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Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3)

Prinz Soach und das Prinzip des Chaos
von

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Blutfeen

Kurz nach dem Frühstück machte Cathy Soach darauf aufmerksam, dass es auf der Krankenstation zu Streitereien kam. Als er eintraf, war bereits Vindictus dort und versuchte zu vermitteln. Allerdings kam er kaum zu Wort.

„Ich übernehme die Pflege meiner Tochter schon selbst, ich kenne mich mit den speziellen Bedürfnissen einer schwangeren Fee besser aus als Ihr!“ sagte die hochgewachsene Frau mit den rosafarbenen, schulterlangen Haaren, die laut Cathys Information Petunia hieß und Lilys Mutter war. Ihre weiß gefiederten Flügel zuckten vor Aufregung.

„Mir kommt es nicht so vor, als läge Euch das wohl Eurer Tochter mehr am Herzen als Euer Ruf!“ entgegnete Dsasheera. „Ich bin hier, um mich um die schwangeren Frauen in diesem Schloss zu kümmern. Wir Amazonen machen keinen Unterschied zwischen Kriegern, Magiern, Unterweltlern oder Feen – ich habe alles schon auf die Welt geholt.“

„Feen, die keine Amazonen sind, kann man nicht trauen!“ beharrte Charoselle, wobei sie geschickt Feen ausließ, die Amazonen waren.

Lily schien sich von diesen Worten nicht angegriffen zu fühlen, obgleich sie nicht zu den Amazonen zählte. Als sie Soach entdeckte, kam sie zu ihm und ließ sich wortlos von ihm in die Arme schließen.

Ihr Vater, Lavender, besaß ebenfalls weiße Federflügel. Er trug sein lavendelfarbenes Haar zu einem kurzen Zopf geflochten. Im Gegensatz zu den Frauen fiel ihm der Neuankömmling auf. „Ihr seid dann wohl Prinz Soach,“ stellte er fest und musterte den Vater seines zukünftigen Enkelkindes mit einem kritischen Blick von oben bis unten. „Also doch ein Unterweltler...“

„Äh... nein!“ protestierte Soach. „Nur zur Hälfte!“ Das war schon der zweite, der ihn für einen Unterweltler hielt.

Lavander und seine Frau trugen helle Reisekleidung, aber die Hosen saßen weit und locker über knöchelhohen Stiefeln und auch die Ärmel der Hemden schlossen zwar am Handgelenk mit einem schnürbaren Bund, waren aber weit geschnitten. Luftig, leicht, Feenstil. Falls sie Umhänge benutzt hatte, lagen die wohl bei ihrem Gepäck, welches sich an der Seite auf den Stühlen stapelte.

Thaumator, der sich aus irgendwelchen Gründen ebenfalls hier aufhielt, nahm das Gepäck gerade in Augenschein, dann setzte er sich auf einen frei gebliebenen Stuhl und wartete.

Durch Lavenders Worte war wohl auch Petunia auf Soach aufmerksam geworden und stürzte sich verbal auf ihn. „Finger weg von Lily! Du hast schon genug Schande über sie gebracht! Komm, Lily, wir gehen am besten nach Hause und kümmern uns dort um dich!“

Sie streckte die Hand nach Lily aus, doch Meras baute sich vor der schwangeren Fee auf und gab ein hohes, nicht so ganz melodisches Jaulen von sich. Soach hatte noch nie so ein bedrohliches Geräusch von der Katze gehört. Eigentlich kannte er das von den Tieren nur, wenn sie sich untereinander drohten, und Meras war nicht einmal eine richtige Katze. Sie legte die Ohren nach hinten und bleckte fauchend die Zähne. Hätte sie längeres Fell gehabt, wäre sie jetzt wahrscheinlich optisch doppelt so groß geworden.

„Was heißt hier, mein Sohn hat Schande über Eure Tochter gebracht?“ zischte Charoselle. „Immerhin ist das Baby von königlicher Abstammung!“

„Sollen wir uns jetzt etwa noch dafür bedanken, dass er sie mit seinem Unterweltlersamen infiziert hat?“ erwiderte Petunia. Sie versuchte allerdings nicht mehr, sich Lily zu nähern.

„Meine Herrschaften, das hier ist eine Krankenstation...“ begann Vindictus, doch niemand beachtete ihn.

„Zu Hause wartet ihr Verlobter schon seit Jahren darauf, dass sie von ihrer fixen Idee, diese seltsamen Heilkünste in fremden Gegenden zu erlernen, endlich ablässt!“ teilte Lavender den Anwesenden mit.

Soach spürte, wie Lily sich verspannte. Vielleicht erwartete sie jetzt eine zornige Reaktion von ihm, denn sie hatte nie einen Verlobten erwähnt. Aber der Typ konnte ihr nicht besonders viel bedeuten, sonst wäre sie längst wieder bei ihm gewesen. Sie hatte allerdings einmal erzählt, dass ihre Eltern es nicht guthießen, dass sie andere Heiltechniken erlernte als die traditionellen ihrer Familie. Das schien noch leicht untertrieben zu sein.

„Nicht nur, dass ich der Familie des jungen Mannes jeden Monat erklären muss, warum Lily noch immer nicht nach Hause kommt – jetzt schleppt sie auch noch ein Mischlingsblag an! Zu allem Überfluss womöglich eine... eine Blutfee!“ Petunia spieh das letzte Wort aus, als wäre es eine bittere Frucht auf ihrer Zunge.

„Es reicht jetzt!“ sagte Vindictus. Es gelang ihm, sich sehr laut zu äußern, ohne zu brüllen. „Ich bin Vindictus, der Heiler von Schloss Lotusblüte und verantwortlich für diese Abteilung! Ich dulde nicht, dass hier solcher Lärm verursacht wird!“

Zwar gab es derzeit keine Patienten, aber er gewann die volle schweigsame Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Dsasheera warf ihm einen schmachtenden Blick zu, und Soach vermutete, dass der Alte sich schon deswegen durchsetzen musste, damit er nicht vor ihr das Gesicht verlor.

