Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Kapitel 16: Fake ---------------- Fake Es goss in Strömen. Die dunklen Wolken verdeckten Tokios Himmel gänzlich, sodass nicht ein Licht seinen Weg durch den nassen Nebel fand. Selbst die kurze Strecke vom Taxi bis zu dem kleinen Haus, in dem der Pathologe ihn einquartiert hatte, reichte aus, um ihn bis auf die Knochen zu durchnässen. Zitternd vor Kälte und Müdigkeit pfriemelte er den Schlüssel aus seiner Tasche, steckte ihn ins Schloss und öffnete die Eingangstür. Aus dem Regen zu kommen war eine Wohltat für ihn, als auch sein Gemüt. Endlich war er unbeobachtet, konnte wieder er selbst sein und die lästige Maske Bells sowie die Scharade, die er nun schon viel zu lange an einem Stück spielte, ablegen. Ruhe. Ruhe, nur für einen kurzen Moment, war alles was Shinichi jetzt wollte. Für ein paar Minuten nicht auf jede seiner Bewegungen achten, nicht aufpassen, dass er etwas Falsches sagte, einfach nicht mehr denken… nur für ein paar Minuten. Ohne sich um die Wasserlache zu kümmern, die er hinterließ, ging er mit einem langen Seufzer den schmalen Flur entlang zum Wohnzimmer. Offenbar hatte der Pathologe ihn nicht belogen, als er gesagt hatte, dass es nur diesen einen Schlüssel für dieses Gebäude gab. Alles war so, wie er es verlassen hatte, die Fensterläden waren herunter gelassen und die Akten zu dem Fall waren noch in dem gleichen Notizbuch eingeklemmt, wie gestern Abend. Sein Blick huschte kurz in die Küche, hinauf zur Uhr, die offensichtlich auch ohne ihn weiter gelaufen war. Halb zehn. Er würde Matsuda Morgen sagen, dass er wieder da war und sich seinem neuem Kollegen erklären, für heute Abend hatte er die Geschichte mehr als oft genug erzählt. Im dämmrigen Licht, das vom Flur aus das Wohnzimmer beleuchtete, ließ sich Shinichi auf dem braunen Ledersofa nieder, schloss für einen kurzen Moment die Augen. Doch die Ruhe des Hauses konnte nicht zu ihm durchdringen, selbst die Müdigkeit und Erschöpfung in ihm schafften es nicht, seinen Verstand, auch nur für eine einzige herbeigesehnte Sekunde, zum Stillstand zu bringen. Als sein Zellenmeister heute Abend zu ihm gekommen war und ihm verkündet hatte, er sei entlassen, hatte er nicht weiter nachgefragt. In diesem Moment war es ihm schlicht egal gewesen. Er war müde und einfach fix und fertig mit den Nerven gewesen, froh, hier endlich raus zu kommen, schließlich würde er den Grund seiner Entlassung noch früh genug erfahren. Also hatte er sich, ohne weiter nachzufragen, dem offiziellen Prozedere hingegeben und irgendwie war es ihm diesmal länger vorgekommen. Bis die Dame mit seinen Sachen gekommen war, waren Ewigkeiten vergangen und auch der Papierkram, der extra für ihn zum unterscheiben sortiert wurde, hatte sich gegen ihn verschworen. Aber wahrscheinlich lag es einfach daran, dass er einfach nur noch raus wollte. Jetzt aber ärgerte er sich. Was war es, das ihn so plötzlich entlastete? Eri war zwar gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Er seufzte, trat sich unleidig die nassen Schuhe von den Füßen und ließ sie tropfend unter dem Couchtisch zurück. Hauptsache, das Ganze war endlich vorbei. Denn seien wir ehrlich, es war wirklich knapp gewesen heute. Als Ran und Eri ihn bei der Polizei besucht hatten, hatte er für einen kurzen Augenblick geglaubt, es wäre vorbei, seine Scharade aufgeflogen und das Spielchen endgültig zu Ende. Ein gequältes Lächeln schlich sich unter die Züge Bells, das Silikon spannte sich um seine Lippen, und Shinichi war heilfroh, dass er sich seines unerwünschten dritten Ichs gleich entledigen konnte. Dennoch musste er fast schon lachen, als er daran dachte, dass Eri ihm Ran quasi überlassen hatte. Mit noch immer zu einem Grinsen verzerrten Lächeln rieb sich der Detektiv die Schläfen. < Als ob ich das nicht wüsste…> Doch das Lachen auf der falschen Haut hatte nicht die Wirkung, die man erwarten könnte, denn die Augen und auch der Rest der durchweichten Gestalt, die da auf dem Sofa saß, revidierte den freudigen Eindruck, den man im dämmrigen Schein des Flurlichts vielleicht von ihm bekommen konnte. Angst, Unsicherheit und schierer Unwille mischten sich mit der Erschöpfung in seinen Augen. Das alles konnte doch nur ein dummer Scherz sein… Eri konnte das nicht ernst gemeint haben. Zum einen wäre es ihm neu, dass Rans Mutter plötzlich so freizügig mit dem Liebesleben ihrer Tochter umging, erst recht, wenn man bedachte, dass ein vermeintlicher Mörder- den er ja zu diesem Zeitpunkt noch dargestellt hatte- wohl kaum der richtige Umgang für jemanden wie Ran war. Außerdem war da ja noch Eisuke… Leicht angesäuert verzog der Detektiv seine Miene, stützte dann jedoch nachdenklich das Kinn in seine Hand. War da wirklich was? Shinichi schluckte, versuchte sich zu erinnern an die Zeit vor Bell und vor Conan Edogawa, an die Zeit, bevor er wusste, dass Ran mehr für ihn empfand als nur Freundschaft. Sofort bildete sich ein Kloß in seinem Hals. Es war nicht leicht gewesen damals, nicht zu wissen, wo man in den Augen des anderen stand und auf der anderen Seite zu vorsichtig, um selbst auf irgendeine Weise durchschimmern zu lassen, was man fühlte. Alles