Yours to keep. von Anemia ([Vivian & Theon]) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel - Edge of Sanity. --------------------------------------- Vivian Nicht, dass ich mich jemals an Zigarettenrauch gestört hätte, schließlich nahm ich selbst hin und wieder gern einen Zug vom Glimmstängel. Aber wenn jemand dieses Laster maßlos übertrieb und es offensichtlich war, dass er damit keine Rücksicht auf seine Mitmenschen nehmen wollte, dann hatte auch ich keinen Respekt mehr für das verdammte Suchtverhalten. Und mal ehrlich: Wer wollte als Dank für ein Foto und Autogramm schon gern mit einer dicken Ladung Qualm angeblasen werden? Etwas Gegenteiliges durfte ich leider nicht sagen, ich musste meine Klappe halten, denn wie schnell würde sich das Gerücht verbreiten, dass wir einfach nur ein Haufen arroganter Schnösel waren, die ihre Fans schlecht behandelten. Es galt die Devise: Immer freundlich lächeln und winken, auch wenn dir eher nach Todesblick und Verwinken zumute war. Leider ließ sich der Qualmer nicht so leicht vertreiben. Noch Sekunden später verharrte er cool und lässig an seinem Suchtmittel saugend wenige Meter entfernt mir, besah mich mit nicht wirklich einordbaren Blicken und schwieg. Schaute einfach nur zu, wie ich mich mit weiteren Fans unterhielt und sie mit eben den Gefälligkeiten versorgte, die der Kerl ebenfalls zuvor erhalten hatte. Ich fühlte mich beobachtet, und ich hasste es. Es machte mich nervös, auch wenn dem ein oder anderen dieser Zustand merkwürdig vorkommen könnte, schließlich war ich Musiker, stand jeden Abend auf den Brettern und wurde da natürlich ebenfalls angeschaut. Wenn ich die Menge rockte und begeisterte, dann stellte es für mich kein Problem dar, unentwegt angesehen zu werden, doch wenn ich mich abseits der Bühne befand, dann fand ich, dass man sich doch ein wenig zurückhalten konnte. Dieser Ansicht war er allerdings nicht. Er schaute und schaute, und das Schlimme war: Ich schaute zurück. Immer wieder. Ordnete den Typen automatisch in die Kategorie "arroganter Schönling" ein. Mit allem, was er tat, schien er unendlich zu kokettieren; mit der Art und Weise, wie er die Zigarette zwischen seinen Fingern hielt, wie er die Augen schloss, wenn er einen Zug von ihr nahm oder wie er sich die langen, schwarzen Haare nach hinten strich. Seine Körpersprache verriet unmissverständlich, dass er sich unwahrscheinlich geil finden musste. Und wann immer sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde trafen und seine Mundwinkel aufreizend zu zucken begannen, wusste ich, dass er mich ebenfalls unwahrscheinlich geil fand. Ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren, auch wenn es schwer fiel; es war allgemeinhin bekannt, dass man auffällige Leute, ob attraktiv oder nicht, ständig anstarren musste, nur glaubten einige Menschen noch immer, dass Glotzen etwas mit Anziehung zu tun hatte. Blicke musste ich mir verkneifen, denn sonst würde der Kerl noch denken, ich hätte Interesse an ihm. Dem war mit Sicherheit nicht so. Der Abend neigte sich dem Ende zu, wahrscheinlich war es lange nach Mitternacht, als die letzten Fans sich von mir drücken ließen und sich dann an die Bar zurückzogen oder im dunstigen Nebel vor dem Club verschwanden. Nur er stand nach wie vor an die Mauer vor der Sitzecke mit den Sofas gelehnt, rauchte Zigarette um Zigarette und wirkte nicht so, als würde er langsam in Aufbruchsstimmung geraten. Ganz im Gegensatz zu mir. Theon und der Rest trank bereits den ersten Wodka und schaute sich fragend nach mir um, schließlich wussten alle, dass ich bei einer Saufgelage niemals nein sagte. Ich dachte gar nicht lange nach, fuhr mir mit der Hand über mein kurzes Haar und lief in Richtung der Bar, musste dafür allerdings an dem Rauchertypen vorbei. Erst als ich auf seiner Höhe stand und ich spürte, wie man mich am Arm packte und ich durch sein Zutun dem Kerl erschreckend nah gekommen war, schwelte ein Gefühl der Verwirrung in mir. Seine Augen blickten mich ohne auch nur