Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 24: Thaumators Geschichte --------------------------------- Vindictus nutzte wie immer die frühe Stunde, um eine Runde schwimmen zu gehen. Meistens leistete Crimson ihm Gesellschaft, aber mit ihm rechnete er heute nicht, immerhin hatte er am Abend noch Lord Genesis besucht und ihm, wie sie es nannten, das Frühstück gebracht. Das konnte sich ein paar Stunden hinziehen. Wahrscheinlich holte Crimson gerade Schlaf nach. Da das Schloss derzeit einige Gäste beherbergte, wich der Heiler heute von seiner Gewohnheit ab, im Bademantel hinaus zu gehen, was sich als gut erwies: Er wollte zum Strand abbiegen, als er eine Gestalt weiter vorne hinter den Gesteinsformationen am Rande des Schlossgeländes verschwinden sah. Eigentlich ging es ihn nichts an, aber vielleicht war es einer der Besucher und derjenige wusste nicht, dass es erst zwei Kilometer weiter wieder einen gut nutzbaren Zugang zum Meer gab, ansonsten nur Klippen. Vindictus marschierte hinter ihm her, wobei er ganz gut aufholte, weil der andere im Spazierschritt ging. Nach einigen Minuten drehte sich der Mann zu ihm um. Es war Thaumator. Eigentlich hätte er ihn schon an seiner weinroten Protzrobe erkennen müssen. „Ihr entfernt Euch wohl vom Schloss, weil Ihr Euch beobachtet fühlt, was?“ neckte Vindictus den Jüngeren. Dass Cathy den Magier nicht leiden konnte, ließ das Schlossherz jeden wissen, allerdings hatte er im Laufe des vergangenen Tages aufgehört, ihm Deckenputz ins Essen fallen zu lassen. „Es wäre lästig, jeden Schritt mit Bedacht zu setzen, während ich meinen Körper in Form halte,“ lächelte Thaumator freundlich. „Ihr habt wohl außerhalb der Grenzen Eure strenge Maske abgesetzt.“ „Oder ich habe Respekt vor erfahreneren Magiern. Nennt es, wie Ihr wollt.“ „Bis zur nächsten Stelle mit einem vernünftigen Strand ist es noch ein Stück zu gehen.“ „Nun... wollt Ihr mit mir kommen und es mir zeigen?“ Vindictus witterte die Gelegenheit zu einem interessanten Gespräch und stimmte zu, obwohl seine alten Knochen nicht mehr so gerne weite Strecken zurücklegten. Aber in gemütlichem Tempo war nichts dagegen einzuwenden. Sie setzten sich in Bewegung, und er gewann den Eindruck, dass auch Thaumator bevorzugt langsam ging. „Vielleicht hättet Ihr lieber nicht herkommen sollen,“ bemerkte er. „Weil man hier traumatische Ereignisse mit mir verbindet?“ fragte Thaumator. „Nun ja... ja. War das Euer erstes Mal?“ „Hm? Ach so, Ihr denkt, es wäre die Neugier, die mich hertreibt, um zu sehen, was aus meinem Opfer wird? Oder vielleicht das schlechte Gewissen?“ Thaumator schien eine Weile darüber nachzudenken, sagte dann aber: „Es war nicht das erste Mal, sondern das neunte. Ich brannte acht andere vor ihm aus.“ Vindictus atmete so heftig ein, dass er sich daran verschluckte. „Was... das neunte Mal?“ hustete er. Verärgert schickte er verirrten Speichel aus seiner Luftröhre. „Ich lernte es von meiner Mutter. Sie brauchte meine Hilfe, um sich von meinem Vater zu befreien,“ gab Thaumator bereitwillig Auskunft. „Er wurde mein erstes Opfer. Da war ich siebzehn und unerfahren, deshalb starb er nach zwei Tagen elendig an den Folgen meines Pfusches. Das gleiche passierte im Laufe des folgenden Jahres mit zwei Magiern aus seinem Gefolge, die nach seinem Tod Jagd auf meine Mutter und mich machten. Wir brachten noch einen weiteren ihrer Feinde um. Er wollte lieber sterben, als ausgebrannt