A New Stage Of Life von Lina_Kudo (Ein neuer Lebensabschnitt (Shinichi&Ran)) ================================================================================ Kapitel 1: »Nur mit dir kann ich es wagen ...« ---------------------------------------------- A New Stage Of Life Ein neuer Lebensabschnitt »Nur mit dir kann ich es wagen ...« Heute war es soweit: Die Abschlussfeier mit dem anschließenden Ball stand vor der Tür. Besonders die Schülerinnen konnten es kaum noch abwarten, doch zugleich konnten sie gar nicht genügend Zeit haben, um sich auf den Ball vorzubereiten. Schon Wochen oder gar Monate zuvor haben sie schon darüber gegrübelt, was für ein Kleid sie anziehen, wie sie ihre Haare machen oder was für ein Make-Up sie tragen sollten an diesem großen Tag. Kein Wunder: Es war das Ende der Schulzeit und der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Es war ein Anlass, auf den sich jeder in der Schule freute. Das heißt: Jeder außer sie. Ran Mori. Die statt sich wegen ihres Outfits verrückt zu machen nun hier in ihrem Zimmer saß und traurig aus dem Fenster schaute. Dabei waren es nur noch zwei Stunden bis zur offiziellen Feier. Jeden Moment würde sowieso Sonoko kommen, und dann würde sie keine Ruhe mehr haben. Jetzt, wo sie noch nicht da war, nutzte sie die Zeit aus, um wieder deprimiert Löcher in die Luft zu starren. Sie hatte auch allen Grund dazu: Er würde nicht kommen können. Mal wieder nicht. Und das zu so einem wichtigen Anlass. Eigentlich hatte sie schon längst damit gerechnet. Es wäre auch viel zu schön gewesen, um wahr zu sein. Obwohl sie mittlerweile seine Anwesenheit schon längst gewöhnt sein müsste, gab es doch viele Momente, wo sie ihn so entsetzlich vermisste. Es verging kein Tag, wo sie ihn nicht mehr oder weniger vermisste. Sie ließ es jedoch nur in Momenten zu, wo sie wirklich alleine war und ihre Ruhe hatte. So wie jetzt gerade. Es tat weh, dass er nicht da war. Dass er sie nicht zu ihrem Ball begleiten konnte. Fast ihre komplette Schulzeit hat sie mit ihm verbracht mit Ausnahme des letzten Jahres. Und nun konnte sie diese Zeit nicht einmal ehrenvoll mit ihm beenden, wie es schien. Es fühlte sich so an, als ob sie damit auch ohne ihn ihren neuen Lebensabschnitt beschritt. Dieser Gedanke war am schmerzvollsten. Und nun würde sie alleine ohne Begleitung zum Ball gehen. Natürlich hatten sie viele Mitschüler gefragt, ob sie mit ihnen auf den Ball gehen wollte, doch jedem hatte sie so höflich es nur ging einen Korb gegeben. Sie wollte nur von Shinichi begleitet werden – wenn nicht er, dann keiner. Der einzige Mann, den sie an ihrer Seite wollte, war ihr Vater. Und Conan, doch er würde gleich mit dem Professor und seinen Freunden zu einem Ausflug fahren. Also musste sie auch auf ihn verzichten. Dann würde sie eben nur von ihren Eltern begleitet werden – was soll‘s. Außerdem war es doch auch mal schön, dass sie endlich nach so langer Zeit als komplette Familie zu einer Veranstaltung erschienen. Wer weiß: Vielleicht würden sich ihre Eltern ja doch wieder näherkommen? Das war eine der dürftigen Gründe, warum sie überhaupt auf den Ball ging. Und natürlich wegen Sonoko, die sie wohl eigenhändig umbringen würde, wenn sie sich ihren Abschlussball entgehen ließ. Vor allem aus Liebeskummer. Zumal sie vor ihr niemals zugeben würde, dass sie so etwas wie Liebeskummer verspürte in Bezug auf Shinichi. Zwar hatte sie sie natürlich längst durchschaut, doch trotzdem. Wenn sie jetzt auch noch zu Hause blieb, war das nur eine Bestätigung, dass ihre beste Freundin recht hatte. Erstens würde sie es ihr ewig vorhalten, dass sie nicht dabei war, und zweitens würde sie ihr immer wieder unter die Nase reiben, dass sie mit ihrer Vermutung die ganze Zeit richtig gelegen hatte. Nämlich, dass sie einfach hoffnungslos in Shinichi verliebt war. Ihre Zimmertür ging auf. Verstohlen wischte sich Ran die Tränen ab und drehte sich um. Conan stand am Türrahmen und sah sie betroffen an. »Hey Conan, hast du schon alles fertig gepackt?«, fragte sie ihn freundlich und lächelte ihren kleinen Schatz warm an. An der besorgten Miene des kleinen Jungens mit der großen Brille änderte sich jedoch nichts. »Warum weinst du, Ran?«, fragte er sie direkt. Ran gab sich alle Mühe, ihr Lächeln zu bewahren. Conan war allerdings kein gewöhnliches Kind. Und er war äußerst einfühlsam. Es brachte nichts, ihm etwas vorzumachen: Er würde es durchschauen. Doch da sie keine große Lust hatte, ihn wieder einmal mit ihrem Kummer zu belasten, gerade jetzt, wo er sich so sehr auf den Ausflug freute, suchte sie fieberhaft nach einem guten Einfall. Oder treffender ausgedrückt: nach einer verdammt guten Ausrede. »Ich habe einfach nur an die Schulzeit zurückgedacht. Ich kann einfach nicht glauben, dass es nun wirklich vorbei ist. Nur deswegen bin ich ein wenig traurig, aber mach dir darüber keine Gedanken, mein Kleiner.