Die Wahrheit über Wölfe von Idris ([Stiles / Derek]) ================================================================================ Kapitel 12: K(l)eine Lügen unter Freunden ----------------------------------------- Vorwort: Sorry, dass es so lang gedauert hat. Mein Reallife ist gerade ... nicht toll. Ich entschuldige mich im voraus, dafür dass Stiles in diesem Kapitel so ein emotionaler Waschlappen ist und ich schwöre, er rafft sich am Ende zusammen. Außerdem hat das Kapitel Stilinski family feels, ganz viel Stydia-feels, (Allydia - sorry ich shippe Allison und Lydia so hard), sehr emotionales Skittles und am Ende sogar noch sehr emotionales Sterek. *gasp* Deswegen ist es auch so lange. ;) Das ist meine Ausrede. Die Feels. Aber es kommt tatsächlich auch ein bisschen Handlung in Schwung - juhuuu! Viel Spaß? „Ich hab mit der Werkstatt telefoniert“, sagt sein Vater beim Frühstück. „Sie sind fast fertig mit der Reparatur und es ist möglich, dass sie den Jeep heute oder morgen vorbei bringen.“ „Wirklich?“ fragt Stiles hoffnungsvoll, während er mit einer Hand nach der Milch angelt und mit der anderen den gebratenen Speck aus Reichweite seines Vaters zieht. „Vergiss es!“ sagt er streng. Das Thema Cholesterinwerte steht bei dem halbjährlichen Check-up seines Vaters wieder an, und das ist ein Thema bei dem Stiles nicht mit sich spaßen lässt. „Weißt du, was die häufigste Todesursache von Polizisten ist? Es sind nicht Schussverletzungen, wenn es dich interessiert, sondern Herzinfarkte!“ Und das geht nicht, okay? Das geht nicht. Sein Dad muss mindestens 100 Jahre alt werden, alles andere wird Stiles nicht akzeptieren. Sein Vater seufzt und sieht dem davon wandernden Speck wehmütig hinterher. „Ich bin ziemlich ausgehungert“, erwidert er. „Das kommt davon, wenn man die ganze Nacht wach liegt und sich Sorgen macht…“ „Emotionale Erpressung. Netter Versuch, Dad.“ Stiles kippt Milch über seine Cornflakes bis die bunten Stücke (bestehend aus 100% Farbstoff und Zucker) komplett in der weißen Flüssigkeit untergangen sind. Seine Stimme ist immer noch ein wenig heiser und die Fingerabdrücke um seinen Hals schillern in dunklen Rot und Blautönen, die ihn aussehen lassen wie durch die Mangel gedreht. Auch ohne aufzusehen, spürt er, wie der Blick seines Vaters darauf ruht. „Wenn du heute nochmal aussetzen möchtest…“, beginnt sein Dad. „Nein“, sagt Stiles rasch. Er schüttelt eilig den Kopf. „Nein. Ich bin okay.“ Er kann sich auch gerade nichts schlimmeres vorstellen, als alleine mit seinen Gedanken hier zu sitzen und die Wand anzustarren. „Falls du deine Meinung änderst“, sagt sein Vater ungewohnt behutsam. „Ruf mich an und ich hole dich ab, okay? Jederzeit.“ Stiles verzieht die Lippen zu dem kläglichen Versuch eines Lächelns. „Ermutigt das Gesetz mich gerade zum Schule schwänzen? Ich bin schockiert.“ „Definiere schwänzen“, erwidert sein Dad. Überrascht lässt Stiles den Löffel mit matschigen Cornflakes wieder sinken. Er landet mit einem leisen Platschen in der sich langsam rosa färbenden Milch. „Ist das eine Fangfrage? Schwänzen bedeutet… nicht in der Schule sein? Obwohl man nichts hat?“ Sein Vater hebt schweigend die Augenbrauen. „Oh“, sagt Stiles. „Okay.“ Zugegeben ‚nichts‘ ist ein bisschen übertrieben. Stiles hat eine ganze Menge. Einen besten Freund, der böse auf ihn ist oder auf den er böse ist, das weiß er schon gar nicht mehr genau, er hat eine Nahtoderfahrung hinter sich, ein ernsthaft angeknackstes Herz, drei Nächte Schlafmangel, und außerdem hat er eine Horde mordlüsterner Alphas an der Backe. Das ist keine Grippe, aber vermutlich zählt das auch irgendwie. „Ich melde mich, wenn irgendwas ist“, verspricht er. „Gut“, sagt sein Vater nachdrücklich. Und etwas sanfter: „Ich mach mir Sorgen um dich.“ Und Stiles wünscht sich, dass es irgendetwas gäbe, was er darauf erwidern könnte, irgendetwas, dass seinem Vater klar macht, dass es wirklich absolut gar keinen Grund gibt, weil Stiles alles im Griff hat. Vielleicht nicht jetzt und in diesem Moment, aber es wird passieren. Er wird aufwachen und der Ausdruck auf Dereks Gesicht wird zu einer vagen Erinnerung verblasst sein und der Gedanke, dass er jeden Moment sterben könnte, wird in seinen Hinterkopf gewandert sein wie der Nachhall eines schlechten Traums. Ein nachdrückliches Hupen unterbricht ihren Moment. „Das… das ist Lydia“, sagt Stiles und springt auf. „Ich muss los. Hab dich lieb, Dad.“ Es ist eine reflexartige Abschiedsfloskel, und mit einer Antwort hat er fast nicht gerechnet. „Ich dich auch.“ Das warme Gefühl, dass diese Worte in seiner Magengegend hinterlassen, breitet sich aus wie ein Sonnenaufgang. Wenigstens irgendwas in der Welt ist wieder an die richtige Stelle gerutscht, seit er und sein Vater sich wieder versöhnt haben. Lydia schicker, kleiner Sportwagen steht tatsächlich vor seinem Haus. Sie ist damit beschäftigt ihren Lidschatten im Rückspiegel zu bearbeiten und wendet den Kopf, als er endlich die Stufen herunter gesprintet kommt und sich unzeremoniell auf ihren Beifahrersitz plumpsen lässt. „Du bist spät“, stellt sie fest. Und dann: „Was ist mit deinem Hals passiert?“ „Nichts.“ Eilig zerrt Stiles den Reisverschluss seines Kapuzenpullovers bis ganz nach oben, so dass wenigstens das Schlimmste der Abdrücke irgendwie verdeckt ist. „Unangenehme Begegnung mit feindlich gesinnten Werwölfen. Ich erzähl‘s dir auf dem Weg.“ „Kann man dich keine fünf Stunden aus den Augen lassen, ohne dass dir was passiert?