einmal zu blinzeln an und der direkte Körperkontakt zu dem ungefähr eine Hand breit kleineren Typen steigerten das unangenehme Empfinden meinerseits zugegebenermaßen noch. Mental schaltete ich bereits auf Abwehr, denn man wusste im Voraus nie, ob man es bei einem noch so harmlos aussehnenden Jungen mit einem Freund oder einem Feind zu tun hatte. "Pennt ihr im Hotel?", wollte der Typ auf einmal vollkommen aus dem Nichts heraus in Erfahrung bringen; er zuckte dabei nicht einmal mit der Wimper, schämte sich überhaupt nicht für diese doch recht intime Frage, die ich ihm eigentlich nicht beantworten wollte. "Wieso?", stellte ich schließlich die unbeholfene Gegenfrage, obwohl ich wusste, dass es effektiver gewesen wäre, von Vornherein auf höfliche Ignoranz zu schalten und mich nicht in ein Gespräch dieser Art verwickeln zu lassen. "Na..." Er hatte eine tiefe, raue Stimme, die sich zum Raunen dieser Silbe perfekt eignete, und auch das in meinen Augen ziemlich fiese Grinsen passte zu der Rolle des Bösewichtes. Als ich aber plötzlich bemerkte, dass seine Faust sich fester in den Stoff meines Oberteiles krallte und der Typ Anstalten machte, mich noch näher zu sich heranzuziehen, wusste ich endgültig, auf was er hinauswollte. Um ehrlich zu sein hatte ich ihn vorhin schon in seinen Augen funkeln sehen, diesen kleinen Glanz von Lust und Begierde, aber das hier war erst die Bestätigung für meine Vermutung. "Wir könnten was Schönes zu zweit machen…" Noch war ich nicht aus meiner Schockstarre erwacht, hörte ihn lasziv mit der Zunge schnalzen und sah, wie er seine Augenbraue in die Höhe huschen ließ. Erst als er übertrieben dreckig zu grinsen begann, löste ich seine Hand bestimmt von meinem Shirt und machte ihm selbstsicher wie eh und je klar, dass ich eine Familie hatte und nichts mit Groupies anfing, schon gar nicht mit männlichen. Man, hatten die Kids es denn noch immer nicht verstanden, dass sich Lovex aus sechs heterosexuellen Typen zusammensetzte und sich an diesem Zustand auch nichts ändern würde? Zum Glück war mein kleiner Möchtegerngroupie nicht sonderlich hartnäckig, ließ mich einfach ziehen, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. Interessanter schien für ihn wieder seine Sucht zu sein. Vorerst. Und ich, froh darüber, ihn erfolgreich abgewimmelt zu haben, gesellte mich zu meinen Kumpanen und orderte fast schon gierig meinen Wodka. Nach der Aktion brauchte ich etwas Scharfes in meiner Kehle, eindeutig. Nur leider musste ich mich nun der Neugierde meiner Bandkollegen stellen. Besonders Theon schien sich brennend für das zu interessieren, was sich eben zwischen mir und dem rauchenden Jüngling zugetragen hatte. "Passt auf, das ist ein Schwuler", warnte ich die anderen mit leichtem Anflug von einem Grinsen und deutete mit dem Kinn in die Richtung meines Verehrers. "Wollte er deinen Arsch?", fragte Theon prompt nach und schaute mit einem Mal ziemlich besorgt drein, aber ich winkte nur ab und lachte kurz auf. "Na ja, wahrscheinlich so in der Art." Theon guckte noch immer nicht wieder froh. Und das sollte auch noch eine ganze Weile so bleiben. Selbst als ich ihm hart aber herzlich gegen die Schulter boxte und ihn damit aufzog, dass er wohl Angst um seinen Hintern hatte, lachte er nicht über mein Scherzchen. "Ganz ehrlich, Viv, früher", warf Julian nun ein und linste mich schelmisch von der Seite her an, "früher hättest du den doch nicht abblitzen lassen. Oder?" Ich trank meinen Wodka leer, bestellte einen neuen und meinte daraufhin nur eines: "Nur weil ich mal Make Up getragen habe, hieß das noch lange nicht, dass ich was von Typen wollte. Oder wart ihr damals alle bisschen bi in der Birne?" Verhaltene Reaktion, begleitet von Kopfschütteln. Das sollte wohl ein Nein sein. Der Einzige, der in Gedanken versunken zu sein schien, war noch immer Theon. "Was hast'n?", wollte ich wissen, legte nun recht grob einen Arm um ihn und zog ihn zu mir heran. "Aaach, du hast wohl nicht nur Angst um deinen Arsch, du hast wohl auch