„So. Und jetzt unterhalten wir uns wie Erwachsene!“ verlangte Vindictus. „Also, wo ist das Problem?“

Petunia und Lavender starrten ihn an, wobei auf ihrem Gesicht deutlicher als auf seinem ein gewisser Ekel zu erkennen war.

„Ich will den Schlossherrn sprechen,“ entschied die Feenfrau.

„Das wäre dann momentan ich,“ brachte Soach sich ein. „Solange Crimson nicht verfügbar ist, vertrete ich ihn.“

Petunia unterzog ihn der gleichen Musterung wie bereits ihr Partner. „Ah ja. Wenn es denn sein muss... Wir wünschen, eine Weile im Schloss zu bleiben, um unserer Tochter beizustehen. Wir sind Heiler der klassischen Feenheilkunde.“

„Oh, natürlich, das verstehe ich.“ Soach setzte ein Lächeln auf. „Ich lasse jemanden kommen, der Euch zu Eurem Zimmer führt.“ Er ließ Cathy Gorz herbeordern. [Er soll ein kleines, schnuckeliges Zimmer aussuchen, das keinen Balkon hat.]

Cathy verstand ihn ganz genau. Und Gorz wenige Minuten später auch.

Als Soach das geklärt hatte, sahen ihn alle auf die typische Art an, die er immer bekam, wenn er mit dem Schlossherz kommuniziert hatte. „Die Vorbereitungen dauern einige Minuten, wir sind leider nicht auf so viel Besuch eingestellt, und wir beherbergen derzeit schon acht Personen aus dem Zirkel des Bösen. Aber es wird gleich jemand kommen, wenn Ihr solange draußen warten wollt...“ Soach zeigte recht verbindlich zur Tür.

Lilys Eltern wandten sich betont indigniert ihrem Gepäck zu und schreckten geradezu zurück, als sie merkten, dass Thaumator noch immer direkt neben den Taschen saß. Sie fingen sich aber gleich wieder, schnappten sich ihre Habseligkeiten und marschierten hinaus. Thaumator verfolgte den Vorgang mit mildem Interesse. Er war in ein handliches Buch vertieft.

Als die beiden ungeladenen Besucher fort waren, atmete Lily deutlich auf. „Puh... immer kritisieren sie mich! Ich wollte gar nicht, dass sie herkommen. Wenn ich gewusst hätte, dass das passiert, hätte ich ihnen nicht geschrieben, aber ich dachte, sie sollten wissen, dass sie Großeltern werden.“

„Mir ist ja klar, dass Feen und Unterweltler nicht so drauf stehen, wenn sie vermischt werden, aber warum regen sich alle über uns so auf?“ fragte Soach niemanden im Besonderen. „Und was ist eine Blutfee?“

„Moment, ich rege mich gar nicht darüber auf!“ stellte seine Mutter klar.

„Nun ja, aber glücklich bist du auch nicht darüber, oder?“ beharrte Soach.

Die Herrscherin der Eisigen Inseln seufzte. „Nein... aber ich respektiere deine Entscheidung.“

„Das Wort Blutfee habe ich früher ab und zu gehört,“ murmelte Lily. „Ich dachte, das wäre eine Märchengestalt... Zu kleinen Mädchen sagt man manchmal, dass sie artig sein sollen, damit ihre Kinder keine Blutfeen werden. Und wenn Jungs ungehorsam sind, holt sie die Blutfee. Das sind offenbar böse, entartete Feen, die Kinder entführen.“

Charoselle schien mit sich zu ringen, schwieg aber.

Dafür meldete sich Vindictus zu Wort. „Ich habe ein Buch darüber. Ujat hat es in Araes Bibliothek gefunden, deshalb habe ich es mitgenommen. Denn wenn ihm so etwas auffällt... nun ja. Moment, ich hole es.“ Er ging in den hinteren Teil der Krankenstation, wo Fachbücher, Nachschlagewerke und Putzlappen lagerten. Zwischen anderen Werken holte er ein relativ großformatiges, aber nur wenige Zentimeter dickes Buch hervor, das, wie sich herausstellte, den Titel Blutfeen und andere Abnormitäten trug. Er gab es Lily.

„Abnormitäten?“ murmelte Lily und starrte mit großen Augen auf den goldgeprägten Titel.

„Ich habe mir erlaubt, das Kapitel zu lesen, falls der Bedarf nach diesem Wissen entstehen sollte,“ fuhr Vindictus fort. „Offenbar ist eine Blutfee das Kind einer Fee mit einem Unterweltler, wobei es keine Rolle spielt, was davon der Vater und was die Mutter ist. Bevor du widersprichst, Soach, sie können auch in der zweiten Generation entstehen, also wenn beispielsweise ein Krieger, der eine Fee zum Vater hat, eine Magierin schwängert, deren Vater ein Unterweltler ist. Als Heiler würde ich annehmen, dass es ganz seltene Fälle gibt, wo sich das Unterweltler- und Feenblut noch über viel mehr Genrationen weitervererbt, aber solche Fälle sind scheinbar nicht bekannt. Der Autor nimmt an, dass es zu allen Zeiten etwa hundert lebende Blutfeen gibt, die aber zum Teil nicht wissen, was sie sind, oder aber im Verborgenen existieren.“

„Wie kann man das nicht wissen?“ fragte Soach. „Oder anders ausgedrückt, woher wissen wir, ob unser Kind eine Blutfee ist?“

„Diese Kinder sind von Geburt an schwach und kränklich,“ erklärte Vindictus. „Sie brauchen innerhalb der ersten Lebenswochen das Blut eines Unterweltlers, eines so genannten Blutspatrons. Dadurch bessert sich ihr Zustand sofort und sie entwickeln die für Blutfeen typischen Fähigkeiten. Wenn sie kein Blut bekommen, überleben sie auch, dann aber, so die Theorie, bleiben sie Feen mit mittelmäßigen Kräften. Natürlich kann man später nicht mehr nachprüfen, ob jemand, der als Baby krank war, in Wahrheit eine Blutfee ist.“