“ Sie furcht die Augenbrauen. „Bist du okay?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich lebe noch?“ Sie verdreht die Augen, als ob sie gar nicht fassen kann dass sie jetzt mit sowas befreundet ist. Stiles kann es ihr nicht verdenken. Aber sie hat Kaffee dabei und drückt ihm kommentarlos einen Pappbecher in die Hand, während sie den Motor startet. „Oh Gott sei Dank. Ich liebe dich“, seufzt Stiles. Er schlingt beide Hände um den warmen Becher und sinkt in weichen Lederbezug, der sich an seinen Rücken anschmiegt, als sei er speziell für ihn geformt worden. Lydias Luxusschlitten ist der Beste. „Ich weiß.“ Sie hat immer noch eine kleine, steile Zornesfalte auf der Stirn, aber sie sieht ruhiger aus als gestern Abend, eher nachdenklich als mordlüstern. „Ich habe nachgedacht“, sagt sie. Stiles nickt um zu signalisieren, dass er aufmerksam zuhört. „Keine Geheimnisse“, verkündet sie ohne Vorrede und Stiles nickt erneut, ein wenig überrumpelt von ihrer Entschlossenheit. „ Nicht zwischen uns beiden. Ich meine es ernst. Ich kann sonst nicht…“ Sie atmet tief durch. „Ich kann sonst nicht mit dir zusammen arbeiten.“ „Ja klar?“ sagt er überrascht. „Sag nicht ‚ja klar‘, wenn du die letzten drei Monate nichts anderes gemacht hat als mich im Dunkeln tappen zu lassen“, sagt sie scharf. „Entschuldige“, murmelt er kleinlaut. „Ich verzeihe dir“, sagt sie großzügig. „Solange du es nie wieder tust.“ Er blickt auf ihr entschlossen emporgerecktes Kinn und ihre zusammen gepressten Lippen. „Nie wieder. Ich versprech es.“ „Gut.“ Sie nickt entschlossen. „Diese Vollpfosten verdienen unsere Hilfe nicht, aber es ist ja offensichtlich, dass sie sie bitter nötig haben. Deswegen habe ich beschlossen, dass sie sie trotzdem kriegen. Aber das geht nur dann, wenn wenigstens wir uns vertrauen können. Sonst können wir es auch gleich sein lassen und darauf warten, bis alles den Bach runtergeht.“ „Ja.“ Lydia atmet aus. „Okay, dann solltest du wissen, dass Allison und ich uns treffen.“ „Ja, das dachte ich mir.“ „Ich weiß, ihr wart alle böse auf sie, aber sie ist meine beste Freundin und ich werde nicht…“ „Ich weiß“, sagt er leise. „Das weiß ich doch.“ Lydia nickt. „Wir haben ein paar Waffen gebunkert“, haut sie völlig unvermittelt raus. „Äh…was?“ stammelt Stiles, der mit allem gerechnet hat, aber irgendwie nicht damit. „Da braut sich was zusammen, da sind wir uns doch einig, oder? Und die Wölfe wollen offenbar, dass wir am Rand sitzen und tatenlos dabei zusehen.“ „Ja, aber … sie hat doch gesagt… hat ihr Dad nicht…?“ „Ihr Vater hat fast alle ihre Sachen konfisziert, aber sie hat ein bisschen was von ihrer Tante geerbt. Es ist nicht gegen die Werwölfe, weißt du, oder gegen irgendjemanden per se, es ist für uns. Wir müssen uns ja auch irgendwie wehren können.“ Für uns, denkt Stiles. Für die Menschen. „Team Mensch“, sagt er laut, was ihm ein Augenrollen einbringt. „Wow, das ist so hardcore, ich weiß gar nicht was ich sagen soll.“ Um ehrlich zu sein ist er ein bisschen beeindruckt. Während er Fingernägel kauend in seinem Zimmer auf und ab getigert ist und Pläne mit Derek geschmiedet hat, wie sie sein Rudel zu einer Familie zusammenschweißen, haben die Mädels sich hingesetzt und Waffen gebunkert. Und da sag noch einer Männer seien das praktische Geschlecht. „Wow“, sagt er nochmal. Lydia schnaubt. Ihr Blick ist liebevoll. „Das war nur im Rahmen absoluter Ehrlichkeit zwischen uns“, fügt sie hinzu. „Keine Geheimnisse bei ‚Team Mensch‘ mehr, klar?“ Stiles kann die Gänsefüßchen so deutlich hören, als ob sie sie mit ausgesprochen hätte. „Keine Geheimnisse“, sagt er leise. Stiles nippt an seinem Kaffee und sieht dabei zu, wie vor seinem Fenster Bäume und Häuser vorbeirauschen. Lydia ist eine gute Fahrerin, sicher und geschmeidig, wenn auch ein wenig zu schnell, und sie neigt dazu die Ecken zu schneiden. „Lyds“, sagt er, als sie nur noch zwei Straßen von der Schule entfernt sind. „Ich muss dir auch was sagen.“ „Dass du in der siebten Klasse mit Jackson rumgeknutscht hast und er sich nicht mehr daran erinnern kann, weil er zu betrunken war? Das weiß ich längst.“ Er verschluckt sich an seinem Kaffee. „Oh…mein Gott. Nein. Nein! Lydia!“ Sie wirft ihm einen schrägen Blick von der Seite zu. Ihre Hände umklammern das Lenkrad. Es sind kleine, zarte Hände mit zierlichen Fingern und ihre Knöchel treten weiß hervor, als ob sie weiß, was gleich kommt und sich wünscht, dass es nur eine Knutscherei mit Jackson gewesen wäre. „Was?“ Stiles nimmt einen großen Schluck Kaffee und starrt aus dem Fenster, damit er ihrem Blick ausweichen kann. Er hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack am Ende seiner Zunge. Aber sie hat gesagt ‚keine Geheimnisse‘. ‚Nicht zwischen uns beiden.‘ ‚Ich bin vielleicht in Derek Hale verliebt‘, liegt auf seiner Zunge, bereit es auszusprechen. ‚Ich weiß nicht, wann es passiert ist und ich wünschte, es wäre nicht so.‘ Aber das ist nicht das, was er sagt. Einfach nur, weil es sowieso keine Rolle spielt. Weil nie etwas dabei herauskommen wird und weil es am besten ist, wenn Stiles diesen albernen Gedanken und die ganze Herde an Gefühlen, die mit ihm einhergehen in die hinterste Ecke seines Bewusstseins verbannt und nie wieder darüber nachdenkt. Es laut auszusprechen, würde es nur noch demütigender und realer machen. Er will kein Mitleid von Lydia Martin. „Ich habe mit Peter gesprochen“, sagt er stattdessen. Denn wenn es eine Sache gibt, die er Lydia schuldig ist, dann ist es darüber ehrlich zu sein Der Wagen schlingert kurz als ihr Fuß vom Gaspedal rutscht, aber sie gibt keinen einzigen Ton von sich. „Das stimmt nicht ganz. Eigentlich hat er mit mir gesprochen.