „Jetzt versuchen wir alle an einem Strang zu ziehen. Auf Ihnen wird die Hauptlast liegen, aber die Therapeuten und ich werden Ihnen immer zur Seite stehen. Sie können jederzeit fragen. Am Besten behandeln Sie ihn ganz normal. Er wird früh genug selbst merken, dass etwas falsch ist und es ist eher kontraproduktiv wenn er sich zu sehr unter Druck setzt.“ Sam nickte unsicher. Er wusste nicht, ob er das konnte, aber ihm blieb da wohl keine Wahl, oder? „Können wir dann wenigstens das „Sie“ lassen? Es würde mir helfen.“ „Oliver“, nickte der Arzt und hielt dem Winchester die Hand hin. „Danke. Kann ich jetzt zu Dean?“ „Aber klar, kommen S... Komm.“ Vorn, gleich hinter dem Eingang der neurologischen Station und vor Dr. Brewsters Büro, gab es eine Toilette. „Kann ich schnell?“, fragte Sam etwas schüchtern und deutete auf die Tür. Er war ja schon froh, dass ihnen nicht gerade jetzt jemand entgegen gekommen war. Aber so wollte er wirklich nicht zu Dean. „Klar. Ich warte.“ Er hätte Sam ja gerne eine ruhigere Toilette angeboten, nur gab es in seinem Büro keine, wozu auch. „Okay, jetzt können wir“, sagte Sam wenige Minuten später und schloss die Tür hinter sich. Er hatte sich schnell ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht geworfen. Das machte es zwar nicht wirklich besser, aber er fühlte sich nicht mehr so wie auf dem Präsentierteller. „Hier ist es“, sagte Oliver und öffnete die letzte Tür auf der rechten Seite. „Am Ende des Ganges ist also nicht der Golf von Bengalen“, versuchte Sam einen lahmen Witz. „Nicht nur.“ Dr. Brewster trat in den Raum. Sam folgte ihm. Sein Blick fiel als Erstes auf das Bett. „Dean schläft“, stellte er das Offensichtliche leise fest, registrierte aber auch, dass er nur noch einen Verband um den Kopf trug und dieser auf einem Kissen ruhte. Sonst hatte sich nicht viel geändert. Sein Bruder wurde noch immer überwacht und es gab auch noch immer eine Atemunterstützung. Was ihn jedoch wunderte war das zweite Bett, das an der gegenüberliegenden Wand stand. „Ist das ein Zweibettzimmer?“ „Jetzt ja. Ich denke es ist für die Genesung des Patienten wichtig, dass die Bezugsperson in seiner Nähe ist.“ Er lächelte Sam an. Der Winchester schaute eine Weile etwas ratlos zwischen dem Bett, Dean und Oliver hin und her. Dann erhellte sich seine Mine schlagartig. „Das heißt, ich darf hierbleiben? Tag und Nacht? Ich muss nicht mehr ins Motel?“, sprudelte es aus ihm heraus. „Genau das sollte es heißen. Gut, ein paar Abstriche müssen ... musst du machen. Essen gibt es nur für ihn. Aber wenn du dich mit den Schwestern gut stellst ...?“ „Das ich hier schlafen darf, ist schon mehr als ich je erwartet hätte“, wehrte Sam sofort ab. Dieses Angebot war wie ein Lichtstrahl in finsterster Nacht. „Du kannst dich hier einrichten. Internet aber bitte nur über Kabel.“ Dr. Brewster deutete auf den Kanal an der Wand. „Alles klar. Danke!“ „Das Beste wäre wohl, wenn du deine Sachen gleich holst. Noch schläft er.“ „Aber wenn er wach wird?“ „Die Untersuchungen haben ihn ziemlich mitgenommen. Je länger du es rauszögerst, um so schwerer wird es werden sich loszueisen.“ „Schon“, seufzte Sam. Irgendwie wollte er sich noch nicht wieder von Dean trennen, auch wenn der ihn ja nicht einmal mehr erkannte. Er wollte da sein, wenn sein Bruder wach wurde. Er wollte ihm Sicherheit geben. „Ich muss los“, sagte Oliver und deutete zur Tür. „Wenn du Fragen hast, du weißt wo du mich findest.“ „Ja, danke!“ Sam lächelte den Arzt nur kurz an und wandte seine Aufmerksamkeit gleich wieder seinem Bruder zu. Eine Weile stand er noch neben dem Bett, bevor er sich endlich einen Ruck geben konnte, um das Zimmer wieder zu verlassen. So ganz wollte er seinem Glück noch nicht glauben. Dass er wirklich hierbleiben durfte, war so unwahrscheinlich. Selbst vor zwei Jahren musste er zum Schlafen ins Motel fahren. Aber damals war auch Bobby die ganze Zeit da gewesen und damals standen die Chancen für seinen Bruder weitaus schlechter, irgendwie. Jetzt war Deans Leben an sich zwar nicht mehr bedroht, aber so wie es gerade aussah, hatte er seinen Bruder trotzdem verloren. Unwirsch schüttelte er den Kopf. Irgendwie würde es auch jetzt weitergehen! „Ich bin nicht lange weg“, sagte er leise und wandte sich nun endlich zum Gehen. Leise schloss er die Tür und rannte dann, wie von Furien gehetzt durch den Gang, die Treppen hinunter und zum Parkplatz. Keine Stunde später kam er bepackt mit Reisetasche und Laptop in der rechten und einem Tablett mit einem Becher Kaffee und einer Schüssel Salat in der linken Hand zurück. So schnell hatte er wohl noch nie ein Zimmer geräumt, wenn er nicht gerade wirklich auf der Flucht war. Er schob das Tablett auf den kleinen Tisch, legte den Laptop daneben und ließ die Reisetasche zu Boden fallen. Leise atmete er durch und grinste. Dean schlief noch. „Bin wieder da“, informierte er ihn trotzdem. Er warf seine Jacke auf sein Bett, nahm sich den Kaffee und setzte sich erst einmal auf den Stuhl neben Dean. Es hielt ihn nicht lange da. Jetzt, wo er doch jede Zeit der Welt hätte, erfasste ihn eine Unruhe, die er nur durch Bewegung bekämpfen konnte. Also räumte er seine Kleidung in den kleinen Schrank, stöpselte den Laptop an das hausinterne Internet und fuhr ihn hoch. Unschlüssig stand er einen Augenblick mitten im Raum und überlegte. Sollte er sich zu Dean setzen? Dann würden seine Gedanken Achterbahn fahren und sämtliche schlechte Szenarien, die seit Dr. Brewsters Eröffnung in ihm rumorten, endgültig hochkochen. Genau die wollte er aber nicht! Blieb nur, sich irgendwie anderweitig zu beschäftigen! Schnell zog er die Decke über Deans Körper etwas höher, warf einen kurzen Blick auf den Monitor und setzte sich hinter seinen Laptop. Arbeit war noch immer die beste Ablenkung. Leise klapperte auf dem Gang Geschirr aneinander, als Dean die Augen aufschlug. Neugierig schaute er sich um. Der Raum war in ein mildes Licht gehüllt. Vor den Fenstern waren Jalousien, die das grelle Sonnenlicht aussperrten. Neben ihm stand ein Monitor mit zuckenden grünen Linien darauf. Es piepste leise. Am Tisch neben dem Fenster saß der jungen Mann, der an irgendetwas arbeitete. Drei Kaffeebecher standen auf dem Tisch. Sein Hals fühlte sich trocken und kratzig an, aber das war noch nicht so schlimm. Er wollte die Stille nicht unterbrechen. Es war schön einfach nur dazuliegen und dem Klappern der Tasten zu lauschen. Das Geräusch hinterließ ein gutes Gefühl in seinem Inneren. Sam klappte seinen Laptop herunter. Sein Magen meldete sich knurrend. Seitdem er den Salat gegessen hatte, waren auch schon wieder Stunden vergangen und das Klappern auf dem Gang tat Kund, dass es Zeit fürs Abendessen war. Er stand auf und streckte sich. Sein Blick huschte zu Dean hinüber. Er stockte. Große, grüne Augen sahen ihn an. „Wie lange bist du schon wach? Und warum hast du nichts gesagt?“ Dean überlegte kurz. „Es war nicht so wichtig. Ich wollte nicht stören.“ „Das du wach bist, ist das Wichtigste überhaupt in diesem Raum“, blaffte Sam. Deans Augen weiteten sich kurz, doch er schwieg und schaute ihn nur weiter an. Unter den wachsamen Augen seines Bruders, begann Sam sich unbehaglich zu fühlen. „Sagst du mir jetzt wer du bist?“ fragte Dean in die sich ausbreitende Stille. Jetzt weiteten sich Sams Augen. „Sam“ krächzte er. „Ich bin dein Bruder, Sam.“ „Sam“ erwiderte Dean leise. Und wieder schien er in sich hinein zu hören. „Sam“, erklärte der Jüngere jetzt mit fester Stimme, „und dein Name ist Dean. Dean Winchester. Du bist 32, seit ein paar Monaten. 4 Jahre älter als ich. Wir wurden in Lawrence, Kansas geboren.“ Dean hörte aufmerksam zu. Wieder lauschte er in sich hinein. Doch es kam kein Echo auf Sams Worte. Sam trat an das Bett seines Bruders und wartete. Vielleicht hatte er Fragen. Sein Bruder musste doch neugierig sein! Er musste ihn doch über ihr Leben ausfragen, über ihre Eltern! Oder? Hastig überlegte er was er sagen könnte. „Kann ich was zu trinken haben?“ Sams Kinnlade klappte nach unten. Als er es bemerkte grinste er verlegen. Mit jeder Frage hätte er gerechnet, an so etwas Profanes wie Trinken hatte er nicht gedacht. „Klar! Irgendwelche Wünsche?“ „Ich ... was mag ich?“ „Bier“ grinste Sam noch breiter. „Aber das werden sie dir hier wohl nicht genehmigen. Tee könnte ich anbieten.“ „Tee?“ Sam nickte verlegen und verschwand. Gleich darauf kam er mit einer Thermosflasche und einem Becher zurück. Er goss etwas Tee in den Becher, schob seine Hand unter Deans Rücken und half ihm sich aufzurichten, bevor er ihm den Becher an die Lippen setzte. Er musste den Becher einmal nachfüllen, bevor Dean sich zurücklehnte und somit signalisierte, dass er genug hatte. Sanft ließ Sam ihn wieder in die Kissen sinken. „Wie ist das passiert?“ fragte der Ältere deutete auf seine Hand und ließ den Blick langsam zu seinem Bein gleiten. Sam stellte den Becher zu Seite. Die Geschichte für Dean hatte er sich schon überlegt. Sie war nicht ganz logisch, aber sie würde alles erklären. „Wenn du etwas nicht verstehst, etwas nicht weißt, sag Bescheid, ja?“ Dean zog die Augenbrauen zusammen, nickte aber kurz. „Wir wollten auf dem Zeltplatz hier in der Nähe übernachten und haben Holz für ein Feuer gesucht. Im Wald haben wir Hilferufe gehört und sind ihnen nachgegangen. Der Sheriff ist von einem tollwütigen Kojoten angefallen worden. Sie konnte ihn abwehren und er lief weg. Sie war auf der Suche nach ihm, weil er schon mehrere Menschen hier angefallen hatte, aber bis dahin nicht erschossen werden konnte. Wir halfen ihr und fanden erst die Spur und dann auch diesen Kojoten, aber das Vieh hat sich in eine alte Mine geflüchtet. Der Sheriff konnte da nicht rein, weil sie verletzt war, also haben wir es gemacht. Wir sind in die Mine gegangen und haben den Kojoten erschossen. Leider war die Mine sehr instabil und brach zusammen. Du konntest mir noch genug Schwung geben, damit ich es heil nach draußen schaffte, aber du bist verschüttet worden. Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir dich bergen konnten.“ Aufmerksam musterte Sam seinen Bruder. Kaufte er ihm diese Geschichte ab? „Was ist tollwütig?“, wollte Dean wissen. „Eine schlimme Krankheit. Wenn sie erst ausgebrochen ist kann man sie nicht mehr heilen. Mensch oder Tier, fast alle sterben daran.“ „Dem Sheriff geht es gut?“ „Ja, sie ist okay. Das Vieh hatte ihrer und ein paar ihrer Freunde vor ein paar Tagen angefallen. Sie wollte es endlich erlegen. Den Kindern und dem Sheriff geht es gut. Sie haben sich immer mal wieder nach dir erkundigt.“ „Was ist eine Mine?“ „Eine Art Tunnel in einen Berg, den man gräbt, wenn man Erze abbauen will, oder Kohle.“ „Hast du noch was zu trinken?“ Dean schien die Erklärung einfach so hinzunehmen, genau wie die Geschichte. Sam nickte und füllte den Becher noch einmal. Wieder half er seinem Bruder sich aufzurichten und hielt den Becher. Dean trank mit großen Schlucken. Dann ließ er sich ins Kissen fallen, er war schon wieder hundemüde. Immer wieder blinzelte er. „Schlaf dich gesund“, sagte Sam leise und zog die Decke wieder etwas höher. Er wartete, bis Dean eingeschlafen war, bevor er das Zimmer leise verließ und nach Dr. Brewster suchte, um ihm von der neuesten Entwicklung zu erzählen. Außerdem wollte er endlich etwas essen. Kapitel 229: Langeweile ----------------------- 229) Langeweile Gestärkt und mit sich zufrieden kam er ins Zimmer zurück. Er legte die Bücher, die er für Dean mitgebracht hatte auf dessen Nachttisch und machte sich wieder daran, ihre Fälle in seine Datei zu übertragen. Mitten in der Nacht wurde Sam von einem Knall aus den Schlaf gerissen. Erschrocken fuhr er hoch und schaute sich kampfbereit um. Wo war er? Es dauerte jedoch nur Sekunden, bis er seine Umgebung zuordnen konnte. Im schwachen Schein des Nachtlichtes sah er Dean, der halb aus seinem Bett hing und sich mit seiner rechten Hand mühsam am Nachttisch festhielt, um nicht ganz aus dem Bett zu fallen. Sofort sprang er auf die Füßen und lief zum Bett. Er umfasste Deans Oberkörper und drückte ihn vorsichtig zurück in die Kissen. „Was sollte dass den werden?“, schimpfte er leise. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag Dean da und versuchte erst einmal nur zu atmen. Seine Arme hielt er um seine Rippen geschlungen und die Augen geschlossen. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Schnell drückte Sam auf den Knopf, der sofort eine größere Dosis Schmerzmittel in Deans Kreislauf pumpte. Er erhob sich leise seufzend und holte einen Waschlappen aus dem Bad. Sanft wischte er seinem Bruder den Schweiß von Gesicht und Armen. Kaum war er fertig, legte er den Waschlappen zur Seite und wartete, immer wieder sanft über Deans Arm streichend, ab bis der die Augen wieder öffnete. „Wo wolltest du denn hin?“, fragte er noch einmal. „Das Buch“, erklärte Dean und schaute auf den Boden. „Stimmt, das Buch ist runtergefallen“, bestätigte Sam, hob es auf und legte die Abenteuer aus dem Hundert-Morgen-Wald wieder auf den Nachttisch. „Das Buch“, wiederholte Dean, „Ich wollte ...“ „Du wolltest lesen?“ Sam legte es ihm auf den Bauch und schaltete mit einem kurzen Griff das Licht über dem Bett ein. Dean nickte. „Ja ich war wach und es war langweilig!“ Etwas umständlich schlug er das Buch auf und starrte eine Weile auf die Seite. Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen, legte den Kopf schief und schaute letztendlich zu Sam. „Es geht nicht“, erklärte er emotionslos. „Du kannst nicht lesen?“ „Ich ...“ Den Blick nicht von Sam nehmend zuckte er mit den Schulter und schüttelte gleich darauf den Kopf. ‚Noch etwas, was er wieder lernen muss‛, stöhnte Sam im Gedanken und verstand nicht, warum sein Bruder das so ruhig hinnahm. Sollte er nicht ausflippen? Er konnte nichts mehr! Es war nicht Dean und kein Exorzismus, kein Seelentausch brachte ihn ihm wieder! Tränen drängten sich in seine Augen. „Kannst du auch nicht lesen?“, riss Dean ihn aus der Abwärtsspirale. „Doch“ Sam blinzelte die Tränen weg, verdrängte die trüben Gedanken und schaute seinem Bruder mit einem etwas verunglückten Lächeln ins Gesicht. „Doch kann ich“, wiederholte er mit fester Stimme. Er schlug das Buch auf und begann zu lesen: „Hier kommt nun Edward Bär die Treppe herunter, rumpeldipumpel, auf dem Hinterkopf, hinter Christopher Robin. Es ist dies, soweit er weiß, die einzige Art treppab zu gehen ...“ Schon diese wenigen Worte waren wie Balsam auf Sams geschundene Seele. Diese Worte, die er so oft von Dean gehört hatte, als er noch klein war und Dean ihm die Puh-Bär Abenteuer als Gute-Nacht-Geschichten wieder und wieder vorgelesen hatte. Vielleicht sollte er das Buch selbst mal wieder lesen? Vielleicht sollte er überhaupt mal wieder mehr lesen, und zwar keine Fälle sondern wirkliche Bücher? Auch in Dean berührten diese Worte einen Punkt, der sich ihm jedoch entwand, kaum dass er danach greifen wollte. Immer verbissener versuchte er es. Doch dann wurde er von der Magie der Worte einfangen und hörte einfach nur noch zu. Langsam breitete sich die Ruhe immer weiter in seinem Inneren aus. Er entspannte sich und schlief gleich darauf wieder ein. Sam hatte die wachsende Unruhe, die seinen Bruder während der ersten Seiten erfasste, nur zu deutlich gefühlt. Er wollte gerade aufhören, als er sah, wie Dean in die Kissen sank und die Augen schloss. Erleichtert atmete Sam durch. Er las noch eine Weile weiter, dann klappte er das Buch zu und legte es zurück auf den Nachttisch. Wenn er in den nächsten Tagen einkaufen fuhr, sollte er das auch auf seine Liste setzen. So wie Dean darauf reagierte, gehörte ein eigenes Exemplar unbedingt in ihr Gepäck. In aller Ruhe musterte Sam seinen schlafenden Bruder. Selbst jetzt sah er irgendwie fremd aus oder bildete er sich das nur ein weil er wusste, dass Dean fremd war? Er zog die Decke zurecht und ging zu seinem Bett. Den Schlaf konnte er gut gebrauchen. Der morgige Tag würde anstrengend werden und zeitig genug beginnen. „Was hältst du davon lesen und schreiben zu lernen?“, fragte Sam, als Dean sich nach seinem Mittagsschlaf aufsetzte und ihn mit großen Augen musterte. Der Vormittag war mit anstrengenden Therapien angefüllt gewesen und vor dem Schlafen sollte Sam noch einmal mit seinem Bruder die Motorik trainieren. „Ich hab Papier und Stifte mitgebracht.“ „Okay?“ Dean hatte dazu, wie zu den Therapien am Morgen, keine Meinung. Doch Sam ignorierte diese Lustlosigkeit. Solange es nur anstrengend war und keine sichtbaren Erfolge brachte würde er wohl auch nicht unbedingt vor Begeisterung sprühen. „Gut“ Sam holte die Sachen von seinem Schreibtisch und überlegte dabei, wie er anfangen sollte, dem Alphabet nach oder lieber mit ganzen Worten? Erst einmal sollte Dean das D in Groß und klein üben und dann würde er weitersehen. Genauso begann Sam auch, und er war erstaunt und erleichtert, wie leicht es ihm doch fiel. Scheinbar bestätigte sich Dr. Brewsters Vermutung, dass Schreiben wie Fahrradfahren war. Bis zum Abendessen übte Dean so verbissen Sam und Dean schreiben, dass sogar seine Zungenspitze aus dem Mundwinkel lugte. Sam grinste bei dem Anblick und schrieb ein paar neue Worte auf ein Blatt. Puh, der Bär, Ferkel, Rabbit, Tigger, Känga und Ruh und Christopher-Robin. Dazu hatte Dean schon einen Bezug und würde sie deshalb wohl auch schnell lernen. Die folgenden Tage glichen dem vorangegangenen. Vormittags war Dean mit Therapien beschäftigt, die seine Motorik und Kraft trainierten, damit er schnell wieder auf eigenen Beine stehen und die Welt erobern konnte. Außerdem kam noch eine Logopädin, um seine leichte Aphasie zu beheben. Danach war Dean so erledigt, dass er meistens schon beim Mittagessen einschlief. Die zwei Stunden, in denen Dean seinen Mittagsschlaf hielt, nutzte Sam für einen ausgiebigen Spaziergang, notwendige Einkäufe und ein paar Gespräche mit Dr. Brewster und den Schwestern. Außerdem informierte er Bobby alle zwei Tage über Deans Fortschritte, die ziemlich schnell täglich sichtbarer wurden. Nur die Erinnerungen wollten sich nicht wieder einstellen. Dean schaute Tom und Jerry bei ihren Streichen zu. Doch diese Folge kannte er schon und so huschte sein Blick immer wieder zu Sam. Sam! Sein Blick huschte zu dem Mann, der an dem Tisch saß und auf der Tastatur herumklapperte. Sam war sein Bruder. Bruder … Bislang war Sam ein Mensch wie alle anderen hier auch. Er hatte die Logopädin und natürlich auch Sam gefragt, was das hieß und beide hatten ihm versucht zu erklären was Familie war. Verstanden hatte er es noch nicht wirklich. Aber er fühlte sich etwas sicherer, wenn Sam dabei war. Vielleicht heiß das ja Bruder zu sein? Eine neue Folge begann. Eine, die er noch nicht kannte und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher. „Muss ich eigentlich immer im Zimmer bleiben?“, riss Deans Frage Sam aus seinen Gedanken. Er schaute auf. Der Trickfilm war wohl zu Ende, denn es lief Werbung. „Eigentlich nicht. Willst du raus?“ „Was immer draußen ist“, nickte Dean. Er hatte es satt hier nur im Bett zu sitzen. „Ich frage einen Arzt, was wir da machen können“, versprach Sam und stand auf. „Kannst du, bevor du gehst, das Buch ...?“ Dean deutete auf seinen Nachttisch, der außerhalb seiner Reichweite stand. Er konnte sich zwar schon alleine im Bett drehen und aufsetzen, er schaffte es auch schon die Beine aus dem Bett hängen zu lassen und aufrecht zu sitzen. Gerade arbeiteten sie daran, dass er sicher stehen und die ersten Schritte gehen konnte. „Klar“, antwortete Sam und schob den Nachttisch an das Bett. Puh Bär konnte sein Bruder inzwischen alleine lesen. Die wenigen Worte, die er noch nicht verstand ließ er sich erklären, oder er schrieb sie auf und fragte Sam später, sollte der gerade nicht im Zimmer sein. „Ich geh mal fragen“, erklärte Sam und öffnete die Tür. „Bis gleich.“ Zuerst klopfte Sam an Olivers Tür. Der Arzt hatte zwar gesagt, dass er über´s Wochenende frei hatte, doch man wusste ja nie. Hinter der Tür blieb es allerdings ruhig. Sam grinste. Hatte sich seine Frau also durchgesetzt. Mit einem Lächeln auf den Lippen machte er sich auf die Suche nach Dr. Baral. Sie hatte Dienst und wusste ja ebenfalls Bescheid. Minuten später bog er in den Gang ein, in dem Dr. Baral ihr Büro hatte und lief ihr geradewegs in die Arme. „Dr. Baral! Hätten Sie kurz Zeit?“ „Wenn Sie mich begleiten. Was gibt es Mr. Winchester?“ „Mein Bruder, er fragt ob er die ganze Zeit im Bett bleiben muss. Dr. Brewster sagte dass er in einem Rollstuhl ruhig raus kann, aber er wollte warten bis Dean von selbst fragt, um ihn nicht zu überfordern. Die letzten Tage waren ziemlich vollgepackt.“ „Und jetzt langweilt er sich?“ „So in etwa“, bestätigte der Winchester lächelnd. „Ich drehe meine Runde und dann komme ich zu Ihnen. Ich will ihn mir kurz anschauen, aber ich denke, einer Runde ums Haus steht nichts im Weg.“ „Das wäre Klasse“, nickte Sam. „Danke, Doktor.“ Auf dem Gang klapperten die Schwestern schon mit dem Mittagsgeschirr. Dean hatte das Buch beiseite gelegt. Er hatte keine Lust zum Lesen, also starrte er jetzt gelangweilt auf den Fernseher. So sehr ihn die vormittäglichen Therapien auch forderten, ohne sie langweilte er sich. Außerdem fühlte er sich eingesperrt, oder wie sollte er dieses Gefühl beschreiben, das ihn zappelig machte. Immer wieder huschte sein Blick zur Tür, doch jetzt würde wohl kein Arzt mehr kommen und der musste, laut Sam, ja erst seine Zustimmung geben. Er seufzte und ließ sich in die Kissen fallen. Kurz huschte sein Blick zu Sam, der in einem abgegriffenen Buch las und hin und wieder etwas in den Computer eintippte. ‚Er schrieb Tagebuch‛ hatte er ihm gesagt. Dean seufzte erneut. Gab es da so viel zu schreiben? „Sie wird kommen“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. Auch ihm war die Unruhe nicht entgangen, doch er konnte nichts tun, um ihn abzulenken. Ihr Motorik-Training hatten sie schon gemacht, genau wie die Schreibübungen. Vielleicht hatte Dean ja Lust auf ein Spiel? Grade als er etwas vorschlagen wollte, klopfte es und Schwester Ireen brachte das Mittagessen. „Guten Appetit“, wünschte sie mit einem Lächeln und ging wieder. Dean lüftete den Deckel, ließ ihn wieder fallen und schob den Tisch beiseite. Sofort stand Sam auf und trat neben das Bett seines Bruders, um nun seinerseits die Wärmehaube anzuheben. Es gab Hackbraten und Tomatensuppe. „Koste doch erstmal, vielleicht schmeckt es ja“, versuchte er Dean zu überreden. „Keinen Hunger!“, stöhnte der und drehte den Kopf weg. „Quatsch! Du hast doch immer Hunger!“ „Ich will aber nicht! Iss du doch!“ „Dean“, versuchte Sam zu ihm durchzudringen. „Du isst doch auch nie hier!“ „Ich bin auch kein Patient.“ Dean ließ seinen Blick über seinen Bruder gleiten, drehte dann den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Wütend biss er die Zähne aufeinander. Ergeben verdrehte Sam die Augen. Jetzt noch weiter Öl ins Feuer zu schütten brachte wohl nichts. Oliver hatte ihn vor den Stimmungsschwankungen gewarnt, die bei Amnesiepatienten so ziemlich normal sein sollten. Bislang war Dean davon verschont geblieben, aber was hieß das schon. Bislang war auch gerade etwas mehr als eine Woche! Er nahm sich das Tablett und setzte sich an den Tisch und begann zu essen. Notfalls würde er Dean eben einen Burger holen. Kapitel 230: Der erste Ausflug ------------------------------ 230) Ein erster Ausflug Schwester Ireen holte das Tablett wieder ab. Lächelnd musterte sie den jungen Mann, dann schaute sie zu seinem Bruder. „Wir haben noch einen Teller übrig. Haben Sie Hunger?“, fragte sie Sam. „Vielen Dank, aber nein. Ich hab mir vorhin schon was mitgebracht.“ Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er den Teller geleert hatte. „Okay.“ Sie überlegte kurz. „Ich werde mal mit meinen Kolleginnen reden, dass wir zuletzt zu ihnen kommen, dann wissen wir, ob Essen übrig bleiben und Sie können mit ihrem Bruder zusammen essen.“ Es passiert ja immer mal, dass Patienten am Vormittag entlassen wurden oder zu längeren Untersuchungen waren und die Küche die veränderten Bestellungen nicht mehr umsetzte. „Gerne. Aber ich will Ihnen keine Umstände machen.“ „Das sind keine Umstände“, lächelte sie. „Dann gerne“ Schwungvoll verschwand sie durch die Tür. Und genauso schwungvoll wurde die Tür wenig später, nach einem kurzen Klopfen, auf das Sam noch nicht einmal antworten konnte, wieder geöffnet. „Dr. Baral“, freute er sich und schaute zu Dean, der ziemlich verschlafen blinzelte. „Oh, ich wollte Sie nicht wecken, ich ...“ „Nein, alles gut!“, entgegnete der ältere Winchester und setzte sich aufrecht hin. „Sie wollen hier mal raus?“, fragte sie eher rhetorisch. „Ja, ich … mir ist langweilig.“ „Dann will ich Sie mir mal schnell ansehen.“ Sie tastete die gebrochenen Rippen ab, kontrollierte die Schulter und das Becken und leuchtete ihm in die Augen, nachdem sie sich auch die angebrochene Nase angeschaut hatte. Zuletzt kontrollierte sie noch die Stelle, an der der Schlauch in seinen Kopf geführt worden war. „Das sieht alles gut aus, einem Ausflug auf die Dachterrasse sollte nichts im Weg stehen. Oder Ihr Bruder nimmt Sie auf einen seiner Spaziergänge mit, aber Sie bleiben bis auf Weiteres im Rollstuhl sitzen!“, fügte sie mahnend hinzu als sie sah wie Dean an den Rand seines Bettes rutschte. „Und Sie setzen sich eine Mütze auf. Wir wollen nichts riskieren.“ „Wie lange muss ich in den Rollstuhl?“, fragte der Ältere auch sofort. Er konnte zwar noch nicht wieder laufen, aber man wusste ja nie. „Mindestens bis Sie den Gips los sind.“ „Welchen?“ „Den an Ihrem Bein!“ „Okay“, lenkte der Winchester kleinlaut ein. Sam hatte das kleine Geplänkel mit äußerlicher Ruhe verfolgt. Jetzt konnte er nicht mehr ernst bleiben und grinste breit. „Wenn er aufsteht, kann ich ihn ja stehen lassen“, warf er ein. „Besser nicht. So niedliche Welpen sollte man nicht aussetzen. Wer weiß, wer ihn mitnimmt.“ „Niedlich?“, fragte Sam erstaunt. Er wusste zwar, dass einige der Schwestern auf seinen Bruder standen, dass aber auch Dr. Baral in seinem Fanclub war, hatte er nicht gedacht. „Niedlich“, bestätigte sie und verließ das Zimmer nicht jedoch, ohne den mitgebrachten Rollstuhl vorher in den Raum geschoben zu haben. „Was ist niedlich?“, fragte Dean seinen Bruder, als der ihn in das Gefährt setzte und ihm half das eingegipste Bein auf die Schiene zu legen. „Du, wenn man Dr. Baral glauben darf.“ Sam schüttelt den Kopf. „Darf man ihr nicht glauben?“ „Manchmal scheinbar nicht!“, grinste Sam, wurde dann aber wieder ernst. „Niedlich. Etwas dass süß ist, angenehm. Etwas das man sofort mag, das ist niedlich. Katzenvideos sind niedlich. Hundewelpen sind niedlich, oder kleine Kinder. Ich weiß nicht ob ein Mann niedlich sein kann. Da musst du eine Frau fragen!“ „Okay“, nickte Dean. Langsam schob Sam seinen Bruder zu den Fahrstühlen. Neugierig schaute Dean sich um, schließlich kannte er bisher ja nur sein Zimmer. „Was ist das?“, wollte er wissen und zeigte auf ein Bild an der Wand. „Das ist ein Bild von einem Gemälde. Das ist ziemlich wertvoll. Es heißt Der Schrei und wurde von Edvard Munch gemalt.“ „Und das?“, Dean deutete auf ein anderes Bild. „Sonnenblumen von van Gogh und das daneben heißt Sternennacht.“ Hatte das jetzt einen höheren Sinn, dass genau diese Maler in der neurologischen Abteilung hingen? Sam wollte lieber nicht näher darüber nachdenken. „Drück mal auf den Knopf nach oben“, bat er seinen Bruder, kaum dass sie vor dem Aufzug standen. Erstmal würde er sie nur auf die Dachterrasse bringen. Die kannte er auch noch nicht und sie wären schnell wieder im Zimmer sollte es Dean zu viel werden. Außerdem hoffte er, dass da nicht so viele Menschen waren, wie auf der Straße. Oben angekommen schauten sich die Brüder erstaunt um. Sam weil er nicht erwartet hatte hier eine echte Sonnenterrasse zu finden und Dean, weil er sich nicht erinnern konnte je so viel von der Welt gesehen zu haben. Er blinzelte zu seinem Bruder. „Ist das immer so?“ „Was?“ „Das Licht und der Platz, die Weite. Irgendwie hatte ich mir das mit mehr Grün vorgestellt.“ Sam musterte seinen Bruder. Hatte er doch Erinnerungen oder woher wusste er das mit dem Grün. Doch dann fiel ihm ein, dass sie bisher eher Filme und Reportagen gesehen hatten, die in den gemäßigteren Breiten dieser Welt angesiedelt waren. „Die Erde hat viele Gesichter“, erklärte er dann. „Hier ist sie eher braun und warm.“ Dean nickte. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Sam machte es sich auf einem der Liegestühle bequem. Eine Weile beobachtete er seinen Bruder. Verstand Dean genau was er sagte oder nahm er solche Äußerungen einfach hin? Konnte Dean mit den Satz „Die Erde hat viele Gesichter“ überhaupt etwas anfangen? Während er die Augen schloss, nahm er sich vor Dean danach zu fragen. Auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus hupte ein Wagen und Sam schreckte hoch. Er stand auf und schaute über die Brüstung. Den Grund des Hupens konnte er aber nicht entdecken. Auch Dean hatte sich etwas aufrechter hingesetzt. Seinen Rippen war diese Haltung nicht gerade gut bekommen, aber er fühlte sich hier oben so viel besser, dass er lieber nichts sagen wollte. „Wir sollten wieder zurück ins Zimmer gehen“, sagte Sam nach einem etwas intensiveren Blick in Deans Gesicht. „Ich ... mir geht‛s gut“, wehrte der schnell ab. „Noch, ja. Aber die Sonne ist ganz schön intensiv und ich will nicht, dass wir einen Sonnenbrand bekommen.“ „Was ist das?“ „Rote Haut, die sich heiß anfühlt und weh tut. Sie juckt und dann schält sie sich. Sehr unangenehm. Ich bring dich runter und werde mal sehen, ob ich etwas dagegen bekomme. Und morgen gehen wir wieder hier hoch.“ „Versprochen?“ „Ganz fest versprochen!“ Trotz dieses Versprechens sah Dean auf dem Weg zurück in sein Krankenzimmer aus wie ein Welpe, dem man den Lieblingsknochen weggenommen hatte. Als Sam jedoch sah wie schnell sein Bruder eingeschlafen war, kaum dass er im Bett lag, wusste er dass seine Entscheidung richtig gewesen war. Dieser Ausflug hatte seinem Bruder jede Menge neuer Eindrücke gebracht und die musste er jetzt verarbeiten. Er stellte den Rollstuhl in eine Ecke und ging in den kleinen Kiosk im Erdgeschoss. Vielleicht bekam er ja Sonnencreme. Seine Hoffnung wurde enttäuscht. Also fuhr er schnell in den Supermarkt einkaufen. Als er ins Krankenhaus zurück kam, traf er an der Anmeldung auf Sheriff Hanscum und ihre Tochter. „Sheriff“, begrüßte er sie freudig. „Sam hallo. Meine Tochter Gabriella kennst du ja noch.“ „Ja, natürlich. Hallo Gabriella.“ „Gabby!“ „Wie geht es deinem Bruder?“, wollte Donna wissen. „Es geht. Er hat noch immer Amnesie und kann auch sonst noch nicht viel. Mit den Verletzungen ist er noch die meiste Zeit ans Bett gefesselt.“ „Das tut mir leid. Ich ...“ „Mach dir mal keine Vorwürfe. Wir waren schon an dem Vieh dran bevor wir dich trafen.“ „Trotzdem mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte das schon lange erledigt haben können.“ „Woher solltest du wissen, dass es so ausartet?“ „Das ist doch egal! Ich bin Sheriff! Ihr habt mir eine große Last abgenommen! Wir wollten euch eigentlich besuchen kommen, aber wenn es ihm noch nicht so gut geht...“ „Ihr könnt gerne kommen. Dean freut sich immer über Neues.“ „Okay“, nickte der Sheriff. „Aber wir bleiben nicht lange.“ Gemeinsam gingen sie zum Fahrstuhl und fuhren nach oben. Sam betrat das Zimmer als Erster. Er ging zu seinem Bruder und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Dean? Du hast Besuch.“ „Lass ihn doch schlafen. Er wird es brauchen“, wehrte Donna ab. „Hmm...?“, brummte Dean und blinzelte. „Du hast Besuch.“ Der ältere Winchester blinzelte noch einmal, dann setzte er sich auf und schaute fragend zwischen dem Sheriff und ihrer Tochter hin und her. „Hallo, ich bin Sheriff Donna Hanscum und das ist meine Tochter Gabriella. Wir wollten mal schauen, wie es euch geht?“ „Und danke sagen, dass ihr euch um dieses tollwütige Vieh gekümmert habt“, fügte Gabby schüchtern an. „Gern geschehen.“ Dean lächelte verlegen. „Auch wenn ich mich daran, außer an das was mein Bruder mir erzählt hat, nicht erinnern kann.“ Er drehte sich etwas mehr zu ihr und verzog sofort das Gesicht, weil seine Rippen ihm diese unbedachte Bewegung übel nahmen. Vorsichtig holte er tief Luft. „Wollen sie sich nicht setzen?“ fragend sah er vom Sheriff zu Gabby. „Gerne“ Sie holte sich einen Stuhl und ihre Tochter hockte sich zu Deans Füßen auf sein Bett. Schon bald unterhielten sie sich über Alltägliches. Das heißt der Sheriff und Sam erzählten, Gabriella warf hin und wieder eine Bemerkung mit ein und Dean hörte aufmerksam zu. Nur hin und wieder, wenn er etwas überhaupt nicht verstand, stellte er eine Frage. Eine Stunde später konnte der Ältere seine Augen kaum noch offen halten. „Wir müssen los“, erklärte Sheriff Hanscum abrupt. Gabriella schaute ihre Mutter verdattert an. Jetzt wo sie sich so gut unterhielten. Doch dann sah sie, dass Dean kurz davor war einzuschlafen. „Darf ich wieder kommen?“, fragte sie. „Klar“, nuschelte Dean bevor ihm die Augen endgültig zufielen. Noch im Einschlafen hörte er wie Gabby ein leises: „Der ist so niedlich“, zu ihrer Mutter wisperte. „Wir kommen wirklich wieder“, drohte Donna Sam lachend. „Aber gerne doch!“, freute der sich und seufzte leise, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war. Der Besuch hatte ihm wirklich gut getan. Schnell räumte er seine Einkäufe weg, die er eben nur neben der Tür abgeladen hatte und setzte sich wieder an seine Datenbank, die langsam immer größer wurde. Kapitel 231: Ungeduld und Wut, eine fatale Mischung --------------------------------------------------- 231) Ungeduld und Wut, eine fatale Mischung Am nächsten Morgen rutschte Dean schon nach dem Frühstück unruhig im Bett hin und her. Das Zimmer erschien ihm nach dem gestrigen Ausflug noch viel kleiner zu sein. Außerdem war heute Sonntag und da kam keiner zur Therapie! Zum Schlafen war er viel zu munter und Fernsehen war auf Dauer auch langweilig. Er wollte frische Luft riechen und den Wind und die Sonne fühlen! „Hast du Hummeln im Hintern?“, fragte Sam, den das Gezappel so langsam nervös machte. Automatisch tastete Dean seine Kehrseite ab. Sam verdrehte die Augen. „Das war nur so dahingesagt, ein Sprichwort, wenn jemand, so wie du gerade, auf seinem Sitz hin und her rutscht.“ „Können wir aufs Dach?“ Sam nickte. „Kann ich das hier noch schnell fertig machen?“ „Du kannst mich auch hochbringen und dann wieder zu deinem Rechner.“ Sam atmete tief durch und klappte seinen Laptop zu. Irgendwann müsste er seinem Bruder etwas Geduld beibringen, oder zumindest erklären, dass es nicht immer alles sofort gibt. Er stellte den Rollstuhl neben das Bett und hob seinen Bruder hinein. Dann mal los! Auf dem Gang kam ihnen Schwester Reena entgegen. „Darf ich Sie was fragen?“, hielt Dean sie auf. „Gerne“ „Bin ich niedlich?“ Reenas Augen weiteten sich überrascht und ihre Mundwinkel kräuselten sich nach oben. Noch versuchte sie ernst zu bleiben, doch ein Blick in Deans Gesicht und die Erkenntnis dass der es vollkommen ernst meinte und ein weiterer zu Sam, der ebenfalls darum kämpfte die Fassung zu wahren, machten es ihr nicht einfacher. Sie schluckte kurz. „Ja, du bist niedlich!“ „Warum?“ ‚Oh Gott, Dean‛, dachte Sam und biss auf der Innenseite seiner Wange herum. „Schon alleine weil du diese Frage gestellt hast!“ „Und sonst? Andere sagen das auch, aber die konnte ich noch nicht fragen!“ „Das erkläre ich dir später mal, wenn ich Zeit habe, jetzt muss ich weiter!“, schnell lief sie an den Brüdern vorbei und verschwand in einem Patientenzimmer. „Warum konnte sie mir das nicht sofort erklären?“, nahm Dean das Thema im Fahrstuhl nochmal auf. „Weil sie dafür wohl mehr Zeit braucht, als sie jetzt hatte.“ „Kannst du es mir denn erklären?“ „Nein, das ist ein Frauending, Dean.“ Sam schob seinen Bruder an den selben Platz, an dem sie schon am Vortag gesessen hatten. „Ich muss noch mal runter. Ich hab das Wasser vergessen.“ Schnell rannte er zum Fahrstuhl zurück. Im Zimmer ließ er sich auf Deans Bett fallen und lachte, bis ihm die Tränen kamen. Nur langsam konnte er sich wieder beruhigen. „Man, Dean, du bist wirklich niedlich!“, erklärte er in das leere Zimmer. Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Jetzt fühlte er sich in der Lage seinem Bruder wieder ernst und selbstsicher gegenüber zu treten. Er griff nach einer Wasserflasche und wollte das Zimmer gerade wieder verlassen, als ihm eine Idee kam. Schnell fuhr er ganz nach unten und kaufte in dem kleinen Kiosk eine Packung Schokoladeneis, holte zwei Löffel aus der Cafeteria und kehrte dann endlich auf das Dach zurück. Er fand seinen Bruder, das Gesicht der Sonne zugewandt, dösend. Gut dass er ihn zuvor mit Sonnencreme eingerieben hatte! „Dean?“ fragte er leise. Sofort schaute der ihn fragend an. „Ich hab hier was. Willst du probieren?“ „Was?“ Sofort machte der Ältere einen langen Hals und versuchte zu ergründen, was Sam da in den Händen hielt. Sam sagte nichts. Er setzte sich zu seinem Bruder, drückte ihm einen Löffel in die Hand und öffnete die Packung, die er gleich darauf auf Deans Schoß stellte. „Kalt!“, stellte der Ältere fest und rutschte unruhig auf seinem Sitz herum. „Ja, kalt“, erklärte Sam ungerührt. Er nahm seinen Löffel, kratzte etwas von der Oberfläche des Eises ab und schob es sich in den Mund. „Hmmmm“, machte er und ließ es langsam auf seiner Zunge ergehen. Dean musterte ihn aufmerksam, machte aber keine Anstalten selbst von dem Eis zu kosten. „Magst du nicht?“, fragte Sam und nahm sich einen weiteren Löffel. Zögernd kratzte Dean etwas von dem kalten Zeug ab und schob es sich in den Mund. Wenn Sam es aß konnte es ja nicht schlecht sein, oder? Zuerst war es nur kalt. Er wollte es schon ausspucken, als der Schokoladengeschmack durchkam. Süß, ein wenig bitter ... Schnell nahm er noch einen Löffel und schloss genießend die Augen. Löffel für Löffel verschwand die kalte Masse in Deans Mund. Sam lächelte. So hatte er sich das vorgestellt. Mal sehen, womit er ihn als Nächstes überraschen konnte. „Leer!“, riss Dean ihn aus seinen Überlegungen. „Hat es denn geschmeckt?“ „Kalt!“ Jetzt wo er sich nicht mehr auf den Geschmack konzentrieren konnte, fröstelte er. „Nur kalt?“ „Nein, es ... was war das?“ „Schokoladeneis.“ „Kann ich das wieder haben?“ „Klar, nur nicht heute und nicht zu viel. Das macht auf Dauer dick!“ Bei Dean wäre das kein Problem, so hyperaktiv wie der war. Bei dem neuen Dean war er sich da noch nicht so sicher. „Was ist dick?“ „Dann kannst du dich nicht mehr bewegen.“ „Das kann ich doch jetzt schon nicht.“ „Aber wir arbeiten dran, dass du es wieder kannst.“ Dean nickte, lehnte sich in den Stuhl zurück und genoss die Wärme, die die Sonne bis in sein Inneres schickte. Immer wieder stellte Sam in den folgenden Tagen fest, dass dieser Dean nicht mehr viel mit seinem Bruder gemein hatte. Die Leichtigkeit, die er trotz ihres selten leichten Lebens immer wieder an den Tag gelegt hatte war gänzlich verschwunden, obwohl? Dean konnte schon hartnäckig an einer Sache arbeiten. Wenn er da an die Zeit nach dem Höllenhundangriff dachte. Dean hatte auch nie locker gelassen, bis er wieder richtig funktionierte. Trotzdem war es jetzt anders, denn die Leichtigkeit fehlte und die Zuversicht und seine manchmal fast kindliche Freude, das Eis mal nicht mitgezählt. Jetzt war er nur noch Ernst und so arbeitete dieser Dean bis zum Mittag verbissen mit den Therapeuten an der Verbesserung seiner Motorik, daran die Muskulatur wieder aufzubauen und mit einer Logopädin, um die leichte Aphasie zu überwinden. Diese Zeit nutzte Sam um das nachmittägliche Lernprogramm für seinen Bruder zusammenzustellen. Nachdem sie festgestellt hatten, dass nicht nur Deans Erinnerungen der Amnesie zum Opfer gefallen waren, sondern auch der größte Teil des erlernten Wissens, hatte Dean nicht locker gelassen, bis sich der Jüngere bereit erklärte, mit ihm das fehlende Wissen wieder aufzuarbeiten und Sam wollte ihn nicht nur vor dem Laptop parken. Weit waren sie noch nicht gekommen, aber sie übten ja auch erst drei Tage. Nach Deans Mittagschlaf gingen sie auf die Dachterrasse um zu lernen. Bis zum Abendessen blieben sie hier oben. Aber auch danach gab Dean keine Ruhe. Er schaute Reportagen und löcherte den Jüngeren in jeder Werbepause mit Fragen und wenn Sam spät abends abwinkte und sich hundemüde in sein Bett verkroch, nahm der Ältere sich ein Buch, um zu lesen. Sam trieb dieses Verhalten langsam aber sicher zur Verzweiflung und er war mehr als dankbar dafür, dass Donna und Gabby ihr Versprechen hielten und immer wieder zu Besuch kamen. Sie schafften es Dean wenigstens für eine Weile von seinem schon zwanghaften Wissensdurst abzulenken. Genau wie die wenigen, ja schon fast gestohlenen Augenblicke der Ruhe, wenn Sam wieder etwas Neues mit auf das Dach brachte und so Dean schon fast zu einer Auszeit zwang, um weitere Eissorten, Kakao oder Kuchen zu probieren. Jedes Mal wurde er mit einem Lächeln belohnt, dass sonst so gut wie nie auf Deans Gesicht erschien und mit einem Dean, dessen chronische Unruhe für diese Zeit erstarb und er wirklich einfach nur dasaß und genoss. Leider vergingen diese Momente immer viel zu schnell und Dean stürzte sich erneut in sein Lernprogramm. Sam war kurz davor zu kapitulieren. Dieser Dean war ihm unheimlich. Er kannte ihn nicht und er trauerte seinem großen Bruder nach, der alles wusste, auch wenn er sich dumm stellte, der nie um eine Antwort verlegen war und der wie wild mit allem flirtete, was hübsch und weiblich war. Doch nicht nur das zeigte ihm überdeutlich, dass er seinen großen Bruder verloren hatte. Jeden Morgen kam eine Schwester, die ihm bei der morgendlichen Routine half. Jeden Morgen freute Dean sich auf diesen Besuch und hofft dass Schwester Juli kam. Wenn sie es wirklich war, schlich sich ein schüchternes Lächeln in sein Gesicht, doch er wagte nie sie anzusprechen oder auch nur ihr offen in die Augen zu schauen und jedes Mal fragte sich Sam, wer da eigentlich im dem Bett lag. Der alte Dean Winchester hätte sich so eine Gelegenheit zum Flirten nie entgehen lassen. Ja, Dean war unbelastet und naiv und auch niedlich, aber er war einfach noch nicht bereit seinen großen Bruder gehen zu lassen. Hin und wieder, vollkommen zusammenhanglos fragte Dean nach ihrem alten Leben und Sam erzählte, dass sie ihre Mutter bei einem Feuer verloren hatten, als Dean vier Jahre und er selbst sechs Monate alt gewesen waren. Dass ihr Vater mit diesem Verlust nie klar kam, mit ihnen unstet von Ort zu Ort gezogen und bei einem Unfall vor fast vier Jahren gestorben war. Er erzählte dass sie danach trotzdem an dieser Lebensweise festhielten und erst nach und nach zu der Erkenntnis kamen, dass das nicht ihr Leben sein sollte. Nicht ohne Trauer berichtete er, dass sie gerade auf dem Weg zu Bobby waren und von da ihr neues Leben starten wollten. Er erzählte von Bobby und Jody und wie sie Bobbys Haus umgebaut hatten. Dean hörte aufmerksam zu, doch nichts löste bei ihm auch nur den Hauch eines Erkennens aus. Er hörte zu, so wie er zuhörte, wenn Sam ihm Schulstoff erklärte oder etwas vorlas, so wie er zuhörte, wenn Gabby oder Donna etwas erzählten. Er merkte nicht einmal wie Sam immer wieder mit den Tränen kämpfen musste, weil der richtige Dean nie so gefühlskalt auf ihre Familie reagiert hätte. Nicht mal ein fremdes Schicksal hätte ihn so kalt gelassen. Wenn es nicht Dr. Oliver Brewster, aber auch Sheriff Donna Hanscum und Gabby, gegeben hätte, hätte sich Sam wohl schon in der zweiten, allerspätestens in der dritten Woche vom Dach des Krankenhauses gestürzt. Nicht einmal Bobby konnte ihm wirklich helfen. Es war, als hätte das Böse dieser Welt nur darauf gewartet, dass zwei Jäger nicht mehr im Geschäft waren, egal ob es die normalen Straftäter waren, die Jody in Atem hielten oder das Übernatürliche Bobby, der kaum vom Telefon wegkam. Einen Lichtblick gab es zweieinhalb Wochen nachdem Dean aus dem Koma erwacht und auf die neurologische Station gebracht worden war. Dr. Baral gab grünes Licht für die Entfernung der starren Schienen von Deans Bein und Arm und damit ihre Erlaubnis für den Älteren selbstständig aufzustehen. Sofort saß der im Bett. „Ihr Bruder bleibt immer an Ihrer Seite und Sie machen hier keine Gewaltmärsche, sonst binde ich Sie höchstpersönlich am Bett fest. Verstanden?“ versuchte Dr. Baral ihren Patienten zu bremsen. „Ja, Ma‛am“ erklärte Dean ernst. Sam strahlte aufrichtig. Die Hoffnung Dean endlich wieder richtig müde zu bekommen machte sich in ihm breit. Kaum hatte die Ärztin die Tür geschlossen, hingen Deans Beine schon aus dem Bett. Sam half ihm auf die Füße. Zwei Schritte bis zur Wand und zwei Schritte zurück und Dean ließ sich keuchend wieder in die Waagerechte fallen. Vor seinen Augen drehte sich alles, und das, obwohl er doch in den letzten Tagen während seiner Therapie immer schon mal ein paar Minuten aufrecht gestanden und auch schon mehrere Minuten in einem, an der Decken befestigten, Geschirr auf einem Laufband gelaufen war. Das war jedoch etwas ganz anderes gewesen, weil er jetzt sein Gewicht selbst tragen musste. „Dean?“ fragte Sam besorgt. „Geht gleich weiter. Lass mir nur etwas Zeit, ja?“ Zehn Minuten später stand er wieder auf seinem Füßen. Diesmal ließ er es langsamer angehen und sein Kreislauf rebellierte kaum noch. Als Gabby am Abend mit ihrem Freund kam, saß er auf dem Bett, den rechten Fuß unters linke Knie geschoben und seine Augen leuchteten regelrecht. Sams Bruder sah in dem Moment wie ein Schuljunge aus, fand sie, nur der Bart störte dieses Bild. Kapitel 232: Wut ... -------------------- 232) Wut ... „Das muss doch gehen. Verdammt!“, wütend schlug Dean mit der Faust gegen die Wand. Seine Knie zitterten und er schwankte bedrohlich. Sam fasste zu. „Lass mich in Ruhe!“, fauchte Dean. „Bitte Dean! Du versuchst heute schon zum vierten Mal die Treppe hoch zu gehen. Hör auf dich so zu quälen! Du kannst es morgen wieder probieren. Bitte.“ Der Ältere schüttelte stur den Kopf und kämpfte sich eine Stufe weiter nach oben. Mit der Hand klammerte er sich so sehr am Geländer fest, dass sich die Knöchel weiß abzeichneten. Er holte tief Luft und schob sich wieder eine Stufe in die Höhe. Sam folgte ihm leise seufzend mit einer Stufe Abstand. Er konnte nichts machen. Dean würde sich nur wieder aufregen. Und was noch schlimmer wäre, er würde mit dem Fahrstuhl wieder nach unten fahren und das Ganze von vorn beginnen. Dean keuchte hörbar während er sich die vorletzte Stufe hinaufschob. Sein Gesicht war schweißnass und kreidebleich vor Anstrengung. Er nahm die letzte Stufe in Angriff und war endlich oben. Sofort lehnte er sich haltsuchend gegen die Wand. Sam fasste zu und Dean ließ ihn nicht nur gewähren, er lehnte sich schwer auf ihn. Mit wackeligen Knien schlurfte er zurück in sein Zimmer und ließ sich erleichtert aufs Bett fallen. Die Welt drehte sich mal wieder vor seinen Augen. Zehn Minuten später hatte sich sein Körper beruhigt. Langsam setzte er sich auf und schaute zu Sam. „Es gibt Züge an dir, in denen ich meinen Bruder erkenne“, stellte Sam mit einem traurigen Unterton fest. „Und was?“ „Du bist noch genauso stur! Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, ziehst du es durch ohne Kompromisse einzugehen und ohne Hilfe anzunehmen.“ Es tat ihm weh seinen Bruder immer wieder für Augenblicke aufblitzen zu sehen und ihn doch nicht fassen zu können. Das Aussehen konnte er nicht ändern auch der Dreitagebart und die, selbst für Dean viel zu kurzen, Haare machten aus ihm keinen anderen Menschen. Wenn er wenigstens im Charakter komplett anders wäre! Diese kurzen Momente erinnerten ihn immer wieder daran, was er verloren hatte und schürte eine Hoffnung, die gleich darauf wieder brutal ermordet wurde. Er wusste nicht wie lange er diese Gefühlsachterbahn noch durchhalten konnte. Dean riss verdattert die Augen auf. „Das ist auch so etwas“, erklärte Sam leise. „Ist das schlimm?“ „Nein Dean. Es macht mich nur traurig.“ Sam schaute seinem Bruder noch einmal in die Augen, dann wandte er sich ab. Diese kalten grünen Augen konnte er kaum noch ertragen und er konnte ihn ja nicht ständig mit Kuchen oder Eis füttern, um mal so etwas wie echte Freude darin aufblitzen zu sehen. Dean musterte seinen Bruder noch einen Augenblick und versuchte das Gefühl zu fassen, das von Sam ausging. Doch da der sich seinem Laptop widmete, zuckte er nur mit den Schultern und wandte sich einem Buch zu. Sam legte das Buch, das er gerade las auf die Bank. Er ließ seinen Blick über die Wiese in dem kleinem Park schweifen, in den die vor etwas mehr als einer Stunde gegangen waren. Er seufzte leise. Dieser Tag war eine einzige Katastrophe gewesen. Gut dass er langsam zu Ende ging. Die Sonne begann hinter der Klinik zu verschwinden. Mit den Augen suchte er nach seinem Bruder. Sie hatten sich heute Mittag heftig über Lerntempo und Freizeit gestritten und er war sich sicher, dass Dean, wäre er noch der echte Dean, sich in seinen Wagen gesetzt und irgendwohin gefahren wäre, um sich sinnlos zu betrinken oder zumindest die Nacht mit einer rassigen Brünetten zu verbringen. Aber wenn er noch der echte Dean wäre, wären sie ja nicht in dieser Situation! Und wieder einmal fragte er sich was wirklich hinter Deans Lernwut steckte. Warum konnte er sich nicht einmal eine Stunde entspannen? Noch hatte er keine schlüssige Antwort gefunden und so blieb ihm nicht weiter, als seinen Bruder zu beobachten. Dean stand an den Baum gelehnt und starrte blind vor sich hin. Seine Gedanken drehten sich um die immer gleichen Fragen und er kam zu immer der gleichen Antwort. Egal wie oft Sam es ihm erklärte oder was die Ärzte sagten. Er konnte es einfach nicht! Er fand die Geduld nicht, darauf zu warten, ob sein Gehirn endlich gewillt war ein paar Brocken seiner Vergangenheit auszuspucken. Was wenn es da nie tun würde? Und wieder erfasste ihn die Wut, die ihn schon seit Tagen begleitete, die Wut, die heute morgen zu dem Streit geführt hatte. Er stieß sich von dem Stamm ab, drehte sich um und starrte auf die Rinde. Ohne sein Zutun ballte sich seine Faust und er schlug zu. Der Schmerz vibrierte durch seinen Arm und zerplatzte in seinem leeren Schädel. Er wartete, bis es etwas weniger weh tat und schlug erneut zu. Wieder und wieder rammte er die Faust gegen den Baum. Seine Knöchel knirschte, doch es war ihm egal. Der Schmerz war real. Das einzig Reale in seiner so falschen Welt. Sam saß noch immer auf der Bank. Müde wischte er sich mit der Hand über das Gesicht und wünschte sich, mal wieder, dass sie endlich zu Bobby aufbrechen konnten. Diese Last begann ihn zu erdrücken. Sein Bruder war immer weniger zur Ruhe zu bringen, dabei sollte er doch nichts erzwingen. Nur deshalb hatte er sich heute Vormittag geweigert ihm neuen Lernstoff zu geben. Nur deshalb hatten sie sich gestritten. Also war er nach Deans Mittagsschlaf in den Park gegangen. Sein Bruder hätte im Zimmer bleiben und lesen können, doch er war ihm gefolgt und hatte sich sogar neben ihm auf dieser Bank in der Sonne niedergelassen. Natürlich war er schon bald wieder aufgesprungen, um unruhig hin und her zu laufen. Er massierte sich die Nasenwurzel, bevor er die Augen wieder öffnete und sich umschaute. Wo war Dean? Kurz musste er ihn suchen und brauchte eine Schrecksekunde, bis er registrierte, was Dean tat. Augenblicklich hetzte er zu ihm. „Hör auf, Dean!“, schrie er und umschlang seinen Bruder von hinten, kaum dass er nahe genug an ihn herangekommen war. „Hör auf“, bat er noch einmal, etwas ruhiger dieses Mal. Dean wollte nichts weniger. Er versuchte sich mit aller Macht zu befreien, doch seine Kräfte reichten nicht annähernd. Wenigstens ermüdete ihn dieser Kampf. Etwas, das er sonst nur noch unzureichend von seinen morgendlichen Therapien kannte, und er gab auf. „Was soll das?“, tobte Sam, kaum dass er seinen Bruder zu sich umgedreht hatte. „Reicht es dir nicht, dass du dein Gedächtnis verloren hast? Willst du jetzt auch noch deine Hand verlieren?“ „Ich will beide Hände verlieren, wenn ich meine Erinnerung wieder bekommen könnte!“, erklärte der Ältere stur und versuchte sich loszumachen. „Du brauchst deine Hände mehr als deine Erinnerungen. Die kriegen wir schon wieder, deine Hände wären da schon schwieriger“, versuchte Sam ruhig zu bleiben, auch wenn er schreien und ihn schütteln wollte. Deans Blick war schon wieder so leer, so tot. Selbst die Schmerzen, die er fühlen musste, hatten diesen Schleier nicht zerreißen können. Er kämpfte seine eigene Wut nieder und schluckte hart, bevor er Deans Handgelenk umfasste und versuchte die Hand zu untersuchen. Es gelang ihm nicht wirklich, denn inzwischen war sie blutverschmiert. „Kann ich dich loslassen oder schlägst du sofort wieder auf den Baum ein?“, fragte er mühsam beherrscht. Dean strafte ihn mit eisigem Schweigen. „Dean!“, forderte er. „Ich warne dich. Ich lass dich an dein Bett ketten, solltest du das noch mal machen. Und jetzt lass mich deine Hand verbinden!“ Er zog sein Hemd aus. Das Shirt folgte. Er wickelte es um Deans Hand und zog sich sein Hemd wieder an. Seinem Bruder schien das vollkommen egal zu sein. Er kümmerte sich weder um seine Hand noch schenkte er Sam seine Aufmerksamkeit. Kein Ton kam über seine Lippen. Er stand einfach nur da und wartete ab. Mit einem wütenden Blick wickelte Sam das Shirt noch einmal fest und zog seinen Bruder hinter sich her zum Krankenhaus. Er klammerte sich regelrecht an seine Wut, um nur nicht über die Konsequenzen dieses Handelns nachdenken zu müssen oder noch schlimmer, seiner Verzweiflung Lauf zu lassen. Es würde niemandem helfen, wenn er hier heulend im Park stehen würde! Gott, wie sehr wünschte er, dass sie endlich zu Bobby fahren konnten! Im Eingangsbereich des Krankenhauses liefen die Brüder Dr. Brewster in die Arme. „Was ist denn hier passiert?“, fragte der und nahm Deans Hand in seine, um sie vorsichtig abzutasten. „Hab gegen einen Baum geschlagen“, erklärte der Ältere kalt und noch immer mit dieser Wut im Bauch. Oliver biss kurz die Zähne zusammen. Eindringlich musterte er den Winchester. „Geht damit zu Dr. Baral. Sie soll sich das anschauen. Ich denke nicht, dass etwas gebrochen ist, doch sicherheitshalber sollte es geröntgt werden.“ Die Zwei nickten fast gleichzeitig und gingen zum Fahrstuhl. „Sam? Kannst du nachher in mein Büro kommen?“, hielt der Arzt sie noch einmal auf. „Klar, warum?“ „Ich wollte die nächsten Therapieschritte einleiten und mit dir besprechen was wir berücksichtigen müssen.“ Sam nickte noch einmal und drückte dann den Fahrstuhlknopf. Entgegen seiner Vermutungen, machte auch Dr. Baral seinem Bruder keine Vorhaltungen. Und auch Dean sagte nichts zu den Untersuchungen. Fast kommentarlos ließ er sich die Hand röntgen und verbinden. Sogar die Spritze nahm er wortlos hin. „Du solltest dich hinlegen, Dean“, empfahl sie dem Älteren und nickte Sam aufmunternd zu. „Ich bin nicht müde!“, knurrte Dean. „Du sollst ja auch nicht schlafen, sondern dich nur etwas ausruhen. Diese Attacke hat auch deinen Kreislauf in Mitleidenschaft gezogen. Bitte leg dich etwas hin. Du kannst lesen, fernsehen, Computer spielen. Nur leg dich bitte eine halbe Stunde hin.“ Dean verzog genervt das Gesicht, nickte letztendlich aber. Sie würden ja eh keine Ruhe geben. Also folgte er Sam und legte sich unter dessen wachsamen Blick auf sein Bett. Genervt starrte er an die Decke. „Danke“, sagte Sam leise und verließ das Zimmer wieder, um zu Oliver zu gehen. Hoffentlich blieb Dean wirklich liegen. Kapitel 233: Neue Eindrücke --------------------------- 233) Neue Eindrücke Keine fünf Minuten später stand Sam vor Dr. Brewsters Büro und klopfte. Auf ein „Herein“ hin öffnete er die Tür, trat ein und wollte die Tür gerade schließen, als er ein „Moment“ hörte. Er drehte sich um und sah Dr. Baral mit wehendem Kittel auf sich zu gelaufen kommen. „Ich gehöre auch noch zu der Runde“, sagte sie und versuchte ein Lächeln. Gemeinsam ließen sie sich auf den Stühlen vor Dr. Brewsters Schreibtisch nieder. „Worum geht es?“, fragte Sam beunruhigt und schaute von einem zum anderen. Dass die Aussage mit der Therapie eine Lüge war, hatte er sich ja schon gedacht. „Wir müssen über Dean reden“, erklärte der Arzt leise und sprach gleich weiter. „Wir müssen da was ändern.“ „Das denke ich auch, aber wie ...“ „Unsere Therapien zielten bisher darauf ihn körperlich wieder fit zu bekommen und die leichte Aphasie, die Sprachstörungen, zu beheben. Das funktioniert auch ganz gut. Bisher haben wir aber seine emotionale Seite komplett ausgeklammert. Daran müssen wir etwas ändern, das hat mir seine Attacke heute gezeigt.“ „Und wie? Eine Psychotherapie bringt bei ihm wohl eher nichts“, konterte Sam. „Stimmt. Ich denke da eher daran seine Sinne zu fordern. Sam, du hast schon daran gearbeitet, hab ich gesehen?“ Der Winchester grinste verlegen. „Ein wenig“, er zuckte mit den Schultern. „Naja, die Kantine hier fordert die Geschmacksnerven nicht gerade. Ich habe ihm hin und wieder ein Eis mitgebracht. Ich frage mich nur, wo du dieses Mehr noch einbauen willst. Er hat jeden Tag seine Therapien! Ich gehe nachmittags mit ihm raus oder auf´s Dach. Ich hetze ihm treppauf und treppab hinterher. Was sollen wir denn noch machen? Und vor allem, wann?“ „Ich weiß was ihr alles tut. Aber es reicht wohl nicht mehr.“ „Und was habt ihr euch da noch so alles vorgestellt?“, wollte der Winchester skeptisch wissen. „Wir haben hier ein Schwimmbad und einen Fitnessraum im Keller. Den sollte er statt der Treppe nutzen“, schlug Dr. Baral vor. „So lernt er auch gleich das Gefühl von Wasser kennen, das Getragen werden und schwimmen.“ „Fahrt in den Zoo nach Phoenix. Viele Erinnerungen sind mit Gefühlen verbunden. Momentan kennt er fast nur Schmerz und Wut. Im Zoo gibt es auch ein Streichelgehege und eine Art Lehrpfad. Da könntet ihr barfuß die einzelnen Untergründe ausprobieren“, ergänzte Oliver die Aufzählung. „Und ihr könntet uns mal besuchen kommen, wir haben kleine Kätzchen.“ „Bietest du das jedem Patienten an?“, wollte Sam ziemlich skeptisch wissen. „Bestimmt nicht“, wehrte der Arzt ab. „Wie lange muss Dean denn eigentlich noch hier bleiben?“, versuchte Sam mal wieder eine Antwort auf die Frage, die ihn schon seit ein paar Tagen beherrschte, zu bekommen. „Ich denke das ihr in zwei Wochen fahren könntet“, erwiderte Dr. Brewster, schränkte aber sofort ein, „Wenn alles so weiter läuft und Dean sich nicht weiter verstümmelt.“ „Na das erklär ihm mal“, schnaubte Sam mit einem traurigen Grinsen. „Das werde ich ihm schon erklären“, bestätigte der Arzt. „Wie soll das mit seinen Therapien laufen. Wenn wir nach Phoenix fahren wollen, sollten wir nicht erst zum Mittag los.“ „Wir klären morgen mit den Therapeuten, dass Dean nur noch aller zwei Tage Therapie hat. So langsam müssen wir euch dann ja auch auf seinen Auszug hier vorbereiten. Das heißt, wir müssen dich noch mehr mit einspannen, Sam.“ „Das sollte kein Problem sein!“, nickte der Winchester. Er würde alles tun, um hier endlich raus zu können. Bei Bobby, so hoffte er zumindest, wäre genügend Bekanntes um Deans Erinnerungen anzuregen und wenn das nicht half, hätte er wenigstens genug Beschäftigung und jemanden, der noch mit auf ihn achten würde. „Was ist mit Schwimmen? Wann können wir in die Halle? Die ist doch bestimmt auch für Therapien reserviert.“ „Das könntet ihr am Abend machen, wenn du dir zutraust es ihm beizubringen, oder zumindest seine ersten Versuche zu überwachen, denn ich denke, dass er es kann.“ „Ich bezweifle dass das Becken hier so tief ist, um zu ertrinken“, erwiderte Sam, „und selbst wenn. Ich kann schwimmen und ich kann ihm helfen.“ „Gut! Damit bekommst du ihn auch müde. Schläft er denn immer noch so wenig?“, erkundigte sich Oliver leise. „Drei, vier Stunden“, nickte Sam. „Gut, nein nicht gut, aber gut dass ich es weiß. Ich werde noch mal mit ihm darüber reden. Notfalls müssten wir ihm Medikamente geben. Hast du sonst noch Fragen?“ „Erstmal nicht, oder doch. Wie kann ich solche Ausbrüche wie vorhin verhindern?“ „Wahrscheinlich gar nicht. Du kannst nur versuchen ihn rundum müde zu machen, körperlich, geistig und seelisch. Geh weiter mit ihm den Schulstoff durch, nutzt den Fitnessraum und das Schwimmbad und sprich seine Sinne an.“ „Und versuche seinen Mittagsschlaf zu reduzieren.“ „Das ist leichter gesagt als getan“, seufzte Sam. Er war ja froh, dass Dean mittags schlief, da er das nachts kaum tat. Wo sollte er denn sonst die nötige Ruhe herbekommen? „Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ „Ich versuche es erstmal so.“ Der Winchester erhob sich und verließ das Büro. Medikamente zum Schlafen sollten die allerletzte Option bleiben. Auf dem Weg nach oben überlegte er, wie er das eben Gehörte umsetzen konnte. „Wo warst du?“, empfing ihn Dean in seinem Bett sitzend, neugierig aber emotionslos. „Bei Dr. Brewster. Wir haben über deine Therapien gesprochen.“ „Und?“ „Nix und. Deine Vormittagstherapien werden um die Hälfte gekürzt, dafür machen wir was anderes.“ „Und was? Mir ist langweilig!“ „Das muss ich mir noch überlegen“, erwiderte Sam ausweichend. „Aber morgen bleibt alles noch wie es ist. Und heute gehen wir nach dem Abendessen schwimmen. „Dafür muss ich nur noch Badehosen besorgen. Willst du mitkommen?“ Dean nickte und rutschte von seinem Bett, Alles war besser als hier nur zu sitzen. „Du kannst auch hierbleiben und die Prüfung machen.“ „Prüfung?“ „Ja. Du paukst wie ein Verrückter und ich wollte mal sehen, wie weit du bist. Bei welchen Themen müssen wir stärker üben und wo können wir weiter gehen“, erklärte Sam. Seit Tagen nutzte er ein Portal für Heimunterricht, um etwas Struktur in Deans Wissensdurst zu bekommen. Er war zwar der Überzeugung, dass es besser war Kinder in die Schule zu schicken anstatt sie Zuhause zu unterrichten, aber hier hatte es doch seinen Vorteil, dass es diese Art des Unterrichts gab. „Okay?“ „Und das heißt jetzt?“ „Ich komme mit einkaufen. Das hab ich noch nie gemacht.“ „Zumindest seit dem Unfall nicht“, bestätigte Sam leise. „Dann los.“ Zwei Stunden später kamen sie mit einigen Tüten bepackt wieder ins Zimmer. Dean ließ sich auf sein Bett fallen. „Das nächste Mal kannst du alleine gehen und ich schreibe die Prüfung!“ Sam verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen. „Das hat sich also nicht verändert.“ „Ich mochte einkaufen auch früher nicht?“ „Nein. Du bist schon immer ungern Kleidung kaufen gegangen.“ „Ist das schlimm? Sollte ich das mögen?“ „Nein, musst du nicht. Es gibt inzwischen Einkaufsmöglichkeiten im Internet. Das lässt sich nur hier nicht machen und nicht wenn man dringend etwas braucht.“ „Aber es wäre einfacher, wenn ich alles anders machen würde als früher.“ „Wie kommst du denn darauf?“, wollte Sam perplex wissen. „Du hast mal mit Oliver gesprochen, dass es schwer wäre, dass ich vieles so mache wie bevor ich das Gedächtnis verloren habe. Warum ist es schwer?“ Die Frage traf Sam wie ein kalter Waschlappen. Er ging langsam zu Deans Bett und setzte sich auf die Bettkante. Er überlegte. „Ich kenne dich mein ganzes Leben lang. Ich wusste was du magst und was nicht. Ich wusste oft was du denkst und manchmal lag ich vollkommen daneben. Du warst immer mein großer Bruder. Als Kind hab ich zu dir aufgesehen, dann hab ich dich als Weichei verachtet, weil du dich nicht von Dad trennen wolltest. Trotz seiner ganzen Fehler war er immer dein großes Vorbild und du wolltest so sein wie er. Seit seinem Tod hat sich das verändert. Wir wollten eigentlich so weiter machen wie mit ihm, doch dann erfuhren wir einiges, das an dem großen Helden gerüttelt hat und letztendlich haben wir uns entschieden unser eigenes Leben zu führen. Du warst lange Zeit der, der letztendlich gesagt hat, wo es hingehen sollte, obwohl du mich immer mehr mit eingebunden hast. Und gerade als wir uns zu gleichberechtigten Partnern entwickelt hatten, als wir beide entschieden hatten ein neues Leben zu beginnen, hattest du deinen Unfall. Es ist schwer für mich, dass ein fremder Mensch, denn genau das bist du jetzt, in meinem Bruder steckt. Du hast so viel für Dad aufgegeben. Er hat das aus dir gemacht, was er haben wollte und ich will nicht wieder so eine Marionette aus dir machen. Ich will, dass du dich selbst findest, dass du du bist. Und das ist trotz dieses Vorsatzes nicht so ganz einfach für mich.“ „Warum sagst du mir dann nicht einfach: Das hast du so und so gemacht. Ich würde es doch tun.“ „Klar, ich kann dir sagen, dass du dein Auto liebst und Burger und Sex mit verspielten Frauen. Dass du es liebst mich zu ärgern, wie es große Brüder nun mal tun. Leider hilft uns das hier gerade so gar nicht weiter. Du kannst nicht Auto fahren und du weißt auch nicht was Sex ist. Einen Burger kann ich dir besorgen nur was, wenn er dir nicht schmeckt, wenn du ihn nicht magst? Isst du ihn dann weil ich gesagt habe, dass du ihn früher mochtest? Nein! Ich will nicht, dass du wirst, wie jemand ... wie ich dich will, auch wenn es natürlich verlockend ist. Ich will dir die Chance geben, dich selbst zu finden. Ich meine, ich hoffe, dass deine Erinnerungen zurückkommen, aber wenn nicht, sollst du der Mensch werden, der du von Anfang an hättest sein können. Wir waren gerade dabei uns und unser Leben zu ändern. So ist es für dich wahrscheinlich einfacher. Auch wenn ich mich damit schwer tue.“ „Das muss ich nicht verstehen, oder?“ „Nein. Ich verstehe es ja selber nicht, wenn ich mir zuhöre.“ Dean schaute zu Sam. Der sah traurig aus, wenn er sein Gesicht richtig deutete. Müsste er jetzt etwas sagen? Etwas tun? Wenn ja, wie? Im Moment fühlte er sich damit überfordert also ging er zu dem über, was er kannte. „Und was tun wir jetzt?“ „Jetzt könnten wir rausgehen, oder du gehst die Prüfungsunterlagen durch. Je schneller du wieder auf dem Wissensstand eines normalen Erwachsenen bist, umso schneller kannst du ein selbstständiges, eigenes Leben anpacken.“ „Du hast gesagt, dass wir unser Leben ändern wollten.“ „Ja, wie ich dir schon erzählt habe, sind wir genauso unstet von Ort zu Ort gezogen wie mit Dad und wir wollten endlich sesshaft werden.“ „Und was dann?“ „Wir haben mal hier mal da gearbeitet. Jetzt wollten ich versuchen mir endlich meinen Traum zu erfüllen und Jura studieren. Du wusstest noch nicht so recht wohin dein Weg gehen sollte. Du hattest die Feuerwehr im Auge. Du könntest aber auch bei Bobby an Autos schrauben oder als Handwerker auf dem Bau dein Geld verdienen.“ Dean nickte nur. Ihm sagte weder das eine noch das andere etwas und er nahm sich vor, Sam darum zu bitten ihm das Internet zu erklären. So wie der sich darauf stürzte, würde es ihm wohl am ehesten seine Fragen beantworten, was ein Feuerwehrmann oder ein Bauarbeiter machten und dann konnte er auch mit Sam reden, warum er gerade diese Berufe ausgesucht hatte. Aber dazu würde er erst mehr lernen müssen! Er nickte gedankenverloren. Langsam zog er sich die Blätter heran, die Sam ihm als Prüfung ausgedruckt hatte und begann sie zu lösen. Kapitel 234: Süß, sauer und ein Automuseum ------------------------------------------ 234) Süß, Sauer und ein Automuseum „Sag mal: Bist du dir sicher, dass du Amnesie hast?“, fragte Sam und schaute überrascht von den Prüfungsbögen auf. „Warum? Ich ...“ Dean zuckte ratlos mit den Schultern. „Du bist wirklich gut! Ich sehe hier aber auch das du zu wenig schläfst!“ „Wie? Wieso? Ich muss lernen! Schlafen kann ich später!“ „Nein!“, Sam setzte sich zu ihm aufs Bett, drehte sich so, dass er ihm ins Gesicht sehen konnte und wartete bis Dean ihn ansah. „Dein Gehirn schiebt das was du lernst oder erlebst in eine Art Kurzzeitspeicher. Wenn der voll ist löscht es einfach was. Es braucht den Schlaf, um diesen Arbeitsspeicher verarbeiten zu können. Während du schläfst sortiert es Unwichtiges aus und verschiebt Wichtiges ins Langzeitgedächtnis. Du schläfst aber zu wenig. Also kann dein Gehirn nicht alles verarbeiten und du vergisst Gelerntes wieder. Morgen machen wir einen Ausflug nach Phoenix und wenn du mir versprichst mehr zu schlafen beginnen wir übermorgen mit dem Schulstoff der Mittelschule.“ „Ausflug?“ „Ja. Vormittags gehen wir in ein Automobilmuseum und am Nachmittag in den Zoo.“ Dean zuckte mit den Schultern. Er wusste weder was ein Zoo war noch konnte er sich etwas unter Automobilmuseum vorstellen und er wollte nicht schon wieder fragen. Außerdem musste er über das Gesagte nachdenken. Hatte Sam Recht? Auf dem Gang war die Geschäftigkeit zu hören, die das Abendessen ankündigte. Als die Tür aufschwang legte Dean seine Aufzeichnungen beiseite. Er nahm den Teller entgegen. „Für Sie hab ich heute auch einen“, sagte die Schwester und reichte Sam den zweiten Teller. „Danke.“ Er lächelte sie an. „Das ist nett von Ihnen.“ Eigentlich bekam er fest jeden Tag sein Essen und trotzdem war er jeden Tag dankbar dafür, denn es war nicht selbstverständlich, auch wenn es Essen war, das niemand essen würde. Nachdem sie ihre Teller gelehrt hatten, nahmen sie ihre Badehosen gingen ins Schwimmbad. Sie zogen sich um und während Dean etwas unschlüssig vor dem Becken stand, sprang Sam mit einem eleganten Kopfsprung ist Wasser. Er drehte eine kurze Runde und schwamm zu seinem Bruder, um dem bei den ersten Schritten in dieses neue Element zu assistieren. „Lass dir Zeit, Dean. Immer nur eine Stufe. Halte dich am Geländer fest. Lass das Wasser auf deinen Körper wirken“, bat er und stellte sich auf eine der unteren Stufen der breiten Treppe. Dean befolgte den Rat. Schritt für Schritt ging er in das Becken. „Kalt“, erklärte er, als er bis zum Bauchnabel im Wasser stand. „Ja, solange du dich kaum bewegst. Aber wenn du schwimmst wird dir schnell warm.“ „Kann ich schwimmen?“ „Das werden wir gleich sehen, wenn du ganz drin bist.“ Sam ging zum Rand und stemmte sich aus dem Becken. Er holte einen Schwimmgürtel und sprang wieder ins Wasser. „Was ist das?“, wollte Dean wissen und kam die letzte Stufe herunter. „Ein Schwimmgürtel. Den bekommst du um, damit du nicht untergehst und dann testen wir ob sich dein Körper erinnern kann. Wie fühlst du dich?“ Dean tabste langsam auf Sam zu. „Komisch! Es atmet sich schwer.“ „Das liegt am Wasser. Dein Körper muss mehr Kraft aufwenden, um gegen den Widerstand anzuarbeiten.“ Dean legte den Kopf schief, während er darüber nachdachte. „Halt dich mal am Rand fest“, bat Sam und versuchte seinem Bruder den Schwimmgürtel umzuschnallen, was gar nicht so einfach war, denn das Ding hatte einen ganz schön starken Auftrieb. Doch letztendlich schaffte er es. „Das ist komisch! Muss das sein?“, beschwerte sich Dean fast sofort nachdem Sam sich wieder aufgerichtet hatte. „Es wird besser, wenn du auf dem Wasser liegst“, versprach der und zeigte ihm wie er es machen sollte und wie der dann Arme und Beine bewegen sollte. Skeptisch schaute Dean seinem Bruder zu. Das sollte funktionieren? „Nicht denken“, forderte Sam leise, als er ihm bei den ersten Schwimmversuchen half. Es dauerte nicht wirklich lange, bis sich herausstellte, dass der Körper die Bewegungen nicht vergessen hatte. „Das klappt richtig gut“, stellte Sam fest und befreite seinen Bruder von der Schwimmhilfe. Dean nickte und lächelte zaghaftes. Er hätte nicht geglaubt, dass es so einfach war. Gemeinsam zogen sie danach ihre Bahnen. Körperlich müde fiel Dean nach dem Schwimmen auf sein Bett. Am liebsten würde er jetzt schlafen, doch konnte er das auch? Er war jeden Abend müde, aber das Einschlafen fiel ihm schwer und meist war er nach ein paar Stunden auch schon wieder wach. Wie er das Versprechen, dass er Sam vorhin ja irgendwie doch gegeben hatte, halten sollte, blieb ihm schleierhaft. Wie schlief man mehr, wenn man nicht schlafen konnte? „Hey, nicht einschlafen“, lenkte Sam Deans Aufmerksamkeit auf sich. „Ich hab nicht geschlafen.“ „Sah aber fast so aus“, lachte Sam. „Ich hab hier was für dich.“ Er stellte einen Teller auf den kleinen Tisch an Deans Bett und setzte sich auf die Bettkante. „Ist es das was ich denke und was willst du damit?“, wollte Dean wissen und musterte die runden Dinger, die auf dem Teller lagen. „Wenn du an zwei Äpfel, eine Apfelsine oder Orange, eine Banane und eine Zitrone denkst, ja. Äpfel gab es hier ja schon hin und wieder und Orangensaft gibt es morgens. Trotzdem dachte ich mir, dass du sie auch mal als richtige Frucht kennenlernen solltest und nicht nur auf Bildern. Zitrone kennst du auch schon als Eis. Ich dachte, ich stelle dir mal wieder etwas Neues vor.“ Er nahm die Orange und gab sie seinem Bruder. „Schließ die Augen und riech mal.“ Nach und nach gab er ihm alle Früchte. Erst dann begann er sie, von seinem Bruder aufmerksam beobachtet, zu schälen oder einfach zu zerteilen. „Die Äpfel kannst du mit Schale essen, das weißt du ja schon. Die Orange wird geschält, oder wenn du den Saft auspressen willst, nur zerteilt. Die Banane kann man ohne Hilfsmittel schälen und eine Zitrone schneidet man am besten in Scheiben, oder viertelt oder achtelt sie“, erklärte er sein Tun. Als erstes gab er Dean die halbe Banane. „Iss sie langsam“, bat er und beobachtete, wie Dean zögernd abbiss. „Und?“ „Hm, kann man essen“, erklärte Dean ruhig. Danach bekam er je eine Hälfte der beiden Äpfel. Der eine war süß, der andere etwas herber. „Schon besser“, sagte Dean bei der ersten Hälfte. Bei der Zweiten verzog er das Gesicht. „Okay?“ Er schluckte und war sich nicht sicher ob er das jetzt mochte oder doch lieber nicht. Die Orange mochte er sofort. „Vorsichtig!“, forderte Sam, als er seinem Bruder eine halbe Scheibe der Zitrone reichte, doch Dean schob sich das Teil, ungeachtet der Warnung, sofort in den Mund. Erst geschah nichts, doch dann zog sich sein Gesicht regelrecht zusammen. „Schlucken!“, forderte Sam, nicht dass Dean die Zitrone ausspuckte. Der angeekelte Ausdruck auf Deans Gesicht sprach Bände, als er die Zitrone schluckte. „Das ... war ... widerlich!“, brachte er stockend hervor und schaute sich nach etwas zu Trinken um, um diesen Geschmack schnell loszuwerden. „Eigentlich nur sauer“, lachte Sam, während sich sein Bruder schüttelte. „Ich hatte dir gesagt, dass du es vorsichtig probieren sollst!“ „Hast du noch irgendwas nicht so ... saures?“ „Nur den sauren Apfel.“ „Wenn ich damit den Geschmack wieder loswerde!“ Er nahm das angebotene Obst und schob es sich in den Mund. „Ischt gar nicht so sauer“, nuschelte er kauend. „Nach der Zitrone ist fast alles süß“, grinste Sam. „So und jetzt leg dich hin und schließ die Augen“, forderte der Jüngere als Dean den Apfel geschluckt hatte. Fragend schaute der Ältere zu seinem Bruder. „Mach einfach. Es wird auch nichts Saures mehr, versprochen.“ Kurz überlegte Dean, dann legte er sich hin und schloss die Augen. Er hoffte nur, dass er jetzt nicht gleich ganz einschlief. Aber vielleicht war das ja Sams Intention? Zu weiteren Gedanken kam er allerdings nicht mehr, denn er fühlte Sam seine Hand nehmen. Augenblicklich riss er die Augen wieder auf. Es war ihm unangenehm nicht zu sehen, denn bis jetzt hatte er sich immer zuerst mit den Augen orientiert, hatte alles Neue zuerst mit den Augen erfasst. Das hier war etwas ganz Neues! „Mach die Augen wieder zu, Dean. Bitte. Ich werde dir nichts tun. Ich wollte deinen Tastsinn beschäftigen.“ Sam schluckte seine Enttäuschung herunter. Wieder einmal hatte Dean ihm vorgeführt, dass er eben nicht mehr der alte Dean war. Der hätte sich vielleicht nicht auf dieses Spiel eingelassen, aber wenn dann hätte er ihm blind vertraut. Nachdem Dean die Augen wieder geschlossen hatte, legte er ihm ein Stück groben Stoffes in die Hand. „Rau, grob“, erklärte er und beobachtete wie Dean seine Finger über den Stoff gleiten ließ. Als nächstes wählte er Seide. „Weich, glatt, kühl“ Eine Weile machte er so weiter und gab Dean neben weiteren Stoffstücken und Papier, Watte, einen Metallwürfel und eine Glaskugel in die Hand. „Können wir aufhören?“ Dean öffnete die Augen und setzte sich auf. „Ich kann nicht ...“ Er gähnte. „Klar. Zieh dich um und dann ab ins Bett.“ Sam lächelte. Er hatte mehr geschafft, als er angenommen hatte und letztendlich hatte Dean ihm doch vertraut! Ein schönes Gefühl. Am Morgen darauf musste Sam seinen großen Bruder zum Frühstück wecken. Verschlafen blinzelte Dean seinen Bruder an. „Was´n?“ „Was hast du denn in der Nacht gemacht?“, wollte der Jüngere wissen. „Oder sollte ich fragen wie lange?“ Er war mal wieder vom Licht geweckt worden, hatte aber beschlossen nicht darauf zu reagieren. Es wäre sinnlos gewesen und er wollte sich nicht streiten. „Hab das Licht um drei wieder ausgemacht.“ „Dieser zwei bis maximal vier Stunden Schlafrhythmus muss aufhören, Dean. Das ist alles andere als gesund!“ „Und wie? Soll ich wenn ich wach werde einfach nur im Bett rumliegen?“ „Vielleicht würde das was bringen? Keine Ahnung. Erstmal werden wir deinen Mittagsschlaf streichen. Vielleicht hilft das ja schon.“ „Hm“, grummelte der Ältere und gähnte. „Aufstehen! Es gibt Frühstück und dann wollen wir los.“ Der Start in den Tag entpuppte sich schon mal als enttäuschend. Sams heimliche Hoffnung, dass das leise Grollen des Impalas Deans Erinnerungen zurückbringen könnte, zerplatzten wie eine Seifenblase. Natürlich war der in den letzten Tagen schon mehrmals mitgefahren, doch das waren eben nicht die scheinbar endlos langen Strecken, die sie normalerweise zurücklegten. Vielleicht brachte ja das Museum mehr? Wohl nicht. Dean zeigte an den alten Automobilen, wenn man es freundlich ausdrücken wollte, eher mittelmäßiges Interesse. Nichts zu seinem früheren ich. Da hätte Sam ihn wohl erst wieder aus dem Museum herausbekommen, wenn er mindestens einem, besser wohl allen unter die Haube geschaut und mit dem Besitzer etliche Stunden gefachsimpelt hätte. Heute war sein Bruder von einem Wagen zum anderen gelaufen, hatte sich die Daten durchgelesen, einen Blick auf das Fahrzeug geworfen und war zum nächsten gegangen. Doch das Schlimmste an diesem Besuch war der eher erleichterte Ausdruck, als sie das Museum wieder verließen. Ob der Tierpark da mehr Eindruck machte, bezweifelte Sam inzwischen auch stark, doch er wollte nichts unversucht lassen. Also los! Kapitel 235: KEINE Erinnerung ----------------------------- 235) KEINE Erinnerung Im Zoo gingen sie langsam von Gehege zu Gehege. Etwas Hoffnung keimte in Sam auf, als er sah, dass sich Dean wohl doch für das eine oder andere Tier zu begeistern schien. Vor allem wenn Jungtiere im Gehege waren, blieb er länger stehen. Doch dann fiel ihm auf, dass Dean immer dann Begeisterung zeigte, wenn sie nicht alleine vor dem Gehege standen. War kein anderer Mensch da, blieb sein Bruder distanziert. Hieß das jetzt, dass Dean seine Mitmenschen nachahmte? Dazu würde er Oliver fragen müssen! Noch hoffte er auf die Wölfe. Da war Dean glücklich gewesen! Wenn, dann musste Dean sich doch bei denen erinnern, oder? Doch nichts. Kein Mensch stand vor dem Gehege, und so zeigte auch Dean keine Reaktion. Er schaute sich die dösenden Tiere eine Weile an und ging dann weiter. Sam schluckte hart. Die Hoffnung das Deans Erinnerungen hier im Tierpark zurückkamen konnte er wohl beerdigen. Blieb noch der Lehrpfad, um den Ausflug nicht als vollkommen sinnlos abzustempeln. „Zieh deine Schuhe und Socken aus“, bat er seinen Bruder, während er sich von seiner Fußbekleidung trennte und dann Dean dabei zusah, wie der mit einem verknoteten Schnürsenkel kämpfte. Gerade als er seine Hilfe anbieten wollte, schaffte der es, den Knoten zu lösen. Kurze Zeit später stand er mit den Schuhen in der Hand vor ihm und schaute fragend zu ihm auf. „Willst du vorgehen?“, fragte Sam und Dean nickte. „Lass dir Zeit. Es kann unangenehm werden. Spring nicht gleich runter. Wenn du es allerdings nicht mehr aushältst, dann lass es sein und nicht erst wenn deine Füße bluten. Schmerz ist nicht das einzige Gefühl, dass es gibt. Bitte Dean, vertrau mir!“ Der Ältere legte den Kopf schief und schaute zu Sam. Bislang war Schmerz das einzige Gefühl, dass die Wut in ihm dämpfen konnte. Gestern Abend hatte Sam einen guten Versuch gestartet, um ihn von dieser allumfassenden Wut darauf, dass er es einfach nicht schaffte sich zu erinnern abzulenken. Doch letztendlich war sie zurückgekehrt und das Verlangen Wissen zu bunkern, um sein Leben wiederzubekommen hatte ihm erneut den Schlaf geraubt. Nein, er würde nichts sagen, solange er es nicht musste. Sam schien den Widerstreit in Dean zu spüren. „Geh vor“, verlangte er leise. So konnte er ihn auf jeden Fall im Auge behalten. Wenn er Dean doch nur helfen könnte! Ohne zu zögern betrat Dean den Pfad und erstarrte. Er kannte bisher nur das Linoleum im Krankenhaus und die Fliesen. Das hier war so ganz anders. „Was ist das?“, wollte er etwas unsicher wissen. „Rindenmulch“, erklärte Sam und schaute sich um. Kein Mensch war in der Nähe, also konnten sie sich richtig Zeit lassen. „Hock dich hin, nimm es in die Hand und riech mal dran“, forderte er seinen Bruder gleich daraufhin auf, und Dean folgte seiner Aufforderung. Auch Sam nahm ein paar Rindenstücke in die Hand und roch. „Das riecht nach Holz und Erde“, gab er seine Erkenntnisse weiter. Dean roch noch einmal daran und prägte sich den Geruch ein. Erst dann ging er langsam darüber bis zum nächsten Boden. Hier hockte er sich wieder hin, um zu fühlen und zu riechen. Nach und nach lernte er so Splitt, Sand, Kiesel, groben Sand, Tannennadeln, Steine, grobe Holzstücke und Gras kennen. Erschöpft ließ er sich am Ende des Weges auf eine Bank fallen. Selbst zum Schuhe anziehen musste er sich zwingen. Er wollte eigentlich nur noch die Augen schließen und nichts tun. Und diese Ruhepause gewährte Sam ihm dann auch. Er ließ sich neben seinem Bruder nieder und hielt das Gesicht in die Sonne. So könnte er ewig sitzen, überlegte er. Leises Schnarchen riss ihn aus seinen Gedanken. ‚So hatten wir nicht gewettet!‛ „Hey, Dean. Nicht schlafen!“, grummelte er und knuffte seinen Bruder in den Arm. Erschrocken setzte Dean sich auf und schaute sich um. Sein Blick blieb an Sam hängen. „Bin müde!“, erklärte er etwas ungehalten. „Wir hatten vereinbart, dass du mittags nicht mehr schläfst.“ „Du hattest das bestimmt.“ „Damit du nachts durchschlafen kannst, ja. Außerdem hab ich Hunger. Lass uns was zu Essen suchen!“ Ergeben nickte Dean und stemmte sich von der Bank hoch. Mit hängendem Kopf schlurfte er hinter Sam her. Es dauerte nicht lange, bis sie einen Imbiss gefunden hatten. Sie setzten sich an einen Tisch im Freien. Sam bestellte sich einen Ceasars Salat und Dean schloss sich ihm an, obwohl er keine Ahnung hatte, was er da bekommen würde. Seinen Bruder zu beobachten, nachdem der Salat serviert worden war, zauberte ein Lächeln auf Sams Gesicht. So wie er es immer wieder bei neuem Essen von ihm gefordert hatte, schloss Dean auch hier bei jedem neuen Bissen die Augen. Er kaute langsam und ließ den Geschmack auf sich wirken. Der Salat war knackig und viel schmackhafter als der, den es im Krankenhaus gab. Die Croûtons knackten und erinnerten ihn an Toast und das Fleisch zerfiel fast auf der Zunge. Doch das Dressing ließ alles andere verblassen. „Was ist da alles drin?“, wollte er von Sam wissen und deutete auf das Dressing. „Was schmeckst du denn?“ „Sauer, würzig und irgendwie scharf, weich.“ „Sehr gut, Dean!“, Sam strahlte seinen Bruder an. „Sauer kommt von der Zitrone. Das irgendwie scharf ist Knoblauch und das Würzige ist, glaube ich, Worcestersoße.“ Dean legte den Kopf schief. Dann schob er sich eine Weitere Gabel in den Mund und schloss noch einmal die Augen, um sie die Geschmäcker besser einprägen zu können. Sam lächelte. Das Essen hier war aber auch etwas vollkommen anderes, als das im Krankenhaus. Er freute sich richtig auf Jodys Küche. Ob er je so gut kochen können würde? Oder würden sie sich nur noch von Fastfood ernähren, wenn sie mal ein eigenes Leben führten? Er wollte es nicht hoffen, aber wer würde dann kochen? Nach dem Essen fuhr Sam mit seinem Bruder noch in eine Parfümerie. Einerseits wollte er ihm ein Rasierwasser kaufen, andererseits war das auch eine wunderbare Gelegenheit, ihm ein paar neue Gerüche zu zeigen. Lange hielt es Dean in dem Geschäft allerdings nicht aus. Die schiere Menge der Düfte überforderte seinen Geruchssinn schon nach wenigen Proben. Da halfen auch die, zur Neutralisation, aufgestellten Schälchen mit Kaffeebohnen nicht. Dean streikte. „Das erste mochte ich. Die hier“, er hielt Sam einen Streifen unter die Nase, „war auch okay.“ Er zuckte mit den Schultern. „Kannst du mir nicht einfach ein Rasierwasser aussuchen?“, flehend schaute er zu dem Jüngeren. „Oder gibt‛s den Geruch hier auch?“ Er hielt Sam eines der Schälchen unter die Nase. Sam grinste. Wenigstens den Geruch von Kaffee mochte sein Großer noch. Den Geschmack hatte er erst am Morgen wieder als widerlich abgelehnt. Aber gut. Kaffee trinken musste mal wohl erst lernen. Er würde es bei Bobby weiter versuchen. „Okay“, nickte Sam und orderte einfach das von Dean auch früher schon gerne benutzte Rasierwasser, das hatte der ja als „auch okay“ bezeichnet und irgendwie hoffte Sam darauf, dass der Geruch vielleicht ja doch half, schließlich waren Erinnerungen viel mit Gerüchen verbunden. Die Rückfahrt verlief schweigend. Sam stellte sich einen Sender ein, der Musik spielte, die er mochte und wunderte sich nur kurz, dass kein Protest kam. Es schmerzte, dass Dean eben nicht mehr Dean war und der Schmerz fraß sich mit jedem Tag, den sie hier verbrachten etwas tiefer in seine Seele. Er brauchte dringend einen Freund, mit dem er über den alten Dean reden konnte. Einen Freund, mit dem er den Verlust des alten Deans betrauern konnte und er wollte sich endlich ein Mal so richtig betrinken, um den ganzen Schmerz zu ertränken. Aber auch das würde er erst bei Bobby tun können. Das Telefonieren reichte schon lange nicht mehr, um seinen Frust zu bekämpfen. ‚Verdammt! Warum mussten sich gerade jetzt die Ganoven in Sioux Falls die Klinke in die Hand geben?‛ Jody hatte schon seit Wochen keinen freien Tag mehr gehabt und Bobby wollte sie in dieser Situation nicht alleine lassen, sondern ihr wenigstens in den kaum vorhandenen freien Minuten den Rücken stärken. Zu sehr schauten ihr die braven Bürger der Stadt auf die Finger, weil sie mit ihm zusammen war und zu sehr versuchte ihr Deputy an ihrem Stuhl zu sägen. Wieso ist die Welt so ungerecht? Auf diese Frage würde er wohl nie eine Antwort bekommen. Pünktlich zum Abendessen kamen sie wieder im Krankenhaus an. „Na das nenne ich Timing“, lachte Schwester Luise. „Ich bin gut, stimmts?“, warf sich Sam in die Brust. „Naja“, sagte sie und musterte ihn überlegend. „Heute schon.“ „Sonst nicht?“ „Das muss ich noch länger beobachten, um eine abschließende Aussage treffen zu können“, wich sie einer direkten Antwort lachend aus. Sam nickte. Der Rest des Abends verlief sehr schweigsam. Dean war zu müde zum reden und wollte eigentlich lieber schlafen als sich im Fitnessstudio auf den Geräten zu quälen und Sam schwieg noch immer angefressen von der ganzen Situation und weil er seinen Bruder nicht für etwas anmaulen wollte, wofür der nichts konnte. „Kann ich gleich noch mit dir reden?“, fragte Sam Dr. Brewster bei der Visite am nächsten Morgen. „Worum geht es?“ „Nichts Schlimmes. Ich hab eine persönliche Frage.“ „Dann komm am besten in einer halben Stunde in mein Büro“, entschied der Arzt nach einem Blick auf seine Uhr. Eine halbe Stunde später klopfte Sam an die Tür des Arztes. „Komm rein, nimm Platz. Möchtest du einen Kaffee?“ „Nein, danke“, wehrte der Winchester ab. „Worum geht es? Ist was mit Dean?“ „Nein. Ihm geht es soweit ganz gut. Er kommt mit dem Schlafentzug nach dem Mittagessen halbwegs klar. Er erfasst den Sinn des Ganzen zwar nicht, schließlich ist es ihm ja egal ob er nachts oder am Tag schläft, aber er versucht sich daran zu halten. Viel besser ist es nachts aber noch nicht geworden. Aber wir probieren es ja erst seit dieser Woche. Es geht um mich.“, Sam atmete kurz durch und sammelte seine Gedanken. „Ich hab immer mehr Probleme mit der Situation, mit Deans Amnesie. Es frisst mich innerlich auf. Hier ist keiner, der den alten Dean kannte, keiner der mir wirklich raten kann, wie ich mit einigen Dingen umgehen kann und keiner bei dem ich mich wirklich ausheulen könnte. Ich hab Angst Dean irgendwann wegen einer Nichtigkeit anzubrüllen. Ich hätte gerne einfach mal wieder Zeit für mich, Zeit um runter zu kommen. Ist das nicht egoistisch? Ich meine, er ist mein Bruder, er hat mich aufgezogen und ich mache schon nach so wenigen Wochen schlapp!“ Sam schniefte. Er wollte stark sein, doch jetzt heulte er dem Arzt die Ohren voll! „Daran ist nichts egoistisches, Sam. Ich kann dir einen Termin bei einem Therapeuten machen. Der ...“ „Keinen Seelenklempner“, wehrte Sam unwirsch ab. „Bitte. Wenn ich da mal anfange, höre ich wahrscheinlich nicht mehr auf“, versuchte er seinen Ausbruch abzumildern. „Ich werde dir mit Sicherheit keine Psychotherapie aufdrängen wollen. Außerdem versteht jeder, dass es dir gerade nicht so gut geht. Ich dachte eher an ein paar Entspannungsübungen, autogenes Training, Muskelentspannung.“ Fragend blickte er zu Sam. „Und am Samstag kommt ihr zu uns zum Grillen.“ „Du meinst es wirklich ernst damit?“ So ganz wollte Sam diese Einladung noch nicht glauben. „Wir kennen uns jetzt schon sehr gut, denke ich und es wäre für Dean gut, mal eine Familienfeier zu erleben, zu sehen, wie Familien und Freunde miteinander umgehen.“ „Wir werden mit Sicherheit nicht bei einer Familienfeier reinplatzen!“, wehrte Sam heftig ab. „Diese Zeit gehört der Familie und keinen fremden Leuten.“ „Es ist keine Familienfeier in dem Sinne. Wir treffen uns mit Freunden. Sheriff Hanscum kommt mit Gabby, Dr. Baral mit ihrem Mann und ein paar andere Freunde.“ „Du lässt einfach nicht locker, oder?“ „Ist das schlimm?“ „Nein.“ Sam schüttelte den Kopf. „Es erinnert mich an meinen Bruder. Obwohl? Auch jetzt könnte man Dean, freundlich ausgedrückt, als sehr ehrgeizig bezeichnen. Und doch ist es anders. Dean hatte von klein auf eine große Last zu tragen. Er musste sich um ein Baby und um unseren Vater kümmern und doch fand er immer wieder Spaß am Leben. Heute brütet er über Büchern. Ihm fehlt die Leichtigkeit, die er vorher hatte. Selbst in schwierigen Situationen konnte er mir Mut machen, konnte Bedenken beiseite wischen. Ich bin nicht so. Ich überdenke alles lieber zwei oder drei Mal oder analysiere es zu Tode.“ Er schaute auf. „Was wenn Dean sich nie wieder an sein altes Leben erinnert? Ich bin so zwiegespalten. Auf der einen Seite will ich ihn zurück wie er war, auf der anderen will ich, dass er sich selbst findet. Dass er seinen Weg im Leben findet und nicht wird, wie jemand ihn haben will.“ „War er das? War er wie jemand ihn wollte?“, hakte Dr. Brewster ruhig nach. „Ja. Dad hat aus ihm seinen kleinen braven Soldaten gemacht“, erwiderte Sam leise. „Ich sagte ja schon, dass er mich aufgezogen hat. Mom starb bei einem Brand und danach war nichts mehr wie zuvor. Dad hielt es nie lange an einem Ort aus und war ständig unterwegs. Dean hat sich um meine Belange gekümmert und um Dad, wenn der mal wieder in eine Schlägerei geraten war ...“ Sam schluckte. Das Alles hatte er nicht erzählen wollen, auch wenn es im Groben die Geschichte war, die er auch Dean erzählt hatte, Das ging nur sie Beide etwas an, naja und vielleicht auch noch Bobby und Jody. „Dean hatte nie Zeit für sich?“ „Später nachdem ich weg war vielleicht. Aber nicht bis er zwanzig war.“ „Dann finde ich es um so bewundernswerter, dass du ihn seinen Weg finden lassen willst.“ „Tue ich das? Ich bin mir da nicht so sicher.“ „Du brauchst Geduld. Ich weiß, dass das sehr leicht gesagt ist, wenn man nur gute Ratschläge zu geben braucht. Ich denke wirklich, dass ihr zu dem Treffen kommen solltet. Dort kannst du auch gleich sehen, wie dein Bruder mit Fremden zurecht kommt.“ „Wahrscheinlich hast du Recht“, nickte Sam. Plötzlich fiel ihm etwas ein. „Kann es sein, dass Dean Personen in seinem Umkreis nachahmt?“ „Wie kommst du darauf?“ „Als wir im Zoo waren. Wenn andere Besucher neben uns standen, hat er Begeisterung für die Tiere gezeigt. Standen wir allein vor dem Gehege, war er eher teilnahmslos.“ „Das ist ein unbewusstes Verhalten hochentwickelter Wesen. Schon Babys reagieren so auf die Gefühle ihrer Bezugspersonen. Dean will dazugehören.“ „Aber wenn nur ich da war hat er überhaupt nicht reagiert!“ „Hast du denn Gefühle gezeigt?“ Sam überlegte bevor er zugeben musste: „Nein. Ich hab mich viel zu sehr auf ihn konzentriert.“ „Dann versuch es mal. Zeig deine Emotionen. So kannst du ihm sicherlich ein paar schöne Dinge im Leben beibringen.“ „Dean mochte aber andere Sachen als ich und ich will ihn nicht lenken!“ „Dann müsste er auf einer einsamen Insel leben. Er wird immer von seiner Umgebung gelenkt werden. Das ist normal und ich denke es ist dir lieber, dass er sich an dir orientiert als an wildfremden Menschen, oder?“ „Ich glaube, darüber muss ich erst mal in Ruhe nachdenken!“ „Tu das und wegen der Termine melden ich mich heute noch.“ „Danke, Oliver.“ Sam versuchte ein Lächeln und verließ das Büro. Da hatte ihm der Arzt ja jede Menge Stoff zum Nachdenken gegeben. „Das war wohl keine gute Idee“, überlegte er kleinlaut. „Doch schon, aber es ist wohl einfach nicht der richtige Tag gewesen.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Trotzdem möchte ich mich für das gute Essen bedanken und dafür entschuldigen, dass wir wohl keine guten Gesprächspartner sind.“ „Nein, Sam. Es ist gut so. Es war ein Experiment, ob Dean schon soweit ist. Über alles Weitere reden wir am Montag.“ „Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und einen ruhigen Sonntag.“ „Danke.“ Oliver nickte und gab den jungen Männern die Hand. „Bis Montag“, verabschiedete sich nun auch Dean und lies sich auf den Beifahrersitz fallen. „Zeigst du mir jetzt das Video?“, drängelte der ältere Winchester, kaum dass sie auf dem Krankenhausparkplatz ankamen. „Jetzt lass uns doch erstmal ins Zimmer gehen“, versuchte Sam ihn zu bremsen. Es gelang ihm nicht. Kaum hielt er an, riss Dean die Tür auf und stürmte davon. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge schaute Sam ihm hinterher. Und so sehr er sich auch dagegen sträuben wollte, die Hoffnung, dass Dean sich danach erinnern könnte, ließ auch ihn seine Schritte beschleunigen. Mit fliegenden Fingern öffnete er den Laptop, kaum dass er im Zimmer angekommen war und trommelte dann ungeduldig auf dem Gehäuse herum. ‚Brauchte das Ding schon immer so lange um hochzufahren?‛ Endlich konnte er sein Passwort eingeben. Er zog sich seine Jacke aus und warf sie auf sein Bett. Gerade die richtige Zeit, um dann einen Ordner zu öffnen und die Wolfsvideos zu durchsuchen. Er klickte das eine Video an und schob Dean auf seinen Stuhl. Schnell ging er um den Tisch herum und wartete voller Ungeduld darauf, dass es startete und darauf, dass Dean etwas wiedererkennen würde. Die Hoffnung wurde brutal ermordet. In Deans Augen war kein Erkennen, als er die Szene verfolgte. Lediglich die Wut flackerte wieder heftiger. Nur mit Mühe konnte Dean sich davon abhalten den Laptop vom Tisch zu fegen. Er ballte die Hände zu Fäusten und stand so schnell auf, dass der Stuhl nach hinten kippte. Laut knallend landete die Lehne auf dem Boden. Erschrocken zuckten beide Brüder zusammen. Sam schloss die Augen und zählte stumm bis zehn. „Verdammt“, wütete Dean und trat ans Fenster. Wenigstens hatte der Schreck auf den Knall so viel seiner Wut genommen, dass er nicht mehr unmittelbar Gefahr lief etwas zu zerstören. Trotzdem musste er dringend Dampf ablassen. „Ich geh runter“, sagte er und begann sich umzuziehen. „Gute Idee“, erklärte Sam und folgte dem Beispiel seines Bruders. Wenigstens konnte er sich so seinen Frust vom Halse trainieren. Müde und ausgelaugt fielen sie Stunden später in ihre Betten. Im Einschlafen überlegte Sam, dass wenn das noch öfter passieren würde, sie wohl im nächsten Jahr bei der Mister Universum-Wahl mehr als nur gute Chancen haben würden! Kapitel 236: Fata morgana ------------------------- 236) Fata morgana Auch Tage später war Sam mit sich noch nicht im Reinen, was die Beeinflussung von Dean anging. Allerdings versuchte er jetzt viel stärker darauf zu achten, was für Emotionen er transportierte. Noch stärker fragte er sich, was von Deans Vorlieben von ihrem Vater übernommen und was davon wirklich Dean war, denn das könnte, das wollte er fördern. Leider hatte er auch hier noch keine wirkliche Entscheidung finden lönnen. Immerhin schaffte er es seine negativen Gefühle im Zaum zu halten. Das autogene Training und die Atemübungen, die er am Tag nach seinem Gespräch mit Dr. Brewster gelernt hatte, wirkten Wunder. „Oliver hat uns für heute Nachmittag zum Grillen eingeladen. Was denkst du?“, fragte Sam seinen großen Bruder, als er ihr Zimmer wieder betrat. „Grillen?“ Er hatte zwar im Fernsehen schon etwas in der Art gesehen, aber da standen Profiköche am Grill und viele Menschen saßen in einem Raum und schaute zu. Wollte Oliver mit ihnen zu so einem Grillen? „Ein gemütliches Essen im Garten. Es gibt Fleisch und Salate. Wir essen und reden. Hast du Lust?“ „Ist Oliver Koch?“ „Nein“, Sam lächelte. „Das muss kein Koch machen. Das kann fast jeder“, erklärte er ruhig. „Okay? Nur wir?“ „Nein, es kommen noch ein paar mehr Leute.“ „Dann nicht. Ich will nicht mit Fremden reden!“ „Donna kommt mir Gabby, Dr. Baral. Es sind also nicht nur Fremde.“ „Okay“, gab Dean auf. Er hatte wohl keine Chance, wenn Sam es wollte. Der biss die Zähne zusammen und schloss resigniert die Augen. Wieso hatte er jetzt das Gefühl, dass er Dean, mal wieder, zu etwas überredet hatte, was der nicht wollte? Warum musste das alles so schwer sein? Warum konnte Dean nicht einfach aufwachen und wieder normal sein? Warum trafen derartig tiefgreifende Ereignisse eigentlich immer Dean und warum musste er sich damit rumschlagen? Das Leben war einfach ungerecht! Und jetzt war er ungerecht! Im Stillen zählte er bis zehn, bevor er die Augen wieder öffnete. „Christo!“ „Was?“ Dean schaute ihn verwirrt an. „Nichts, Dean. Alles gut.“ Er hatte nicht widerstehen können. Nach einem tiefen Atemzug versuchte er sich in einer Erklärung: „Wir werden nicht für immer hier bleiben können. Du wirst immer wieder mit fremden Menschen zu tun haben und das Grillen ist eine gute Übung dafür, denke ich.“ „Weiß nicht! Ich will hier nicht weg!“ Sam schluckte diese Erklärung kommentarlos. Warum über etwas diskutieren, dass noch nicht greifbar war? Allerdings fürchtete er sich schon jetzt vor dieser Diskussion und er konnte nur hoffen, dann sachlich zu bleiben, denn er wollte hier raus. Lieber heute als morgen! Am Nachmittag machten sie sich auf den Weg. Bevor sie zu Dr. Brewsters Haus fuhren, holten sie noch zwei Flaschen Rotwein, von dem Jody bei dem vorangegangenen Telefongespräch behauptet hatte, dass er hervorragend schmecken würde. Sam hatte sich ihren Rat eingeholt, schließlich wollte er nicht mit leeren Händen zu dieser Einladung erscheinen und von Mitbringseln im Allgemeinen und Wein im Speziellen hatte er kaum Ahnung. Das Haus stand etwas außerhalb des Ortes. Sam parkte den Impala am Straßenrand. Gemeinsam gingen sie zum Haus und der Jüngere klingelte. Es dauerte einen Weile, bis jemand öffnete. „Hallo Jungs. Schön dass ihr gekommen seid“, begrüßte sie der Arzt. „Kommt doch gleich nach hinten.“ Er wedelte mit der Hand nach links und verschwand wieder im Haus. Die Brüder folgten seiner Anweisung. Durch ein kleines, weißes Gartentor betraten sie einen etwas größeren Garten. Im Schatten großer Bäume standen ein paar Blumen, sonst dominierten eher anspruchslose Pflanzen. „Hier regnet es zu wenig“, erklärte Oliver das Ambiente. „Aber kommt mit. Ich stelle euch den Anwesenden vor, die ihr noch nicht kennt.“ Er führte sie zu einer jungen Brünetten. „Das ist meine Frau Tina. Tina, das sind Sam und Dean“, stellte er sie einander vor. „Hallo. Ich freue mich, dass ihr hier seid.“ Sie schüttelte beiden die Hand. „Sind die für uns?“, fragte sie und deutete auf die Flaschen, die Dean in den Händen hielt. Automatisch nickte der Winchester und hielt sie ihr hin. „Sam sagte, dass wir nicht mit leeren Händen kommen könnten.“ „Das ist nett von euch, wäre aber nicht nötig gewesen“, erklärte Oliver. „Ich habe euch eingeladen. Trotzdem, vielen Dank dafür.“ Er nahm die Flaschen und brachte sie ins Haus. Die Brüder schauten sich um, wobei Dean immer dicht hinter seinem Bruder blieb. Fremde Umgebungen schüchterte ihn immer noch ein. „Dean“, hörten sie plötzlich eine Stimme. Sie drehten sich fast gleichzeitig um und sahen Gabby auf sie zukommen. „Gabby!“ Über Deans Gesicht huschte ein Lächeln, dass seine Augen jedoch wieder einmal nicht erreichte. „Schau mal, die haben hier kleine Kätzchen. Sind die nicht süß?“ Sie fasste ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich zu einem ruhigeren Plätzchen im Schatten. Deans Blick fiel auf die Kleinen. Seine Stirn furchte sich, während er überlegte. „Niedlich“, erklärte er dann, Sam hatte ihm erklärt, dass Kätzchen niedlich waren, und hockte sich neben den Teenager. „Wir können essen“, erklärte Oliver und legte ein weiteres Stück Fleisch vom Grill auf den Teller. Sofort schaute sich Sam nach seinem Bruder um, fand ihn aber nicht. Panik kroch in seinem Hals hoch. Wo war er? Hektisch zuckten seine Augen durch den Garten. Gerade als er nach ihm rufen wollte, legte Dr. Baral ihre Hand auf seinen Arm und deutete in eine Ecke. Sam atmete erleichtert durch. Dean saß neben Gabby auf dem Boden. „Danke“, wisperte er mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. Ihm war gerade ein Stein vom Herzen gefallen. In aller Ruhe ging er zu den Beiden hinüber. Dean unterhielt sich mit Gabby und diente nebenbei zwei der Kätzchen als Klettergerüst. Eines balancierte auf seinem Bein entlang und das Zweite versuchte an dem Menschen nach oben zu klettern. Es stemmte seine Hinterpfötchen auf Deans Oberschenkel. Die Vorderpfötchen krallten sich in den Stoff von Deans T-Shirt. Spitze Krallen bohrten sich in die Brust des Menschen. Dean zuckte zusammen. Das Kleine erschrak und verlor den Halt. Quietschend landete es auf dem Rücken. Es ruderte mit seinen Pfötchen in der Luft, um sich wieder auf den Bauch drehen zu können. Dean half nach. Seine Finger kamen der kleinen Schnauze zu nahe und schon schnappte das Kätzchen danach und krallte sich in seiner Hand fest. Für den Bruchteil eines Augenblickes schob sich das Bild von einem anderen Tier vor Deans inneres Auge, doch die Erinnerung verblasste, bevor er sie greifen konnte. Verwirrt schaute er zu Sam. Ein Gefühl, das er nicht benennen konnte, verstopfte seine Kehle. „Dean?“ Schnell hockte sich Sam neben seinem Bruder und legte ihm eine Hand auf den Arm. Hatte Dean sich hier an den Wolfswelpen erinnert? Den, der ihn ersteigen wollte? Noch zu gut sah er selbst diese Szene vor sich. Vielleicht sollte er Dean das Video mal zeigen? „Das ...“, krächzte der Ältere und schluckte hart, bevor er hilflos den Kopf schüttelte. „Willst du darüber reden?“ „Da ...“, wieder schüttelte Dean den Kopf. Wut flackerte in seinen Augen. „Nein, Dean! Das macht es nur schlimmer. Du kannst es nicht erzwingen“, versuchte Sam seinen Bruder zu beschwichtigen, auch wenn er wohl genauso sehr auf die Erinnerungen hoffte, wie der. Vielleicht half das Video ja? „Ich glaube ich weiß woran dich das erinnert hat.“ „Schön, dass wenigstens du dich erinnerst!“, fauchte Dean ihn an und versuchte sich von ihm loszumachen. „Ja, ich kann mich erinnern“, begann Sam leise. „Und ich wünsche mir so sehr wie du, dass du es auch wieder kannst, aber wir beide können nichts tun, um es zu erzwingen.“ Sam atmete kurz durch. „Es gibt ein Video von dieser Erinnerung. Ich kann es dir heute Abend zeigen.“ „Ich will es jetzt sehen!“ „Ich habe es auf meinem Laptop.“ „Können wir fahren?“ „Nein Dean. Wir sind hier eingeladen und es wäre mehr als unhöflich jetzt zu verschwinden. Das tut man nicht.“ „Warum nicht?“ „Weil es respektlos wäre. Getroffene Zusagen hält man ein.“ Dean schwieg, doch Sam konnte an den mahlenden Kiefern sehen, wie es in ihm arbeitete. Endlich schnaufte er tief, zuckte mit den Schultern und nickte. Er setzte das Kätzchen auf die Decke und erhob sich. „Ist das immer so?“ „Was?“ „Dass man Zusagen einhält?“ „Eigentlich schon!“ „Eigentlich?“ „Dir das jetzt auseinanderzusetzen, würde zu lange dauern, aber ja. Eigentlich sollte man mit jedem Menschen so umgehen, wie man selbst behandelt werden will. Leider tun das viele Menschen nicht. Die solltest du dir allerdings nicht als Vorbilder nehmen.“ „Hältst du Zusagen immer ein?“ „Ich gebe mir Mühe es zu tun.“ Beim Essen schien Dean noch immer über diese Aussage nachzudenken, oder er kämpft mit der nicht vorhandenen Erinnerung, die ihn da überfallen hatte. „Gefallen dir die Kätzchen?“, fragte Oliver ihn, um ihn aus diesen Grübeleien zu reißen. Auch ihm war Deans abwesendes Schweigen nicht entgangen. „Schon“, antwortete der Winchester einsilbig. Sam blickte Oliver an und schüttelte kurz den Kopf. Hoffentlich verstand der Arzt, was er damit sagen wollte. Gleich nachdem sie beim Abräumen des Tisches geholfen hatten, verabschiedeten sich die Winchesters. Oliver brachte sie zum Impala. „Das war wohl keine gute Idee“, überlegte er kleinlaut. „Schon, aber es ist wohl einfach nicht der richtige Tag gewesen.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Trotzdem möchte ich mich für das gute Essen bedanken und dafür entschuldigen, dass wir wohl keine guten Gesprächspartner sind.“ „Nein, Sam. Es ist gut so. Es war ein Experiment, ob Dean schon soweit ist. Über alles weitere reden wir am Montag.“ „Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und einen ruhigen Sonntag.“ „Danke.“ Oliver nickte und gab den jungen Männern die Hand. „Bis Montag“, verabschiedete sich nun auch Dean und lies sich auf den Beifahrersitz fallen. „Zeigst du mir jetzt das Video?“, drängelte der ältere Winchester, kaum dass sie auf dem Krankenhausparkplatz ankamen. „Jetzt lass uns doch erstmal ins Zimmer gehen“, versuchte Sam ihn zu bremsen. Es gelang ihm nicht. Kaum hielt er an, riss Dean die Tür auf und stürmte davon. