Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Kapitel 5: Ein langer Tag ------------------------- *reingeschlichenkommundNikolausstiefelhinstell* ^//^ Ein langer Tag Müde, hungrig, verwirrt und reichlich wütend auf sich selbst trottete Shinichi durch die Stadt, auf der Suche nach einem Taxi um hier abzuhauen bevor er wohlmöglich noch größeren Schaden anrichtete. Eine grandiose Bilanz. „So ein Mist!“ Fluchend fuhr er sich durchs Haar, das vom Wind, der durch die Tokioter Einkaufspassage pfiff, mittlerweile ohnehin gänzlich zerzaust wurde. Hier in der Stadt hatte sich jedenfalls nichts verändert. Die gleichen unbekannten Gesichter, die eine Hetzjagd durch die Gassen veranstalteten, meist ohne den jeweils anderen auch nur wahrzunehmen. Cafes, Restaurants und Geschäfte, die sich wie immer damit rühmten, nur jetzt und heute und für kurze Zeit eine Sonderverkaufsaktion zu haben. Eigentlich unterschied sich Tokio gar nicht allzu sehr von New York, dank Globalisierung und Co. gab es zum Teil sogar die gleichen Geschäfte wie in Übersee. Allein die Menschen und deren Kultur waren es, die Japan für ihn nach so langer Zeit zu etwas ganz Besonderem machten. Die Sprache, die Gesichter, der Geruch japanischen Essens, das alles gab Shinichi für einen kurzen Moment, endlich das Gefühl wieder da zu sein. Er seufzte kurz, ließ sich von der Menge in eine kleine Straße führen, in der ein paar Marktstände aufgebaut waren; hier musste man nicht aufpassen, seinem Vordermann in die Hacken zu treten, sodass er sein Tempo ein wenig drosseln und sich freier bewegen konnte. Seine Gedanken hingen noch immer an den zierlichen Lettern auf ihrem Grabstein. Der weiße, eigentlich unbefleckte Marmor, auf dem in goldener Schrift noch immer eine schwarze dreckige Lüge verkündete, von der er selbst auch noch immer ein Teil war. Alles, was nur hatte schief gehen können, war damals auch schief gegangen. Er hatte die Situation nicht mehr unter Kontrolle gehabt, alles war aus dem Ruder gelaufen, als sie kam. Das Ganze hätte anders ausgehen sollen, nicht so… nur nicht so! Sie hätte es doch wissen müssen! Sie hätte einmal, nur ein einziges Mal auf ihn hören sollen… Er wusste bis heute nicht, wieso sie eigentlich aufgetaucht war. Ob sie ihm hatte helfen wollen oder sich wieder einmal reumütig opfern wollte. Er wusste es nicht… und sie hatte selbst dafür gesorgt, dass er es wahrscheinlich auch nie erfahren würde. Verdrossen kickte er einen Kieselstein in den Gully neben dem Bürgersteig, spürte mit einem Mal die widerliche Nässe in seinen Socken, die er bis grade vergessen hatte. Aber noch ehe er den Gedanken zu Ende formuliert hatte, drangen plötzlich aufgebrachte Stimmen an sein Ohr; ein Schrei war es letztlich, der Shinichi zum Aufblicken bewog. In der kleinen Gasse, die er sich für den Weg zum Taxistand ausgesucht hatte, herrschte auf einmal Chaos. Er hörte die schrille und aufgebrachte Stimme einer Frau, verstand nur „Hilfe“ und „Dieb“, als er ihn auch schon sah. Ein bulliger Mann mit der Statur eines Grizzly bog hastig um die nächste Ecke in die Straße ein, trotz seiner großen Gestalt waren seine Bewegungen nicht plump, sondern flink und behände. Der Detektiv registrierte die mintgrüne Damenhandtasche, die sich der Hüne unter den Arm geklemmt hatte und mit der er listig grinsend davonlief, als er merkte, dass die Besitzerin ihm nicht mehr länger folgte. Shinichi wollte grade zum Sprint ansetzen als sein Blick eine Gruppe Schüler erspähte, die vor ihm die Szene verfolgten, einer von ihnen trug einen Ball lässig unter dem Arm. „Hey, kann ich mir den kurz mal leihen? Danke!“ Die drei hatten keine Chance auch nur zu reagieren, als er sich von hinten den Ball schnappte und ohne auf eine Antwort zu warten, an ihnen vorbei stürmte. Shinichi kam dem Mann noch ein Stück näher bis die Menge ein freies Schussfeld bot. Er ließ den Ball fallen, zielte und donnerte noch im Flug gegen das Leder und bescherte ihm eine ordentliche Drall, mit dem es zielsicher an den Hinterkopf des Diebes knallte, der daraufhin einen Hechtsprung auf den Asphalt hinlegte. Ruhig ging Shinichi auf den am Boden liegenden Mann zu, nahm mit einem säuerlichen Lächeln Handtasche und Ball wieder an sich. Sein Blick ruhte noch immer auf den zusammengekauerten Mann vor seinen Füßen, allerdings war die Beule auf dessen Hinterkopf nicht das einzige, was sich bewegte, denn ehe Shinichi hätte Handeln können suchte der Kerl zuerst stolpernd, dann immer schneller in der Menge das Weite. Er konnte nur hoffen, dass der Fuji, der sich auf seinem Schädel bildete, erst einmal Lektion genug für ihn war. Er blickte dem Mann noch immer nach, als ihm plötzlich jemand die Handtasche entriss. „Ich bringe sie der Dame zurück.“, kommentierte jemand die Aktion und Bell konnte nur noch zu sehen, wie ein Mädchen sich mit der Tasche von ihm entfernte und sich mit rührender Führsorge um die Bestohlene kümmerte, die am Beginn der Straßenbiegung die Szene verfolgt hatte. „Dem haben Sie’s aber ganz schön gegeben!“ „Wie?“ Verwundert über die anerkennenden Worte drehte Shinichi sich um, sah zwei junge Oberschüler, die ihn und sein „Werk“ bestaunten. „Eins A Schuss, allerdings, Genta!“ Shinichi schnappte kurz nach Luft, besah sich die beiden Jungs mit einem Mal genauer. „Stimmt, aber eigentlich wäre es nicht nötig gewesen.“ Die glockenhelle Stimme des Mädchens war schneidend, den Blick fest auf Bell gerichtet trat sie zwischen die beiden Oberschüler. Shinichi erkannte in ihr schnell die junge Dame, die ihm eben die Handtasche entrissen hatte, um sie ihrer Besitzerin zurückzubringen. Die tadelnden Worte ihrer Mitschülerin trafen bei den Jungs schnell auf Gehör. „Ayumi hat Recht! Wir hätten das schon allein geschafft.