zu werden, was mich wunderte – schließlich führte Ausbrennung meines Wissens zum Tod. So erfuhr ich mit dreiundzwanzig, dass man den Zauber eigentlich überleben soll. Doch Mutter wollte es mir nicht besser erklären, sie fand, dass ich es gut machte, wie es war. Also forschte ich selber nach, indem ich nach geeigneten Büchern suchte, aber es gab keine, die es wirklich genau beschrieben. Schließlich drohte ich meiner Mutter an, ihr nicht mehr zu helfen, und konnte so erreichen, dass wir unser nächstes Opfer, ihren eigenen Bruder, tatsächlich überleben ließen. Sie machte es mit mir zusammen und zeigte mir, worauf zu achten ist. Als ich sechsundzwanzig war, erwischten wir eine Spionin in unserer Burg. Ich mochte sie und fühlte mich von ihr benutzt. Sie beteuerte ihre Unschuld bis zu der Sekunde, in der das Ritual begann. Danach verfluchte sie mich, sie schwor Rache und wurde die beste bekannte Attentäterin des Schattenreichs, nur um mich zu vernichten. Im Gegenzug fanden wir ihre jüngere Schwester und brannten sie aus. Mutter verpfuschte das Ritual absichtlich, so dass sie zwar entkommen, aber in den Armen der älteren sterben sollte. Da ahnte ich zum ersten Mal, dass meine Mutter mich für ihre Machenschaften benutzte, dass wir nicht immer nur ungerechtfertigt verfolgt worden waren... all die Jahre hatte sie mich getäuscht...“ Thaumators Blick schweifte in die Ferne, und er pausierte seine Geschichte, bis Vindictus schließlich fragte: „Und die achte... lasst mich raten, das war Eure eigene Mutter.“ Der andere Magier widersprach nicht, was er als Bestätigung deutete. „Und was wurde aus der Attentäterin?“ hakte er nach. „Habt Ihr sie irgendwann getötet?“ „Nein, ich konnte nicht gegen sie kämpfen, denn ich hatte ihr Unrecht getan. So floh ich vor ihr und wehrte mich gerade genug, um immer wieder zu entkommen. Vier Jahre lang. Dann ging ich ihr in die Falle.“ „Aber... auch sie tötete Euch nicht, oder Ihr wärt der am besten getarnte Zombie, der mir je untergekommen ist.“ Taumator rieb sich eine Stelle an der rechten Hüfte, als helfe ihm das beim Nachdenken. „Nein... sie folterte mich. Sie wollte, dass ich etwas von dem Leiden erfahre, das sie und ihre Schwester erlebt hatten. Natürlich konnte sie mich nicht ausbrennen und kannte auch niemanden, den sie damit beauftragen konnte. Aber sie konnte meinen Körper verletzen. Und das tat sie. Seltsamerweise fühlte ich mich, als würde meine Seele gereinigt. Als würde ich meine Schuld bezahlen, indem ich mich ihrer Rache ergab. Als ich schon dachte, ich müsse sterben, änderte sie ihre Meinung.“ Ein Lächeln stahl sich auf Thaumators Gesicht. „Inzwischen haben wir zwei wunderschöne Töchter und einen attraktiven Sohn.“ „Was!“ rief Vindictus geschockt und überrascht zugleich. „Ihr nehmt mich auf den Arm!“ „Ich bin im Zirkel des Bösen, wir nehmen niemanden auf den Arm, wenn es um so etwas geht.“ „Nun ja... es ist aber sehr ungewöhnlich...“ „Es mag seltsam erscheinen, wenn ich es so knapp zusammenfasse, ja,“ räumte Thaumator ein. „Als ich meine Mutter ausbrannte, war ich achtundzwanzig. Insofern war Soach mein erstes Mal seit fast dreißig Jahren... Cosmea hat sich damals meiner angenommen und mir noch viele Feinheiten beigebracht. Aber natürlich konnte ich nicht üben. Deshalb hatte ich Angst, dass ich es vermassle. Oh, hatte ich Angst...