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge schaute Sam ihm hinterher. Und so sehr er sich auch dagegen sträuben wollte, die Hoffnung, dass Dean sich danach erinnern könnte, ließ auch ihn seine Schritte beschleunigen. Mit fliegenden Fingern öffnete er den Laptop, kaum dass er im Zimmer angekommen war und trommelte dann ungeduldig auf dem Gehäuse herum. ‚Brauchte das Ding schon immer so lange um hochzufahren?' Endlich konnte er sein Passwort eingeben. Er zog sich seine Jacke aus und warf sie auf sein Bett. Gerade richtig, um einen Ordner zu öffnen und die Wolfsvideos zu durchsuchen. Er klickte das eine Video an und schob Dean auf seinen Stuhl. Schnell ging er um den Tisch herum und wartete voller Ungeduld darauf, dass es startete und darauf, dass Dean etwas wiedererkennen würde. Die Hoffnung wurde brutal ermordet. In Deans Augen war kein Erkennen, als er die Szene verfolgte. Lediglich die Wut flackerte wieder heftiger. Nur mit Mühe konnte Dean sich davon abhalten den Laptop vom Tisch zu fegen. Er ballte die Hände zu Fäusten und stand so schnell auf, dass der Stuhl nach hinten kippte. Laut knallend landete die Lehne auf dem Boden. Erschrocken zuckten beide Brüder zusammen. Sam schloss die Augen und zählte stumm bis zehn. „Verdammt“, wütete Dean und trat ans Fenster. Wenigstens hatte der Knall soviel seiner Wut genommen, dass er nicht mehr unmittelbar Gefahr ließ etwas zu zerstören. Trotzdem musste er dringend Dampf ablassen. „Ich geh runter“, sagte er und begann sich umzuziehen. „Gute Idee“, erklärte Sam und folgte dem Beispiel seines Bruder. Wenigstens konnte er sich so seinen Frust vom Halse trainieren. Müde und ausgelaugt fielen sie Stunden später in ihre Betten. Im Einschlafen überlegte Sam, dass wenn das noch öfter passieren würde, sie wohl im nächsten Jahr bei der Mister Universum-Wahl mehr als nur gute Chancen haben würden! Kapitel 237: Auf dem Weg ------------------------ 237) Auf dem Weg ... Drei Tage später kam Sam leise summend und mit einem breiten Strahlen auf seinem Gesicht ins Zimmer. Jetzt würde alles besser werden! Jetzt musste sich Dean dem Leben stellen. Jetzt musste er neue Menschen treffen und mit ihnen reden! Seit dem Desaster am Samstag herrschte in ihrem kleinen Zimmer frostige Stimmung. Dean brütete über seinen Büchern. Er schwieg eisern. Nur wenn er Fragen zu dem Stoff hatte, sprach er Sam an. Der gescheiterte Versuch wenigstens diese eine Erinnerung hervorzulocken, hatte ihn in einen tiefen Strudel aus Wut und Enttäuschung gestürzt. Nur die Therapien und ihr abendliches Training erachtete er als wichtig genug, die Bücher beiseite zu legen. „Ich habe gerade mit Dr. Baral gesprochen. Morgen wollen sie dich noch einmal durchchecken und wenn alles gut ist, dürfen wir endlich nach Hause!“, erklärte Sam, kaum dass er die Tür geschlossen hatte. Dean hob den Kopf. „Was?“, fragte er heiser. „Wir fahren nach Hause!“ Der ältere Winchester fühlte sich, als hätte man ihm die Beine weggezogen. Er ließ sich auf sein Bett fallen und schüttelte vehement den Kopf. „Was ist?“, fragt Sam irritiert. „Ich will hier nicht weg!“ „Warum nicht? Bobby und Jody freuen sich darauf, dass wir endlich wieder nach Hause kommen und ich mich auch.“ „Mein Zuhause ist hier.“ „Nein, Dean. Dein Zuhause ist genauso bei Bobby, wie meins. Seit Moms Tod, seit Dad mit uns von einem Motel zum anderen gezogen ist hatten wir nichts, was einem Zuhause näher kam als das bei Bobby. Wir haben das Haus in den letzten zwei Jahren umgebaut. Du hast es in den letzten zwei Jahren umgebaut. Es ist unser Zuhause, Dean.“ „Mein Zuhause ist hier!“ „Nein Dean! Hier ist ein Krankenhaus! Hier bleibt man bis man gesund ist und dann geht es zurück nach Hause.“ „Ich bin nicht gesund!“ „Doch. Du hast dein Gedächtnis, nein, du hast deine Erinnerungen verloren und das ist furchtbar aber du bist nicht krank. Wie willst du denn neue Erinnerungen sammeln, wenn du nur hier drin hockst?“ „Ich will aber nicht! Ich bin noch nicht soweit!“ „Wenn du das Zimmer nicht verlässt, wirst du auch nie so weit kommen!“ Sam atmete durch. Er konnte die Angst seines Bruders ja verstehen, aber er hatte auch Angst. Angst davor irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit, durchzudrehen, wenn er nicht endlich mit jemand anderem reden konnte, als mit Ärzten, Pflegern und einem Nicht-Dean. Er brauchte Menschen, die ihm halfen. Menschen die Dean kannten, die ihn unterstützten, die sahen, was er nicht sah. Nein! Jetzt war nicht die Zeit auf Dean Rücksicht zu nehmen. Jetzt musste er egoistisch bleiben! „Es tut mir leid Dean, aber hier geht es nicht nach wollen. Sie brauchen dein Bett für andere Kranke, die jetzt ihre Hilfe brauchen.“ Er trat an Deans Bett. Seine Züge glätteten sich. „Komm schon. Du warst doch noch nie ein Feigling“, sagte er leise. „Dann bin ich eben jetzt einer!“, erklärte Dean bockig. Hier hatte er sich eingelebt. Hier kam er klar. Er wollte nicht weg. Bobby? Sam konnte ihm doch viel erzählen! Aber da war noch etwas anderes. Hier fand er sich zurecht. Woanders musste er sich wieder auf jemanden verlassen, denn sein Orientierungssinn war eine Fata morgana. Das Wort hatte er erst vor zwei Tagen entdeckt und nachdem er im Internet nach der Bedeutung gesucht hatte, fand er es toll. Es drückte sein bisheriges ganzes Leben aus. Alles um ihn herum war eine Fata morgana, oder eher eine leere Wüste, in der er herumlief, immer auf der Suche nach etwas bekanntem. Und immer war da diese Fata morgana, die ihm einer Oase gleich Erinnerungen vorgaukelte. Jeden Morgen wachte er mit der Hoffnung auf sie zu finden und jeden Abend ging er frustriert ins Bett, um wenigstens so zu tun, als ob er schlief. Sobald Sam aber eingeschlafen war, verzog er sich mit einem Buch ins Bad, um da weiter zu lernen. Irgendwo musste doch dieser verdammte Auslöser zu finden sein, der ihn endlich hinter den Vorhang schauen ließ, der alles in ihm verschleierte. „Komm schon Dean. Bobby und Jody freuen sich auf uns und wir können da endlich zur Ruhe kommen.“ Sam seufzte. Sein Bruder schien noch immer nicht überzeugt zu sein. „Wir haben da so viel Zeit verbracht.“ „Du meinst, ich kann mich da erinnern?“ „Eher als hier in dem Zimmer hier.“ Sam wusste ja, dass es eigentlich gemein war, jetzt auf der Schiene herumzureiten. Aber mittlerweile war ihm alles egal, wenn er nur endlich hier weg durfte. Dean nickte. „Können wir in den Park gehen?“, fragte er leise. Er würde jetzt eh keinen Satz mehr verstehen, egal wie oft er ihn las und er wollte sich diesen Platz noch einmal richtig einprägen und sich verabschieden. Wer wusste schon was die morgen mit ihm machen würden und ob er dann noch Lust hatte weit zu laufen. Sam nickte. Natürlich würde er mit ihm überall hingehen. Und doch wäre er jetzt lieber hier geblieben. Deans Ablehnung schmerzte. Wieder einmal wurde ihm bewusst wie wenig dieser Dean mit seinem Bruder gemein hatte und wieder einmal verfluchte er still die Umstände, die sie hierher geführt hatten und die Jäger, die sie zwangen diesen Fall zu übernehmen, obwohl Dean alles andere als fit gewesen war. Sie könnten jetzt schon gemütlich auf Bobbys Veranda sitzen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Sie könnten über ihre Zukunft nachdenken und die ersten Bewerbungen schreiben. Er könnte sein Jägernetz aufbauen und Dean an Autos schrauben. Sie könnten glücklich sein! „Sam?“ Erschrocken schaute er auf. „Was?“ „Wir wollten los?“ Sein Bruder stand schon an der Tür. „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ Schnell schaltete er seinen Rechner aus und trat mit einem entschuldigenden Lächeln, von dem er nicht mal wusste, ob der es deuten konnte, neben seinen Bruder. „Jetzt können wir.“ Gemeinsam schlenderten die durch die angrenzenden Straßen zum Park, wo sie sich auf einer Bank niederließen. Wehmütig beobachtet Dean einen kleinen Jungen, der mit einem Hund spielte. Wut baute sich in seinem Inneren auf. Er fühlte sich betrogen. Schnell schloss er die Augen und konzentrierte sich auf seine Atemübungen. Er wollte nicht schon wieder gegen einen Stamm schlagen. Obwohl? Wenn er sich die Hand brach konnten sie ja vielleicht noch hierbleiben? Er schielte zu Sam. Wohl eher nicht. Selbst mit einem gebrochenen Bein könnte Sam ihn mitnehmen. Da müsste er sich schon mehr tun und das wollte er dann doch nicht. Immerhin hatte er gelernt, dass Schmerzen eben nicht das einzige Gefühl war, das er empfinden konnte. Es war nicht mal ein schönes Gefühl. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, schielte er wieder zu seinem Bruder. Sam hatte sich so gefreut, dass er entlassen werden sollte. Sam schien wirklich an diesem Bobby zu hängen. Er wusste nicht mal dass es diesen Mann überhaupt gab. Aber er wusste ja auch nichts von seinem Bruder und das war doch wohl der Mensch, der ihm am nächsten stehen sollte? Er seufzte leise. Sam ließ seinen Blick kurz zu seinem Bruder gleiten. Er konnte sehen, wie der jede Einzelheit in sich aufsog, so als wäre er hier geboren und sollte jetzt für immer von hier weggehen. ‚Oh Sam! Manchmal bist du ziemlich kurzsichtig', bemitleidete er sich in Gedanken. Natürlich war Dean hier geboren. Er kannte doch nichts anderes außer dem Krankenhaus und diesem Ort hier. Hier war er aufgewacht. Immerhin war es ihm doch damals in El Paso ähnlich gegangen! El Paso. Irgendwie war es ihm da nicht so schlimm vorgekommen, dass er sein Gedächtnis verloren hatte. Die Duncans hatten ihn liebevoll aufgenommen … und den Hass auf Dean geschürt. Traurig schüttelte er den Kopf. Amnesie war furchtbar! Er hatte sich erst wieder an alles erinnert, als sie zurück im Jetzt und Hier waren. Noch einmal nahm er sich vor Dean bei allem zu unterstützen und ihm noch mehr positive Seiten des Lebens zu zeigen. Er schaute erneut zu Dean und sah wie angespannt der noch immer war. „Du willst noch immer nicht zu Bobby?“, stellte er traurig fest. „Ich kenne ihn nicht! Er war nie hier!“ „Er war da. Aber das hast du noch im Koma gelegen und jetzt konnte Jody nicht weg.“ Er nickte kurz. „Ich verstehe was du meinst. Ich mach dir einen Vorschlag: Sieh es als Übung an. Du kannst dich nicht den Rest deines Lebens in einem Zimmer verkriechen. Zum Leben brauchen wir Geld und dafür werden wir arbeiten gehen müssen. Da bleibt es nicht aus, dass wir immer wieder neue Menschen kennen lernen. So wie Bobby und Jody. Nur dass wir jetzt auch bei ihnen wohnen können. Später, wenn es dir besser geht werden wir uns eine eigene Wohnung suchen, und Geld verdienen.“ „Bei Bobby nicht?“ „Bei Bobby können wir so leben. So wie hier.“ „Okay“, erklärte der Ältere nach einer Weile. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl bei dem Gedanken. Andererseits lebte er jetzt ja auch bei Fremden. Nur weil er die Ärzte und Schwestern immer mal wieder sah, kannte er sie ja nicht. Irgendwie würde es schon gehen, schließlich musste er ja wieder ins normale Leben kommen. „Hast du ein Foto von Bobby?“, fragte er Sam. Vielleicht half es ihm ja? Vielleicht kamen ja sogar seine Erinnerungen wieder? Sam erstarrte. Warum war er denn nicht auf den Gedanken gekommen? Er hatte Dean so viel mittels Bildern erklärt aber ihre Familie hatte er ihm nie gezeigt. „Hier nicht, aber auf meinem Laptop sind einige.“ Sofort erhob sich Dean von der Bank. Wenn schon, dann wollte er die jetzt auch sofort sehen! Sam folgte seinem Beispiel mit einem leisen Lächeln. Dean zeigte Interesse an seiner Familie. Das hätte er bis eben nicht einmal zu hoffen gewagt. Naja, eigentlich hatte er ja schon einen Teil seiner Familie gesehen. Im Zimmer angekommen fuhr Sam sofort seinen Laptop hoch, während Dean es sich auf seinem Bett bequem machte Er nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Sam öffnete die Datei mit den Fotos, trug den Rechner zu seinem Bruder und legte ihm den auf die Beine. „Darf ich?“, fragte er und deutete auf das Bett. Dean nickte und rutschte etwas zur Seite, damit es sich Sam neben ihm gemütlich machen konnte. Während Dean sich von einem Bild zum anderen klickte, erklärte Sam in groben Zügen, was darauf zu sehen war. Viele zeigten sie beim Umbau von Bobbys Haus im Sommer. Es gab aber auch Bilder von dem Umbau im Jahr davor, von Dean und Bobby beim Reparieren des Impalas. Dean wie er Sam ärgerte. Auf vielen Bildern lachten sie auch einfach nur in die Kamera. Und dann kamen die Bilder, die Sam im Kings Canyon geschossen hatte. „Ich dachte das wären Hunde? Die, die von denen du mir Samstag das Video gezeigt hast.“ Er hatte sich Samstag nur das Video angeschaut und war danach zu frustriert gewesen, um Fragen zu stellen. „Es sind Wölfe. Wir waren jagen und haben die Wölfin gefunden. Ist schon eine Weile her. Sie war verletzt. Wir, oder eher du hast dich ihrer angenommen und sie später wieder frei gelassen. Vor Kurzem waren wir erneut in der Gegend. Da sind die Fotos entstanden. Sie scheint dich noch zu kennen.“ Kurz musterte Dean seinen Bruder. War da mehr? Irgendwie klang Sam so, aber er konnte es nicht zuordnen. Er schaute sich die Bilder noch einmal an und ging dann zurück zu denen von Bobby. Sie schienen sehr vertraut miteinander zu sein. Müsste er sich daran nicht erinnern? Müsste er nicht wenigstens ein bisschen Vertrautheit fühlen? Irgendein Gefühl? Irgend etwas? Sein Blick huschte wieder zu Sam. Wohl eher nicht, beantwortete er sich seine Frage selbst. Auch für Sam empfand er nichts und sie waren Brüder. Sagte Sam. Und sagten die Bilder. Naja zumindest erzählten sie von einer Vertrautheit zwischen ihnen. In aller Ruhe klickte er sich noch einmal durch die Fotos dann schob er den Laptop beiseite und nahm sich seinen Lernstoff. Das war leichter. Hier ging es um Fakten nicht um Menschen. Gefühle zu lesen fiel ihm immer noch schwer. War das jemals einfach gewesen? Hatte er das früher gut gekonnt? Er wusste es einfach nicht. „Ich geh mal in die Kantine. Willst du auch was?“, fragte Sam und stellte seinen Laptop weg. Er musste unbedingt hier raus. „Nein“ Dean schüttelte den Kopf. „Danke“. Kapitel 238: Abschied --------------------- Weiter gehts. Ich wünsche euch ein gesundes, neues Jahr. LG Kalea 238) Abschied Im Erdgeschoss lief Sam erst einmal an der Cafeteria vorbei nach draußen. Er hatte schon im Zimmer das Gefühl gehabt, nicht mehr atmen zu können. Dr. Brewster hatte ihm zwar mehr als einmal erklärt, dass Deans Gefühlskälte eine Folge der Amnesie war, dass der Gefühle auch erst wieder lernen musste und auch dass Gefühle und Erinnerungen eng miteinander zusammenhingen, aber dieses Wissen half ihm gerade überhaupt nicht weiter. Egal wie sehr er sich bemühte Deans Gleichgültigkeit nicht persönlich zu nehmen, egal wie oft er versuchte sich zu verdeutlichen, dass es an der Amnesie lag, ES TAT WEH! Leise seufzend ließ er sich auf einer Bank vor dem Eingang des Krankenhauses nieder, stellte die Ellenbogen auf die Knie und barg sein Gesicht in den Händen. Erst jetzt gestattete er sich, seine Trauer zuzulassen. Erst jetzt konnte er seinen Tränen freien Lauf lassen. „Sam? Was machst du denn hier?“, fragte Gabby leise. Sie war gerade gekommen. „Nichts, ich ...“ Sam wischte sich mit der Hand über sein Gesicht und versuchte die Spuren seiner Trauer wenigstens ansatzweise zu beseitigen bevor er den Kopf hob. „Ich musste raus, sonst wäre ich explodiert“, gestand er leise. Wem machte er sich hier was vor? „So schlimm?“ „Ich sage mir zwar immer wieder, dass es an der Amnesie liegt, dass er so kalt ist, aber manchmal kann ich seine Reaktionen einfach nicht mehr ertragen.“ Der traurige Unterton in Sams Stimme war kaum zu überhören. „Dean fehlt dir?“ fragte sie leise und setzte sich neben ihn auf die Bank. „Ja. Der alte Dean fehlt mir. Auch wenn er oft genug eine Nervensäge war und vieles nach seinem Kopf gehen musste. Er hatte immer einen lockeren Spruch drauf. Er wusste immer wie er mich wieder aufbauen konnte. Immer hat er versucht mich zu schützen. Egal was es ihn kostete.“ Schaudernd dachte Sam an den Deal mit dem Dämon, oder die alte Zigeunerin. Schon wieder drängten sich Tränen in seine Augen. Schweigend starrten sie auf den Boden. „Er kommt zurück“, flüsterte Gabriella und griff Sams Hand. „Ich weiß es!“ „Dann weißt du mehr als ich. Aber ich hoffe inständig, dass du Recht hast.“ Schweigend saßen sie nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. „Ich schau mal nach Dean“, erklärte Gabby plötzlich und erhob sich. „Lass dir Zeit“, sie legte ihre Hand auf Sams Schulter. Gleich darauf war sie durch den Eingang verschwunden. ‚Seit wann ist die Kleine so erwachsen?‛, fragte sich Sam kopfschüttelnd. Eigentlich sollte er ihr folgen, doch er konnte sich noch nicht dazu aufraffen, zu sehr hatte Deans Gleichgültigkeit seine Nerven zerfressen. Zwei Tage später wurde Dean entlassen. Die Tests am Vortag waren zu aller Zufriedenheit ausgefallen. Dean hatte die Erwartungen der Ärzte sogar noch übertroffen. Er selbst war der Einzige, der sein Abschneiden als ziemlich miserabel empfand. Gut, sie wollten ihn entlassen und mit Sams Hilfe würde er das Leben wohl auch schaffen, aber um gut zu sein, müsste er dann nicht mehr können? Müsste er sich nicht erinnern können? Sam war ebenfalls enttäuscht. „Hör auf diesen Dean mit dem Dean zu vergleichen, der er vor dem Unfall war!“, bat Oliver leise. „Ich kann nicht. Ich kenne Dean solange ich denken kann und das hier ist er nicht, nicht mal im Ansatz!“ „Ich verstehe dass es schwer für dich ist, aber solange du nur dem alten Dean nachtrauerst, wirst du diesem hier nie eine Chance geben.“ „Und wenn ich das nicht will? Wenn ich meinen Bruder zurück will, egal wie nervig ich ihn manchmal fand?“ „Du setzt ihn damit unter Druck.“ „Ich sage doch überhaupt nichts!“ „Nein, aber du erwartest Reaktionen von ihm, die er nicht zeigen kann. Er kann es zwar nicht mit Worten benennen, aber er merkt dass er etwas falsch gemacht hat und damit suggerierst du ihm diesen Druck schon und dann beginnt der verhängnisvolle Kreislauf. Du setzt ihn unter Druck, er sich selbst noch mehr und sein Gehirn blockiert alles. Außerdem erfährt er so nur mehr oder weniger negative Gefühle von dir. Wie soll er positiv regieren, wenn er nur negative Reaktionen bekommt? Hier liegt es sehr viel an dir, wie dein Bruder reagiert. „Oliver hob beschwichtigend die Hände, als Sam Luft holte um zu protestieren. „Niemand hat gesagt, dass es einfach ist und niemand macht dir einen Vorwurf. Es ist nur ein Hinweis, dass du noch mehr auf dich und das was du verbal und nonverbal äußerst achten musst. Bitte Sam. Für dich und für Dean!“, beschwor er den Winchester noch einmal endringlich. „Vielleicht solltest du mir dann auch eins über die Rübe ziehen damit ich genauso meine Erinnerungen verliere. Vielleicht würden wir dann ja miteinander auskommen?“ „Nein Sam, lieber nicht. Außerdem weiß ich, dass du es schaffen wirst.“ „Dann bist du zuversichtlicher als ich!“ Gemeinsam betraten sie den Parkplatz vor der Klinik, auf dem der Impala stand. Ihre Taschen lagen schon im Kofferraum. Jetzt blieb ihnen nur noch der Abschied von all denen, die zu Freunden geworden waren. „Ihr habt uns und der Stadt mehr geholfen, als wir je bei euch gutmachen können! Egal was ihr braucht: Ruft an. Ich werden euch, so gut ich kann, helfen!“ Sheriff Hanscum zog Sam in eine heftige Umarmung. „Sie haben schon Deans Behandlungskosten übernommen. Sie alle.“ wehrte Sam ab. „Das war das Mindeste, das wir tun konnten“, würgte jetzt auch Dr. Brewster jeden Widerstand ab. Dean hatte sich gerade aus Gabriellas Umarmung gelöst und schüttelte Andy die Hand. Vom Sheriff, Oliver und Dr. Baral, Andys Eltern und allen Schwestern, die auf dem Parkplatz standen hatte er sich schon verabschiedet. Jetzt trat er etwas unschlüssig von einem Fuß auf den andern und wartete bis auch sein Bruder mit Hände schütteln fertig war. „Los steig ein, wir wollen weg, bevor es dunkel wird“, grummelte Sam. Wenn sie hier noch lange standen würde er die Tränen nicht mehr zurückhalten können. Er öffnete die Tür und faltete sich auf dem Fahrersitz zusammen. Dean schüttelte noch einmal Gabbys Hand. „Hey, Kleines, wir sehn uns wieder“, versprach er. „Und du pass auf sie auf, okay?“ Diese letzte Ermahnung galt Andy, dann stieg auch er ein. Verloren schaute Dean auf die Häuser an denen sie vorbeifuhren und seufzte leise, als sie das Ortsausgangsschild passierten. Jetzt hatte er die ihm bekannte Welt wohl endgültig verloren. Sein Blick huschte zu Sam. Sein Bruder! Die einzige Konstante in seinem Leben und der Mensch, den er so gar nicht einschätzen konnte. Einerseits zeigte Sam ihm so viele neue Dinge und war immer da, auf der anderen Seite schien er ihn aber auch immer aufs Neue zu enttäuschen. Er seufzte erneut, angelte sich seinen Rucksack von der Rückbank und zog sich einen Ordner heraus. Sam hatte ihm gestern, nachdem er ihn eine halbe Ewigkeit bedrängt hatte, einiges an Lernmaterial ausgedruckt. Vielleicht, wenn er noch mehr lernte, konnte er ihn ja glücklich machen? „Du solltest deinem Kopf mal eine Pause gönnen, Dean“, versuchte Sam Einspruch zu erheben und war entsetzt, als der den Ordner sinken ließ und zu ihm rüber schaute. „Und was soll ich stattdessen tun?“ „Grün soll gut für die Augen sein.“ „Welches Grün?“ Dean deutete auf die eher rotbraunen Flächen entlang der Straße. Grinsend schüttelte Sam den Kopf. „Ich würde ja sagen: Schlaf eine Runde, aber dann bis du die ganze Nacht wach.“ Er musterte seinen Bruder kurz. „Aber das bist du sowieso, oder?“ Dean schaute aus dem Fenster. Sam hatte ihm mehrfach gesagt, dass er nachts schlafen sollte, aber er konnte es nicht! Selbst wenn er seinen Mittagschlaf wegließ, schlief er nicht durch. Sam griff nach dem Ordner und warf ihn auf die Rückbank. „Schlaf Dean“, forderte er leise. Die Idee ihm einen normalen Schlafrhythmus aufzuzwingen war ja ganz gut, aber sie funktionierte nicht, nicht mehr. Anfangs hatte es ganz gut geklappt. Dean war nach dem Sport und dem fehlenden Mittagsschlaf so müde, dass er an die sechs Stunden durchschlief, doch schon nach wenigen Tagen hatte sich das auf die bisher üblichen drei, vier Stunden reduziert. Außerdem sank Deans Laune bis zum Abend auf einen Tiefpunkt. Also hatte er ihn mittags wieder schlafen lassen und so wenigstens keinen gereizten Bruder ertragen zu müssen. Ihm blieb die Hoffnung, dass Dean bei Bobby mehr und anders ausgelastet sein würde. Fragend schaute Dean seinen Bruder an. War das sein Ernst? „Du kannst hier eh nicht viel tun und du brauchst die Ruhe“, nickte Sam. „Schlaf.“ „Okay“, krächzte der Ältere und machte es sich auf den Beifahrersitz gemütlich. Er lehnte sich gegen die Scheibe, schloss die Augen und war gleich darauf eingeschlafen. Über Sams Gesicht legte sich ein Lächeln. Er suchte sich einen Sender, der Musik spielte, die er gerne hörte. Seine Gedanken gingen auf Wanderschaft und landeten viel zu schnell bei dem Problem Dean. Er schluckte. Dean war kein Problem! Wenn dann war es seine Amnesie! Hastig murmelte er eine leise Entschuldigung. Trotzdem blieb das Problem mit der Amnesie und wie sie damit umgehen sollten. Das Einfachste wäre Dean wie einen Fremden zu nehmen, doch genau das würde nicht funktionieren, denn Dean war kein Fremder. Wie also konnten sie es ihm und sich selbst dann so leicht wie möglich machen? Wie konnten sie ihn an all das heranführen was den alten Dean ausgemacht hatte, ohne ihm ständig unter die Nase zu reiben was er alles vergessen hatte. Was gab es, was auch dem alten Dean Spaß gemacht hätte und was davon hatte er alles noch nie gemacht? Er könnte Dean einige seiner früheren Lieblingslieder auf sein Handy spielen und mit Musik aller anderen Richtungen mischen. Mal sehen was ihm davon am besten gefiel. Ja, das würde er gleich heute Abend machen, wenn Dean über seinen Büchern hing. Was sonst noch? Bobby sollte ihn mit zu den alten Wagen nehmen. Gemeinsam konnten sie schrauben. Das würde auch seinen Fingern gut tun, die sich manchmal noch etwas steif taten. Dafür wäre zwar das Waffenputzen eine gute Übung, doch an die wollte er Dean gar nicht erst dran lassen. Die sollten erstmal im Panikraum bleiben! Kino wäre eine gute Idee. Mal sehen, was kam. Sport. Dean sollte sich möglichst auspowern. Dazu müssten sie vielleicht den Parcours wieder aufbauen, aber das sollte ja wohl zu schaffen sein. Ein richtiges Picknick hatten sie auch noch nie gehabt. Außerdem gab es in Sioux Falls einen Minigolfplatz. Er schielte zu Dean hinüber. Machte er schon wieder zu viele Pläne für ihn? Machte er sich zu viele Gedanken? Wahrscheinlich schon und wahrscheinlich verwarf Bobby den größten Teil seiner Überlegungen, oder sie kamen zu anderen Schlüssen. Aber ihm halfen diese Planungen. Er konnte noch nie gut aus dem Bauch heraus arbeiten. Er war lieber auf alles und jede Möglichkeit vorbereitet, oder er verließ sich auf seinen Bruder. Der war ein Wunder im Improvisieren. So gut würde er nie werden. Er blieb lieber bei seinen mentalen Listen. Damit fühlte er sich sicherer. Sein Blick fiel auf die Tankanzeige, die sich so langsam dem roten Bereich näherte, dann schaute er zu seinem Bruder. Komisch! Dean schlief noch immer! Er schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Das war jetzt mehr als seltsam! Noch einmal ließ er seinen Blick über seinen Bruder gleiten, doch ihm fiel nichts auf, was offensichtlich besorgniserregend wäre. Außer vielleicht der Tatsache, dass sie inzwischen seit fast fünf Stunden unterwegs waren. 'Da hab ich mich ja schön abgelenkt!', überlegte er leise schnaubend. Das Hinweisschild einer Tankstelle beendete auch diese kurze Grübelei. Er setzte den Blinker und bog ab, um Baby mit ihrem Lieblingsfutter zu versorgen. Als er wenig später wieder hinter das Lenkrad rutschte, blinzelte ihn Dean verschlafen an. Unbewusst atmete er erleichtert auf. Seit sein Bruder das Koma hinter sich gelassen hatte, hatte er selten so lange durchgeschlafen! „Hast du Hunger?“, fragte er und hielt ihm eine Packung mit zwei Sandwiches hin. Dean schüttelte den Kopf. „Noch nicht“, antwortete er mit vom Schlaf noch rauer Stimme. „Sind wir schon da?“ „Nein. Ich wollte noch ein Stück weiter fahren, bis wir uns ein Zimmer suchen.“ „Wo sind wir?“ „Kurz vor Albuquerque. Ich wollte noch bis Las Vegas, nicht das große, glitzernde in Nevada, sondern das in Arizona.“ „Großes, Glitzerndes?“ Klar, Dean wusste ja nichts mehr davon! „Es gibt eine Stadt, in der es unzählige Casinos gibt. Häuser in denen man sein Geld verspielen kann“, erklärte Sam. 'Und sich einen bösen Geist einfangen', fügte er in Gedanken hinzu. „Aber da fahren wir nicht hin?“ „Nein, das liegt nicht auf unserem Weg.“ „Okay“, nahm Dean diese Erklärung hin. Er gähnte herzhaft, suchte sich eine neu, bequeme Sitzposition und schloss die Augen. Schnell war er wieder eingeschlafen. Sam konnte nur den Kopf schütteln. Das war jetzt mehr als komisch! Aber er würde sich nicht beschweren, schließlich hatte er seinem großen Bruder die ganze Zeit in den Ohren gelegen, dass er mehr schlafen musste. Ob es am Impala lag?Offensichtlich reagierte Dean nicht auf den Wagen aber vielleicht unterbewusst? Er würde dieses Phänomen im Auge behalten. Mal sehen, was morgen war. In Las Vegas hielt er an einem der Motels an, und kaum dass der Motor verstummte, blinzelte Dean ihn an. „Sind wir da?“ „Ja. Ich besorge uns ein Zimmer und du kannst schon mal sie Rucksäcke aus dem Kofferraum holen“, erklärte Sam und ging zu der Rezeption. Sie richteten sich für diese eine Nacht in dem Zimmer ein, aßen die Sandwiches und dann kam was Sam befürchtet hatte. Dean nahm sich seine Lernunterlagen und begann zu lesen. Kapitel 239: Lernen und ein rollendes Zuhause --------------------------------------------- 239) Lernen und ein rollendes Zuhause Schon durch die geschlossenen Lider erkannte Sam, dass in ihrem Zimmer Licht brannte oder aber er hatte so lange geschlafen, dass es schon Mittag war. Das allerdings konnte er sich kaum vorstellen, es sei denn, Dean hätte mit seiner Amnesie abgeschlossen. Obwohl? Dann hätte er ihn wohl sofort geweckt. Er blinzelte zum Fenster. Die Gardinen waren noch immer zugezogen. Durch den Spalt zwischen ihnen konnte er erkennen, dass es draußen erst langsam hell zu werden begann. Er ließ seinen Blick etwas weiter wandern. Dean saß angezogen am Tisch. Er rollte sich auf die Seite und stand auf. Immerhin schien sein Bruder im Bett gelegen zu haben, die Decken waren zerwühlt. Dass er es nur getan hatte, um ihn zu beruhigen, soweit war Dean noch nicht! Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und versuchte seine Haare mit den Händen zu glätten, bevor er zu seinem Bruder trat. „Hast du wenigstens etwas geschlafen?“ „Ich hab es versucht, aber nach zwei Stunden bin ich wieder aufgestanden. Seitdem sitze ich hier und lerne“, gab der Ältere unumwoben zu. Sam warf einen Blick auf die Übungsbögen. „Soll ich dich heute Abend noch mal abfragen? Soweit ich das überblicken kann, bis du ziemlich gut."´“ „Machst du das?“, Dean lächelte seinen Bruder schüchtern an. „Du weißt aber schon, dass das Bücherwissen zwar gut und wichtig ist, aber nur die Theorie für das reale Leben?“ „Theorie ist aber besser als nur doof!“ „Du bist nicht doof, Dean! Du hast Amnesie!“ „Vielleicht sollte ich mir ein Schild umhängen auf dem ‚Ich bin nicht doof, ich hab Amnesie‛' steht. Ich hab von nichts eine Ahnung! Immer wenn ich Menschen zuhöre, die sich unterhalten, merke ich, dass ich nicht verstehe, wovon die reden!“ „Genau dieses Verstehen bekommst du aber nicht aus Büchern und auch nicht im Krankenhaus. Im Moment habe ich noch nichts gegen deine Lernwut, auch wenn sie für mich ungewohnt ist. Du hast dich nie so in die Bücher gestürzt. Aber gut. Lerne! Nur verschließe dich deshalb dem realen Leben nicht. Das ist meine einzige Bitte an dich. Nimm jedes Angebot an, dass du bekommst. Egal was, solange es moralisch und gesetzlich ist. Frage, wenn du etwas nicht kennst, egal wie blöd die Frage scheinen mag, es gibt keine dummen Fragen. Geh mit offenen Augen durch die Welt, probiere dich aus und entscheide dann. Weder Jody noch Bobby oder ich werden dich auslachen oder dir etwas verbieten, wenn wir nicht der festen Überzeugung sind, dass es lebensgefährlich ist. Wir werden da sein, wenn du fällst und dir dann wieder aufhelfen, aber wir werden dich fallen lassen. Erfahrungen kann man nicht lernen, nur machen.“ Dean schaute seinen Bruder an. Er versuchte sich über das Gehörte klar zu werden. „Du meinst wie bei der Schranktür im Krankenhaus?“ Diese Schiebetür klemmte regelmäßig. Sam hatte ihn gewarnt, dass er mit seinen Finger nicht um die Tür fassen sollte. Er hatte es doch getan, weil er so mehr Kraft ausüben konnte. Die Tür hatte sich gelöst und bei dem Zug, den er aufgebaut hatte, hatte er sie auch sofort komplett zugezogen. Und sich die Hand eingeklemmt. Es tat jetzt noch weh, wenn er daran dachte. Seitdem befolgte er Sams Rat bei solchen Türen. „Genau die“, nickte Sam. „Ich hätte dir die Schmerzen gerne erspart.“ Er seufzte leise. „So, und jetzt geh ich ins Bad und dann packen wir zusammen, suchen uns etwas zum Frühstücken und fahren weiter“, entschied er. „Räumst du hier auf?“ Dean nickte und begann seine Unterlagen zusammenzupacken. Ganz so schlimm war das Reisen mit Sam gar nicht, stellte er für sich fest. Vielleicht war ja auch Bobby nicht so schlimm wie er fürchtete? Er stopfte die wenigen Sachen, die er gestern sonst noch ausgepackt hatte in seine Tasche, schob seine Unterlagen in den Rucksack und war gerade fertig, als Sam wieder ins Zimmer kam. „Willst du noch duschen?“ Dean schaute an sich herunter. Er war schon komplett angezogen. „Ich hab heute Nacht geduscht. Dachte ich könnte danach wieder schlafen.“ „Kannst dich ja nachher ausruhen. Vielleicht kannst du auch wieder schlafen?“ Sam hatte da so eine Theorie, die sich allerdings erst mal überhaupt als solche herausstellen musste. Er trocknete sich fertig ab, zog sich an und packte seine Sachen zusammen. „Ich schaff den Schlüssel weg und du kannst schon mal unsere Sachen in den Impala packen, okay?“ Dean nickte. Keine halbe Stunde später saßen sie in einem Diner, ein paar Querstraßen weiter. „Was möchtest du frühstücken?“, wollte Sam wissen und zeigte auf die Bilder über der Theke. „Was ist das zweite Bild?“, fragte der Ältere und schaute wieder zu Sam. „Rühreier und Speck auf Toast.“ „Und das daneben?“ „Pfannkuchen mit Ahornsirup.“ „Schmeckt das?“ „Du mochtest es.“ „Dann das! Das sieht gut aus!“ „Okay, und Kaffee?“ „Den, den du trinkst oder Kakao.“ Sam nickte und bestellte gleich darauf bei der niedlichen Kellnerin, die aber wohl eher an seinem Bruder interessiert zu sein schien. Leider gingen ihre hoffnungsvollen Blicke an dem unbemerkt vorbei. „Sie versucht mit dir zu flirten“, informierte ihn Sam deshalb, kaum dass sie gegangen war. „Warum?“ „Weil sie dich niedlich findet? Vielleicht auch weil sie mehr von dir will?“ „Was mehr?“ „Küssen für´s Erste.“ Sam versuchte heldenhaft sich ein Grinsen zu verbeißen. Das Gesicht, das Dean zog, trug allerdings nicht wirklich zum Gelingen bei. „Ich kenne sie doch gar nicht!“, erklärte der der entschieden. „Stehe ich überhaupt auf Frauen?“ „Also das kann ich ohne Zweifel bestätigen“, nickte Sam. „Ich muss sie aber trotzdem nicht küssen, oder?“ „Nein, Dean. In dieser Beziehung musst du gar nichts. Irgendwann wirst du vielleicht eine Frau küssen wollen und dann ist es auch richtig. Hier musst du nicht. Außerdem fahren wir weiter und werden wohl nie wieder herkommen.“ „Muss ich ihr das sagen?“ „Nein. Wenn du nicht willst, dann nicht.“ Dean nickte und hielt, als sie ihre Bestellung brachte, den Blick auf die Tischplatte gesenkt. Sie schnaubte etwas angesäuert, wünschte ihnen mit frostiger Mine einen „Guten Appetit“ und stöckelte mit wackelnden Hüften davon. „Du kannst wieder hochgucken“, grinste Sam und begann zu essen. „Okay“, nuschelte Dean und atmete erleichtert durch. Er musterte den Berg Pfannkuchen auf seinem Teller, nahm die Gabel und begann in aller Ruhe etwas von den Pfannkuchen zu probieren. „Die schmecken intensiver als im Krankenhaus“, stellte er nach dem ersten Bissen fest. „Wann hast du im Krankenhaus denn Pfannkuchen gegessen?“, fragte Sam und versuchte sich an den Tag zu erinnern. Meistens gab es zum Frühstück doch Rühreier und Speck oder wahlweise Beagles oder Müsli. „Nie, aber das ganze Essen da war nicht so intensiv.“ „Stimmt. Die haben da immer ziemlich lasch gewürzt. Magst du es denn so lieber?“ „Es ist sehr süß“, stellte Dean leise fest. „Aber lecker.“ Über sein Gesicht legte sich ein Lächeln. „Dann setzen wir das auf die Liste der Dinge, die du magst?“ Dean nickte. „Hab ich das früher schon gemocht?“ „Wenn ich jetzt nein sagen würde, würdest du es dann auch nicht mehr wollen?“ „Ich denke nicht. Ich mag es jetzt.“ „Du hast es auch früher gemocht“, bestätigte Sam ihm dann lächelnd. Scheinbar war doch nicht alles anders, aber das hatte er ja hin und wieder schon festgestellt. Leider war es zu wenig, um ihm seinen Bruder zurückzubringen. Dieser Dean, der ihm gegenüber saß war eher ein fremder Zwilling. In aller Ruhe genossen sie ihr Frühstück, zahlten und kurz darauf saßen sie wieder im Impala. Eine Zeitlang schaute Dean mehr oder weniger interessiert aus dem Fenster, und gähnte dabei immer öfter. „Kann ich schlafen?“, fragte er Sam leise. „Natürlich kannst du schlafen wenn du müde bist.“ Sam schüttelte den Kopf. „Du musst nicht erst fragen!“ „Im Krankenhaus hast du gesagt, dass ich am Tag nicht schlafen soll!“, erklärte Dean ratlos. „Ich bin auch jetzt nicht begeistert, dass du am Tag schläfst. Aber du hast in dieser Nacht kaum geschlafen und du kannst hier nicht viel tun, außer dir die Landschaft zu begucken. Also ja, schlaf.“ Er atmete kurz durch. „Wenn wir bei Bobby sind, werden wir am Tag bestimmt viel zu tun bekommen. Dann solltest du schon versuchen nachts zu schlafen, okay?“ „Ich versuchs“, versprach Dean und schloss die Augen. Gleich darauf verkündeten seine ruhigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war. Jede Menge Baustellen ließen Sams Ziel für diesen Tag in weiter Ferne rücken. Wenn er nicht bis mitten in der Nacht fahren wollte, würde er ihnen schon viel früher ein Motel suchen müssen. Obwohl? Wenn er bis zu seinem ursprünglichen Ziel fahren würde, bekäme Dean seinen nächtlichen Schlaf. Hatte sich seine These damit schon bestätigt? Im Impala konnte sein Bruder viel länger schlafen, als im Krankenhaus. Entweder hatte sein Unterbewusstsein den Impala wirklich nicht vergessen, oder aber die Abneigung gegen Krankenhäuser saß tiefer als er gedacht hatte. Aber war das dann nicht auch eine Sache des Unterbewusstseins? Da müsste er ja nur einen Weg finden, das anzapfen zu können, wenn Dean wach war. Vielleicht kämen die Erinnerungen ja so zurück? Eine weitere Baustelle zwang ihn, vom direkten Weg abzubiegen. Frustriert fuhr er das nächste Motel an, das mit einem Hinweisschild auf sich aufmerksam machte. Für heute reichte es ihm. Er blickte zu Dean und fragte sich mal wieder wieso der tagelang durchfahren konnte, wenn es denn sein musste? Auf dem Beifahrersitz machte ihm das ja auch nichts aus, aber da konnte er mehr hin und her rutschen, Hier saß er viel eingeengter. Vor der Rezeption des Motels schaltete er den Motor aus und fuhr sich mit den Händen durch die Haare, bevor er ausstieg, um ihnen ein Zimmer zu ordern. Als er wieder auf den Parkplatz kam, stand Dean neben dem Wagen. „Ausgeschlafen?“, fragte Sam lächelnd. „Weiß nicht.“ „Willst du dich gleich wieder hinlegen?“ So ganz schien sein Bruder noch nicht wach zu sein. „Nein, ich ... können wir was essen? Ich hab Hunger.“ „Wir packen aus und dann gehen wir essen. Was hältst du von Pizza Hut?“ Dean zuckte mit den Schultern, nickte dann aber kurz. Ein unbekannter Laden war so gut wie jeder andere. Er nahm seine Tasche und Sams Rucksack, die er im Zimmer einfach auf den Betten verteilte. Gesättigt betraten sie das Zimmer wieder. „Machst du mir die Prüfung fertig?“ Dean stand unschlüssig mitten im Zimmer und schaute zu seinem Bruder. Sam nickte nur. Er holte Deans Laptop aus der Tasche und suchte die Prüfungsaufgaben für den Mittelschulabschluss. Dean würde nicht alles beantworten können, aber so wusste er wenigstens, wo genau er jetzt stand und wo sie ansetzen mussten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er alles ausgedruckt hatte. Dean zappte in der Zeit gelangweilt durch das Fernsehprogramm. Endlich spukte der Drucker das letzte Blatt aus. „Dean?“ Sofort schaute der auf. „Ja?“ „Du kannst anfangen.“ Dean stand auf und kam zum Tisch. „Hmpf! Das ist viel!“, stellte er fest und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Du musst nicht alles heute machen. Lass dir Zeit! Mach so viel du kannst und dann sehen wir weiter, okay?“ Lächelnd schaute Sam ihn an. Dean versuchte sich ebenfalls, erfolgreich, an einem Lächeln, nickte und begann. Kurz schaute Sam ihm zu, starrte regelrecht auf das konzentrierte Gesicht, dass er so erst seit Deans Amnesie kannte. Als sein Bruder das erste Blatt beiseite legte, wandte er sich ab und holte den MP3 Player hervor, den er bei seinem letzten Tankstopp gekauft hatte. Deans Telefon wollte er nicht unbedingt nehmen. Da waren zu viele Mails, SMS und Nachrichten auf den Anrufbeantworter drauf, die zu behalten Dean wohl einen Grund gehabt hatte und die er deshalb nicht einfach so löschen wollte. Er würde mal mit Bobby reden, denn über kurz oder lang brauchte Dean wohl wieder ein Handy. Er stöpselte den Player an seinen Laptop und begann sich durch die Musikgeschichte und sämtliche Genres zu graben. Von allem landete etwas auf dem Gerät, während er nebenbei eine Titelliste erstellte. Mal sehen, was Dean jetzt wohl gefiel? Kapitel 240: Zuhause -------------------- 240) Zuhause Müde rieb sich Sam über die Augen. Er strich sie die Haare zurück und ließ sich gegen die Lehne seines Stuhles fallen. Es reichte. Sein Blick fiel auf Dean, der schon einen ganzen Packen abgearbeitet hatte. „Dean?“, sprach er ihn an und legte vorsichtig die Hand auf dessen Arm. Der Ältere blickte irritiert auf. „Mach Schluss.“ Dean schien kurz zu überlegen, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich geh ins Bett“, erklärte Sam ruhig. Dean nickte und beugte sich wieder über seine Aufgaben. Sam legte seine Hand auf die Blätter und zwang seinen Bruder so, ihn erneut anzuschauen. „Das solltest du auch. Du kannst es morgen weitermachen.“ Wieder schüttelte Dean den Kopf. „Wir machen erst weiter, wenn ich die Aufgaben kontrolliert habe“, erklärte Sam ernst, „Und das mache ich auf jeden Fall erst bei Bobby und nicht morgen!“ Wütend starrte Dean seinen Bruder an. „Es ist ja nicht dein Leben, das weg ist!“ Sam atmete kurz durch. „Das Leben ist nicht nur Schulwissen, Dean. Das hab ich dir schon einmal erklärt.“ „Ich hab aber nichts anderes!“, fauchte Dean wütend. Ergeben verdrehte Sam die Augen. „Ich kontrolliere es übermorgen Vormittag“, erklärte er leise, aber bestimmt. „Jetzt bin ich müde und geh ins Bett. Bitte mach nicht mehr so lange und leg dich dann auch hin, egal ob du schlafen kannst oder nicht.“ Er nahm seine Hand von den Blättern. Sofort beugte sich Dean wieder darüber und machte weiter. Sam stand auf und ging duschen. Noch im Einschlafen überlegte er, wo Deans Unbefangenheit abgeblieben war, wann hatte er die verloren. Bei dem Gedanken an Deans Frage, ob er niedlich wäre huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Ganz war sie wohl doch nicht verschwunden. Gähnend setzt Sam sich am nächsten Morgen auf. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Dean wieder nicht geschlafen hatte. Immerhin schien er es aber wieder probiert zu haben und das rechnete er ihm hoch an. Genau wie die Tatsache dass er den Fernseher nicht angeschaltet hatte. Stattdessen saß er vor dem Laptop und starrte auf den Bildschirm. „Guten Morgen, was guckst du dir an?“ Sam erhob sich und ging zu seinem Bruder. Der schaute irgendwie etwas schuldbewusst aus der Wäsche. „Bilder. Bilder von Bobby.“ Er schaute zu Sam hoch. „Ich wollte nochmal sehen wie er aussieht, wenn wir heute zu ihm kommen.“ Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht. Sein Bruder beschäftigte sich mit seiner Familie. Das hätte er so nicht erwartet. „Ich bin durch“, sagte Dean gleich darauf und zeigte auf seine Prüfungsaufgaben. Augenblicklich erstarb das Lächeln auf Sams Gesicht und machte einem besorgten Ausdruck Platz. Er nickte. Eigentlich hatte er ja nichts anderes erwartet. „Ich gehe es morgen Vormittag durch und dann sehen wir, was du noch lernen musst, okay?“ „Und was mach ich solange?“ Er gähnte verhalten. „Da findet sich schon was. Erst mal fahren wir noch eine ganze Weile.“ Sam nahm die Bögen und verstaute sie in seiner Tasche. „Du kannst dich schon mal umziehen. Ich mach mich fertig, dann können wir los.“ „Ich muss noch Zähne putzen“, erklärte Dean und rieb sich über seine Wange. „Muss ich mich rasieren?“ „Nein, lass es so, es sieht gut aus. Oder stört es dich?“ Dean rieb sich erneut über seinen Dreitagebart. Kurz vor ihrer Abfahrt hatte er sich das letzte Mal rasiert. Er schüttelte den Kopf. Wenn Sam meinte. In aller Ruhe begann er sich anzuziehen. „Kann ich so gehen?“ fragend schaute Dean seinen Bruder an, der gerade aus dem Bad kam. Er hatte gelesen, dass man zum Antrittsbesuch ordentliche Kleidung tragen sollte. „Du kannst Dean, du kannst.“ Er grinste. „Das ist kein Antrittsbesuch. Bobby würde dich in jeder Aufmachung willkommen heißen. Ihm ist egal wie wir aussehen, er will nur dass es uns gut geht.“ Unsicher nickte Dean. Wenn Sam das so sagte, musste er es wohl glauben. Trotzdem wollte er nichts falsch machen, schließlich sollten sie da ja wohnen. Gemeinsam packten sie die wenigen Dinge ein, die sie am Vorabend ausgepackt hatten und während Sam den Schlüssel zurückbrachte, packte Dean ihr Gepäck in den Kofferraum des Impalas. „Können wir noch was essen fahren?“, fragte er, während er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Klar“, lachte Sam. „Ich verhungere fast“, erklärte er und lenkte den Impala vom Parkplatz. Sie fanden ein kleines Diner, ein paar Querstraßen weiter und während Dean noch seine Waffeln verputzte, überlegte Sam ob er ihm den MP3-Player schon jetzt geben sollte. Genau in dem Moment gähnte sein Bruder verhalten und er verwarf den Gedanken. „Du kannst gleich wieder schlafen“, grinste Sam. „Aber das ist das letzte Mal. Bei Bobby solltest du wirklich versuchen nachts zu schlafen. Ich denke da wird tagsüber viel Neues auf dich einprasseln.“ „Was denn?“ „Fahrunterricht zum Beispiel.“ „Muss ich dann auch so lange fahren?“ „Nein, du musst nicht. Vielleicht willst du es irgendwann, aber erst mal bleiben wir bei Bobby.“ Dean nickte eher abwesend und ließ seinen Blick über das schwarze Ungetüm auf dem Parkplatz gleiten. Hatte er den auch gefahren? Hatte es ihm Spaß gemacht? Er wusste es nicht. Aber er wusste so vieles nicht und egal wie sehr er versuchte sich zu erinnern, sein Gedächtnis verweigerte ihm den Zugriff auf alles, was sein Leben betraf. Wütend knirschte er mit den Zähnen. Sam konnte die Gedanken seines Bruders an seinem Gesicht ablesen. Sanft legte er ihm die Hand auf den Unterarm. „Dean?“, begann er leise und wartete, bis der ihn anschaute. „Es wird wieder.“ Und er hoffte, dass er so viel Zuversicht wie nur möglich in seine Aussage gelegt hatte. Vielleicht überzeugte er damit ja auch sich selbst? „Und wenn nicht?“, fragte der Ältere heiser. „Ich würde jetzt gerne sagen, dass sehen wir dann, aber ich denke wir arbeiten besser daran, dir ein Leben aufzubauen. Wenn deine Erinnerungen zurückkommen ist das der Sechser im Lotto und wenn nicht hast du so trotzdem ein Leben.“ „Ich will aber nicht ein Leben! Ich will mein Leben!“, knurrte Dean wütend und ballte die Fäuste bis die Knöchel weiß hervortraten. Zu gerne würde er jetzt auf etwas einschlagen! Sam schloss seine Hände um Deans und hielt sie fest. Er schaute seinem Bruder fest in die Augen und wartete bis sich der unstet flackernde Blick beruhigte und auf ihn fixierte. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du dein Leben wiederbekommst, aber je krampfhafter du versuchst dich zu erinnern, umso weniger wird es gelingen. Bitte Dean, versuch loszulassen, versuch dich auf die kleinen Veränderungen zu konzentrieren. Jeder Tag bringt Neues. Mit jedem Tag lernst du etwas wieder neu zu können. Es gibt so vieles, das du neu entdecken kannst, ohne dass dich die Ressentiments deines alten Lebens hindern.“ Wenn er sich so jetzt nur auch überzeugen konnte! Er hoffte auf nichts mehr, als dass Dean sich wieder erinnerte. Er betete jeden Abend, dass er die Geduld aufbrachte darauf zu warten und dass Dean sich a nächsten Tag erinnern würde. Bislang hatte er jeden Tag umsonst gehofft. „Was sind Ressentiments und wieso sollten die mich behindern?“ „Dad hat dir so viele Vorschriften gemacht, in vielem hast du seine Meinung übernommen, Musik, Kleidung, Lebensweise. Ich hab dir schon einmal gesagt, dass ich möchte, dass du dein Leben findest.“ „Ich will mich aber nicht ...“ Dean atmete aus und gab auf. Seine Fäuste öffneten sich, die Wut verschwand aus seinem Blick und machte einer Leere Platz, die Sam noch mehr erschreckte. Jetzt war er es, der sich zusammenreißen musste, um nicht auf irgendetwas einzuschlagen. Warum musste das Leben nur so ungerecht sein? „Lass uns zu Bobby fahren“, sagte er heiser und erhob sich um zu zahlen. Dean nickte gedankenverloren. Er trank seinen Kakao aus und ging nach draußen, wo sein Blick langsam über die schwarze Karosserie glitt. Er bemerkte nicht, dass Sam inzwischen neben ihm stand. Erst als er ihn: „Können wir?“, fragen hörte, kehrte er in die Gegenwart zurück. „Wo warst du mit deinen Gedanken?“, fragte Sam leise. „Ich war nicht weg“, Dean schüttelte den Kopf. Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Immer wieder schaute Sam während der nächsten zwanzig Meilen zu Dean hinüber. Sein Bruder war noch immer viel zu angespannt. Wie konnte er ihm das nur nehmen? Doch dann entspannte sich Dean und war wenig später eingeschlafen. Jetzt endlich atmete Sam erleichtert auf. Das würde noch ein hartes Stück Arbeit werden. Arbeit, die Dean unwissentlich boykottieren würde. Arbeit, die sie mit ihren Erwartungen wohl ebenso unbewusst boykottieren würden. Frustriert knirschte er mit den Zähnen. ‚Ruhig durchatmen, Sam‛, sprach er sich in Gedanken zu. ‚Es hilft niemandem, wenn du den Wagen in einem Straßengraben versenkst.‛ Aber vielleicht half ein Schlag auf den Kopf ja bei Dean? Frustriert grinsend schüttelte er seinen Kopf. Besser nicht! Er konnte es auch alles noch schlimmer machen! Heute waren ihm immerhin die Straßenbaugötter gewogen. Außer ein paar kleinen Baustellen, die er schnell hinter sich lassen konnte, gab es keine größeren Verzögerungen auf der Strecke. Trotzdem atmete er erleichtert auf, als er den Blinker setzen und auf den Schrottplatz einbiegen konnte. „Zuhause“, murmelte er leise und lächelte, als ihm bewusst wurde, was er da gesagt hatte. Dean war vor einer halben Stunde wach geworden und schaute sich jetzt neugierig, aber auch ängstlich um. „Hier wohnt Bobby?“ „Ja! Hier wohnen wir.“ Er ließ seinen Blick über das Haus und den Schrottplatz, soweit er ihn von hier aus einsehen konnte, gleiten. In diesem Moment trat Bobby auf die Veranda. Hinter ihm kam auch Jody aus dem Haus. Auf den Gesichtern der beiden lag ein Strahlen, aber selbst von hier aus konnte er die Unsicherheit sehen, die in ihrer gesamten Haltung lag. „Lass uns aussteigen, bevor sie sich noch Sorgen machen“, forderte er leise und öffnete die Fahrertür. „Nimmst du gleich dein Gepäck mit rein? Bitte?“ Dean seufzte leise. Jetzt hieß es wieder eine neue Situation zu bewältigen. Im Krankenhaus hatte er sich wirklich gut gefühlt, aber auch das Reisen mit Sam war nicht übel gewesen, wenn auch nicht so gut, wie die Sicherheit des Krankenhauses. Die konnte er hier ja vielleicht wieder finden, immerhin hatte Sam ihm versprochen, dass sie bleiben würden. Er stieß die Tür auf und schwang seine Beine aus dem Wagen. Etwas komisch war es ja schon, dabei von allen beobachtet zu werden. Er versuchte es zu ignorieren, während er zum Kofferraum ging und seine Tasche herausholte, bevor er die Klappe schwungvoll zuwarf. Sam hatte seinen Rucksack schon geschultert und stürmte mit großen Schritten zur Veranda. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Kaum stand er vor Bobby, ließ er seinen Rucksack fallen und fiel dem alten Jäger um den Hals. Endlich waren sie hier. Endlich war er mit dieser riesigen Aufgabe nicht mehr allein. Endlich konnte er auch mal schwach sein und sich verkriechen. Endlich war er Zuhause, denn seit Dean nicht mehr Dean war fühlte sich der Impala viel weniger wie ein Zuhause an, als zuvor. Wie sehr Dean für dieses Gefühl verantwortlich war, hatte er erst in den letzten Tagen bemerkt. Bobby war im ersten Augenblick überrascht, doch dann schloss er Sam ebenso herzlich wie erleichtert in die Arme. Seine Jungs! Sie waren zuhause! Ein Teil der riesigen Gerölllawine polterte ihm vom Herzen. Er drückte Sam fest an sich. „Hallo Junge“, begrüßte er ihn heiser, nachdem er ein Stück von ihm gelöst hatte. Dean folgte seinem Bruder langsam und blieb, als er die Umarmung sah, am Fuß der Veranda stehen. Er musste diesen Bobby jetzt aber nicht umarmen, oder? Soviel Nähe behagte ihm nicht. Er wollte sie nicht und er würde auf keinen Fall von sich aus jemandem so auf den Pelz rücken! Sam löste sich von Bobby. Sein Blick huschte zu Jodys Gesicht. Ihre Augen strahlten ihn mit so viel Wärme an, dass er sie augenblicklich in eine ebenso herzliche, wenn auch nicht ganz so feste Umarmung zog. Dean nahm bedächtig eine Stufe nach der anderen auf die Veranda hinauf und ging auf Bobby zu. Demonstrativ hielt er seine Reisetasche vor seinem Bauch fest. Sein Blick glitt über den Jäger bevor er ihm seine Hand zögerlich entgegenstreckte. „Sie sagen Dean Winchester zu mir“, stellte er sich leise vor. Bei diesem Satz musste der alte Jäger hart schlucken. Sam erstarrte mitten in der Bewegung und schloss gequält die Augen und Jody schniefte leise. „Hallo Dean!“, begrüßte Bobby seinen Ziehsohn, nachdem er diesen Schock verdaut hatte und reichte ihm die Hand. „Ich bin Bobby Singer.“ „Ich weiß“, nickte er. „Ich hab Fotos gesehen und Sam hat mir gesagt wer Sie sind, Sir“, schränkte er sofort ein, nicht dass der Mann auf die Idee kam, er könnte sich erinnern. „Ich freue mich, dass du hier bist.“ So richtig wusste Bobby noch nicht, wie er mit diesem Dean umgehen sollte. Sam löste sich von Jody und trat zur Seite, damit auch sie Dean begrüßen konnte. „Hallo Dean. Schön dich zu sehen. Ich bin Jody Mills“, sagte sie mit einem Lächeln und hielt ihm die Hand hin. „Sam hat viel von Ihnen erzählt, Ma‛am“, antwortete Dean mit einem Nicken und griff nach der Hand. „Hoffentlich nur Gutes“, antwortete sie mit einem erzwungenen Lächeln. Dean legte den Kopf schief. Was war etwas Gutes und was nicht? „Sam sagte dass er Sie mag und dass Sie gut für Bobby sind.“ Er zuckte mit den Schultern und Sam lief knallrot an. Auch Jodys Wangen schimmerten rosa. „Ich denke das ist etwas Gutes!“, sagte sie leise. Auf Deans Gesicht erschien ein Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte. Kapitel 241: Erste Erinnerungen??? ---------------------------------- 241) Erste Erinnerungen ??? „Dean?“, Sam legte seinem Bruder eine Hand auf den Arm. „Bobby und Jody sind Familie. Du kannst ruhig du sagen und Ma‛am und Sir kannst du auch weglassen, ja?“ Darüber musste der ältere Winchester erstmal nachdenken. Waren sie Familie? Sam war Familie. Wenigstens sagte er das und er war immer da, solange er denken konnte. Also ja. Sam war Familie. Er vertraute ihm. Konnten Bobby und Jody auch Familie sein? Er kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe. „Kommt rein, richtet euch ein. Essen gibt‛s so etwa in einer Stunde.“ Jody behielt ihr Lächeln bei, auch wenn es ihr schwer fiel. Das „Ma‛am“ tat weh. „Ich möchte gleich noch waschen ...“, begann Sam etwas unschlüssig an Bobby gewandt. „Darf ich?“ „Du weißt doch wo die Maschine steht.“ Grinsend legte Bobby dem Jungen seine Hand auf die Schulter. Sam nickte. „Klar“ Er schaute zu Dean. „Na komm, ich zeig dir dein Zimmer und dann das Haus.“ Froh dieser unangenehmen Situation entgehen zu können, trat Dean sofort zu Sam. Er fühlte die Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte und das war genau das, wovor er Angst gehabt hatte. Menschen zu begegnen, die ihn kannten, ihnen aber nicht mehr so gegenüber zu treten, wie sie es gewohnt waren. Im Krankenhaus war das egal, da kannte ihn vorher niemand. Aber hier? Er wusste ja nicht mal was sie von ihm erwarteten und er wollte doch alles richtig machen. Auch Sam fühlte diese Verstimmung und er hoffte, dass sich das bald legen würde. Diese Situation war für niemanden leicht, aber sie hatten schon so viel gemeinsam überstanden und würden auch das schaffen! Er seufzte leise und ging voraus. Oben angekommen deutete er auf eine Tür: „Hier ist dein Zimmer. Ich schlage vor, du geht‛s erst mal rein und schaust dich um. Ich sortiere nur schnell meine Wäsche und dann komme ich rüber.“ Dean nickte. Zögerlich öffnete er die Tür und trat ein. Neugierig aber emotionslos schaute er sich um. Im vorderen Teil des Zimmers gab es einen Schreibtisch auf dem einige Zeitschriften mit Autos drauf lagen. Ein Bücherregal, in dem keine Bücher standen, nur zwei Feuerwehrtrucks. Mit einem enttäuschten Seufzen ließ er seine Tasche fallen und ging zu dem Regal, um die Trucks näher in Augenschein zu nehmen. Sie waren aus Lego. Das kannte er, weil er damit im Krankenhaus die Motorik seiner Finger trainiert hatte. Ob es hier noch mehr davon gab? Er stellte den Truck auf die Zeitschriften und schaute sich weiter um. An der gegenüberliegenden Wand gab es eine Couch, einen Sessel und einen kleinen Tisch. An der Wand neben dem Tisch stand ein CD-Spieler und ein Regal mit CDs. Auf der Couch lag eine Decke und darauf saß ein Plüschesel. War das seiner? Was waren das für CDs? Hatte er die gehört? Als er zur Couch gehen wollte, um diese CDs näher in Augenschein zu nehmen, fiel sein Blick an dem in den Raum hinein ragenden Schrank vorbei, auf das Bett. Langsam ging er darauf zu. Es war viel breiter, als das was er im Krankenhaus hatte und auch breiter als die Betten in den Motels, in denen er die letzten Nächte eher nicht verbracht hatte. Ob er hier schlafen konnte? Seine Finger glitten über die Decke, die auf seinem Bett lag. Sie bestand aus mehreren Stoffstücken. Ein Quilt, fiel ihm ein. Darüber kam doch vor ein paar Tagen eine Reportage? Er überlegte. Die waren aufwendig zu machen und meistens Handarbeit. Zumindest die alten. Aber der hier sah neu aus! Er hob ihn hoch. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er Stroh zu riechen. Doch dieser Eindruck verging viel zu schnell, als dass er ihn hätte fassen können und so war das Einzige was blieb ein ungutes Gefühl und jede Menge Fragen. Woher wusste er wie Stroh roch? War das eine echte Erinnerung? Woran? „Dean?“, riss Sam ihn aus seiner Starre. „Ist alles okay?“ „Weiß nicht“, erwiderte der Ältere etwas verspätet und ließ den Quilt wieder auf das Bett fallen. „Was hast du?“, fragte Sam besorgt. „Ich ... keine Ahnung.“ Dean schüttelte den Kopf. Er wusste wirklich nicht, was da gerade passiert war und Sam schien es ihm zu glauben. Zumindest hakte er nicht weiter nach. „Lass uns deine Kleidung wegräumen“, sagte der stattdessen und nahm die Reisetasche vom Boden. Gemeinsam räumten sie die wenigen sauberen Kleidungsstücke in den Schrank. „Den Rest kannst du gleich in den Keller mitnehmen“, erklärte Sam und deutete auf den Berg vor dem Schrank. „Die müssen wir waschen.“ „Keller? Waschen?“ „Genau, ich mach gleich noch eine Waschmaschine fertig und du kannst mir helfen, komm, ich zeig es dir.“ Zusammen versuchten sie den Berg soweit zu bändigen, dass Dean ihn tragen konnte, denn vor der Tür lag ein mindestens genauso hoher Berg aus Sams schmutziger Wäsche. Jetzt verstand Dean auch warum er den ganzen Berg alleine tragen sollte. Gemeinsam stiegen sie in den Keller hinab und sortierten die Wäsche in die Maschine. Sam zeigte Dean wie die mit Waschpulver befüllt und angestellt wurde, bevor sie wieder ans Tageslicht zurückkehrten. „So und jetzt machen wir eine Besichtigungstour“, schlug Sam vor. „Schließlich musst du doch wissen wo du alles findest, oder?“ Sam strahlte seinen Bruder breit an. Dieses Lächeln ließ Dean für einen Augenblick seine bedenken vergessen. Er versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Er vertraute Sam! Sie begannen im Obergeschoss, wo Sam seinen Bruder einen Blick in jedes Zimmer werfen ließ. Aus dem kleinen Fitnessstudio bekam er ihn fast nicht wieder heraus. „Kann ich da auch nachts, wenn ich nicht schlafen kann ...?“, fragte Dean und biss auf seiner Unterlippe herum. „Besser nicht. Die Geräte sind nicht gerade leise und Bobby schläft daneben“, versuchte Sam einzuschränken. Sofort verschwand das Lächeln aus Deans Gesicht. „Draußen, in dem Wäldchen da drüben“, Sam wedelte mit der Hand in die etwaige Richtung, „gibt es noch einen Parcours. Den hast du vor zwei Jahren gebaut. Wir müssen ihn wohl etwas ausbessern, aber dann können wir den auch nutzen.“ „Gibt es auch ein Schwimmbad in der Nähe?“ „Da muss ich Bobby fragen. Und jetzt lass uns nach unten gehen, ja?“ Auch hier schauten sie in jeden Raum, bis sie als Letztes in die Küche traten. Jody und Bobby standen am Tisch und blickten den Jungs entgegen. „Seid ihr schon durch mit eurer Tour?“, fragte Jody. „Sind wir“, erklärte Sam und beobachtete dabei wie Dean immer wieder zum Tisch schaute, auf dem vier, in Geschenkpapier verpackte, kleinere Päckchen und ein ziemlich großes lagen. „Was ist das?“, fragte Dean neugierig. „Wenn du das wissen willst, musst du sie öffnen“, lachte Jody. „Aber ich kann doch nicht ..:“ „Die sind für dich“, erklärte Bobby mit einem Schmunzeln. Trotz dieser zweiten Bestätigung schaute Dean unsicher zu Sam. „Sie sind wirklich für dich“, bestätigte der nach einem Seitenblick zu Bobby und endlich nahm Dean das erste Päckchen. „Ein Buch“, stellte er schnell fest und riss das Papier herunter. „Puh, der Bär“ „Sam hat erzählt, dass du es im Krankengaus geliebt hast und weiß, dass du das auch als Kind immer wieder vorgelesen haben wolltest, da dachte ich es wäre schön, wenn du es in aller Ruhe nochmal lesen könntest“, erklärte Bobby. Dean nickte. Liebend gern würde er sich mit dem Buch auf sein Bett verziehen und sofort beginnen, doch es lagen noch mehr Päckchen auf dem Tisch. Schnell öffnete er das zweite Paket. Die Abenteuer von Tom Sawyer, Das Dschungelbuch und Die Schatzinsel waren in den anderen flachen Päckchen versteckt. Deans Augen leuchteten vor Begeisterung und ließ die drei anderen einen kurzen Blick auf den Dean werfen, den sie vor seiner Amnesie gekannt hatten. „Sam meinte, du würdest gerne lesen“, versuchte Bobby zu erklären und war erleichtert und bestürzt zugleich, als der Winchester nickte. Das war wirklich nicht der Dean, den er kannte, aber er freute sich darüber, dass sie etwas gefunden hatten, worüber der sich wirklich freute. „Und was ist da drin?“ Dean schaute auf das große Paket und zupfte am Papier. Noch mehr Bücher? Er riss es auf und schaute etwas unsicher auf den Korb mit all den Fläschchen und Döschen. „Ich hab letztens nach einem neuen Rasierwasser für Bobby gesucht. Dabei fielen mir diese kleinen Proben in die Hände. So kannst du in aller Ruhe ausprobieren, was dir gefällt“, erklärte Jody ruhig. Nun warf auch Sam einen längeren Blick in den Korb. Rasierschaum und Rasierwasser, Deo und Badezusatz, Duschbad und Shampoo, von allem waren einige Proben dabei. „Danke“, lächelte er sie begeistert an. Dean war von der Parfümerie ja ziemlich überfordert gewesen. „Bringst du die Bücher nach oben, damit wir gleich essen können?“, fragte Jody und begann das Papier wegzuräumen. „Ich stell sie ins Bücherregal“, nickte Dean und verschwand. „Eine tolle Idee“, sagte Bobby und gab ihr einen kurzen Kuss. „So einen Korb hätte ich auch gerne.“ „Na wenn das keine Bestellung zum nächsten Geburtstag ist.“ Jody grinste breit. Versonnen schaute Dean auf die Bücher, die er gerade in das Regal gestellt hatte. Jetzt hatte er zumindest etwas zu tun, bis Sam mit seinen Prüfungsaufgaben fertig war und er wieder lernen durfte. Er stellte den Truck wieder in das Regal und verließ sein Zimmer. Als er wieder in die Küche kam, hatte Sam den Tisch gedeckt und stellte gerade die Bierflaschen darauf ab. „Willst du auch ein Bier?“, wandte er sich an den Älteren. „Nein, lieber Wasser“, erwiderte der. Er mochte dieses bittere Zeug nicht und er verstand nicht wie die anderen es trinken konnten. Sam nickte. Er warf Bobby einen kurzen, traurigen Blick zu und stellte ein Glas auf den Tisch, während der Jäger eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank nahm. Dean setzte sich auf den Stuhl, vor dem das Wasser stand, füllte sein Glas und bekam gleich darauf von Jody einen gefüllten Teller hingestellt. „Danke“, sagte er und versuchte sich an einem Lächeln. Er musterte das Essen interessiert. Ein irgendwie vertrauter Geruch stieg ihm in die Nase. Er schob sich den ersten Bissen in den Mund … „Dasch isch lecker“, nuschelte er ohne zu wissen warum er das sagte. „Dean, du ...“, begann Jody und schaute ihn ungläubig an. Hatte er sich an das Irish Stew erinnern können, dass sie hier gekocht hatte, nachdem er sie vor Bellows Geist gerettet hatte? Langsam hob Dean den Kopf und blickte in drei Gesichter, die ihn erwartungsvoll anschauten. „Ich ...“ Der Augenblick war vergangen, ohne dass er die Erinnerung fassen konnte. Wieder nicht! Sein Brustkorb fühlte sich an wie eingeschnürt. Hilflos den Kopf schüttelnd, stemmte er sich in die Höhe und flüchtete auf die Veranda. „War das gerade eine erste Erinnerung?“, fragte Bobby mit kratziger Stimme. „Wenn, dann hat sie ihn eher verschreckt, als das sie hilfreich gewesen wäre“, kommentierte Sam das Ganze und erinnerte sich an die Situation oben in Deans Zimmer. „Sowas in der Art hatte er vorhin schon mal. Oben in seinem Zimmer. Ich bin nicht darauf eingegangen, weil er nichts dazu gesagt hat. Aber auch da hat es ihn eher erschreckt.“ „Und jetzt?“, wollte Jody wissen. Diese Situation war für sie alle neu und sie fand es sicherer wenn sie sich abstimmten und an einem Strang zogen. „Wir beziehen ihn in alles mit ein, zeigen ihm unsere, seine Welt und hoffen, dass die Erinnerungen wiederkommen?“, überlegte Bobby, „Außerdem sollten wir möglichst nicht mehr so euphorisch auf eventuelle Erinnerungsfetzen reagieren, auch wenn ich nicht weiß, wie uns das gelingen soll. Aber es hat ihn mehr erschreckt als das es geholfen hätte.“ Er atmete kurz durch. Sam nickte während er aufstand, um nach draußen zu gehen. „Das ist leichter gesagt als getan“, stellte Jody fest. „Zumindest wenn er wie früher reagiert.“ „Bislang hat er das nicht.“ Sam atmete ebenfalls kurz durch. „Um seinetwillen müssen wir es schaffen“, sagte er und verließ die Küche. Kapitel 242: Altes und Neues und Gus ------------------------------------ 242) Altes und Neues und Gus Sich leise räuspernd trat Sam neben seinen Bruder. „Komm wieder rein, Dean. Du bist nicht warm genug angezogen, um länger draußen zu sein. Hier ist nicht Safford.“ „Ich...“, begann Dean und schüttelte fast sofort den Kopf. „Ich kann das nicht!“ „Was kannst du nicht?“ „Das alles hier. Fremden Menschen vertrauen die erwarten, dass ich sie kenne. Es ...“, hilflos brach er ab und schüttelte den Kopf. „Du musst dir Zeit lassen und du musst uns Zeit lassen, Dean. Es ist für uns alle neu und bis jetzt hast du dich richtig gut geschlagen!“ „Es ist alles irgendwie falsch!“ „Es wird besser.“ „Versprochen?“ ‚Das muss es!‘, stieß Sam in Gedanken hervor, bevor er seinem Bruder antwortete: „Davon gehe ich aus. Lass dir etwas Zeit. Du musst sie erstmal wieder kennenlernen.“ „Es wäre einfacher, wenn sie mich nicht kennen würden. So habe ich immer Angst sie zu enttäuschen.“ Dean kickte ein imaginäres Steinchen weg. „Das musst du nicht. Sie sind doch froh, dass du diesen Unfall überlebt hast, genauso wie ich.“ „Es wäre mir trotzdem lieber, wenn nur du und ich ... und … wenn ich erst mal ein Leben finden könnte, wenn ich erst mal herausfinden könnte was ich will und wer ich bin, bevor ...“ Er brach ab und starrte zum Teich. Sam seufzte. Er hatte Dean hierher gebracht, weil es ihr Zuhause war, weil er hoffte, dass er sich hier wieder an sein Leben erinnerte. Hier war ihr Dreh und Angelpunkt. Wenn Deans Erinnerungen hier nicht zurückkamen, wo dann? Er hoffte inständig, dass sich Dean hier doch noch wohlfühlen konnte, denn er wollte hier nicht mehr weg. Hier gab es Hilfe, hier musste er nicht alles alleine tragen. Aber wie sollte er das seinem Bruder erklären? „Dean, ich würde mich freuen, wenn du ...“ Sam brach ab als er Deans irritierten Gesichtsausdruck bemerkte und folgte seinem Blick. Gus war auf der Terrasse gelandet und hopste jetzt langsam näher. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Der Vogel war wirklich anhänglich! „Was ist ...?“, krächzte Dean heiser. Gus flatterte auf das Geländer. Er legte den Kopf schief. „Gus Hunger!“ Dean stockte der Atem. Vögel konnten nicht sprechen und wenn doch, dann war das ein Trickfilm! Oder wurde er verrückt? „Bist du nicht zu alt, um noch nach Futter zu betteln?“, fragte Sam lachend. „Das ... du?“, stammelte Dean und deutete mit großen Augen auf den Vogel. „Du verstehst ihn auch? Du kannst mit Vögeln reden?“ Der Vogel nahm diese Armbewegung aus Einladung und flatterte auf Deans Unterarm. „Das ist doch nur Gus! Dean“, erklärte Sam noch immer grinsend. Dean erstarrte. Der Vogel sprang von seinem Unterarm auf seine Schulter. „Gus lieb, Dean!“, krächzte der Vogel und knabberte sanft im Haaransatz über dem Ohr des Winchesters. Kurz bevor Dean komplett in Panik ausbrechen konnte, erlöste ihn Bobby, der mit ein paar Brocken Fleisch und einem Apfel aus der Küche kam. „Komm her Gus. Ich hab hier was für dich.“ Sofort sprang der Vogel von Deans Schulter und starrte erwartungsvoll zu den Leckereien. Dean nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Sam folgte ihm etwas langsamer. Er schloss die Tür und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. „Das war bizarr“, grinste er und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Das war nicht lustig!“, erklärte Dean kategorisch. „Doch Dean, das war es schon.“ „Es hat mir Angst gemacht!“ Schlagartig wurde Sam wieder ernst. „Das sollte es nicht. Entschuldige bitte. Ich hätte einschreiten müssen! Es ist nur ... Du hast den Vogel gefunden als er noch ein Küken war. Du hast ihn gerettet und er liebt dich dafür. Dass du dich an ihn nicht mehr erinnerst, kann er nicht wissen.“ Um Verzeihung bettelnd schaute Sam seinen Bruder an bis der nickte. „Wir müssen wohl noch besser aufpassen“, überlegte Jody. Sie wollte den Jungen zwar nicht in Watte packen, aber verängstigen mussten sie ihn ja auch nicht gerade und sie wollte ihn nicht wie ein Kind behandeln. Wie sie das allerdings genauso bewältigen konnten, war ihr schleierhaft. Hoffentlich hielt sich das Übernatürliche wenigstens zurück. „So, der sollte satt sein.“ Bobby kam wieder in die Küche und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. „Bist du sicher?“ „Eigentlich schon, aber ich weiß was du meinst. Er ist nie satt.“ „Zumindest hab ich ihn noch nie satt erlebt“, bestätigte Sam. „Was habt ihr morgen vor?“, lenkte Jody das Gespräch in eine andere Richtung bevor Dean auch hier noch davonlief. Der schaute alarmiert von seinem Teller auf. Mussten sie etwas vorhaben? Sam wollte doch seine Aufgaben durchgehen? „Lass uns erst mal ankommen. Ich denke Dean hat genug damit zu tun sich hier einzuleben und ich möchte eigentlich auch nur die Füße hochlegen, das tun, was Menschen im Urlaub so tun“, bat Sam mit einem Blick auf die leicht panisch hin und her zuckenden Pupillen seines Bruders. „Ich frage nur, weil du sagtest, dass ein geregelter Tagesablauf für Dean wichtig wäre.“ „Das sagten die Ärzte immer wieder. Ich wollte eigentlich noch etwas Urlaub davon machen, aber ...“, Sam kratzte sich am Kopf. „Wahrscheinlich hast du Recht und wir sollten unsere Tage schnell wieder in geregelte Bahnen bringen, oder was denkst du, Dean?“ Der zuckte mit den Schultern. Was waren geregelte Bahnen und was war Urlaub? „Wie war euer Tag im Krankenhaus?“, fragte Bobby ruhig, denn das wäre ja auch für sie wichtig zu wissen. Er schaute von Dean zu seiner Freundin. „Morgens hatte ich Therapien, danach hab ich gelernt oder gelesen.“ „Genau wie nachmittags etwas und wir sind viel rausgegangen“, ergänzte Sam. „Wir waren in so einem Museum mit alten Autos, im Zoo, einkaufen und viel im Park“, warf Dean ein. Bobby schluckte. ‚So ein Museum mit alten Autos‛ So ganz konnte er das Entsetzen über diese Teilnahmslosigkeit nicht verbergen. Sein Blick wanderte zu Sam. „Was für Therapien?“, fragte Jody. „Viel Motorik, Krankengymnastik und Logopädie“ „Brauchst du bei einem davon noch Unterstützung?“, wandte sich der alte Jäger an Dean. „So Kleinfriemeliges geht noch nicht so gut“, gab er unumwunden zu. „Du kannst mir bei den Reparaturen helfen, da gibt es genug kleine Schrauben und Muttern“, überlegte Bobby laut. „Aber ich hab keine Ahnung von Autos!“ „Das kannst du lernen. Ich zeig Dir was du machen musst und erkläre was wofür ist. Ich denke, das kriegen wir zusammen hin, oder?“, gab sich Bobby ganz zuversichtlich. „Und du kannst mir beim Kochen helfen“, warf jetzt auch Jody ein. Dean schaute etwas überfordert von einem zum anderen und blieb dann bei Sam hängen. Was sagte der dazu? „Das klingt gut! Wichtig fände ich aber auch, wenn du ihm ein paar Fahrstunden geben würdest“, brachte er am Bobby gerichtet vor. „Damit können wir morgen nach dem Frühstück anfangen.“ „Gut. Dann setze ich mich an deine Aufgaben“, wandte sich Sam an seinen Bruder. „Und morgen Nachmittag spielen wir eine Runde Minigolf. Habt ihr Lust?“, fragte Jody in die Runde. „Von mir aus gerne“, nickte Bobby, der sich immer freute mit seiner Freundin angeben zu können, denn das sie das Beste war, das ihm im letzten Jahr passiert war, stand für ihn unverrückbar fest. „Sam, Dean?“ „Ich weiß nicht was das ist!“ „Ich denke, es wird dir Spaß machen“, versuchte Sam seinen Bruder zu überzeugen. Außerdem käme er so raus und würde nicht schon wieder über Büchern brüten. Dieser neue Zug an seinem Bruder wurde ihm immer unheimlicher. Auch wenn er bewunderte wie hartnäckig und zielstrebig er lernte. Sie saßen noch länger gemütlich am Tisch. Jody erzählte von ihrem Tag und Bobby von einem Unfall, bei dem er den Wagen eines jungen Pärchens abgeschleppt hatte. Der Bräutigam im Spe war später bei ihm, um den Schrotthaufen komplett zu durchsuchen. Wie sich herausstellte hatte er ihr während der Fahrt einen überstürzten Heiratsantrag gemacht und sich so auf sie konzentriert, dass er in den Gegenverkehr geraten war. Der teure Diamantring war beim Zusammenstoß irgendwo im Innenraum verschwunden. Die angehende Verlobte hatte es sich aber wohl anders überlegt und so wollte er wenigstens den Ring wiederhaben, um einen Teil seiner Verluste ausgleichen zu können. „Hat er den Ring gefunden?“, wollte Jody wissen. „Ja, kurz bevor er aufgeben wollte, hat er noch einmal unter den Teppich geschaut und da lag er.“ Der Jäger erhob sich und begann den Tisch abzuräumen. „Ihr könnt sitzen bleiben“, versuchte er den Rest von einem Aufbruch abzuhalten, doch jetzt wollten alle helfen. „Im Wohnzimmer ist es gemütlicher“, sagte Sam, kaum dass sie fertig waren. „Ich würde lieber nach oben gehen“, bat Dean. Ihm wurde es langsam zu viel. Solange er denken konnte, war er nur mit Sam zusammen. So viele Menschen auf einmal überforderten ihn dann doch auf Dauer. „Warte, ich komme mit“, sagte Sam und erhob sich ebenfalls. „Ich finde den Weg auch alleine. Du musst nicht mitkommen“, wehrte Dean ab. „Das glaube ich dir. Ich wollte dir was geben.“ Breit grinsend folgte Sam seinem Bruder. „Ich hab gestern einen Mix aus allen Musikrichtungen und Zeiten auf das kleine Ding gespielt. Hör einfach mal rein, schreib auf was dir gefällt und was nicht und dann suchen wir dir mehr zu denen, die du magst.“ Schnell erklärte Sam seinem Bruder wie der MP3-Player funktionierte. „Aber du musst das nicht in dieser Nacht erledigen. Okay?“ Dean nickte abwesend, nahm das Gerät in die Hand und stöpselte sich die Kopfhörer in die Ohren. Er war gespannt, was Sam ihm da zusammengestellt hatte und ob ihm überhaupt was gefiel. Von Musik hatte er doch nun wirklich keine Ahnung! Als Sam am nächsten Morgen an Deans Tür klopfte, und gleich darauf ins Zimmer trat, saß sein Bruder schon fertig angezogen auf der Couch. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte der Musik aus dem MP3-Player. „Dean“, fragte er laut und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sein Blick glitt über die Augenringe, die in den letzten Tagen zwar ein wenig besser geworden, aber noch nicht verschwunden waren und dessen Kleidung. Immerhin hatte er ein anderes T-Shirt an, als am Vortag. „Hab dich gehört“, antwortete der Ältere und zog einen Stöpsel aus seinem Ohr. „Hast du überhaupt geschlafen?“ Einen leichten Vorwurf konnte sich Sam nicht verkneifen. „Doch, ein Bisschen. Ich hab es wirklich versucht!“ Aber es gab so viel was er noch lernen musste! Wie konnte er an Schlaf denken, wenn sein Kopf nicht zur Ruhe kam? Sam musterte ihn wieder. „Vielleicht sollten wir dein Bett in den Impala packen?“ Unsicher schaute Dean weiter zu ihm hoch. „Hast du denn schon was gefunden, was dir gefällt?“, beendete Sam das für Dean unangenehme Gespräch abrupt. „Ja ein paar.“ Er deutete auf eine Liste, die vor ihm auf dem Tisch lag. „Die zweite Reihe sind die, die du gar nicht magst?“ Dean nickte. „Und der Rest ist okay?“ Wieder war ein Nicken die Antwort. „Dann such ich dir noch ein paar mehr Titel raus, die zu der ersten Reihe passen“, versprach Sam und schaute noch einmal auf die Titel. Dean hatte so ziemlich alle seine alten Lieblingsstücke ausgesucht, soweit er die Nummern noch im Kopf hatte, allerdings auch ein paar anderen. Mal sehen, was das war. „Aber jetzt lass uns frühstücken gehen. Bobby wartet bestimmt schon.“ Kapitel 243: Fahren und Kochen und Minigolf ------------------------------------------- 243) Fahren und Kochen und Minigolf Nach dem Frühstück saß Dean auf dem Fahrersitz eines von Bobbys fahrtüchtigen Wagen und hörte aufmerksam, aber skeptisch zu was der ihm erklärte. „Ich will aber nichts kaputt machen“, brachte er leise hervor. „Das kannst du nicht“, Bobby grinste, „und wenn doch, kannst du es nachher mit mir reparieren. Keine Angst. Versuch es einfach.“ Zuversichtlich lächelnd nickte er ihm zu. „Also! Bremse treten ... Schalthebel kontrollieren ... Zündung an ... Schalthebel auf Fahren ... und jetzt die Bremse loslassen und vorsichtig Gas geben“, kommentierte der Jäger die einzelnen Schritte, die Dean zeitgleich ausführte. Bis zum Bremse loslassen funktionierte auch alles reibungslos. Dann buckelte der Wagen, bockte und ging aus. „Das ...“ Dean traute sich kaum vom Lenkrad aufzusehen. „Das war etwas zu viel Gas. Das probieren wir gleich nochmal.“ Bobby schaute kurz zu Dean. „Bremse ... Schalthebel ... Zündung ... sehr gut, Junge! Und jetzt vorsichtig ...“ „Ja! genau so“, freute er sich, als der Wagen langsam losrollte. „Jetzt gib mal etwas mehr Gas ... bremsen. Stopp“ Er strahlte seinen Jungen an. Zögerlich erschien auch auf Deans Gesicht ein Lächeln. „Dann versuch es gleich noch einmal.“ Dean nickte. „Bremse ... Schalthebel ... Zündung ... Schalthebel ... Gas“, murmelte er leise vor sich hin während er die einzelnen Schritte abarbeitete. „Ja!“, freute sich Bobby. „Das ist sehr gut und jetzt Stopp und nochmal.“ Wieder und wieder übten sie so und drehten dabei mehrere Runden zwischen den aufgestapelten Wagen. Bobby ließ ihn das Abbiegen mit Blinken und Rechts vor Links üben und als sie den Wagen wieder vor der Lagerhalle abgestellt hatten und ausgestiegen waren, trat der zu seinem Jungen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das war Klasse. Noch ein, zwei Tage hier, dann können wir dich auf den normalen Verkehr loslassen.“ „Danke, Sir“ Bobby schluckte kurz. Dieses eine Wort war zum Synonym dessen geworden, was John in seinen Augen bei den Jungs alles falsch gemacht hatte. „Hast du Lust mir bei dem Pontiac zu helfen?“, fragte er etwas heiser und deutete auf die Halle. Dean schaute zu dem Wagen, dann blickte er Bobby an. „Wenn ich helfen kann?“ „Du kannst mir helfen, und wenn du mir nur Gesellschaft leistet.“ „Okay?“ „Aber geh vorher zu Sam hoch und lass dir die alten Sachen geben, die du immer zum Schrauben trägst, nicht dass du dir die Kleidung einsaust.“ „Einsauen?“ „Mit Öl vollschmieren“, nickte Bobby. „Das lässt sich schlecht rauswaschen.“ „Okay?“ Wieder schaute Dean ziemlich ratlos auf den alten Jäger. „Geh dich umziehen und dann könntest du noch Kaffee mitbringen.“ Dean nickte und ging ins Haus. Als er zurückkam, hatte er zwei Thermobecher in der Hand. „Der hier ist für Sie“, sagte er. „Stell ihn bitte da ab und Dean?“ Bobby wartete, bis ihn der Junge ansah. „In einer Familie sagt man DU zueinander. Bitte.“ „Okay.“ Schwungvoll lenkte Jody ihren Wagen auf den Platz vor dem singerschen Haus. Ihre Augen wurden fast automatisch von zwei, in ihren Augen, wohlgeformte Hinterteilen angezogen, deren Besitzer ziemlich tief im Motorraum des alten Wagens hingen, den Bobby sich für eine Restauration ausgesucht hatte und ihr gefiel was sie sah. Sie stieg aus und ließ ihren Blick über das Haus wieder zu der Halle gleiten, in der die Männer arbeiteten. Wie sehr hatte sich ihr Leben in den letzten Monaten verändert und wie sehr hatte sie sich in diesem alten Trunkenbold doch getäuscht. Sie hatte ihn für einen Sonderling gehalten, mit dem sie hin und wieder Ärger hatte. Dass unter dieser eher schroffen äußeren Schale ein sensibler, freundlicher Mann schlummerte, der ein großes Herz hatte, das inzwischen nicht mehr nur an zwei Jungs hing, hätte sie vor einem Jahr noch vehement abgestritten. Breit lächelnd ging sie zu dem Wagen hinüber. „Wie kommt ihr voran?“, wollte sie ruhig wissen. Unisono fuhren sie hoch und stießen sich so ziemlich zeitgleich die Köpfe an der Motorhaube. „Au!“ „Verdammt!“, schimpften sie und drehten sich zu dem Grund dieser Unterbrechung um. „Hallo schöne Frau“, grüßte Bobby und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben. „Wir müssen wohl erst mal unterbrechen, bis ich das passende Ersatzteil gefunden habe“, erklärte er etwas verspätet. „Dann könnte ich mir ja Dean ausleihen, oder?“ „Wozu?“, wollte der Winchester leise wissen. „Du kannst mir in der Küche helfen. Umso schneller sind wir fertig.“ „Okay.“ Dean zuckte mit den Schultern und lief zum Haus. „Und wie geht es mit ihm voran?“ „Wie mit einem Anfänger, der sich nicht ganz ungeschickt anstellt.“ Der Jäger seufzte leise. „So hatte ich mir die Zeit mit den Jungs hier nicht vorgestellt. Ich meine Sam hockt hinter dem Computer, das ist ja normal, aber Dean ...“ Ratlos zuckte er mit den Schultern. „Es ist nur ... Ich hatte mich auf die Jungs gefreut. Noch einen eher unbeschwerten Sommer, bevor sie quasi flügge werden.“ „Sind sie das nicht schon eine halbe Ewigkeit?“ „Ja, aber das hier war in den letzten Jahren ihre Trutzburg. Ein sicherer Hafen. Wenn sie in ein normales Leben starten, werden sie wohl nicht hier wohnen bleiben. Das meinte ich.“ „Aber wenn Dean mit dir zusammen an alten Wagen schraubt?“ „Er hat so viel mehr auf dem Kasten!“, Bobby schüttelte den Kopf. „Es wäre eine Verschwendung, wenn er sich hier hinter den Schrottwagen verstecken würde, auch wenn ich mich natürlich freuen würde, mit ihm zusammenarbeiten zu können.“ Resignierend zuckte er mit den Schultern. „Wenn ich näher dran gewesen wäre! Wenn ich mich mehr um einen anderen Jäger bemüht hätte! Wenn ich ...“ „Robert Steven Singer“, Jody legte ihre Hände an seine Wangen und drehte seinen Kopf energisch zu sich, so dass er ihr in die Augen schauen musste. „Es bringt niemandem etwas, wenn du dich hier zerfleischt! Das Kind ist in einen Brunnen gefallen von dem niemand wusste, dass er überhaupt da war. Jetzt müssen wir zusehen, wie wir ihm helfen seine Erinnerungen wiederzufinden und wenn das nicht passiert, was niemand ihm wünscht, dass er dann trotzdem ein normales Leben leben kann. Ich kenne Dean zu wenig, um wirklich nachvollziehen zu können was für einen Menschen ihr verloren habt, aber auch ich vermisse den Mann, den ich vor wenigen Monaten kennenlernen durfte und ich wünsche ihn mir zurück. Trotzdem kann ich in diesem Verlust auch eine ganz kleine Chance sehen. Du erzähltest, dass John, ihr Vater, sie zu Soldaten erzogen hat, in dem Wissen was es für Ungeheuer auf der Welt gibt. Jetzt weiß er nichts mehr davon. Jetzt kann er seine Zukunft ohne diesen Ballast planen.“ Bobby schluckte hart. Sie hatte ja Recht! Trotzdem tat der Verlust Deans fast so weh, wie das Wissen, dass er von dem Höllendeal hatte und Deans damaliger Ablehnung etwas dagegen zu unternehmen. Er wischte sich fahrig über das Gesicht und konnte doch nicht verhindern, dass Jody seine feucht glänzenden Augen sah. Sie zog ihn an sich. „Wir tun alles damit er sich wieder erinnert“, murmelte sie leise und Bobby konnte nur nicken. „So, und jetzt lass ich dich arbeiten und beschäftige Dean in der Küche.“ Aufmunternd lächelte sie ihn an, auch wenn ihr tief in ihrem Inneren eher zum Heulen zumute war. Sie musste für Sam und Bobby stark sein, denen Deans Amnesie viel mehr zu schaffen machte, schon weil sie ihn ein Leben lang kannten. „Was kann ich tun?“, fragte Dean, kaum dass sie die Küche betreten hatte. „Warte“, forderte sie kurz und stellte die Tüten auf der Arbeitsplatte ab. Ein kurzer Blick in die Papiertüten und sie schob eine zu ihm hin. „Du kannst schon mal die Äpfel schälen. Du weißt wie?“ Nickend legte der Winchester die Äpfel in die Spüle. „Ja, ich musste das im Krankenhaus auch üben.“ „Gut!“ Während er sich mit dem Obst mühte, bereitete sie den Teig zu. „Was wird das?“, wollte er wissen. „Unser Nachtisch. Apfelkuchen.“ „So einen habe ich schon im Krankenhaus gegessen. Sam sagte, den hätte ich geliebt, vorher.“ Er zuckte mit den Schultern. „War wohl nicht so lecker?“, stellte sie schmunzelnd fest. „Naja, ging, soweit ich das überhaupt beurteilen kann.“ „Ich denke schon, dass du weißt was dir schmeckt, oder isst du ausnahmslos alles?“ „Das nicht, obwohl Sam sagt, ich soll alles probieren.“ „Ein guter Vorschlag.“ Sie lächelte. Das hatte sie ihrem Sohn auch immer gesagt, doch davon würde sie ihm nichts erzählen. Gemeinsam schnitten sie die Äpfel in Scheiben und legten sie auf den vorbereiteten Boden aus Teig. Kaum stand der Kuchen im Ofen, erklärte Jody ihrem Gehilfen welche Zutaten er für ein Maisbrot mischen musste, während sie die vorher marinierten Hähnchenteile anbriet. Die mussten sie dann heute Abend nur noch frittieren und den Salat machen, wenn sie vom Minigolf wieder da waren. Jetzt sollten ihnen ein paar Sandwiches reichen, die sie gleich noch mit Dean belegen wollte. „Das hab ich schon mal gespielt?“, wollte Dean wissen und musterte die Bahn vor sich, bevor sein Blick wieder über den Platz wanderte. „Hast du. Wir haben gerne Minigolf gespielt“, bestätigte Sam. „Hier?“ „Nein. Einige Motels hatten eine kleine Minigolfanlage und die haben wir dann genutzt. Allerdings waren die weder so schön wie hier und auch nie so groß.“ Sams Blick schweifte über die Anlage, die ihn an Bilder von Island erinnerte. Bäche, über die rustikale Holzbrücken führten, große Findlinge und kleine Wasserfälle, ein Teich mit Fontaine. Hier ließ es sich eine Weile aushalten. Aufmerksam beobachtete Dean wie Jody, Bobby und Sam die Bälle schlugen. Dann war er dran. Als auch der dritte, von Dean geschlagene, Ball irgendwo weit außerhalb der Bahn landete, schüttelte Sam den Kopf. „Warte“, sagte er und stellte sich hinter seinen Bruder. Er korrigierte seine Haltung und die Stellung seiner Beine. „Versuch es jetzt mal“, bat er leise und Dean schlug. „Nicht so fest“, erklärte Sam ruhig. Er trat nun ganz dicht hinter Dean, beugte sich über ihn und umfasste dessen Hände mit seinen. Gemeinsam schlugen sie den Ball, der jetzt nur knapp am Loch vorbei rollte, gegen die hinter Bande schlug und kurz vor dem Loch endlich liegen blieb. „Mal ganz ehrlich. Wenn ich die Zwei nicht kennen würde, würde ich sagen, dass sie ein echt süßes Paar abgeben“, wandte sich Jody leise an ihren Partner. Bobby verdrehte die Augen und schnaubte amüsiert. „Lass sie das nicht hören“, grinste er. Innerlich musste er ihr allerdings Recht geben. Welche Geschwister hingen als Erwachsene auch schon so sehr aneinander? „Jetzt fang du nicht auch noch an“, schimpfte Sam leise, denn er hatte sie gehört. Sie hatten während ihres unsteten Lebens viel zu oft mit dieser Feststellung kämpfen müssen. Er folgte seinem Bruder zu seinem Ball und ließ sich auch von Jodys leisem Kichern nicht davon abhalten, sich wieder dicht hinter Dean zu stellen, um mit ihm den Ball vorsichtig ins Loch zu befördern. Das freundliche „Danke“ Deans war für ihn schon fast mehr als ein Lächeln. „Gern geschehen“, gab er mit einem Lächeln zurück. „Immer wieder, wenn du Hilfe brauchst.“ Gemeinsam schlenderten sie zur nächsten Bahn, die Dean nach einigen Anläufen ganz allein schaffte. Auch die dritte Bahn gelang ihm. Bei der nächsten musste er aber wieder auf Sams Hilfe zurückgreifen, weil er mit diesem Hindernis überhaupt nicht klarkam. Nach mehreren Fehlversuchen schaute er zu Sam. „Kannst du?“, wollte er leise wissen. „Klar, warte“, antwortete der, drückte seinen Schläger Bobby in die Hand und stellte sich wieder hinter seinen Bruder. Vorsichtig umfasste er Deans Hände und drehte sie mit dem Schläger ein wenig, bevor er etwas mehr Schwung holte und so die Kugel ein ganzes Stück über die Bahn beförderte. Dean legte den Kopf leicht schief, grub die Zähne in die Unterlippe und schaute auf den Ball. So hätte er das nie versucht! „Woher weißt du dass das so geht?“, wollte er wissen, als der Ball liegen blieb. „Das hast du mir gezeigt“, antwortete Sam. „Ich hab es auch nie hinbekommen. Aber du wusstest wie.“ „Und woher?“ „Du musst nur üben“, sagte er und verschwieg ihm dass er eigentlich keine Ahnung hatte. Dean konnte so vieles einfach. Wehmütig dachte er an die Zeit zurück. Damals hatte er noch bewundernd zu Dean aufgeschaut. Damals war sein großer Bruder noch sein Held gewesen. Mit einem Schulterzucken nahm Dean es hin. Inzwischen hatte er gelernt, dass er früher vieles konnte. Trotzdem machte sich der Frust wieder in ihm breit. „Wir schaffen das, Dean“, erklärte Bobby mit fester Stimme und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Und wenn nicht? Wenn meine Erinnerungen nie wiederkommen?“, versuchte Dean so ruhig wie möglich zu fragen. „Dann sammelst du neue!“ Bobby lächelte gequält. „Ist das so einfach für Sie?“, Deans Beherrschung begann zu zerbröckeln. „Klar, Sie haben Ihre Erinnerungen ja auch noch!“ „Nein, Dean. Für mich, für uns, ist es alles andere als einfach! Wir haben einen geliebten Menschen verloren! Wir haben den Dean verloren, den wir kannten und so wie er war liebten und wir haben einen neuen Dean bekommen. Wir lieben dich, aber wir müssen dich auch erst wieder kennenlernen. Einfach wäre es, wenn dein Kopf die Erinnerungen freigeben würde und wir hoffen und beten, dass es irgendwann passiert. Solange du dich aber nicht erinnern kannst, solange müssen wir für neue Erinnerungen und für neues Wissen sorgen, genauso, wie wir es heute Morgen gemacht haben. So wie du es im Krankenhaus gemacht hast. Wir werden dich unterstützen und unterrichten. Wir werden dafür sorgen, dass Sam und du ein normales Leben führen könnt. Ihr sollt euren Weg finden und glücklich werden. Und so wie du das Leben neu lernst, so lernen wir dich neu kennen. Du bist ein Überraschungspaket! Äußerlich unser Dean und innerlich jemand, den wir erst entdecken müssen, genau wie du dich und uns auch. Das ist traurig und aufregend zugleich. Bitte sieh es uns nach, wenn auch wir damit unsere Probleme haben werden.“ Dean Blick lag auf Bobby und glitt dann über die Anlage. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. Bisher war er viel zu sehr mit sich beschäftigt. Wie sich Sam und die anderen mit seinem Gedächtnisverlust fühlten, darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. „Na komm, spielen wir weiter“, riss Bobby ihn aus seinen Gedanken. „Sonst lassen uns Sam und Jody noch hier stehen, weil sie keine Lust mehr haben auf uns zu warten.“ Dean schaute wieder zu Bobby und dann zu Sam. Er stutzte. Wo war Sam? Verwirrt blickte er wieder zu Bobby, bevor er sich suchend umsah. Er fand ihn drei Bahnen weiter, hinter einem Bach, fast von einem Busch verdeckt. Ratlos nickte er, nahm seinen Schläger und versuchte sich auf der Bahn, vor sich. Doch er war viel zu rastlos, viel zu hektisch, um einen ruhigen Schlag anbringen zu können und er fühlte sich einsam. Sam war weg. Außer jetzt hier bei Bobby, nachts zum Schlafen, war der nie ohne etwas zu sagen verschwunden. Noch einmal schlug er den Ball und wieder landete der im Schotter, der die Bahn umgab. Wütend wollte er den Schläger wegwerfen. Das hatte doch eh keinen Sinn! „Tief durchatmen“, hörte er plötzlich Sams Stimme neben sich. Erschrocken drehte er sich um. Sam! Er war wirklich da! Dean schnappte nach Luft. Er fühlte wie sein Herz wieder zu einem ruhigen Rhythmus zurückkehrte. Er atmete tief durch und versuchte dann Sams Rat umzusetzen. „Komm, wir machen es zusammen“, sagte Sam leise, schob Dean wieder an das Schlagmal und stellte sich erneut hinter ihn. Gemeinsam beförderten sie den Ball über die Bahn und mit dem dritten Schlag in das Loch. „Bleibst du hier?“, wollte der ältere Winchester unsicher wissen. „Solange du mich brauchst, bin ich immer in deiner Nähe, Dean. Es ist nicht schlimm, wenn ich mal nicht genau neben dir stehe, ich achte trotzdem auf dich, okay?“ ‚So wie du es früher immer bei mir gemacht hast‘, fügte er in Gedanken an. „Aber auch Bobby und Jody werden dir immer helfen.“ „Die kenne ich aber nicht!“ „Stimmt. Aber wir wohnen bei ihnen, da hast du alle Zeit der Welt, um sie kennen zu lernen. Du musst ihnen und dir nur eine Chance geben.“ „Okay“, antwortete Dean, blieb aber, solange sie auf dem Platz waren, penibel darauf bedacht, Sam, die einzige Konstante seines Lebens, nicht wieder aus den Augen zu verlieren. „Können wir das mal wieder machen?“, fragte Dean, als sie die Schläger wieder abgaben. „Hat es dir Spaß gemacht?“, fragte Jody. „Ich denke schon. Es war ganz gut.“ „Dann machen wir es wieder.“ Kapitel 244: Von Suchen und Finden und einem Supermarkt ------------------------------------------------------- 244) Vom Suchen und Finden und einem Supermarkt Wieder zurück auf dem Schrottplatz zeigte Jody Dean wie er die Hähnchenstücke frittieren musste, während sie das Maisbrot noch einmal in den Ofen schob und den Salat zubereitete. Nach dem Essen verzog sich Dean nach oben. Er war müde. Schon auf dem Weg vom Minigolf zurück zum Schrottplatz waren ihm immer wieder die Augen zugefallen. So viel Neues wie heute hatte er wohl noch nie erlebt. Bobby schaute ihm hinterher, bevor er sich an Sam wandte. „Habt ihr im Krankenhaus mit ihm das Deuten von Gesichtsausdrücken geübt?“ „Wer ist ihr?“ Sam schaute ihn irritiert an „Die Therapeuten oder du?“ „Nicht das ich wüsste, warum?“ „Er klammert sich an dich.“ „Das hat doch damit nichts zu tun, oder?“ „Nein, aber vielleicht hängt das Klammern damit zusammen. Er ...“ Bobby kratzte sich am Kopf. „Egal wie freundlich oder beruhigend ich versucht habe ihn anzuschauen, er reagierte immer gleich. Ich denke es wäre sehr wichtig, dass er das kann, wenn er später mehr rausgeht.“ „Das ist eine gute Idee“, stimmte Jody ihrem Partner zu. „Mir ist auch schon aufgefallen, dass Dean nicht auf die Mimik seines Gegenübers eingeht. Allerdings glaube ich nicht, dass das Klammern damit zusammenhängt.“ „Woran dann?“, fragte Sam besorgt. Er hatte sich auf dieses Verhalten seines Bruders noch keinen Reim machen können. Eigentlich hatte es ihn nicht mal sehr beunruhigt. Er war immer dagewesen, seit Dean aufgewacht war. Er war ihm vertraut. Dass etwas anderes dahinterstecken könnte, wurde ihm erst jetzt klar. „Kleinkinder haben diese Phasen. Solange ihre Bezugspersonen da sind, sind sie offen und fröhlich, wenn die aber plötzlich weg sind, werden sie ängstlich.“ Sie wehrte Sam mit einer Handbewegung ab. Der Winchester hatte gerade tief Luft geholt, um ihr energisch entgegenhalten zu können. „Dean ist kein Kleinkind, ja, aber irgendwie ist er es doch. Er kann vieles, was ein Kleinkind nicht kann! Seine Erfahrungen sind aber genau auf diesem Stand und das sollten wir mit berücksichtigen.“ „Oh man!“, stöhnte Sam. „Ich dachte hier wird es einfacher für uns. War wohl nichts!“ „Wir sind drei“, versuchte Bobby ihnen Mut zu machen. „Drei, die sich um ihn kümmern und ihn unterrichten können.“ Sam grinste gequält, nickte dann aber. Ja, sie waren drei. Drei, denen mehr Probleme auffielen als einem. „Machen wir erst mal so weiter wie heute? Allerdings sollte er unbedingt mehr unter Menschen.“ Jody blickte von Sam zu Bobby und wieder zurück. „Dean wird weiter lernen wollen. Er hat sich im Krankenhaus so in das Pauken gestürzt. Das wird er nicht aufgeben wollen.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, es gibt ihm Sicherheit.“ „Und es füllt die Leere in seinem Kopf“, vermutete Bobby. Sam nickte. „Das wohl auch.“ „Okay“, versuchte Jody zusammenzufassen. „Er will lernen: Ich würde ihn gerne weiter in der Küche und im Haus mit einbeziehen.“ „Er sollte weiter fahren üben und ich denke wenn er mir beim Schrauben hilft, trainiert das seine Feinmotorik“, warf Bobby ein. „Und wir müssen ihn körperlich müde machen, sonst schläft er nicht“, gab Sam zu bedenken. „Oha, das ist ja mehr Stress als bei einem Kleinkind“, lachte Jody. „Er ist ja auch größer“, stellte Bobby trocken fest. Ein schiefes Grinsen huschte über Sams Gesicht. „Okay, Jody, wann hast du morgen frei?“ „Ich hab Frühschicht. Ich denke so gegen zwei sollte ich hier sein.“ „Gut, dann lass ich Dean bis zwölf lernen. Danach könnte er mit Bobby das Autofahren üben.“ „Und danach nehme ich ihn mit zum Einkaufen und wir machen das Essen zusammen“, fügte Jody an. „Nach dem Essen könnte er dir helfen?“, wandte sich Sam an den alten Freund. „Ja, ich denke ich hab was für ihn.“ „Und zu guter Letzt jogge ich ein paar Runden mit ihm um die Wracks. Oder wir laufen zu dem kleinen Wäldchen und machen beim Parcours eine Bestandsaufnahme. Und morgen Abend sehen wir weiter.“ „Okay“, nickte Bobby. „Und jetzt lasst uns zum gemütlichen Teil des Abends übergehen.“ Bobby erhob sich und holte noch drei Bier aus dem Kühlschrank und während er es sich mit Jody auf der Couch gemütlich machte, holte sich Sam seinen Laptop, um etwas mehr über die Erkennung der menschlichen Mimik zu erfahren. Sein erster Weg, am nächsten Morgen, führte Sam in das Zimmer seines Bruders. Resigniert stellte er fest, dass der wohl wieder nicht viel geschlafen hatte. Immerhin hatte er sich nicht schon den neuen Lernstoff genommen, sondern las Puh-Bär. Wenigstens etwas, dass er mit seinem alten Leben gemein hatte. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Bist du schon lange wach?“, fragte er trotzdem, kaum dass Dean sich die Kopfhörer aus den Ohren gezogen hatte. Dean nickte nur. „Ich gehe schnell ins Bad und dann kannst du dich fertig machen“, sagte er und drehte sich um, um seine Aussage in die Tat umzusetzen. Dean las das Kapitel noch zu Ende, bevor er sich seine Kleidung zusammensuchte, um dann, gleich nachdem Sam an seine Tür geklopft hatte, ebenfalls ins Bad zu gehen. „Was machen wir heute?“, wollte Dean beim Frühstück wissen. „Darf ich wieder lernen?“ „Du lernst nicht nur aus den Büchern, Dean. Du lernst auch wenn du mit Bobby schraubst oder mit Jody in der Küche arbeitest. Das ist auch Lernen!“, erklärte Sam ruhig. „Aber ja. Wir gehen nachher hoch und stecken unsere Nasen bis zwölf in den Schulstoff. Danach übt Bobby mit dir Autofahren und ich denke, ihr werdet auch wieder am Auto schrauben.“ „Warum schraubst du nicht an Autos?“ „Jeder Mensch hat andere Stärken“, erklärte Sam nach kurzem Überlegen. „Bobby und du, ihr habt immer gerne an Autos geschraubt. Ich arbeite lieber am Computer oder bringe euch Kaffee. Bei den Autos mache ich eher etwas kaputt, als das ich es repariere. Außerdem will ich den Stoff für Morgen zusammenstellen.“ „Okay“, nickte Dean. Er hätte lieber weiter in seinem Zimmer gelernt, aber das stand hier wohl nicht zur Debatte. Außerdem verstand er noch nicht so ganz wieso er bei Bobby lernte. Der zeigte ihm doch nur was er machen sollte! Jody kam, wie von ihr angekündigt, kurz nach zwei zurück. Sie parkte ihren Wagen und ihr Blick fiel, wie schon am Tag zuvor auf die beiden wohlgeformten Hinterteile der Männer, die im Motorraum des alten Wagens hingen. Sie stieg aus und ging zu ihnen. „Wie sieht´s aus? Kann ich dir Dean entführen?“ Die Männer richteten sich auf. Bobby schaute zu Dean und nickte. „Ich denke schon.“ „Wie war das Autofahren?“, wollte sie von dem Winchester wissen. „Ganz gut.“ „Sei mal nicht so bescheiden“, grummelte Bobby gutmütig. „Sag nicht, ich kann ihn alleine einkaufen schicken“, wollte sie freudig überrascht wissen. „Heute noch nicht. Aber wenn er in dem Tempo weiter macht, kann er übernächste Woche alleine in die Stadt.“ „Nicht schlecht Dean. Du lernst wirklich schnell!“, lobte sie. Deans Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Er nickte kurz und lief dann ins Haus, um sich zu waschen. Nach einem Kuss folgte ihm Jody. Sie ging nach oben und klopfte an Sams Tür. „Hey“, grüßte sie. „Ich will gleich mit Dean einkaufen fahren. Ist er immer noch das Leckermaul?“ „Ja. Schokolade liebt er und Eis. Ein paar Sorten haben wir schon probiert. Schoko, Zitrone, Vanille.“ „Wie ist es mit Obst? Ich wollte Pfirsiche mitbringen und Erdbeeren. Vielleicht auch Himbeeren, mal sehen, was sie haben.“ „Das wäre gut. Das hatten wir noch nicht. Er kennt Zitrone, Orange, Apfel.“ Dean kam nun ebenfalls ins Zimmer. „Bin fertig“, sagte er und schaute fast flehentlich zu Sam, der seine Übungsblätter von heute morgen vor sich hatte. „Dann können wir ja los“, freute sich Jody. „Ich wünsche euch viel Spaß“, erwiderte Sam und ermordete so Deans stille Hoffnung hier bleiben und weiter lernen zu können. Der nickte daraufhin nur und folgte Jody langsam zum Wagen. Als Jody auf den Parkplatz des Supermarktes fuhr, schaute Dean sich um. Hier standen jede Menge Autos auf dem Parkplatz. Waren die alle einkaufen? Passten die alle in das Gebäude? Sie stiegen aus und Jody holte einen Einkaufswagen. „So“, sagte sie kaum dass sie den Supermarkt betreten hatten und drückte ihm den Zettel in die Hand. „Ich schiebe und du sagst was wir brauchen und wohin wir müssen.“ „Woher soll ich denn wissen wo was liegt?“, ratlos schaute er sie an. „Schau“, sie zeigte nach oben, „über den Gängen hängen Schilder auf denen steht was es hier gibt. Du guckst auf den Zettel und entscheidest in welchem Gang es das gibt.“ Unschlüssig kaute Dean auf seiner Unterlippe. Das konnte er doch gar nicht. Woher sollte er denn wissen, was was war! „Versuch es einfach“, versuchte Jody ihm Mut zu machen. Wenn sie meinte! Dean nickte. Systematisch begann er den Zettel abzuarbeiten. Die ersten fünf Positionen führten sie kreuz und quer durch den Laden. Jody enthielt sich jeden Kommentars. Sie folgte nur Deans Anweisungen. Die sechste Position musste sie ihm allerdings erklären, da er sich unter passierten Tomaten nichts vorstellen konnte. Und dann landeten sie wieder fast am Eingang. Dean schüttelte den Kopf. Das musste doch auch anders gehen! Er schaute sich um und begann dann die Liste zu studieren. Nacheinander landete alles im Korb, was in seiner Sichtweite war, erst dann gingen sie weiter, bis sie die ganze Liste abgearbeitet hatten. An der Kasse legte Jody noch zwei Eis aufs Band und nahm eine Packung Zuckerstangen mit. Deans Blick lag fragend auf ihr. „Das Eis haben wir uns redlich verdient, oder?“ Er nickte sofort. Sie bezahlten, brachten die Einkaufstüten zum Wagen und lehnten sich dann an den Kotflügel. Genüsslich verzehrten sie ihr Eis. „Das Eis ist, glaube ich, Vanille“, stellte Dean fest und schaute fragend zu Jody. Sie nickte. „Aber was ist das drumrum?“ „Das ist weiße Schokolade.“ „Die schmeckt so ganz anders als Schokolade.“ „Bei der Produktion entziehen sie der Kakaomasse das Kakaopulver. Der Rest ist genauso.“ „Hm.“, überlegte der Winchester. „Schmeckt aber auch lecker.“ Viel zu schnell war die Schleckerei aufgegessen und Dean schaute unschlüssig auf das Holzstäbchen. „Heb den mal auf. Den kannst du nachher Bobby geben. Der findet diese Dinger ganz nützlich“, erklärte sie ihm. „Wofür?“ „Damit kann er wunderbar Fugendichtmasse glätten.“ „Fugendichtmasse?“ „Das zeigt er dir bestimmt bald, wenn ihr an einem Auto schraubt.“ Dean legte den Kopf schief. Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne, dann nickte er und steckte das Hölzchen in die Tasche. „Ich hab noch was für dich“, sagte Jody und reichte ihm die Packung Zuckerstangen. „Das ist ein Dankeschön, weil du das heute so gut gemacht hast. Vielleicht magst du die ja immer noch so gerne wie früher.“ „Die hab ich gemocht?“ Dean riss die Packung auf und schob sich eine Stange in den Mund. Sofort begann er sie zwischen seinen Zähnen zu zermahlen. „Sagte jedenfalls dein Bruder. Und? Schmecken sie?“ „Süß!“, erklärte er und leckte sich die Lippen. „Du kannst sie auch lutschen“, grinste Jody, „dann hast du mehr davon.“ „Okay?“, überlegte Dean. Er nahm die zweite Stange heraus und folgte ihrem Vorschlag. Kapitel 245: Der erste Erinnerung war eine Gute? ------------------------------------------------ 245) Der erste Erinnerung war eine Gute? Bis sie wieder auf dem Schrottplatz waren, lutschte Dean genüsslich an dem Zuckerstück. „Wirklich gut!“ Er schaute zu Jody und nickte. „Danke!“ „Gern geschehen.“ Sie freute sich, ihm diese kleine Freude gemacht zu haben. Gemeinsam brachte sie ihre Einkäufe in die Küche. „Und wie war´s?“, wollte Bobby wissen. „Ohne Dean hätte ich den Kakao nie gefunden“, erklärte sie mit einem Grinsen. „Woher weißt du wo der Kakao ist?“, wollte Bobby irritiert wissen und erntete ein ratloses Schulterzucken von dem Jungen. „Ich weiß es nicht!“ „Ich habe ihm den Zettel in die Hand gedrückt und ihn machen lassen. Er hat begonnen ihn von oben nach unten abzuarbeiten. Allerdings habe ich aufgeschrieben was fehlt wie es mir einfiel und nicht wie die Regale stehen. Wir sind kreuz und quer durch den Laden gelaufen. Dabei hab ich den Kakao bei den Backzutaten stehen sehen. Als wir nach fünf Artikeln wieder am Eingang angekommen waren, hat Dean begonnen den Zettel zu durchsuchen, während wir langsam weitergingen.“ Sie lächelte den Winchester warm an. „Und wozu brauchst du Kakao? Die Maschine kocht doch welchen.“ Bobby kratzte sich am Kinn. „Ich wollte mal wieder richtigen kochen“, erklärte sie und holte einen Topf aus dem Schrank. „Willst du auch einen?“, wandte sie sich an Dean. „Wie schmeckt der?“ „Intensiver und nicht so süß. Aber du kannst auch Zucker reinmachen“, beschwichtigte sie, kaum dass sie das Fragezeichen auf seinem Gesicht sah. Dean zuckte mit den Schultern. „Ich nehme einen.“ „Und du, Bobby?“ „Warum nicht“, überlegte der. „Das letzte Mal, dass ich einen richtigen Kakao getrunken habe, ist schon so lange her, dass es schon gar nicht mehr wahr ist. Und du Sam?“ „Was ist mit mir?“, wollte der wissen. Er kam gerade aus dem Büro und rieb sich seinen schmerzenden Nacken. „Möchtest du einen echten Kakao?“, fragte Jody. „Ich kann mich nicht erinnern jemals einen getrunken zu haben.“ „Na dann.“ Jody füllte reichlich Milch in den Topf und kochte Kakao für alle. Während sie, wenige Minuten später, ihr heißes, leicht bitteres Getränk genossen, überlegten sie, was sie heute noch machen wollten. „Ihr könntet mal den Grill vorbereiten“, schlug Jody vor. „Wir haben Spareribs mitgebracht.