“ „Genau, schließlich ist das unser Revier.“ Doch Shinichi hörte die zustimmenden Worte der beiden Jungs kaum noch, ungläubig schaute er auf die drei Oberschüler, die sich in altbekannter Pose vor ihm aufbauten. Er schluckte, starrte die drei ungläubig einen nach dem anderen an, während sich in seiner Magengegend ein flaues Gefühl breitmachte. Jetzt, wo er es wusste, fragte Shinichi sich, wieso er überhaupt so lange gebraucht hatte, um die drei wiederzuerkennen, eigentlich war es nicht zu übersehen, dass es sich bei den Oberschülern um seine alten Klassenkameraden handelte. Genta hatte noch immer ein wenig zu viel auf den Rippen, ließ sich die Haare aber Gott sei Dank nicht mehr mit der Schermaschine absäbeln. Mitsuhiko war seine Sommersprossen noch immer nicht losgeworden und hatte Genta in der Körpergröße mittlerweile eingeholt. Und aus Ayumi war wirklich die hübsche junge Dame geworden, die sie wohl hatte werden wollen, ihr Blick war jedoch noch ganz der alte. Ihren Uniformen nach zu urteilen gingen alle in dieselbe Schule, nein, dem nicht genug, sie gingen in seine Schule. Aus den Kindern, den Grundschülern, die er gekannt hatte, waren tatsächlich junge Erwachsene geworden, die, wie es schien, ihrer Moral und ihrem Charakter dennoch treu geblieben waren. Shinichi konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, es war schön zu sehen, dass die drei noch befreundet waren, und die Sache damals augenscheinlich gut überwunden hatten. Schuldig zernagte er sich die Unterlippe, als ihm klar wurde, dass sich in dieser kleinen Seitengasse grade die Detektiv Boys nach zehn Jahren unwissentlich wieder zusammenfanden, nun… nicht ganz. Die Detektivboys würde es in der ursprünglichen Formation nicht mehr geben, dafür hatte er selbst gesorgt. Sein Blick fiel zur Seite, er wollte sich nicht vorstelle, was die drei dank ihm durchgemacht hatten… er hatte ihnen ja nicht einmal geholfen, mit dem was geschehen war, zurechtzukommen. Nein, er war einfach davon gelaufen. Langsam atmete er aus, vermied es, den dreien noch einmal ins Gesicht zu sehen. Es war besser er ging jetzt, er hatte kein Recht im freundlichen Ton mit den dreien zu plaudern, wo sie ihn doch eigentlich anschreien, hassen und verachten sollten. „Also wenn das so ist, überlass ich das Terrain gerne wieder euren Händen. Äh… ihr wollt doch bestimmt euren Ball wieder haben, oder?“ Hastig drückte er den Fußball Mitsuhiko in die Hand, versuchte die verwirrten und leicht skeptischen Blicke seiner alten Klassenkameraden zu ignorieren und fuhr rasch fort. „Hier bitte sehr, danke noch mal fürs Ausleihen. Also dann, macht‘s gut, auf Wiedersehen.“ Er wandte sich grade zum Gehen, wollte nichts als möglichst schnell das Weite suchen, bevor die drei diesem Tag den Rest gaben, aber wie es schien, hatten die aber genau das im Sinn. „Nicht so schnell, Mister.“ Wie vom Donner gerührt blieb Shinichi stehen, er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und fluchte innerlich. Er kannte den Ton, den die drei nun anschlugen, nur zu gut. „Wir hätten da noch ein paar Fragen an Sie.“ Unsicher drehte er sich um, versuchte ein möglichst unschuldiges Lächeln, hob abwehrend die Hände - er wollte wenigstens versuchen, sie abzuwimmeln. „Also wisst ihr, dafür habe ich heute wirklich keine Zeit.“ Doch sie ignorierten ihn schlicht, sodass Genta da weiter machte, wo Mitsuhiko aufgehört hatte. „So ist es, denn wir sind-„ „Die Detektivboys!“ Sie hatten ihre Vorstellung perfekt synchronisiert, schauten ihn nun mit einem überlegenen Grinsen an, wie es schien waren sie sich ihrer Sache ziemlich sicher. Shinichi selbst wäre fast aus seinen Schuhen gekippt, konnte nicht verhindern, dass ihm das Lächeln aus dem Gesicht fiel, verdattert starrte er auf die selbst ernannten Ermittler, deren Elan in den vergangen zehn Jahren anscheinend mit ihnen gewachsen war. Sie nannten sich tatsächlich noch so, sie waren noch immer Detektive. Er schluckte, schnappte kurz nach Luft und versuchte sich selbst zu beruhigen, noch hatten die drei nichts getan, was ihm Sorgen machen könnte. „D-Detektive?“ Stammelte er in gespielter Verwunderung, die den dreien, an deren breitem Grinsen abzulesen, Genugtuung einbrachte. „Ganz Recht und wir wissen sehr genau, wer Sie sind!“ Shinichis Augen wurden groß, er spürte wie sein Puls in die Höhe schoss. Hatte er sich wirklich schon verraten? Hatten die drei ihn tatsächlich durchschaut! Er hätte den Kerl wohl lieber zu Fuß verfolgen sollen. Er schluckte, das durfte nicht sein, nicht sie, auf keinen Fall durften ihn die Kinder durchschauen … das Ganze würde nur Fragen und Schmerz wiederaufleben lassen. Er schluckte, kniff die Augen abwehrend zusammen, nein das durfte nicht passieren, das konnte er nicht zulassen. „Hört mal… ihr, ihr irrt euch bestimmt, wahrscheinlich ver-„ „Nein, wir verwechseln Sie ganz bestimmt nicht mit irgendjemandem. Ganz ausgeschlossen.“ Es war Ayumi, die seinen gestammelten Versuch unterbrach, dem Ganzen auszuweichen, während sie sich kokett die mittelangen Haare in den Nacken warf. Shinichi schlucke, aus dem kleinen Mädchen war wirklich eine junge Erwachsene geworden. „Sie haben wohl gedacht, Sie würden in der Stadt nicht auffallen, tut mir Leid, da haben Sie sich wohl geirrt, wir sind gut informiert.“ Mitsuhiko trat, die Arme vor der Brust verschränkt, näher an ihn ran, schüttelte bedauernd den Kopf. „Und wenn es sein muss, machen wir gleich einen riesen Wirbel um Ihre Person… Professor Bell.“ „Was?“ Die drei staunten über die entgeisterten Blicke, die der Amerikaner ihnen zuwarf, es dauerte eine ganze Weile, bis Shinichi endlich verstand. Natürlich … Bell! Wieso vergaß er den andauernd, wie sollten sie auch etwas anderes denken. Doch um erleichtert zu sein, blieb ihm kaum Zeit. „Aber ja doch! Sie sind zum einen ein gar nicht mal unbekannter Schriftsteller, der es erst in den letzten Jahren zum Erfolg gebracht hat.