Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Prolog: Time ------------ Ein Hallo an alle Leserinnen und Leser, ich freue mich dass ihr den weg zu meiner neuen FF gefunden habt. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen, Spekulieren und vielleicht auch Kommentieren ;D Alles Liebe, eure Shelling__Ford Time „Shinichi…“ Sie drückte seine Hand, drückte seine Finger ein letztes Mal fest an sich. Er sah das Zögern in ihren Augen, nicht nur das dünne Lächeln, das ihre blutroten Lippen zierte. „…D- Danke, für alles.“ Er war taub für ihre Worte, wusste, was sie bedeuteten, was grade passierte - und war doch taub für alles um ihn herum. Seine Gedanken schotteten sich gegen alles ab, sein Körper war bestimmt von seinem Zittern, dem Gefühl, keine Luft zu bekommen und dem unerfüllbaren Wunsch, dass dies alles nur ein böser Traum war. Seine heisere Stimme erreichte ihr Ohr und blieb doch ungehört. „Nein! NEIN! Mach jetzt keinen Mist... das darfst du nicht. Hörst du…?“ Verzweifelt strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, er sah nicht, wollte nicht sehen, dass ihren Augen bereits jeglicher Glanz fehlte. „Warum hast du das getan!?“ Seine blutverschmierten Hände zitterten, der metallische Geruch stieg ihm in die Nase und vernebelte ihm die Sinne. Blut. Überall. Verzweiflung, Wut und Trauer brachten seine brüchige Stimme zum Beben. „Wieso hast du das getan!?“ „WARUM?!“ Keuchend richtete er sich auf, brauchte kurz, um sich daran zu erinnern, wo er war und wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Seine Finger rannten durch seine Haare während er versuchte, den unliebsamen Traum einfach weg zu atmen. Nächtliche Dunkelheit umgab ihn, die wenigen Lichtstrahlen, die frech zwischen dem Rollladen hervorlugten, reichten nicht aus, um das Zimmer zu erhellen. Langsam ließ er seine Hand sinken, schloss die Augen und lauschte seinem pochenden Herzen. Leise fluchend versuchte er, seinen rauschenden Puls zu bändigen und schaute genervt auf die grüne LED-Anzeige seines Weckers. Erst 05:43 - doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Nervös fuhr er sich übers Gesicht, besah sich die von Angstschweiß feucht glänzende Hand. Angewidert verzog er das Gesicht, schlug die warme Bettdecke von sich und ging mit stillem Kopfschütteln ins Bad. Das kalte Wasser war eine Erlösung. Nass und kühl brachte es ihn langsam wieder zu Verstand. Hastig spritze er sich die Flüssigkeit ins Gesicht, wusch die ohnehin sauberen Finger, die wohl nie wieder sauber sein würden. Er stemmte die Hände auf das kühle Porzellan, beugte sich leicht über das Waschbecken, drehte den Hahn zu und beobachte die letzten Tropfen, die von seinem Kinn als winzige Nachzügler in das kalte Becken fielen. Seine Augen klebten an dem nassen Porzellan als würde es mit ihm sprechen, eine Antwort für ihn bereithalten, die er einfach nicht verstand. Er blinzelte endlich, wandte seinen Blick ab und fuhr sich fahrig mit der Hand über die Stirn, ohne die Kälte seiner Finger genießen zu können, denn die Spuren dieses Alptraums konnte auch das kühle Wasser nicht aus seinem Gedächtnis waschen. < Immer das Gleiche …> Ohne sich zu trocknen oder einen Blick in den Spiegel zu werfen wandte er sich zum Gehen, verfluchte sich innerlich für dieses fast schon tägliche Ritual. Langsam hatte er genug davon. Er hatte es satt. Immer wieder durchlebte er diese Szene, wachte nachts auf und war nicht mehr fähig, ein Auge zuzumachen, wie ein kleines Kind das wachblieb, weil es sich vor dem Monster fürchtete, das in seinem Schrank oder unter dem Bett lauerte und nur darauf wartete, es des Nachts zu überfallen. Sein Monster aber schlief auch tagsüber nicht. Es folgte ihm auf Schritt und Tritt