nur, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Während er sich meist aus allem heraus gehalten und versucht hatte, sein eigenes Ding durchzuziehen, war sie offen jedem gegenüber und zu jedem freundlich und nett. Zu freundlich manchmal für seinen Geschmack. Doch statt sie zu verteidigen oder seine Eifersucht offenkundig zu machen, hatte er ihr auch noch mit den Liebesbriefen seiner weiblichen Fans um die Nase gewedelt, wie ein unreifes Schulkind. Dabei war es ihr damals ganz offensichtlich nicht besser ergangen, erst dem kleinen Conan gegenüber, den sie für so unschuldig hielt, ihr Geheimnis zu verwahren, hatte sie die Wahrheit offenbart. Shinichi schluckte, wurde noch heute rot bei dem Gedanken. Dennoch… Fakt war, er hatte es bis dahin nicht gewusst. Er, der große Detektiv des Ostens hatte nicht herausfinden können, dass seine Sandkastenfreundin in ihn verliebt gewesen war. Sollte das heute auch so sein? Übersah er bei seiner ganzen Angst von seinen alten Freunden erkannt zu werden, dass Ran sich wirklich in William Bell verliebt hatte? Ein Schauder schlich sich über seinen Rücken, irgendwie gefiel der Gedanke ihm nicht… Ran hatte sich dann zwar wieder in ihn verliebt… aber eigentlich war er jemand anders, sie liebte dann nicht mehr Shinichi Kudo, sondern William Bell. Oder? „Verflucht noch mal!“ Zähneknirschend fuhr er sich durch die Haare. Genervt massierte sich Shinichi die Schläfe, während sein Mundwinkel unter dem Gedanken leicht zu zucken anfing. Doch wenn… wenn Ran sich tatsächlich in ihn- Shinichi schluckte, seine Fingerknöchel wurden weiß unter dem Druck seiner zusammengedrückten Faust. Es machte ohnehin keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er wusste ja noch nicht mal, ob die Ahnungen der Anwältin stimmten, und das er selbst unfähig war, das herauszufinden hatte er schon lange akzeptiert. Liebe war nun Mal keine logische Sache, sie hinterließ in diesem Stadium keine Indizien, denen er nachgehen könnte, keine Wissenschaft konnte ihm bei der Beantwortung dieses Rätsels helfen. Ein dünnes Lächeln umspannte seine Lippen, Hattori hatte eben doch Recht gehabt damals - wenn es um sein eigenes Leben und die Personen um sich herum ging, hatte er wirklich keine blasse Ahnung. Abermals schloss der vermeintliche Professor die Augen, ließ sich tief in das lederne Sofa sinken. Man konnte den Regen hören, wie er mit lauten Trommelschlägen auf das Haus niederging, doch für Shinichi spielte das im Moment keine Rolle - hier drin konnte ihm der Regen nichts anhaben, hier war er abgeschottet von der Welt und allem, was um ihn herum passierte. Und für einen kurzen Moment gelang es ihm tatsächlich, in der Einsamkeit und Stille des Hauses, dem prasselnden Regen und in der Müdigkeit seiner Gedanken, Ruhe zu finden. Erst als ein leichter Schauder, wohl ausgelöst von seinen immer noch nassen Klamotten, seinen Rücken herunterlief, öffnete Shinichi seine Augen wieder und verließ das Land zwischen Schlaf und Wachsein, welches ihm durch seine Leere für einen kurzen Moment die Ruhe gewährt hatte, die er brauchte. Mit einem langen Gähnen richtete er sich vom Sofa auf. Ja, ganz recht. Er würde Morgen wieder im Polizeiquartier auf der Matte stehen, ob sie ihn nun wollten oder nicht. „Holmes“, wie er sich selbst nannte, wusste, wer sich hinter Bells fahler Haut versteckte und das Lächeln auf den Lippen seines Gegners hatte ihm eines ganz klar gezeigt. Er würde die Information nicht ungenutzt lassen. Unwillkürlich griff sich Shinichi an Bells falsches Kinn, das Wasser blieb auf dem Latex als dünner Film haften, eine spezielle Farbe auf der falschen Haut verhinderte, dass an ihm der Regen wie von einer ungeliebten Puppe abperlte. Es wurde Zeit, dass er das Ding endlich los wurde. Doch gerade, als sich der Detektiv seiner nassen Sachen entledigen wollte, klingelte es. Diesmal aber erschrak Shinichi nicht, langsam kannte er den freundlichen Ton seiner Haustür, allerdings hatte dieser mit dem Besuch dahinter nicht immer übereingestimmt. Demensprechend vorsichtig und mit einem skeptischen Blick hinüber zur Uhr, die ihm bestätigte, dass es für Besuch eigentlich schon zu spät war, machte er sich auf den Weg zur Tür. Shinichi seufzte, holte noch einmal tief Luft, als seine Hand die Klinke berührte, er hoffte inständig, dass die Medien noch keinen Wind davon hatten, dass er wieder auf freiem Fuß war. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, waren Fotos und einen quasselnden Reporter, der ihn Löcher in den Bauch fragte. Umso schwerer fiel es ihm ,das gewohnte Lächeln auf Bells Züge zu pressen, als er dann endlich die Klinke hinunter drückte, um seinem Gast die Tür zu öffnen. Als Shinichi dann jedoch erkannte, wer da auf seiner Türschwelle stand, blieb mit einem mal nichts mehr von dem höflichen Grinsen auf seinen Lippen zurück, stattdessen beobachtete er mit großen Augen wie er- betrachtete man die großen Pfützen die er auf den Fließen hinterließ- wahrscheinlich nass bis auf die Knochen, an ihm vorbeischritt, ohne den Amerikaner auch nur eines Blickes zu würdigen. Minuten schienen zu vergehen, in denen keiner auch nur ein Wort sagte. Schließlich war es Shinichi, der wieder in seine Rolle fand und die Stille brach. „Ich nehme nicht an, dass Sie gekommen sind, um mir zu meiner wiedererlangten Freiheit zu gratulieren. Allerdings sind Sie auch nicht hier, um mich zu verhaften. Wie also kann ich Ihnen behilflich sein, Kommissar Hattori?