“, begann Mitsuhiko aufzuzählen, noch immer mit dem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen, welches seine Mitschüler teilten. „Außerdem sind Sie derzeit in den Ermittlungen am „Holmes“-Fall hier in Japan involviert, man hat Sie extra eingeflogen, weil Sie angeblich ein Experte auf diesem Gebiet sind.“ Shinichi schluckte, folgte Gentas Worten, wobei sein Blick auf die Krawatte des Oberschülers fiel, an der augenscheinlich die Reste seines Mittagessens klebten. „Ganz Recht, und wenn Sie nicht wollen, dass hier gleich jeder lautstark erfährt, wer Sie sind, sollten Sie uns einen kleinen Gefallen tun.“ Ayumi sprach die Drohung mit dem zuckersüßen Lächeln aus, dass Sie seit Kindertagen hatte, wie es schien hatte Sie es sich dienlich gemacht. Shinichi stöhnte innerlich auf. Er schluckte, setzte die Brille ab und rieb sich kurz über die Augen. Eins stand fest, ein sarkastisches Lächeln huschte über sein Gesicht, er hatte den Kleinen damals viel zu viel beigebracht. Aber Himmel, wer konnte schon ahnen, dass Grundschüler sich später einmal mit… mit 17 Jahren noch daran erinnerten! Ergeben seufzend setzte er die Brille wieder auf, da musste er jetzt wohl durch, er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es für ihn so einfach kein Entkommen mehr gab. „Ich habe wohl keine andere Wahl, oder? Also was wollt ihr … Detektive?“ Das Grinsen der drei wurde, aufgrund Bells herausfordernden Tons nur noch breiter. „Wir wollen in den Fall mit eingebunden werden.“ „B-bitte?“ Damit hatte er nun nicht gerechnet. „Wir können Ihnen bestimmt helfen, schließlich sind wir selbst große Fans von Sherlock Holmes, sehen Sie!“ Stolz zeigten die drei ihr Detektiv-Abzeichen hervor, Shinichi schluckte, als er den alten Transmitter sah, auf dem Holmes noch immer in ganz typischer Pose vor dem großen „B“ glänzte. Anders als er hatten sie ihre gemeinsame Vergangenheit wohl nicht einfach untergraben. Mit immer trockener werdender Kehle versuchte er erneut Einfluss auf die Oberschüler zu nehmen. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“ Doch sie blockten ihn wieder ab. „Wir kennen die Polizei ziemlich gut, es wird für sie kein Problem sein, wenn wir Ihnen ein wenig unter die Arme greifen.“ Skeptisch hob sich Bells Augenbraue über der schmalen Brille. „Habt ihr denn nicht noch Schule?“ Das unheilverkündende breite Grinsen auf den Lippen der drei verriet, dass auch sein letzter Rettungsring dem Untergang geweiht war. „Wir wurden heute in die Frühlingsferien entlassen. Ist das nicht ein glücklicher Zufall Mr. Bell! Nun kommen Sie, wir können Ihnen bestimmt helfen!“ Shinichi konnte sich ein sarkastisches Lächeln aufgrund seines „Glücks“ nicht verkneifen; er seufzte innerlich. „Äh- also wisst ihr, ich glaube, das ist kein fall für Kin…“ <…Kinder.> Ihm blieb das Wort im Halse stecken. Nicht weiter schlimm, wenn man bedachte, dass sie ihm ohnehin nicht zuhörten, für ihn fiel diese Diskussion jedoch ganz in alte Muster. Shinichi schluckte, schaute in die muntere Runde, die drei schienen gar nicht auf eine Antwort von ihm zu warten, so wie er sie kannte, war es schon beschlossene Sache für sie. So wie sie damals beschlossen hatten, ihm zu helfen. Er hätte sie da raushalten sollen, Mord und Tod waren nichts für Kinder ihres Alters gewesen, erst Recht nicht die Organisation oder der Verlust einer Freundin. „Also kommen wir morgen einfach mal im Revier vorbei!“ „Wie?“ „Genau, wenn wir sagen dass Sie uns eigeladen haben, kommen wir schon rein!“ „Ja- Aber-!“ „Bis morgen dann also, Mr. Bell!“ Shinichi schaute ihnen perplex hinterher, hörte sie noch in der Ferne Pläne schmieden, ehe die Menschenmenge sie verschluckte und er sie aus den Augen verlor. Bell stöhnte auf, legte den Kopf in den Nacken und merkte nicht, dass er den Fußverkehr noch immer blockierte. Da hatte er sich wieder was Schönes eingebrockt. Eins stand fest, dieser nicht enden wollende Tag hatte sich definitiv gegen ihn verschworen. Grade hatte er das Taxi an de Pforte von Matzudos Haus verlassen, als ihm an der Haustür des Doktors ein Unheil verkündender Zettel ins Auge sprang. Auf dem Blatt Papier stand in der wie üblich unleserlicher Schrift eines Arztes, dass er Bell in der Pathologie der Universität erwartete. Die Uni selbst hatte Shinichi schnell gefunden, die Frau am Informationsschalter hatte ihm auf einem kleinen Gebäudeplan mit ihren pinken Nägeln, deren Lack langsam abblätterte, lustlos den Weg erklärt und ihn dann mit dem Kaugummi zwischen den Backenzähnen in das Labyrinth aus Türen und Gängen entlassen. Genau in diesem Irrgarten lief er nun auf der Suche nach Zimmer Nummer 303b umher, zwar musste er keine Angst haben, dass der furchteinflößende Minotaurus auf ihn wartete, die Studenten und Presseleute, die am aktuellen Fall Interesse zeigten, waren jedoch nicht weniger lästig. Als er an Nummer 298 und 299 um die Ecke bog, ließen zwei Wachposten vor einem Raum in ihm endlich die vage Hoffnung aufkeimen, das richtige Zimmer gefunden zu haben - wie ihm die Nummer bald bestätigte. Skeptisch sahen die beiden Polizisten ihn an, als Bell auf die Tür zuging, als er jedoch seinen Ausweis zückte und sagte, wer ihn erwartete, und den Grund seines Besuches bekanntgab, gewährten sie ihm Einlass. Shinichi schlüpfte eilig durch die Tür und war froh, als das weiße Ungetüm hinter ihm wieder ins Schloss fiel, ehe die beiden sich seinen Ausweis genauer ansahen. Zwar bestätigte ihm Black immer wieder, dass an diesem Dokument nichts zu rütteln sei, ihm jedoch war nicht wohl dabei, ihn vorzuzeigen in dem Wissen, dass die Wahrheit nur hinter einer dünnen Schicht Silikon wartete. Langsam wanderte er von der Tür weg, die Pathologie hatte den gleichen kalten, leblosen und sterilen Charme wie die New Yorks. Unweigerlich spürte er, wie er zu frösteln begann, seine vom Regen feuchte Kleidung machte das Ganze nicht besser. Er wollte das Ganze nur noch schnell hinter sich bringen. „Doktor Matzudo?! Hallo?