Lily streichelte geistesabwesend ihren Bauch. „Ähm... und was ist daran jetzt so schlimm?“

„Blutfeen gelten als böse,“ erläuterte Vindictus weiter. „Es mag ein Vorurteil sein, wie es sie auch gegen Chaosmagier gibt, aber tatsächlich waren viele bekannte Blutfeen Tyrannen, Eroberer oder einfach Landplagen.“

„Naja... das gleiche gilt für zahlreiche normale Feen, viele Unterweltler, etliche Magier, nicht wenige Krieger und jede andere Gruppe, die man sich vorstellen kann,“ behauptete Lady Charoselle. „Und zweifellos gibt es auch Blutfeen, die gut sind, nur weiß es niemand, weil sie sich verstecken müssen.“

Von der Seite räusperte sich Thaumator, dessen Anwesenheit Soach völlig vergessen hatte. „Tatsächlich scheinen keine Fälle von guten Blutfeen dokumentiert zu sein,“ sagte er. Er klebte mit den Augen in dem Buch, das er gelesen hatte. „Hier... Ludovica die Drachenjägerin. Sie soll zahlreiche Drachen gejagt und getötet haben, um ihre Rüstung mit ihren Zähnen zu schmücken. Nebenbei rottete sie ganze Dörfer aus, wenn ihr die Einwohner nicht gefielen. Sie starb, als sie sich einen Drachen als Gegner wählte, der etwas zu groß für sie war.

Umbold der Schlächter verdingte sich als Söldner. Oft bestritt er ganz alleine die Schlacht, metzelte seine Feinde und manchmal auch Verbündete nieder. Er wurde zuletzt von einer Gruppe aus Magiern zur Strecke gebracht.

Arvenna die Zerstörerin spezialisierte sich auf die Remodellierung von bebauten Flächen, bis sie eines Tages unter den Trümmern ihres eigenen Turmes begraben wurde, den ihre Feinde in die Luft sprengten. Allerdings brachte sie noch eine Handvoll dieser Feinde um, bevor sie ihren Verletzungen erlag.

Naja, Ihr versteht die Botschaft...

Die letzte bekannte Blutfee, die Schwarze Alice, hatte insgesamt fünf Männer, mit denen sie den Bund schloss, um sie dann umzubringen und zu beerben. Alle waren reich oder einflussreich oder beides. Sie starb dann schließlich an Sanguitis, einer Krankheit, die nur Blutfeen befällt. Ihr Blutspatron hätte ihr helfen können, doch er verweigerte die Hilfe, was ihn zu ihrem letzten Opfer machte.“

Charoselle war mit ein paar Schritten bei dem Magier. „Was ist das für ein Buch?“

Thaumator zeigte ihr den Einband. „Der Schrecken des Blutes. Eine chronologische Auflistung der Blutfeen. Es lag hier bei dem ganzen Kram auf den Stühlen.“

„Ihr meint, Ihr habt es geklaut,“ ging es Vindictus auf.

„Aber nicht doch,“ wehrte Thaumator ab. „Ich habe es hier ganz offen gelesen. Wenn diese Leute es nicht wiederhaben wollen, ist das nicht meine Schuld.“

Charoselle schnappte ihm das Buch weg und blätterte es rasch durch. „Eine sehr einseitige Abhandlung, wie es aussieht.“

„Ihr scheint andere Blutfeen zu kennen,“ bemerkte Dsasheera.

Die Herrscherin der Eisigen Inseln warf ihr einen misstrauischen Blick zu. „Ich habe im Laufe meines Lebens viele Leute kennen gelernt und auch viele Verbrecher zur Strecke gebracht.“

Lily drückte das Buch Blutfeen und andere Abnormitäten an ihre Brust. „Ähm, Dsasheera... Ihr habt mir doch gesagt, dass mein Baby Flügel hat... es könnte auch ein Unterweltler sein, nicht wahr?“

Die alte Amazone sah sie ernst an. „Theoretisch ja. Aber es sind gefiederte Flügel.“

„Marquis Belial vom Zirkel hat auch gefiederte Flügel und ist ein Unterweltler,“ wandte Soach ein.

„Wer weiß, vielleicht ist er eine getarnte Blutfee,“ murmelte Vindictus. Er schielte zu Thaumator, doch der Magier ging nicht darauf ein. Die beiden wirkten heute plötzlich wie alte Kumpel.

„Mal ganz im Ernst, Soach,“ sagte seine Mutter. „Glaubst du wirklich, dass das ein Unterweltler ist, wenn du das Chaos praktisch verkörperst?“

Soach ließ die Information sacken. Er berücksichtigte auch, dass Ujat das Buch mit der Erklärung über Blutfeen gefunden hatte, der Hellseher, der immer behauptete, Hilfsmittel für seine Gabe zu brauchen, dann aber mit dem lebensrettenden Mittel gegen ein tödliches Gift ankam, als sonst niemand mehr Rat wusste. „Naja... dann ist es halt so,“ beschloss er. „Mutter, du bist eine Unterweltlerin, du könntest doch der Blutspatron werden.“

Charoselle hob abwehrend die Hände. „Ich ahnte, dass du damit anfangen würdest, aber ich bin dafür zu alt. Stell dir vor, das Kind kriegt diese Blutfeenkrankheit, und ich lebe dann schon nicht mehr.“

„Dann frage ich Gorz,“ meinte Soach leichthin. „Oder Belial.“

Doch Lily griff nach seinem Arm. „Soach, machst du dir keine Sorgen? Ist es nicht besser, das geheim zu halten?“

