Die Wahrheit über Wölfe von Idris ([Stiles / Derek]) ================================================================================ Kapitel 1: Nass und Ebola-verseucht ----------------------------------- Es ist kalt. Stiles ist nur ein Mensch, okay? Er friert. Vor allem nachts und in verlassenen Güterbahnhöfen, durch die der Wind pfeift. Aber jedes Mal, wenn er auch nur daran denkt, den Mund aufzumachen, um sich zu beschweren, blickt Derek in seine Richtung und knurrt. Ernsthaft. Er knurrt. Wie ein Hund. Wie ein großer, bissiger Dobermann. Oder ein Bär. Wie etwas großes Raubtierartiges mit vielen, scharfen Zähnen. Stiles klappt den Mund wieder zu und verschränkt die Arme. Hier kommt keine Wertschätzung an. Derek hat ohnehin nicht angemessen begeistert über Stiles Erscheinen bei dem 'geheimen, mitternächtlichen Werwolf-Treffen' reagiert. Zumindest wenn sein Blick und sein gegrolltes 'Was hat der hier zu suchen?' eine Indikation für seine Gefühlslage dargestellt haben. Stiles ist nicht beleidigt deswegen. Kein bisschen. Er weiß nicht einmal wieso er mitgekommen ist, als Scott mitten in der Nacht an sein Fenster geklopft hat. Eigentlich hat er sowieso Hausarrest bis er fünfunddreißig ist. Er wirft einen hilfesuchenden Blick zu Scott, aber Scott tigert auf und ab - ernsthaft, wo kommen die ganzen Raubtier-Metaphern her? - fuchtelt wild mit den Armen und ist zu beschäftigt damit wütend zu sein, um mitzukriegen, dass Stiles sich langsam aber sicher in einen Eiszapfen verwandelt. „Nein!“ Das ist das Wort, was in der letzten halben Stunde am häufigsten gefallen ist. Nein, Scott will nicht zu Dereks Pack gehören. Nein, Derek findet nicht, dass er den Argents in irgendeiner Weise entgegen kommen muss. Nein, Jackson hat nicht das Gefühl, dass das hier irgendwas mit ihm zu tun hat. Das ist alles superproduktiv. Vielleicht könnten sie das zur Abwechslung auch mal in Französisch sagen oder in Russisch. Non. Niet. Das wäre vielleicht sogar irgendwie unterhaltsam. Stiles hätte vielleicht ein bisschen mehr zu sagen als 'Nein', aber offenbar ist niemand interessiert an seiner Meinung. Menschen werden hier eindeutig diskriminiert. Er sollte Beschwerde einlegen. ‚Hallo mein Name ist Stiles und Werwölfe diskriminieren mein von der Verfassung garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung.‘ Ja. Genau. Er kann praktisch vor sich sehen, wie gut das ankommen wird. Der einzige Werwolf, der etwas anderes als Ablehnung zu dem Gespräch beiträgt ist Isaac, der hilflos auf den Fingernägeln kaut und Sätze mit ‚Ja, aber…‘ anfängt, die ihn niemand zu Ende reden lässt. Isaac ist ein Weichei. Er hat keine Chance, gegen den geballten Groll von Scott, Derek und Jackson anzureden. Stiles hätte beinah Mitleid mit ihm, wenn Isaac nicht so ein besten Freund stehlender Werwolf wäre. Ja, er hat gemerkt, dass Scotts Sätze in letzter Zeit immer mehr mit ‚Isaac hat gesagt‘ oder ‚Isaac und ich haben gedacht‘ anfangen und dass Scott ihn schon dreimal bei geplanten World of Warcraft-Abenden versetzt hat, um mit Isaac durch den Wald zu laufen und Karnickel zu jagen, oder was immer Werwölfe in ihrer Freizeit so treiben. Er ist nicht böse deswegen. Nur vielleicht. Und nur im Dunkeln, wenn keiner hinsieht. Er zupft mit den Fingern an der ausgefransten Matratze, auf der er sitzt. Irgendwo im Hintergrund tropft Wasser auf den Boden und die spärlichen Lampen über ihnen flackern ominös. Aus irgendeiner Spalte zieht es und die kalte Luft kommt schwallartig hereingeströmt. Alles in allem ist Stiles nicht sonderlich beeindruckt von Dereks neuer Unterkunft. Wer bitte schön sieht einen verlassenen Güterbahnhof und denkt ‚DAS wird mein neues, kuscheliges Zuhause‘? Derek. Natürlich. Wer sonst. Aber Derek steht vermutlich morgens auf und gurgelt mit Stacheldraht. Bequemlichkeit und Ambiente sind zwei