Schiss, dass ich dir mit diesem Kerlchen fremdgehen könnte, was?" Schmunzelnd legte ich meine Lippen an sein Ohr. "Aber keine Sorge, Toro, ich steh nicht auf Gothic-Metal-Typen mit langen Loden. Blonde Haare und eisblaue Augen sind mir viel lieber..." Die anderen schienen einen Teil meiner selbstverständlich nicht ernstgemeinten Treuebekundung und Liebeserklärung mitbekommen zu haben, denn es ging ein kollektives Gelächter durch die Runde, dem sich schließlich auch Theon anschloss, auch wenn es ziemlich halbherzig wirkte, wieso auch immer. Ich, ebenfalls lachend, trank den nächsten Wodka ebenfalls leer, weitere folgten in kurzen Abständen. Wie viele, das kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen... Theon Es entging mir nicht, dass Vivian wieder einmal viel zu begeistert seinem Alkoholkonsum frönte. Schon wieder kippte er sich einen Wodka hinter die Binde, verzog kaum eine Miene und hatte bereits wenige Sekunden später schon wieder ein volles Glas in der Hand. "Viv", warf ich irgendwann ein, nachdem ich selbst längst dazu übergegangen war, nur noch Wasser zu bestellen, um die Promillezahl ein wenig zu drücken. "Du solltest dann besser aufhören, dich volllaufen zu lassen, morgen - oder besser gesagt heute - ist doch der Dreh." Es wirkte unbeholfen, wie er mir daraufhin auf die Schulter klopfte, aber es genügte, damit das dumpfe Spannen in meinem Magen zurückkehrte, jenes Gefühl, welches ich hasste wie kaum etwas anderes. "Keine Angst, ich habs nicht vergessen", lallte er mehr, als dass er sprach, und auch sein Blick wirkte ziemlich glasig, ein Anzeichen, dass er tatsächlich schon komplett zu war. "Und ich versprech dir, am Nachmittag wieder fit zu sein." Er hob das Glas, so hastig, dass der Inhalt beinahe übergeschwappt wäre und grinste breit. "Schließlich bin ich ein Mann und kein Weichei." Wenn ich allerdings die Momente Revue passieren ließ, in denen Viv komplett die Kontrolle über sich verloren hatte, glaubte ich das Märchen vom starken Mann längst nicht mehr. Jedenfalls nicht aus Vivians Mund. Viv war derjenige von uns, der viel zu oft seine Grenzen beim Saufen überschritt, dem man in das Hotelzimmer führen musste, weil er kaum noch gerade stehen konnte. Seit ich ihn kannte war er dem Alkohol sehr zugeneigt und verlor fast immer jegliche Hemmungen. Schlimm war zudem, dass er am nächsten Tag nicht nur zu nichts mehr zu gebrauchen war, sondern auch, dass er sich im Rausch manchmal benahm wie - ein Schwein. Stets hatte ich ein wenig gehofft, dass er sich bessern würde, wenn er auf die Dreißig zuging, aber dem war nicht so. Bei Weitem nicht. Er soff noch immer wie ein Zwanzigjähriger. Den Tag über wirkte er stets so erwachsen, in Gesprächen sehr besonnen und vernünftig. Aber sobald die Nacht anbrach und er Alkohol in die Hände bekam, drehte er vollkommen durch. Und ließ sich von niemandem mehr etwas sagen. Selbst von mir nicht. Obwohl ich sein bester Freund war. Ich tauschte besorgte Blicke mit den Jungs, die ebenfalls ihre letzten Wodkas leerten und insgesamt noch ziemlich nüchtern wirkten im Gegensatz zu Viv. Sammy machte gerade den Mund auf, um etwas zu sagen, als ich merkte, wie sich plötzlich jemand zwischen die Hocker von Vivian und mir drängte. Der Typ mit den langen Haaren. Mit der Zigarette. Der Schwule... Das schmeckte mir gar nicht. Wieso, das überlegte ich mir gar nicht erst, war es doch viel zu spät um nachzudenken. Tief in mir wusste ich ohnehin, was mir an ihm nicht passte. Im Normalfall wäre mir seine arrogante Attitüde wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen, aber mit dieser einen, speziellen Gewissheit begann ich prompt regelrechte Hassgefühle gegenüber dem Bürschchen zu entwickeln. Natürlich begaffte er wieder Viv, allerdings nicht mehr so unverhohlen wie vorhin noch. Ich hatte sie genau beobachtet, mit klopfendem Herzen beinahe darauf gewartet, dass Vivian sich von dem Kerl einlullen ließ. Doch nichts war geschehen und ich hatte aufatmen. Er hatte ihm einen