„Aber ganz im Gegenteil,“ bestimmte Soach. „Soll unser Kind immer Angst haben, dass seine wahre Natur entdeckt wird? Wir werden es so erziehen, dass alle sehen, wie gut Blutfeen sein können!“

„Das sieht dir ähnlich,“ seufzte Charoselle. „Aber überleg dir das gut. Denk an das Kind, nicht an deine persönlichen Wünsche. Es ist ja noch ein bisschen Zeit.“

Auch Lily wirkte skeptisch. „Als bekannte Blutfee könnte es... benachteiligt werden...“

Soach legte sanft seine Hände auf ihre Schultern und sah sie eindringlich an. „Lily, der Grund, warum Blutfeen böse werden, liegt doch auf der Hand! Ihnen wird von Anfang an gesagt, dass sie schlecht sind, dass sie zu einer verdorbenen Art gehören, nur Unheil bringen... Wenn du so aufwachsen würdest, und wenn alle dich meiden, verspotten und beleidigen... würdest du dann nicht böse werden?“

„Wir sollten es lieber geheim halten,“ beharrte die Fee. „Wenn es ein Thema ist, das so schlimm ist, dass niemand darüber redet...“

„Es ist ein Thema, über das geredet werden sollte!“ widersprach Soach. „Wenn diese Blutfeen so gefürchtet sind, sollten Eltern ihre Kinder davor warnen, sich mit Unterweltlern einzulassen! Aber es wird tabuisiert, und dann wundern sie sich, wenn es so kommt wie mit uns jetzt! Was ist denn eigentlich so schlimm an ihnen, außer dass sie als Babys Blut trinken?“

„Du meinst, was sie von anderen Feen unterscheidet?“ hakte Vindictus nach. „Das stand in dem Buch nicht. Dort ist immer nur von den speziellen Kräften der Blutfeen die Rede.“

„Aha... dann müssen wir vielleicht ein Buch finden, das sich speziell mit diesem Thema befasst. Oder steht es vielleicht in dem da?“ Soach deutete auf das kleinere Exemplar aus dem Gepäck der Feen, das seine Mutter in der Hand hielt.

Charoselle sah nach. „Es ist lediglich eine Auflistung böser Blutfeen mit einer kurzen Zusammenfassung ihrer Lebenswege, die meistens tragisch enden.“

„Das passiert mit keinem meiner Kinder!“ setzte Soach fest. „Ich finde einen Blutspatron und jemanden, der ihm beibringen kann, was es bedeutet, eine Blutfee zu sein. Wenn Blutfeen wirklich besondere Kräfte haben, wäre es Verschwendung, sie nicht...“

„Soach!“ unterbrach Lily ihn. „Was redest du denn da! Habe ich dazu nicht auch noch etwas zu sagen? Es ist schließlich auch mein Kind! Vielleicht wäre es besser, keinen Blutspatron zu besorgen und es einfach eine mittelmäßige Fee werden zu lassen!“

Diese Reaktion traf Soach unvorbereitet. „Aber... Lily...“ brachte er lediglich hervor.

Dsasheera drängte sich plötzlich zwischen ihn und die Fee, wogegen auch Meras nichts unternahm. „Komm, Kindchen, beruhige dich erstmal. Männer verstehen das ohnehin nicht...“

Soach zuckte vor der Amazone zurück, vermied, dass sie ihn berührte. So gelang es ihr ziemlich einfach, Lily von ihm wegzuführen. Er blieb perplex zurück.

„Vielleicht... warst du wirklich etwas vorschnell,“ sagte Charoselle zögerlich. „Werdende Mütter sind empfindlich, besonders, wenn es um ihre Kinder geht.“

Soach ließ den Kopf sinken. „Ja... wahrscheinlich habe ich sie zu sehr damit bedrängt.“

Die Idee, eine Blutfee als Kind zu haben, ein Wesen von besonderer Macht, mit speziellen Kräften, hatte Soach sehr fasziniert, geradezu Besitz von ihm ergriffen. Doch er schalt sich einen Narren. Selbst wenn Lily erlaubte, dass sie einen Blutspatron benutzten, brachte das doch seine eigene Magie nicht zurück. Vielleicht bekamen sie ja auch gar keine Blutfee, sondern eine ganz gewöhnliche Fee oder gar einen Unterweltler. Im Prinzip konnte es sogar ein Magier werden, wie ja Dark bewies. Und kam es darauf wirklich an? Sie würden ihr Kind nicht weniger lieben, wenn es ein Krüppel wäre.

Eines stand jedenfalls fest: Für den Fall, dass dieses Kind, aus welchen Gründen auch immer, in Gefahr geriet, musste er schleunigst die Kraft finden, es dann auch zu beschützen. Im Moment kam er ja kaum mit sich selbst klar. Er verließ die Krankenstation fluchtartig, dann das Schloss und schließlich das Gelände, damit seine Emotionen nicht zu sehr auf Catherine überschwappten.
 

Soachs Blick trübte sich. Das dringende Bedürfnis, den Kopf gegen eine Wand zu schlagen, ließ ihn fast umkehren. Statt dessen beschleunigte er seine Schritte, bis er rannte, und selbst dann versuchte er noch, das Tempo zu erhöhen. Körperliche Erschöpfung hatte ihm schon immer geholfen, mit Anspannung umzugehen... doch es reichte nicht mehr, das wusste er.

Als seine brennenden Lungen ihm klar machten, dass er sich dumm anstellte, ließ er sich fallen, genoss den Schmerz des Sturzes aus vollem Lauf und blieb keuchend auf der Seite liegen.

Ein schöner Stellvertreter bin ich.

Die Vorstellung, andere könnten über seine Schwäche spotten, wenn sie ihn so sahen, ließ ihn kalt. Das wiederum erfüllte ihn mit Besorgnis, brachte ihn jedoch nicht dazu, sich zu erheben.

„Meeeooow,“ machte Meras. Sie beschnüffelte sein Gesicht und leckte seine Nase. Anscheinend war sie ihm nachgelaufen.