“ Er atmet ein. An seinem Handgelenk spürt er ein Kribbeln wie tausend kleine Ameisen die unter seine Haut kriechen, wie immer wenn er Peters Namen erwähnt. „Er sagt, er weiß, warum die Alphas hier sind. Er sagt… er will Derek helfen.“ Lydias Wagen gleitet mit der Eleganz eines sich zusammenfaltenden Schwanes in die letzte freie Parklücke direkt vorm Eingang. Sie dreht den Schlüssel um, ohne ihn aus dem Schloss zu nehmen und der Motor erstirbt mit einem leisen Seufzen. Sie lässt ihre Hand in den Schoß sinken. „Mit wem hast du darüber gesprochen?“ Sie klingt sehr gefasst. „Mit niemandem.“ „Nicht einmal…?“ „Scott? Nein.“ Sekundenlang ist Lydia still. „Ich meinte Derek“, sagt sie. Natürlich meinte sie Derek. Stiles, der versucht seinen Namen zwanghaft zu vermeiden, starrt auf seine Hände. „Nein.“ „Es tut mir leid“, rutscht ihm schließlich heraus, als sie nach zwei Minuten angespannter Stille immer noch keinen Ton gesagt hat. „Bitte sei nicht böse. Lydia?“ Sie atmet langsam ein und wieder aus. „Ich bin nicht böse.“ Sie verzieht das Gesicht. „Angewidert vielleicht. Aber nicht böse.“ „Okay.“ Sie betrachtet ihre Fingernägel. „Er hat mir eine Karte geschickt. Mit der Adresse seiner dämlichen Stadtwohnung. Schon zweimal. Als ob er Partyeinladungen verschickt.“ „Das… das wusste ich nicht“, sagt er betroffen. Sie schnaubt abfällig. „Und du hast das Gefühl, es lohnt sich, ihm zu zuhören?“ Stiles nimmt sich einen Augenblick Zeit, um darüber nachzudenken, bevor er es beantwortet. So viel Respekt hat Lydia verdient. „Ich weiß es nicht“, sagt er ehrlich. „Denkst du, wir sollten mit ihm zusammen arbeiten? Vertraust du ihm?“ „Nicht unbedingt mit meinem Leben“, sagt er, und es fühlt sich an wie ein Stich in seiner Brust, weil er plötzlich Dereks Stimme in seinem Kopf hört. „Aber ich glaube dass es aktuell auch in seinem Interesse liegt die Alphas los zu werden, und dass wir, wenigstens so lange wir den selben Feind haben, mit ihm zusammen arbeiten können.“ Lydia nickt langsam. „Okay“, sagt sie schließlich. „Okay. Gut. Nicht gut – aber ja.“ Stiles greift nach ihrer Hand. „Egal, was passiert, du wirst nie mit ihm alleine sein“, verspricht er leise. „Du wirst nie mit ihm reden müssen. Du kannst ihn vollkommen ignorieren.“ Wortlos verschränkt sie ihre Finger mit seinen. „Sollte er auch nur in meine Richtung gucken, werde ich ihn kastrieren. Mit einer Gabel.“ Stiles zuckt unwillkürlich zusammen bei der Vorstellung, weil autsch. „Oder das“, sagt er rasch. „Du kannst ihn ignorieren. Oder kastrieren. Es ist ganz und gar deine Entscheidung. Ich unterstütze dich hundertprozentig, das weißt du.“ Ihre Mundwinkel zucken. „Gut.“ - Schule ist… seltsam. Besonders nach dem er ohnehin schon drei Tage gefehlt hat. Allison steht am Eingang und wartet, die Hände in den Taschen ihrer Lederjacke vergraben. Darunter trägt sie ein Blümchenkleid und sieht aus wie eine einzige Studie in Kontrasten. Ihr Anblick erinnert Stiles an letzte Nacht, an ihre warme Hand in seiner, und vielleicht muss sie auch daran denken, denn sie schenkt ihm ein winziges Lächeln. Allison hat eine Art an sich mitfühlend zu sein, die sacht und unaufdringlich ist und die einen nicht erschlägt. Wie ein leises Angebot, dass sie jederzeit bereit ist die Schlagstöcke für dich auszupacken, aber wenn du lieber nicht darüber reden willst, ist das auch okay. Stiles mag das an ihr. Sie und Lydia umarmen sich, kurz und heftig wie zwei Menschen, die ertrinken und sich aneinander klammern wie Rettungsanker. Sie glucken zusammen in den ersten zwei Stunden, ihr winziges Trüppchen aus Menschen unter Wölfen und Jägern, und Stiles sitzt neben ihnen während Lydia und Allison sich flüsternd auf den neusten Stand bringen. Aus den Augenwinkeln sieht er Jackson, der versucht unauffällig um Lydia herum zu pirschen ohne ihr dabei zu nahe zu kommen. Lydia ignoriert ihn. Stiles kann es ihr nicht verdenken. In der ersten Pause sieht er die anderen. Die Wölfe. Isaac und Scott stehen nebeneinander am anderen Ende des Ganges, die Köpfe zusammen gesteckt und reden leise miteinander. Sogar aus der Entfernung sehen beide sehen blass und mitgenommen aus, als ob sie nicht viel geschlafen haben. Scotts dunkler Schopf hebt sich, als ob er Stiles Blick auf sich spürt, wie ein tiefsitzender, eingebauter Instinkt. Abrupt wendet Stiles sich ab und biegt in den Gang wo sein Spind ist. „Hey“, sagt jemand so leise, dass Stiles es in dem Lärm kaum hört. Als er sich umdreht, steht Erica hinter ihm. Sie sieht besser aus als letzte Nacht. Aber vielleicht ist es auch nur das die dicke Schicht Make-up, die sie aufgetragen hat wie Kriegsbemalung. Sie trägt einen kurzen Rock und ihre langen, blonden Haare fallen offen über ihre Schultern. „Catwoman“, sagt er leise und nickt ihr zu. Sie sieht ein bisschen traurig aus. „Batman.“ „Du… du siehst gut aus“, sagt er und macht eine vage Handbewegung an ihr entlang. Sie entblößt die Zähne zu einem winzigen Lächeln. „Ich weiß.“ Stiles macht einen automatischen Schritt in ihre Richtung und bleibt abrupt stehen, als sie zurückweicht. Zwischen ihnen sind fünf Schritte Abstand. Der metaphorische Stacheldrahtzaun. Keine Menschen im Rudel. Eine Hand greift nach ihrem Arm. „Erica, komm schon.