“ Darum ließen sich Sam und Bobby nicht zweimal bitten. Der nächste Morgen machte ihnen einen Strich durch die vorabendliche Tagesplanung. In der Nacht hatte Regen eingesetzt, der bis in den Nachmittag hinein auch nicht weniger wurde. Überall auf dem Schrottplatz standen große Pfützen. Selbst Bobby hatte sich nach dem Frühstück in seinem Büro verkrochen. Wie üblich lernte Sam bis zum Mittag mit seinem Bruder. Danach hätte Dean nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn er sich auch weiter hinter seinen Büchern hätte verkriechen dürfen, doch Jody machte ihm einen Strich durch diese Rechnung, indem sie ihn und Sam im Haus beschäftigte. Sie hatte ihren freien Tag und sich für diesen einen Haushaltstag verordnet. Die Fenster mussten geputzt und die Gardinen endlich mal wieder gewaschen werden. Soweit war sie am Vormittag schon gekommen und so spannte sie die Brüder jetzt zum Aufhängen ein und fand auch noch andere Tätigkeiten, zu denen sie diese unerwartete Hilfe gut gebrauchen konnte. Dafür belohnte sie die Jungs mit frisch gebackenen Waffeln mit Erdbeeren und Schlagsahne, die Dean sofort zu seinem Lieblingsessen ernannte und um einen Nachschlag bat, den er auch bekam. In den folgenden Wochen wurde Dean vor allem im Kreis seiner Familie immer offener und gelöster. Das Gesichtererkennungstraining brachte ihn einen großen Schritt weiter. Bobby hatte seine Fahrschule geschlossen und Dean fuhr hin und wieder schon alleine für Jody einkaufen. Nach wie vor paukte er vormittags mit Sam und half nachmittags Bobby bei den Wagen oder Jody im Haushalt. Diese Schrauberei tat seinen Hände wirklich gut. Er hatte kaum noch Probleme, selbst mit den kleinsten, feinsten Dingen nicht mehr. Anders sah es mit Mr. Singer aus. Da war etwas. Etwas das er nicht benennen konnte, aber er hatte … er wusste nicht genau wie sie sich anfühlte, aber er hatte Angst? Er fühlte sich wie erstarrt. Wie das Kaninchen vor der Schlange, aber trotzdem auch sicher und solange er diese zwiespältigen Gefühle hatte, wollte er sich an Sam halten. Sam fühlte sich hier gut also würde er weiter abwarten und lernen. Vielleicht würde er sich hier ja doch noch so wohl fühlen wie im Krankenhaus. Jeden Abend scheuchten sich die Brüder inzwischen gegenseitig über den neu aufgebauten Parcours in dem kleinen Wäldchen. Deans Kondition verbesserte sich langsam aber stetig. Außerdem versuchte er sich an die Schlafenszeiten zu halten, die Sam als normal vorgegeben hatte, doch es gelang ihm nicht wirklich. Einmal in der Woche fuhren sie gemeinsam Minigolf spielen und jede Woche hatte Sam eine neue Überraschung für ihn. So waren sie im Kino und hatten sich Robin Hood angeschaut. Dean war Feuer und Flamme und musste sich im nächsten Buchladen auch gleich noch ein Buch über Robin Hood kaufen. Sie hatten einen Kletterpark besucht, etwas, das Dean nicht so behagt hatte. Die Höhe an sich war nicht das Problem gewesen, die schwankenden Seile und Stege bereiteten ihm allerdings Probleme, was Sam zum Grinsen brachte, war Deans Flugangst wohl doch tiefer gehend. Heute stand wieder so ein Überraschungsnachmittag an. Dean versuchte schon seit gestern seinem Bruder das Ziel zu entlocken, doch Sam schwieg eisern. Einerseits wollte er ihm die Überraschung nicht verderben, andererseits hatte er keine richtige Vorstellung von dem Ort. Er hatte nur im Internet gelesen, dass es in der Nähe einen Trampolinpark gab. In der riesigen Halle sollte es über dreißig miteinander verbunden Trampoline geben. Außerdem einen Hindernisparcours wie bei den American Ninja Warriors, drehende Hindernisse und noch so einiges was im weitesten Sinne mit Trampolinen zu tun hatte. Er freute sich riesig darauf, Dean da so richtig müde machen zu können. Schon seit Tagen bemerkte er, dass Dean die Nächte wieder zum Tag machte. War es immer noch der Wissensdurst? War es dieser innere Zwang alles Vergessene so schnell wie möglich wieder aufzuholen? War es etwas anderes? Noch wollte er seinen Bruder in dem Glauben lassen, dass es ihm nicht auffiel. Noch wollte er selbst glauben, dass es nur vorübergehend war. Egal! Heute wollte er sich nicht weiter mit dieser Frage quälen. Heute wollte er Dean auf den Trampolinen müde machen. Über alles Andere wollte er sich morgen Gedanken machen. „Ist es das, wohin ihr heute wolltet?“, fragte Bobby gerade und deutete auf den Bildschirm, Sam nickte. Er hatte sich noch einmal den Weg zu der Halle angesehen. „Ja. Ich bin selber richtig aufgeregt was uns da erwartet“, gab er zu. „Es sieht auf jeden Fall anstrengend aus.“ „Das hoffe ich doch.“ Sam lachte. Gerade als er das Bild wieder weggeklickt hatte, klopfte es an der Tür. „Ja?“, rief Bobby laut und Dean trat ein. „Jody fragt, ob ihr auch einen Kakao wollt.“ Sie hatten es schnell zur liebgewonnenen Gewohnheit werden lassen, dass Jody nachmittags richtigen Kakao kochte. Meistens gab es dazu etwas Süßes, das sie am Vortag gebacken hatte. „Wir kommen gleich“, nickte der Jäger, „und frag sie mal, ob noch etwas von den Brownies von gestern übrig ist.“ „Ich werde sie fragen, Sir“, antwortete Dean. Bobby biss die Zähne zusammen und schnaufte. Warum fiel es dem Jungen nur so schwer bei ihm dieses verdammte „Sir“ wegzulassen? Er schluckte. Wenigstens Jody sprach er inzwischen mit ihrem Namen an. „Dean“, versuchte Sam wieder einmal zu intervenieren, bevor sein Bruder das Büro verlassen konnte. Doch der war schon verschwunden. Und auch Bobby hielt ihn zurück. „Lass ihn, Sam. Wenn es ihm hilft mit der Welt klarzukommen, werde ich es ertragen können.“ „Aber es tut dir weh!“ Bobby erhob sich. Er umfasste Sams Oberarme und auch wenn es komisch war, dass er zu dem Jungen aufsehen musste, er schaute ihm fest in die Augen. „Wir bekommen Dean zurück!“ „Ich weiß nicht ... Es ist jetzt schon so lange her und ...“ „Wir bekommen Dean zurück!“ Sam brauchte eine Weile bis er nicken konnte. „Ja“, krächzte er mit Tränen in den Augen. Bobby zog den Jungen fest an sich und umarmte ihn. So konnten sie sich gegenseitig den Halt geben, den sie gerade brauchten. Es dauerte eine Weile, bis sie sich trennten. „Ja,“ wiederholte Sam so fest er nur konnte. „Wir bekommen unseren Dean wieder!“ Noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn es mit jedem Tag ein Bisschen schwieriger wurde daran zu glauben. Bobby straffte sich. „Lass uns zusehen, dass wir in die Küche kommen, bevor uns Dean den Kakao alleine austrinkt.“ Er lief zur Tür. „Du hast doch nur um die Brownies Angst“, stichelte Sam. „Na du doch auch, so wie du gestern zugeschlagen hast.“ Ertappt grinste Sam. Er hielt die Tür auf und ließ dem alten Freund den Vortritt. Gestärkt machten sich die Brüder wenig später auf den Weg. „Jetzt sag schon wohin wir heute fahren“, quengelte Dean auf dem Beifahrersitz. „Das wirst du schon noch früh genug sehen“, erklärte Sam und konzentrierte sich auf die Straße. Endlich parkte Sam vor einer großen Halle. „Was ist ein Trampolin?“, fragte Dean und blickte ratlos auf die große Reklametafel, die so gar nicht aussagekräftig war. „Ein Ding auf dem man herumspringen kann“, erklärte Sam. „Es schult die Motorik und den Gleichgewichtssinn.“ Dean verzog das Gesicht. Das klang jetzt aber nicht so lustig! Bislang hatten ihm Sams Überraschungen immer Spaß gemacht. Hier war er davon nicht überzeugt. „Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Es wird dir gefallen, da bin ich mir sicher!“ Wirklich überzeugt war Dean nicht, als er ausstieg und Sam zum Eingang folgte. Aber Sam war hier und sam sagte, dass es Spaß machen würde. Bislang hatte Sam immer Recht gehabt, wenn er den Spaß auch manchmal erst beim zweiten oder dritten mal wirklich entdeckte. Außerdem war Sam seine Konstante. Bei ihm fühlte er sich sicher, bei ihm ging es ihm gut. „Sie waren schon einmal bei uns?“, fragte der junge Mann an der Kasse während Sam zahlte. „Nein.“ „Dann warten sie bitte hier“, er wies auf den kleinen Sitzbereich neben der Kasse. „Ein Kollege wird gleich kommen und sie einweisen. Ein paar Sicherheitsregeln sind hier zu beachten. Danach wünsche ich ihnen viel Spaß.“ „Danke“, erwiderte Sam und ging mit seinem Bruder in den angewiesenen Bereich. Sie mussten nicht lange warten. Schon bald kam ein Mitarbeiter und erklärte ihnen alles. Gleich darauf konnten sie starten. So anstrengend hätte Sam sich das bisschen Hopsen nicht vorgestellt. Er hatte sich immer als gut durchtrainiert und mit genügend Kondition gesehen, doch hier wurde er eines Besseren belehrt. Schon nach zwanzig Minuten war ihm klar, dass ihnen eine Stunde auch gereicht hätte, um sich auszupowern. Dean hatte es langsam angehen lassen. Er wollte erst einmal sehen, wie das hier genau ging, doch nachdem er erst begonnen hatte, macht es ihm viel zu viel Spaß und er sprang und übte immer wieder Saltos zu schlagen. Vollkommen fertig setzte er sich eine Stunde später neben Sam an einen Tisch in dem kleinen Bistrobereich. In aller Ruhe genossen sie ein paar Sandwiches und schauten den anderen Springern zu, bis sie sich wieder erholt hatten, um ihre zweite Stunde in Angriff zu nehmen. Dieses Mal versuchten sie sich an den Hindernisparcours. Müde schlichen sie, kaum dass sie abends wieder bei Bobby waren, in ihre Betten und hatten am nächsten Tag den herrlichsten Muskelkater. Gut, dass es Jody und Bobby gab, von denen sie verwöhnt werden konnten. Kapitel 246: Schlafmartyrium ---------------------------- 246) Schlafmartyrium Die Tage vergingen und Dean fand sich langsam in diese Familie, in dieses Leben hier und doch ... Noch etwas verschlafen kam Sam aus seinem Zimmer. Gestern hatte ein Gewitterguss ihren abendlichen Hindernislauf beendet. Bis sie ihm Haus waren, waren sie vollkommen durchgeweicht. Gut dass es zwei Badezimmer gab. Freiwillig hätte keiner von ihnen dem Andere den Vortritt gelassen. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und blieb abrupt stehen. Fast wäre er in seinen Bruder gelaufen. Warum stand der denn hier wie angewurzelt? „Dean?“, fragte er leise und legte ihm die Hand auf die Schulter. Erschrocken zuckte der Ältere zusammen. Er blinzelte ein paar Mal bevor er Sam ratlos anschaute. „Was ist los?“, wollte der leise wissen. „Ich ... da ...“ Dean schüttelte den Kopf. „Du kannst es ruhig sagen, ich werde dir weder den Kopf abreißen noch dich auslachen. Hier wird das niemand tun!“ „Ich hab ...“ begann Dean zögerlich und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Da war ein rundes Ding, bunt und es schien zu leuchten, irgendwie. Aber hier ist nichts!“ Verzweifelt schaute er zu seinem Bruder. Sam runzelte die Stirn. Rund? Bunt? „Das Fenster“, platzte er hervor. „Du erinnerst dich an das Fenster!“ Voller Freude knuffte er Dean in die Schulter. Die erste Erinnerung! Wenn das kein Grund zur Freude war! Er wollte seinen Bruder umarmen, doch das ließ er lieber. Vielleicht war Dean ja schon wieder sein Dean? „Welches Fenster?“, wollte der Ältere wissen. ‚Okay, noch nicht wieder Dean!‘ Er schluckte die Enttäuschung darüber, dass seine kurz aufgekeimte Euphorie sofort wieder ausgebremst worden wa,r hinunter. „Hinter dieser Wand“, er zeigte auf die Wand zwischen seinem und Bobbys Schlafzimmer, „war früher kein Raum. Der Flur ging bis nach hinten zur Hauswand und an der ist ein rundes, buntes Glasfenster. Beim Umbau haben wir einen großen Schrank aus dem ungenutzten Raum gemacht.“ Dean schaute weiterhin unschlüssig auf die Wand. „Komm mit runter in Bobbys Büro. Ich zeig dir die alten Fotos.“ „Jetzt? So?“ Sam schaute an sich herunter. Auch er stand noch im Schlafzeug da. „Klar, warum nicht? Wir sind hier zuhause!“ Gemeinsam gingen sie in das Büro und Sam kramte die alten Fotos hervor, die sie vor dem Umbau gemacht hatten. Dean schaute eine Weile auf eines der Bilder, auf denen das Fenster zu sehen war. Die Sonne stand wohl genau dahinter, so dass es wie hinterleuchtet wirkte. „War es das, was du gesehen hast?“, fragte Sam. „Denke schon“, antwortete der monoton und nickte kurz. „Dean, das ist ein Grund zur Freude! Das ist die erst Erinnerung! Jetzt guck doch nicht so bedröppelt.“ Dean zuckte mit den Schultern, dann versuchte er ein Lächeln und nicke. Vielleicht war es ja wirklich ein Anfang. Gemeinsam gingen sie wieder nach oben und zogen sich an. Es war tatsächlich ein Anfang. Allerdings ein sehr harmloser, dem das dicke Ende schon bald folgte. Die tage schlichen dahin und Dean, Dean ... „Guten Morgen“, grüßte Sam Bobby, der gerade dabei war Pfannkuchen zu machen, und ging dann zur Kaffeemaschine, um sich einen Kaffee Latte zu kochen. „Kommt Dean auch gleich?“, wollte der ältere Jäger wissen, während er eine weitere Kelle Teig in die Pfanne gab. „Ich dachte eigentlich, dass er schon hier wäre.“ Sam schaute fragend zu dem Freund. „Ich hab ihn heute Morgen auch noch nicht gehört“, überlegte Bobby. „Aber vielleicht schläft er sich auch endlich mal wieder aus. Er sah in den letzten Tage schlecht aus, schlechter als sonst.“ „Wenn Dean Dean wäre, dann wäre es ja normal, dass er lange schläft, aber Dean ist eben nicht Dean und dieser Dean würde doch nie eine Möglichkeit auslassen, etwas zu lernen!“, stellte Sam traurig fest und schüttelte den Kopf. Er setzte seinen Kaffee auf den Tisch. „Ich gehe mal hoch und schau nach.“ „Du machst dir Sorgen?“ „Ja, irgendwie schon. Ich fand ihn in den letzten Tagen sehr einsilbig.“ Sam schaute fragend zu dem alten Freund. „Ich weiß einfach nicht ...“ Er ging nach oben, klopfte kurz und betrat dann das Zimmer seines Bruders. „Dean?“, fragte er und musterte ihn irritiert. Dean hockte auf seiner Couch. Er hatte den Quilt um sich gewickelt und ein Buch auf den Knien. Doch wenn er dessen Blick richtig deutete, war das wohl eher Fassade. Eine offene CD-Hülle lag auf dem Tisch aber er hörte keine Musik. Deans Haut war selbst in dem Licht hier fahl und er hatte dicke Ringe unter den Augen. Was war hier passiert? Noch einmal musterte er seinen Bruder eindringlich. Zitterte er? Mit zwei großen Schritten war er neben ihm. Er schob den Tisch etwas zur Seite und legte das Buch auf den Tisch, bevor er sich neben ihn kniete. „Was ist los, Dean?“, fragte er leise und legte ihm die Hand auf den Arm. Dean reagierte nicht. Also nahm Sam dessen Gesicht in seine Hände und drehte es langsam zu sich, so dass er ihn ansehen musste. Er fühlte die kalte Haut unter seinen Fingern und er fühlte das Zittern. „Bitte Dean!“, versuchte er es noch einmal eindringlicher. Dieses Mal schüttelte der wenigstens den Kopf. „Okay“, begann Sam und stand auf. Wenn es so nicht ging, dann eben anders. „Ich lasse dir ein Bad ein, damit du dich aufwärmen kannst. Danach gehen wir in die Küche frühstücken und dann legst du dich hin und schläfst noch ein bisschen.“ „Nicht schlafen“, wisperte Dean und zuckte zurück. Sofort horchte Sam auf. Was lief hier? Waren Deans Augenringe nicht nur auf seine Lernwut zurückzuführen? Hatten sie nicht bemerkt, dass er … ja was eigentlich? Warum schlief Dean schlecht? Warum wollte er nicht schlafen? „Was ist los, Dean? Warum willst du nicht schlafen?“, fragte er ihn auch gleich. „Ich ...“, begann der, brach aber gleich wieder ab. Wie sollte er das denn erklären ohne ausgelacht zu werden? Sam seufzte. „Okay“, sagte er ruhig, „ dann zuerst die Wanne und was essen.“ Er erhob sich und wollte gehen. „Bleib … bitte“, wisperte Dean. „Ich will nicht alleine bleiben!“ Er schob seine Hand unter dem Quilt hervor und verflocht seine Finger mit Sams. „Auch gut, dann kommst du eben gleich mit.“ Er zog Dean in die Höhe und langsam hinter sich her. Bobby stand auf der Treppe und blickte fragend zu Sam. Der schüttelte kurz bedauernd den Kopf und verschwand mit seinem Bruder im Bad, wo er ihn auf den Toilettendeckel schob. Er drehte das Wasser auf, regelte es so warm, dass es noch angenehm war und gab etwas von Jodys Lavendel-Orangen-Badeöl hinein. Dann brachte er seinen Bruder dazu sich auszuziehen und in die Wanne zu steigen und als der sich im Wasser ausgestreckt hatte, wollte er das Bad verlassen. „Geh nicht!“, bat Dean sofort. „Ich hole dir nur frische Kleidung, dann bin ich wieder da, okay?“, fragte Sam und wunderte sich schon wieder warum Dean plötzlich so anhänglich war. „Okay“, wisperte der Ältere und schaute Sam hinterher. Erst als der wieder bei ihm stand, entspannte er sich wirklich. Die Wärme und der Duft taten ihr Übriges. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Nach dem Bad und einem verspäteten Frühstück wollte Sam seinen Bruder nach oben ins Bett bringen, doch Dean weigerte sich standhaft. „Warum legst du dich nicht hier unten auf die Couch? Sie ist zwar nicht so bequem wie dein Bett, aber für eine Weile wird es gehen“, schlug Bobby vor und Dean nahm, wider erwarten, sofort an. „Nicht weggehen!“, bat er Sam erneut. „Bin gleich wieder da“, antwortete der und holte sich schnell seinen Laptop und ein Buch und setzte sich in den Sessel gleich neben der Couch. Erst jetzt war Dean bereit sich hinzulegen. „Was ist los, Dean? Sagst du´s mir? Warum willst du nicht schlafen?“, fragte er leise. Dean kaute schweigend auf seiner Unterlippe herum. Konnte er es sagen? Würde Sam mit ihm schimpfen? Eigentlich hatte er das nie getan, auch nicht, als er dieses Fenster gesehen hatte, das gar nicht mehr da war. Er schluckte. „Da sind Dinger … nachts … Die haben Krallen oder Reißzähne, die … ich ...“, erschöpft brach er ab. Wie sollte er so was erklären? Er hatte doch nie Horrorfilme gesehen. Doch einmal, aber das war so schlimm, dass er nie wieder einen sehen wollte und daran hatte er sich gehalten. Sam seufzte. Er hatte sich immer gewünscht, dass Dean sich erinnern konnte, aber doch nicht gerade diese Erinnerungen! Wie sollte er ihm die erklären? ‚Oh entschuldige ich vergaß dir zu sagen, dass wir Monster jagen. Das was du siehst, sind solche Monster. Wir haben sie getötet! Und wir haben noch ganz andere Monster gejagt.‘ Nein! Das sollte so lange ein Geheimnis bleiben, wie sich Dean nicht vollständig erinnern konnte. Aber das half ihm jetzt nicht weiter! Also, was konnte er Dean sagen? Wie konnte er ihn beruhigen? „Seit wann siehst du die Monster?“, wollte er wissen. Vielleicht half ihm dieses Wissen ja schon? „Nach dem Horrorfilm hab ich davon geträumt. Aber das war nur einmal“, versuchte er sofort einzuschränken. „Und jetzt? Seit wann schläfst du nicht mehr?“ „Noch keine Woche“, gab Dean zu. „aber fast. Ich hab erst versucht es zu ignorieren, einfach nicht darüber nachzudenken. Sie kamen immer wieder. Seit drei Tagen versuche ich einfach nicht mehr zu schlafen.“ Er gähnte heftig. Sam schüttelte den Kopf. „Das war das Falscheste, was du tun konntest, Dean!“, erklärte er leise aber eindringlich. „Wenn du wieder schlecht träumst, wenn du wieder solche Albträume hast, kommst du zu mir. Sofort, ja?“ „Ich kann dich doch nicht jedes Mal wecken!“ „Doch kannst du. Wir haben frei. Wir müssen nirgendwohin. Selbst wenn du mich die halbe Nacht wachhalten würdest, ich kann ausschlafen. Also ja! Du kannst mich jedes Mal wecken. Und jetzt versuch zu schlafen, ja?“ Dean nickte müde. Ihm waren die Augen während Sams kleiner Ansprache schon immer wieder zugefallen. Jetzt schloss er sie … und riss sie sofort wieder auf. „Du bleibst aber da, ja?“, wollte er leise wissen. Er hatte Angst diesen Dingern ausgeliefert zu sein, wenn niemand da war, wenn er im Dunklen aufwachte. „Ich bleibe hier“, versprach Sam und legte seine Hand auf Deans Schulter. Mit einem Seufzer schlief der ältere Winchester ein. Sam schaute beunruhigt zu Bobby, der die ganze Zeit in der Küchentür gestanden und zugehört hatte. „Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass er nachts wieder gelernt hat. Einiges von dem Schulstoff ist ihm nicht mehr ganz so leicht gefallen wie vorher. Mir ist nicht mal im Traum eingefallen, dass er sich mit so was rumschlagen muss. Wieso habe ich ihn nicht schon eher gefragt? Wieso bin ich einfach darüber hinweg gegangen, dass er so schlecht aussieht?“ „Wie haben es auch nicht sehen wollen, Sam. Wer konnte auch damit rechnen?“ „Ich habe mir so sehr gewünscht dass er sich wieder erinnert. Warum muss es das sein? Warum kann er sich nicht an die schönen Dinge erinnern?“ „So kommen wir nicht weiter“, unterbrach der alte Jäger Sams Selbstvorwürfe. „Lass uns lieber darüber nachdenken wie wir Dean dauerhaft helfen können.“ „Was willst du denn ändern? Soll er dauerhaft bei mir schlafen? Willst du ihm unser Leben erzählen? Soll ich ihm Johns und Samuel Campbells Tagebücher zum Lesen geben?“, Sam zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich habe wirklich keine Ahnung wie wir ihm hier helfen könnten. Daran dass er nicht müde genug ist, liegt es jedenfalls nicht. Wir sind in der Woche drei Abende über den Parcours gehetzt, anders kann man das nicht mehr ausdrücken. Dean war so müde, dass er sofort ins Bett gegangen ist.“ „Geistig ausgelastet ist er auch. Er lernt, liest. Jody und ich beschäftigen ihn.“ Auch ihm fiel so schnell nichts ein, womit sie Dean helfen konnten ohne ihm sein vergangenes Leben zu präsentieren. „Ich will erst mal sehen, woher diese Monster plötzlich kommen. Vielleicht gibt es ja einen Auslöser. Wenn es allerdings wirklich nur Erinnerungen sind, wenn sein Gedächtnis nur das freigibt werde ich ihm die Tagebücher geben. Dann müssen wir es auf die harte Tour machen und hoffen, dass er das gesund übersteht.“ „Gut, warten wir noch, auch wenn ich inzwischen der Meinung bin, dass wir es ihm erzählen sollten. Sieh ihn dir doch an, schlimmer kann es ihm danach auch nicht gehen!“ „Nicht schlimmer? Was wenn er das nicht verkraftet? Was wenn er an sich zweifelt? Was wenn er … was wenn wir ihn in eine Psychiatrie bringen müssten? Es sind auch Jäger schon an diesem Wissen zerbrochen. Wir sind damit aufgewachsen, aber selbst du und Dad habt erst nach und nach herausgefunden was es auf der Welt alles Böses gibt.“ „Du hast ja Recht“, wehrte Bobby ab. Er schob seine Kappe nach hinten, kratzte sich am Kopf und setzte sie sich wieder richtig auf. „Trotzdem habe ich dabei Bauschmerzen!“ Sam nickte. Er schaute zu dem alten Jäger auf und versuchte es mit seinem Hundeblick. „Bitte lass es uns erst so versuchen, bevor wir ihm die ganze Wahrheit mit dem Holzhammer einprügeln.“ „Du kannst deinen Dackelblick einpacken, Sam. Der funktioniert vielleicht bei Dean, bei mir nicht!“ Trotzdem drehte er sich um und verschwand durch die Verandatür. Wohin er wollte, sagte er nicht, aber Sam vermutete, dass er in seine Werkstatt ging und an irgendeinem Auto schraubte. Heldenhaft unterdrückte er ein Grinsen und wandte sich nun endlich seinem Buch zu. Kapitel 247: Die Ursache der Albträume -------------------------------------- 247) Die Ursache der Albträume Dean schlief ein paar Stunden. Jedes Mal wenn er unruhig wurde, legte Sam ihm die Hand auf die Schulter und er beruhigte sich, ohne aufzuwachen. Leider riss Jody ihn am Nachmittag aus dem Schlaf, weil ihr eine Pfanne aus der Hand glitt und auf den Boden polterte. Dean setzte sich auf. Er streckte sich und schaute zu Sam. „Besser?“, fragte der Jüngere. „Bis auf die abrupte Unterbrechung? Ja. Besser. Danke“, antwortete er mit rauer Stimme und gähnte. Auch wenn eine allgemeine, unterschwellige gespannte Erwartung im Haus fühlbar war, die bis zur Schlafenszeit immer weiter anstieg, versuchten Sam und Bobby doch so viel Ruhe und Hoffnung wie möglich auszustrahlen. Die Nacht hielt nichts davon. Keine zwei Stunden nachdem Dean ins Bett gegangen war, weckte er Sam. Die folgende Nacht verlief ähnlich schlecht. Daraufhin beschloss Sam, dass sie in einem Zimmer schlafen würden. Zwei Nächte versuchten sie es in Deans Zimmer, in den zwei Nächten danach in Sams und in der folgenden Nacht weigerte sich Dean überhaupt nach oben zu gehen. Er konnte nicht mehr. Tagsüber konnte er im Wohnzimmer zwar schlafen, von den Albträumen blieb er aber auch da nicht komplett verschont. „Bitte Dean, diese Nacht noch! Morgen überlege ich mir etwas, okay?“, versuchte Sam seinen Bruder zu überreden. „Nein! Ich geh da nicht mehr rein!“ Vehement schüttelte Dean den Kopf. In seinen Augen glänzten Tränen. Er war am Ende und Bobby kurz davor die Tagebücher zu holen. Sam fuhr sich frustriert mit den Händen durch die Haare. Was jetzt? Wie konnte er Dean helfen? Wie konnte er mal wieder eine Nacht durchschlafen? Denn inzwischen fraß der Schlafmangel auch an seinen Reserven. Er schloss die Augen und atmete tief durch. „Warte hier“, platzte er plötzlich hervor und rannte nach oben. Wenige Minuten später kam er mit ihren Decken zurück. „Willst du hier unten schlafen? Das wird eng, die Couch reicht doch nur für einen von euch“, gab Bobby zu bedenken. „Nein, nicht hier im Haus. Mir ist eingefallen das Dean im Impala schlafen konnte, als wir hierher gefahren sind. Vielleicht klappt es ja auch wenn er steht?“ Ein hilfloses Lächeln huschte über Sams Gesicht. „Das ist auch nicht bequemer, oder?“, gab Jody zu bedenken. „Wir haben so oft im Impala geschlafen. Dean sagte immer Hotel Winchester. Sie hat keine 5 Sterne aber sie ist erstaunlich geräumig und gar nicht so unbequem.“ Bei dem „sie“ musste Bobby dann trotz der beklemmenden Stimmung lächeln. Hatte doch Sam Deans Bezeichnung für den Wagen inzwischen wohl auch verinnerlicht. „Bist du sicher?“, musste der Jäger trotzdem noch einmal fragen. „Das oder wir suchen uns ein Motel! So kann es nicht weitergehen!“ „Du musst es wissen, Sam“, gab sich der Jäger geschlagen. Dean schaute von einem zum anderen und verstand nicht so recht, worum es bei der Diskussion überhaupt ging. „Na komm“, sagte Sam und drückte ihm eine Decke in die Hände. Dean zuckte mit dem Schultern und folgte seinem Bruder schweigend. Immerhin ging der zur Tür und nicht zur Treppe. „Willst du vorne oder hinten?“, fragte Sam und deutete auf den Wagen. „Wo hab ich denn sonst geschlafen, wenn du sagst, dass wir das öfter gemacht haben?“ „Immer vorn, aber du musst nicht“, schränkte Sam sofort ein, als Dean nach der Beifahrertür griff. „Ich will aber, wenn ich dich schon zu einer unbequemen Nacht zwinge.“ „Du zwingst mich zu gar nichts, Dean! Du bist mein Bruder und du hast so viel für mich gemacht, so viel auf dich genommen und auf so vieles verzichtet, dass ich das, wollten wir es je aufrechnen, wohl mein Leben lang abzahlen müsste. Ich will das es dir gut geht und so bekommen wir vielleicht raus wie du wieder schlafen kannst.“ „Okay?“ Dean zuckte mit den Schultern. Er stieg ein und versuchte es sich so gemütlich wie möglich zu machen. Entgegen seiner Vermutung schlief er schnell ein und auch recht gut durch. „Guten Morgen“, begrüßte Bobby seine Jungs mit zwei dampfenden Tassen in der Hand, kaum dass sie durch die Küchentür traten. „Bringt eure Decken ins Wohnzimmer und dann wärmt euch erst mal auf. Die Nacht war doch recht frisch.“ „So kalt fand ich es gar nicht“, überlegte Dean, folgte aber den Anweisungen. „Tut mir leid, es ist nur Kakao aus der Maschine. Jody ist arbeiten“, entschuldigte sich der Jäger. „Kein Problem, Sir, der schmeckt auch.“ Bobby schluckte. Er lächelte etwas verkrampft. Damit würde er sich wohl abfinden müssen solange der Junge sich nicht erinnern konnte, wer er war. „Wie habt ihr geschlafen? Keine Albträume?“, erkundigte er sich. „Es war etwas unbequem“, antwortete Sam, „aber sonst?“ Fragend schaute er zu seinem Bruder. „Ich hatte keine Albträume, wenn es das ist, was du fragen wolltest“, erwiderte der ruhig. „Gut! Dann probieren wir das heute Nacht noch mal.“ „Erst mal solltet ihr aber heiß duschen sobald ihr ausgetrunken habt. Ich will nicht, dass ihr mir krank werdet“, wies Bobby sie an und beide nickten. Der Tag verlief ruhig. Genau wie die folgende Nacht. Dean schien im Impala wirklich ruhig schlafen zu können. Doch nach der dritten Nacht streikte Sam, oder eher sein Rücken. Er brauchte eine halbe Ewigkeit, um nach dem Aufstehen wieder in die Senkrechte zu kommen. „Ganz ehrlich, so sehr ich mich freue dass du ruhig schläfst“, begann er beim Frühstück, „noch eine Nacht halte ich das nicht durch. Mein Rücken bringt mich um!“ „Dann wollt ihr wieder in euren Zimmern schlafen?“, fragte Bobby ruhig. Dean erstarrte mitten in der Bewegung. „Nein, das will und kann ich Dean nicht antun.“ Sam schüttelte den Kopf und der Ältere atmete erleichtert aus. „Aber was dann?“ „Wir suchen uns ein Motel, in dem wir die Nächte verbringen. Es sei denn, du hast eine bessere Idee?“, fragend schaute er zu ihrem Ziehvater. „Von jetzt auf gleich nicht, aber ich werde mir was einfallen lassen. Wäre ja noch schöner, wenn ihr hier in einem Motel schlafen müsstet!“, grummelte der Jäger. „Ich finde es auch nicht gut, aber um Deans Willen“, beschwor Sam ihn. „Ich weiß schon. Das oder die Tagebücher.“ Sam nickte kurz. „Die lassen wir uns als allerletzte Option offen.“ Er hoffte, dass sie die nie hervorholen mussten. Von ihrem Leben so zu erfahren, hatte Dean nicht verdient. Entweder er erinnerte sich von selbst, oder er sollte das nie kennenlernen. Auch wenn dieser Dean kaum etwas mit dem alten Dean gemein hatte und er selbst die Nähe zu seinem Bruder mehr als nur ein wenig vermisste, so war er glücklicher! Zumindest würde er es irgendwann sein! Diese Hoffnung wollte er einfach nicht aufgeben! „Ich habe eine Wohnung gefunden“, begann Bobby beim Frühstück drei Tage nachdem die Brüder in ein Motel gezogen waren und die Erkenntnis, dass Deans Albträume wohl doch mit dem Haus zu tun hatten, sich immer mehr verfestigte. „Was haltet ihr davon, wenn wir nachher gleich losfahren?" Bobby trank einen Schluck Kaffee. „Du hast wirklich eine Wohnung gefunden?“, fragte Sam überrascht. In den vergangenen drei Tagen hatte er Internet und Zeitungen durchforstet, ohne jedoch auf ein brauchbares Angebot zu stoßen. Entweder waren sie zu teuer, oder erst in frühestens zwei Monaten verfügbar. Er warf einen Blick über den Rand seiner Tasse auf seinen Bruder. „Ihr sucht eine Wohnung?“, wollte Jody wissen. Sie war in den letzten Tagen fast nur zum Schlafen nach Hause gekommen und hatte nicht wirklich viel vom Leben ihrer Männer mitbekommen, da im Raum Siuox Falls eine Großfahndung nach drei jungen Männern ausgelöst worden war, die ihre Version von Bonnie und Clyde spielten. Sie überfielen Tankstellen und kleinere Geschäfte und hatten inzwischen auch schon zwei Menschen ermordet. Polizei und FBI arbeiteten hier zusammen und brauchten jeden verfügbaren Mann, um die Bande so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. „Ja, Deans Albträume scheinen mit dem Haus verknüpft zu sein“, antwortete Sam traurig. „Meine Wohnung hab ich letzten Monat gerade erst vermietet. Aber ich glaube im Haus ist eine Wohnung frei. Wenn ihr wollt? Anschauen ist bestimmt möglich. Soll ich mich mal umhören?“ „Kannst du gerne machen. Zwei Optionen sind besser als eine“, überlegte Sam. Er warf einen fragenden Blick zu Bobby. „Was ist das für ein Haus?“ „Ein alter Freund hat die Garage für seinen Sohn und dessen Freundin ausgebaut. Gerade als sie fertig war, hat sie eine neue Arbeit in Orlando angenommen und der Sohn ist mit ihr gegangen. Sie sind vor drei Monaten umgezogen. Eigentlich wollten sie die Garage erst mal so lassen, vielleicht kommt er ja zurück. Aber inzwischen haben sie sich da ein Haus gekauft. Sie werden wohl so schnell nicht wieder hierher kommen, wenn überhaupt. Jetzt steht die Garage leer. Sie wollten nicht vermieten, da es ja gleich neben dem Haus ist. Für euch würden sie eine Ausnahme machen. Wir können es gleich anschauen.“ „Ich will aber nicht, dass sie es nur tun, weil sie dir einen Gefallen schulden“, erklärte Sam unbehaglich. Er wollte sich niemandem aufzwingen, auch wenn es schon schöner wäre nicht mehr im Motel schlafen zu müssen. „Sie wollen euch nicht kennenlernen, nur weil sie mir einen Gefallen schulden. Ich habe sie gefragt, ob sie jemanden kennen, der eine Wohnung vermietet und sie haben ihre Garage angeboten. Ihr drängelt euch niemandem auf“, versuchte Bobby Sams Unbehagen zu zerstreuen. „Okay“, gab der klein bei. „Fahren wir hin.“ „Und ich frage gleich noch nach dem Schlüssel. Ich melde mich dann“, erklärte Jody. Sie stand auf, gab ihrem Freund sanften einen Kuss und schob sich den Rest ihres Apfels in den Mund, während sie die Küche verließ. Die drei Männer beendeten das Frühstück ebenfalls und während die Brüder die Küche aufräumten rief Bobby seinen Freund an um ihn zu informieren, dass sie gleich kommen wollten. Dieser Freund hieß Greg Prudell und wohnte in einem kleinen Ort, südlich von Sioux Falls, in Tea. „Was macht dein Freund eigentlich?“, fragte Sam während der Fahrt. „Er arbeitet als Hausmeister an der Schule, wann immer sie ihn brauchen, genauso wie auf der Feuerwache. Alles was angetriebene Teile hat und kaputtgehen kann, ist genau sein Fall.“ Sam schluckte. Das wäre vor dem Einsturz der Mine genau der richtige Gesprächspartner für Dean gewesen. Warum kamen solche Fingerzeige erst jetzt? Im letzten Sommer hätte ein Besuch bei Greg Deans Einstellung zum normalen Leben vielleicht schon geändert und ihnen wäre nicht nur die Amnesie sondern auch der Wolf und Ezra James erspart geblieben! Traurig schniefte er. Wieder etwas auf der Liste „Leider nicht zu ändern!“ Wie viele vertane Chancen es wohl noch in ihrem Leben geben würde? „Und woher kennst du ihn?“ Irgendwie musste sich Sam von seinen trüben Gedanken ablenken! „Ich hab den Schrottplatz von einem Freund seines Vaters übernommen“, erzählte der alte Jäger. „Greg hatte überlegt ihn zu kaufen, doch seine damalige Freundin wollte das nicht. Er hat auf den Schrottplatz verzichtet, die Freundin ist trotzdem mit irgend so einem Playboy verschwunden.“ Bobby grinste kurz. Kapitel 248: Wohnungssuche -------------------------- 247) Wohnungssuche „Hey, Greg“, grüßte Bobby den älteren Mann, der neben der Einfahrt des Grundstückes auf sie gewartet zu haben schien und jetzt näher kam, kaum dass er den Wagen geparkt und die Tür geöffnet hatte, „Schön dich zu sehen.“ „Bobby Singer!“ Greg griff nach Bobbys Hand und schüttelte sie eine Weile. „Ich freue mich, dich mal wieder zu sehen. Ist lange her. Deine Jungs suchen eine Wohnung? Du hast nie erzählt, dass du Neffen hast.“ Greg klang etwas vorwurfsvoll. „Das ist ´ne lange Geschichte, Greg“, wiegelte der Jäger ab. „Die du mir gerne bei einem Bier erzählen kannst!“ „So schnell gibst du nicht auf, oder?“ Bobby seufzte ergeben. „Du kennst mich.“ Inzwischen waren auch die Brüder ausgestiegen und standen jetzt neben ihm. „Greg das sind Sam und Dean Winchester“, stellte er sie vor. „Ich bin Gregory Prudell“, antwortete der Mann und reichte den Brüdern nacheinander die Hand. „Sagt einfach Greg.“ „Hallo Greg“, grüßte Sam lächelnd. „Guten Tag Sir. Ich bin Dean“, stellte sich der Ältere noch einmal selbst vor. Fragend blickte Greg zu Bobby, doch der zog nur entschuldigend die Augenbrauen hoch. Das wollte er nicht hier und jetzt, so zwischen Tür und Angel erklären. „Dann kommt mal mit. Die Wohnung ist in der Garage und nicht besonders groß. Wohnküche, zwei Schlafzimmer und zwei Bäder“, erklärte Greg. „Wir haben sie erst vor einem knappen Jahr ausgebaut. Aber das hat Bobby euch bestimmt schon erzählt, oder?“ Er ging zu dem etwas vorstehenden Gebäudeteil und schloss die Tür auf. „Hat er, ja“, bestätigte Sam. „Müsste nur mal gelüftet werden“, stellte Greg fest. „Also hier ist ein Schafzimmer“, er deutete auf eine Tür, „da das Bad und oben gibt es auch noch einen Schlafraum und ein Bad.“ Jesse, unser Sohn wollte hier sein Büro einrichten. „Der Schreibtisch ist gut. Da braucht ihr nur ein neues Bett und einen Stuhl“, stellte Bobby fest und machte sich in Gedanken eine Liste, welche Möbel sie noch brauchen würden. Er schaute in die Schränke und überprüfte den Herd bevor er Sam nach oben folgte. „Wie sieht´s aus, Sam?“, wollte der Jäger wissen. „Mir gefällt die Wohnung. Ich würde sie nehmen", nickte Sam. „Und du Dean? Gefällt sie dir?“ „Ja, Sir!“, antwortete der leise und zuckte mit den Schultern. Er hatte keine richtige Meinung dazu. Sie sah sauber aus und war ihm angenehmer als das Motel und größer. Sam gefiel sie, also gefiel sie ihm auch! Warum stellte Mr. Singer ihm diese Frage? Er würde auch weiter im Impala schlafen, solange ihn nur diese Albträume verschonten. „Dean“, versucht Sam zu intervenieren. Sofort zuckte der zusammen. Mit hängendem Kopf schlich er nach draußen. „Lass ihn. Wenn es ihm hilft, werde ich es ertragen“, rügte Bobby den Jüngeren ruhig. „Aber …“ Sam brach ab. Dieses Gespräch hatten sie vor ein paar Tagen erst geführt. Er seufzte und nickte dann kurz. Dean stand vor der Tür und starrte auf seine Schuhe. Sam mochte es nicht wenn er Sir zu Mr. Singer sagte, weil er Familie war. Aber es fühlte sich richtiger an, als Bobby! Er wusste ja auch nicht warum es sich bei Jody richtig anfühlte sie beim Vornamen zu nennen und bei Bobby nicht! Unsicher schaute er sich um. Neben dem Haus stand eine alte Eiche. An einem der dicken Äste hing eine Schaukel. Langsam ging er zu dem Baum und begann sich die Schaukel näher anzuschauen. So was hatte er in Filmen gesehen und in seinen Büchern. „Und? Ist sie noch zu benutzen?“, fragte eine weibliche Stimme. Erschrocken schaute er auf. „Keine Ahnung. Sie sieht ganz okay aus.“ „Darauf hab ich schon gesessen, als ich noch ein Kind war“, lachte die Frau und trat zu ihm. „Hallo, ich bin Emily, Emily Prudell. Das hier ist mein Elternhaus. Aber keine Angst, die Seile sind erst vor ein paar Jahren erneuert worden. Du kannst dich ruhig draufsetzen.“ „Schön Sie kennen zu lernen, Ma'am. Ich bin Dean Winchester“, stellte er sich vor und gab ihr die Hand. „Hallo Dean“, sie nahm seine Hand und schaute ihm freundlich in die Augen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, doch seine Augen blieben ernst. „Du willst die Garage mieten?“ „Naja mein Bruder und ich. Mr. Singer sagte, wir könnten vielleicht hier einziehen.“ „Ich grüße dich, Emily. Das sind meine Neffen Dean und Sam.“ Bobby und Sam waren unbemerkt aus dem Haus gekommen und standen jetzt neben ihnen. „Bobby! Schön dich mal wieder zu sehen. Warst viel zu lange nicht mehr hier!“ „Hallo“, grüßte Sam ebenfalls und reichte ihr die Hand. „Du hast zwei nette Jungs“, stellte sie fest. „Wollt ihr auf einem Kaffee reinkommen?“ „Wir sind noch mit Jody Mills verabredet“, wehrte Bobby ab. „Ich weiß noch nicht wann wir uns treffen wollen.“ Er zog sein Telefon aus der Tasche, das in seiner Hand noch weiter leise vibrierte. „Mit Jody? Dann stimmen die Gerüchte?“ Sie zwinkerte ihm zu. „Das müssen sie wohl“, lachte der Jäger. Dean schaute etwas verwirrt von einem zum anderen. Was waren Gerüchte und welche stimmten? Er würde Sam fragen müssen! Er stellte sich neben seinen Bruder. „Was sind Gerüchte, Sam?“, fragte er halblaut. „Das ist etwas was man gehört hat, das aber nicht stimmen muss.“ „Aber Jody wohnt bei Bobby!“ „Deshalb stimmt dieses Gerücht ja auch.“ Irritiert folgte Emily dem Gespräch. Wieso fragte Dean etwas, das er eigentlich wissen müsste? Bobby legte auf. Auch er hatte Deans Frage mitbekommen und er sah auch die Fragezeichen, die Emily regelrecht ins Gesicht geschrieben standen. „Jody kann erst mittags. Also wenn das Angebot für einen Kaffee noch steht, nehmen wir es gerne an“, wandte sich Bobby an die Frau des Hauses. Dean hatte seinen Bruder zu der Schaukel gezogen. „Zeigst du mir wie das geht?“ Sam warf einen Blick zu Bobby und nickte dann. „Komm rein“, lächelte sie. „Die zwei sind wohl erst mal beschäftigt.“ Und wieder musterte sie Bobby fragend. In der Küche stand Greg am Kühlschrank und wollte sich gerade ein Stück Kuchen herausholen. „Lässt du wohl die Finger davon? Der ist für heute Nachmittag, wenn die Hendersons kommen!“, schimpfte seine Frau. „Muss das sein?“ „Ja muss es und jetzt lass mich Kaffee kochen!“ Sie holte das Kaffeepulver aus dem Schrank und füllte Wasser in die Maschine. „Und du könntest uns erzählen was es mit deinen Neffen auf sich hat“, wandte sie sich an Bobby. „Sollte ich wohl.“ Er nahm seine Mütze ab, wischte sich mit der Hand über den Nacken und setzte die Mütze wieder auf. „Bitte kein Mitleid. Das hilft dem Jungen am Wenigsten. Behandelt ihn ganz normal. Er fragt wenn er was nicht weiß“, wiegelte Bobby ab. „Wenn du schon mal dabei bist … wieso hast du plötzlich Neffen?“, hakte Greg jetzt nach. „Sie sind die Kinder eines … naja, sagen wir … Bekannten. Er hat sie, als sie noch klein waren, öfter mal bei mir gelassen. Später hat sich mein Verhältnis zu ihm sehr abgekühlt daher hatte ich einige Jahre gar keine Verbindung zu den Jungs, bis sie vor drei Jahren plötzlich bei mir vor der Tür standen. Seitdem sehen wir uns oft und jetzt wollen sie endlich sesshaft werden.“ „Sesshaft werden? Sind sie Zigeuner?“ Emily wurde hellhörig. „Nein! Nicht in dem Sinne.“ Bobby raufte sich gedanklich die Haare. Den letzten Satz hätte er sich sparen können, dann müsste er jetzt nicht das Leben der Jungs auf den Präsentierteller legen, um es zu verteidigen. „Sie haben ihre Mutter sehr zeitig verloren. Ihr Vater hat das nicht verkraftet. Er hat es nirgendwo lange ausgehalten, immer wieder den Job geschmissen und ist weitergezogen. Die Jungs mussten da natürlich mit und das hat sie geprägt. Sie haben lange an diesem Leben festgehalten. Vor ein paar Monaten haben sie beschlossen endlich ein normales Leben führen zu wollen und dann kam Deans Unfall.“ „Wäre es dann nicht besser, wenn sie bei dir leben würden?“ „Sie brauchen noch Freiraum und trotzdem jemanden der nach ihnen schaut. Bei mir hängen wir zu dicht aufeinander. Das geht auf Dauer nicht gut. Diese Nähe müssen sie erst noch lernen. Sie haben ihr Leben in Motels verbracht.“ Emily schaute zu ihrem Mann, dann zu Bobby. „Und was sollen wir jetzt machen?“ „Du willst damit sagen, dass sie die Wohnung haben können?“, hakte Bobby nach. „Wenn sie sie wollen? Gerne. Sie scheinen nett zu sein.“ „Sie sind die besten Jungs, die ich mir wünschen könnte.“ Bobby lächelte. „Und was das Machen anbelangt? Sam wird sich wohl bald eine Beschäftigung suchen. Soweit ist Dean aber noch nicht, für den normalen Alltag braucht er jedoch keine Hilfe. Aber Greg, wenn du ihn mitnehmen könntest?“, er schaute zu dem Hausherren. „Er hat früher voller Leidenschaft an den Wagen geschraubt.“ „Früher?“ „Er hat von seinem Vater einen Impala übernommen. Den hat er selbst gewartet. Das kann er noch nicht wieder, aber ich lasse ihn mitmachen, wenn ich an einem Wagen arbeite. Und auch sonst könntet ihr ihn einbinden. Er ist sehr zurückhaltend, aber immer bereit Neues zu lernen. Wir binden ihn überall mit ein, so kann er am besten herausfinden was ihm Spaß macht.“ In dem Moment kamen die Brüder herein. Dean strahlte über das ganze Gesicht. „Ich kann schaukeln“, erklärte er. Dann fiel sein Blick auf ihre Gastgeber und das Lächeln erstarb. Er hatte noch immer Probleme mit Menschen, die er nicht kannte. Schüchtern verkroch er sich hinter seinem Bruder. Emily schluckte kurz, bevor sie sich ihrer Gastgeberpflichten besann. „Wollt ihr Kaffee?“ „Gerne“, antwortete Sam und setzte sich neben Bobby. „Und du?“ „Er mag lieber Kakao“, antwortete Sam. „Den hab ich leider nicht im Haus. Aber wie ist es mit Limonade? Selbstgemacht.“ „Weiß nicht“, sagte Dean und trat dichter an seinen Bruder heran. „Ich bring dir ein Glas und du versuchst sie einfach“, schlug sie vor und schaute den Winchester an. Deans Blick huschte zu Sam. Sam wusste was er mochte, da konnte er ihm vertrauen und als der lächend nickte, blickte er zu Emily und nickte ebenfalls. Gleich darauf stellte sie ihm ein Glas hin und er nippte daran. „Und?“, wollte sie wissen. „Ist gut“, erklärte er nach einem kleinen Schluck und nahm einen weiteren. Nachdem sie ausgetrunken hatten erhob sich Bobby. Die Brüder folgten seinem Beispiel. „Kann ich mich nachher bei euch melden?“, fragte er Greg. „Natürlich. Gefällt euch die Wohnung denn?“ „Sie ist wunderbar“, antwortete Sam, „aber wir sollten Jodys Angebot wenigstens in Augenschein nehmen.“ „Das verstehe ich also: Bis dann“, verabschiedete sich der Hausherr und begleitete sie zu ihrem Wagen. Kapitel 249: Der Umzug naht --------------------------- 249) Der Umzug naht Eine Stunde später waren sie mit Jody in der anderen Wohnung. Bobby stand mit ihr in der kleinen Wohnküche, während die Brüder Schlafzimmer und Bad begutachteten. „Wie weit seid ihr mit eurer Fahndung?“, fragte Bobby und schlang seine Arme zärtlich um seine Freundin. „Einen der Täter haben wir gefasst. Das FBI verhört ihn gerade. Vielleicht verrät er seine Kumpane ja, sonst wird es wohl noch dauern.“ Haltsuchend lehnte sie sich gegen ihn. „Vermisst ihr mich denn?“, fragte sie so unverfänglich wie möglich. „Dean auf jeden Fall!“ „Und du?“ „Ich? Lass mich überlegen.“ Er tat kurz so als würde er nachdenken müssen. „Also ich vermisse dein Essen, dein Lachen, deine Nähe, deine Wärme, die vertrauten Atemzüge nachts neben mir im Bett.“ Bei jedem Punkt seiner Aufzählung gab er ihr einen sanften Kuss. „Das Schlafzimmer müssten wir uns teilen“, überlegte Sam, als sie aus dem Bad in den Wohn-Essbereich traten. „Ich könnte auf dem Sofa schlafen.“ „Du wirst auf keinen Fall auf dem Sofa schlafen!“, empörte sich Sam. „Wir könnten zwei Betten ins Schlafzimmer stellen.“ „Ich will dich aber doch nicht wecken, wenn ich doch wieder einen Albtraum habe.“ „Du kannst mich jederzeit wecken, Dean. Du musst das nicht alleine durchstehen.“ Dean legte den Kopf schief und kaute auf seiner Unterlippe. Fragend schaute er zu Sam. „Wieso wollen wir hierher ziehen, wenn wir doch in Tea wohnen wollen?“ So ganz verstand er den Sinn dieser Besichtigung hier nicht. „Wir schauen uns mehrere Wohnungen an, um vergleichen zu können. Was passt eher zu uns? Wo ist der Preis besser? Welche Lage gefällt uns? Es ist wie beim Kauf einer neuen Hose. Da hast du doch auch mehrere angezogen und probiert welche dir am Besten passte.“ Dean überlegte noch kurz, bevor er nickte. „Und welche Wohnung passt uns besser?“, fragte er dann. „Die in Tea, denke ich. Die ist größer und liegt ruhiger. Außerdem ist da jemand in der Nähe, der mal nach dir schauen kann wenn ich arbeiten bin.“ „Du willst arbeiten?“, fragte Dean irritiert. „Als was und warum?“ „Wir brauchen Geld, wenn wir in Tea wohnen wollen. Du wirst immer selbstständiger. Ich möchte nicht nur zuhause rumsitzen. Ich wollte meinen Collegeabschluss nachholen und dann vielleicht doch noch Jura studieren. Mal sehen wie meine Chancen gegenüber den ganzen Jungspunden aus reichem Haus so stehen.“ So ganz glaubte er nicht mehr daran es wirklich noch zu schaffen, aber er wollte es wenigstens versucht haben. „Und ich?“, fragte Dean unsicher. „Was und du?“ „Wenn du arbeiten musst, was mache ich dann? Muss ich auch arbeiten? Vielleicht sollten wir doch bei Bobby bleiben, oder im Motel? Ich kann doch nichts!“ Dean schaute bedrückt zu seinem Bruder. „Das Motel ist keine gute Option! Es kostet auch Geld und ich möchte nicht, dass wir weiter in Motels wohnen. Wir sollten eine feste Adresse haben“, erklärte Sam. „Wir ziehen nicht mehr von Ort zu Ort und bei Bobby konntest du nicht schlafen, weil du Albträume hast. Nein Dean. Das tue ich dir nicht noch einmal an. Naja, und was das Arbeiten angeht? Ich habe noch keine Stelle. Ich habe mich allerdings schon umgesehen und ein paar Stellen gefunden, die mir zusagen würden. Wenn du auch was tun willst, so könntest du vorerst Bobby helfen. Er kann immer wieder mal zwei weitere Hände beim Restaurieren der Wagen brauchen.“ Dean legte den Kopf schief und kaute auf seiner Unterlippe, wie immer wenn er nachdachte und erinnerte Sam mal wieder an den Dean, der ihn aus Stanford geholt hatte. „Und wenn Bobby mich nicht braucht?“, riss der ihn aus seinen Gedanken. „Dann machst du dir einen schönen Tag. Lernst, schläfst mal länger, liest oder schaust fern.“ Dean schaute noch etwas skeptisch, bevor sich seine Mine aufhellte und er lächelnd nickte. Wenn das da auch ging, war ja eigentlich alles in Ordnung. „Außerdem werde ich wohl nicht nur arbeiten“, fügte Sam noch hinzu. „Dann unternehmen wir auch weiterhin etwas zusammen.“ „Okay“, Dean nickte noch einmal. „Ich mag die Wohnung in Tea auch lieber.“ Gemeinsam gingen sie in den Wohnraum, um Bobby und Jody Bescheid zu sagen. „Das dachte ich mir fast“, nickte Bobby. „Diese Wohnung ist ziemlich klein, für zwei. Wann wollt ihr denn einziehen?“ „So schnell wie möglich“, antwortete Sam und schaute zu seinem Bruder. „Dean braucht ein geregeltes Umfeld und endlich wieder eine Nacht in einem richtig guten Bett.“ „Gut“, nickten Jody und Bobby. „Dann schauen wir, was wir da haben und kaufen morgen den Rest“, schlug Bobby vor. „Aber wir zahlen!“, bestimmte Sam. Dieses Mal war es wirklich ihre Wohnung und dieses Mal würde es auch ihr Geld kosten! Diese Möbel würden sie mitnehmen, wenn sie weiterzogen. Drei Tage später war es soweit... Sam stellte den letzten Karton in seinem neuen Zimmer ab. Er streckte den Rücken durch und ließ seinen Blick über das Chaos gleiten. Die Möbel standen und die Kartons konnte er auch in den nächsten Tagen ausräumen. Nur das Bett würde er gleich noch beziehen. Er wischte sich die Hände an der Hose ab und verließ sein Zimmer. Morgen wollten sie zusammen ein Picknick an den Sioux River Falls machen und danach würden Dean und er hierher fahren, um einen neuen Lebensabschnitt einzuleiten. Er konnte nur hoffen, dass das funktionierte! Langsam kam er die Treppe herunter. Dean und Jody räumten gemeinsam Tassen und Teller in die Küchenschränke. Ein Geschenk von Jody, die sich Töpfe und Geschirr für ihr Apartment neu gekauft hatte, weil von ihrer Küche nach der Explosion nicht mehr viel übrig geblieben war. Jetzt stand es nur in Bobbys Keller herum, da der sich im Zuge des Umbaus ja auch neu eingedeckt hatte. Sam schaute den Beiden kurz zu. Am einfachsten für sie alle wäre es wohl, wenn Dean mit Jody hier einziehen würde. Sie kam am besten mit ihm zurecht und auch Dean hatte bei ihr die wenigsten Hemmungen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er aber auch zugeben, dass das wohl eher an ihm selbst lag, als an seinem großen Bruder. Egal wie sehr er versuchte in ihm einen eigenständigen Menschen zu sehen, er würde doch immer Anzeichen dafür suchen, dass sich sein Bruder erinnerte, er würde immer seinen Bruder in diesem fremden Dean suchen und er konnte nur für sich und Dean hoffen, dass das irgendwann aufhörte. Wie auch immer. Bobby hatte mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Auch ihm fehlte der alte Dean und ihn traf es ja noch schlimmer, denn bis jetzt konnte der neue sich nicht dazu durchringen Bobby einfach nur mit seinem Namen anzusprechen, ohne dieses inzwischen so verhasste „Sir“ anzuhängen. Er seufzte leise und ging in den Küchenbereich. „Ihr seid ja schon fast fertig!“, stellte er erstaunt fest. „War ja auch nicht viel“, lachte Jody und stellte die Kaffeemaschine an ihren neuen Platz. „Ich wollte gleich noch die Betten beziehen“, erklärte Sam. „Dann müssen wir das morgen nicht mehr machen.“ „Wollt ihr hier noch weiter aufräumen?“, fragte sie. Ihr Blick schweifte durch den Raum. Viel war es ja nicht, was hier wegzuräumen war. Das ganze Haus würde wohl eher spartanisch eingerichtet sein, wenn sie fertig waren, aber woher sollten die Jungs auch viel besitzen? Sie waren nur umhergezogen. Da blieb kein Platz für Sentimentalitäten. Ihr Blick fiel auf Dean und sie nahm sich vor für ein wenig mehr Wohnlichkeit zu sorgen und einkaufen zu fahren. „Mein Zimmer wollte ich später aufräumen. Ist ja nicht viel“, erklärte Sam. Er suchte sich aus dem Korb mit der frisch gewaschenen Wäsche Bettwäsche heraus und ging wieder nach oben. Als die Betten bezogen und das Chaos soweit beseitigt war, dass niemand Gefahr lief etwas umzustoßen oder darüber zu stolpern, fuhren sie gemeinsam zurück zum Schrottplatz. Bobby hatte inzwischen den Grill angeheizt. Er und Jody unterstützten Sam bei diesem Schritt so gut sie nur konnte und doch hofften sie, dass sie ihre Jungs so oft wie möglich zu Besuch haben würden und er wollte ihnen auf diese Art die Abschied ein wenig schwer machen. Jody musste nur noch den Salat zuzubereiten, wobei Dean sie tatkräftig unterstützte, dann konnten sie die Füße hochlegen, und den Tag in Ruhe ausklingen lassen. „Was ist eigentlich damit?“, fragte Bobby Sam und hielt ihm einen Karton unter die Nase. „Was ist das?“, wollte Sam wissen und schaute hinein. „Oh“, machte er gleich darauf. Es waren die Tassen und T-Shirts, die sie in der m&m‘s-World gekauft hatte. „Kann ich sie erstmal hier lassen? Solange Dean sich nicht erinnert … für mich sind es im Moment eher schlechte Erinnerungen.“ Er schluckte. Weder wollte er an den Geist noch an den folgenden Fall denken. Bei beiden hatte er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Er seufzte und schüttelte den Kopf, bevor er regelrecht aus dem Raum flüchtete. Bobby nickte verstehend und räumte den Karton wieder ins Regal. Er folgte Sam langsamer und fand ihn in der Küche. Er ging ins Wohnzimmer und kam mit einer Flasche Whisky und zwei Gläsern zurück, die er auf den Tisch stellte. Er füllte die Gläser und schob eines zu Sam. „Es tut mir leid. Ich ...“ „Ist ja nicht deine Schuld, Bobby.“ Er trank sein Glas in einem Schluck aus. „Kann ich dir helfen?“, er deutete auf den Grill. Er wollte jetzt unbedingt an etwas anderes denken. „Tu dir keinen Zwang an“, erwiderte Bobby leise. Ganz gemütlich ließen de Vier den Abend neben dem langsam verlöschenden Grill sitzend, ausklingen. Sam drehte eine Flasche Bier zwischen seinen Händen und schaute über den Teich. Er wollte hier nicht weg. Hier war alles, was er brauchte. Hier gab es Hilfe in jeder Situation und hier hatte Dean so schlimme Albträume, die ihn teilweise dazu gebracht hatten, sein Zimmer nachts nicht mehr betreten zu wollen. Warum war die Welt nur so ungerecht zu ihm? Sein Blick huschte zu Dean. Hatte der sich früher auch so gefühlt, wenn er ihn zu etwas gedrängt hatte, was sein Bruder nicht wollte oder wenn Dad etwas befahl? War das jetzt die Rache des Schicksals für sein Benehmen als Jugendlicher Dean gegenüber? Warum konnte der sich nicht einfach erinnern? Würde er das je wieder können? „Wo schlaft ihr heute?“, riss Bobby ihn aus seinen trüben Gedanken. Er seufzte kurz und zuckte mit den Schultern. Irgendwann hatten sie beschlossen erst morgen, nach ihrem Ausflug in ihre neue Wohnung zu fahren. Dabei hatte er nur vollkommen verdrängt, dass Dean hier ja von Albträumen geplagt wurde. „Kein Bier mehr für mich. Ich will nicht betrunken fahren. Egal wohin.“ „Wir können hier schlafen“, erklärte Dean ruhig. „Damit du wieder Albträume hast?“ Sam schüttelte den Kopf. „Nein, Dean. Ich muss kein Bier mehr trinken und ich kann fahren.“ „Aber ich wollte Jody morgen früh helfen. Ich habe doch noch nie ein Picknick gemacht und ich will wissen, wie das alles geht, wie alles zubereitet wird“, sprudelte Dean hervor. Kochen machte ihm wirklich Spaß und er wollte so viel wie möglich lernen. „Wir können morgen ganz zeitig wiederkommen“, schlug Sam vor. „Nein“, entschied Dean. „Du schläfst im Haus und ich im Impala. Mir macht das nichts aus und du musst nicht mehr fahren!“, erklärte Dean und erhob sich, um Nachschub an Getränken zu holen. Er ging ins Haus und holte tief Luft. Das Haus, von dem er anfangs überhaupt keine Vorstellung hatte und das ihm dann doch ganz gut gefallen hatte. Bis die Albträume kamen. Manche waren ja eher harmlos gewesen. Da sah das Haus nur alt und verkommen aus und er war hier ganz alleine gewesen und fand keinen Ausgang. Schlimmer waren schon die, in denen etwas in seinem Bauch wühlte, zumindest hatte es sich so angefühlt. Am Schlimmste waren die Träume, in denen er mit dem Haus verbrannte. Und eine Kombination der Träume. Wieder und wieder hatten die ihn heimgesucht und diese Träume waren es, die ihm die Kraft raubten und ihn zur Aufgabe zwangen. Mühsam schüttelte er diese Gedanken ab und öffnete den Kühlschrank, um neues Bier für Bobby, Jody und Sam zu holen. Sam, sein Bruder. Er war die Konstante in seinem Leben. Immer an seiner Seite. Manchmal, immer wenn sie etwas zusammen unternahmen, war es einfach und unkompliziert. Beim Minigolf oder in der Trampolinhalle oder beim Schwimmen. Dann konnten sie zusammen lachen. Den Rest der Zeit fühlte er sich beobachtet und wenn Sam dachte, dass er es nicht sah, musterte er ihn mit einem traurigen, enttäuschten Blick, genau wie er ihn jeden Morgen erwartungsvoll ansah, so als müssten seine Erinnerungen über Nacht zurückgekommen sein. Sie waren es aber nicht und er wusste nicht einmal mehr, ob er die wiederhaben wollte! Trotzig schlug er die Kühlschranktür zu. Doch! Natürlich wollte er sich wieder erinnern können. Es würde vieles, wenn nicht sogar alles einfacher machen. Und ihm diese Blicke ersparen, die immer mehr schmerzten, je öfter er sie ertragen musste. Vielleicht war das auch der Grund warum er sich immer noch nicht dazu durchringen konnte Mr. Singer mit Bobby anzusprechen. Auch der wartete ungeduldig darauf, dass er wieder der alte Dean wurde und das setzte ihn nicht nur unter Druck, es machte ihm auch Angst, irgendwie. Dabei lernte er gerne von ihm. Die Schrauberei an den alten Autos machte eigentlich Spaß! Wenn da nur nicht das ständige Unbehagen wäre, die Angst etwas falsch zu machen und so wieder mit diesem enttäuscht traurigen Blick angesehen zu werden. Deshalb liebte er Jody. Sie sah ihn nie so an. Mit ihr konnte er lachen. Bei ihr konnte er Fehler machen. Sie ließ ihn machen und selbst nach Wegen suchen, wie etwas einfacher ging, oder besser schmeckte. Sie sagte selbst dann nichts, wenn er das Essen vollkommen versalzte und sie schnell etwas anderes auf den Tisch bringen mussten. Am Liebsten würde er mit ihr zusammenziehen, auch wenn er Sam damit wohl wehtun würde. Nein. Er mochte Sam gerne und er konnte sich keinen anderen als seinen Bruder vorstellen, aber trotzdem hatte er Jody lieber. Gut, dass er ihm das wohl nie sagen würde! Er nahm sich eine Kakaomilch aus dem Kühlschrank und ging zurück auf die Veranda. Kapitel 250: Big Sioux River Falls ---------------------------------- 250) Big Sioux River Falls „Wo warst du so lange?“, fragte Sam, als er ihm das Bier reichte. „Ich hab überlegt, was ich trinken will“, erklärte Dean leise. „Und wozu hast du dich entschieden?“ „Kakao.“ Bobby sprang auf. „Ich hab da noch eine Idee“, erklärte er kryptisch, warf noch ein paar Scheite ins Feuer und verschwand in der Küche. Minuten später kam er mit einem Tablett mit vier Tassen, einer Schüssel und ein paar Spießen wieder. „Marshmellows?“, fragte Sam mit einem Blick in die Schüssel. „Hmhm“, Bobby spießte einen auf und drückte ihn Dean in die Hand. „Halte den mal übers Feuer und wenn es anfängt zu laufen vorsichtig essen. Es ist heiß!“, erklärte er dem Winchester und stellte ihm noch eine Tasse Kakao hin. „Ich hab noch, danke“, erklärte Dean. „Wirf ein paar Marshmellows hinein, lass sie schmelzen und dann kannst du die löffeln, oder mit dem Kakao verrühren und trinken. Versuchs mal.“ „Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht!“, freute sich Sam. Er hatte es als Kind geliebt. Jetzt war es ihm eigentlich zu süß. Doch was sollte es. So gesund wie er sonst aß, konnte er sich das locker leisten! Er warf ein paar davon in den Kakao und spießte drei Stück auf. Dann stellte er sich neben Dean und hielt seinen Spieß auch über das Feuer. Der beobachtete genau, wie Sam mit seinem Spieß umging und machte es ihm nach. „Du kannst sie essen, aber vorsichtig, es ist heiß“, warnte Sam ihn leise, als die klebrige Masse kurz davor war zu tropfen. Dean probierte. „Hmmm, süß“, nickte er und knabberte weiter an dem Spieß. Auch den Marshmellow-Kakao ließ er sich schmecken. Sam beobachtete seinen Bruder. Der war schon immer ein Leckermaul gewesen, auch wenn es früher kaum mal Süßes gab. Seine Gedanken wanderten zurück. Dad hatte ihnen höchstens zum Geburtstag oder zu Weihnachten, wenn er denn da war, Süßigkeiten spendiert und Dean speiste ihn fast immer mit der Bemerkung, dass das Geld dafür nicht reichte, ab. So blieben ihm nur seine Cornflakes, die er wie eine Bärenmutter verteidigte. Damals war er sauer auf Dean. Er wollte nicht glauben, dass sie nicht genug Geld hatten. Heute wusste er es besser und würde sich gerne entschuldigen, doch wie, wenn sein Bruder nichts mehr davon wusste. Er seufzte leise. Sie saßen noch eine ganze Weile am Feuer, bis sie irgendwann doch nur noch in ihre Betten wollten. „Du willst wirklich im Impala schlafen?“, fragte Sam seinen Bruder noch einmal. „Ja“, erklärte der fest. „Aber wenn du mir meine Decke rausbringen könntest?“ Das Unbehagen, bei Dunkelheit in dem Haus zu sein, das mit den Albträumen entstanden und immer schlimmer geworden war, war in den letzten Tagen, in denen sie in Motels geschlafen hatten, nicht verschwunden. Schon in Deans Stimme konnte Sam die Panik hören, die sich seiner bemächtigte. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Wir können auch in ein Motel fahren.“ „Nein, der Impala ist groß genug und auch bequem.“ Sam nickte nur. Er wandte sich ab, um nach oben zu gehen und lief Bobby über den Weg. Schon an dessen Gesicht konnte er erkennen, dass der alles mitgehört hatte. „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Du kannst doch nicht dafür“, erwiderte der. „Trotzdem. Ich mache mir Vorwürfe. Vielleicht hätten wir ihm doch einfach Johns Tagebuch geben sollen und abwarten was passiert.“ „Dafür ist es jetzt etwas spät, denkst du nicht?“ „Manchmal denke ich besser spät als nie, und dann bin ich wieder der Meinung, dass es so besser ist. Ich weiß es nicht, Bobby. Was soll ich tun?“ „Jetzt zieht ihr erstmal aus und dann sehen wir weiter.“ Sam nickte und lief nach oben. Mit zwei Decken kam er zurück. Eine reichte er seinem Bruder. „Was wird das?“, fragte der irritiert. „Ich schlafe auch im Impala.“ „Wegen mir musst du dir deinen Rücken nicht verbiegen!“ Nur zu gut hatte er noch Sams schmerzverzerrte Gesicht in Erinnerung, als der mit ihm im Wagen geschlafen hatte. „Ich möchte aber.“ Dean zuckte mit den Schultern und wandte dem Haus den Rücken zu. Am nächsten Morgen waren sie schon zeitig wieder munter. Die Nacht war frisch gewesen und für Sam auch reichlich unbequem, doch das versuchte er zu überspielen. Er wollte Deans Einwurf von gestern Abend nicht noch bestätigen, also gab er sich betont fröhlich. „Wenn ihr wollte, könnt ihr noch duschen“, begrüßte Jody sie aus der Küche. „Machen wir“, gab Sam zurück und ging mit Dean nach oben. „Auf der Treppe kam ihnen Bobby entgegen. „Ihr seid ja früh wach“, stellte der mit einem wissenden Grinsen fest. „Wie wollen Jody gleich bei den Vorbereitungen für das Picknick helfen“, erklärte Dean. Sam nickte nur und Bobbys Lachen wurde noch breiter. „Dann beeilt euch, damit wir gleich frühstücken können.“ Eine viertel Stunde später kamen die Brüder die Treppen heruntergepoltert. „Was möchtest du, Dean?“, fragte Jody. „Waffeln, Pfannkuchen oder Rührei?“ „Pfannkuchen, bitte.“ Die bekam er immer noch nicht richtig hin und so hatte er die Chance sich deren Zubereitung noch einmal anzuschauen. Für Sam stand schon eine Packung Cornflakes und Milch auf dem Tisch. „Ihr verwöhnt uns“, erklärte der Winchester mit einem Lächeln. „Das war der Plan“, antwortete Bobby. Nachdem der Frühstückstisch aufgeräumt war, begann Jody mit den Brüdern das Picknick vorzubereiten. Sie brieten Hühnerkeulen und Hähnchenflügel, frittierten Nuggets und machten Sandwiches. Sam schnippelte Salat und machte Limonade, während Dean Teig für Muffins rührte und den dann in die Förmchen füllte. Kurz vor Mittag waren sie fertig und verpackten alles in Kühltaschen. Mit zwei Autos machten sie sich auf den Weg zum Falls Park und hatten das Glück nebeneinander am Aussichtsturm parken zu können. Noch schien der Park nicht überlaufen zu sein. „Lasst uns zuerst auf den Turm steigen. Von dort haben wir eine tolle Sicht auf den ganzen Park. Da können wir uns auch einen Platz für unser Picknick suchen“, schlug Bobby vor. Er wollte ihnen, wie schon damals als er mit den Jungs zum ersten Mal hierher gefahren war, zuerst die Kaskaden zeigen und ihnen ein bisschen was über die Geschichte dieses Ortes erzählen. Wie schon vor Jahren wurde Sam wieder von dem grandiosen Ausblick gefangen genommen. Sogar Dean zeigte sich dieses Mal offen beeindruckt. Damals hatte er nur abgewinkt und so getan, als wäre das nichts Außergewöhnliches. Okay, sie waren kurz davor mit ihrem Dad am Grand Canyon gewesen und dagegen konnten die Big Sioux River Fälle wirklich nicht ankommen. Doch das war egal. Sie hatten ihren ganz eigenen Zauber. „Ich denke, wir machen unser Picknick da“, sagte der Jäger und deutete auf den Platz, an dem sie damals auch gesessen hatten. „Du hast keinen Ball mit“, meinte Sam leise. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich daran erinnerte wie Bobby mit Dean damals Baseball gespielt hatte. Naja nicht wirklich gespielt, sie hatten sich einige Bälle zugeworfen, aber Dean hatte gestrahlt wie ein Kind zu Weihnachten. Bobby grinste. „Schau mal in den Korb, wenn wir ihn zu dem Platz tragen.“ Natürlich hatte auch er an diese Zeit denken müssen und, vielleicht nur aus Sentimentalität, den Ball und die Handschuhe eingepackt. Aber vielleicht ließ sich Dean ja zu einem Spiel überreden. Doch erst einmal wollte er mit seiner Familie einfach nur die grandiose Aussicht genießen. „Darf ich da hin?“, fragte Dean kaum dass sie die Decke ausgebreitet hatten und deutete auf die Kaskaden. „Klar, aber sei vorsichtig, die sind teils ziemlich rutschig.“ „Ich komme mit“, erklärte Sam bevor Bobby etwas sagen konnte. „Okay“, freute sich Dean und lief zum Fluss. Sein Bruder folgte ihm langsamer und dachte daran, wie sie als Kinder über die Steine geklettert und mehr als einmal kurz davor gewesen waren in den Fluss zu fallen. Gut er, aber irgendwie konnte er sich immer retten oder, um ganz ehrlich zu sein, meistens hatte Dean ihn festgehalten. „Na los. Lass uns die Wasserfälle erkunden!“, erklärte er, als sie am Ufer standen und begann die erste Kaskade hinauf zu klettern. Immer wieder warf er dabei einen Blick auf seinen Bruder, der ihm langsamer folgte und gab ihm, wenn er unsicher wurde, einen Hinweis, wo er seine Hand oder den Fuß platzieren sollte. Auch bei der zweiten Kaskade führte er noch. Die Dritte und alle folgenden Hindernisse ließ er Dean, der sich inzwischen sicher genug war das allein hinzubekommen, vorangehen. Natürlich blieben sie bei dieser Aktion nicht trocken, aber das Wetter war schön und warm genug, dass es sie nicht störte. Bobby ließ sich, kaum dass die Zwei auf dem Weg zu den Wasserfällen waren, auf der Decke nieder, ließ sie aber nicht aus den Augen. Ein wehmütiger Ausdruck schlich sich in seinen Blick, als er an ihren ersten Ausflug, vor mehr als 20 Jahren, hierher dachte. Damals hatte Dean die Führung übernommen, doch schon bald ermutigte er seinen kleinen Bruder als erster über die Felsen zu klettern. Er zeigte ihm Tritte oder half, wenn Sams Arme das kleine Stückchen zu kurz waren. Es war ein friedlicher Tag, den er seinen Jungs gerne öfter geboten hätte. „Was siehst du?“, fragte Jody leise. Bobby blinzelte. Sein Blick klärte sich und er drehte sich zu seiner Freundin. „Zwei kleine, glückliche Kinder, die viel zu selten wirklich Kinder sein durften.“ „War es wirklich so schlimm?“ Jody zweifelte. Sie hatte zwar das eine oder andere aufgeschnappt und auch Deans Bemerkung über normale Menschen spukte noch immer durch ihr Hirn, aber glauben konnte sie es einfach nicht. So ging doch niemand mit seinen Kindern um! Oder doch? Das wäre Vernachlässigung im höchsten Maß und das sollte niemandem aufgefallen sein? „John hat die Jungs immer wieder allein gelassen. Je älter Dean wurde, umso länger blieb er weg. Er hat Dean eingeschärft auf seinen Bruder aufzupassen, auch wenn es sein Leben gelte und Dean hätte es soweit kommen lassen.“ Er schluckte. Dean hatte es soweit kommen lassen, doch das musste Jody nicht erfahren, noch nicht. „Dean hat sich über Sams Wohlergehen definiert. Erst in den letzten zwei Jahren hat er begonnen sich von Johns Dogmen zu lösen und gerade, als sie wirklich leben wollten, muss dieser verdammte Unfall passieren! Wenn ich doch nur hingefahren wäre! Wenn ich mehr, hartnäckiger, nach einem Jäger gesucht hätte, ich wusste doch, dass es Dean nicht gut geht!“ Am liebsten würde er sich die Haare raufen, so wütend war er in dieser Beziehung noch immer auf sich. „Es konnte doch keiner ahnen, dass es zu so einem Unfall kommen würde“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Doch das ließ er nicht zu. „Dean ist schon seit 20 Jahren dabei. Kaum ein Jäger schafft es überhaupt, so lange zu überleben. Früher oder später erwischt dieses Leben jeden. Es ist ein Wunder, dass sie es so lange, soweit geschafft haben!“ Er rieb sich den Nacken. „Hör auf dich deswegen zu zerfleischen! Du kannst es nicht ändern und du tust alles damit es ihnen gut geht. Sie lieben dich. Du bist für sie da.“ „Ich weiß! Es ist nur, ich hätte gerne mehr für sie getan, aber ich weiß auch, dass John sie dann wohl nicht mehr zu mir gebracht hätte und … Ich wünsche mir einfach dass sie glücklich werden und dass Dean endlich dieses Sir weglässt. Das nervt unendlich. Es tut weh!“, gestand er leise. „Und ich bin nicht John, der diese Respektbezeugung erwartete, wann immer er einen Befehl ausgesprochen hatte. Einen Befehl, nicht etwa eine Bitte!“ „Auch das wird aufhören“, versprach sie lächelnd. Sie legte ihre Hände an seine Wangen und küsste ihn zärtlich. Kapitel 251: Umzug ------------------ 251) Umzug Erschöpft aber lachend und mit leuchtenden Augen kamen die Brüder zurück. „Wann gibt’s Essen?“, fragte Dean und ließ sich auf die Decke fallen. „Wenn du den Korb holst, sofort“, lachte Jody. Das ließ sich Dean nicht zweimal sagen. Sofort machte er sich daran ihre Verpflegung auf der Decke zu verteilen. Sam half ihm. Schnell war alles verteilt. Sie setzten sich zusammen auf die Decke und ließen sich die Köstlichkeiten schmecken. „Wozu ist der Handschuh?“, wollte Dean zwischen zwei Bissen wissen. Er hatte ihn im Korb entdeckt und wieder zurückgelegt, weil sie ihn nicht brauchten. So ganz konnte er sich nicht erklären, warum sie ihn mitgenommen hatten. „Wir könnten nachher ein paar Bälle werfen“, meinte Bobby. „Du hast es mal geliebt.“ „Wenn es Sam nicht stört.“ „Warum sollte es mich stören?“, fragte der irritiert. „Weil du mal sagtest, dass es weh tut, wenn ich Sachen mache, die ich früher auch so gemacht habe.“ Sam schluckte. „Ich bin traurig, weil ich dann den alten Dean vermisse, aber das heißt nicht, dass du nichts mehr machen darfst. Im Gegenteil Du sollst alles ausprobieren. Ich freue mich wenn ich sehe, wie du die Welt entdeckst“, erklärte er. ‚Außerdem habe ich immer noch die Hoffnung, dass so vielleicht ja deine Erinnerungen wiederkommen.‘ Diesen Gedanken würde er allerdings nicht laut aussprechen. Dean schien seine Trauer, seine Enttäuschung darüber, dass er sich immer noch nicht erinnern konnte regelrecht zu fühlen und er wollte ihn nicht noch mehr unter Druck setzen. Auf seiner Unterlippe kauend überlegte Dean kurz bevor er nickte. „Ich würde gerne ein paar Bälle werfen, wenn Sie es mir zeigen, Sir.“ Mitfühlend griff Jody nach der Hand ihres Freundes und drückte sie fest. So langsam ging dieses „Sir“ ihr auch an die Nerven. Bobby schluckte. Dankbar lächelte er Jody an und wandte sich dann nickend an Dean. „Gerne, wenn wir mit dem Essen fertig sind.“ So schnell ging es dann aber doch nicht. Das Essen war gut und reichlich und so konnten sie sich erstmal nur dazu aufraffen, die Reste wieder in den Korb zu packen, nachdem sie ihr Picknick beendet hatten. Satt und zufrieden lagen sie auf der Decke und schauten einem Eichhörnchen zu, das sich mutig zwischen den anderen Parkbesucher auf Futtersuche begab und sogar das eine oder andere Stück von den Tellern stibitzte. Gähnend rieb sich Bobby die Augen. Wenn er jetzt noch einen Augenblick länger hier liegen bliebe, würde er einschlafen! Hastig setzte er sich. Er drehte sich zu Dean um: „Wie siehts aus? Hast du noch Lust ein paar Bälle zu werfen?“ Der Winchester blinzelte, nickte und stand auf. Er ließ sich von Bobby zeigen, wie er den Handschuh halten sollte und wie er werfen musste und nach ein paar ersten Fehlwürfen hatten die beiden ihren Spaß. „Fast so wie früher“, überlegte Sam und konnte für einen Augenblick seine Sorgen um Deans Amnesie und die Zukunft vergessen. Gemeinsam mit Jody schaute er den beiden bei ihrem Spiel zu. Erst als die Sonne fast schon hinter dem Horizont verschwunden war, packten sie zusammen und gingen zu ihren Wagen. „Ihr kommt am Sonntag zum Mittag?“, fragte Jody. „Aber klar“, nickte Dean und umarmte sie herzlich. Auch von Bobby verabschiedete er sich mit einer festen Umarmung, genau wie Sam, bevor die Brüder in den Impala stiegen, um zu ihrer neuen Wohnung zu fuhren. Dean schaute in die herabsinkende Dunkelheit. Schon wieder musste er ein Zuhause verlassen, in dem er sich, tagsüber, wohlgefühlt hatte. Sobald es aber dunkel wurde, war es ihm fast unmöglich auch nur in die Nähe seines Zimmers zu gehen, ohne dass sich alles in ihm verkrampfte. Warum hatte er nur solche Albträume? Was hatte er in seinem früheren Leben gesehen, dass das solche Ausmaße annahm? Und warum passierte das nur bei Bobby? Oder meistens nur bei Bobby. Im Motel hatte er auch mal schlecht geträumt, aber lange nicht so schlimm. Der Impala rumpelte über den Schotterweg zu ihrem Häuschen. Sam hielt an und schaltete den Motor aus. Er schaute zu seinem Bruder, der irgendwie nicht so richtig glücklich aussah. „Dean?“, fragte er leise. Langsam drehte der seinen Kopf zu ihm. Seine Augen fokussierten sich. „Alles okay“, erklärte er mit fester Stimme, bevor er die Tür öffnete und ausstieg. Es brachte ja nicht, wenn er hier noch lange herumsaß. Sie begannen einen weiteren neuen Lebensabschnitt! Außerdem war er müde. Nacheinander betraten sie ihr Häuschen. Über das Chaos schauten sie gekonnt hinweg, das konnten sie auch morgen noch wegräumen. „Lass deine Tür offen“, bat Sam bevor er seinen Fuß auf die Treppe stellte. Etwas unschlüssig verharrte er. Sollten sie wirklich schon ins Bett oder lieber noch … „Wollen wir uns ein Spiel ansehen?“, fragte er und drehte sich zu seinem Bruder um. „Nein, ich möchte ins Bett“, erklärte Dean hastig und gähnte. „Ich bin wirklich müde. Gute Nacht.“ Sam wartete noch, bis sein Bruder im Zimmer verschwunden war. Erst dann ging er nach oben. Lange lag er in dieser Nacht wach und dachte über die Zukunft nach. Was würde kommen, wie ihr Leben verlaufen? Jetzt wo es ernst wurde, konnte er es sich kaum vorstellen nie wieder jagen zu gehen. Hoffentlich wurde es wirklich so schön, wie er es sich immer ausgemalt hatte. Auch Dean dachte über die Zukunft nach, doch da sein Zeitgefühl noch ziemlich konfus war und seine Erinnerungen nur Wochen umfassten, konnte er sich dieses Wort eigentlich kaum vorstellen und so gingen seine Gedanken nur bis morgen, vielleicht noch einen Tag weiter. Doch schon den konnte er sich nicht wirklich ausmalen. Was er morgen tun wollte wusste er allerdings genau. Sein Zimmer aufräumen und die Küche und den Wohnraum. Und hoffen, dass bald Sonntag war. Irgendwie verkatert kam Sam am späten Vormittag die Treppe herunter in den Wohnraum. Nachdem er endlich eingeschlafen war, hatte er komisches Zeug geträumt, das er nach dem Aufwachen schon nicht mehr greifen konnte. Er wusste nur noch, dass es um Schulnoten ging und er in Hauswirtschaft und Handarbeit durchgefallen war. Wieso er allerdings einen Handarbeitskurs belegt hatte, war wohl nur im Traum vollkommen logisch. Auf der Heizplatte der Kaffeemaschine stand eine halbvolle Kanne. Daneben lag ein Zettel: Sandwiches im Kühlschrank. Dean! Er war ein Engel! Wo war der überhaupt? Er nahm sich ein Brot, goss Kaffee in eine Tasse und ging zu Deans Zimmer. Leise klopfte er an die Tür, bevor er die aufschob. „Hey“, grüßte er, kaum dass Dean aufsah. „Du hast dein Zimmer ja schon fast fertig!“, staunte er und zeigte ihm kurz den Kaffee und das Sandwich. „Danke!“ Dean versuchte sich an einem Lächeln. „Du hast noch geschlafen und ich wollte dich nicht wecken.“ Er legte die Bücher, die er in der Hand hielt in das Regal. „Hast du die alle schon gelesen?“, fragte Sam. Dean hatte, seit er wieder richtig lesen konnte, eigentlich immer ein Buch auf seinem Nachttisch liegen, doch jetzt lag da keins. „Ja, ich hab alle durch.“ „Dann sollten wir ein paar neue Bücher mit auf die Einkaufsliste setzen, was meinst du?“ Sofort hoben sich Deans Mundwinkel ein Stückchen an. „Das wäre toll. Wann fahren wir einkaufen?“ Sam musste lachen. Irgendwie hatte er diese Frage erwartet. Der neue Dean las für sein Leben gern, ganz im Gegensatz zu dem Alten. Ob Dean das wohl beibehielt wenn er wieder er selbst war? „Lass mir Zeit zum Frühstücken, dann schreibe ich einen Einkaufszettel. Wenn dir was einfällt, das wir noch brauchen, sag es mir bitte.“ Dean nickte. Er faltete den leeren Karton zusammen und stellte ihn vor die Tür. Eine Stunde später verließen sie das Haus. „Dean“, hielt Sam seinen Bruder auf, der vor ihm ging und warf ihm den Impalaschlüssel zu, kaum dass der sich zu ihm umdrehte. „Fahr du“ Etwas überrascht fing Dean den Schlüssel. Wortlos zuckte er mit dem Schultern und ging zur Fahrertür, um sie zum nächsten Einkaufcenter zu fahren. Jetzt war der Parkplatz auch noch nicht so voll, sodass Dean auch keine Probleme hatte, den großen Wagen zu parken. „Dann mal auf in den Wahnsinn“, sagte Sam und betrat den Einkauftempel. Dass sie erst am späten Abend wiederkamen, lag nicht nur daran, dass sie in jedem zweiten Geschäft eingekauft hatten. Sie brauchten doch mehr als gedacht. Um sich für diesen Marathon wenigstens ein bisschen zu belohnen, waren sie noch im Kino gewesen und hatten sich Prince of Persia angeschaut. Jetzt wollten sie am Liebsten nur noch alle Viere von sich strecken, doch die Einkäufe mussten weggeräumt werden. Wenigstens die, die leicht verderblich waren. Danach wollten sie beide allerdings erst einmal nur noch ins Bett. Zwei Tage später waren die Umzugskisten ausgeräumt und die kleine Wohnung glänzte wie aus dem Ei gepellt. Dean saß auf der Veranda im Schaukelstuhl. Auf seinen Knien lag „Die unendliche Geschichte“ doch sein Blick war in die Ferne gerichtet. Sam hatte ein paar Vorstellungsgespräche! Das hieß dann wohl, dass er tagsüber bald nur noch alleine war. Gut, das wäre wohl nicht das Problem. Er konnte sich ganz gut beschäftigen. Allerdings hatte Sam ihm erklärt, dass er Geld verdienen musste, damit sie hier leben konnten. Was, wenn das Geld nicht langte? Musste er dann auch arbeiten gehen? Was konnte er denn, damit auch wirklich das fehlende Geld in die Kasse kam? Vorgestern, im Supermarkt, hatte er gesehen wie jemand die Regale auffüllte. Das würde er sich wohl zutrauen auch wenn er nicht genau wusste wo alles stand, aber das konnte er bestimmt schneller lernen als einen Wagen zu reparieren! Wo oder eher wie konnte er Geld verdienen? Gab es noch andere Berufe, die er schnell lernen konnte? Welche? Er schaute auf die Uhr. Bis Sam kam würde es noch eine ganze Weile dauern. Er kratzte sich am Kopf. Vielleicht half ihm ja ein Kakao dabei einen Entschluss zu fassen? Grade als er sein Buch zur Seite legen und ins Haus gehen wollte, kam Emily über den Rasen. „Halle Dean“, grüßte sie mit einem Lächeln. „Mrs. Prudell!“ „Ich fahre zum Reitplatz“, informierte sie ihn. „Hast du Lust mitzukommen?“ „Reitplatz? Was macht man da?“, fragte er vorsichtig. „Reiten, Ställe ausmisten, Pferde putzen.“ „Ich weiß nicht, ob ich das kann“, grübelte er. „Du musst nichts tun. Du kannst auch einfach nur zuschauen“, schlug sie vor. Sie hatte ihn, irgendwann heute morgen, auf der Veranda sitzen sehen und dann, den ganzen Vormittag über, immer mal wieder zu ihrer ehemaligen Garage hinüber geschaut. Die ganze Zeit saß er nur da und starrte Löcher in die Luft, also hatte sie den Entschluss gefasst einfach mal zu fragen. Dean zuckte mit den Schultern. Er warf noch einen Blick auf seine Uhr. Die Zeit bis zu Sams Rückkehr hatte sich noch nicht wirklich verkürzt. „Ich komme mit“, verkündete er und brachte das Buch ins Haus. Lächelnd schaute Emily ihm nach. Sie freute sich, dass sie ihn überzeugen konnte nicht nur hier herumzusitzen und auf Sam zu warten. „Ich habe Sam einen Zettel geschrieben“, erklärte Dean kurz, als er wieder in der Tür erschien. Sie nickte. „Das ist gut.“ Gemeinsam gingen sie zu ihrem alten Kombi und fuhren zu der, ein paar Querstraßen weiter gelegenen, Reithalle. „Fahren Sie oft hierher?“, wollte Dean neugierig wissen. „Ja, seit ich nicht mehr arbeiten gehe, bin ich zwei oder drei Mal in der Woche hier“, erklärte sie während sie den Wagen neben einer großen Halle abstellte. „Therapie“, las Dean auf dem Schild am Eingang der Halle. „Brauchen Pferde auch eine Therapie?“ „Nein“, lachte Emily, „die Pferde helfen Menschen. Eine Therapie mit ihnen löst Ängste. Sie wirkt entspannend und hilft Menschen sich selbst zu erfahren, sich zu öffnen oder Vertrauen zu fassen.“ Sie schaute zu Dean. „Oje, jetzt rede ich schon wie ein Werbeprospekt“, sie lächelte entschuldigend. „Na komm, wir gehen rein und schauen zu.“ Kapitel 252: Reiten und ein neuer „Bekannter“ --------------------------------------------- 252) Reiten und ein neuer „Bekannter“ Durch eine Tür betraten sie die Halle. Emily nickte der Therapeutin in der Mitte des Reitplatzes kurz zu, bevor sie sich mit den Armen auf die hölzerne Absperrung lehnte und einfach nur zusah. Dean tat es ihr gleich. „Schneller“, jauchzte das Kind auf dem Pferd und die Frau am anderen Ende der Longe schnalzte mit der Zunge. Das Pferd setzte sich in Trab. Für einen kurzen Augenblick erschien vor Deans innerem Auge ein schwarzes Pferd, das über eine Wiese auf ihn zu galoppiert kam. Hoffnung keimte in ihm. Doch nein. Das war keine Erinnerung, das war das Pferd auf seinem Quilt! Enttäuscht schob er das Bild beiseite. „Noch schneller“, rief der Junge auf dem Pferd. „Nein Dayton. Das ist schnell genug“, erklärte die Therapeutin daraufhin ruhig. Sie wechselte noch ein paar Mal Richtung und Gangart des Tieres und ließ den Jungen immer wieder gymnastische Übungen machen. Tief in Gedanken versunken versuchte Dean zu ergründen, an was ihn diese Szene wohl erinnern könnte. Es wollte ihm nicht einfallen. Nach der Stunde wurde der Junge von seiner Mutter in Empfang genommen und die Therapeutin kam mit dem Pferd zum Ausgang, in deren Nähe Emily und Dean standen. „Wen hast du denn mitgebracht?“, fragte sie ruhig. „Das ist Dean“, stellte sie den Winchester vor. „Dean, das ist Rachel.“ „Hallo“, grüßte er einsilbig. „Möchtest du auch mal reiten?“, fragte Rachel und versuchte zu ergründen, was mit dem jungen Mann vor ihr nicht stimmte. „Kannst du reiten?“ „Weiß nicht!“ Vorsichtig streckte er die Hand aus, bis das Pferd daran schnuppern konnte. „Amnesie“, formte Emily mit ihren Lippen. Rachels Augen weiteten sich. „Wie?“, fragte sie genauso tonlos. Emiliy zuckte nur mit den Schultern. Das hatte Bobby ihr nicht erzählt. „Willst du es versuchen?“, fragte Rachel noch einmal. Dean streichelte weiter den Kopf des Pferdes, bevor er, etwas verspätet, zögerlich nickte. „Dann komm rein“, forderte die Trainerin ihn auf. „Ich zeige dir wie du aufsteigst und dann versuchst du es. Wenn du was nicht weißt oder dir unsicher bist, frag einfach, okay?“ Wieder nickte Dean und beobachtete aufmerksam was sie ihm zeigte. Danach war er dran. Er stand neben dem Pferd, legte seine Hand auf den Sattelknauf, so wie Rachel es ihm gezeigt hatte, und stellte das Bein in den Steigbügel. In diesem Augenblick übernahm sein Unterbewusstsein. Er schwang sich in den Sattel und machte es sich da bequem. Rachel führte sein Pferd eine Runde, dann löste sie die Longe und stellte sich zu Emily. „Versuch es mal alleine.“ Dean nickte und ritt eine weitere Runde. „Das macht er nicht zum ersten Mal“, überlegte Emily ruhig. „Auf keinen Fall“, stimmte ihr Rachel zu. „und er hat auch nicht nur Freizeitpferde geritten.“ Emily schaute ihm eine Weile schweigend zu, bevor sie antwortete: „Er sieht aus wie ein alter Cowboy.“ „Das können wir ausprobieren!“ Rachels Augen leuchteten. „Du willst doch nicht etwa ...“ „Ich will ihn auf ein richtiges Pferd setzen, auf eins das mehr Temperament hat als der alte Lollypop hier“, erklärte sie. „Dean kommst du mal her?“, rief sie und sah voller Begeisterung wie er den Wallach drehte. „Du kannst reiten“, erklärte sie ihm geradeheraus, kaum dass er vor ihr hielt, „und ich will wissen wie gut! Also steig ab und komm mit!“ Sie ließ ihm keine Chance zu antworten, sondern drehte sich um und verließ die Halle. Schulterzuckens stieg Dean aus dem Sattel und folgte ihr, den Wallach an den Zügeln führend. „Du kannst ihn hier festmachen.“ Rachel deutete auf die Querstange neben dem Scheunentor. „Ich hole die Pferde.“ „Pferde?“, wunderte sich Dean und blickte fragend zu Emily. „Keine Ahnung was sie vor hat“, zuckte Emily mit den Schultern. Sie hatte zwar so eine Idee, war sich aber nicht sicher. Es dauerte nicht lange bis Rachel drei Pferde aus dem Stall führte und vor Dean stehen blieb. „Du kannst ihm doch nicht Alaska geben wollen“, empörte sich Emily. Der Hengst war hier im Stall verschrien. „Ich denke das entscheidet er. Wir haben noch drei andere Pferde in den Boxen, die du nehmen kannst. Ich wollte dir nur erst diese hier vorstellen“, überging sie den Einwurf und wandte sich direkt an Dean. Der Winchester kaute auf seiner Unterlippe und nickte etwas unsicher. Er war sich noch immer nicht sicher, ob er wirklich reiten konnte, geschweige denn welches Pferd er nehmen sollte. Was erwarteten sie hier von ihm? „Schau sie dir in aller Ruhe an, ich hole die anderen.“ Sie machte die Pferde an einem freistehenden Querbalken fest. Dean trat zu den Tieren. „Das ist Chocolat“, stellte Emily die Stute vor, die eher wie Stracciatella mit einem Klecks Schokosoße aussah, kaum dass Rachel wieder im Stall verschwunden war. „Eigentlich Chocolatchip. Daneben steht Nash und hier außen ist Alaska. Von dem würde ich dir abraten. Er ist sehr eigen“, meinte sie besorgt. Doch Dean hörte den Einwurf nicht. Er sah nur diesen Hengst, von dem er sich wie magisch angezogen fühlte. Langsam trat er an den Hengst heran. Er hielt ihm die Hand hin, damit der seinen Geruch aufnehmen konnte und begann ihm sanft den Kopf zu streicheln. Der Hengst genoss es sichtlich. Er legte seinen Kopf auf Deans Schulter und schnaubte ihm sanft gegen den Hals. Rachel kam wieder und grinste unsicher. War es wirklich richtig diesem jungen Mann, der zwar reiten konnte aber nichts davon wusste, Alaska zu geben? Eigentlich hatte sie ihn nur mitgebracht, weil sie die Pferde später noch durch die Halle jagen wollte. Sie brauchten dringend Bewegung aber der heutige Tag war mit Therapien ziemlich voll, deshalb musste die Halle genügen. Sie lächelte Emily etwas gequält an und gab ihr die Zügel der Pferde, die sie gerade geholt hatte. „Bringst du die in den kleinen Pferch in der Halle? Ich holte Alaskas Sattel“. Sie wandte sich zu Dean: „Kannst du Chocolat und Nash in die Halle bringen. Emily hilft dir dabei“, bat sie noch und ging wieder in den Stall. „Ihr könnt dann gleich da auf mich warten.“ Rachel kam auf Alaska in die Halle geritten. Sie öffnete das Tor, ritt hindurch und schloss es wieder, ohne abzusteigen. Sie ritt ein paar Schritte, ließ den Hengst rückwärts gehen, wendete ihn und kam zu Dean und Emily. Dean war beeindruckt. Er hatte keine Ahnung, dass ein Pferd sowas alles konnte! „Ich möchte, dass du bis nach hinten reitest, das Pferd ein paar Schritte rückwärts machen lässt und wieder hierher kommst. Und das so schnell wie möglich“, erklärte sie ihm, nachdem sie abgestiegen war. Dean grub die Zähne in die Unterlippe. War das ihr Ernst? Er hatte ihr zwar zugesehen, verstand aber nicht wirklich was sie von ihm wollte, wie sollte er es dann umsetzen? Unsicher zuckte er mit den Schultern, übernahm die Zügel und trat neben den Hengst. Er legte die Hand um den Sattelknauf. Wieder schien sein Körper genau zu wissen was er tun sollte und übernahm die Kontrolle. Elegant schwang er sich in den Sattel. Die Zügel in einer Hand wendete er den Hengst und galoppierte zur hinteren Wand. Der Hengst stoppte, lief ein paar Schritte rückwärts bevor ihn Dean zu den Frauen drehte und im vollen Galopp auf sie zurasen ließ. Erst kurz vor ihnen bremste er das Tier ab. Breit grinsend schaute er zu ihnen hinab, während sie demonstrativ den Staub vor ihren Gesichtern mit den Händen zu vertreiben suchten. „Wo hast du das gelernt? Wo warst du bis jetzt und was hast du am zweiten Augustwochenende vor?“, sprudelte Rachel hervor. „Das war Wahnsinn!“ „Zweites Augustwochenende?“, wollte der Winchester wissen. „Da sind Meisterschaften und wir könnten dringend einen guten Reiter brauchen!“, erklärte sie aufgeregt. „Ich weiß nicht!“, wieder kaute Dean auf seiner Unterlippe. „Dazu muss ich erst Sam fragen!“ „Wer immer das ist“, murmelte sie und sagte dann, an Dean gewandt: „Tu das. Du musst auf jeden Fall wiederkommen.“ Auch Alaska schien dieser Meinung zu sein. Er nickte mit weit ausladenden Kopfbewegungen. „Kannst du auch treiben?“, wandte sie sich schon der nächsten Aufgabe zu und ging zu dem kleinen Pferch in den die anderen Pferde warteten. „Treiben?“ Dean hatte schon wieder keine Ahnung, was sie von ihm wollte. Sie zog den Trennbalken heraus, so dass die Pferde in die große Halle konnten. „Scheuch sie mal ein bisschen durch den Raum“, sagte sie. Ihre Worte verstand Dean zwar wieder nicht ganz genau, aber ihre Armbewegung war eindeutig, also begann er die kleine Herde vor sich her zu treiben, was ihm von den Tieren nicht gerade leicht gemacht wurde, denn immer wieder brach eines aus. Sein ganzes Können war gefordert, um die fünf beieinander zu halten. „Das ist Wahnsinn“, staunte Rachel. „So gut ist Scott noch lange nicht.“ Sie schaute direkt zu Emily. „Weißt du wer ...“ „...Sam ist? Sein Bruder“, erklärte Emily. „Sie wohnen zusammen.“ Rachel legte den Kopf schief, sagte aber nichts weiter dazu. Plötzlich stürmte ein Mann in die Halle. „Alaskas Sattel ist weg! Habt ihr ...“, sein Blick streifte Dean, der mit dem Pferd gerade an ihnen vorbeischoss. „Wie könnt ihr nur!“, fragte er aufgebracht. „Ihr wisst doch wie unberechenbar der ist!“ „Jetzt atme erstmal durch, Scott“, versuchte Rachel ihn zu beruhigen. „Der junge Mann da scheint zu wissen was er tut. Sieh ...“ „Er SCHEINT zu wissen was er tut? Mein Gott hohl ihn sofort her! Alaska hat eine Nase für unsichere Reiter! Ich will nicht schuld sein, wenn der Kerl sich die Knochen bricht!“ Emily legte ihm die Hand auf den Arm. „Schau doch einfach mal hin und dann sag mir, ob er unsicher wirkt oder ob Alaska ihn so einfach abwerfen könnte.“ Scott schaute erst jetzt genauer auf das, was Dean da tat und bekam große Augen. „WOW! Der ist richtig gut! Wo habt ihr ihn gefunden?“ „Er ist der Neffe eines alten Freundes und wohnt mit seinem Bruder in unserer Garage. Er hatte einen Unfall und leidet unter Amnesie. Ich wollte eigentlich nur, dass er nicht den ganzen Tag in der Wohnung versauert während sein Bruder unterwegs ist“, teilte Emily ihr Wissen mit den Beiden. „Nach Amnesie sieht das nicht aus!“, stellte Scott ruhig fest. „Wenn er es lange genug gemacht hat, ist es wie Fahrrad fahren. Ich hoffe, er kommt öfter.“ „Ich denke schon, es scheint ihm Spaß zu machen“, meine Emily. „Da kann ich ihn bestimmt öfter überzeugen mit mir mitzukommen.“ „Tu das.“ Die kleine Herde, die Dean die ganze Zeit durch die Halle trieb, wurden immer langsamer, bis sie mit großen Schaumflocken vor dem Maul bei den Frauen stehen blieben. Auch Alaska reagierte inzwischen unwillig und nur noch träge auf Deans Anweisungen, also lenkte er ihn ebenfalls zum Ausgang. „Ich glaube, dass ich die Tiere noch nie so müde gesehen habe“, sagte Rachel und nahm eines der Pferde am Zaumzeug. Scott und Emily nahmen ebenfalls eines der Tiere und führten sie nach draußen. Dean rutschte aus dem Sattel und folgte ihnen, Alaska am Zügel führend. Kaum sah der Hengst die Tränke vor dem Stall, stürmte er darauf zu und versenkte das Maul bis über die Nüstern in dem kühlen Nass. Dean musste um sein Gleichgewicht kämpfen, so überrascht war er von Alaskas plötzlicher Eile. Während der ausgiebig trank, holte Dean das nächste Tier. Nachdem Alaska getrunken hatte, sattelte er den Hengst ab und begann ihn mit Stroh trocken zu reiben. Erst als alle Tiere wieder in ihren Boxen standen, bemerkte er wie sehr ihn das alles erschöpft hatte und er lehnte sich gegen die Stallwand. „Lass uns fahren“, entschied Emily mit einem Blick auf den Winchester. Die ungewohnte Anstrengung ließ seine Knie zittern. Träge nickte Dean. Er stieß sich von der Wand ab und stakste zu Rachel. „Ihr wollt los?“, fragte sie und Emily nickte. Sie machte noch einen Schritt auf den Winchester zu und hielt ihm die Hand hin. „Ich freue mich dich kennengelernt zu haben und hoffe du kommst bald mal wieder. Gerne auch mit Sam. Kann der auch so gut reiten wie du?“ „Weiß nicht“, antwortete Dean. „Eigentlich sollte ich ja sauer sein“, grinste Scott etwas verlegen und stellte sich zu Rachel. „Du hast mir gezeigt, dass ich gar nicht so gut reiten kann, wie ich immer behauptet habe. Aber egal. Komm wieder und zeig mir wie du das machst!“ „Ich weiß nicht wie ich ...“, erklärte Dean verlegen. „Dann lass es mich einfach abgucken, okay?“ Der Winchester zuckte nur mit den Schultern. Er hatte gerade überhaupt keine Ahnung worum sich das Gespräch drehte. Abgucken? Unsicher nickte er. „Ich bringe ihn wieder mit“, würgte Emily jede weitere Unterhaltung ab, weil sie sah, dass es Dean immer schwerer fiel die Augen offen zu halten. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und zog ihn mit sich zu ihrem Wagen. „Bis später“, rief sie über die Schulter. „Auf Wiedersehen“, sagte auch Dean leise. Er wollte schon gerne wieder reiten. Mal sehen, was sein Bruder dazu sagte. Kapitel 253: Jeder muss lernen … -------------------------------- 253) Jeder muss lernen … Sam hörte einen Wagen über den Schotterweg rollen. Er lief zum Fenster, schaute hinaus und erkannte Emily Prudells Wagen. Sofort lief er ihr entgegen und sah seinen Bruder schon von Weitem auf dem Beifahrersitz. Aber was war mit ihm? Schlief er? Schnell rannte er zur Fahrerseite und wartete ungeduldig bis Emily die Tür öffnete. „Was ist mit Dean?“, fragte er voller Unruhe. „Ist er vom Pferd gestürzt?“ „Nein Sam, es ist alles gut. Er ist nur müde.“ „Hat er auf einem Pferd gesessen?“, fragte Sam neugierig. „Er hat uns verblüfft. Rachel, unsere Reittherapeutin hat ihn erstmal auf einem der Therapiepferde reiten lassen, ist aber schnell zu einem unserer Turnierpferde übergegangen. Er ist besser als unser bester Reiter, Scott. Wo hat er das gelernt?“ Sam atmete erleichtert durch. Dean war nichts passiert. „Er hat über ein Jahr auf einer Ranch gearbeitet. Die haben ihre Rinder noch mit Pferden getrieben. Er hat es geliebt.“ „Na dann ist es kein Wunder, dass er so gut reiten kann. Wir hätten ihm stundenlang zusehen können. Doch die anderen Pferde waren irgendwann vollkommen fertig und wollten sich nicht mehr treiben lassen.“ Sie grinste. „Er kann sich wieder erinnern?“, fragte Sam voller Vorfreude. „Der Körper erinnert sich an diese Tätigkeit, der Geist leider nicht.“ Sam seufzte enttäuscht. Es wäre zu schön gewesen! Doch egal. Jetzt sollte er aber erstmal zusehen, dass er seinen Bruder ins Bett bekam. Vorsichtig öffnete er die Tür und stützte seinen Bruder, damit der nicht aus dem Sitz fiel. Er hockte sich neben ihn und rüttelt ihn vorsichtig am Arm. „Dean?“ „Hm“, grummelte der und versuchte sich auf die Seite zu drehen. „Komm schon Dean, hier im Auto ist es doch unbequem. Ich bring dich ins Bett und da kannst du gleich weiter schlafen“, lockte Sam. Nur mühsam öffnete Dean seine Augen, grummelte etwas Unverständliches und ließ die Lider wieder fallen. Er wollte nur schlafen, egal wo. Doch Sam ließ nicht locker. „Komm hoch. Morgen tut dir alles weh“, versuchte er noch einmal an Dean zu appellieren, doch sein Bruder reagierte kaum. Also fasste er etwas fester zu und drängte ihn bestimmt, aber auch so vorsichtig wie möglich dazu auszusteigen. „Danke“, sagte er an Emily gewandt und schob Deans ins Haus und in sein Bett. Ohne ihn noch einmal anzusprechen, es hätte wohl eh nichts gebracht, zog er ihn bis auf die Shorts aus. „Schlaf gut“, wünschte er leise während er die Decke über seinen Bruder legte. Er wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen und ließ seinen Blick über seinen Bruder gleiten. So müde, so zufrieden hatte er ihn schon lange nicht mehr gesehen! Er ließ die Tür angelehnt, vielleicht brauchte Dean ihn ja, und machte es sich mit einem Buch auf der Couch gemütlich. Leises Klappern weckte Sam am nächsten Morgen. Er streckte sich, schlug die Decke zurück und stand auf. Schnell machte er sich fertig und ging nach unten. Dean stand am Herd und goss gerade eine Kelle Teig in eine Pfanne. Er drehte sich um und schaute schuldbewusst. „Ich wollte dich nicht wecken“, sagte er, bevor er sich wieder auf seine Pfannen konzentrierte. „Du hast mich nicht geweckt! Ich hätte mich auch einfach umdrehen und weiterschlafen können, wenn ich das gewollt hätte. Also mach dir darüber keine Gedanken, ja?“ Dean nickte zwar, doch Sam konnte an seiner ganzen Haltung ablesen, dass er seine Meinung nicht teilte. Das hatte er also auch von seinem alten Ich übernommen! Er seufzte lautlos. Warum konnte er diese Details nicht auch vergessen haben? „Willst du auch?“, riss Deans Frage ihn aus den Gedanken. Fragend schaute er zu seinem Bruder und dann auf die Teller, die er auf den Tisch schob. Sam nickte. Er hätte heute lieber Müsli gegessen aber wenn Dean sich solche Mühe gab, dann wollte er das auch würdigen. Vielleicht hatte er ja Jodys Rhythmus übernommen. Einen Tag deftig und den anderen Müsli? Vorsichtig balancierte Dean die heißen Pfannen auf den Tisch, holte noch einen Teller, Besteck und eine Tasse und stellte alles vor Sam, während er sich vorsichtig auf seinen Stuhl sinken ließ. „Muskelkater?“, fragte Sam, der ihn genau beobachtet hatte. „Kommt der heute? Wer ist das?“ „Der ist schon da“, grinste Sam. „Du hast ihn. Die Schmerzen, die du fühlst, das ist Muskelkater. Der kommt von den ungewohnten Anstrengungen beim Reiten gestern.“ Im Krankenhaus waren sie es trotz Deans Ungeduld langsam angegangen, so dass er zwar immer wieder an seine Leistungsgrenze gegangen war, jedoch nie von Muskelkater geplagt worden war. Mal ein Zwicken hier oder ein Stechen da, aber nie dieses langanhaltende Ziehen wenn er sich bewegte. „Darf ich dann nie wieder reiten?“, fragte Dean traurig. „Doch, natürlich wenn du es willst. Du hast es gestern nur etwas übertrieben. Deshalb hast du heute diese Schmerzen. Sie werden dich wohl auch morgen noch nerven, aber sie vergehen“, tröstete Sam ihn. „Hat das Reiten denn so viel Spaß gemacht?“ „Es war … anders“, begann Dean leise. Sein Blick verlor sich irgendwo in der Ferne. „Ich musste nicht denken. Es war als wüsste ich genau was ich wann und wie zu tun hätte.“ Er kehrte ins Hier und Jetzt zurück. „Konnte ich reiten?“ „Ja, sehr gut sogar.“ „Und wann … wie?“ „Wir haben eine Weile quasi im Wilden Westen gelebt. Du hast auf einer Farm gearbeitet, die ihre Rinder noch mit dem Pferd getrieben haben. Es hat dir Spaß gemacht und du konntest wirklich richtig gut reiten“, erzählte Sam. „Du nicht?“ „Nein, so gut wie du war ich nie, obwohl ich der Grund war, dass du es überhaupt gelernt hast. Als Kind wollte ich es unbedingt lernen, als wir in der Nähe eines Reitplatzes gelebt haben. Naja, dass du dich für ein Mädchen interessiert hast, das jeden Tag da war, hat wohl auch zu der Entscheidung beigetragen. Willst du denn wieder hin?“ „Ja, gerne“ „Dann solltest du es auch tun! Außerdem ist es gut für dich, für deine Kondition und die Koordination und wenn es dir auch noch Spaß macht, umso besser.“ Sam lächelte breit. Endlich etwas wofür sich Dean interessierte, und das nichts mit lesen und lernen zu tun hatte. Dean legte den Kopf leicht schief und kaute auf seiner Unterlippe bevor er nickte. „Ja, ich werde Emily fragen, wann sie das nächste Mal hinfährt.“ Sam nickte lächelnd und genoss weiter sein Frühstück. Erst als er seinen Teller beiseite geschoben und nur noch die Kaffeetasse in der Hand hatte, schaute er wieder auf und begann: „Ich gehe morgen in der Bibliothek Probearbeiten. Wenn sie mich nehmen werde ich, bis das College beginnt, täglich da sein. Außerdem kann ich da auch gleich noch lernen.“ „Du musst auch lernen?“, staunte Dean. „Ja, ich muss auch noch lernen. Jeder Mensch lernt sein Leben lang. Zumindest sollte er das.“ „Aber dann werd ich ja nie fertig!“, resignierte Dean entsetzt. Sam überlegte kurz und grinste. „Wenn du es so siehst … Nein, mit dem Lernen sollte ein Mensch nie aufhören.“ „Und jetzt?“, fragte Dean noch immer hatte er sich nicht von diesem Schock erholt. Er war immer davon ausgegangen, dass er, wenn er den Schulstoff geschafft hatte, alles wusste. Natürlich hatte Sam immer gesagt, dass das Leben anders war als das Bücherwissen, aber er war doch davon ausgegangen, dass er dann wieder leben konnte, dass er wusste, wie er mit Menschen umgehen musste, dass er einfach wieder normal war! Dieser simple Satz von Sam riss ihm gerade die Füße weg. „Jetzt? Mach so weiter wie in den letzten Tagen. Wenn nichts Spannendes anliegt kannst du lernen, aber du solltest nicht im Zimmer hocken und dich einigeln während das Leben draußen passiert. Nimm an, was sich dir bietet. Fahr mit Emily zum Reiten oder komm mit mir in die Bibliothek oder hilf Bobby beim Restaurieren alter Wagen. Nur sitz nicht nur über deinen Büchern!“, erklärte er ihm wieder ruhig. Vielleicht verstand Dean ja jetzt endlich, dass das Leben nicht nur aus Büchern bestand. Auch wenn er schon verstehen konnte, dass es verlockend war alles Wissen aus den Büchern zu ziehen und vor allem überschaubar, gerade wenn man gar nichts wusste. Plötzlich tat Dean ihm einfach nur leid. Wie frustrierend musste es sein zu merken, dass man jahrzehntelang gemachte Erfahrungen nicht lernen konnte, dass sie einfach weg waren. Lange musterte Dean seinen Bruder, bevor er nickte. Er hatte noch immer Angst davor seine Komfortzone zu verlassen, doch das Reiten hatte ihm auch gezeigt, dass es mehr da draußen gab und dass es gar nicht so schlimm war, neue Menschen kennen zu lernen. Er hatte sich bisher immer auf Sam verlassen und auch wenn der ihn aus der vertrauten Umgebung des Krankenhauses gerissen und zu Bobby verschleppt hatte, so war es doch bis auf die Albträume keine schlechte Erfahrung gewesen. Gut, er fühlte sich in dem singerschen Haus noch immer entwurzelt, was wohl auch daran lag, dass Bobby und auch Sam erwartete hatten, dass er sich erinnerte, er es aber nicht konnte. Sie sprachen diese Erwartungen nie aus, aber er fühlte diesen Druck unterschwellig in jedem Blick, in jeder Geste. Mit Jody war es anders. Auch sie war nicht frei von diesen Erwartungen, doch sie nahm ihn eher wie er war und zeigte ihm neue Wege. Emily war vollkommen frei. Wie ein unbeschriebenes Blatt. Das machte es ihm so viel leichter. Und vielleicht wurde so ja auch der Umgang mit Sam und Bobby Singer etwas leichter? „Dean?“, fragte Sam etwas lauter um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Was?“ „Ich fragte, was wir heute machen. Willst du dich ausruhen oder willst du lieber etwas unternehmen? Müssen wir hier noch was tun?“ „Hier?“, Dean schaute sich um. „Nein. Aber suchst du mir für morgen ein paar Aufgaben zum Lernen raus?“ „Das mach ich heute Abend.“ „Danke“, Dean legte den Kopf schief. „Können wir zu den Trampolins fahren? Oder Minigolf.“ Sam schaute auf die Uhr. „Spielen wir eine Runde Minigolf und wenn du dann noch kannst, wenn dein Muskelkater es zulässt, fahren wir Trampolin springen“, sagte er. Mal sehen, wie sich sein Bruder über längere Zeit bewegen konnte, schließlich wollte er nicht, dass er morgen nicht mehr aus dem Bett kam! „Okay“ Dean trank seinen Kakao aus und begann den Tisch abzuräumen. Schnell leerte auch Sam seine Tasse und half seinem Bruder die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Danach fuhren sie zum Minigolfplatz. Kapitel 254: Angebtanntes Essen ------------------------------- 254) Angebranntes Essen Müde und vollkommen erschöpft schlichen sie an frühen Abend wieder ins Haus. „Hast du Hunger?“, fragte Sam seinen Bruder. „Schon, aber keine Lust zum Kochen.“ „Ich bestelle uns was. Pizza oder Chinesisch?“ „Chinesisch.“ „Gut“, nickte Sam. „Du solltest gleich heiß duschen. Nicht das dein Muskelkater noch schlimmer wird.“ „Hm“, brummelte Dean und schlurfte ins Bad. Beim Minigolf war der kaum zu spüren und auf den Trampolins hatte er ihn gar nicht gemerkt, doch auf der Rückfahrt schlug der erbarmungslos zu und er fürchtete kurz sich nie wieder bewegen zu können. Okay, er war aus dem Auto gekommen. Trotzdem schimpfte er sich in Gedanken einen Idioten! Wieso hatte er diese dämliche Idee gehabt? Wieso musste er ausgerechnet heute alles auf einmal machen? Minigolf war ja noch in Ordnung aber Trampolin springen? Er musste wirklich noch viel lernen. Aber genau das wollte er ja morgen auch wieder tun! Sam musterte seinen Bruder skeptisch. Sie hatten es wirklich übertrieben! Und Dean musste darunter leiden! Warum hatte er ihn nicht gebremst? Warum war er mit ihm nach dem Minigolf nicht wieder nach Hause gefahren? Weil er sich freute, dass Dean Zeit mit ihm verbringen wollte! Weil er Dean nicht an ein paar Pferde und Emily verlieren wollte! ‚Toll Sam! So behält dich dein Bruder in richtig guter Erinnerung!‘, dachte er sarkastisch und schüttete den Kopf. Er selbst schrieb Bewerbungen für Praktika, bewarb sich an Unis und wollte ab morgen in der Bibliothek arbeiten gehen. Nein, er hatte nun wirklich keinen Grund auf Emily eifersüchtig zu sein. Er holte seinen Laptop, suchte einen chinesischen Lieferservice und bestellte. Danach schaltete er den Fernseher ein und holte Bier und Wasser aus dem Kühlschrank und deckte schon mal den kleinen Tisch vor der Couch, soweit er für das chinesische Essen überhaupt etwas decken musste. „Das Essen sollte gleich kommen“, empfing er seinen Bruder, als der aus dem Bad kam. Dean nickte nur und schlappte zur Couch, auf der er sich leise ächzend fallen ließ. „Hat die Dusche geholfen?“, fragte Sam leise. „Ein bisschen.“ „Ruh dich morgen aus. Du kannst die Bücher mit auf die Veranda nehmen oder mach es dir hier drin gemütlich. Du solltest nur keine Bäume ausreißen wollen“, versuchte Sam ihm Vorschläge für morgen zu machen, zu denen Dean träge nickte. Doch Sam wusste, dass er nicht wirklich zugehört hatte. Als es klingelte schreckte Dean hoch. Er war erschöpft eingeschlafen und musste sich erst einmal daran erinnern, wo er war. Verwirrt rieb er sich die Augen. Sam war schon an der Tür und nahm das Essen entgegen, bezahlte und trug alles zum Tisch. „Kommst du essen?“, fragte er seinen Bruder, doch der schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich komme nicht hoch“, stellte der geknickt fest. „Warte, ich helfe dir.