und auch nach all den Jahren war er nicht in der Lage, es abzuschütteln, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passierte. Wieso also musste er das immer wieder durchleben? Er war doch extra gegangen, damit sich genau das nicht mehr wiederholte. Er war gegangen und hatte alles zurück gelassen, hatte sie zurück gelassen. Und doch ließ ihn die Zeit nicht vergessen, sondern verdammte ihn dazu, des Nachts durch die stickigen Nebel seiner Vergangenheit zu waten, um zu sehen, was er getan hatte… und was er nicht getan hatte. Seufzend verließ er das Bad und trat mit ruhigen Schritten ins Wohnzimmer. Die Teetasse des vergangenen Abends stand einsam auf dem Tisch zwischen Sofa und Sessel. Die kleine Sitzgruppe dominierte die Mitte des Raumes … für ihn hätte wohl der Sessel allein gereicht, aber es sollte doch auch irgendwie ein wenig wohnlich aussehen. Er verzog abschätzig das Gesicht, ging langsam zu dem großen Panoramafenster des Apartments, ein Luxus, den er sich einfach gegönnt hatte. Letzte Nachzügler kalten Schweißes rannen noch immer über seine Stirn, versickerten auf ihrem Weg in dem grauen Morgenmantel, den er sich übergeworfen hatte. Die dunklen Ränder unter seinen Augen waren Zeugen seines viel zu unruhigen Schlafes. Er zitterte kurz, während ein leichter Schauer ihn durchfuhr, als die Müdigkeit durch die kurze Nacht wie Regen von ihm abperlte. Lange hatte er nicht geschlafen. Und auch wenn er sich heute Nachmittag vermutlich dafür verfluchte, wenn ihm die Augen über den Fallakten zufielen, so konnte er nicht leugnen, dass er das zu Recht durchmachte. Er hatte es damals nicht verhindern können und war nun nicht fähig, das Geschehene wieder rückgängig zu machen… wie gerne hätte er die Zeit zurückgedreht. Aber die Zeit schien sich ohnehin einen Spaß mit ihm zu erlauben. Er wusste, dass sie niemand aufhalten konnte. Man konnte sie nicht anfassen, nicht festhalten. Ab und an lässt sie uns lediglich spüren, dass sie da ist, entweder sie plätschert langsam vor sich hin, oder rauscht geradezu an uns vorbei. Die Menschen können ihrem Fluss nur zusehen und hoffen, dass er nicht allzu früh über die Ufer tritt und einen von ihnen erbarmungslos mit sich reißt. Ein schwerer Seufzer entrang sich seiner jungen Kehle. Er allein hatte die Zeit betrogen… oder sie ihn. Müde schüttelte er den Kopf, fuhr sich verschlafen durch das dunkle Haar - eigentlich war er es, der betrogen wurde. Schließlich schaute er nun wieder in dieselben Augen, die ihm auch schon vor zehn Jahren im Spiegel entgegen geblickt hatten. Das kräftige Blau war ungetrübt. Ihre Umgebung war frei von jeglichen Falten, nicht die kleinsten Täler hatten sich um seine Mundwinkel gelegt, es sei denn natürlich, er verzog die Lippen einmal mehr zu einem Lächeln, das schon lange keins mehr war. Er hatte den Grundschüler endlich eingeholt und war ihn doch nie gänzlich losgeworden. Übelkeit stieg langsam in ihm hoch. Er hatte es satt! So verdammt satt. Er war dieses Bild so leid, dieses Bild, das nie die Wahrheit sprach … das ständig log und diese Unwahrheit auch seinem Leben aufzwang. Er bemühte sich, dem Bild in der spiegelnden Fensterscheibe nicht auszuweichen … zu sehen, was er war … wer er war. Ein bitteres Lächeln zeigte sich in seinen Mundwinkeln. Noch vor zehn Jahren hatte er sich dieses Bild gewünscht, sich nichts mehr gewünscht als wieder in diese Augen sehen zu können… sie damit ansehen zu können. Er spürte, wie ein leichter Schauer seinen Körper schüttelte, der kurze Gedanke an sie war schon zu viel gewesen. Es war ganz einfach … er konnte es sich nicht leisten, an sie zu denken, er konnte es sich nicht leisten, Träumen nachzuhängen, die schon seit zehn Jahren unerfüllt