“ Es ist Isaac. Er wirft Stiles einen zögernden Blick zu, bevor er ebenfalls in seine Richtung nickt. Stiles nickt nicht zurück, weil er kleinlich und eifersüchtig ist, und weil Isaac eine bester-Freund-stehlende Dooftorte ist, der jetzt neben Scott stehen und ihm verschwörerisch ins Ohr flüstern darf, während Stiles aus zwanzig Meter Entfernung dabei zusehen muss. Das ist sein Platz, okay? Er ist der einzige, der neben Scott stehen und ihm verschwörerisch ins Ohr flüstern darf. Vielleicht noch Allison. Wortlos blickt er ihnen nach, als sie den Gang verschwinden. Wow, denkt er, selbst davon überrascht wie sehr ihm das zu schaffen macht. Das ist beschissen. Geschichte ist der Kurs, der ihm Bauchschmerzen verursacht. Denn Geschichte eine Kurs, in dem weder Allison noch Lydia sind, noch irgendeiner der anderen Wölfe, sondern nur er und Scott. Sein dunkler Schopf schnellt nach oben, sobald Stiles den Raum betritt. Unter normalen Umständen würde Stiles jetzt sofort zu ihm laufen, seinen Rucksack unter den Tisch pfeffern und sich unzeremoniell auf den freien Platz neben ihn fallen lassen. Und möglicherweise würde er den Kopf auf seine Schulter sinken lassen. Dann würde Scott wissen, dass etwas nicht okay ist und ihn so lange nerven, bis Stiles ihm sagt, dass er es nicht sagen kann. Und dann würde Scott ihm nette, alberne Sachen in sein Geschichtsheft schreiben nur um ihn aufzuheitern. Aber das sind keine normalen Umstände. Das ist Krieg. Oder sowas in der Art. Stiles läuft ohne Blickkontakt aufzunehmen und ganz zielstrebig zu einem Platz zwei Reihen vor Scott, die Schultern so hoch gezogen wie möglich, in der vagen Hoffnung, dass seine demolierte Kehle dann nicht ganz so sichtbar ist. Scott gibt einen Laut von sich, als ob er etwas sagen möchte und es gleich wieder runtergeschluckt hat. Jap, denkt Stiles mit bitterer Befriedigung, das hast du dir selbst eingebrockt. Nur, dass es nicht wirklich befriedigend ist. Es ist rein gar nicht befriedigend. Der Unterricht beginnt. Er spürt Scotts Blick auf seinem Hinterkopf. Sein Herz pocht. Stiles starrt seine Lehrerin an, ohne auch nur ein Wort von dem mitzubekommen, was sie sagt. Er spürt Scotts Anwesenheit wie eine Faust im Magen. Das ist nicht das einzige. Vor seinem inneren Auge blitzt immer wieder Dereks Gesicht auf. Er versucht es zu ignorieren, aber jetzt wo er hier still sitzen muss und nicht Allison und Lydia um sich hat, die ihn ablenken, gelingt es ihm nicht mehr. Er sieht Dereks Gesicht nach dem Kuss. Großaufnahme. Seine Augen. Das sprachlose Entsetzen. Das Gefühl in seinem Magen, als ob der Boden unter ihm sich auflöst. Der schreckliche, unendlich lange Moment als Stiles versteht, dass er einen Fehler begangen hat. Stiles würde sich unendlich gedemütigt fühlen, wenn nicht alles so schrecklich wehtun würde. Er fühlt sich, als sei er kurz vorm Ersticken. Er weiß inzwischen nicht einmal mehr, wem er etwas damit beweisen will, dass er hier sitzt und so tut als sei ihm das alles nichts ausmacht. „Mr. Stilinski…?“ Stiles steht so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihm schabend über den zurückrutscht. „Darf ich auf die Toilette?“ stößt er hervor. Miss Campbell starrt ihn überrascht an. „Geht es dir nicht gut?“ fragte sie, und wenn Stiles so blass und elend aussieht, wie er sich gerade fühlt, kann er es ihr nicht einmal verübeln. „Bitte.“ „Ja, in Ordnung, du kannst…“ Er wartet nicht ab, bis sie zu Ende gesprochen hat, bevor er zur Tür schießt. Aus den Augenwinkeln sieht er wie Scott aufspringt, aber er ist schneller. Er stolpert nach draußen. Seine Schritte hallen auf dem Linoleumboden. Er rennt. Er rettet sich in die Jungentoilette, die zu diesem Zeitpunkt vollständig verlassen ist, weil alle brav in ihren Klassen sitzen. Schweratmend schließt er sich in der letzten Kabine ein. Er klappt den Klodeckel runter und lässt sich darauf nieder. Er zieht die Beine an und presst das Gesicht an die Knie. Gott. Er ist so wütend auf sich selbst. Warum ist er nur so ein feiger, kleiner Schwächling. Eine Sekunde lang wünscht er sich, so endlos großartig und kriegerisch zu sein wie Allison. Allison, die niemals aufgibt sondern die immer wieder aufsteht und die lieber Leute verprügelt als es einfach hinzunehmen. Oder Lydia. Lydia, die ihre Tränen wegwischt und entschlossen ihren Lippenstift nachzieht und ihre Haare zurückwirft, egal was man ihr angetan hat und die lieber sterben würde, als schwach zu sein. Oder Erica, die Kriegsbemalung auflegt und sich ihren kürzesten Rock anzieht und der ganzen Welt den Mittelfinger zeigt. Und dann ist da Stiles. Stiles, der sich in der Jungentoilette einschließt und kurz davor steht in Tränen auszubrechen, als ob er in den letzten zwanzig Stunden seines Lebens nicht schon genug geheult hätte. Wieso kann er sich nicht zusammenreißen und ein Mädchen sein, denkt er, wütend auf sich selbst. „Stiles?“ Die Tür zur Jungentoilette wird aufgestoßen. Schritte hallen auf dem gekachelten Boden. „Stiles, bist du da?“ Zielstrebig laufen die Schritte auf die einzig verschlossene Kabine zu. „Stiles?“ Stiles presst die Lippen zusammen. „Stiles…?“ wiederholt Scott zögernd. „Ich dachte wir reden nicht mehr miteinander!“ platzt es aus ihm heraus. Einen endlos langen Moment ist es still auf der anderen Seite der Tür. Stiles lauscht angespannt, und er wünscht sich, er wäre ein Werwolf, der Scotts Herzschlag hören könnte und daraus irgendeine Antwort ziehen könnte. Scott atmet leise aus. „Du riechst so traurig“, sagt er schließlich, als ob das eine Erklärung für... irgendwas wäre. „Was ist passiert?