Die Küche von SnoopFroggyFrog (Normalität, OS #1) ================================================================================ Kapitel 1: Die Küche -------------------- "Das ist mir doch egal!" Mit der Wucht extremer Wut zersplitterte die an die Wand geworfene Flasche in tausend Scherben. Die weiße Tapete färbte sich in den sanften Tönen des Orangensafts, der an ihr hinuntertropfte und begann eine kleine Lache auf den Fliesen zu bilden. Daneben stand Amaryllis Fitzgerald, die Augen vor Schreck geweitet und auf ihren Gatten gerichtet, der mit schwer wogender Brust neben dem Küchentisch stand und mit einer Hand schon nach einem Teller griff. In seinen dunklen Augen lag eine unbändige Wut, auf sie, auf das Leben, auf Pansy, auf alles. Seine Haare, diese wuscheligen roten Haare, in die sie sich damals verliebt hatte, waren zerzaust und voller Dreck, ebenso wie die Kleider, die er noch immer trug, obwohl er schon vor einer Stunde nach Hause gekommen war. In einer Stunde konnte sich vieles verändern. "Hast du mich nicht gehört, Schlampe?!" Sie zuckte zusammen. Sicher, sie hatten schon früher Streit gehabt, manchmal auch sehr argen streit, doch noch nie hatte er sie so empfindlich beleidigt. Schlampe. Das war sie, ja. Die Schlampe eines Muggels. Wut kochte in ihr hoch und sie ballte die Hände zu Fäusten, die wie Wellen zitterten, versuchte, sich zusammenzureißen, um diese Wunde nicht noch weiter aufzureißen, den Streit bald beizulegen. Dann wäre alles wieder wie zuvor und sie wären glücklich. "Ich habe dich gehört, Scott", schaffte sie es schließlich zu sagen, ohne ihre Gefühlslage in ihrer Stimme erkenntlich zu machen. Er schnaubte abfällig. "Das ist alles, was du kannst! Nachplappern! Ja, ich will - auch nur nachgeplappert! Hast du auch nur ein einziges Mal in deinem Leben etwas ernst gemeint?!" Er packte den Teller mit beiden Händen, hob ihn hoch über seinen Kopf und bescherte ihm gleich darauf einen harten Zusammenstoß mit den weißen Küchenfliesen. Sein ganzer Körper zitterte, hatte vielleicht schon gezittert, als er zurückgekommen war, er selbst wusste nicht, wann es angefangen hatte. Amaryllis trat zaghaft einen Schritt näher, die Hände beschwichtigend vor ihren Oberkörper erhoben. "Scott, wir kriegen das hin. Ich helfe dir-" "Mir helfen! Mir helfen? Hättest du mir helfen wollen, dann hättest du mich längst zu einem eurer tollen Heiler gebracht! Aber nichts, nichts kannst du, du dummes, nutzloses Miststück! Du kleine Rassistin willst mich wohl verrecken lassen, häh?!" Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. "Wir dürfen keine Aufmerksamkeit-" "Aufmerksamkeit! Das Leben deines Mannes ist dir zu viel Aufmerksamkeit! Wie war das noch gleich mit Treue und füreinander Einstehen?" erbost schnappte er sich das nächste, was er werfen konnte, und beendete die existenz des Salzstreuers, indem er ihn seiner Frau direkt vor die Füße warf. Kleine, weiße Körner und kleine, durchsichtige Scherben ergossen sich über die Fliesen und die bloßen Füße, die er sich da gegenüber sah. Außen weiß, innen rot. Er wollte sie rot werden lassen. "Scott, ich DARF nicht! Wenn die Ärzte von einer Wunderheilung erfahren, dann würde das zu viel Staub aufwirbeln!" Nein, nicht mehr nur rot, blutrot. Sollte sie rot werden. Er musste ja auch rot werden. Aber er konnte nicht, er durfte nicht... "NEIN! Nein, nein, nein! Nein!" Er brüllte, schrie, bis seine Lungen brannten, holte immer wieder stoßweise Luft und zitterte am ganzen Körper. Der Stuhl, der Schrank. Holz auf Holz und Holz, das zu Boden regnete, begleitet von Splittern. Der Stuhl, die Arbeitsfläche, das Holz zerbarst und seine Waffe war nutzlos. Faust und Schrank, Fleisch auf Holz, lass es rot werden, rot werden, rot werden! Wie zur Salzsäule erstarrt beobachtete Amaryllis Scotts Verhalten. Noch nie, noch nie, war er so enorm ausgeflippt, noch nie in den acht Jahren ihrer Ehe hatte er sich so gehen lassen. Es machte ihr Angst, brachte ihr Herz zum Rasen, bis sie vermeinte, es wäre zum Kolibri geworden und