“ „Dann... kommt Ihr deshalb hierher. Um Euch zu vergewissern, dass er in Ordnung ist,“ erkannte Vindictus. Thaumator nickte bedächtig. „Ja... ich glaube schon. Der Zirkel hat noch zwei andere Mitglieder, die ausbrennen können, aber beide haben kaum Erfahrung. Cosmea wollte es mit mir zusammen machen. Sie meinte, die anderen würden es nicht schaffen. Jeder weiß, dass Soach... nun, wir rechneten nicht damit, dass er es dazu kommen lassen würde, weil seine Magie ihm so viel bedeutete. Doch er ließ es geschehen, und zugleich erlebte ich nie zuvor so viel Widerstand. Im Nachhinein fühle ich mich irgendwie für ihn verantwortlich.“ „So ist das also...“ Vindictus rieb sich das Kinn. Indessen lag Lotusblüte ein gutes Stück hinter ihnen und er führte den jüngeren Magier einen Pfad zwischen den Klippen hinunter zu einem anderen Stück Strand. „Seid vorsichtig, an dieser Stelle sollte niemand alleine schwimmen gehen, wegen der Strömungen. Das Schloss wurde in einer ruhigeren Zone erbaut.“ „Ist gut,“ nickte Thaumator diese Information ab. „Dann hoffe ich, dass Ihr ein guter Schwimmer seid, falls Ihr mich retten müsst.“ Sie lachten kumpelhaft, während sie ihre Kleidung ablegten. Für gewöhnlich brachte der alte Heiler einem unbekleideten Männerkörper lediglich berufliches Interesse entgegen. Thaumator allerdings musste wohl jeder einfach anstarren – weil sein Körper auf eindrucksvolle und grausame Weise die Geschichte bestätigte, die Vindictus gerade gehört hatte. Die Haut an seinen Beinen sah zusammengeschmolzen aus und zeigte einen dunkleren Blauton als der Rest. Die Brandnarben endeten kurz über dem Knie. Dazu kamen zahlreiche andere Narben, die Vindictus als Schnitte, Verätzungen und am linken Unterarm sogar als Bisswunden von einem Wolf oder ähnlichem Tier identifizierte. „Wurde das anständig versorgt? Habt Ihr Schmerzen?“ fragte er auf typische Heilerart. Thaumator bewegte seine leicht deformierten Zehen und zuckte mit den Schultern. „Es zieht immer ein bisschen, vor allem, wenn es anderes Wetter gibt. Ich creme die Narben regelmäßig ein. Naja, was soll‘s. Ist lange her.“ Er schritt zum Wasser, wobei Vindictus ein ganz leichtes Hinken der rechten Seite identifizieren konnte, das Laien vielleicht gar nicht auffiel. Als Thaumator ihm den Rücken zuwandte, zeigte sich ihm ein ähnliches Bild wie auf der Vorderseite. Hier stammten die Narben anscheinend von einer Auspeitschung, so etwas hatte Vindictus schon öfter bei Kriegern gesehen, die aus Gefangenschaft zurückgekehrt waren. Traf ja auch auf den Magier zu. „Soll ich mir das alles mal ansehen, wenn wir zurück im Schloss sind?“ bot Vindictus an. „Nein, nicht im Schloss,“ lehnte Thaumator sogleich ab. „Das Schlossherz muss meine Schwächen nicht kennen.“ „Aber wenn Ihr Eure Geschichte dem Schlossherz erzählen würdet...“ begann Vindictus, beendete den Satz aber nicht. Der Blick seines Gesprächspartners ließ ihn verstummen. „Ich brauche kein Verständnis und kein Mitleid,“ stellte Thaumator klar. „Jetzt lasst uns schwimmen.“ Er war mit seinen entstellten Beinen sehr viel schneller als Vindictus mit seinen kurzen, oder zumindest musste der alte Heiler laufen, um mit ihm Schritt zu halten. „Wartet doch!“ rief Vindictus. „Ich hab da noch eine Frage...“ „Ja?“ Thaumator wurde erst langsamer, als ihn die kniehohen Wellen dazu zwangen. Er wandte sich halb um. „Warum... warum tragt Ihr einen Nabelring?“ keuchte Vindictus, als er zu ihm aufschloss. Der Jüngere berührte das unscheinbare Schmuckstück an seinem Bauch. „Was Ihr alles bemerkt... Warum tragt Ihr keinen?