Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 31: Feuer zum Mittag ---------------------------- Erst am Nachmittag ging es in Schloss Lotusblüte wieder normal zu, nachdem alle Bewohner ihren Rausch ausgeschlafen und einigermaßen die Kopfschmerzen wegbekommen hatten. Im Speisesaal stand ein verspätetes Mittagessen bereit, als Blacky und Dark eintraten. Es handelte sich um eine kräftige Gemüsesuppe, der man nach Wunsch Fleisch hinzufügen konnte, das in einer separaten Schale bereitstand. Beides wurde von Wärmezaubern warmgehalten. Lord Genesis und Thaumator fehlten am Tisch des Zirkels des Bösen. Auf den Plätzen, die dadurch frei blieben, saßen Soach und Shiro, um die Gäste zu unterhalten. „Dein Vater wirkt recht ausgelassen,“ bemerkte Dark. Blacky nickte. „Er tut seine Pflicht als stellvertretender Schlossherr. Er wird lächeln, selbst wenn es ihn umbringt.“ In den roten Augen fehlte einfach der Glanz. Und vermutlich hatte Soach auch nicht viel Schlaf bekommen, sondern sich erst um Lily und dann um seine Aufgaben im Schloss gekümmert, nachdem er die Nacht am Strand verbracht hatte. Blacky fühlte sich hilflos. Er mochte noch so sehr daran glauben, dass alles gut wurde – davon ging es aber seinem Vater jetzt nicht besser. Manchmal kamen auch einem Chaosmagier beinahe Zweifel. Dark drückte ihm eine Suppenschale in die Hand und dirigierte ihn zu einem Tisch, an dem nur die Hälfte der acht Plätze besetzt waren, nämlich von Fire, Eria, Ujat und Mava. Der Stuhl links neben Fire war frei, stand aber nach vorne gekippt an den Tisch gelehnt, als wäre er für jemanden reserviert. Eria saß über Eck an seiner rechten Seite, was für das Pärchen aber ganz praktisch war, denn so konnten sie sich beim Reden besser ansehen und ein bisschen turteln. Blacky suchte sich den Platz gegenüber seines Bruders aus, denn dort konnte sich Dark zu ihm setzen. Allerdings wählte er dann den Platz neben Eria, so dass sie ebenfalls über Eck turteln konnten. Ujat warf ihnen von rechts beziehungsweise gegenüber Blicke zu. Blacky wunderte sich oft, ob der Mann wohl irgendetwas sah, wann immer jemand Neues in seinen Wirkungskreis kam. Der ältere Magier hatte bereits bewiesen, dass er zur richtigen Zeit zu reden wusste. Und vor allem zu handeln. Er stand ganz oben auf der Liste der Personen, denen Blacky gerne einen großen Gefallen tun wollte. Während er das dachte, lächelte Ujat ihm zu, nickte grüßend und wandte sich wieder seinem Essen zu. „Er wollt‘ das mit Crimson besprechn,“ fing der Chaosmagier Gesprächsfetzen von Fire auf. „Weißte, wanner wieda auftaucht?“ „Frag lieber Cathy,“ sagte Eria. „Crimson schläft im Moment am Tag, weil er nachts den Vampir unterhält. Gestern waren sie im Dunkeln schwimmen, hab ich gehört. Genesis hat auch viele Tipps für ihn, wie er sich als Zirkelmitglied verhalten sollte. Aber das haben die Typen wohl alle.“ „Vor allem musser jetz wohl auch so Protzklammottn anziehn,“ überlegte Fire und grinste. „Das is wohl ne allgemeine Macke bei denen...“ Jemand nahm sich den reservierten Stuhl und setzte sich, ohne zu fragen. „Guten Tag, allerseits.“ Blacky hätte Thaumator fast nicht erkannt, denn er trug untypischerweise einen engen, schwarzen Pullover zur schwarzen Hose. Weder der Kragen noch die Ärmel sahen besonders protzig aus, und der Hut fehlte völlig. Er legte einen braunen Leinenbeutel auf den Tisch und entnahm ihm einen kleinen Teller aus gebranntem Ton, auf dem er dann einen Kerzenstummel festklebte. „Fire, Sei doch so gut und entzünde den Docht.“ Sofort unterbrach der junge Feuermagier sein Gespräch. „Ja, kein Problem, Meister...