“ Schnell stellte sich Sam vor seinen Bruder und hielt ihm die Hand hin. Er zog ihn in eine aufrechte Position und machte es sich dann neben ihm bequem. In aller Ruhe packte er eine Essensschachtel nach der anderen aus, zeigte Dean ihren Inhalt und ließ ihn entscheiden, wovon er probieren wollte. Den entschied sich für die frittierte Ente mit gebratenen Nudeln und süßsaurer Soße und versuchte sich sogar an den Stäbchen, doch als er sich in zehn Minuten gerade mal ein Paar Nudeln in dem Mund hatte schieben können, legte er sie frustriert beiseite und nahm sich eine Gabel. Jetzt ging das Essen so viel leichter und vor allem schneller. Irgendwann stellte er den leeren Karton beiseite und ließ den Kopf auf die Rückenlehne fallen. „Hey, Dean“, Sam rüttelte seinen Bruder an der Schulter. „Dean?“ „Was?“, nuschelte der und versuchte seine Augen zu öffnen. „Geh ins Bett, Alter.“ „Hmm. Gleich:“ „Nix gleich. Jetzt! Da ist es gemütlicher und du verrenkst dir nicht auch noch den Rücken“, schimpfte Sam und versuchte gleichzeitig sich das Grinsen zu verkneifen. „Ich geh ja schon!“ Schnaufend stemmte sich der Ältere von der Couch hoch und schlurfte in sein Zimmer. Sam schaute seinem Bruder hinterher und seufzte leise, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Zum nächsten Reittermin würde er mitfahren. Vielleicht ging es ihm danach ja auch so und sie konnten gemeinsam leiden. Es war eine blöde Idee und doch fühlte er sich nach diesem Entschluss etwas besser. Nun stand er ebenfalls auf und räumte den Tisch ab. Er spülte das Geschirr und ging dann in sein Zimmer. Für heute hatte auch er genug. Wieder weckte ihn das leise Klappern von Geschirr und der feine Geruch nach Kaffee. Er setzte sich auf, streckte sich und ging in seinem Schlafshirt nach unten. „Warum bist du denn schon auf?“, fragte er und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Der Blick, mit dem Dean ihn streifte, sprach Bände und er atmete durch. Sein Bruder war noch immer ein Getriebener. Ein Getriebener seines eigenen Willens und des Hungers nach Wissen. Oder war das ihrem Leben geschuldet? Außer wenn er krank war, hatte Dean seit Jahren nie länger an einem Ort gelebt. Sie waren von Fall zu Fall gehetzt, ohne sich viel Zeit für sich zu nehmen. Mal ein Konzert, mal einen Abend auf der Motorhaube des Impalas wenn das Wetter es zuließ und sie schweigend in die Sterne schauen konnten und natürlich seine Frauen, bei denen er für eine Nacht alle Sorgen vergessen wollte. War diese Unruhe Teil seiner Persönlichkeit? Dean hatte inzwischen den Tisch fertig gedeckt. Breit strahlend nahm er die Milch vom Herd, sie war nicht übergekocht, und machte sich seinen Kakao. „Machen Waschbären Yoga?“, fragte er und setzte sich. „Was?“, Sams Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen. „Wieso Yoga?“ Langsam kam er zum Tisch. „Das Ding auf deinem Shirt. Das ist doch ein Waschbär, oder?“ Der Jüngere schaute an sich herab. „Stimmt,“ erklärte er dann. „Das ist ein Waschbär der Yoga macht.“ Er hatte sich das Shirt gestern Abend nur gegriffen, ohne es sich genauer anzuschauen. „Es ist nur ein Shirt. Waschbären machen kein Yoga.“ erklärte er und war gleichzeitig stolz, dass sein Bruder den gezeichneten Waschbären und die Yogahaltung erkannt hatte. Sie frühstückten in aller Ruhe und während Sam danach wieder nach oben ging um sich für seinen ersten Arbeitstag fertig zu machen, räumte Dean auf und machte ein paar Sandwiches. „Ich muss dann los“, rief Sam während er die Treppe herunterkam. „Ich versuche mich mal zu melden.“ Er ging zur Tür. „Warte“, rief Dean, sprang auf und holte eine Papiertüte aus dem Kühlschrank, die er seinem Bruder in die Hand drückte. „Was ist das?“ „Ein Lunchpaket?“ Er hatte das in einem Film gesehen. Jetzt kratzte er sich irritiert am Kopf. „Nicht gut?“ „Doch!“, begann Sam noch immer etwas überrascht. „Ich hatte nur nicht damit gerechnet. Danke!“ Er lächelte wehmütig. Schon als er klein war hatte Dean ihm ein Lunchpaket für die Schule mitgegeben. Damals wusste er das nicht wirklich zu schätzen, auch weil er annahm, dass Dean in der Kantine aß und er das auch wollte. Dass sein Bruder oft nur mit einer Mahlzeit am Tag auskommen musste, weil das Geld nicht reichte, war ihm erst viel später klar geworden. Damals hatte er es ihm nicht gedankt. Heute wollte er es. „Danke“, sagte er also noch einmal mit einem Lächeln im Gesicht und nickte, bevor er das Haus verließ. Nachdem das Röhren des Impalas verklungen war, packte der ältere Winchester seine Bücher und ging mit ihnen zu dem Baum mit der Schaukel. In seinem Schatten machte er es sich gemütlich und begann zu lernen. Das plötzlich einsetzende Klingeln seines Handys ließ ihn zusammenzucken. Irritiert schaute er sich um. Was war das? Dann fiel ihm das kleine Teil ein, das Sam ihm heute morgen noch einmal eindringlich ans Herz gelegt und er mit einem Augenrollen in die Tasche gestopft hatte. Er holte es hervor, drückte die kleine grüne Taste und meldete sich. „Alles in Ordnung?“, fragte Sam besorgt. „Ja, ich hab nur nicht mehr an das Telefon gedacht“, entschuldigte sich der Ältere. „Was machst du?“ „Ich sitze draußen und versuche Mathe zu verstehen.“ „Ist nicht leicht. Ich kann es dir heute Abend gerne in Ruhe erklären.“ Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht. Damals hatte Dean ihm das erklärt. „Okay?“ „Aber eigentlich wollte ich mich für die Sandwiches bedanken. Die sind super! Und dir sagen, dass ich bis fünf arbeite und so gegen halb sechs, sechs wieder da bin.“ „Okay“, antwortete Dean einsilbig und nickte. „Mach nicht zu viel“, verabschiedete sich Sam, offenlassend was genau er damit meinte und legte wieder auf. Dean starrte noch einen Augenblick auf das kleine Teil in seiner Hand, bevor er es zurück in die Tasche schob. Sein Magen grummelte. Er legte das Buch beiseite und ging ins Haus, um sich ebenfalls ein Sandwich zu machen, das er dann vor dem Fernseher verputzte. Gelangweilt schaltete er dabei durch die Kanäle und blieb bei einem alten Schwarz-Weiß-Film hängen. Die Hausfrau empfing ihren Mann, der gerade von der Arbeit nach Hause kam, mit einem leckeren Abendessen. ‚Das könnte ich auch‘, überlegte sich Dean. Er schaute im Kühlschrank nach, was sie vorrätig hatten und holte sich danach seinen Laptop. Kurz musste er überlegen welche Seite Jody aufgerufen hatte, als sie nach einem Rezept suchte. Sie hatte ihm lang und breit erklärt wie diese Seite funktionierte, wie man auch für das, was man noch vorrätig hatte ein Rezept finden konnte und wie wunderbar das Internet doch war. Heute musste er ihr Recht geben. Vor wenigen Wochen war ihm das noch ziemlich gleichgültig, ja sogar suspekt, gewesen. Er tippte seine Ausbeute in die Suchleiste ein und erhielt schnell ein paar Vorschläge, die nicht mal schwierig zu sein schienen. Sofort stand sein Entschluss fest. Er würde Sam mit einem Essen überraschen! Eineinhalb Stunden bevor Sam wieder da sein wollte, begann er mit den Vorbereitungen. Er schälte die Kartoffeln und rieb sie in eine Schüssel, drückte sie aus und würzte die Steaks. In einem Topf brachte er die Erbsen zum Kochen. Eine Pfanne benutzte er für die Steaks und eine weitere wollte er für die Hash Browns nehmen. Die fertigen Steaks nahm er aus der Pfanne, vergaß aber die Platte darunter auszuschalten. Er schaufelte eine Ladung Kartoffeln in die Pfanne. Die Erbsen kochten über. Und während er die Platte kleiner regelte entzündete sich das Fett in der heißen Pfanne. Entsetzt starrte Dean auf die Flammen. Was jetzt? Nach einer Schrecksekunde stülpte er sein Schneidebrett darüber und warf noch ein Handtuch drauf. Er zerrte die qualmende Pfanne mit den Hash Browns von der Platte und stürzte hustend und keuchend aus der Wohnung. Wie hatte das denn so schnell zum totalen Desaster werden können? Sein Herz klopfte wie ein Trommelwirbel und seine Knie begannen zu zittern. Er lehnte sich auf das Geländer der Veranda und versuchte durchzuatmen. Ihm war übel. Genau in diesem Moment kam Emily vom Einkaufen zurück. Sie sah den Rauch und einen etwas derangierten, blassen Dean, hielt an und kam sofort zu ihm. „Was ist los. Alles okay? Bist du verletzt?“, wollte sie besorgt wissen. „Nein, es ist … ich bin okay. Ich hab nur … Ich wollte kochen … wenn Sam wiederkommt. Aber plötzlich fing das Fett an zu brennen und der Topf kochte über und ...“ Dean schniefte. Er sah zu ihr auf und jetzt kullerten ihm doch ein paar Tränen aus den rotgeränderten Augen. Bei dem Wort Feuer hatte Emily einen Blick in die Küche geworfen, konnte aber keine Gefahr mehr erkennen. Sie zog Dean in ihre Arme und strich ihm beruhigend den Rücken. „Es ist alles gut gegangen. Du hast genau richtig reagiert. Du hast die Flammen nicht mit Wasser gelöscht! Da warst du wirklich sehr umsichtig!“; lobte sie ihn. „Aber jetzt hab ich nichts zu Essen für Sam und die Pfanne ist bestimmt auch dahin und streichen müssen wir auch wieder, wenn wir hier überhaupt noch wohnen können und dürfen?“ „Warum denn nicht? Du bist nicht der erste, bei dem eine Pfanne Feuer fängt“, tröstete sie ihn. Woher sollte er es auch können? Andere Menschen hatten viel Zeit ihrer Mutter beim Kochen zuzusehen. Er wohl nur ein paar Monate, vielleicht auch nur Wochen? Dafür schlug er sich doch ganz gut, überlegte sie. Kapitel 255: Kleine Erinnerungen -------------------------------- 255) kleine Erinnerungen „Lass uns rein gehen und schauen, was wir retten können, ja?“, schlug Emily vor, als er sich etwas beruhigt hatte. Dean nickte und schlich ins Haus zurück. Anders konnte man das wirklich nicht nennen. Emily folgte ihm auf dem Fuße, um den Jungen genauso besorgt, wie um die Wohnung. Doch die sah nach dem ersten Rundblick gar nicht schlimm aus. Es roch etwas streng, aber das konnte mit viel Lüften und einem Raumspray behoben werden. Der Herd musste gründlich geputzt werden, stellte sie fest, bevor sie das Essen inspizierte. Die Steaks ließen sich problemlos retten. Sie würden zum Essen wohl nicht mehr blutig sein, aber beim ersten eigenen Kochversuch sollte das kein Problem sein. Schnell schob sie die in den Backofen. Die Erbsen mussten nur noch etwas ziehen. Nur der erste Versuch Hash Browns war nicht mehr zu retten. Doch Dean hatte genug Kartoffeln gerieben. „Wann kommt Sam denn wieder?“, fragte sie und begann der Geschirrspüler einzuräumen. „Gegen sechs“, antwortete Dean. „Dann haben wir genug Zeit. Du räumst hier weiter ein und ich putze schnell den Herd, dann machen wir neuen Hash Browns“, entschied sie. Keine viertel Stunde später verließ sie das Haus. Dean deckte den Tisch. Außer dem strengen Geruch wies nichts mehr auf das Malheur hin. Jetzt konnte Sam kommen. Dean setzte sich auf einen Stuhl und ging in Gedanken noch einmal durch, was Emily ihm Schritt für Schritt erklärt hatte. Das dumpfe Grollen des Impalas riss ihn aus seinen Gedanken. Er stand auf und starrte nervös zur Tür. Gleich würde Sam kommen und dann? Die Impalatür schlug zu. Schritte auf der Veranda und dann stand Sam in der Tür. „Puh, wonach riecht es denn hier?“, fragte er irritiert. „Ich hab gekocht“, erklärte Dean leise und starrte auf seine Schuhe. Sam schluckte. Sein Blick wanderte von seinem, sich regelrecht windenden, Bruder zum gedeckten Tisch. „Und du denkst man kann es nicht essen?“ „Emily hat mir geholfen! Ich … Das Fleisch war fertig und ich habe es rausgenommen. Plötzlich sind die Erbsen übergekocht und die Kartoffelpuffer und … da war Feuer in der Pfanne! … Ich … Ich hab das Brett draufgelegt. Es ist leicht angebrannt“, beichtete er immer leiser werdend. Erschrocken schaute Sam sich um. Doch außer, dass es angebrannt roch, konnte er nichts feststellen. „Aber dir ist nichts passiert?!?“ „Ich hab mich erschrocken. Emiliy kam in dem Moment. Sie hat mir beim Aufräumen geholfen und neue Hash Browns gemacht.“ „Dann lass uns essen“, bat Sam. Er ging zum Tisch und versuchte sich auf alles einzustellen. Wenn Dean Jody geholfen hatte, kam immer etwas Leckeres dabei heraus, aber wie viel davon hatte sein Bruder allein gemacht? Dean nickte. Er schaltete den Herd aus bevor er die Klappe öffnete und die Teller und Schüsseln herausholte. Noch einmal schaute er nach, dass auch wirklich alles ausgeschaltet war. Erst dann trug er alles zum Tisch. „Ich hoffe es schmeckt“, sagte er leise, noch immer unfähig seinen Bruder anzuschauen. Der nahm sich ein Steak, ein paar Erbsen und einen Hash Brown. Er schnitt ein Stück vom Fleisch ab und probierte. Es schmeckte! Bei den Erbsen und dem Kartoffelpuffer war er schon viel mutiger und wurde auch hier nicht enttäuscht. „Das schmeckt gut!“, lobte er. „So gut hätte ich das nicht hinbekommen! Also wenn du weiterhin kochen willst, meinen Segen hast du!“ Er strahlte Dean breit an. „Meinst du wirklich?“ Unsicher kaute der Ältere auf deiner Unterlippe. „Jetzt hör auf an dir zu zweifeln! Probier es einfach.“ Dean nickte kurz und versuchte nun ebenfalls ein Stück Fleisch. „Ist wirklich okay.“ „Das ist nicht nur okay, Dean! Das ist lecker!“ „Bei Jody war´s besser!“ „Jody kocht seit Jahren! Sie hat viel mehr Übung darin! Wir haben meistens in irgendwelchen Dinern gegessen. Jess, eine Freundin, hat zwar versucht mich in die Geheimnisse des Kochens einzuführen, aber ich war nie gut darin und du bist jetzt schon besser als ich es je war!“ Sam legte so viel Überzeugungskraft in seine Worte wie er nur konnte. Dean nickte wieder nur unsicher. „Ich würde mich freuen, wenn du wieder für uns kochen würdest, Dean“, erklärte Sam und legte seine Hand auf die seines Bruders. Endlich hob der den Kopf und schaute ihn direkt an. „Ehrlich?“ „Ehrlich!“ Sam lächelte aufmunternd. Der weitere Abend verlief ruhig. Sie räumten gemeinsam auf und danach verzogen sie sich auf die Couch. Sam erklärte seinem Bruder die Matheaufgaben und nachdem sie es sich noch ein Bisschen vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatten, gingen sie in die Betten. Am nächsten Vormittag saß Dean wieder unter dem Baum und versuchte sich erneut an den Aufgaben, an denen er am Vortag noch gescheitert war. Emily kam über den Rasen. „Dean?“, fragte sie ruhig. „Hm?“ Er hob den Kopf. „Ich wollte zum Reitstall. Willst du mitkommen?“ Die Antwort musste er sich nicht lange überlegen. Nickend klappte er die Bücher zu, schob alles zu einem ordentlichen Stapel zusammen und brachte es ins Haus. „Wann sind wir wieder da? Sam wollte, dass ich koche“, fragte er in der Tür stehend. „Wir sind zeitig genug da, wenn er so wie gestern kommt. Ich wollte Shepardspie machen. Dabei könntest du mir helfen und dafür dann die Hälfte mitnehmen.“ „Klingt gut“, sagte Dean, der doch noch etwas Angst davor hatte, das Haus doch noch anzuzünden. „Gut, dann fahren wir auf dem Rückweg noch einkaufen“, bestätigte Emily. Dean schloss das Haus ab und folgte ihr zum Wagen. Während der Fahrt musterte sie ihren Beifahrer immer wieder. Wer war dieser schweigende junge Mann neben ihr wirklich? Er war ein hübscher Bengel, genau wie sein Bruder, doch weder er noch Sam sahen Bobby wirklich ähnlich. Gehörten sie zu Carens Familie? Wo waren ihre Eltern? Wie alt waren die Beiden und waren sie überhaupt Brüder? Vielleicht konnte sie ja einige dieser Fragen klären, wenn sie Sam einmal etwas länger in die Finger bekam. Wann und wo sie mal auf dieser Ranch gearbeitet hatten, würde sie auch brennend interessieren! Waren sie alt genug für so ein Jahr? War es eine Art ökologisches Jahr nach dem College? Waren sie jugendliche Straftäter, die ihre Strafe so ableisten mussten? Wieder fiel ihr Blick auf den jungen Mann, der schweigend aus dem Fenster schaute und sie schob zumindest ihre letzte Vermutung beiseite. Die Zwei waren in Ordnung. Nett, zuvorkommen und bestimmt keine Straftäter! Sie bog auf den Hof vor der Reithalle ein und Dean setzte sich aufrechter. Die Vorfreude ließ sein Gesicht strahlen. Er öffnete die Tür, kaum dass Emily angehalten hatte und stürmte in den Stall. Im Vorbeigehen stibitzte er eine Möhre aus einem Eimer und lief zu Alaskas Box. „Hey“, sprach er den Hengst an. Der hob den Kopf und kam zur Tür. Sanft schnupperte er an Deans Gesicht und an seiner Hand und wandte sich dann gierig der mitgebrachten Möhre zu. „Magst du die?“, wollte Dean leise wissen, obwohl die Antwort eigentlich offensichtlich war. „Möchtest du ihn wieder reiten?“, fragte Rachel. Dean zuckte zusammen. Er hatte sie nicht kommen gehört. „Gerne“, nickte er. „Wieder in der Halle oder was hältst du von einem Ausritt durch die Felder?“ „Ich kenne mich hier nicht aus.“ „Du musst nicht alleine reiten. Emily, Scott und ich würden mitkommen.“ „Gerne“ Ein Lächeln glitt über Deans Gesicht. „Vorher will Scott sich aber noch ein paar Tricks von dir abschauen.“ „Ich weiß nicht wie ich das mache“, wehrte Dean erschrocken ab. Wie sollte er erklären, was ohne sein Zutun funktionierte. „Du musst es ihm nicht mit Worten erklären“, versuchte sie zu beschwichtigen. „Auf einer kleineren Weide stehen ein paar Rinder mit denen wir trainieren dürfen. Dahin wollen wir reiten und dort will Scott dir einfach nur zuschauen wie du es machst. Er ist ganz gut im Abgucken und vielleicht lernt er es so ja schon.“ „Wenn du es sagst?“ Dean wusste nicht so recht, ob das klappen konnte, aber er hatte von Sam und den Therapeuten im Krankenhaus auch viel durch zuschauen gelernt. Er zuckte mit den Schultern und kaute unsicher auf seiner Unterlippe. „Na komm, holen wir ihn raus“, wandte sie sich den praktischen Dingen zu. Sie schob das Tor auf und Dean führte den Hengst nach draußen, wo er ihn wie schon beim letzten Mal an dem Querbalken anband. In aller Ruhe begann er ihn zu striegeln. Emily und Rachel gesellten sich mit ihren Pferden zu ihm. Nur Scott war schon fertig. Er probierte seine Stute rückwärts gehen zu lassen. Etwas, das sie nur sehr widerwillig und nie beim ersten Mal machte. Als er sah, dass die Drei ihre Pferde sattelten und aufsaßen, kam er zu ihnen. „Irgendwann geht sie rückwärts und wenn ich dafür einen Besen fressen muss!“, erklärte er frustriert. „Man kann Besen essen?“, fragte Dean irritiert. „Schmecken die?“ „Nein, kann man nicht. Es ist nur eine Redensart“, erklärte Emily lachend. „Ach so.“ Dean zuckte mit den Schultern. „Ich kenne noch nicht so viele Redensarten“, erklärte er ernst. „Sag mal“, begann Rachel, die neben ihm den Feldweg entlang ritt. „Wie alt bist du eigentlich?“ „32.“ „Und Sam?“ „28. Warum?“ „Ich bin neugierig. Du siehst jünger aus. Und falls du im August für uns reitest, müssen wir dich melden. Die wollen da sowas wissen.“ „Warum?“ „Vielleicht für ihre Statistiken?“ „Was ist das?“ „Eine Liste, auf der viele Dinge stehen, die man irgendwann mal miteinander vergleichen könnte.“ Dean kaute auf seiner Unterlippe. Verstanden hatte er die Erklärung nicht, aber er würde Sam heute Abend fragen. Also zuckte er nur mit den Schultern. Schon bald waren sie auf der Weide angekommen. „Kannst du sie zusammentreiben?“, fragte Rachel und deutete auf die verstreut stehenden Rinder. Unsicher kaute Dean auf der Unterlippe. Konnte er das? Bei den Pferden hatte es geklappt, da müsste es bei den Rindern ja eigentlich auch gehen, oder? Er zuckte mit den Schultern, gab dem Hengst die Sporen und trabte um die Rinder herum nach hinten. Schon auf halbem Weg übernahm sein Unterbewusstsein. Seine Haltung änderte sich. Er nahm eine Hand von den Zügeln. Gebannt schauten die drei auf den Winchester und vor allem Scott erhoffte sich viele neue Herangehensweisen, die auch ihn weiterbrachten. Doch gerade jetzt schien Dean überhaupt nicht klarzukommen. Immer wieder setzte er an und immer brach er nach wenigen Schritten ab. Es schien fast so, als ob er mit sich kämpfen würde. Wieder und wieder schüttelte er den Kopf und versuchte es erneut. Dann plötzlich blieb er stehen. Es sah fast so aus, als ob er zuhören würde. Konnte das sein? Die drei Beobachter schauten sich ratlos an. Dean hatte versucht sich selbst zuzusehen, damit er Scott seine Herangehensweise erklären konnte. Deshalb hatte er es immer wieder versucht. Leider schien das eher ein Ding der Unmöglichkeit zu sein etwas zu tun, von dem er eigentlich keine Ahnung hatte und genau das auch noch gedanklich in Worte zu fassen. Dass er dabei immer wieder einen komplett schwarzen Pferdehals vor sich sah, statt des schwarz-weißen Alaskas, brachte ihn noch mehr aus dem Konzept. War das doch nicht einfach nur in Bild auf seinem Quilt? Noch etwas, das er Sam fragen musste. Plötzlich hörte er eine Stimme und meinte fast einen jungen Cowboy mit mittelbraunem, längerem, leicht gelocktem Haar neben sich auf einem Pferd sitzen zu sehen. Der breitkrempige Hut beschattete seine Augen. Er trug ein blaues Hemd, eine Lederweste und über den hellen Baumwollhosen die obligatorischen Chaps. In aller Ruhe erklärte der, wie er das Pferd dazu brachte genau das zu tun, was es tun sollte. Dean grinste breit. Jetzt wusste er, was er Scott und Rachel sagen konnte. Mit einem leichten Nicken bedankte er sich bei dem imaginären Cowboy und gab dem Hengst die Sporen. Dieses mal trieb er die Rinder zusammen und in eine Ecke der Weide. Kapitel 256: Abriss ------------------- 256) Abriss „Was war los?“, fragte Emily besorgt. „Nichts, ich … ich hab versucht mir zu merken was ich da mache, um es euch erklären zu können. So richtig hat es anfangs nicht geklappt, aber jetzt weiß ich wie ich es gelernt habe.“ „Du kannst dich erinnern?“, fragte Emily voller Freude. „Nur an den Cowboy der es mir beigebracht hat und an ein schwarzes Pferd von dem ich nicht mal weiß, ob es echt ist.“ Er schnaufte. Wieder schlich sich die Schwermut in Deans eben noch leuchtende Augen. Er schluckte hart, als er die allbekannte Wut in sich aufsteigen fühlte. Warum musste er diese Amnesie haben und warum kamen seine Erinnerungen nicht wieder? Wovor wollte ihn sein Gehirn schützen? Wollte es das überhaupt? Das was Sam ihm von ihrem Leben erzählt hatte, klang nicht so als gäbe es da viel Schlimmes. Ja, sie waren von Ort zu Ort gezogen und ja, er hatte seine Mutter verloren, an der er wohl auch sehr gehangen hatte aber das war anderen Menschen doch auch passiert und die hatten deshalb keine Amnesie! Wütend presste er die Zähne aufeinander und seine Hand krampfte sich um den Zügel. „Dean?“ Rachel sah die Veränderungen und deutete sie richtig. Sanft legte sie ihre Hand auf seinen Arm. „Was?“, kam es ruppiger aus Deans Mund, als er es beabsichtigt hatte. E schaute sie an und atmete tief durch. Sie konnte nichts dafür! „Entschuldige!“, sagte er leise. „Es ist nur so ...“ „Frustrierend“, beendete Rachel seinen Satz und nickte. Dann erhellte ein fröhliches Strahlen ihr Gesicht. „Wir wollen Samstag den alten Unterstand abreißen. Hast du Lust? Es wäre eine gute Methode um Frust abzubauen.“ Dean nickte. Sam hatte ihm vom Umbau in Bobbys Haus erzählt und davon, dass er auch in einem Abbruchunternehmen gearbeitet hatte. Warum das jetzt nicht auffrischen? „Ich denke schon“, sagte er. „Aber ich muss erst mit Sam reden.“ Rachel nickte. „Er kann auch gerne mitkommen.“ So würde sie diesen, bis jetzt nur imaginären, Sam auch endlich kennen lernen. Dean nickte. Sein Blick glitt über die Rinder, die sich in der Zwischenzeit schon wieder über die Weide verteilt hatten. Er wandte sich zu Scott um. „Willst du es machen?“ „Wenn du mir verrätst wie du es machst?“ Nickend schaute Dean noch einmal über die Weide und gab dann die Hilfestellungen fast wortwörtlich genau so an Scott weiter, wie er sie von Jacob einmal bekommen hatte. „Dann probiere ich es mal so“, erklärte der und machte sich daran, die Rinder wieder zusammenzutreiben. Es funktionierte noch nicht ganz so gut, wie bei dem Winchester, aber als sie sich auf den Weg zurück zu den Ställen machten, schon viel flüssiger als noch Stunden zuvor. Auf dem Rückweg lieferten sich die jungen Leute ein kleines Rennen, bei dem Dean sich nur auf Grund der fehlenden Ortskenntnisse geschlagen geben musste. Kurz vor sieben hatten Emily und Dean ihre Einkäufe in ihrer Küche abgeladen. „Du kannst schon mal Kartoffeln schälen“, wies sie ihn an und räumte die restlichen Einkäufe in die Schränke. Schritt für Schritt bereiteten sie den Shepards Pie vor und bei jedem Schritt erklärte Emily genau was sie wie machte. Als Sam aus der Bibliothek kam, stand das Essen auf dem Tisch und duftete verlockend. „Heute ist nichts angebrannt“, stellte der Jüngere schmunzelnd fest. „Wir haben bei Emily gekocht“, erklärte Dean ruhig und wartete darauf, dass sich sein Bruder zu ihm setzte. Er hatte Hunger. Sam schnupperte noch einmal, dann schaufelte er sich und Dean große Portionen auf die Teller. „Was hast du heute gemacht?“, wollte er während des Essens wissen. „Wir waren reiten. Ich habe versucht Scott ein paar neue Hilfestellungen zu zeigen, damit er sein Pferd beim Rindertreiben unterstützen kann.“ Dean schwieg kurz und schaute Sam dabei fragend an. „Hatte ich mal ein schwarzes Pferd? Ich meine das Bild auf dem Quilt … ist das real? Da war auch ein junger Cowboy mit mittelbraunen, längeren Haaren und dunklen Augen. Ich ...“ Dean schüttelte den Kopf als es ihm nicht gelang sich an mehr zu erinnern. „Du könntest von Jacob reden“, vermutete Sam. „Thomas war blond und mit William hattest du weniger zu tun.“ „War blond?“, hakte Dean nach. „Naja, wahrscheinlich ist er das heute noch.“ „Wann waren wir da?“ „Vor ein paar Jahren.“ Sam überlegte wie er die Geschichte erzählen konnte ohne wirklich zu lügen. „Du warst fast 17. Dad war mal wieder ziemlich abgestürzt und in eine Schlägerei verwickelt. Das Gericht hat das Jugendamt informiert und die wollten mich in ein Heim bringen. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt und du hast auch alles versucht, damit das nicht passierte. Letztendlich haben wir wohl einen der Mitarbeiter da gerührt. Wie auch immer: Sie haben uns auf diese Ranch in Texas geschickt, damit wir zusammenbleiben konnten. Dort hast du so reiten gelernt. Ich habe es nie zu der Perfektion gebracht. Als du 18 wurdest, musstest du gehen. Du warst erwachsen. Die Ranch war nur für Jugendliche. Ich wollte nicht alleine bleiben. Also sind wir zurück zu Dad.“ Schweigen breitete sich aus und Sam machte sich eine gedankliche Notiz, dass er gleich noch mit Bobby reden musste. „Sag mal“, begann Dean unsicher und schaute zu Sam. Erst als der auffordernd nickte, sprach er weiter. „Das Pferd auf dem Quilt. Gibt es das wirklich?“ „Impala“, Sam lächelte. „Ja den Hengst gab es wirklich.“ „Impala ist ein Auto!“ „Du hast den Hengst nach deinem Wagen benannt, weil er genauso schwarz war.“ „Wieso war?“ „Impala, also der Hengst lebt nicht mehr.“ „Er ist tot? Gestorben?“ „Ja, schon vor einer ganzen Weile“, nickte Sam. Nicht dass sein Bruder noch auf die Idee kam und das Tier sehen wollte und somit auch die Ranch. Niemand da würde ihn kennen und wie sollte er den jetzigen Bewohnern, so die Ranch noch existierte, und Dean erklären wann sie da gelebt hatten? „Schade“, sagte Dean und schaute bedrückt. Diesen Hengst hätte er gerne kennengelernt. Vielleicht hätte er ja mit ihm seine Erinnerungen wiedergefunden. Sie aßen schweigend. „Oh man.“ Sam legte das Besteck beiseite und strich sie über seinen vollen Bauch. „Das war so lecker. Also wenn du mal Arbeit suchst, Koch kannst du mit auf die Liste setzten.“ „Das meiste hat Emily gemacht. Ich hab nur geholfen!“, wehrte Dean dieses Lob ab. „Vielleicht schmeckt es ja gerade deshalb so gut, weil du geholfen hast?“ Sam lächelte breit. „Du warst also heute wieder reiten. Wie geht es dir jetzt? Hast du wieder Muskelkater?“ „Nein, es ist okay. Rachel fragte, ob ich Samstag auch kommen kann. Sie wollen einen Schuppen abreißen. Sie fragte auch nach dir.“ „Warum das denn? Also warum fragt sie nach mir?“, wunderte sich Sam. „Sie will dich kennenlernen, weil ich immer sage, dass ich dich fragen muss.“ „Du sagst, dass du mich immer fragen musst?“, irgendwie fand Sam, dass das ziemlich blöd klang. „Naja, ich weiß doch nicht ob wir was vor haben. Ob wir irgendwohin müssen“, versuchte Dean zu erklären. „Außerdem fühle ich mich sicherer, wenn du sagst, dass es okay ist.“ Sam nickte. So hatte er das nicht gesehen. Dean war inzwischen so selbstständig und machte so viel alleine, dass er verdrängt hatte, dass Deans Leben ja erst wenige Monate währte. „Solange du dich so sicherer fühlst, kannst du mich natürlich fragen. Solltest du aber irgendwann der Meinung sein, selbst entscheiden zu wollen, tu es. Schön wäre nur wenn ich Bescheid wüsste.“ Sam sprang auf und lief nach oben. Verwundert schaute ihm Dean hinterher. Wo wollte Sam hin? Hatte er etwas falsch gemacht? Etwas falsches gesagt? Er zuckte mit den Schultern und begann den Tisch abzuräumen. Gerade als er die Spülmaschine fertig eingeräumt hatte, kam Sam mit zwei Blättern zurück, die er an die Küchentür klebte. Neugierig stellte sich Dean daneben und musterte die Blätter. „Was ist das?“ „Unser Kalender. Du trägst deine Termine mit schwarz ein, ich nehme blau und gemeinsame Termine schreiben wir in rot. Wenn wir immer mal wieder eine Blick drauf werfen, wissen wir was ansteht.“ „So wie die Sonntage bei Bobby?“ Dean deutete auf die entsprechenden Einträge. „So wie die Sonntage bei Bobby“, bestätigte Sam. Am Samstagmorgen stiegen die Brüder kurz vor Acht aus Emilys Wagen. Es war ziemlich frisch, doch das tat der Stimmung im Reit- und Therapiezentrum keinen Abbruch. Rachel kam ihnen entgegen. „Dean, schön dich zu sehen“, sie streckte ihm die Hand hin. „Alaska freut sich schon.“ „Ich dachte wir sollen einen Schuppen abreißen?“ „Das auch. Vorher wollen wir aber die Pferde auf die hintere Weide bringen“, erklärte sie und wandte sich dem großen Mann neben Dean zu. „Du musst Sam sein?“ „Bin ich. Hallo.“ „Schön dich kennen zu lernen.“ Sie schüttelte auch dem jüngeren Winchester die Hand. „Dann lasst uns loslegen.“ Sofort wurde Sam mit eingespannt und bekam zwei Pferde. Sie hatten die Pferde auf eine der äußeren Koppeln gebracht und saßen bei einem reichhaltigen Frühstück, als es an den Türrahmen klopfte. „Das lass ich mir gefallen! Noch nichts getan und schon essen!“ Alle Köpfe wandten sich dem Neuankömmling zu. „Ed!“, freudestrahlend sprang Rachel auf. Sie lief zu ihm und zog ihn in eine herzliche Umarmung. „Willst du einen Kaffee oder gleich loslegen?“ „Von mir aus kann es losgehen. Je eher wir anfangen, umso schneller sind wir fertig!“ „Trink wenigstens einen Kaffee und gib uns so die Möglichkeit in Ruhe fertig zu essen“, bat Rachel. Während Emily ihm schon eine Tasse in die Hand drückte. Ed, ein stämmiger Mann Anfang 50 ließ sich auf den freien Stuhl neben Emily fallen. Nach dem Essen gingen alle nach draußen. „Und wer hilft mit beim Abriss?“, fragte der Bauunternehmer. „Dean, Scott und Sam, denke ich“, antwortete Rachel und deutete auf die drei Männer. „Ich bin eher zum Aufräumen geeignet“, wehrte Sam ab. „Und ihr?“, wollte Ed wissen und schaute zu den beiden Anderen. „Beim Einreißen bin ich auf jeden Fall dabei“, grinste Scott. „Das mit dem Aufbauen hab ich noch nicht gemacht.“ „Und du?“ „Weiß nicht?“, erwiderte Dean leise und schaute hilfesuchend zu Sam. „Was heißt: weiß nicht? Wieso weißt du nicht, ob ...“ „Er hat Amnesie, okay?“, fuhr Sam den Mann an. Wieso konnte der nicht einfach fragen? Wieso musste das sofort in einen Vorwurf münden? So verschreckte er Dean doch nur. Verdammt! „Geben Sie ihm einen Hammer, erklären Sie ihm was er machen soll. Er hat schon auf dem Bau gearbeitet und er hat das Haus von unserem Onkel umgebaut. Er kann das!“, nahm Sam seinen Bruder in Schutz. „Auf deine Verantwortung, Junge!“, knurrte Ed. Was hatte Rachel ihm den da für Dilettanten angeschleppt? Aber darüber konnte er später noch ein ernstes Wort mit ihr reden, jetzt sollten sie erstmal anfangen! Er verteilte die Werkzeuge und ging, gefolgt von seinen Helfern zu dem Schuppen. „Okay, Holz, das so aussieht“, er deutete auf einen noch gut aussehenden Pfosten, „wird nicht mit brachialer Gewalt umgehauen. Das können wir wieder verwenden also bitte mit Umsicht behandeln und auf einer Stelle sammeln. Alles was so“, er deutete auf eine ziemlich zerfressene Latte, „aussieht auf eine andere Stelle. Daraus können wir nachher ein Lagerfeuer machen. Der Rest kommt auf einen dritten Haufen. Den muss ich später entsorgen“, erklärte Ed. Er nahm seinen Hammer und begann die ersten Latten rauszureißen. Dean schaute kurz zu und begann dann an einer anderen Stelle. Schnell fand er seinen Rhythmus und war fast so schnell wie Ed. Sam musste sich ganz schön beeilen, damit die zwei ihre Arbeit nicht ständig unterbrechen mussten. Schon drei Stunden später waren von dem alten Schuppen nur noch drei unterschiedlich hohe Haufen zu sehen. Sam ließ sich keuchend auf einen Balken fallen. Selbst als Scott und Rachel beim Wegräumen mitgeholfen hatten, mussten sie sich beeilen. Kapitel 257: Etwas Neues entsteht --------------------------------- 257) Etwas Neues entsteht „Du scheinst wirklich schon mal auf dem Bau gearbeitet zu haben. Das war gute Arbeit“, lobte Ed und legte seine Hand schwer auf Deans Schulter. „Bist du nächste Woche beim Aufbau auch dabei?“ „Wann ist der?“ Dean hatte der Abriss sichtlich Spaß gemacht. Seine Augen leuchteten noch und seine Wangen waren rot vor Eifer. „Ich wollte Montag loslegen.“ Dean schaute zu seinem Bruder, der lächelnd nickte. Sofort gab er das Nicken an Ed weiter. „Dann müssen wir Bobby nur fragen, ob er ein Auto für dich hat“, überlegte Sam. „Wird eh Zeit, dass du einen fahrbaren Untersatz bekommst, solange ich dein Baby fahre.“ „Okay?“ Dean machte ein unglückliches Gesicht. Er war zwar schon ein paar Mal alleine gefahren und Jody und Bobby hatten ihn auch immer wieder fahren lassen, wenn sie gemeinsam einkaufen fuhren, aber er mochte es nicht. Irgendwie fühlte er sich immer unsicher, nicht Herr der Lage. „Ich kann dich auch abholen, wenn es dir lieber ist“, schlug Ed vor. „Wenn wir kein Auto kriegen, gerne“, antwortete Sam bevor Dean etwas sagen konnte. Er wusste schließlich genau wie diese Antwort ausfallen würde. „Lieber wäre mir allerdings, er würde selbst fahren.“ Er blickte seinen Bruder eindringlich in die Augen. „Nur mit Fahrpraxis wird es besser, Dean.“ Der zuckte resigniert mit den Schultern und begann mit dem Schuh Linien auf den Boden zu malen. „Klärt es und wenn ich ihn abholen soll, ruft mich einfach an.“ Schnell zog er eine Visitenkarte aus der Tasche. „Danke“, Sam schob sich die Karte in die Tasche. Gemeinsam trugen sie das Holz des mittleren Stapels zu einer Stelle, an der schon öfter Lagerfeuer gebrannt hatten. Danach gingen alle zur hinteren Weide, um die Pferde wieder in ihre Boxen zu bringen. „Kannst du reiten“, fragte Rachel Sam. „Es geht so. Warum?“ „Wir wollen einen kleinen Ausritt machen. Kommst du mit?“ Sam schaute zu Dean, dessen Augen schon wieder leuchteten und er überlegte, dass er sich vorgenommen hatte, mehr Zeit mit Dean zu verbringen. Er nickte. „Wenn´s nicht im vollen Galopp über Stock und Stein geht, gerne.“ „Nein“, lachte Rachel, „Heute sind zu viele Freizeitreiter dabei.“ „Dazu zähle ich wohl auch“, stellte der Winchester fest. Sie brachten die Pferde, die heute keiner reiten würde, in die Boxen und putzten die anderen, bevor sie sie sattelten und aufstiegen. Rachel hatte Sam eine ruhige Stute gegeben. „Du machst das gar nicht schlecht“, lobte sie, nachdem sie ihn eine Weile beobachtet hatte. „Wo habt ihr reiten gelernt?“, schaltete sich nun Emily in das Gespräch ein. Sie witterte eine Chance ihre Fragen beantwortet zu bekommen. „Auf einer Ranch in Texas.“ „Seid ihr da aufgewachsen?“ „Nein. Wir lebten für etwas mehr als ein Jahr dort.“ „Und warum? Wo sind eure Eltern?“, bohrte Emily weiter. Neugierig war sie ja mal so gar nicht, dachte Sam. Er atmete kurz durch. ‚Dann will ich mal auf die Tränendrüse drücken!‘, überlegte er und begann ihr das über die Ranch zu erzählen, was er auch Dean erzählt hatte. „Und eure Mom? Warum konntet ihr nicht bei Robert Singer unterkommen?“, fragte nun Rachel, die diese Erzählung ebenfalls gebannt verfolgt hatte. „Mom ist gestorben, als ich ein halbes Jahr alt war und Dad hatte sich mit Onkel Bobby über unsere Erziehung gestritten. Ich glaube nicht mal, dass er ihn erwähnt hätte, hätten sie ihn nach weiteren Familienmitgliedern gefragt.“ „Oh Gott, das ist schlimm!“, sagte Emily mitfühlend. „Das tut mir so leid für euch!“ „Es ist ewig her. Ich hab sie nicht gekannt und Dean? Er erinnert sich nicht an sie“, versuchte Sam diese Beileidsbekundungen abzuwürgen. „Ich dachte immer, Bobby wäre ein Einzelkind gewesen“, überlegte Emily laut. „Bobby ist unser Großonkel, wenn man es genau nimmt. Zu ihm haben wir aber mehr Kontakt, als zu den anderen Teilen unserer Familie. Für uns war er immer Onkel Bobby“, fand Sam auch für diesen Aspekt eine logische Erklärung. „Ihr habt schon jede Menge erlebt, in eurem Leben“, stellte Emily mitfühlend fest. „Ich hoffe, ihr kommt jetzt etwas zur Ruhe.“ „Das hoffe ich schon für Dean. Er tut sich mit Veränderungen schwer.“ Endlich wandte sich die Unterhaltung anderen Themen zu. Innerlich atmete Sam erleichtert auf. Dean ritt mit Scott voran und genoss schweigend das Gefühl auf dem Rücken des Pferdes und die Natur. So könnte er ewig weiter reiten. Nach dem Ausritt drückte Scott Emily die Zügel seines Pferdes in die Hand. Er zog Dean von Alaska weg. „Um den kümmert sich Rachel“, erklärte er. „Du musst mir helfen!“ „Wobei?“, fragte der Winchester etwas ratlos. „Naja nicht direkt helfen, aber ich dachte, du hast mir in den letzten Tagen so viel beigebracht, jetzt zeige ich dir wie man ein Lagerfeuer anzündet und wie man grillt. Oder kannst du das schon?“ „Ich hab bei Bobby zugeschaut. Selber habe ich es noch nicht gemacht.“ „Gut, dann los!“, nickte Scott. Gemeinsam zündeten sie also das Lagerfeuer und den Grill an. Sie holten das Fleisch und richteten sich mit Bier und Limonade am Grill ein. Nach und nach trudelten die Anderen ein. Sie holten sich die fertigen Steaks und versorgten die Grillmeister mit Salaten und Brot. Dieser wundervolle Tag endete am Lagerfeuer. Rachel und Scott holten ihre Gitarren und sangen Lieder. Immer wieder stimmte die Gruppe mit ein, nur Dean fühlte sich wie ein Außenseiter, kannte er doch keines davon. Doch dann fiel sein Blick auf Sam, der ebenfalls nicht mitsang. „Kennst du die Lieder auch nicht?“, fragte er leise. „Doch, schon. Aber ich kann nicht singen. Da höre ich lieber zu.“ „Kann ich singen?“ „Du konntest es mal ganz gut. Zumindest hast du im Wagen immer mit gegrölt.“ Dean nickte und fühlte sich jetzt schon viel weniger ausgeschlossen, weil Sam ja auch schwieg. Erst weit nach Mitternacht fielen sie todmüde, aber glücklich in ihre Betten. Den folgenden Tag verbrachten sie in gemütlicher Runde auf Bobbys Terrasse. Dean erzählte, dass er reiten konnte und dass Scott, einer der Reiter das von ihm lernen wollte und er berichtete von dem Abriss des Schuppens und dem Neubau, der am nächsten Tag beginnen sollte. Der alte Freund war sichtlich stolz auf Dean, der sein Schneckenhaus immer mehr verließ und sich der Welt stellte und natürlich hatte er einen alten Wagen für ihn, in dem er mit seinem Jungen noch ein paar Trainingsrunden drehte. Montagmorgen parkte Dean den alten Kombi pünktlich acht Uhr vor dem Reitzentrum. Er war kaum ausgestiegen, als auch schon Ed neben ihm anhielt. „Spring rein, Junge“, forderte der ihn auf. „Das ist Mike.“ Ed deutete auf den jungen Mann auf der Rückbank, den er wohlweislich mitgenommen hatte, um einen Helfer zu haben. Dean hatte sich zwar beim Abriss erstaunlich gut gemacht, aber das konnte auch Zufall gewesen sein. Außerdem waren zwei Helfer besser als keiner. „Mike hilft immer mal aus, wenn Not am Mann ist. Er studiert Architektur.“ „Hey“, grüßte der Winchester. „Ich bin Dean.“ Ed lenkte den Pick up bis zu dem, noch stehenden, Fundament der alten Hütte. Sie luden aus und machten sich daran, das Grundgerüst aufzustellen. Ed erklärte Dean jeden Schritt und ließ es ihn dann unter seiner Aufsicht versuchen. Wie schon vor Jahren bei Dave, verstand Dean schnell was von ihm erwartet wurde. Sein technisches Verständnis war zwar verschüttet, ließ sich aber, wie schon beim Reiten, schnell wieder abrufen. ‚Warum nicht auch der Rest meines Lebens?‘, überlegte er traurig, während einer Pause. „Willst du schon die Wände verkleiden?“, fragte Ed am frühen Nachmittag. Sie hatten das Dachgerüst gemeinsam fertiggestellt, decken konnte er es jetzt auch mit Mike zusammen. Dean nickte. Die Arbeit machte ihm Spaß und er fand immer mehr Gefallen daran Neues nicht nur aus Büchern zu lernen. „So Feierabend für heute!“ Ed klatschte in die Hände. „Morgen noch, dann haben wir es geschafft. Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell sind. Du hast hervorragend gearbeitet Dean!“, lobte der Chef. Dean strahlte. „Danke.“ „Sag mal: Hast du Lust bei mir zu arbeiten? Vorerst nur wenn Not am Mann ist, so wie Mike, was aber eine spätere Anstellung nicht ausschließen soll.“ Ed schaute ihn erwartungsvoll an. Mitarbeiter, die schnell lernten und ihre Arbeit durchzogen konnte er immer wieder gebrauchen. Leider war der Job nicht sonderlich begehrt, weil körperlich anstrengend. Dean reizte genau das daran. Seit sie am Samstag den Schuppen abgerissen hatten und er mit eigenen Augen sah wie er etwas verändern konnte, kribbelte es ihm regelrecht in den Fingern. Das war so ein ganz anderes Gefühl als beim Lernen aus Büchern. Wieso hatte er das nicht schon viel eher ausprobiert? Bobby, Jody und vor allem Sam hatten ihm doch immer wieder die Möglichkeit geboten. „Ich würde gerne, will mich aber vorher mit Sam abstimmen“, antwortete er offen. „Tu das“, nickte Ed. „Du kannst mir ja morgen Bescheid sagen. Oder du gibst mir deine Handynummer und ich rufe dich an? Am Freitag schaue ich mir eine neue Baustelle an, da könnte ich dich ab nächster Woche mit einsetzen.“ „Machst du auch mit?“, fragte Dean Mike. Er wollte ihm auf keinen Fall die Arbeit wegnehmen. „Nein, ich mache ein Praktikum bei einem Architekten.“ „Okay. Ich denke schon, dass das klappen müsste.“ „Gut! Reden wir morgen noch einmal darüber“, stimmt Ed zu. Auf dem Parkplatz stieg Dean aus und Ed fuhr davon. Deans Blick ging zu den Ställen. Gerne würde er noch eine Runde mit Alaska drehen, doch er war geschafft und kannte sich hier immer noch zu wenig aus, um alleine einen Geländeritt zu wagen. „Schade“, murmelte er leise und stieg in seinen Kombi. Sam war noch nicht da, als er den Wagen vor ihrem Häuschen abstellte. Er ging ins Haus und war versucht, sich sofort auf die Couch zu legen. Nur widerwillig schlurfte er ins Bad und stieg unter die Dusche. Mit den Händen an der Wand abgestützt genoss er das heiße, prasselnde Wasser auf seinem Rücken, bevor er sich aufraffen konnte, sich zu waschen. Nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet schlappte er, sich die Haare mit einem Handtuch trocken reibend in den Wohnraum und ließ sich auf die Couch fallen. Fast sofort war er eingeschlafen. Sam stellte den Impala neben Deans Kombi und freute sich auf einen ruhigen Abend und ein leckeres Essen. Der Tag war so hektisch gewesen, dass er kaum zum Essen gekommen war. Jetzt fühlte er sich ausgelaugt, müde und hungrig. Er betrat das Haus, schloss die Tür hinter sich und blieb verwundert stehen. Das Haus lag wie ausgestorben. Keine Geräusche aus der Küche, kein Essen, das duftete. Nichts! Wollte Dean nicht kochen? War er vielleicht bei Emily und das Essen noch nicht fertig? Aber Jody hatte ihnen doch gestern wieder genug Verpflegung für eine ganze Kompanie eingepackt! Verwirrt schaute er sich um. Sein Blick fiel auf die Couch. Für einen Augenblick huschte ein Lächeln über sein Gesicht, wurde aber sofort von der sich ausbreitenden Sorge wieder weggewischt. Dean schlief. Wieso war er nicht wach geworden, als er das Haus betrat? Hatte er ihn nicht kommen gehört? Es war ein Unding sich Dean zu nähern während er schlief! Das hätte es früher nie gegeben... Früher! Den alten Dean konnte man nicht überraschen. Dieser Dean kannte keine Gefahren. Er war vollkommen arglos was es alles auf der Welt gab. Eigentlich doch schön, überlegte er. Und wenn man nicht Winchester hieß wohl auch ein normaler Zustand. Kapitel 258: "Lass Dir nie wieder ..." -------------------------------------- 258 ) „Lass dich nie wieder ...“ Sams Magen grummelte. „Dann mal los“, murmelte er, denn wenn er hier noch lange stand, würde auch noch lange nichts auf den Tisch kommen! Doch zuerst wollte er duschen. Er ging nach oben und kam eine halbe Stunde später mit seinem Schlafshirt und Shorts bekleidet wieder nach unten. Nach kurzer Überlegung entschied er sich für den Hackbraten mit Kartoffelpüree. Jody hatte alles in Tupperdosen verpackt, die er jetzt in den Backofen schob. Er schnippelte Salat, Gurken, Paprika und Tomaten und bereitete ein Dressing zu. Dann machte er sich so leise wie möglich daran den Tisch zu decken. ‚Eigentlich ist das Blödsinn‘, überlegte er, denn jetzt musste er seinen Bruder ja doch wecken. Er hockte sich neben die Couch und legte seine Hand auf Deans Schulter. „Dean?“ „Hm“, brummelte der und versuchte sich aus der Berührung zu winden. „Dean, komm schon!“, wurde Sam etwas energischer. „Hmm“, grummelte der Ältere und blinzelte. Sofort setzte er sich auf „Sam!“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, bevor er sich die Augen rieb und entschuldigend zu seinem Bruder aufschaute. „Ich wollte doch Essen machen. Mist. Tut mir leid! Ich war so fertig, dass ich ...“ „Es ist okay, Dean. Du musst dich nicht entschuldigen! Ich kann auch Essen für uns machen! Das ist nicht nur deine Aufgabe.“ „Aber ich … Du arbeitest viel länger!“ „Länger heißt nicht härter“, erklärte Sam. „Ich digitalisiere Bücher, Dokumente und alte Blaupausen. Das ist geistig anstrengend. Du arbeitest körperlich und bist es nicht mehr gewohnt. Da ist es ganz normal, dass du müde bist. Hat es denn wenigstens Spaß gemacht, oder willst du das nie wieder tun?“ „Doch es war toll.“ Deans Augen strahlten. „Was habt ihr gemacht?“ Sam freute sich, dass sich sein Bruder so für etwas Anderes als Lernen aus Büchern begeistern konnte. „Wir haben das Grundgerüst aufgestellt und das Dach angefangen. Morgen machen wir weiter.“ „Und was hast du gemacht?“ So mussten sich Eltern fühlen, wenn ihre Kinder aus der Schule nach Hause kamen, überlegte sich Sam. „Ich habe bei Allem mitgeholfen. Mr. Harris hat es mir gezeigt und dann hab ich weitergemacht. Und Mr. Harris hat gefragt, ob ich nächste Woche auch für ihn arbeiten möchte.“ „Möchtest du denn?“ „Gerne!“ „Und was sollst du dann tun?“ „Er sagt, dass er sich Freitag eine neue Baustelle anschaut und dass ich ab Montag bei ihm arbeiten könnte.“ „Du eroberst dir dein Leben wirklich im Eiltempo“, staunte Sam. „Ich hätte nie gedacht, dass du dieses Jahr noch anfängst zu arbeiten.“ „Zu schnell? Muss ich noch warten?“, ,fragte Dean betrübt. „Nein, Dean. Wenn du da arbeiten möchtest, dann tu es. Ich finde es wirklich gut, dass es dir so viel Spaß macht!“ Sam legte ihm die Hand auf den Arm und freute sich über das Lächeln, das sich wieder auf Deans Gesicht ausbreitete. „Aber jetzt lass uns essen.“ Nickend stemmte sich Dean in die Höhe und schlurfte zum Tisch. Er wollte eigentlich lieber ins Bett als essen. Aber dann würde sich Sam nur wieder Sorgen machen und das sollte er nicht. Also aßen sie schweigend. „Ich mach hier fertig“, erklärte Sam, kaum dass sie das Besteck weggelegt hatten. „Ich kann helfen!“ „Ich weiß.“ Sam grinste seinen Bruder breit an. „Trotzdem solltest du besser ins Bett gehen, bevor du mir hier im Stehen einschläfst und umkippst.“ „Okay.“ Widerspruchslos verschwand Dean in seinem Zimmer. Während Sam den Tisch abräumte, huschte sein Blick immer wieder zum Zimmer seines Bruders. Ihm wurde fast schwindelig, wie schnell es bei Dean plötzlich ging. Noch vor zwei Wochen traute er sich kaum aus dem Haus und jetzt hatte er schon eine Arbeitsstelle in Aussicht, bei der er vielleicht sogar sein Leben lang bleiben könnte. ‚Abwarten, Sam. Du solltest keine Pläne schmieden, schon gar nicht für andere!‘, rügte er sich im Stillen. ‚Es bringt nichts!‘ Am Mittwochabend duftete es wieder nach Essen, als Sam nach Hause kam. Schnuppernd hob er die Nase und sofort meldete sich sein Magen. Er entledigte sich seiner Jacke und ging zum Tisch. Auf seinem Teller lag ein dicker brauner Umschlag. Er warf einen kurzen Blick auf den Absender und legte ihn dann auf die Anrichte, um sich zuerst den Burgern widmen zu können, die Dean gerade jetzt auf den Tisch stellte. „Mr. Harris braucht mich ab Montag“, informierte Dean seinen Bruder beim Essen. „Selbst wenn er den Auftrag für die neue Baustelle nicht bekommt oder noch nicht anfangen kann, soll ich kommen. Er hätte genug zu tun, sagt er.“ „Ich wusste, dass du gut bist“, antwortet Sam voller Stolz und nahm einen Bissen. „Weiß es Bobby schon?“ „Nein, warum?“, wunderte sich Dean. Doch dann sah er die Enttäuschung in Sams Augen. „Ich sag es ihm Sonntag.“ „Okay“, stimmte Sam dem zu und versuchte die Stiche in der Magengrube zu ignorieren. Mit Bobby war Dean immer noch nicht warm geworden. Er seufzte. „Die Burger sind super“, ließ er das Thema Arbeit fallen. „Die hab ich alleine gemacht!“, erklärte Dean stolz. „Du wirst immer besser! Lass dir von niemandem je etwas anderes einreden!“ „Wer sollte mir sowas einreden wollen?“ „Es wird immer Menschen geben, die dir deinen Erfolg missgönnen oder dich runtermachen wollen. Glaube ihnen bloß nicht, hörst du? Du bist gut, mehr als gut!“ Dean musterte seinen Bruder, der wohl mal wieder mehr wusste, als er selbst. Blieb die Frage: Würde er dieses Wissen mit ihm teilen? Einen Versuch war es wert, entschied er. „Wer hat mich runtergemacht?“, fragte er, den Blick auf Sam gerichtet. Der schluckte. War ja klar, dass diese Frage jetzt kommen musste, bei seiner Formulierung. Dean nahm immer weniger von dem, was er sagte, einfach so hin. Er hinterfragte viel mehr, als noch vor ein paar Wochen. Was sollte er antworten? Wollte er lügen? Nein! Er hatte sich mal geschworen seinen Bruder nie wieder anzulügen! „Dad. Er hat Moms Tod nie verkraftet. Wir sind von Ort zu Ort gezogen, ein mieses Motel nach dem anderen. Dad hat keinen Job lange behalten, auch weil er seine Probleme im Alkohol ersäufte. Die Verantwortung für uns hat er auf deine Schultern abgewälzt. Ihm war egal wie du dich gefühlt hast, du musstest funktionieren. Du hast dich um mich gekümmert und um ihn, wenn er sich mal wieder verletzt hatte. Du hast dafür gesorgt, dass genug Essen für uns da war, wenn er wieder tagelang weg war. Du musstest dich einfach kümmern. Du warst schuld, dass ich zu viel geweint habe und … keine Ahnung. Er hat dich nie gelobt. Er hat immer nur kritisiert, wenn etwas nicht lief. Dein Selbstbewusstsein war deshalb nicht wirklich ausgeprägt. Du hast dich nur darüber definiert, wie es mir ging und Dad, wenn er da war. Tu das nie wieder, Dean! Du bist wichtig! Dein Wohlbefinden ist wichtig! Vergiss das nie. Wenn du mit etwas Probleme hast, wenn du dich bei etwas nicht wohlfühlst, rede mit mir. Wir finden eine Lösung. Bitte versuche nichts zu machen, was gegen deine Überzeugung ist.“ „Und wenn ich keine Überzeugung habe? Wie soll ich wissen, was gut ist und was nicht?“ „Bobby zum Beispiel. Ich weiß nicht warum, aber du wirst mit ihm einfach nicht warm und dann kamen auch noch diese Albträume. Sie waren das krasseste Beispiel, dass es dir nicht gut ging. Wenn du schlecht schläfst, Kopfschmerzen hast. Wenn dein Bauch, dein Gefühl, dagegen spricht. Wenn du dich einfach nicht wohlfühlst, dann ist es falsch! Manche Dinge muss man tun, auch wenn sie einem nicht behagen, aber um das herauszufinden bitte ich dich mit mir zu reden, bevor du etwas anfängst, was du noch nie gemacht hast. Ich werde versuchen dir nichts zu verbieten, außer es ist ungesetzlich, aber ich werde dir meine Meinung dazu sagen und auch ob ich es gut finde oder nicht. Entscheiden musst dann letztendlich aber du.“ „Und du hörst dann auf mich? So wie du auf mich gehört hast, als ich nicht zu Mr. Singer wollte?“ „Bobby ist Familie! Wir waren so oft bei ihm und du hast dich bei ihm immer wohl gefühlt. Du hast den Umbau des Hauses geplant und du hast ihn durchgeführt. Gerade für dich war Bobby so viel mehr Vater als unserer es jemals war und … naja, ich war froh deiner Amnesie nicht mehr alleine ausgeliefert zu sein. Bobby und Jody konnten deine Lehrer sein, wenn ich mal nicht die Kraft hatte. Ich konnte mit dir umgehen, wenn du im Krankenhaus lagst und raus wollest. Ich konnte mit dir umgehen, wenn du verletzt warst es aber nicht zugeben wollest. Ich konnre deine Wut ertragen, deinen Frust, deine Ungeduld. Alles, solange du du warst. Jetzt bist du du und doch jemand ganz anderer. Da ist kein blindes Verstehen mehr. Ich weiß nicht mehr was du gerne isst. Mir fehlen deine, teils platten, Witze, deine Ruhe wenn ich fast durchdrehe, deine Lebensfreude, wenn ich in Melancholie versinke. Du kannst nichts dafür! Aber ich mache mir Vorwürfe! Du hast mein Leben gerettet und bist verschüttet worden! Wegen mir, Dean! Wegen mir hast du diese Amnesie.“ Sam schüttelte den Kopf. Er versuchte den Klumpen in seinem Hals herunterzuschlucken. Ihm war zum Heulen! „Wegen mir musst du dein ganzes Leben neu lernen und ich komme nicht damit klar, einen neuen Bruder zu haben!“, wisperte er leise. Er hob den Kopf und schaute seinem Bruder in die Augen. „Ja! Ich mache Fehler. Ich will, dass du glücklich bist und ein glückliches Leben führen kannst. Du hast wahrlich genug Mist erlebt.“ Sam atmete tief durch und wartete auf eine Antwort. Dean schaute seinen Bruder an. Er kaute auf seiner Unterlippe. Was sollte er jetzt antworten? Was erwartete Sam von ihm? Hilflos zuckte er mit den Schultern und wandte sich seinem Essen zu. Auch Sam begann nach einem Augenblick wieder zu essen. Er wusste nicht, ob dieser Ausbruch seinerseits etwas bewirkte, ob er damit überhaupt etwas bewirken wollte? Oder war es einfach nur ein Frustabbau? Wenn dann wohl wieder an die falsche Adresse! Er schüttelte den Kopf. Sie würden wohl noch einige solcher Szenen haben, bis sie sich wieder zusammengerauft hätten. Aber vielleicht würde es auch viel ruhiger abgehen. Dean würde nächste Woche arbeiten gehen und er hoffte insgeheim, dass er so viel mehr lernte als durch seine Bücher. Langsam und methodisch leerte Dean seinen Teller. Gut, dass er darüber nicht nachdenken musste, denn dann würde er wohl noch immer ratlos auf seinen Teller starren. Sams Worte hatte etwas in ihm ausgelöst. Etwas, von dem er nicht wusste ob es gut oder schlecht war. Es fühlte sich komisch an, so, als würde etwas seine Lunge zusammenpressen, so als würde etwas seinen Hals zuschnüren und egal wie viele Bissen er hinunterwürgte, es ging nicht weg. Verstohlen musterte er Sam durch seine langen Ponyfransen. Sam. Bei ihm fühlte er sich wohl. Sam war da und im Gegensatz zu seiner Zeit im Krankenhaus war er inzwischen wirklich froh, dass er immer da war. Sam lernte mit ihm! Sam gab ihm Sicherheit. Kapitel 259: Feuerwehr ---------------------- 259) Feuerwehr „Was machst du morgen? Wieder ausschlafen? Und dann?“, fragte Sam, als er seinen Teller geleert hatte und er dieses Schweigen nicht mehr ertrug. „Lernen, denke ich. Ich hab heute auch nicht so viel gemacht“, antwortete Dean, froh nicht mehr über das komische Gefühl in seinem Inneren nachdenken zu müssen. „Du hast in den letzten Tagen mehr gelernt als du aus Büchern in einem Monat lernen könntest!“, entgegnete Sam mit einem Schmunzeln. Hatte er nicht genau darüber gerade nachgedacht? „Aber ohne das Bücherwissen...“ Dean brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern. „Das Lernen beschäftigt mich und es … ich fühle mich einfach sicherer.“ „Lerne, wenn du das brauchst. Ich will dir diese Sicherheit nicht nehmen. Übertreib es nur nicht. Du brauchst auch Entspannung. Ich meine, für mich ist es immer noch ein ungewohntes Bild, wenn du liest, aber ließ doch einfach mal wieder zum Vergnügen“, warf Sam ein. „Hm, mal sehen“, gab Dean unentschlossen zurück. Er nahm sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und reichte ein Bier an Sam weiter. Dann ließ er sich auf die Couch fallen und zappte unmotiviert durch die Kanäle. Sam nahm sich den Umschlag von der Anrichte und setzte sich zu seinem Bruder. Der schaute ihm interessiert zu, wie er den Umschlag aufriss. „Was ist das?“ „Die Antwort auf meine Bewerbung am College“, erklärte Sam breit lächelnd, nachdem er die ersten Zeilen überflogen hatte. „Ich muss noch eine Aufnahmeprüfung machen. Stanford ist zu lange her und außerdem will ich ja nur die letzte Klasse machen. Stanford habe ich Anfang des dritten Jahres abgebrochen. Ich hoffe, dass ich das schaffe!“ Er las weiter. „Oh man, die ist Montag in einer Woche!“, und blätterte um. „Na wenigstens haben sie die Themen im Groben umrissen!“ Er ließ sich gegen die Rückenlehne fallen und legte den Kopf darauf. „Dann muss ich morgen klären wie ich das mit der Arbeit und dem Lernen vereinbaren kann.“ Er drehte den Kopf zu Dean. „Jetzt wo du nicht mehr unbedingt lernen willst, muss ich es. Schon paradox, oder?“ „Ich kann mit dir lernen“, schlug Dean vor. „Das ist nett. Danke. Vielleicht kannst du mich später abhören“, schlug Sam vor, um seinen Bruder nicht sofort abzuweisen. Dean war noch nicht so weit, aber er lernte schnell. An den nächsten zwei Tagen stand Dean morgens schon in der Küche, als Sam nach unten kam. Sie frühstückten gemeinsam und er bekam sein Lunchpaket in die Hand gedrückt, bevor er sich verabschiedete. „Ich komme mir vor wie bei Pleasantville“, stellte Sam am Freitagmorgen fest. „Wie was?“ „Das ist ein Film. Wenn Mann und die Kinder das Haus verlassen, bekommen sie auch immer ihre Lunchpakete in die Hand gedrückt. Es ist irgendwie die Verkörperung der totalen Idylle.“ „Und das ist gut?“ „Ja, das ist richtig gut. Danke, Dean!“ Schnell hatte Dean im Haus Ordnung gemacht. Er nahm sich seinen MP3-Player und wollte nach den Büchern greifen. Mitten in der Bewegung stockte er. Wollte er wirklich lernen? Wollte er lesen? Er nahm sich die Blätter mit den Matheaufgaben. Ein Blick darauf verriet ihm, dass er über diesem Problem vor Tagen schon gebrütet hatte und zu keiner Lösung gekommen war. Nein, hier brauchte er Sams Hilfe. ‚also lesen!‘ Er legte die Blätter zur Seite und ging zum Bücherregal, um sich „Die unendliche Geschichte“ herauszusuchen. Irgendwie war die wieder im Schrank gelandet, statt auf seinem Nachttisch. Mit Buch, einer Flasche Wasser und einem Müsliriegel machte er es sich unter der alten Eiche vor ihrem Haus gemütlich. 100 Seiten weiter knurrte sein Magen trotz des Müsliriegels, den er zwischendurch gegessen hatte. Er legte das Buch zur Seite und ging ins Haus, um sich ein Sandwich zu machen. Essen wollte er draußen. Er war gerade auf der Veranda, als er einen Wagen die Einfahrt entlang rollen sah. Greg stieg aus. Er sah Dean und winkte grüßend. Er wandte sich um und wollte ins Haus gehen. Nach zwei Schritten blieb er stehen und kam zu dem Winchester. „Hast du Lust heute Nachmittag zur Feuerwehr mitzukommen? Ich soll mir die Drehleiter anschauen, das Getriebe würde komisch klingen, sagt der Chief.“ „Drehleiter?“ „Der Wagen, mit dem sie die Menschen aus brennenden Häusern retten.“ Dean musste nicht lange überlegen. „Ja, warum nicht“, nickte er. „Wann fahren Sie los?“ „In einer Stunde, denke ich.“ „Okay, dann bin ich bereit.“ Dean freute sich. Feuerwehr klang toll, zumal Sam ja mal gesagt hatte, dass er als Kind Feuerwehrmann werden wollte. Auf der Wache angekommen gingen sie als Erstes in das Büro von Chief Morris. „Pete, darf ich dir Dean Winchester vorstellen? Er interessiert sich für die Feuerwehr und will mir heute helfen. Dean, das ist Chief Morris“, stellte Greg sie einander vor. Der Chief musterte den Winchester ungläubig skeptisch. ‚War der nicht viel zu alt, um so vorgestellt zu werden?‘ Greg sah den fragenden Blick und hielt eine Erklärung für angebracht, doch zuvor: „Dean, kannst du den Werkzeugkasten aus dem Kofferraum holen?“ Der Winchester nickte und verließ das Büro. „Was ..“ begann Chief Morris. „Amnesie! Er hatte einen schweren Unfall und sein Gedächtnis verloren. Ich weiß nicht was passiert ist, darüber schweigen sich die Beiden, Dean und sein Bruder Sam, aus. Auch von Bobby Singer, ihrem Onkel, ist nicht mehr zu erfahren. Aber ich habe ihm versprochen dem Jungen so viel wie möglich zu zeigen. Emily nimmt ihn immer wieder zum Reiten mit und da hat er auch geholfen die alte Scheune neu aufzubauen.“ „DIESER Dean war das? Ich habe gestern mit Ed telefoniert. Er ist mächtig beeindruckt von ihm“, erklärte der Chief. „Amnesie erklärt einiges. Also wenn er will kann ich ihn später ein wenig rumführen.“ „Da sagt er bestimmt nicht nein.“ Greg nahm sich einen Kaffee. „Meldest du euch in der Leitstelle ab?“, fragte er. „Mach ich. Nicht, dass wir gerade jetzt einen Einsatz bekommen.“ Greg nickte und ging mit seinem Kaffee in die Wagenhalle. „Wenn du auch einen möchtest, hol dir einen beim Chief“, sagte er zu Dean und zeigte ihm die Tasse. „Nein, danke.“ Der Winchester schüttelte den Kopf. In den folgenden zwei Stunden war die Halle vom Hämmern und Klappern und hin und wieder einem deftigen Fluch aus Gregs Mund erfüllt. „Wie sieht´s aus? Überlebt der Patient?“ Pete hielt Greg einen weiteren Becher Kaffee hin. „Und was kann ich dir bringen?“, fragte er an Dean gewandt. „Wasser oder Kakao, bitte. Aber ich kann auch selbst gehen“, wehrte Dean ab. „Du hast hier zu tun. Ich hab gerade Zeit und ich will ja wissen wie es meinem Wagen geht.“ „Dem geht es gut. Der Ölwechsel ist fast durch“, gab Ed Bescheid. „Und deshalb hast du so geflucht? Ich fürchtete schon der Wagen muss auf den Schrott.“ „Hast du Angst bekommen?“, Greg grinste den Chief breit an. „Ein wenig“, gestand der mit einem Lächeln und nickte. „Du weißt doch, mit einem deftigen Fluch geht es meistens.“ Greg wischte sich die Hände an einem, schon ziemlich öligen, Lappen ab. „Da hat nur die Ölablassschraube geklemmt. Alles halb so schlimm. Wir sind fast fertig.“ Chief Morris nickte. „Wie sieht es aus Dean, hast du Lust auf einen Rundgang durch die Wache?“ „Gerne!“, strahlte Dean ihn an. „Ich muss nur schnell die Hände waschen!“ „Was hältst du von ihm?“, fragte der Chief, kaum das Dean die Halle verlassen hatte. „Er stellt sich gut an, lernt schnell, aber das hatte ich von Bobbys Jungs nicht anders erwartet.“ „Was weißt du über ihn?“ „Bobby Singer?“ „Nein. Dean und den Unfall.“ „Eigentlich nichts, wie schon gesagt.“ „Hm, Okay.“ Interessiert hätte es ihn schon. Vielleicht gab es ja einen anderen Weg zu erfahren, was passiert war. „Dann wollen wir mal“, sagte der Chief, als Dean zurückkam. „Warum interessierst du dich für die Feuerwehr?“, wollte der Chief wissen. „Sam sagte, dass unsere Mom bei einem Feuer starb. Seit damals hätte ich mich für die Feuerwehr interessiert. Ich hab einiges im Internet gelesen und ein paar Filme und Reportagen gesehen und ich denke, dass es eine Arbeit wäre, die ich gerne machen würde. Ich meine, vielleicht nächstes Jahr, wenn ich … wenn mein Kopf besser funktioniert.“ „Hast du denn noch Probleme?“ „Ich kann mich an nichts vor dem Krankenhaus erinnern. Ich konnte sprechen. Alles andere war weg. Inzwischen hab ich lesen und schreiben und ein bisschen was gelernt, aber ob ich damit hier arbeiten gehen könnte?“ Dean kaute auf seiner Unterlippe. „Du fängst nächste Woche bei Ed an, hab ich gehört.“ „Naja, Häuser kaputt hauen, dafür muss ich nicht unbedingt viel wissen, oder?“ „Es ist ein Anfang und außerdem hast du Ed doch auch schon beim Aufbau geholfen. Ich denke, du weißt schon eine Menge!“ Dean zuckte mit den Schultern. „Na dir geht´s gut“, grinste der Chief Greg an, als er nach einer ausgedehnten Führung mit dem Winchester in sein Büro kam. Dean hatte ihm jede Menge Fragen zu allen möglichen technischen Geräten und zum Ablauf bei einem Brand gestellt. Mit so viel Interesse hatte er nicht gerechnet, doch es freute ihn. „Also wenn du Lust hast, bist du herzlich eingeladen mal bei der Jugendfeuerwehr, oder wenn wir hier trainieren, vorbei zu schauen. Wenn du willst kannst du auch mitmachen.“ „Echt?“ Dean strahlte über das ganze Gesicht. „Tut mir leid, dass du warten musstest. Ich hoffe, wir waren nicht zu lange weg“, entschuldigte sich der Chief. „Wenn ihr auch bis ins hinterste Loch kriechen müsst. Immerhin dein Kaffee ist gut.“ Greg schwenkte seine Tasse. „Du sollst doch nicht so viel davon trinken, dein Herz!“, mahnte der Chief. „Ich habe mir Tee gemacht.“ „Gut.“ Morris versuchte seine Erleichterung gar nicht erst zu verbergen. Gregs Herzinfarkt hatte ihnen allen einen ziemlichen Schrecken eingejagt. „Seid ihr durch oder …?“ „Ja, wir sind fertig. Du kannst ihn aber jeder Zeit wieder mitbringen.“ Chief Morris lächelte und Greg erwiderte es gerne. „Dann lass uns fahren“, sagte er zu Dean. „Meine Frau wird schon mit dem Essen warten. So lange war ich schon langer nicht mehr hier.“ Er erhob sich. „Wenn was ist, ruf an, sonst komme ich nächste Woche wieder.“ „Wie immer“, verabschiedete sich der Chief von den Handwerkern. „Darf ich Sie was fragen?“, begann Dean im Auto. „Klar.“ „Warum sind Sie nicht bei der Feuerwehr oder arbeiten als Automechaniker?“ „Bis vor drei Jahren war ich bei der Feuerwehr aktiv und hatte meine eigene Werkstatt. Der ganze Stress hat meinem Herzen aber nicht gut getan. Ich hatte einen Infarkt. Danach habe ich die Firma abgegeben und auch die Feuerwehr an den Nagel gehängt. Es ging nicht mehr. Jetzt arbeite ich ein bisschen als Hausmeister in der Schule und kümmere mich weiter um die Fahrzeuge der Feuerwehr. Es macht Spaß und ist lange nicht so stressig.“ Dean nickte. Was ein Infarkt war würde er Sam fragen, oder das Internet. „Danke fürs Mitnehmen“, verabschiedete er sich vor ihrem Haus und ging hinein. Er schaute auf die Uhr. Sam würde erst in etwas mehr als einer Stunde kommen, so hatte er genügend Zeit für ihr Essen. Schnell schrubbte er sich die Hände und machte sich dann daran, Makkaroni mit Käse vorzubereiten. Als der Auflauf im Ofen, war ging er duschen. Er deckte gerade den Tisch, als Sam herein kam. „Man, das riecht heute wieder lecker“, sagte der und sog die Luft ein. „Was gibt’s denn heute gutes zu Essen?“ „Makkaroni und Käse“, antwortete Dean. „Ich denke es ist gleich fertig.“ „Dann bring ich nur mein Zeug hoch“, erwiderte Sam. Schnell war er wieder da und musterte Deans Finger während der zwei Portionen auf den Tellern verteilte. „Was hast du heute gemacht?“, fragte er, „jedenfalls nicht nur gelesen oder gelernt.“ „Nein, ich … bei Mathe musst du mir helfen. Diese Aufgaben schaffe ich nicht alleine.“ „Wenn du willst, können wir uns das nachher ansehen. Allerdings beantwortet das meine Frage nicht.“ „Ich hab gelesen“, begann Dean ruhig, „bis Mr. Prudell fragte, ob ich Lust hätte mit ihm zur Feuerwache zu fahren. Wir haben da einen Ölwechsel bei der Drehleiter gemacht. Das heißt Mr. Prudell hat und ich hab ihm das Werkzeug gereicht und ein bisschen mitgemacht. Danach hat mir Chief Morris die Wache gezeigt und alles erklärt. Ich darf nächste Woche Freitag auch wieder mitkommen, wenn ich will.“ Jetzt leuchteten Deans Augen regelrecht. „Ich darf auch mal bei der Jugendfeuerwehr zugucken oder später bei den richtigen Feuerwehrmännern. Und Chief Morris hat gefragt, ob ich Feuerwehrmann werden will.“ „Und? Was hast du geantwortet?“ Sein Bruder überraschte ihn immer mehr. So schnell wie der sein Leben in die Hand nahm, musste er aufpassen überhaupt mitzukommen. In dieser Beziehung hätte Dean schon vor Jahren eine Amnesie haben können, dann wäre sie eher aus dem Jägerdasein raus gekommen. Er gab sich eine mentale Kopfnuss. So eine Amnesie wünschte er niemandem, auch wenn der Rest der Aussage schon stimmte. „Vielleicht später. Nächstes Jahr, wenn ich mehr gelernt habe“, sagte Dean und zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Du hast schon so viel gelernt Dean. Du ...“ Kopfschüttelnd unterbrach der seinen Bruder. „Wenn ich mehr weiß, mehr … Ich komme mir vor wie in einer Blase. Wenn sich die Menschen um mich herum unterhalten fühle ich mich ausgeschlossen. Ich weiß nicht wovon sie reden. Ich kenne kaum einen Film, die wenigsten Trickfilme. Ich weiß nicht was in der Welt passiert ist. Mr. Prudell musste mir erklären wie die Ölablassschraube bei dem Feuerwehrwagen aussieht und wo ich die suchen muss. Ich wusste nicht mal das die Leiter mit Hydraulik funktioniert!“, redete sich Dean in Rage. „Ich weiß auch nicht wie diese Schraube aussieht, Dean, weder bei einem Feuerwehrauto noch bei einem PKW. Ja, ich weiß dass ein Auto Öl braucht und ich kann mir auch denken, dass die Leiter ein Hydraulikgetriebe hat. Aber das heißt nicht, dass ich alles ...“ „Aber du hast bei Mr. Singer ja auch nicht mit an den Autos geschraubt und kannst es dir immerhin vorstellen!“, wurde Dean lauter. „Wenn sich Menschen unterhalten stehe ich da wie doof! Ich will das nicht!“ Kapitel 260: Die Suche nach Wissen ---------------------------------- 261) Die Suche nach Wissen Sam atmete tief durch. Er hatte gehofft, dass sich diese Leere in Dean, diese Wut auf sich und diese, ja schon fast paranoide, Suche nach Wissen jetzt, wo er arbeiten ging und auch so viel offener geworden war, gelegt hatte. War wohl nix. „Lass mir ein paar Minuten Zeit, vielleicht fällt mir etwas ein. Allerdings kann ich dir keine Komplettlösung bieten.“ Dean zuckte resigniert mit den Schultern bevor er nickte. Es war immer wieder das Gleiche mit dieser verdammten Amnesie. Egal was er beginnen wollte, die schaffte es immer wieder ihn zu stoppen. Frustriert ließ er den Kopf hängen. „Dean ..“, versuchte Sam ihn zu erreichen. „Ist schon okay.“ Er ließ sein Besteck fallen und stand auf. „Keinen Hunger mehr“, würgte er Sam ab, der ihn gerade fragen wollte. Er ging in sein Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Wenn er bei dem Unfall einfach gestorben wäre, wäre alles besser! Da wäre er nicht mehr da und müsste sich nicht mit diesem schwarzen Loch in seinem Kopf quälen, das sich einfach nicht füllen wollte. Sam leerte seine Teller. Er zwang sich die Küche aufzuräumen und erst danach zu seinem Bruder zu gehen. „Hey“, machte er auf sich aufmerksam und setzte sich auf den Sessel. „Wir kriegen das schon hin.“ „Klar!“, maulte Dean. „Ihr habt ja auch keine Amnesie! Für euch ist es einfach zu reden! Ihr habt kein schwarzes Loch im Kopf, das alles aufzusaugen scheint. Warum habt ihr mich nicht einfach sterben lassen?“, brüllte er den letzten Satz. Sam schnappte nach Luft bevor er aufstand, sich vor seinen wütend hin und her laufenden Bruder stellte und ihn an den Armen packte. „Es reicht Dean! Hast du dir mal zugehört? So langsam glaube ich du steigerst dich in etwas hinein, von dem du wirklich keine Ahnung hast! Niemand lässt jemanden einfach so sterben und ich dich schon gar nicht! Ich liebe dich! Bobby und Jody lieben dich! Wir machen uns Sorgen um dich, also wage es ja nicht noch einmal so einen Unsinn zu reden!“ Er atmete tief durch, bevor er ruhiger fortfuhr: „Ja, es ist schwer ein neues Leben aufzubauen. Es ist schwer mit dieser Amnesie umzugehen, für dich mehr als für uns. Aber das ist noch lange kein Grund so etwas zu sagen! Verdammt! Du hast dich in dieser Woche so gut weiter entwickelt. Du hast in dieser Woche so viel Neues gemacht, so viel Neues gelernt. Woher kommen diese Gedanken? Wenn dir die Lernerei zuviel wird …“ Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich hab schon länger darauf gewartet, dass genau das passiert!“, sagte er leise und machte eine weitere Pause, um nachdenken zu können. „Lass die für eine Weile sein. Schau Fernsehen, spiele ein Spiel, ließ oder mach einfach gar nichts. Es ist egal, Dean. Ich werde immer hinter dir stehen, nur komm mir nie wieder mit so einer Aussage! Bitte!“ Eindringlich schaute er seinem Bruder in die Augen. Jetzt schluckte er die Tränen herunter, die sich schon die ganze Zeit in seine Augen drängten. Dean starrte seinen Bruder an. So hatte er ihn noch nie erlebt und ein ganz kleines Bisschen konnte er ihn verstehen. Trotzdem war er frustriert und wütend. Er wollte seinen Kopf gegen eine Wand schlagen, egal was, wenn nur sein Gedächtnis endlich zurückkäme! „Ich will nicht mehr lernen, ich will nicht mehr fragen müssen ich will einfach wissen!“, erklärte er rau. „Auch wenn du es mir nicht glaubst, auch wenn ich mich wiederhole: Du hast in den wenigen Monaten so viel gelernt, du kommst so gut zurecht, das ist Wahnsinn. Niemand hätte damit gerechnet als du nach dem Unfall mit Amnesie aufgewacht bist. Es wird dir vielleicht nicht helfen und du willst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber es gibt auch andere Menschen mit Amnesie und die wenigsten von ihnen sind nach so kurzer Zeit so weit wie du! Bitte hör auf, dich so unter Druck zu setzen.“ „Soll ich ewig ein Loser bleiben?“ „Genau das bist du am wenigsten! Hör auf, Dean, hör einfach auf!“ „Ich kann aber nicht aufhören! Ich will das, was ich hatte, wieder haben! Ich will die Menschen mögen, die ich vorher mochte! Ich sehe doch, dass Mr. … Bobby traurig ist, wenn ich … Aber ich … da ist etwas das mich regelrecht blockiert. Ich bin weit, sagst du? Wie weit denn? Ich fühle mich als hätte ich gerade mal einen Schritt gemacht. Ich ...“ Deans Widerstand brach zusammen. Wie ein Häuflein Elend sackte er zurück auf sein Bett. „Und was soll ich jetzt machen? Wie soll es weiter gehen?“ „Wir werden von heute an nach dem Essen noch zusammensitzen und über alles reden, was am Tag gewesen ist, was du gehört hast. Du fragst, was immer du nicht verstanden hast und ich werde es dir erklären, okay? Wir werden Nachrichten schaun und im Internet Klatsch und Tratsch lesen. Alles was zu einer umfassenden „Das-brauchst-du-nie-wieder – Bildung“ gehört.“ Sam musste grinsen. „Ich ..“ wollte Dean protestieren, doch dann sah er Sam an und brach ab. Vielleicht war das ja ein Weg? Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr. „Dann lass uns sofort loslegen“, sagte Sam erzwungen fröhlich, stand auf, umfasste Deans Hand und zog ihn mit sich in den Wohnbereich. Im Gehen griff er noch nach Deans Laptop. „Wozu brauchst du den?“, wollte Dean wissen. Sam fuhr den Rechner hoch, kaum dass er ihn auf die Couch gedrückt hatte. „Ich schaue nach Klatsch und Tratsch.“ Er suchte eine Internetseite, auf der es bunt gemischt alle die Informationen gab. „So! Hier haben wir die 30 wichtigsten Nachrichten aus Politik und Sport und von den Stars und Sternchen. Die gehen wir durch und nach und nach bekommst du ein Grundlagenwissen.“ „Und wozu brauch ich sowas?“, fragte Dean skeptisch. Er konnte sich nicht erinnern das Jody oder Bobby mal über solche Themen geredet hätten. „Eigentlich brauchst du das nicht. Allerdings kann man sich über Wetter und Sport mit fast jedem belanglos unterhalten. Über Politik kann man sich so schön streiten. Doch das nur mit Menschen, die du näher kennst! Es sollte sich zwar jeder dafür interessieren, doch lange nicht alle Menschen tun das. Und Stars und Sternchen? Hm. Das gehört in die Rubrik „Wissen, das man nicht braucht aber hat. Man muss es nicht wissen, aber man weiß es eben.“ Über eine Stunde gingen sie diese Nachrichten durch, bis Sam den Laptop zuklappte. „Und du wusstest das alles?“, fragte Dean seinen Bruder. Er stand auf und holte sich ein Wasser. Sam brachte er ein Bier mit. „Nein“, gab der Jüngere unumwunden zu. „Die Politik hat uns genauso wenig interessiert wie das Liebesleben der Promis. Klar hatten wir unsere Lieblingsschauspieler oder Bands. Aber ihr Leben haben wir, wenn überhaupt, auch nur am Rande mitbekommen. Wir hatten andere Probleme.“ Dean legte den Kopf schief und musterte seinen Bruder. Wollte er jetzt wissen, was das für Probleme waren? Hatte er nicht selbst schon genug eigene? „Du wolltest heute in der Bibliothek fragen, ob du fürs College lernen kannst“, begann er stattdessen. „Ja, kann ich. Sie haben zugestimmt meine Stunden zu halbieren. Den Rest der Zeit darf ich die Bibliothek nutzen.“ Sams Augen leuchteten, doch dann sah er die Enttäuschung in Deans Augen. „Da kann ich lernen Dean, und abends hörst du mich ab, okay?“ „Kann ich das?“, zweifelte der Ältere mal wieder an sich. „Du kannst lesen, du bist intelligent und hast eine schnelle Auffassungsgabe, also ja! Das kannst du.“ Dass er gestern genauso gezweifelt hatte, würde er seinen Bruder nach dessen Ausbruch vorhin auf keinen Fall sagen. Dean brauchte jetzt vor Allem Bestätigung. „Okay“, nickte Dean noch nicht ganz überzeugt. Aber wenn Sam es so sah, wollte er ihm den Gefallen tun und es zumindest jetzt glauben. Den Samstag verbrachten sie in brüderlicher Gemeinsamkeit. Am Vormittag half Sam Dean bei seinem mathematischen Problem und nach dem Mittag fuhren sie zu einem kleinen See, um sich zu entspannen und ein bisschen zu schwimmen. Sonntag waren sie wieder zum Essen bei Bobby eingeladen. Ganz aus dem Häuschen erzählte Dean von dem Neubau der Scheune und dass er Montag arbeiten gehen würde. Er erzählte von Greg und der Reparatur der Drehleiter, davon dass Chief Morris ihn die Wache gezeigt hatte und dass er gerne wieder hingehen wollte. „Wenn Mr. Harris mich nicht braucht, kann ich dann mit Ihnen arbeiten?“, wollte Dean zum Schluss von Bobby wissen. Der schluckte das „Sie“ herunter und freute sich über die Frage. „Natürlich kannst du jeder Zeit kommen! Ich würde mich freuen wieder mit dir an den alten Autos zu schrauben.“ Dean strahlte über das ganze Gesicht und steckte die drei mit seiner Freude an. „Dagegen komme ich mit meinem Job nicht an“, schmollte Sam lachend. „Ich digitalisiere nur Bücher, Blaupausen und alte Dokumente.“ „Du hast ihnen noch nicht vom College erzählt!“, plapperte Dean dazwischen. „Wie auch“, lachte Sam. „Erstmal musstest du ja deine Neuigkeiten los werden! Also, ich kann mein letztes Collegejahr hier absolvieren. Morgen in einer Woche muss ich einen Test machen und wenn ich den bestehe … Das wird `ne stressige Woche.“ „Oh mein Gott! Jungs! Das sind die besten Nachrichten seit Monaten! Ich …“ Jody warf einen Blick zu ihrem Freund, „... wir freuen uns so für euch! Endlich zeigt sich das Leben mal von seiner guten Seite!“ Der Sonntag klang so harmonisch aus, wie die folgenden Tage anstrengend wurden. Montag und Dienstag schaffte es Dean gerade so noch zu duschen bevor er ins Bett fiel und wie ein Stein bis zum nächsten Morgen schlief. Sam war ganz froh darüber in diesen zwei Tagen noch nicht von seinem Bruder abgehört zu werden. Er musste das Gelernte erst einmal für sich sortieren. Am Mittwoch schaffte es Dean immerhin schon mal sich zum Essen aufzuraffen. Danach verschwand er aber auch wieder in seinem Zimmer. Erst der Donnerstag verlief normal. Und so erfüllte Dean endlich sein Versprechen und hörte Sam ab. Danach gingen sie zur Entspannung noch die 30 Tagesnachrichten durch. Nach dieser körperlich mehr als anstrengenden Woche war die Arbeit am Freitag richtiggehend entspannend für Dean. Sie hatten nur noch ein paar Kleinigkeiten fertig zu machen und aufzuräumen. Kurz bevor sie Feierabend machen wollten kam Ed Harris auf die Baustelle. Er überreichte Dean einen ansehnlichen Umschlag und fragte ihn, ob er am Montag wieder kommen würde. Der Winchester nickte. Er hatte eh nichts anderes vor und die Arbeit machte ihm Spaß. Sogar mit den beiden Kollegen konnte er sich in den Pausen schon hin und wieder unterhalten. Zurück in ihrem kleinen Häuschen legte Dean den Umschlag auf die Arbeitsplatte in der Küche, sprang schnell unter die Dusche und machte sich danach ein paar Sandwiches. Gerade als er die Küche aufgeräumt und Messer und Brettchen in die Spülmaschine geräumt hatte, klopfte es an der Tür. Er griff sich seine Sandwiches und lief los. „Wir können auch später los“, begrüßte Greg den Winchester mit einem Blick auf die belegten Brote. „Ich kann auch im Auto essen“, erwiderte der. „Oder darf ich nicht?“ Irgendwo hatte er mal gesehen, dass sich jemand furchtbar wegen eventueller Krümel aufgeregt hatte. „Doch natürlich. Ich finde Essen am Tisch allerdings viel komfortabler. Aber wenn dir das egal ist, dann los.“ Mit großen Schritten stürmte Dean zum Wagen und saß schon angeschnallt auf den Beifahrersitz, als Greg die Tür öffnete. „Na du hast es ja eilig“, lachte der. Kapitel 261: Ein kleiner Tipp ----------------------------- 261) Ein kleiner Tipp Chief Morris empfing sie schon an der Tür. „Irgendwie scheinen heute alle auf mich zu warten“, frotzelte Greg. „Heute Morgen ist die Klimaanlage ausgefallen. Für nächste Woche sind Temperaturen über 30 Grad angesagt. Da wäre es schon schön nicht schon beim Denken schwitzen zu müssen“, erklärte der Chief. „Kein Problem.“ Lachend hob Ed die Hände. „Wir sind ja hier. Wir werden das Ding schon wieder zum Kühlen kriegen. Bring dir vorsichtshalber dicke Kleidung mit.“ „Na so kalt will ich es auch wieder nicht haben.“ „Nicht? Schade! Gut, dann stellen wir sie auf normale Temperaturen.“ Bedauernd hob er die Augenbrauen und zwinkerte Dean zu. „Ich schlage vor: Du holst uns Kaffee und Dean und ich schauen mal, ob wir den Fehler finden“, wandte er sich wieder an Morris. Der Chief nickte und die beiden Hausmeister zogen los. Wie schon in der Woche davor, als sie den Ölwechseln an der Drehleiter gemacht hatten, erklärte Greg seinem Helfer wieder jeden Schritt, bei seiner Arbeit, stellte ihm aber auch immer wieder Fragen, wie der an die Sache herangehen würde. Er freute sich, dass Dean versuchte mitzudenken, auch wenn einige seiner Überlegungen in eine völlig falsche Richtung liefen. Aber woher sollte er es auch anders wissen und so animierte er den Winchester immer wieder dazu seine Gedanken auszusprechen und zeigte ihm auch was er wie machen konnte. Als sie fertig waren, und die Klimaanlage wieder einen merklichen Strom von kühler Luft pustete, setzte sich Greg zu einem Plausch zu Chief Morris. Dean ging nach draußen. Die Mitglieder der Jugendfeuerwehr waren in der Zwischenzeit eingetroffen und trainierten auf dem Platz. Der Winchester schaute ihnen dabei zu. „Willst du mal mitmachen?“, fragte der Chief. Dean zuckte zusammen. Er hatte ihn nicht kommen gehört. Er sah auf. „Schon, aber sie sind so viel jünger und ...“ unsicher kaute er auf seiner Unterlippe. „Du willst dich nicht blamieren?“ „Was ist das?“ „Du willst nicht dass sie lachen.“ „Ich will sie nicht aufhalten.“ Pete nickte verstehend. „Ich werden mal mit Buono reden. Er ist der Leutnant der Drehleiter. Vielleicht kommt er nächsten Freitag etwas eher her und zeigt dir was ein Feuerwehrmann so können muss. Dann könntet ihr zusammen ausprobieren, was du kannst.“ „Das würden Sie tun?“, Deans Augen leuchteten vor Begeisterung. Der Chief nickte und ging wieder in sein Büro. Dean schaute den Jungen noch ein bisschen zu, bis Greg zu ihm kam, weil er nach Hause wollte. „Der Chief sagte, dass ich nächste Woche vielleicht mal mit einem Feuerwehrmann üben kann“, empfing Dean seinen Bruder, als der am Abend in ihr Zuhause kam. Sam war mit seinen Gedanken schon bei dem Stoff, den er gleich noch einmal durchgehen wollte, deshalb brauchte er einen Augenblick, um das Gesagte zu verarbeiten. Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. „Das ist super, Dean! Ich freue mich dass du dran bleibst. Vielleicht kannst du ja doch Feuerwehrmann werden.“ „Was heißt eigentlich freiwillige Feuerwehr?“, stellte Dean die Frage, die ihn schon seit voriger Woche immer wieder bewegte. „Die Männer arbeiten ganz normal, zum Beispiel so wie du bei Ed, und wenn es brennt werden sie alarmiert und können den Brand löschen fahren. Ihre Chefs stellen sie dann frei. Oder sie haben eh Freizeit, dann fahren sie natürlich auch los.“ „Das klingt gut“, nickte Dean. Das könnte ihm gefallen. Jetzt freute er sich gleich noch mehr auf das Training! Sowas würde er auch gerne machen. „Wir können essen. Du willst ja bestimmt gleich wieder lernen“, erklärte er dann übergangslos. Sam stutzte kurz wegen dieses abrupten Wechsels, doch dann nickte er. „Könntest du mich danach abhören? Ich hab so viel in meinem Kopf, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich gelernt habe und wo es noch hakt.“ Er hatte in der ganzen Woche kaum mehr als ein paar Worte mit Dean gewechselt, die nicht mit dem Test zu tun hatten, fiel ihm gerade auf. Das sollte er schleunigst ändern! „Und danach machen wir uns einen gemütlichen Abend mit Popcorn und Cola und ein paar Italo-Western mit Clint Eastwood.“ „Wer ist das?“ „Ein Schauspieler. Aber wenn du ihn nicht magst, finden wir was anderes, okay?“ „Okay“, nickte Dean. „Was gibt’s denn?“ „Ich hab Chicken-wings mit Pommes und Salat gemacht.“ „Du verwöhnst mich!“ Sam lächelte Dean breit an. „Ich bring nur meine Tasche hoch.“ „Was ist das eigentlich für ein Umschlag, der da auf der Anrichte liegt?“, fragte Sam beim Essen. „Den hat Ed mir in die Hand gedrückt, bevor ich heute nach Hause gefahren bin und er möchte, dass ich Montag wiederkomme.“ „Dann ist es dein Wochenlohn“, sagte Sam. „Und was mache ich damit?“, wollte der Ältere wissen. Immerhin hatte er noch nie Lohn bekommen. „Leg es in unsere Haushaltskasse“, bat Sam. „Okay. Können wir dann essen?“ „Klar!“ Sam lachte. Nach dem Essen hörte Dean seinen Bruder ab und danach machten sie es sich auf der Couch gemütlich und Dean fand einen neuen, alten Lieblingsschauspieler. „Hat der noch mehr Filme gemacht?“, wollte er leise gähnend wissen. Als sie ihren Filmmarathon weit nach Mitternacht beendeten. „Jede Menge“, lachte Sam. „Ich werd mal schaun, wann wieder einer kommt. Oder du fragst Bobby. Der mag ihn auch und hat einige Filme auf DVD oder Video.“ ‚Hauptsache der zeigt ihm nicht die Affen-Filme!‘, überlegte er auf dem Weg in sein Zimmer, denn die mochte er gar nicht. Den Samstag verbrachten die Brüder lernend unter der alten Eiche genauso wie den Sonntagvormittag, bis sie zu Jody und Bobby fuhren. Natürlich sprach Dean den vorsichtig auf Clint Eastwood an und Bobby versprach ihm einen Filmenachmittag, sobald sie mal einen Regensonntag haben würden. Der Montag war für Dean ein ziemlich normaler Tag. Er hatte sich an seine Arbeit gewöhnt, zumal der Aufbau nicht mehr ganz so kräftezehrend war, wie der Abbruch. Sam hätte diesen Tag lieber ganz aus dem Kalender gestrichen, oder, was noch besser wäre, schon hinter sich gebracht. Er schmorte bei seinem Aufnahmetest und war sich bei jeder neuen Aufgabe sicher, genau das nicht gelernt zu haben. War er früher eigentlich auch so nervös gewesen? In ihrer Funktion als Sheriff musste Jody an diesem Montag mal wieder zu einem Termin mit einem Staatsanwalt, um einige Fragen die Festnahme eines Klienten betreffend, zu klären. „Meinst du, dass er Probleme macht?“, wollte sie wissen, nachdem sie dem Anwalt ihre Sichtweise erklärt und nochmal auf die Überwachungskameras hingewiesen hatte. „Ich denke nicht, sonst sehen wir uns vor Gericht wieder“, sagte Walther Davenport und beendete so diese Unterhaltung. Er erhob sich, um ihr die Hand zu geben. „Ich hoffe nicht“, antwortete sie. Für so eine Nichtigkeit wollte sie eigentlich nicht noch mehr Zeit verschwenden. „Die Bilder der Überwachungskamera sind da eindeutig.“ Davenport nickte während sie sich ihre Jacke anzog und dabei einen Stapel Papiere von dem kleinen Schrank an der Tür fegte. „Oh, entschuldige“, sagte sie und bückte sich, um die Blätter aufzusammeln. Schnell versuchte sie die einzelnen Zettel richtig einzuordnen. „Lass mal, die kann Ella wieder einsortieren, wenn sie die zurückschickt.“ „Ungeeignet?“, fragte sie so beiläufig wie möglich und schob das Bewerbungsschreiben von Sam, das sie gerade in diesem Stapel entdeckt hatte, in eine der Mappen. Davenport nahm ihr den Packen aus der Hand. Er warf einen Blick in eine Mappe und verdrehte die Augen. Ich muss mich immer öfter mit solchen Bewerbungen rumärgern. „Der hier drischt auswendig gelernte Phrasen, die in jedem Spielfilm über Anwälte vorkommen“, er warf die erste Bewerbung auf den Platz an der Tür, „der will reich werden. Ich weiß gar nicht, was der bei mir will.“ Er grinste schief und die nächste Mappe landete auf dem Stapel. „Immerhin gibt er es zu“, lachte Jody. „Und der? Die besten Aussichten auf ein Jurastudium mit Vollstipendium und dann einen Bruch von fünf Jahren im Lebenslauf wegen „persönlicher Probleme“? Ich habe mich erkundigt. Er hat eine blütenreine Weste! Das stinkt zum Himmel.“ Jody zuckte mit den Schultern. „Vielleicht solltest du sie trotzdem einladen. Möglicherweise ist ja ein Diamant unter den Glasperlen? Ich meine Phrasen dreschen ist nicht das Wahre, aber was soll man schreiben, was noch nicht geschrieben wurde? Der Zweite ist immerhin ehrlich und der letzte? Keine Ahnung. Ich kann mir schon Gründe vorstellen, warum man erstmal aus dem Hamsterrad raus muss.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ein Gespräch kostet nichts.“ „Du willst immer noch das Gute im Menschen sehen, und das bei deinem Beruf!“ Davenport grinste. Er hielt ihr die Hand hin. „Pass auf dich auf!“ „Du auch“, verabschiedete sie sich. Direkt nacheinander kamen die Brüder an diesem Abend vor ihrem Häuschen an. Sie parkten ihre Autos nebeneinander. „Was hältst du davon, wenn wir gleich essen fahren? Wir können uns auch was bestellen und einen Filmeabend machen? Oder hast du eine Idee für heute Abend?“, wollte Sam von seinem Bruder wissen. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gewissen, dass Dean ihn seit Tagen bekochte und sich auch sonst um ihn kümmerte, nur weil er lernen musste. „Weiß nicht. Wir waren lange nicht mehr Minigolf spielen oder im Trampolinpark“, überlegte Dean. „Bist du noch fit genug für eine Stunde Trampolin?“, wollte Sam wissen. „Lieber Minigolf.“ „Das klingt gut. Lass uns duschen und dann los.“ „Wie war der Test?“, hielt Dean seinen Bruder auf. „Ich habe keine Ahnung. Ich denke, ich habe ihn bestanden, aber vielleicht habe ich ihn auch vergeigt. Ich bin mir vollkommen unsicher. Lass uns nicht mehr darüber reden“, bat er und ging nach einem kurzen Nicken von Dean, nach oben. Als Jody nach Hause kam, empfing sie ein wunderbarer Geruch nach Essen. Sofort knurrte ihr Magen, da sie sich an diesem Tag kaum Zeit zum Essen genommen hatte. Bobby kam mit einer Schürze, Küss den Koch, in den Flur. „Essen ist gleich ...“ begann er und wurde von seiner Partnerin mit einem Kuss unterbrochen. „Hmmm“, schnurrte er, als sie sich trennten. „Wir können gleich essen“, sagte er mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte sie und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Weil es dich gibt, weil ich dich liebe und weil ich ohne dich in den letzten Wochen verrückt geworden wäre“, erklärte er ernst. „Deswegen musst du dich aber nicht bedanken.“ Jody legte ihre Hand an seine Wange. „Ohne dich hätte ich kein Zuhause mehr. Ohne dich wäre ich dem Alkohol anheim gefallen. Ohne euch wäre ich wohl nicht mehr am Leben! Da ist doch nur Recht und billig, dass ich dich jetzt auch unterstütze.“ Bobby nickte, schaute ihr in die Augen und sagte: „Gut! Dann finde ich, dass es heute der richtige Abend für ein Candle light diner ist, weil ich dich liebe und weil ich dir eine Freude machen will!“ „Ich liebe dich auch!“, erwiderte sie gerührt. Später am Abend saßen sie bei einer Flasche Wein auf der Couch. Bobby hatte seinen Arm um Jody gelegt und ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. „Ich musste heute mal wieder zu Davenport“, begann sie zusammenhanglos. „Sam hat sich in seiner Kanzlei beworben. Ich hab seine Bewerbung zufällig gesehen. Doch das tut hier nichts zur Sache. Davenport stößt sich an seinem Lebenslauf. Keine Ahnung wo oder bei wem er sich über ihn erkundigt hat. Er will ihn nicht nehmen, weil er seinem Lebenslauf misstraut. Er meint, dass niemand, der so große Aussichten auf ein erfolgreiches Studium hatte wie Sam, diese Chance einfach so vergeben würde. Niemand könnte fünf Jahre spurlos verschwinden und dann einfach wieder auftauchen, als wäre nichts gewesen. Du musst mir nicht erzählen warum und wieso“, wehrte sie ab, „aber du solltest vielleicht mit ihm reden. Ich bin eh erstaunt, dass nichts über die zwei zu finden sein soll. Sind sie so gut, dass sie immer unter den Radar geblieben sind?“ Bobby schnaubte. „Nein, leider nicht. Sie hatten in St. Louis mächtig Ärger mit der Polizei. Ein Gestaltwandler hatte Deans Gestalt angenommen und gemordet. Letztendlich hat Dean ihn erschossen und wurde für tot erklärt.“ Bobby seufzte. „Es war nicht einfach die Beiden aus den Akten zu bekommen und sie sollten sich auch besser nie wieder da unten sehen lassen“, erklärte er leise. Jody schaute ihn überlegend an. „Wir werfen Steckbriefe nach fünf bis zehn Jahren weg. Meldungen über Verhaftungen und oder den Tod von Gesuchten kommen nicht immer an. Aber wie bekommt man elektronische Akten sauber?“ „Das werde ich dir besser nicht verraten“, lachte der alte Jäger. „Aber du hast Recht. Ich denke ich werde mal mit Sam reden. Morgen oder Sonntag“, schränkte er noch ein. Auf keinen Fall wollte er sich jetzt von diesem Platz wegbewegen. Kapitel 262: Feuerwehreinsatz ----------------------------- 262) Feuerwehreinsatz Als Sam am nächsten Tag nach Hause kam, lag neben seinem Teller ein Brief einer Anwaltskanzlei. Hastig riss er ihn auf. „Ich hab morgen ein Vorstellungsgespräch!“, teilte er Dean lachend mit. Eigentlich hatte er nicht mehr damit gerechnet überhaupt noch berücksichtigt zu werden, so lange wie die Bewerbungen schon unterwegs waren. „Willst du noch mehr arbeiten? Dann bist du ja gar nicht mehr hier, oder?“, stellte Dean ruhig fest. Würde er noch länger alleine bleiben? Er war nicht gerne alleine! „Nein, Dean. Wenn ich wirklich in der Kanzlei angenommen werden sollte, dann mache ich da nur ein Praktikum. In der Zeit arbeite ich nicht in der Bibliothek.“ „Okay“, blieb Dean skeptisch. Sam hatte seine Befürchtungen noch nicht wirklich zerstreut. „Erstmal ist das ja nur ein Vorstellungsgespräch. Also keine Panik. Sie müssen mich dann immer noch annehmen.“ Sam ging nach oben in sein Zimmer, um seinen Laptop wegzulegen. Auf der Treppe holte er sein Handy aus der Tasche und rief die Kanzlei an, um den kurzfristigen Termin zuzusagen. Ein Gefühl, dass Dean am Freitag wohl anders beschrieben hätte, aber ebenso empfand. Natürlich war er wieder mit Greg zur Feuerwache gefahren. Gerade als sie ihr Werkzeug ausgebreitet hatten, um bei einem der Wagen einen Ölwechsel machen zu können, ging ein Notruf ein. Chief Morris kam aus seinem Büro und stellte sich in die Tür. „Wie siehts aus Dean, hast du Lust zu einem Einsatz mitzukommen? Ihr könnt jetzt je eh nicht an dem Wagen arbeiten.“ Der Winchester schaute zum Chief auf. Seine Augen leuchteten vor Freude, als er nickte. „Gerne!“ „Jaja, nimm mir ruhig meinen Gehilfen weg“, grummelte Greg. „Oh!“, machte Dean betreten. „Wenn du mich brauchst, bleib ich natürlich hier!“ Greg erhob sich und schaute Dean in die Augen. „Fahr mit, Junge. Das war nur ein Scherz! Fahr und schau es dir an! Ich setzte mich ins Büro und genieße einen Tee. Danach werde ich mal schauen, was hier sonst noch meiner Hände bedarf.“ Sofort kehrte die Freude in Deans Augen zurück. „Pass mir auf ihn auf“, ermahnte Greg den Chief ernst und der nickte. „Komm mit“, bat er den Winchester und ging in den Umkleideraum. Dort nahm er eine Jacke vom Haken, die er ihm gab. „Zieh die bitte an und du bleibst immer in meiner Nähe, okay?“ Dean nickte sofort. Das hätte der Chief nicht direkt erwähnen müssen, denn in unbekannten Situationen fühlte er sich bei Menschen, die er kannte, einfach sicherer. So hatte es ja auch Sam immer wieder mit ihm gemacht. „Dann steig ein“, sagte der Chief und deutete auf seinen Einsatzwagen. Sofort rutschte Dean auf den Beifahrersitz. Der Chief war ebenfalls eingestiegen und schon rasten sie mit eingeschalteter Sirene und Blaulicht hinter dem Einsatzwagen zum Brand. Dean schaute fasziniert auf die vorbeirasenden Gebäude und sah, wie die anderen Verkehrsteilnehmer ihnen Platz machten. „So finde ich fahren toll!“, erklärte er staunend. „Ja, stimmt. Aber das dürfen wir nur mit eingeschalteten Signalen und auch dann müssen wir aufpassen.“ Vor dem brennenden Haus stieg der Chief aus und begann sofort seine Männer einzuteilen. Dean war ebenfalls ausgestiegen, blieb aber hinter dem Wagen stehen, schließlich wollte er niemanden behindern. Gebannt schaute er auf die Männer, wie sie ihre Schläuche ausrollten, die Straße sicherten und ins Haus stürmten und er überlegte, ob er das auch könnte. Nachdem die Männer im Haus verschwunden waren, schaute er begannt auf die Flammen, denen der Wasserstrahl aus den dicken Schläuchen kaum etwas auszumachen schien. Plötzlich stutzte er. Konnte das sein? Er hielt den Atem an. Da! Da war es wieder! An einem Eckfenster konnte er eine verschwommene Gestalt und, ganz deutlich, eine Hand sehen. „Chief! Chief!“, rief er aufgeregt. „Chief! Da oben sind noch Menschen!“, erklärte er, kaum dass sich Chief Morris kurz zu ihm umschaute. Für einen Augenblick stutzte Morris. Eigentlich wollte er Dean nur zurechtweisen, damit der ihn nicht ablenkte, solange der Brand noch wütete. Doch was hatte er gesagt? Da waren noch Menschen im Haus? „Bist du dir sicher?“, wollte er wissen und ging zu ihm hinüber. „Ja! Ich hab sie deutlich gesehen. Da oben!“ Dean deutete auf das Eckfenster. „Buono? Wie weit seid ihr mit den Wohnungen? Im zweiten sollen noch Personen sein!“, gab er Deans Beobachtungen über Funk durch. „Da waren wir schon!“, kam es schnarrend zurück. Morris schaute fragend zu Dean, der verunsichert mit den Schultern zuckte. Doch plötzlich war da wieder die Hand zu sehen und er deutete auf das Fenster. „Da“, wisperte er kaum hörbar. Der Chief konnte lediglich an Deans Lippenbewegung ablesen, dass der Winchester etwas sagte. Aber er sah dessen Armbewegung und folgte seinem Blick. Sofort griff er nach dem Funkgerät: „Im zweiten Obergeschoss sind noch Personen! Südliche Ecke!“, gab der an die Männer durch. „Okay, wie sehen noch mal nach!“ Eine gefühlte Ewigkeit später brachten zwei Feuerwehrmänner eine junge Frau und ein kleines Kind nach draußen und übergaben sie an die bereitstehenden Sanitäter. „Wir sind durch“, gab einer der Männer an den Chief weiter. „Alles klar! Löscharbeiten intensivieren!“, sprach er in sein Funkgerät. In aller Ruhe ging er auf den Winchester zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. „Gut gemacht, Dean! Ohne dich hätten sie vielleicht nicht überlebt.“ Über Deans Gesicht legte sich ein Strahlen, das auch auf der Rückfahrt nicht verschwand. Auf der Wache gab Dean die Jacke zurück und ging dann zu Greg, um ihm bei den letzten Arbeiten zu helfen und ihm zu berichten, was er alles gesehen hatte. Er musste es einfach loswerden, bevor er platzte. Eigentlich hätte er das jetzt lieber Sam erzählt. Aber der war arbeiten und hatte ihn gebeten, ihn nur in dringendsten Notfällen anzurufen. Das hier war aber kein Notfall! Darren Buono, Leutnant der Drehleiter, ging zu einer kurzen Nachbesprechung des Einsatzes in das Büro des Chiefs. „Was ist mit dem Typen, der heute bei Ihnen mitgefahren ist? Irgendwie ist der komisch.“ „Dean? Er hat eine retrograde Amnesie. Einer der seltenen Fälle, bei denen alles weg ist. Er hatte einen Unfall. Ist erst ein paar Monate her. Fragen Sie mich nicht, was oder warum. Greg und Emily Prudell versuchen ihn so viel wie möglich einzubinden, damit er ins Leben zurückfinden kann.“ „Ein paar Monate erst? Dafür ist er aber schon ziemlich gut, denke ich. Amnesien sind ja alle verschieden und so wirklich weiß wohl kaum einer etwas darüber.“ Der Chief nickte. „Er hat sich wohl schon vor diesem Unfall für die Feuerwehr interessiert und scheint auch jetzt davon fasziniert zu sein, deshalb habe ich ihn mitgenommen. Vielleicht will er ja in diese Richtung. Allerdings erst nächstes Jahr, wie er selbst meinte. Er müsste noch lernen.“ Darren nickte grinsend. Das war mal eine untypische Ansage, die er so noch nicht gehört hatte. „Sie könnten mal ein paar Runden mit ihm drehen, um zu testen wie fit er ist. Möglich, dass das eine Entscheidung beeinflusst. Wenn er nicht fit ist ...“ Er ließ die Konsequenz offen, weil sie nicht ausgesprochen werden mussten. „Wenn Sie wollen kann ich das gleich mal machen“, bot Buono an. „Wenn Sie fit dafür sind, gerne.“ „Okay, ich suche ihm ein paar Sachen raus.“ „Und sprechen Sie vorher bitte mit Mr. Prudell!“ Darren nickte und ging zu den Handwerkern, die jetzt doch noch den Ölwechsel machten. „Hey, ich bin Darren“, stellte er sich vor und hielt Dean die Hand hin. Der Winchester griff zu „Dean“, antwortete er. „Hast du Lust eine Trainingsrunde mit mir zu drehen, wenn du hier fertig bist?“ Deans Blick huschte zu Greg. „Geh ruhig, wir sind fast durch und ich warte auch, bis ich dich mitnehmen kann. Nicht das mir Sam den Kopf abreißt, nur weil er denkt, dass ich dich irgendwo vergessen habe.“ Greg grinste. „Das würde Sam nie tun“, entgegnete Dean entsetzt. Wieso dachte Greg sowas von seinem Bruder? „Ich weiß Dean. Das ist nur eine Redensart.“ Erleichtert atmete Dean durch und schaute dann zu Darren. „Gerne. Aber ich kann nicht viel und ich weiß nicht was ich tun soll.“ „Keine Angst. Ich erkläre es dir und mache es auch vor.“ Noch einmal nickte Dean und folgte Buono in die Umkleide, wo er eine Einsatzmontur bekam und sich umziehen konnte. Auf dem kleinen Trainingsplatz wurde sie schon von der gesamten Mannschaft erwartet. Schnell hatte sich herumgesprochen, was gleich passieren sollte. Dean senkte den Blick und starrte unsicher auf seine Füße. „Ich weiß nicht“, begann er leise. „Das haben wir gleich“, lachte der Leutnant und rief laut: „Die Vorstellung ist vorbei! Also rein mit euch, es sei denn, ihr wollt mitmachen!“ Doch er hatte nicht mit der Neugier seiner Männer gerechnet. Sie grummelten zwar etwas, doch einem Neuen bei der ersten Runde zuzusehen wog letztendlich mehr, als selbst eine Runde drehen zu müssen und so blieben alle da. „Ja dann“, lachte Darren. „Stephens, du zeigst ihm wie man das erste Hindernis in Angriff nimmt!“ „Warum ich?“, meuterte der Feuerwehrmann. „Weil du ganz vorne stehst. Also los!“ Die Truppe brach in Gelächter aus. Nacheinander musste jeder Feuerwehrmann ein Hindernis überqueren und Dean stellte fest, dass das hier nicht viel anders war, als der Parcours. Nur das Schleppen dieses Schlauches und das Ziehen von dem Sandsack hatte er noch nie gemacht. „Alles klar oder hast du noch Fragen?“, wollte Buono wissen, nachdem der letzte Feuerwehrmann den Sandsack über die Ziellinie gezogen hatte. „Warum der Sandsack?“, fragte Dean neugierig. „Das soll eine verletzte Person darstellen, die wir bergen müssen. Das Gewicht passt zu einem Erwachsenen und wenn der Verletzte bewusstlos ist, ist er genauso schwer zu handhaben wie ein Sandsack.“ „So wie die Frau aus dem brennenden Haus?“ „Genau so.“ „Nein, dann ist alles klar.“ „Okay, willst du zuerst?“ „Muss nicht“, erwiderte Dean und musterte schon wieder seine Schuhspitzen. „Okay.“ Darren nickte. „Also los. Jeder noch eine volle Runde. Vier Mann der Feuerwehr, dann Dean und ich mache den Schluss“, bestimmte er. „Stephens zuerst.“ Er nahm die Stoppuhr in die Hand: „Los!“, kommandierte er und drückte die Uhr. Inzwischen waren auch die Mitglieder der Jugendfeuerwehr da, die sich dieses Spektakel natürlich nicht entgehen lassen wollten. Sie standen jetzt neben Chief Morris und Mr. Prudell an die Wand gelehnt und feuerten die Männer an. „Du hast das nicht zum ersten Mal gemacht“, stellten Darren fest, nachdem auch er den Parcours absolviert und sie dann die Zeiten verglichen hatten. „Du bis auf Platz vier von uns neun!“ „Naja, Sam und ich haben bei Bobby so eine ähnliche Übungsstrecke“, gab Dean zu. „Nicht schlecht!“ Darren legte seine Hand auf Deans Schulter. „Sag mal, wir gehen nach einem erfolgreichen Einsatz abends immer in einer Bar einen trinken. Hast du Lust heute mitzukommen? Immerhin haben wir dir die Rettung von zwei Personen zu verdanken.“ „Da muss ich erst Sam fragen“, erklärte Dean. Darren schaute fragend zu Greg, der nickte und wieder zu Dean zurück: „Und Sam ist?“ „Mein Bruder. Wir wohnen zusammen bei Greg und Emily in der Garage“, erklärte der freimütig. Sam kam mit einem, an ihn adressierten Umschlag in der Hand ins Haus, als sein Handy klingelte. Er schaute auf das Display des Handys. ‚Dean?‘ „Hey“, nahm er das Gespräch an. „Wo bist du?“ „Noch auf der Feuerwache. Ich war heute bei einem Brand dabei. Ich habe geholfen zwei Menschen zu retten“, erzählte Dean aufgeregt. Über Sams Gesicht huschte ein Lächeln. „Und das konnte nicht warten, bis du wieder hier bist?“, fragte er amüsiert. „Naja schon, aber ...“ Dean schluckte. „Darren, einer der Feuerwehrmänner fragt ob ich mit in die Bar gehen will.“ „Willst du denn?“ „Schon denke ich. Ich würde gerne mehr von der Feuerwehr erfahren, ja. Aber ich wollte erst dich fragen! Du hast gesagt, ich soll dich fragen, wenn ich etwas nicht weiß.“ „Stimmt und ich finde es gut, wenn du das tust. Also, wenn du gerne mitgehen möchtest, geh. Wenn du Alkohol trinken möchtest, bitte nicht viel. Ein Glas Bier, oder zwei sind in Ordnung. Schnaps lass lieber noch sein und wenn du genug hast, ruf mich an, ich komm dich abholen, wenn keiner der Feuerwehrmänner in unsere Richtung fährt.“ „Okay“, antwortete Dean. „Bis dann.“ „Und Dean!“, rief Sam, bevor sein Bruder auflegen konnte. „Ja?“ „Viel Spaß!“, wünschte er noch und legte auf. Mit einem mulmigen Gefühl riss er den Umschlag auf. Die Größe des Umschlages ließ keine Rückschlüsse auf den Inhalt zu, Mist! Hastig überflog er den Inhalt. „Jah!“, rief er. Sein Augen leuchteten. Er ließ sich auf einen Stuhl in der Küche fallen und las den Brief noch einmal, ganz in Ruhe. Der Inhalt der Aussage blieb: Er hatte die Zusage für ein zweiwöchiges Praktikum in der Kanzlei Davenport, ab Montag! Da musste er nur noch seinen Job in der Bibliothek absagen. Gut, dass er da nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er wieder zur Schule gehen und möglicherweise auch ein Praktikum machen wollte. Vielleicht konnte er ihnen ja am Samstag helfen, wenn er nicht lernen musste? Das würde sich ergeben. Mal sehen, wie selbständig Dean in den nächsten Wochen noch wurde. Er zückte sein Telefon und wählte die Nummer seiner Chefin. Kapitel 263: Ein blöder Zwischenfall und eine noch blödere Idee --------------------------------------------------------------- 263) Ein blöder Zwischenfall und eine noch blödere Idee Dean schob sein Handy in die Tasche. „Sam meint, dass es okay ist“, erklärte er ruhig. „Ich komme mit, wenn du nichts dagegen hast, Greg.