« Sie ging auf ihn zu, kniete sich zu ihm hin und tätschelte sanft seinen Kopf. »Soll ich dir noch beim Packen helfen?«, bot sie ihm ihre Hilfe an. Conan schüttelte seinen Kopf. Sie sah ihm an, dass er noch nicht ganz überzeugt war, aber er beließ es zu ihrem Glück dabei. »Nein, danke, ich habe bereits alles fertig gepackt«, antwortete er ihr und zauberte ebenfalls ein Lächeln auf seine Lippen. »Ich wollte mich nur verabschieden. Wir sehen uns dann Sonntagabend wieder. Ich wünsche dir ganz viel Spaß auf deiner Abschlussfeier. Und nicht traurig sein.« Wie immer versuchte er, sie aufzumuntern. Er war in der Tat ihr kleiner Schatz. Überwältigt von ihren Gefühlen zog sie ihn in ihre Arme und drückte ihn ganz fest an sich. »Ich hab dich furchtbar lieb, mein Schatz. Pass gut auf dich auf und komm heil wieder zurück, ja?« Beinahe wäre sie wieder in Tränen ausgebrochen, konnte es allerdings gerade noch so unterdrücken. Mit glitzernden Augen sah sie in sein unsagbares Blau, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. In diese unschuldigen, strahlend blauen Augen, die sie so sehr an gewisse andere Augen erinnern … »Geh doch tanzen, Liebes. Amüsiere dich: Es ist dein Abiball. Den wirst du nur einmal erleben.« Verzweifelt versuchte Eri ihre Tochter dazu zu bewegen, vielleicht doch endlich einmal eine Tanzaufforderung eines Mannes anzunehmen. Sie saßen zu zweit an einem runden Tisch, da Kogoro gerade draußen war, um eine Zigarette zu rauchen. »Der nächste Typ, der dich um einen Tanz bittet, wirst du gefälligst die Bitte gewähren«, bestimmte sie kurzerhand mit gespielt strenger Stimme. Augenverdrehend wollte die Tochter sie umstimmen. »Ach Mama, ich habe einfach keine Lust, zu tanzen. Außerdem hab ich doch schon mit Paps getanzt.« An dem nach wie vor strengen Ausdruck ihrer Augen musste sie allerdings frustriert erkennen, dass sie keine Widerrede duldete. Tief seufzte sie. »Wenn es dich glücklich macht: Okay.« Sofort breitete sich auf dem Gesicht der Rechtsanwältin ein warmes Lächeln aus. Sie war es gewohnt, sich durchzusetzen, aber diesmal freute es sich besonders, dass ihre Tochter am Ende doch nachgegeben hatte. Sonst hätte sie es bestimmt irgendwann bereut, an ihrem Abschlussball nur Löcher in die Luft gestarrt zu haben. Zufrieden blickte sie nach vorne und sah erstaunt, wie eine Gestalt direkt auf Ran zukam. Die Überraschung verflog jedoch gleich und machte Platz für ein verschmitztes Grinsen. Manchmal gab es doch schier unglaubliche Zufälle im Leben. »Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Mori?« Ran versteinerte augenblicklich. Sie blieb bewegungslos in ihrer Position verharren und konnte nur ihre Mutter fixieren, die sie vielsagend anstrahlte. Diese Stimme. Diese markante Stimme würde sie selbst unter Abermillionen wiedererkennen. Kein Zweifel. Es war seine Stimme. Oder spielten ihre Ohren ihr gerade einen Streich? Das würde aber nicht das breite Grinsen ihrer Mutter erklären. Doch sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Viel zu groß war ihre Angst, dass sie sich das doch nur eingebildet haben könnte. Sie spürte das vertraute Brennen in ihren Augen. Allein der Klang seiner Stimme ließ ihre Gefühle Achterbahn fahren. Schon so etwas scheinbar Bedeutungsloses warf sie komplett aus der Bahn – wie erbärmlich war sie nur? Irgendwann hob Eri etwas besorgt und verständnislos ihre Augenbraue. »Dreh dich schon um, Liebes«, hauchte sie ihr ermutigend entgegen. Und das war der Schubs, den sie dringend nötig gehabt hatte. Wie in Zeitlupe drehte sie sich Stück für Stück nach hinten. Und da erblickte sie ihn. Shinichi. Aus Fleisch und Blut. Er war es tatsächlich! Und er sah noch viel besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte – als ob das überhaupt noch möglich war; doch der lebende Beweis stand vor ihr. Er trug einen schwarzen Anzug und dazu eine helle, cremefarbene Krawatte. Wie passend. Denn ihr knielanges, figurbetontes Abendkleid hatte dieselbe Farbe wie seine Krawatte und die Rose, die aus seiner Brusttasche herausragte. Von oben herab schenkte er ihr sein selbstsicheres, schiefes Lächeln. Das Lächeln, das nur er beherrschte. Das Lächeln, das sie so sehr liebte. Das Lächeln, das sie um den Verstand brachte. »Shinichi«, brachte sie im ersten Moment der Fassungslosigkeit nur zu Stande. Dieser grinste erleichtert und sah kurz zu Eri. »Guten Abend, Frau Mori«, begrüßte er sie mit einer kurzen Verbeugung und bewies somit mal wieder seine äußerst gute Erziehung. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Ihre Tochter mal kurz zu einem Tanz entführe?« Eri schloss lächelnd ihre Augen. »Haut schon ab und amüsiert euch.« »Na?« Er streckte ihr auffordernd seine Hand entgegen. Ran schüttelte sich kurz in Gedanken. Sie musste sich zusammenreißen. Was sollte Shinichi bloß von ihr denken, wenn sie den ganzen Abend nur dazu fähig wäre, ihn unverhohlen anzuhimmeln und kein Wort zu Stande zu bringen? Ein zuversichtliches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Er war da. Das war alles, was zählte. Sie hob ihre Hand und legte sie in seine. In den Ort, wo sie am besten aufgehoben war: bei ihm. Wenige Augenblicke später wirbelten sie durch die Tanzfläche. Ran ließ sich komplett fallen und von ihm führen. In seinen Armen kam sie sich vor wie eine anmutige Prinzessin. Und er war der Prinz. Himmel – wo hatte er nur so derart gut tanzen gelernt? Zwar war er extrem unmusikalisch, was seine gesanglichen Fähigkeiten betraf, doch Rhythmusgefühl besaß er. Und was für eins. Es gab Momente, da sahen sie sich tief in die Augen. Ran kam es so vor, als würde er sie mit seinem tiefen Blick durchbohren. Immer wieder durchfuhr sie eine Gänsehaut. Seinem Blick konnte sie nicht standhalten, sondern sah immer wieder verlegen weg. Doch auch Shinichi war nicht so cool, wie es den Anschein hegte. Er musste sich sehr zusammenreißen, um sie nicht zu unverblümt zu mustern. Sie war so wunderschön. Nicht, dass sie es nicht sonst auch schon wäre, doch heute hatte sie noch etwas ganz Bestimmtes an sich. Etwas … Magisches. Kein Wunder: Heute war sie zu einer richtigen Frau herangereift. Sie hatte nun ihr Leben als Schülerin endgültig hinter sich gelassen. Und zu diesem Anlass hatte sie sich besonders hübsch gemacht. Dezent war sie geschminkt, was ihre natürliche Schönheit noch weiter unterstrich. Von den Tränen von vor ein paar Stunden war nichts mehr zu sehen. Und ihr Kleid war einfach atemberaubend, betonte ihre perfekten Kurven an den richtigen Stellen. Es war cremefarben, kurz und enganliegend und hatte an einer Seite Träger, während die andere trägerlos war. Ein äußerst verführerisches Kleid, welches es trotzdem nicht an Eleganz fehlte. Als ob Ran nicht schon in allen Sachen gut aussah … Nein, sie musste natürlich noch eins drauflegen. Gemeinsam verbrachten sie noch einen wunderschönen Abend und besuchten ein nobles Restaurant statt in der Schule mit den anderen zu essen, wo es ohnehin nur eher Häppchen gab und kein Drei-Gänge-Menü, wie es in diesem Lokal der Fall war. Shinichi hatte sie heute Abend unbedingt schick ausführen wollen. Sie unterhielten sich über belanglose Dinge und wollten diese unbeschwerte Atmosphäre nicht durch ein schwieriges Thema zerstören. Doch ewig konnte das nicht so weitergehen. Früher oder später musste es zu ernsteren Inhalten kommen. Inhalte, die Ran und auch Shinichi insgeheim doch eigentlich am meisten beschäftigten. Während sie einen Nachtspaziergang durch den Park machten, begann Ran schließlich mit der Frage, die sie schon den ganzen Abend beschäftigte: »Wie lange bleibst du diesmal?« Shinichi schluckte hörbar. Aber es war schließlich vorauszusehen gewesen, dass er irgendwann nicht um das Thema herumkommen würde. Nur wollte er den richtigen Zeitpunkt abwarten. Bisher war er nie da gewesen. Oder aber er redete es sich bloß ein und es würde nie den perfekten Zeitpunkt dafür geben. Aber nun … wurde es wohl an der Zeit. Die Stunde der Wahrheit hatte geschlagen. Ironischerweise liebte er als begnadeter Detektiv diese Momente, in denen er die Wahrheit ans Licht brachte. Doch hierbei handelte es sich nicht um einen Fall. Diesmal war er es, der die Hose runterlassen musste. Er blieb auf dem Absatz stehen, und als sie sich verwundert zu ihm zurückdrehte, sah sie ihn mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung an. Aufmunternd lächelte er sie an. »Diesmal bleibe ich«, antwortete er leise. Rans Augen weiteten sich vor Überraschung. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Auch, wenn sie es insgeheim stets gehofft hatte, war sie nicht davon ausgegangen, um einer vernichtenden Enttäuschung zu entgehen. Aber nun die Bestätigung zu bekommen, dass ihr Traum in Erfüllung ging, war ein atemberaubendes Gefühl. Ein überwältigendes Gefühl. »Wirklich? Das ist doch toll!« Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie sich über diese Neuigkeit freute und strahlte ihn an. Doch … irgendetwas stimmt nicht. Shinichi wirkte so … bedrückt. Das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »O- Oder etwa nicht?