“ Er starrte das Ziel eine Minute lang an, machte dann eine Handbewegung und ließ eine Stichflamme erscheinen, die fast bis zur Decke reichte, und das wollte etwas heißen in einem Schloss. Blacky vergaß, seinen Suppenlöffel zum Mund zu führen. Allen anderen außer Ujat, der sich mit seiner Schale in der Hand zurück gelehnt hatte und sie nun genüsslich austrank, schien es ähnlich zu gehen. Mava, der neben Ujat und in direkter Nachbarschaft des Experiments saß, sprang fluchend auf und versuchte, den Schaden zu begrenzen, nachdem er seine Suppe über seine Robe verkippt hatte. „Schon ganz gut, wie du die Kerze angezündet hast, Fire,“ kommentierte Thaumator. „Den Untersetzer zu zerstören und einen verkohlten Fleck auf dem Tisch zu hinterlassen, gehörte allerdings nicht zur Aufgabenstellung, daher keine volle Punktzahl.“ Er holte einen neuen Kerzenstummel aus dem Beutel und klebte ihn auf die erkaltenden Reste des ersten inmitten einiger Tonscherben. Während Mava seine Kleidung mit einem Reinigungszauber behandelte, sah Blacky gespannt zu, ob der nächste Versuch besser verlief. Die Gespräche an den anderen Tischen verstummten. Einige Neugierige machten die Hälse lang, aber anscheinend traute sich niemand, sich dem Tisch zu nähern. Ob das an Thaumator lag oder generell an der Anwesenheit der Zirkelleute, war schwer zu sagen. Fire warf stirnrunzelnd einen Blick auf seinen Lehrmeister. Da dieser seine Anweisung nicht widerrief und auch sonst nichts mehr dazu sagte, versuchte er es einfach erneut. Danach war der verkohlte Fleck auf dem Tisch noch etwas schwärzer. „Du benutzt zu viel Meras,“ erklärte Thaumator ihm. „Ich habe mich gefragt, warum du keinen Abschluss auf der Eisigen Universität gemacht hast, ist das vielleicht der Grund?“ „Ihr habt wohl mal wieder Eure Hausaufgaben gemacht,“ grummelte Fire. „Tatsächlich hatte ich das ein oder andere Problem mit meiner Feinarbeit, aber einen Abschluss hätte ich schon noch gekriegt. Ich hatte einfach keinen Bock mehr.“ Thaumator legte wortlos einen neuen Kerzenstummel an den alten Platz, überlegte es sich dann jedoch anders und schob das Übungsobjekt etwas weiter zu seiner linken Seite. Mava rückte seinen Stuhl ein Stück nach hinten. Nachdem Fire noch drei weitere Kerzenstummel vernichtet hatte, sah der Tisch sehr... einzigartig aus. „Vielleicht liegt es an dem Chaosblut in dir,“ überlegte Thaumator. „Chaosmagier sind dafür bekannt, dass sie immer viel Energie verschwenden.“ „Hey! Das liegt einfach daran, dass wir sehr viel davon haben!“ protestierte Blacky. „Naja, aber wo er Recht hat, hat er Recht,“ grinste Dark. „Pah.“ Blacky ließ eine kleine, leuchtende Kugel in seiner Hand entstehen, beugte sich vor und hielt sie an den Docht des neuesten Kerzenstummels, der daraufhin sauber Feuer fing. „Eine legitime Lösung,“ stellte Thaumator fest. „Schließlich bestand die Aufgabe nur darin, den Docht zu entzünden. Theoretisch hättest du auch eine andere Kerze zu Hilfe nehmen können.“ Fire starrte ihn verblüfft an. „Ich dachte, ich sollte... ach, egal. Ey, Blacky... war das jetzt eigentlich Feuermagie?“ Der ältere Bruder zuckte mit den Schultern. „Licht, glaube ich.“ „Es muss nicht unbedingt Feuer sein, damit es brennt,“ nickte Thaumator. Während er sprach, erlosch die Flamme, ohne dass jemand etwas Sichtbares dazu beitrug. Fire machte es Blacky nach, indem er einen kleinen Feuerball zwischen den Fingern erschuf und damit die Kerze entzündete. Blacky fiel auf, dass es ihn einige Mühe zu kosten schien, die Kugel klein genug zu machen. Das Phänomen gab es oft: Mächtiger Magier beherrscht die tollsten Giga-Attacken, aber kriegt keinen Kleinkram hin. Zum Glück musste er selbst sich nicht zu diesem Kreis zählen, weil er viel Magie für kleine alltägliche Dinge verwendete, ähnlich wie sein Vater früher. Wie durch diese Gedanken herbeigerufen trat Soach gerade von hinten an Fires Stuhl heran und sprach den Lehrer seines Sohnes an: „Werdet Ihr eigentlich für den Schaden aufkommen, den Euer Schüler verursacht hat, Thaumator?