“ „Eh?“ Vindictus ließ es dabei bewenden, da Thaumator offenbar keine Antwort darauf geben wollte. Im Prinzip ging es ihn ja auch gar nichts an. *** Soach schenkte Crimson noch einen belebenden Tee ein. „Ich hätte da eine Idee, die dir vielleicht hilft.“ „Was für eine Idee?“ grummelte Crimson und ließ den Kopf auf den Schreibtisch sinken. „Wir könnten uns aufteilen,“ sagte Soach. „Ich bin dein Stellvertreter. Solange der Besuch da ist, könnte ich den Tag übernehmen und du die Nacht. Oder umgekehrt, ganz wie du möchtest, aber mir scheint, dir liegt eher die Nacht. Dann kannst du schließlich mit Genesis frühstücken.“ „Angelus wollte eigentlich abreisen, weil er meint, sein Nachtrhythmus passt nicht hierher...“ murmelte Crimson gegen die Tischplatte. „Nun ja, wenn er darauf besteht... aber dann solltest du dich jetzt noch ein wenig hinlegen. Vielleicht bis Mittag. Wie lange wart ihr denn beschäftigt?“ „Gar nicht mal so lange. Ein oder zwei Stunden. Aber dann haben wir uns noch über allerhand nebensächliche Themen unterhalten, wie alte Freunde eben...“ „Na das ist doch auch schön.“ Soach fühlte sich einigermaßen ausgeschlafen, weil Crimson ihm am Abend einen Schlaftrunk aufgedrängt hatte. Vielleicht sollte er sich wirklich für eine Weile angewöhnen, sich so zu behelfen, aber er wollte nicht davon abhängig werden. Andererseits... kam es darauf noch an? Eigentlich nicht. Crimson schob den Tee weg. „Trink du den. Wenn ich schlafen soll, ist das Zeug keine gute Idee.“ Er warf einen Blick auf seinen Schreibtisch. „Uh... ich muss noch unbedingt...“ „Nein, Crimson. Was du unbedingt musst, ist schlafen,“ widersprach Soach. „Du schläfst wegen mir in letzter Zeit generell weniger als sonst.“ „Aber kommst du klar?“ „Nun... wird schon gehen. Vielleicht hilft es, wenn ich mit normalen Sachen beschäftigt bin.“ „Na gut, aber wenn was ist, weck mich einfach,“ gab Crimson nach. Er gähnte herzhaft, als er sich erhob und zur Tür wankte. Die Bissmale von letzter Nacht schimmerten durch den Vorhang seines Haares. Soach begleitete ihn bis zu den Treppen, wo der Schlossherr darauf bestand, dass er den Rest alleine schaffte. Also verabschiedete er sich dort von ihm. Auf dem Rückweg hing Meras plötzlich an seinen Fersen. „Oh... dich habe ich gar nicht kommen hören,“ begrüßte Soach die große Katze. „Aber bei mir gibt es für dich nichts zu holen. Vielleicht solltest du lieber...“ Meras strich ihm um die Beine, dass er fast stürzte. Sie stieß mit dem Kopf gegen seine Hände, um Streicheleinheiten einzufordern, und schnurrte lautstark. Soach lächelte. „Ich fühle mich geehrt, dass du mich nicht auf meine Fähigkeiten als Nahrungsgeber reduzierst,“ neckte er das Geschöpf. Meras machte ein gurrendes Geräusch, das in ein Maunzen überging. Sie schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihm hoch. Soach kraulte sie kräftig im Nacken und unter dem Kinn. „Na fein, komm mit zum Frühstück, aber danach muss ich arbeiten.“ Die Katze schlenderte hinter ihm her wie an einer unsichtbaren Leine, so dass Soach sich fragte, ob Crimson sie vielleicht zu seinem Schutz abgestellt hatte. Zusammen erreichten sie den Speisesaal, wo mäßiger Betrieb herrschte. Wenn kein Unterricht stattfand, verschliefen viele Bewohner diese Mahlzeit. Die Herrschaften vom Zirkel verteilten sich heute an den Tischen und redeten mit den Schülern oder dem Kollegium. Soach entdeckte Lord Genesis an dem Tisch, an dem auch seine Eltern, Shiro Dark, Kayos, Fire und Eria saßen. Das ließ für ihn eigentlich keinen Platz, aber als Shiro ihn bemerkte, stand er auf und bot ihm seinen an. „Kommt Crimson heute nicht?