“ Der Name hallte in dem Raum aus weißen Kacheln, Edelstahl und Aluminium kalt und ohne klang wider, es dauerte eine ganze Weile, bis jemand Shinichi antwortete. „Professor Bell, sind Sie das?“ Shinichi sah Matzudo aus einem kleinen Raum kommen, in dem sich vermutlich das Obduktionsbesteck befand. Der Arzt schob einen kleinen Wagen vor sich her, auf dem er, ausgebreitet auf einem grünen Tuch, alles Mögliche arrangiert hatte, das man zum Öffnen, Ausnehmen, Untersuchen und wiederzumachen eines Körpers brauchte. Matzudo nickte Bell freundlich zu. „Warten Sie noch einen Moment, ich komme sofort.“ Still seufzend sah er den Mann wieder im Kämmerchen verschwinden, schaute sich leicht nervös in dem Zimmer um. Der Raum war erheblich kleiner als der in New York, er konnte kaum für Vorlesungen gedacht sein, auch die Anzahl der Kühlkammern zeugte davon, dass hier nicht allzu viele Leichen warteten. Der Edelstahltisch in der Mitte kam ihm jedoch nur zu gut bekannt vor, er ahnte wer die Person war, die unter dem grünen Leichentuch auf den Arzt wartete. Shinichi schüttelte es, er ahnte, wieso Matzudo ihn herbestellt hatte. In dem halben Jahr, das er nun an der Universität war, hatte er sich noch erfolgreich um jede Obduktion gedrückt, auch beim FBI hatte man ihm erlaubt, sich diesem Thema zu entziehen, er hatte die Theorie gepaukt… aber immer, wenn man ihn in die Praxis einweihen wollte, kam es zur Katastrophe. Er schlucke, ein kleiner Schweißtropfen rann ihm unter der Perücke hervor über den Nacken; Shinichi ahnte, dass er sich so leicht diesmal nicht drücken konnte. „Also dann…“ Matzudo kam mit einem breiten Grinsen wieder in den Raum, zog sich grade die Latexhandschuhe zu Recht. „… schauen wir doch mal, was wir hier haben. Wenn Sie mir helfen wollen Professor, nebenan befinden sich ein Kittel und auch noch Handschuhe, bedienen Sie sich ruhig.“ „Schon… schon gut, Doktor!“ Abwehrend hob Shinichi die Hände, lächelte leicht verlegen. „Ich richte vermutlich mehr Schaden an, als das ich Ihnen eine Hilfe bin.“ „Wenn Sie meinen.“ Der Doktor begann in seinen Unterlagen zu kramen, schielte kurz zu Bell hoch. „Bevor wir anfangen, möchten Sie bestimmt einen Blick auf unser erstes Opfer werfen, oder? Satoru Okida, richtig? Warten Sie einen Moment.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, kehrte der Pathologe Shinichi den Rücken zu, kramte eine Brille aus seiner Brusttasche und begann die kleinen Schildchen der Kühlkammern zu inspizieren, bis seine Augen an der richtigen Nummer hängen blieben. Neugierig trat Shinichi neben den Arzt, der in geübten Handgriffen die Kammer aufschloss und entriegelte, mit einigem Schwung zog er die Bare samt Leichnam bis zur Hüfte heraus. „Die Obduktion ist natürlich schon gemacht worden.“ erklärte Matzudo, „Keine Auffälligkeiten, der Tod ist eindeutig durch die Stichwunde und das daraus resultierende Ersticken am eignen Blut eingetreten, der Blutverlust ist eher nebensächlich, da das Messer nicht hinaus gezogen worden ist.“ Bell nickte, schob sich die Brille wieder zu Recht und beobachtete, wie der Arzt sich an der Leiche zu schaffen machte. Es war ein Mann, seine Haut war nach der langen Zeit in der Kammer glasig, weiß und leicht durchsichtig, sodass man die feinen Blutgefässe in einem kühlen Blauton hindurch schimmern sehen konnte. Die Augen waren weit geöffnet, das Braun, das früher einmal geleuchtet hatte ,war jetzt nur noch matt zu erkennen. Shinichi schluckte, betrachtete sich das Gesicht des Mannes genauer. Hatte er seinen Täter gesehen? Hatte er ihn gekannt? Hatte er gewusst warum er sterben musste? Ein leichter Schauer durchwanderte Shinichis Körper, als sein Blick auf die breite Narbe über dem Torso fiel; den menschlichen Setzkasten möglichst ordentlich wieder zu schließen, war durch die fehlende Elastizität der toten Haut schwer, kaum ein Pathologe schaffe es, so eine saubere Narbe zu hinterlassen wie Matzudo es offensichtlich konnte. Mit einem erschöpften Stöhnen hatte es der Pathologe geschafft, den Mann auf die Seite zu drehen, deute auf seinen Rücken, sodass Shinichi ihn näher begutachten konnte. „Wie sie sehen, ist das Messer zwischen der 4. und 5. Rippe eingedrungen, hat diese zerschnitten und wurde knapp am Herz vorbei gestoßen, allerdings hat es die Lunge erheblich geschädigt.“ Bells Augen verengten sich mit einem Blick auf die klare Schnittwunde. „Man benötigt schon ziemlich viel Kraft für diese Art von Verletzung, oder Doktor?“ Der Arzt legte den Toten wieder zurück auf die Bare, nickte Bell dann ernst zu. „Ganz recht Professor, es ist ein erheblicher Kraftaufwand, deswegen würde ich stark auf einen Mann tippen. Es ist für eine Frau zwar nicht unmöglich die Tat zu begehen, aber wie gesagt…“, er schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube nicht daran.“ Der Arzt sah, wie sich die Augenbrauen des Professors zusammenzogen, nachdenklich begann dieser in seinen Taschen zu graben, bis er auf ein Paar Handschuhe stieß, die Takagi ihm gegeben hatte. Flink hatte Shinichi sich den Latex über die Finger gezogen, nahm vorsichtig die Hände des Toten in die seine und begutachtete sie, erst die Linke, dann die Rechte. „Meine Theorie scheint sich bis jetzt zu halten.