“ „Selbstredend,“ bestätigte der Feuermagier sofort. „Ehrlich gesagt habe ich gedacht, dass ein Untersetzer reicht, um das Inventar zu schützen – aber immerhin ist er der Legendäre Lord der Flammen. Mein Fehler.“ Fire sah aus, als wollte er im Boden versinken. Sein Gesicht war ganz rot. „Äh... ich dachte, das Schloss kann eh einen neuen Tisch gebrauchen.“ „Vielleicht sollte ich dir dann die Kosten von deinem Taschengeld abziehen,“ überlegte Thaumator. „Ich kriege kein Taschengeld von Euch,“ widersprach Fire. „Doch, traditionell kriegt der Schüler eine kleine finanzielle Zuwendung von seinem Lehrer, das gehört dazu, dass er quasi den Vater ersetzt,“ gab Thaumator zurück. „Äh... das ist aber nicht nötig,“ versicherte Soach ihm. „Es steht Euch ja frei, den Junge trotzdem noch finanziell zu unterstützen, nicht dass er sich am Ende noch einschränken muss, weil ich weniger zahle als Ihr,“ erwiderte der Feuermagier. Soach seufzte. „Macht, was Ihr wollt.“ Fire beugte sich zu Eria. „Kriegst du was von Crimson?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht regelmäßig, aber Cathy lässt mich in die Schatzkammer, wenn ich das möchte.“ „Echt jetz?“ „Ja, echt. Für gewöhnlich lasse ich aber einfach alle Sachen, die ich im Dorf kaufe, auf Crimsons Rechnung setzen.“ Fire grinste breit. „Raffiniert.“ „Erst einmal hast du ja die Aufgabe gelöst,“ lenkte Thaumator seine Aufmerksamkeit zurück aufs Thema. „Wie dein Bruder ganz klar erkannt hat, war es nicht verboten, auf Hilfsmittel zurückzugreifen, obgleich ich mir das natürlich anders vorgestellt habe. Kannst du die Flamme mit Magie löschen?“ Das sah unproblematisch aus: Fire zog die Flamme in seine Hand und schloss die Finger um sie, damit war sie fort. Das überraschte Blacky nicht, denn vorhandenes Feuer unter seine Kontrolle zu bringen gehörte zu Fires speziellen Talenten. „Schön, und nun zünde den Docht wieder an, ohne dass jemand merkt, dass du es warst,“ verlangte sein Lehrer. „Sicher, dass wir das noch weiter versuchen sollten?“ fragte Fire nach. „Du hast Recht, ich sollte erst einmal was essen,“ stimmte Thaumator zu. Als er sich erhob, um sich etwas aus dem Suppentopf zu holen, taten alle Anwesenden so, als wäre nichts gewesen, und nahmen schnell ihre Gespräche wieder auf. Fire sah Eria ernst an. „Ich will schnell selber Geld verdienen für uns!“ Das schien seine Gefährtin zu überraschen. „Willst du etwa wegziehen?“ „Nein, aber trotzdem! Und irgendwann ziehen wir schon weg, ich meine... vielleicht. Ich könnte einen Job finden und wir wohnen in einem eigenen kleinen Häuschen...“ „Meine Güte, so kenne ich dich ja gar nicht,“ staunte Blacky. „Hast du einen Anfall von Verantwortungsgefühl?“ „Jedenfalls solltest du es nicht nötig haben, dich von Thaumator bezahlen zu lassen,“ mischte sich Soach ein. Er sah etwas indigniert aus, so als würde der bloße Gedanke ihn stören. Der Feuermagier tauchte schon wieder neben ihm auf, in der Hand eine Suppenschale. „Ich dachte, Ihr wolltet eine Sorge weniger haben, also vielleicht auch eine finanzielle.“ „Ich habe keine finanziellen Sorgen, aber ich möchte nicht, dass Ihr eine bekommt, wenn Ihr Fire Taschengeld gebt,“ entgegnete Soach. „Eure Kollegen deuteten an, dass Ihr nicht gerade im Geld schwimmt.