«, fügte sie unsicher hinzu. »Nein; also … doch, natürlich ist es toll«, druckste er herum, seufzte dann tief und blickte zum Nachthimmel empor. Er war in ein tiefes Dunkelblau getaucht und dadurch, dass keine einzige Wolke ihn trübte, funkelten die Sterne so hell wie noch nie zuvor über dem Firmament. Zumindest kam ihm das so vor. So klar, wie der Himmel gerade war, so musste er nun auch zwischen ihnen endgültige Klarheit schaffen und alle Wolken der Vergangenheit, die aus seinen ewigen Lügen entstanden waren, beseitigen. Das war nun seine ganz persönliche Mission, die er jetzt erfüllen musste. »Ich muss dir nur etwas gestehen. Eine Sache, die ich schon längere Zeit mit mir herumschleppe. Und wenn ich ehrlich sein soll, habe ich Angst. Angst vor deiner Reaktion. Obwohl wir uns nun schon so lange kennen und ich deine Reaktionen normalerweise immer vorhersehen kann, habe ich Angst. Weil es nun das erste Mal sein wird, wo ich wirklich nicht die geringste Ahnung habe, wie du reagieren wirst.« Seine Stimme klang fest, als er ihr entschlossen in die Augen blickte. »Und du machst mir Angst, wenn du so weiterredest«, entgegnete Ran sichtlich nervös. Sie standen nun mitten im Herzen eines Parks. Um sie herum war niemand; es war auch schon spät. Lediglich die Straßenlaternen, die Sterne und der Vollmond waren anwesend und spendeten ihnen Licht. Aber das war vollkommen ausreichend, so, wie der Mond am heutigen Abend in seiner gesamten Pracht schien. Was würde sie nun erwarten? So, wie Shinichi sich verhielt, musste es etwas ganz Schlimmes sein. Etwas, das alles zwischen ihnen mit einem Schlag komplett ändern könnte. Entschuldigend lächelte Shinichi seine langjährige Sandkastenfreundin an. »Tut mir leid; es war ganz bestimmt nicht meine Absicht, dir Angst einzujagen«, entschuldigte er sich und versuchte so, eine halbwegs lockere Atmosphäre zu schaffen. Was ihm jedoch nicht wirklich gelingen wollte. Er wurde wieder ernster und holte tief Luft. Jetzt oder nie. »Shinichi Kudo wird bleiben; dafür wird aber Conan Edogawa niemals wieder zurückkehren können«, sagte er mit seltsam trüber Stimme, klang dabei auf merkwürdige Art ruhig – obwohl er innerlich vor Aufregung zitterte – und schloss seine Augen. Jetzt war es raus. Ran sah ihn jedoch nur verwirrt an. »W- Was willst du damit sagen?«, brachte sie lediglich ein leises Hauchen zu Stande. In ihrem Gehirn arbeitete ist, und sie zählte Eins und Eins zusammen. Doch sie wollte es nicht wahrhaben. »Shinichi und Conan können niemals am selben Ort sein«, fuhr er fort und sah ihr fest in die Augen. Eine Spur von Zärtlichkeit war darin zu entdecken. »Ich war nie wirklich weg, Ran«, wurde der Oberschülerdetektiv dann deutlicher und sah sie eindringlich an. »Ich war immer bei dir. Die ganze Zeit.« Wie zur Salzsäule erstarrt sah sie ihn mit weit aufgerissen Augen an. Also doch … Immer wieder hatte sie es angenommen, und nun wurde es endlich bestätigt: Shinichi Kudo und Conan Edogawa waren ein und dieselbe Person. Obwohl sie es schon des Öfteren geahnt hatte, traf sie die Wahrheit wie ein Schlag. Es zu vermuten und es sicher zu wissen: dazwischen lagen Welten. Dies musste sie am eigenen Leibe erfahren. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. So viel konfuses Zeug schwirrte ihr durch den Kopf; sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Logik und Vernunft waren bei ihr schon lange auf der Strecke geblieben. Was sie fühlte, war … Sie konnte es gar nicht benennen. Wahrscheinlich machte sie gerade alle Emotionen durch, die existierten. Und das innerhalb weniger Sekunden. »W- Warum?« Sie brachte keinen Laut heraus; lediglich ihre Lippen formten diese Frage. Wie peinlich. Shinichi hatte sie die ganze Zeit kein einziges Mal aus den Augen verloren und war zunehmend besorgter geworden. Daher stand ihm die Erleichterung wie ins Gesicht geschrieben, als sie aus diesem Trancezustand erwacht war. »Das ist eine sehr lange Geschichte. B- Bitte gib‘ mir die Chance, dir alles zu erklären. Glaub mir: Ich hatte meine Gründe. Und für mich war es mindestens genauso schwer wie für dich.« »Woher willst du das wissen?«, erwiderte Ran missbilligend und blickte zu Boden. »Weil ich bei dir war; und ich habe dein Leid gesehen«, antwortete er ehrlich und ging einige Schritte auf sie zu, um die Distanz zwischen ihnen ein Stück weiter zu verringern. Nun standen sie sich direkt gegenüber, nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. »Es tut mir leid. Das musst du mir bitte glauben.