“ Seine Stimme konnte mit dem höflichen Lächeln auf Shinichis Lippen nicht mithalten, ganz deutlich hörte man den Argwohn und auch einen Hauch von Unsicherheit aus den Worten des jungen Detektivs. Nun war es an Heiji, sein Gegenüber anzugrinsen, mit einem abschätzenden Blick trat er ein Stück von seinem Gastgeber weg und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Rückenlehne des Sofas. Während er sprach, schaute er Shinichi nicht einmal an, was diesen nur noch mehr ins Schwitzen brachte. Irgendwas lief hier grade ganz und gar falsch. „Eigentlich habense recht, wenn Sie so wollen, Professor, bin ich schon gekommen um Ihnen zu gratulieren.“ Ein lautloses Lachen entwich der Kehle des Osakaners, mit einem triumphierenden Lächeln, schaute er auf. „Sie haben`s wirklich ziemlich lange geschafft, mich an der Nase herumzuführen.“ Shinichi schluckte, sagte nichts, wusste nicht, ob ihm sein alter Freund nicht vielleicht eine Falle stellte und schaute ihn einfach nur ernst an. Das, was Heiji dann jedoch von sich gab, ließ sogar den mittlerweile recht erfahrenen Schauspieler zusammenzucken. „Sie sind doch nicht echt, oder?“ Die Stimme des Osakaners war schneidend, ließ keinen Widerspruch zu und auch das etwas herablassende Grinsen war längst von seinen Lippen gewichen. Shinichi spürte, wie sich jeder Muskel seines Körpers verkrampfte, dennoch wagte er den Versuch, Heiji mit verwirrtem Blick anzusehen. „Mhm?“ Keine Chance. Heiji zuckte nicht einmal, als hätte er Bell gar nicht gehört, ließ er die Hände in seinen Hosentaschen verschwinden, erst als er zu sprechen begann, wandte er den Blick seinem vermeintlichen Kollegen zu. „Ich mein damit, dass es „William Bell“ nicht gibt, Sie sind nicht echt.“ Sag mal, du bist doch Kudo, oder? Shinichi durchfuhr es siedend heiß, als die Erinnerung ihm die Worte seines Freundes von damals ins Ohr flüsterten. „Ich- ich verstehe nicht ganz, wovon Sie da reden, Kommissar Hattori. Mich eines Mordes zu beschuldigen, ist das eine… aber meine Existenz anzweifeln? Ich bitte Sie.“ Er würgte ein kurzes Lächeln hervor, das einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, Hattori irgendwie davon abzubringen, weiterzumachen. Auch wenn dieser Versuch, das musste sich Shinichi eingestehen, wohl ein Griff ins Klo war, wenn er seinen Freund so ansah. Shinichi schluckte unweigerlich, als sich seine Kehle langsam zuschnürte. Heijis Züge waren ernst, dennoch hatten seine Augen einen Glanz, der vielleicht Kazuha in ihren Bann zog, aber Shinichi im Moment nichts weiter als einen Schweißausbruch bescherte. „Versuchen Sie’s erst gar nicht, Professor. Am Anfang dacht ich ja noch, ich wär mit der Zeit einfach paranoid geworden, Sie haben wirklich gut gespielt, das muss ich Ihnen lassen. Dennoch…“ Das leicht zynische Grinsen verschwand von seinen Lippen. „Sie selbst waren es auch, der mir die Beweise geliefert hat, um Sie zu überführen. Schon ironisch, oder? Hätten Sie sich einfach zurückgehalten und uns unsere Arbeit machen lassen, hätten se mich vielleicht wirklich täuschen können.“ Er fing an zu zittern, Shinichi spürte wie sich der Nebel in seinem Kopf langsam verdichtete, seine Hände eiskalt wurden, als sein Kreislauf langsam zusammenbrach. Erst jetzt fiel ihm auf, wie geschickt Hattori ihn in seinen Bewegungen gelenkt hatte, sodass der Osakaner ihm die Tür versperrte. An Flucht war nicht zu denken. Heiji entging diese Reaktion nicht, Bells Körperhaltung hatte sich geändert, der Mann vor ihm war unsicher geworden, auch sein schneller Blick zur Tür hatte ihm das bestätigt. Aber heute würde er ihm nicht mehr entkommen, heute nicht. „Als Sie uns immer wieder nur Stück für Stück verraten ham, was Sie aktuell über den Fall denken, dacht ich noch, se‘ sind einfach arrogant und woll’n uns vorführen. Wie gesagt… se‘ waren gut, wirklich gut. Und eigentlich schon zu perfekt. Was Sie sagten, und die Art und Weise, wie Sie‘s taten, ja selbst Ihre Bewegungen waren kalkuliert, ganz der perfekte Ermittler. Die Hilfe aus dem Ausland, die versuchte, sich im Hintergrund zu halten und nur dann auftauchte, wenn man sie brauchte… Sie dachten viel zu viel über all das nach, über Ihre Handlungen und wie wir Sie wahrnehmen. Der einzige Grund für dieses Benehmen konnte sein, dass Sie uns etwas vorspielen, bemüht sind, jemand zu sein, der sie nicht sind und perfekt in Ihrer Rolle sein wollten, damit es ja niemandem auffällt. Aber Perfektion ist ein gefährlicher Freund… hat Ihnen das noch niemand gesagt, Professor?“ Heiji machte einen Schritt auf ihn zu, kümmerte sich nicht um das plätschernde Geräusch, dass seine Schuhe machten, als er in die Pfütze trat, die das Ergebnis seiner nassen Kleindung war. „Die meisten Verbrechen können deshalb aufgelöst werden, weil der Mörder sie von langer Hand plant, während ein Mord aus Affekt weit schwerer aufzuklären ist. Aber das muss ich Ihnen doch bestimmt nicht sagen.