“ Thaumator lachte mit einem leicht spöttischen Unterton. „Passt lieber auf, dass Ihr nicht bald selber auf dem Trockenen sitzt.“ Soach hob die Augenbrauen, verzichtete aber auf eine Erwiderung. Thaumator aß seine Suppe. „Bei den Anforderungen, die eine Mitgliedschaft im Zirkel des Bösen mit sich bringt, sollte Crimson gut rechnen,“ murmelte Dark. „Zum Glück hatte ich nicht vor, mir Geld von ihm zu leihen.“ Blacky war nicht darüber im Bilde, wovon Dark seine Bauarbeiter bezahlte, die Burg Drachenfels neu aufbauten. Derzeit hatte er auch genug eigene Sorgen. Naja, eigentlich nur zwei. Seinen Vater und Lady Charoselle. Sie erwartete in nächster Zeit eine Antwort von ihm bezüglich des Themas, über das sie sich so lange unterhalten hatten. „Entschuldigt mich,“ sagte er und verließ den Tisch, obwohl es noch interessant gewesen wäre, Fire bei seinem Unterricht zu beobachten. Aber davon konnte ihm ja später Dark berichten. Der Herr von Burg Drachenfels blieb noch sitzen und ließ seinen Geliebten alleine gehen. Das war eines der Dinge, die Blacky an ihm mochte... er konnte einschätzen, wann er Gesellschaft brauchte und wann er lieber für sich sein wollte. Der Chaosmagier entschied normalerweise alles spontan und schnell, denn das gehörte zu seiner Kunst dazu. Aber hier ging es nicht um Magie. Dark versicherte ihm zwar immer wieder, dass er seine Entscheidung respektieren würde, egal, was damit für Komplikationen einhergingen. Aber es war doch ein ziemlicher Einschnitt in ihr beider Leben. Blacky runzelte die Stirn, während er ins Freie trat. Seit wann fürchtete er sich denn vor Veränderungen? Er spazierte zum Strand hinunter und sah den Wellen zu. Hatte er sich denn nicht schon im ersten Moment entschieden? Nur seine Vernunft hielt ihn noch davon ab, diesen Schritt zu gehen, statt dessen dachte er endlos darüber nach. Ihn beschlich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, und er drehte sich um. „Aha... bist du mir gefolgt?“ Charoselle zuckte mit den Schultern. „Ich habe auf eine Gelegenheit gewartet, dich alleine zu treffen. Also bin ich dir wohl gefolgt. Hast du dich entschieden?“ Blacky seufzte. „Du kennst meine Bedenken, aber ich mache es, weil es für Papa ist. Aber versprich mir, dich weiterhin nach einer Alternative umzusehen.“ „Kayos, ich möchte aufhören, mich nach Alternativen umzusehen. Wir haben das doch alles besprochen. Es wird für alle besser sein, wenn die Ungewissheit aufhört.“ „Ja, da hast du Recht... also gut,“ lenkte Blacky ein. „Sollen wir es ihm gleich erzählen?“ Charoselle überlegte kurz. „Nein... lass ihn uns damit überraschen. Er steht dann auch vor vollendeten Tatsachen und kann es dir nicht ausreden.“ „Also wirklich!“ Blacky lachte, zumal er merkte, dass seine Großmutter ganz erleichtert war. Die Herrscherin der Eisigen Inseln lächelte breit, was er schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. „Du wirst es gut machen, davon bin ich überzeugt. Und da wir das nun geklärt haben, können wir uns wieder mit anderen Dingen befassen. Zum Beispiel Fire. Hat der sich wirklich mit dem Mann als Lehrer eingelassen, der Soach ausgebrannt hat? In dem Schloss, das Soachs Seele besitzt?“ Blacky zuckte mit den Schultern. „Ja, Papa hat es ihm erlaubt. Erst wollte Fire es Thaumator wohl heimzahlen, aber irgendwie hat er seine Meinung geändert.“ „Meine Güte!“ murmelte die Lady kopfschüttelnd. „Hoffentlich geht das gut. Thaumator ist der Sohn von Itrikaria, einer fehlgeleiteten Feuermagierin. Hinter der war ich damals auch her, wurde aber durch die Herrschaftsgeschäfte von der Jagd abgehalten. Thaumator hat seine Mutter selber erledigt und wurde dann von Sage und Cosmea gefasst. Um ein Haar hätte der Zirkel des Bösen ihn auch zur Ausbrennung verurteilt, aber da gab es wohl irgendwelche mildernden Umstände.