“ fragte der Lichtmagier. „Er hat sich noch etwas hingelegt,“ ließ Soach ihn wissen. „Die Nacht war kurz.“ „Oh.“ Shiro fragte nicht weiter, sondern ging sich einen anderen Platz suchen. Da alle anderen paarweise dasaßen, bekam Soach den Stuhl neben Genesis. „Ich dachte, Ihr wolltet abreisen,“ begann er. „Doch nicht am hellichten Tag!“ Der Vampir tat empört. „Ich wollte in den späten Nachtstunden aufbrechen, doch dann haben Crimson und ich uns zu lange verquatscht. Naja, so kann ich auch gleich noch bleiben, bis die Kollegen morgen abend abreisen. Werde mich nach dem Mittagessen schlafen legen.“ Dark warf Meras einen Magieball zum Fressen zu. Die Katze fing ihn und setzte sich dann wieder neben Soach. Er streichelte sie automatisch. „Dsasheera meint, dass wir ein Mädchen bekommen,“ sagte Eria und strahlte in die Runde. Kayos schluckte schnell sein Essen. „Hey, das ist toll! Was ist das dann, meine Nichte? Und dann kriege ich noch eine Schwester oder einen Bruder. Hat Dsasheera gesagt, was Lilys Kind wird?“ „Zu uns nich,“ antwortete Fire und blickte seinen Vater an. „Ich weiß nur, dass es wahrscheinlich Flügel hat,“ gab Soach Auskunft. „Also wird es wohl kein Chaosmagier, aber einer reicht ja auch.“ Die Gruppe am Tisch lachte und Kayos musste sich ein paar Sticheleien gefallen lassen. „Habt ihr euch eigentlich inzwischen überlegt, ob ihr den Bund mit einer großen Feier schließen wollt?“ nahm Charoselle das von ihr so gerne besprochene Thema wieder auf. Dieses Mal allerdings ging es ihr um Fire und Eria. Die jungen Leute tauschten Blicke aus. Eria sah errötend in ihre Tasse und Fire kratzte such verlegen am Kopf. „Mutter, ich glaube, es kommt nicht gut an, wenn du die beiden auf diese Art drängst,“ grummelte Soach, wobei er unerwähnt ließ, dass er selbst ja auch nicht die erste Frau behalten hatte, die ein Kind von ihm geboren hatte. Auch nicht die zweite oder dritte... Doch Charoselle beachtete seinen Einwand gar nicht. „Ihr müsst mir eure Entscheidung nur mitteilen, dann organisiere ich alles.“ „Was meinste, Eri. Hälste‘s mit mir aus?“ fragte Fire seine Freundin. Sie schien fast im Erdboden zu versinken. „Oh... vor all den Leuten...“ „Ach, is doch das beste dran! Jau, lass uns ne fette Feier davon machen!“ „Ähm... na gut...“ Eria fing sich allmählich und lächelte breit. In ihren Augen schimmerten Tränchen der Rührung. Charoselle klatschte in die Hände. „Na also! Wenn sich mein Sohn auch noch durchringt, können wir gleich doppelt feiern!“ „Ich denke drüber nach,“ versprach Soach, damit sie Ruhe gab. Einen Moment konzentrierten sich alle auf ihr Essen. „Thaumator scheint unpünktlich zu sein,“ brach Genesis die Stille am Tisch. „Er trainiert immer früh, aber er ist nie unpünktlich. Sage, wart ihr mit ihm unterwegs?“ Am Nebentisch drehte sich der alte Magier zu ihm herum. „Thaumator habe ich heute noch gar nicht gesehen. Cosmea und ich stehen auch nicht mehr so früh auf, wir machen unsere körperliche Ertüchtigung im Laufe des Vormittags.“ Soach schloss die Augen ließ sein Bewusstsein in das Schloss wandern. „Thaumator ist nicht auf dem Gelände...“ „Merkwürdig,“ meinte Genesis. „Aber er kennt sich hier nicht aus, vielleicht hat er sich verlaufen.