“, murmelte Bell, während er die Handschuhe wieder auszog. Matzudo, der die Prozedur stirnrunzelnd beobachtet hatte, schaute den Professor fragend an. „Inspektor Takagi und ich haben uns eben den Tatort angeschaut, es sind noch deutliche Fußspuren zu erkennen, die wir, bis weitere Informationen vorliegen, wohl dem Täter zuordnen können. Es sieht ganz so aus, als habe der Mörder dem Opfer aufgelauert und es dann, wie die Wunde zeigt, von hinten erstochen.“ Shinichis Blick huschte über den Toten. „Seine Fingernägel sind sauber, kein Blut, keine Haut- oder Stofffetzen, es hat offensichtlich keinen Kampf gegeben, vermutlich hatte er nicht den hauch einer Chance.“ Matzudo nickte dem Professor nachdenklich zu. „Da könnten Sie Recht haben, auch wenn ich Ihnen das mit den Nägeln vorher hätte sagen können.“ Der leicht beleidigte Ton des Arztes wandelte sich jedoch schnell in ein einsichtiges Lächeln. „Ich kann natürlich verstehen, dass sie Ihre Theorie haben prüfen wollen, allerdings glaube ich, dass wir uns nun besser dem heutigen Opfer zuwenden sollten, denn dort gibt es für Sie vielleicht wirklich noch etwas zu entdecken.“ Shinichi nickte, spürte jedoch wie sich seine Magengegend zusammenzog. Er beobachtete, wie Matzudo die Leiche des Mannes wieder säuberlich verschloss, um sich dann der Frau zuzuwenden, die heute morgen ihr Leben lassen musste. Nachdem er das Tuch entfernt hatte, lag eine junge Frau vor ihnen. Wie beschrieben um die dreißig, sie hatte mittellanges braunes Haar, das ihr glatt auf die Schultern fiel… jedenfalls das Haar, welches noch vorhanden und nicht blutverklebt war. Shinichi wusste, dass er der einzige war, der den Atem kurz anhielt, als der Doktor den Kopf der Leiche entblößte - da der Schuss von hinten den Schädel durchbohrt hatte, war die Eintrittsstelle ein kreisrundes Loch, wie aus dem Lehrbuch. Die Wunde an der Stirn der Frau war eigentlich genauso bezeichnend, wenn auch weniger schön anzusehen, denn durch die Wucht der Waffe hatte die Kugel einen großen Teil des Stirnbeins geradezu zerfetzt. Matzudo schien die Nervosität seines Laborpartners nicht mitzubekommen, während er sich mit einer kleinen Schere daran machte, der Leiche die Klamotten „auszuziehen“, begann er bereits mit der Analyse. „Wie Sie sehen, ist der Kopfschuss nicht so sauber wie es sich anhört, man kann nur hoffen, die Jungs von der Spurensicherung geben sich Mühe und finden die Kugel noch. Ich befürchte ja fast schon, dass sie in der nächsten U-Bahn gelandet ist und wir sie nie wieder sehen.“ Shinichi schluckte, teilte das zynische Lachen nicht, sondern sah dem Arzt gebannt bei der Arbeit zu. „Sie haben die Leiche doch heute Morgen schon untersucht oder? Gab es irgendetwas Auffälliges? Etwas, das wir vielleicht mit der Tat in Verbindung bringen könnten?“ Der Pathologe sah auf, legte die Schere weg und begann den Brustkorb der Frau mit Jod zu betupfen, das sich unangenehm mit den bläulichen Leichenflecken biss. Nur schwer konnte er ein Zittern seiner Stimme unterdrücken, kurz schloss Shinichi die Augen, atmete konzentriert ein. Matzudo sollte ihm endlich antworten, er sollte endlich etwas sagen, er brauchte etwas, um sich abzulenken, etwas mit dem er seine Gedanken ausblenden konnte. Wenn dieser verdammte, schweigsame alte Kauz von Pathologe nicht gleich den Mund aufmachte, würde er durchdrehen, noch bevor die Obduktion richtig begonnen hatte. „Wenn Sie auf irgendwelche Spuren von Kampf, Gift oder Ähnlichem hoffen, muss ich Sie, glaube ich, enttäuschen Mr. Bell. Schauen sie sich ihre Finger ruhig selbst an, zwar liegen uns die Laborbefunde noch nicht vor, ich bezweifle allerdings, dass die Partikel, die wir unter ihren Nägeln finden, etwas anderes zu Tage fördern, als den Rest ihres Frühstücks.“ Shinichi nickte, spürte wie er langsam blass wurde. Seine Theorie hatte noch immer festen Boden, aber es half nichts, sie hatten keine neuen Indizien und seine Konzentration hatte sich schon längst verabschiedet. Der Jodgeruch stieg ihm in die Nase, als der Doktor sich die rotbraune Flüssigkeit mit einem Tuch von den Fingern tupfte. Die grünen Augen des Pathologen ruhten so scharf auf der Leiche, als hätte er Angst, sie könnte vor ihm vom Tisch hüpfen. Shinichi zernagte sich die Lippen, beobachtete denn Mann vor sich genau. Eigentlich war er ja ganz nett, aber wie er jetzt mit der Leiche umging, brachte auch den erfahrenen Detektiv zum Frösteln. Die kühle Routine, als wäre das, was vor ihm lag, niemals ein Mensch gewesen, hätte nie gelebt, geweint oder gelacht. „Rigor mortis nicht mehr vorhanden, livor mortis normal, keine auffälligen Veränderungen der Male, sie befinden sich auf Seite des Rückens, gleichmäßig verteilt.“ Die monotone stimme des Mediziners riss Shinichi aus seinen Gedanken, er verstand schnell, dass er Mann nicht mit ihm sprach, seine Augen wanderten routiniert über die Leiche, während er alle Ergebnisse per Diktiergerät zu Protokoll brachte. „Keine auffälligen Veränderungen, Rötungen oder Verletzungen, bis auf die Schusswunde. Gewicht und Größe sind aus den Akten zu entnehmen.“ Er räusperte sich kurz, schaute Bell, an als erwarte er die Erlaubnis zum Fortfahren von dem Kriminalisten, als dieser ihm etwas unsicher zunickte, sprach er weiter. „Beginn der Exenteration.