unmissverständlichen Korb gegeben. Und genau deswegen wagte es der Langhaarige sicher nicht mehr, ungeniert zu glotzen. Bestellte ebenfalls einen Wodka und nippte stumm an ihm. Vivs Glas war inzwischen einmal mehr geleert worden und sein Besitzer hielt es der Bardame freilich erneut unter die Nase und erklärte uns: "Das ertrag ich nur besoffen." Mit 'das' meinte er selbstverständlich seinen Groupie. Gut so. Ich beäugte ihn dennoch argwöhnisch. Im Gegensatz zum Rest der Truppe. Die schien sich auch noch für den Burschen zu interessieren. Na super, in diesem Falle würden wir ihn gar nicht mehr losbekommen, stöhnte ich gedanklich. "Du bist uns schon beim Gig aufgefallen", meinte Juke. "Du warst doch der in der ersten Reihe, oder?" "Klar", erhielt er nur als Antwort; anscheinend war er nicht an einem Gespräch mit unserem Drummer interessiert, die sehnsüchtigen Blicke, die er Viv hin und wieder noch zuwarf, sprachen eine eindeutige Sprache. Jedenfalls flüsterten sie mir etwas zu, was sicher auch die anderen vernahmen, so hoffte ich. Ich konnte tatsächlich von Glück reden, dass Vivian im besoffenen Zustand trotzdem nicht leicht für jeden zu haben war. Auf der anderen Seite stellte es allerdings auch ein großes Pech dar...heute jedenfalls schätzte ich diesen Umstand und ermahnte Viv auch gar nicht mehr bezüglich seines Trinkverhaltens. Es hatte ja doch keinen Zweck. "Stimmt...du warst doch der, der die ganze Zeit nur rumgestanden hat und keine Miene verzogen hat", erkannte Sammy, schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Typen, der für mich einfach nur ein Fremdkörper war, obwohl er unserer Fanbase angehörte und ein Musiker doch seine Fans lieben sollte, alle, ohne Ausnahme. Doch manche machten es einem wirklich sehr schwer, besonders die, die ganz offensichtlich an Vivian interessiert waren. Dann sah ich mir sofort alle Felle wegschwimmen, obwohl es doch ohnehin keine Rolle mehr spielte. Vivian hatte seine eigene, kleine Familie, er war sogar Vater einer ganz bezaubernden Tochter, die so viel von ihm geerbt hatte...von mir aus sollte sie komplett wie er sein, Vivian war toll, er war der tollste Mensch, den ich je getroffen hatte. Nur der Hang zum Alkohol stellte eine Eigenschaft dar, die ich nicht an ihm schätzte. Ansonsten...war er perfekt. Sein Groupie schien derselben Ansicht. Nur dass er mittlerweile noch mehr mit sich und seinen unwahrscheinlich langen Haaren zu tun hatte als mit Vivian. Er stützte sich lässig mit einem Arm auf dem Tresen ab und lieferte schließlich seinen Kommentar auf Sammys Bemerkung hin. "Na und?", meinte er und zuckte dabei fast schon abfällig mit den Schultern. "Ich bin schließlich hier, um zu glotzen, sonst nichts." Das nahm ich ihm sofort ab. Den Blick, den er dem komplett besoffen wirkenden Vivian nun zuwarf, versetzte mir einen Stich gepaart mit einem Anflug dumpfer Wut. Obwohl das alles nichts Neues war, hätte ich mich in diesem Augenblick am liebsten auf ihn gestürzt. Doch das war nicht vonnöten. Vivian konnte sehr gut allein auf sich aufpassen, im alkoholisierten Zustand etwas zu gut. Das Bürschchen startete tatsächlich einen erneuten Annäherungsversuch, trotz vorangegangen Korbes, trotzdem Vivian nicht das geringste Interesse an ihm zeigte. Ich kochte, als er sich aufreizend gegen Viv drängte, fühlte mich gleichzeitig hilflos, wollte das alles am liebsten gar nicht sehen. Auf der anderen Seite aber konnte ich nicht anders, als hinzuschauen. Wahrscheinlich flüsterte er ihm nun etwas zu, etwas Sexuelles, mit Sicherheit. Trotzdem wirkte Vivian noch wie die Ruhe selbst, tat so, als würde er nichts hören, es war gut. Es beruhigte mich etwas. Fast jede Nacht verfolgte mich der Gedanke, dass Viv sich irgendwann mal auf einen Mann einlassen könnte, der nicht ich war. Dieses Szenario stellte einen meiner schlimmsten Albträume dar. Wenn ich ihn nicht haben durfte, dann sollte ihn keiner haben. Der Langhaarige entfernte sich schließlich wieder etwas von Viv, wahrscheinlich aber nur, weil