“ „Als ob er sich verläuft,“ erklang Cosmeas Stimme von der anderen Seite des Zimmers. „Fehlt denn sonst noch jemand?“ Soach überprüfte die Anwesenheit der Bewohner. „Legend scheint unterwegs zu sein. Und Milla. Aber sie sind heute damit dran, Lebensmittel aus dem Dorf zu holen. Vindictus fehlt auch. Auf der Krankenstation sind Lily und Dsasheera. Dabei hatte Lily den Nachtdienst, weil es da ruhiger ist... Vindictus sollte sie eigentlich längst ablösen.“ Soach blinzelte und sah zu seiner Mutter auf. „Könntest du Dsasheera fragen, ob sie etwas weiß?“ „Wieso ich?“ fragte Charoselle, faltete aber bereits die Serviette zusammen, die auf ihrem Schoß gelegen hatte. „Übrigens ist es gruselig, wenn du mit dem Schloss...“ „Ja, ich weiß. Dsasheera kann hellsehen, und du bist eine Frau. Das bringt uns schneller eine Antwort,“ erklärte Soach. Er ließ weg, dass seine Mutter auch noch das passende Alter hatte, um mit der Amazone gut auszukommen. *** Thaumator stolperte an den Strand und ließ Vindictus in den Sand fallen. Der alte Heiler spuckte Wasser aus und konnte es dank seiner Kräfte effektiv aus seinen Lungen befördern, bevor sein Begleiter auf die Idee kam, ihn beatmen zu müssen. Hoffentlich sah sie niemand in dieser peinlichen Situation. „Ihr habt nicht übertrieben, die Strömungen hier sind stark,“ keuchte Thaumator. „Warum seid Ihr so weit raus geschwommen, wenn Ihr das doch wusstet?“ „Selbstüberschätzung,“ brachte Vindictus hervor. „Ähm... wo sind unsere Klamotten?“ „Ich glaube, da drüben.“ Vindictus folgte Thaumators Fingerzeig. Das Meer befand sich zu ihrer Linken und der Strand bog sich von ihrem Standpunkt aus nach rechts in das Land hinein. Die Stelle, wo sie hinunter gegangen waren, ließ sich ganz leicht an den fehlenden Klippen erkennen. Dahinter verdeckten einige weitere Felsen, die ins Meer ragten, den Blick auf den unteren Teil von Schloss Lotusblüte. Es sah nach einem Weg von gut zwanzig Minuten aus. „Verdammt... ich bin zu alt, um nackig am Strand spazieren zu gehen,“ murmelte er. „Ihr hättet Euch beizeiten einen entstellten Körper anschaffen sollen, dann hättet Ihr eine ganz andere Beziehung zu Eurem Kleiderschrank,“ grinste Thaumator. „Passt mal auf.“ Er schloss die Augen und hielt die Hände auf Hüfthöhe neben sich, wobei kleine Flämmchen in ihnen entstanden. Auf dem Boden im Sand bildete sich ein Feuerring und züngelte an ihm hoch. Aber anstatt ihn zu verbrennen, ließen die Flammen überall Kleidung entstehen: Stiefel, Hosen, ein Hemd mit Rüschen an der Knopfleiste und darüber eine Magierrobe, die vorne zu knöpfen ging. Zum Schluss entstand sogar ein spitzer Zaubererhut mit breiter Krempe. Die Hauptfarbe aller Kleidungsstücke war Weinrot, bis auf das schwarze Hemd, und alle Säume waren golden bestickt. Thaumator zog die Robe aus und gab sie Vindictus, bei dem das edle Stück wie eine Schleppe auf dem Boden schleifte. Dann rückte er den Hut zurecht und schnippte einen imaginären Fussel vom Hemd. Das Jungchen vom Lotusschloss muss noch einiges lernen, dachte Vindictus. „Seid Ihr ein Feuermagier? Ich dachte, Ihr gehört zur Finsternis.“ „Nein, mein Element ist Feuer, aber bevor Ihr fragt, das macht nicht grundsätzlich immun gegen Feuer,“ sagte Thaumator leichthin. „Auch Feuermagier können durch Feuer hingerichtet werden. Für sie ist es nur besonders peinlich.