“ Damit schaltete er das Diktiergerät aus und legte es beiseite, die äußere Leichenschau war abgeschlossen, Shinichi zog scharf die Luft ein, er wusste was jetzt folgte. „Es wird jetzt vielleicht etwas laut, aber das wissen Sie ja, Professor. Am besten stellen Sie sich seitlich hinter mich, ja genau, von dort aus müssten Sie den besten blick haben. Also dann, wollen wir mal…“ Shinichis Herz begann zu rasen, als der Pathologe die kleine Säge einschaltete und diese im schrillen Geheul in der Mitte des Brustkorbes ansetzte. Das silberne Metall des Sägblatts verlieh ihren mattblauen Augen, einen kurzen Glanz, der ihm den Magen herum drehte. Verzweifelt versuchte er, das Jaulen der Säge mit seinen Gedanken zu übertönen. Was war er für ein Detektiv, der nicht einmal bei einer simplen Obduktion dabei sein konnte, nur zuschauen, nicht mal helfen! Shinichi schluckte, er spürte, wie Panik und Hitze in ihm aufstiegen, so einfach ließ sich seine Angst nicht betrügen. Früher hätte es ihm nichts ausgemacht… Nun jedoch musste er versuchen sich zu beherrschen, Furcht und Übelkeit im Zaun zu halten, die ihn zum Zittern brachten. In dem Moment war er froh, dass der Arzt ihn gebeten hatte, sich hinter ihn zu stellen, so konnte er wenigstens sein Gesicht nicht sehen, aber Shinichi wagte es einfach nicht, die Augen zu schließen, hielt stattdessen verkrampft die Luft an, bis der Ton der Säge, der beim Eintritt ins Brustbein leicht dumpf geworden war, erneut aufschrie. Der Knochen war durch. Matzudo schaltete das Gerät ab, legte es weg und griff stattdessen nach etwas, das Shinichi als Rippenschere identifizierte. Er beobachtete, wie der Arzt den durchtrennten Knochen spreizte, um die Schere in Höhe des Herzens besser ansetzen zu können. Shinichis eigenes Herz klopfte gehetzt und unregelmäßig, er sah, wie Matzudo die beiden silbernen Klingen ansetzte; die Hitze in seinem Körper kribbelte auf seiner Haut, das Rasen seiner Gedanken hatte aufgehört, ganz im Gegenteil, er war nicht mehr in der Lage zu denken. Als der Professor den Brustkorb öffnete und die ersten Rippen knackend dem heckenscherenähnlichen Gerät nachgaben, war es vorbei. Er musste raus. Weg, einfach nur weg von hier. Flucht, etwas anderes gab es für ihn in diesem Moment nicht. In blinder Panik war er aus dem Raum, an den beiden verwirrt dreinschauenden Beamten vorbei um die nächste Ecke des Flurs gerannt, wo er endlich nach Luft schnappend anhielt. Das war einfach zu viel, viel zu viel gewesen! Er sollte sich zusammenreißen, ja verdammt, das wusste er, aber es war einfach nicht möglich, er hatte es nicht länger ausgehalten, es ging nicht. Sie waren bei ihr genauso vorgegangen, eine Routineuntersuchung, üblich bei einem Mord. Bei einem kleinen Mädchen, deren Todesursache ebenfalls nur allzu offensichtlich war. Shinichi schluckte, lehnte sich an die Wand, die seinen zitternden Körper auffing, die widerliche Kälte ließ sich jedoch nicht so einfach abstellen. Er hatte keine Ahnung, warum ihn grade das so verstörte, der Umgang mit den Leichen an sich war in den meisten Fällen kein Problem, aber das... Die Sterilität, das sture Befolgen der Autopsieetikette… das hatte sie nicht verdient, ihr ganzes Leben war von dieser Kälte erfüllt gewesen, Kälte und Dunkelheit, die ihr Herz fast gebrochen hätten, bis Agasa, die Detektivboys und alle anderen sie wieder aufgebaut hatten. Shinichi kniff die Augen zusammen, sah ihren Körper in der Aluminiumbox, im Sarg… „Nein, verdammt!“ Heiser keuchend fuhr er sich durchs Haar, ließ seine Hand auf der Stirn ruhen, schloss kurz die Augen und versuchte einfach nur zu vergessen, alles zu ignorieren bis er etwas hörte. „Hier.“ Es war Matzudo, der ihm einen weißen Plastikbecher mit Wasser hinhielt - Gott sei Dank hatte er die widerlichen Handschuhe ausgezogen! Shinichi nahm es verlegen an, merkte erst jetzt, wie trocken seine Kehle war. Er leerte den kleinen Becher in einem Zug, das Wasser beruhigte nicht nur seine Kehle, sondern auch seine Gedanken, erst jetzt wurde ihm klar, was er eigentlich angestellt hatte. Das hatte er ja wieder Klasse hinbekommen. Peinlich berührt starrte er ausweichend auf den leeren Grund des Bechers ehe er stammelnd eine Entschuldigung zu Tage förderte. „Verzeihen Sie, ich… mir war ein wenig flau im Magen, der Flug und-„ Seine Stimme war brüchig, er wagte es nicht, den Arzt anzusehen, während er sprach. Aber Matzudo sah ihn nur an, die grünen Augen hingen nachdenklich an dem berühmten Kriminalisten. „Sie haben jemanden verloren, richtig?“ Shinichi sah auf, seine Augen wurden groß, doch Matzudo fuhr unbeirrt fort. „Gewaltsam verloren.“ Die Stimme des Arztes war weich und ließ dennoch keinen Widerspruch zu. Shinichi biss sich auf die Lippe, wandte den Blick ab, seine Pupillen rasten hin und her auf der Suche nach der richtigen Antwort. Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen den beiden. „Das… das ist schon sehr lange her, eigentlich sollte ich-„ Bells stimme war kaum vorhanden, als Matzudo ihn unterbrach. „Schon gut.“ Überrascht sah Shinichi auf, Matzudo lächelte matt, nickte ihm kurz zu. „Manchmal kommt es leider auch dazu, dass Kollegen von der Polizei ihre eignen Leute verlieren. Glauben Sie mir, ich kenne die Symptome, Sie sind bei Weitem nicht der einzige, dem es so geht.“ Bell erwiderte das lächeln brüchig, schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Das stimmt Wahrscheinlich. Dennoch… es sind nicht die Toten die mir auf den Magen schlagen, sondern die Art und Weise wie die Pathologie mit ihnen hantiert.“ Er schluckte, sprach mit leicht entschuldigendem Ton weiter. „Verzeihung Doktor, aber ich weiß nicht, ob ich Sie für Ihr ruhiges und routiniertes Vorgehen Bewundern oder Verachten sollte.“ Der Arzt hob nur skeptisch die Augenbrauen, ehe er antwortete. „Na, na Professor, jetzt tun sie sich und mir aber unrecht. Wurde ihnen nicht schon einmal gesagt sie seien kalt und gefühllos am Tatort? Ich hätte wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten, wenn die Angehörigen noch dabei währen, ich kann alles in Ruhe in meinem Labor machen, Sie sind den Gefühlen jedoch direkt ausgesetzt und behalten einen kühlen Kopf und machen Ihre Arbeit, das kommt Ihren Bekannten und Freunden doch bestimmt auch komisch vor oder?