“ „Nun, das kannst du ihm nicht zum Vorwurf machen, schließlich gab es auch bei Papa mildernde Umstände, als er zum ersten Mal vor Gericht stand.“ „Das meinte ich auch nicht,“ winkte die Unterweltlerin ab. „Ich befürchte nur, er wird Fire Flausen in den Kopf setzen. Mir reicht völlig, dass mein Sohn auf die schiefe Bahn geraten ist, da soll es nicht auch noch meinem Enkel so ergehen! Thaumator ist zwar angeblich rehabilitiert, aber er wuchs schon als Handlanger einer Gesetzlosen auf! Sowas vergisst man nicht, glaub mir. Er hat es im Blut, genau wie Edeh es hatte.“ „Oma, jetzt übertreibst du aber,“ wandte Blacky ein. „Sonst müsstest du ja auch bei mir vorsichtig sein. Schließlich hat Papa auch...“ „Dein Vater war in Versuchung durch diesen Malice! Und er hatte eine rebellische Phase, weil er nicht König werden wollte!“ „Ja, schon klar.“ Blacky vermutete, dass seine Großmutter den Haken in ihrer Argumentation durchaus bemerkte, aber nicht sehen wollte. Zugleich fiel es ihr schwer, anderen zu vertrauen, denn als frühere Chaosjägerin hatte sie ihre Erfahrungen gemacht. Zuletzt mit der Familie Arae. Da war es schon verständlich, wenn sie sich um Fire sorgte. „Aber Fire wohnt im Schloss, wo Papa ihn im Auge behalten kann. Und Thaumator somit auch,“ versuchte er sie zu beruhigen. „Das ist nun wirklich etwas, worüber du dir keine Gedanken zu machen brauchst.“ „Mache ich mir aber,“ beharrte sie. „Wer weiß, was Thaumator damit bezweckt. Er dürfte eigentlich gar keine Zeit für einen Schüler haben, den er nicht mitnehmen kann.“ „So? Ist es so zeitaufwändig, im Zirkel des Bösen zu sein?“ „Es scheint gewisse Verpflichtungen mit sich zu bringen,“ überlegte Charoselle ernsthaft. „Aber ich bezog mich eher auf seine Ländereien. Jemand muss sich darum kümmern.“ „Hat er dafür nicht seine Leute?“ „Nein... es gibt nur eine Haushälterin und einen Imker mit seiner Frau. Ich hab mich mit Vanis über ihn unterhalten, er deutete an, dass Thaumator praktisch pleite ist.“ Das überraschte Blacky, obwohl auch Soach schon so eine Bemerkung fallengelassen hatte. „Der Zirkelvorsitzende scheint aber sehr locker mit solch vertraulichen Informationen umzugehen,“ bemerkte er. Lady Charoselle zuckte mit den Schultern. „Wir kennen uns, Soach war mal mit seiner Schwester liiert. Sie haben einen gemeinsamen Sohn.“ „Ja, ich weiß, ich habe Mayet kürzlich getroffen,“ erwiderte Blacky und genoss es, zur Abwechslung mal sie zu überraschen. Seine Großmutter hob tatsächlich erstaunt die Augenbrauen. „So? Na da schau her. Wie geht es ihm?“ „Ganz gut soweit. Aber er versteht sich nicht mit seinem Halbbruder mütterlicherseits. Was vielleicht nicht verwundert, denn der ist ein Arae. Da hat ein Jagerillia schlechte Karten.“ „Jaja, die Welt ist klein,“ pflichtete Charoselle ihm bei. „Man könnte glatt meinen, es gäbe nur zwei Clans bei den Unterweltlern, und die laufen sich ständig über den Weg. Obwohl... Vanis ist ein Lytrao. Also sind es schonmal drei.“ „Richtet sich der Name eigentlich immer nach dem Vater?“ „Für gewöhnlich ja, wenn das Kind nicht von einem anderen Mann adoptiert wird. Das wird aber eigentlich nur gemacht, wenn die Frau sich bindet und es so wünscht. Valia Lytrao ist bisher noch frei. Vermutlich wird das auch so bleiben, sie ist ziemlich eigensinnig.“ „Ähm...“ Blacky rieb sich nachdenklich das Kinn. „Bin ich dann auch ein Jagerillia, oder zählt es nicht mehr, weil ich kein reiner Unterweltler bin?“ „Hmm...