“ Shinichi schluckte, konnte diesen indirekten Hinweis auf Holmes nicht überhören, wenn die Situation anders wäre, hätte er Heiji vielleicht noch damit aufgezogen, dass er ja doch ein wenig Geschmack zeigen konnte, was seine Literatur betraf. So aber konnte er nichts weiter tun, als hilflos zuzuhören, wie Hattori ihm seine Schlussfolgerungen präsentierte und ihn hinter dem alternden Silikon immer weiter in die Ecke drängte. „Somit haben Sie sich also selbst zum Verdächtigen erklärt. Von da an war eigentlich alles ganz einfach. Es war offensichtlich, dass Se versuchen, uns von dem wahren Täter abzulenken, Sie haben es wirklich geschafft, die Fakten so zu drehen, wie es Ihnen grade in dem Kram passte, vor allem, weil Megure keine Lust hatte, den alten Kram wieder aufzuwärmen. Ich hatte also nichts in der Hand…“ Heiji schaute auf, als sich das Grinsen auf seinen Lippen langsam in die Länge zog, wusste er, dass es vorbei war, Shinichi wurde übel, er hatte ihn. „Bis gestern.“ „Ich weiß nich‘, wie‘s passiert is, wahrscheinlich hat Sie unsere Anwesenheit aus dem Konzept gebracht, jedenfalls-„ Das Lächeln Heijis verschwand, während er einen kleinen Plastikbeutel aus seiner Hosentasche hervorholte und ihn in sicherem Abstand Bell vor die Nase hielt. „Jedenfalls haben Sie gestern wohl etwas ganz Entscheidendes verloren, Professor Bell.“ Shinichi erkannte es sofort. Für einen kurzen Moment klebten seine Augen auf dem Stückchen von Bells Haut, das Heiji mit sich herum getragen hatte. Shinichi war unfähig, irgendetwas zu denken, bis hunderte Ideen und Argumente gleichzeitig, einem Hagel Bomben ähnlich, auf ihn niedergingen- schließlich könnte dieses Silikonstück überall herkommen- aber anstatt im Schützengraben unterzutauchen, konnte er nichts weiter tun, als blicklos ins Leere zu starren und zuzusehen, wie die Granate vor seinen Augen explodierte. Der Druck in seinem Innern ließ ihm das Atmen schwer fallen, wie gerne hätte Shinichi dem ganzen Luft gemacht, Hattori einfach alles erzählt und sich dafür entschuldigt, dass er ihn an der Nase herum geführt hatte. Doch es ging nicht. Diesmal nicht. Shinichi schluckte, er biss sich auf die Unterlippe, seine Stimme war kaum vorhanden, er konnte seinen Freund nicht einmal ansehen während er sprach. „Lass es, Hattori… du weißt nicht, was du tust. Was auf dem Spiel steht…“ Die Bitte war sinnlos, das wusste Shinichi schon während er sie stellte, Hattori würde jetzt keinen Rückzieher mehr machen… aber noch hatte er die Wahl, noch konnte er seinen gottverdammten Hintern retten, die Organisation und alles andere hinter sich lassen. Er rechnete damit, dass Heiji ihn nicht davonkommen lassen würde, dass er seine Schlussfolgerungen durchzog und von ihm eine Antwort erwartete, womit Shinichi allerdings nicht gerechnet hatte war das. „WAS?“ Die Stimme des Kommissars klang heiser, fast so, als hätte er sich an dem kleinen Wörtchen verschluckt. Doch die scheinbar grade noch vorhandene Schwäche des Osakaners endete schlagartig. Ohne, dass Shinichi hätte reagieren können, hatte ihn sein Gegenüber am Kragen gepackt, und mit nur wenigen Schritten an der Wand in seinem Rücken fixiert. „WAS?! Glaubst’e etwa ich weiß nich, was hier läuft? Ich weiß sehr wohl, was ich hier tue und diesmal werden sie mich auch nich so leicht abwimmeln.“ Shinichi versuchte sich gegen den Griff seines Freundes zu wehren, doch selbst jetzt als Oberschüler hatte er mit den zehn Jahren, die zwischen ihnen lagen, keine Chance. Dennoch umklammerten seine Hände Heijis Griff, den Kommissar juckten die mickrigen Befreiungsversuche seines Gefangenen nicht, noch immer schnaubend vor Wut sprach er weiter. „Diesmal halt ich nich‘ brav die Füße still und lass das FBI die Sache regeln.“ Dies brachte nun auch Shinichi zu Reaktion. „W-Was!?“ „Ganz Recht, das FBI; anscheinend hat die Truppe sie schon lang im Visier und nun wollten sie, dass de´se in euer Drecksnest führst. Oder wieso glauben sie, hat Megure sie laufen lassen? Aber darauf werde ich nicht warten. Ich will endlich, dass ihr Schweine für das bezahlt, was ihr getan habt.“ Entgegen Shinichis Erwartungen hatte Heiji den letzten Satz nicht mehr geschrien, sondern kaum mehr laut ausgesprochen, während seine Augen seinen Gefangenen für kurze Zeit entließen und stattessen zu Boden wanderten. Shinichi aber konnte nicht anders, als seinen Freund perplex anzustarren. Für einen Moment konnte man förmlich hören wie es in seinem Kopf rumorte, als die Dinge umsortiert wurden und in die richtige Reihenfolge fielen. „Warte Hattori du-„ „Nein.“ Der Osakaner verstärkte seinen Griff nur, hob Shinichi damit fast ein paar Millimeter vom Boden an. „Nein. Ich habe lange genug gewartet, um einen von euch in die Finger zu bekommen und ich hab verdammt nochmal viel zu lange gebraucht, bis ich nen Beweis hatte. Bis gestern Abend. Die Kerle von der Spurensicherung hättens übersehen, aber ich weiß, mit welchen Mitteln und Tricks ihr arbeitet. Keine Ahnung, was genau passiert is, wahrscheinlich hat se sich gewehrt und das Teil is dabei kaputt gegangen. Mag sein, das sie leugnen können, dass es von ihnen is, vermutlich hat der Regen ohnehin schon alle Spuren abgewaschen. Aber das spielt keine Rolle. Denn wir beide wissen doch ganz genau, warum Sie abgehauen sind, nich‘ wahr, Professor, wir beide wissen, dass Sie nichts weiter sind als ein billiger Fake.