“ „Warum sollte ich? Du bist jung. Amüsiere dich!“, erklärte der und nickte bestätigend. Stunden später setzte Dean sein Glas ab. Die Männer um ihn herum erzählten sich Geschichten und Anekdoten. Gerade lachten sie über die eines der Männer, der erzählte, wie er zum ersten Mal einen dicken Wasserschlauch in der Hand gehalten und die Kraft des Wassers vollkommen unterschätzt hatte. Er beschrieb wie der Schlauch mit ihm die irrwitzigsten Bewegungen vollführte und er von dem Schlauch hin und her geschleudert wurde, weil er einfach nicht loszulassen wollte. Dean hatte sowas schon Mal in einem Trickfilm gesehen und so konnte er hier sogar mitlachen. Aber auch sonst war es nicht schlimm, wenn er nicht wusste, wovon sie erzählten. Sie sprachen meistens von Begebenheiten, bei denen er eh nicht dabei gewesen war und ihm reichte es zuzuhören. Das hatte er auch schon bei seinen Kollegen auf dem Bau festgestellt. Aber selbst wenn sie sich über Dinge unterhielten, die er wissen müsste, machte es ihn nicht mehr so wütend, wenn er nichts verstand. Sam hatte Recht gehabt. Je mehr er sich auf das reale Leben einließ, um so einfacher wurde es. Vielleicht sollte er Bobby bitten ihm einige Begebenheiten von ihrer gemeinsamen Zeit in seinem Haus und auf dem Schrottplatz zu erzählen. Vielleicht war das alles da dann ja nicht mehr so furchteinflößend? Er nahm sich vor, genau das Sonntag vorzuschlagen. Dean rutschte von seinem Hocker und ging zur Toilette. Gerade als er sich die Hände waschen wollte, torkelte ein total betrunkener Kerl aus einer Kabine. Er prallte gegen Dean. „Hey“, grummelte der und schob den Typen von sich. Er hasste es, wenn ihm jemand so nah kam. „Was willsu! Was grabschu mich an? He?“ Der Kerl baute sich vor dem Winchester auf und schlug ihm unvermittelt die Faust ins Gesicht. Dean riss die Arme hoch. „Ist … ich“, stammelte er erschrocken, während ihn sein Gegenüber immer weiter gegen die Wand neben der Tür drängte. „Was he?“ In diesem Augenblick ging die Tür neben Dean auf. Er nutzte die Gelegenheit und huschte nach draußen. Kreidebleich und zitternd stand er im Gang. Der einzige Gedanke, den er fassen konnte, war Sam! Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte. „Sam?“, fragte er, kaum dass der abgenommen hatte. „Dean? Was ...“, fragte der Jüngere irritiert. Sein Bruder klang komisch! „Kannst du mich holen? Bitte“, wisperte Dean und seine Stimme überschlug sich fast vor Angst. In Sams Kopf schrillten alle Alarmglocken. „In welcher Bar seid ihr?“ Dean nannte ihm den Namen. „Ich bin sofort da!“ Dean nickte. Er schlich regelrecht zurück und verkroch sich auf einen Platz in der Bar, von dem aus er am wenigsten zu sehen war, nicht das der Typ noch einmal auf ihn losging. Keine viertel Stunde später stürzte Sam in die Bar und schaute sich suchend nach seinem Bruder um. Zur selben Zeit wollte Darren zur Toilette. Sein Blick fiel auf Dean, der sich neben der Jukebox an die Wand drückte. Irritiert schüttelte er den Kopf. Was war mit ihm? Er ging zu ihm. „Dean ..“, begann er genau in dem Moment, als er von einem Riesen beiseite gedrängt wurde. „Hey!“, knurrte er. „Lass ihn in ...“ „Sam!“, Dean hatte seinen Bruder entdeckt und drängte sich sofort an ihn. „Mein Gott, Dean! Was ist passiert?“ Vorsichtig legte Sam seine Hand unter Deans Kinn und drückte sein Gesicht hoch. Sanft tastete er über das malträtierte Jochbein. „Du bist Sam?“, japste Darren. „Ich dachte schon du wolltest ihm ...“ „Deine Sorge kommt etwas spät, oder? Ich war so froh, dass er sich endlich traut auch ohne mich rauszugehen und dann das? Verdammt noch mal! Nur weil du nicht aufpassen konntest, wirf ihn das hier wieder um Wochen zurück!“ Sam war in Rage und es war ihm egal ob er hier den Richtigen anmachte oder nicht. Es ging um Dean! Darren senkte den Kopf. Er hatte kaum mitbekommen, dass Dean verschwunden war und er hatte keine Ahnung wieso der plötzlich ein Veilchen hatte. „Können wir gehen? Bitte?“ Dean zog am Sams Ärmel. „Ja, lass uns gehen“, sagte er jetzt, da er mit Dean redete, vollkommen ruhig. Er trat hinter seinen Bruder, legte seine Hand auf dessen Schulter und schob ihn sanft zum Ausgang. „Hah! Hasu entlich ein sum gebrabschn gefun, du Schwuchtel?“ Beim Klang der Stimme neben seinem Ohr erstarrte Dean. Sam drängte sich schützend vor ihn. Er baute sich zu seiner vollen imposanten Größe auf und machte sich so breit wie möglich, bevor der den Typen wütend anfunkelte. „Hast du meinem Bruder das Veilchen verpasst?“ „Die Schwuchl is dein Bruder? Mein Beileid!“ Der Kerl grinste süffisant. „Erstens ist mein Bruder alles andere als schwul und selbst wenn er es wäre, hat dich das nichts anzugehen und zweitens: Komm ihm noch einmal zu nahe und ich reiß dir die Eier ab!“, knurrte Sam gefährlich leise bevor er sich abwandte und Dean nun endgültig aus der Bar und zum Impala brachte. „Die ist für uns gestorben!“, entschied er, als er den Impala startete. Dean nickte nur hilflos. Kaum dass Sam den Impala vor ihrem Häuschen zum Stehen gebracht hatte, sah er seine Befürchtungen auch schon bestätigt. Dean stürzte aus dem Wagen, lief ins Haus und verschwand in seinem Zimmer. Frustriert schlug er auf das Lenkrad. „Verdammt!“ Sowas hätte einfach nicht passieren dürfen! Vielleicht war es doch zu früh gewesen, Dean alleine rausgehen zu lassen. Aber er konnte ihn doch nicht die ganze Zeit am Gängelband halten, da würde er ja nie selbstständig werden! Außerdem, wer konnte denn sowas ahnen! Er atmete tief durch und hoffte, dass die Welt morgen schon wieder besser aussah! Doch dafür sollte er sich jetzt erstmal um Dean kümmern, nicht dass der sich noch tiefer in sein Schneckenhaus verkroch! Schnell stieg er aus, ging ins Haus und direkt in die Küche, um Dean einen heißen Kakao zu kochen. Er krönte die Tasse mit einem Berg aus Sprühsahne und verzierte alles noch mit Schokosoße, bevor er dieses Gute-Laune-Getränk zu Deans Zimmer balancierte. Vorsichtig klopfte er. „Geh weg!“, hörte er die dumpfe Antwort und seufzte. Genau das hatte er befürchtet und genau das würde er nicht tun. Er öffnete die Tür. „Ich hab hier was“, sagte er leise in den dunklen Raum hinein, während er seinen Blick suchend schweifen ließ. „Will nicht!“, kam es leise aus einer Ecke. Sam musste genau hinschauen, um seinen Bruder in der Ecke zwischen Schreibtisch und Wand hocken zu sehen. Er seufzte noch einmal. Es konnte doch nicht sein, dass eine blöde Begegnung alle Fortschritte zunichtemachen konnte. Am Liebsten würde er dem Typen noch nachträglich einen festen Tritt in seine Weichteile verpassen. Homophober Idiot. Bei diesem Gedanken fiel ihm auf, dass er nicht mal wusste, was passiert war. Er stellte das Glas auf den Schreibtisch und schaltete die Nachttischleuchte ein. Dann hockte er sich zu seinem Bruder. „Hey“, sagte er leise und legte seine Hand auf Deans Arm. „Nicht“, wisperte Dean und zog seinen Arm weg. Er wollte sich gerade von niemandem berühren lassen. „Ich werde dir nicht weh tun!“ „Du nicht, ich weiß.“ „Warum kommst du dann nicht raus? Du musst dich nicht verstecken.“ „Ich ...“, hilflos mit den Schultern zuckend brach Dean ab und schüttelte den Kopf. „Du hast eine furchtbare Erfahrung gemacht“, begann Sam ruhig. „Willst du dir all die guten Erfahrungen davon kaputt machen lassen? Willst du nie wieder mit Greg zur Feuerwehr oder für Ed arbeiten? Bitte Dean. Ich weiß, dass es weh tut, aber das wird vergehen.“ Sam nahm das Glas vom Tisch und hielt es seinem Bruder hin. „Was ist das?“, fragte der Ältere skeptisch. „Etwas um deine Laune zu heben. Ich hatte leider keinen Kuchen.“ Dean nahm das Glas. Er musterte es skeptisch, bevor er einen vorsichtigen Schluck nahm. Als er das Glas wieder vom Mund nahm musste Sam wider Willen grinsen. „Jetzt bist du ein Naseweis, obwohl du gar keiner bist.“ „Ich bin was?“ „Du hast eine weiße Nase“, baute Sam seinen Satz um. Dean wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und leckte die Sahne ab. „Und was ist ein Naseweis?“ „Peter Pans Fee oder ein kleiner Besserwisser. Du bist weder das Eine noch das Andere.“ „Nein.“ Dean nahm noch einen Schluck. „Schmeckt gut.“ „Das freut mich. Und jetzt komme bitte da raus, ja.“ „Ich …“ Dean schüttelte den Kopf. „Nachher“, sagte er und trank noch einen Schluck. Sam seufzte schon wieder, doch er wollte nicht streiten. „Du solltest dich nicht hier verkriechen. So viel Beachtung hat der Typ nicht verdient!“, versuchte er noch einmal an seinen Bruder zu appellieren. Er wollte gerade das Zimmer verlassen, als Deans Frage: „Warum?“ Ihn zurückhielt. „Warum, was?“ „Warum hat der Kerl mich …? „Ich kann nur vermuten“, begann Sam. „Er fühlte sich in seinem Ego bedroht. Er war betrunken und da werden kleine Dinge riesengroß und die Vernunft ausgeschaltet und das Schlimmste ist, dass er sich morgen wahrscheinlich nicht mal daran erinnern kann und du noch eine Weile mit dem Veilchen rumlaufen musst.“ Er seufzte leise. Wie sollte er sowas einem Kind, einem geistigen Kind, erklären sollte. „Es tut mir so leid, Dean“, sagte er leise, sann verließ er das Zimmer, ließ aber die Tür offen. Dean fühlte sich innerlich wie erstarrt. In seiner Welt waren die Menschen nett bis gleichgültig, aber nie gewalttätig gegen andere. Ja, er war wütend gewesen und hatte sich selbst verletzt. Sich selbst! Nie hätte er jemand anderes geschlagen. Er verstand ja nicht einmal warum der Typ auf ihn losgegangen war, selbst mit Sam Erklärungen verstand er es nicht. Er hatte ihn doch nur von sich weggeschoben! Und was war eine Schwuchtel? Sam hatte ihn gerettet! Was wäre passiert, wenn Sam nicht gekommen wäre, wenn der Mann ihn vorher gesehen hätte? Hatte er den Mann früher schon mal getroffen? Aber Sam arbeitete tagsüber. Er konnte nicht immer auf ihn aufpassen! Immer tiefer drehte sich Dean in dieser Spirale aus Angst, bis er es endlich schaffte sich aufzuraffen um ins Bett zu gehen. Kaum lag er, zog er sich die Bettdecke über den Kopf. Auch Sam grübelte die halbe Nacht darüber nach, wie er Dean zu mehr Selbstvertrauen verhelfen konnte. Irgendwann schlief er ein, ohne einen Weg gefunden zu haben. Es war der erste Morgen, seit sie hier wohnten, an dem Dean kein Frühstück machte und auch nur widerwillig essen kam, als Sam ihn rief. Schweigend knabberte er an seinem Toast und verschwand, kaum das Sam sein Frühstück beendet hatte, wieder in seinem Zimmer. Der Jüngere seufzte leise. Genau das hatte er gestern befürchtet und doch darauf gehofft, es vermieden zu haben. Aber dafür brauchte es wohl mehr als einen Kakao. Während er den Tisch abräumte, überlegte er wie er diesen Zustand so schnell wie nur möglich beenden konnte. Dean durfte sich auf keinen Fall noch weiter in diese Situation hineinsteigern. Er musste sprichwörtlich sofort wieder aufs Pferd und er musste begreifen, dass er sich wehren konnte. Nur wie? Wie konnte er Dean zeigen, dass man manchmal auch kämpfen musste? Plötzlich sah er seinen Bruder vor sich. Auf dem Rücken. Damals in Stanford, als er bei ihnen eingebrochen war, um ihn auf die Suche nach Dad mitzunehmen. Dean auf dem Rücken … Eigentlich war sein Bruder meistens der, der ihn auf den Rücken legte. Hatte er ihn damals gewinnen lassen? Oder hatte er damals endlich etwas gefunden, wofür es sich zu kämpfen wirklich lohnte? Egal, das war vorbei. Letztendlich hatte sein Kampf damals nicht geholfen, aber hier und jetzt konnte ein Kampf helfen. Auch wenn er wohl alles andere als schön werden würde. Gut! Die Idee war da, jetzt musste er sich überlegen wie und vor allem wo er seinen Bruder quälen wollte. Hier konnte er das auf keinen Fall machen. Dean würde einfach in seinem Zimmer verschwinden. Außerdem hatten sie hier kaum Platz und liefen Gefahr sich zu verletzen. Hm. Eine Kollegin hatte von einem einsam gelegenen Teich mit Wald und Wiese davor gesprochen. Schnell zückte er sein Handy und suchte den Platz auf Google. ‚Der wäre wie geschaffen dafür!‘, überlegte er. Und falls da Leute waren, konnten sie noch auf ihr Wäldchen zurückgreifen. Da gab es nur die Flucht zu Bobby. Okay, also der Teich. Blieb noch ein leckeres Picknick als Ablenkung um Dean überhaupt hier herauszulocken. Sam suchte alles zusammen und begann Sandwiches und Salat zuzubereiten. Er packte Cola und Wasser ein und buk Waffeln. Zu guter Letzt schlug er Sahne und wunderte sich, dass seine Geschäftigkeit Dean nicht aus seinem Zimmer lockte, so gerne wie der eigentlich in der Küche werkelte. Er stellte die Sahne zusammen mit einer Packung Eis in eine extra Kühlbox und packte einen Mix aus Beeren dazu. Jetzt blieb ihm nur noch Dean zu dem Ausflug zu überreden. Er rollte mit den Augen und seufzte stumm. Das würde der schwierigste Teil des Planes werden. Leise klopfte er an dessen Tür und trat ein. Sein Bruder hockte auf dem Bett und las. „Was hältst du davon, wenn wir baden fahren? Es ist so schön draußen. Du kannst unmöglich den ganzen Tag nur im Zimmer hocken wollen.“ „Doch will ich!“ „Nein, Dean. Willst du nicht, nicht wirklich.“ „Und wenn doch?“ „Und wenn ich dir sage, dass ich einen Platz kenne, an dem wir unter uns sind. Pack die Badehose ein. Vielleicht können wir auch schwimmen gehen.“ „Ich möchte lieber hier bleiben.“ „Nur weil du ein Veilchen hast, musst du dich nicht im Haus verstecken. Das kann immer mal passieren. Willst du dir von so einem besoffenen Idioten alles kaputt machen lassen? Du hast in den letzten paar Wochen so viel erreicht und das soll jetzt alles für die Katze sein? Komm schon, wir gehen schwimmen. Weder du noch ich müssen dieses Wochenende lernen oder arbeiten. Wer weiß, wann das mal wieder so sein wird. Komm schon.“ Dean verdrehte die Augen, legte das Buch beiseite und stand auf. Sam würde ja eh keine Ruhe geben. Mit gesenktem Kopf ging er zum Impala und ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Sam seufzte. Dean kam mit, aber er hatte einfach aufgegeben und das zu sehen tat mehr weh, als er gedacht hatte. „Wir sollten Bobby morgen fragen, ob er ein Basecap für dich hat“, überlegte leise. „Dann kannst du dein Auge verstecken, wenn du das willst.“ Dean rutsche auf seinem Sitz noch tiefer. Sam seufzte stumm. Das konnte ja heiter werden. Vielleicht sollte er seinen Plan besser aufgeben? Er lenkte den Wagen auf die Straße. Kapitel 264: Enttäuschtes Vertauen ---------------------------------- 264) Enttäuschtes Vertrauen „Sollen wir erst gucken gehen oder nehmen wie den Picknickkorb gleich mit?“, fragte Sam, kaum dass er den Impala auf einem schattigen Platz am Wegesrand abgestellt hatte. Durch ein paar Büsche konnte man die Wiese und ein Stück von den Teich sehen. „Erst nachschauen“, bat Dean leise. Am Liebsten wollte er gar nicht aussteigen, aber das würde Sam wohl nicht zulassen. Sam wollte dass er sich nicht einschloss, wollte das er raus ging und das würde er durchsetzen. „Okay“, erklärte Sam und stieg aus. Er ließ seinen Blick über die Wiese schweifen. Er sah weder ein Auto noch andere Menschen. Dieser Platz schien wirklich ein Geheimtipp. Oder aber die Menschen, die hier lebten gingen lieber in eines der großen Bäder mit Rutsche, Sprungturm und Strömungsbecken. „Alles klar, wir sind hier alleine!“ Er holte den Picknickkorb aus dem Kofferraum. Decke und Handtücher warf er Dean zu. „Such uns mal eine schönes Plätzchen“, forderte er ihn auf. Dean nickte. Vielleicht wurde es ja doch nicht so schlimm! Alles was Sam bis jetzt mit ihm unternommen hatte, hatte Spaß gemacht! Sam passte immer auf ihn auf! Sam war gut zu ihm! Er glaubte ihm! Er fasste die Decke etwas fester und ging über die Wiese. In der Nähe des Teiches, halb unter einer Eiche, breitete er sie aus und setzte sich darauf. Wenn er wenigstens sein Buch … „Dean?“, riss Sam ihn aus seinen trüben Gedanken und hielt ihm das Buch hin, dass er gerade las. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Danke!“ Auch Sam hatte sich Lektüre mitgebracht. Ein juristisches Fachbuch, das er in Stanford schon einmal gelesen hatte und mit dem er jetzt sein Wissen auffrischen wollte. Lange konnte ihn das Buch allerdings nicht fesseln und seine Gedanken wanderten zu Dean. Wie konnte er ihm diese gestrige Erfahrung abmildern? Konnte er ihn irgendwie ablenken? Dean hatte sich so gut entwickelt. Er war immer offener geworden, von sich aus auf Fremde zugegangen und jetzt das! Wie konnte er verhindern, dass sich sein Bruder wieder einigelte? Gab es wirklich nur diesen einen Weg? Frustriert legte Sam sein Buch weg. Vielleicht half ihm ja eine Runde schwimmen den Kopf wieder frei zu bekommen. Er stand auf und lief zum Teich. Dean schaute seinem Bruder hinterher und sah zu, wie der ins Wasser ging. Ohne lange zu zögern folgte er ihm, denn er wollte auf keinen Fall alleine hier bleiben. Wenn doch Menschen hierher kamen? Schweigend drehten sie Runde um Runde, bis Sam merkte, dass es seinem Bruder immer schwerer fiel, sich neben ihm zu halten. Die Erkenntnis, dass der wohl lieber ertrinken, als alleine zur Decke zurückgehen wollte, traf ihn wie ein harter Schlag in den Magen. Das musste er ändern und zwar so schnell wie nur möglich! Nur wie? So ganz war er von dem, was da in seinem Kopf herumspukte noch immer nicht überzeugt. Er wollte Dean nicht weh tun! Es musste doch einen anderen Weg geben! Ob Bobby einen Weg wusste? Bobby wusste immer einen Weg! Erleichtert schob er seine Überlegungen beiseite und beschloss, den Tag mit Dean einfach zu genießen. Er schwamm zum Ufer und ging zu ihrer Decke. „Fass mal bitte mit an“, bat er und zog die Decke etwas weiter in die Sonne, um sich aufzuwärmen. Der See war ziemlich kalt gewesen. „Hast du Hunger?“, wollte er von seinem Bruder wissen. Dean zuckte mit den Schultern. Auch so etwas, woran er sich so langsam gewöhnt haben müsste, es aber wohl nie wirklich können würde. Dieser Dean hatte selten wirklich Hunger, nicht wie sein Bruder, den man regelmäßig aller vier Stunden füttern musste, wollte man nicht Opfer seiner schlechten Laune werden. Es sei denn er schlief, dann sollte man ihn besser nicht wecken. Er grinste kurz, während er die Kühltasche holte und breitete ihren Inhalt auf der Decke aus. „Hau rein“, sagte er und nahm sich ein Sandwich und etwas Salat. Nach einer ausgiebigen Ruhepause gingen sie noch einmal schwimmen. Erschöpft kamen sie aus dem Wasser und obwohl sie sich durch das Schwimmen warmgehalten hatten, waren sie doch ausgekühlt. Sam griff nach einem Handtuch und rubbelte sich trocken, bevor er sich auf der Decke niederließ, um sich noch weiter aufheizen zu lassen. Dean wollte seinem Beispiel folgen. Er griff nach seinem Buch und wollte sich gerade neben Sam niederlassen, als sein Blick auf drei Hunde fiel, die gerade auf die Wiese kamen. Mehrere Menschen folgten ihnen laut schwatzend. Sie warfen Stöcke ins Wasser. Mit riesigen Sätzen stürzten sich die Hunde ins Wasser, um die Spielzeuge zu holen. Sie schüttelten sich kurz, kaum dass sie wieder am Ufer standen und brachten die Stöcke zu ihren Menschen, damit das Spiel von neuem beginnen konnte. Die Menschen warfen noch ein paar Mal, bevor sie mit ihren Tieren wieder im Wald verschwanden. Kaum waren ihre Stimmen verklungen, sprang Dean auch schon auf und begann seine Sachen in den Rucksack zu stopfen. „Was wird das?“, fragte Sam etwas irritiert. „Ich will hier weg!“ „Und warum?“, langsam erhob sich der jüngere Winchester. Unsicher kaute Dean auf seiner Unterlippe. Seine Augen huschten immer wieder zum Waldrand, so als würde er gleich eine Zombieinvasion erwarten. „Bitte! Ich ...“, flehte er und klang dabei so panisch, so unterwürfig, dass Sam schreien wollte. Dean war nie panisch und schon gar nicht unterwürfig! Etwas in Sam explodierte. Etwas, dass seine Wut auf die Welt und die Situation gedämpft hatte. Etwas, das ihm zuflüsterte, dass dieser Dean die falsche Adresse für diese Wut war. Er stand ebenfalls auf, ohne jedoch in irgendeiner Art und Weise zu erkennen zu geben, dass er Deans Bitte folgen wollte. „Du meinst nicht, dass du dich jetzt etwas paranoid verhältst?“ „Das ist mir egal, was immer es heißt! Ich will hier weg!“ „Warum, Dean?“ „Ich will einfach nach Hause, bitte!“, flehte der und fügte, als Sam sich nicht bewegte hinzu: „Ich will in mein Zimmer. Ich will niemandem mehr begegnen, keinem Menschen. Menschen machen mir Angst!“ „Bobby, Jody, Ed, Greg, Emily, Rachel, Scott, ich … Wir sind alle auch Menschen, Dean. Nur weil ein Mensch so ein Idiot, so ein besoffener Idiot war, sind doch nicht alle Menschen so. Du hast inzwischen so viele kennengelernt, die nicht so waren.“ „Ich will aber trotzdem nach Hause! Bitte!“ Dean blinzelte die Tränen weg, die sich in seine Augen drängten. Warum reagierte Sam plötzlich so? Warum begann Sam ihm Angst zu machen? Was hatte er falsch gemacht? Die, seit einer halben Ewigkeit unterdrückte, Wut kochte in Sam immer höher und ließ sich nicht mehr zurückdrängen. Wut auf das Schicksal, das Dean diese Amnesie beschert hatte, Wut auf sich selbst, weil er es nicht schaffte den richtigen Auslöser für Deans Erinnerungen zu finden und Wut auf Dean, eben weil der sich nicht erinnern konnte. „Du willst also nach Hause, ja?“ Sam stellte sich so, dass er seinem Bruder den Weg zum Impala versperrte. „Das Leben ist aber kein Wunschkonzert. Du bekommst nicht immer was du willst, Dean!“ Er schubste ihn ein Stück rückwärts. „Je eher du das lernst um so besser! Du musst kämpfen, Dean.“ Wieder stieß er ihm die Hand vor die Brust und wieder stolperte sein Bruder rückwärts. „Dir wird nichts geschenkt!“ Ein weiterer Stoß folgte. „Du willst nach Hause? Zeig mir wie sehr! Kämpfe Dean! Sobald du an mir vorbei kommst, fahren wir nach Hause!“ „Sam! Bitte!“ Dean war wie erstarrt. Was wollte sein Bruder von ihm? „Warum bist du so gemein?“ ‚Weil das Schicksal seit Monaten, seit Jahren gemein zu mir ist, weil ich meinen Bruder endlich zurück will, weil ich auch mal wieder der kleine Bruder sein will, weil ich mich einmal wieder nicht sorgen will“, schrie er in Gedanken. „Weil ich will, dass du dich erinnerst! Weil ich will, dass sich dein Körper erinnert! Du kannst dich verteidigen, Dean. Komm schon! Kämpfe! Du konntest dich immer verteidigen und du konntest immer kämpfen, also los! Ich will dass sowas wie in der Bar nie wieder passiert! Ich will dass du dich verteidigst! Ich will dass du kämpfst! Also kämpfe mit mir!“ „Aber ich kann nicht, ich will das nicht!“ „Genau das ist dein Problem! Du willst nicht! Du kannst dich erinnern, wie man reitet! Du kannst dich erinnern wie man ein Haus abreißt und wieder aufbaut! Warum willst du dich dann daran nicht erinnern?!?“ Sam war immer noch wütend auf alles und jetzt kam auch noch die Wut aus sich selbst hinzu. „Das ist doch gar nicht wahr!“, versuchte Dean sich verbal zu verteidigen. „Dann zeig es mir!“ Sam zog sich sein T-Shirt über. „Wir fahren, sobald du beim Impala bist!“ Wieder versuchte er Dean zurückzudrängen. Doch dieses Mal wich der einfach aus. ‚Ach guck‘, dachte Sam und versuchte ihn wieder zu schubsen. Dean fing den Schlag ab. Er fasste Sams Arm fester, drehte sich zur Seite und hebelte seinen Bruder über seine Schulter. Mit einem dumpfen Keuchen landete der auf dem Rücken. ‚Geht doch‘ dachte er im Fallen und trat nach, kaum dass er auf dem Boden gelandet war. Er erwischte Deans Oberschenkel und schickte ihn ebenfalls zu Boden. Leise schnaufend kamen die Beiden wieder auf die Füße. Verwirrt schüttelte Dean den Kopf. War er das? Hatte er Sam von den Füßen gerissen? Doch der ließ ihm keine Zeit zum überlegen. Er machte die wenigen Schritte auf ihn zu und holte mit der Linken aus. Dean ging sofort in die passende Abwehrstellung. Der Schlag kam jedoch nicht. Stattdessen trat ihm Sam die Beine weg und er ging schon wieder zu Boden. Sam setzte mit einem harten Tritt nach. Er taumelte zurück und landete erneut auf dem Rücken. Sam wollte noch einen weiteren Tritt anbringen, doch Dean war schnell wieder auf die Füße gekommen. Er taumelte leicht, schaffte es aber trotzdem Sam mit einem harten Schlag zu Boden zu schicken. Benommen blieb der liegen. Dean starrte seinen Bruder an und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Er verstand nicht warum Sam so böse auf ihn war und er verstand nicht was er gerade getan hatte. War es das was Sam mit Kämpfen meinte? Aber warum? Warum sollte er ihn schlagen? Er wollte das nicht! Schnell griff er seinen Rucksack und lief zum Impala. Erst dort zog er sich weiter an, während sein Blick immer wieder zu Sam huschte. Er sah zu, wie der sich langsam in die Höhe stemmte, sich anzog und ihre Sachen packte. Sollte er ihm helfen? Nein! Er wollte jetzt nicht in Sams Nähe sein und ihm graute schon davor, gleich neben ihm sitzen zu müssen. Sam war noch immer wütend, vor allem auf sich. Er hatte Dean dazu gebracht sich zu verteidigen. Nein, er hatte Deans Körper dazu gebracht zu reagieren. Jetzt wusste er ganz genau, dass der Körper Bewegungsroutinen speicherte, die er abrufen konnte, auch wenn das Gedächtnis nicht mehr funktionierte. Tolle Erkenntnis! War es das wert gewesen? War es das wert, dass Dean jetzt auch Angst vor ihm hatte? Deans ganze Haltung drückte aus, dass er am Liebsten weglaufen würde. Konnte man sich auch selbst ko schlagen? Denn genau das war es, was er jetzt nur zu gerne tun würde. Er versuchte ihre Sachen alle mit einem Mal zu fassen und trug sie zum Impala. Zehn Schritte vom Wagen entfernt blieb er stehen. Auf keinen Fall wollte er seinen Bruder noch mehr verschrecken. „Kannst du bitte den Kofferraum öffnen?“, fragte er ihn. Dean nickte und tat wie ihm geheißen, brachte aber sofort wieder einen Sicherheitsabstand zwischen sich um Sam. Der warf alles in den Kofferraum. Er rutschte hinter das Lenkrad und wartete, bis Dean eingestiegen war. „Es tut mir leid“, sagte er leise. Er wusste zwar, dass Dean diese Entschuldigung nicht annehmen würde, er jedenfalls hätte es nicht getan, doch er wollte es wenigstens gesagt haben. Kapitel 265: Reue ----------------- 265) Reue Unangenehmes Schweigen machte sich auf dem Rückweg im Impala breit. Unangenehmes Schweigen, von dem Sam nicht wusste, wie er es vertreiben konnte und Dean es nicht brechen wollte. Kaum hielt Sam den Impala vor ihrem Häuschen an, sprang Dean aus dem Wagen und stürzte wie von Furien gehetzt zur Tür. Er wollte alleine sein. Während der Fahrt hatten sich ihm einige Gedanken aufgedrängt, die er am liebsten beiseite geschoben und vergessen hätte. Doch sie kreisten penetrant in seinem Kopf umher und sie betrafen Sam! Sam, auf den er wütend sein wollte, den er hassen wollte, für das was da gerade passiert war. Er wollte enttäuscht sein. Er wollte ihn am liebsten nie wieder sehen und er wollte ihn auf keinen Fall verstehen! Und doch tat er genau das. Er hatte seine Hand aus Wut gegen den Baum geschlagen. Warum sollte Sam nicht auch so einen Wutausbruch haben? Immer wieder hatte er die Enttäuschung auf Sams Gesicht gesehen und versucht sie zu ignorieren, denn es tat weh. Diese Augenblicke waren in den letzten Wochen weniger geworden. Doch gestern Abend war sie dafür umso deutlicher da gewesen. Wie schwer musste es für Sam sein mit so einem Idioten wie ihm zusammenzuleben. Er wusste nichts und er konnte nichts. Noch immer nicht! Leises Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Die Tür öffnete sich und Sam kam herein. „Ich wollte dir die Salbe für dein Auge bringen und ein paar Sandwiches und Kakao. Als Friedensangebot. Ich … Es tut mir leid, Dean!“ Sam schluckte und stellte alles auf dem Nachttischchen ab. Er fühlte sich unter Deans bohrendem Blick mehr als unwohl. Er schluckte. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen! Ich wollte dass du dich sicherer fühlst. Dass du weißt, dass du dich wehren kannst, wenn noch mal jemand versucht dich zu schlagen. Das war der falsche Weg! Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihen kannst!“ Er ließ seinen Blick über Deans Gesicht gleiten, doch der schien wohl noch nicht bereit zu sein ihm zu verzeihen. Er konnte es ihm nicht verdenken. „Ich lass dich alleine“, sagte er leise und verließ das Zimmer wieder. Das eisige Schweigen, das sich während der Rückfahrt vom Teich hierher im Impala aufgebaut hatte, fraß sich auch in ihrem Häuschen in jede Ecke. Selbst zum Frühstück am Sonntagmorgen war es noch greifbar, auch wenn Dean nicht mehr ganz so abweisend dreinschaute. „Kommst du nachher mit zu Jody?“, fragte Sam als sein Bruder sich nach dem Frühstück wieder in sein Zimmer verziehen wollte. Der Name Jody hatte seine Anziehungskraft nicht verloren. Dean blieb mitten im Gang stehen und drehte sich zu seinem Bruder um. Er nickte kurz und verschwand dann endgültig wieder in seinem Zimmer, bis sie kurz nach dem Mittag losfuhren. Bei Bobby angekommen flüchtete Dean regelrecht zu ihr. Bei ihr fühlte er sich sicher. Sie nahm ihn wie er war. Bei ihr hatte er nie das Gefühl sie zu enttäuschen, so wie es ihm immer wieder bei Sam und Bobby Singer ging. Und sie hatte ihn noch nie so enttäuscht? Hintergangen?, wie Sam, gestern. Jody nahm ihn auch sofort in ihre Arme. „Was ist passiert“, wollte sie wissen, nachdem sie sich von ihm gelöst hatte. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und strich sanft mit dem Daumen über das malträtierte Jochbein. „Ein ziemlich übler, betrunkener Zeitgenosse war auf Stunk aus“, erklärte Sam leise. „Ich geh nie wieder in eine Bar!“, grummelte Dean. „Darüber reden wir noch mal“, lächelte Jody. Sie strich noch einmal über den lilablauen Fleck. „Aber erstmal: Lasst uns Essen!“ Nach und nach erzählten die Brüder währenddessen, wieso Dean in einer Bar war und was sich da zugetragen hatte und dann beichtete Sam auch noch seinen mentalen Totalabsturz vom Vortag. Er wollte es aussprechen, wollte sich wieder mit Dean vertragen und wenn er dafür eine gemeinschaftliche Abfuhr ihres Ziehvaters und seiner Freundin bekam, nahm er die dafür nur zu gerne hin. Doch bevor die Beiden etwas dazu sagen konnten, meldete Dean sich leise zu Wort: „Ich kann ihn ja verstehen. Ich hatte auch genug Wutausbrüche. Nur hab ich damit meistens mir geschadet. Das gestern … Es tat weh! Ich meine, ich weiß dass ich für dich nur ein schlechter Ersatz für den Dean, den Bruder bin, der ich mal war. Das kann ich irgendwie noch wegstecken, weil jeder der mich vor dem Unfall kannte, mehr von mir zu erwarten scheint, als ich geben kann. Aber das gestern? Du warst so wütend, so aggressiv. Ich … ich … manchmal frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich nach dem Unfall gar nicht mehr aufgewacht wäre.“ Geschockt schauten die drei Anderen am Tisch erst sich und dann Dean an. „Nein! Dean!“, begann Sam. „Du bist so ein wunderbarer Mensch. Sanft. Wissbegierig. Nett. Du bemühst dich so sehr wieder ins Leben zu finden und du bist genauso wertvoll, wie vor dem Unfall, wenn auch auf andere Art und Weise. Trotzdem tue ich mich immer noch schwer mit dir ... mit deiner Amnesie. Du bist ein anderer Mensch in einer bekannten Verpackung. Es tut mir leid, dass ich diesem Menschen, dem alten Dean, nachtrauere, weil ich weiß, dass ich dir damit weh tue. Ich will es nicht, aber ich tue es! Es ist nur so schwer dich, dein jetziges ich, in dieser Hülle nicht zu übersehen. Dean war für mich Mutter und Vater und großer Bruder. Er war Lehrer und Vorbild und Spielgefährte. Klar hab ich dich zwischendurch auch gehasst weil du in meinen Augen immer Dads Meinung warst. Auf dich konnte ich mich immer verlassen. Du wusstest immer wie es weitergehen sollte. Aber du hattest es auch unendlich schwer im Leben. Du kanntest Mom und du hast so sehr unter ihrem Verlust gelitten und dann hat dich Dad auch noch für all das missbraucht, was er nicht tun wollte, oder konnte. Diese Amnesie ist eine Chance für dich ein Leben ohne diesen ganzen Ballast zu führen, auch wenn es für uns schwer ist, den neuen Dean zu sehen. Trotzdem: Das ist egal: Wir lieben wir DICH! Du lebst! Du bist hier und das ist uns wichtig. Du bist uns wichtig. Dich wollen wir in unserem Leben, egal ob du deine Erinnerungen hast oder nicht. Die wären wie die Sahne auf dem Eis. Aber du bist das Eis! Bitte sieh uns, sie es mir nach, wenn wir manchmal nach der Sahne schielen. Wir wollen und können nicht ohne dich leben, Dean!“ Sam seufzte und hoffte, dass er seine Gefühle richtig ausgedrückt hatte, so dass sein Bruder verstand, was er damit sagen wollte. Er schaute zu Jody und Bobby und beide nickten. Deans Blick wanderte von einem zum anderen. Darüber musste er nachdenken. Noch einmal sah er jeden am Tisch an, sah dass sie auf eine Reaktion warteten. Er zuckte mit den Schultern, nickte dann aber. Damit mussten sich die drei zufrieden geben und auch damit, dass er an diesem Tag sehr schweigsam war, selbst Jody gegenüber. Aber das hielt ihn nicht davon ab ihr zu helfen einen Key-Lime-Pie zu backen. Da Dean nicht reden wollte, erzählte sie von ihrer Arbeit und davon, dass sie sich hin und wieder auch mit Owen gestritten hatte, genau wie mit ihrem Sohn und dass es ihr heute noch leid tat, besonders dass sie sich nicht mehr entschuldigen konnte, weil beide tot waren. „Sam, ich brauch mal deine Hilfe. Mein Computer spinnt irgendwie“, loste Bobby dem Jüngeren in sein Büro. Er schloss die Tür hinter Sam und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. „Ich dachte du hast ein Problem“, fragte der Winchester und deutete auf den Rechner. „Wäre es da nicht besser, ich würde davor sitzen?“ „Nein, es ist nur die beste Möglichkeit dich von Dean zu trennen, ohne dass er Verdacht schöpft“, erklärte der Jäger leise. „Gerade heute.“ „Vielleicht ist er aber auch gerade heute froh mich nicht sehen zu müssen.“ Sam schüttelte den Kopf und dann ging ihm auf, was Bobby gesagt hatte. „Was ist los?“, fragte er alarmiert. „Nichts Schlimmes. Es würde nur unnötige Fragen aufwerfen, die wir schlecht beantworten könnten, wenn wir das vor Dean besprechen.“ Er atmete kurz durch und begann: „Es geht um eure Lebensläufe. Jody war bei einem Anwalt, bei dem du dich auch beworben hast. Dieser Anwalt wollte dich nicht nehmen. Er war der Meinung, dass dein Lebenslauf zu sauber wäre. Bei dieser Lücke von fünf Jahren, müsste etwas über dich zu finden sein, meinte er und nein, sie hat nicht geschnüffelt oder für dich gesprochen. Deine Bewerbung hat sie zufällig gesehen“, schränkte er gleich noch ein, nicht dass Sam es in den falschen Hals bekam. „Und was sollen wir jetzt machen? Ich meine ja, ich hab versucht alles Mögliche über uns zu löschen. Ich bin mir zwar sicher, dass ein richtig guter Hacker noch so einiges finden würde. Allerdings habe ich keine Ahnung was ich wo über uns ...“ Sam schüttelte den Kopf. „Was sollte denn nach Meinung dieses Anwalts in unseren, in meinem Lebenslauf stehen?“ „Ich glaube es ist weniger der Lebenslauf, es ist eher eure nicht vorhandene Polizeiakte, die er bemängelt.“ „Wir sind so viel umhergezogen. Da müsste er ja landesweit suchen können.“ „Vielleicht kann er das? Ich habe keine Ahnung“, sagte Bobby ruhig. „Aber ich kenne jemanden, der euch so eine landesweite Polizeiakte erstellen kann. Wasserdicht! Bleibt nur die Frage, ob du das möchtest und was drinstehen soll.“ „Könnte dieser jemand, ich vermute es ist Frank, erstmal schaun, was er überhaupt über uns findet? Damit könnte man arbeiten. Außerdem könnte ich Nick, unseren FBI-Kontakt, fragen ob er inoffiziell eine Anfrage über uns stellen kann.“ Sam strich sich die Haare zurück. „Verdammt! Daran hätte ich viel eher denken sollen! Wir wollen uns ein Leben aufbauen und ich denke nicht daran, dass uns unser altes Leben wie ein Bumerang einholen könnte!“ Wie ein Tiger im Käfig lief Sam hin und her. „Ganz ruhig, Sam. Du hast so oft die Polizeireviere über euch durchsucht. Mehr konntest du nicht tun!“ Er schaute den Winchester ernst an, bevor er fortfuhr. „Also gut. Ich rede mit meinem Kontakt, und ja es ist Frank, und wir sehen, was er rausbekommt. Danach klären wir, was noch zu tun ist.“ Sam nickte. „So wird es das Beste sein.“ Wenn Bobby ein Ergebnis hatte, konnten sie gemeinsam überlegen, wie es weitergehen sollte. Doch jetzt steckte ihm Dean und der gestrige Tag noch viel zu sehr in den Knochen, um sich auf solche Dinge konzentrieren zu können. Er wollte bei Dean sein, auch wenn der ihm heute wohl lieber aus dem Weg gehen würde. Er wollte einfach sehen, dass es seinem Bruder gut ging! Leise seufzend stand er auf und wandte sich zur Tür. „Du bereust den gestrigen Tag“, stellte Bobby leise fest. „Und wie. Immer wieder gehe ich ihn in Gedanken durch und immer wieder lande ich bei diesem Ergebnis. Ja! Ich hätte es anders machen müssen, aber als er so panisch und unterwürfig darum bettelte zurück zu fahren, nur weil fünf Menschen mit Hunden an uns vorbei gegangen sind, da bin ich ausgerastet.“ Hilflos zuckte Sam mit den Schultern. „Dean war nie feige. Er hat sich nie versteckt. Er hat immer gekämpft.“ Noch einmal atmete Sam tief durch. „Ich will meinen Bruder wieder! Ich fühle mich mit der ganzen Amnesie-Sache überfordert! Warum ist immer Dean derjenige, der so hilflos wird? Kyle, der Wolf und jetzt das! Manchmal glaube ich, Gott hat etwas gegen mich!“ Bobby zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht welche höhere Macht du verärgert haben könntest“, er grinste schief. „Vielleicht könntest du Dean anbieten, mit ihm Kampfsport zu trainieren. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann muss er ja wieder aus seinem Schneckenhaus kommen.“ Sam nickte traurig und verließ nun endgültig das Büro. Kapitel 266: Ein Angebot ------------------------ 266) Ein Angebot Der Nachmittag verlief so harmonisch, wie er es in Anbetracht des vergangenen Tages und seiner Ereignisse sein konnte. Trotzdem drängte Dean schon bald zum Aufbruch. Er war noch immer durcheinander und wollte sich nur noch in seinem Zimmer verkriechen, um sich weiter sortieren zu können. Mit einer liebevollen Umarmung verabschiedete sich Jody von Beiden. Bobby reichte Dean die Hand und umarmte Sam. „Das wird schon wieder“, machte er ihm Mut. Kaum hatten sich die Türen des Impalas geschlossen, breitete sich wieder dieses frostige Schweigen zwischen den Brüdern aus. Dean war zwar lange nicht mehr so abweisend wie am Tag zuvor, doch verzeihen konnte er seinem Bruder trotz seiner Aussage, dass er ihn verstand, noch nicht wirklich. Dafür fühlte sich diese seelische Verletzung noch viel zu frisch an. Sam parkte vor ihrem Häuschen. Sie stiegen aus und Dean verschwand sofort in seinem Zimmer. Er brauche Ruhe zum nachdenken. Am nächsten Morgen erwartete Sam wieder ein Frühstück. Dean war zwar noch immer sehr wortkarg, doch das fiel dem Jüngeren kaum auf. Er war viel zu aufgeregt, weil heute der erste Tag seines Praktikums war. Was würde alles auf ihn zukommen? Was konnte er lernen? Wie weit durfte er in den Arbeitsalltag eines Staatsanwalts hinein schauen? Würde es wirklich so gut sein, wie er es sich ausgemalt hatte? „Lass, ich räume auf“, erklärte er, als Dean nach dem Frühstück begann, den Tisch abzuräumen. Dean schaute auf und nickte. Er packte seine Brote ein und fuhr zur Arbeit. Die war ihm viel zu wichtig, als das er sie aufgeben wollte, das hatte er in der vergangenen Nacht für sich entschieden. Sam hatte noch etwas mehr Zeit bis er los musste. Er räumte auf, warf sich in Schale und fuhr danach ebenfalls los. Sein Tag war eigentlich sterbenslangweilig, ausgefüllt mit dem Kopieren von Akten und dem Übertragen der Markierungen der wichtiger Textabschnitte in die Kopien. Immerhin konnte er sich so die Verhandlungsführung und einige Argumentationen durchlesen. Trotzdem war er auch am Abend noch immer hoch motiviert für diese Arbeit und berichtete Dean beim Essen mit leuchtenden Augen was er alles gemacht hatte. Dean hörte zu und als Sam seinen Bericht beendet hatte, schaute er ihm in die Augen. „Das möchte ich nie machen müssen“, sagte er leise. Sam strahlte noch mehr. Dean redete wieder mit ihm. Vielleicht hatte er ihm diese dämliche Aktion ja doch schon verziehen? Doch er kam nicht dazu zu fragen. Ein Klopfen an der Tür ließ die Brüder zusammenzucken. Dean, dessen Selbstbewusstsein die Arbeit auf dem Bau gut getan hatte und der das Trauma des Barbesuches halbwegs verarbeitet zu haben schien, schaute unruhig zu Sam. „Ich gehe“, sagte der sofort und stand auf. Er öffnete die Tür, blieb aber so stehen, dass dem Besucher der Blick ins Innere des Hauses verwehrt blieb. „Hallo, Sie müssen Sam sein. Ich bin Chief Morris. Ist Dean da?“ Sam schaute kurz zu seinem Bruder, der gerade fast wie das Kaninchen vor der Schlange aussah. Das wars dann wohl mit den Selbstbewusstsein, resignierte Sam für sich und entschied, dass hier dringender Redebedarf herrschte. „Kommen Sie rein“, bat Sam ruhig und trat zur Seite. Chief Morris blickte zu Dean und blieb gleich an der Tür stehen. Auch er konnte dessen Unbehagen sehen. „Ich wollte mich für Freitag entschuldigen. Es tut mir so leid, dass das passiert ist. Soweit ich weiß, war das dein erster Barbesuch und dann gleich so etwas. Bitte entschuldige, dass wir ...“ „Haben Sie ihn aufgefordert mich zu schlagen?“, fragte Dean, der sich wieder gefangen hatte, irritiert. „Nein! Warum?“ Der Chief war verunsichert. „Dann müssen Sie sich auch nicht entschuldigen“, erklärte Dean. „Für diesen Typen nicht, nein. Allerdings hätten wir besser aufpassen müssen! Wir wussten von deiner Amnesie und solche Erfahrungen sollten nicht die ersten sein, die man mit etwas macht.“ „Okay“, sagte Dean viel zu ruhig und nickte. „Danke.“ Der Chief lächelte. „Wir sehen uns Freitag?!?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Wieder nickte Dean und Chief Morris wandte sich mit einem Lächeln zum Gehen. „Auf Wiedersehen“, verabschiedete sich Dean. „Ich bring Sie raus“, sagte Sam und verabschiedete sich an der Tür von ihm: „Auf Wiedersehen.“ „Du fährst doch Freitag wieder dahin, oder?“, wollte er von seinem Bruder wissen, als sie wieder gemeinsam am Tisch saßen. Dean nickte. Ja, wenn Greg ihn mitnahm würde er hinfahren. Nach dem Essen ging Sam kurz in sein Zimmer. Er wollte heute unbedingt noch mit Nick telefonieren. Die Sache mit ihren Lebensläufen brannte ihm seit gestern unter den Nägeln, aber er wollte den Freund nicht an einem wahrscheinlich freien Sonntag nerven. Er schloss die Tür hinter sich, holte das Telefon aus der Hosentasche und wählte. „Hey Nick, hier ist Sam!“, grüßte er auch gleich, kaum dass der Agent abgenommen hatte. „Sam! Wie geht’s euch. Ihr habt ja ewig nichts von euch hören lassen!“, freute sich Nick. „Das ist ´ne längere Geschichte, die ich nicht unbedingt am Telefon erzählen will. Wir sollten uns mal auf ein Bier treffen, wenn du in der Nähe bist.“ „So viel wie ihr unterwegs seid, wäre das schon ein großer Zufall, oder?“ „Und doch haben wir es nicht nur einmal geschafft.“ Sam dachte an den kopflosen Reiter und an diesen mexikanischen Gott. „Allerdings sind wir jetzt sesshaft geworden und wohnen in der Nähe von Sioux Falls, South Dakota. Dürfte also etwas einfacher geworden sein.“ Er lächelte. „Das ist auch der Grund warum ich anrufe. Wir wollen … wir sind ausgestiegen und wollen endlich ein normales Leben führen. Dafür brauchen wir allerdings Zeugnisse und Lebensläufe, die nichts von unserem bisherigen Leben erzählen. Hast du eine Möglichkeit herauszufinden, ob wir in euren Datenbanken auftauchen? Nicht dass uns unser bisheriges Leben in den Rücken fällt. Und kannst du das inoffiziell machen?“ „Ich schau mal, was ich machen kann“, versprach Nick. „Ich melde mich.“ „Aber bitte bei mir. Dean ist …“ Sam schluckte hart. „Was ist mit Dean? Ist er schwer verletzt? Ist er ...“, fragte Nick alarmiert. „Dean hatte einen schweren Unfall.“ Sam seufzte leise. „Er hat eine retrograde Amnesie und weiß nichts mehr von unserem Leben als Jäger. Er würde es nicht verstehen, wenn du ...“ Er seufzte erneut. „Ich habe es ihm nicht erzählt und ich werde es nicht, solange er sich nicht von selbst erinnert.“ „Oh mein Gott!“, stöhnte Nick. „Ihr lasst auch nichts aus, oder? Bist du deshalb ausgestiegen?“ „Naja. Wir hatten uns vorher schon vorgenommen endlich ein normales Leben zu leben. Wir wollten aus diesem Leben raus, bevor es einen von uns umbringt. Dieser Fall und damit der Unfall kamen uns dazwischen.“ „Das tut mir leid, Sam. Ich werde sehen was ich tun kann und melde mich dann“, versprach Nick. „Bis dann“, sagte er und legte auf. Sam stopfte sein Handy zurück in die Tasche, atmete noch einmal tief durch und ging wieder nach unten. Jetzt wo Dean sich halbwegs gefangen hatte, vielleicht hatte er ja Lust ihre Routine mit Klatsch und Tratsch und dem abendlichen Fernsehen wieder aufzunehmen? Am folgenden Tag durfte Sam bei einem Termin mit einem Ermittler der Staatsanwaltschaft dabei sein. Zusammen mit der Sekretärin bereitete er den kleinen Besprechungsraum vor und setzte sich, nachdem ihn Mr. Davenport vorgestellt hatte, auf einen Stuhl in der Ecke. Aufmerksam schrieb er alles stichpunktartig mit. Diese Aufzeichnungen ging Mr. Davenport am nächsten Tag mit ihm durch. „Sie haben den Sachverhalt sehr gut zusammengefasst“, stellte der Anwalt fest. „Jetzt verraten Sie mir mal was sie aus diesen Anhaltspunkten herauslesen. Wie kann das der Anklage helfen, eine Verurteilung zu erwirken?“ Sam starrte ihn kurz an, dann begann er seine Strategie zu umreißen. „Und jetzt mal zur Übung, wie würden Sie als Verteidiger unsere Anklage auseinandernehmen? Auch das müssen wir immer bedenken“, erklärte der Anwalt und schaute ihn interessiert an. Wieder überlegte Sam, bevor er auch hier einige Stichpunkte vortrug. „Nicht schlecht“, lobte Mr. Davenport nachdem Sam geendet hatte. Sie habe eine schnelle Auffassungsgabe.“ Sam lächelte. „Danke.“ Es machte ihm immer mehr Spaß, auch wenn er hier natürlich keinen wirklichen Einblick in die Fälle bekam. Außerdem lenkte ihn die Arbeite von seinen häuslichen Problemen ab, die er noch immer mit Dean hatte, auch wenn die kleiner zu werden schienen. Deans Woche verlief ruhig. Dienstag und Donnerstag fuhr er nach seiner Arbeit zum Reiten. Auf dem Rücken des Pferdes konnte er loslassen. Auf dem Rücken Alaskas verrauchte auch die Enttäuschung über Sams Wutausbruch vollends. Sam hatte jedes Recht wütend über seine Amnesie zu sein, er war es ja auch. Er war nur enttäuscht darüber wie sein Bruder reagiert hatte. Trotzdem wollte er genau darüber noch nicht mit Sam sprechen, auch wenn sie sonst zu einem normalen Umgang miteinander zurückgefunden hatten. Freitag holte ihn Greg ab, um mit ihm zur Feuerwehr zu fahren. Der Herd streikte, genau wie die Klimaanlage, schon wieder. Während der Fahrt erzählte Greg von dem Reitturnier. „Sie haben dich vermisst. Scott hat sich zwar um drei Plätze verbessert, aber du hättest beim Rindertreiben durchaus um den Pokal mitreiten können, sagte Rachel.“ „Ich weiß nicht! Ich habe zwar mit Alaska ein paar Mal trainieren können, aber dafür kenne ich ihn viel zu wenig. Außerdem waren da viel zu viele Leute. Das ist noch nichts für mich!“, erklärte Dean ruhig. Er hatte Rachel vor dem Turnier noch angerufen und ihr gesagt, dass er nicht antreten würde. Mal abgesehen von dem Desaster am Freitag davor. Mit dem blauen Auge und in der mentalen Verfassung wäre er nie mitgefahren. Nein, es war gut, dass er das Turnier nicht geritten war. Er hatte eine Teilnahme eh nie wirklich in Betracht gezogen. Greg nickte nur. Er konnte sich Deans Beweggründe schon denken und auch er hatte nicht damit gerechnet, dass der Winchester wirklich schon zu einem Turnier fahren würde. So hatte er ihn einfach nicht kennengelernt. Chief Morris erwartete sie schon, kaum dass sie die Wache betreten hatten. Er drückte Greg einen Kaffee und Dean einen Kakao in die Hand. „Kann ich nachher noch mal mit dir reden?“, fragte Morris Dean. Der nickte und zerbrach sich den ganzen restlichen Nachmittag den Kopf über den Grund dieses Gesprächs. Vielleicht sollte er nicht mehr herkommen? Aber warum hatte Chief Morris das nicht schon am Montag gesagt? Worüber der Chief dann wirklich mit ihm reden wollte, darauf wäre er jedoch nie gekommen. Nervös von einem Fuß auf den anderen tretend, stand Dean in der Tür zum Büro des Chief, gleich nachdem Greg und er die Reparaturen beendet hatten. „Es ist nichts Schlimmes“, versuchte der Chief ihn zu beruhigen, doch Deans Mine blieb skeptisch, also kam er gleich zur Sache: „Du hast erzählt, dass du vielleicht Feuerwehrmann werden möchtest?“ Dean nickte kurz. „Im September beginnen neue Ausbildungskurse. Nicht um Feuerwehrmann zu werden, sondern Rettungssanitäter“, schränkte er sofort ein. „Bei einem dieser Kurse ist kurzfristig ein Platz frei geworden. Das wäre eine sehr gute Voraussetzung, um später Feuerwehrmann werden zu können. Ich dachte, du würdest den vielleicht machen wollen. Es wäre auch eine Art Wiedergutmachung, unsererseits. Du musst nicht, wenn du nicht willst, wenn du dich noch nicht in der Lage dazu siehst. Denke einfach mal drüber nach, okay?“ Unschlüssig kaute Dean auf seiner Unterlippe, während er dem Chief zuhörte. „Muss man dafür nicht bestimmte Voraussetzungen haben?“, wandte er ein. „Es gibt Mittwoch in einer Woche noch einen Eignungstest, an dem du teilnehmen könntest. Klar, die meisten werden mehr medizinische Kenntnisse haben. Doch du lernst schnell. Das sollte kein Problem sein und wenn du den Test bestehst, werde ich ein gutes Wort für dich einlegen, damit sie dich auch nehmen“, versprach der Chief. Es tat ihm wirklich leid, was Freitag passiert war und er hatte sofort an Dean gedacht, kaum dass er von dem freien Platz gehört hatte und ihn vorgeschlagen. Jetzt musste der Winchester nur noch zustimmen. „Ich denke drüber nach“, erklärte Dean ruhig. So ganz wusste er nicht, was er davon halten sollte. Vielleicht konnten Sam, Bobby und Jody ihm bei der Entscheidung ja helfen. „Wenn du mir Montag Bescheid geben könntest?“, bat der Chief und Dean nickte. Auf dem Rückweg war Dean wieder ausgesprochen wortkarg. „Was ist los?“, fragte Greg ruhig. „Was hat Morris dir angetan?“ „Nichts, er ...“ Dean schüttelte den Kopf. „Aber etwas muss er dir gesagt haben. Etwas, das dich so verstört!“ „Er hat mir einen Platz in einem Kurs für Rettungssanitäter angeboten, wenn ich will und den Eignungstest bestehe“, erklärte Dean leise. „Und du weißt nicht, ob du es machen willst?“ „Wollen würde ich schon, denke ich, aber kann ich es?“ „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Dean!“ Der Winchester zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf und nickte dann kurz. „Ich muss darüber nachdenken!“ „Tu das Dean!“ „Danke für‘s Mitnehmen“, verabschiedete sich er Winchester und stieg aus. „Gern geschehen und bis bald!“ Dean nickte und verschwand im Haus, um ihr Abendessen vorzubereiten. Kapitel 267: Auf dem Weg ------------------------ 267) Auf dem Weg Können wir morgen zu Bobby fahren?“, empfing Dean seinen Bruder als der nach Hause kam. „Gerne!“, freute sich Sam. „Erzählst du mir auch warum schon morgen?“ „Der Chief hat sich heute nochmal bei mir entschuldigt. Er hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Rettungssanitäter zu werden. In einem Kurs ist ein Platz freigeworden. Ich weiß aber nicht was das ist oder was ich da können muss. Ich hatte gehofft Jody, du und Bobby könntet mir helfen“, erzählte Dean leise. „Oh mein Gott, Dean!“, Sam strahlte über das ganze Gesicht. In der vergangenen Woche waren sie langsam wieder zu einem fast normalen Umgang miteinander übergegangen. Jetzt warf er die letzten Bedenken über Bord und zog seinen Bruder in eine herzliche Umarmung, die der nach einigem Zögern auch erwiderte. „Das ist ja eine richtig gute Woche für uns“, lachte Sam. „Da haben wir bei Bobby was zu feiern!“ Er klopfte Dean noch einmal kameradschaftlich auf den Rücken und löste sich dann von ihm. „Lass uns essen. Ich hab Pizza in den Ofen geschoben.“ Gerade als sie mit dem Essen beginnen wollte, meldete sich Nick. „Da muss ich rangehen“, entschuldigte sich Sam und verschwand in sein Zimmer. „Hey“, grüßte er den Agenten. In seinem Bauch machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Was würde jetzt kommen? Wären ihre ganzen Bemühungen für die Katz? Würde Nick sie jetzt zum ewigen Jägerdasein verdammen? „Hey! Ich habe gute Nachrichten!“, nahm Nick ihm die ersten Befürchtungen. „Über euch gibt es landesweit nur ein paar Kleinigkeiten. Falsches Parken und zu schnelles Fahren. Nichts von Bedeutung. Entweder seid ihr nicht in Erscheinung getreten oder aber ihr hattet einen sehr begabten Schutzengel“, erklärte der Agent. „Dann wohl Letzteres.“ Sam musste an Victor Henricksen denken. Wenn selbst FBI-intern nichts mehr über sie zu finden war, hatte der es wohl vor seinem Tod doch noch geschafft sie aus sämtlichen Dateien und Fahndungslisten zu nehmen, denn er bezweifelte, dass er selbst alle Dateien erwischt hatte. Ihm fiel ein Gebirge vom Herzen! „Das ist gut! Danke Nick.“ „Für euch gerne.“ „Die Einladung steht!“, sagte Sam noch. „Das hoffe ich doch“, lachte Nick. „Und viel Glück bei eurem Leben!“ Er legte auf. Sam atmete erleichterte durch. Jetzt konnte es ja nur noch bergauf gehen! Er ging nach unten, wo sein Bruder mit dem Essen auf ihn wartete. „Gute Nachrichten?“, fragte er, als er Sams breites Lächeln sah. „Sehr gute Nachrichten!“, bestätigte der. An diesem Abend machten sie es sich auf der Couch gemütlich und schauten ein Baseball-Spiel im Fernsehen. Dean las und Sam durchforstete das Internet nach Einstellungstests für Rettungssanitäter, um Dean diese Chance zu ermöglichen. Das Wochenende war ganz nach Deans Geschmack. Jody hatte frei und sich nach Deans Anruf zusammen mit Bobby ebenfalls im Internet nach Voraussetzungen für Rettungssanitäter umgesehen. Gemeinsam hatten die Zwei einen Lern- und Trainingsplan für ihn zusammengestellt, der ihn, nachdem sie ihn Samstagmorgen mit Sam abgestimmt hatten, körperlich und geistig bis an seine Grenzen brachte. Vor dem Essen scheuchte Sam seinen Bruder zwei Runden über ihren Parcours. Nach dem Essen erklärte ihm Jody die wichtigsten medizinischen Begriffe und ging mit ihm die am weitesten verbreiteten Krankheiten durch. Sonntagmorgen war wieder Sam und der Parcours dran und danach übernahm es Bobby Dean mit Hilfe des Internets einige Verletzungen und ihre Behandlungen zu erklären. Erschöpft, aber mit einem glücklichen Strahlen im Gesicht, das sie so schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr bei ihm gesehen hatten, verabschiedete Dean sich am Sonntagabend und fiel, kaum dass die Brüder in ihrem Häuschen waren, auch sofort todmüde ins Bett. Am Montag rief Dean Chief Morris in seiner Mittagspause an, um ihm mitzuteilen, dass er den Eignungstest machen wollte. Zwanzig Minuten später rief der ihn zurück, um ihm die Teilnahme am Eignungstest am Mittwoch in einer Woche zu bestätigen. Dean übte jeden Abend mit Sam, um sich auf diesen Test vorzubereiten und nutzten das folgende Wochenende, um das Ganze bei Bobby noch etwas zu erweitern und zu vertiefen. Viel Zeit hatten sie ja nicht, doch alle drei waren sich sicher, dass Dean sehr gut drauf vorbereitet war. Am Prüfungstag fuhr Sam seinen Bruder zu der Adresse, an der der Test stattfinden würde. Dean war viel zu nervös, um alleine fahren zu können. „Ich wünsche dir ganz viel Glück“, sagte er und hielt ihm seine gedrückten Daumen hin. „Und denk dran! Schau erst zu was sie demonstrieren und mache es dann, okay?“ Dean nickte nur. Er war schon den ganzen Morgen sehr einsilbig gewesen. Je näher er dem Test kam, umso unsicherer wurde er, umso sicherer war er sich, dass das Ganze nur eine Schnapsidee sein konnte. „Du schaffst es, Dean. Und wenn nicht, dann wissen wir, was wir beim nächsten Mal verstärkt üben müssen.“ Dean kaute mal wieder auf seiner Unterlippe herum. Sam legte seine Hand auf Deans Schultern und wartete, bis der ihm endlich in die Augen schaute: „Es ist immer besser etwas zu versuchen und zu scheitern, als es nie versucht zu haben“, erklärte er ruhig, bevor er sich mit einem aufmunternden Lächeln verabschiedete und zu seinem Praktikum fuhr. Dean atmete tief durch und betrat den Raum, in dem der theoretische Teil des Tests sein sollte. Er setzte sich in eine Bank und harrte der Dinge die da kommen sollten. Ein älterer Herr überprüfte die Anwesenheitsliste, verteilte die Prüfungsbögen und erklärte noch einmal was sie zu tun hatten. Dann wünschte er ihnen viel Glück. Schon bei dem MMPI, dem psychologischen Eignungstest, verstand Dean nur Bahnhof. Jody hatte so etwas zwar mehrfach erwähnt, ihm aber nie verraten was es war und wie er es bestehen konnte. Er überlegte noch, wie er dem Prüfer sein Problem erklären konnte, als der neben ihm stand. „Mr. Winchester, ich weiß von Chief Morris, dass Sie diesen Test wahrscheinlich nur sehr eingeschränkt machen können. Beantworten Sie was sie wissen. Was Sie nicht verstehen, kennzeichnen Sie bitte und auch die Fragen bei denen Sie noch keine Erfahrungen sammeln konnten.“ Er kennzeichnete Deans Blätter mit einem Textmarker. Dean nickte. Er atmete ein wenig erleichtert auf und begann. Die praktischen Tests bestand er mit Bravour. Blieben nur noch die Blutabnahme und einige Fitnesstests, zu denen Dean als Erster musste, weil sich die Prüfer danach noch mit ihm persönlich über seinen MMPI-Test unterhalten wollten. Aber auch die waren kein Problem für ihn. Blieb nur noch das Gespräch. Sofort rutschte ihm das Herz wieder in die Hose. Der ganze Tag war richtig gut gelaufen, bis auf diesen MMPI. Und genau darüber wollten sie jetzt mit ihm reden! Er kam sich vor wie auf dem Weg zur Schlachtbank. Vorsichtig klopfte er an die Tür. „Kommen Sie herein“, sagte einer der Prüfer, kaum dass er die Tür geöffnet hatte. „Setzen Sie sich.“ Er wies auf einen Stuhl. Dean ließ sich auf der Kante nieder und kaute wieder einmal auf seiner Unterlippe herum. Letztendlich stellte sich dieses Gespräch, wie schon die Tests, als gar nicht so schlimm heraus. Die Prüfer befragten ihn zu seiner Amnesie. Wann und wie es passiert war. Sie wollten wissen, welche Erinnerungen betroffen waren und wie er sein Wissen wiedererlangt hatte. Danach gingen sie mit ihm den Test durch und erklärten ihm die Begriffe, die er nicht hatte einordnen können. „Es sieht gut aus“, sagte der Prüfer, der ihn schon ins Zimmer gebeten hatte, als sie ihn entließen. „Wir warten noch auf die Ergebnisse der Bluttests und wenn die stimmen, brauchen wir nur noch ein polizeiliches Führungszeugnis des Staates South Dakota. Aber das können sie auch in den ersten zwei Wochen des Kurses beibringen. Wir melden uns bis Freitag.“ „Danke“, antwortete Dean erleichtert und nahm sich vor, gleich noch mit Jody zu reden. Schnell schickte er Sam eine SMS. Der hatte ihn zwar gebeten möglichst nicht bei seinem Praktikum anzurufen, aber eine SMS war ja kein Anruf, oder? Sein Bruder antwortete ihm fast sofort mit drei breit grinsenden Smilies. Donnerstag und Freitag hatte Dean frei und irgendwie langweilte er sich. Er räumte ihr Häuschen auf, las auf der Veranda und überraschte Sam mit leckerem Essen. „Ich würde mich gerne morgen oder Sonntag mit einem Picknick bei Jody und Bobby Singer bedanken“, empfing Dean seinen Bruder, als der Freitag von seinem Praktikum kam. „Gute Idee!“, nickte Sam sofort. „Dann kann ich ihnen auch gleich erzählen, dass Mr. Davenport mein Praktikum verlängern möchte.“ „Aber du willst doch auf´s College, oder etwa nicht mehr?“ „Doch, Dean. Ich gehe demnächst auch auf´s College. Dann bin ich höchstens zweit Nachmittage im Büro. Mal sehen, wann es meine Kurse zulassen. Außerdem will ich ja auch Zeit mit Dir verbringen.“ Dean lächelte. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief Jody an. Schnell hatten sie sich auf den Sonntag geeinigt. Erleichtert stellte Sam den Picknickkorb neben die Decke am Siuox River Falls, auf der Bobby und Jody bis eben noch gesessen hatten. „Endlich ist Wochenende“, sagte er und zog Jody und Bobby in eine Umarmung. Dean stellte seinen Korb ebenfalls ab. Er umarmte Jody und reichte Bobby mit einem breiten Lächeln die Hand. „Wir hätten das Picknick auch machen können“, sagte Jody, nachdem sie es sich alle zusammen auf der Decke gemütlich gemacht hatten. „Hättet ihr. Aber wir haben euch so viel zu verdanken und auch so viel zu feiern, dass wir das machen wollten.“ Sam schaute zu Dean und der nickte. „Es gibt also was zu feiern“, stellte Bobby schmunzelnd fest. Sie hatten es sich ja schon gedacht, doch es war schön diese Neuigkeiten von den Jungs persönlich bestätigt zu bekommen. „Ja! Ich fange morgen mit der Ausbildung zum Rettungssanitäter an und Sam geht aufs College. Außerdem haben sie sein Praktikum verlängert“, erzählte Dean frei weg. „Sie haben was?“, wollte Jody überrascht wissen. „Mr. Davenport wollte mich behalten“, erklärte Sam. „Ich arbeite an zwei Tagen in der Woche nachmittags bei ihm und an den anderen beiden Tagen in der Bibliothek. So habe ich auch noch das Recht alle Bücher als Erster auszuleihen, auch für Dean.“ „Oh man! Das sind die besten Nachrichten seit du aus dem Koma erwacht bist, Dean!“, freute sich Bobby. Da konnte er sogar die eher unpersönliche Begrüßung von eben verkraften. „Habt ihr denn schon alle Bücher?“, fragte Jody. „Das war jetzt ja mehr als kurzfristig.“ „Ja, wir haben gestern die halbe Stadt abgeklappert, um möglichst günstig ein paar gute, gebrauchte Bücher zu bekommen. Vor Allem für Dean haben wir nicht viel in der Bibliothek. Ein paar musste ich im Internet bestellen. Die sollten in der nächsten Woche kommen“, erzählte Sam. „Dann lasst uns darauf anstoßen“, sagte Bobby und holte eine Flasche Sekt und vier Gläser hervor. „Du hast es ihm verraten?“, fragte Dean. „Er hat es erraten, als ich ihm vom Picknick erzählt habe“, verteidigte sich Jody. Sie tranken auf diese ereignisreiche Woche. Sogar Dean nahm einen Schluck, reichte sein Glas dann aber an Sam weiter. Danach erzählte er von den Tests und Sam von seinem Praktikum. Sie ließen sich die Köstlichkeiten aus den Körben schmecken. Ruhig und friedlich klang dieser Sonntag aus. Kapitel 268: Ein Katastrophen-Tag --------------------------------- 268 ) Ein Katastrophen-Tag Regen klatschte an die Fensterscheiben, als die Brüder an ihrem ersten Schultag die Augen aufschlugen. Dean machte sich schnell fertig und wollte dann in der Küche damit beginnen, Frühstück für Sam vorzubereiten. Doch schon das erste Ei rutschte ihm aus der Hand rutschte und zerplatzte auf dem Boden. Leise seufzend ging er in die Hocke und wischte die Sauerei auf. Den Gedanken an ein warmes Frühstück für Sam verwarf er. Er selbst hatte keinen Hunger und Sam würde sich auch mit Cornflakes zufrieden geben. Blieb nur Kaffee zu kochen. Er schaufelte die doppelte Menge des schwarzen Pulvers in den Filter und schaltete die Maschine an. Er mochte das bittere Zeug zwar noch immer nicht, doch heute brauchte er einen, um wach zu werden, um runter zu kommen, um sich einfach an einer Tasse festhalten zu können und um seine flatternden Hände irgendwie zu beschäftigen. Süßer Kakao würde ihn da nur noch kribbeliger machen! Wieder sollte er neue Menschen kennenlernen und wieder war er sich nicht sicher, ob er das wollte. Falsch! Er war sich sicher, dass er das nicht wollte, aber noch sicherer war er sich, dass er diesen Lehrgang machen wollte und da war die Bekanntschaft von neuen Menschen wohl nicht zu vermeiden. Eigentlich hatte er ja gehofft, dass Sam Recht behielt und es mit der Zeit leichter wurde. Schließlich waren es nicht die ersten Fremden, die er seit seiner Amnesie traf! Trotzdem war er jedes Mal wieder nervös und gerade jetzt wollte er sich am Liebsten in seinem Bett verkriechen. So innerlich zerrissen fand ihn Sam dann auch an der Theke hockend, als er, leise vor sich hin summend, die Treppe herunterkam. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, füllte erst Cornflakes und dann Milch in die Schüssel und erst als er sich den Löffel in den Mund schob, bemerkte er was sein Bruder in der Tasse hatte. „Du trinkst Kaffee?“, fragte er irritiert. „Hm“, machte Dean nur. „Hast du was gegessen?“, fragte Sam weiter. „Hmhm.“ „Dean, du …“, begann Sam und brach wieder ab. „Du hast Bedenken wie die anderen Kursteilnehmer so sind und ob du es schaffst?“ Dean zuckte, in die Betrachtung seines Kaffees vertieft, nur mit den Schultern. „Du hast doch schon so viele andere Menschen kennen gelernt. „Rachel, Scott. Ed, Greg, die Männer bei der Feuerwehr.“ „Ja, aber …“ „ … da konntest du jederzeit gehen und musstest sie auch nie wieder sehen, wenn du es nicht wolltest“, vollendete Sam auch diesen Satz. „Hier musst du auch morgen wieder hin.“ Dean nickte. „Da kann ich dir leider auch nicht helfen, aber vielleicht hilft dir ja der Gedanke, dass es für die Anderen genauso neu ist wie für dich, etwas weiter?“ Dean zuckte mit den Schultern. „Zur Zeit nicht!“, nuschelte er. Sam seufzte und wandte sich, mit einem traurigen Blick zu seinem Bruder, seinem Frühstück zu. Kaum legte er den Löffel beiseite, sprang Dean auch schon auf und brachte alles zurück an seinen Platz. Er schüttete seinen Kaffee, den er kaum angerührt hatte, weg und wischte imaginäre Krümel und Kaffeeflecken von der Theke. Sam seufzte erneut. Er trank seinen Kaffee aus und räumte die Tasse in die Spüle. Nach seiner Jacke greifend trat er zu seinem Bruder, der nervös in seiner „Schul“-Tasche kramte. „Du hast alles drin“, versuchte er ihn zu beruhigen. „Wir haben die Tasche gestern zusammen gepackt und mir ist bis jetzt nichts eingefallen, was du noch brauchen könntest.“ Dean zog die Hand aus der Tasche, seufzte und kämpfte mit sich, um nicht doch noch einmal den kompletten Inhalt durchzugehen. „Na komm, lass uns fahren, sonst kommen wir noch zu spät.“ Dean nickte, schloss die Tasche und griff ebenfalls nach seiner Jacke. Gemeinsam verließen sie das Haus und gingen zu ihren Wagen. Sie verabschiedeten sich mit einem Nicken und stiegen ein. Nacheinander fuhren sie vom Hof. Das freundliche, wenn auch von leichter Skepsis seitens des Studienberaters, geprägte Gespräch war noch das Beste an diesem ersten Schultag für Sam. Leider dauerte es etwas länger. Erst das Schnarren der Sprechanlage beendete diese Unterhaltung. „Mr. Miller? Dexter ist in der Leitung“, ertönte die Stimme der Sekretärin, Mr. Miller schaute auf die Uhr. „Danke Paula. Stellen Sie durch.“ Er wandte sich noch einmal an Sam. „Viel Erfolg“, wünschte er ihn und komplimentierte ihn so aus dem Büro. „Danke“, erwiderte Sam. „Auf Wiedersehen“, verabschiedete er sich auch von der Sekretärin. Dann hetzte er die Treppen hinunter. Warum mussten Lehrkräfte ihre Büros eigentlich immer ganz oben in den Gebäuden haben? Drei Etagen tiefer rannte er durch den Gang13, 15. Schlitternd kam er vor der Tür mit der Nummer 17zu stehen. Erst als er klopfen wollte, sah er, dass es 2.17 war. Er musste aber zu 3.17. „Verdammt“, zerknirschte er zwischen den Zähnen und rannte zur Treppe zurück. Immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend rannte er wieder einen Stock nach oben und durch den gang. Wieder kam er schlitternd vor der Tür zum Stehen. Dieses Mal war es die richtige. Trotzdem musste er sich ein paar Sekunden Zeit nehmen, um seinen rasenden Herzschlag und die stoßweise Atmung zu beruhigen. Erst dann klopfte er und trat ein. 46 misstrauische Augen schauten ihm vorwurfsvoll entgegen. Einige davon waren vielleicht sogar etwas schadenfroh, obwohl er sich darauf keinen Reim machen konnte. „Und Sie sind?“, wollte der Tutor auch sofort, ziemlich unterkühlt, wissen. „Sam Winchester. Ich bin neu am College. Herr Miller hat mich Ihrer Gruppe zugewiesen. Das Gespräch hat etwas länger gedauert und … Die Verspätung tut mir Leid.“ „Neu am College? Dann erzählen Sie uns mal was von sich, Mr. Winchester!“, forderte der Tutor ihn auf. Sam hatte eine ganze Weile darüber nachgedacht, was er über sich preisgeben sollte und vor allem wollte. Was musste er sagen und wie viel durfte er verschweigen? Jetzt erzählte er im Groben die Geschichte, die er schon seinem Studienberater erzählt hatte: „Ich bin in Stanford aufs College gegangen, bis meine Freundin bei einem Brand in unserer Wohnung ums Leben kam. Ich war in der Bibliothek und als ich zurückkam, stand die Feuerwehr vor unserem Wohnheim.“ Er schluckte. Es tat trotz der langen Zeit, die vergangen war, immer noch weh. „Danach habe ich es da nicht mehr ausgehalten. Ich bin bei meinem Bruder untergekrochen. Ich brauchte Zeit, um mir klar zu werden, was ich wollte und wie es weitergehen sollte.“ „Und das hat so lange gedauert?“, fragte einer der Kommilitonen ziemlich von oben herab. „Du bist doch viel älter als wir!“ Sam musterte den Sprecher. Er schien groß und gut durchtrainiert. Einer der sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst war. Kurz musste Sam an seinem Bruder denken. Dean war sich seiner Wirkung auch bewusst, zumindest nahm er das an, aber im Gegensatz zu diesem Typen hatte Dean nie bewusst an seinem Äußeren gearbeitet, um zu wirken. Er schob den Gedanken beiseite. „Wenn noch der eine oder andere Schicksalsschlag dazu kommt?“, erklärte Sam, nicht gewillt noch mehr preiszugeben. Er blickte zu seinem Tutor und wartete darauf, sich endlich hinsetzen zu dürfen. „Danke, setzen Sie sich, damit wir endlich beginnen können“, erklärte der frostig. „Und woher wissen wir, dass du den Brand nicht gelegt hast, um sie loszuwerden?“, trumpfte der Kerl auf, der vorhin schon gefragt hatte. „WENN ich sie hätte loswerden wollen, hätte ich es ihr gesagt.“ „Das würde ich jetzt auch sagen!“ Er blickte sich beifallheischend um. Einige der Kommilitonen nickten, andere schüttelten missbilligend die Köpfe, doch die meisten empfanden das eher als willkommenes Hinauszögern des Unterrichts. Sie würden sich irgendwann später vielleicht eine Meinung über den Neuen bilden. „Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du so was nie durchmachen musst!“, erklärte Sam frostig. Er ging zu einem freien Platz in der hintersten Bank und ließ sich darauf nieder. „Mr. Thatcher, heben Sie sich Ihre Suggestivfragen fürs nächste Jahr auf, falls Sie es an die Juristischen Fakultät schaffen. Wobei wir wieder beim Thema wären“, nahm der Tutor seinen unterbrochenen Einführungs-Powerpoint-Vortrag zum letzten Studienjahr wieder auf, in dem er noch einmal aufführte welche Kurse noch anstanden und wie die Prüfungsmodalitäten aussahen. Sam atmete erleichtert durch und konzentrierte sich auf seinen Tutor. Den ersten Tag hatte er sich so nicht vorgestellt. War er vor fünf Jahren auch so grausam gewesen? Auch in den Kursen am Vormittag war es nicht viel besser. Zwar kam er nicht noch einmal zu spät und musste sich auch nicht noch einmal vor versammelter Mannschaft vorstellen, aber dennoch sprachen ihn seiner Sitznachbarn auf das leidige Thema an. Warum hatten sie ihn vorher noch nie hier gesehen? Wo kam er her und die Frage, die er am meisten hasste war: Was mache er noch auf dem College? Er sah doch schließlich schon so alt aus… Sam hatte das Gefühl hier einen emotionalen Spießrutenlauf absolvieren zu müssen. Hoffentlich wurde das bald besser! So würde er das Schuljahr hier nicht schaffen! Die Mittagspause verbrachte er alleine. Er hatte genug von seinen Kommilitonen, deren Blicke er trotzdem die ganze Zeit auf sich fühlte, auch wenn er extra darauf geachtet hatte sich an einen Tisch zusetzen von dem aus er niemanden aus seinen Kursen sehen konnte. Er wollte keine Fragen mehr beantworten auch wenn dass vielleicht verhindert hätte, dass sie jetzt wohl über ihn tratschten. Wenigstens blieb er vor den, auf jedem Campus obligatorischen, Psychiologie- oder Sozial-Studentinnen verschont, einen Neuen schon eine Meile gegen den Wind zu wittern schienen und an ihm nur zu gerne ihre nicht vorhandenen analytischen Fähigkeiten ausprobieren wollten, oder mehr. Er wünschte sich, Dean wäre hier. Mit ihm an seiner Seite wäre es hier wesentlich einfacher und auch nicht so einsam. Aber sein Bruder wäre hier wohl schon weggelaufen. Früher hätte ihn das nicht gestört. Heute war er emotional viel labiler. Hoffentlich ging es Dean in seiner Klasse besser! Kapitel 269: Deans Tag ---------------------- 269 Deans Tag Dean hatte es mit seinem ersten Schultag wirklich wesentlich besser getroffen. Er gehörte hier zwar auch zu den Älteren, war aber nicht der Älteste und auch nicht der Größte, wie sich bei der obligatorischen Vorstellung zu Beginn der ersten Stunde und auch später bei den ersten praktischen Arbeiten herausstellte. Doch soweit war er noch nicht. Auf dem Weg zu seinem Klassenraum hoffte er nur, dass möglichst keiner von denen, die mit ihm den Eignungstest gemacht hatten, in seinem Kurs sein würde, denn die wüssten von seinem Handicap und er wollte nicht anders behandelt werden, als alle anderen hier. Vorsichtig schaute er vom Flur aus in das Klassenzimmer. Noch konnte er niemanden erkennen, der auch Mittwoch dabei gewesen war, aber wahrscheinlich war er der einzige, der aus dieser Gruppe heute hier anfing. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie alle so kurzfristig zu den Einstellungstests holten. Er atmete tief durch, betrat den Raum und schaute sich suchend nach einem Platz um. Schnell hatte er eine freie Bank in der Fensterreihe erspäht, die er auch gleich ansteuerte. Er rutschte auf den Platz direkt am Fenster und versuchte den Eindruck zu erwecken gar nicht da zu sein. Er wollte mit niemandem reden. Trotzdem schaute er zu jedem, der nach ihm den Klassenraum betrat. Fast alle sahen so unsicher aus, wie er sich fühlte. Als Letzte kam eine junge Frau in den Raum geschlittert. Sie hatte so viel Schwung, dass sie sich am Türrahmen festhalten musste. Schnell schaute sie sich um und steuerte dann den freien Platz neben Dean an. „Ist hier noch frei?“, fragte sie und riss den Winchester aus seinem Gedanken. Er nickte nur. „Okay“ Sie ließ ihre Tasche fallen und setzte sich neben ihn. „Solltest du nicht eher bei den anderen …?“ Dean deutete auf die gegenüberliegende Reihe, in der sechs Frauen saßen. Sam hatte ihm mal erklärt, dass es ein ungeschriebenes Gesetz war, dass sich Frauen lieber zu Frauen gesellten und Männer zu Männern. Warum wusste er zwar auch nicht wirklich zu erklären, es war halt so. „Nee!“ Sie schüttelte den Kopf. „Bei solchen Hühnern ...“, demonstrativ schaute sie zu den Frauen hinüber und blickte dann wieder zu Dean. „Die kratzen sich doch jetzt schon fast die Augen aus. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mit Männern besser zurechtkomme. Ich mag keinen Zickenkrieg. Außerdem habe ich hier deine Aufmerksamkeit ganz für mich alleine!“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich bin übrigens Krista“, stellte sie sich vor und hielt ihm die Hand hin. „Dean“ Er griff nach ihrer Hand. „Ich ...“ begann er, stockend nach einer Antwort suchend und wurde von ihrem Lehrer unterbrochen, der mit einem lauten „Guten Morgen“ das Klassenzimmer betrat. Schnell ließen sich alle auf ihre Plätze fallen und schauten gespannt nach vorn. „Lassen Sie mich zuerst die Anwesenheitsliste durchgehen, damit ich auch ein Gesicht zu den Namen habe“, begann der Lehrer. „Ich bin Doktor Jones.“ Dann las er die einzelnen Namen vor und jeder Angesprochene stand kurz auf. „Bei Ihnen fehlt noch das polizeiliche Führungszeugnis“, erklärte er Dean, nachdem er ihn als Vorletzten aufgerufen hatte. Der Winchester nickte. „Ich kümmere mich darum“, versprach er und nahm sich vor, heute Abend noch mal mit Jody zu reden. Sie hatte versprochen, ihm das Ding zu besorgen. „Gut, dann beginnen wir mit dem Unterricht.“ Zuerst einmal ging es darum, die medizinischen Kenntnisse der Kursteilnehmer auf einen Stand zu bringen. Für Dean bedeutete das jede Menge neuen Wissens und er versuchte so viel wie möglich mitzuschreiben. „Das steht auch alles in den Büchern“, erklärte Krista ihm leise. Dean nickte nur und schrieb weiter. „So, und damit sie mir hier nicht einschlafen, bilden sie jetzt bitte Vierergruppen“, forderte sie der Arzt nach dem Mittag auf. „Wir werden versuchen die Theorie von heute Morgen in die Tat umzusetzen!“ In der Bank vor Dean und Krista saßen zwei junge Männern, die sich nach diesen Worten sofort zu ihnen umdrehten. „Wollen wir?“, fragte einer von ihnen. „Warum nicht?“, entgegnete Krista mit einem Schulterzucken. „Ich bin Rohan Sharma“, erklärte der Sprecher und hielt ihnen die Hand hin. „Javier Perez“, stellte sich nun auch sein Banknachbar vor. „Krista Monroe“ „Dean Winchester“ Sie schüttelten sich kurz die Hände, um dann zusammen den Transport eines Verletzten zu üben und einen Weg zu finden, ihn mitsamt der Trage möglichst schonend in den Krankenwagen zu bekommen. Geistig erschöpft und körperlich müde packten sie am Ende dieses Schultages ihre Sachen. „Wie sieht´s aus? Ein paar Querstraßen weiter gibt es ein kleines Diner. Wir könnten uns zum Lernen zusammentun?“, Javier schaute in die Runde. „Die haben da auch leckeres Essen.“ Dean legte den Kopf leicht schief und überlegte. Ob er nun alleine Zuhause saß und lernte, oder mit seinen Mitschülern, war eigentlich egal, zusammen aber vielleicht sogar einfacher. Und Sam war eh arbeiten. Liebend gern würde er seinen Bruder jetzt anrufen und ihm von seinem Tag erzählen, aber auch das musste wohl bis heute Abend warten. Er nickte. „Ich könnte was zu Essen brauchen“, erklärte Krista. „Lasst uns gehen.“ Rohan blickte von einem zum anderen, überlegte kurz und schloss sich ihnen mit einem kurzen Nicken ebenfalls an. Auf der Straße erklärte ihnen Javier wo genau sich das Diner befand. „Hinten im Hof gibt es einen Parkplatz. Den könnt ihr nutzen“, sagte er noch, bevor er zu seinem Auto ging. Am Eingang des Cafes wartete Javier auf seine Mitschüler und gemeinsam betraten sie den gemütlich eingerichteten Raum. „Javi“, rief die Bedienung freudig und stürzte auf ihn zu, um ihn gleich darauf in eine feste Umarmung zu ziehen. „Hast du einen ruhigen Platz für uns, wo wir auch lernen können, Phi?“, fragte er nachdem sie sich wieder von ihm gelöst hatte. „Wenn du mir deine Begleiter vorstellst?“ Sie schob ihn zu dem Tisch, der etwas versteckt in einer Nische stand. „Das sind Krista Monroe, Rohan Sharma und Dean Winchester, meine Kollegen. Und das ist Sophia, meine große Schwester“, stellte er sie nacheinander vor. „Hallo“, grüßten die drei. „Schwester, hm? „Ein paar Straßen weiter gibt es ein kleines Diner ...““, grinste Krissy ihn schief an. „Naja, wenn ich dem Familienunternehmen schon flöten gehe, kann ich ja wenigstens für Umsatz sorgen, oder“, lachte Javier. „Das nimmt dir Mama auch immer noch krumm“, erklärte Sophia leise. „Jetzt muss sie wieder den ganzen Tag in der Küche stehen.“ „Ich habe ihr schon vor Wochen Bescheid gesagt und sie wusste immer, dass ich nicht auf ewig in der Küche arbeiten wollte, also hör bitte auf, mir ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen“, erklärte Javier aufgebracht. „Ich will dir kein schlechtes Gewissen machen, ich beschreibe nur den derzeitigen Zustand.“ „Und damit willst du mir sagen, dass ich hier nicht mehr willkommen bin?“ „Um Gottes Willen, nein, Javi! Mama ist nur traurig, dass du dein Talent am Herd verschenkst. Du bist ein begnadeter Koch. Und dass sie ihre Lieben lieber bei sich als in der Welt da draußen hat, weißt du auch.“ Javier ließ den Kopf hängen. Diese Diskussionen hatte er zur Genüge mit seiner Mutter geführt und sie hing ihm zum Halse raus. Er wollte sein Leben leben und sie wollte es ihm irgendwie nicht gestatten. Dabei hatten seine Eltern immer gesagt, dass er tun sollte was ihm wirklich Spaß machte. Leider verstand vor allem seine Mutter nicht, dass es eben nicht die Küche des Diners war. „Können wir einfach Kaffee und etwas zu Essen bekommen, ohne weitere moralische Vorhaltungen solange wir hier sitzen und lernen?“, fragte er seine Schwester resigniert. „Könnt ihr“, erwiderte sie. „Mir ist es lieber dich so hier zu haben, als gar nicht. Mama übrigens auch.“ „Gut! Dann hätte ich gerne das Chili und Kaffee“, bestellte Javier und packte seine Bücher aus. „Ich nehme die Enchilada und eine Cola“, bestellte Krista. „Ich schließe mich an, aber bitte ein Wasser statt Kaffee“, erklärte Dean. „Und ich nehme auch Chili und auch eine Cola“, schloss Rohan die Runde. „Wasser?“ Krista musterte ihren Banknachbarn fragend. Irgendetwas war an ihm komisch. Sie hatte schon den ganzen Tag immer wieder dieses Gefühl. Allerdings hatte sie noch nicht herausgefunden was sie störte. Letztendlich war es aber auch egal. Sie mochte Dean und vielleicht erzählte er es ja mal. „Ich mag keinen Kaffee und Cola auch nicht so gerne!“, beantwortete der Winchester ihre Frage. „Echt nicht? Ich würde ohne Kaffee gar nicht in die Gänge kommen“, staunte Krista. Dean versuchte den Sinn von „in die Gänge kommen“ zu ergründen. Irgendwo hatte er das schon mal gehört. Es fiel ihm nicht ein, da musste er wohl mal wieder Sam fragen. Also tat er was er in solchen Situationen immer tat, er schwieg. Sophia erlöste ihn aus der Situation, indem sie das Essen brachte. Dean musterte seinen Teller skeptisch. Was hatte er sich denn da bestellt? Aber wie sagte Sam immer? Er sollte alles probieren. Also los. Notfalls konnte er ja sagen, dass er nicht so viel Hunger hatte und es sich für Sam einpacken lassen. Er warf einen Blick auf Kristas Teller, beobachtete wie sie dieser Masse zu Leibe rückte und nahm dann einen vorsichtigen Bissen. Es schmeckte hervorragend! „Jetzt sag nicht, dass du das noch nie gegessen hast!“, stellte sie überrascht fest. „Was ist mit dir? Du hast dich heute ein paar mal so komisch angestellt, hast gezögert wenn wir etwas tun sollten. So als ob du es noch nie gemacht hättest.“ Fragend musterte sie den Winchester mit großen Augen und hatte so natürlich auch die Aufmerksamkeit der anderen geweckt. „Stimmt. Ist mir auch aufgefallen, aber irgendwie hab ich es verdrängt“, nickte Rohan. „Ich … es … ich erzähle es euch … später, vielleicht. Es ist nichts, was ich jedem gleich auf die Nase binden will“, erklärte Dean, obwohl er genau das heute morgen gegenüber Sam ja noch vorgeschlagen hatte. Er hoffte, dass sie sich darauf einließen. Auch wenn es für ihn ja eigentlich normal war, wollte er seine Amnesie nicht jedem gleich erzählen. In diesem Punkt vertraute er Sam, der ihn mehrfach davor gewarnt hatte, weil Menschen eben nicht immer freundlich und ihm wohlgesonnen sein und ihn vielleicht ausnutzen würden. „Das klingt fair“, warf Rohan ein und widmete sich wieder seinem Teller. Javier schluckte das, was er gerade in die Runde werfen wollte herunter, Das wäre wohl eh ein eher geschmackloser Spruch geworden. Schnell waren sie mit dem Essen fertig und Dean beschloss zu fragen, ob er nachher für Sam etwas mitnehmen könnte. Dann brauchte er heute Abend mal nicht kochen, obwohl er dieses Rezept gerne selbst irgendwann ausprobieren wollte. „Das war wirklich gut. Das Rezept hätte ich gerne“, sagte er zu Sophia, während sie den Tisch abräumte, und versuchte sich an einem Lächeln. „Und zwei Portionen zum Mitnehmen, wenn wir gehen, bitte.“ „Ich weiß nicht, ob sich Mama ihre Geheimnisse so schnell entlocken lässt“, lachte sie. Zwei Stunden später packten die Vier ihre Bücher ein und Dean bekam die bestellten zwei Portionen Enchiladas samt handgeschriebenem Zettel. „Du scheinst Eindruck auf sie gemacht zu haben“, kommentierte Javier und Dean lächelte unsicher. War das jetzt gut? „Ich denke, Phi findet dich einfach niedlich, da kann sie schon mal sehr überzeugend werden, wenn sie was möchte.“ „Ich ..“, Dean schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht niedlich!“ Pooh-Bär war niedlich. Katzen und Hundebabys waren niedlich! Er nicht! Er war ein erwachsener Mann, der sich ein Leben ohne Erinnerungen aufbaute! Energisch stopfte er seine Bücher in den Rucksack, nahm die Tüte mit dem Essen und verabschiedete sich von seinem Kollegen. Krista warf den beiden Männern einen bedeutungsschweren, aber auch fragenden Blick zu. Da war definitiv was komisch! Sie würde das genauer im Auge behalten. Kapitel 270: Die Katze ist aus dem Sack --------------------------------------- 270) Die Katze ist aus dem Sack Zuhause angekommen stellte Dean das Essen in den Kühlschrank. Es war halb sieben und Sam würde erst in zwei Stunden kommen. Trotzdem deckte er schon mal den Tisch und ließ sich dann auf die Couch fallen. Für heute hatte er genug gelernt! Etwas gelangweilt zappte er durch das Fernsehprogramm, bis er bei einem Baseballspiel hängen blieb. „Dean?“ Hastig setzte der sich auf. Er schwankte leicht, weil sein Kreislauf diesem plötzlichen Positionswechsel nicht so schnell folgen konnte. „Langsam“, sagte Sam leise. „Sam?“ Dean rieb sich die Augen. „Ich … du bist schon da?“ Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht und schaute zum Fernseher und wieder zurück zu Sam. Er sprang auf und lief zum Kühlschrank. Sam verstand diese Hektik wohl falsch. „Du musst nicht kochen, wir können auch was holen. Pizza oder chinesisch?“ „Nein, ich hab ...“ Er holte die Schale aus dem Kühlschrank und stellte sie in die Mikrowelle. Sam musste trotz seines miesen Tages lächeln. „Wie war dein Tag?“ „Ich habe Krista kennen gelernt. Sie hat sich einfach so neben mich gesetzt und Javier und Rohan, die sitzen vor uns.“ „Hast du auch was gelernt?“ „Viel Medizinisches.Und ich befürchte Vieles davon ist für alle anderen nicht so neu wie für mich.“ „Du lernst das“, versicherte Sam ihm. Während Dean das Essen aus der Mikrowelle nahm, holte er Wasser und Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf seinen Platz fallen. Dean verteilte das Essen und setzte sich ebenfalls. Sie nahmen einen Bissen, Sam kaute kurz, schluckte und leckte sich die Lippen. „Hast du das selbst gekocht?“ Sam schaute auf. „Nicht dass ich dir das nicht zutrauen würde“, schränkte er sofort ein. Seine Frage klang doch verdammt nach Kritik. „Es ist nur … Du würzt es sonst nicht so scharf.“ „Nicht gut?“, wollte Dean nun vollkommen verunsichert wissen. „Doch! Es schmeckt hervorragend.“ „Ich habe es gekauft. Javiers Eltern haben ein Diner in dem wir heute Hausaufgaben gemacht und gegessen haben. Ich hab mir das Rezept geben lassen. Wenn es dir auch so gut schmeckt wie mir, dann kann ich es auch mal selbst versuchen.“ „Auf jeden Fall!“, bestätigte Sam nickend. In den folgenden Tagen schaffte Sam es, sich immer besser auf seine Kommilitonen einzustellen sich die Laune nicht mehr verderben zu lassen. Was wussten die schon vom Leben? Er trug seine Außenseiterstellung zur Schau. Er blieb für sich, schaute sich aber in den Pausen offen um und versuchte herauszufinden wer mit wem zusammen rumhing. Es machte ihm sogar Spaß und es war wie er Dean sagte. Hier verbrachte er nur wenige Stunden am Tag. Die Nachtmittage teilte er unter der Bibliothek und den Anwaltsbüro auf. Die meiste Zeit nahm er sich jedoch für Dean. Er lernte mit ihm oder sie schauten fern. Außerdem hatten sie vor ein paar Tagen begonnen Kampfsport zu trainieren. Dean freute sich mit jedem Tag ein bisschen mehr auf seinen Lehrgang. Er mochte die Art, wie Dr. Jones unterrichtete, wie er Theorie und Praxis mischte. Neue Themen begannen fast immer mit einem kurzen Film. So auch dieses Mal. Es ging um rechtliche Aspekte und um die Frage, wie weit sollte ein Sanitäter Menschenleben schützen und ab wann musste er an seine Sicherheit denken. Der Film zeigte ihnen Bilder von einer Schlägerei, bei der plötzlich Messer gezückt und letztendlich sogar geschossen wurde. Dean gab ein kaum hörbares, ersticktes Keuchen von sich und starrte ungläubig auf die Leinwand. Wieso taten Menschen sowas? Er hatte das zwar schon in Filmen gesehen, aber Sam hatte ihm erklärt, dass Filme nicht unbedingt mit der Wahrheit übereinstimmten und er glaubte ihm. Bis auf den Betrunkenen in der Bar hatte er auch noch keine Schlägerei miterlebt und auch wenn Sam mit ihm Kampfsport trainierte, gab es für ihn noch immer keinen Grund einen anderen Menschen verletzen zu wollen. Menschen waren komisch! Krista warf immer wieder einen Blick auf ihren Banknachbarn. Was war mit ihm? Wieso überraschte, ja erschreckten ihn solche Szenen derartig? Klar, sie waren nicht alltäglich aber es war ja auch nicht so, dass sowas nie passierte. Wieder einmal überlegte sie, was Dean ihnen an ihrem ersten Lernnachmittag nicht sagen wollte. War er Armish? Aber er fuhr Auto und kleidete sich auch nicht so. Sie schob den Gedanken beiseite und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Film zu. „Heute Nachmittag werden wir unsere praktischen Übungen nicht hier machen. Wir gehen in das Dojo gleich um die Ecke. Dort ist das Verletzungsrisiko geringer, wenn Sie mit einigen Spielern unseres Eishockeyteams und ein paar Mitgliedern des Dojos üben werden, einen Verletzten aus einer Schlägerei zu holen. Und jetzt sprechen wir über die rechtlichen und medizinischen Grundlagen. Worauf sollten Sie bei solchen Verletzungen achten.“ Nach einer kurzen Mittagspause, machte sich die Klasse endlich auf den Weg in dieses Dojo. Dean grübelte den ganzen Weg dahin über Dr. Jones Aussage zum geringeren Verletzungsrisiko nach. Was sollten sie dort machen? Er fand einfach keine Lösung. In der Halle stellten sie sich auf einer Seite auf. Krista trat sofort zu Dean, als sie sah, dass Dr. Jones den andere sechs Frauen jeweils einen männlichen Partner zuteilte. Er erklärte ihnen was gleich passieren würde und was sie tun sollten und schon begannen drei der Karatekämpfer eine Prügelei. Schnell ging einer von ihnen zu Boden und hielt sich den Bauch. Dr. Jones rief ein Zweierteam auf, das diesen „Verletzten“ rauszuholen und zu versorgen versuchen sollte. Während diese Zwei arbeiteten, machte er sich Notizen, verlor aber kein Wort über ihre Arbeit und griff auch nicht ein, als die Situation kurz drohte, aus dem Ruder zu laufen. Endlich hatten die zwei angehenden Sanitäter es geschafft ihren Verletzten zu bergen und schon begannen drei weitere Karatekämpfer eine neue Schlägerei und zwei neue Sanitäter bekamen die gleiche Aufgabe gestellt. Die dritte Schlägerei wurde von vier Hockeyspielern übernommen, die schon, bevor sie begannen, sichtlich Spaß an dem hatten, was gleich kommen würde. „Winchester und Monroe, Sie sind dran“, forderte Dr. Jones. Krista gab ein begeistertes „Jah“, von sich, schlug Dean gegen den Arm und preschte vor. Dr. Jones wurde erst jetzt klar, dass Deans Partnerin eine der Frauen war. Irgendwie ging sie immer wieder zwischen den Männern unter. Er wollte sich korrigieren, denn eigentlich wollte er ein gemischtgeschlechtliches Paar nicht auf vier „Schläger“ loslassen, doch sie war schon bei der sich prügelnden Gruppe. ‚Sollten sie es eben versuchen‘, überlegte er. Noch bevor sich Dean eine Strategie überlegen konnte, noch bevor er überhaupt eine Idee hatte, wie er vorgehen wollte, hatte sich seine Partnerin in das Getümmel gestürzt und versuchte einen der Schläger aus dem Haufen zu ziehen. Es gelang ihr nicht. Im Gegenteil. Einer der Hockeyspieler holte aus, als wollte er ihr einen Schlag verpassen. Deans Instinkte übernahmen die Kontrolle. Sein Körper reagierte ohne sein bewusstes Zutun und machte die wenigen Schritte, um zu den sich Prügelnden zu kommen. Er streckte sich, seine Schultern schienen ein paar Nummern breiter zu werden. Noch bevor Krista getroffen werden konnte, packte er sie, drehte sich mit ihr zur Seite und brachte sie so aus der Schusslinie. Als sie in Sicherheit war, wandte er sich wieder den Kämpfern zu. Er packte einen Arm, verdrehte den nach oben und zog den einen Hockeyspieler so aus dem Knäul. Dann wandte er sich wieder der Prügelei zu und sah, wie einer der drei anderen versuchte ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Er tauchte darunter hindurch, und fegte den Angreifer mit einem Tritt gekonnt von den Beinen. Krista versuchte nun auch wieder einzugreifen. Als Dean sah, dass sie schon wieder Gefahr lief, von einem der Hockeyspieler eine verpasst zu bekommen, drängte er sich dazwischen und fing den Schlag ab. Energisch legte er dem Mann seine Hand auf die Brust und schob ihn immer weiter zurück. „Es reicht jetzt“, knurrte er und seine Augen blitzten wütend. Verdattert schaute ihn sein Gegner an. Er nickte und hob die Hände, zum Zeichen, dass er aufgab. Mit einem kurzen Blick überzeugte sich Dean davon, dass der es auch wirklich ernst meinte und half dann seiner Partnerin das Knäul weiter aufzulösen um den „Verwundeten“ versorgen zu können. Dr. Jones notierte sich, wie bei jedem Team seiner Schüler etwas, sagte jedoch auch hier nichts weiter dazu außer: „Nicht schlecht. Gehen sie bitte zu den Anderen nach links.“ Krista und Dean nickten und gesellten sich zu den beiden Teams, die vor ihnen diese Aufgabe bewältigt hatten. Dean bemerkte die neugierigen Blicke seiner Mitschüler und verzog sich ganz nach hinten. Er mochte es noch immer nicht, im Vordergrund zu stehen. Seine Partnerin stellte sich neben ihn. Wieder und wieder musterte sie ihn verstohlen. Was war das denn gerade? Er hatte so vollkommen anders ausgesehen, so als wäre er ein ganz anderer Mann, ein Mann der genau wusste was er konnte und wollte und nicht das schüchterne Wesen, das sie bis jetzt kennengelernt hatte. Wer war er? Amish konnte sie definitiv von der Liste streichen. „Sie haben sich gut geschlagen“, beendete Dr. Jones diese Übung, nachdem alle Teams mehr oder weniger erfolgreich ihre Aufgabe gelöst hatten. „Kein Team hat wirklich versagt, jedoch sollten fast alle noch an ihrem Auftreten arbeiten. Außerdem sollten Sie immer im Hinterkopf haben, dass Sie jederzeit die Polizei zur Unterstützung holen sollten. Sie sollen helfen, jedoch dabei nicht ihr eigenes Leben riskieren.“ Er blickte in die Runde. „Mr. Winchester! Von Ihnen war ich mehr als beeindruckt. Ich denke, Sie werden keine Probleme haben sich durchzusetzen. Allerdings sollten auch Sie darauf achten nicht zu viel zu riskieren!“ Alle drehten sich zu Dean um, dem diese Aufmerksamkeit überhaupt nicht passte. Seine Wangen färbten sich rosa. Er nickte kurz und musterte dann sehr intensiv seine Schuhspitzen. Krista kicherte leise. „Gut! Das soll´s auch für heute gewesen sein“, schloss Dr. Jones den Unterricht. Dean atmete erleichtert auf, da sich die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler jetzt von ihm ab und dem Feierabend zuwandte. Wie an jedem Nachmittag trafen sich die Vier auch an diesem wieder im Diner. Sie aßen zusammen und packten danach ihre Bücher aus. Doch bevor sich jeder über seine Aufgaben beugte, musste Krista ihre Frage loswerden: „Wer bist du, Dean? Ich meine, du hast gesagt, dass du es uns erzählen wirst und ich wollte eigentlich auch warten. Die Übung heute hat aber so viele Fragen aufgeworfen! Wer oder was bist du. Amish kann ich ausschließen, denke ich. Bis du im Zeugenschutz? Ein verdeckter Ermittler? Es macht mich ganz kribbelig, dass ich diese Fragen nicht klären kann!“ „Was ist Amish?“, wollte Dean jedoch statt einer Antwort wissen. „Und was ist Zeugenschutz?“ „Du weißt nicht was …?“, Krista schüttelte den Kopf und seufzte leise bevor sie antwortete. „Also Armish ist eine Glaubensrichtung. Sie lehnen so ziemlich jede moderne Technik ab, also Fernseher, Handy, Auto, und sie leben sehr landwirtschaftlich. Zeugenschutz? Wenn jemand eine schwere Straftat beobachtet hat und dann, wenn er gegen die Täter vor Gericht aussagen soll, um sein Leben fürchten müsste, kann es sein, dass er von Polizisten oder so beschützt wird. Er bekommt dann eine andere Identität, muss umziehen. Aber das trifft auf dich wohl nicht zu, oder?“ Dean atmete tief durch. Sollte er es ihnen sagen? Er entschied sich dafür. „Ich habe Amnesie“, erklärte r geradeheraus. „Mein Leben, meine Erinnerungen, alles was ich weiß und bin beginnt vor einem halben Jahr, als ich aus dem Koma aufgewacht bin.“ Krista japste erschrocken, während sich Javier und Rohan betroffen anschauten. „Und du weißt nicht wie es dazu gekommen ist?“, fragte Javier leise. „Amnesie besagt, dass der Betroffene das auslösende Ereignis vergessen hat! Das solltest du eigentlich schon gelernt haben!“, erklärte Rohan leise tadelnd. „Ja schon“, grummelte der Getadelte. „Es ist nur so ...“, er zuckte mit den Schultern. „Dean … Du weißt gar nichts mehr?“ Dean schüttelte den Kopf. „Ich konnte halbwegs sprechen. Alles andere war weg und ist es auch noch. Sam hat mir viel erzählt und gezeigt und den Rest habe ich gelernt, meistens aus Büchern.“ „Das ist … Ich meine ...“ Krista erwachte aus ihrer Starre. „Ich hätte mit allem gerechnet, aber das? Ja, du hast manchmal komisch reagiert, doch das ist sonst niemandem wirklich aufgefallen. Du bist schüchtern. Das sind viele.“ Sie schaute Dean an. „Ich weiß nicht was ich sagen soll außer: Hut ab vor deiner Leistung, in so kurzer Zeit so viel gelernt zu haben!“ „Ich weiß nicht“, wehrte Dean ab. „Ich finde immer noch, dass ich viel zu wenig weiß!“ „Wenn du Hilfe brauchst, du kannst uns jeder Zeit fragen!“, warf Rohan ein und Javier und Krista nickten. „Danke“ Dean lächelte schüchtern. Er wollte das Thema beenden und nahm sich seine Bücher. Seine Mitschüler musterten ihn noch kurz und widmeten sich dann ebenfalls ihren Aufgaben. Kapitel 271: Ein Schuss und eine Geburt --------------------------------------- 271) Ein Schuss und eine Geburt „Mir reichts“, stöhnte Rohan. Er klappte seine Bücher zu und begann seine Sachen in seine Tasche zu packen. Sie hatten schon wieder länger gesessen, als sie sich vorgenommen hatten Die Anderen folgten seinem Beispiel. Dean brachte die leere Kanne und die Tassen zur Theke und bekam im Gegenzug eine Tüte mit Styroporverpackungen. „Lasst es euch schmecken!“, sagte Sophia. „Danke“ Er kam mit der Tüte zum Tisch zurück und nahm seine Tasche. Javier schaute ihn fragend an: „Kannst du dich denn noch immer an nichts erinnern? Ich meine was vor dem Unfall war? Ich meine … bei der Übung, da ...“ Dean schüttelte den Kopf. „Nicht so wie du meinst. Wenn ich mich erinnere, dann ist es eher auf die Art wie während der Übung, dass erlernte Abläufe plötzlich durchkommen. Ich kann reiten. Das kam auch wieder, als ich auf einem Pferd saß. Aber echte Erinnerungen? Ich hatte ein schwarzes Pferd vor Augen und Sam sagte, dass ich eins hatte. Ich habe bei meinem Onkel ein buntes Fenster gesehen, wo keines war und es stellte sich heraus, dass da jetzt ein zusätzlicher Raum ist. Es sind nur solche Dinge. Aber nie etwas Konkretes. Keine wirkliche Erinnerung, so wie ich mich an das Krankenhaus erinnern kann.“ Traurig schüttelte er den Kopf. Das Klingeln seines Handys riss ihn zurück in die Wirklichkeit. Er zog es aus der Tasche und schaute verwundert auf die Nummer. „Ed? Was gibt’s?“, begrüßte er seinen ehemaligen Chef. „Du bist meine letzte Chance“, begann der Bauleiter. „Ich habe einen Auftrag für ein Haus das so schnell wie möglich bezugsfertig sein soll. Zwei meiner Männer haben sich krank gemeldet … Lange Rede kurzer Sinn. Kannst du mir helfen?“ „Ich mache einen Lehrgang, den ich nicht sausen lassen kann und auch nicht will!“ „Das sollst du ja auch nicht! Aber vielleicht hast du ja nachmittags Zeit?“ „Ich hab Hausaufgaben und muss lernen ..:“ „Bitte, Dean. Du bist wirklich meine letzte Hoffnung.“ Eine Weile überlegte der Winchester, bevor er sich geschlagen gab. Das Lernen fiel ihm noch immer ziemlich leicht und das Geld konnten sie ganz gut gebrauchen. „Okay. Dienstag und Donnerstag kann ich ab vier oder fünf und den Samstag könnte ich auch arbeiten. Mehr ist nicht drin!“ „Danke Dean. Das hilft mir wirklich weiter. Wir sehen uns da.“ Schnell gab Ed ihm noch die Adresse durch. „Nochmal danke“, sagte er und legte auf, nicht dass der Winchester es sich noch andere überlegte. „Du arbeitest nebenbei?“, fragte Krista leise. „Auf dem Bau“, nickte Dean. „Das ist auch so was, das ich kann, wie sich rausstellte.“ „Du bist ein Mann mit viele Talenten“, erkannte Javier neidlos an. „Und einer interessanten Geschichte“, fügte Krista an. „Wenn du jetzt noch singen kannst, kannst du beim American Idol mitmachen“, sagte Rohan. „Wobei?“ „Das muss man nicht wirklich kennen. Eine Show, bei der sie Menschen suchen, die besondere Talente haben und eine interessante Geschichte und wenn du diese Show gewinnst, wirst du ein Promi, bekommst einen Knebelvertrag und hast die Halbwertzeit, die unter der eines normalen Kalenders liegt“, gab Krista ihre abschätzige Meinung ab. Dean zuckte mit den Schultern, nahm seine Sachen und machte sich auf den Weg nach Hause. Wahrscheinlich würde er mit Sam zusammen ankommen, so lange wie sie gelernt hatte, überlegte er. Dean war kurz vor Sam zuhause. Er deckte den Tisch, und stellte das Essen in die Mikrowelle. „Wir können gleich essen“, begrüßte er seinen Bruder. „Ich habe ihnen von meiner Amnesie erzählt“, informierte er seinen Bruder beiläufig zwischen zwei Bissen Lasagne. „Und?“, fragte Sam ruhig, nachdem er geschluckt hatte. „Warum heute?“ „Wir sollten eine Schlägerei unterbrechen, um einen Verletzten zu bergen. Ich wusste noch nicht mal wie ich es angehen sollte, als sich Krista schon ins Getümmel gestürzt hatte. Sie lief Gefahr verletzt zu werden, da hat mein Körper übernommen. Beim Lernen haben sie gefragt was los war.“ „Wie haben sie es aufgenommen?“, fragte Sam ein wenig misstrauisch. „Gut, denke ich. Sie haben mir Hilfe angeboten wenn ich etwas nicht weiß.“ „Das klingt gut!“, freute sich Sam. „Ich gehe Samstag bei Ed arbeiten. Er hat einen Auftrag und keine Leute.“ „Okay“, nickte Sam. Er schrieb am Montag einen Test und hatte sich vorgenommen Samstag zu lernen. Wenn Dean arbeiten ging, brauchte er kein schlechtes Gewissen haben, dass er nicht wirklich Zeit für ihn hatte. Wenn Dean einen Samstag arbeiten wollte, warum nicht? Das Geld konnten sie gut gebrauchen. „Ich habe ihm versprochen auch dienstags und donnerstags zu kommen, solange er mich braucht“, gab Dean den nächsten Brocken frei. Sam verschluckte sich. Er hustete gequält und konnte sich erst beruhigen, nachdem er ein paar Schlucke Bier getrunken hatte. „Du hast was?“ „Ed hat keine Leute und viel Arbeit. Ich habe zugesagt, dass ich Dienstag- und Donnerstagnachmittag und Samstag helfe.“ „Dean! Du hast deinen Lehrgang, für den du lernen musst. Bist du dir ganz sicher, dass das nicht zu viel wird?“ „Du arbeitest in der Bibliothek, beim Staatsanwalt und gehst zur Schule! Außerdem können wir das Geld gut gebrauchen!“ ‚Und ich kann mich endlich mal wieder körperlich ausarbeiten!‘, fügte er in Gedanken hinzu. Er würde es nie zugeben, aber seit er auch körperlich gearbeitet hatte, fiel ihm das Stillsitzen verdammt schwer. Er brauchte die Bewegung. Sam ergab sich vor allem dem letzten Argument leise seufzend. Ja sie brauchten Geld. Natürlich könnte er Bobby bitten, ihnen etwas von ihrem Geld zu holen, doch das wollte er lieber noch nicht anreißen. Noch kamen sie über die Runden und wer wusste schon, ob sie das Geld nicht später noch brauchen würden. „Nur das mit dem Essen werde ich an den Tagen wohl nicht schaffen“, gab Dean nun doch zu bedenken. „Du kümmerst dich die ganze Woche um unser Essen. Ich denke, dass ich auch einen Teil übernehmen kann“, sagte Sam ruhig, hoffte aber, dass Dean diese Doppelbelastung bald zu viel wurde, oder die Baustelle schnell beendet war. Kochen war nun wirklich nichts was er gerne machte, von gut ganz zu schweigen. Für Sam waren diese Umstellungen einfacher als für seinen Bruder. Dienstags und donnerstags musste er, von jetzt an, nur für sich kochen und das ließ er auch schnell sein, denn Dean war zum Essen viel zu müde, wenn er endlich von der Baustelle kam und wollte außer einer Dusche nur noch in sein Bett. Samstag kam er eher nach Hause, konnte sich aber, außer zum Essen, auch zu keiner weiteren Tätigkeit aufraffen. An dem Tag bestellte er für sie Pizza. „Eigentlich würde ich gerne mal wieder was mit dir unternehmen“, sagte der Ältere leise, als sie abends vor dem Fernseher saßen. „Kino, Minigolf oder zu den Trampolinen.“ Ihm fehlte dieses Vertraute, das er nur mit Sam hatte. „Wir könnten auch mal zur Cart-Bahn fahren“, schlug Sam vor. „Oder gleich ins Kino. Dafür wäre es noch nicht zu spät.“ „Nein das wäre heute rausgeschmissenes Geld, zumindest für mich. Ich schlafe gleich ein!“ „Wir könnten morgen mit Jody und Bobby zum Minigolf fahren“, schlug Sam dann vor, „und die Trampoline heben wir uns auf, wenn du nicht mehr bei Ed arbeiten musst.“ „Das könnte aber noch dauern. Er hat mehrere Projekte anstehen und zwei seiner Leute fallen wohl länger aus.“ „Wir haben eine Wirtschaftskrise. Da sollte er doch Leute finden.“ „Was ist eine Wirtschaftskrise?“, wollte Dean leise wissen. „Das ist wenn viele Betriebe aufgeben müssen, weil sie keine Arbeit mehr bekommen. Die Kunden haben kein Geld mehr und können sich keine Handwerker leisten, also müssen die Betriebe schließen und ihre Mitarbeiter entlassen.“ „Also müsste er andere Arbeiter finden können und mich nicht mehr beschäftigen?“, erwiderte Dean müde. „Er hat mich aber gefragt und ich hab ihm gesagt, dass ich auch weiter so arbeiten kann. Wir brauchen das Geld, Sam.“ Sam nickte nur. Leider hatte sein Bruder Recht. Das was er verdiente, reichte höchstens für die Miete. Alles Andere bestritten Dean und Jody, die ihnen jeden Sonntag einen Korb voller Lebensmittel einpackte. Er rieb sich über das Gesicht. Dean würde ihn wohl noch eine ganze Weile ernähren müssen. Dem alten Dean hätte dieser Gedanke wohl gefallen, überlegte er. Oder er hätte noch nicht einmal darüber nachgedacht, denn genau das war ja schon immer alles, worum sich sein Leben drehte. Wenigstens würde es besser werden, wenn Dean erst als Rettungssanitäter arbeitet. Dann musste er hoffentlich nicht mehr auf dem Bau arbeiten. Sam nahm sich vor noch mehr und noch besser zu lernen und sich von nichts und niemanden unterkriegen zu lassen, dass war er Dean einfach schuldig! Dieses geheime Versprechen beflügelte ihn auch noch am nächsten Collegetag, vielleicht auch der Sieg, den er bei dem kleinen Minigolfturnier des vergangenen Tages errungen hatte. Zu der Stunden mit seinem Tutor war pünktlich und den hochnäsigen Typen konnte er gut ignorieren. In der Kantine nahm er das Mittagessen mit einem Lächeln entgegen. Er drehte sich um, um sich einen Platz zu suchen. Da sah er einen Jungen, der gleich ihm selbst, immer allein an einem Tisch in der Ecke saß. Damon hieß er, erinnerte sich Sam. Sie hatten letzte Woche bei einem Projekt zusammengearbeitet. Er steuerte auf den Tisch zu. „Ist hier noch frei?“ „Klar“, erwiderte Damon. „Allerdings solltest du dich nicht hierher setzen, wenn dir was an deinem Ruf liegt.“ „Wenn du nicht nur in deine Bücher schauen würdest hättest du gesehen, dass ich auch alleine sitze.“ „Oh“, machte Damon. „Und jetzt dachtest du, du könntest ...“ „Naja, es wäre schön einen Gesprächspartner zu haben.