« Mit einem Mal schaute Ran hoch, und bei dem Ausdruck in ihren Augen setzte sein Herzschlag schlagartig für einige Atemzüge aus. Tiefe Enttäuschung war darin zu lesen. Enttäuschung über ein missbrauchtes Vertrauen. Er war so ein Vollidiot. »So wie ich es die letzten Male getan habe? Dir wirklich alles geglaubt habe, wo du mich doch immer wieder nur hinter’s Licht geführt hast? Sag mir, wie! Wie kann ich dir überhaupt noch jemals ein Wort glauben?« Als Shinichi sie nur weiterhin geknickt und schuldbewusst ansah, ergriff sie erneut das Wort. »Versetz dich doch bitte mal in meine Lage, Shinichi: Zwei Jahre lang habe ich mir solche Sorgen um dich gemacht. Und wie du schon gesagt hast: Du hast mein Leid gesehen. Du hast gesehen, wie sehr ich mich gequält habe. Warum … konntest du mir da nicht die Wahrheit sagen? Warum … hast du mich weiter leiden lassen? Hat es dir Spaß gemacht, mich in so einer Verfassung zu sehen?« Ihre Worte klangen zittrig, doch keinesfalls wütend. Nur … enttäuscht. Über alle Maßen enttäuscht. Diese Tatsache traf Shinichi mit voller Wucht. Er schluckte. Sie hatte ja sogar Recht mit dem, was sie sagte. Doch auf der anderen Seite hatte er es doch nur für ihren Schutz getan. Für ihre Sicherheit, die bei ihm stets die oberste Priorität hatte. Dieses Bedürfnis, sie zu beschützen, ging bei ihm sogar so weit, dass er behaupten könnte, dafür sogar über Leichen zu gehen. Was waren im Verhältnis dazu schon seine Lügen? Dennoch fühlte er sich jetzt vor ihr mehr als nur miserabel. »Es hat mir keinen Spaß gemacht. So oft gab es Momente, wo ich dir die ganze Wahrheit gestehen wollte. Doch immer wieder habe ich mich am Ende doch zurückgehalten. Ich wurde von einer gefährlichen Verbrecherorganisation geschrumpft, die mich eigentlich umbringen wollten. Sie dürfen niemals erfahren, dass ich noch am Leben bin. Dir die Wahrheit zu sagen und damit mit in meine Misere hineinzuziehen, für die ich selbst verantwortlich war … Das wäre das Egoistischste gewesen, was ich in meinem Leben hätte tun können.« Verwirrt hob Ran ihre Augenbraue. Mit dieser Antwort hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet. Obwohl sie zugleich so naheliegend war. Shinichi hatte sie schon immer beschützt. Hatte stets selbstlos gehandelt für ihr Wohl. Daran hatte sich auch im Laufe der Jahre nie etwas geändert. Und doch stellte er sich nun als strahlenden Helden dar, während sie vor Sorge und Sehnsucht beinahe gestorben wäre. Sie konnte nicht verhindern, dass sie sich … hintergangen fühlte. Auch, wenn das ihm gegenüber vielleicht unfair war. Deswegen wollte sie ihm ihre Gedanken auch nicht sofort an den Kopf werfen. Ihr kam dafür ein anderer Gedanke. »Also wusste wirklich niemand etwas davon? Nicht einmal deine Eltern?« Shinichi atmete hörbar aus. Schuldbewusst wich er ihrem Blick aus und sah zur Seite. Jetzt musste er ihr wohl doch die Karten offen hinlegen und beichten, dass er doch mehrere eingeweiht hatte. Einige, außer sie. Und er konnte sich sehr gut vorstellen, dass sie auch diese Tatsache sehr verletzen würde. Wieder einmal. Ran verstand seine Geste sofort. Es wussten mehrere Bescheid. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe, ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen und knurrte drohend: »Wer?« Es war ihm anzusehen, wie unangenehm ihm diese Frage war. Er kratzte sich teils überfordert, teils verlegen am Hinterkopf, bevor er mit der Sprache herausrückte. Es gab ohnehin kein Entkommen mehr. »Also meine Eltern wissen natürlich Bescheid. Aber ich habe es ihnen nicht erzählt, sondern Professor Agasa. Und er wiederum hat Conans wahre Identität auch gekannt. Er war der Allererste, dem ich das offenbart habe. Ihn habe ich auch als Erstes getroffen nach meiner unfreiwilligen Verjüngungskur. Und er hat mich erst darauf gebracht, dass ich meine wahre Identität nicht preisgeben soll, weil es viel zu gefährlich ist.« Dann machte er eine kleine Pause. »Wer noch?«, hakte Ran unbeirrt nach. Sie durchbohrte ihn regelrecht mit ihren Augen, bis er ihren Blick dann endlich, wenn auch nur mit einer Spur von Unsicherheit, erwiderte. »Und natürlich weiß Ai Bescheid. Sie ist selber geschrumpft worden. In Wahrheit ist sie auch schon 20. Das ist eine sehr lange Geschichte und werde ich dir bei Gelegenheit mal erzählen.« Shinichi beließ es dann dabei, als ihm Tausende von Dinge eingefallen waren. Sie wusste ja auch noch nichts von den genauen Hintergründen. Insgeheim hoffte er inständig, dass sich ihm die Gelegenheit eines Tages auch wirklich anbieten würde und dass Ran ihn davor bitte nicht schon in die Wüste geschickt hatte. »Okay.