“ Ein diabolisches Grinsen zeichnete sich auf den aufgebrachten Zügen des Osakaners ab. „Du hattest Schiss, dass wir dich sehen könnten, den Beweis dafür, dass de uns alle belügst.“ Shinichi spürte, wie Heijis Blick Bells Haut abtasteten, er war zu nah, viel zu nah dran. „Hattori?! Nicht-“ „Willst’e immer noch behaupten, du weißt nich wovon ich rede?“ Shinichi presste die Lippen aufeinander, für den Moment unfähig etwas zu sagen. „Sie wollen also nen Beweis, seh ich das richtig?“ Shinichi schloss kurz die Augen, schluckte und merkte, wie auch dies von Hattoris Griff erschwert wurde, ein weiteres Mal hörte er Bells Stimme bittend, beinahe flehend den Namen seines Freundes formulieren. „Heiji-“ Der aber ignorierte die viel zu persönliche Anrede und ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen. „Nen untrüglichen Beweis für das, was de getan hast! Einen Beweis dafür, wer du wirklich bist?!“ Langsam wanderte Heijis Hand an seinen Kragen, die grünen Augen des Kommissars hatten einen fast schon fiebrigen Glanz vor Aufregung und Wut. „Hier haste deinen Beweis!“ Mit einem Ruck war alles vorbei. Ein kurzer stechender Schmerz, als sich der Latexkleber von seiner Haut löste, ein Ziehen an den Spangen, die Bells Perücke an seinen eignen Haaren festhielt und es war vorbei. Das Klimpern seiner Brille, die zu Boden fiel, war das Letzte, was beide Detektive für eine unbestimmte Zeit hörten. Nachdem der kleine Flur eben noch von der lärmenden Stimme Heijis beherrscht wurde, war nun Stille eingekehrt. Shinichi hatte die Augen von dem Zug noch immer geschlossen, presste seine Lider fest zusammen in der Hoffnung, dass, wenn er seine Augen gleich wieder aufmachte, das alles, diese ganze verdammte Geschichte, die er sein Leben nannte, nur ein böser Traum gewesen war. Doch die Realität hatte keine Gnade mit ihm. Vorsichtig schaute er seinen Freund an, musste unwillkürlich schlucken, als er ihn dann vor sich sah. Blankes Entsetzen hatte sich auf dem Gesicht des Osakaners breitgemacht. Seine Augen waren weit aufgerissen und von seinem dunklen Teint war kaum noch was zu sehen. Shinichi presste die Lippen aufeinander, versuchte, das aufkommende schlechte Gewissen und den Schmerz zu ignorieren. Das hatte er nicht gewollt. Zwar hielt ihn Heiji immer noch fest und presste ihn gegen die Wand, doch das überlegene, fast schon boshafte Lächeln war längst Geschichte. Vielmehr hätte es sich zu einem ungläubig geöffneten Mund verzerrt, während seine Augen durch Shinichi hindurch zu sehen schienen, als stünde er nicht wirklich vor ihm. Langsam, wie in Zeitlupe ließ Heiji von ihm ab, seine Hände zitterten, als sich seine verkrampften Fäuste von Shinichis Kragen lösten. Der machte den Mund auf, wollte etwas sagen, doch als er erneut Heijis Blick einfing, schlossen sich seine Lippen unverrichteter Dinge wieder. Unwillig biss er die Zähne aufeinander, wich den Blicken seines Freundes aus und starrte zu Boden. Erst jetzt begannen sich die leeren Augen des Osakaners wieder mit Leben zu füllen, er hörte sein Blut in seinen Ohren rauschen, das tosende Geräusch begleitete seine Gedanken. Ohne das Shinichi es bemerkte, tastete Heiji ihn nun von oben bis unten mit seinen Blicken ab. Das nun schmale Gesicht des Oberschülers passte nicht zu dem restlichen Erscheinungsbild Bells, vermutlich hatte er sich unter der Weste ein wenig ausgepolstert, um den Betrug perfekt zu machen. Noch immer schien Shinichi seine eigenen Schuhspitzen für interessanter zu halten, als die Welt um sich herum. Doch er musste Heiji nicht in die Augen schauen, der Kommissar wusste auch so, wen er vor sich stehen hatte. Shinichi Kudo. Ein Schauer durchfuhr den Osakaner. Conan Edogawa. „Hattori- ich…“ Der Angesprochene zuckte zusammen, doch es war nicht sein Name, der ihn auffahren ließ, sondern die Stimme. Bells Stimme. Bells Stimme, die aus Shinichis Mund kam. Heiji beobachtete ihn, ohne eine Miene zu verziehen, während sein Gegenüber plötzlich mit dem Zeigefinger an einem seiner Eckzähne rumhantierte und binnen Sekunden ein kleines etwas in seine Tasche gleiten ließ. Heiji konnte sehen, wie sich die Schultern Shinichis müde hoben als dieser lange einatmete, ehe er es wieder schaffte, ihm die Augen zu sehen. „Heiji…“ Diesmal zuckte der Osakaner nicht. Diese Stimme kannte er- Kudo, ganz unverkennbar und dennoch lief es ihm kalt den Rücken herunter, denn eigentlich… eigentlich hatte er geglaubt, diese Stimme nie wieder zu hören. „Hattori… ich weiß-„ Er stockte, massierte sich müde mit Daumen und Zeigefinder die Stirn, während sein Blick unruhig von Heiji zu Boden wanderte und wieder zurück. „Ich weiß, dass du jemand anderen erwartet hast, es tut mir ja leid, dass ich dich enttäuschen, muss aber wie‘s aussieht, hast du die Falschen in Verdacht gehabt.