“ Gemeinsam marschierten sie los in Richtung Schloss. Besser gesagt, Vindictus marschierte, während Thaumator bequem spazierte. Nach wenigen Minuten verlangsamte der Ältere sein Tempo, was sein Begleiter kommentarlos mitmachte. Er war echt zu alt für sowas, obgleich er sich noch für relativ gut in Form hielt. „Ach, um Eure Frage von vorhin zu beantworten... ich hatte nie eine Schwäche für Schmuck.“ „Hm?“ Thaumator sah zu ihm nach unten und schien den Zusammenhang zunächst nicht zu verstehen. Dann erhellte sich seine Mine. „Ach ja... der Nabelring.“ „Also, warum tragt Ihr den? Oder ist das ein Geheimnis?“ „Ach was. Meine Frau trägt den gleichen. Es ist funktioneller Partnerschmuck.“ „Wieso funktionell?“ „Nun... sie hat keine eigene Magie mehr, also teile ich meine mit ihr.“ Vindictus horchte auf. „Das geht? Könnte Soach sich sowas auch anschaffen?“ „Vermutlich. Die Frage ist, ob ihm das reicht. Er kann die Kraft eines anderen niemals so benutzen, als wäre es seine, und er müsste erstmal jemanden finden, der bereit ist, sich dafür zur Verfügung zu stellen.“ „Also das ist wahrscheinlich das kleinste Problem. Ich werde mal mit Kayos reden.“ Thaumator hob eine Augenbraue. „So, wirklich? Nun, ich bin gespannt. Rose kommt ziemlich gut damit klar, auch meine Schwägerin hat sich daran gewöhnt. Aber Soach... ich schätze ihn anders ein, und nach der Stimmung im Schloss zu schließen...“ „Moment,“ unterbrach Vindictus. „Eure Schwägerin? Nicht etwa die, die Ihr ebenfalls ausgebrannt habt? Ich dachte, sie wäre tot...“ „So wie ich es erzählte, könnte dieser Eindruck entstehen,“ räumte Thaumator ein. „Aber sie überlebte. Genau genommen war es Cosmea, der es gelang, sie zu retten. Orchidee hat ebenfalls jemanden, dessen Magie sie benutzt. Sie verriet mir jedoch nicht, wer es ist. Genau genommen redet sie überhaupt nicht mit mir. Sie schreibt Rose ab und zu Briefe.“ „Cosmea und Ihr scheint eine gemeinsame Geschichte zuhaben,“ stellte der alte Heiler fest. Thaumator ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort. „Ja, Ihr habt Recht. Cosmea und Sage versuchten immer wieder, meine Mutter und mich auszuschalten. Als ich mit meiner Mutter fertig war, floh ich sowohl vor ihnen als auch vor Rose. Nun... Rose erwischte mich zuerst. Danach habe ich einige Gedächtnislücken, aber irgendwann wachte ich auf und befand mich in der Obhut eines Heilers in Cosmeas und Sages Turm. Nach meiner Gesundung hielt der Zirkel des Bösen Gericht über mich. Cosmea unterstützte mich und es wirkte sich positiv aus, dass ich meine eigene Mutter besiegt und mich selbst ergeben hatte. Naja... genau genommen hatte ich mich nicht ergeben, sondern war irgendwie bei ihnen gelandet, aber offiziell habe ich mich gestellt. Einige Jahre später wurde ich selber Zirkelmitglied.“ Es entging Vindictus nicht, dass eine gewisse Zeitspanne in der Erzählung fehlte, Zeit, in der der Feuermagier möglicherweise eine Strafe verbüßt hatte. Aber er beließ es dabei. Außerdem brauchte er seinen Atem, um durch den trockenen Sand zu stapfen. Seine Füße sanken ein und rutschten weg. Falls Thaumator damit Probleme hatte, verbarg er es gut. Als sie in der Bucht ankamen, wo die Kleidung noch fast wie vorher dalag, zeigten beide Anzeichen von Erschöpfung. Daran gab es nichts Verwerfliches, schließlich strengte auch Schwimmen an, besonders, wenn die Strömung dazwischenkam. Vindictus für seinen Teil bemühte sich an seinem Lebensabend nicht mehr, den anderen den Starken vorzuspielen, war aber überrascht, dass Thaumator sich nicht nach Kräften verstellte, stolzer Zirkelmagier, der er war. Als der Heiler die geliehene Kleidung abgelegt hatte, ließ Thaumator alle Teile, die er zuvor herbeigezaubert hatte, wieder verschwinden und fing an, seine ursprüngliche Kleidung anzuziehen. „Entschuldigt,“ rief jemand von oben herab, eine Frau. „Ist das dort drüben Schloss Lotusblüte?