“ „Ja, ja bestimmt…“ Doch die Antwort war kaum mehr als ein hauch an Worten nach denen Shinichis Mund halb geöffnet blieb. Seine Augen blickten ziellos ins Leere, allerdings… allerdings hatte das schon einmal jemand zu ihm gesagt… Tränen rannen ihr über die Wange, immer wieder versuchte sie, sie sich eilig wegzuwischen, doch der Druck war zu groß. Der Fall hatte sie mitgenommen, die Tragödie, die sich vor ihren Augen abgespielt hatte, tat ihr Leid und er war ihr nicht grade eine besonders große Hilfe. „Was denn, nun wein‘ doch nicht mehr…“ Ein armseliger Versuch, sie zu trösten. Sie aber tat ihm tatsächlich den Gefallen, versuchte sich zusammenzureißen, sah ihn dennoch trotzig fragend an. „Wie kannst du bei der Sache so gelassen bleiben?“ Sie erwartete Hilfe, eine Erklärung, mit der sie es vielleicht auch schaffen könnte, sich zu beruhigen. Und was tat er? Das glatte Gegenteil, er musste es natürlich auf die Spitze treiben. Er grinste, rieb sich stolz und auch ein wenig verlegen den Hinterkopf. „Weißt du, ich war schon an so vielen Tatorten, da ist eine kopflose Leiche nix Besonderes mehr.“ Sein dämliches Grinsen machte sie wütend, zu Recht! Nur noch mehr Tränen verließen unter zornigem Gemurmel ihr Versteck. „Du gefühlloses Ekel!“ Sie weinte nun hemmungslos, sodass er endlich merkte, was für einen Schaden er angerichtet hatte, kläglich versuchte er, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sie zu beruhigen. „Am besten du vergisst das Ganze schnell wieder! Klar?“ Er hätte ihr die Wahrheit sagen sollen, hätte ihr sagen sollen, dass ihm das ganz bestimmt nicht egal war, dass ihn das nicht kalt ließ, aber dass er nur so denken und den Fall lösen konnte. Er hätte sie in den Arm nehmen sollen, sie trösten, so wie es sich gehörte. Er hätte… er hätte sie nicht allein lassen dürfen. Aber nein, er konnte es natürlich besser. „So was kommt alle Tage vor!“ „Blödsinn…“ Sie schrie ihn an, doch er hörte ihr schon lange nicht mehr zu, hatte kein Auge mehr für das Mädchen, das er schon so lange liebte, sondern war im Begriff, dem größten Fehler seines Lebens, bereitwillig, dumm, neugierig und unvorsichtig in die Arme zu laufen. Er lehnte noch immer an der Wand, steif, starr und unfähig sich zu rühren. Noch immer sah er sie vor sich, Tränen, Vorwurf und hunderte von Fragen in ihrem Gesicht, während sein Blick für andere doch nur stur und vermeintlich leer auf den Boden gerichtet war. „Gehen Sie nach Hause, Professor.“ Erschrocken sah Shinichi auf, Matzudo hatte ihn besorgt beobachtet, sah, dass aus den Lippen des Kriminalisten jegliches Blut gewichen war. „Hier…“ er drückte etwas in die Hand, kühl und uneben, einen Schlüssel. „…holen Sie ihr Gepäck aus meinen Haus und sehen Sie zu, dass Sie sich hinlegen. Den Rest schaffe ich schon allein, machen Sie sich keine Gedanken, wir besprechen die Ergebnisse morgen ohnehin auf dem Revier.“ Shinichis Blick wanderte wie in Zeitlupe von dem Pathologen zu dem Schlüssel in seiner Hand. „Lassen Sie den Schlüssel einfach liegen, ich hab noch einen zweiten im Labor.“ Bell nickte zwar, doch rührte er sich noch immer nicht vom Fleck, ehe der Arzt nun etwas energischer nachhalf. „Nun aber ab mit Ihnen, ruhen Sie sich aus, sodass sie morgen wieder fit sind, schließlich sollen Sie hier einen Fall lösen!“ Das schien zu wirken, die Worte des Docktors drangen zu ihm durch, er nickte dankbar, war jedoch nicht in der Lage, sich ein Lächeln abzuringen, drehte dem Pathologen den Rücken zu und ging. Ein paar letzte Wassertropfen perlten über sein Gesicht, Shinichi genoss die kühlende Nässe noch ein paar Minuten, ehe er nach dem Handtuch griff, um sich das Gesicht ab zu trocknen. Er hatte seine Sachen geholt, alles was er für Williams Auftritt brauchte, bereits ordentlich in einen gesonderten und abgeriegelten Raum ausgepackt und aufgestellt. Bei dem Rest würde er zumindest für heute aus dem Koffer leben, er hatte weder Lust noch Kraft, seine Sachen in den Schränken zu verstauen. Leise seufzend legte er sich das feuchte Handtuch um den Hals, genoss die Kälte in seinem Nacken und ging aus dem Bad in Richtung Wohnzimmer. Das Gästehaus war im westlichen Stil gehalten, sowie auch Matzudos Wohnung, es war einladend, gemütlich und groß, Shinichi konnte nicht leugnen, dass er sich im Stillen fragte, wie ein einfacher Pathologe an ein solches Anwesen gekommen war. Aber eigentlich konnte es ihm egal sein, er konnte sich hier drin in Ruhe aufhalten, längst hatte er alle Fensterläden herunter gelassen, um ganz sicher zu gehen, dass ihn niemand ohne sein tägliches „Make-up“ zu Gesicht bekam. Erschöpft ließ sich der Detektiv im Wohnzimmer in einen Sessel fallen, das Leder fing ihn weich und angenehm kühl auf, eine Weile saß er still da, hörte den entfernten Lärm der Straße und das Ticken der Uhr, die er eben an der Küchenwand entdeckt hatte, als er sich ein paar von den Leckerbissen einverleibte, die der Arzt ihm freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Eine Einladung zum Essen würde wohl das Mindeste sein, um sich bei Matzudo zu bedanken, er hatte Shinichi den ganzen Abend in Ruhe gelassen und der Tonlage nach zu urteilen, in der der Pathologe an der Uni mit ihm gesprochen hatte, würde der heutige Vorfall und die vermeintliche Geschichte dahinter ein Geheimnis zwischen ihnen bleiben. Shinichi legte den Kopf in den Nacken, starrte an die weiß gestrichene Decke. Besser hätte er seinen ersten Tag in Japan gar nicht beginnen können! Ein zynisches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Oberschülers aus, bei dem, was er heute schon alles verbockt hatte, konnten die nächsten Tage ja wirklich nur allzu spannend werden! Sein Blick blieb weiter an der Decke haften, doch das Lächeln auf seinen Lippen verschwand mit dem leisen Ticken der Uhr immer mehr. Die Erinnerung, die ihn heute Abend heimgesucht hatte, ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Abwehrend