“ Doch das entschuldigende Lächeln auf Shinichis Lippen verschwand schnell, als er seinen Freund erneut ansah. Denn in Heijis Gesicht herrschte noch immer eine Leere, die pures Entsetzen ausdrückte. Shinichi hätte nicht gedacht, dass es ihn so schwer treffen würde… natürlich hatte sich sein Freund eine Spur zu den Männern in Schwarz erhofft, aber die Ironie, dass er ausgerechnet Shinichi für einen von ihnen gehalten hatte, schien an dem Osakaner vorbeizugehen. Shinichi schluckte, sah erneut in das immer noch blasse Gesicht seines Freundes und seufzte lautlos. „Hör mal Hattori, es tut mir Leid, ehrlich, ich weiß, ich hätte nich so einfach abhauen dürfen… aber nach der Sache damals blieb mir einfach nichts anderes übrig. Es tut mir Leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast ab-…“ Doch weiter kam er nicht. „ES TUT DIR LEID?!“ Shinichi wollte etwas sagen, doch im nächsten Augenblick hatte Heiji ihn wieder am Kragen gepackt. Diesmal aber galt Heijis Wut nicht irgendeiner fiktiven Figur, sondern ganz allein ihm. „Wie kannste hier auftauchen, uns allen was vorspielen und jetzt so mir nichts, dir nichts, behaupten es täte dir Leid! Sorry Kudo, aber das zieht bei mir nich mehr… nich bei all dem, was war.“ „Verdammt…“ Lautlos fluchend ließ Heiji von ihm ab, griff sich zerstreut in die Haare, ohne den verwirrten Blicks seines Freundes noch einmal aufzusuchen. Seine Hände waren kalt wie Eis, zitterten, als er sie endlich aus den Haaren nahm und sie nutzlos immer wieder zu ungebrauchten Fäusten ballte. Das konnte nicht sein… ein blöder Scherz, ein Traum, ja, genau das musste es sein, er träumte bloß. Aber nein… nein das hier war echt, es war real, er war real. Ohne laut zu werden und ohne dass Heiji es merkte, formten seine Lippen diese Frage. Sein Kopf, sein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte sich ein Bienenstock hier seinen Platz gesucht. Er konnte nicht klar denken, keinen Gedanken fassen oder gar halten, zu viele polterten nun ungenutzt in seinem Hirn herum, wurden von seinen Emotionen hin- und hergerissen, ohne dass er hätte sagen können, wie er sich fühlte. Nur vorsichtig wagte er es, erneut den Blick zu heben. Tatsache. Er stand vor ihm, etwas blass, aber sonst unverändert, der Shinichi Kudo von vor zehn Jahren - zu unverändert natürlich, aber das spielte jetzt keine Rolle. Denn eigentlich war es egal, ob da nun Conan oder Shinichi vor ihm stand, es war unmöglich. Es konnte nicht sein. Shinichi merkte die Blicke auf seiner Haut, trat sichtlich unwohl von einem Fuß auf den anderen und schaute seinen ehemaligen besten Freund immer noch leicht verwirrt an. Das Hattori wütend war, konnte er ja noch nachvollziehen, sehr gut sogar, dennoch war die Reaktion selbst für den Osakaner etwas zu viel gewesen. Sein ganzes Verhalten wollte nicht recht zu Heiji passen, er war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. War er wirklich so wütend auf ihn, dass ihm jetzt die Worte fehlten? Der vermeintliche Amerikaner seufzte, machte einen Schritt auf Heiji zu und konnte im gleichen Augenblick schwören, dass dieser einen von ihm weg gemacht hatte. Mit genervtem Ton fing Shinichi an zu erklären, rieb sich dabei entschuldigend den Nacken, eine Geste, die Hattori bislang auch nur bei ihm gesehen hatte. „Ich weiß, ich hab dich- euch hier einfach so sitzen lassen, ohne wirklich zu erklären, was passiert ist. Oder mich bei dir zu bedanken, Hattori, denn ohne dich… ich will gar nicht wissen, was passiert wäre. Aber nun- jedenfalls ist es nicht so, als hätte ich das gern gemacht, aber es war nunmal Teil des Abkommens, im Zeugenschutzprogramm sehen dies nicht gern, wenn-„ Das ließ den Osakaner mit einem Mal aus seiner Starre erwachen. „Zeugen-WAS?“! Shinichi blinzelte kurz, schaute seinen Freund dann aber genervt an. „Zeugenschutzprogramm. Was is los, Hattori, bist du in den letzten Jahren auf den Kopf gefallen oder was?“ Nun aber war es der Kommissar, der seinen Gegenüber nur ungläubig anstarren konnte. Shinichi hob nur fragend eine Augenbrauche, täuschte er sich, oder war Hattori eben noch ein Stück blasser geworden? Und warum in drei Henkers Namen starrte er ihn nun wieder so an, eigentlich dachte er, da wären sie jetzt drüber hinaus. „Hattori, was-?“ Der aber schaute ihn nur noch überraschter an, eher sich sein Gesichtsausdruck schlagartig verdüsterte. Ohne noch ein Wort zu sagen, griff er Shinichis Handgelenk und fing an, diesen in Richtung Ausgang zu ziehen. „Heiji, was zum-„ „Komm mit, Kudo.“ „Aber-„ „Komm einfach.“ Doch Shinichi stoppte blieb stur stehen, sodass er sich einen wütenden Blick von Heiji einfing. „Ich kann nicht, Hattori…“ Shinichi schluckte, schaute mit bekümmertem Blick zur Tür. „Nicht so.“ Dem überraschten Blick Hattoris folgte schnell ein resignierender Seufzer. Er ließ seinen Ex-Gefangenen los und noch ehe dieser fragend aufschauen konnte, hatte Hattori ihm seine alte Mütze aufgesetzt, die er grade aus seiner Tasche gekramt hatte. „Jetzt kannstde.“ Die Autofahrt verlief schweigend, obwohl es zwischen ihnen beiden so viel zu bereden und zu klären gab, herrschte Stille. Erst als Heiji parkte, den Motor ausschaltete und wortlos ausstieg, erkannte Shinichi, wohin er ihn gebracht hatte. Nach einem kurzen Zögern stieg auch er aus, machte die Tür zu, aber rührte sich nicht von der Stelle. „Hattori?