“ Stiles wischt sich ruppig über die Augen. „Ich weiß nicht, wie das sein kann, wo mein Leben doch ein einziger Ponyhof ist“, gibt er zurück. Seine Stimme klingt belegt. Sarkasmus ist seine einzige Verteidigung. Er hat sonst nichts mehr entgegen zu setzen. „Stiles. Du riechst... verletzt“, sagt Scott. Er klingt gequält, als ob das wirklich die eine Sache ist, die er nicht aushalten kann. „Bitte, lass mich... ich will nur...“ Stiles zögert. Scott seufzt, und Stiles hört an dem dumpfen Geräusch, dass er sich mit der Stirn gegen die Tür hat sinken lassen. „Derek war letzte Nacht bei mir“, sagt er stockend. „Wir... wir haben geredet. Es war okay?“ Überrascht hebt Stiles den Kopf. Dereks Name verursacht ein dumpfes Stechen in seinem Brustkorb, das sich anfühlt wie die Vorboten eines Herzinfarkts. „Wirklich?“ „Ja. Er war... nett?“ Scott klingt zögernd. „Ich hab mich entschuldigt? Wegen Gerard? Er hat sich entschuldigt, weil er uns alle umbringen wollte?“ „Alter.“ Ein überraschtes Lachen platzt aus Stiles heraus. „Was war das? Die therapeutische Werwolf-Gesprächsrunde um Mitternacht? Gab es Abschiedsumarmungen und wurden Freundschaftsarmbänder ausgetauscht?“ „…es wurde sehr männlich gekuschelt?“ Er schnaubt. „Das glaube ich sofort.“ Langsam schiebt er die Beine von dem Klodeckel auf dem er hockt und öffnet die Tür. Sie schwingt langsam auf und enthüllt 1,78m besorgten besten Freund. Scotts Augen sind groß und hoffnungsvoll. „Bitte sei nicht böse auf mich auf mich“, sagt er sofort, so schnell, als ob er es herausbringen muss, bevor Stiles die Chance hat, die Tür wieder zu zumachen. „Du bist mein bester Freund und wenn du böse auf mich bist, fühle ich mich als ob die Welt untergeht. Und mir ist es lieber wenn du mich wieder fesselst oder mit Lacrossebällen bewirfst und... woah. Stiles!.“ Zielsicher zoomt sein Blick auf Stiles misshandelte Kehle. „Schon okay. Du hattest mich schon bei ‚sei nicht böse'“, sagt Stiles. „Ich... ich bin nicht böse. Ich kann dir und deinen dusseligen braunen Hundeaugen sowieso nicht widerstehen.“ Scott schnappt nach Luft. „Derek hat gesagt, du bist nicht verletzt!“ Perplex fährt Stiles zurück. „Ihr habt über mich geredet? Wieso?“ „Lass mich sehen.“ „Was hat er gesagt? Oh mein Gott!“ „Stiles!“ Stiles verdreht die Augen und lässt zu, dass Scott den Reisverschluss seines Pullovers nach unten zieht. „Stiles..“, sagt er leise. „Ich merks schon gar nicht mehr. Kommen wir zurück zu der Tatsache, dass du und Derek über mich geredet habt?!“ Sein Herz macht seltsame Dinge in seine Brust. Wieso hat Derek über ihn geredet? Was hat er gesagt? „Was ist passiert?“ drängt Scott, der offensichtlich andere Prioritäten hat. „Barbie Wolf. Ich hab ihr wohl zu viel gelabert. Das soll vorkommen. Unbegreiflicherweise. Was hat er gesagt?“ „Tut es weh?“ „Nur wenn ich atme. Scott!“ „Stiles...“ Scott hat die Stirn in unglückliche Falten gelegt. Zögernd hebt er eine Hand. „Deaton hat mir gezeigt... es gibt da dieses Ding...“ „Schmerzen raus saugen?“ „Ja, woher wei-...? Oh.“ Scott hebt die Augenbrauen. Sein Blick ist ungläubig. „Derek? Ernsthaft? Du hast dir von Derek die Schmerzen raus saugen lassen? Von Derek?“ Stiles zuckt mit den Schultern und weicht seinem Blick aus. Im Nachhinein findet er das auch seltsam intim. Das ganze… anfassen. Und Schmerzen heraussaugen. Und Dereks Hände auf seinem Gesicht. „Was geht mit euch beiden ab in letzter Zeit?“ fragt Scott perplex. „Nichts...“ Scott streckt fragend die Hand nach ihm aus. „Soll ich...?“ „Nein!“ sagt Stiles abrupt und zieht den Kopf zurück. Er ist heute sowieso schon verdammt nah am Wasser gebaut. Wenn Scott ihm jetzt die Schmerzen raus saugt, wird ihn der Überschuss an Endorphinen nur noch emotionaler machen und außerdem ... Außerdem ist da immer noch Dereks warmer Handabdruck auf seinem Gesicht, eingebrannt für die Ewigkeiten. Eine Erinnerung an einen Moment, an dem Stiles wirklich gedacht hat, dass Derek... vielleicht... möglicherweise… Er schüttelt den Kopf und schluckt. „Bitte nicht. Kein Werwolf-Mumbo Jumbo. Nicht... jetzt gerade.“ Geknickt lässt Scott die Hand sinken. „Okay.“ „Alter. Du bist mein bester Freund“, sagt Stiles. „Du brauchst doch kein Werwolf Mumbo Jumbo, damit es mir besser geht. Das hast du noch nie gebraucht.“ Es dauert einen Augenblick bis Scott begreift. Wortlos legt er die Arme um ihn und zieht ihn zu sich. „Das widerspricht der Abmachung“, murmelt Stiles und vergräbt gleichzeitig das Gesicht an seiner Halsbeuge. „Ja.“ „Ich bin dir nicht böse.“ Scott seufzt und fährt ihm mit dem Daumen über das Schulterblatt. „Das solltest du aber sein.“ Stiles runzelt die Stirn. „Was? Wieso?“ Scott ist einen Moment lang still. Stiles hat die Hände in seinem Pullover vergraben und er wird hin und her gewiegt wie ein Baby. Niemand kann so toll umarmen wie Scott. Man kann sich in seine Umarmungen hinein sinken lassen wie in ein Federkissen, und es ist jedes Mal als ob er sich vollständig und mit ganzem Körpereinsatz um Stiles herumwickelt, wie eine Kuscheldecke. Glorreiche Sekunden lang ist alles gut. Derek hat ihm nicht das Herz gebrochen. Es müssen nicht alle sterben. Alles wird wieder gut. „Können wir reden?“, fragt Scott leise. „Tun wir das nicht gerade?“ Scott lacht. Es vibriert sacht an seinem Hals. „Nein, ich meine in Ruhe. Nicht hier.