“ Der Junge musterte Sam eine Weile, so dass der sich schon ziemlich blöd vorkam, überhaupt gefragt zu haben. „Klar, setz dich“, entgegnete Damon plötzlich. Sam nickte. Er stellte sein Tablett ab und ließ sich auf die Bank fallen. Dean kam nach Hause und ließ seine Tasche an der Garderobe fallen. Er war müde. Seit er neben seinem Lehrgang auch noch regelmäßig für Ed arbeitete, versuchte er an den freien Tagen ein paar zusätzliche Stunden Schlaf zu kriegen. Zum Kochen hatte er noch genügend Zeit, denn Sam würde erst in ein paar Stunden kommen. Er warf sich aufs Sofa und war schon bald eingeschlafen. Es roch nach Salzwasser. Vor sich sah er einen breiten Anleger und um ihm herum waren Holzpfosten. Er schlich durch die Dunkelheit und suchte ihn. Sichernd schaute er sich um, bevor er an die Kante des Anlegers trat. Tief unter ihm kräuselte sich nachtschwarzes Wasser. Er fühlte, dass er ihn beobachtete und drehte sich um. Da stand er. Sam! Er hob eine Waffe, zielte auf ihn und schoss. Ein harter Schlag traf ihn an der Schulter, riss ihn herum und über die Kante. Er fiel! Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug er auf dem Wasser auf. Keuchend setzte Dean sich auf. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Leise stöhnend ließ er den Kopf auf die Lehne fallen und starrte an die Decke. „Sam würde mir nie etwas antun! Nie!“, murmelte er wie ein Mantra immer wieder und versuchte zu verstehen warum er so einen Traum hatte. In Unterricht heute Nachmittag hatte sie über Schusswunden gesprochen, Schusswunden in Hüfte, Oberschenkel und Schulter. Teilweise hatten diese Wunden furchtbar ausgesehen! Die konnten schon Albträume verursachen! Er verstand nur nicht warum er jetzt träumte das Sam auf ihn schoss?!? Wahrscheinlich, weil Sam der einzige Mensch war, der ihm wirklich wichtig war. Hatte man nicht immer Albträume von Menschen oder Dingen, die einem wichtig waren? Er wusste es nicht. Konnte Sam überhaupt schießen? Hatte der Traum vielleicht mit Sams Angriff vor ein paar Wochen am See auf ihn zu tun? Aber darüber hatten sie doch gesprochen und Sam zeigte ihm inzwischen immer wieder Griffe und Techniken, damit er sich nicht nur auf die Erinnerungen seines Körpers verlassen musste. Schnell schob er diese Gedanken beiseite und versuchte auch den Albtraum zu verdrängen. Er wollte ihn nicht! Er wollte mit niemandem darüber reden. Er wollte hier nicht weg und er wollte den Lehrgang nicht aufgeben! Viel lieber erinnerte er sich an den Unterricht am Morgen. Dr. Jones schrieb ihnen jeden Morgen nur ein paar Symptome an die Tafel und sie sollten herausfinden, worauf die hindeuteten und wie man sie behandeln konnte. Heute Morgen hießen die Symptome Krämpfe im Bauch und eine nasse Hose. Eine der Frauen tippte sofort auf eine Blasenentzündung. Dr. Jones schüttelte den Kopf und schon ging die wilde Raterei los. Nierenbeckenentzündung, Magen-Darm-Grippe, Laktoseintoleranz. Rohan versuchte es mit Blinddarmreizung. Dr. Jones lachte und warf mit dem Beamer ein Bild an die Wand. Die Frau stand vorn über gebeugt. Sie hielt sich krampfhaft an einer Stuhllehne fest. Jetzt lachte auch Krista. „Sie hat Wehen und die Fruchtblase ist geplatzt!“ „Richtig“, stimmte Dr. Jones ihr zu. „Sie müssen nicht nur Verletzungen behandeln können. Sie müssen auch Geburtshilfe leisten. Leider viel zu selten. Trotzdem müssen sie es können. Nach der Pause werden sie das heute trainieren.“ Ein Lächeln schlich sich auf Deans Gesicht, als er daran dachte, dass Krista die Puppe auf die Welt holte und ihm in die Arme legte, um die Nabelschnur durchzutrennen. Er hatte den Kleinen in ein Tuch gewickelt und sanft in seinen Armen gewiegt. „Der Winchester guckt, als wäre er gerade Vater geworden“, lachte einer seiner Mitschüler. Das Blut war ihm ins Gesicht gestiegen. Trotzdem hatte es sich gut angefühlt. „Haben Sie seine Atemwege kontrolliert?“, fragte Dr. Jones. Dean schüttelte den Kopf und der Arzt zeigte ihnen wie sie Flüssigkeit aus dem Rachenraum absaugen konnten. Dean lächelte noch immer. Für keinen Albtraum würde er diesen Lehrgang aufgeben. Es waren diese schönen Momente, die er nicht mehr missen wollte. Er würde Menschen helfen können! Das sollte ihm kein Albtraum nehmen. Er ging ins Bad und warf sich einige Hände Wasser ins Gesicht. Als Sam nach Hause kam, hatte Dean seinen Albtraum verdrängt. Kapitel 272: Verdächtige Unfälle -------------------------------- 272 Verdächtige Unfälle Die Tage reihten sich aneinander und fast unbemerkt verging der September. Wieder einmal kopierte Sam die Unterlagen eines Falles. Er wusste nicht mehr wie viele Stunden er schon an diesem Gerät verbracht hatte. Aber, auch wenn es langweilig war, die Arbeit in dem Büro des Staatsanwalts machte ihm trotzdem Spaß und er war immer noch froh, diesen Praktikumsplatz ergattert und sogar verlängert bekommen zu haben. Klar gehörte kopieren immer noch zu seinen Aufgaben, aber er war auch bei jedem Gespräch das Mr. Davenport mit einem geschädigten oder einem Zeugen führte dabei und er hatte sich schon einige Feinheiten abschauen können. Während er immer neue Blätter in den Kopierer einlegte, hatte er Zeit dem Gespräch der beiden Sekretärinnen zu folgen. „Wie geht es deiner Schwester?“, fragte Esther interessiert. „Sie will am Wochenende mit ihrer Familie zu unseren Eltern fahren. Vorgestern ist Ian die Treppe heruntergefallen und hat steif und fest behauptet, dass er geschubst worden sei. Gott sei Dank ist nichts Schlimmes passiert. Er hat sich nur die Hand verstaucht und einige Prellungen zugezogen.“ „Hatte River sich nicht erst kürzlich die Hand gebrochen?“, wollte die Kollegin wissen. „Sie ist über ihr Spielzeug gestolpert“, nickte Allison. „Die Familie scheint in den letzten Wochen wirklich vom Pech verfolgt zu sein.“ „Ja. Deswegen fahren sie zu ihrer Mutter. Und ich soll mich um die Blumen kümmern. Hoffentlich vergesse ich den Code der Alarmanlage nicht.“ Sie seufzte leise. „Schreib ihn dir doch auf. Ein paar Zahlen auf einem Zettel kann keiner zuordnen“, schlug Esther vor. „Das ist eine sehr gute Idee“, nickte Allison und nahm sich einen Zettel. ‚Vermutlich ein Poltergeist‘, überlegte Sam. Schnell schob er diesen Gedanken wieder beiseite. Er war ein ganz normaler Student, der nebenbei ein Praktikum bei einem Anwalt machte und kein Jäger! Er hatte aufgehört! Außerdem hatte er ein ganz anderes Problem! Sein Bruder sah schlecht aus, total übermüdet. Er hatte versucht das zu ignorieren, hatte angenommen, das Dean zu ihm kommen würde, wenn er Probleme hatte. Bis jetzt war das nicht passiert und er nahm sich vor heute Abend mit ihm zu reden. So ging das nicht weiter! Die Arbeit bei Ed war einfach zu viel. Ja, sie brauchten das Geld aber nicht auf Deans Kosten. Nicht, wenn er damit seinen Abschluss riskierte! Er würde Bobby bitten, etwas von ihren Reserven anzubrechen. Er war weit draußen im Meer. Seine Muskeln schmerzten. Er bekam immer heftigere Krämpfe, bis er sich nicht mehr an der Wasseroberfläche halten konnte und seine Muskeln einfach aufhörten sich zu bewegen. Angenehm kühle Schwärze umfing ihn, als er ganz langsam tiefer sank. Über sich sah er die verschwommenen Umrisse des Mondes. Quallen zogen schwerelos schwebend an ihm vorbei. Staunend schaute er ihnen nach. Doch dann wurde der Drang nach Sauerstoff in seinem Körper übermächtig. Seine Lungen zogen sich krampfhaft zusammen. Panisch begann er um sich zu schlagen. Er wollte doch nicht sterben, er wollte atmen! Leben! Aber die rettende Oberfläche war viel zu weit entfernt. Sein Mund öffnete sich und die ersten Tropfen perlten über seine Lippen. Plötzlich brachte etwas das Wasser um ihn herum in Bewegung. Diese Strudel erfassten ihn und wirbelten ihn herum. Felsengebilde stürzten ein. Immer mehr Strudel entstanden und erzeugten Strömungen gegen die er ankämpfen musste, um nicht noch tiefer, noch näher an diese stürzenden Steine gezogen zu werden. Er strampelte und kämpfte verbissen bis plötzlich der halbe Fels in sich zusammenbrach. Die Flutwelle erfasste ihn und zerrte ihn zu den fallenden Brocken. Hektisch versuchte er aus dem Sog zu kommen. Es war unmöglich. Ein Stein traf ihn am Kopf und seine Bewegungen erstarben. Mit einem erstickten Aufschrei setzte sich Dean auf. Wieder so ein Albtraum! Seit Sam im Traum auf ihn geschossen hatte, seit sie im Unterricht immer wieder alle möglichen Symptome durchnahmen, um ihre Diagnosen zu stellen und die besten Behandlungsmöglichkeiten zu finden, plagten ihn Albträume. Heute war das Symptom Atemnot und die möglichen Ursachen gingen von Allergien bis zum Ertrinken. Die meisten Albträume hatte er, wenn sie Schuss-, Schnitt- und Stichverletzungen behandelten. Da schien das Repertoire schier unerschöpflich. Nur die Art und Weise wie er an die Verletzungen kam änderte sich. Mal fügte er sie sich selbst zu, mal war es Sam oder aber Wesen, die jeden Horrorautor glücklich gemacht hätten. Hin und wieder träumte er auch von einem unsichtbaren Wesen, das bellte und jaulte wie ein Hund und das ihn mit Krallen und Zähnen regelrecht zerfleischte. So leicht er den ersten Traum noch genommen hatte, inzwischen gingen sie ihm an die Substanz und fraßen seine Reserven schneller, als er sie auffüllen konnte. Vor Allem dieses Hundeding erschütterte ihn bis in die Knochen und schnürte ihm die Luft ab. Resigniert rieb er sich mit der Hand über das Gesicht. Er wollte diese Träume nicht und er wollte auch nicht mit Sam oder Jody darüber reden, denn er wusste nicht, wie die ihm helfen könnten. Müde rieb er sich die Augen. Würde das jetzt so bleiben? Würde er alles das in seinen Träumen erleiden, was sie im Unterricht durchnahmen? Sollte er vielleicht doch mit Sam darüber reden? Aber er wollte nicht aufhören. Er wollte diesen Lehrgang nicht abbrechen, nur weil er schlecht träumte. Es machte ihm Spaß und er sah für sich eine Zukunft in diesem Beruf oder, mit dieser Ausbildung als Grundlage, als Feuerwehrmann. Er wollte nicht dauerhaft auf der Baustelle arbeiten. Diese Arbeit war nur für den Körper anspruchsvoll und, solange er noch kein richtiges Geld verdienen konnte, für ihre Haushaltskasse. Vor allem aber half sie ihm zu schlafen. Wenn er körperlich richtig fertig war, hatten diese Albträume kaum eine Chance. Nein, entschied er, noch würde er nicht mit Sam darüber reden. Er erhob sich und ging ins Bad, um sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht zu werfen. Gerade als er wieder ins Wohnzimmer kam, hörte er den Schlüssel im Schloss. Sam kam nach Hause. Er holte den Lachs-Kürbisauflauf aus dem Ofen. „Hey“, grüßte Sam und hob schnuppernd die Nase. „Man riecht das lecker!“ Sofort wollte er sich an den Tisch setzen. „Hände waschen“, forderte Dean leise. Wie oft hatte Sam ihm erklärt, dass das wichtig war und jetzt ließ er es weg! „Ich geh ja schon“, grummelte der jüngere Winchester. Dean stellte ein Bier für Sam und Cola für sich auf den Tisch. „Das war so lecker“, schwärmte Sam nach dem Essen. „So gut werde ich nie kochen können. Du hast ein Händchen dafür!“ „Du musst nur üben“, versuchte Dean seinem Bruder Mut zu machen. „Man muss es aber auch wollen und ganz ehrlich? So richtig habe ich daran keine Lust. Ich koche weil ich muss, aber ich finde es immer wieder toll, was du auf den Tisch zauberst!“ Gemeinsam räumten sie den Tisch ab und ließen sich dann auf der Couch nieder. Dean ließ den Kopf auf die Rückenlehne fallen und schloss die Augen. Er wollte nur noch schlafen. „Verrätst du mir, warum du so fertig aussiehst? Hast du wieder Albträume?“, wollte Sam wissen und traf damit unwissentlich einen wunden Punkt. „Nein, es ist nichts“, wiegelte Dean schnell ab. Zu schnell wie Sam fand. „Ich sehe doch, dass das nicht stimmt.“ „Naja, ich … hin und wieder träume ich mal schlecht“, gab Dean zu. „Aber es sind keine Monster oder so“, wand er sofort ein, als er Sams besorgte Mine sah. „Ich will nichts von dem aufgeben, was ich jetzt habe!“, erklärte er bockig. „Das verlangt doch keiner!“, begehrte Sam auf. „Ich mach mir nur Sorgen um dich, und darüber, dass es vielleicht doch zu viel wird. Du hast ein straffes Schulprogramm und du gehst arbeiten.“ „Das tust du doch auch!“ „Ja, aber nicht so körperlich schwer wie du!“ „Mir geht es gut, Sam! Das was ich im Unterricht zu sehen bekomme, ist nur nicht ganz ohne. Vor Allem, wenn ein Mensch dem anderen sowas antut. Warum sind Menschen so?“ Für einen Augenblick musste Sam an seinen Bruder vor der Amnesie denken. Dean hatte immer schon Probleme mit Menschen. Nicht nur einmal hatte er gesagt, dass er Dämonen und all das andere übernatürliche Volk besser verstand als Menschen. Er fühlte Deans Blick noch immer fragend auf sich gerichtet. Schnell schob er die Erinnerungen beiseite. „Ich hab keine Ahnung, warum Menschen sich so etwas antun. Hass, Gier, Drogen?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das kann nicht mal ein Psychologe erklären.“ Dean nickte nur unschlüssig. „Ich geh lernen.“ „Okay. Dann werde ich meine Nase auch mal in die Bücher stecken“, beschloss Sam. Er hatte eigentlich auf einen gemütlichen Abend mit etwas fernsehen und einem Bier gehofft. Aber ja. Der neue Dean war zu einem Streber mutiert. Daran würde er sich wohl nie gewöhnen. Wie immer wenn sie den Abend nicht gemeinsam verbracht hatten, schaute Sam vor dem Schlafengehen noch einmal bei seinem Bruder rein. Der hockte natürlich noch über seinen Büchern und sah ziemlich verschlafen aus. Hatte er … Sam schaute genauer hin und sah die Abdrücke der Bücher auf Deans linker Gesichtshälfte. „Geh schlafen“, bat er. „Morgen wird ein langer Tag und die Bücher sind auch nicht sonderlich bequem.“ Dean nickte. „Geh gleich.“ Und Sam nahm es hin. Er wollte es glauben, auch wenn die Stimme in seinem Kopf leise und hartnäckig genau dem widersprach. Was allerdings noch viel schlimmer schmerzte, als diese … Lüge wollte er es nicht nennen, war, dass er in Deans Leben eine immer kleinere Rolle zu spielen schien. Sein Bruder hatte Freunde gefunden. Er lernte für einen richtigen Beruf und er arbeitete nebenbei auf dem Bau. Dean führte ein Leben, das er schon vor zehn Jahren hätte führen sollen! Wahrscheinlich wäre sein Bruder nicht Rettungssanitäter geworden sondern irgendetwas Technisches, aber Sam war sich sicher, dass Dean studiert hätte, wenn sie nicht das Leben geführt hätten, das durch Moms Tod für sie vorgegeben worden war. Wenn er es sich recht überlegte, führten sie jetzt eine ganz normale brüderliche Beziehung. So wie viele andere Geschwister miteinander umgingen, die nicht durch einen furchtbaren Vorfall in ihrem Leben aneinandergeschweißt worden waren. Eine Beziehung, die auch er sich früher immer wieder gewünscht hatte! Früher! Jetzt vermisste er dieses Band! Er wollte Dean zurück! Er wollte seinen gluckigen Bruder wiederhaben. Er wollte mit ihm streiten, er wollte sich eingeengt fühlen und dagegen rebellieren! Er wollte wieder der kleine Bruder sein, der er war. Leise schniefend ging er die Treppe nach oben in sein Zimmer. Er ließ sich aufs Bett fallen und fühlte sich mit einem Mal irgendwie nutzlos. Nicht mal richtig kochen konnte er! Als Sam an seinem nächsten Arbeitstag in der Kanzlei mal wieder kopieren musste, wurde Allison ins Büro von Mr. Davenport gerufen. Sams Blick wanderte immer wieder, wie magisch angezogen zu dem kleinen gelben Zettel neben ihrem Telefon. Er wusste genau, dass sie länger wegblieb und was konnte es schon schaden, wenn er die Zahl wusste? Er musste ja nicht hinfahren, oder? Allerdings konnte er da Menschen helfen. Energisch drängte er die Gedanken an den Zettel und den Poltergeist beiseite und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Doch als er die Kopien fertig hatte, war Esther noch nicht aus dem Büro ihres Chefs zurück, da musste Sam wohl hier weitermachen. Er holte sich die Textmarker vom Schreibtisch der Sekretärin. Dass sein Blick auf die Zahlenkombination der Alarmanlage fiel, war wirklich nur Zufall. Während seiner gesamten Arbeitszeit spukte diese Zahlenkombination durch sein Hirn und als er dann, mit einem Salat aus dem Diner, das auf seinem Weg lag, und einem Becher Kaffee in ihr dunkles, leeres Heim kam, konnte er nicht anders, als sich seinen Laptop auf den Tisch zu stellen und nach der Geschichte des Hauses zu suchen. Vielleicht lag da ja schon ein Grund für die Heimsuchung durch diesen Geist. Kapitel 273: Geisterjagd ------------------------ 273) Geisterjagd Leider fand Sam nichts über das Gebäude oder die Geschichte des Grundstückes. Es war also offensichtlich kein verärgerter Geist, was seine Vermutung bestätigte, dass es ein Poltergeist sein müsste. „Salzen und verbrennen fällt dann wohl aus“, grummelte er leise, als ihn das Geräusch des Schlüssels in der Haustür aufschreckte. Schnell klappte er seinen kleinen elektronischen Helfer zu. Dean musste diese Recherche gar nicht erst mitbekommen. Zum Einen, weil er ihm das nicht erklären wollte. Zum Anderen, weil, er ihn nicht mit der Nase auf ihr früheres Leben stoßen wollte oder, was noch schlimmer wäre, die Angst, das er sich eine neue Wohnung suchen wollte, in ihm schüren. Dean war glücklich mit dem was er hier hatte. Sein Bruder konnte nichts dafür, dass er sich unausgelastet fühlte, dass ihm das Adrenalin fehlte. Warum hatte sich das in Stanford nie so bemerkbar gemacht? Oder hatte es das doch? Hatte ihn das Leben da so fasziniert, dass er das nicht wahrhaben wollte oder war er von dem Leben mit Dad und Dean, dem Jagen und der ewigen Furcht das einer nicht zurückkam so angewidert, dass er alles, was ihn daran erinnerte, ausblendete? Er wusste es nicht und eigentlich wollte er es auch nicht wissen. „Hey“, grüßte er seinen Bruder. „Hast du was gegessen oder soll ich dir noch schnell ein Sandwich machen?“ „Ed hatte was dabei“, winkte Dean ab. Er war nur müde. Der Tag heute war anstrengend. „Ich will nur noch duschen und dann ins Bett. Aber danke“, sagte er leise und verschwand im Bad. Sam seufzte. So wollte er das Leben, das normale Leben eigentlich nicht haben, obwohl es wohl genau das war. Eine normale Beziehung zu seinem Bruder, nicht dieses aufeinander angewiesen sein. Aber genau das fehlte ihm! War es vermessen etwas von beiden Leben zu wollen? War es vermessen daran zu denken, dass er, wenn Dean den Unfall nicht gehabt hätte, beides hätte? Er strich sich die Haare zurück, räumte den kleinen Essbereich auf und ging nach oben. „Gute Nacht, Dean“, rief er von der Treppe aus. „Nacht“, hörte er die dumpfe Antwort aus dem Bad. Am folgenden Morgen war er sich sicher, dass er dem Haus nächste Woche einen Besuch abstatten würde, wenn Dean nach einem langen Arbeitstag bei Ed müde und geschafft zurück war und wie ein Stein schlief. Endlich war der Tag da! Sichernd schaute Sam sich um, bevor er durch das Gartentor huschte. Die Straße, in der das Haus von Allisons Schwester stand, war hell beleuchtet. Hoffentlich war diese Stunde wirklich die, in der alle schliefen. Er wollte nicht gerade jetzt bei einem Einbruch erwischt werden. Das würde all seine Pläne zunichtemachen. Er hielt sich im Schatten, als er auf das alte Haus zuging. Problemlos knackte er das Schloss der Tür und huschte ins Haus. Die Alarmanlage war dank der bekannten Kombination kein Hindernis. Den Schein seiner Taschenlampe ließ er über die Wände wandern, bis er an der Treppe hängen blieb. Am sinnvollsten war es wohl, im Keller zu beginnen. Da lauerten im Normalfall die meisten Gefahren und er wollte nicht mit irgendwelchen potentiell gefährlichen Geräten konfrontiert werden, wenn der Poltergeist begriffen hatte, dass er vertrieben wurde. Die konnten ziemlich aggressiv werden. Er klemmte sich die Taschenlampe unter den Arm, zog die Schrotflinte unter der Jacke hervor und kontrollierte noch ein Mal, dass er auch alle Säckchen mitgenommen hatte, dann nahm er die Treppe nach unten. Der Keller war schon fast zu einfach. Er brauchte keine zehn Minuten um die vier Säckchen zu positionieren und ging ins Erdgeschoss. War es vielleicht gar kein Poltergeist? War die Familie einfach nur ungeschickt oder sollte etwas ganz anderes mit diesen Aussagen gedeckt werden? Menschen konnten untereinander sehr grausam sein! Trotzdem konnte es nichts schaden hier weiter zu machen. Wenn es so einfach blieb, war er schneller als gedacht wieder zuhause. Ein Lächeln huschte bei dem Gedanken über sein Gesicht. Zuhause. Einfach und klein, aber der erste Ort, der nicht von seinem Bruder über die Straßen des Landes gelenkt wurde, den er so nannte. Also weiter. Er nahm die Tür, die ihm am nächsten war, der Wohnraum. Er trat ein Loch in die Außenwand und stopfte ein Säckchen hinein. ‚Noch drei hier und vier oben.‘ Der Kronleuchter wackelte in seiner Halterung und begann leise klirrend zu schwingen. ‚Also doch ein Poltergeist!‘ Er sprang über den Couchtisch, rannte in den Flur zurück und schlug die Tür hinter sich zu. Mit zwei Schritten war er an der Haustür. Schnell verschwand auch hier ein Säckchen in der Wand. Er wandte sich der Tür zu seiner Rechten zu. Leise knarrend schwang sie nach innen auf, nachdem er die Klinke nach unten gedrückt hatte. Nach einem kurzen Blick betrat er den Raum, das Esszimmer, das nur durch einen Tresen von der Küche getrennt war. Die Tür schlug zu, kaum dass er die Schwelle überquert hatte. Erschrocken schaute er sich um. Unter seinen Füßen begann sich der Läufer zu wellen. Hastig sprang er zur Seite. Gerade noch rechtzeitig. Er hatte noch nicht wieder richtig Boden unter den Füßen, als der Läufer auch schon nach hinten flutschte und sich aufrollte. So langsam sollte er sich beeilen! Gerade als er den Esstisch umrunden wollte, kippte einer der Stühle genau vor seine Füße. Er konnte nicht mehr reagieren, stolperte, ruderte mit den Armen und verlor dann doch sein Gleichgewicht. Unsanft landete er auf der Lehne. „Verdammt“, knirschte er, rappelte sich auf und rieb sich seinen schmerzenden Steiß. Irgendwo im Haus verklang ein hohles Lachen. Eiskalte Finger glitten über Sams Rücken. Schnell lief er zu der Wand, schlug ein Loch hinein und erstarrte. Hinter ihm hörte er ein leises Schaben und etwas klapperte. Er drehte sich um und ließ sich instinktiv fallen. Sämtliche Schubladen des Büfetts standen offen. Das Besteck schwebte in der Luft. Noch im Fallen sah er, wie es sich in Bewegung setzte und auf ihn zu raste. Er stopfte das Säckchen in die Wand und rollte sich zur Seite. Knirschend prallten die Teile gegen die Wand und die meisten fielen zu Boden. Einige Gabeln und fast alle Messer blieben jedoch zitternd in der Wand stecken. Sam atmete tief durch und kroch auf allen Vieren zu der Tür, die aus der Küche führte. Er stieß sie auf, kroch in den Raum und richtete sich auf. Das war wohl ein Allzweckraum. Hier standen die Waschmaschine, der Trockner und eine Gefriertruhe, in den Regalen lagen Gartengeräte und davor die Inlineskates der Kinder. Mit wenigen Schritten war er an der Wand. Er holte mit dem Hammer aus und … kippte nach vorn. Nur mit Mühe schaffte er es einen Arm hochzureißen und sich an der Wand abzustützen, bevor er mit dem Kopf dagegen knallte. Irritiert schaute er zu seinen Füßen, die mit einem Mal aneinander zu kleben schienen. Im Schein der Taschenlampe konnte er eine Wäscheleine ausmachen, die sich noch fester um seine Knöchel schlang und ihn über den Boden zur Treppe zerrte. Mühsam beugte er sich soweit vor, dass er die Leine fassen konnte. Wie verrückt säbelte er mit seinem Messer an den Stricken herum, um die Fesseln schnell zu lösen. Es gelang ihm, als der Poltergeist ihn schon zwei Stufen nach oben geschleift hatte. Die Fesseln lösten sich und er rutschte wieder nach unten. „Verdammt“, knurrte er mit schmerzverzerrtem Gesicht, rappelte sich auf und bekam, kaum dass er stand einen heftigen Stoß gegen die Brust, der ihn durch den Raum schleuderte. Hart prallte er gegen eine Wand und glitt benommen zu Boden. Sam blinzelte ein paarmal mit zusammengebissenen Zähnen, bevor er sich auf alle Viere stemmte und wie ein Besessener auf die Wand einschlug. Ein Hammerschlag fehlte noch, dann konnte er das Säckchen in die Wand … Kurz bevor der Hammer die Wand berührte, wurde er ihm aus der Hand geschlagen und er im selben Augenblick in die Höhe gerissen und gegen eine Wand geschleudert. Beim Aufprall konnte er einen Schrei nicht ganz unterdrücken. Bevor er jedoch auf dem Boden landete, wurde er schon wieder herumgeschleudert und prallte hart mit den Rippen gegen die Waschmaschine. Er schlug auf dem Boden auf und japste vor Schmerzen. Hoffentlich war nichts gebrochen! Doch noch bevor er mit seiner Bestandsaufnahme fertig war, fühlte er wie etwas sein Fußgelenk packte und ihn wieder zur Treppe ziehen wollte. Hektisch griff er nach dem Säckchen umschloss es in seiner Hand und rammte die Faust in die Wand. Ein Jaulen lief durch das Haus und die Umklammerung an seinem Knöchel verschwand. Erleichtert ließ sich Sam auf den Rücken fallen und atmete erst einmal durch. Acht von zwölf. Hoffentlich wurden die letzten vier nicht noch schlimmer als diese hier im Erdgeschoss, jetzt wo der Geist endgültig begriffen hatte, dass er ausziehen sollte. Stöhnend rappelte er sich auf. Seine Rippen schmerzten, genau wie die Schulter. „Also los!“, spornte er sich selbst an und ging durch die Küche zur Treppe. An der untersten Stufe atmete er noch tief durch. Mit Dean wäre es alles einfacher. Ob sie dann allerdings gerade jetzt hier gewesen wären, stand auf einem anderen Blatt. Das erste Säckchen konnte er ohne Probleme in der Wand postieren. Gab sich der Poltergeist so schnell geschlagen? Nach den Attacken gerade wollte er nicht daran glauben. Und richtig. Kaum war er im Bad, schlug hinter ihm auch schon die Tür zu. Auf dem Waschtisch lag ein Fön, dessen Kabel sich langsam hob und dann blitzschnell auf Sam zu schoss. Er konnte grade so ausweichen und der Stecker prallte gegen die Wand, in der er stecken blieb. Sam holte mit dem Hammer aus. Mit einem Schlag hatte er ein Loch, das groß genug für das Säckchen war. Schnell stopfte er es hinein, war mit zwei Schritten an der Tür und riss sie auf. Noch zwei! Die dem Bad gegenüberliegende Tür führte in ein Schlafzimmer. Geschickt wich Sam dem schwebenden Bettvorleger aus nur, um gegen eine sich öffnende Schranktür zu laufen. „Mach nur weiter so! Du hältst mich nicht auf!“, knurrte er und rieb sich seine Nase, die bei dem Aufprall deutlich geknirscht hatte. Er schlug die Schranktür zu und trat an die Wand. Wieder brauchte er nur einen Schlag und schon versenkte er das Säckchen. Noch eins. Im ganzen Haus begann das Licht zu flackern. Alle Türen gingen immer wieder auf und zu. Fernseher und Radio spielten in voller Lautstärke und sämtliche Küchengeräte liefen auf Hochtouren. Der Winchester brauchte eine Weile, bis er das Schlafzimmer verlassen und das Elternschlafzimmer betreten konnte. Dem schwebenden Teppich auszuweichen war weniger schwierig, als der Bettdecke, die sich wie eine Krake immer wieder auf ihn stürzte und ihn einhüllen wollte. Nach ein paar Minuten, die ihm wie ein stundenlanger Tanz auf glühenden Kohlen vorkam, schaffte er es zur Wand. Wieder schaffte er ein ausreichend großes Loch mit einem Schlag, dann wurde ihm der Hammer aus der Hand gerissen. Hart traf er seinen Fuß. Sam riss den Fuß hoch und hoppelte auf einem Bein vor der Wand herum. Er wurde zur Seite gestoßen, konnte aber im Fallen das letzte Säckchen in der Wand versenken. Das Haus schien regelrecht auszuatmen. Ein heller Lichtkranz breitete sich explosionsartig aus. Die schlagartig einsetzende Stille schmerzte schon fast in den Ohren. Sam ließ sich gegen die Wand gelehnt zu Boden sinken. Zwei, drei Atemzüge brauchte er, um runter zu kommen. Dann erhob er sich und beeilte sich, das Haus zu verlassen, nicht dass dieser Krach doch einem Nachbarn oder zufällig vorbeikommenden Passanten aufgefallen war. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ sich Sam auf den Fahrersitz des Impalas sinken. Dass das so weh tun konnte, hatte er erfolgreich verdrängt. Doch trotz der Schmerzen schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, das immer breiter wurde. In seiner Brust breitete sich ein warmes Glücksgefühl aus. Er konnte es noch! Kapitel 274: Neue Gedanken -------------------------- 274 Neue Gedanken Das Hochgefühl begleitete Sam auch noch bis nach Hause. Allerdings meldeten sich auf der Fahrt auch seine malträtierten Körperteile immer deutlicher. Schnell schrieb er Dean einen Zettel, dass er ihn nicht wecken musste, da er eine Freistunde hätte. Das stimmte zwar nicht, aber so umging er es, die Verletzungen erklären zu müssen, das konnte er am Abend besser. Der Wecker klingelte viel zu früh! Schnell drehte sich Sam zu ihm um und schaltete ihm aus, nur um gleich sich darauf mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf den Rücken fallen zu lassen. Verdammter Poltergeist! Ein paar Mal atmete er durch dann biss er die Zähne zusammen und stemmte sich in die Höhe. Er machte sich so gut es ging in seinem Zimmer fertig, während er darauf wartete, dass Dean das Haus verließ. Dabei überlegte er mehrfach den Tag heute einfach zu schwänzen. Seine Muskeln schmerzten, als hätte er den schlimmsten Muskelkater seines Lebens. Sein Handgelenk streikte bei der Hälfte der Bewegungen und atmen konnte er auch nicht richtig. Den Tag im Bett zu verbringen wäre wirklich viel besser. Aber er hatte sich so sehr darauf gefreut endlich wieder ins College gehen zu können. Es war ein Schritt auf dem Weg sich doch noch seinen Traum zu erfüllen, da wollte er so wenig wie möglich verpassen, auch wenn er sich wohl über den Tag quälen und den verbalen Attacken seiner Mitschüler ausgesetzt sein würde. Außerdem schrieben sie heute einen Test, den er zwar nicht dringend für seine Zensur brauchte, er ihn aber auch nicht leichtfertig abtun wollte. Kaum hatte Dean das Haus verlassen, verschwand er im Bad. Sein Spiegelbild erschreckte ihn weniger als er befürchtet hatte. Er machte sich schnell fertig und ging nach unten, um sich einen Kaffee zu machen. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Auf der Anrichte stand ein fertiges Lunchpaket. „Hoffe du hast gut geschlafen … Bon Appetit“ stand auf dem Zettel, der halb darunter lag. Wenn es seinen Bruder nicht gäbe, müsste man ihn erfinden, überlegte er und stellte fest, dass er wieder einen neuen, alten Zug an Dean entdeckt hatte. Jetzt wünschte er sich noch mehr, dass sich diese ganzen Puzzlestücke endlich sortierten und zu seinem alten großen Bruder zusammensetzten. Der würde ihm zwar gehörig die Leviten lesen, aber das wäre ihm dann auch egal. Er schnappte sich das Paket und machte sich auf den Weg zur Schule. Er kam gerade noch pünktlich. „Wie schön, Mr. Winchester! Sie beehren uns auch noch“, begann der Dozent und warf Sam ein Bündel Blätter auf den Tisch. „Dann können Sie den Test ja mitschreiben, oder möchten Sie ihren Mitstudenten erzählen, was wir gestern Nachmittag gemacht haben?“ „Keine Ahnung was Sie gemacht haben, meine außerschulischen Beschäftigungen gehen Sie überhaupt nichts an!“, erwiderte der Winchester ruhig. Der Dozent schluckte und wurde wütend. „Ich denke schon, dass es mich etwas angeht, wenn Sie sich mit Dingen befassen, die Ihre Konzentration in meiner Vorlesung stören!“ „Da das nicht der Fall ist ...“ erklärte Sam leise und behielt den Rest der Antwort für sich. „Ist dem so? Dann legen Sie mal los.“ „Natürlich“ Sam zog die Blätter zu sich heran und begann die Aufgaben zu lösen. Auf dem Weg zur nächsten Vorlesung bereute der Winchester seinen Entschluss vom Morgen noch ein wenig mehr. Seine Rippen schmerzten heftiger, als er gehofft hatte. Doch jetzt war er nun mal hier und kneifen galt nicht. ‚Wer jagen konnte, konnte auch zur Schule gehen!‘, ermahnte er sich stumm. Er erzählte Damon, dass er am Vorabend mit seinem Bruder reiten war, sein Pferd im Gelände scheute und ihn abgeworfen hatte. Es ihm leid, das zu tun, doch es war ja nicht das erste Mal, dass er über sein wahres Leben nicht die Wahrheit sagen konnte und Damon schien diese Erklärung fraglos zu schlucken. Er erzählte sogar von einem fast Reitunfall, den seine Schwester mal hatte, als das Pferd vor einem Luftballon scheute und sie sich gerade noch so im Sattel halten konnte. In der Bibliothek versuchte er erst gar nicht sich hinzusetzen und suchte sich Arbeiten, die er im Stehen ausführen konnte. Einer Kollegin, die ihn dann doch noch auf seine eckigen Bewegungen ansprach, erzählte er, ebenfalls von dem Reitunfall. Auch sie zeigte viel Verständnis und gab ihm Arbeiten, bei denen er weder viel laufen, noch schwer heben musste. Nur für Dean musste er sich eine andere Geschichte ausdenken! Aber auch die war nicht schwer zu finden. Hoffentlich behielt er das alles. So langsam wurde das Lügen undurchsichtig. „Was ist mit dir?“, fragte der Ältere. „Wir haben in der Kanzlei gestern einige abgeschlossene Fälle aus einem Büro ausgeräumt, die ganzen Akten wurden in Kisten gepackt und sollten in den Keller gebracht werden. Im Keller standen schon etliche solcher Kartons. Ich bin gegen einen Stapel gestoßen, bin gestolpert und hab den umgerissen. Ein paar der Kartons sind auf mich drauf gefallen. Die Kanten von den ordnern sind verdammt hart!“ „Warst du beim Arzt? Soll ich mir das mal anschauen? Ich meine, viel kann ich dir wohl noch nicht helfen, aber Brüche, Verstauchungen und Prellungen hatten wir schon“, erklärte Dean mit besorgtem Blick. Sam musterte seinen Bruder. Das war wieder so ein kurzes Aufblitzen des alten Deans. Er seufzte. „Im Moment geht es, aber wenn du mir vorm Schlafen gehen mit der Salbe helfen könntest? An einige Stellen komme ich schlecht ran.“ „Kein Problem, mach ich gerne“, nickte der Ältere. „Willst du morgen nicht besser zuhause bleiben?“ „Nein, Morgen räumen wir keine Kisten mehr in den Keller und auch sonst nichts Anstrengendes.“ Dean nickte skeptisch. „Soll ich dich fahren? Ich kann Ed absagen.“ „Nein, Danke. Das ist lieb, dass du dir solche Sorgen machst, aber mir geht es gut. Ich möchte mich nur gleich gerne hinlegen.“ Deans Fürsorge fühlte sich gut an, aber irgendwie auch ein wenig erdrückend. Daran musste er sich wohl erst wieder gewöhnen. So schlimm war es doch gar nicht. Er hatte was abbekommen, klar, aber sie hatten schon wesentlich Schlimmeres durchgestanden. Leider wusste Dean nichts mehr davon. „Okay“, nickte Dean. Er wandte sich dem Herd zu und holte ihr Essen aus dem Ofen. So ganz wollte er Sam nicht glauben, dass es ihm gut ging. Im Unterricht hatte er gelernt, dass auch scheinbar harmlose Verletzungen schlimme Folgen haben konnten. Sollte er Sam doch zu einem Arzt schleppen? Aber der würde wohl nicht auf ihn hören und das mit dem Schleppen konnte er auch vergessen, wenn sam nicht wollte. Ach verdammt! Da war wieder diese Hilflosigkeit, die er immer wieder fühlte, wenn er so vehement darauf gestoßen wurde, dass ihm die Erfahrungen eines Lebens fehlten. Die Woche verging und Sam fühlte sich schon fast wieder ganz fit. Leider nicht fit genug, um seine Verletzungen vor Bobbys Argusaugen zu verbergen. „Was ist mit dir?“, fragte er auch sofort, nachdem er ihn in sein Büro gelotst hatte und Dean mit Jody in der Küche stand. Er ließ sich auf seinen Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen und wies auf einen Stuhl, damit Sam sich auch setzte, doch der war viel zu nervös dazu, also begann der alte Jäger: „Du warst derjenige, der aussteigen wollte, das hast du mir nicht nur einmal erklärt. Du warst richtig versessen darauf, wolltest diese Entscheidung aber Dean überlassen. Er ist ausgestiegen. Nicht freiwillig und nicht so wie wir es uns und euch gewünscht hätten, aber er ist raus. Warum jagst du jetzt?“ Sam wollte sich nicht rechtfertigen, er wollte sich nur erklären. „Ich bin darüber gestolpert, Bobby. Es war nicht eindeutig, ob es überhaupt in unser Metier fiel. Ich wollte es erst prüfen. Die Gelegenheit war gerade sehr günstig, um sich einen Überblick zu verschaffen. Ich habe es erledigt und ich muss zugeben, es fühlt sich gut an!“ „Du willst also wieder jagen?“ „Nein. Ich habe die Chance mir meinen Traum zu erfüllen und doch noch Jura zu studieren. Das lasse ich nicht sausen, denn ich werde keine weitere Chance dazu kriegen. Allerdings werde ich auch niemanden hängen lassen, wenn ich ihm helfen kann. Die Jagd gehört zu mir, das ist mir klar geworden und auch, dass ich das wohl doch nicht so einfach aus meinem Leben streichen kann.“ Er holte tief Luft. „Wenn Dean noch Dean wäre, wäre das vielleicht anders, aber so?“ „So belügst du ihn und dich!“ „Ich belüge mich nicht!“ „Nein? Du hast deinem Bruder so oft in den Ohren gelegen, dass dein Leben nicht aus der Jagd nach Übersinnlichem bestehen soll und jetzt machst du eine 180 Grad-Wende. Warum?“ „Weil ich helfen kann!“ „Und da ist die Lüge wieder!“, erklärte der alte Freund ernst. „Ich lüge ...“ „Dann benutzt du das als Ausrede, Sam. Warum?“ „Ich wollte immer Freunde haben und habe es gehasst, wenn wir alle paar Wochen umgezogen sind. Dean hat es nie etwas ausgemacht. Er war immer der Einzelgänger. Jetzt hat er Freunde mit denen er lernen kann und er geht arbeiten. Ich bin immer noch ein Außenseiter.“ Sam seufzte. „Ich denke du hast einen Freund, am College?“ „Freund ist zu viel gesagt, aber ja, er ist ein Freund. Trotzdem, ich ...“ „Du wolltest zur großen Gruppe gehören. Hast du das während deiner Schulzeit?“ „Eben nicht!“ „Und jetzt wolltest du das ganze Paket? Sam du bist so ein intelligenter Mensch, aber gerade jetzt auch ein Idiot! Dir hätte von vorn herein klar sein müssen, dass du in dem einen Jahr kein umschwärmter College-Star wirst. Sie sind jünger als du und wahrscheinlich wirst du sie in deinem Leben auch nie wiedersehen. Dieses eine Jahr ist die Vorbereitung für dein weiteres Leben. Außerdem gehst du auch arbeiten, Sam und du fühlst dich in beiden Jobs wohl. Ich muss dich nicht daran erinnern, dass du dir als erster einen Job gesucht hast.“ „Musste ich ja auch, um die Wohnung und unser Leben bezahlen zu können.“ „Und Dean? Er bekommt auch Geld, das er für euren Lebensunterhalt ausgibt. Ja, er scheint Freunde gefunden zu haben und darüber freue ich mich. Er muss sich erst wieder ein Leben aufbauen und Freunde sind wichtig. Das du dich damit schwerer tust, ist traurig. Hättest du denn nachmittags Zeit, um mit ihnen etwas zu unternehmen?“ „Du hast ja recht! Es ist nur … es tat schon immer weh, ausgegrenzt zu werden, und das tut es noch. Früher hatte ich wenigstens Dean, der sich um mich kümmerte und eine Art Ersatz-Freund für mich war.“ „Und heute bist du der Große und dein „kleiner“ Bruder will seine eigenen Wege gehen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, schmunzelte Bobby. „Mach dich ruhig lustig, über mich“, stöhnte Sam. Einerseits war er ja froh, das Thema Jagd abgeschlossen zu haben. Dieses neue Thema war allerdings noch viel schmerzhafter. „Wir sind in diesem Fall beide die Verlierer“, sagte Bobby mit leiser Wehmut in der Stimme, denn auch zu ihm hatte Dean noch kein richtiges Vertrauen gefasst. „Ich frage mich nur warum eigentlich? Hat er unterbewusst Angst vor den Erinnerungen und meidet uns deshalb, weil wir sie zurückbringen könnten? Sein Leben war nun wirklich kein Zuckerschlecken. Vielleicht will er sich unterbewusst ja gar nicht erinnern.“ „Das ist ein vollkommen neuer Ansatz“, erwiderte Sam nach einer Weile. „Darüber muss ich mal nachdenken.“ „Dann lass uns mal zu unseren Lieben gehen, bevor die uns noch als vermisst melden“, schlug Bobby vor und griff nach der Klinke. „Sag Dean bitte nicht worüber wir hier gesprochen haben, ja“, bat Sam noch einmal. „Nicht, solange du wirklich versuchst auszusteigen, nicht solange du es nicht übertreibst!“ „Ich weiß, dass es meine letzte Chance, auf ein richtiges Leben und die Erfüllung meines Traumes ist, die werde ich nicht leichtfertig verspielen.“ „Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Bei dem Chupacabra hätte ich auch mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Dean sein Gedächtnis verliert!“ Ernst blickte er Sam an. „Denk daran Sam. Er braucht dich!“ Der Winchester nickte, auch wenn er sich manchmal gar nicht mehr so sicher war, und folgte dem Freund in die Küche. Kapitel 275: Todesfall im Schwimmbad ------------------------------------ Todesfall im Schwimmbad „Was macht ihr denn hier Leckeres?“, wollte Bobby wissen und schaute auf die vielen Zutaten, die auf der Anrichte lagen. „Wir wollen einen Key lime pie backen“, gab Jody Auskunft. „Wenn ihr so weiter macht, musst du mich irgendwann hier raus rollen“, stöhnte Bobby gespielt. „Ich weiß, dass du meine Küche liebst“, ging seine Freundin lachend darauf ein. „Viel zu sehr!“ „Ich habe hier für Gus ein paar Brocken, die könnt ihr ihm bringen und dann den Tisch decken. Wenn der Kuchen im Ofen steht, können wir essen“, sagte Jody und gab den Limettensaft in die Masse. Mit sich und der Welt zufrieden und rechtschaffen müde lag Sam spät abends im Bett und konnte trotzdem nicht einschlafen. Bobbys Worte spukten in seinem Kopf herum. War es so schlimm ab und an zu jagen? Er wollte doch nur helfen! Was ihm jedoch wirklich den Schlaf raubte, war die Frage, ob Dean sich unterbewusst vielleicht wirklich nicht erinnern wollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Leben so viel besser war, aber er hatte auch schon gelesen, dass es Menschen gab, deren Erinnerungen so furchtbar waren, dass das Gehirn jeden Zugang dazu verweigerte, um sie zu schützen. War Deans Leben so schlimm gewesen? Hatte er so vehement den Ausstieg gewollt, dass er sofort ein komplett neues Leben bekam? Musste er sich damit abfinden seinen Bruder nie wieder zu sehen? Nein, das wollte er nicht! Noch bestand die Hoffnung, dass er sich erinnerte. Noch konnte er sich mit diesem Zustand nicht abfinden! Nur schwer fand er in dieser Nacht Schlaf. Diesem Sonntag folgten zwei ruhige Wochen, in denen die Brüder wie normale Studenten zusammenlebten, die kein Vollstipendium hatten und für ihren Unterhalt arbeiten mussten. An Deans freien Abenden lernten sie gemeinsam, hörten sich gegenseitig ab und verbrachten die wenige restliche Zeit vor dem Fernseher. Samstag, Dean hatte wider Erwarten frei, da sie mit der Baustelle schneller fertig geworden waren, fuhren sie in die Trampolinhalle und verausgabten sich da. In der folgenden Woche war Damon krank und Sam fühlte wie einsam er mit diesem einen Freund doch war und da Dean wieder bei Ed arbeitete, wurde es Zuhause auch nicht viel besser. Ihm fehlten ihre die abendlichen Ablenkungen. Unbewusst begann er die Zeitungen nach einem neuen Fall zu durchsuchen und es dauerte keine zwei Tage, bis er auf einen vielversprechenden Artikel stieß. >>>Todesfall im Schwimmbad <<< Eigentlich klang das wie der Bericht über einen ganz normaler, wen auch nicht alltäglichen, bedauerlichen Vorfall, doch Sam hatte gelernt auch in der normalsten Information den Hinweis auf Übernatürliches zu vermuten. Hier ließ ihn die Zeile: ... nicht der erste ... aufhorchen. Es musste ja nichts bedeuten, aber eine kleine Recherche konnte nichts schaden, selbst wenn es am Chlor oder einer verseuchten Klimaanlage liegen sollte. Es dauerte eine Weile, bis er die Namen der anderen Unfallopfer fand und ihn die zu einem Unfall führten, der vor mehr als zwölf Jahren in dem Schwimmbad passiert war. Einer der Bademeister arbeitete noch da. Sam nahm sich vor, diesen am Freitag zu besuchen. Kaum waren Greg und Dean zu Feuerwehr aufgebrochen, flitzte Sam nach oben, um sich in Schale zu werfen. Zuerst einmal wollte er in der Gerichtsmedizin nach Hinweisen suchen. Danach würde er wissen, ob es ein Fall für ihn war. Etwas mehr als eine Stunde später war er in Hillcrest. Er zog seinen Anzug zurecht und betrat das Gebäude, in dem die Gerichtsmedizin untergebracht war. „Samuel Cooper. Ich komme vom Gesundheitsamt. Vor drei Tagen wurde hier ein Nate Lowe eingeliefert. Er starb im Schwimmbad. Ich suche jemanden, der mir dazu Auskunft geben kann!“ „Dr. Carter ist nicht im Haus.“ „Hat Dr. Carter die Autopsie vorgenommen?“ „Ja.“ Sam verdrehte die Augen. Dean hätte jetzt seinen Charme spielen lassen und selbst diesem verstockten Studenten die benötigten Informationen aus der Nase gezogen. „Kann ich die Berichte sehen oder mit jemandem sprechen, der bei der Autopsie anwesend war?“ „Sie war allein.“ In dem Moment kam eine Frau durch die Eingangstür. „Bin wieder da, Richard", rief sie und wollte die Treppe ins Untergeschoss nehmen. „Dr. Carter!“, rief der junge Mann ihr hinterher. Er sprang regelrecht von seinem Stuhl auf, kam aus der Anmeldung und lief ihr hinterher. „Hier ist einer vom Gesundheitsamt, der mit Ihnen reden will.“ Dr. Carter blieb stehen und schaute fragend zu Sam. „Samuel Cooper“, stellte der sich vor. Er ging zu ihr und reichte ihr die Hand. „Es geht um Nate Lowe.“ Sam holte seinen Ausweis hervor. „Folgen Sie mir“, bat Dr. Carter, nachdem sie den Ausweis eines kurzen Blickes gewürdigt hatte und ging weiter. „Was möchten Sie denn wissen?“ „Die genaue Todesursache. Gab es Hinweise auf Fremdverschulden? Irgendwelche Keime, zu hohe Chlorbelastung? Ist er aufgrund eines Herzinfarktes ertrunken? Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Male?“ „Ganz schön viele Fragen auf einmal“, grinste sie, zog ihren Mantel aus und legte ihn über die Stuhllehne. Sam zuckte mit den Schultern und grinste schief. „Sie fragten, was ich wissen möchte.“ „Gut“, erwiderte sie und holte eine Akte aus der Ablage. „Er hatte Wasser in den Lungen, also gehe ich von Ertrinken aus.“ „Nur ertrunken? Wie ertrinkt man in einer gut besuchten Schwimmhalle mit Rettungsschwimmer?“, fragte Sam irritiert. „Gute Frage“, nickte Dr. Carter. „Die habe ich mir auch gestellt und weitergesucht.“ Sie blätterte um und hielt Sam ein Foto hin. „Ist das ein Handabdruck?“ Sam schaute sich das Foto näher an. Es zeigte einen Fußknöchel mit einem Bluterguss. „Sie haben ein gutes Auge. Ja, das ist ein Handabdruck. Der Größe nach der eines Teenagers, oder einer Frau.“ „Hat ein Teenager so viel Kraft? Lowe sah nicht gerade schwächlich aus. Kann der oder eine Frau ihn am Fuß unter Wasser halten bis er ertrunken ist?“ „Das ist eine der Fragen, die ich Ihnen nicht beantworten kann. In einem See vielleicht, aber in einem Schwimmbad?“, ratlos schaute Dr. Carter Sam an. „Aber da ist noch was ...“ Sie deutete auf einen kleinen roten Punkt. „Das ist eine Brandverletzung und hier“, sie gab Sam ein weiteres Foto, diesmal von der Brust des Toten, „ist eine weitere Brandverletzung. Ich denke, dass er einen Stromschlag bekommen hat.“ „Aber hätten das nicht auch die anderen Badegäste merken müssen?“ „Nicht unbedingt.“ Sie schaute ihn ernst an. „Diese Frage muss ich zum Glück nicht klären!“ „Sie gehen also davon aus, dass er einen Stromschlag bekommen hat und er dann ertrunken ist?“ Sam schaute die Pathologin fragend an. „So in etwas. Auch wenn es nicht so schnell geht, mit dem Ertrinken. Es ist und bleibt komisch! Jemand müsste etwas gesehen haben!“ Sam nickte. „Vielen Dank erstmal. Tod durch einen Stromschlag!?! Dann muss ich jetzt also herausbekommen, ob es Mord war oder eine Gefährdung der Allgemeinheit besteht und ich das Bad schließen muss.“ Er schaute zu der Gerichtsmedizinerin. „Für mich klingt das eher nach Mord. Was sagen Sie?“ „Zumindest ist es Todschlag. Vielleicht ein blöder Streich, der so ausgeartet ist“, erwiderte sie. „Dann werden Sie die Behörden informieren?“ „Ja, ich gebe es weiter.“ Sam wandte sich zum Gehen, drehte sich aber doch noch einmal zu ihr um: „Sagen Sie, haben sie zufällig auch die Autopsien an Jacob Bacic, Rosalie Foster oder Scott Beach durchgeführt? Sie starben auch in dem Bad. Ist allerdings schon eine Weile her. Mir kommt da gerade ein beunruhigender Verdacht.“ „Rosalie Foster, ja an sie erinnere ich mich. Allerdings habe ich sie nicht obduziert. Genau wie Bacic und Beach? Da müsste ich nachschauen.“ „Könnten Sie es tun?“, fragte Sam. Sie nickte und fuhr ihren PC hoch. Es dauerte eine Weile, bis sie die Dateien gefunden und geöffnet hatte. „Also beide hatten Wasser in den Lungen, keine Hinweise auf Fremdverschulden, aber auch keine Auffälligkeiten im Blutbild.“ Sie öffnete die Fotos der Leichen und winkte Sam zu sich. „Ist das da ein Schatten oder auch ein Handabdruck?“, wollte der Winchester wissen und deutete auf einen dunklen Fleck am Knöchel von Rosalie Foster. „Gute Frage“, bestätigte Dr. Carter und versuchte die Stelle so groß wie möglich zu machen, ohne die Bildschärfe völlig zu verlieren. „Ist nicht wirklich zu erkennen.“ „Und Beach?“ Wieder dauerte es einen Moment bis sie die Fotos auf dem Bildschirm hatte und auch hier war dieser Schatten zu sehen. Doch im Gegensatz zu dem Foto von Foster Knöchel konnte er die Hand hier mit etwas Phantasie ziemlich deutlich erkennen. „Das sieht wirklich wie eine Hand aus“, stellte auch Dr. Carter fest. „Gibt es hier auch diesen Marker, oder wie Sie das nannten, auf der Brust?“, wollte Sam wissen. Ungeduldig spielte er mit einem Kugelschreiber, während er in Gedanken schon nach dem Monster der Woche suchte. Wahrscheinlich wohl ein Geist. So etwas wie dieser Dr. Elicott. Aber warum sollte der in einem Schwimmbad spuken? Erschrocken zuckte er zusammen, als er etwas auf seiner Hand fühlte. Er schaute auf und in die fragenden Augen der Gerichtsmedizinerin. „Tut mir leid. Ich war in Gedanken“, erklärte er leise. „Haben Sie etwas gefunden?“ „Da war eine Verletzung. Allerdings ist nicht protokolliert, ob es ein Strommarker war.“ „Danke!“, Sam nickte kurz. „Das klingt doch sehr nach Mord auch wenn sich mir nicht erschließt, wie man jemandem im Wasser einen Stromschlag verpassen kann, ohne die anderen Gäste zu gefährden.“ Er schaute sie fragend an. „Ich nehme mal an, dass am Knöchel ist dann die Eintrittswunde, oder?“ „Das vermute ich auch.“ „Okay“, nickte Sam. „Sie haben mir wirklich sehr geholfen. Ich leite alles ans FBI weiter.“ Er verabschiedete sich von der Gerichtsmedizinerin und ging zum Impala zurück. Das unfreundliche Wesen in der Zentrale ignorierte er dabei gekonnt. Vor der Schwimmhalle wechselte Sam nur den Ausweis, bevor er aus dem Impala ausstieg. „Spezial Agent Tyler, FBI“, erklärte er und hielt der Dame an der Kasse seinen Ausweis vor die Nase. „Mit wem kann ich über die Umstände des Todes von Mr. Nate Lowe reden?“ „Wieso interessiert sich das FBI für einen Herzinfarkt?“, fragte die Kassiererin irritiert. „Wenn mein Chef will, dass ich mir das anschaue, tue ich es! Also? Mit wem kann ich jetzt reden?“ „Noah Diggs. Er hatte Dienst.“ „Wo finde ich Mr. Diggs? Hat er heute Dienst?“ „Moment ich rufe ihn aus“, erklärte sie und wandte sich ihrer Sprechstelle zu. „Mr. Diggs bitte zur Kasse kommen“, hörte Sam ihre Stimme laut durch den Flur hallen. Schon bald kam ein älterer Mann in Badehose, weißem T-Shirt und Badelatschen den Flur entlang. „Du hast mich ausgerufen, Rosi?“ „Ja, der Herr ist vom FBI und möchte mit dir reden.“ „FBI?“ „Spezial Agent Tyler“, Sam hielt auch ihm seinen gefälschten Ausweis hin. Eigentlich erstaunlich, dass alle und jeder darauf hereinzufallen schienen. Aber ihm sollte das nur recht sein. „Vorrangig möchte ich Informationen zu Nate Lowe. Es gibt Hinweise, dass dieser Herzinfarkt eine nicht ganz natürliche Ursache haben könnte.“ „Sie sprechen von Mord?“ Entsetzt starrte Diggs den Agenten an. „Es sieht danach aus, ja“, erklärte Sam ernst. „Ist Ihnen etwas aufgefallen, das nicht normal war, oder hat sich jemand komisch benommen?“ „Komisch benommen?“ „Ist er dicht hinter einem anderen Schwimmer geschwommen, unter ihm her getaucht?“, Sam zuckte mit den Schultern. „War irgendetwas anders bevor er starb oder hat er etwas gesagt? Hat sich jemand in seiner Nähe aufgehalten, der da nichts zu suchen hatte?“ „Ich weiß nicht.“ Diggs schaute zur Tür. „Egal was es war. Es mag Ihnen vielleicht unwichtig erscheinen, mir kann es jedoch bei den Ermittlungen helfen“, beschwor Sam den Rettungsschwimmer. „Gehen wir in mein Büro. Ich kann den Bereich nicht so lange ohne Beobachtung lassen“, sagte Diggs und schaute die Kassiererin an: „Kannst du ihm Badelatschen geben, Rosi?“ Sie schaute kurz zu Sam, musterte seine Füße und holte aus dem Regal hinter sich ein Paar Schlappen, die sie ihm reichte. „Ihre Schuhe können Sie mir geben“, erklärte sie. Der Winchester nickte. Er zog seine Schuhe aus und starrte auf das Loch, das inzwischen so groß war, dass seine Zehe herausschaute. ‚Das war doch heute Morgen noch ein winziges Löchlein!‘ Peinlich berührt zog er die Socken aus und stopfte sie in seine Tasche. Er schlüpfte in die Badelatschen und folgte Diggs. Kapitel 276: Ein schwieriges Thema ---------------------------------- 276) Ein schwieriges Thema „Setzen Sie sich“, sagte der Bademeister, als sie in seiner Kabine angekommen waren und wies auf einen Stuhl. Er ließ seinen Blick durch die Schwimmhalle schweifen und kontrollierte seine Monitore bevor er sich ebenfalls setzte. „Also“, begann Sam ruhig, „was wollten Sie mir nicht vor Zeugen sagen?“ „Nichts, ich wollte nur das Bad nicht so lange unüberwacht lassen“, erklärte Diggs ohne den Blick von seinen Monitoren zu nehmen. „Nur weil Sie das Bad nicht unüberwacht lassen wollten, musste mir ihre Kollegin keine Latschen raussuchen...“, erklärte Sam ruhig. „Sie haben etwas gesehen und egal was es ist. Ich werde Sie nicht verurteilen. Ich werde Ihnen glauben.“ Eine Weile schwieg der Rettungsschwimmer noch, bevor er leise zu sprechen begann. „Ich dachte ich hätte jemanden hinter ihm gesehen, jemanden wie einen Schatten. Und als Lowe dann auch noch ihren Namen flüsterte, kurz bevor er das Bewusstsein endgültig verlor ... Ich hatte ihn aus dem Wasser ziehen und wiederbeleben können. Doch er krampfte und als die Rettungssanitäter kamen, war er nicht mehr ansprechbar. Auf dem Weg ins Krankenhaus ist er dann verstorben. Ein Herzinfarkt, wie ich hörte.“ „Sie haben einen Schatten gesehen?“, brachte Sam das Gespräch wieder auf den Punkt, der ihn interessierte. „Haben sie ihn erkannt?“ „Ich dachte es, aber es kann nicht sein!“ „Wieso nicht?“ „Weil ich mir eingebildet habe sie zu sehen!“, brach es aus ihm heraus und er zeigte auf einen Zeitungsartikel, der an der Pinnwand hing. Sam erhob sich und ging zu der Wand hinüber. Schnell überflog er den Artikel. Er handelte von einer 17-Jährigen, die hier regelmäßig schwimmen kam. Sie bekam einen Krampf und ertrank. Die Eltern erhoben schwere Vorwürfe gegen das Bad und die Besucher, die an diesem Tag ebenfalls hier waren, weil alle zugesehen hatten, wie sie ertrank. „Ist das wahr?“, wollte Sam wissen. „Nein.“ Der Rettungsschwimmer wusste sofort, worum es bei der Frage ging. „Nein. Sie war allein in diesem Bereich des Beckens.“ Er deutete auf die Stelle. „Es dauerte ein paar Sekunden, eine halbe, vielleicht auch eine Minute, bis der erste Helfer bei ihr war und sie über Wasser zog, wurde mir erzählt. Sie wurde an den Beckenrand gebracht. Bei der Wiederbelebung brach ihr jemand die Rippen und eine davon hat wohl die Lunge verletzt. Es war ein Unfall, aber die Eltern wollten das nicht gelten lassen. Sie haben in ihr wohl schon einen neuen Schwimmstar gesehen.“ Diggs zuckte mit den Schultern. „So gut war sie nie, aber niemand sollte sein Kind so verlieren.“ „Sie waren nicht hier?“ „Nein, ich hatte Urlaub.“ „Sie haben sie hier gesehen, als Lowe starb?“, wollte Sam eine Bestätigung. „Sagen Sie es ruhig: Ich sehe Geister! Ich gehöre in Behandlung!“ „Ich glaube nicht, dass sie in Behandlung gehören. Jeder von uns sieht manchmal Dinge, Personen die nicht da sind, die er sich nicht erklären kann. Personen die man gerne wiedersehen würde.“ „Sie hat mir nichts bedeutet! Sie war ein Badegast wie alle anderen hier auch!“ „Trotzdem wären es Ihnen lieber, wenn sie nicht gestorben wäre und wieder hier zum Schwimmen käme.“ „Natürlich wäre es das!“ „Sehen Sie. Ich denke das ist der Grund, warum Sie sie vermeintlich gesehen haben.“ „Sie erklären mich nicht für verrückt?“ So ganz konnte Diggs es noch nicht fassen. „Es erklärt aber nicht, warum Lowe ihren Namen geflüstert hat.“ „War er bei ihrem Unfall dabei?“ „Ich könnte es mir vorstellen. Er kam regelmäßig, genau wie sie.“ „Okay.“ Sam schüttelte leicht den Kopf. „Trotzdem habe ich hier einen Mord, zumindest einen sehr schlechten Scherz mit Todesfolge aufzuklären. Also: Ist Ihnen hier jemand aufgefallen, der sich komisch verhalten hat, der andere Badegäste bedrängt oder belästigt hat? Ist hier vermehrt gestohlen worden?“ „Nein, nichts. Hier war alles wie immer, zumindest ist mir niemand aufgefallen, der sich so verhalten hätte. Klar Kinder albern immer mal rum, doch die sind eher untereinander gemein, nicht gegenüber Erwachsenen. Tut mir leid. Ich wüsste von keinem Vorfall, den ich Ihnen nennen könnte.“ „Das muss Ihnen nicht leidtun!“, Sam schaute sich um. „Die Kameras, zeichnen die auch auf?“ „Ja, wie speichern die Daten zwei Wochen.“ „Können Sie mir die Aufnahmen von dem Tag zeigen, an dem Lowe starb?“ „Setzen Sie sich da hin“, er schob einen weiteren Stuhl vor die Bildschirme, „Ich suche Ihnen die Aufnahmen raus." Zwei Stunden später hatten sich Sams Vermutungen bestätigt. Es war ein Geist und dank Diggs' Hinweis war er sich auch sicher wer dieser Geist war. Jetzt war es Zeit zurück zu fahren, wenn er noch vor Dean wieder da sein wollte. Die Recherche nach Robin Langs Grab würde er morgen von Zuhause aus machen, wenn Dean arbeiten war. Ihre Leiche konnte er dann hoffentlich in der folgenden Nacht verbrennen. So liebte er seine Fälle. Er ging zum Impala. "Hey", grüßte er die schwarze Schönheit und stieg ein. Irgendwie fand er es ja immer noch komisch mit einem Auto zu reden, doch wenn Dean es schon nicht mehr tat ... Die schwarze Schönheit sollte nicht auch noch unter Deans Amnesie leiden müssen. „Oh Gott“, stöhnte er leise und rieb sich über das Gesicht. Der Wahnsinn hatte ihn erfasst! Er zog sein Telefon aus der Tasche und drückte die Kurzwahltaste für Deans neues Handy. Nach dem dritten Klingeln meldete sich sein Bruder. „Hey, wie weit seid ihr?“, fragte er. „Halbe Stunde, Stunde vielleicht noch“, erklärte der Ältere ein wenig kurz angebunden, „warum fragst du?“ „Ich wollte Essen holen“, erklärte Sam, „Was möchtest du?“ „Chinesisch wäre schön.“ „Du liebst chinesisch!“, lachte Sam. „Aber klar. Ich hole chinesisch. Bis dann.“ Sam grinste. Jetzt hatte er gleich noch eine gute Ausrede, wenn Dean schon da war. Dann müsste er nur noch den Anzug erklären. Mit mehreren Tüten behangen schob sich Sam durch die Haustür. „Hey, bist du schon lange hier?“, fragte er und lud alles auf der Theke ab. „Fast eine halbe Stunde.“ „Oh, dann haben wir uns wohl nur um wenige Minuten verfehlt“, log Sam unverfroren, was sollte er auch sonst sagen? Von dem Fall konnte er Dean ja schlecht erzählen. In Momenten wie diesem wünschte er sich, dass er nicht entschieden hätte, ihn über ihre wahre Tätigkeit im Dunklen gelassen zu haben, doch daran konnte er jetzt nichts mehr ändern. „Warum hast du einen Anzug an?“, fragte der Ältere skeptisch. „Ich wollte sehen, ob ich ihn so anziehen kann, wenn ich mir die Unis anschauen fahre.“ „Unis anschauen?“ „Ja, ich wollte in den nächsten Wochen zu einige Unis fahren und schauen, welche mir zusagt, bei welcher ich mich für mein Jura-Studium bewerben kann.“ „Ich muss aber nicht mitkommen, oder?“, wollte Dean etwas unsicher wissen. „Wäre schon schön mal wieder mit dir zusammen unterwegs zu sein, so wie früher. Aber nein. Du hast deinen Lehrgang. Da solltest du nichts verpassen.“ „Und was ist mit deinen Kursen? Hast du frei?“ „Ja. Den Stoff kann ich problemlos aufholen. Damon schreibt für mich mit.“ „Lerne ich den mal kennen?“ Sam erzählte viel von diesem Damon und so langsam interessierte es ihn, ob das Bild, dass er von ihm hatte der Wirklichkeit entsprach. „Stellst du mir deine Freunde auch mal vor?“ „Vielleicht sollten wir uns mal alle in dem Diner von Javiers Familie treffen“, überlegte Dean. „Das ist ein ganzes Stück vom College weg, aber irgendwann schaffen wir das vielleicht“, nickte Sam „Oder wir feiern dein halbjähriges Erwachen aus dem Koma.“ „Das ist morgen, wenn das Datum stimmt. Da habe ich keine Zeit, außerdem finde ich nicht, dass das ein Grund zum Feiern ist. Ich habe mein Leben immer noch nicht zurück!“ „Vor einem halben Jahr stand fest, dass du leben wirst. Für mich ist das ein Tag zum Feiern!“, erklärte Sam. „Und der nächste Feiertag wird sein, wenn du dich wieder erinnern kannst!“ „Du hast noch Hoffnung?“ „Ich will sie nicht aufgeben!“ Dean schnaufte nur. Wollte er sich erinnern? Ja, mehr als alles andere! Aber er hatte auch Angst vor diesen Erinnerungen. Angst davor, dass sie nicht mehr zu seinem Leben jetzt passen würden. „Lass uns essen“, schlug Sam vor, um das Thema zu beenden. Hier würden sie auf keinen Nenner kommen. Hatte Bobby Recht? Wollte Dean sich nicht erinnern? Auf diese Frage würde er wohl keine Antwort bekommen, zumindest nicht so lange, bis der sich wirklich erinnerte. Gemeinsam packten sie die Tüten aus und machten es sich mit Bier und Limonade auf der Couch gemütlich. „Was macht ihr eigentlich immer auf der Feuerwache?“, fragte Sam, um ein Gespräch in Gang zu bringen. „Wir renovieren den Aufenthaltsraum. Sie wollen alles etwas umstellen und jetzt haben wir die Steckdosen umgelegt und die Anschlüsse für den Fernseher.“ Sam nickte. „Hast du schon überlegt, was du machen willst, wenn du mit der Ausbildung fertig bist? Wo willst du arbeiten?“ Dean schaute ihn einen Moment lang schweigend an. „Nein noch nicht wirklich“, sagte er dann und schüttelte leicht den Kopf. „Ein paar von uns, maximal die Besten vier, können noch ein Praktikum in der Rettungszentrale machen. Das Krankenhaus wäre eine Option, oder die Feuerwehr. Außerdem können wir uns mit der Ausbildung sofort bei der Feuerwehr bewerben, haben sie uns am Anfang erklärt.“ Dean zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung was ich machen will. Die Arbeit bei Ed macht mir Spaß und sie bringt Geld. Solange er mich braucht, will ich erstmal da bleiben und mich nebenbei in aller Ruhe umschauen.“ Sam nickte. Er staunte mal wieder wie gut sich Dean in den letzten Wochen in das normale Leben eingefügt hatte. Sein Bruder machte rasante Fortschritte. „Und du?“, wollte der jetzt wissen. „Ich hoffe, dass mein Collegeabschluss fürs Studium gut genug ist und ich eine Zusage von einer Uni bekomme. Alles andere wird sich dann ergeben.“ „Von einer Uni? Gibt es hier doch mehrere?“ „Nein. Ich habe mir mehrere Unis rausgesucht, bei denen ich mich bewerbe und einige, die ich mir noch ansehen will.“ „Das heißt wir bleiben nicht hier?“ Dean klang traurig. „Das kann ich dir nicht sagen.“ „Dann ist das alles hier, dann ist der Lehrgang ja vollkommen sinnlos! Warum willst du dann wissen, was ich vorhabe? Warum soll ich mir Gedanken über die Zeit nach dem Lehrgang machen, wenn ich hier doch keine Zukunft habe?“ „Warum sollst du hier keine Zukunft haben? Vielleicht nimmt mich die Uni hier? Du könntest auch hier wohnen bleiben und ich ziehen in ein Studentenwohnheim und komme in den Ferien her. Du hast hier Freunde und Familie.“ Das Gefühl, dass Dean ihn tatsächlich nicht mehr brauchte schnürte ihm die kehle zu. „Aber ich habe noch nie alleine gelebt! Ich weiß nicht, ob ich das schaffe!“ „Du hast Freunde hier, die dir jederzeit helfen. Bobby und Jody wären auch immer für dich da.“ „Ich will aber nicht immer alleine sein!“ „Das wolltest du noch nie“, erklärte Sam leise. Doch Dean schien ihm nicht zugehört zu haben. Er steigerte sich weiter in seine trotzige Abwehrhaltung hinein. „Du würdest auch kein Baby alleine lassen!“ „Du bist kein Baby!“, sagte Sam ruhig. „ICH“, betonte Dean wütend, „bin ein halbes Jahr alt!“ „Dafür bist du aber schon ganz schön groß!“, konnte sich Sam nicht verkneifen zu sagen. Dean warf ihm einen wütenden Blick zu, wandte sich ab und wollte in seinem Zimmer verschwinden. Sam beeilte sich seinem Bruder den Weg zu vertreten. Er umfasste seine Schultern und wartete, bis der zu ihm aufsah. „Was?“, fauchte Dean. „Ich wollte dich nicht ärgern. Es ist nur so widersprüchlich dich zu sehen und dich mir gleichzeitig als halbjähriges Baby vorzustellen. Entschuldige bitte! Irgendwie hast du ja Recht. Deine Erinnerungen reichen nur ein halbes Jahr zurück. Allerdings hast du in dem halben Jahr mehr gelernt als mancher in seinem ganzen Leben. Nein, Dean, du bist kein Baby und ja, es gefällt mir auch nicht, ohne dich umziehen zu müssen. Ich würde lieber mit dir zusammenbleiben.“ Er schluckte und grinste. „Das klingt jetzt, als wären wir ein verliebtes Pärchen!“ Schnell wurde er wieder ernst. „Ich kann dich verstehen, Dean. Wir waren ein Leben lang zusammen, du hast dich dein Leben lang um mich gekümmert und ich würde mich freuen, wenn wir auch weiterhin verbunden blieben. Ich weiß noch nicht, was im nächsten Sommer auf mich zukommt, wohin es mich verschlagen wird und ich denke, es wäre das Beste, dass wir uns darüber erst Gedanken machen, wenn wir mehr wissen. Ist das für dich okay?“ „Ich will hier nicht weg und ich will nicht alleine sein!“, erklärte der Ältere trotzig. „Ich brauche dich doch! Wer soll mir denn sonst die Welt erklären, wer soll mein Essen essen und mit wem soll ich mich streiten?“ Ich hab doch nur dich!“ Er schniefte. Sam versuchte die Tränen, die plötzlich in seine Augen drängen wollte herunter zu schlucken. Er atmete durch: „Wir haben noch mehr als ein halbes Jahr Zeit. Vielleicht nimmt mich ja auch keine der Unis, die ich mir raussuche.“ Sam schüttelt den Kopf. „Die Zukunft ist so unsicher wie die Tatsache, dass du dich erinnern wirst. Ich hoffe auf Beides, aber es gibt keine Garantie.“ Dean holte tief Luft und nickte dann kurz. „Ich möchte jetzt trotzdem in mein Zimmer!“ erklärte er und Sam ließ ihn los, trat aus dem Weg und seufzte, nachdem sich die Tür hinter seinem Bruder geschlossen hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er seinen Mund gehalten hätte, aber er wollte nicht lügen. Jetzt hatte Dean Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und das fand er besser, als wenn er ihn kurz vor Ultimo damit überfahren hätte. Noch einmal schaute er auf Deans Tür, seufzte und stieg die Treppe hoch in sein Zimmer. Er wollte noch recherchieren, um diese Todesserie in Hillcrest zu beenden. Kapitel 277: Von der Uni zum nächsten Fall ------------------------------------------ 277) Von der Uni zum nächsten Fall Drei Stunden später hatte Sam den Friedhof ausfindig gemacht. Es war kurz vor zwei. Er rieb sich über das Gesicht. Sollte er jetzt gleich noch los? Eigentlich wäre es das Sinnvollste. Nein nicht nur eigentlich. Heute war Samstag und Dean würde in ein paar Stunden zur Arbeit fahren. Es war die beste Gelegenheit ausschlafen zu können, ohne dass jemand fragen kam. Er klappte seinen Laptop zu, nahm seine Jacke und schlich sich aus dem Haus. Den Impala versuchte er möglichst leise zu starten und ohne viel Gas vom Hof zu rollen. Dean hörte den Wagen trotzdem. Er blinzelte kurz, drehte den Kopf auf die andere Seite und schlief wieder ein. Sam fuhr zum Friedhof von Hillcrest. Es war eine regnerische Nacht, was ihm die Arbeit zumindest soweit erleichterte, dass kaum jemand unterwegs war, schon gar nicht auf dem Friedhof. Das war aber auch schon alles. Das Graben war mühselig, die Erde schwer und nicht nur einmal rutsche ein Teil des Randes ab, den er fluchend wieder nach oben schaufeln musste. Verdammtes Wetter! Letztendlich schaffte er es aber doch den Sarg freizulegen. Er zerschlug den Deckel, streute Salz über den verwesten Körper, schüttete reichlich Benzin darüber und zündete alles mit einem Streichholzbriefchen an. Sofort loderten die Flammen hoch und Sam kam nicht umhin die plötzliche Wärme zu genießen. Das Feuer brannte herunter und er begann das Grab wieder zuzuschaufeln. Müde, zerschlagen und frierend kam Sam zurück zu ihrem Häuschen. Er duschte ausgiebig und machte sich dann in der Mikrowelle eine Tasse Milch heiß, um sich auch innerlich wieder aufzuwärmen. Er saß an der Theke und schlürfte seinen Kakao. Die Tür zu Deans Zimmer öffnete sich und gleich darauf stand ein verschlafen blickender Dean vor ihm. „Warst du weg?“, fragte er leise. „Ja, ich hab mir Kopfschmerztabletten geholt“, log Sam. „Und was gegen Erkältung. Ich glaube ich hab mir was eingefangen.“ „Soll ich dir einen Tee kochen?“ „Das ist lieb von dir, aber danke, nein. Ich habe mir Kakao gemacht und gehe auch gleich wieder ins Bett. Außerdem musst du doch gleich wieder arbeiten. Leg dich lieber nochmal hin und schlaf noch etwas“, bat Sam. Er fühlte sich schlecht seinen Bruder so angelogen zu haben. Aber was hätte er sonst sagen sollen? Dean blickte ihm in die Augen, bevor er kurz nickte und wieder in seinem Zimmer verschwand. So einfach war das wohl nicht mehr, mit dem Davonschleichen, überlegte Sam. In aller Ruhe trank er seine Tasse leer und ging dann ebenfalls ins Bett. Er konnte ausschlafen und als Dean abends vom Arbeiten kam, empfing er ihn mit Steak, Süßkartoffelbrei und Salat. „Wie geht’s deiner Erkältung?“, fragte Dean beim Essen. „Ich scheine sie im Keim erstickt zu haben.“ „Dann können wir morgen zu Jody?“ „Aber klar. Ich weiß doch wie sehr du dich auf jeden Sonntag freust.“ Dean lächelte und Sam versuchte zu ignorieren wie sehr es ihn schmerzte, dass sein Bruder einfach nicht mit Bobby warm wurde. Der erste Universitätsbesuch stand an. Mit dem Rucksack in der Hand kam Sam die Treppe herunter. „Ich dachte du wolltest nach der Arbeit fahren“, stellte Dean leise fest. „Ich fahre nach der Arbeit. Aber so muss ich nicht nochmal herkommen.“ „Wann kommst du wieder?“, wollte Dean leise wissen. Ihm gefiel der Gedanke, dass Sam irgendwo anders studieren wollte noch immer nicht. Sein Leben hatte sich gerade erst zusammengefügt, er hatte gerade begonnen sich sicher zu fühlen und jetzt war wieder alles offen. „Morgen Abend. Spätestens Samstag wenn du von der Arbeit kommst, bin ich wieder da.“ „Okay“, nickte er nur und packte das Lunchpaket für seinen Bruder. „Du bist der Beste, weißt du das?“, stellte Sam leise fest. „Wenn es dich nicht geben würde, müsste man dich erfinden!“ Dean schaute ihn einfach nur stumm an, doch seine Augen sagten ihm ganz deutlich: Wenn das so wäre, würdest du nicht woanders studieren wollen! Sam seufzte leise und schob diesen Vorwurf beiseite. Es brachte nichts jetzt darüber zu diskutieren, solange sie die endgültigen Fakten nicht kannten. Aber er machte sich jetzt schon mal auf eine anstrengende Diskussion gefasst, doch jetzt stand erstmal die Schule an. Lächelnd lief Sam am Abend zum Impala und warf seinen Rucksack auf den Rücksitz. Es war ein tolles Gefühl wieder auf Tour zu gehen, wenn auch die Wehmut, dass Dean nicht an seiner Seite war, ihm ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Immerhin war es lange nicht so groß wie zu der Zeit, als Dean als Wolf durch die Wälder lief. Da fiel ihm ein, dass er seinen Bruder immer mal fragen wollte, wie er nach Kalifornien gekommen war. Das war nicht gerade ein Katzensprung gewesen. Die Chance auf eine Antwort hatte er wohl vertan. Zumindest vorerst. Er schaltete das Radio ein und fuhr los. Kurz vor eins kam er in Madison, Wisconsin, an. Er checkte im ersten Motel ein, das auf seinem Weg lag und es entpuppte sich als gute Wahl. Das Zimmer war sauber und ohne Blümchentapete und die Matratze war zumindest so neu, dass sich noch keine Kuhle gebildet hatte. Er schlief hervorragend und für seine Verhältnisse auch ziemlich lange. Doch das war egal. Sein Termin für die Besichtigung war erst um zwölf. Er duschte ausgiebig und ging danach in dem Diner frühstücken, das keinen Block entfernt lag. „Was darf‘s sein?“, fragte die Bedienung, eine zierliche Brünette. „Was ist das Studentenfrühstück?“, wollte Sam wissen und schenkte ihr ein Lächeln. „Kaffee, Müsli mit Milch, oder wahlweise auch ein Berg Pfannkuchen, und Rührei auf Toast.“ „Und das wird genommen?“ „Sehr gerne. Es ist wirklich lecker.“ „Okay, dann die Variante mit dem Müsli und den Kaffee mit viel Milch, bitte.“ „Gerne.“ Sie verschwand in der Küche und ließ Sam alleine. Er schaute sich um und zog sich dann die aktuelle Tageszeitung heran. „Sind Sie Student?“, fragte sie ihn, als sie sein Frühstück vor ihm abstellte. „Ich hab Sie hier noch nie gesehen.“ „Nein, ich will mich hier umschauen. Vielleicht studiere ich ja nächstes Jahr hier.“ „Was wollen Sie studieren?“, fragte sie neugierig. „Jura.“ Neue Gäste betraten das Diner. Die Bedienung wandte sich ihnen zu und ließ Sam in Ruhe frühstücken. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch Zeit hatte und so wandte er sich wieder der Zeitung zu. Auf Seite drei berichtete ein Reporter, dass der Rat einen Abriss des alten Foster-Haus in der Nähe der Eisenbahn nicht beschlossen hatte, weil die finanziellen Mittel dafür nicht da wären, dass aber der städtische Bauhof das Gelände einzäunt, um die örtliche Jugend zu schützen. Sam schnaubte. Als ob ein Bauzaun Kinder davon abhalten würde, in ein baufälliges Haus zu gehen. Er warf noch einen Blick auf die Uhr, faltete die Zeitung zusammen und winkte der Bedienung um zu zahlen. Die Besichtigungstour war interessant und informativ. Die Uni gefiel ihm auch sonst so gut, dass Sam an deren Ende seine Bewerbungsunterlagen einreichte. Vielleicht hatte er ja Glück und wurde angenommen. Dann könnte er an den Wochenenden nach Hause fahren. Sieben Stunden waren zwar kein Pappenstiel, aber auch nicht so weit weg, dass er das nicht schaffen konnte. Es war kurz vor vier und er überlegte, ob er gleich noch zurückfahren sollte. Dean würde sich freuen. Zuerst wollte er aber noch einmal die Gastfreundschaft des kleinen Diners in Anspruch nehmen. Danach würde er weitersehen. Nach dem guten Essen ging er zu Fuß zurück zum Motel. Er hatte sich entschlossen gleich zu fahren. Ein Wagen parkte kurz vor ihm am Straßenrand. Eine Frau, ganz in schwarz, stieg aus der Beifahrerseite aus, öffnete die Tür zum Rücksitz und zerrte einen Jungen von vielleicht zwölf Jahren heraus. „Ich will dass du nie wieder auch nur in die Nähe dieses Hauses gehst, ist das klar?“ Ihre Stimme klang verweint und Sam sah den Jungen nicken. In der Zwischenzeit war auch der Mann ausgestiegen. Er öffnete ebenfalls die Tür zum Fond und ließ ein Mädchen aussteigen. „Sei nicht kindisch, Zoe. Wir haben auch im Foster-Haus gespielt.“ „Das ist über dreißig Jahre her und damals war das Haus auch nicht halb eingefallen! Wer weiß was da lauert.“ Sam passierte das Paar und hörte ihn in seinem Rücken fragen: „Was soll denn da lauern?“ „Asbest? Schimmel? Joeys Gesundheit war angegriffen. Trotzdem hätte er nicht sterben müssen! Ich bin mir sicher, dass das Haus schuld daran ist und ich will nicht ...“ Sie schluchzte. „Ich will keines meiner Kinder beerdigen müssen!“ Ihr Mann nickte nur stumm. Nein! Das wollte er auch nicht. Auf dem letzten Stück Weg zum Motel wanderten Sams Gedanken in alle Richtungen. War das Zufall? War es ein Fall? Konnte er sehenden Auges abreisen? Was wenn wieder Kinder starben? Oder war es einfach nur Pech für den Jungen und er hatte sich mit Schimmelpilzen infiziert? Letztendlich entschied er sich für eine Art Kompromiss. Er würde das Internet durchsuchen, was er über das Haus und den toten Joey finden konnte und er wollte sich das Haus ansehen. War es ein Fall und konnte er jetzt etwas ausrichten, gut. War es einfach nur ein Unfall? Noch besser. War es aber ein Fall und bedurfte der einer längeren Recherche, dann sollte Bobby einen anderen Jäger finden. Er wollte und würde morgen zurückfahren. Das hatte er Dean versprochen! Schon bald hatte Sam einen Wust an Informationen zusammengetragen. Die Familie Foster galt als mehr als seltsam und da war es kein Wunder, dass die Menschen redeten. Angeheizt wurde die Gerüchteküche durch den Unfalltod des Mannes, nach dem seine Frau den Ort verließ. Das Haus verfiel und die Kinder und Jugend der Umgebung fand es toll sich in diesem Haus bei Mutproben ihre Portion Grusel zu holen. „So viel zur Geschichte“, murmelte Sam und schaute auf seine Notizen. Kinder berichteten davon, dass sie glaubten jemanden gesehen zu haben, einige sagten auch, dass es sich angefühlt hätte, als hätte sie jemand berührt oder sogar geschubst. Außerdem hatten Jugendliche vor ein paar Jahren in dem Haus mit Feuerwerk experimentiert und dadurch ein paar Wände und einen Teil des Küchenbodens zum Einsturz gebracht. Grübelnd tippte sich Sam mit dem Stift an die Unterlippe und begann auf dessen Ende herumzukauen. Wann war der Einsturz und wann waren diese Geistersichtungen? Wann begannen sie? Vor oder nach dem Einsturz? Noch einmal ging er seine Fakten durch und suchte die Daten zu den einzelnen Sichtungen heraus. „Nach dem Einsturz, also“, murmelte er leise. „Gut.“ Sein Blick wanderte zum Fenster, hinter dem die einbrechende Dämmerung den Beginn der Nacht verkündete. Sam schaltete seinen Laptop aus, stand auf und nahm sich seine Jacke. Er fuhr zu einem Baumarkt und kaufte einen Sack Steinsalz und einen Kanister für Benzin. Seit sie nach Deans Unfall bei Bobby eingezogen waren, war der Kofferraum des Impalas komplett leergeräumt. Nichts erinnerte mehr an das Geheimfach unter der Abdeckung. Kapitel 278: Geistervernichtung ------------------------------- 278) Geistervernichtung Das Haus lang im Schatten einiger Bäume, halb versteckt hinter Sträuchern, hinter denen Sam den Impala abstellte. Die Taschenlampe hatte er schon auf dem Beifahrersitz liegen. Er nahm sie, stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu. Langsam umrundete er den Bauzaun, der das Haus umgab. Nach der Runde wusste er, dass er da eigentlich nicht hineingehen wollte, aber wer fragte schon nach wollen? Er schob sich zwischen zwei Zaunfeldern hindurch und betrat das Haus durch den Hintereingang. Sah das Äußere des Hauses schon schlimm aus, das Innere war verheerend. Die Decke des Obergeschosses hing an einigen Stellen herunter, da hier eine komplette Wand fehlte. Die Treppe nach oben hing schief und Sam war sich nicht sicher ob sie ihn tragen würde, wenn er nach oben müsste. Erstmal wollte er sich hier umschauen. Diese Geistererscheinungen gab es erst seit dem Einsturz, also müsste es ja mit irgendwelchen Schäden im Mauerwerk oder Boden zu tun haben. Er ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die Wände und den Boden gleiten. Ihm fiel nichts Verdächtiges auf. Plötzlich sah er im Augenwinkel eine Gestalt. Er fuhr herum, doch der Schatten, Geist oder was immer es war, war weg. Er hörte ein Geräusch, das klang als würden Füßchen über ein Treppe trappeln. „Allein“, hörte er wie einen Windhauch durch das Haus wehen. Er runzelte die Stirn. Hatte er das Wort wirklich gehört? Egal! Viel wichtiger war, ob die Gestalt nach oben oder nach unten gelaufen war, denn das jemand neben ihm gestanden hatte, stand für ihn nicht zur Debatte. Er wusste, dass es Geister gab. Noch einmal warf er einen Blick auf die nach oben führende Treppe und entschied sich spontan für den Keller, in dem es nur zwei Räume gab. Er schaute sich beide an. In dem unter der Küche verweilte er länger. Ein großer Riss in der Wand zeigte wie stark die Explosion gewesen sein musste. Diese Kinder hätten sich umbringen können! Sam sah sich den Riss genauer an. An einer Kante sah die Wand anders aus, so als hätte jemand ein Loch neu verputzt, ein ziemlich riesiges Loch. Er untersuchte die Kanten. Irgendwie sah eine Stelle aus, als ob etwas in den Riss steckte. Sollte er … Nein. Nicht mit bloßen Händen! Er stieg die Treppe wieder nach oben, ging zum Impala und kam mit Benzin, Steinsalz und der Verlängerungsstange für den Wagenheber zurück. Er zog einen Salzkreis um den Riss. Bislang war der Geist ihm gegenüber eher desinteressiert gewesen. Er wollte jedoch nicht ausprobieren, ob es auch so blieb, wenn er merkte, dass es um seine Existenz ging. Kaum war der Halbkreis fertig, begann er auch schon den Riss zu erweitern. Er brach gerade den zweiten Betonbrocken los, als sein Blick auf einen Knochen fiel. „Oh Gott!“ Hastig arbeitete er weiter. Schnell wurde aus dem verdrängten Gedanken Gewissheit. Hier war ein Kind eingemauert worden! Ein eisiger Schauer rann über Sams Rücken. Nach und nach legte er das Skelett frei. Die Kleidung, die es teilweise noch trug ließ ihn darauf schließen, dass es hier schon eine halbe Ewigkeit versteckt war. Am Salzkreis erschien das Kind. Es sah komisch aus, irgendwie verschoben. „Alleine“, wisperte es und klang dabei wie Wind, der durch einen hohlen Baum strich. Die nächste Gänsehaut jagte über Sams Körper. „Du kannst gleich zu deiner Familie!“, versprach der Winchester verbissen und riss einen weiteren Brocken von der Wand. „Nein!“, protestierte der kleine Geist und verschwand. Der Schädel des Kindes fiel herunter und rollte bis zur Salzlinie. Über sich hörte Sam etwas poltern. Er schluckte und arbeitete noch verbissener weiter. Endlich hatte er eine so große Fläche freigelegt, dass unmöglich noch Knochen in der Wand sein konnten. Großzügig verteilte er erst das Salz dann Benzin auf dem Boden und an der Wand. Er riss ein Streichholzbriefchen an, ließ es fallen und sprang aus dem Kreis. Sollte sich der Geist doch noch gegen ihn wenden wollen, so würde es jetzt wohl nicht mehr so schlimm werden. Doch das Geisterkind tat nichts in dieser Richtung. Es stand einfach nur da und starrte auf das Feuer, bis es plötzlich selbst in Flammen stand. Seine Augen weiteten sich … Dann war es auch schon vorbei. Sam fühlte noch einen Nachhall der Hitze auf seiner Haut. Er streckte sich, klopfte sich den Staub von der Kleidung und sammelte Kanister und die improvisierte Brechstange ein. Auf dem Weg zum Impala machte sich wieder dieses warme Gefühl in seiner Brust breit, das er schon bei den letzten beiden Fällen hatte. Er fuhr ins Motel zurück. Bevor er ins Bett ging, telefonierte er noch mit Dean. Er erzählte von seinem Besuch bei der Uni und fragte nach seinen Bruder nach dessen Tag. Dean erzählte vom Unterricht und ein wenig von der Arbeit bei der Feuerwehr. Am nächsten Morgen machte er sich auf den Heimweg. Dieses Hochgefühl begleitete ihn. Unterwegs besorgte er chinesisches Essen, Dean mochte es und er wollte ihm eine kleine Freude machen, wenn er ihm mehr von der Uni uns seiner Bewerbung erzählte. Sam hatte gerade den Tisch gedeckt, als Dean zur Tür herein kam. Schnuppernd trat der näher. „Du hast chinesisch geholt?“, fragte er unsicher. Wollte Sam ihm jetzt einfach nur eine Freude machen oder kam gleich der große Hammer und er ging an diese Uni? „Ja, ich hatte Lust drauf und da du es ja auch gerne magst, dachte ich, ich bringe was mit.“ Dean lächelte schüchtern und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Als sie ihre Teller geleert hatten, konnte Dean seine Ungeduld nicht mehr beherrschen. Noch immer wartete er auf das drohende Unheil. „Und? Gehst du jetzt an diese Uni?“, platzte es aus ihn heraus. „Das weiß ich nicht“, antwortete Sam ruhig. „Sie hat mir gefallen und ich habe meine Bewerbungsunterlagen dagelassen.“ Er überlegte kurz. „Das ist wie bei unserer Wohnungssuche. Da haben wir die genommen, die uns so richtig gut gefallen hat. Dieses Mal muss ich jemandem richtig gut gefallen. Deshalb will ich auch zu mehreren Unis. So wie du gerne Feuerwehrmann werden willst, möchte ich Jura studieren“, erklärte er geduldig. „Dazu muss ich an einer Uni lernen. Ich würde gerne hier im Sioux Falls auf die Uni gehen, aber ich weiß nicht, ob sie mich wollen.“ Er seufzte leise. „Du könntest aber auch mit mir mitkommen.“ Er hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, dass das sehr viel verlangt ist, Dean. Aber mit der Ausbildung könntest du überall arbeiten und so schnell wie du hier Freunde gefunden hast, würdest du auch neue Freunde finden. Oder ich ziehe alleine um. Du hast Jody und Bobby, deine Freunde und deine Arbeit. Ich komme in den Ferien her und wir denken darüber nach wo wir leben wollen, wenn ich mit dem Studium fertig bin.“ Sam fuhr sich durch die Haare. „Es ist alles etwas viel so auf einmal, das verstehe ich. Aber noch haben wir Zeit bis wir uns wirklich entscheiden müssen. Ich wollte dich nicht überfahren und vor vollendete Tatsachen stellen, deshalb habe ich dir das alles schon jetzt erzählt. Denk einfach mal darüber nach, ja?“ Dean musterte seinen Bruder stumm. „Ich möchte hier nicht weg. Aber ich möchte auch nicht alleine hier bleiben“, begann er leise. „Ich bin gerne hier mit dir. Ich ...“ er schüttelte den Kopf. Hatte er sich jetzt richtig ausgedrückt? „Du bist die einzige Konstante in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob ich das alleine auch so schaffe.“ Er ließ den Kopf hängen. Abrupt drehte er sich um und verschwand in seinem Zimmer. Er musste das Ganze erst einmal verarbeiten. Bisher war es nur eine dunkle Wolke weit hinten am Horizont, doch plötzlich brach das Gewitter über ihn herein. Es machte ihn traurig, dass Sam nicht hier mit ihm leben wollte. Alle Pläne die Bobby, Jody, Sam und Dean für diesen Tag gehabt hatten und die einen Aufenthalt im Freien beinhalteten, wurden schon am Morgen vom Wetter zunichte gemacht. „Gut, dass es gestern nicht geregnet hat“, sagte Dean leise und stocherte weiter in seinem Pfannkuchen herum. „Habt ihr draußen gearbeitet?“, ging Sam nur zu gerne darauf ein. Dean hatte das Gespräch über die Uni wohl noch immer nicht richtig verdaut. Wenigstens redete er noch mit ihm. Vielleicht konnte er ihn ja so etwas ablenken. „Ja, wir haben das Dach mit Wellblech gedeckt.“ „Du kannst auch Dach decken?“, Sam schaut seinen Bruder bewundernd an. „Du bist echt ein Unikum an Talenten. So langsam komme ich mir ganz nutzlos vor.“ „Warum? Du willst Anwalt werden. Die verdienen viel mehr als Bauarbeiter.“ „Stimmt. Aber auch ein Anwalt braucht ein Haus.“ Dean nickte. „Ich könnte nie vor Menschen reden. Ich mag es ja schon nicht, wenn ich im Unterricht antworten soll.“ „Auch das wird sich irgendwann geben, wenn du es willst und wenn nicht?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Wenn du kein Politiker werden willst, musst du das auch nicht.“ „Ich glaube nicht, dass ich das je möchte!“ Sam grinste. Sein Bruder war noch nie ein Mann der wohlgesetzten Worte gewesen, auch wenn es mit der Zeit besser geworden war und er sich auch mal zurückhalten konnte. Sie frühstückten in Ruhe zu Ende, räumten auf und machten sich dann auf den Weg zum singerschen Schrottplatz. „Wir wollten heute einen Eastwood-Filmenachmittag machen“, eröffnete Bobby ihnen nach der Begrüßung. „Nicht die Affen-Filme, bitte“, stöhnte Sam. „Die auch.“ Sam verdrehte die Augen. „Hat der denn so viele Filme gemacht“, fragte Dean, „dass die für einen weiteren Nachmittag reichen?“ „Ich glaube wir könnten noch ein Woche nur seine Filme gucken“, antwortete Sam. „Oh, schön!“, freute sich Dean. „Wann fangen wir an?“ „Wir können in einer halben Stunde essen.“ Jody sah Sams unruhige Blicke immer wieder zu Bobby wandern und wandte sich an Dean. „Du kannst mir bei den Muffins helfen.“ Sofort nickte der und ging in die Küche. „Muffins?“, fragte Sam. „Zum Filmenachmittag gehören Muffins“, informierte sie ihn und folgte ihrem Gehilfen, „und Chips und Zuckerkekse und Brownies!“ Aber diesen Einwurf hörte Sam schon nicht mehr, denn er war schon im Büro verschwunden. „Was kann ich für dich tun?“ Natürlich waren Bobby Sams Blicke nicht entgangen und er ihm also sofort gefolgt. „Bist du nächsten Samstag da?“ „Ja, warum?“ „Ich bin mit den Vorbereitungen für das Jägernetzwerk soweit fertig und wollte es Samstag einrichten.“ „Gut, das können wir tun, aber das ist nicht alles, oder?“ „Nein. Ich wollte dich bitten Madison, Wisconsin im Auge zu behalten. Es sind mehrere Kinder gestorben. Ich habe den Geist in der vorletzten Nacht vernichtet. Ich will nur sicher gehen, dass es wirklich an ihm lag und ich nichts übersehen habe.“ „Du hast schon wieder gejagt?“, fragte Bobby missbilligend. „Ja. Ich war vor Ort und bin darüber gestolpert. Allerdings wäre ich auf jeden Fall gestern wieder hergekommen, auch wenn ich ihn nicht vernichtet hätte. Dann hättest du dich um einen Jäger kümmern müssen!“ „Ich achte darauf, aber du solltest auch darauf achten, dass du hier einen Menschen hast, der dich braucht und der wichtiger sein sollte, als alle anderen Menschen!“ Sam nickte etwas gereizt. „Natürlich ist Dean wichtiger als alle anderen. Aber Dean kommt inzwischen sehr gut alleine zurecht und ganz ehrlich: Ich sehe nicht wirklich ein, dass ich den anderen nicht auch helfe, wenn ich vor Ort bin und es kann.“ Er schaute noch einmal zu Bobby und ging in die Küche, um jeder weiteren Diskussion aus dem Weg zu gehen. Bobby seufzte. Wenn Dean so reagierte hätte, hätte Sam sich aufgeregt. Er konnte nur immer wieder darauf verweisen, dass Dean ihn brauchte und dass sie ausgestiegen waren. Und hoffen, dass Dean sich endlich erinnerte. Kapitel 279: Perspektivverschiebung in Charlotte ------------------------------------------------ 279) Perspektivverschiebung in Charlotte „Was ist das denn?“, fragte Sam in der Küche angekommen mit einem entsetzten Blick auf die Theke. „Alles was man für einen Filmenachmittag braucht“, informierte ihn Bobby grinsend. „Muffins, Zuckerkekse, Popcorn, Brownies und Chips.“ „Und wie bekomme ich Dean im Zuckerrausch später ins Bett?“, wollte Sam wissen. Die gespielte Panik in der Stimme konnte seine sich nach oben kräuselnden Mundwinkel allerdings nicht ganz kaschieren. „Das ist dein Problem!“, grinste ihn Jody an. „Zuckerschock? Ist das schlimm? Das will ich nicht. Darf ich das nicht essen?“, platzte es aus Dean heraus, den Blick sehnsüchtig auf die ganzen Leckereien gerichtet. „Du darfst alles essen“, erklärte sie ruhig und lächelte ihn an. „Vielleicht kannst du heute Nacht etwas schlechter schlafen, aber selbst das glaube ich nicht! Dein Bruder ist einfach eine Spaßbremse!“ „So wird es wohl sein“, brummelte auch Bobby gutmütig. „Ach macht doch was ihr wollte“, warf Sam ein und zwinkerte Dean zu. „Machen wir!“, sagten Dean und Jody wie aus einem Munde und grinsten sofort breit. „Wie hast du geschlafen?“, begrüßte Sam seinen Bruder am nächsten Morgen beim Frühstück. „Ganz gut, warum?“ Dean schaut von seinem Frühstück auf. Hatte Sam etwa mitbekommen, dass er mal wieder einen seiner Albträume hatte? „Wegen des ganzen Zuckers in deinem Kreislauf.“ Innerlich atmete Dean auf. „Nein, damit hatte ich keine Probleme. Du?“ „Ich hab lange nicht so viel in mich hineingestopft wie du“, erwiderte Sam lächelnd. „Ich könnte das jeden Tag machen“, sagte Dean leise. „Das Süße oder die Filme?“ „Beides?“ „Ich denke dieser Wunsch wird sich bald erfüllen lassen. Es wird Herbst und schon bald werden wir viel schlechtes Wetter haben.“ „Herbst“, überlegte Dean. „Danach kommt Winter?“ Fragend schaute er zu Sam. „Danach kommt der Winter“, bestätigte der und freute sich darauf seinem Bruder die Schönheiten dieser Jahreszeit zeigen zu können. „Der Herbst hat auch schöne Zeiten.“ Sam dachte an die Pferde, die Dean schon ewig nicht mehr gesehen hatte. „Einen Ritt durch den Herbstwald, wenn das Laub raschelt, zum Beispiel.“ „Wann soll ich das denn machen?“ „Wenn du dir mal etwas mehr Zeit für dich nehmen würdest. Vielleicht solltest du mal über einen freien Samstag im Monat nachdenken?“ Dean legte den Kopf schief und kaute auf seiner Unterlippe. Vielleicht sollte er das. Aber gerade Samstag verdiente er richtig viel Geld. „Die nächsten zwei geht nicht, da habe ich Ed schon zugesagt“, erklärte er. „Den Samstag danach kann ich nicht, da haben wir, da wollte ich nach Charlotte, zu der Uni.“ „Wie viele Unis musst du dir denn anschauen?“, fragte der Ältere verwundert. „Wohl so einige. Ich bin älter als die meisten Studenten und wohl auch lange nicht mehr so gut, wie ich mal war. Das schmälert meine Chancen, also muss ich mehr Bewerbungen schreiben.“ Dean nickte nur. Er hatte sich mit Sams Uniplänen inzwischen auseinander gesetzt, hatte sich einige Nächte damit um die Ohren geschlagen und war zu der Erkenntnis gekommen, dass er jetzt nichts machen konnte. Sam würde umziehen, wenn er einen Studienplatz bekam und er wollte nicht alleine bleiben. Sam war sein Rettungsanker, der auf ihn aufpasste, wenn er zuviel wollte, der ihn im hier und jetzt hielt, wenn er zuviel über seine nicht vorhandene Vergangenheit nachdachte und der ihn erdete, wann immer er Gefahr lief sich trotz allem zu verlieren. Sam war immer da und er lebte gerne mit Sam zusammen. Inzwischen hatte er auch wieder ein Zeitgefühl entwickelt und konnte einschätzen wie weit der Sommer noch entfernt war. So lange wollte er weiter bei Ed arbeiten und sich auch nach der Ausbildung zum Rettungssanitäter in dieser Richtung bewerben. Erfahrungen zu sammeln konnte nie verkehrt sein, das hatte ihm auch Krista erklärt. Außerdem machte ihm die Arbeit bei Ed auch immer noch Spaß. Er konnte sich körperlich austoben und danach auch fast immer ohne Albträume schlafen. „Charlotte?“, fragte er und schaute zu Sam. Der nickte. „North Carolina.“ „Willst du noch woanders hin?“ „Ich weiß noch nicht“, gab Sam ehrlich zu. Er hatte sich noch die eine oder andere Uni ausgeguckt. Ob er die aber besuchen würde, kam wohl darauf an, wie er sich in Charlotte entschied und ob er inzwischen vielleicht eine Zusage oder Absagen bekommen hatte. Dean nickte. Er räumte sein Geschirr in die Spülmaschine. „Ich muss los“, sagte er leise und ging zur Tür. Die Tage bis zu Sams Fahrt nach Charlotte verging wie im Flug. Er packte seine Tasche und verabschiedete sich von Dean. „Ich bin ja nicht so lange weg. Vielleicht siehst du es als Test an, ob du wirklich alleine klar kommst und was wir vielleicht noch mehr üben, oder ich dir erklären soll. Ich weiß dass du das kannst, Dean.“ Er schaute seinem Bruder tief in die Augen und lächelte zuversichtlich. ‚Ja. Dean würde klarkommen!‘ Er ging zum Impala, stieg ein und lenkte ihn, mit einem kurzen Gruß an seinem Bruder, auf die Straße. Ruhe und eine schwer zu beschreibende Art von Glück breitete sich in Sam aus. Der Impala schnurrte gleichmäßig, auch wenn Sam sich einbildete, dass er zufriedener wäre, würde Dean hinter dem Lenkrad sitzen. Nein, das bildete er sich nicht nur ein. Irgendwie fühlte es sich mit Dean besser an, über die Straßen zu rollen. „Oh Gott“, stöhnte er leise und schimpfte sich selbst schizophren. Er hatte ein Leben in Aussicht, von dem er sich immer sicher war, es genau so leben zu wollen und jetzt fühlte er sich glücklich mit dem Wissen eine lange Strecke im Impala vor sich zu haben? Wie sehr hatten die letzten … Sam zögerte. Sollten es wirklich schon fast fünf Jahre sein? War es fast fünf Jahre her, dass Dean ihn aus Stanford geholt hatte, um Dad zu suchen? Einerseits hatte sich so viel in diesen Jahren ereignet, dass es für 20 Jahre gereicht hätte, andererseits konnte er kaum glauben, dass wirklich schon fünf Jahre vergangen sein sollten. So sehr er sich ein sesshaftes Leben gewünscht hatte, so wenig er seine Klasse mochte, so sehr hatte er dieses Unterwegssein vermisst, wurde ihm gerade klar. Noch konnte er sich das leisten, aber der Lehrstoff wurde auch für ihn schwieriger und er würde wohl bald noch mehr lernen müssen. Und er wollte Dean mehr mit einbeziehen! Doch jetzt wollte er zuerst einmal die Fahrt und Charlotte genießen. Müde und erschöpft kam Sam in sein Zimmer. Er stellte sein Essen auf den kleinen, klapprigen Tisch und entledigte sich seiner Jacke, die er auf den zweiten Stuhl warf. Seine Füße schmerzten vom vielen rumlaufen. Er hatte sich die Uni angesehen und war sich noch nicht schlüssig, ob er hier studieren wollen würde. So wirklich hatte er noch keine Meinung dazu. Nach der Besichtigung der Uni hatte er noch einen Abstecher ins Wissenschaftsmuseum gemacht. Er hatte sich nicht mal die Hälfte anschauen können und er würde gerne morgen noch einmal hingehen. Wer wusste schon, ob er nochmal wiederkommen würde? In aller Ruhe aß er und ließ sich dann auf seinem Bett nieder. Lustlos zappte er durch die Kanäle. Es kam nichts, dass seine Aufmerksamkeit fesseln konnte. Ins Bett wollte er noch nicht gehen, dafür war es nun wirklich viel zu früh und fürs Internet hatte er so gar keine Lust. Er stand auf, nahm sich seine Jacke und ging nach draußen. Gleich hinter dem Motel gab es einen Park. Die Luft war herrlich, genau wie die Ruhe und seine Füße konnte er schonen, wenn er wieder zuhause war. Langsam schlenderte er die Wege entlang. Nach einer Weile ließ er sich auf eine Bank nieder, die unter einer Laterne stand. Er legte den Kopf in den Nacken und versuchte die Sterne zu sehen. Leider war die Stadt viel zu hell. Er strecke die Beine von sich und schloss die Augen. Rascheln weckte seine Neugier und er schaute sich suchend um. Das Geräusch schien aus dem Mülleimer neben der Laterne, ein paar Meter entfernt, zu kommen. Zwei Coladosen und eine zerknüllte Tüte fielen aus dem Eimer. Sam erstarrte, dann huschte ein Grinsen über sein Gesicht. „Räumst du das auch wieder auf?“, fragte er amüsiert und beobachtete den Mülleimer. Er vermutete einen Waschbären oder ein Eichhörnchen. Vorsichtig schob sich eine Nase über den Rand. Sie bewegte sich schnuppernd, dann schob sie sich höher. Ein Waschbär wurde sichtbar. Die Augen funkelten, als er den Menschen musterte. Gleich darauf kletterte er aus dem Mülleimer und platzierte sich neben die Laterne. Schnatternd setzte er sich auf die Hinterbeine und Sam hatte fast das Gefühl, dass er ihm etwas erzählen wollte. Die Augen des Tieres schienen von innen zu strahlen. „Hast du Hunger? Ich hab nich...“ Sam fühlte sich zerdrückt und geknautscht. Er wurde herumgewirbelt und eine Flut an Bildern prasselte auf ihn ein und die wenigsten davon waren schön! Er sah eine dunkelhäutige Frau, ein Mädchen, dass ihm irgendwie bekannt vorkam, ein Huhn wurde aufgeschlitzt und ein Mensch. Fackeln und wie in Trance tanzende, zuckende Leiber. Eine Schüssel Blut, die er sich über den Kopf schüttete. Er begann zu würgen. Alles drehte sich, ihm war furchtbar schwindelig. Etwas zerrte und zog an ihm. Hastig schloss er die Augen in der Hoffnung diese Bilder und den Schwindel bekämpfen zu können. Hatte er sich etwas eingefangen? Eine Krankheit? Etwas Falsches gegessen? Hoffentlich schaffte er es gleich in sein Zimmer zurück! Er hörte jemanden fremde Worte murmeln, die er nicht verstand, die aber seltsam vertraut klangen. Sam fuhr sich mit der Hand durch die Haare und erstarrte. Etwas fühlte sich anders an! Er fühlte sich anders an! „Wow, der Körper ist ja noch besser als er ausgesehen hat“, lachte eine Stimme neben ihm, die seiner so verdammt ähnlich klang. Und wo kam dieser Mann überhaupt her? War er bewusstlos geworden? „Ich war schon lange kein Mann mehr. Nett von dir mir deinen Körper zu geben “, lachte der Kerl vor ihm. Der Kerl? Sam öffnete die Augen und hielt erschrocken den Atem an. Der Kerl sah aus wie er selbst! Ein Formwandler? Warum war der so riesig? Warum hatte sich seine Perspektive verschoben? War er doch gestürzt? Er musste zusehen, wie der sich mit beiden Händen über Brust und Bauch nach unten strich und die Hände dann über die Hüften zum Hintern gleiten ließ. „Wow“, sagte der erneut. „Dieser Körper ist wirklich geil. Schlank gesund und muskulös und vor Allem, jung! Wenn das kein Glück ist!“ Der Waschbär richtete sich auf, schnatterte wütend und versuchte mit seinen Vorderpfoten nach ihm zu greifen. „Verpiss dich!“, fuhr ihn der falsche Sam an. Das Tier tippelte ein paar Schritte auf ihn zu. Der Kerl trat nach ihm. Sam fühlte, wie er von einem harten Schlag getroffen wurde und landete einige Meter entfernt auf der Wiese. Er stieß einen erschrockenen Schrei aus, der selbst in seinen Ohren eher einem Quieken ähnelte, als einem Schrei. „Verpiss dich! Ich sag es dir nicht noch einmal!“ So schnell er konnte, verschwand Sam. Er kroch unter einen der Büsche und ließ sich da, gegen den Stamm gelehnt nieder, den Blick weiter argwöhnisch auf den Typen gerichtet, der wie er aussah und der jetzt in den Taschen seiner Jacke herumwühlte. Es dauert nicht lange, bis er die Schlüssel zutage förderte. Die Motelschlüsselkarte warf er nach einem kurzen Blick darauf achtlos weg. Den Impalaschlüssel musterte er länger. „Mal sehen was du für eine alte Karre fährst“, überlegte er laut und ging in Richtung Motel davon. Kapitel 280: "Ich bin Sam" -------------------------- 280) „Ich bin Sam“ Ungläubig starrte Sam seinem Körper hinterher. Was lief hier? Wieso bewegte sich sein Körper? Ein Dämon konnte es nicht sein. Er war schon mal besessen gewesen und das hatte sich ganz anders angefühlt. Aber wieso? Was war hier los? Er schaute auf seine Hände, die denen, die er sonst benutzte gar nicht so unähnlich sahen, aber so viel kleiner waren. Was war mit ihm passiert? Und dann ging ihm auf was sein falsches Ich gesagt und welche Richtung er angesteuert hatte. Erschrocken quiekte er, raste los und kam gerade rechtzeitig am Motel an, um zu sehen wie der falsche Sam in den Impala stieg und den Wagen vom Platz lenkte. Er rannte ihm ein paar Meter hinterher, dann gab er geschlagen auf. Körperlich erschöpft und geistig wie erschlagen trollte er sich unter den nächsten Busch und begann, wie unter Zwang, sich den Pelz zu reinigen. Immer wieder wischte er die Pfötchen im Gras ab, leckte sie wieder nass und rieb sie sich über das Fell und so langsam fühlte er, wie die gröbsten Knoten sich lösten. Verdammt nochmal! Was tat er hier? Er war ein Mensch und wenn er sich waschen wollte, dann benutzte er eine Dusche! Aber alles was er sah, alles was er fühlte passte so gar nicht zu dem, was er heute morgen noch gefühlt hatte! Es passte zu dem, was er vor wenigen Minuten vor sich hatte sitzen sehen. Seine Gedanken wanderten zurück. Dieses magische Leuchten in den Augen des Waschbären, das Zerren und das Gefühl, als ob er in einen Strudel geraten wäre und dann diese fremden und doch irgendwie bekannten Worte ... Verdammt! Das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Wie, was auch immer, es geschafft hatte ihn aus seinem Körper zu vertreiben und in diesen Waschbären zu stecken … Er brauchte dringend Hilfe! Mit der er aber nicht kommunizieren konnte. Er konnte ja noch nicht einmal jemanden anrufen! Panik machte sich in ihm breit. Nein! So nicht! Wie von selbst begannen seine Hände wieder damit den Pelz zu entwirren. Er würde nicht aufgeben! Das Putzen half ihn zu entspannen und das wiederum half beim Denken. Er wollte zurück! Jetzt wo er ein Leben hatte, wollte er seinen Körper zurück! Er wollte seinen Abschluss! Er wollte erleben wie Dean seine Erinnerungen wiederbekam. Er wollte den weißen Gartenzaun, das Haus und seine 1,5 Kinder! Er wollte das ganze Programm! Als Mensch! Also! 'Denk nach Sam! Kommunikation ohne Worte.' Der Laptop! Gut, dass er den im Zimmer gelassen hatte. So waren wenigstens seine Daten vor diesem Körperdieb geschützt! Trotzdem kam er nicht ran. Das Zimmer war verschlossen, genau wie das Fenster. Außerdem hing das „Bitte nicht stören-Schild“ an der Tür. Das konnte er zwar runterreißen, aber ob er dann auch noch so viel Glück hatte, dass die Putzfrau ihn nicht bemerkte, wenn er mit ihr ins Zimmer huschte, war doch mehr als fraglich. Konnte er die Tür selbst öffnen? Der Schlüssel lag noch irgendwo im Park, oder gab es eine andere Möglichkeit? Gab es irgendwo einen zugänglichen Computer den er nutzen konnte, also einen, der nicht ständig unter Kontrolle stand, aber mit dem Internet verbunden war. Sein Magen knurrte. Klar, das Vieh war auf der Suche nach Futter gewesen! Darüber konnte er sich später Gedanken machen. Zuerst wollte er einen Weg finden, um an einen Rechner zu kommen, einen Rechner, den er länger nutzen konnte. Der sicherste Weg war sein Zimmer, entschied er sich und lief zurück in den Park. Ein verführerischer Geruch lenkte ihn ab. Jemand hatte eine McDonalds-Tüte weggeworfen, jemand dessen Augen wohl viel größer gewesen waren als sein Magen und jemand, der so vernünftig war, sich nicht bis zum Erbrechen vollzustopfen. Oder es hatte ihm einfach nicht geschmeckt. Egal. Sein Magen knurrte! Ohne noch lange zu überlegen zerrte er die Tüte unter einen Strauch, riss sie auf und begann den halben Burger und die drei übrigen Hähnchennuggets zu verspeisen. Satt und zufrieden wischte er sich die Hände am Rasen ab. „Schlüssel suchen!“, sagte er zu sich selbst und rannte los. Er kam an der Bank an und begann in immer größer werdenden Kreisen zu suchen. Endlich fand er die Karte unter einem Busch. Er ließ sich auf den Hintern plumpsen und versuchte sich klar zu werden, wie er jetzt weiter vorgehen wollte. Er nahm die Schlüsselkarte zwischen die Zähne und machte sich auf den Weg zu seinem Motel. Unter einem Strauch ließ er sich wieder auf seinen Hintern plumpsen. Er legte den Schwanz um sich und wartete darauf, dass es etwas ruhiger wurde, denn er wollte auf keinen Fall dabei beobachtete werden, wie er in sein Zimmer einbrach. Plötzlich zuckte Sam zusammen. Hektisch schaute er sich um. Wo war er? Er musste eingeschlafen sein! Schnell erinnerte er sich wieder an die ganze Misere dieses Abends. Er schaute sich um. Er saß noch immer unter dem Strauch vor seinem Motel und inzwischen war es auch ruhig auf den Straßen und auch die Fenster waren nicht mehr erleuchtet. Er streckte sich, schüttelte sein Fell und rannte über den Platz. Vorsichtig schaute er sich um, bevor er sich duckte und an seiner Tür hochsprang. Er verfehlte den Türknauf. Er versuchte es noch zwei Mal. Doch erst, als er etwas zurück ging, Anlauf nahm und sprang, konnte er den Knauf erreichen. Schnell klammerte er sich mit seinen Hinterpfoten daran fest. Er zog die Karte durch den Schlitz und atmete erleichtert auf, als die Tür aufschwang. Er ließ sich im Zimmer fallen und schob die Tür ins Schloss. Erleichterung flutete seinen Körper. Wenigstens das hatte er geschafft. Jetzt hieß es Hilfe finden. Er kämpfte sich auf den Stuhl und von da aus auf den Tisch. Eine Weile kämpfte er mit seinem Laptop, bis er ihn soweit aufgeklappt hatte, dass er ihn benutzen konnte. Die Tastatur vor seinen Händen sah riesig aus, genauso wie der Bildschirm. Kurz schloss Sam die Augen und konzentrierte sich. Er brauchte die Maus um auf sein E-Mail Konto zugreifen zu können, aber wie? Das Ding war viel zu groß! Mit beiden Pfoten fasste er zu und jonglierte den Pfeil über den Bildschirm. Er öffnete sein E-Mail-Programm, loggte sich ein und öffnete eine neue Mail. Aber wem sollte er die Nachricht schicken? Wer würde helfen? Bobby, klar. Aber der brauchte mindestens zwei Tage, denn sie würden ein Auto brauchen und Waffen! Andere Jäger? Er hatte keine Ahnung, ob jemand in der Nähe war. Außerdem kannte er kaum einen so gut, dass er ihm trauen würde. Das Netzwerk war zwar inzwischen online, aber noch sollten Ellen und Bobby es testen. Er würde Nick fragen. Vielleicht war der in der Nähe, sonst würde er Bobby bitten. Hastig tippte er eine Nachricht und schickte sie ab. Jetzt hieß es auf Antwort warten. Immerhin konnte er schon mal ein wenig recherchieren. Die Worte, die dieser Körperdieb benutzt hatte, klangen ihm noch in den Ohren. Damit wollte er anfangen. Mit fliegenden Pfoten tippte er. Plötzlich zeigte sein Postfach eine Mail an. Sollte er so viel Glück haben? Er schaute zur Uhr. Wieso war Nick eigentlich noch wach? Hatte er auch einen Fall? Seine Pfötchen zitterten, als er die Mail öffnete. Wo genau bist du? Ich bin in Atlanta und fahre gleich los. Erleichtert ließ sich Sam auf seinen dicken Hintern plumpsen. Nick konnte kommen. Er konnte helfen. Aber wie konnte er Nick jetzt mitteilen, dass er ein Waschbär war? Musste er das? DAS würde Nick ihm wohl nicht glauben. ‚Konzentrier dich, Sam!