sein Wodka leer war und es ihm nach Nachschub dürstete. "Wie heißt'n?", versuchte Julian nun in Erfahrung zu bringen; morgen würde ich ihn dafür schlagen, dass er den Typen beschäftigte, das schwor ich mir. "Neo", antwortete der Angesprochene, warf sein Haar zurück und in der nächsten Sekunde trafen sich unsere Blicke. Ganz kurz nur. Aber es genügte mir, um mich noch wütender zu machen. Ständig schwirrte die Gewissheit durch meinen Kopf, dass er dasselbe von Vivian wollte wie ich, und eben das machte uns zu stillen Konkurrenten. Ob er es ahnte? Ich wusste es nicht. Aber ich hoffte, ich würde meine Gefühle unauffällig genug in mir zu verstecken wissen. "Und wie alt bist du?" "Juke..." Das war Viv. Er verdrehte genervt die Augen, hatte sichtlich die Schnauze voll von dem Kerl, der ihn in einem Fort bedrängte. Doch unser Nesthäkchen ließ sich nicht von seiner Fragerei abbringen. Dieser Typ, der sich uns als Neo vorgestellt hatte (von mir aus hätte er auch Hans-Peter heißen können, es hätte mich so sehr interessiert wie die sechsundfünfzigste Nachkommastelle des Pi), grinste nun vor sich hin, schob das Glas dabei zwischen seine Lippen und trank einen Schluck. Erst dann gab er Julian eine Auskunft. "Ich bin sechzehn." "Sechzehn?", stieß Vivian geschockt hervor, hustete, hatte sich vor Schreck wohl fast an seinem Wodka verschluckt. "Was glaubst du eigentlich, was man mit mir gemacht hätte, mal angenommen, ich hätte dich wirklich mit ins Hotel genommen?" Er beugte sich zu ihm vor. "Na? Na? Kommst du selbst drauf?" Doch dieser Neo blieb die Coolness selbst und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Also deckte Viv die Karten auf. "Man hätte mich in den Knast gesteckt! Ein Zweiundreißigjähriger, der sich an sechzehnjährigen Jungs vergreift. Nee, nee, nee..." Selbst diese Worte kümmerten den Kleinen nicht im Geringsten. Entspannt steckte er sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen und rauchte. Rauchte einfach. Wahrscheinlich hatte es ihn doch nicht so kalt gelassen, dass Vivian eine Mauer zwischen ihnen aufgebaut hatte, die endgültig nicht überwunden werden konnte. Ein Schwall Schadenfreude stieg in mir auf. Und er verstärkte sich noch weiter, als der abgewiesene Groupie eindeutig in Aufbruchsstimmung geriet. "Ich mach los, man sieht sich", meinte er nur kurz angebunden zum Abschied, dann löste er sich von der Bar und lief in Richtung Ausgang. "Ein Glück", seufzte Vivian erleichtert. "Hätte der noch länger hier rumgegangen und mich angemacht, hätte ich ihm vielleicht auf die Fresse hauen müssen." "Aber Viv, man schlägt doch keine Kinder!", gluckste Jason nun in seiner gemütlichen Art, doch im Grunde war dies überhaupt nicht zum Lachen. Wie wir alle wussten konnte Viv in seltenen Fällen auch aggressive Züge annehmen, wenn er zu viel getrunken hatte. Bisher hatte er so manchem Typen allerdings lediglich eine Tracht Prügel angedroht und wir konnten ihn noch schnell aus der Affäre ziehen, ehe etwas geschah, was uns allen nicht zugutekam. Wie gesagt, bisher. Nicht auszudenken, wenn es wirklich einmal geschehen würde... "Ich geh mal für kleine Vivs." Sagtes und schob sich vom Barhocker, nur um dann festzustellen, dass er kaum noch stehen konnte und immer wieder zu einer Seite wegkippte. Bedenklich. In uns allen Wuchs Besorgnis heran, das sah ich den anderen an, nur Viv lachte doof vor sich hin und torkelte schließlich in Richtung der Toiletten. "Hoffentlich findet er die richtige Tür", meinte Christian. "Glaubst du, der geht versehentlich aufs Damenklo?", mutmaßte Sammy belustigt, aber unser Keyboarder zuckte daraufhin mit den Schultern. "Nee, ich dachte eher daran, dass er plötzlich vor dem Club steht und in den Schnee pisst. Die Klos sind gleich neben dem Eingang, habt ihrs noch nicht gesehen?" Wir reagierten nur verhalten. Tranken schweigend unser Wasser aus. Bis plötzlich ein Heidenlärm an unsere Ohren drang und wir erschrocken aufhorchten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)