« Natürlich interessierte es Ran brennend, was es mit Ai auf sich hatte. Sie war schon immer ein sehr merkwürdiges Kind, und nun hatte sie auch die Erklärung, warum. Doch im Moment war die Neugier, wer noch von Shinichi beziehungsweise Conan wusste, einfach bis ins Unermessliche gestiegen. »Noch irgendjemand?« Shinichi dachte nach. Vermouth musste er noch nicht unbedingt erwähnen, genau wie auch Akemi Miyano, die ja tragischerweise bereits viel zu früh das Zeitliche gesegnet hatte. Dann blieben nur noch zwei übrig. Zwei Namen, die Ran sicherlich ziemlich schockieren werden, weil sie die Personen selbst sehr gut kannte. »Heiji.« Seine Stimme war sehr leise, und doch verstand Ran es. Wie es zu erwarten war, riss sie nur entgeistert ihre Augen auf. Heiji Hattori wusste also auch davon. Also hatten sie beide sie an der Nase herumgeführt. Und er kannte sie doch schon viel länger als ihn. Warum vertraute er ihm mehr als ihr? Warum? »Er hat es allerdings selbst herausgefunden; ich habe es nicht an die große Glocke gehängt«, versuchte Shinichi sich schnell zu verteidigen, als er ihren verletzten Ausdruck im Gesicht bemerkte. Schon wieder. War es denn so schwer, sie nicht zu verletzen? Für ihn anscheinend schon. Ran legte ihre Arme um sich. So, als würde sie sich selbst festhalten, um nicht umzukippen. Sie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen nachgab. »Ich hätte es auch fast herausgefunden. Aber anstatt mir dann endlich die Wahrheit zu sagen, wie du es offensichtlich bei Heiji getan hast, hast du mich dreist weiter angelogen.« Sie starrte ihre Schuhe an und konnte nicht verbergen, wie überaus gekränkt sie über diese Tatsache war. Getroffen blickte der Oberschülerdetektiv drein. Er konnte sich gut vorstellen, wie ihr das alles vorkommen musste. Und doch war es mit Heiji doch etwas ganz anderes – schließlich hatte er ihn wirklich in flagranti erwischt, wie er dessen Stimme imitiert hatte. Er hätte sich gar nicht herausreden können. Wie denn auch? Im Gegensatz zu Ran hatte er ja handfeste Beweise gehabt. Ran hatte ja lediglich fadenscheinige Vermutungen gehabt, die zugegeben ziemlich scharfsinnig gewesen waren. Oder auch sehr intuitiv. Allerdings hatte er nicht das geringste Verlangen, sich zu rechtfertigen. Es war so schon schwer genug für sie. Da wollte er sich nicht wieder als rechthaberischer Moralapostel aufspielen. »Wahrscheinlich wissen die meisten Bescheid außer ich. Und ich dachte, wir wären die besten Freunde. Wir kennen uns doch quasi schon unter ganzes Leben … Warum wissen so viele andere davon, aber ausgerechnet ich nicht? Hattest du so wenig Vertrauen zu mir?« Angesäuert kniff sie sich ihre Augen zusammen. Bloß nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht vor ihm. »Das stimmt doch überhaupt nicht; es wissen nicht mehr Leute Bescheid!«, versuchte er sie zu beruhigen und fügte leise hinzu, weil er sich nicht wieder in eine Lüge verrennen wollte, dass es nur noch einige wenige gab. »Also wer denn noch?«, blaffte sie ihn gereizt an. »Eine Feindin: Vermouth. Das ist auch eine lange Geschichte. Dann noch Akemi Miyano, die du als Masami Hirota kennengelernt hast. Kurz vor ihrem Tod hab ich mich ihr mit meinem wahren Namen vorgestellt. Und … Eisuke.« Ihm war mehr als nur bewusst, dass er sie mit diesen Namen nur noch mehr bloßstellen würde, doch auf der anderen Seite wollte er nun die Lügerei hier und jetzt endgültig beenden. Und da gehörte eben die Wahrheit dazu. Die ganze Wahrheit. Der letzte Rest Farbe war aus dem Gesicht der schönen Neunzehnjährigen gewichen. »Ei- Eisuke auch?!«, stotterte sie entsetzt und konnte es nicht fassen. Bei Heiji konnte sie es vielleicht noch halbwegs verstehen; vor allem, weil auch er ja ein begnadeter Detektiv war und man ihn nicht lange hinter das Licht führen konnte. Außerdem waren sie sehr gut miteinander befreundet. Aber … Eisuke?! »Wie?« Einen weiteren Ton brachte sie nicht mehr heraus. Ihre Stimme versagte ihr unter dem Zittern. Der Detektiv legte seine Stirn in Falten. Na ganz toll, wo hatte er sich da wieder hineingeritten? Eigentlich wollte er ihr gar nicht erzählen, dass Eisuke etwas für sie empfunden hatte. Doch es half nichts. »Ich hatte gar keine andere Wahl gehabt. Er wollte dir seine Liebe gestehen und dich womöglich mit nach Amerika nehmen. Das … konnte ich doch unmöglich zulassen! Und da habe ich ihm kurzerhand eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich damit nicht einverstanden bin. Nicht Conan Edogawa, sondern ich. Shinichi Kudo. Erst da hat er dann sein Vorhaben aufgegeben.