‘ Noch einmal atmete er durch und schrieb dann die Adressen seines Motels auf. Klopf SOS an der Tür, ich lass dich rein. Dann erkläre ich dir alles. Er drückte auf „senden“ und versuchte weiter Fakten zusammenzutragen, die ihnen helfen konnten. Weit nach Mitternacht kam Spezial-Agent Nick Traven in dem Motel an, dass Sam ihm in seiner Mail angegeben hatte. Wieso hatte der ihm gemailt? Wieso hatte er nicht angerufen? Diese Frage beschäftigte ihn schon die ganze Fahrt. Sams Worte klangen so endgültig. Was war passiert? Wo war Dean? War er bei Sam? Hatte der nicht gesagt, dass Dean Amnesie hat? Was wollten sie dann in North Carolina? Konnte Dean sich wieder erinnern und sie hatten wieder angefangen zu jagen? Saßen sie nun zusammen in der Patsche und nur Sam war in der Lage gewesen ihm eine Mail zukommen zu lassen. Nein, das war auch Quatsch! Wer mailen konnte, konnte eigentlich auch telefonieren. Hier war etwas oberfaul. Gut, dass er seinen Fall gerade abgeschlossen und noch keinen neuen zugeteilt bekommen hatte. Er war müde und er hoffte, dass Sam ihm die Lösung des Rätsels gleich präsentieren würde. Nick klopfte wie vereinbart SOS und wartete. Hörte er da etwas hinter der Tür? Er wusste es nicht. Vielleicht war er einfach nur übermüdet! Sam war von seinem Platz gesprungen und zur Tür gerannt, zog die Kraft für den Sprung aus dem Lauf und sprang an die Klinke. Endlich, endlich war Hilfe da. Er ließ sich auf den Boden fallen und wartete darauf, dass Nick im Zimmer war. „Sam?“ Suchend schaute sich der Agent um. Hastig verschwand Sam unter dem Bett. Ihm war plötzlich erschreckend klar geworden, dass Nick ihn ohne einmal nachzufragen aus dem Zimmer werfen würde, sollte er ihn so erblicken. Er musste noch etwas warten und dann möglichst schnell zu seinem Rechner kommen,um ihn aus dem Bildschirmschonermodus zu wecken, damit Nick die Nachricht lesen konnte, die er begonnen hatte. Seine Hoffnung, dass Nick ihm glaubte, wenn er las, wie er den Rest schrieb, flackerte wie eine Flamme im Wind. Nick reagierte fiel zu langsam, um ihn zu sehen. „Sam?“, fragte er noch einmal und schaute sich wieder um. War der nicht hier? Allerdings war die Tür nur angelehnt, also konnte er wohl nicht weit sein. Er rieb sich über die Augen und gähnte herzhaft. Zum Warten musste er ja wohl nicht hier rumstehen, oder? Kurz rieb er sich den Nacken, ging zum Bett und setzte sich. Kaum saß er, kippte er auch schon nach hinten und augenblicklich eingeschlafen. Sam traute sich unter dem Bett hervor. Er stellte sich auf die Hinterbeine und ließ seinen Blick über die schlafende Gestalt wandern. Er fühlte einen Stich im Herz. So wie der Freund dalag, so hatte auch Dean öfter dagelegen, wenn sie mal wieder eine Nachtschicht nach der anderen geschoben hatten und irgendwann todmüde ins Zimmer gekommen waren. Dean. Sein Bruder, der sich noch immer an nichts erinnerte. Er schüttelte sich. Der Gedanke an Dean half ihm jetzt auch nicht weiter, er musste sich darum kümmern seinen Körper zurückzubekommen. Er rannte zum Stuhl und sprang und landete erneut sehr unsanft auf seinem Hintern, weil er schon wieder nicht kräftig genug abgesprungen war. Beim zweiten Mal klappte es und er ließ sich neben seinem Laptop nieder und weckte ihn aus seinem Bildschirmschonermodus. Jetzt musste er nur noch Nick wecken und ihn davon überzeugen, dass er das geschrieben hatte. 'Nichts leichter als das', resignierte er in Gedanken. Aber er musste es versuchen! Also ließ er sich auf seinen ziemlich dicken Hintern plumpsen und rief Nicks Namen. Natürlich klang es eher wie Schnattern und Quietschen als nach einem menschlichen Namen, aber er konnte keine anderen Laute von sich geben. Wieder und wieder versuchte er Nick zu wecken. Er wollte fast aufgeben, als der Agent sich endlich regte. Müde rieb sich Nick die Augen und drehte sich auf die Seite. Er hob die Lider und schaute zu der Geräuschquelle. Augenblicklich saß er im Bett. „Scher dich da weg, verdammtes Vieh. Wie bist du überhaupt hier reingekommen?“ Sam quiekte erschrocken und versuchte sich hinter dem Laptop zu verstecken. Gleichzeitig angelte er mit einer Pfote nach der Enter-Taste, um den Bildschirm, auf dem sich schon wieder nur ein Logo drehte zum Leben zu erwecken. Nick musste das unbedingt lesen. Der Agent machte zwei weitere Schritte auf den Tisch zu. Er wollte dieses Ungeziefer vertreiben, Waschbären machten nur Schaden. Wer wusste schon, wie lange der hier im Zimmer schon festsaß und was er inzwischen alles angestellt hatte. Plötzlich erwachte der Bildschirm, wie durch Geisterhand vor seinen Augen zum Leben. „ICH BIN SAM!“, konnte er in riesigen Buchstaben lesen und der Waschbär schien zustimmend zu schnattern. Nick erstarrte mitten im Schritt. Er keuchte, rieb sich ungläubig über die Augen und als der Sinn des Textes in sein Bewusstsein drang, taumelte er zum Bett zurück, auf das er sich hilflos fallen ließ, kaum dass er das er die Matratze an seinen Waden fühlte. „Das ist nicht wahr“, stammelte er immer wieder. „Das darf nicht wahr sein. Das kann nur ein Traum sein. Ein Albtraum!“ Mit panisch geweiteten Augen wanderten seine Augen zwischen Dem Laptop und dem Waschbären, der noch immer auf dem Tisch hockte und schnatterte, hin und her. Und dann, plötzlich und wie von Furien gehetzt stürzte er aus dem Zimmer. Die Tür schlug er voller Wucht ins Schloss. Jetzt war es also soweit. Der Wahnsinn hatte ihn erwischt! Kapitel 281: Verrückt --------------------- 281) Verrückt ‚Oh Verdammt!‘ Sam plumpste auf seinen dicken Hintern und starrte sprachlos zur Tür. Das hatte er ja super hinbekommen! Und jetzt? In dieser Nacht würde er nichts mehr ausrichten können und morgen früh würde er Bobby bitte herzukommen. Das dauerte dann zwar nochmal zwei Tage und er wollte sich gar nicht ausmalen, was der Körperdieb mit seinem Aussehen alles anrichten würde, aber darüber mussten sich sich Gedanken machen, wenn es soweit war. Leise aber wütend schnattern sprang er vom Tisch, lief zum Sessel, sprang hoch und rollte sich. Leise seufzend, darauf zusammen. Er hatte Nick überschätzt. Aber einen Versuch war es wert gewesen und Nick war viel näher. Er seufzte noch einmal und versuchte etwas Ruhe zu finden. Nick stand vor der Tür und fuhr sich durch die Haare. Seine Gedanken fuhren Amok. Nur eins wusste er genau: Er musste hier weg. Er brauchte Ruhe und Zeit um das Gesehene zu verarbeiten, zu vergessen. An der Rezeption verlangte er ein Zimmer. In dem Zimmer ließ er sich sofort auf das Bett fallen. Er wollte jetzt nur noch schlafen und vergessen was sein überdrehter Verstand ihm vorgaukelte. Ein Waschbär der mit einem Laptop umgehen konnte? So ein Blödsinn! Noch im Einschlafen fragte er sich, warum Sam ihn hierher bestellt hatte. Warum sollte er in das Zimmer gehen, wenn er doch nicht da war? Trotz seiner Müdigkeit und des festen Vorsatzes, sich von diesem absurden Ereignis in Sams Zimmer nicht um die dringend benötigte Ruhe bringen zu lassen, fand er keinen erholsamen Schlaf. Immer wieder schreckte er auf, weil er meinte irgendwo etwas rascheln gehört zu haben oder er träumte, dass Sam sich ein Waschbärenfell umgehängt hatte und sich dann vor seinen Augen in dieses Tier verwandelte. Vollkommen gerädert stemmte er sich nach einigen Stunden aus dem Bett. Noch länger liegen zu bleiben, würde es auch nicht besser machen. Er ging duschen, kochte sich einen Kaffee und ging dann auf die Suche nach Frühstück. Das ungute Gefühl, dass dieser eine Satz auf dem Laptop allerdings ernst gemeint war und mit dem Waschbären zu tun hatte, ließ ihn in keiner Minute los und die Angst, dass Sam deshalb über Mail um Hilfe gebeten hatte, wurde immer größer. Zurück in seinem Zimmer machte er das Bett, räumte seine Tasche neu ein und telefonierte mit seinem Chef. Danach fand er jedoch keine Ausrede mehr, um Sams Zimmer noch länger fernbleiben zu können. Vor der Tür hielt er noch einmal inne. ‚Verdammt! Ich war doch noch nie ein Feigling!‘, schimpfte er sich in Gedanken. Vielleicht war alles ja einfach nur ein Produkt seiner übermüdeten Fantasie? Nick schnaubte. Die Hoffnung starb zuletzt. Energisch klopfte er und wartete, bis sich die Tür öffnete. Die Tür schwang auf, doch sonst passierte nichts. Er trat ein, schaute sich um und musste feststellen, dass er sich in der Nacht wohl doch nicht geirrt hatte. Er atmete tief durch. Jetzt war es also passiert! Er wurde verrückt. Michael Dallas, sein erster Partner, der Mann, der ihn eingearbeitet hatte und für ihn, zumindest beim FBI eine Art Vaterfigur war, hatte ihn gewarnt. Ihr Job konnte einen wahnsinnig machen. Scheinbar hatte er das auch wörtlich gemeint! Nick schluckte und zwang sich genau hinzuschauen. Der Waschbär, sprang auf den Stuhl und von da auf den Tisch. Er streckte sich, schüttelte sich und begrüßte ihn dann laut schnatternd. Es klang fast so, als würde er ihn ausschimpfen. Aber wenn er schon verrückt war, dann konnte er doch auch mit dem Waschbär reden, oder? „Bist du wirklich Sam?“, fragte Nick und kam sich dabei trotzdem reichlich blöd vor. Das Tier gab einen Laut von sich, der fast wie ein „ja“ klang. Nick schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Jetzt redete der auch noch wie ein Mensch! Er wurde wohl wirklich verrückt! Oder er war es schon! „Beweise es!“, meldete sich ein letzter Rest Vernunft zu Wort. Wieder schnatterte der Waschbär. Er sprang wieder vom Tisch, rannte zur nächsten Steckdose und steckte den, daneben liegenden, Stecker ein, sprang über den Stuhl auf den Tisch und schob den Stecker in die Buchse am Laptop. „Der Akku ist leer?“, mutmaßte Nick. Wenige Sekunden später startete der Waschbär den Laptop. Nick schloss die Augen. Die Hoffnung, dass jemand der davon ausging verrückt zu sein es vielleicht doch noch nicht war, zerplatzte. Das konnte nicht real sein! Hier lief etwas mächtig schief! Oder aber er war angeschossen worden und stand jetzt auf der Schwelle des Todes. Aber wieso sah er dann Sam als Waschbär? Hatte er vielleicht was genommen, war er auf Drogen? Dein Partner Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse wurde von einem Geisterhund umgerannt und hatte eine Platzwunde am Kopf. Du hast Dean in die rechte Schulter geschossen, als ihr versuchtet den Typen zu stoppen, der diesen Hund lenkte. Ich war ziemlich sauer, dass ich bei deinem Partner bleiben musste! Ja, ich bin Sam!“, tippte das Tier. Nick nickte. Dass das überhaupt und genau so passiert war, konnten nur Sam und Dean wissen. Sie hatten nie jemandem von diesem Teil ihres Falles erzählt. Wie auch. Sie wären sofort unter psychiatrische Aufsicht gestellt worden. Aber das hieß auch … „Oh Gott“, stöhnte Nick und wischte sich erneut mit der Hand über das Gesicht. Wieder fühlte er sich so unendlich müde und das nicht nur körperlich. „Und jetzt? Selbst wenn ich davon ausgehe, dass das möglich wäre … Wie soll es weiter gehen? Wie kann ich dir helfen und wie bist du überhaupt in diesen Körper gekommen?“ Es war eine Art Körpertausch. „Körpertausch?“ Nun verstand Nick gar nichts mehr. “Und wie wollen wir deinen Körper finden?“ Sam antwortete nicht. Er tippte einen Telefonnummer in eine Suchmaske ein. Kurze Zeit später erschien ein Punkt auf einer Karte und Sam tippte eine weitere Maske die nächste Nummer ein. Gut, dass der Laptop dieses Touchpad hatte. Er glaubte nicht, dass er auf Dauer mit einer Maus klarkommen würde. „Was ist da?“, wollte der Agent wissen, kaum dass er den ersten Punkt gesehen hatte. Sam ging wieder auf das Textprogramm und tippte: Mein Wagen und der zweite Punkt ist mein Handy. „Die liegen ziemlich dicht beieinander.“ Hoffentlich hat das Ding nicht beides zusammen irgendwo entsorgt. „Okay, und was willst du jetzt tun?“ Da hin fahren! „Gut, dann packe ich mal deine Sachen und dann können wir los. Ich hab ja kaum was ausgepackt. Oder willst du wieder hierher zurück?“ Nein. „Dass das Ganze ziemlich verrückt ist, ist dir klar, oder?“ Sam nickte nur. Das war es wirklich. Bitte beeil dich. „Warum?“ Das Ganze hat mit Voodoo zu tun, mit einem ziemlich mächtigen, ziemlich alten und vor Allem bösartigen Geist. Ich möchte meinen Körper wieder, bevor der damit Unheil anrichtet, bevor er mir oder einem anderen Menschen schadet. „Okay, daran habe ich nicht gedacht. Ich sehe zu, dass wir hier fertig werden.“ Ohne sich noch einmal umzusehen verschwand der Agent aus dem Zimmer und ließ Sam etwas ratlos zurück. An und für sich war es ja gut, dass er so schnell reagierte, allerdings hätte er ihn auch gerne noch um etwas Essbares gebeten. Sein Magen knurrte schon wieder fürchterlich. Wie viel fraß so ein Waschbär eigentlich? Keine zehn Minuten nach seinem Abgang stand Nick wieder im Zimmer. „Wo ist deine Tasche und welche Schränke benutzt du?“, wollte der Agent wissen. Nur nicht nachdenken, dass er hier mit einem Tier kommunizierte, sonst würde er wohl schreiend davonrennen. Nur die Kommode. Tasche im Schrank. Nick begann die Schübe zu öffnen und die Kleidungsstücke auf das Bett zu werfen. „Viel hast du ja nicht gerade“, stellte er fest und holte die Tasche. „Warum bist du eigentlich hier? Wo ist Dean? Hat er noch Amnesie?“ Ich habe mir die Uni angesehen. Ich bin zu alt und nicht mehr so gut wie früher. Sie werden sich also nicht mehr um mich reißen. Ich wollte meine Bewerbungen möglichst breit streuen. Aber hier werde ich nicht studieren! Dean ist in Tea. Er kann sich noch immer nicht erinnern. Und zu der Kleidung? Viel brauchte ich hier ja nicht. Außerdem kaufen wir zweckmäßig ein und nur so viel wie wir schnell zusammenpacken können, schrieb Sam während Nick seine Tasche packte. „Was für ein beschissenes Leben habt ihr da geführt! Da habe ich ja mehr und ich bin auch immer auf dem Sprung.“ Sam seufzte. Was sollte er dazu sagen? Ihr Leben war auch im Normalfall schon kompliziert und sie hatten zeitig lernen müssen, dass weniger Gepäck besser war. In der Beziehung hatte er sich noch nicht an das richtige Leben gewöhnt. „Was ist das denn?“, fragte Nick und zog den Plüschhasen aus der Tasche. Sam quietschte überrascht. Das Ding hatte er vollkommen vergessen. Aus irgendeinem Grund hatte er ihn nie rausgeräumt und inzwischen vergessen. In diese Seitentasche hatte er nicht geschaut, als er sie sich gegriffen hatte. Nach Wisconsin hatte er nur einen Rucksack mitgenommen. Irgendwie schämte er sich vor Nick wegen dieses Spielzeugs. Es passte einfach nicht zu einem Jäger und er konnte ihm nicht erklären, wie er zu dem Spielzeug gekommen war. Nick waren Sams Schamgefühle egal. Er legte den Hasen schmunzelnd beiseite, packte die Kleidungsstücke in die Tasche und legte den Hasen vorsichtig oben drauf. Erst dann schloss er die Tasche. Ihn würde schon interessieren wie Sam zu dem Kerlchen gekommen war und welche Bedeutung er hatte, aber so mit ihm zu reden machte einfach keinen Spaß. Er würde sich seine Fragen aufheben müssen, bis Sam wieder er selbst war. „Na komm“, sagte der Agent ruhig. Er klappte den Laptop zu und klemmte ihn sich unter den Arm. Sam sprang vom Stuhl und trabte hinter Nick zur Tür. Gemeinsam verließen sie das Zimmer, doch statt hinter Nick zu dessen Wagen zu laufen, rannte Sam in das nächste Gebüsch. Davon bekam der Agent allerdings nichts mit. Er lud Tasche und Laptop in den Kofferraum und öffnete dann die Beifahrertür, um Sam einsteigen zu lassen. Erst da fiel ihm auf, dass der gar nicht mehr in seiner Nähe war. „Sam?“, fragte er leise und schaute sich suchend um. Nichts. Kein Waschbär war weit und breit zu sehen. „Sam?“, rief er jetzt lauter. Leises, schnell lauter werdendes, Schnattern drang an sein Ohr. Er folgte dem Geräusch und sah den Waschbären über den Platz gerannt kommen. Er trat zur Seite und machte so die Beifahrertür frei. Mit einem Satz war Sam auf dem Sitz. Er schnatterte heftig. „Sie haben einen Waschbären?“, fragte ein anderer Bewohner des Motels, der gerade über den Parkplatz lief. „Wissen Sie nicht, dass das einfach nur Schädlinge sind? Die übertragen Krankheiten und ...“ „Die Kinder haben ihn als Baby gefunden und mit der Flasche aufgezogen. So schnell wie die sich in ihn verliebt hatten, konnte ich nichts mehr machen“, versuchte Nick zu erklären. „Sie sollten ihren Kindern schon beibringen was Schädlinge sind“, blieb der Mann stur. „Und Sie sollten erstmal überhaupt Kinder bekommen, dann können wir weiter reden“, würgte Nick diesen unbelehrbaren Menschen ab. Was sollte er sich auch weiter mit ihm beschäftigen. Er verschwand hier und wenn er je wiederkommen sollte, dann wohl ohne einen Waschbären. Auf dem Weg um den Wagen herum kam ihm noch ein Gedanke. Schnell holte er sein Tablet aus dem Kofferraum und stellte es auf Textverarbeitung ein. So konnte Sam ihm schneller antworten, sollte es notwendig sein. „Der braucht weniger Platz“, sagte er und legte das Tablet auf den Beifahrersitz neben Sam. Danke, schrieb Sam. Ich hab Hunger. Nick ließ den Wagen an. „Ich muss eh noch tanken“, erklärte er nach einem kurzen Blick auf die Armaturen. „Dann bringe ich dir was mit. Hast du besondere Wünsche?“ Sandwich „Okay, dann los.“ Wenige Straßen weiter gab es eine Tankstelle, an der Nick tankte und auch ein Sandwich für Sam besorgte, das der sich während der nächsten Kilometer einverleibte. Nachdem er aufgefuttert und die Verpackung einfach in den Fußraum befördert hatte, rollte er sich auf dem Sitz zusammen und verschlief fast die gesamte Fahrt. Kapitel 282: Gefunden, und nun? ------------------------------- 282) Gefunden, und nun? „Sam?“ Nick legte seine Hand auf den Pelz und zauste ihn leicht. Der Waschbär zuckte zusammen und richtete sich quietschend auf. „Wir sind fast da. Willst du nochmal nach den Handynummern suchen?“ Sam nickte und machte sich auf dem Tablet sofort daran, die beiden Telefone aufzuspüren. Die kleinen Pfoten sausten nur so über den Bildschirm. Sie waren noch immer dicht beieinander, was Sam erleichtert aufatmen ließ. Langsam keimte wieder Hoffnung in ihm auf, dass vielleicht ja doch noch alles gut werden würde. Gleichzeitig machte er sich aber auch Gedanken darum, diesen Voodoogeist unschädlich zu machen. Wenn er Recht hatte, handelte es sich um Marinette, einen mächtigen, bösartigen weiblichen Voodoogeist, dem Bezüge zur schwarzen Magie nachgesagt wurden. Wie er sie allerdings an den Waschbären fesseln und vernichten konnte, wusste er noch nicht. Doch das war auch noch nicht so dringend. Zuerst musste er seinen Körper wiederfinden. Sam rutschte auf seinem Platz etwas zur Seite und drehte den Bildschirm so, dass Nick die Adressen lesen konnte. „Dann wollen wir mal sehen, wie es dir geht“, meinte der Agent. „Kannst du das Navigationsgerät programmieren?“ Aus dem Augenwinkel beobachtete Nick, wie schnell die Pfötchen des Waschbären über das Tablet wischten. Inzwischen stellte er die Tatsache, dass Sam in diesem Körper festsaß schon nicht mehr infrage. Wie schnell sich ein Mensch doch an eine Situation gewöhnen konnte, stellte er verwundert fest. „Irre“, entfuhr es ihm, als Sam den kleinen Bildschirm zu ihm drehte. Der Waschbär legte den Kopf schief. „Ja, ich weiß, dass du Sam bist“, beantwortete er Sams Geste. „Trotzdem sehe ich einen Waschbären und ...“, hilflos mit den Schultern zuckend brach er ab. „Bist du dir sicher, dass es hier ist? Der Impala ist nirgends zu sehen!“, erklärte Nick und schaute sich suchend um. Er hatte seinen Wagen am Anfang einer kleinen Einkaufsstraße geparkt. Links und rechts gab es einige Läden, einen Coffee-Shop, eine Bäckerei und einige Boutiquen. Alles sah einladend und gemütlich aus. Die Gehwege waren geräumt und die Menschen schienen es trotz des einsetzenden Regens nicht eilig zu haben. In der nächsten Querstraße, tippte Sam und stellte sich auf die Hinterpfoten, um aus dem Fenster schauen zu können. Nick drehte das Radio an, suchte sich einen Sender, der ihm gefiel und richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. „Was hältst du von Kaffee und etwas zu essen?“, fragte er nach einer ganzen Zeit. Sam nickte eher abwesend. Doch bevor der Agent aussteigen konnte, schrie der Waschbär schrill auf und schnatterte, selbst für Nick deutlich hörbar, wütend los. Erschrocken blickte der Agent in die Richtung, in die auch Sam zu schauen schien. Eine Weile konnte er sich keinen Reim darauf machen, was den Winchester so aufregen könnte, doch dann sah er ihn und es verschlug ihm für einen Augenblick den Atem. Der Sam, der da gerade ein Geschäft verlassen und jetzt leise pfeifend in Richtung Querstraße lief, sah dem Sam, den er in Erinnerung hatte, nur noch im Gesicht ähnlich. Der Kleidungsstil und die Frisur waren komplett verändert und wenn Sam nicht sofort so ein Spektakel veranstaltet hätte, hätte er ihn wohl übersehen. Ohne weiter darüber nachzudenken, packte er Sam am Nackenfell und drückte ihn auf den Sitz, bevor der sie noch verriet, so sehr wie er versuchte die Beifahrertür zu öffnen. Sofort versuchte Sam sich zu befreien. Er drehte und wendete sich. Seine Schnauze kam Nicks Hand bedrohlich nahe. „Hör auf!“, schimpfte er leise aber energisch. „Du wirst ihn noch vertreiben!“ Sam kämpfte noch immer wie verrückt, um seine Freiheit. „Was denkst du, was der Kerl denken muss, wenn er hier einen Waschbären toben sieht?“ Er griff nach seinem Tablet. „Verkriech dich, falls er dein Wüten doch mitbekommen hat, ich hole mir einen Kaffee!“, erklärte Nick eindringlich und stieg aus. Sam fauchte ihm wütend hinterher, bevor er sich schüttelte und dann vom Sitz sprang. Er quetschte sich in den Zwischenraum zwischen Sitz und Bodenplatte, wo er weiter vor sich hin grummelte. Der Typ hatte seinen Körper verstümmelt! Klar Dean würde das wohl nicht so sehen, aber er fand sich gut, so wie er jetzt war! Wie konnte der nur zum Friseur gehen und sich so verschandeln lassen! Der musste doch damit rechnen, dass er seinen Körper wieder haben wollte! Und wie sollte er das Bobby und Jody erklären? Jetzt konnte er den Körpertausch nicht mehr verheimlichen. Seine Wut auf diese Voodoodiebin wurde noch größer. In seinem Wüten bemerkte er gar nicht das Nick sich wieder ins Auto setzte. Erst als der ihn ansprach, hörte er auf zu grollen und kam unter dem Sitz hervor. Er schüttelte sich und sprang auf den Sitz. „Wir suchen uns jetzt ein Zimmer und überlegen uns da, wie wir dich wieder in deinen Körper bekommen“, erklärte Nick, stellte die Tüten und das Tablett mit dem Kaffee neben Sam und startete seinen Wagen. „Wenn du nicht so ein Theater veranstaltet hättest, hätte ich dich nicht erkannt. Also ehrlich. Diese Lederhosen und das enge Shirt stehen dir nicht wirklich. Klar, wenn du darauf aus bis jede Menge Weiber aufzureißen, bringt das bestimmt was, aber im normalen Leben?“, überlegte Nick laut und trieb Sam damit unwissentlich schon wieder auf die Palme. Erst als der sich aufrichtete und wieder anfing zu schimpfen, ging ihm ein Licht auf und er grinste. „Und mal ganz ehrlich, diese Elvis-Tolle steht dir, auch wenn ich sie ein bisschen … Naja, ich würde nicht so rumlaufen“, stichelte er weiter. Sam sprang sofort darauf an. Er speckerte und schimpfte schon wieder wie ein Verrückter. Nick musste lachen. Er lachte so sehr, dass ihm die Tränen in die Augen traten und über seine Wangen liefen und auch wenn es gerade eine vollkommen verrückte Situation war, für einen Augenblick schien auch der Waschbär zu grinsen, doch er wurde viel zu schnell wieder ernst. Und auch Nick versuchte wieder so ernst zu sein, wie es diese Situation verlangte, auch wenn es ihm schwer fiel. Das Grinsen konnte er sich die ganze Fahrt über nicht wirklich verkneifen. Sie fanden ein Motel, dass auch Bungalows anbot und mieteten sich einen davon. Sam hatte diese Art des Wohnens schon zu schätzen gelernt, als sie Deans Seele wieder mit seinem Körper vereinten. Hier mussten sie nicht so sehr auf ihre Nachbarn achten, sollte es lauter werden und das vermutete er stark. Der Geist, der ihm seinen Körper gestohlen hatte, würde wohl nicht kampflos wieder in den Waschbärenkörper umziehen. Während Sam seinen Laptop hochfuhr, schüttete Nick Wasser in ein Schälchen und verteilte das Gebäck, das er ebenfalls in dem Coffee-Shop geholt hatte auf Teller. Er brachte alles zum Tisch und setzte sich so, dass er den Bildschirm gut sehen konnte. „Okay, wie stellst du dir den Austausch vor?“ Du musst mich herbringen. Gib ihm KO-Tropfen oder etwas in der Art. Er darf auf keinen Fall die Möglichkeit bekommen, mit dir zu tauschen. „Und wie macht der das? Was ist das überhaupt für ein Ding?“ Sam öffnete einen Ordner, in dem mehrere Dateien gespeichert waren. Lies! Forderte er dann und deutete auf den Bildschirm. Nick öffnete die Dokumente und begann. „Bist du dir sicher?“, fragte er als er geendet hatte und rieb sich über das Gesicht. Das war verdammt harter Tobak, den er da zu sehen bekommen hatte. Sam nickte. Ich habe Bilder gesehen. Erinnerungen, als sie sich in meinen Körper gedrängt hat. Die Bilder passen zu Voodoo-Ritualen, die zu Ehren und zum Anrufen von Marienette verwendet werden. Ich habe Abigail Williams gesehen und eine dunkelhäutige Frau. „Du meinst, er/sie treibt schon seit Salem hier ihr Unwesen?“ Ich befürchte es! „Wie kriegen wir dich in deinen Körper zurück, wenn ich den hier habe?“, wandte sich Nick dem Dringendsten zu. Alles andere konnten sie später klären. Sam öffnete ein weiteres Dokument. Das ist ein Ritual. Damit haben wir Deans Körpertausch rückgängig gemacht. Hinten ist eine Einkaufsliste. „Und wenn wir dich wieder in deinem Körper haben, was dann?“ Erschießen, mit einem Kreuz auf der Patrone und dann verbrennen! „So einfach?“ Nick war überrascht. Er hätte mit weiteren Formeln, Kerzen und Kräutern gerechnet. Ich hoffe, dass es so einfach wird! Sicher bin ich mir nicht. „Gut. Dann fahre ich mal einkaufen“, erklärte Nick Sam nickte. Er sprang vom Stuhl und lief zu einem der Betten, auf dem er sich zusammenrollte, um die Zeit schlafend zu überbrücken. Nick, betrat das Motelzimmer. Sam blinzelte bevor er sich aufsetzte und ausgiebig streckte. „Ich hab alles bekommen“, erklärte er und hielt den Transportkäfig kurz hoch, bevor er ihn auf den Tisch stellte und damit begann ihn auszuräumen. Kerzen, Kräuter, Kreide. „Bist du sicher, dass wir Hühnerblut brauchen?“ Sam war inzwischen vom Bett gesprungen und auf den Tisch geklettert. Er aktivierte den Rechner und tippte: Besser wäre es. „Gut. Dann hole ich es, bevor ich deinen Körper herbringe. Was muss ich jetzt tun?“ Schritt für Schritt erklärte Sam was er von Nick wollte und so malte der Agent seine erste Teufelsfalle Er zog einen Salzkreis darum, den er später nur noch ein einer kleinen Stelle schließen musste. Er stellte die Kerzen auf und bereitete die Kräuter vor. Sam druckte den Text aus, mit dem sie damals schon Dean wieder in seinen Körper zurückgebracht hatten und einen bekräftigenden Voodoo-Zauber, der dem ähnelte, den dieses Ding benutzt hatte, um den Tausch abzuschließen. Inzwischen war es dunkel geworden. „Schaust du mal, wo dein Telefon rumläuft?“ Der Winchester nickte und startete das Suchprogramm seines Providers und Nick staunte wieder, wie schnell die kleinen Pfoten über die Tastatur flitzten. Der Pfeil, der bald darauf den Standort des Handys anzeigte, deutete auf ein Haus in der Seitengasse, in der der Impala heute schon stand. „Na der scheint sich ja sehr sicher zu sein“, stellte Nick überrascht fest. Willst du ihn da holen? „Ich denke, ich fange ihn ab, wenn er das Haus verlässt. Die Spritze hab ich hier. Das Mittel sollte ungefähr zwei bis drei Stunden wirken. In der Zeit schaffe ich es, ihn hierher zu bekommen.“ Sam nickte und sie einigten sich noch darauf, dass Nick den falschen Sam am besten sofort auf einen Stuhl setzen und fesseln sollte. Und schau ihm ja nicht in die Augen!, warnte Sam noch einmal. „Ich setzte meine Spiegelbrille auf.“ Nick grinste schief. Gibt‘s sowas noch?, tippte Sam. „Ich habe noch eine.“ Sam schnatterte leise. Nick schnallte sich seinen Schultergurt mit dem Holster um, schob die Waffe hinein und steckte sich seine Marke und die Handschellen ein. „Bis dann“, sagte er und wollte gehen. Doch Sam tippte noch etwas. Pass auf dich auf! „Mach ich. Und du, ruh dich aus!“ Sam nickte und der Agent verschwand. Der Waschbär machte es sich erneut auf dem Bett bequem, doch wenn er gehofft hatte, die Zeit bis zu Nicks Rückkehr verschlafen zu können, so hatte er sich getäuscht. Dafür war er viel zu nervös. Er wollte so schnell wie möglich wieder in seinen Körper und er hatte Angst, dass Nick etwas passieren könnte, Nick war ein FBI-Agent. Ein toller Mensch und ein guter Freund. Mit dem Übernatürlichen hatte er trotzdem keine wirkliche Erfahrung, egal ob er in Dallas damit zu tun gehabt und sich sogar ganz gut geschlagen hatte. Es war nicht Nicks Leben und es waren nicht seine Gegner. Er sprang vom Bett und kletterte auf den Tisch, zu seinem Laptop. Vielleicht konnte er ja noch das ein oder andere zu dieser Marinette finden. Schnell war er in seiner Recherche abgetaucht. Kapitel 283: Das Vieh hat Flöhe ------------------------------- 283) Das Vieh hat Flöhe Der FBI-Agent parkte seinen Wagen wieder am Beginn der kleinen Einkaufspassage. Er schob die Spritze in die Jackentasche, rückte sein Holster mit der Waffe zurecht und schlenderte zu der Gasse. Der Impala stand noch da. Er versteckte sich hinter einem Stapel alter Paletten und wartete. Seine Geduld wurde auf eine ziemlich harte Probe gestellt und er überlegte nicht nur einmal einfach das Gebäude zu durchsuchen, doch bevor er sich wirklich dazu entscheiden konnte, trat der falsche Sam aus der Tür. Der falsche Sam. Wie schnell er es akzeptierte, dass ein Mensch zu einem Waschbären werden konnte. Gut, er hatte eine Gottheit wüten und sterben sehen und er hatte einen Geisterhund gesehen, der von einem Verrückten kontrolliert worden war, aber das? Verfiel er doch langsam dem Wahnsinn? So ganz wollte und konnte er das wohl nicht ausschließen. Vielleicht sollte er Sam mal fragen, wie der damit klarkam. Hastig schob er den Gedanken beiseite, trat aus seinem Versteck hervor und rammte diesem Körperdieb die Spritze in den Hals. „Was?“, begann der. Er fuhr herum und starrte seinen Angreifer an. Irritiert und wütend heftete sicj sein Blick auf die Spiegelbrille. Er hob seinen Arm, um ihm die Brille vom Gesicht zu reißen und den Körper zu wechseln, bevor der ... Doch das Mittel in seinem Kreislauf wirkte schnell und effektiv. Nick atmete erleichtert auf, als dieser falsche Sam in seinen Armen zusammensackte. Er war sich nicht sicher, ob er ihn noch viel länger unter Kontrolle hätte halten können. Egal! Mit etwas Mühe schaffte er den Typen in den Impala. Sams Körper war verdammt schwer und unhandlich! Er fesselte ihn mit den Handschellen an den hinteren Türgriff und beeilte sich zu ihrem Motel zu kommen. Er wollte Sam nicht noch länger warten lassen. Schwungvoll fuhr Nick auf den Parkplatz vor ihrem Bungalow. Er schaute sich um und als er sich sicher war nicht beobachtete zu werden, löste er die Handschellen und schleppte den Körper ins Zimmer. „Man, bist du schwer“, schimpfte er leise, während er den falschen Sam auf den Stuhl setzte und die Handschellen fixierte. Er knebelte ihn mit Klebeband. Auch so eine Idee Sams, von der er nicht so recht wusste, ob sie gut war. Der Waschbär schnatterte aufgebracht und tippte etwas. Nick grinste ihn an, bevor er an den Tisch trat und auf den Bildschirm blickte. Bitte kontrolliere alle Linien und schließe dann die Kreise. Der Agent tat wie ihm geheißen. „Und jetzt?“ Jetzt müssen wir warten, bis er wieder zu sich kommt. Ich habe noch recherchiert und das Ritual ein wenig angepasst. An den Zutaten hat sich nichts geändert. Nick rieb sich über das Gesicht, bevor er nickte. Das Ganze war ihm nicht geheuer, aber er hatte genug gesehen, um zu wissen wie wichtig es war und Sam war ihm ein viel zu guter Freund, als dass er ihn hängen lassen wollte. „Wie willst du dich überhaupt bemerkbar machen, wenn … Wie soll ich wissen, ob du du bist?“ Ich klopfe OSO mit dem Fuß? „OSO? Nicht SOS?“ SOS kann ja jeder. „Auch wieder wahr. Was machen wir mit dem Waschbären, wenn du wieder du bist?“ Erschießen Nick schnappte nach Luft. „Bist du sicher?“ Das Ding hat mir meinen Körper gestohlen! Wenn wir es laufen lassen, wird es so weiter machen. Willst du der nächste sein? Sie wird uns jagen. Wir kennen ihr Geheimnis und sie weiß wie wir aussehen. Wir nicht. „Du hast ja Recht. Es ist nur ...“ Es ist wie der Geisterhund. Hatte er ein Recht zu leben? Nick! Bitte denk nicht darüber nach. Sie schadet Menschen. Sie ist für, wer weiß wie viele, Tote verantwortlich. „Du hast ja Recht. Es ist nur … Irgendwie sehe ich da einfach nur ein Tier.“ Er zuckte mit den Schultern. Das Vieh hat Flöhe! Sam schaute dabei so vorwurfsvoll aus der Wäsche, das Nick nicht anders konnte und in herzliches Gelächter ausbrach. „Du willst damit also sagen, dass wir nicht in diesen Betten schlafen sollten?“ Auf keinen Fall! „Gut! Ist vielleicht eh besser, wenn wir hier schnell verschwinden.“ Der Waschbär nickte. „Und jetzt?“, wollte Nick wissen. Warten Zu Glück wirkte das Mittel sehr schnell und war auch schnell wieder abgebaut. Der falsche Sam begann sich zu bewegen. Er schnaufte und versuchte etwas zu sagen, doch das Klebeband verhinderte das wirksam. ‚Die Idee war wohl doch ganz gut‘, überlegte Nick. Sie warteten noch eine Weile, bis der falsche Sam sich etwas mehr aufrichtete und sie wütend anfunkelte. Nick hatte sich wieder die Spiegelbrille aufgesetzt. Sicher war sicher. „Dann hüpf mal in den Käfig“, bat Nick mit erzwungener Fröhlichkeit. Besser nicht. Die Übertragung funktionierte zwar über Augenkontakt. Das Ritual besagt eher etwas von Berührung. Beides wäre wohl am Sichersten. „Und wie willst du das dann machen? Willst du den Waschbären durch das ganze Zimmer jagen?“ Sam legte den Kopf schief. Da war was dran! Stell den Käfig neben sein Bein. Ich versuche mich hineinfallen zu lassen, wenn ich merke dass die Übertragung klappt. Wenns daneben geht, müssen wir ihn jagen. „Auf deine Verantwortung“, seufzte Nick. Ihm passte diese ganze Aktion nicht. Weder, dass er das Ritual alleine durchführen sollte, noch dass sie das Tier danach töten würden. Er atmete noch einmal tief durch. „Okay!“ Sam sprang in den Kreis und setzte sich neben den Körperdieb. Nick stellte den Käfig neben das rechte Bein. Er entzündete ein Feuer in der Schale und begann dann den ersten Teil des Rituals vorzulesen. Nach und nach warf er die Kräuter in die Schale, so wie Sam es aufgeschrieben hatte. Beißender Rauch stieg aus der Schale auf und verbreitete sich in dem Zimmer. Nick musste sich immer stärker konzentrieren, um nicht ständig zu husten. Zeile für Zeile arbeitete er ab. Als er ungefähr zwei Drittel des Rituals vorgetragen hatte, sprang der Waschbär Sam auf seinen menschlichen Körper. Er fummelte an dem Hemd herum, um es aus der Hose zu zerren und so freien Zugang zu seinem Körper zu bekommen. Der falsche Sam begriff schnell was hier passierte und auch wenn er durch das Siegel und die Kreise aus Salz und Blut gebunden wurde, wollte er diesen Körper nicht freiwillig aufgeben. Er zappelte immer stärker in seinen Fesseln und versuchte das Tier irgendwie loszuwerden. Sam schimpfte wütend und krallte sich mit aller Macht fest. Endlich war die letzte Zeile gesprochen, endlich konnte Sam diesen Pelz loswerden, endlich … Hasserfüllt schrie Sam auf, als er sah, wie das Ding in seinem Körper die Augen schloss. Er zerrte das Hemd vom Bauch und biss so fest zu, wie er nur konnte. Er fühlte wie sich der Körper anspannte, wie er die Luft anhielt um dann um so heftiger in die Höhe zu zucken. Automatisch krallte er sich mit einer Hand an dem Hemd fest, die andere weiterhin fest gegen Haut am Bauch gepresst, und schaute wieder in die Höhe. Der falsche Sam starrte ihm wutentbrannt in die Augen. Kurz wallte Triumph durch seine Adern und dann, als er fühlte, wie sich die Welt zu drehen begann, wie etwas an ihm zerrte und riss, wie er gestreckt und aufgebläht wurde, ließ er sich in den Transportkäfig fallen. Nick sprang in den Kreis und verschloss die Klappe des Käfigs. Hoffentlich hatte er den Richtigen eingesperrt! Sam ließ sich soweit es ging nach vorn sinken und keuchte, um die Schmerzen soweit zu vertreiben, dass er wieder klarer denken konnte. „Sam?“, drang die fragende, nervöse Stimme Nicks. Er schnaufte noch einmal, dann stampfte er OSO mit dem Fuß in den Boden. Sofort trat Nick zu ihm und riss ihm das Klebeband vom Mund. „Oh man. Das muss ich nie wieder ..“, begann er, versuchte aufzustehen und wurde im selben Augenblick wieder auf seinen Stuhl gezerrt. Verdammt! Der Wunsch nach einer Dusche wurde übermächtig. „Sam!“, brachte Nick freudig und voller Erleichterung hervor. „Sam?“, fragte er noch einmal. War das wirklich sein Freund? „Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse“, brachte der Winchester hervor, „liebt sein Essen mit Sojasoße und Knoblauchpulver und alkoholfreies Diätbier!“ Nick grinste. Spontan zog er ihn in die Arme. „Danke Nick. Könntest du mich erstmal losmachen? Ich würde gerne duschen. Das Vieh hatte wirklich Flöhe und ich fühle mich immer noch so, als ob die mich überrennen.“ „Klar, warte.“ Schnell löste er sich von dem Freund und öffnete die Fesseln. Der Winchester erhob sich. Er holte ein Handtuch und warf es über die Transportbox, nicht dass sich einer von ihnen aus Versehen in dem Körper dieses Pelztieres wiederfand. Danach rannte er förmlich in das Bad. Nick löschte das Feuer in der Schale und öffnete das Fenster, um den Rauch aus dem Zimmer zu lassen. Eine Weile stand Sam einfach nur unter dem heißen Wasser. Er genoss das Gefühl wie die Tropfen auf seine Haut prasselten und er genoss es, einfach einmal nicht zu denken, wollte einfach nur genießen, wieder ein Mensch zu sein. Doch viel zu schnell verflog die Freude. Der Gedanke, dass ein fremdes Wesen seinen Körper gesteuert hatte, drängte sich immer mehr in den Vordergrund. Er kam sich benutzt vor und irgendwie war es schlimmer, als damals, als Meg in ihm war. Hastig begann er das Duschgel auf seiner Haut zu verteilen. Das Brennen auf seinem Bauch, da wo er gebissen hatte, ignorierte er. Das konnte er später versorgen. Wieder und wieder schäumte er sich ein und spülte alles wieder ab. Das Gefühl ließ sich dadurch nicht vollkommen verdrängen und er hätte wohl auch noch weiter gemacht, wenn die Flasche nicht irgendwann leer gewesen wäre. Schon fast widerwillig stieg er aus der Dusche und trocknete sich ab. Den Blick in den Spiegel vermied er. Immerhin hatte er noch viel zu genau vor Augen, wie der Kerl ihn verschandelt hatte! Das musste er sich jetzt nicht auch noch antun. Allerdings würde er auf dem Rückweg wohl einen Friseur aufsuchen müssen. Mit einem angewiderten Schnauben schob er die Kleidung, die er eben noch getragen hatte vom Toilettensitz. Und jetzt? Nick schaute auf, als er Sam, nur mit einem Handtuch bekleidet, aus dem Bad kommen sah. Der Winchester machte zwei Schritte in den Raum hinein und blieb dann stehen. Suchend schaute er sich um. „Wo hast du meine Tasche?“ „Warte ich hole sie dir“, erklärte der Agent und ging hinaus. Schnell war er wieder zurück und stellte den Rucksack auf das vordere Bett. Sam wühlte saubere Kleidung aus seinem Gepäck und verschwand wieder im Bad. „An den Anblick werde ich mich nie gewöhnen“, schimpfte er leise, als er Minuten später ins Zimmer zurückkam. „Da ist ein Friseurbesuch dringend notwendig. Hoffentlich kann der was retten!“ Heldenhaft verbiss sich Nick das Grinsen. Elvis stand dem alten, dem richtigen Sam so gar nicht. „Wie solls jetzt weiter gehen?“, fragte er stattdessen. „Wir holen deinen Wagen und verschwinden von hier. Ich bin eh schon fast einen Tag zu spät.“, antwortete Sam. „Verdammt! Ich muss Dean anrufen!“ Er kramte sein Handy aus der Tasche. „Hey!“, grüßte er kaum, dass sein Bruder abgenommen hatte. „Fährst du morgen alleine zu Jody? Ich bin hier aufgehalten worden. Der Zahnriemen vom Impala ist gerissen. Die Werkstatt hat ihn heute repariert. Ich mache mich dann morgen früh auf den Weg.“ Er drehte Nick den Rücken zu. Dessen fragendes Gesicht, die Empörung über diese offensichtliche Lüge, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, doch damit wollte sich Sam nicht jetzt auseinandersetzen. Er hörte wie Dean leise tief durchatmete und, „Klar, mach ich“, sagte. „Schlaf gut“, wünschte Sam ihm noch und legte auf. Kapitel 284: Das Ende einer tierischen Geschichte ------------------------------------------------- 284) Das Ende einer tierischen Geschichte „Bevor du was sagst, ja, ich habe meinen Bruder angelogen“, versuchte Sam dem Agenten zuvor zu kommen. „Dean hat immer noch Amnesie und weiß nach wie vor nichts von unserem Leben.“ Er brach ab. Mit hängenden Schultern schaute er zu Nick. „Dean baut sich gerade ein Leben auf und ich komme mir wie ein Versager vor, in dieser Beziehung. Irgendwie scheine ich das alte nicht loslassen zu können, dabei war ich es, der unbedingt aufhören wollte.“ „Manchmal ist es nicht so einfach, wie man denkt. Aber irgendwann wird die Zeit kommen.“ „Bist du sicher?“ „Bislang war das noch bei jedem so, den ich kenne.“ „Die Hoffnung stirbt zuletzt?“ „So sagt man“, nickte Nick. Sam schluckte hart. „Lass uns deinen Wagen holen und hier verschwinden!“ Wieder nickte der Agent. „Was machen wir mit dem Vieh?“ „Das nehmen wir mit. Am Besten gehst du auschecken und ich packe zusammen und bringe alles in den Impala. Dann verschwinden wir hier.“ „Wo willst du hin?“ „Egal. Richtung Nordwest wäre schön.“ „Okay, dann holen wir mal meinen Wagen. Kannst du mir deine Waffe geben?“ „Warum?“ Sam deutete auf den Käfig. „Du willst wirklich?“ „Du hast gesehen, was das Ding anrichten kann!“ Nick legte den Kopf schief, dann nickte er und reichte Sam seine Waffe. „Lass uns hier verschwinden. Das Zimmer ist nur für heute bezahlt. Ich gebe den Schlüssel ab.“ Sam packte das Wenige ein, dass herumlag, nahm seine Tasche und den Käfig samt Handtuch. Vor der Tür blieb er stehen und atmete die kalte Nachtluft ein. Das Gefühl war fast überwältigend. Erst jetzt schien sein Gehirn zu registrieren, dass er wieder ein Mensch war, dass sein Körpergefühl wieder stimmte. Seine Muskeln vibrierten regelrecht. Er wollte jetzt nichts lieber als laufen, doch das ging nicht, nicht mal das ging, wenn mal ein Jäger war. Nein, es war wirklich nicht das erstrebenswerte Leben. Als Anwalt könnte er das jetzt! Egal. Sie mussten erstmal hier verschwinden. Sam brachte den Agenten zu seinem Wagen und ließ ihn dann vorfahren. In einem Waldstück, irgendwo im Nirgendwo hielt er an, öffnete den Kofferraum und holte den Käfig heraus, ohne das Handtuch zu lüften. Er hörte den Waschbären schnattern und ein Schauer rann ihm über den Rücken, als ihm bewusst wurde, dass er bis vor ein paar Stunden auch so geklungen hatte. Er stellte den Käfig ab, trat ein paar Schritte zurück und feuerte das Magazin leer. Das wilde Geschnatter war schon nach dem zweiten Schuss verstummt. Sam warf die Kleidung, die der falsche Sam benutzt hatte auf den Käfig, kippte Benzin darüber und zündete es an. Erst als das Feuer erloschen war, traute er sich einen Blick auf das Tier zu werfen. Der Waschbär war nur noch ein Haufen verkohlter Knochen. Sam atmete tief durch. Er ging zum Impala zurück und fuhr zu ihrem vereinbarten Treffpunkt. Keine Stunde später saßen Sam und Nick an einem kleinen Tisch in einer Bar. Im Hintergrund lief leise Musik. Jeder hatte eine halbvolle Flasche Bier und ein leeres Whiskeyglas vor sich. Gerade brachte ihnen die Kellnerin ihr Essen. „Können wir das Gleiche nochmal haben?“, fragte Nick und deutete auf die Getränke. „Kommt sofort“, antwortete sie und ging. „Erzählst du mir jetzt, was es mit dem Hasen auf sich hat?“, wollte Nick wissen. „Und was du über diese Marinette herausgefunden hast? War wirklich eine Voodoo-Göttin in dem Waschbären?“ „Das wird `ne längere Geschichte.“ „Die Bar hat keine Sperrstunde.“ Sam nickte mit einem schiefen Grinsen. Er überlegte, wie er anfangen konnte und begann dann mit einer Zusammenfassung all dessen, was sich ereignet hatte, seit sie sich in Dallas getrennt hatten. Er berichtete wie sich ihnen die Morde an jungen Mädchen, hinter denen sie einen Werwolf vermuteten, regelrecht aufgedrängt hatten und dass der Täter Sohn einer Zigeunerin war, die Dean in einen Wolf verwandelt hat. Teile davon kannte Nick ja schon, trotzdem schwieg er gebannt. Sam erzählte, dass Dean ihm den Hasen auf dem Jahrmarkt geschossen hatte, weil er als Kind einen Plüschhasen hatte, der bei einem überhasteten Aufbruch in irgendeinem Motel vergessen worden war. Er hatte den Hasen, als er weiterzog, in die Tasche gesteckt und schlichtweg vergessen. Er erzählte von der einsamen Suche nach einer Lösung und wie die ihn gefunden hatte. Kurz umriss er die Zeit nach dem Wolf und ihren letzten Fall und berichtete dann von Deans Unfall. Je länger er sprach umso freier fühlte er sich. Es tat so gut, dass er sich alles mal vor jemandem von der Seele reden konnte, der ihm einfach nur, wertungsfrei, zuhörte. „Und jetzt bin ich eigentlich nur auf der Suche nach Unis, aber unser altes Leben scheint immer schon auf mich zu warten“, beendete Sam seine Erzählung. „Daran kann ich leider auch nichts ändern“, bedauerte Nick. „Es einfach zu ignorieren ist wohl keine Option.“ Das wäre eine Option, ja. Aber Sam war sich nicht sicher, ob er das so einfach konnte. Mit Dean an seiner Seite wohl eher, aber so? Er ließ kurz den Kopf hängen, holte tief Luft und sah wieder zu Nick: „Du hast mir mehr geholfen, als du wahrscheinlich ahnst“, gestand er. „Willst du mir erzählen was es mit dieser Voodoo-Dingens auf sich hatte und woher du weißt, dass es diese Göttin war?“ Sam fuhr sich mit der Hand durch die Haare und war schon wieder irritiert, dass sie sich so ganz anders anfühlten. Er schüttelte den Kopf, bevor er Nick ansah. „Das Voodoo-Dingens heißt Marinette. Sie ist im haitianischen Voodoo die meistgefürchtete Loa, also ein zerstörerisches weibliches Geistwesen und sehr blutrünstig. Die Worte, die sie murmelte, als sie sich meinen Körper gestohlen hatte, konnte ich schwarzmagischen Beschwörungen zuordnen, die oft mit ihr in Verbindung gebracht werden. Bei dem Tausch habe ich Bilder gesehen, die wohl ihren Erinnerungen entsprangen. Bilder von Ritualen, aber auch eine Frau, die ich als Abigail Williams identifiziert habe.“ „Abigail Williams? Die Hexenprozesse von Salem?“ „Genau die. Abigails Vormund hatte Besitzungen in Haiti und brachte eine Hausangestellte, Tituba, mit nach Salem, die sich in Voodoo und schwarzer Magie auskannte. Ich vermute, dass sie der Göttin ihren Körper überlassen hat, oder die bei einem Ritual in diese gefahren ist. Seitdem ist sie dann von Mensch zu Mensch, oder Tier gewandert und hat über die Jahrhunderte jede Menge Schaden anrichten können, ohne erkannt zu werden und sie hätte wohl weiter gemacht, wenn sie jetzt nicht das Pech gehabt hatte, einen Jäger zu erwischen, der sie mit deiner Hilfe auslöschen konnte.“ „Also war das alles, dass sie gestoppt wurde, einfach nur Zufall?“ „Das war es“, bestätigte Sam. „Wie viele solcher Zufälle gibt es? Wie viele solcher wandernden Geister, Götter oder was auch immer?“ „Die Zahl kann dir wohl keiner nennen. Mehr als es Jäger gibt, auf jeden Fall und trotzdem haben die meisten Menschen ihr Leben lang nie mit diesen Kreaturen zu tun.“ „Weil es Jäger gibt?“ Sam nickte. „Ich denke, du hast Recht.“ „Ich möchte das trotzdem nicht öfter machen!“ „Tut mir leid, dass ich dich da schon wieder mit reingezogen habe.“ „Du musst dich nicht entschuldigen, auch wenn ich mich frage, warum du mich geholt hast.“ „Dean ist in dieser Beziehung nicht existent und Bobby, unser Ziehvater, zu weit weg. Es hätte alles unheimlich in die Länge gezogen und die Gefahr, dass dieses Marinette mit meinem Körper Unheil angerichtet hätte, nur vergrößert.“ Nick starrte eine Weile in sein Whisky-Glas, nickte und trank es aus. „Lass uns schlafen gehen.“ Sam folgte seinem Beispiel, trank aus, warf ein paar Scheine auf den Tisch und erhob sich ebenfalls. Der nächste Morgen kam so unausweichlich wie immer. Sam kämpfte sich aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Er warf einen kurzen Blick in den Spiegel und brauchte eine Weile, um zu verstehen dass das, was ihn da anstarrte, sein Spiegelbild war. Verdammt! Schon alleine dafür hatte diese, diese Missgeburt den Tod verdient. Wie sah er denn aus? Wenigstens hatte er die Elvis-Tolle nicht mehr. Das war wirklich die Krönung gewesen. Trotzdem! Es würde Monate dauern, bis er wieder aussah wie er es gewohnt war! Schnell putzte er sich die Zähne. Rasieren fiel aus, dafür musste er sich erst an den Anblick gewöhnt haben! Er zog sich an und ging zu Nicks Zimmer. Mit einem leisen „Hey“, begrüßte ihn Nick, als er ihn ins Zimmer ließ. „Gehen wir frühstücken?“ „Gerne“ Auf dem Weg ins Diner klingelte Nicks Telefon. Er nahm ab und lauschte eine Weile. „Nach dem Frühstück muss ich los“, informierte er Sam gleich nachdem er aufgelegt hatte. „Mein Chef hat Sehnsucht.“ „Das ist das einzig Gute an einem Leben als Jäger“, sagte Sam. „Uns scheucht kein Chef durch die Gegend. Wir können uns unsere Arbeit selbst suchen.“ „Oder sie findet euch.“ „Oder das“, seufzte Sam. „Ich muss ja auch zurück.“ Die Beiden frühstückten in Ruhe und trennten sich dann auf dem Parkplatz vor ihren Zimmern, nicht jedoch ohne sich das gegenseitige Versprechen abzunehmen, öfter zu telefonieren, mit einer herzlichen Umarmung. Zwei Orte weiter hielt Sam bei einem Friseur und ließ sich die Haare noch einmal richtig schneiden. Jetzt sah er dem alten Dean zwar ähnlicher als sich selbst, aber so würde er, wenn sie langsam wieder wuchsen, in ein paar Monaten wieder wie er selbst aussehen, ohne dass er immer wieder zum Friseur musste. Nur dass er Bobby einen weiteren Fall beichten musste, bereitete ihm leichte Bauchschmerzen. Aber dieses Mal konnte er ja wirklich nichts dafür. Ohne größere Pausen fuhr er bis in die Nacht hinein und fiel nur noch in das Bett, als er sich endlich ein Zimmer genommen hatte. Am nächsten Morgen stand er zeitig auf und machte sich schnell wieder auf den Weg. Er kam so gut durch, dass er es sogar pünktlich zu seinem Job schaffte. Kapitel 285: Gitarrensolo ------------------------- 285) Gitarrensolo „Du siehst komisch aus“, empfing Dean seinen Bruder, als der am Abend in die Küche kam. Sam seufzte. Sein großer Bruder Dean hätte jetzt jede Menge dummer Sprüche auf Lager gehabt, bis hin zu der bemerkung, dass er schon seit Jahren davon redete, damit er sich von seiner matte trennte. Das einzige, was Dean jetzt bedauern würde, wäre, dass er ihn nun nicht mehr Samantha nennen könnte. Aber der Dean war nicht mehr. Der Dean, den er jetzt vor sich hatte, schaute ihn nur fragend an. „Ich war beim Friseur. Die hatten da einen Lehrling und ich habe ihn machen lassen. Das Ergebnis sah zwar als Frisur gut aus, stand mir aber überhaupt nicht. Also haben sie noch mal die Schere geschwungen und es ganz kurz geschnitten.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Ich hätte wissen müssen, dass mir nicht gefallen würde was er machen wollte, als ich seine Frisur sah. Er sah aus wie Elvis!“ „Wer ist Elvis?“ „Ein Sänger, der vor einer halben Ewigkeit gestorben ist. Er hat ganz gute Musik gemacht, die aber nicht mein Geschmack ist.“ Dean schaute ihn noch immer fragend an. „Ich zeig es dir nachher.“ „Okay. Wie war die Uni? Müssen wir umziehen?“ „Nein. Ich habe noch keine Info. Aber nach Charlotte will ich nicht, da habe ich keine Bewerbung abgegeben. Wie bist du über die Woche gekommen? Was habt ihr gestern gemacht?“, lenkte Sam die Aufmerksamkeit von sich ab. „War ganz okay“, sagte Dean leise, „ich komme allein klar. Aber ich mag es nicht so allein zu sein. Es ist schöner wenn du da bist!“, er schaute Sam in die Augen. „Gestern waren wir Minigolf spielen.“ „Da wäre ich gerne dabei gewesen“, überlegte Sam ein bisschen traurig. Allerdings wäre er wohl auch wenn er diesen einen Tag nicht verloren hätte wahrscheinlich zu spät gekommen. Er seufzte leise und widmete sich seinem Essen. Später saßen sie gemütlich auf der Couch, holten sich ihren täglichen Klatsch und Tratsch und ein paar Sportnachrichten, während sie nebenbei ein Spiel schauten. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Bobby Sam erschrocken, als er die Brüder am folgenden Sonntag begrüßte. Auch Jody musterte den jüngeren Winchester irritiert, sagte jedoch noch nichts. „Ein missglücktes Experiment?“, Sam versuchte sich an einem Grinsen. So langsam hatte er sich an sein Aussehen gewöhnt. Gefallen tat es ihm allerdings immer noch nicht. „Experiment?“ „Naja, ich war in Charlotte, hab mir die Uni angeschaut. Ich hatte noch Zeit und bin zum Friseur gegangen. Ein Lehrling wollte es versuchen. Ich hab mir überlegt warum nicht. Spitzen sollte er wohl können. Allerdings habe ich mich entweder missverständlich ausgedrückt oder er hat mich falsch verstanden. Das Ergebnis war eine Frisur wie die von Elvis. Grausam!“, Sam verdrehte die Augen. „Die Chefin hat gerettet was zu retten war und jetzt muss ich bestimmt ein halbes Jahr warten, bis mein Spiegelbild halbwegs wieder nach mir aussehen wird!“ „Oje, du Armer“, rief Jody aus und zog den Großen in eine herzliche Umarmung. „Das tut mir so leid!“ „Naja, ich gewöhne mich langsam daran, auch wenn es mir nicht gefällt“, erklärte Sam leise. „Die Uni hat´s mir jedenfalls verdorben!“ „Dann hatte das ja glatt auch was Gutes“, grinste Bobby. „Was Gutes?“, hakte Dean irritiert nach. „Naja, ihr zieht nicht so weit weg“, erklärte Bobby. „Charlotte ist doch verdammt weit weg. Und jetzt lasst uns essen und ihr berichtet von eurer Woche.“ Das ließen sich die Brüder nicht zweimal sagen. „Hast du nicht ab morgen dein Praktikum?“, wollte Jody nach dem kurzen Bericht von Dean wissen. Der nickte. „Ja, zwei Wochen“, sagte er nur. So richtig geheuer war ihm das nicht. Die Schule fand er inzwischen richtig toll und auch das Praktikum würde wahrscheinlich Spaß machen und ihm gefallen, doch es fiel ihm immer noch schwer sich auf Neues einzustellen. „Ich denke, es wird dir Spaß machen“, machte Jody ihm Mut. „Kannst du denn dann noch arbeiten gehen oder hast Du Ed schon abgesagt?“, wollte Bobby jetzt wissen. „Nächste Woche hab ich Frühdienst, danach fahre ich noch zu Ed. Das geht. Aber in der zweiten Woche habe ich Spätschicht, von 2 bis 10 Uhr. Das wird nichts mit Arbeiten. In der Woche danach sind Prüfungsvorbereitungen und dann die Prüfungen. Vielleicht kann ich danach noch was bei ihm machen, wenn das Wetter passt.“ „Wie doch die Zeit vergeht“, stellte Jody fest. „Ist es denn etwas was du für den Rest deines Lebens machen wollen würdest?“ „Ja, es macht wirklich Spaß. Trotzdem möchte ich es bei der Feuerwehr versuchen, nächstes Jahr. Erstmal stehe ich noch mit in der Auswahl für das große Praktikum am Ende des Kurses.“ „Echt? Du hast doch gesagt, dass es dafür nur vier Plätze gibt“, sprudelte Sam hervor. „Ja?“, Dean schaute skeptisch zu seinem Bruder. War das nicht gut? „Das ist toll, Dean. Ich wusste, dass du gut bist!“ Sam platzte fast vor Stolz. Jetzt legte sich auch auf Deans Gesicht ein glückliches Strahlen. „Danke“ „Nur nicht so bescheiden, Dean. Du bist super. Bleib wie du bist!“ Bobby legte seine Hand schwer auf Deans Schulter. „Danke“, sagte Dean mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen und Bobby atmete durch. Kein „Sir“. Vielleicht wurde es ja doch noch was mit ihm und seinem neuen Jungen. „Kann ich dich kurz sprechen?“, fragte Sam seinen Ziehvater nach dem Essen und deutete auf das Büro. „Klar, was ist?“ Sam schloss die Tür hinter sich, bevor er begann: „Was weißt Du über Marinette?“ „Sprichst du von Voodoo?“ „Ja.“ Sam nickt ernst. „Hat das etwas mit deiner neuen Frisur zu tun? Hast du wieder gejagt? Hast du Voodoo praktiziert?“ Bobby war immer lauter geworden. „Ja, nicht wirklich und nein!“, sagte Sam und konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. „Was heißt das jetzt?“ Sam begann von seiner Begegnung mit dem Waschbären und den folgenden Ereignissen zu berichten. „Warum hast du mich nicht angerufen?“ Bobby war verdammt sauer auf den Jungen. „Ich wollte so schnell wie möglich aus diesem Pelz wieder raus und es hätte mindestens zwei Tage gedauert, bis du dagewesen wärst. Keine Ahnung was das Ding mit meinem Körper in der Zeit angestellt hätte! Nick war wesentlich dichter dran.“ „Und wie kommst du auf die Idee, dass es Marinette sein könnte?“ „Ich habe Bilder gesehen, als wir die Körper gewechselt haben, Bilder, die an Voodoo-Zeremonien erinnerten. Ich habe Abigail Williams gesehen und eine dunkelhäutige Frau, die ich für Tituba halte.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Du meinst, dass sie schon seit 300 Jahren hier herumspukt?“ Wieder zuckte Sam mit den Schultern. Er kam sich klein vor, unter Bobbys enttäuschtem Blick. Klein und wie ein Kind, dass schon wieder eine große Dummheit begangen hatte. Dabei war das doch wirklich nicht seine Schuld. „Ich hab es wirklich nicht darauf angelegt ...“, versuchte er sich zu verteidigen. „Das wäre ja auch noch schöner!“, polterte Bobby, um dann versöhnlicher fortzufahren. „Ich weiß dass du nichts dafür kannst. Trotzdem musst du noch mehr aufpassen, jetzt wo Dean ...“ „Ich kann doch nicht nur im Haus hocken, jetzt wo Dean … Ich weiß, dass wir zu zweit am Besten sind, aber der Zweite unseres Teams existiert so nicht mehr!“ „Genau! Und das heißt für dich: Halt dich wenn möglich aus Allem raus!“ „Ich soll Menschen sterben lassen? Ich soll sie in ihrem Elend sitzen lassen obwohl ich helfen kann?“ „Nein. Du sollst Bescheid geben, damit ich einen anderen Jäger suchen kann.“ „Das hat ja letztens auch so gut geklappt!“, schoss Sam ohne nachzudenken. Bobby zuckte unter diesem verbalen Schlag zusammen. „Ich... es tut mir leid“, stammelte Sam heiser. „Denkst du nicht, dass ich mir deshalb nicht immer noch Vorwürfe mache? Denkst du, dass es mir leicht fällt Dean so zu sehen, ihn so zu erleben? Ich würde Vieles geben, dass ungeschehen zu machen.“ Er erhob sich und ging zur Tür. „Bitte versuche dich einfach etwas zurückzuhalten. Dean ist ohne dich aufgeschmissen, auch wenn er sich vielleicht nicht so benimmt.“ Er verließ sein Büro und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. „Was macht ihr da?“, wollte er wissen, als er Dean und Jody werkeln sah. „Wir probieren ein neues Rezept für Cheese-Cake aus.“ Jody schaute ihren Partner besorgt an. „Alles in Ordnung“, wehrte der ab. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und schaute ihnen weiter zu. Auch Sam kam ich die Küche und auch er sah ziemlich geknickt aus. Doch wenn Dean etwas von der gedrückten Stimmung mitbekam, sagte er nichts dazu. Er wollte Sam lieber später danach fragen, wenn sie alleine waren. Also bemühte er sich mit Jody zusammen diese gedrückte Stimmung irgendwie aufzulockern und da weder Sam noch Bobby wirklich nachtragend waren, gelang es ihnen. Für die Arbeit als Rettungssanitäter war Dean sofort Feuer und Flamme. Die Kollegen, mit denen er mitfuhr ließen ihn vieles selbst machen und fragten ihn auch immer wieder was er für eine Diagnose stellen, und wie er die Behandlung angehen würde. In den ersten beiden Tagen hetzten sie förmlich von einem Einsatz zum nächsten. Es war kalt geworden und die Straße überfroren, was zu vielen Unfällen führte. Erst am dritten Tag beruhigte sich das Wetter und die Rettungswagen konnten auch mal für ein oder zwei Stunden in der Garage bleiben. Dean ging in den Aufenthaltsraum, um sich einen Kaffee zu holen. Unter dem Fenster stand eine Gitarre. Er stellte seine Tasse auf den Tisch und ging, wie unter einem Zwang zu dem Instrument, nahm es, setzte sich auf einen Stuhl und begann vorsichtig die Finger darüber gleiten zu lassen. Langsam entwickelte sich aus dem Geklimper eine Melodie. Ganz in sich versunken spielte Dean was ihm einfiel. Er bekam auch nicht mit, dass Krista mit ihrem Team in den Raum kam. Erst als sie überrascht: „Du kannst ja Gitarre spielen“, ausrief, schaute er auf. „Ich … ähm, ich wusste nicht, dass ich das kann“, sagte er leise. „Du kannst ruhig weiterspielen, das klang gut“, erklärte Evan, der Fahrer aus seinem Team. „Nein, ich ...“ Er stellte das Instrument wieder an seinen Platz. Unter Beobachtung konnte er das nicht. Schon gar nicht, weil er nicht wusste, was er da überhaupt getan hatte. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder und trank seinen, inzwischen kalt gewordenen, Kaffee. „Ich kann Gitarre spielen“, überfiel er Sam in ihrem Häuschen, kaum dass er zur Tür. hereingekommen war. „Kann ich?“ „Du hast mal begonnen zu spielen. Da warst du 13 oder 14 und wolltest einem Mädchen imponieren, glaube ich. Oder sie konnte es und sollte es dir beibringen. So genau weiß ich das nicht mehr.“ „Und was kann ich spielen?“, bestürmte Dean ihn sofort weiter. „Country Roads konntest du und Hallelujah, weil sie es liebte. House of the rising sun hast du auch mal versucht und Hey Jude. Das war Moms Lieblingslied. Sie hat es dir immer als Schlaflied vorgesungen.“ „Wenn ich spielen kann müsste ich dann nicht ein Instrument haben?“ „Es war wie mit so vielem in unserem Leben. Wir zogen weiter. Alles was Dad nicht als überlebenswichtig einschätzte, fiel durch das Raster und wurde durch andere, „wichtigere“ Dinge ersetzt.“ „Da ist schade“, erklärte Dean leise. „Ja, das ist es. Wie bist du überhaupt darauf gekommen, dass du spielen kannst? Ich hatte es vergessen und soweit ich mich erinnern kann, du auch. Du hast in den letzten fast 20 Jahren nie darüber gesprochen.“ „Im Aufenthaltsraum stand eine Gitarre. Ich war alleine da und irgendwie zog sie mich an. Ich musste es einfach probieren.“ Sam nickte und lächelte. Das wäre auch eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk. „Hat es denn Spaß gemacht, das Spielen? Würdest du es wieder machen wollen?“ „Weiß nicht“, es war komisch, irgendwie. Aber er hatte vollkommen abgeschaltet. Etwas, das ihm in letzter Zeit immer seltener gelang, also: „Ja. Warum nicht?“ In dieser Woche kam Dean noch zwei Mal dazu ein wenig auf der Gitarre zu üben. Beim zweiten Mal hatte er sogar Zuhörer, ohne dass er sie bemerkte. Erst als sie sie bemerkbar machten und ihm sagten, dass er eine schöne Stimme hatte, war ihm bewusst geworden, dass er die Melodien leise mitgesummt hatte. Es war ihm so peinlich, dass er die Gitarre wegstellte und aus dem Zimmer flüchtete. Kapitel 286: Weihnachtsgeschenke für Bobby ------------------------------------------ 286) Weihnachtsgeschenke für Bobby Schon am Samstagmorgen, als Dean aufwachte, fühlte er sich niedergeschlagen. Vielleicht sollte er einfach liegen bleiben, dann würde dieser Tag nicht existieren, genauso wenig wie sein letzter Arbeitstag bei Ed. Die Arbeit hatte ihm Spaß gemacht. Sie hatte ihn gefordert und, was vielleicht am wichtigsten war, mit dieser Arbeit hatte er Wut abbauen können. Die Wut, die ihn hin und wieder noch überfiel, wenn ihm sein Leben zu ungerecht erschien, wenn er alles um sich herum für seine Amnesie hasste. Diese Wut war in den letzten Wochen viel weniger geworden, aber sie war noch nicht vollständig verschwunden und sie quälte ihn immer wieder in seinem Träumen. Er hatte Angst vor den Tagen, in denen er nicht mehr auf dem Bau arbeiten ging, hatte Angst vor den Albträumen, die lange nicht mehr so schlimm waren, wie bei Bobby, ihn aber immer noch unvorbereitet trafen. Nein, eigentlich war das nicht ganz richtig. Es waren Albträume, die er hatte, doch sie hatten nichts mit denen zu tun, die ihn bei Bobby aus dem Haus getrieben hatte. Heute träumte er eigentlich nur davon, dass er verletzt wurde. Mal war es Sam, der ihn anschoss, mal war es das, was aus dem Dunklen kam oder aber er verletzte jemanden. Energisch schlug er die Bettdecke beiseite und stand auf. Irgendwie würde er auch dieses Problem lösen können. Vielleicht trainierte Sam wieder mit ihm, oder er ging in das Dojo, in dem sie ihre erste Stunde zur Konfliktbewältigung hatten. Da fiel ihm ein, dass es bei Bobby ja auch einen Trainingsraum gab. Den könnte er nutzen. Jody würde sich freuen, wenn er öfter käme und Mr. Singer wohl auch. Egal. Jetzt hieß es erst einmal seine letzte Schicht bei Ed zu absolvieren und die würde er voll ausschöpfen! Trotz dem, dass Dean sich vorgenommen hatte, diesen Tag zu genießen, schaffte er es nicht wirklich die Melancholie zu vertreiben, die ihn am Morgen erfasst hatte. Daran änderte auch der extra dicke Umschlag nicht, den sein Chef ihm zum Feierabend überreichte. Dean lächelte und versuchte den Klos in seinem Hals herunterzuschlucken. Er verabschiedete sich herzlich von Ed und bedankte sich für die Chance, die er ihm gegeben hatte. Ed bedankte sich seinerseits für die geleistete Arbeit und dafür, dass er ihm so gut aus der Patsche geholfen hatte. Schnuppernd hob Dean die Nase. Kaum dass er zur Tür ihres kleinen Häuschens hereingekommen war. „Ja, ich dachte, zur Feier des Tages könnte ich kochen, aber wir wissen beide, dass ich nur Sandwiches und Pizza wirklich gut kann. Also habe ich Ripeye-Steak und Kartoffelspalten geholt.“ Feierlich deutete Sam auf den gedeckten Tisch. „Mir ist aber nicht nach Feiern“, gab Dean zu und fügte ein: „Aber es riecht lecker und ich habe Hunger“, hinzu, als er Sams enttäuschte Mine sah. Ja, Enttäuschung konnte er zweifelsfrei zuordnen. „Warum ist dir nicht nach Feiern?“, fragte Sam, kaum dass sie sich ihre Teller gefüllt hatten. „Die Arbeit hat mir geholfen. Vielleicht kannst du mit mir ja wieder trainieren?“ „Die Arbeit hat dir geholfen?“ Dean nickte. „Ja, ich ...“ „Du hast wieder oder immer noch Albträume?“ „Ja, naja, ich ...“ stammelte der Ältere. Nur zu gut hallten die Worte der Psychologin in seinem Kopf wider. Psychisch instabilen Patienten sollten sie immer das Gefühl geben, dass sie sie ernst nehmen und schnellstmöglich professionelle Hilfe anfordern! Aber ja, Sam wusste von seinen Albträumen, von denen, die er früher gehabt hatte und er hatte ihm beigestanden! „Ja. Ich träume manchmal schlecht“, gab er jetzt zu. „Es geht dann meistens um die Verletzungen, die wir am Tag davor durchgenommen haben. Es … es erschrickt mich, was Menschen einander antun. Und ich habe gerne bei Ed gearbeitet. Es hat Spaß gemacht und ich habe viel gelernt.“ Sam nickte. „Ich kann dir nicht versprechen, immer für dich da zu sein, vor Allem nicht in den nächsten zwei Tagen, aber danach ich versuche es, okay und ja. Wenn du mit mir trainieren willst, tue ich das gerne.“ Er war sich sicher, dass da noch mehr war, allerdings wollte er jetzt nicht tiefer in Dean dringen. Er wusste, dass es Dean schwer fiel, Gefühle zu erklären, ja sie überhaupt zu empfinden. Um ihm dabei zu helfen, war ihm leider noch nichts eingefallen, was sich auch als praktikabel und nützlich erwiesen hatte. In aller Ruhe aßen sie und dann ließen sie sich vor dem Fernseher nieder. Auch am Sonntag hockte Dean noch in seinem melancholischen Loch und erst der zweite „Affenfilm“ mit Clint Eastwood schaffte es, ihm wenigstens hin und wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern und Sam machte sich so langsam wirklich Sorgen. Wie konnte er Dean da nur raushelfen? Montagmorgen brachte Dean seinen Bruder zum Flughafen. „Das ist die letzte Uni, die ich mir anschaue und bei der ich mich bewerbe“, versprach Sam beim Abschied. „Egal ob ich bei einer einen Platz bekomme oder nicht.“ „Und wenn nicht?“, wollte Dean leise wissen. „Wenn nicht, versuche ich es zum nächsten Studiensemester noch einmal. Und wenn das auch nichts wird, werde ich meinen Traum vom Jura-Studium wohl begraben und mir etwas anderes suchen müssen. Aber darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist, okay?“ Auf keinen Fall wollte Sam seinen Bruder jetzt damit belasten. Der hatte genug um die Ohren. Er stieg aus, nahm seine Tasche aus dem Kofferraum und beugte sich noch einmal zu Dean in den Wagen. „Morgen, kurz nach elf bin ich wieder da!“, versprach er und ging zum Terminal. ‚Das hätte ich beim letzten Mal schon machen sollen‘, überlegte er. Aber da hatten ihn die Kosten abgeschreckt und der Gedanke auf Grund der Fahrerei so wenig Zeit wie möglich mit diesem verhassten Dozenten verbringen zu müssen, war zu verlockend gewesen. Im Nachhinein betrachtet hätte er sich die Erfahrungen als Waschbär erspart, aber Marinette würde noch immer hier ihr Unwesen treiben. Energisch schob er diese Gedanken beiseite, checkte ein und beschloss den Flug einfach zu genießen. Ein Vorsatz, der ihm auch gelang. Am Flughafenin Boston angekommen nahm er sich einen Mietwagen und fuhr zu dem günstigen Motel, dass er sich schon am Abend zuvor rausgesucht hatte. Schnell zog er sich um und fuhr zur Uni. Der Nachmittag war wirklich informativ gewesen und das Uni-Gelände gefiel ihm. Hier würde er gerne studieren. Der einzige Nachteil war die Entfernung zu Bobby. Da konnte er nicht einfach mal hinfahren. Bei einer Zusage hier würde er entweder Dean schon wieder aus seinem gewohnten Umfeld reißen oder sie mussten sich trennen. Gut, Dean war inzwischen so viel selbstständiger geworden, als noch vor einem Monat. Trotzdem würde er schon gerne mit ihm zusammenbleiben, immerhin hatte Dean trotz allem noch mit seiner Amnesie zu kämpfen. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Hatte er immer noch nicht gelernt, dass es nichts brachte Pläne zu machen? Wann hatten die denn zuletzt wirklich so funktioniert? Hatten sie es überhaupt je? Er hatte gerade mal seine Bewerbungsmappe abgegeben und jetzt dachte er schon darüber nach wie und wo sie leben konnten. Sein Magen knurrte leise. Wenn er schon über Zukunftspläne nachdachte, dann vielleicht über den, wo er heute etwas zu essen herbekam und ob er mit dem Auto oder doch zu Fuß dahin gelangen sollte. Ganz in der Nähe seines Motels war ein Restaurant, da wollte er hingehen und ja gehen. Er war zwar heute schon genug gelaufen. Aber eigentlich konnte es ihm ja nie genug Bewegung sein. Er fuhr zu seinem Motel, stellte den Wagen ab und lief entspannt die Straßen entlang. Hin und wieder blieb er an den Schaufenstern der Geschäfte stehen und schauten sich die Auslagen an. So auch bei einem Antiquitäten-Handel. Neben den üblichen Uhren und Schmuck, lagen hier auch Bücher und ein alter Dolch, dessen Klinge mit Symbolen versehen war. Den wollte er sich näher anschauen. Waren das echte Schutzsymbole oder hatte da nur jemand irgendwas in die Klinge geritzt? Kurzentschlossen betrat er das Geschäft. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die alte Dame, die in einem alten Sessel saß. Sie legte ihr Strickzeug beiseite und erhob sich. „Ich habe im Schaufenster gesehen, dass sie auch Bücher haben“, begann Sam unverfänglich. „Darf ich mich da mal umsehen?“ „Gerne“, erklärte sie und führte ihn in die Ecke, in der das Bücherregal stand. Sam überflog die Buchrücken. Er zog das eine oder andere Buch heraus und blätterte darin und verwickelt die alte Dame so in ein Gespräch über Dumas und Jules Verne, urbane Legenden und nordische Mythologien. „Das Buch im Schaufenster interessiert mich“, erklärte er, „und dieses hier.“ Er hielt das Buch in der Hand. Es befasste sich mit der Hexerei in Europa und enthielt auch einige Rituale und Auszüge aus dem Hexenhammer. Mal sehen was es kostete. Sie ging nach vorn, um das Buch zu holen. Sam folgte ihr und schaute zu, wie sie erst den Dolch, der etwas im Weg lag, und dann das Buch herausnahm und ihm gab. Er blätterte etwas darin. „Nein, das ist es nicht. Er legte es auf den Tisch und erst jetzt fiel sein Blick, vollkommen zufällig, auf den Dolch. „Darf ich?“, fragte er. Sie nickte und er nahm ihn in die Hand. „Reines Silber“, erklärte sie. „Ich habe ihn von einem Mann, der behauptete, dass sein Vater damit mehrere übernatürliche Kreaturen getötet hat.“ „Und das haben Sie ihm geglaubt?“, fragte der Winchester skeptisch. „Nicht wirklich. Aber es sieht mystisch aus und wenn es hilft.“ Sie lächelte verschmitzt. Sam nahm den Dolch und hielt ihn näher ins Licht. Eines der Symbole war ein mächtiges Schutzsymbol, ähnlich dem, das er über dem Herzen trug. Die anderen sahen eher nach Runenzauber aus. „Es ist hübsch. Ich gebe ihnen 20 Dollar dafür.“ Bot er ihr an. „40“ Letztendlich einigten sie sich auf 90 Dollar für den Dolch und das Buch. Zufrieden verließ Sam das Antiquariat, das Weihnachtsgeschenk für Bobby in einer Papiertüte verpackt. Jetzt sollte er sich aber beeilen. Sein Magen grummelte inzwischen deutlich. Ein wenig bedauerte Sam es doch, zu Fuß zum Restaurant gegangen zu sein. Das Essen war gut und reichhaltig gewesen und er hatte mehr gegessen, als es für ihn üblich war. ‚Nach dem Essen soll man ruh‘n oder 1000 Schritte tun‘, fiel ihm ein Spruch ein, den er mal irgendwo gehört hatte. 1000 Schritte würden es nicht werden, aber ein paar hundert wohl schon. Er stecke den Dolch in die hintere Hosentasche, klemmte sich das Buch halb unter den Arm und schloss die Jacke. Schnell schlug er den Kragen seiner Jacke hoch, vergrub seine Hände tief in den Jackentaschen und wandte sich in Richtung seines Motels. Er war vielleicht noch drei Blocks von seinem Zimmer entfernt, als er glaubte einen erstickten Schrei gehört zu haben. Er schaute sich um. Ein paar Schritte weiter gab es einen dunklen Durchgang zwischen zwei Häusern. Kam der Schrei daher? War es überhaupt ein Schrei? Er ging zu dem Durchgang und lauschte. „Hallo?“ Nichts! Da hatte er sich wohl getäuscht. Sam ging weiter. Er war gerade an dem Durchgang vorbei, als etwas polterte und gleich danach hörte er einen weiteren erstickten Schrei. Er ging zurück und langsam, sich sichernd umschauend, in diese Gasse hinein. Er konnte kaum etwas erkennen und mit jedem Schritt schien es noch dunkler zu werden. Links neben ihm lösten sich die Umrisse von zwei Müllcontainern aus der Dunkelheit. Daneben schien eine Treppe zu sein. Weiter hinten, kurz bevor eine Mauer den weiteren Durchgang versperrte, gab es auf jeden Fall eine Tür. Eine trübe Funzel glomm über der Treppe. Kapitel 287: Nicht so, Sam -------------------------- 287) Nicht so, Sam Genau in diesem trüben Licht sah er eine Gestalt im Schatten zwischen den Containern stehen. Diese Gestalt schien eine kleinere im Arm zu halten. „Hey“, fragte Sam heiser. Auf keinen Fall wollte er ein Pärchen beim Knutschen stören. „Alles okay?“ Der Kopf der großen fuhr herum. „Verschwinde“, fauchte er. Das kleinere Wesen in seinen Armen nutzte diese Chance und versuchte sich zu befreien. „Hilfe, bitte“, kam es verzweifelt über ihre Lippen. Sam war alarmiert. Seine Hand wanderte zu seiner hinteren Hosentasche. „Lass sie los!“, forderte er von dem Mann. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und machte die Schultern breit. Vielleicht half das ja schon. Anscheinend nicht. Der Kerl ließ von ihr ab, wischte sich über den Mund und sprang auf Sam zu. „Wenn du dich als Futter anbietest“, grinste der breit, „will ich dich nicht enttäuschen!“ ‚Na toll! Es musste unbedingt ein Vampir sein!‘, schoss es Sam durch den Kopf. ‚Ein einfacher Dieb, ober von mir aus auch ein Vergewaltiger reichten nicht!‘, Er hatte keine Zeit mehr das Messer zu ziehen, sondern schaffte es nur, sich etwas sicherer hinzustellen. Der Vampir war durch die frische Mahlzeit, die er eben noch hatte, verdammt stark. Der rannte ihn regelrecht über den Haufen. Er strauchelte, versuchte sein Gleichgewicht durch einen Schritt nach hinten wieder zu finden. Sofort war sein Angreifer bei ihm, packte ihn und versuchte ihm die Zähne in den Hals zu rammen. Sams jahrelang trainierte Reflexe, waren durch die Ruhe des letzten halben Jahres etwas eingeschlafen. Deshalb schaffte er es nicht, sich diesem Angriff komplett zu entziehen, konnte sich aber soweit drehen, dass der Vampir ihn nur an der Schulter erwischte. Der Schmerz lähmte ihn trotzdem für ein paar Sekunden. Hastig verdrängte er ihn soweit, damit er endlich den Dolch aus seiner Tasche ziehen und dem Vampir zwischen die Rippen rammen konnte. Augenblicklich löste der seinen Biss, fauchte wütend und stieß Sam mit einer Leichtigkeit von sich, die der nie erwartet hätte. Er wurde ein paar Meter weit geschleudert. Erst eine Ecke der Müllcontainer stoppte ihn, schmerzhaft, und presste alle Luft aus seiner Lunge. Mit einem stummen Schrei auf den Lippen rutschte er über die Kante des Containers zu Boden. Aus dem Augenwinkel sah er seinen Angreifer über die Mauer verschwinden. Er wollte nie wieder aufstehen! Doch dann hörte er, wie die Frau: „Polizei? Ich bin überfallen worden ...“, in ihr Telefon schrie. Er riss sich zusammen. Seine Finger schlossen, sich eher unbewusst, um den Griff des Dolches. Mühsam stemmte er sich in die Höhe und sah zu, dass er verschwand. Er hörte noch, wie sie hinter ihm herrief, dass sie die Polizei verständigt hätte und auch ein Rettungswagen unterwegs war. Er wollte das nicht hören, denn er brauchte sie nicht! Oder eher doch, aber er wollte hier keine Zeit verschwenden und nichts und niemand konnte ihn dazu bringen sich mit den Ordnungshütern unterhalten zu wollen und sie folgte ihm nicht. Für die drei Blocks, die ihn noch von seinem Zimmer trennten, brauchte Sam eine halbe Ewigkeit. Immer wieder musste er anhalten und sich, an einer Mauer oder eine Laterne festhaltend, nach neuer Kraft schöpfen. Sein Rücken brannte und die Schulter pochte schmerzhaft. Doch irgendwann schaffte er es. Er stolperte durch die Tür. Am Liebsten würde er sich jetzt aufs Bett fallen lassen, doch das würde alles nur verkomplizieren und er wusste nicht, ob er so schnell wieder hoch käme. Er streifte sich seiner Jacke ab, suchte in der Minibar nach möglichst klarem Alkohol und ging ins Bad. Vorsichtig zog er sich Hemd und T-Shirt aus. Das Hemd war vielleicht noch zu retten, das T-Shirt auf keinen Fall. Langsam drehte er seinen Rücken zum Spiegel. Die linke Seite war großflächig aufgeschürft. Wenn er die vernünftig reinigen konnte, würde sie schmerzhaft bleiben und ihn behindern, aber nichts, was nicht ein paar Tage Ruhe auszukurieren war. Seine Schulter sah da doch viel schlimmer aus. Die Wundränder waren irgendwie rot, auch wenn er das Blut wegwischte. Hoffentlich war kein fremdes Blut in seinen Kreislauf gekommen. Das konnte böse ausgehen! Langsam entledigte er sich seiner restlichen Kleidung und stieg in die Dusche. Jetzt hieß es Zähne zusammenbeißen! Er atmete tief durch und stellte das Wasser an. Im ersten Moment passierte nichts, doch dann raste der Schmerz regelrecht durch ihn hindurch und er brauchte all seine Kraft, um nicht zusammenzubrechen. Irgendwann ebbte der Schmerz etwas ab. Er stellte das Wasser aus und griff nach den beiden kleinen Flaschen, die er sich nacheinander über die Wunden kippte und wieder ging es fast über seine Kraft. Vollkommen ausgelaugt taumelte er ins Zimmer und fiel in sein Bett. Er schaffte gerade noch sein Handy zu stellen, damit er morgen früh nicht verschlief. Bleich, leicht zitternd und mit fiebrig-glasigen Augen stieg er in Sioux-Falls aus dem Flugzeug. Dean fixierte seinen Bruder misstrauisch, als der ihm in der Ankunftshalle entgegenkam. „Was ist mit dir?“, fragte er auch sofort und nahm Sam die Tasche ab. Besorgt musterte er ihn. „Ich bin okay!“, erklärte der stur. „Nein, bist du nicht! Du bist bleich und dein Gesicht glänzt fiebrig.“ Noch immer schaute er ihn fragend an. Sam schnaufte genervt. Dean hatte ja Recht und wenn sein Bruder noch sein Bruder wäre, würde er ihn wohl sofort zu einem Arzt schleppen, doch er wollte nur noch in sein Bett. Also erklärte er mit so fester Stimme wie es ihm möglich war: „Aber ich werde es morgen wieder sein. Bring mich einfach nur nach Hause, bitte.“ „Soll ich dich nicht lieber zu einem Arzt fahren, oder ins Krankenhaus?“ Dean war sich nicht sicher, ob das das Richtige war. „Nein, Dean, nach Hause reicht und du musst auch nicht bei mir bleiben“, wehrte er auch gleich noch dieses Anliegen ab. Er wollte nicht reden und er wollte zu keinem Arzt. Er wollte einfach nur in sein Bett. Deans Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen und seine Kiefermuskeln arbeiteten, doch er sagte nichts mehr. Sam war hier der, der Auf ein Leben zurückblickte und deshalb würde er auch wissen, was er tat. Wohl fühlte er sich mit dieser Entscheidung allerdings nicht. In ihrem Häuschen ging Sam sofort nach oben, in sein Bett. Dean kochte ihm einen Tee und rief Bobby an. Mit wenigen Worten schilderte er ihm die Lage und dass er Sam nicht alleine lassen wollte, aber auch nicht bleiben konnte und Sam außerdem nicht wollte, dass er blieb. Keine halbe Stunde später war der alte Jäger da und Dean ließ ihn ins Haus. „Wo ist er?“, fragte Bobby mit erzwungener Ruhe. Wortlos deutete Dean nach oben. Bobby nickte und ging hinauf. Ohne zu klopfen betrat er das Zimmer. Sam richtete sich auf und starrte erschrocken zu ihm. „Was machst du denn hier?“ „Dean macht sich Sorgen um dich und das wohl nicht zu Unrecht! Er hat mich angerufen.“ „Das hätte er nicht tun sollen.“ „Sich Sorgen machen?“, Bobby verstand ihn absichtlich falsch. „Nein, Dich anrufen!“ Langsam stieg Dean die Treppe hinauf. Er wollte Sam nur Bescheid sagen, dass er los musste. Aber Mr. Singer, Bobby, war bei ihm. Er wusste nicht, ob es richtig gewesen war, dass er ihn angerufen hatte, auch wenn der sofort gekommen war. Seine Gefühle gegenüber diesem Mann hatten sich kaum geändert. Noch immer konnte er sich nicht dazu durchringen ihn Bobby zu nennen, auch wenn er das „Sir“ inzwischen kaum noch benutzte. Noch immer lag in dessen Augen diese Hoffnung, dass er wieder der alte Dean wurde und noch immer fühlte er sich unter diesen Erwartungen unbehaglich. Noch immer wünschte er sich fast verzweifelt sich zu erinnern, um endlich diese Erwartungen erfüllen zu können. Sein Gedächtnis funktionierte seit seinem Unfall wieder hervorragend. Er konnte sich an alles danach erinnern und er hatte keine Probleme mit seinem Lernstoff. Doch alles davor lag im Dunkeln. Bis auf ein paar erschreckende, verstörende Bilder. Wütend schüttelte er den Kopf und nahm die letzten Stufen nach oben. Er klopfte an den Türrahmen und trat ein. „Danke, dass s… du bei Sam bleibst. Ich hätte ihn ungern allein gelassen“, begann Dean an Bobby gerichtet. „Das tu ich gerne“, antwortete der Ältere und lächelte tapfer. Deans Zögern war ihm mehr als deutlich aufgefallen und es verpasste ihm schon wieder einen Stich ins Herz. Doch er hatte Sam versprochen nichts zu sagen. Er hatte versprochen Dean sich selbst finden zu lassen. Doch tat er das? War er nicht gerade wieder dabei in die alte Schiene zu rutschen, auch wenn er es selbst nicht wusste? „Essen steht im Kühlschrank. Ich habe dir Reis mit Hühnchen gemacht. Es sollte für euch beide reichen“, sagte er ruhig und wandte sich dann wieder an dem Besucher. „Ich bin so gegen elf wieder da, denke ich. Wenn du solange hier bleiben könntest?“, seine Augen wanderten zu Bobby. „Kann ich, mach dir keine Sorgen.“ „Danke“, sagte Dean und ignorierte Sams wütenden Blick. Er wollte einfach sicher sein, dass sein Bruder versorgt war, auch wenn es ihm plötzlich schlechter gehen sollte. Er ließ die Beiden wieder allein. „Was ist passiert?“, fragte Bobby Sam leise. Sam seufzte. Er würde jetzt viel lieber schlafen. Er war müde und sein Magen konnte sich noch immer nicht entscheiden, ob er den Bagel, den er zum Frühstück gegessen hatte wieder hochwürgen oder jetzt doch verdauen sollte. In wenigen Worten berichtete er von dem Vampir und bat ihn, einen Jäger in die Gegend zu schicken, oder Portland wenigstens im Auge zu behalten, nicht dass dort noch mehr Menschen zu Schaden kamen. „Darum kümmere ich mich nachher. Jetzt sag mir, wie geht es dir wirklich?“, fragte Bobby Sam. „Und ich will keine Lügen hören!“ „Soweit geht es. Der Rücken schmerzt und ich bin nicht sicher, ob die Bisswunde sich doch noch entzündet. Sie sah aber heute Morgen schon viel besser aus. Die Schmerzen sind erträglich“, antwortete der Jüngere. „Gut!“, knurrte Bobby „Dann muss ich darauf ja keine Rücksicht nehmen! Ich habe dir versprochen, nichts zu sagen und nichts gegen dein Vorgehen in Bezug auf Deans Amnesie in seiner Gegenwart zu unternehmen. Doch jetzt ist er weg. Am Liebsten würde ich ihn mit zu uns nehmen. Da hätte er Ruhe zum Lernen und könnte mal wieder zur Ruhe kommen. Siehst du nicht wie fahrig er ist, wie blass er aussieht? Was ist mit ihm? Du wolltest, dass er sich selbst findet, dass er sich selbst entdeckt, weil du der Meinung warst, dass er nur durch das Trauma, das der Tod eurer Mom bei ihm hinterlassen hat, und weil er sich um dich und John kümmern musste, geworden ist, wie er ist. Du warst dir sicher, dass es für ihn eine einmalige Chance wäre, sich selbst zu finden. Zu entdecken, was er wirklich will. Doch was ist jetzt? Er kocht, putzt und macht eure Wäsche. Er macht gerade das Praktikum als Rettungssanitäter und auf dem Büfett in der Küche liegen jede Menge Bücher mit gelben Zetteln und ein vollgeschriebenes Notizbuch. So wie ich das sehe paukt er in jeder freien Minute, um den Abschluss zu schaffen. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen hat er bis letzte Woche nebenbei auch noch euren Lebensunterhalt verdient. Und was tust du? Ich weiß, dass du auf der Suche nach einer Uni bist und ich wünsche dir mehr als alles andere, dass du dir deinen Traum erfüllen kannst und eine Uni dich nimmt. Das ist es auch gar nicht, was ich hier bemängle. Ich rede vom Jagen! Wie kannst du ihm und dir selbst eigentlich noch in die Augen schauen?“ Kapitel 288: Sams Chance ------------------------ 288) Sams Chance Bobby hatte Recht mit seiner Kritik! Und Bobby hatte unrecht! Sam schnaufte. Er hatte sein schlechtes Gewissen immer wieder damit beruhigt, dass Dean sich nie beschwerte, dass er ihn ja kaum noch brauchte und das er den Menschen half, so wie sie es schon so lange taten. „Ich jage nicht, weil ich jagen will! Hätte ich die junge Frau einfach ihrem Schicksal überlassen sollen? Ich kann doch meine Augen nicht vor dem verschließen, was vor meiner Nase liegt!“ Doch den Menschen, der ihm am Meisten am Herzen liegen sollte verlor er immer mehr aus den Augen. Dabei lebten sie zusammen. Aber Dean ließ ihn ja kaum an sich ran. So wie es schien, steckte nicht nur sein Bruder in seinen Verhaltensmustern fest. „Ich helfe Menschen!“, versuchte Sam sich leise zu verteidigen. „Ja und dabei missachtest du den Menschen, der dir am meisten am Herzen liegen sollte!“, sprach Bobby seine eigenen Gedanken laut aus. „Was, wenn er hier einfach zusammenbricht? Was wenn er einen Unfall hat und du bist nicht da? Was wenn er sich erinnert und genau dann deine Hilfe bräuchte? Was dann, Sam?!? Du wolltest dein Freiheiten und im Prinzip finde ich es ja gut, dass du sie Dean auch lässt, aber die Voraussetzungen sind andere. Bitte Sam. Er braucht dich, auch wenn er es nicht zeigen kann.“ Sam nickte und doch hatte er das Gefühl sich verteidigen zu müssen. „Dean ist erwachsen“ Er machte eine Ausbildung, und das mehr als gut. Er ist selbstständig! Ja, er hat Amnesie, aber das merkt doch kaum einer! Er lebt sein Leben, auch ohne mich!“ Dean schlich leise die Treppe wieder nach unten. Er hatte noch Tee und Kaffee nach oben bringen wollen, bevor er ging. Dabei hatte er unweigerlich gehört, was wohl nicht für seine Ohren bestimmt war. Ja, er stürzte sich in die Arbeit, egal in welche. Er kochte und putzte, fuhr einkaufen und ging arbeiten. Aber doch nur, um nicht darüber nachdenken zu müssen, was er alles verloren haben könnte. Er füllte seinen Kopf mit Gegenwart, um nicht an die verschwundene Vergangenheit denken zu müssen. Irgendwie drängte sich die immer mehr in den Vordergrund, je mehr er in der Gegenwart lebte. Er schaffte es nur zur Ruhe zu kommen, wenn er schon fast im Stehen einschlief. Wenn er nur einfach müde war, wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Er war froh über jede Art Beschäftigungen. Er wollte nicht denken! Und ja, er wollte Sam nicht zeigen, wie es ihm ging. Warum sollte er ihn auch noch beunruhigen? Der hatte doch nun wirklich genug um die Ohren. Leise verließ er das Haus und fuhr zur Arbeit. Sam starrte auf seine Hände. „Ich habe mir das ja nicht ausgesucht!“, verteidigte er sich leise. „Dieses Mal nicht. Das letzte Mal auch nicht. Und davor?“ Betreten kaute Sam auf seiner Unterlippe herum. „Ich … Es ist nur … Dean wird immer selbstständiger und ich habe das Gefühl, dass er mich kaum noch braucht.“ „Wenn du auch kaum da bist? Ehrlich Sam, wie soll er sich denn an dich wenden, wenn du weg bist. Und ich meine nicht nur die Suche nach einer Uni! Er muss sich ja alleine kümmern.“ „Ja, aber er scheint mich auch sonst immer weniger zu brauchen. Er arbeitet und hat seine Ausbildung.“ Sam schaute Bobby in die Augen. „In der nächsten Zeit bleibe ich hier und werde wieder mehr mit Dean machen“, versprach er. Bobby musterte ihn ernst, bevor er sich erhob. „Ich hoffe für euch beide, dass du dich das schaffst. Und jetzt ruh dich aus, ich versuche mal etwas über deinen Vampir zu finden.“ „Danke“, sagte Sam. „Mein Laptop liegt da.“ Er deutete auf seine Tasche. Sam hielt sich an sein Versprechen. Am nächsten Tag ging er wieder zu den Kursen und natürlich auch wieder in der Bibliothek und der Kanzlei arbeiten. Abends und an den Wochenenden war er aber für seinen Bruder da. Sie lernten gemeinsam, holten sich ihre tägliche Dosis Klatsch und Tratsch und fuhren am Samstag in die Trampolinhalle oder ins Schwimmbad. Diese zweieinhalb Wochen taten Beiden gut. Sam wurde ausgeglichener und vermisste die Jagd überhaupt nicht und auch Dean schien weniger getrieben. Er konnte sogar wieder etwas besser schlafen, naja so viel besser wie man schlafen konnte, wenn man in Prüfungsstress war. Wieder einmal saß Sam als stummer Beisitzer bei einem Mandantengespräch in Mr. Davenports Büro und machte sich Notizen. Gerade verabschiedete der Anwalt den Mandanten und Sam bereitete sich in Gedanken schon auf die üblichen Fragen vor und überlegte sich eine Verteidigungsstrategie. Doch darum schien es, zumindest im ersten Moment, gar nicht zu gehen. „Suchen Sie noch immer nach einer Uni, oder haben Sie schon eine Zusage bekommen?“, begann Mr. Davenport das Gespräch. „Ich habe noch keine Zusage“, erklärte Sam leise. Der Anwalt nickte. Damit hatte er fast gerechnet. „Ich hab diesbezüglich einen Vorschlag für Sie.“ Erwartungsvoll richtete Sam seinen Blick auf den Mann. „Und der ist?“ „Mein Bruder ist Dekan an der Maurer School der Uni in Bloomington, Indiana. Er möchte Sie kennen lernen. Und wenn Sie seinen Vorstellungen und dem Bild, dass ich von Ihnen gezeichnet habe, entsprechen, wäre ein Studienplatz für Sie drin.“ „Aber wieso? Ich meine, das wäre … Wow!“, stammelte Sam wenig eloquent. „Danke!“ „Na, so sollten Sie aber nicht vor einem Richter stehen“, lachte Davenport. „Das ist … ich meine … wieso?“ „Sie sind gut, sehr gut und ich denke, Sie haben eine Chance verdient. Es gibt nur einen Haken. Mein Bruder will sich Freitag mit Ihnen treffen.“ Sam sackte regelrecht in sich zusammen. „Muss das Freitag sein? Ich meine … Das Studium beginnt doch erst im Herbst! Mein Bruder hat am Freitag seine Abschlussfeier.“ „Sie müssen wissen, was Ihnen wichtig ist“, erklärte Davenport kalt. „Mein Bruder wird Sie fördern, aber nur zu seinen Bedingungen und die sind ein Treffen: Freitag. Er ist in den nächsten Wochen sehr eingebunden.“ Sam seufzte innerlich. Gerade diesen Freitag mit Dean zu verbringen, war ihm wichtig. Gut, sein Bruder hatte an dem Tag nur noch ein paar praktische Prüfungen, dabei konnte er ihn eh nicht unterstützen. Aber sie wollten abends den Abschluss feiern gehen. Er wollte endlich Deans Freunde kennenlernen. Aber, wenn sie wegzogen, waren die auch nicht mehr wichtig. Oh Gott! Wie konnte er nur so denken! Seinen Vater hatte er genau für diese Art gehasst und jetzt fing er genauso an. Er musste wohl mehr auf sich achten, denn genau so wollte er nicht werden! Trotzdem musste er diese Chance ergreifen. Er atmete tief durch. „Wann soll das Treffen sein?“ „13 Uhr in seinem Büro. Eine Wegbeschreibung gebe ich Ihnen mit. Kann ich ihn also anrufen, dass Sie kommen?“ „Ja, ich werde da sein“, antwortete Sam schweren Herzens. So eine Gelegenheit würde er nie wieder bekommen! Nur warum musste er sich dann selbst davon überzeugen, dass es richtig war nach Bloomington zu fahren? Weil er Dean nicht schon wieder enttäuschen wollte? Weil er das in den letzten Wochen schon so oft getan hatte? Dean würde es akzeptieren, klar. Trotzdem hasste er sich schon jetzt dafür und dass er sein Studium mit einem renommierten Mentor machen konnte, nach dem sich die Studenten die Finger lecken würden, machte es im Moment auch nicht besser. Am Abend, gleich nachdem sie gegessen hatten, beichtete Sam seinem Bruder, dass er Freitag nicht zur Feier kommen würde: „Ich habe die einmalige Gelegenheit das Jura-Studium mit einem Mentor zu machen, der mich die ganze Zeit über begleiten wird“, erklärte er leise. Dean nickte nur. Er war ewnttäuscht, dass er wieder alleine in eine Bar gehen sollte Gerade nach dem Vorfall im August hätte er Sam an seiner Seite haben wollen. Immerhin hatte Sam ihm gezeigt, wie er sich wehren konnte und er hatte ihm bei seinen Prüfungen geholfen. Aber Sam war in den letzten Wochen nur für ihn da gewesen, da war es nur recht und billig, dass er ihm diese Möglichkeit gönnte. „Ist okay, Sam. Fahr hin. Das ist deine Chance!“ „Ich mache mir nur Sorgen. Dein letzter Barbesuch endete ziemlich unglücklich.“ „Ich muss da nicht hingehen!“ „Dean, du ...“ Sam schüttelte den Kopf. „Du kannst dich doch nicht hier verkriechen. Es ist deine Abschlussfeier!“ „Es ist meine inoffizielle Abschlussfeier. Es sind nur wir vier, die losziehen wollen.“ „Geh hin, Dean. Ihr werdet euch danach vielleicht nie wieder sehen.“ „Ich weiß nicht“, überlegte der Ältere. „Du kennst Krista und Rohan und Javier und du kannst dich wehren. Du bist nicht mehr der verschüchterte, hilflose Junge, der du noch vor drei Monaten warst.“ „Mal sehen“, entgegnete Dean. „Wann fährst du oder fliegst du wieder?“, kam es halb resigniert, halb enttäuscht von dem Älteren. „Ich fahre Donnerstag kurz nach Mitternacht los. Weder Donnerstag Nachmittag noch Freitagmorgen ist ein Flieger zu kriegen und ich will nicht schon Mittwoch fliegen.“ „Okay. Kannst du mich nachher abhören?“, beendete Dean das Thema abrupt. Er wusste noch nicht was er machen wollte, deshalb war es auch sinnlos noch weiter darüber zu reden. „Natürlich“, entgegnete Sam. Auch er war froh nicht mehr darüber reden zu müssen. Gleichzeitig hatte er aber auch ein schlechtes Gewissen. Es fühlte sich an, als ließe er Dean schon wieder im Stich! „Wie sieht‘s aus? Soll ich dich gleich noch abfragen?“, wollte Sam beim Essen am Donnerstag Abend wissen. „Solltest du nicht wenigstens ein paar Stunden schlafen bevor du fährst?“, erwiderte Dean mit einer Gegenfrage. „Ich schaff das schon irgendwie. Ich meine, ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich hatte versprochen für dich da zu sein und dass ich erst im Sommer wieder auf Unisuche gehe, wenn überhaupt und keine drei Wochen später breche ich dieses Versprechen schon wieder.“ „Geh ins Bett, ich schaff das hier schon alleine. Außerdem kannst du mir eh nicht viel helfen“, antwortete Dean. „Du bist ja Samstag wieder da. Vielleicht können wir dann wieder was zusammen machen.“ Ein Lächeln legte sich auf Sams Gesicht. Er nickte sofort und verschwand nach oben. Als er kurz vor Mitternacht nach unten kam, saß Dean noch immer über seinen Büchern. „Geh ins Bett“, bat er leise. Er legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter und wartete bis der ihn wirklich ansah. „Leg dich hin, sonst schläfst du bei der Prüfung ein.“ Dean nickte und ging in sein Zimmer. „Viel Glück“, wünschte er noch bevor er die Tür schloss. Sam lächelte breit. Er kochte sich einen Kaffee und machte sich auf den Weg. Mittags schickte er Dean eine SMS, dass er gut angekommen war und jetzt zu seinem Termin ging. Viel Glück, drück dir die Daumen, schrieb Dean fast sofort zurück. Schnell tippte Sam ein Danke. Dann betrat er das Gebäude, in dem Professor Davenport sein Büro hatte. Zwei Stunden später verließ er das Haus mit einer eingeschränkten Zusage. Sollte sein Collegeabschluss so werden, wie es jetzt den Anschein hatte, hatte er für den Herbst einen Studienplatz sicher. Jetzt hieß es nur noch Dean von einem Umzug überzeugen. Ihr Häuschen würde er vermissen. Er schickte Dean eine weitere SMS, doch dieses Mal antwortete sein Bruder nicht sofort. Er suchte sich ein Motel. Auch wenn er früher mehr als 24 Stunden am Stück wach bleiben konnte, so musste er sein Glück mit einer sofortigen Rückfahrt nicht herausfordern. Zu Deans kleiner Feier würde er es eh nicht schaffen. Schnell warf er noch einen Blick auf sein Handy, dann stellte er es auf lautlos und kroch unter die Decke. Er brauchte nicht lange, bis er eingeschlafen war. Kapitel 289: Eine Weiße Frau ---------------------------- 289) Eine Weiße Frau „War ja klar, dass du uns deinen Bruder vorenthältst“, frotzelte Rohan und schlug Dean lachend auf den Rücken. „Gibt‘s den überhaupt?“ Für einen kurzen Augenblick huschte ein Schatten über das Gesicht des Winchester. Er atmete tief durch und schaute den Freund an. „Der ist mal wieder unterwegs, um sich eine Uni anzuschauen. Nur dieses Mal sieht es so aus, als ob er einen Studienplatz so gut wie sicher hat“, gab er traurig Auskunft. Er wollte nicht umziehen und er hatte sich so sehr gewünscht, dass Sam dieses eine Mal mitkommen und mit ihnen die überstandenen Prüfungen feiern würde. Leider war mal wieder eine Uni dazwischen gekommen und er hatte keine Lust mehr auf‘s Feiern gehabt, auch wenn er Sam gesagt hatte, dass er fahren sollte und auch wenn er Sam dieses Glück gönnte! Am Nachmittag hatte er Rohan angerufen, um ihm mitzuteilen, dass er nicht mitkommen würde. Doch der ließ ihn gar nicht erst ausreden. Stattdessen erklärt er ihm, dass es mehr als wahrscheinlich war, dass es das letzte Mal wäre, dass sie als angehende Rettungssanitäter zusammen ausgehen konnten und er doch jetzt wohl nicht kneifen würde, da hatte er sich breitschlagen lassen. Jetzt stand er hier und war doch etwas unsicher. Gut, dass er seinen Freunden erklärt hatte, dass er unter Amnesie litt, auch wenn er anfangs skeptisch war, ob es wirklich richtig sei, es ihnen zu sagen. Sie hatten ihn nie enttäuscht. Sie hatten ihn immer in Schutz genommen und geholfen, wenn er Schutz oder Hilfe brauchte. „Na komm schon. Sie werden dich da drin nicht fressen, obwohl du schon ein Schnuckel bist!“, lachte Krista. Sie mochte ihn. Sie hatte ihn von Anfang an gemocht, auch wenn sie zuerst nicht wusste, was sie an ihm so anziehend fand. Sie hatte sich ihm regelrecht aufgedrängt und er hatte es akzeptiert. Er hatte nie versucht sie anzugraben, wie die Hälfte ihrer männlichen Mitstudenten, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie ihn auch abgewiesen hätte. Da war er wieder, dieser leicht verwirrte, fragende Blick in den grünen Augen. Diese Augen alleine waren schon waffenscheinpflichtig und wenn er dann noch so schaute, dann wollte sie ihm am Liebsten nur noch in den Arm nehmen und küssen, bis diese Augen nur noch sie sahen. Doch sie tat es nicht. Es wäre nicht richtig, weder für sie noch für ihn. Sie schob ihren Arm unter seinen und zog ihn mit in die Bar. Javier winkte ihnen zu. Er hatte sich als das Gute-Laune-Bonbon in ihrer Vierergemeinschaft herausgestellt, der, der jede Situation auflockern konnte. Sie drängte sich durch den schon recht vollen Raum zu ihm. Drei Stunden später erhob sich der Blonde leicht schwankend. Er hatte zwei Bier getrunken, dann wollte er wissen, was sie trank und sie begannen die Cocktail-Karte durchzuprobieren. „Schaffst du den Weg allein, oder brauchst du Hilfe?“, wollte Krista wissen. „Du darfst da gar nicht mit rein!“, kommentierte Dean ernst. „Du könntest mich ja reinschmuggeln.“ „Für eine Transe bist du zu hübsch!“ Rohan und Javier pfiffen. „Er entwickelt doch noch einen Blick für Frauen“, lachte Javier. „Und er hört zu, wenn andere lästern“, nickte Rohan. Dean schüttelte nur den Kopf und ging nach hinten. Krista bestellte noch eine Runde Purple Nurples. Die schien Dean zu kennen. Aber selbst wenn nicht. Es war der erste Drink auf der Karte, den er wirklich zu mögen schien. Das Summen seines Handys riss Sam aus dem Schlaf. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und schaltete das Licht ein. Erst dann griff er nach dem kleinen Störenfried und schaltete den Alarm aus. Er sah, dass er auch zwei SMS hatte. Von Dean natürlich. Die Prüfungen waren, gefühlt, gut gelaufen, und er fuhr doch zur Feier. Sam lächelte ein wenig wehmütig. Morgen, wenn er wieder zuhause war, würde er seinen Bruder einpacken und irgendetwas mit ihm unternehmen. Mal sehen, was ihn einfiel oder wozu Dean Lust hatte! Außerdem könnte er ihm vorschlagen, dass sie nächstes Wochenende, oder wenn alle Zeit haben, gemeinsam grillen könnten. So hätte Dean noch einen gemeinsamen Tag mit seinen Freunden und er könnte sie endlich kennen lernen. Mal sehen, was Dean dazu sagte. Er stand auf, zog sich an und machte sich kurz frisch, bevor er auscheckte und sich ein Diner suchte, um noch etwas zu essen. Danach machte er sich auf den Heimweg. Dean verließ den Toilettentrakt. Er fühlte sich gut. Alles war leicht und ein wenig verschwommen. Der letzte Drink hatte wirklich gut geschmeckt. Dass der etwas in ihm zu berühren schien, dass er nicht fassen konnte, machte ihm in diesem Moment nichts aus. Er ließ seinen Blick über die tanzenden Körper gleiten. Kris hatte es doch tatsächlich geschafft ihn zweimal mit auf die Tanzfläche zu schleppen und er hatte sich dafür bedankt indem er ihr auf die Füße getreten war. Er konnte nicht tanzen und auch wenn er nichts aus seiner Vergangenheit wusste, so war er sich doch sicher, dass er das auch vor dem Unfall nicht gemocht hatte. Plötzlich sah er ihn. Er stand an der Theke und schien sich mit einer jungen Frau zu unterhalten. Rein äußerlich sah er aus wie jeder andere hier, doch darunter war etwas anderes. Groß, schwarz und so furchterregend, dass Dean es nicht fassen konnten. Panik schnürte ihm den Atem ab und drängte Salzsäure brennend seine Speiseröhre hinauf. Unbändige Angst ließ ihn erstarren. Aber es war nicht die Angst vor diesem Wesen. Da war mehr, furchteinflößenderes, dass er in der Vergangenheit gesehen haben musste. Ein Mehr, dass ihm körperliche Schmerzen bereitete. Zwei weitere dieser schwarzen Wesen betraten die Bar und in Dean breitete sich Wut und unbändiger Hass aus und das Wissen, dass er nichts gegen diese Drei tun konnte, dass er nichts hatte, um sich zu verteidigen und dass sie vielleicht wegen ihm hier waren. Er musste hier raus! Er musste verschwinden, bevor er … Ja? Bevor er was? Er hatte keine Ahnung was er tun konnte oder sollte. Er wusste ja nicht einmal, was das für Dinger waren! Die anderen Rettungssanitäter am Tisch starrten den Freund an. Was war mit ihm? Selbst in der schummrigen Beleuchtung konnten sie sehen, dass er kreidebleich geworden war. Seine Augen waren schreckgeweitet auf jemanden gerichtet, den sie nicht sehen konnten. Rohan stand auf und ging zu seinem Freund. „Dean!“, sprach er ihn an und versuchte so viel Ruhe wie nur möglich in seine Stimme zu legen. Doch der Winchester reagierte nicht. Seine Augen huschten hektisch zwischen Tür und Theke hin und her. „Dean!“, begann er noch einmal und versuchte ihm die Hand auf den Arm zu legen. Doch bevor er ihn berührte, erwachte der Winchester aus seiner Erstarrung und flüchtete. Er drängte sich rücksichtslos durch die Menschen nach draußen und stolperte über die Straße. Das laut hupende Auto, das mit quietschenden Reifen kurz neben ihm zum Stehen kam, nahm er nicht wahr. „Verdammter Säufer!“, brüllte ihm der Fahrer hinterher. Dean stolperte weiter in die schützende Dunkelheit hinein. Krista und Javier griffen nach ihren Jacken und während Rohan ihre Rechnung bezahlte, stürzten sie schon nach draußen, um Dean zu suchen. Irgendetwas war mit ihrem Freund passiert und sie mussten ihm helfen. Doch als sie vor der Tür ankamen, war von Dean keine Spur mehr zu finden. Sie suchten die Umgebung ab, fragten die Leute, die vor der Tür standen. Niemand konnte oder wollte ihnen helfen. Der Winchester hetzte weiter durch die Dunkelheit. Getrieben von albtraumhaften Geschöpfen, die doch nur seiner Fantasie entspringen konnten! Er stolperte, stürzte und rappelte sich wieder auf. Immer weiter hetzte er wie von Furien gejagt, bis seine Beine ihm den Dienst versagte und er einfach liegen blieb. Leise wimmernd rollte er sich zusammen und ergab sich seiner Erschöpfung. Sam fuhr durch die Nacht. Kurz vor East Peoria, Illinois, begann der Impala plötzlich zu stottern und zu husten und dann erstarb der Motor. „Verdammte ...“, begann er und konnte sich gerade noch davon abhalten, das Lenkrad zu malträtieren. „Das darf doch nicht wahr sein! Wieso immer ich?“, wütete er weiter und schaute sich suchend um. Erschrocken wich er zurück. Neben ihm saß eine Frau. Die Haare hingen leicht strähnig um ihr Gesicht. Sie streckte die Hand nach ihm aus. Sam suchte blind nach den Türgriff und zerrte daran. Die Tür ging nicht auf. Sie legte ihre Hand auf sein Herz und Sam fühlte, wie es einen Schlag aussetzte. „Nein“ wehte wie ein Hauch durch den Wagen. Sam riss die Augen auf. So schnell wie sie erschienen war, war sie auch wieder verschwunden. Noch einmal zerrte Sam am Türgriff und fiel fast aus dem Sitz, als sich die Tür ganz normal öffnete. Er fing sich gerade noch ab, stieg aus und machte ein paar Schritte vom Impala weg, bevor er sich nach vorn beugte, die Hände auf den Knien abstützte und tief durchatmete. ‚Das war eindeutig eine weiße Frau gewesen.