“ Er seufzt schwer und löst sich unwillig von Stiles. Er legt den Kopf schief und lauscht einen Moment. „Lydia sucht nach dir“, sagt er dann. „Sie macht sich Sorgen, weil du nicht da bist, wo du sein sollst. Und ich glaube, wenn ich nicht bald in der Cafeteria auftauche, werden Jackson und Erica sich jeden Moment an die Gurgel gehen.“ „Treffen wir uns nach der Schule?“ fragt Stiles. „Wegen mir kann ich danach auch duschen und mich mit dem Aftershave meines Dads imprägnieren, damit der Geruch weg ist.“ Scott nickt. Er sieht nachdenklich aus. „Ich… ich nehm dich auf dem Motorrad mit, okay? Warte auf dem Parkplatz auf mich, ich hab Kunst in der letzten Stunde. Und dann reden wir. Ich… ich muss dir was sagen.“ „Was?“ „Ich glaub, ich hab was Dummes gemacht…“ Stiles runzelt die Stirn. „Scott? Was? Du beunruhigst mich gerade.“ Er kaut schuldbewusst auf seiner Unterlippe. „Ich dachte, es sei das Richtige. Aber jetzt bin ich nicht mehr sicher…“ „Hey. Hey! Ich bin derjenige, der dich dazu überredet dumme Sachen zu tun – du bist der Vernünftige von uns beiden. Du darfst nichts Dummes tun ohne mich.“ Ein winziges Lächeln zerrt an Scotts Mundwinkel. „Nachher, ja?“ „Pfadfinderehrenwort?“ „Pfadfinderehrenwort.“ Mit diesen Worten verschwindet Scott aus der Jungentoilette. - Stiles steht draußen auf dem Parkplatz und wartet. Lydia hat sich verabschiedet, bevor sie mit Allison zusammen weggefahren ist. Vermutlich für eine geheime Trainingseinheit mit illegal versteckten Waffen. Isaac und Erica sind nach ihnen verschwunden. Sie haben einen weiten Bogen um ihn gemacht, aber er hat ihre Blicke auf sich gespürt, auch ohne den Kopf zu heben. Und jetzt wartet er. Der Himmel über ihm ist grau und bewölkt, wie ein Sturm, der sich zusammenzieht. Die letzten Schüler laufen in kleinen Grüppchen über den Schulhof, tuschelnd und lachend; vereinzelt kommen Lehrer an ihm vorbei, die zu ihren Autos eilen. Der Parkplatz leert sich. Scotts Motorrad steht verlassen direkt am Eingang. Aber keine Spur von Scott. Wind zieht auf und der Himmel über ihm wird immer dunkler. Stiles schlingt die Arme um sich. Er fröstelt. Ein ungutes Gefühl breitet sich in ihm aus. Es ist so untypisch für Scott zu spät zu kommen. Dafür dass er in vielerlei Hinsicht so ein Schussel ist, ist er überraschenderweise fast immer pünktlich (Stiles ist derjenige, der sich nicht von seinem PC lösen kann und an drei von fünf Schultagen verpennt). Es fängt an zu regnen. Stiles läuft zurück zum Eingang, um sich unterzustellen. Ein paar Mädchen laufen an ihm vorbei, als er die Tür aufstößt. Er durchquert die sich leerende Gänge und sprintet die Treppen hoch, in den dritten Stock. Die Tür des Kunstzimmers steht noch halb offen und er stolpert beinah in seiner Hektik hineinzugelangen. „Scott? Scott!“ Suchend blickt er sich um, aber das Zimmer ist leer. Haben sie sich verpasst? Das kann nicht sein. Scott kann ihn nicht verpassen. Scott kann ihn doch hören oder riechen, oder was auch immer Werwölfe machen, um jemanden zu finden. Er läuft zurück auf den Gang. Immer wieder springt er auf die Zehenspitzen und versucht über die verbleibenden Köpfe hinweg zu spähen. Er hält Ausschau nach wuscheligen, dunklen Haaren und einem karierten Hemd, zuerst vage irritiert und dann zunehmend beunruhigter. Er erkennt ein vage vertrautes Gesicht auf dem Flur. „Haley!“ Ruckartig packt er nach ihrem Arm, so dass sie gezwungen ist stehen zu bleiben. „Hey. Haley! Hast du Scott gesehen?“ Irritiert hebt sie die Augenbrauen. „McCall? Nein.“ „Hattet ihr nicht gerade Kunst zusammen?“ fragt er verzweifelt. „Kann sein.“ Sie zuckt mit den Schultern und entzieht sich energisch seinem Griff. „Er war jedenfalls nicht da.“ Nicht da. Blut rauscht in seinen Ohren. Wortlos läuft er an ihr vorbei den Gang entlang. Die letzten Meter verfällt er in einen Sprint. Nicht da? Wieso war Scott nicht da?! Im Kopf geht er Scotts Stundenplan durch. Vor Kunst hatte Scott eine Freistunde. Wenn Scott seine Ruhe haben will um nachzudenken, gibt es nur einen Ort wo er sich regelmäßig hin verkriecht und das ist die Jungenumkleidekabine. Vielleicht ist er noch da. Vielleicht hat er einfach nur vergessen, dass er Kunst hatte. Vielleicht hat er geschwänzt. Vielleicht hat er Musik gehört und ist dabei eingeschlafen. Vielleicht… Vielleicht. Stiles stößt die Tür zur Umkleide so heftig auf, dass sie ihm aus der Hand rutscht und gegen die Wand donnert. „Scott? SCOTT!“ Stiles wirbelt herum. Die Umkleidekabine ist leer. Verzweifelt umrundet er die Schrankwände, in der absurden Hoffnung, dass Scott irgendwo dahinter versteckt ist, vielleicht eingeschlafen ist oder… „Scott? Wo bist d-…?“ Stiles stockt mitten im Satz. Die Welt hört auf sich zu drehen. Ein einsamer, hellbrauner Rucksack lehnt an der Spindwand. Er liegt schräg auf der Seite, als ob ihn jemand hat fallen gelassen und sich keine Mühe gemacht hätte ihn wieder aufzuheben. Die Hälfte der Sachen ist herausgefallen, ein Taschenrechner und ein Schinkensandwich und… da ist ein Handy… da ist Scotts Handy. Die Sachen liegen in einer Lache aus roter Flüssigkeit. Sein eigener Rucksack gleitet aus seinen erschlaffenden Fingern und landet auf dem Boden. Es hallt auf dem gekachelten Boden. „Scott?“ wispert Stiles. Aber noch während er es ausspricht, weiß er, dass Scott nicht mehr hier ist. Seine Herzschlag dröhnt in seinem Kopf wie ein Orchester. Der Geruch nach Kupfer liegt in der Luft, schwer und süßlich. Nein, denkt er, betäubt vor Entsetzen. Nein, nein, nein. Er weiß, dass es Blut ist, auch ohne ein Werwolf zu sein. Es ist Blut. Es ist Scotts Blut. Er zerrt sein Handy aus der Tasche. Seine Finger zittern so sehr, dass es ihm beinah aus den Händen gleitet. Er wählt die Nummer, von der er dachte, dass er sie nie mehr anrufen würde. ‚Ich werde immer dran gehen‘, hat Derek gesagt. Aber das war damals. Bevor Stiles alles kaputt gemacht hat. ‚Ich werde immer dran gehen.