“ Der aber schüttelte nur den Kopf, pfriemelte eine Taschenlampe hervor und machte Licht, während er vorausging und Shinichi unmissverständlich klarmachte, ihm zu folgen. Mit einem Seufzten leistete der Heijis Bitte Folge und trottete hinter ihm her, auch der Himmel hatte kein Einsehen mit ihm, sondern vergoss weiter dicke Tränen, die sie beide bis auf die Knochen durchnässten. Anders als in Amerika gab es an diesem Ort kein stählernes Tor, wie man es gerne aus entsprechenden Filmen kannte, dennoch machten die beiden Gestalten mit Taschenlampe einen zwielichtigen Eindruck an diesem Ort. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, der Regen prasselte auf sie hinunter und verschleierte den trüben Schein der Taschenlampe, während sie im Dunklen an namenlosen Gräbern vorbeischlichen. Bis auf einzelne Kerzen, deren Licht im Dunkeln zu schweben schien, lag der Friedhof düster und verlassen vor ihnen. Immer wieder versuchte Shinichi, mit seinem Freund Blickkontakt aufzunehmen, doch vergeblich, Heiji sah sich nicht nach ihm um, eigentlich sah er sich gar nicht um, als ob seine Füße den Weg kannten und ihn ganz automatisch zu seinem Ziel führten. Shinichi fröstelte, die Kälte drang schon lange nicht mehr zu ihm durch, es war der Ort und die böse Ahnung, wohin Hattori ihn bringen könnte, die ihm eine Gänsehaut bescherten. Er schluckte, legte einen Gang zu, bis er neben Heiji ging, der sich nicht darum scherte, dass sein Schrittmaß für Shinichi etwas zu schnell war. „Sag mal Hattori, muss das sein? Hältst du es wirklich für eine gute Idee, nachts mit dem Mann über den Friedhof zu gehen, der bis vor ein paar Stunden noch Hauptverdächtiger in der neusten Mordserie Japans war?“ Heiji ließ nur ein kurzes Murren von sich hören, stapfte mit patschenden Geräuschen voraus, die verrieten, dass sich das Wasser schon lange einen Weg in seine Schuhe gesucht hatte. Shinichi dachte schon, dass er auch diesmal keine Antwort bekommen würde, bis Heiji sprach. „Erstens, ja muss es. Und zweitens siehst´de grad nich aus wie er, falls des schon vergessen hast.“ Aus dem Augenwinkel heraus sah der Osakaner den Detektiv blinzeln, offensichtlich hatte der tatsächlich vergessen, dass zwischen ihm und dem Rest der Welt ein Stück Silikon fehlte, dann aber bekam das junge Gesicht seinen Ernst zurück. „Schon… aber trotzdem, Hattori. Was wenn uns jemand sieht und die Polizei ruft, weil er denkt, wir seien aus unseren Gräbern gekrochen?“ Der Angesprochene zuckte zusammen, blieb unwillkürlich stehen und starrte Shinichi für wenige Sekunden mit großen Augen an. Doch die Schockstarre des Polizisten hielt nur kurz, ohne seinen von der Reaktion verwirrten Freund nochmal anzusehen, ging er weiter. Shinichi konnte ja nicht wissen, dass sich Heijis Kehle bei seiner Bemerkung zugenschnürt hatte und er gar nicht in der Lage gewesen wäre, irgendwas zu sagen, weil sein Hals sich anfühlte als würde er grade am Galgen baumeln. Ganz davon zu schweigen, dass sein Hirn nicht imstande war, auch nur einen vernünftigen Satz zu formen. So folgte Shinichi ihm wieder, ebenfalls Still während seine Augen dem Schein der Taschenlampe folgten. Heiji ging nach einer Weile wieder langsamer, tastete nun jedes zweite dritte Grab mit der Lampe ab. Die Bilder, die, geisterhaft von dem trüben Licht bestrahlt, aus der Dunkelheit auftauchten und genauso schnell wieder verschwanden, ließen Shinichi einen Schauer über den Rücken laufen. Spielzeug, etwas, das aussah wie ein Rennauto, ein paar Puppen oder ein verlassenes Stofftier, dessen plüschiges Fell sich mit dem kalten Wasser vollgesogen hatte, während seine Knopfaugen im Lichtschein der Lampe matt glänzten. Er starrte noch immer auf den Fleck an dem der Teddy saß, nun wieder vom Licht der Lampe verlassen im Dunkeln, da Heiji schon längst weiter gegangen war und nicht darauf achtete das sein Freund ins Leere starrte. Shinichi hingegen blieb in Gedanken nur kurz bei seinem völlig durchnässten plüschigen Freund, er versuchte sich zu erinnern. Wieso waren ihm die Gräber nicht schon beim ersten Mal aufgefallen? Natürlich hatte er neben sich gestanden, Professor Agasa hatte ihm noch den Rest gegeben, aber bitte! Er war Detektiv und trotz aller Schikane so viel Ego besaß auch er noch, dass er wusste, sie wären ihm aufgefallen. Aber dann… Noch während er diesen Gedanken formte, hatte Shinichi sich nach ihm umgesehen, ihn gut zwanzig Meter weiter dann entdeckt. Die tropfnasse Gestalt, die dort stand, ließ dem Detektiv eine Gänsehaut über den Rücken schleichen. Der trübe Lichtschein schien von Heijis Hand selbst zu kommen und das wenige Licht, dass in sein Gesicht fiel, ließ den sonst so gut gebräunten Osakaner blass wirken und gab seiner Haut einen ungesunden durchsichtigen Schimmer. Shinichi schluckte, wusste genau, dass er wahrscheinlich keinen besseren Eindruck machte und hoffte inständig, dass niemand sie hier sah. Heiji aber scherte sich nicht wirklich darum, dass man sie sehen konnte, und wenn schon! Sollten die Leute doch denken, was sie wollten, war ihm doch egal. Er hob den Schein der Taschenlampe, die mit einem Mal noch schwerer in seiner Hand lag, von dem Grabstein, den er bis eben studiert hatte, leuchtete den Weg entlang bis er Shinichi erreichte, der langsam auf ihn zukam. Sein Gang war