„Crimson hat dich wirklich als meine Wache eingeteilt, was?“ murmelte Soach.

Er erhielt nicht direkt eine Antwort von der Katze, eher das subtile Gefühl, sich zu irren. Sie hatte eigene Motive, die sich ihm nicht erschlossen. Dann erhielt er von ihr eine Warnung, die ihn auf die Beine brachte.

Einige Meter entfernt landeten gerade mehrere große Vögel in bunten Farben. Von jedem sprang eine Amazone in voller Kriegerinnenmontur ab, und eine blonde Schönheit erkannte er zu seinem Bedauern sofort wieder.

„Hallo, Paladia. Wie geht es deiner Tochter?“

Sie richtete lächelnd ihr Schwert auf ihn, und ihre Begleiterinnen taten es ihr gleich. „Hallo, Sorc! Ich hörte, sie haben dich ausgebrannt? Herzlichen Glückwunsch! Wir sind übrigens hier, um deine Dienste als Rehabilitand der Stufe vier einzufordern!“

Es war immer ein schlechtes Zeichen, wenn ihn jemand Sorc nannte. „Das tut mir Leid, ich bin schon Crimson zugeteilt worden.“

„Da haben wir andere Informationen,“ beharrte Paladia. „Außerdem haben wir dich bei einem Fluchtversuch erwischt.“

Zugegeben, das konnte so aussehen, zumal er sich beim Sturz den Hemdsärmel und die Haut am linken Arm aufgerissen hatte. Die Hose war von Gras und Erde grün und schmutzbraun verfärbt.

„Aber nein, ich habe mit der Katze gespielt,“ behauptete Soach und deutete auf Meras, die in der Nähe saß und sich den Rücken putzte. „Darüber hinaus besagen meine Informationen, dass ich alle Angebote für Rehabilitandenstellen ablehnen kann, wenn ich bei Crimson bleiben möchte. Aber wenn du schonmal hier bist, möchtest du sicher Crimson besuchen. Er schläft gerade, weil er die Nacht über wach war.“

Er drehte sich zum Schloss um. Auch hinter ihm stand eine blonde Amazone mit einem Schwert. Er kannte sie nicht direkt, doch sein mit Crimson verbundenes Unterbewusstsein identifizierte sie als dessen Mutter, Amazia. Soach schob das Schwert mit dem Handrücken zur Seite und drängelte sich vorbei, wobei er noch einem Speer und einem Dolch ausweichen musste. Dreistigkeit siegte für gewöhnlich bei Amazonen.

Die Kriegerinnen stellten sich ihm erneut in den Weg und hielten ihm ihre Waffen mit etwas mehr Nachdruck vor die Nase, an den Hals, in die Rippen, an den Rücken und gegen den Bauch. Anscheinend konnte er derzeit einfach nicht mit dem nötigen Selbstbewusstsein überzeugen.

„Jetzt wäre ein bisschen Magie nett, was?“ spottete Paladia.

„Ist ja gut,“ gab er nach, wobei er die Hände halbhoch neben sich hielt, wo sie sie sehen konnten. „Was habt ihr jetzt vor, wollt ihr mich verschleppen?“

Meras knurrte, blieb aber auf ihrem Platz. Soach wollte sie nicht gefährden, daher versuchte er, ein Handgemenge zu vermeiden. Er hatte auch gar keine Waffen dabei, die hatte er in seinem Zimmer gelassen, damit die Besucher vom Zirkel ihm nicht vorwarfen, dass er gegen Auflagen verstieß. Dass die Gegnerinnen zu acht waren, spielte bei seiner Vorsicht selbstverständlich nur eine untergeordnete Rolle.

„Genau, was machen wir jetzt, Amazia?“ fragte eine schwarzhaarige Amazone. „Dass wir ihn hier draußen schnappen, war ja nicht geplant. Sollen wir ihn gleich mitnehmen?“

Soach konnte das Schloss zu seiner Rechten sehen, insofern machte er sich keine Sorgen. Sie mussten inzwischen wissen, was hier passierte, zumal auch Meras Kontakt zu Cathy herstellen konnte. Er konzentrierte sich jetzt aber lieber nicht auf das, was dort vorging, denn er brauchte seine ganze Aufmerksamkeit hier.

„Seid ihr sicher, dass eure Vögel mich tragen würden?“ fing er statt dessen ein Gespräch an, um Zeit zu schinden.

Amazia betrachtete ihn abschätzend. „Hm... guter Punkt, wir sollten ihn fesseln und in der Luft baumeln lassen, damit er den Vogel nicht tritt.“

„Ich bin doch kein Tierquäler!“ grummelte er.

„Aber es scheint dir nichts auszumachen, wenn unsere Vögel im Kampf gegen deine Schergen sterben!“ entgegnete Paladia.

„Die Todesfälle waren... keine Absicht...“ sagte er und fragte sich im nächsten Moment, warum er sich auf diese Diskussion einließ. Natürlich hatte er niemanden ermordet, aber dennoch verursacht, dass Personen und Tiere starben. Daran gab es nichts zu rütteln, und aus der Sicht der Geschädigten machte es vermutlich keinen Unterschied. Und natürlich holte ihn dieser Teil seiner Vergangenheit immer wieder ein.

„Da kommt jemand,“ meldete eine Amazone hinter seinem Rücken.

Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich dem Schloss zu.

Amazia ließ ihr Schwert sinken und ging ein paar Schritte in die Richtung. „Die Welt ist klein,“ stellte sie fest. „Es ist Shiro.“

Es dauerte noch ein paar Minuten, bis der Lichtmagier zu ihnen stieß. Er legte einen flotten, aber nicht gehetzt wirkenden Schritt vor und trug seinen Stab bei sich. Die Amazonen warteten schweigend, und Soach wollte gewiss nicht derjenige sein, der die Stille unterbrach.