Wörter die einfach nicht in seinem Vokabular auftauchen. Genauso wenig wie ‚danke, Stiles‘ oder ‚du warst wirklich eine große Hilfe, Stiles‘ oder ‚ohne dich wären wir alle drauf gegangen, Stiles‘. Darauf kann man in diesem Laden lange warten. Stiles' Augen flackern hinüber zu Lydia. Zum siebten Mal in genauso vielen Minuten. Sie sitzt weniger als zwei Meter von ihm entfernt, schön und unerreichbar wie ein Edelstein in einer mit Samt ausgelegten Vitrine. Alleine sie anzusehen verursacht ihm Phantomschmerzen wie der Abdruck von Gerards Faust in seinem Gesicht, der inzwischen grün-gelb und verblasst ist, aber immer noch weh tut wenn er lacht. Er hat nicht erwartet, dass sie hier sein würde. Lydia hat die Beine übereinandergeschlagen und betrachtet ihre fliederfarbenen Fingernägel. Für jeden Außenstehenden, der nicht die letzten acht Jahre seines Lebens damit verbracht sie zu beobachten, muss sie gelangweilt und desinteressiert aussehen. Aber nicht für Stiles. Sie hat ihr Make-up dick aufgetragen, so dick, dass man die Ringe unter ihren Augen nicht mehr sieht. Und ihr Lidstrich ist ein bisschen verwackelt, als hätten ihre Hände gezittert als sie ihn aufgemalt hat. Lydia Martins perfekte Maske hat Risse bekommen. Stiles fühlt eine unerwartete Aufwallung von Solidarität in sich aufsteigen. Er hat nie gewollt, dass sie in das alles hineingezogen wird… er hat nie gewollt, dass sie nachts weinend bei ihm (an)klopft und um Hilfe bittet… aber er ist unglaublich dankbar, dass sie auch hier ist. Zwei Menschen unter Wölfen. Er darf sie nicht zu lange ansehen, denn seit Jackson ein Werwolf ist, scheint er einen gruseligen sechsten Sinn dafür entwickelt zu haben, wenn jemand seine Freundin anstarrt. Zumindest geht Stiles davon aus, dass sie wieder seine Freundin ist, nachdem ihre epische Liebe nicht nur die Welt gerettet, sondern Jackson auch aus dem Reich der toten Wereidechsen wiedergeholt hat, oder was auch immer in dieser Nacht passiert ist. Stiles will am liebsten gar nicht darüber nachdenken. Es verknotet sein Gehirn. Neun Sekunden. Stiles schließt die Augen, gerade rechtzeitig bevor er Jacksons finsteren Blick auf sich spüren kann. Er vergräbt die Hände unter den Achselhöhlen. Innerlich zählt er bis zehn, bevor er die Augen wieder öffnet. Er sieht gerade noch aus den Augenwinkeln wie Jackson den Kopf wieder abwendet. Erleichtert atmet er aus, bevor sich alles in seinem Körper anspannt. Ein Paar Augen ruht immer noch auf seinem Gesicht und es ist nicht Jackson. Es ist Derek. Stiles' Herz stolpert mit einem schmerzhaften Rucken. Derek starrt ihn an, quer durch den Raum hindurch. Sein Gesicht liegt im Halbschatten und ist unlesbar und seine Augen sind wie kleine rote Reflektoren in der Dunkelheit. So muss sich ein Kaninchen vor der Schlange fühlen, denkt Stiles. Er fühlt sich ertappt und seltsam atemlos. „Mir ist kalt“, platzt es aus ihm heraus. Gleich darauf möchte er es wieder zurücknehmen, als das Gespräch stockt und sich alle fragend zu ihm umdrehen. Scott hört mitten im Satz auf zu reden und Jackson, der so aussieht als ob er kurz davor war Scott zu erwürgen, hält mitten in der Bewegung inne. Isaac blinzelt zu Stiles hinüber. Sogar Lydia löst den Blick von ihren Fingernägeln. „Dir ist kalt?“ Scott sieht sekundenlang verwirrt aus. Vielleicht hat vergessen, dass Stiles überhaupt anwesend ist. Oder er kann sich nicht mehr daran erinnern wie kalt einem als Mensch manchmal werden kann. Beides ist nicht besonders schmeichelhaft. Aber dann macht er unglückliche Hundeaugen, als sei er höchstpersönlich dafür verantwortlich, dass Derek einen gruseligen, eisigen Untergrund-Bahnhof für die perfekte Unterkunft hält oder dass Stiles nur eine kleiner menschlicher Knautschball aus blasser Haut und zerbrechlichen Knochen ist. „Du hättest früher was sagen können.