« Er merkte selbst nicht, wie er immer verbissener wurde, als er auf dieses Thema zu sprechen gekommen war. Ganz im Gegensatz zu Ran. Doch sie konnte diese Verbissenheit nicht deuten. Warum war er auf einmal so gereizt? Und warum wollte er das nicht zulassen, dass Eisuke ihr seine Gefühle gestand? »Und warum das Ganze? Hätte es keinen anderen Weg gegeben? Warum hast du ihm quasi gleich auf den Tisch gelegt, dass du Shinichi Kudo bist? Ich dachte, es war wichtig, dass du das Geheimnis für dich behältst?« Sie ersparte ihm aber auch gar nichts. Das hatte er nun davon. Unglaublich, warum er nicht vorher darauf gekommen war, dass es zu dieser Situation kommen musste. Durch die Tatsache, dass er ihr von dieser ganzen Sache mit Eisukes Gefühlen erzählt hatte, war es doch nur logisch, dass er dadurch auch auf seine eigenen Gefühle zu sprechen kommen würde. Warum hatte er nicht früher daran gedacht, bevor den Mund aufgemacht hatte? Bei Ran setzte sein rationaler Verstand einfach aus. Das war schon immer so gewesen. Und anstatt dass es abnahm, wurde es immer schlimmer. Denn mit jedem Tag wuchs seine Liebe zu ihr. Und damit schrumpfte indirekt proportional dazu sein logisches Denken, wenn es um sie ging. »Er wollte Shinichi Kudo fragen, ob er etwas dagegen einzuwenden hatte, wenn er dir seine Gefühle gesteht und dir anbietet, mit ihm nach Amerika zu ziehen. Und da habe ich ihm die Chance gegeben, mich persönlich zu fragen. Sonst hätte er dich nämlich sofort gefragt, weil Shinichi ja nicht zu erreichen war. Unter normalen Umständen hätte ich ihm das auch nicht so unverblümt gesagt, aber … es war einfach eine Kurzschlussreaktion gewesen. Ich wollte ihn mit allen meinen zur Verfügung stehenden Mitteln von dir fernhalten.« Unter seinen Wangen färbte sich ein leichter Rotschimmer, der Ran nicht verborgen blieb. Konnte das wirklich sein …? War er etwa eifersüchtig gewesen? Aber das war noch lange kein Grund, um gleich falsche Hoffnungen zu schöpfen. Es gab schließlich auch so etwas wie rein freundschaftliche Eifersucht. Und sie hatte mit Liebe so gar nichts am Hut. Sie schüttelte den Kopf. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt an so etwas? Sie musste sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Sie kam auf ihren bereits ausgesprochenen Vorwurf zurück. Auf den Vorwurf, auf den sie von ihm noch keine direkte Antwort bekommen hatte. »Wenn es wirklich so war und jeder, den du in dieses Geheimnis eingeweiht hast, automatisch in Gefahr gebracht worden ist, was ich bis jetzt immer noch nicht so ganz kapiere … Dann hättest du mir doch genauso gut die Wahrheit sagen können. Der Rest wusste Bescheid. Sie sind also doch auch in Gefahr geraten, oder etwa nicht? Anscheinend scheint ja die Gefahr nicht so groß zu sein, wenn du bei ihnen die Katze aus dem Sack gelassen hast. Warum hast du also mich die ganze Zeit verarscht? Lag dir etwa so wenig an mir?« Für den Bruchteil einer Sekunde schloss Shinichi seine Augen, um sich zu sammeln. Es war also so weit. Eigentlich hätte er es ihr gerne in einer anderen Atmosphäre, in einer etwas romantischeren Situation gesagt. Doch das Schicksal machte ihm wohl wieder einen Strich durch die Rechnung. Wie schon so oft. Was soll‘s. Dann musste er eben das Beste daraus machen. Er ging einen weiteren Schritt auf sie zu, um nun direkt vor ihr zu stehen. Er schlug seine Augen auf und sah mit einer durchdringenden Intensität in ihre. »Glaubst du, ich hatte keinen triftigen Grund gehabt, warum ich ausgerechnet dir die Wahrheit vorenthalten habe? Warum ich ausgerechnet dich nicht auf die Schusslinie bringen wollte?« Er machte eine kurze Pause, um tief Luft zu holen und das auszusprechen, was er ihr schon so lange hatte offenbaren wollen. Dabei legte er sanft seine Hände auf ihre Schultern. »Deine Sicherheit lag mir mehr am Herzen als alles andere. Ich habe das getan, um die Person zu beschützen, die ich mehr als alles andere auf dieser Welt liebe. Nämlich dich.