Schließlich blieb Shiro stehen und hielt Amazia eine Hand hin, die sie auf Kriegerart ergriff.

„Hallo, Amazia.“

„Hallo, Shiro.“

„Wie ich sehe, habt ihr einen Mann erbeutet.“ Crimsons Vater deutete mit einer Kopfbewegung auf die Gruppe um Soach.

„Ja,“ verkündete Amazia, wobei sie die freie Hand in die Hüften stemmte. „Wir beobachteten, wie er vom Schloss weglief, und beschlossen, ihn aufzuhalten. Er rannte so schnell, wie es nur jemand tut, der auf der Flucht ist.“

„Das war bestimmt ein Missverständnis,“ sagte Shiro ruhig. „Das Schlossherz betrachtet Soach als sein Eigentum, und er pflegt da nicht zu widersprechen. Er kann auch gar nicht weglaufen, seit seine Seele an das Schloss gebunden ist.“

Diese Bemerkung ließ die Amazone erstaunt die Augenbrauen heben. „So? Nun, da hat unser Sohn wohl einen Weg gefunden, seinen alten Feind gefangen zu halten. Das erklärt wohl den spektakulären Sturz, den Sorc hingelegt hat.“

Soach schluckte ein paar richtigstellende Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen.

„Vermutlich,“ nickte Shiro. „Soach könnte euch zwar theoretisch trotzdem begleiten, wenn Crimson es befehlen würde, aber das wird er nicht.“

Amazia verschränkte die Arme. „Der Zirkel des Bösen teilte uns mit, dass der Rehabilitand Sorc wieder zu haben ist, allerdings müssten wir selber herkommen.“

„War das der genaue Wortlaut?“ hakte Shiro nach. „Mir haben sie gesagt, dass ich meine Ansprüche anmelden und ein Angebot unterbreiten darf, aber der Rehabilitand kann entscheiden, ob er zustimmt.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Kann auch sein. Soll das heißen, dass du aus dem gleichen Grund hier bist?“

„Genau. Ich bot ihm an, sich in meinem Schloss um die Gartenanlagen zu kümmern. Und damit war ich vor euch da.“

Soach klappte der Mund auf, als Shiro die Lüge so glatt über die Lippen kam. Oder hatte er was verpasst?

„Tatsache ist aber, dass wir ihn jetzt in unserer Gewalt haben,“ merkte eine Amazone mit rötlichem Haar an.

Amazia nickte. „Ganz genau.“

Shiro lächelte wie ein Magier, der gerade seine Chancen berechnet und sich freut. Er drückte den Arm durch, der den Stab hielt, so dass sich der Winkel änderte, mit dem das Werkzeug seines Berufes auf dem Boden aufkam. „Oh, ach so ist das. Augen zu.“

Soach kniff die Augen fest zusammen. Dadurch konnte er die Helligkeit, die einen Moment später aufflammte, nicht völlig ausschließen, aber er rettete sein Augenlicht. Amazonen hingegen befolgten keine Anweisungen von einem Mann, schon gar nicht, wenn ihnen das einen scheinbaren Nachteil einbringen könnte.

Sie stöhnten oder schrien erschrocken auf, einige fluchten herzhaft. Soach merkte, wie Klingen aus seiner unmittelbaren Nähe verschwanden, und wagte einen Schritt nach vorn. Dabei bohrte sich jedoch eine letzte Schwertspitze fast in seine Rippen. Er stoppte mitten in der Bewegung.

„Das könnte dir so passen,“ zischte Paladia. „Meine Schwestern mögt ihr überrumpelt haben, aber mich nicht! Und jetzt schö---uhmmm...“

Die Klinge ließ von ihm ab und er hörte einen Körper fallen.

„Du kannst die Augen wieder aufmachen,“ sagte Shiro dicht hinter ihm.

Soach sah sich um. Paladia lag bewusstlos am Boden. Die anderen Amazonen drückten die Hände auf die Augen, hockten da und starrten blind vor sich hin oder tasteten am Boden nach ihren Waffen. Amazia stand an ihrem Platz, hatte die Augen wie unter Schmerzen zugekniffen. „Hört endlich auf zu jammern!“ keifte sie ihre Mitstreiterinnen an. „Das könntet ihr euch in einer Schlacht auch nicht erlauben!“

Der Lichtmagier gab Soach Zeichen, ihm schweigend zu folgen. Als sie etwas Sicherheitsabstand zwischen sich und die Kriegerinnen gebracht hatten, sagte er vernehmlich: „Meine Damen, bitte folgt mir zum Schloss, denn ihr solltet eure Augen untersuchen lassen.“

Amazia fuhr zu seiner Stimme herum. „Du verdammter Magier! Das zahle ich dir heim! Was für ein dreckiger Trick!“

„Ich dachte, deine Leute wären besser auf einen Kampf mit erschwerten Bedingungen eingestellt, Amazia,“ neckte er sie. „Zumindest Paladia war wohl auf so etwas vorbereitet.“ Er stimmte ein fröhliches Wanderlied an, damit die Gruppe ihm folgen konnte. Meras trabte munter nebenher und war von dem Blendzauber völlig unbeschadet.

Soach trug Paladia. Er nutzte die Gelegenheit, um kurz festzustellen, dass Crimson noch schlief, und bat Cathy, schon einmal Dsasheera und Vindictus Bescheid zu geben.

Dann suchte er nach Lily. Sie beschäftigte sich damit, im hinteren Bereich der Krankenstation getrocknete Kräuter zu zermalmen. Dabei drosch sie mit dem Stößel sehr stark und schnell hintereinander in den Mörser. Wenigstens weinte sie nicht, aber sie schien auch nicht schlafen zu können, obgleich sie doch jetzt frei hatte. Anscheinend zürnte sie ihm noch, weil er sie so bevormundet hatte.