‘ Was sollte er jetzt tun? Ermitteln? Sie zur ewigen Ruhe schicken? Aber Dean wartete auf ihn und er hatte versprochen nicht mehr zu jagen! Mit einem erstickten Schrei erwachte Dean. Ruckartig setzte er sich auf und schaute sich um. In der ihn umgebenen Dunkelheit lauerten die Schatten seiner Albträume. Sein Herz raste und er kämpfte um jeden Atemzug. Er wusste nicht mehr, was Traum und was Realität war. Immer mehr Bilder überfielen ihn und er war sich sicher, nie einen Horrorfilm mit solchen Monstern gesehen zu haben. Auch Horrorbücher hatte er immer abgelehnt. Woher kamen dann diese Bilder? Was war mit ihm? Wurde er verrückt? Hatte er zu viel gewollt, als er versuchte die Leere in sich mit Wissen zu füllen? Hin und wieder huschten Lichter durch die Nacht. In einem dieser Lichter erkannte er die Eiche mit der Schaukel und die Veranda zu ihrem Häuschen. Wie war er denn hierhergekommen? Mühsam stemmte er sich in die Höhe und tapste zur Tür. Er wollte in sein Zimmer und sich im Bett verkriechen, doch das ruhige Brummen des Kühlschrankes zog ihn magisch an. Er stolperte auf ihn zu, rutschte auf die Arbeitsplatte und presste sich ganz dicht an das Gehäuse. Gerade als Sam nach seinem Handy greifen wollte, flackerten die Scheinwerfer des Impala. ‚Nicht schon wieder‘, dachte er panisch. Kam sie zurück, um zu beenden was sie gerade nicht getan hatte? Wie konnte er sich schützen? Was … Neben ihm stand plötzlich eine Frau. „Ruby?“ „Siehst du noch jemand anderen hier?“, blaffte sie ihn an. „Nein?“ „Wen hast du denn erwartet?“ „Hier war gerade eine weiße Frau, die ...“ „... du jetzt nicht jagen wirst!“ „Wieso nicht?“, fragte er etwas dümmlich. „Du siehst zu, dass du nach Hause kommst! Ruf Bobby wegen dieser Frau an!“ „Das hatte ich vor, aber warum bist du hier?“ Sam starrte sie fragend an. „Es geht um Dean! Er braucht Hilfe!“, ließ sie sich nun doch zu einer Erklärung herab. Unruhig wippte sie mit dem Fuß. Warum mussten die Winchesters eigentlich immer Fragen stellen? Warum konnten sie nicht einmal einfach nur tun was sie ihnen sagte? „Dean geht es gut. Er ist seinen Abschluss feiern.“ „Ich wäre nicht hier, wenn dem so wäre!“, blaffte sie. Sie verdrehte kurz die Augen und atmete durch. „Sam bitte!“ „Hat er dich geschickt? Aber wieso, er ...“ Gerade verstand er nur Bahnhof. Die Dämonin biss die Zähne zusammen und atmete noch einmal tief durch. Sie war kurz davor auf etwas oder jemanden einzuschlagen. „Falls du dich erinnerst: Dein Bruder kann mich sehen! Und falls du dich weiterhin erinnerst. Er hat eine Amnesie! Ich kann mich ihm nicht nähern ohne, dass er mich sehen würde!“ „Aber woher willst du dann wissen, dass er Hilfe braucht?“ So langsam wurde ihm etwas mulmig. Was war passiert? Was war mit Dean? Warum hatte er sich nicht gemeldet, wenn er doch Hilfe brauchte? „Er hat panische Angst. Noch immer“, antwortete sie leise. „Aber wieso…? Ruby! Was ist mit Dean?“ „Ich kann es fühlen. Als ich mich damals geteilt hatte, muss …“ Sie schüttelte den Kopf. „Sehr starke Gefühle deines Bruders kann ich empfangen“, sagte sie dann ohne weitere Erklärung. Jetzt wurde Sam hektisch. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte Bobbys Nummer. Während es klingelte lief er zum Impala, blieb aber nach zwei Schritten wieder stehen. „Soll ich nicht besser Bobby hinschicken? Ich meine, wenn ich fahre bin ich ...“ „Ich bringe dich hin!“, antwortete sie. „Und der Impala?“ „Den hole ich dann!“ „Sam“, meldete sich Bobby am anderen Ende der Leitung. „Ich bin hier kurz vor East Peoria, Illinois. Eine weiße Frau hat gerade den Impala abgewürgt. Kannst du jemanden herschicken? Sie ist wieder verschwunden und ich … ich habe Dean versprochen morgen früh wieder da zu sein.“ Noch wollte er den alten Freund nicht beunruhigen. Nicht, bevor er selbst wusste, was passiert war. „Ich kümmere mich darum“, versprach der Jäger. Kapitel 290: Zwischen Hoffen und Bangen --------------------------------------- 290) Zwischen Hoffen und Bangen Schnell gab Sam noch seinen genauen Standort durch und erklärte Bobby, was er gesehen und erlebt hatte, dann legte er auf. Er holte seine Tasche aus dem Kofferraum und trat zu Ruby. „Du sagtest immer noch. Was heißt das?“, wollte er jetzt wissen. „Es war wie eine Flutwelle aus Angst, die nur langsam etwas abebbte. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich begriffen habe, dass es von ihm kommt. Wenn ich mich darauf konzentriere, spüre ich sie noch immer. Gedämpft, aber sie ist da. Ich weiß nicht, was mit ihm ist!“ „Und jetzt?“, fragend schaute er Ruby an. Sie kam noch einen Schritt näher, legte ihre Arme um seinen Körper und bevor er fragen konnte, was das sollte, änderte sich seine Umgebung und er fühlte sich, als wäre er gerade an einem Bungeeseil in die Tiefe gerast und wieder abgebremst worden. „Hier wohnen wir!“, stellte er irritiert fest. Dean sollte doch in einer Bar bei seinen Freunden sein. „Ich habe ihn hergebracht“, erklärte sie leise. „Ich denke, du wolltest dich ihm nicht zeigen?“ „Er war nicht bei Bewusstsein“, erklärte sie ein wenig genervt. „Und jetzt gib mir den Schlüssel, damit ich den Wagen herbringen kann!“ „Der steckt!“, erklärte Sam erschrocken. Sie wandte sich um. „Ruby“, hielt Sam sie auf. „Danke!“ Sie nickte. Etwas wie ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber da könnte sich Sam auch getäuscht haben und bevor er genauer hinschauen konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. Er atmete noch einmal tief durch und ging ins Haus. Es lag dunkel und verlassen da. War Dean wirklich hier? Hatte Ruby ihn verarscht? Aber warum sollte sie? Sie hatte Dean gerettet. Sie war in der ganzen Zeit seiner Genesung bei Bobby da. SIE hatte geholfen den Colt zu reparieren und neue Patronen herzustellen! Und sie schien Dean zu mögen. Er schaltete das Licht an und wollte gerade in Deans Zimmer gehen, als er stutzte. Etwas saß auf der Arbeitsplatte am Kühlschrank. Etwas, das sich jetzt noch tiefer in die Schatten duckte. Etwas das sich noch enger an den Kühlschrank presste. Etwas, das Dean war! „Dean?“, versuchte er dessen Aufmerksamkeit zu bekommen. „Was ist passiert?“ Vorsichtig trat er an den Kühlschrank heran und legte seine Hand auf dessen Bein. Er fühlte das Zittern, das durch den Körper lief. Fror er? Dean zuckte zusammen und versuchte mit dem Kühlschrank zu verschmelzen. „Dean, bitte! Ich bin‘s, Sam. Außer mir ist niemand hier. Du bist hier sicher.“ Das Zittern unter seiner Hand wurde noch stärker. „Komm schon, großer Bruder. Ich bring dich ins Bett.“ „Nicht alleine!“, wisperte der leise. „Ich bleibe bei dir! Ich passe auf dich auf! Na komm“, versuchte Sam weiter zu ihm durchzudringen. Ganz langsam fokussierten sich Deans Augen, doch das Zittern ließ nicht nach. Und jetzt fühlte Sam auch die Kälte unter seiner Hand. „Dean?“ Er wollte sich erst vergewissern, dass sein Bruder wieder da war. Nicht dass er ihn noch tiefer in seine Panik stieß. „Jah“, krächzte der heiser. „Bleib sitzen, ich mache dir eine heiße Schokolade. Du kannst mich die ganze Zeit dabei sehen, okay?“ „kay“ Erst jetzt begann Sam in der Küche zu werkeln. Er kochte Milch und machte ein Körnerkissen heiß, das er seinem Bruder an den Bauch schob. Zufrieden sah er, wie der sich ein bisschen entspannte. Die Milch kochte, er zog sie von der Platte und er rührte Kakao hinein. „Willst du den Kakao hier trinken oder lieber im Bett?“ „Hier“ „Okay, aber komm bitte vom Schrank runter.“ Zögerlich entspannte sich Dean noch etwas mehr und rutschte an die Kante, blieb aber, an den Kühlschrank gelehnt, sitzen. Er streckte die Hände nach der Tasse aus. „Vorsicht heiß“, sagte Sam und schob ihm das Getränk hin. Grübelnd schaute er zu, wie Dean trank. Warum machte ihn diese Szene so stutzig? Woran erinnerte sie ihn? ‚Der Wolf!‘ Als Dean wieder er selbst war, hatte er auch oft am Kühlschrank gesessen. Damals schien ihn das Brummen zu beruhigen. Genau wie wohl heute auch. Aber hieß das auch, dass er sich wieder erinnerte, oder war das auch nur ein Reflex? Dean stellte die Tasse ab und wollte wieder nach hinten rutschen. „Bitte Dean, geh ins Bett. Ich bleibe bei dir.“ Er zog ihm das Körnerkissen vom Bauch und legte es noch einmal in die Mikrowelle, um es wieder ganz aufzuheizen. Als das fertig war, nahm er es heraus und trat wieder zu seinem Bruder. „Komm“ Er legte seine Hand auf Deans Arm und versuchte ihn mit leichtem Druck zu sich zu ziehen. Dean gab nach. Langsam ließ er sich in sein Zimmer führen, ausziehen und ins Bett stecken. Sam legte das Kissen wieder auf seinen Bauch und Dean rutschte mit dem Rücken an die Wand und rollte sich zusammen. Sam ließ sich in den Sessel fallen und richtete sich auf eine lange, trotz bequemen Sessels ungemütliche, Nacht ein. Er saß noch nicht richtig, als ihn das Piepsen eines Handys aus seinen Gedanken riss. Er tastete nach seinem Mobilteil, doch das war nicht seins. Deans? Sein Blick wanderte zu dessen Kleidung. Er stemmte sich aus dem Sessel, griff nach der Hose und begann in den Taschen zu suchen. Schnell fand er es. Auf dem Display standen mehrere nicht angenommene Anrufe und SMS. Er öffnete die Liste und wählte die letzte Nummer. „Dean, endlich“, hörte er eine erleichterte weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie musste auf den Anruf gewartete haben, so schnell wie sie abgenommen hatte. „Nein, hier ist Sam“, unterbrach er sie. „Der ominöse Sam. Dich gibt es also doch“, lachte sie, wurde aber gleich wieder ernst. „Wo ist Dean? Wenn du an seinem Telefon bist, muss er ja eigentlich bei dir sein!?!“ „Er ist hier, ja. Er ist vollkommen verstört. Was ist passiert?“ „Wenn wir das wüssten. Wir waren in der Bar, haben etwas getrunken und ich habe sogar mit ihm getanzt.“ „Dean hat getanzt? Das hat er noch nie“, unterbrach er sie schon wieder. „Naja, ich habe ihn auf die Tanzfläche geschleift. Aber tanzen konnte man das nicht direkt nennen. Er ist mir mehr auf den Füßen herumgetreten.“ Jetzt musste Sam grinsen. „Er war auf der Toilette und als er wiederkam muss er jemanden gesehen haben, der ihn vollkommen aus der Bahn geworfen hat. Wir wissen nicht wen. Er ist plötzlich aus der Bar gelaufen. Wir wollten ihm folgen, doch als wir draußen waren, war er wie vom Erdboden verschwunden.“ Bei der Erzählung stieg es Sam sauer die Speiseröhre hinauf. Nicht schon wieder! Nicht der Kerl! Er schluckte hart. „In welcher Bar ward ihr?“, fragte er rau. „Doch nicht etwas die in Tea?“ „Nein, warum?“, fragte sie jetzt irritiert. „Wo ist er hingelaufen? Wie ist er nach Hause gekommen? Was hat ihn so erschreckt?“, bombardierte sie ihn mit Fragen. „Keine Ahnung“, seufzte Sam. „Eine Freundin hat ihn aufgelesen und hergebracht. Allerdings hat er nichts gesagt. Er war nur völlig verstört und jetzt schläft er. Ich will ihn nicht wecken.“ „Wieso bist du überhaupt schon da? Warst du nicht irgendwo an einer Uni?“ „War ich, aber ich bin eher zurückgekommen. Ich wollte morgen mit ihm irgendetwas unternehmen, weil ich es ja heute nicht zu der Feier geschafft hatte. Jetzt muss ich abwarten, wie es ihm morgen geht.“ „Kann ich mich wieder melden?“, fragte sie leise. „Gerne, und kannst du die Anderen informieren? Ich habe hier mehrere Meldungen auf dem Handy gesehen.“ „Ja, mache ich“, verabschiedete sie sich und legte auf. Sam legte das Telefon auf den Tisch. Argwöhnisch musterte er seinen Bruder. Plötzlich fiel ihm etwas auf. Schnell griff er sich das kleine Teil wieder und schaute auf die Nachrichten und entgangenen Anrufe. Sie suchten ihn seit fast drei Stunden. Ruby hatte ihn vor vielleicht einer Stunde hergebracht. Wie lange war Dean in der Kälte gewesen? Hatte er nur deshalb so gezittert? Er legte das Telefon weg und ging zu Dean. Vorsichtig legte er ihm die Hand auf die Stirn. Sein Bruder war jetzt schon wärmer als normal. Verdammt! Konnte es nicht einmal einfach sein? ‚Das würde eine lange Nacht werden!‘, überlegte er und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Der Tag erwachte grau und trüb und Deans Fieber war weiter gestiegen. Immer wieder warf er sich von einer Seite auf die andere. Immer wieder rutschte der feuchte, kühlende Lappen von seiner Stirn und wurde von Sam genauso oft ins kalte Wasser getaucht und wieder zurückgelegt. Kurz ließ er seine Hand auf Deans Rippen ruhen. Die Wärme, die durch das dünne Shirt drang, war unangenehm aber noch nicht wirklich so, dass er sich gezwungen sah Dean alleine zu lassen, um Medikamente zu holen. Noch konnte er ihm so helfen. Er seufzte, deckt ihn zu und ging in die Küche. Aus dem Schrank nahm er sich eine Schüssel, füllte sie mit Wasser und dem wenigen Eis, das sie im Gefrierfach hatten. Aus dem Bad holte er Handtücher und ging zurück in Deans Zimmer. Sein Bruder hatte sich von der Decke freigestrampelt und lag japsend im Bett. Sein Blick ging unfokussiert ins Leere. „Bist du nicht schon krank genug?!?“, grummelte Sam, stellte die Schüssel auf dem Nachttisch ab, legte die Handtücher daneben und breitete die Bettdecke wieder über seinen Bruder. „...my ...“ keuchte Dean rau. „Warm.“ „Du hast Fieber“, erklärte Sam ruhig. Er tauchte ein Handtuch in das Eiswasser und wickelte das Handtuch fest um Deans linke Wade. Sofort versuchte der sich diesem Eisding zu entziehen. „Lass das, es hilft dir“, sagte Sam streng und wiederholte die Prozedur bei Deans rechter Wade, dann deckte er seinen Bruder noch einmal richtig zu und setzte sich wieder in den Sessel. Erst hier wurde ihm klar, was genau Dean gesagt hatte. ...my! Während der gesamten Amnesie hatte Dean immer Sam zu ihm gesagt. ...my… Hieß das jetzt, dass er sich erinnerte? War Dean wirklich wieder sein großer Bruder Dean? Er wusste es nicht und er konnte es so auch nicht klären, aber er konnte hoffen! ...my! Seine Mundwinkel wanderten unweigerlich in die Höhe. Das Lächeln wollte nicht mehr verschwinden, während er beobachtete, wie Dean ruhiger wurde und einschlief. ...my. Langsam versank auch er in Morpheus Armen. Viel Schlaf war ihm nicht vergönnt, bis ihn die Unruhe seines Bruders wieder weckte. Er erneuerte die Wadenwickel und rief Bobby an, um ihm die neusten Entwicklungen mitzuteilen und ihn nach der weißen Frau zu fragen. Weder die Frage, ob Dean sich wirklich erinnerte, noch die nach der Vernichtung der weißen Frau konnten sie zu ihrer Zufriedenheit klären. Sam legte auf, machte sich ein paar Sandwiches zum Frühstück und ließ sich wieder in dem Sessel nieder. Kapitel 291: Mom ---------------- 291) „Mom“ Gegen Mittag schreckte Sam vehementes Klopfen auf. Er schlurfte zur Tür, öffnete und erstarrte kurz, als er Ruby vor sich stehen sah. Sie hielt ihm den Impalaschlüssel vor die Nase. „Danke“, sagte er und griff zu. „Möchtest du einen Kaffee, oder kann ich dir sonst was anbieten?“ „Ich bin ein Dämon“, lachte sie. „Ich muss weder essen noch trinken.“ „Ich weiß. Ich wollte nur ...“ Er schluckte. „Ich wollte Danke sagen!“ „Gern geschehen und ich nehme einen Kaffee.“ Sie drängte sich durch den schmalen Spalt zwischen Sam und dem Türrahmen. Sam folgte ihr. Er kochte ihnen Kaffee. „Wie geht es Dean?“, fragte sie, als er ihr die Tasse reichte. „Nicht gut, denke ich. Weißt du wie lange er draußen war? Er hat hohes Fieber.“ „Keine Ahnung. Eine Weile wohl schon. Ich reagiere nicht sofort, wenn er hustet.“ „Wieso reagierst du überhaupt so auf ihn?“ Sam musterte sie interessiert. „Ich kann seine Empfindungen fühlen. Ich kann es ausblenden. Es ist eher wie ein Hintergrundrauschen aber wenn sie extrem sind, so wie in Windom oder eben gestern, dann ist es als würde jemand das Radio plötzlich auf volle Lautstärke stellen. Es dauert bis ich es sortiert habe und weiß, ob es etwas ist, wo ich eingreifen kann oder sollte.“ „Du hast gesagt, dass du ihn hergebracht hast“, begann Sam und Ruby nickte. „Du sagtest aber auch, dass du dich ihm nicht zeigen wolltest, weil er dich ja sehen kann.“ „Ich sagte ja schon, er war nicht wirklich bei Bewusstsein, als ich ihn geholt habe. Ich habe ihn vor dem Haus hier abgesetzt. Ich wollte nicht ungefragt ins Haus. Ich hab versucht ihn zu wecken und habe dann nach dir gesucht.“ „Danke“, sagte er noch einmal, plötzlich fiel ihm etwas ein. „Du hast ihm doch damals, nach dem Höllenhund so gut geholfen. Gibt es in deiner Tasche vielleicht etwas, das ihm jetzt hilft?“ „Dazu muss ich ihn sehen“, erklärte sie. Ohne zu zögern führte Sam sie zu seinem Bruder und wunderte sich nicht einmal darüber, dass es ihn nicht wunderte, dass er einem Dämon so sehr vertraute. „Viel kann ich ihm auch nicht helfen“, sagte sie nach einer Weile. Ich werde ein paar Kräuter besorgen, die ihm etwas Linderung verschaffen sollten.“ „Danke! Warum tust du das?“ „Kräuter besorgen?“ „Dean, … uns immer wieder helfen.“ „Wir hatten einen Feind und nach Liliths Tod bin ich wohl hängen geblieben. Nenn es Sentimentalität, wenn du willst.“ Sie würde ihm nichts von Alistair erzählen, weder von ihm noch von seinen Plänen. Vielleicht passierte es ja auch nie? Lilith war tot und solange Alistair keine Alternative für sie fand, solange war die Welt sicher! Sie trank ihren Kaffee aus und stellte sie Tasse ab. „Ich geh dann mal. Bis später, Sam!“ Sam konnte nicht mal nicken, so schnell war sie verschwunden. Er räumte die Tassen weg und wollte gerade wieder zu Dean gehen, als es erneut an der Tür klopfte. „Bobby, Jody“, grüßte er, kaum dass er die Tür geöffnet hatte und trat beiseite. „Du siehst müde aus“, sagte Jody mitfühlend. „Ich komme nicht wirklich zur Ruhe“, gab Sam zu. „Dann leg dich jetzt etwas hin. Wir sind hier. Wir können auf Dean aufpassen“, sagte Bobby. „Ich habe Tomatensuppe mit Reis gemacht und für dich Maishähnchen mit Brot und Salat.“ Jody deutete auf den Korb, den Bobby trug. „Falls du erst essen willst.“ „Das wäre gut. Ich hatte zwar heute Nacht ein paar Sandwiches, aber sonst nur Kaffee.“ „Wir bist du überhaupt hergekommen? Du dürftest doch gerade erst rein sein, oder?“, wollte Bobby jetzt wissen. „Ruby hat mich gebracht.“ „Ruby? Wie passt Ruby denn in die ganze Sache?“, wollte Bobby ein wenig fassungslos wissen. „Sie sagt, dass sie starke Gefühle von Dean empfangen kann“, gab Sam freimütig Auskunft. „Sie meinte, dass es vielleicht damit zusammenhängt, dass sie sich damals geteilt hat, um ihn zu retten.“ „Wäre eine Möglichkeit“, brummte Bobby, „obwohl ich noch nie davon gehört habe.“ „Hast du denn schon mal gehört, dass sich ein Dämon teilt, um einen Menschen zu retten? Dass überhaupt ein Dämon einen Menschen rettet?“, fragte Sam verwundert. „Nein. Nein, habe ich nicht.“ „Stopp!“, fuhr Jody dazwischen. „Könnt ihr mich mal aufklären? Was hat ein Dämon mit Dean zu tun und wieso kann der sich teilen, der Dämon?“ Fragend schaute sie von einem zum anderen. „Ruby ist besonders“, begann Sam und erzählte ihr nach und nach die ganze Geschichte von dem Deal und Ruby und Deans Rettung durch Ruby und wie sie ihnen und vor Allem ihm danach noch geholfen hatte. Selbst Windom und die Wechselbälger schnitt er kurz an, auch wenn er Anna verschwieg. Alles musste Jody nun auch nicht wissen, zumal sie auch Bobby über den Engel nicht viel erzählt hatten. „Oh Gott!“, stöhnte sie. „Ich glaube darüber will ich gar nicht so genau nachdenken!“ Sie ging zur Kaffeemaschine, machte sich einen Latte Macchiato und ging dann zu Dean. Sam schaute entschuldigend zu seinem Ziehvater und seufzte leise. Der zuckte nur mit den Schultern. Was sollte er auch dazu sagen. Es war das Leben der Jungs, ihre Realität und er war froh, dass es Ruby gab. Ohne sie hätte er wohl inzwischen nicht nur Dean verloren. So schizophren wie das für einen Jäger auch klingen mochte. „Du solltest etwas essen und dich dann hinlegen.“ Sam nickte. „Was hast du zu der weißen Frau?“, wollte er wissen, während er sich einen Teil des Maishähnchens auf den Teller legte. „Darüber musst du dir keine Gedanken mehr machen. Ich habe einen Jäger hingeschickt. Er war in der Nähe.“ „Das ist gut!“ Sam begann zu essen. „Sag mal“, fragte Bobby, „wolltest du sie jagen?“ Sam schaute ihn eine Weile an, während er weiter aß. „Ich habe kurz darüber nachgedacht, ja. Aber ich hatte Dean versprochen, dass ich zu seiner kleinen Abschlussparty komme und die hatte ich wegen dieses Gespräches verpasst. Schon wieder habe ich etwas verpasst, das ihm wichtig war. Wenn ich hier gewesen wäre, wäre das hier vielleicht nie passiert!“, schimpfte er und fügte leiser hinzu. „Ich wollte heute etwas mit ihm unternehmen.“ „Weißt du denn inzwischen, warum Dean ...?“ „Ich habe keine Ahnung.“ Sam stellte seinen Teller in die Spüle. „Ich leg mich oben etwas hin.“ „Tu das“, Bobby zog einen alten Wälzer aus der Tasche und ging in Deans Zimmer. Jody lächelte ihn zaghaft an. „Ist eure Welt immer so … so furchtbar? So voller dunkler Mächte?“ „Eher selten. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck, dass diese zwei genau das anzuziehen scheinen.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie geht es Dean?“ „Er wird unruhiger. Ich denke er schläft nicht mehr so tief. Bleibst du hier, dann könnte ich ihm die Suppe warm machen.“ Sie schaute zu ihrem Freund auf. „Natürlich“ Bobby ließ sich in dem Sessel nieder und schlug sein Buch auf. Vorsichtig balancierte sie ein Tablett mit einem vollen Teller ins Zimmer und stellte es auf den Nachttisch neben das Bett. Sie hatte sich noch nicht richtig gesetzte, als sich Deans Nasenflügel leicht weiteten und er den Kopf in Richtung des Tellers drehte. „Mom?“, krächzte er heiser und versuchte die Augen zu öffnen. Jody verlor fast das Gleichgewicht, als sie sich ruckartig aufrichtete und Bobby setzte sich aufrecht hin, die Augen starr auf das Bett gerichtet. Jody fing sich als erste wieder. „Hast du Hunger?“ Dean öffnete die Augen, doch sein Blick blieb trüb, als er den Kopf leicht schüttelte. „Du solltest aber Essen“, versuchte sie ihn zu überzeugen. „Kay“, erwiderte er kaum hörbar und versuchte sich aufzusetzen. „Warte“, sagte sie und half ihm dabei. Sie stopfte ein Kissen in seinen Rücken und drückte ihn zurück, bevor sie sich an sein Bett setzte und ihm einen Löffel Suppe an die Lippen hielt. Er ließ sich den Löffel in den Mund schieben und schluckte. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Schnell leerte sich der Teller und Jody brachte ihn dazu sich wieder richtig hinzulegen. Sie brachte den Teller in die Küche, erneuerte die Wadenwickel und ließ ihn dann in Ruhe schlafen. „Erinnert er sich?“, fragte sie Bobby, der das Schauspiel schweigend, aber nichtsdestotrotz sehr aufmerksam verfolgt hatte. „Sam sagte auch schon etwas in dieser Richtung“, er nahm die Mütze ab, kratzte sich den Kopf und setzte seine Kappe wieder auf. „Ich will nichts verschreien, aber es wäre wunderbar. Obwohl ich es nach so langer Zeit fast nicht mehr zu hoffen gewagt hätte.“ „Du meinst wirklich?“, so ganz wollte sie es noch nicht glauben. „Ich hoffe!“ Ein paar Stunden später kam Sam wieder ins Zimmer. Er sah etwas weniger übermüdet aus. „Geht es Dean gut? Ist alles okay?“, fragte er. Sein Blick huschte von einem zum anderen. „Er hat etwas gegessen und … kann es sein, dass er sich vielleicht wieder erinnert?“, antwortete Jody. „Ich hab auch schon darüber nachgedacht“, antwortete Sam. „Er hat sowas wie „Sammy“ zu mir gesagt. Aber ich wollte nicht zu viel hineininterpretieren, nicht dass ich mich einfach verhört habe. Ich wollte nicht schon wieder von meinen Erwartungen betrogen werden.“ Er ließ die Schultern hängen. Bobby nickte. „Warten wir besser ab, bevor wir feiern.“ „Warum fragt ihr?“, wollte Sam jetzt doch wissen. „Ich habe ihm Suppe gebracht und er … Er hat sie gerochen und mich Mom genannt“, erklärte Jody etwas unsicher. Auf Sams Gesicht breitetet sich ein Strahlen aus. „Willst du wieder hierher?“ Jody erhob sich. „Ich wollte erstmal Kaffee kochen. Möchtet ihr auch?“, fragte Sam. „Gerne.“ Sie tranken Kaffee und aßen Kuchen und danach machten sich Jody und Bobby wieder auf den Weg nach Hause. Nicht jedoch ohne Sam ans Herz zu legen, dass er sich melden sollte, sollte er Hilfe brauchen. Außerdem kündigten sie ihren Besuch für den folgenden Tag an. Sam schloss die Tür hinter den Beiden, ging in Deans Zimmer zurück und ließ sich in den Sessel fallen. Einen Augenblick genoss er einfach die Ruhe, die plötzlich über dem Haus lag. Lange blieb es jedoch nicht so ruhig. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu Deans Worten und wenn er noch länger darüber nachdachte, würde er Amok laufen, Dean schütteln, bis er wach wurde und genau das wollte er nicht, denn sein Bruder brauchte den Schlaf, um gesund zu werden. Also stand Sam auf und machte sich im Haus nützlich. Er räumte auf, packte seine Tasche aus und räumte seine wenigen Sachen weg. Er kontrollierte seine Tasche und überprüfte, ob er noch etwas für einen Kurs machen musste. Viel war es nicht. Und jetzt? Jetzt würde er die Suppe aufwärmen und mal schauen, ob Dean schon wieder Hunger hatte, sonst würde er sich die schmecken lassen, überlegte er und ging in die Küche. Kapitel 292: So war das nicht geplant ------------------------------------- 292) So war das nicht geplant Als Sam mit dem Teller Tomatensuppe mit Reis in Deans Zimmer balancierte, wiederholte sich das Schauspiel, dass schon Jody beobachten konnte. Dean erwachte langsam und drehte seinen Kopf in die Richtung des für ihm so vertrauten Geruchs. Dieses Mal aß er jedoch schweigend. Er gab nur einen erleichterten Laut von sich, als er wieder richtig lag, rollte sich auf der Seite zusammen und schlief wieder ein. Sam erneuerte die Wadenwickel. Gerade als er sich wieder in den Sessel fallen lassen wollte, klopfte es erneut. Heute kam er wohl nicht mehr zu Ruhe, überlegte er, verdrehte die Augen und stemmte sich in die Höhe. „Ruby“, begrüßte er die blonde Frau. „Hast du etwas für Dean?“ „Ja, ich habe hier einige Kräutermischungen.“ Er trat etwas zur Seite und schob die Tür ein Stück weiter auf, damit sie eintreten konnte. Ruby schüttelte nur den Kopf. Sie reichte ihm einen schwarzen Lederbeutel. „Daraus solltest du ihm einen Tee kochen. Zwei Teelöffel pro Tasse. Diese Kräuter“, sie gab ihm einen braunen Lederbeutel, „als Badezusatz. Eine“, sie schaute auf seine Hände und grinste kurz, „eine halbe Hand voll in die Wanne. Und damit“, jetzt folgte ein Glastöpfchen“, solltest du ihm Brust und Rücken einreiben. Es reguliert die Körpertemperatur und hilft beim Atmen.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Danke, Ruby! Vielen Dank!“ Sie nickte etwas unwirsch und gestattete sich erst ein freundliches Lächeln, als sie sich sicher war, dass er es nicht sehen konnte. Noch musste er nicht wissen, wie sehr sie auf die Winchester-Brüder aufpasste, auch wenn das eigentlich kaum zu übersehen war. Sam schaute ihr noch solange nach, bis sie verschwunden war, dann ging er zu seinem Bruder. Er schälte ihn aus den Decken und verteilte die Kräuterpaste großzügig auf seinem Oberkörper. Er decke ihn wieder zu und jetzt endlich konnte er sich in den Sessel fallen lassen. Er nahm sich ein Buch und begann zu lesen. Irgendwann döste er ein. Wirklich richtig schlafen konnte er allerdings nicht. Dazu war der Sessel viel zu unbequem. Der Sonntag war im Großen und Ganzen eine Wiederholung des Vortages, nur das Jody statt der Tomatensuppe mit Reis eine kräftige Hühnersuppe mit Nudeln gekocht hatte, die Dean jedoch viel weniger enthusiastisch aß. Als die Beiden sich wieder auf den Weg machten, versprach Bobby am nächsten Morgen wiederzukommen, damit Sam ins College gehen konnte. Gerade jetzt schrieben sie noch einige Zwischenprüfungen, deren Zensuren in seinen Abschluss einfließen würden und den wollte er so gut wie möglich machen, um die Zusage des Studienplatzes in Bloomington nicht doch noch zu gefährden. „Was ist mit Deans Praktikum?“, platzte Jody plötzlich heraus. „Er hat sich so darauf gefreut. Müssen wir das absagen?“ „Erstmal nicht. Er muss erst Dienstag zur Spätschicht los. Ich denke, dass es reicht, wenn wir Dienstagmorgen Beschied geben“, überlegte Sam. „Okay“ Jody nickte und folgte ihrem Partner. Sam räumte wieder noch etwas auf, bevor er sich in aller Ruhe mit einem Lehrbuch in den Sessel neben Deans Bett setzte. Der Stoff war so trocken und langweilig, dass er schon nach wenigen Seiten eindöste. Dean erwachte mit einem Schlag. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Sein Atem kratze rau durch seinen Hals und die Nase fühlte sich verstopft an. Er versuchte zu schlucken, doch der Mund war trocken und er hatte Durst. Kaum ein Geräusch drang an sein Ohr. Er öffnete die Augen. Sein Zimmer! Bekannt und doch irgendwie fremd! Erleichterung durchströmte ihn und trotzdem fühlte es sich komisch an. Sam saß in seinem Sessel und schlief und ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass es dunkel war, ob Abend oder Morgen konnte er jedoch so nicht erkennen. Er setzte sich auf und schaute auf den Wecker. Kurz nach zehn. Wieder fiel sein Blick auf Sam. Sollte er ihn wecken? Nein, erstmal nicht. Er fühlte sich halbwegs gut, also würde er wohl alleine aufstehen können. Zumindest versuchen wollte er es. Wenn es nicht ging, konnte er seinen kleinen Bruder immer noch um Hilfe bitten. Er schlug die Decke zurück, stand langsam auf und als er das problemlos schaffte, ging er ins Bad. Er fühlte sich verschwitzt und klebrig und brauchte dringend eine Dusche. Doch zuerst musste er etwas trinken. Wenige Minuten nach diesem Entschluss zog er sich aus und stellte sich unter den heißen Wasserstrahl. Je länger das Wasser auf seine Schultern prasselte, um so wohler fühlte er sich. Das Atmen fiel ihm leichter und sein Hals kratzte viel weniger. Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Abend in der Bar. Sie hatten getrunken und gelacht und getanzt und dann war da dieser Dämon an der Bar und zwei weitere drängten sich durch die Menge. Er hatte schon lange keinen Dämon mehr gesehen. Was wollten die also da? Waren sie nur zufällig hier oder suchten sie jemanden? Unvermittelt schlug die Erkenntnis zu! In der Bar hatte er nicht gewusst, dass diese furchterregenden schwarzen Dinger Dämonen waren. Er hatte nicht mal gewusst, dass es überhaupt Dämonen gab! Seine Knie wurden weich, als ihm die ganze Tragweite dieser Erkenntnis klar wurde und ein gequältes Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Dämonen! Warum mussten es gerade Dämonen sein, die ihm seine Erinnerungen brachten? Er legte die Hände an die Wand, spreizte die Beine ein wenig mehr und ließ den Kopf hängen. Voll und ganz versuchte er sich auf das Prasseln des Wassers auf seinem Rücken zu konzentrieren. Nur jetzt nicht denken! Langsam entspannte sich sein Körper. Seine Atmung wurde wieder ruhiger und der dumpfe Schwindel verschwand. Erst als sich sein ganzes Sein taub anfühlte, wusch er sich. Mit einem Handtuch um die Hüften kam er, sich die Haare trocken rubbelnd, in sein Zimmer zurück. Augenblicklich sprang Sam auf. „Dean!“, japste er erschrocken. „Sam“, gab der rau zurück. Sofort legte sich ein Hauch von Enttäuschung auf Sams Züge. Dean schien sich wohl doch nicht zu erinnern. „Genau das habe ich gehasst“, erklärte der Ältere leise, „diese Enttäuschung in euren Gesichtern, die mich nur noch mehr verunsichert hat.“ Sam versuchte seine Züge zu glätten. Dann ging ihm auf, was Dean gesagt hatte. „Was du gehasst hast? Was dich verunsichert hat?“, hakte er vorsichtig nach. „Das heißt du hasst es nicht mehr, es verunsichert dich nicht mehr?“ Skeptisch musterte er seinen Bruder. „Heißt das, du erinnerst dich? Du erinnerst dich an alles?“ „Jah“, antwortete Dean einsilbig und nickte kurz. Darüber musste er sich erstmal selbst richtig klar werden. Das musste er erst für sich sortieren und einordnen, bevor er mit jemandem reden wollte. „Oh Gott, das ist so … so wunderbar“, platzte Sam hervor und machte Anstalten seinen Bruder zu umarmen. „Ich ...“ Erschrocken wich Dean einen Schritt zurück und starrte Sam an. Ja, er erinnerte sich und er wollte nichts lieber, als genau das zu genießen, aber im Moment fühlte er sich zerrissen, glücklich und traurig, enttäuscht und betrogen. „Ist es das?“ „Natürlich. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, in den letzten Monaten!“, Sam musterte seinen Bruder misstrauisch. „Wir sollten Bobby anrufen und ...“ „Sam“, bat Dean leise. „Kann ich mich erstmal sortieren? Ich ...“ „Wir haben so lange darauf gewartet und gehofft. Wie kannst du Bobby diese gute Nachricht vorenthalten wollen?“ Sam verstand ihn nicht? „Will ich nicht. Ich ...“ Dean schwirrte der Kopf. Sein Hals kratzte, die Nase lief. Er fühlte sich wie unter einer Glocke und Sam ... „Du hast mich belogen, Sam!“, erklärte er plötzlich zusammenhanglos. „Ich habe dich nie ...“ „Du lügst schon wieder!“ „Was sollte ich denn sagen, Dean! Natürlich habe ich dir nichts von unserem alten Leben erzählt!“ „Darum geht es nicht. Du warst jagen!“ Noch immer klang Dean eher irritiert als wütend. „Ich war nicht ..“ Jetzt war Dean wütend und er sprach aus, was ihm gerade in den Kopf kam. „Erspar dir das, Sam. Und erspare es mir. Ich war vielleicht doof, aber jetzt kann ich die Anzeichen sehr wohl deuten. Du warst derjenige von uns, der unbedingt ein normales Leben wollte. Du hast mich immer wieder mehr oder weniger dezent darauf hingewiesen, wie sehr du das Jägerleben hasst und kaum bist du runter von der Straße, jagst du wieder. Waren deine Besuche bei den Unis in den letzten Wochen echt oder hast du Ausreden für deine Jagdausflüge gebraucht? Lag es nur an mir, Sam oder bist du auch bei Jess heimlich losgezogen? Hatte sie mehr zu bieten, um dich zu halten?“ Dean redete sich in Rage. Er benutzte Worte, die er nie aussprechen wollte, weil er wusste, dass sie weh taten. Aber sie würden Sams Enthusiasmus stoppen und vielleicht konnte er so ja endlich einen Gedanken fassen. Es war noch nie gut gewesen, ihn auf Themen anzusprechen, die er für sich selbst noch nicht sortiert hatte, das wusste er selbst am besten. Doch gerade jetzt schaffte er es nicht, sich zu bremsen. Sam sackte regelrecht in sich zusammen. Sprachlos starrte er seinen Bruder an. Während seiner wütenden Rede hatte Dean begonnen sich anzuziehen. Jetzt schloss er seinen Gürtel. Er blickte zu Sam. „Hör auf mich wie ein getretener Welpe anzustarren.“ „Dean bitte, ich … ich kann das erklären. Ich wollte nicht ...“ Dean stoppte den Redefluss seines Bruders mit einer einfachen Handbewegung. „Sam, erspare uns deine Erklärungsversuche! Lass uns reden, wenn ich … Lass mir Zeit, okay?“ Er zog sich ein Hemd über sein T-Shirt und griff nach der Jacke. „Es tut mir leid, Sam“, versuchte Dean seine Worte zu mildern, auch wenn er wusste, dass er das wohl nicht konnte. Er hatte Sam verletzt und ...“ „Ich brauche Zeit zum Sortieren, bitte Sam ...“ „Dean. Nein. Ich … Du gehörst in ein Bett. Deine Augen glänzen noch immer fiebrig. Leg dich hin, schlaf dich aus. Ich werde auch nichts mehr sagen, nur ruh dich aus. Du hast gerade erst … Du brauchst die Ruhe!“, erklärte Sam mit einem Mal sehr selbstsicher. „Wenn ich wüsste, dass es etwas bringt, würde ich es tun. Allerdings glaube ich nicht, dass ich überhaupt zu Ruhe kommen könnte. Ich brauche Bewegung.“ Er verließ sein Zimmer, nahm den Impalaschlüssel von der Anrichte und verließ das Haus. Wenig später hörte Sam den Motor des Impala regelrecht zornig aufheulen und dann entfernte sich das Geräusch. Er schloss für einen Moment die Augen und versuchte erfolglos die aufkommenden Tränen zurück zu halten. Wie hatte das alles wieder so schief gehen können? Jedes Fünkchen Glück, dass er noch vor wenigen Minuten empfunden hatte, weil Dean sich wieder erinnerte, wich aus seinem Körper. Kraftlos, enttäuscht und verletzt glitt er an der Wand hinunter und umarmte seine Knie. Er legte den Kopf auf die Knie und ließ seinen Tränen freien Lauf. Wie hatte das nur so ausarten können? Er wollte doch einfach nur seinen großen Bruder zurück. Er wollte nicht mehr stark sein müssen. Er wollte wieder der kleine Bruder sein und für einen Moment war er zum Greifen nah gewesen. Doch Deans Vorwürfe hatten Sam den Boden unter den Füßen weggerissen. Die leise Stimme in ihm, die er wochenlang während Deans Krankenhausaufenthalt gehört hatte und ihm Mut machte, es schaffen zu können, da es um Dean ging, befahl ihm sich zu beruhigen. Dean, noch so entkräftet wie er war, lief Gefahr einen Schwäche Anfall zu erleiden. Es war jetzt keine Zeit für Selbstmitleid. Auch wenn Dean ihn vielleicht nie wiedersehen wollte, wenn er Zeit gehabt hatte, sich zu sammeln, so musste Sam trotzdem sicherstellen, dass es seinem Bruder gut ging. Zumindest das war er ihm schuldig. Sam wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, dann nahm er sein Telefon und rief Bobby an, um ihn von den neuesten Ereignissen in Kenntnis zu setzen und ihn zu bitten sich zu melden, sollte Dean bei ihm auftauchen. Kapitel 293: Sams Sicht der Dinge --------------------------------- 293) Sams Sicht der Dinge Ziellos lenkte Dean den Impala über die nächtlichen Straßen. Erst als diese langsam voller wurden, erreichte er bekanntere Gefilde und bog letztendlich auf den Schrottplatz ein. Doch er wusste nicht so recht, ob er hier willkommen wäre, so wie er Bobby in den letzten Monaten mit Bobby behandelt hatte. Er seufzte leise, legte seine Hände in den Schoß und starrte auf das dunkle Haus. Bobby war nach Sams Anruf noch wach geblieben, als Dean jedoch nicht kam, hatte er sich entschlossen, ins Bett zu gehen. Den Impala würde er kaum überhören, sollte Dean doch herkommen. Wirklich gut schlief er nicht. Er atmete auf, als er den Wagen hörte, stand auf und zog sich schnell wieder an. Er eilte nach unten und stellte eine Tasse unter die Kaffeemaschine. Aber Dean kam nicht. Er nahm seine Tasse und ging in sein Büro. Im trüben Licht der Außenlampe sah er den schwarzen Wagen vor der Veranda parken und er konnte den Fahrer erkennen. Sollte er zu ihm gehen? Er entschied sich dagegen. Dean würde kommen, wenn er soweit war. Es dauerte mehr als eine Stunde bis Dean sich dazu durchrang, auszusteigen. Es war lächerlich hier zu sitzen und das Haus anzustarren, aber er konnte nicht anders. Erst als er sich dabei ertappte den selben Gedanken zum vierten Mal zu wälzen, stieg er aus. Entschlossenen Schrittes ging er auf das Haus zu, stieg die Stufen zur Veranda hoch und klopfte an der Tür. Selbst wenn Dean es sich hätte anders überlegen wollen, fand er keine Zeit dazu, bis Bobby die Tür öffnete. „Bobby!“, kam es rau über seine Lippen. Er brach ab, zuckte mit den Schultern und schaute ihm kurz in die Augen. „Ich ...“ Schnell senkte er den Blick wieder. „Komm erstmal rein“, sagte er alte Freund und schob seinen Jungen in die Küche. „Willst du einen Kaffee?“ „Gerne!“ Wieder schaute er kurz auf, starrte dann aber wieder auf seine Schuhe. „Du kannst dich erinnern?“, nahm der alte Jäger das Gespräch in die Hand. „Ja und ich wollte mich entschuldigen. Es tut mir so leid, wie ich mit dir … wie ich dich ...“ „Es ist okay, Dean. Es ist vorbei!“ Er reichte ihm die Tasse. „Ich muss zugeben, dass es weh tat und ich habe es gehasst, aber du wusstest es nicht anders.“ Dean nickte. „Trotzdem!“ Er gähnte verhalten. „Du solltest wohl eher ins Bett gehen, als Kaffee trinken“, kommentierte Bobby. „Wie geht es dir überhaupt? Du hattest vor ein paar Stunden noch hohes Fieber. Sam macht sich Sorgen um dich.“ „Ich bin ...“ Dean grinste kurz als er sich bei seinem Standardsatz ertappte. „Müde, zerschlagen. Aber ich weiß nicht, ob ich zur Ruhe komme.“ „Na, das lässt sich herausfinden! Trink aus und dann legst du dich hin.“ Bobby deutete nach oben. Er hoffte auf die kurzfristige müde machende Wirkung des Kaffees und darauf, dass Dean nach dem Fieber des Wochenendes und der letzten Nacht erschöpft genug war, um nicht noch stundenlang Gedanken wälzen zu können. Der Winchester gehorchte. Er trank aus, erhob sich und wollte zur Tür, als er mitten in der Bewegung innehielt, sich zu Bobby umdrehte und ihm um den Hals fiel. „Danke! Für alles!“, nuschelte er leise. Bobby legte seine Arme um den Jungen. Er blinzelte ein paar Tränen aus den Augen. Es war mal wieder alles gut gegangen, aber es hatte verdammt lange gedauert! Wenn das kein Fingerzeig war, endlich mit diesem Leben aufzuhören!?! Aber wenigstens da war er guter Dinge. Seine Jungs befanden sich auf einem guten Weg ins normale Leben und wen Dean ausgeschlafen war, würden sie auch den Rest klären, da war er sich sicher. Dean löste sich von den alten Freund und ging nach oben. Ganz entgegen seiner Befürchtungen war er innerhalb von wenigen Minuten eingeschlafen. Bobby rief Sam an, damit der endlich aufhören konnte, sich Sorgen zu machen. Sam atmete erleichtert auf. „Ich würde gerne sofort kommen“, begann er, „Aber ich müsste eigentlich zur Vorlesung“, begann er leise. „Dean schläft. Du hast gestern gesagt, wie wichtig dir diese Woche ist. Geh zum College Sam. Wenn du nachher herkommst, seid ihr beide nicht mehr so aufgedreht und könnt euch in Ruhe aussprechen.“ „Danke, dass du auf ihn aufpasst.“ Sam war hin und her gerissen, zwischen Pflicht und Sorge. Aber dank Bobby konnte er sich erstmal seiner Pflicht widmen. „Danke nochmal“ „Immer wieder gerne, Sam.“ Nachdem Sam aufgelegt hatte, machte er sich für den Tag fertig und fuhr zum College. Es fiel ihm verdammt schwer sich auf seine Kurse zu konzentrieren. Er war übermüdet und seine Gedanken kreisten permanent um Dean. Die ganze Zeit überlegte er, was er seinem Bruder sagen wollte. Er war verletzt und wütend über die Abfuhr, die er bekommen hatte, aber er war sich auch sicher, dass Dean ihn auf Abstand halten wollte, weil er viel zu viel, viel zu schnell gewollte hatte. Trotzdem schmerzte es, dass nach Deans monatelanger Amnesie war das einzige, dass der ihm zu sagen hatte war, dass er sich belogen fühlte, weil Sam gejagt hatte. Den Rest verdrängte er einfach mal, denn das … Aber warum war er vor ihm zurückgeschreckt? Egal! Er sollte sich besser auf seinen Kurs konzentrieren! Alles ander würde später kommen! Dean erwachte am Nachmittag. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Dann entspannte er sich. Das Haus lag ruhig und still. Vielleicht war Bobby ja in der Werkstatt oder er hockte in seinem Büro über einem der alten Wälzer? Bobby! Kaum dachte er an den alten Freund, da bildete sich wieder der dicke Klos in seinem Hals und sein Magen zog sich zusammen. Wie sollte er sein Verhalten der letzten Monate je wieder ungeschehen machen? Er hatte ihn so abgekanzelt, dass er sich jetzt noch dafür erwürgen wollte. Er seufzte. Da hatte er viel Abbitte zu leisten! Nicht nur bei Bobby. Aber vorerst war nur der hier, oder waren Sams Kurs schon zu Ende? Er schaute auf seine Uhr. Nein. Sam war noch nicht hier, würde aber wohl bald kommen. Er fühlte sich verschwitzt und noch immer nicht richtig ausgeschlafen, doch er wollte hier nicht noch länger rumliegen. Er hatte noch so einiges zu klären. Mit diesem Entschluss stand er auf und ging ins Bad. Er musste dringend duschen, bevor er jemandem unter die Augen treten konnte. Als Bobby Dean aufstehen und ins Bad gehen hörte, warf er einen Blick auf seine Uhr. Sams letzter Kurs würde gleich enden. Perfektes Timing! Die Hände auf das Waschbecken gestützt musterte Dean sein Spiegelbild. Müde Augen starrten ihm entgegen und auf seinen Wangen lagen dunkle Schatten. Rasieren musste er sich also auch. Und dann? Er war die halbe Nacht durch die Gegend gefahren, ohne sich über seine Zukunft wirklich klar zu werden. Letztendlich musste Sam ihm diese Antwort liefern. Er hatte weiter gejagt. Dean schüttelte den Kopf. Warum musste ihr Leben so kompliziert sein? Er duschte und rasierte sich, zog sich an und ging nach unten. Gerade als er am Fußende der Treppe ankam, betrat Sam das Haus und Bobby kam aus dem Büro. Kurz musterten sich die drei Männer. Doch keiner von ihnen sagte etwas, bis Bobby schließlich auf die Küche deutete. „Ihr müsst reden!“, erklärte er, kaum dass auch Sam im Raum stand und deutete auf den Küchentisch, bevor er sich zum Kühlschrank umdrehte und drei Flaschen Bier herausholte. Er stellte sie auf dem Tisch ab und öffnete eine nach der anderen. Sam zog eine zu sich heran und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dean nahm sich ebenfalls eine Flasche. Er schaute kurz zu Sam, schnaufte und rutschte auf die Anrichte, auf der er Jody so oft beim Kochen zugeschaut hatte. Bobby stand an den Schrank, neben der Verandatür, gelehnt. Sein Blick wanderte von Sam zu Dean und wieder zurück. Er verdrehte kurz die Augen und zog einen Stuhl zu sich heran. Schweigen breitete sich in dem Raum aus. Sam blickte von Bobby zu Dean und nahm einen Schluck. Er stellte die Flaschen mit einem leisen Klock wieder auf den Tisch. Er schluckte hart und atmete tief durch. „Du warst so kalt! Am Anfang“, begann er leise. „Jeden anderen hast du näher an dich herangelassen. Jeden außer mich. Ich ...“, er schluckte wieder. „Du hast dich hinter deinen Büchern vergraben, ich kam mir so überflüssig vor.“ Wieder stockte er. „In Tea wurde es zwar besser, aber trotzdem hatte ich immer noch das Gefühl, dass ich dir … gleichgültig war, dass du lieber mit Jody leben würdest. Ich habe mich einsam gefühlt.“ Er wollte Dean nicht die Schuld zuschieben. Es war nur … ein Teil der Wahrheit. Aber er wich vom Thema ab. Dean hatte ihn schließlich wegen des Jagens angefahren. „Bei meinem Praktikum habe ich zufällig gehört wie sich die Sekretärinnen unterhalten haben. Die eine erzählte vom Haus ihrer Tochter, in dem es immer wieder zu Unfällen kam. Ich habe ein Bisschen recherchiert. Letztendlich lief es auf einen Poltergeist hinaus. Ihn zu vertreiben war wie ein Befreiungsschlag. Er hat mir mächtig zugesetzt. Trotzdem war es richtiggehend befriedigend.“ Sam schaute kurz zu Dean und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. Nachdem er sie wieder abgestellt hatte fuhr er fort: „Ich fühlte mich richtig gut, lebendig. Ich hatte etwas getan, um Menschen zu helfen. Ich wurde gebraucht!“ Wieder schaute er zu Dean, doch sein Bruder schwieg, also sprach er weiter. „Du hattest deinen Lehrgang, das Reiten, das Abbruchunternehmen. Du warst versorgt, also habe ich irgendwann im Internet nach einem neuen Fall gesucht und bin wieder losgezogen. Ich wollte mich wieder lebendig fühlen, gebraucht …“ Er nahm einen weiteren Schluck. „Die Unis habe ich wirklich besucht, um einen Studienplatz zu finden. Dass sich mir da die Fälle regelrecht aufgedrängt haben, dafür kann ich wirklich nichts. Nach Portland habe ich ja auch nicht mehr nach einem Fall gesucht.“ Kapitel 294: Kill this Killing man ---------------------------------- 294) Kill this Killing man Als Sam nicht weitersprach schaute Dean auf. Er nahm einen Schluck von seiner Flasche und als er zu sprechen begann, klang seine Stimme heiser. „Wut, Angst und Schmerzen … Unsicherheit.“ Er schüttelte den Kopf. „In mir war nichts, nur ein großes schwarzes Loch. Du hast im Krankenhaus gesagt, dass du mein Bruder bist, aber ich habe dich nicht erkannt. Du hättest genauso gut ein Pfleger oder Arzt oder einfach ein fremder Besucher sein können. Da gab es nichts, was dich von ihnen unterschied. Niemand unterschied sich von irgendwem. Bei Niemandem habe ich irgendetwas gefühlt. Kein Vertrauen, nichts! Ich ...“, er drehte seine Flasche zwischen den Händen. „Ich habe wie ein Verrückter gelernt, weil ich gehofft habe, so mein Leben zurückzubekommen. Ich kam mir vor, als ob ich Sand in einen reißenden Fluss schaufeln würde, in der Hoffnung mir so einen Weg zum anderen Ufer zu schaffen, an dem ihr alle standet.“ Er atmete tief durch und schaute auf. „Ihr habt mich immer wieder mit dieser Enttäuschung im Blick angesehen.“ Sein Blick wanderte zwischen Sam und Bobby hin und her. „Diese Blicke schmerzten und ich hätte alles gegeben, um sie nie wieder sehen zu müssen, doch diese Enttäuschung war immer da.“ Dean schluckte hart, bevor er fortfuhr. „Diese Enttäuschung, die sich mir so tief eingebrannt hat, die ich aber erst jetzt wieder einordnen kann, als die Enttäuschung, die auch immer wieder auf Johns Gesicht lag, wenn ich etwas nicht sofort verstand oder wenn dir“, er schaute zu Sam, „etwas passiert war.“ Jetzt nahm er einen tiefen Schluck. Sam und Bobby tauschten einen betroffenen Blick. Sie hatten ja keine Ahnung wie sehr diese enttäuschte Hoffnung, die sie fühlten und von der sie immer gedacht hatten sie gut zu verbergen, doch in ihren Gesichtern zu lesen gewesen war und wie tief sich dieser enttäuschte Blick doch in Deans Seele gegraben hatte, wie lange er sich schon mit dem Gefühl, nicht zu genügen, herumschlug. „Immer wieder hatte ich Albträume. Monster mit gelben Augen, langen Reißzähnen oder Krallen. Ich wollte mit dir reden, Sam. Doch dann kamen die Psychologiestunden und die Psychologin erklärte uns, wie wir mit Menschen mit Wahnvorstellungen umgehen sollten. Reden, beruhigen und möglichst einen Psychologen hinzuziehen.“ Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Ich hatte eine Macke! Aber das wusste ich ja schon und ich wollte dich“, er schaute zu Sam, „nicht noch mehr darauf stoßen. Ich wollte mein Leben nicht ändern!“ Dean wischte sich müde mit der Hand über das Gesicht. „Am Freitag wollte ich mit dir den Abschluss meines Lehrganges feiern. Als du sagtest, dass du nach Bloomington musst, war mir die Lust zum Feiern vergangen. Ich habe Rohan angerufen, um abzusagen, doch der ließ mich nicht mal ausreden. Er hat mich überredet doch feiern zu gehen. Als ich von der Toilette wiederkam, stand ein Dämon an der Bar. Ich war wie gelähmt! Und dann kamen noch zwei zur Tür herein. Die haben mir solch eine Angst eingeflößt, ohne dass ich wusste warum. Ich wollte nur noch weg und mich irgendwo verkriechen. Ich bin in die Kälte gerannt. So schnell und so weit wie ich nur konnte. Ich bin ein paarmal gestürzt und irgendwann einfach liegen geblieben. Als ich wach wurde, habe ich jämmerlich gefroren. Ich wollte nur nach Hause. Plötzlich habe ich den Baum mit der Schaukel erkannt. Ich war auf unserer Veranda und hatte keine Ahnung, wie ich da hingekommen bin. Ich bin ins Haus gegangen.“ Dean schnaufte. „Irgendwann war da eine Stimme, die sagte, dass alles in Ordnung wäre, dass ich weiterschlafen könnte. Als ich aufwachte, warst du da. Du hast im Sessel gesessen. Den Rest kennst du“, beendete Dean seine Erzählung. Wieder breitete sich die Stille aus. „Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte Bobby, um dieses unangenehme Schweigen zu beenden. Die beiden hatten zwar geredet, aber nicht miteinander. So wollte er seine Jungs nicht sehen, aber vielleicht brauchten sie erst Zeit, um das Gesagte zu verdauen? „Das musst du Sam fragen!“, reichte Dean diese Entscheidung nur zu gerne an seinen Bruder weiter. „Er hat wieder mit der Jagd begonnen!“ Sam seufze. Offensichtlich schien Dean Bobbys Frage nur auf ihre berufliche Zukunft zu beziehen. Er selber machte sich gerade mehr Gedanken über ihre Beziehung zueinander. Aber gut. Er konnte Deans Frage, zumindest aus seinem Blickwinkel eindeutig beantworten. „Mr. Davenport hat einen Bruder, der Dekan an der juristischen Fakultät in Bloomington ist. Er hat mich dahin vermittelt, das wisst ihr ja und auch, dass ich mit ihm gesprochen habe. Ich kann, wenn ich jetzt keinen Bockmist baue und meinen Collegeabschluss schaffe, ab Herbst in Bloomington studieren. Mr. Davenport wird mein Mentor sein. Das wollte ich dir am Samstag erzählen. Ich möchte gerne da hin. Das ist die eine Chance, die ich ergreifen muss. Eine weitere wird sich wohl nicht bieten, zumindest keine weitere so gute.“ Fragend schaute er zu seinem Bruder. Dean schluckte. Plötzlich war alles so real. Plötzlich war das normale Leben zum Greifen nahe. Sie hatten sich zwar die ganze Zeit schon auf dieses Ziel hinbewegt, doch dann kam der Unfall dazwischen und er führte ein anderes Leben, ein ganz anderes. Und jetzt sollte er Dean Winchester, Jäger, Vagabund, der Mensch, der sich im Impala auf der Straße am wohlsten fühlte, nach der Chance greifen sesshaft zu werden? Irgendwie ging ihm das plötzlich zu schnell. Er stellte die Flasche ab, verließ fluchtartig die Küche und stürmte ins Bad. Sam und Bobby schauten ihm fragend hinterher. „Was?“, krächzte Sam. Diese Reaktion hatte er nun wirklich nicht erwartet. „Lassen wir ihm Zeit“, schlug Bobby vor und begann Kaffee zu kochen. „Immerhin ist er nicht nach draußen gestürmt“, versuchte Sam es mit Galgenhumor. Deans Gefühlskarussell fuhr so schnell, dass niemand mehr mitkam und sein Bruder hatte nie wirklich gelernt jemanden an sich ranzulassen. Sam war sich nicht mal sicher, dass wenn Dean es könnte, er im Moment der Richtige wäre, um ihm zu helfen. Nicht bei der angespannten Lage zwischen ihnen momentan. Er seufzte. Vielleicht würde Jody helfen können, wenn sie gleich von der Arbeit kam. Dieser Gedanke verpasste seinem Herzen einen weiteren Stich. Jahrelang war Dean für ihn dagewesen und als Sam es für sein wollte, lief alles schief, schien er nichts richtig machen zu können, nicht genug zu sein. Als Bruder schien er nicht von der Versagerspur weg zu kommen. Dean stand mit zitternden Knien am Waschbecken. Seine Hände krampften sich um den Rand, um nicht den Halt zu verlieren. Er starrte seinem Spiegelbild in die Augen. If I said I was sorry would you forget the things I've done Würde er vergessen können, wer er gewesen war? Wollte er das überhaupt? Er hatte sich gerade erst wiedergefunden! Nein! Er wollte sich nicht vergessen. Es war furchtbar gewesen nicht zu wissen, wer er war. I don´t know why I evev worry I don't believe in anyone Nein, er glaubte an nichts und niemanden und doch war da immer der Wunsch nach Normalität, nach der Normalität, die Sam zwei Jahre lang gelebt hatte, nach der Normalität, die er in seinen ersten vier Lebensjahren kennengelernt hatte. Konnte er für Sam, konnte er für sich all das verdrängen was er wusste? Konnte er sich und Sam denTraum nach einem Leben mit Haus und Familie erfüllen? Durfte er sich diesen Traum erfüllen? Der Gelbäugige war tot! Ihr heiliger Familienauftrag somit erfüllt. 'Cause in my sleep I'm still running from the demons and the ghosts That in the night I hear coming They're coming back for what I stole ' cause I am a killing man I am I am a killing man Er hatte so viele dieser „Dämonen“ vernichtet. Er hatte so viele Geister verbrannt, so viele übernatürliche Kreaturen getötet. Er war ein Mörder. Er hatte keine Menschen getötet, nein. Trotzdem hatte er Blut an seinen Händen. Würde er das je abwaschen können? Würde er es ignorieren können oder würde er sich irgendwann dafür hassen? Würden sie ihn irgendwann finden? Würden sie ihn jagen und holen? Some believe in the devil but who are they to know How dare they give a face to evil when they're the ones loving the show They don't know that I am a killing man I am Yes Kaum ein Mensch wusste, dass die Dinger, die ihnen einen gruseligen Schauer über den Rücken schickten, echt waren. Kaum ein Mensch wollte mit ihnen zu tun haben, wenn sie erfuhren, dass diese Dinger echt waren. Sie wollten sich gruseln und dann zufrieden in ihren vermeintlich sicheren Betten gehen. Konnte er es ignorieren, wenn er auf einen neuen Fall aufmerksam wurde oder würde er schon bald wie Sam, das Adrenalin brauchen? I am just another man doing what is said and told Just like you my friend We all sell our souls Please don't make it hard when I come around for you It's not personal It's just what I do 'cause I am a killing man I am Yes I am a killing man Ja. Er war ein Mörder! Würde er damit aufhören können? Würde er doch wieder jagen. Konnte er Beides unter einen Hut bringen? Würde er irgendwann bei einer Jagd draufgehen, so wie jeder Jäger? Würde es irgendwann zu persönlich werden und sich eines dieser Dinger nicht mehr nur an ihm oder Sam sondern an seiner Familie rächen? Würde er es akzeptieren, wenn eines dieser Dinger ihn aus dem Leben riss? Würde Sam es akzeptieren können und ihn gehen lassen? There will be a moment in time when I find the strength to take a stand And I will look into my stone cold eyes and I will kill the killing man War das jetzt seine Chance auszusteigen? Seine einzige, seine letzte Chance, bevor er komplett in diesem Leben versank wie in einem Sumpf? Er war draußen! Er hatte ein halbes Jahr ohne die Jagd gelebt und nicht Schlimmes war passiert. Wenn er es schaffte, wenn Sam und er gut aufeinander achteten, damit sie nicht wieder in dieses Jägerleben abrutschten, wenn sie vielleicht hin und wieder, wenn es gar nicht mehr auszuhalten war, jagen gingen, dann konnten, dann mussten sie es schafften. Er starrte seinem Spiegelbild fest in die Augen. Ja! Er wollte diese Chance ergreifen. Er war schon so weit gekommen und sein Traum, Feuerwehrmann zu werden, war noch nie so real gewesen. „Ja“, sagte er zu seinem Spiegelbild und nickte. „Ja!“ 'Cause I will kill this killing man Kapitel 295: Das Fazit : Alles gut, oder? ----------------------------------------- 295) Das Fazit: Alles gut, oder? Dean warf sich ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und ging zurück in die Küche. „Okay“, sagte er heiser und schaute Sam in die Augen. „Okay? Okay, was?“, wollte der unsicher wissen. „Okay, ziehen wir nach Bloomington, Indiana.“ Sam sprang auf, war mit zwei langen Schritten neben seinem Bruder und zog ihn in einer feste Umarmung, die Dean auch fast sofort, mit einem leisen, zufriedenen Grummeln, erwiderte. „Ich verspreche ein guter kleiner Bruder zu sein“, nuschelte der gegen Deans Schulter. Sam fühlte das Lachen mehr, als er es hörte: „Versprich nichts, was du nicht halten kannst, Sammy.“ Sammy erschauerte regelrecht, als er endlich wieder diesen Namen hörte. Deans Kosenamen für ihn, den niemand anderer je so aussprechen würde. Dean drückte Sam etwas von sich und blickte zu Bobby, der etwas verloren neben der Kaffeemaschine stand. Er streckte seine Hand aus und zog den alten Jäger, kaum dass der in seiner Reichweite war, mit in diese Umarmung. Jetzt war seine Welt, zumindest für den Augenblick wieder in Ordnung! „Über dein jagen müssen wir aber noch mal reden“, grummelte Dean leise gegen Sams Schulter und der nickte kurz. „So wie es aussieht, scheint ihr alle Unstimmigkeiten geklärt zu haben?“, stellte Jody fest, kaum dass sie die Küche betreten hatte. „Haben wir“, sagte Sam mit belegter Stimme und Dean streckte seine Hand erneut aus und zog auch sie mit in ihre Umarmung. „Du gehörst genauso zu uns“, nuschelte er mit belegter Stimme und schluckte. „Ich weiß nurnicht, ob das jetzt so erstrebenswert für dich ist.“ „Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich jetzt lieber wäre!“, sagte sie voller Überzeugung. Auch wenn sie noch immer um ihren Mann und ihren Sohn trauerte, hier hatte sie eine Familie gefunden, die so verkorkst und einzigartig und liebevoll, traurig und freundlich und verständnisvoll war, dass sie sie nie mehr missen wollte. Hier wurde sie aufgefangen, hier konnte sie sein, wer auch immer sie war. Hier konnte sie sich erinnern und vergessen. Hier war sie angekommen. Nachdem sie die Umarmung gelöste hatten, blickte Dean von einem zum anderen. „Danke, dass ihr für mich da ward und danke, dass ihr mich ertragen habt.“ Jetzt sah er Bobby in die Augen. „Ich würde es jeder Zeit wieder tun, auch wenn ich überlege, dir einen Helm zu kaufen und dir den dann am liebsten auf den Kopf kleben würde. Pass einfach auf, dass das … passt einfach auf, dass euch nie wieder etwas schlimmes passiert.“ „Dann müsstest du uns in Watte packen und einsperren“, überlegte Sam laut. „Führe mich nicht in Versuchung, Sam. Der Panikraum ist schallisoliert!“ Sam schluckte. „Bring ihn nicht auf schlechte Gedanken, Sam“, schlug jetzt auch noch Dean in diese Kerbe. „Schluss damit“, schimpfte Jody lachend und blickte zu Dean. „Du erinnerst dich also wieder an alles?“ „Jah.“ Dean nickte. „Einiges hätte gerne für immer verschwunden bleiben können, aber ja. Ich erinnere mich und letztendlich bin ich froh darüber.“ Er fasste Sams Ärmel und zog ihn aus der Küche. „Wir klären nur schnell war“, erklärte er über die Schulter. Mitte im Flur blieb er stehen, sah Sam in die Augen und atmete tief durch. „Bist du wirklich nur jagen gegangen, weil du gerade da warst?“ Den Rest seiner Frage schluckte Dean herunter. Er wollte Sam nicht schon wieder anfahren. „Den Poltergeist ja. Diese Marienette hatte mir meinen Körper geklaut, da war ich ja gezwungen etwas zu tun ...“ Moment mal, Marinette?“, unterbrach Dean ihn. „Wer ist Marinette?“ „Die ganze Geschichte kann ich dir gerne später erzählen, das dauert etwas. Nick hat mir geholfen.“ Dean nickte. „Und weiter? Du kamst vollkommen zerschlagen aus Maine wieder.“ „Das war ein Vampir, der eine Frau angegriffen hatte. Er hätte sie getötet, wäre ich achtlos daran vorbei gegangen.“ Sam atmete durch. „Nur den Schwimmbadgeist habe ich aktiv gesucht.“ Er suchte Deans Blick. „Es tat so gut, gebraucht zu werden. Du warst so selbstständig …“ Er schnaufte. „Ich weiß, dass es falsch war. Ich weiß, dass ich dich immer wieder genervt habe aufzuhören und dass ich jetzt selbst wieder gejagt habe. Warst du deshalb so sauer?“ „Ich war vollkommen durcheinander, gerade erst wieder da. Meine Erinnerungen musste ich erstmal sortieren und dann … Es tut mir leid, Sam, dass ich dich so angefahren habe. Es war das Erste was mir in den Sinn kam, das Erste, das greifbar war. Ich sollte wohl besser meine Klappe halten und erst denken!“, betreten starrte er auf den Boden. „Wir machen beide Fehler, Dean. Ich hätte dich ja auch erstmal in Ruhe lassen können.“ „Hättest du, ja. Aber ganz ehrlich Du hättest es nicht gekonnt. Ich zumindest hätte es nicht gekonnt, wenn mein Bruder seine Amnesie überwunden hätte.“ „Und ich hätte in diesem Fall wohl genauso bissig reagiert“, nickte Sam. „“Trotzdem tut es mir leid, Sam!“ „Es ist gut, Dean. Lass uns nach vorne schauen!“ Dean nickte. Gemeinsam gingen sie zurück in die Küche. „Alles geklärt?“, fragte Bobby. Die Brüder nickten. „Dann lasst uns den Tag feiern!“, schlug Jody jetzt vor. „Ich bin dabei“, erklärte Bobby und die Brüder nickten wieder. „Was machen wir?“, fragte Dean. „Zum Grillen ist das Wetter wirklich nicht geeignet, aber wir könnten uns etwas bestellen und uns einen gemütliche Abend machen?,“ schlug Jody vor. „Das klingt gut!“, stimmte der ältere Winchester sofort zu. „Pizza, Burger, Chinesisch?“ Sam verdrehte die Augen. „Der verfressenen Teil von dir hätte ruhig vergessen bleiben können.“ Er freute sich Dean mal wieder wie gewohnt Kontra geben zu können. „Eigentlich habe ich nur gefragt was wir bestellen wollen, aber wenn du meinst, wir können auch alles nehmen“, grummelte Dean. „Also ich würde mir doch Gedanken machen, ob du dich wirklich wieder an alles erinnerst, wenn du nur im Salat stochern würdest!“, mischte sich Bobby ein. Hah, machte Deans Gesicht in Sams Richtung und der verdrehte ergeben, aber grinsend, die Augen. Dean war wieder Dean. Mehr wollte er gar nicht haben, auch wenn er wusste, dass er sich schon bald wieder darüber aufregen würde, jetzt war er nur froh, ihn wieder zu haben. „Ich bin für chinesisch“, sagte Jody und holte ihr Handy hervor, um eine Bestellung aufgeben zu können. Noch bevor sie wählen konnte, klingelte es. Sie blickte auf das Display und verdrehte die Augen. „Hier ist Sheriff Mills?“, nahm sie das Gespräch an. Kurz lauschte sie. „Ich komme“, sagte sie dann und legte auf. „Ein schwerer Unfall. Ich muss los“, erklärte sie, verließ das Haus und lief zu ihrem Wagen. „Soviel zum Thema feiern“, seufzte Bobby. „Bestellen wir uns trotzdem etwas?“ „Hunger habe ich“, sagte Dean ruhig. „Vielleicht dauert es ja nicht lange. Außerdem wird sie auch Hunger haben, wenn sie wiederkommt.“ Er zog sein Telefon aus der Tasche und schaute darauf. „Wo ist eigentlich mein altes Telefon? Existiert das noch oder hat es den Einsturz der Mine nicht überlebt?“ „Es existiert noch. Warte, ich hole es dir“, sagte Sam und lief nach oben in sein Zimmer. Mit Deans Handy kam er zurück und drückte es seinem Bruder in die Hand. „Ich wollte nichts löschen, da war ein Neues besser, dachte ich.“ „Danke!“ Dean strahlte ihn an. Jetzt musste er nur die Nummern von Krista, Rohan und Javi übertragen. Ed würde er wohl genauso wenig wiedersehen wie die Prudells oder die Pferde. Aber verabschieden wollte er sich schon noch. Dean hatten ihre Bestellung durchgegeben und legte auf, als Bobbys Telefon klingelte. Bobby ging dran. Er hörte kurz zu und gab dann ein kurzes: „Ich komme“, durch und legte auf. „Der Unfall. Ich soll die Wagen abschleppen“, erklärte er, ging zur Tür und zog sich seine Jacke über. „Brauchst du Hilfe?“, wollte Dean wissen. „Wenn wir mit zwei Wagen fahren können, sind wir schneller fertig“, erwiderte der Jäger nickend. „Okay, dann los“, freute sich Dean. Gerade war wieder eine Welle Erinnerungen über ihn hereingeschwappt, die er mit möglichst viel Beschäftigung zu ignorieren suchte. Jetzt war nicht die Zeit und erst recht nicht der Ort um ihnen zu begegnen. Dafür brauchte er Ruhe und möglichst viel Bier, oder noch besser eine Bar, eine willige Blondine und möglichst viel Bier. „Willst du auch mitkommen, Sam?“, fragte er seinen kleinen Bruder. „Nein, lasst mal. Es reicht, wenn ihr euch die Füße wegfriert“, entgegnete der und schluckte den Rest seines Satzes herunter. So sehr er Dean nach dem Auf und Ab der letzten Monate auch am liebsten nicht mehr von der Seite weichen wollte. Er sah es in Deans Augen, wie es ihm ging und warum er fahren wollte. Er würde hier bleiben und sie mit heißem Kaffee mit viel Whiskey empfangen und hoffen, dass Deans Fieber nicht wiederkam. „Außerdem muss ich noch Hausaufgaben machen.“ „Na dann viel Spaß, und iss uns nicht alles weg!“, forderte Bobby grinsend. Zwei Stunden später hörte Sam wie ein Wagen auf den Schrottplatz gerumpelt kam. Er stellte die erste Essenspackung in die Mikrowelle und ging zur Tür. Endlich hatte Bobby das Wrack vom Haken gelassen. Er parkte den Abschleppwagen und kam zur Veranda. „Kannst du mich zum Unfallort fahren?“, fragte er Sam. „Wieso? Was ist passiert und wo ist Dean?“, sprudelte Sam hervor. „Ist ihm was passiert?“ „Alles gut, Sam. Ich erkläre es dir unterwegs, okay?“ Sam nickte. Er holte sich seine Jacke und ging mit Bobby zum Impala. „Und?“, begann er ungeduldig, kaum dass er den Wagen auf die Straße lenkte. Bobby holte tief Luft. „In einem der Wagen haben wir eine Transportbox gefunden. Eine offene Transportbox. Der Deckel war komplett abgegangen und sie war ziemlich demoliert. Wir haben uns nicht so viel dabei gedacht, außerdem war die Bergung der Leichen wichtiger. Keiner der Beteiligten hat überlebt.“ Bobby schluckte. Es ging ihm immer wieder an die Nieren, wenn Menschen starben. „Jedenfalls“, fuhr er fort. „Plötzlich fragte einer der Polizisten nach einem Hund. Sie hatten im Fond Papiere gefunden. Wir haben gesucht und den Hund gefunden. Nein, eigentlich ist es noch kein Hund. Es ist ein vollkommen verängstigter Welpe. 9 Wochen alt. Jody ist mit Dean und der Kleinen zum Tierarzt gefahren. Sie war kaum in das Auto zu bekommen. Alleine hätte Jody das nicht hinbekommen. Ich habe den ersten Wagen hergebracht. Jetzt müssen wir den zweiten holen.“ Sam nickte kurz, dann fiel ihm etwas auf. „Will Dean den Hund behalten?“, sprudelte er hervor. „Erstmal sollten wir abwarten, was der Tierarzt sagt und dann sehen wir weiter.“ Sam nickte nur. Ein Hund wäre zwar schön, aber zur Zeit wohl eher hinderlich, jetzt wo sie wussten, dass sie im Sommer umziehen würden und ihr Leben dann neu ordnen mussten. Er ließ Bobby an der Unfallstelle raus und fuhr zurück. Kapitel 296: Marley ------------------- 296) Marley Bobby fuhr eine halbe Stunde nach Sam auf den Hof. Er lud das Wrack ab, stellte den Abschleppwagen weg und kam durchgefroren ins Haus. „Jody hat sich gemeldet. Sie wollen noch ein Röntgenbild abwarten, dann kommen sie“, erklärte er während er den Kaffee von Sam entgegen nahm. Genießend schloss er die Augen, als ihm der scharfe Duft des Whiskeys in die Nase stieg. Den konnte er jetzt gut gebrauchen. Endlich hörten sie einen Wagen auf den Schrottplatz fahren. Bobby stellte das Essen erneut in die Mikrowelle und holte Bier aus dem Kühlschrank. Etwas hämmerte gegen die Tür. Sam öffnete und starrte seinen Bruder entsetzt an. „Was wird das denn? Kaufrausch?“ „Lässt du mich erstmal rein?“, schnaufte der Ältere. „Das Zeug wird langsam schwer.“ Er hatte eine komplette Erstausstattung samt diverser Proben Nass- und Trockenfutter in einem Hundekorb in seinen Händen. Er schob sich durch die Tür und stellte alles in der Küche ab. Jody folgte ihm mit dem Welpen auf dem Arm. „Hey“, begrüßte Bobby sie mit einem Kuss und begann dann das Körbchen auszuräumen. Er füllte einen Napf mit Wasser und einen mit Futter. Jody setzte die Kleine ins Körbchen. Die Mikrowelle meldete, dass sie fertig war und Dean und Jody stürzten sich regelrecht auf das Essen. „Soviel zum Thema Feiern“, sagte sie zwischen zwei Bissen. „Das holen wir am Wochenende nach“, überlegte Sam. „Ich muss am Wochenende arbeiten“, gab Dean zu bedenken. „Ich sehe schon, vor Weihnachten wird das wohl nichts.“ „Na gut, dass bald Weihnachten ist“, lachte Jody und gab ihrem Partner einen Kuss. „Was ist jetzt mit dem Welpen?“, fragte Sam neugierig. „Sie heißt Marley und bleibt vorerst bei uns, bis geklärt ist, ob sie noch eine Familie hat, zu der sie könnte und die sie überhaupt noch will. Der Beifahrer des Autos in dem sie war, ist noch am Unfallort verstorben. Die Fahrerin starb auf dem Weg ins Krankenhaus und der Junge auf der Rückbank ist schwer verletzt“, erklärte Jody leise. „Wenn sie niemand will, würde ich sie gerne behalten, das heißt, wenn du nichts dagegen hast.“ Sie schaute zu ihrem Partner. „Warum sollte ich. Ich hatte eigentlich immer einen Hund. Warum ich mir nach Rumsfeld keinen mehr geholt habe“, er zuckte mit den Schultern, „keine Ahnung“. „Das ist aber kein Rottweiler“, grinste Dean und nahm den Kleinen hoch, der gerade an seinem Hosenbein kaute. „Das ist ein Eurasier. Was immer das für eine Rasse ist“, sagte Jody, die die Papiere durchsah. „Du bist eine echte Lady?“, fragte Dean die Kleine und hielt sie so, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sie schnupperte kurz und begann dann seine Nase zu lecken. „Ich dich auch“, sagte Dean liebevoll und hielt sie etwas weiter weg. Die Zunge war doch ganz schön rau. Er setzte sie auf seinen Schoß und kraulte sie sanft. Erfolglos versuchte er ein Gähnen zu unterdrücken. „Wir sollten so langsam los“, überlegte Sam. Er hatte zwar einiges erledigen können, musste aber noch ein Kapitel lesen, um auf den morgigen Unterricht vorbereitet zu sein und Deans Augen glänzten schon wieder leicht fiebrig, oder irrte er sich da? „Ja“, erwiderte der Ältere nur, setzte die Kleine auf den Boden und erhob sich. Er ging mit Sam zur Tür. Bobby und Jody folgten ihnen. Im Flur zog Dean die Beiden nacheinander noch einmal in eine feste Umarmung. „Danke!“, nuschelte er. „Danke für alles!“ „Das haben wir gerne getan, Junge“, erwiderte Bobby. „Dafür musst du dich nicht bedanken!“ „Ich weiß. Es tut trotzdem gut zu wissen, jemanden wie euch“, er schaute allen Dreien fest in die Augen, „an meiner Seite zu haben. Das ist nicht selbstverständlich!“ „Du hast das in dieser oder ähnlicher Weise auch schon für jeden von uns getan.“ Dean nickte und zuckte dann mit den Schultern. Er schniefte kurz und drehte sich ruckartig zur Tür. Seine feuchten Augen hatten trotzdem alle gesehen. In dieser Nacht lag Dean, trotz seiner körperlichen Müdigkeit, noch lange wach. Seine beiden Leben ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. So einfach wie ihm der Entschluss für das neue Leben vor dem Spiegel bei Bobby gefallen war, so einfach schien sein ganzes Sein ihn nicht akzeptieren zu wollen. Ihm fehlte die Zeit, die er sich in diesem Sommer nehmen wollte, um sein Leben in aller Ruhe durchdenken zu können. Gleichzeitig war er aber schon einen Schritt weiter. Als er es nach seiner Planung sein wollte. Alleine das war schon verwirrend und dabei hatte er noch nicht einmal versucht, die beiden Leben zusammenzubringen. Seine Gefühle und Gedanken waren so widersprüchlich. Er schämte sich noch immer dafür, wie er Bobby in den letzten Monaten behandelt hatte, auch wenn der es so leichthin abgetan hatte. Er hatte doch gesehen, wie weh er ihm mit diesem „Sir“ tat. John war Sir! Bobby war viel mehr Dad als er je „Sir“ werden konnte. Erst gegen Morgen gelang es ihm, seine wirr durcheinanderwirbelnden Gedanken beiseite zu schieben und endlich richtig einzuschlafen. Für einen Augenblick war Sam enttäuscht, als er die Treppe herunterkam. Auf ihn wartete weder Frühstück, noch Kaffee und leider auch kein Lunchpaket. Gerade daran hatte er sich in den letzten Wochen doch so sehr gewöhnt. Aber dann fiel ihm ein, dass Dean sich ja wirklich wieder erinnerte und das war besser als jedes Lunchpaket! Er kochte Kaffee, frühstückte und machte für Dean ein paar Brote. Kurz bevor er los musste, trieb ihn seine Neugier dann doch in das Zimmer seines Bruders. Leise öffnete er die Tür uns spähte hinein. Er wollte ihn nicht wecken. Deans Nacht schien nicht wirklich friedlich gewesen zu, so zerwühlt wie sein Bett war. Aber jetzt lag er auf dem Bauch und hatte das Kissen umarmt. Ein Lächeln erhellte Sams Gesicht. Da war sein Bruder endlich wieder. Er könnte stundenlang hier stehen, so sehr genoss er dieses Bild, doch er musste zur Vorlesung. Er stellte Deans Wecker, damit der nicht an seinem ersten Praktikumstag verschlief und zog sich leise wieder zurück. Dean erwachte, bevor ihn der Wecker wecken konnte. Er brauchte etwas, um sich zu sortieren. Wo war er und vor allem: Wer war er? Er schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Sein Blick fiel auf das Buch, dass auf seinem Nachttisch lag und wanderte zu den Büchern in seinem Regal. Er hatte gerne gelesen! Und jetzt? Spielte die Abneigung für Bücher, die John in ihm geweckt hatte eine größere Rolle oder konnte er die verdrängen? Auf jeden Fall hatte es ihm bei dem Lehrgang geholfen, dass er gerne las und gerne lernte. Oh Gott! Er las gerne UND lernte gerne! Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Okay. Was hatte sich noch verändert? Was hatte er im letzten halben Jahr gerne gemacht und was hatte er davor gehasst? Er hatte entdeckt, dass er Gitarre spielen konnte. Naja, können war übertrieben. Seine Gedanken wanderten zu Alice, wegen der er seine ersten Versuche auf einer Gitarre gestartet hatte und zu Robin, die ihm das eine oder andere Lied beigebracht hatte. Schnell schob er die Erinnerungen wieder beiseite und wandte sich wieder seiner Suche zu. Gitarre spielen, okay und was noch? Reiten. Darüber brauchte er sich keine Gedanken machen. Er liebte es zu reiten, genau wie die Arbeit auf dem Bau. Das hatte sich nicht verändert. Er hatte nicht gerne an Autos geschraubt. Hatte er es wirklich nicht gemocht oder lag es nur daran, dass er nicht mehr wusste, was er tat? Ohne länger zu überlegen schob er es auf Letzteres. Er liebte die Schrauberei. Blieb nur das Kochen. Früher hatte er kaum einen Versuch gestartet und wenn, dann gab es Dosenfutter. Da war das Scheitern eigentlich vorprogrammiert. Wer mochte schon Dosenfutter? Mit Bobby hatte er als Kind schon gerne gekocht und das wollte er jetzt auch beibehalten. Außerdem aß Sam gerne, was er ihm vorsetzte. Blieb wirklich nur das mit dem Lesen und Lernen. Dass er das gerne machte, musste er erstmal verdauen. Er schüttelte den Kopf! Er lernte gerne. Er war zu Sam mutiert! Andererseits? Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Lernen Spaß gemacht. Es hatte Lehrer gegeben, die das Interesse am Lernen geweckt hatten. Ganz so fremd war es also doch nicht. Vielleicht sollte er es mal mit „erwachsenen“ Büchern versuchen? Vonnegut hatte er doch vor seiner Amnesie schon gemocht. Allerdings nicht jetzt! Jetzt sollte er so langsam in die Gänge kommen, wenn er sein Praktikum nicht von vornherein gegen die Wand fahren wollte. Er verließ sein Zimmer. Der Geruch von Kaffee empfing ihn und seine Schritte führten automatisch zur Kaffeemaschine. Nach dieser ersten Tasse Kaffee fühlte er sich besser. Er ging duschen. Erst danach schaute er in den Kühlschrank, um sich etwas zum Essen zu machen. Direkt in Augenhöhe stand eine braune Papiertüte mit einem zwinkernden Smilie vorne drauf. Sam! Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Sein kleiner Bruder versuchte wenigstens sein Versprechen zu halten. Mal sehen wie lange er das genießen konnte. Dean's Tag war anstrengend. Eher mental als körperlich, doch am Abend war er rechtschaffen müde. Immer wieder durch ein Gähnen unterbrochen, berichtete er Sam beim Essen von den fünf Einsätzen, die sie heute gefahren waren und er erzählte ihm, dass es wesentlich leichter war die Bilder zu sehen, als einen echten Menschen vor sich auf der Straße liegen zu haben. Sam nickte nur. So war es ihm bei ihren Fällen oft gegangen. Allerdings waren die Menschen da selten nur verletzt. Dean aß nicht einmal die Hälfte seiner Portion, bevor er die Gabel hinlegte. „Sein mir nicht böse, aber ...“ Er deutete auf sein Zimmer, erhob sich und verschwand. Ohne sich auszuziehen ließ er sich auf sein Bett fallen und war eingeschlafen, kaum dass er die Matratze berührte. Irgendwann in der Nacht wurde er wach und erst da zog er sich um und kroch unter die Decke. Das Aufstehen am Morgen war eine Qual, doch wider Erwarten war die Schicht schon etwas leichter zu ertragen und bis zum Freitag hatte er sein Innerstes soweit abgeschottet, dass er diese Einsätze wie ihre Fälle behandeln und wegstecken konnte und es endlich auch schaffte, sich wieder zu einem richtigen Familienleben mit Sam aufzuraffen. Sobald sie beide einen freien Tag hatten, würde er mit Sammy etwas besonderes unternehmen, nahm er sich vor. Mal sehen, wann das sein würde. Freitag morgen weckte Dean ein Scheppern. Er stand auf und schlappte in den Wohnraum. „Brichst du ab?“, fragte er schleppend. Sam stand am Herd und schaute auf. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.“ „Schon okay.“ Dean holte sich einen Kaffee. Er trank einen Schluck und setzte sich auf die Theke. „So sehen wir uns wenigstens mal nicht nur am Abend.“ Er trank einen weiteren Schluck, bevor er erzählte: „Ich habe mich bei der Feuerwehr in Bloonington beworben.“ Sam lächelte. Dean wollte wirklich im richtigen Leben Fuß fassen. „Der nächste Lehrgang beginnt im Januar. Ich glaube ja nicht, dass sie mich da schon wollen, aber vielleicht zum nächsten? Der soll eventuell im Sommer starten. Dann können wir in aller Ruhe umziehen. Wenn die mich nicht wollen, kann ich mich immer noch als Rettungssanitäter bewerben. Die suchen immer. In der Zwischenzeit wollte ich mit Bobby vielleicht den einen oder anderen Wagen aufbauen. So komme ich doch noch zu meinem Urlaub.“ Dean grinste. „Oder ich suche mir hier noch einen Job und versuche schon mal etwas Geld in die Kasse zu bekommen.“ Sams Lächeln wurde noch breiter. „Ich weiß noch nicht wie sehr mich das Studium dann fordern wird, aber ich denke, ich kann auch wieder arbeiten gehen. Nicht so viel wie hier, aber so zwei oder drei Nachmittage sollten drin sein. Oder Samstag?“ Er zuckte mit den Schultern. „Konzentriere du dich mal auf dein Jura. Wenn ich dich schon studieren lasse, will ich nachher auch mit dir angeben können“, grinste der Ältere breit. Sam knuffte ihn in den Oberarm. So konnte sein Leben weitergehen. Dean war zurück und er auf dem Weg doch noch Anwalt zu werden. Was wollte er mehr? „Kommst du denn nachher mit?“, fragte Dean in die entstandene Stille. „Klar“, nickte Sam. „Ich habe mir schon was rausgelegt, bin mir aber nicht sicher, was ich zu dem Anlass anziehen soll.“ „Wir könnten unser FBI-Outfit nehmen“, schlug Dean vor. „Daran habe ich auch gedacht. Kommen Jody und Bobby mit?“ „Jody muss arbeiten und Bobby meinte, dass es irgendwie blöd aussieht, wenn ich mit Familie, mit Eltern, da aufkreuze und ich muss ihm Recht geben. Ich meine, er mag solche Auftriebe nicht. Aber irgendwie hat er schon Recht. Wenn ich 20 wäre, okay. Zwölf Jahre später sieht es schon konisch aus, oder?“ „Irgendwie schon, irgendwie auch nicht. Eigentlich heißt es doch nur, dass deine Familie hinter dir steht.“ „Dann müsste wohl eher meine Frau mitkommen.“ „Also ein Kleid gehört aber nicht zu meiner Garderobe!“ Sam grinste. „Außerdem bin ich zu groß.“ „Eigentlich schade, Sammy. Aber im Moment passt ja noch nicht mal deine Frisur zu Samantha.“ „Da hat der Schnitt doch glatt was Gutes!“, freute sich Sam. Kapitel 297: Der „ominöse“ Sam ------------------------------ 297) Der „ominöse“ Sam „Wie hast du das überhaupt mit deinem Dienst geregelt oder hast du heute frei?“, wollte Sam auf der Fahrt zu Deans Schule wissen. „Ich habe heute Nachtschicht, hab die Schichten getauscht.“ „Dafür hätten sie dir ruhig frei geben können!“, schimpfte Sam. „Wenigstens lerne ich deine Freunde doch noch persönlich kennen.“ „Spielt nur kaum noch eine Rolle, oder? Wir ziehen in ein paar Monaten um!“ „Trotzdem. Es ist schön, dass du Freunde gefunden hast. Schon alleine das ist für dich eher ungewöhnlich! Außerdem könnt ihr doch in Kontakt bleiben“, schlug Sam vor. „So wie du mit deinen Stanford-Freunden?“, fragte Dean bitter. „Wenn man über seine Tätigkeit lügen muss, ist es schwer, ja. Aber du wirst eine richtige Arbeit haben, eine die gesellschaftlich anerkannt ist.“ „Ich weiß nicht“, sagte Dean leise. „Lass es auf dich zukommen!“ „Muss ich wohl!“ Gemeinsam betraten sie die Mensa. Sam suchte sich einen Platz in einer der hinteren Reihen und beobachtete dann, wie Dean die letzten Meter nach vorn ging. Eine junge Frau stand auf, kam ihm ein paar Schritte entgegen und umarmte ihn herzlich. Das musste dann wohl Krista sein, überlegte er und dann waren die beiden Männer, die jetzt auch aufstanden Javier und Rohan. Er sah, wie die drei auf seinen Bruder einredeten und der eine kurze Handbewegung machte, die wohl andeuten sollte, dass er jemanden mitgebracht hatte. Er sah wie sie sich zu den Zuschauern drehten und die Hälse reckten. Dean sagte etwas, dann setzten sich die vier. Ein Arzt trat an das Mikrofon und erzählte ein wenig aus dem Lehrgang. Er machte den angehenden Rettungssanitätern Mut für ihren Alltag und drückte seine Freude aus, wieder einen Lehrgang ohne größere Verluste zu Ende gebracht zu haben. Ein weiterer Herr hielt eine Rede über die Bedeutung des Berufes. Danach wurden die Diplome vergeben und die fünf Besten geehrt. Dean war darunter und Sam konnte sehen wie unwohl er sich bei der ganzen Aufmerksamkeit fühlte. Doch der Jüngere verspürte nichts als Stolz für seinen Bruder. Und er konnte sehen, wie sein Bruder durchatmete, als er wieder zu seinem Platz gehen und sich setzen durfte. Gleich darauf beendete der Redner diese Feierstunde und entließ die neuen Rettungssanitäter in ihren Alltag. Sam traf seinen Bruder vor der Tür. „Du bist Spitze“ sagte er und zog ihn in eine herzliche Umarmung. Ein deutliches Räuspern brachte ihn dazu diese schnell wieder zu lösen. Er blickte zu der Frau, die neben ihm stand. „Du musst Krista sein“, überlegte er laut. „Bin ich“, gab sie zurück, „und du der ominöse Sam.“ „Ich dachte das „ominös“ hätte sich schon letzte Woche erledigt.“ „Naja, am Telefon kann ja jeder sagen er ist jemand bestimmtes.“ „Nur weil ich jetzt vor dir stehe, weißt du immer noch nicht, ob ich wirklich Sam bin.“ „Auch wieder wahr! Also WER bist du?“ „Er wurde auf den Namen Samuel Winchester getauft. Nach unserem Großvater, mütterlicherseits“, erklärte Dean, um diese sinnlose Diskussion zu beenden. Bei der Erwähnung des Namens Samuel verzog Sam das Gesicht. „Es heißt Sam“, erklärte er ernst. „Okay, okay“, wiegelte Javier ab, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. „Du bist Sam. Nachdem wir das geklärt haben, können wir dann zu den wichtigen Teilen des Lebens kommen?“ „Und die wären?“, fragte Rohan. „Meine Eltern würden sich freuen, wenn wir unseren Abschluss im Diner feiern würden!“ Dean schaute auf die Uhr. Es war noch nicht einmal drei. Also hatte er noch genug Zeit, bis er zur Nachtschicht musste. Er nickte nach einem kurzen Blick zu Sam. „Das ist toll“, freute sich Krista. „Bis gleich!“ Sie ging zu dem jungen Mann, der etwas abseits wartete. „War das ihr Freund?“, wollte Dean wissen. „Keine Ahnung. Sie hat ihn uns genauso vorenthalten wie du Sam“, erklärte Rohan. „Ich habe ihn euch nicht vorenthalten. Er war nur viel beschäftigt“, wehrte Dean ab. „Lasst uns fahren, sonst erfahren wir es nie“, beendete Rohan diese Diskussion und ging zu seinem Wagen. „Da hat er Recht“, stimmte Javier zu und verschwand ebenfalls. „Dann mal los“, stimmte Dean ihm zu. Im Diner wurden sie mit großem Hallo und einem Büfett empfangen, das für eine Football-Mannschaft gereicht hätte. Javiers Familie hatte das Lokal für diesen Tag geschlossen, um die bestandene Prüfung ihres Sohnes gebührend feiern zu können. Krista stellte ihnen den jungen Mann an ihrer Seite tatsächlich als ihren Freund vor. Er war Polizist und hatte ihr einen Strafzettel für zu schnelles Fahren verpasst, gegen die sie sich mit einem dringenden Notdiensteinsatz zu wehren versucht hatte. Er hatte den Strafzettel zwar nicht zurückgenommen, sie aber zu einem Essen eingeladen. Seit diesem Tag waren die Zwei ein Paar. Es war eine wundervolle Feier. Sie aßen und tranken, lachten und scherzten, ganz so, als sei es eine einfache Feier, ein Geburtstag vielleicht und nicht das beginnende Ende einer wundervollen Freundschaft. Doch genau so fühlte es sich für Dean an. Vielleicht war es ja nicht das Ende, aber er zog in den nächsten Monaten weg. Weit weg und diese Freundschaft würde nicht mehr so sein, wie sie bis jetzt war. Zum ersten Mal in seinem Leben, nein, das stimmte nicht ganz, aber zum ersten Mal seit so vielen Jahren, verstand er Sam und dessen Hass auf das unstetige Leben, dass sie bislang führten. Energisch schob Dean den Gedanken beiseite. Jetzt wollte er den Moment genießen. Über das danach konnte er sich danach noch den Kopf zerbrechen. Sie lachten und scherzten, plünderten das Büfett ohne dass es weniger zu werden schien. Die Stimmung war ausgelassen bis Dean plötzlich zum Aufbruch blies. „Du willst doch wohl nicht schon ins Bett?“, stichelte Kirsta. „Nein, ich hab Nachtschicht“, erklärte er ruhig. „Ich dachte ja nicht, dass wir feiern.“ „Kannst du nicht absagen?“ „Jetzt bestimmt nicht mehr. Außerdem sind zwei Sanitäter krank.“ „Schade“, erklärten alle einstimmig und Sophia begann einen Teil des Büfetts einzupacken. „Wir sehen uns aber bald wieder, ja?“, wollte Krista nun wissen. „Ich denke schon“, sagte Dean. „Aber wir ziehen irgendwann im nächsten halben Jahr um. Nach Indiana.“ „Indiana? Aber warum denn das?“ „Sam geht da auf die Uni und ich habe mich da bei der Feuerwehr beworben.“ „Das klingt gut, allerdings finde ich es schade, dass wir uns dann nicht mehr sehen werden. Aber wir bleiben doch in Verbindung?“ „Ich gebe mir Mühe“, versprach Dean und nahm es sich fest vor. Er verabschiedete sich von allen. Sophia drückte ihm ein riesiges Paket in die Hände. „Was ist das denn?“, wollte er erschrocken wissen. „Essen?“ „Davon essen wir nächstes Jahr noch“, wehrte er ab. „Kein Problem. Ihr könnt es einfrieren!“ „Das ist trotzdem zu viel!“ „Ihr schafft das schon“, sagte sie nur und verschwand in die Küche. Dean schüttelte nur den Kopf. „Ich muss los“, sagte er zu Sam, der plötzlich neben ihm auftauchte. „Ich bringe dich hin.“ „Du kannst noch bleiben.“ „Ja, könnte ich. Aber ich möchte fahren. Es sind deine Freunde und ich denke, ich war lange genug hier. Ich war noch nie der Partygänger, das weißt du. Auch wenn es hier Spaß macht.“ „Du musst es wissen“, entschied Dean. Er drückte Sam das Fresspaket in die Hand und ging sich bei allen verabschieden. „Wann soll ich dich holen?“, wollte Sam während der Fahrt wissen. „Ich kann mir ein Taxi nehmen.“ „Wir können das Geld auch sparen. Also wann?“ „Halb sieben, sieben“, entgegnete Dean. „Ich komme!“ Dean nickte und stieg aus. Er hoffte auf eine ereignisreiche Nacht, damit er nicht über den unausweichlichen Umzug und die daraus resultierenden Folgen nachdenken musste. Er hatte endlich Freunde gefunden und wollte sie nicht schon wieder verlieren. Seine Hoffnung sollte sich erfüllen. Diese Nacht forderte ihn in jeder Minute. Sie bekamen die ganze Palette der Samstag-Nacht-Notfälle. Eine Schlägerei, eine Verletzung der Hand durch Glasscherben, zwei Drogen-Überdosen, eine Alkoholvergiftung und weil das noch nicht genug schien, mussten sie auch noch zu zwei Glätteunfällen ausrücken. Am Morgen war er fix und fertig. Er schlief schon im Wagen und fiel, zu Hause angekommen, nur noch in sein Bett und schlief wie ein Stein, bis er zur Spätschicht wieder los musste. Eine Woche vor Weihnachten war Deans Praktikum beendet. An seinem letzten Tag bat ihn der Leiter der Rettungssanitäter in sein Büro. „Ich will Sie nicht lange aufhalten“, begann der. „Können Sie sich vorstellen weiter hier zu arbeiten? Einen guten Rettungssanitäter können wir immer brauchen.“ Dean schluckte. „Gerne. Allerdings werde ich im nächsten halben Jahr hier wegziehen“, erklärte er leise. „Das ist schade. Wissen Sie denn schon wann genau?“ „Nein, noch nicht, aber ich denke im Sommer.“ Der Leiter nickte. „Denken Sie trotzdem mal darüber nach. Ich würde Ihnen auch einen befristeten Vertrag geben.“ „Wann wollen Sie meine Antwort?“ „In er Woche nach Silvester.“ „Ich melde mich“, erwiderte Dean. „Vielen Dank für das Angebot!“ Mit einem Lächeln entließ der Leiter Dean. Beim Abendessen in Bobbys Küche erzählte Dean von den Angebot. Sofort gratulierten ihm die drei anderen. „Und was willst du machen?“, hakte Jody sofort nach. „Ich habe keine Ahnung. Ich meine, ich fühle mich gegehrt. Der Job reizt schon, aber eigentlich hatte ich gehofft, mit Bobby noch den einen oder anderen Wagen zu restaurieren, mit Sammy für seinen Abschluss zu pauken und mit dir zu kochen“, er schaute zu Jody. „Also ehrlich? Ich hab keine Ahnung!“ „Wann musst du das denn wissen?“ „Im Januar.“ „Bis dahin wird sich wohl eine Entscheidung finden, oder?“ „Ich hoffe es“, stöhnte Dean. Jetzt stand erstmal noch ein Umzug an. Bis Weihnachten kündigten die Brüder ihren Mietvertrag für das kleine Häuschen. Sie räumten ihre Möbel in Bobbys Keller und bedankten sich bei Emily und Greg mit einem leckeren Essen. Die letzten Tage des Jahres wollten sie es sich bei Bobby einfach nur gut gehen lassen. Das hieß für Dean lange schlafen und ausgiebig essen. Er unterzog sein Baby einer gründlichen Durchsicht, bei der ihm Bobby half. Nicht dass er die Hilfe gebraucht hätte, doch es war schön endlich wieder Zeit mit dem alten Freund zu verbringen und so ein wenig von dem wieder gut zu machen, was er seiner Meinung nach, in den letzten Monaten angerichtet hatte. Marley war inzwischen offiziell auf dem Schrottplatz eingezogen und Dean nutzte jede Gelegenheit, sie zu verwöhnen. Sam arbeitete am Jäger-Netzwerk. Bobby und Ellen hatten noch das eine oder andere Problem entdeckt, das er jetzt beseitigen konnte, damit das Netzwerk ab Januar ganz offiziell in Betrieb gehen konnte. Am 23. Dezember zogen Dean und Bobby in den nahegelegenen Wald, um ihnen einen Weihnachtsbaum zu schlagen. Es hatte seit Ewigkeiten keinen Weihnachtsbaum im Hause Singer gegeben und Bobby wusste auch nicht, ob er überhaupt Schmuck dafür hatte. Doch diesen Einwand wischte Jody mit einem: „Darum kümmere ich mich“,einfach vom Tisch.“ Während die beiden Männer auf der Suche nach einem Baum waren, unternahm Sam mit Marley einen langen Winterspaziergang. Der Welpe hatte sich von Bobby und Dean kaum abschütteln lassen und jaulend hinter der Tür gestanden, als die ohne sie losgezogen waren. Schwer beladen und mit rot gefrorenen Nasen kamen sie von ihrem Ausflug wieder. Sie stellten den Baum auf und bewunderten gerade ihr Werk, als Jody zu ihnen kam und jedem eine Tasse mit wenig Kakao und viel Whiskey in die klammen Hände drückte. „Er sieht wunderschön aus“, sagte sie und drückte Bobby einen Kuss auf die Lippen. „Schmücken können Sam und ich ihn morgen“, erklärte sie dann. Sam nickte sofort. „Und jetzt kommt essen.“ Zufrieden, satt und wieder richtig aufgewärmt machten sie es sich danach vor dem Fernseher gemütlich. Kapitel 298: Merry Christmas and a Happy New Year ------------------------------------------------- Da ist es also : Das letzte Kapitel von Kill this Killing man - Ich hoffe ihr hattet bei Lesen so viel Spaß, wie ich beim Schreiben. Okay, manchmal war die Muse etwas abgelenkt – aber wir haben es geschafft. Ich freue mich, dieses „Monster“ zu Ende gebracht zu haben, denn die Charas sind mir ans Herz gewachsen. Vielen Dank für eure Reviews und eure Treue und einen ganz besonderen Dank nochmals an meine Beta-Maus:Jesaku. Wer wissen möchte, wie das Leben von Sam und Dean, Bobby und Jody und Ruby weitergeht ... KtKM geht mit einer finalen „Staffel“ weiter. Ich würde mich freuen euch dann wieder begrüßen zu dürfen. LG Kalea 298) Merry Christmas and a Happy New Year Gemeinsam schmückten Sam und Jody am nächsten Tag den Baum. Jody hatte Kugeln, Girlanden und ein paar Lichterketten gekauft. Alles eher dezent und nicht so quietschbunt wie vor Jahren für Sean. Aber so passte es besser zu ihnen. „Warte“, sagte Jody, kurz bevor sie ihr fertiges Werk bewundern wollten. „Ich hab da noch was.“ Sie ging in die Küche und kam mit einer vollen Tüte zurück. „Die sollen auch noch an den Baum“, sagte sie und zeigte Sam den Inhalt aus Zuckerstangen, kleinen Schokokugeln und Glocken, die mit Fäden versehen waren, und jeden Menge anderem Süßkram hin „Dean wird den Baum plündern. Bis morgen ist der leer, spätestens“, stellte Sam trocken fest, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. „Also wenn Dean wieder Dean ist, meine ich.“ „Das war die Idee“, lachte sie. „Jetzt wo er wieder er selbst ist, futtert er viel mehr Süßes. Wo lässt er das alles?“ „Wenn ich das wüsste.“ Gespielt verzweifelt warf Sam die Arme in die Luft. „Wenn ich so essen würde, könntest du mich rollen!“ „Mich auch“, erwiderte sie. „Trotzdem freue ich mich immer wieder, dass es ihm schmeckt.“ Gemeinsam verteilten sie auch noch die Süßigkeiten am Baum. Am Weihnachtstag zauberten Jody und Dean ein opulentes Weihnachtsmahl mit Truthahn, überbackenen Süßkartoffeln, Preiselbeersoße und allem was sonst noch dazu gehörte, während Bobby sich um den Eierpunsch für den Abend kümmerte. Nach der Schlemmerei machten die vier es sich im Wohnzimmer, neben dem Baum, gemütlich. Bobby verteilte den Eierpunsch und wollte gerade den ersten Tost aussprechen, als Sam aufsprang. „Warte noch kurz“, bat er, lief in sein Zimmer und kam mit den Geschenken wieder. „Hatten wir nicht vereinbart, uns nichts zu schenken?“, fragte Dean etwas ratlos. Er hatte zwar auch ein paar kleine Geschenke, aber die waren für Marley. Bobby und Jody nickten. „Dass Deans Erinnerungen zurück sind … Ein größeres Geschenk kann es nicht geben.“ „Ihr habt ja Recht! Allerdings hatte ich die Sachen schon“, entschuldigte sich Sam mit einem Schulterzucken. „Du hattest schon vier Wochen vor Weihnachten Geschenke gekauft?“, fragte Dean entsetzt. „Streber!“ „Sagt der, der seinen Lehrgang als einer der Besten abgeschlossen und im letzten halben Jahr mehr Schulbücher gelesen hat, als während seiner gesamten Schulzeit “, grinste Sam. Er drückte seinem Bruder eine Gitarre in die Hand. „Damit du weiter lernen kannst.“ Vorsichtig strich Dean über das Instrument, blickte auf und lächelte Sam warm an. „Danke!“ Er grinste breit. „Woher wusstest du, dass ich jetzt Zeit haben könnte?“ „Gewusst? Nein. Aber ich hab schon gehofft, dass du dir die Zeit nimmst. Es schien dir Spaß gemacht zu haben und ich würde mich freuen!“, antwortete Sam ernst. Dean nickte. Um Sammy eine Freude zu machen, würde er auf jeden Fall spielen.“ „Und das habe ich in Maine gefunden.“, sagte er und reichte Bobby die beiden Päckchen. Er wartete, bis der ausgepackt hatte und erklärte: „Der Dolch hat ähnliche Gravuren wie Rubys. Keine Ahnung, ob er auch Dämonen töten kann.“ „Vielleicht findet sich ja mal eine Gelegenheit, das zu testen.“ Fast ehrfürchtig hielt Bobby den Dolch ins Licht und betrachtete die Gravuren. „Du bist aber nicht böse, wenn ich das nicht wirklich testen will, oder?“ „Nein!“, Sam schüttelte den Kopf. „Auch wenn ihre Existenz Deans Erinnerungen zurückgebracht hat, bin ich froh über jeden Tag, an dem sie uns nicht über den Weg laufen.“ Dem konnten die anderen beiden Jäger nur zustimmen. „Danke Sam“, freute sich Bobby über seine Geschenke und blätterte kurz durch das Buch. „Auf ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und darauf, dass Dean wieder der alte ist.“ Bobby hob seinen Becher. „Ich hab auch noch eine Kleinigkeit“, meldete sich Dean zu Wort und holte zwei Umschläge hervor. Ich dachte du hast nur was für Marley?“, fragte Sam irritiert. „Naja. Irgendwie ja schon. Das hier ist … Machts einfach auf.“ Er hielt Sam einen Umschlag hin. Mit dem Anderen wedelte er zwischen Jody und Bobby hin und her, bis sie ihn sich nahm und öffnete. „Gutschein für ...“, las Sam seinen Gutschein vor mit einem Grinsen, das noch breiter wurde, als er den in Jodys Hand sah, auf dem das Gleiche stand. „Ich ...“, begann Dean etwas unsicher. „Ich wollte irgendwas mit euch unternehmen, das ihr gerne machen wollt, als Dank für die letzten Monate. Einmal wir vier und weil ich Sam wohl am Meisten gestresst habe, einmal mit ihm alleine. Trampolinhalle, Kletterpark, Minigolf. Für ein Picknick an den Falls ist es ja leider zu kalt.“ „Gut“, entschied Bobby mit einem Blick zu seiner Frau. „Dann denken wir uns was aus.“ Auch Sam nickte. „Okay, gut.“ Über Deans Gesicht zog ein erleichtertes Lächeln. Er hielt seinen Becher mit dem dampfenden Eierpunsch hoch und prostete seiner Familie zu. Den leeren Becher stellte er auf den Couchtisch. Seine Familie! Wie gut sich dieder Gedanke doch anfühlte! Ohne darüber nachzudenken, nahm sich Dean die Gitarre, setzte sich auf die Armlehne seines Sessels und versuchte ein paar Griffe. Seine Finger waren ein wenig steif, und doch klang es ganz gut. Nach und nach wurde daraus die Melodie von Hey Jude. Bobby, Sam und Jody waren bei den ersten Tönen regelrecht verstummt. Jetzt lauschten sie gebannt während Dean nach und nach sein ganzes Repertoire spielte und mit Hallelujah endete. „Wow, das war ..“, sie holte tief Luft, „ergreifend.“ Dean lächelte verlegen. Er stellte die Gitarre beiseite und griff nach seinem Becher, den Bobby wieder mit Eierpunsch gefüllt hatte. Nach ein paar Schlucken nahm er die Gitarre wieder auf. Immer wieder mal spielte er ein paar Töne. Sonst nutzte er sie als Lehne für seinen Arm und den Becher. Die Stimmung wurde immer fröhlicher und gelöster und nur Jody, die dem Eierpunsch nicht so sehr zusprach wie die Männer, fiel etwas auf, das Sam und Bobby erst in den folgenden Tagen bewusst wurde. Dean war zurückhaltender als in den Tagen davor. Auch in den folgenden Tagen zog er sich immer wieder in sich zurück. Es war nicht so, dass er sich komplett abkapselte, eher das Gegenteil war der Fall. Er half wo Hilfe gebraucht wurde, schraubte mit Bobby weiter am Impala oder lernte mit Sam. Auch in der Küche war er immer wieder zu finden, doch wenn niemand etwas für ihn zu tun hatte, dann nahm er sich die Gitarre und spielte versonnen darauf herum oder er saß mit einem Buch im Sessel, ohne zu lesen, oder verkroch sich ganz in seinem Zimmer und versuchte sich über seine Situation klar zu werden. In den Wochen, seit er sich erinnern konnte, war viel zu viel los gewesen, als das er die Zeit dazu gefunden hätte. Natürlich hatte er sich bei der Feuerwehr und als Rettungssanitäter in Bloomington beworben. Es war der logische Schluss gewesen, nachdem Sam die Zusage von der dortigen Uni bekommen hatte. Aber das war auch nicht das Problem. Dean hatte gefühlt immer mehr Mühe damit, den alten Dean und den Dean ohne Erinnerungen wieder zu einer Person zusammenzufügen. Immer wieder überdachte er seine Reaktionen. Was war alt, was neu und was war richtig? Was empfand er als richtig und was hätte seiner Meinung nach richtig sein müssen? Das verwirrte ihn zusehends. Er wollte sich wieder als eine Person fühlen. Er wollte nicht ständig denken: Das habe ich vorher aber so und das letztens noch so gemacht. Aber wie fand er einen gesunden Mittelweg zwischen dem Dean, der er vor dem Unfall war und dem introvertierten Dean während der Amnesie? Welcher Dean wollte er sein? Über diesen Punkt zerbrach er sich immer wieder den Kopf. Leises Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. „Jah?“ Sam schob sich durch die Tür. „Alles in Ordnung mit dir? Du bist so ruhig. Viel ruhiger als vor der Rückkehr deiner Erinnerungen.“ „Ich ...“ Dean zuckte mit den Schultern. „Ich komme mir irgendwie schizophren vor. Da sind so unterschiedliche Gefühle. Ich weiß nicht wie ich wirklich reagieren soll.“ Er zuckte erneut hilflos mit den Schultern. „Ich versuch mir klar zu werden wie ich sein will, wer ich sein will.“ Die Offenheit mit der Dean sprach machte Sam fast sprachlos und hinterließ ein warmes Gefühl in seinem Inneren. „Ich denke, du bist auf dem richtigen Weg“, sagte er ruhig. „Das hilft mir jetzt richtig weiter“, erwiderte Dean zynisch. „Naja“, Sam lächelte aufmunternd, „reagiere so, wie es dir als erstes in den Sinn kommt. So wie du es jetzt schon machst.“ „Und wenn es sich dann falsch anfühlt?“ „Dann weißt du es fürs nächste Mal.“ „Bei dir klingt das so einfach.“ „Das ist es nicht, ich weiß“, gab Sam zu. „Ich mache auch Fehler.“ „Du meinst das Jagen?“ „Ja. Ich meine, es war nicht falsch an sich. Es ist gut, dass diese Dinger vernichtet sind. Dass ich gejagt habe war da schon eher falsch. Ich dachte immer, dass es einfach wäre aufzuhören. Einfach raus und weg. Ohne dich ist es das nicht. Ich weiß nicht, ob wir, ob ich es überhaupt schaffe komplett aufzuhören“, gab Sam ernst zu. „Das weiß ich auch nicht“, nickte Dean. „Ich meine, das letzte halbe Jahr bin ich gut ohne die Jagd ausgekommen, aber da wusste ich ja auch nichts von dem, was es da draußen gibt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Im Moment verspüre ich keinen Drang loszuziehen.“ Er schaute zu Sam. „Mal abgesehen davon? Wer sagt denn, dass wir nicht mehr jagen können? Ich meine, wenn wir es beide wollen und Zeit haben? Warum nicht die eine oder andere Geisterverbrennung?“ „Alter Pyromane“, grinste Sam. „Wir sollten es nur nicht übertreiben, wenn wir wirklich mal im richtigen Leben stehen. Das könnte verdammt nach hinten losgehen.“ „So ernst und überlegt habe ich dich noch nie über das Thema reden hören“, gestand Sam. „Ich war ja auch noch nie so dicht daran wirklich ein richtiges Leben führen zu können.“ „Dann versuchen wir also weiter richtige Staatsbürger zu werden“, stellte Sam fest und schaute fragend zu Dean. „Wir könnten es wie Bobby machen? Außerdem haben wir das Jägernetzwerk. Vielleicht hilft es uns ja schon, anderen Jägern zu helfen?“ Bevor Sam antworten konnte, klopfte es an der Tür und Bobby kam herein. „Ich habe gerade von meinem Kontakt die Informationen bekommen, die es über euch zu finden gibt.“ „Das hätte ich ja fast vergessen“, sagte Sam und schaute interessiert zu ihrem Ziehvater. „Was hat er gefunden?“ „Informationen über uns?“, wollte Dean irritiert wissen. „Als ich mich um ein Praktikum beworben habe, hat Jody gemeint, dass es einem Anwalt wohl komisch vorgekommen ist, dass ich eine so lange Pause in meinem Lebenslauf habe, ohne dass irgendwas zu finden war. Bobby und ich haben überlegt was wir wie machen könnten und da kam Frank ins Spiel. Nicht dass es jetzt noch ein egroße Rolle spielen würde, für mich zumindest nicht. Für dich vielleicht ja schon.“ „Dean nickte. Wenn er sich bei der Feuerwehr bewarb, konnte das schon wichtig sein und selbst für Bloomington noch eine Ergänzung, sollten sie ihn überhaupt wollen. „Der Frank, der uns bei dem Maja-Fall geholfen hatte?“ „Der Frank, ja.“ „Okay“, nickte Dean. „Und was hat er gefunden?“ „Zweimal zu schnelles Fahren, eine fallengelassene Brandstiftung und Grabschändung, zwei Schlägereien und einen Barbesuch mit 17 bei Dir, Dean. Außerdem ein paar Schulermahnungen. Sam ist blütenweiß.“ „Die versuchte Brandstiftung und Grabschändung sollten wir auf jeden Fall löschen“, überlegte Sam. „Und einmal zu schnelles Fahren könnte ich ja sein?“ Er grinste schief. „Was ist mit St. Louis? Ist darüber nichts mehr in irgendwelchen Dateien? Das ist es wovor mir immer noch am Meisten graut, dass uns das einholt“, gab Sam zu bedenken. „Mich auch“, stimmte Dean zu. „Nein. Darüber gibt es nichts, zumindest steht hier nichts. Ich habe ihm aber auch gesagt, dass er das auf jeden Fall löschen soll, wenn er etwas findet. Er hat sich dazu aber auch nicht geäußert.“ „Gut“, Sam atmete erleichtert auf. „Wenn dieser Frank wirklich so gut ist, wie du sagst. Ich finde es nur erstaunlich, dass sie Dean erst mit 17 in einer Bar erwischt haben.“ „Das war die Aktion als John nach einer misslungenen Jagd in einer Bar versumpft war. Er hatte sich mit einem Typen geprügelt. Der Barmann hatte mich angerufen, dass ich ihn holen sollte und irgendwer in der Bar hat die Polizei angerufen. Die kamen, als ich John da rausholen wollte. Sie haben mich nur verwarnt, weil der Barmann ihnen erklärte, dass er mich gerufen hatte. Eigentlich wollten die mich mitnehmen.“ „Willst du das gelöscht haben?“, fragte Bobby. „Lasst es drin. Das und die Schlägereien sind erklärbar.“ „Gut, dann gebe ich Frank das so durch. Er säubert den Rest und schickt mir dann euee polizeiliche Führungszeugnisse.“ „Sag ihm Danke von uns“, rief Dean ihm hinterher. „Unbekannterweise.“ Zwei Tage später überreichte Bobby seinen Jungs ihre beglaubigter Führungszeugnisse von Sheriff Jody Mills und Sheriff Donna Handscum. Jetzt war ihr Leben lückenlos nachvollziehbar. „Das geht jetzt aber Schlag auf Schlag“, sagte Dean und zeigte Bobby den Ausdruck der Zusage von der Feuerwehr in Bloomington. Er hatte eine Einladung für den Einstellungstest am 3. Januar bekommen. Jetzt war es also amtlich. Deans Leben hätte in Indiana enden sollen, demnächst würde es da beginnen. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)