‘ „Bitte“, flüstert er in die Stille und presst eine Hand auf die Augen. „Bitte.“ Stiles ist kein sonderlich religiöser Mensch und er weiß nicht, ob er Gott meint oder jemand anderen, aber welche höhere Macht auch immer gerade da ist, sie scheint zuzuhören. Derek meldet sich nach dem ersten Klingelton. „Stiles?“ „Derek…“ Er kann nicht atmen. „Stiles, was ist los?“ Dereks Stimme wird scharf. „Komm her.“ Es ist ein einziges, trockenes Schluchzen. „Wo bist du?“ „Bitte. Du musst sofort herkommen. Sie haben… ich glaube, sie haben Scott.“ - Er weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Vielleicht waren es zehn Sekunden oder zehn Minuten oder zehn Stunden. Es fühlt sich eine wie eine Ewigkeit, bis er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürt. „Es ist noch warm“, flüstert er. Seine Hände sind rot und er starrt sie an, als kann er nicht glauben was er sieht. „Es ist… da ist so viel Blut…“ „Stiles.“ Derek klingt aufgewühlt. „Stiles, steht auf.“ Der Boden ist hart und kalt unter seinen Knien. Flüssigkeit sickert durch seine Hosenbeine. Stiles hat keine Erinnerung mehr, wann er auf den Boden gesunken ist. Seine Hände sind klebrig von Scotts Blut. „Es ist sein Blut, oder? Es ist Scotts?“ Seine Stimme ist seltsam hoch und hysterisch, so als ob nicht mehr genug Luft auf der ganzen Welt ist. „Stiles… es ist okay.“ Arme greifen unter seine Achseln und beginnen ihn auf die Beine zu ziehen, weg von dem Blut. „Es ist okay.“ „ES IST NICHT OKAY!“ explodiert es aus ihm heraus. „Es ist nicht okay!“ Sein Körper wehrt sich auf Autopilot, er schlägt und tritt um sich, hoffnungslos und verzweifelt und vollkommen sinnlos, denn Derek ist hart und undurchdringlich wie eine Betonmauer. „Lass mich los!“ „Stiles! Stiles!“ Er hört Dereks Stimme wie durch Nebel. „Sie haben ihn!“ Seine Stimme überschlägt sich. „Sie haben ihm etwas angetan! Sie haben Scott. Was ist wenn er… das Blut… er kann nicht… er darf nicht…“ „Stiles.“ Warme Arme werden von hinten um ihn geschlungen und dann wird Stiles an eine breite Brust gedrückt. Aus dem Nebel heraus registriert er, dass Derek ihn so behutsam festhält, als sei er aus Porzellan. „Stiles, shhht. Hör mir zu, okay?“ Er gibt ein verzweifeltes Geräusch von sich, mehr Schluchzen als Schreien. „Er ist nicht tot, okay?“ sagt Derek eindringlich. „Hör mir zu: Er. Ist. Nicht tot.“ „Das weißt du doch nicht!“ Derek dreht ihn um und greift mit den Händen nach seinem Gesicht. „Sieh mich an!“, befiehlt er. „Sieh mich an. Ich weiß es! Stiles. Ich weiß es, okay?“ Er erschlafft in Dereks Armen wie eine Gummipuppe, der man die Luft herausgelassen hat. „Woher…?“ schluchzt er. „Erstens ist es nicht genug Blut. Zweitens ist er ein Werwolf. Scott ist stark, okay? Er ist robust. Und drittens… ich kann es riechen. Es gab einen Kampf. Sie haben ihn mitgenommen. Aber er lebt. Stiles. Hör mir zu. Scott lebt. Sonst hätten sie ihn nicht mitgenommen.“ Stiles atmet zitternd aus. Er fühlt sich unwirklich und benebelt, als ob er meilenweit neben sich steht. Das muss der Schockzustand sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass er nicht selbst darauf gekommen ist. Es macht keinen Sinn. Wieso hätten sie ihn mitnehmen sollen, wenn er… Nein. Sie haben ihn lebendig mitgenommen. Es muss so sein. „Deine Hände…“, sagt Derek leise. „Stiles. Deine Hände.“ Stiles senkt den Blick. Blut tropft seine Finger entlang. Er hat rote Abdrücke auf Dereks weißem T-Shirt hinterlassen. „Es ist Scotts“, flüstert er. „Es ist Scotts.“ Ihm wird schlecht. Seine Knien knicken ein und nur Dereks Hände halten ihn aufrecht. „Komm her“, sagt Derek sacht, aber bestimmt. Er führt Stiles zu dem kleinen Waschbecken in der Ecke und greift nach seinen Handgelenken. Wortlos dreht er das Wasser auf und hält Stiles‘ Hände darunter. Fasziniert sieht Stiles dabei zu wie das weiße Porzellan sich rot färbt. Seine Finger zittern. „Sag mir, was passiert ist“, befiehlt Derek leise, während er behutsam das Blut von seinen Händen wäscht. „Alles.“ Stiles nickt. Vage wird ihm bewusst, dass Derek immer noch einen Arm um seine Schultern gelegt hat. Es ist warm und beinah tröstlich. Stockend und in kurzen, abgehackten Sätzen berichtet er von seinem Gespräch mit Scott in der Jungentoilette. Und Scotts vage Andeutung, dass er ihm etwas erzählen muss. Ihre Verabredung, die Scott nicht mehr einhalten konnte. „Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen“, flüstert er. „Ich hätte ihn da behalten sollen, bis er es mir gesagt hat. Er hat etwas gewusst und deswegen haben sie… Ich hätte…“ „Stiles.“ „Du warst doch bei ihm letzte Nacht, oder?“ fragt er verzweifelt. „Hat er irgendetwas gesagt oder irgendetwas angedeutet? War er seltsam oder…“ „Ich weiß es nicht. Stiles. Stiles! Er…“ „Sag mir alles“, fordert Stiles und verkrallt seine Hände in Dereks T-Shirt. „Alles. Jedes Wort. Was hat er gesagt?“ „Stiles…“ „SAG ES!“ Derek seufzt. Er nickt. „Er… er hat sich Sorgen um dich gemacht“, beginnt er und wenn das kein Messer mitten in die Brust ist, weiß Stiles auch nicht, was es ist. Er lässt die Hände sinken und lauscht. Als Derek fertig ist, ist Stiles ganz still. Er steht mit dem Rücken an der Wand und Dereks Hand ruht auf seinem Ellbogen, als ob Derek bereit ist, ihn festzuhalten, sollte Stiles sich dazu entscheiden zusammen zu klappen. Aber Stiles wird nicht zusammen klappen. „Das… das hat er gesagt?