Vermutlich hätte er erst einmal in Ruhe mit ihr über das Thema Blutfeen reden sollen, anstatt ihr einfach seine Entscheidung mitzuteilen. Jedoch war er davon überzeugt gewesen, dass sie seine Meinung teilte, schließlich kannte er sie als eine sehr entschlossene, energische Ärztin. Die Schwangerschaft schien sie zu verändern.

Oder vielleicht... vielleicht war es die Ausbrennung, dachte er. Sie will kein Risiko mehr eingehen, nachdem das mit mir passiert ist...

Nach ein paar hundert Metern wachte Paladia auf. Erst blinzelte sie stirnrunzelnd herum, dann riss sie die Augen auf und kämpfte sich aus Soachs Griff frei. „Lass mich sofort los, du... du... Verbrecher!“

„Von mir aus, du bist eh ziemlich schwer.“

„Paladia... ist mit deinen Augen alles in Ordnug? Dann kümmere dich bitte um unsere Vögel,“ ordnete Amazia an.

Das kam der blonden Amazone anscheinend sehr gelegen, denn sie rauschte mit wehendem Haar davon.
 

Eine halbe Stunde später saßen die restlichen sieben Damen auf den Stühlen der Krankenstation, während Dsasheera ihre Augen untersuchte. Sie weigerten sich, Vindictus an sich heran zu lassen, solange sie eine amazonische Schamanin haben konnten, wenn auch von einem anderen Stamm.

Soach und Shiro traten mit Meras den strategischen Rückzug an. Dabei bekamen die sie noch mit, wie Dsasheera auf die Kriegerinnen einschimpfte: „Ihr solltet euch was schämen, euch so überrumpeln zu lassen! Er ist schließlich nur ein Mann, noch dazu ein Magier! Aber ich sag‘s ja, es kommt nichts Gutes von Paarungen mit Magiern. Nichts für Ungut, Amazia, dein Sohn ist sicher prächtig, aber eben auch nur ein Mann. Mein Sohn eines Magiers hat als einziger meine Gabe geerbt! Dabei habe ich so gehofft, dass eine meiner Töchter sie bekommt und mir nachfolgen kann...“

„Es hat Vorteile, nur ein Mann zu sein,“ kommentierte Shiro, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. „Obwohl ich es war, der den Blendzauber losgelassen hat, sind die Frauen dran schuld, dass sie den Schaden haben.“

„Befürchtest du nicht, dass sie dich noch dafür zur Rechenschaft ziehen?“ fragte Soach nach.

„Könnte schon sein.“ Shiro zuckte mit den Schultern. „Aber du bist jetzt gar nicht drangekommen. Soll ich dir helfen, deine Verletzung zu verbinden?“

„Oh...“ Soach warf einen Blick auf seinen Arm, an dem die Schürfwunde zwar nicht stark blutete, aber ganz allmählich die Reste des Hemdes rot färbte und dabei ein wenig brannte. „Das kann ich in meinem Zimmer versorgen...“

„Ich komme mit und helfe dir. Es ist eine blöde Stelle, um sich selbst zu verbinden, du hast nur eine Hand dafür zur Verfügung.“

„Hm... na gut,“ stimmte Soach zögerlich zu. „Aber ich habe nicht aufgeräumt...“

Shiro lachte. „Das hätte mich auch gewundert!“

Soach führte den Lichtmagier durch einige Gänge in die Gefilde des Schlosses, die in der Vergangenheit für die Bediensteten gedacht gewesen waren, und erreichte seinen persönlichen Raum. Meras huschte als Erste hinein. Shiro schien von dem bescheidenen Zimmer nicht einmal besonders überrascht zu sein, hob jedoch die Augenbrauen, als er all das Verbandszeug entdeckte, das auf dem Tisch aus einer Holzkiste quoll. Wo sich vorher Zauberbücher gestapelt hatten, lagerte Soach nun Gefäße mit Salben und anderen Mittelchen. Eine Kiste auf dem Boden enthielt gebrauchte Bandagen. Er wünschte, er hätte den Deckel verschlossen, aber um nicht unnötig Aufmerksamkeit darauf zu lenken, ließ er es jetzt so.

„Wie ich sehe, bist du gut ausgerüstet.“

„Nun ja... Ich habe es vielleicht übertrieben mit all dem Zeug, aber so hab ich wenigstens erstmal was da. Ich, ähm... verletzte mich öfter mal beim Kampftraining mit Gorz oder einfach durch Schusseligkeit.“

„Zum Beispiel beim Rasieren?“

„Ja, genau! Was machst du denn dagegen? Oder Kuro? Der hat ja irgendwie immer ein bisschen Bart, aber es ist nach einer Woche immer noch ein Dreitagebart...“

„Er hat seinen Bart so beeinflusst, dass er nicht länger wird. Er findet, dass er dadurch verwegen aussieht und auf Frauen anziehender wirkt. Dafür sollte man ihm wohl gratulieren, es ist viel komplizierter, als den Bartwuchs ganz zu verhindern.“

„Oh, wirklich?“ Gut, das Gespräch ging wieder in ungefährlichere Themengebiete.

„Ja, Kuro hat in seiner Jugend rumexperimentiert, bis er es so hinbekommen hat.“ Shiro besorgte sich aus der Waschecke einen feuchten Lappen.

Soach zog das kaputte Hemd aus, setzte sich aufs Bett und ließ Shiro die Schürfwunde reinigen. Als der Magier eine desinfizierende Salbe auftrug, genoss er das brennende Gefühl regelrecht. Leider hielt es nur kurz an, und als Shiro den Arm ordentlich verbunden hatte, fing die Verletzung an zu jucken, da die Salbe magische Eigenschaften für schnellere Wundheilung hatte.