“ Charoselle verschränkte nachdenklich die Arme. „Manche Clans sind zwar gegen solche Verunreinigungen ihres Namens, aber es wurde sich darauf geeinigt, dass es egal ist, weil sich solch eine Verwandtschaft meistens irgendwann verläuft. Davon abgesehen schadet es der genetischen Vielfalt nicht, wenn etwas Fremdblut dazukommt. Es wird aber gerne frühzeitig dafür gesorgt, dass solche Kinder wieder einen Bund mit jemandem aus den Clans schließen. Also müsste ich dich am besten, lass sehen... mit meiner Großnichte väterlicherseits verkuppeln, dann ist alles gut.“ Der Chaosmagier grinste breit. „Untersteh dich!“ „Ich werde dich aber auf jeden Fall mal dem Clanoberhaupt vorstellen, damit es offiziell wird. Das sollte ich auch mit Soachs anderen Kindern tun.“ „Nun, dann lade dieses Oberhaupt doch zur Beseelungsfeier ein,“ schlug Blacky vor. „Da werden einige deiner Enkel anwesend sein.“ „Ach ja?“ „Es soll eine Überraschung werden, also sag Papa nichts.“ „Aaaah ja.“ Charoselle wirkte damit zufrieden und fragte auch nicht weiter nach, zumal die beiden abgelenkt wurden, als Cathy sich materialisierte. Der Schlossgeist wirkte im Freien weniger stofflich als drinnen, da das Tageslicht durch seinen Körper schien. „Blacky, komm bitte rein, da sind so komische Gestalten im Anmarsch. Als derzeitiger Chaosmagier des Schlosses könntest du Soach behilflich sein,“ bat Cathy. „Ich komme schon. Oma und ich haben auch besprochen, was wir zu bereden hatten, oder?“ „Ja, das Wichtigste haben wir durch,“ bestätigte Charoselle. Blacky nickte ihr zu und begab sich dann zurück ins Schloss. Da er dafür den Haupteingang benutzte, konnte er bereits sehen, dass sich eine Gruppe von Personen näherte, die anscheinend in einer bestimmten Formation marschierten. Für Einzelheiten waren sie aber noch zu weit weg. Charoselle blieb neben ihm sehen. „Sie sehen nicht wie eine feindliche Armee aus. Vielleicht einfach nur Pilger.“ „Warten wir es ab, sie sind bald hier.“ In der Haupthalle stieß Soach zu ihnen. Er trug seinen neutralen Gesichtsausdruck zur Schau und gab sich ganz als kompetenter Schlossherr in Stellvertretung. Zwar trug er keine besonders protzige Kleidung, aber seine Haltung sprach eine eigene Sprache. Blacky seufzte innerlich. Für die Fähigkeit, sich so zu verstellen und in jeder Situation einen gelassenen Eindruck zu erwecken, bewunderte er seinen Vater aus tiefster Seele. Um neben ihm zumindest einen guten Eindruck zu hinterlassen, straffte er seine Haltung, hob das Kinn und befleißigte sich eines festen Schrittes. Auf Soachs Gesicht erschien kaum merklich ein feines Lächeln. Zur Liste der Dinge, die er zu lernen gedachte, fügte Blacky eine umfassende Beobachtungsgabe hinzu. Als Chaosmagier fielen ihm zwar viele Dinge auf, die anderen entgingen, aber oft ignorierte sein chaotischer Verstand auch Dinge, die anderen auffielen. In diesem Beruf setzte man eben andere Prioritäten. „Gehen wir diesen Leuten ein Stück entgegen,“ schlug Soach vor. „Cathy kann erkennen, dass es anscheinend eine Gruppe ist, die sich um einen alten Mann als Anführer schart. Sie sind auch bewaffnet. Möglicherweise ist er ein hoher Herr.“ Soach ging vor. Blacky und Charoselle folgten einen Schritt hinter ihm, die Formation der Besucher imitierend. Hinter Soachs Rücken warf die Herrscherin ihrem Enkel einen Blick zu und lächelte vielsagend. Ja, Soach benahm sich eigentlich wie ein Anführer, dennoch lehnte er es ab, den Thron zu besteigen. Vermutlich wollte er sich nicht auf diese Art an ein ganzes Volk binden. Sie verließen nach wenigen Minuten das Gelände des Schlosses. Wer seinem Bauchgefühl etwas Beachtung schenkte, merkte das auch, da der Einflussbereich von Soachs Seele plötzlich aufhörte. Sie konnten die Ankömmlinge bereits