“ Stiles fuchtelt mit den Händen. „Ich dachte, das leise, aber stetige Klappern meiner Zähne sei ein deutlicher Hinweis gewesen! Es ist kalt hier! Und nass! Und vermutlich Ebola-verseucht. Nur fürs Protokoll!“ Derek gibt ein Geräusch von sich, das halb Seufzen und halb Grollen ist und das vermutlich zum Ausdruck bringen soll, dass Stiles der Fluch seiner gesamten Existenz ist. Oder so. Er verdreht die Augen und der bedrohliche rote Leuchteffekt verschwindet. Er macht eine vage Handbewegung in die dunklere Hälfte der Halle. „Da drüben sind irgendwo…“ „Ratten?“ schlägt Stiles hilfreich vor, denn das ist ganz sicher. „Decken“, erwidert Isaac an Dereks Stelle. "Nimm dir ruhig eine." Schockiert starrt Stiles ihn an. „Eine Decke? Von hier? Entschuldige mal! Sehe ich so aus, als bräuchte ich Hepatitis?“ Isaac hat den Anstand verlegen auszusehen. Derek nicht. Derek fletscht die Zähne. „Halt den Mund, oder ich…“ „…reiß dir die Kehle raus? Mit den Zähnen?“ sagt Stiles, denn das Spielchen hatten sie ja schon. Aus Dereks Kehle ertönt ein für Menschen unmöglich nachzuahmendes, tiefes Grollen und schon werden Klauen und Zähne ausgefahren. „Okay, okay, ist ja gut.“ Stiles stolpert von der Matratze hoch und winkt ab. „Kein Grund gleich die Beißerchen auszupacken. Ich such mir schon… irgendwas. Redet ruhig weiter. Ignoriert mich einfach.“ „Das tun wir doch sowieso schon“, erwidert Jackson gereizt. Zwischendurch mal gestorben zu sein hat seiner angeborenen Arschigkeit leider keinen Abbruch getan. Stiles wirft ihm einen fiesen Blick zu. „Stiles.“ Derek sieht aus, als ob er Kopfschmerzen hätte. Stiles kennt diesen Blick ziemlich genau. Er ist meistens der Verursacher. „Such dir irgendwas.“ Das ‚Hauptsache du hältst die Klappe‘ ist ziemlich deutlich impliziert, auch ohne, dass er es ausspricht. Okay. Irgendwas. Stiles verdreht die Augen - aber erst als er Derek den Rücken zugedreht hat, er ist ja nicht lebensmüde - und beginnt ein bisschen ziellos durch die dunklere Hälfte des Palast der Schrecken zu laufen. Seine Augen brauchen einen Moment, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Alles sieht grau, schemenhaft und irgendwie gruselig aus. Staub flirrt in den matten Lichtstrahlen und der Güterzug mit den beschlagenen Fenstern auf der gegenüberliegenden Seite sieht aus wie ein großer, schlafender Drache. Ernsthaft. Was hat Derek geritten, sich hier einzunisten? Zugegeben, die einzige Alternative ist ein zur Hälfte abgebranntes Haus im Wald, was nicht mal ein funktionierendes Dach hat. Aber was spricht denn gegen eine nette Jugendherberge? Ein Ein-Zimmer-Apartement? Untermiete? Wirklich alles wäre eine Verbesserung. Und was ist überhaupt mit den Kindern? (Welpen? Wolfbabies?) Der Gedanke an Erica versetzt ihm einen unerwarteten Stich. Stiles bleibt stehen, einige Meter entfernt von dem Werwolf-Konzil in der Mitte und fährt sich über das Gesicht. Er hat zwei Tage nicht mehr richtig geschlafen. Aber eins der Bilder, die er vor sich sieht, wann immer er die Augen schließt ist Erica, gefesselt und geknebelt, im Keller der Argents. Dafür, dass sie bis vor wenigen Wochen noch gar keine Rolle in seinem Leben gespielt hat, hat sie in relativ kurzer Zeit sehr viele verschiedene Gefühle in ihm ausgelöst. Er weiß nicht, was er davon halten soll. Als er die Augen wieder öffnet, haben sie sich an den dunklen Mief beinah gewöhnt. In einer Ecke liegt ein dunkler Haufen, der nach den von Isaac beschriebenen Decken aussieht. Irgendjemand hat sich da ein Nest gebaut. Stiles unterdrückt ein Grinsen. Hundewitze machen keinen Spaß, wenn ihm keiner dabei zuhört. Schon aus zwei Meter Entfernung riechen die Decken alt und nach Mottenkugeln und so, als ob man sich 50 verschiedene Krankheiten einfangen kann, wenn man ihnen zu nahekommt. Angewidert weicht Stiles zurück und stolpert gegen ein