waren. Er durfte nicht… Still schloss er die Augen, genoss den Moment der Ruhe, der Dunkelheit, ehe er sie wieder öffnete. Seine Spieglung im Fensterglas war verschwunden, nur der langsam hereinbrechende Tag war geblieben. Der Frühjahrsnebel hatte die Sonne verschluckt, von ihr war nichts weiter zu sehen als ein großer tiefroter Kreis auf der gleichmäßig weißen Nebelfläche. Er blickte hinunter auf die große Stadt, der Frühling war so weit vorangeschritten, dass die morgendliche Beleuchtung der Zimmer ausblieb und es so aussah, als ob New York nicht vorhatte, noch an diesem Tag aus seinem Frühjahrsschlaf zu erwachen. Um diese Uhrzeit war selbst auf den Hauptstraßen noch nicht viel los, erst in ein paar Minuten würde sich die halbe Stadt wieder auf ihr zusammenfinden, fluchend und tobend in dem allmorgendlichen Stau stehen. Leise lächelnd schüttelte er den Kopf, bemerkte dann eine Bewegung am Rande des Parks. Er konnte die beiden Personen nur schemenhaft erkennen, die Tatsache, dass sie sich Seite an Seite hastig aus dem Central Park schlichen, erlaubte ihm die Schlussfolgerung, dass es sich um ein junges Pärchen handeln musste, das den Morgen, oder vielleicht auch die Nacht, in besonderer Weise genossen hatte. Er schluckte, wandte den Blick von den beiden ab und sah direkt auf die grüne Lunge der Stadt, die ihrem Namen nach der Langen Winterruhe nun langsam wieder gerecht wurde. Ein zarter Grünschleier hatte sich über die Äste der Bäume gelegt, kündigte somit die Jahreszeit der Verliebten an. Genervt verdrehte er die Augen, vergrub die Hände in den Taschen seines Morgenmantels und schlurfte durch das Wohnzimmer, ging jedoch nicht wieder ins Bad, sondern blieb bei einer kleinen Kommode stehen, die den Durchgang zu Bad und Schlafzimmer von einer benachbarten Tür trennte. Routiniert schob er die dritte Schublade des kleinen Schränkchens auf, das schon seit er eingezogen war unverändert an seinem Platz stand. Briefbögen und alte sowie auch neue Notizbücher stapelten sich auf dem dunklen Boden der Schublade. Er griff nach einem leicht abgewetzten Büchlein, dessen Seiten bereits gelblich schimmerten. Als er jedoch den Gummibund beiseite zog, der das Notizbuch sicherte, fiel ihm ein kleiner bronzefarbener Schlüssel in die Hand, den er jeden Morgen wieder sorgsam zwischen den ausgeschnittenen Seiten des Büchleins versteckte. Er schloss das Buch und legte es zurück in die Schublade. Zwischen all den anderen Weggefährten seines Geistes konnte niemand ahnen, dass ausgerechnet dieses kleine Heft den Schlüssel zu einem ganz anderen Geheimnis verbarg, als seine einfachen Gedanken zu irgendeinem Fall. Geräuschvoll schloss er die Schublade, betrachtete für einen kurzen Moment den kleinen Schlüssel in seiner Handfläche ehe er sich zu der geschlossenen Tür wandte. Der Schlüssel passte. Schnell schloss er auf und trat in den Raum, hinter der zufallenden Tür hörte man ein leises Klicken… Erst eine Stunde später saß er endlich in der Küche, genoss seinen schwarzen Kaffee während die plötzlich gealterten blauen Augen über die Brille spähten und die ersten Seiten der Zeitung studierten. Er gähnte, führte erneut seinen Kaffee an die Lippen. Die Hand, die das warme Porzellan umschloss, schien sich der gesamten Verwandlung in ihrer Farbe angepasst zu haben. Seine Pupillen glitten über die von Druckerschwärze geformten Buchstaben und Zeilen, doch nicht ein einziges Wort erreichte seinen Verstand. Seufzend schlug er die Seiten zu und beförderte die Zeitung in seine Tasche; er würde in der Mittagspause weiter lesen. An diesem Morgen ahnte er noch nicht, dass nur drei Seiten weiter ein Artikel prangte, der sein Leben wieder einmal aus der Bahn werfen sollte. Aber er war