deutlich sehen, und diese musterten ihrerseits ihr Empfangskomitee. Sechs Männer unterschiedlichen Alters in einheitlichen Rüstungen bewegten sich in lockerem Marschschritt auf das Schloss zu. Jeder hatte einen Rucksack mit Marschgepäck dabei. Sie trugen eiserne Brustpanzer mit einem Wappen, das den Umriss einer Meeresschildkröte zeigte, darüber über die ganze Breite eine Krone mit fünf Zacken. Dazu gab es Arm- und Beinschienen und Helme, die die Männer jeweils unter dem rechten Arm trugen, und eine Lanze in der Linken. Da viele Krieger ihre Waffe üblicherweise mit rechts führten und dabei ihren Helm auf dem Kopf trugen, symbolisierten sie so, dass sie nicht in feindlicher Absicht kamen. Die sichtbare Unterkleidung bestand aus schwarzen Lederhosen und einem feinen, glitzernden Kettenhemd. Ganz vorne ging ein großer alter Mann in einer dunkelblauen Robe, die vorne komplett zugeknöpft war. Er hatte eine Glatze mit einem weißen Resthaarkranz und einen kurzen, gepflegten Bart an Kinn und Oberlippe, ebenfalls ganz in Weiß. Als der Abstand sich auf etwa vier Meter verringert hatte, hob er einen Arm und ließ seine Eskorte anhalten, wobei er selbst noch weiter ging. Etwas an ihm störte Blacky, aber er konnte es nicht recht benennen. „Ihr müsst der Beschreibung nach wohl der Rehabilitand Sorc sein,“ lächelte der Fremde. Seine Stimme war überraschend tief. Er wandte seinen Blick Soachs Begleitern zu, wobei er Blacky nur kurz streifte. „Oh! Charoselle!“ Die Lady trat vor und umarmte ihn herzlich. „Odan! Dich hätte ich hier nicht erwartet! Bist du nicht mehr für den Meereskönig unterwegs?“ „Schon, aber ich werde langsam zu alt dafür, deshalb bin ich ja hier,“ entgegnete der Mann Namens Odan lachend. „Und was machst du hier?“ „Oh... ich besuche meinen ältesten Sohn, Soach. Das ist er.“ Charoselle legte eine Hand auf Soachs Schulter. „Und der junge Chaosmagier neben ihm ist sein Erstgeborener, Kayos.“ Odans Augen wurden ganz groß. „Wirklich? Das ist der kleine Soach? Der war damals, wie alt? Zwei? Meine Güte... ich habe wirklich kein gutes Zeitgefühl.“ Er schüttelte Soach eifrig die Hand, dann auch Blacky. „Und er hat selber schon einen erwachsenen Sohn!“ „Nicht nur einen,“ konnte sich Blacky nicht verkneifen zu sagen. Odan grinste ihn freundlich an. Seine Augen strahlten in einem wässrigen Blau, eigentlich eine Farbe, die eher blass zu wirken hatte. Merkwürdig. Blacky zog in Erwägung, dass er vielleicht etwas an ihm sah, das anderen Augen verborgen blieb. Als der Alte sich wieder Soach zuwandte, schloss er die Augen und konzentrierte sich. „So... dann ist der Rehabilitand Sorc also Prinz Soach, der Sohn von Lady Charoselle... die Welt ist wirklich klein,“ hörte er Odan sagen. „Ich nehme an, ihr kommt auf Einladung des Zirkels des Bösen,“ stellte Soach fest. „In der Tat... man teilte meinem Herrn mit, dass ein Rehabilitand mit Namen Sorc zur Verfügung stünde, aber persönlich abgeholt werden müsse.“ Als Blacky wieder hinsah, fühlte er sich fast blind, zumindest in gewisser Weise. Er sah nicht mehr all die magischen Erscheinungen, die die meisten Magier nur sahen, wenn sie eine bestimmte Art der magischen Sichtweise trainierten und einsetzten. Für ihn hingegen war es anstrengend, auf diese Sichtweise zu verzichten. „Ihr seid nicht der Erste, der an mich herantritt,“ informierte Soach den Mann höflich. „Ich habe die Möglichkeit, mir Euer Angebot anzuhören, es aber auch abzulehnen. Das hat man Euch doch sicherlich so mitgeteilt, oder?“ Odan baute sich zu voller Größe auf, wodurch er Soach knapp überragte, und machte ein ernstes Gesicht. „In der Tat, die Nachricht enthielt einen solchen Abschnitt. Aber Ihr werdet zweifellos mit meinem Angebot einverstanden sein, gibt es Euch doch Zugriff auf Magie.