fuhr er sich durch die Haare, entfernte energisch das Handtuch aus seinem Nacken und legte es auf den Tisch, während er die Ellenbogen auf den Oberschenkeln abstützte. Der Ausdruck im Gesicht des siebzehnjährigen verriet jedoch, dass er seine Gedanken nicht so einfach abschütteln konnte. Der leicht nach vorn gebeugte Oberkörper flößte dem Bild etwas Schmerzliches ein, seine Hände baumelten ins Leere, während es in Shinichis Kopf arbeitete. Hier in Japan hatte sich wirklich viel verändert, die Kleinen waren nicht länger Klein, Takagi und Sato waren nicht nur verheiratet, nein sie hatten sogar schon eine sechs Jahre alte Tochter und der Professor, Shinichi schluckte, hatte auf seinem Weg zum Restaurant Colombo noch eine weitere tägliche Station. Nicht auszudenken… nicht vorstellbar, wie ihr Leben sich verändert hatte, wer konnte schon wissen, ob für ihn nun überhaupt noch Platz war. Wer konnte das schon wissen… Bei dem Gedanken blieb Shinichi hängen, seine Augen wurden kurz schmal, ehe er wie von der Tarantel gestochen in den Flur lief, und als er das, was er gesucht gefunden hatte, kehrte er langsam, geradezu unsicher, mit einem dicken Wälzer und einem schnurlosen Telefon in der Hand zurück. Er setzte sich wieder, legte das Buch vor sich auf den Tisch, das Telefon daneben und starrte beides an. Die Antwort war so nah, so dicht vor seiner Nase. Er müsste sie nur anrufen… nur im Telefonbuch nachschauen ob es eine Ran Mori überhaupt noch gab … oder diese jetzt Ran- „Ach, was weiß ich, wie der Kerl heißt!“ Fluchend fuhr Shinichi sich über die Stirn, wenigstens im Telefonbuch nachschauen konnte man ja. Er griff nach dem Buch, ignorierte stur das Zittern seiner Finger, als er nach ihrem Namen suchte. Mori… Fukia Mori… Inu Mori… Kogoro Mori… Siyame Ihr Name war nicht da! Shinichi spürte, wie sein Herz kurz aussetzte. Ihr Name war nicht da. Wenn sie nicht mehr Mori hieß, dann würde das bedeuten… Scharf zog er die Luft ein, schüttelte trotzig den Kopf. Nein, halt! Ein unsicheres Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Vielleicht war sie einfach umgezogen, oder wohlmöglich wohnte sie ja auch noch bei Kogoro, natürlich, so musste es sein… Wieder huschte sein Name über die Liste, vielleicht stand sie ja irgendwo hinter Kogoro. Dann aber wurden seine Augen groß. Nein, sie wohnte nicht bei ihm. Sie hatte nicht geheiratet. Er hatte sie schlicht übersehen. Shinichi starrte wie hypnotisiert auf die kleinen, zierlichen Buchstaben die ihren Namen bildeten. Mori, Ran 03-3704-1671 Er hatte keine Macht mehr über seine Finger, als diese schnell über die Tasten des Telfons huschten, erst kurz bevor er den grünen Hörer mit dem Daumen erreichte, hielt er inne. Benommen starrte er auf das Telefon in seiner Hand, wurde sich erst jetzt wirklich bewusst, was er da eigentlich tat. Das konnte er doch kaum erst meinen! So dämlich konnte er doch nun wirklich nicht sein. Wie bitte sollte das Gespräch aussehen? Entweder er legte sofort wieder auf, oder er log sie nur ein weiteres Mal an, was schwer werden würde, denn den Stimmentransposer hatte er bereits abgelegt. Das war nicht fair, er hatte nicht das Recht dazu, sich in ihr Leben einzumischen, als würde er heimlich an fremden Türen lauschen. Nein, das wäre nicht fair… Zittrig atmete er aus, drückte das Telefon aus und legte es zurück auf den Tisch. Seine Hände waren schweißnass, das Bewusstsein etwas richtig gemacht zu haben, stritt sich wie immer mit dem Gefühl, etwas unglaublich Wertvolles verloren zu haben, schon wieder. Shinichi schüttelte missbilligend den Kopf, wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Es ging hier nicht um ihn, nicht darum, dass er alte Erinnerungen oder gar Gefühle wieder aufleben ließ, sondern um den Fall. Einzig und allein deswegen war er hier. Er war einfach nur erschöpft und müde, kein Wunder, dass er sich beinahe zu solchen Dummheiten hinreißen ließ! Er musste sich ein wenig ablenken, das war alles. Mit noch immer trockener Kehle griff Shinichi nach der Fernbedienung auf dem kleinen Abstelltisch neben ihm, ein wenig japanisches Programm würde ihn vielleicht auf andere Gedanken bringen. Aber auch das schien ihm nicht vergönnt zu sein, kaum hatte Shinichi den Flimmerkasten in Gang gesetzt, flackerte sein eigenes Gesicht kurz über den Bildschirm, beziehungsweise das Gesicht Bells. „…,deswegen leistet der Amerikanische Professor und Schriftsteller William Bell der japanischen Polizei Amtshilfe. Anlässlich des Briefes der bei dem heutigen Opfer gefunden wurde-„ „Bitte?!“ Sein Mund blieb offen stehen, gebannt starrte der Detektiv auf den Fernseher. „Hier der genaue Wortlaut der Botschaft: Ein stummer Hund ist seltener als ein übereifriger Polizeibeamter, dennoch scheinen Sie die Presse nicht im Zaun halten zu können, ich hoffe für Sie dass sich das ändert, bevor ich mir mein Klientel nicht mehr persönlich aussuchen kann. Hochachtungsvoll, Mr. Sherlock Holmes Mit diesen Worten… Shinichi aber hörte dem Nachrichtensprecher nicht mehr länger zu, in seinen Gedanken hallte der Name noch immer nach. Sherlock Holmes Dieser Kerl nannte sich tatsächlich so! Wieso in Dreiteufelsnahmen hatte man ihm nichts von dem Brief gesagt! Wütend ballte er die Hände zusammen, zernagte sich die Lippe. Hallo ihr Lieben, Ich hoffe ich konnte euch mit dem neuen Kapitel an Nikolaus eine Freude machen :D Das nächste Mal gibt es einen weiteren alten Bekannten über den Shinichi sich ganz besonders freut ehe es dann zu der Begegnung kommt auf die ihr bestimmt schon wartet. Natürlich würde ich mich wie immer freuen, wenn ihr mir ein paar eurer Meinung im Stiefel hinterlasst ^.~ Ganz liebe Grüße und bis demnächst, eure Shelling__Ford Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)