Eisengestell. Es klirrt leise auf dem Betonboden als es auf und ab schaukelt, doch er schafft reflexartig es festzuhalten. Er wirft einen vorsichtigen Blick in die beleuchtete Mitte des Raumes, aber Jackson und Scott sind zu beschäftigt sich an die Gurgel zu gehen, um ihn zu bemerken. Der einzige, dessen Blick in seine Richtung flackert ist Derek. Stiles ist ziemlich sicher, dass Derek ihn auch in der Dunkelheit gut genug erkennen kann. Oder seinen hämmernden Herzschlag hören. Er hält ganz still, eine Hand an dem Eisengestell und versucht sein jagenden Puls zu beruhigen. Etwas Weiches streift seine Hand und er blickt überrascht auf. Es braucht einen Augenblick, bis er erkennt was es ist. Irgendjemand hat das Gestell als Kleiderstange zweckentfremdet und verschiedene Kleidungsstücke ans obere Ende gehängt. Er kann mehrere Sachen ausmachen, die nach Isaacs wolligen Pullovern aussehen und etwas, was die Form von einem winzigen Kleidchen hat. Und eine Lederjacke. Und nicht irgendeine Lederjacke. Es ist die ultimative badass-Lederjacke. Dereks ultimative badass-Lederjacke. Schwarz und butterweich mit Schnallen an den Schultern. Wie auf Kommando pfeift ein erneuter Windschauer durch das alte Gemäuer und Stiles schaudert. Er spürt wie Gänsehaut sich auf seinen bloßen Armen ausbreitet und wünscht sich, er hätte genug Geistesgegenwart besessen mehr anzuziehen als sein altes, ausgefranstes Star Wars T-Shirt. Unentschlossen wandern seine Finger an dem weichen Ärmel der Lederjacke hoch. Er ist nicht unbedingt scharf darauf, dass Derek seine Drohung doch noch wahrmacht und ihm in die Kehle beißt. Andererseits hätte er das schon ein halbes Dutzend Mal tun können und hat sich bisher bemerkenswert zurückgehalten. Und die Jacke sieht wirklich ungeheuer warm aus… ‚Such dir irgendwas‘, hat Derek gesagt. Okay. Bitte. Stiles lebt, um zu gehorchen. Irgendwas. Das schließt die Lederjacke eindeutig mit ein. Kein Gericht der Welt würde da anders entscheiden. Außerdem ist es sowieso ungerecht, dass Derek jeden minderjährigen Straftäter in seiner kleinen Straßengang mit Lederjacken ausstattet, und Stiles hat immer noch Keine abgekriegt. Was soll das? Ist er etwa nicht cool genug? Bevor sein Über-Ich wieder das Kommando übernehmen kann, hat Stiles den weichen Stoff schon über die Schultern gestreift. Reduzierte Impulskontrolle. Er kann nichts dafür, das ist genetisch bedingt. Es gibt Gutachten darüber und … Oh. Mein. Gott. Ist die weich. Er atmet aus. Und wieder ein. Die Jacke ist warm und noch viel weicher als sie aussieht. Stiles fühlt sich eingehüllt wie in einen Kokon. Sogar der Wind scheint einen Bogen um ihn herum zu machen. Er wird sie nie wieder hergeben, so viel ist klar. Da kann Derek lange warten. Sie ist ein bisschen zu weit in der Schulterpartie, weil Derek gebaut ist wie eine Betonwand, aber abgesehen davon sitzt sie nicht einmal schlecht. Stiles ist ja nicht so viel kleiner. Er hat sogar den vagen Verdacht, dass er noch maximal einen Wachstumsschub braucht, bis er Derek eingeholt hat. Langsam läuft er wieder zurück. Schon aus einigen Metern Entfernung kann er die wütenden Stimmen hören. Stiles verdreht die Augen, auch als sein Herzschlag sich unwillkürlich beschleunigt. Immerhin sind es Werwölfe, und drei davon sind jung und dumm und der vierte hat eindeutige Aggressionsbewältigungsprobleme. Und irgendwo mitten drin sitzt Lydia. „Ein Alphapack? Was soll das heißen, ein Alphapack?“ „Der Name ist Programm, Scott. Es ist ein Pack voller Alphas.“ Derek hat den Sarkasmus ausgepackt. Das kann kein gutes Zeichen sein. Immer wenn er sarkastisch wird, ist irgendjemand kurz vorm Sterben. Meistens er selbst. Stiles beschleunigt seine Schritte. „Das ist doch nicht mein Problem!“ faucht Jackson. Er hat ebenfalls schon die Beißerchen ausgefahren. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. „Es wird dein Problem werden! Du und Scott seid Omegas ohne Pack! Was glaubt ihr, was sie mit euch anstellen werden?“ Shit. Shit, shit, shit. Stiles hat viel Phantasie und er kann sich viel zu viele schlimme Dinge ausmalen, die wütende Werwölfe mit Scott anstellen könnten. Sein Herz strauchelt aus dem Takt und erneut sind es Dereks Augen (rote Alpha-Augen, das ist kein gutes Zeichen) die auf ihm landen. „Was heißt das?“ fragt Stiles leise, als er aus dem Schatten tritt. „Was wollen sie hier? Derek?“ Derek zuckt mit den Schultern. „Sie sind jeden Falls nicht nur auf der Durchreise“, sagt er, was völlig unnötig ominös und vage ist. Dann stockt er und runzelt die Stirn, als er Stiles genauer betrachtet. „Was heißt das?“ bohrt Stiles. „Was haben sie mit uns vor?“ Scott und Jackson drehen sich unwillig zu ihm um. „Stiles…“ Scott klingt frustriert. „Das ist nicht… das ist doch wieder nur…“ Er macht eine Handbewegung in Dereks Richtung. „Das ist doch nur wieder eins seiner Machtspielchen! Es geht doch wieder nur um ihn!“ „Als ob es jemals nicht um dich und deinen Allison Bedingten Herzschmerz gegangen wäre!“ Derek hat die Zähne so fest zusammen gebissen, dass seine Kieferknochen hervortreten. „Um meinen… ich habe versucht uns allen zu helfen!“ „Und es wäre nicht möglich gewesen uns zu helfen, ohne alle anderen zu hintergehen?“ Derek klingt verbittert. Großartig. Jetzt geht das wieder los. Willkommen meine Damen und Herren zum best of ‚Wer hat wen zuerst hintergangen und wer hat wem zuerst etwas verschwiegen?‘ und schalten sie auch morgen wieder ein, wenn es wieder heißt ‚Wer von uns hat die schlechtesten Lebensentscheidungen getroffen und die meisten Gefühle mit dem geringsten Aufwand verletzt?‘. Stiles versucht etwas zu sagen, aber dann runzelt Derek die Stirn und sagt „Stiles, was…?“, und Jackson schubst Scott aus dem Weg, Scotts Augen funkeln gelb, und Isaac versucht dazwischen gehen und alles eskaliert so schnell dass Stiles es mit bloßem Auge kaum verfolgen kann. Hoffnungslos lässt er die Arme sinken. Sie haben gleich eine ausgewachsene Werwolf-Prügelei am Hals wenn das so weitergeht. „Ich gehe jetzt!“ Ruckartig steht Lydia auf. Ihre Stimme hallt durch den Bahnhof. Sie klingt kühl und beherrscht, aber ihr Gesicht ist angewidert verzogen. Jackson seufzt, eine Hand in Scotts T-Shirt verkrallt. „Warte Lydia, ich fahr dich gleich…“ Lydia hebt eine Augenbraue, was ihn verstummen lässt. „Ich habe nicht gesagt, dass ich mit dir gehe.“ Elegant läuft sie die Treppenstufen hinunter. „Stiles.“ Sie zeigt mit dem Finger auf ihn, um jede Unklarheit auszuschließen. Lydia macht immer klare Ansagen. „Du darfst mich nach Hause fahren.“ Stiles blinzelt. „Ich… was? Klar. Ich meine…“ Er wirft einen Blick zu Jackson, der aussieht wie vom Donner gerührt. Allein das ist es wert. Er nickt heftig. „Klar.“ „Sie scheinen sowieso keinen Wert auf unseren Input zu legen.“ Sie lächelt süßlich. „Ich denke, die können das besser ohne uns ausdiskutieren.“ „Lydia!“ „Stiles!“ Es ist beinah komisch wie Jackson und Scott im exakt identischen weinerlichen Tonfall Protest erheben und sich dann gleich darauf entsetzt ansehen. Derek schweigt. Er starrt immer noch Stiles an. „Lydia…“ protestiert Jackson. „Es ist nicht sicher da draußen!“ „Ich habe Pfefferspray dabei“, erwidert Lydia und schlendert zu Stiles hinüber. „Stiles!“ sagt Scott vorwurfsvoll. „Ich… äh…ich hab Lydia!“ Stiles zeigt auf sie. Lydia ist wie ein Mischung aus James Bond und MacGyver, nur viel skrupelloser und mit mehr Lipgloss. Vermutlich kann sie aus einem Schnürsenkel und einem Kaugummi eine Bombe bauen, wenn es drauf ankommt. Lydia greift nach seinem Arm und hakt sich bei ihm ein. „Ihr kommt sicher auch ohne uns zu Recht. Auf Wiedersehen.