“ „Zugriff auf... Magie?“ wiederholte Soach ungläubig. Die Augen von Odan hatten sich nicht verändert. Die Intensität der blassen Farbe musste demnach auch anderen auffallen. Blacky erlaubte seinen eigenen Augen, wieder normal zu arbeiten. Schnell trat er einen Schritt vor. „Papa, vielleicht sollten wir unsere Gäste erst einmal herein bitten. Sie sind sicher müde und hungrig.“ „Ähm... ja, natürlich. Hier entlang.“ Falls die Aussicht, wieder Magie benutzen zu können, Soach etwas aus der Fassung gebracht hatte, war er bereits wieder in seiner Rolle als Prinz und stellvertretender Schlossherr. Er führte die Gruppe zum Schloss, wo sie bereits von Gorz und Mava erwartet wurden, die den Soldaten die Gruppenunterkünfte zeigen wollten. Die Männer zögerten, Odan allein zu lassen, doch dieser winkte gut gelaunt ab. „Geht nur. Mit Charoselle an meiner Seite kann mir nichts passieren.“ Blacky folgte dem alten Mann, Soach und Charoselle in das Büro des Direktors, wo sie zusammen in der Sitzgruppe Platz nahmen. Eines der rothaarigen Küchenmädchen kam herein und brachte eine Kanne mit wohlriechendem Tee und schöne Becher. Kurz darauf erschien ihre Kollegin mit Keksen. Als beide wieder gegangen waren, breitete sich ein erwartungsvolles Schweigen aus. „Ich komme im Auftrag meines Herrn, des Meereskönigs. Ich bin Odan, Avatar seiner Majestät König Ebenell Atanos, Herrscher am Atanos-Riff, Träger der Gezeitenkrone, Hüter der Perle von Nimhys, Gebieter allen Wassers, fünfter Erbe des Anemonenthrones. Mein Herr schickt mich, um meinen Nachfolger einzuweisen, denn ich diene ihm nun seit dreiundvierzig Jahren. Er wünscht sich eine jüngere Hülle für seine Auftritte an Land.“ „Deswegen...“ murmelte Blacky. „Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass etwas mit Euch nicht stimmt, ich meine... anders ist.“ „Von einem Magier, der etwas auf sich hält, würde ich auch nicht weniger erwarten,“ entgegnete Odan. „Es ist schließlich nicht so, als würde ich den Umstand verheimlichen, dass ich ein Avatar des Meeresvolkes bin.“ Soach verteilte die Teebecher. „Dann habt Ihr wohl vor, mich als Euren Nachfolger zu benennen, nehme ich an.“ „Ganz recht. Wir hatten uns schon seit geraumer Zeit beim Zirkel des Bösen für einen Rehabilitanden beworben. Ein Körper ohne Seele ist allerdings besonders interessant.“ „Ja... weil man das Bewusstsein dann leichter rausschmeißen kann,“ grummelte Soach. „Wenn die Seele nicht im Körper wohnt, kann das dazugehörige Bewusstsein leichter von einem fremden Bewusstsein verdrängt werden. Dahin, wo die Seele aufbewahrt wird.“ Odan hob beschwichtigend die Hände. „Damit kennt Ihr Euch vermutlich besser aus als ich, mir wurde nur gesagt, dass es umso besser ist, wenn Ihr keine Seele im Körper habt.“ „Wie dem auch sei, ich kann Euer Angebot nicht annehmen, denn ich bin telepathisch mit mehreren anderen Geschöpfen verbunden. Das würde Eurem König gewiss nicht gefallen.“ „Ach, das ist kein Problem,“ winkte Odan ab. „Dann müsst Ihr diese Verbindungen eben kappen.“ „Das werde ich nicht, und ich lehne hiermit ganz offiziell ab,“ widersprach Soach. „Ich habe bereits entschieden, dass ich im Lotusschloss bleiben möchte. Meine Loyalität gehört Lord Crimson, dem Schlossherrn.“ „Nun, das verstehe ich schon,“ räumte Odan ein. „Aber ihr solltet lieber noch einmal darüber nachdenken. Dieses schöne Schloss steht direkt am Meer. Und mein Herr, der Meereskönig, ist es nicht gewohnt, dass er seinen Willen nicht bekommt...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)