heute Morgen einfach zu müde zum Lesen, nicht nur das er schlecht geschlafen hatte, er hatte ohnehin die ganze Nacht am Schreibtisch verbracht. Nachdem er gestern Abend die Akte eines Falls mit einem genüsslichen Lächeln aus der Hand gelegt hatte, hatte er sich dem Schreiben gewidmet. Sein ungewolltes Schriftstellerdasein hatte ihm die Tür zu seinem Beruf geöffnet, Über einen Fall grübeln, Schreiben, Arbeiten … all das lenke ihn von seinen eigenen Gedanken ab. Er hätte mit dem Schreiben schon längst aufhören können… Er hatte sich einen guten Namen als Autor gemacht, es gab viele die ihn kannten und wegen dem was er zu Papier brachte, vergötterten. Aber es waren ganz bestimmt nicht seine Leser oder die Arbeit selbst, die ihn an die Tastatur brachten. Aber wenigstens während dieses musischen Prozesses war er der stille Beobachter seiner Geschichten, konnte jedoch immer einschreiten, wenn die Protagonisten etwas taten, das er nicht bewilligte. Ein Privileg, dass ihm im wahren Leben leider nicht zuteil geworden war… Sein Hauptaugenmerk lag jedoch mittlerweile auf seinem eigentlichen Job als Professor für Kriminalistik an der New Yorker Universität. Er machte diesen Job gerne. Zum einen ermöglichte es ihm, immer noch das zu sein was er war, ein Detektiv, dennoch konnte er nicht leugnen, dass es auch gut war, dem einen oder anderen Studenten zu zeigen, was dieser Beruf wirklich mit sich brachte. Bis auf seine Arbeit und seinen heißen, schwarzen Kaffee hatte er keinerlei Laster… so schien es zumindest. Für jeden Außenstehenden musste es so aussehen, als führte Prof. William Bell ein perfektes Leben. Nur wenige, sehr wenige Menschen kannten den Mann hinter dieser Fassade. Nur wenige wussten, dass das Leben, das er führte, in Wahrheit die Hölle auf Erden für ihn war. Das sein größter Wünsch bis jetzt unerfüllt geblieben war. Und die meisten dachten wohl auch, es würde auf ewig so bleiben, denn zwischen ihm und ihr stand weitaus mehr als die Entfernung auf dem Erdball. Er konnte nicht mit ihr zusammen sein, nicht ohne gegen jegliche Naturgesetze zu verstoßen… aber schlimmer noch, nicht ohne gegen die Gesetze zu verstoßen, die er sich selbst gesetzt hatte und nach denen er nun schon seit so vielen Jahren lebte. Er schluckte; die Wahrheit war doch, dass sie alle schon längst nicht mehr an ihn glaubten, auch wenn es niemand von ihnen übers Herz brachte, ihm das ins Gesicht zu sagen - er konnte es sehen, der Blick in ihren Augen sagte alles. Und es gab Zeiten, da glaubte auch er nicht mehr daran, dass es ihm je gelingen würde, wieder in sein eigentliches Alter zurückzufinden. Er war ein Gefangener der Zeit… Wie also könnte sie glauben, dass er es schaffen würde. Traurig blickte er in seine Kaffeetasse. Ein Gesicht, das ihm bekannt und doch fremd war, sah ihm entgegen. Shinichi blickte die zweite Gestalt entgegen, die er neben Conan Edogawa aus seiner Not heraus erschaffen hatte und fragte sich, wie lange er diese Scharade wohl noch spielen musste. Er blinzelte, schluckte den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, mühevoll herunter. Ein langes tiefes Atmen unterbrach die Stille seiner Küche, angestrengt schob er die Gedanken beiseite, schluckte den Rest des mittlerweile kalten Kaffees hinunter und sah auf die Uhr. Die einzige Uhr neben seinem Wecker, die er in seinem Apartment duldete. Diese aber zeigte ihm gleich mehrere Zeiten an: sie sagte ihm, wie spät es in den großen Hauptstädten der verschiedensten Länder war. Und von allen Uhren die er so sehr hasse, hasste er diese hier am meisten. Als er auf die Zifferblätter sah, die die Überschrift New York hatte, fluchte er innerlich, stand hastig auf und eilte in den Flur. 7:30… er musste