“ Mit diesen Worten zerrt sie Stiles mit sich nach draußen. Wenn Lydia einmal in Fahrt ist, kann man sie nicht aufhalten und Stiles versucht es erst gar nicht. „Das haben wir nicht nötig“, sagte sie, als sie definitiv noch in Hörweite von scharfen Werwolfohren sind, und sie macht sich keine Mühe ihre Stimme zu senken. „Das ist ja das Letzte.“ „Ähm…genau.“ Stiles nickt. „Absolut.“ „Die können ihren Scheiß gefälligst ohne uns erledigen. Ich glaub‘s ja nicht.“ Stiles ist beinah sicher, dass sie mit 'uns' tatsächlich sich und ihn meint und nicht einfach im königlichen Plural von sich redet. Das hat sie noch nie gemacht und es bewirkt, dass eine ungewohnte Wärme in ihm aufsteigt. „Stiles, jetzt warte doch!“ Es ist Scott. Stiles wird langsamer und wirft Lydia einen entschuldigenden Blick zu. „Schon okay“, sagt Lydia großzügig, bevor sie weitermarschiert. „Ich gebe dir fünf Minuten.“ Er nickt, vergräbt die Hände in den Hosentaschen und bleibt stehen. Das ist ein Gespräch, das er wirklich nicht jetzt führen will, vor allem nicht in Hörweite von drei Werwölfen, die sicher jedes Wort verstehen und Lydia Martin, die draußen steht und auf ihn wartet. „Wozu?“ Er dreht sich um. „Wozu? Wie wozu?“ „Wozu sollte ich hier bleiben, Scott? Es ist es nicht so, als ob irgendjemanden meine Meinung dazu interessiert.“ Stiles fuchtelt nachdrücklich mit den Armen macht ausschweifende Bewegungen, mit denen er seine gesamte Gestalt mit einbezieht. „Menschlicher Knautschball hier, okay? Null Werwolf. Keine Beißerchen. Und scheinbar ist das das einzige, was einem hier Stimmrecht verschafft.“ „Aber… du bist mein bester Freund!“ Scott klingt aufrichtig verletzt. „Natürlich interessiert mich deine Meinung.“ „Ach wirklich?“ „Ja!“ „Okay.“ Stiles atmet tief durch. „Bitte. Dann wird dir das hier aber nicht gefallen: Ich denke du solltest es dir gut überlegen, ob du nicht doch mit Derek zusammenarbeiten willst.“ Da. Er hat es gesagt. Und Scott sieht genauso ungläubig aus, wie Stiles sich fühlt. „Was? Was redest du denn da?“ Scott senkt die Stimme zu einem frustrierten Flüstern. „Bist du verrückt? Seit wann das denn? Ich dachte wir sind uns einig, dass Derek….“ „Ja, ich weiß!“ faucht Stiles zurück. „Denkst du, das weiß ich nicht? Er ist nicht gerade ein emotionaler Sonnenschein und seine Pläne zur Weltbeherrschung sind voll für den Arsch und 80% der Zeit habe ich das Gefühl, er hat keine Ahnung was er da treibt - und das ist noch eine freundliche Schätzung. Aber Scott… die Alphas!“ Und dann kommt Scott mit seinem höchstpersönlichen Todschlagargument, das Stiles nicht mehr hören kann. „Aber…Allison.“ Allison. Stiles seufzt. „Ich weiß.“ Scott stöhnt. „Nein, weißt du nicht. Wenn ich bei Derek eintrete, verliere ich sie doch für immer. Sie kann vielleicht jedem anderen Werwolf verzeihen, aber doch niemals Derek. Er hat ihre Mutter gebissen, Stiles! Ihre Mutter!“ „Falls du es vergessen hast, er hat sie für dich gebissen! Vielleicht sollte ihr das mal jemand sagen!“ „Ich weiß. Das weiß ich doch. Aber ich…ich kann sie nicht verlieren, man. Nicht endgültig.“ „Scott, deine schlechten Prioritäten in allen Ehren – Alphas! Ein Rudel aus Alphas! Das ist gruselige Scheiße okay? Stell dir ein Rudel voller Peters vor, die hinter dir her sind und dann sag mir, dass dir das keine Angst macht!“ Scott rauft sich die Haare. „Ich bin nicht mal sicher, ob ich ihm das glaube! Das kann genauso gut eine seiner Stories sein, damit ich mich ihm unterordne. Das war doch von Anfang an sein Ziel!“ „Ich sag ja nicht, dass du ihm gleich deine Seele verkaufen solltest….“ „Ich dachte du bist auf meiner Seite!“ „Ich bin…?“ Getroffen schnappt Stiles nach Luft. „Natürlich bin ich auf deiner Seite, man! Was glaubst, was ich die letzten Wochen getan habe, außer dir den Rücken frei zu halten? Ich bin immer auf deiner Seite! Danke für das Vertrauen!“ „Dann sag doch nicht, dass ich seinem Lederjacken-Club beitreten soll!