„Das Zeug scheint immer gut zu wirken,“ murmelte Soach, während er ein frisches Hemd überzog. „Dabei stellt Vindictus es immer so dar, als wäre das unwahrscheinlich. Fehlendes Meras und so.“

„Vielleicht hat Crimson Drachenschuppen eingearbeitet, dann braucht es kein Meras.“

Meras die Katze maunzte fragend, da sie nun schon zweimal ihren Namen gehört hatte. Sie sprang zu Soach aufs Bett und streckte sich genüsslich aus.

„Nein... es sind keine drin. In letzter Zeit stelle ich meistens die Sachen für die Krankenstation her, auch diese.“

„Dann reicht dafür wohl auch das Kapall, das dir bleibt.“

Soach seufzte. „Warum reicht es nicht auch für... ich meine...“

Shiro tätschelte ihm verständnisvoll die Schulter. „Verzage nicht, Soach. Wenn es einen Weg gibt, wirst du ihn finden. Lass dir Zeit. Es ist gerade mal eine Woche her...“

„Es ist, als wäre ein guter Freund gestorben...“ Soachs Stimme versagte und hinter seinen Augen baute sich Druck auf. Sein kleiner Ausflug schien nicht viel genützt zu haben.

Die Mauern knirschten. Aus einem Wandregal fiel das Buch Zeitgenössische Artefaktmagie.

„Und diesen Freund wirst du immer vermissen,“ prophezeite Shiro. „Aber sieh nach vorne. Ein Verlust schafft auch immer Raum für neue Möglichkeiten.“

„Du hast leicht reden...“ presste Soach hervor.

Doch dann spürte er etwas... eine Welle positiver Energie, wie die Aura einer lachenden Kinderschar. Gedanken an Sandburgen am Meer, duftendes Heu auf einer großen Wiese, ein mit dem Aroma von frisch gebackenem Kuchen erfülltes Haus und einen ersten, zaghaften Kuss kamen ihm in den Sinn. Erinnerungen, aber nicht seine. Dennoch... ihm wurde bewusst, dass solche Dinge ihm blieben. Einfache und doch wunderschöne Dinge. Wie von selbst fand sein Gedächtnis Antworten: Schlittschuhlaufen auf dem Fluss im Winter, die feierliche Stille einer unberührten verschneiten Landschaft, der erste Flug auf einem Drachen, Feste am offenen Lagerfeuer...

„Was... geht hier vor?“ wunderte er sich.

„Mein Schlossherz hat das Bewusstsein eines zwölfjährigen Kindes,“ erklärte Shiro. „Es geht mit Problemen ganz anders um als sein Zwillingsherz. Und manchmal sieht die Welt mit seinen Augen viel bunter aus.“

„Das... kann ich mir vorstellen.“ Soach überprüfte sein Gesicht im Spiegel, während seine Gedanken zu seiner ersten Schulstunde an der Eisigen Universität wanderten. Die meisten seiner Erinnerungen hatten mit Magie zu tun, aber es waren dennoch – oder gerade deswegen – schöne Erinnerungen, die er sich nicht von der Gegenwart verderben lassen wollte. Schließlich musste er sich noch um den Besuch kümmern, und er dachte darüber nach, ob nicht ein Braten über einem Feuer am Strand eine gute Idee für das Abendessen wäre.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2016-06-02T05:15:07+00:00 02.06.2016 07:15
Hallo (✿◠‿◠)

Soachs Meinung über Blutfeen finde ich nicht so falsch, wäre möglich, dass er recht hat und wenn man daraus kein Geheimnis macht, das es für das Kind besser laufen könnte. Wäre schade, wenn so ein Kind nicht selbst entscheiden kann, was es aus seinem Leben macht, sondern schon zum bösen vorbestimmt wäre. Auf der anderen Seite ist Lilys Meinung das das Umfeld prägt auch nicht von der Hand zu weisen. Aber irgendwie hat Soach Lily da in einem unpassenden Moment in seinem Eifer ziemlich überrannt. Wenn die Gefühle wegen ihrer Eltern sowieso schon am Flattern waren, dann noch was obendrauf, das konnte sie gar nicht nüchtern betrachten. Daher bin ich gespannt, ob sie seiner Meinung noch zustimmt, oder ob ihre Eltern sie wieder klein kriegen, das sie ihr Kind lieber verkümmern lassen mag. Es schien ihr ja ganz gut zu bekommen von zu hause weg zu sein.

Die anderen Bewerber um Soach, wollen sie ihn wegen ihrer Rache als Rehabilitand haben? Ich fand es cool, wie Shiro mit den Kriegerinnen umgesprungen ist und das sie sich eher selbst zerfleischen und beschimpfen, vor Stolz als das sie Shiro zur Rechenschaft ziehen. (Glück für ihn^^)

Das mit Shiros Schlossherz hat mir auch gefallen. Ein anderer Blickwinkel ist immer gut und daran gemessen, das es erst eine Woche her ist, als Soach seinen liebsten Freund verloren hat, kann man da auch noch nicht viel erwarten, das er damit gut umgehen kann.

Liebe Grüße, Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
09.06.2016 18:53
Hallo!
Der Kommi zum Kommi kommt diesmal reichlich spät. Mir kam eine Animemesse dazwischen.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich an Soachs und Lilys Stelle entscheiden würde, beide Meinungen haben ja ihre Berechtigung. Aber gerade deswegen ist es gut, dass ich das auch in der Geschichte zeigen kann. Und auch ein Liebespaar muss sich mal streiten, dass macht alles viel glaubwürdiger und realistischer. XD

Ja, manche der Bewerber wollen sich bei der Gelegenheit ein bisschen rächen. Aber wir werden noch welche kennen lernen, die einfach nur jemanden für ihre Zwecke brauchen.

Ich hoffe sehr, dass ich eine Gelegenheit finde, die Geschichte von Turmalinda - Shiros Schlossherz - etwas weiter auszuführen, denn Marcel und ich haben uns eine schöne ausgedacht, oder eher eine traurige. Aber sie möchte erzählt werden. :)

Nun bemühe ich mich mal um die Fortsetzung - bis bald!
LG
Anja


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