gehen. Mit einem letzten Blick auf die Uhr verschwand er aus der Tür. In Japan war es grade halb neun am Abend. Die nächtlichen Straßen Tokios waren bedrohlich leer, nichts zeugte mehr von dem beginnenden Frühling, denn erst vor einer Woche hatten die zarten Sonnenstrahlen ihr Licht auf das erste Opfer geworfen, welches sein Leben lassen musste… der erste Mensch, als einer von vielen. Die warme Frühlingssonne beschien das braune Laub zu seinen Füßen. Der Herbst des vergangenen Jahres zeigte seine Spuren in diesem Teil des Parks noch deutlich, die herabgefallenen Blätter, an deren Stelle an den Bäumen bereits neue Knospen sprossen, war jegliche Farbe entzogen, manche bestanden nur noch aus ihrem spröden und zerbrechlichen Skelett, dessen Farbe altem Pergament gleichkam. Die Geschichte des vergangenen Jahres bildete wie jeden Morgen den braunen Pfad, auf dem er mit gemütlichen Schritten wanderte. Die graue Aktentasche in seiner Hand schien bei diesem morgendlichen Spaziergang mit einem Mal leicht. Er genoss die frühe Einsamkeit des Parks, den er auf dem Weg zu seiner Arbeit durchquerte. Die milde Frühlingsluft erwärmte die Erde, mischte so den Duft des seichten Taus auf den Knospen mit den verwelkten Blättern auf der dunklen Erde. Leben und Tod trafen so auf einander, sorgten so für ein ungeahntes harmonisches Aroma, das er jeden Morgen aufs Neue genoss. Die Jahre der Entbehrung und der Dunkelheit hatten ihn gelehrt, jedes Detail seiner Welt zu genießen und in sich aufzusaugen. Er blieb stehen, nahm gierig erneut einen Zug der frischen Luft. Mit einem Mal wusste er es. Morgen würde er sie fragen. Er würde sie morgen früh in diesen Park entführen, ganz sicher würden sie ihn an einem Sonntag in den frühen Morgenstunden für sich haben. Und inmitten der von Leben und Tod geschwängerten Luft, unter dem von Sonne beschienenen netzartigen Dach der jungen Blätter würde er sie fragen. Sie würde in dem Spiel aus Licht und Schatten wunderschön aussehen, schöner noch als sonst. Den Ring hatte er schon lange besorgt… und morgen, morgen würde sie ihn endlich an ihrem Finger tragen. Es würde perfekt sein. Er spürte, wie sein Herz allein schon bei dem Gedanken begann, schneller zu schlagen, wie es vor Freude hin und her hüpfte und so jegliche anderen Emotionen in ihm verdrängte. Sogar die Angst. Er sah den Schatten in seinem Rücken nicht, vielleicht, weil er in den vergangenen Wochen bereits wie ein stiller Gefährte gewesen war, der ihn aus der Dunkelheit heraus beobachtete. Erst als sich die scharfe Klinge mit einem Stoß durch seine Rückenmuskulatur in seine Lunge bohrte und dabei zwei Rippen durchschnitt, beherrschte die Panik seinen Körper, doch der Schmerz zwang ihn zu Boden. Er hörte wie Schritte sich entfernten, langsam und ohne Hast. Für einen Moment glaubte er, sein Angreifer, sein Mörder würde sich noch einmal nach ihm umdrehen und mit einem genüsslichen Lächeln sein Werk begutachten, doch er konnte ihn nicht erkennen. Er wollte schreien, doch seine Lunge versagte ihm den Dienst. Blut. Er schmeckte es, die eisenhaltige Flüssigkeit färbte seinen Rachen und Mundraum dunkel. Ein leises Röcheln kündigte an, wie sich seine Lunge mit todbringendem Lebenselixier füllte und ihn erstickte, längst hatte sich ein bordeauxroter Teppich über das alte Herbstlaub ausgebreitet. Panisch schnappte er nach Luft, fast automatisch glitt seine Hand in die Tasche umfasste die kleine, von weichem Samt überzogene Schatulle, die er schon seit dem Tag im Juwelierladen mit sich herum trug. Noch während seine Augen trüb und glasig wurden, wusste er, dass er ihr den Ring niemals geben konnte. Dabei wusste er nicht einmal wieso… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)