“ Scott macht eine angewiderte Geste in Stiles Richtung. „Und wieso… wieso trägst du überhaupt seine Jacke? Gott, du riechst nach ihm! Hast du dich schon entschieden? Ist es das? Willst du mich überreden beizutreten, nur damit du auch dazu gehörst?“ „Hast du sie noch…?“ „Wieso fragst du ihn nicht gleich nach dem Biss?!“ „Oh mein Gott!“ faucht Stiles. „Du bist unglaublich!“ Scotts Gesicht fällt, als er realisiert, dass er zu weit gegangen ist. „Stiles, warte. Das war nicht so gemeint…“ „Und wie es das war! Du… du haariger Werwolf-Arsch! Du kannst mich mal!“ Mit diesen Worten dreht Stiles sich um und rauscht hinaus zur Tür. Das Schlimme ist, dass es wirklich wehtut. Weil Stiles genau dasselbe auch schon gedacht hat. Sie sind immer zusammen uncool gewesen. Und das war okay. Zusammen uncool zu sein ist fast schon wieder cool. Aber seit der Nacht in der Scott gebissen wurde ist alles anders. Auf einmal ist er kein kleiner, schwacher Asthmatiker mehr, sondern der Teamcaptain, der auf Anhieb eins der hübschesten Mädchen der Schule abgekriegt hat. Ja, Stiles ist nicht blind. Allison ist wunderschön. Und Stiles ist plötzlich alleine uncool, er ist plötzlich der einzige, der keine Superwerwolfkräfte hat und der immer zurückbleiben muss, weil er sich nicht mal selbst verteidigen kann, geschweige denn irgendjemand anderen helfen. ‚Ich will ja helfen… aber ich kann das nicht tun, was du kannst.‘ Sein eigener Satz, vor wenigen Tagen, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, ausgesprochen. Seit dem hallt er ihm in den Ohren. Er kann nicht tun, was Scott kann. Er ist einfach nur… Stiles. Einfach nur ein Mensch. „Was war das denn?“ fragt Lydia, die wenige Meter entfernt auf ihn gewartet hat. „Nichts.“ Er schüttelt den Kopf. „Gar nichts. lass uns gehen.“ Ihre erdbeerblondes Haar schimmert in der Dunkelheit und sie läuft so dicht neben ihm her, dass er ihre Körperwärme spüren und ihr Parfüm riechen kann. Es ist alles, was er jemals wollte und sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hat und trotzdem ist es gleichzeitig viel mehr und viel weniger, was er dabei empfindet. Aber das ist ja genau das Problem. Das ist das, was mit allem nicht in Ordnung ist. Alles ist zu viel oder zu wenig, zu spät oder zu früh oder nicht früh genug. Alles ist gelogen und nichts ist echt und alles tut viel mehr weh. Stiles fühlt sich dünnhäutig und ausgezehrt, so als ob Peter, Matt und Gerard alle der Reihe nach etwas aus ihm herausgeschält, ihn Stück für Stück ausgehöhlt hätten, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Als ob jede Lüge, die er seinem Vater erzählt hat, wie ein Ziegelstein auf ihm liegt und ihn zu Boden drückt, so lange bis er darunter erstickt. Als hätte Lydia seine Gedanken gelesen, schiebt sie ihren Arme durch seinen und lehnt den Kopf an seine Schulter. „Du hast mir nie gesagt, was mit deinem Gesicht passiert ist“, sagt sie leise. Es ist erst wenige Tage her, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Er denkt an Gerard und an den Keller der Argents und an Erica und Boyd, die er dort das letzte Mal gesehen hat, bevor sie verschwunden sind. Wenn er daran denkt, kann er immer noch das Blut in seinem Mund schmecken. „Gerard.“ Er versucht mit den Schultern zu zucken, als ob es unwichtig sei, aber es gelingt ihm nicht. Es wird eine stolpernde, halbfertige Bewegung und Lydias Griff um seinen Arm wird fester. „Okay.“ „Es war nur… Es ist nicht so wichtig.“ Sie seufzt und obwohl es dunkel ist und er ihr Gesicht nicht sehen kann, weiß er, dass sie mit den Augen rollt. „Sei doch nicht dumm. Natürlich ist es wichtig.“ Er spürt, wie ein beinah unfreiwilliges Lächeln an seinen Mundwinkeln zerrt. Danach ist er still und sie bohrt nicht nach, aber er weiß, dass sie sich ihren Teil zusammenreimen kann. Sie schweigt, bis sie seinen Jeep erreicht haben. „Ist das die Rolle für Menschen in der Geschichte?