« Überaus verblüfft sah sie Shinichi in die Augen. Auch, wenn sie es insgeheim gehofft hatte. Dass nun wirklich diese Worte seine Lippen verließen, erschien ihr nun wie ein schöner Traum. So schön, dass er eigentlich gar nicht wahr sein konnte. Nein. Oder etwa doch? Sie runzelte angestrengt die Stirn. Irgendwie war sie so geplättet und verwirrt, dass sie sein Liebesgeständnis gar nicht realisieren konnte. So viele Jahre hatte sie darauf gewartet, und jetzt, wo er ihr endlich die erhofften Worte offenbart hatte, stand sie nur wie vom Donner gerührt da und brachte kein einziges Wort zustande. Shinichi sah sie lange an und wartete, immer ungeduldiger werdend, ab, doch ihre Reaktion war nicht gerade die, die er sich ersehnt hatte. Sie liebte ihn doch auch. Das hatte sie ihm selbst unfreiwilligerweise gestanden, ohne es sich bewusst zu sein. Warum … warum sagte sie jetzt dann nichts? War es vielleicht doch der falsche Zeitpunkt gewesen? War der Schock über die Wahrheit nun größer als ihre Gefühle für ihn? Verdrängten nun die gewissen Umstände sogar ihre Liebe? Bitte nicht. Zwar hatte er nicht unbedingt erwartet, dass sie ihm nun freudestrahlend um den Hals fallen oder mit Küssen überhäufen würde, auch, wenn er es sich vielleicht heimlich gewünscht hatte, aber wenigstens eine kleine, positive Reaktion hätte er schon erhofft. Aber nichts davon. »R- Ran?«, traute er sich nun doch, wieder das Wort zu ergreifen. Unsicher blickte er sie an mit seinen strahlend blauen Augen. Unsicherheit. Ein Ausdruck, den man herzlich wenig auf seinem Gesicht zu sehen bekam. Doch nun war er zweifelsohne vorhanden. Er wirkte in diesem Moment so angreifbar und verwundbar. Ein Bild, das ihr so paradox erschien. Und gleichzeitig war es real. »Sag das noch mal«, hauchte sie leise, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. Ihre Augen verloren jegliche Enttäuschung und Wut und machten Platz für ein viel stärkeres Gefühl, welches sich mit einem Mal in ihr ausbreitete: Wärme. Und Liebe. Das, was sie eigentlich immer für ihn empfand. Zu jeder denkbaren Zeit. Der Detektiv schluckte. Pünktlich zum Schulabschluss wurde es wohl nun an der Zeit, ein Mann zu werden. Und ein Mann konnte offen über seine Gefühle sprechen. Also los! Er gab sich einen Ruck und strich seiner Freundin zärtlich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Seine Stimme klang erstaunlich fest und sicher, als er die Worte aussprach, nach denen sich die ehemalige Oberschülerin so sehr gesehnt hatte. »Ich liebe dich, Ran. Schon so lange.« Ein Gefühl des puren Glücks übermannte Ran nun wie eine gigantische, gnadenlose Tsunamiwelle. Das Glück war so groß, dass sie glaubte, an diesem Gefühl ertrinken zu können. Es war überwältigend. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass man so ein Gefühl überhaupt empfinden konnte. Diese unsichtbare Last auf ihrem Herzen, die mit der Zeit so sehr an Gewicht zugelegt hatte, dass sie am Ende sicherlich einige Tonnen schwer gewesen war, löste sich mit einem Schlag in Luft auf. Erst jetzt merkte sie, dass sie so ein Gewicht überhaupt die letzten Jahre mit sich herumgetragen hatte. Denn nun fühlte sie sich so leicht und unbeschwert. So sorgenfrei. So unbekümmert. Leicht wie eine Feder. Es war unglaublich. Und endlich lächelte sie. Ein schüchternes und zärtliches Lächeln. »Ich dich auch, aber … das weißt du ja schon«, erwiderte sie verlegen und legte vorsichtig ihre Arme um seinen Nacken. »Es ist aber überhaupt nicht miteinander zu vergleichen«, raunte er verliebt, »es als Conan erfahren zu müssen oder als Shinichi Kudo von deinen Lippen persönlich hören zu dürfen.« Wie von selbst nahm er sanft ihren Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Er dachte gar nicht nach, als er sich immer mehr ihren Lippen näherte. Ran ließ es wehrlos zu. Sie schloss langsam ihre Augen, wie auch er seine. Sie konnten bereits den warmen, wohlriechenden Atem des anderen spüren, bevor sich ihre Lippen endlich zu einem ersten Kuss trafen. In diesem Moment blieb die Zeit für sie stehen. Und ginge es nach ihnen, hätte die Zeit auch für immer stehen bleiben können. So schön war dieser Augenblick. Der schönste ihres bisherigen Lebens. Als sie sich nach schier unendlich langer Zeit, die ihnen jedoch trotzdem recht kurz vorkam, voneinander lösten, waren sie mehr als nur glücklich. Nichts konnte sie mehr trennen. Gar nichts. Nach ihrem ersten Glücksrausch zählte Ran mit einem verschmitzten Grinsen auf, was für sie noch auf dem Plan stand. »Du bist mir aber immer noch viele Erklärungen schuldig, mein Lieber. Ich will jedes einzelne Detail von dir wissen. Wie alles passiert ist; wie die Gefahr aussah und so weiter. Davon weiß ich nämlich immer noch überhaupt nichts.« Shinichi legte seinen Kopf schief und grinste sie ebenfalls an. Er war so glücklich. Glücklich, dass sie auf dem besten Weg war, ihm all seine Lügen zu verzeihen. Und noch glücklicher, dass sie von nun an wirklich wahrhaftig zusammen sein konnten. Heute endete ein alter Lebensabschnitt, und den neuen Lebensabschnitt würden sie nun gemeinsam beginnen. Wie auch jeden weiteren in ihrem Leben. »Alles, was du wissen willst, meine Liebe. Hauptsache, du bleibst bei mir. Für immer.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)