steif und wie er, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, auf ihn zutrat, erinnerte nichts mehr an den sicheren Auftritt Bells, eigentlich erkannte Heiji darin aber auch nicht Conan, noch Shinichi Kudo. Denn die Unsicherheit, die der Teenager ausstrahlte, der da mit gesenktem Blick und einem eindeutig viel zu blassen Gesicht auf ihn zukam, passte zu keinem der beiden, beziehungsweise drei. Heiji schluckte, konnte bei seinem Näherkommen ein kurzes Zittern durch den jungen Körper erkennen. Wie alt musste er jetzt eigentlich sein? 16, nein eher 17, dennoch… fast noch ein Kind. Abwertend schüttelte der Osakaner den Kopf, packte das Gefühl wieder ein, dass ihm sagte, er sollte den Kerl am besten in ein warmes Handtuch wickeln und ins Trockene schaffen, seit Neuestem war er einfach überführsorglich, was so etwas anbelangte. Kudo hatte schon damals gehasst, wenn man ihn derart verhätschelte und er würde es ihm auch jetzt ganz bestimmt nicht Danken. Noch während er das dachte, war Shinichi vor ihm zum Stehen gekommen, sodass Heiji nun in die neugierigen und sichtlich beunruhigten Augen sehen konnte, die eigentlich die ganze Zeit nur hinter einer gläsernen Fassade verborgen gewesen waren. Hunderte von Regentropfen beschwerten seine Schultern in einem unregelmäßigem Takt und inmitten dieser dumpfen Sonate wagte er es nicht, den unsichtbaren Dirigenten zu unterbrechen. Schweigend starrte Shinichi seinen Freund an, Hattori wiederrum hatte die Taschenlampe auf irgendeinen Punkt des Kieswegs gelenkt, beobachtete, wie der Regen als dichter Vorhang den Lichtschein in Bewegung brachte. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Heiji schneidend einatmete und seinen Blick endlich auf Shinichi fokussierte. „Ich hab nich umsonst mit meinen Schlussfolgerungen so dermaßen danebengelegen, Kudo.“ Seine Augen, die sich kurz auf dem matschigen Kies ausgeruht hatten, wanderten zu Shinichi zurück. Er konnte die Anspannung in seinem Körper sehen und auch wenn in seinen Augen noch immer ein großes Fragezeichen prangte, so konnte Heiji doch erkennen, wie es in dem Kopf seines Freundes arbeitete. Er öffnete kurz den Mund, wollte etwas sagen schwieg dann jedoch und fixierte Shinichi stattdessen mit seinem Blick. Erst als dieser auch aufschaute und Heiji wartend ansah, atmete der Kommissar aus, ließ die Taschenlampe langsam ihren Weg suchen, in dem Wissen, dass sein Freund ihr folgen würde. Die kleine Kerze, die an diesem Ort eigentlich für Licht sorgen sollte, war längst erloschen, von ihr wahr nichts weiter übrig als ein kleines Häufchen Wachs, welches unnütz und kalt von seiner Laterne aus dem Regen zuschaute. Das Licht von Heijis Taschenlampe reichte jedoch aus, um die silbernen Buchstaben zu beleuchten, die den zierlichen Stein zu erdrücken schienen. Der weiße Marmor glänzte im Regen, die silbernen Tropfen liefen über die wenigen Zeilen. Conan Edogawa 1988 - †1996 Unwillkürlich schlug Shinichi sich die Hand vor den Mund, merkte nicht wie ihm dicke Regentropfen aus den Haaren fielen, als er seinen Kopf ungläubig zu schütteln begann. Immer wieder glitten seine Augen über die winzigen Zeilen, in der Hoffnung, sie würden einfach verschwinden, doch die kleinen silbernen Buchstaben der Grabinschrift blieben, wo sie waren. Hattori hörte, wie er keuchend ausatmete, sah die weit aufgerissenen Augen seines Freundes, die offensichtlich nicht glauben konnten oder wollten, was sie da sahen. Keiner von beiden wusste, wie lange sie dort gestanden hatten, noch immer ging Shinichis Atmen stoßweise, er zitterte während seine Hände sich langsam zu Fäusten ballten. Sie hatten ihn angelogen. Die ganze Zeit. „Hey Kudo…“ Shinichi zuckte zusammen, entzog sich reflexartig der Hand, die ihm auf die Schulter gelegt wurde und sah seinem Freund ins Gesicht. Mit einem Mal wirkten die Züge des Osakaners müde, Shinichi konnte erkennen, wie er unter dem kalten Regen zu frösteln begann. In Hattoris Augen lag Unsicherheit und noch immer ein Funken Wut, den der Osakaner offensichtlich nicht abstellen konnte, aber da war noch etwas, etwas, dass Shinichi schon oft gesehen hatte in der letzten Woche, nicht nur bei Heiji sondern auch bei den anderen. Schmerz. Einen Schmerz, den er erst jetzt zuordnen konnte, erst jetzt verstand. Er schmeckte Blut, merkte erst jetzt, dass er sich auf die Lippen biss, doch änderte nichts an dem Druck. Das war zu viel… einfach zu viel. Erst Heijis Stimme brachte ihn zurück in das Hier und Jetzt. „Komm… lass uns gehen, Kudo.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging der Osakaner an ihm vorbei, hörte bald, wie sein Freund ihm wortlos folgte. Das Grab ließen sie beide im Dunklen zurück. *VorsichtighinterMäuerchenhervorgeschlichenkomm* Äh- Hallo erst mal ^^, Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen, schließlich habe ich euch ziemlich lange zappeln lassen bis hier her. Ich muss gestehen ich bin natürlich mächtig gespannt was ihr dazu sagt und ich hoffe das ich euren Erwartungen gerecht werden konnte. Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren :3 Ganz liebe Grüße und bis demnächst, eure Shelling__Ford Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)