“ fragt er tonlos. „Dass Peter ‚seine Zähne an meinem Handgelenk hatte‘? In der Tiefgarage. Bist du sicher? Das hat er genauso gesagt?“ „Ja.“ Derek nickt. „Er war… es hat ihm ziemlich zugesetzt. Das mit Peter und Gerard. Das war auch der Grund, wieso er…“ „Ja“, murmelt Stiles. „Ja. Natürlich. Sag es nochmal“, fordert er. „Was hat er genau gesagt?“ Derek wiederholt die Worte so gut er sich erinnern kann. Stiles nickt. Eine seltsame eisige Ruhe hat sich in ihm ausgebreitet. Nur seine Gedanken rasen. ‚Ich muss dir was sagen.‘ ‚ Ich glaub, ich hab was Dummes gemacht.‘ ‚Ich dachte, es sei das Richtige…‘ Es wirbelt in seinem Kopf. Er spürt Phantomzähne an seinem Handgelenk. Stiles reibt sich über den Unterarm und er fröstelt. „Hör zu“, sagt Derek, „ich trommel die anderen zusammen. Wir werden den Wald absuchen. Wir werden ihn finden, okay? Stiles.“ Seine Stimme wird eindringlich. „Wir werden Scott finden. Ich versprech es.“ Stiles starrt ihn an. Es dauert einen Moment, bis Dereks Worte bei ihm ankommen. „Stiles.“ Derek klingt ungewohnt behutsam. Stiles öffnet den Mund und schließt ihn gleich wieder. Er atmet aus und schluckt es hinunter, was auf seiner Zunge liegt. „Ja.“ Er nickt langsam. „Ja, okay.“ Ein Plan formt sich hinter seiner Stirn. Ein Plan, den er nicht mit Derek teilen kann. Er muss darüber nachdenken. Er muss… Aber kann das sein? Ist es möglich, dass…? „Du kannst nicht mitkommen“, sagt Derek leise. „Bitte. Es wird gefährlich und…“ Stiles nickt abrupt. „Ja. Schon klar.“ „Ich bring dich jetzt nach Hause und…“ „Nein.“ Eilig schüttelt er den Kopf. Er kann jetzt nicht nach Hause. Das ist der letzte Ort, wo er jetzt sein kann. Er überlegt in Windeseile. „Nein, ich… nein. Ich rufe meinen Dad an. Ich muss ihm das melden und er… er wird mich abholen.“ „Ich werde dich hier nicht allein lassen!“ „Nein!“ Er atmet tief ein. „Du darfst keine Zeit verlieren, bitte.“ „Soll ich wenigstens warten, bis dein Dad hier ist?“ Stiles schüttelt den Kopf. „Ich… ich warte draußen. Auf dem Schulhof. Ich bin… es ist okay. Außerdem solltest du nicht hier sein, wenn die Polizei auftaucht. Du warst schon an zu vielen Tatorten in letzter Zeit. Sonst verhaften sie dich wieder und… das wäre nicht gut.“ Derek sieht unschlüssig aus. „Bitte“, sagt Stiles leise. Er packt sein letzte Waffe aus. „Mach es doch nicht… mach es doch nicht seltsamer zwischen uns als es sein muss.“ Derek zuckt zusammen, als ob er ihn geschlagen hätte. Die Hand, die eben noch auf Stiles‘ Ellbogen geruht hat, zuckt so hastig zurück, als hätte er sich verbrannt. Er tritt einen Schritt zurück. „Es tut mir leid“, sagt er steif. Ein winziger Teil von Stiles ist wütend. Mit welchem Recht ist Derek, derjenige, der es wagt so gekränkt auszusehen. ER hat Derek ja nicht zurückgewiesen. ER hat Derek nicht das Herz gebrochen. Aber das ist der kleinere Teil. Der größere von ihm ist einfach nur dankbar, dass Derek trotzdem hier ist. „Danke“, sagt er leise. Er wendet den Blick ab. „Dass du dran gegangen bist.“ Derek ist einen Augenblick lang still. „Ich werde immer drangehen. Das weißt du doch.“ Es ist keine Liebeserklärung oder irgendetwas in der Art. Aber es fühlt sich ein bisschen so an. Es schmerzt in Stiles‘ Brust. ‚Wieso willst du mich nicht?‘, liegt auf seiner Zunge, erbärmlich und demütigend. Aber er schluckt es hinunter und der Moment verstreicht. Schweigend begleitet Derek ihn nach draußen. Als er die Autotür öffnet, wird Stiles klar, dass Derek ihm niemals verzeihen wird, was er jetzt vorhat. Dass es durchaus möglich ist, dass er es nicht überleben wird. „Warte“, sagt er aus einem Impuls heraus. Derek dreht sich noch einmal um. „Sei vorsichtig“, stößt Stiles hervor. Er will nicht, dass das Letzte was er potentiell zu Derek gesagt hat eine Beleidigung ist. Dereks Gesicht wird weich und ein bisschen traurig. „Du auch“, sagt er. Stiles nickt. Allein das ist schon gelogen. Er wartet bis Dereks Camaro aus seinem Gesichtsfeld verschwunden ist, bevor er sein Handy erneut hervorzieht. Aber er ruft nicht seinen Vater an. Das ist keine Sache für die Polizei. Er kann nicht riskieren, dass irgendjemand zögert. Er kann nicht riskieren, dass sie zu lange brauchen. Er muss jetzt sofort handeln. Diesmal zittern seine Finger nicht, als er wählt. Er fühlt sich seltsam ruhig und eiskalt. „Lydia“, sagt er, als sie drangeht. „Stiles?“ „Sie haben Scott. Die Alphas haben Scott.“ Er hört wie sie scharf einatmet. „Oh mein Gott. Wo bist du? Was ist passiert? Stiles!“ „Ich stehe auf dem Schulhof. Ich brauch dich. Ich brauche Allison. Sag ihr… sag ihr, sie soll ihre Waffen mitbringen. Ich glaube ich weiß, was los ist. Ich habe einen Plan.“ „Stiles! Was ist los?!“ Er fährt sich mit der Zungenspitze über die trocken gewordenen Lippen. „Es ist Peter“, stößt er hervor. „Peter steckt dahinter. Peter hat Scott an die Alphas ausgeliefert.“ ^tbc^ Nachwort: Ächz. Das war ein Kampf. Sorry für den Cliffhanger - alle Erklärungen kommen im nächsten Teil. ;) Freut euch auf ganz viel super badass!Team Human (was ehrlich gesagt von Anfang an mein Plan gewesen ist). Und es doch hoffentlich klar, dass Peter nicht nur random durch die Gegend gelaufen ist? ;D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)