“ fragt sie und wirft ihre Haare über die Schulter. „Wir sind Opfer und Köder, und die Werwölfe lassen uns nicht zu Wort kommen, wenn es brenzlig wird? Wenn ja sagst du es mir besser gleich, damit ich weiß, worauf ich mich einlasse.“ Er hält ihr die Tür auf und hilft ihr beim Einsteigen. „Ich hoffe nicht?“ Er hasst sich selbst dafür, dass er so unsicher klingt. Es ist nicht so, als ob er sich das nicht selbst so schon oft genug gefragt hätte. Ob er nichts weiter ist als ein nerviges, menschliches Anhängsel, das Scott hinterherläuft und immer zu spät kommt und nie etwas ausrichten kann. Lydia wartet, bis er eingestiegen ist und den Motor anlässt, bevor sie weiterredet. „Jackson wollte nicht, dass ich heute Abend dabei bin. Er wollte nicht einmal selbst hingehen.“ Stiles wirft ihr einen kurzen Blick zu, bevor er wieder auf die Straße sieht. Es gibt wenig Themen, über die er noch weniger reden möchte als über Lydias Beziehung mit Jackson. Oder Jackson generell. „Er möchte mich am liebsten in Watte packen, glaub ich“, fährt Lydia gnadenlos fort. Stiles fährt sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. Er schmeckt Blut und verzieht das Gesicht. „Du kannst ihm nicht verdenken, wenn er versucht seine Freundin…“ „Wir sind nicht wieder zusammen.“ „Was?“ Er schliddert auf der Fahrbahn und greift mit beiden Händen nach dem Lenkrad. Lydia dreht an einer rötlichen Haarsträhne und sieht ihn nicht an. Gedämpftes Straßenlaternenlicht taucht sie in schillernde Farben und tragische, blauschwarze Schatten. Sie sieht schön und müde aus und Stiles kann sich nicht entscheiden, ob er sie anstarren oder weggucken soll. „Nicht?“ fragt er vorsichtig. „Es gibt keine Beziehungsratschläge in der Cosmo für den Fall, dass dein Freund sich wie ein totaler Arsch verhält, sich in eine mordende Eidechse verwandelt, bevor er sich das Leben nimmt und dann durch dich wieder zum Leben erweckt wird!“ Ihre Stimme überschlägt sich bei den letzten Worten. Stiles starrt sie an. „Was?“ Es klingt trotzig. „Ich… ja. Ich kann sehen, dass das eine Versöhnung schwieriger macht, als ‚er ist fremdgegangen mit meinem Pudel‘ oder ‚mein Freund ist ein Vampir und er glitzert‘.“ Sie wirft ihm einen schiefen Blick zu. Er beißt sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid, ich… das war nicht…“ „Schon okay.“ Ihre Mundwinkel zucken. „Du bist grässlich.“ „Bin ich nicht! Zu deiner Information, ich bin großartig. Ich kann nichts dafür, dass eure Beziehung… seltsamer ist als von Frauenzeitschriften geplant.“ Und das ist dann wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie schnaubt. „Pah. Ausgerechnet du hast kein Recht mich zu verurteilen. Als ob deine Beziehung zu Derek weniger seltsam ist.“ „Meine… was?“ Stiles klappt den Mund auf und wieder zu, sekundenlang sprachlos. Wie kommt sie denn…? In welchem Zusammenhang steht das denn…? Wieso…? Was…? „Was?“ Herausfordernd hebt Lydia die Augenbrauen. „Nur zu deiner Information: Ihr zwei seid völlig bizarr. Er sieht dich immer so an, als ob er nicht weiß, ob er dich beißen oder fressen soll.“ „Beißen! In den Nacken! Ich meine…“ Sein Mund ist mal wieder schneller als sein Gehirn und die unglückliche Formulierung lässt ihn zusammenzucken, bevor er zu Ende gesprochen hat. „Nicht so", ergänzt er lahm. „Das mit der Jacke ist süß", stellt Lydia nachdenklich fest und tippt mit einem Zeigefinger gegen den Ärmel der Lederjacke. „Ein bisschen altmodisch, aber ich glaube, er ist ein Typ für sowas." „Was?“ So langsam fühlt Stiles sich wie im falschen Film. „Das ist nicht… das war ganz…" Stiles kommt nicht mehr dazu diesen Satz zu beenden. Etwas Großes rammt mit der Wucht eines Güterzuges seinen Wagen. Fortsetzung folgt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)