würde gegen den Rippenkäfig preschen, um sich zu befreien. Scott, der wie ein Berserker die Küche angriff. Amaryllis, die erstarrt daneben stand. Die sechsjährige Pansy, die in der Wohnzimmertür stand und es mit ansah. Sie hatte sich halb hinter dem Türrahmen verborgen und ihn hilfesuchend umklammert. Sollte sie ihre Mummy rufen? Würde sie dann auch so ausflippen? Als hätte sie Pansy denken hören sah Amaryllis zur Seite und entdeckte dort ihre Tochter, mit einem Gesichtsausdruck, als wäre sie zwischen Trolle geraten. Sie machte einen Schritt auf sie zu, doch erregte das Scotts Aufmerksamkeit. Wie ein wilder Stier raste er auf sie zu und sie hechtete davon, in Richtung ihrer Tochter, lief dabei mit nackten Füßen über viele, viele Scherben und hinterließ Blutspuren auf dem Boden. Sie packte den Arm ihrer Tochter, zog sie ungnädig mit sich, hinein ins Wohnzimmer. Der Teppich schien alles zu dämpfen. Amaryllis zerrte Pansy mit sich, Scott war kaum mehr als zwei Meter hinter ihnen und brüllte noch immer wie der Stier, in den er sich zu verwandelt haben schien. In der Fernseherscheibe gespiegelt wirkte es wie eine tonlose Slapstickkomödie, bei der noch keiner den Humor gefunden hatte. Sie erreichten die halb offen stehende Balkontür, Amaryllis schubste Pansy hinaus, sprang dann hinterher und schlug die Tür hinter sich zu - die auf Scotts Hand traf. Das Herz rasend, kalten Schweiß auf der Stirn, drückte sie, so gut sie es vermochte, konzentrierte einen Teil ihrer Selbst darauf, ihr zur Seite zu stehen. Abrupt fiel die Tür zu. Durch das Glas sah sie, wie Scott durch den ganzen Raum flog und mit einem lauten Krachen und Knirschen in mehrere Blumentöpfe fiel, in die sie eigentlich neue Geranien hatte pflanzen wollen. Noch am Morgen. "Mummy?" Wie elektrisiert fuhr sie herum und sah Pansy, die sich an die Rückwand des Balkons zurückgezogen hatte, die großen, dunklen Augen schreckgeweitet auf sie gerichtet. Langsam ließ sie sich zu Boden sinken, fiel auf die Knie und krabbelte dann zu ihrer Tochter, um sie fest in den Arm zu nehmen. "Alles gut, alles gut, Schatz, alles gut", flüsterte sie, in einem verzweifelten Versuch, nicht nur ihre Tochter davon zu überzeugen. Pansys kleine Hände krallten sich haltsuchend in das Kleid ihrer Mutter und Schluchzer verließen ihre Kehle. "Mummy..." flüsterte sie. Behutsam strich Amaryllis ihrer Tochter übers Haar und suchte nach Worten, um auszudrücken, was geschehen war. Oh, Pansy wusste, dass ihre beiden Eltern nicht einfach waren, dass sie auch stritten, sogar heftig stritten, doch einen solchen Anfall, wie sollte sie den erklären? Wie konnte sie ihrer sechsjährigen Tochter erzählen, dass ihr Daddy sterbenskrank war und sie ihn nicht heilen durfte, um nicht gegen das Geheimhaltungsgesetz zu verstoßen? Wie sollte sie Pansy erklären, weswegen Scott sich mal an die Flasche, mal an die Nadel hängte, und sich nachts nur durch Weinen in den Schlaf wiegen konnte, so panische Angst hatte er davor, die Augen zu schließen. Was gab es, das sie sagen konnte, um einem Kind zu vermitteln, was hier geschah? Sie wusste keine Antwort, sie wusste nur, dass sie sich wünschte, sehnlichst wünschte, es würde wieder Normalität einkehren. Normalität, bei der die simple Bemerkung, es wäre kein Müsli mehr im Haus, keinen Wutanfall auslöste. Den Geruch ihrer Tochter tief einsaugend gab sie ihr mehrere Küsschen aufs Haar. Pansy sollte ihren Vater nicht verlieren müssen, nicht wegen dieser Kleinigkeiten. Sie sollte aufwachsen wie jedes andere Kind, mit Eltern, die sie liebten und die sie liebte. So und nicht anders. "Ich geh das Müsli kaufen." ertönte es plötzlich von der Tür. Sie wandte sich um und sah Scott, noch verdreckter als vorher, wie er distanziert auf sie beide hinabsah. Eilig nickte sie. "Denk aber daran, dich umzuziehen, ja?" Er nickte knapp, ein wenig abgehackt, wohl durch den Sturz, und entschwand aus ihrem Blickfeld. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Normalität. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)