“ Vindictus sah überrascht auf und hielt seine Unterwäsche vor seine privatesten Teile. „Äh... ja.“ Er konnte die Fremde nicht genau erkennen, denn sie war einfach zu weit weg. Allerdings schien sie mehrere Gepäckstücke mit sich zu tragen. „Warum seid Ihr nackt?“ fragte sie nun. „Äh...“ Vindictus setzte reflexartig zu einer Erklärung an, unterbrach sich dann aber. Was für eine Frage war das bitte? „Was glaubt Ihr denn, was zwei nackte Männer gemeinsam am Strand tun?“ rief Thaumator, der gerade in seine Hose schlüpfte und das Hemd schon lose übergestreift hatte. Seine Worte brauchten mehrere Sekunden, um von der Dame verarbeitet zu werden. „Oh... nun ja. Es steht mir wohl nicht zu, das zu bewerten. Ich will nicht weiter stören.“ Sie drehte sich schwungvoll um. Etwas zuckte auf ihrem Rücken – Flügel? Taumator hatte verdutzt in seinen Bewegungen innegehalten. „Das habe ich eigentlich nicht gemeint,“ murmelte er. Vindictus begegnete seinem Blick und spürte ein Zucken in den Mundwinkeln. Beide Männer fingen an zu lachen. Dann erinnerte sich der Alte, in seine Leinenhosen zu steigen und die Robe überzuziehen. Abgesehen von den Schuhen fand er das ausreichend im hiesigen Klima. „Schwitzt ihr nicht?“ fragte er Thaumator. „Feuermagier zu sein hilft,“ entgegnete dieser. Er hatte seine elegante Magierrobe angelegt und griff gerade nach seinen Stiefeln. „Wartet... lasst mich Eure Beine sehen.“ Vindictus streckte bereits die Hände aus, eine Angewohnheit, die, wie ihm kurz darauf aufging, vielleicht nicht auf Gegenliebe stieß. Der Jüngere zögerte. „Wozu soll das gut sein?“ Der Heiler ließ die Hände sinken. „Ähm... ich möchte mich nicht aufdrängen. Aber hier sind wir ja nicht im Schloss. Vielleicht kann ich etwas bewirken.“ „Vier Heiler haben sich das angesehen,“ sagte Thaumator. „Zuerst der, der meine Wunden damals behandelt hat. Er meinte, ich könne froh sein, dass ich überhaupt überlebt habe.“ Vindictus schnaubte verächtlich. „Der hat vermutlich nur den natürlichen Heilungsprozess beschleunigt und dann war es für ihn erledigt. Es gibt Heilung und es gibt Heilung.“ „Etwa anderthalb Jahre danach sagte mir eine Heilerin der Feen, dass sie mir nicht helfen könne, weil mein Unterbewusstsein ihre Kräfte blockierte,“ fuhr Thaumator fort. „Ein anderer wollte nichts für mich tun, weil er wusste, wer ich bin und fand, dass ich es verdiene.“ „Das hat vermutlich die Blockade noch verstärkt,“ mutmaßte Vindictus. „Auch der beste Heiler ist machtlos, wenn der Patient die Hilfe verweigert. Das muss nicht bewusst geschehen – wahrscheinlich habt Ihr Euch Vorwürfe gemacht und die Narben gewissermaßen als gerechte Strafe betrachtet. Ihr wolltet nicht geheilt werden.“ „Schon möglich,“ meinte Thaumator. „Ich wagte mich dann erst etliche Jahre später wieder zu einem anderen Heiler, der als besonders fähig galt. Er stellte jedoch fest, dass die Narben schon zu sehr zu mir gehörten, als dass sie noch von mir getrennt werden könnten. Er verglich es mit einem Baum, der Rinde über eine Verletzung wachsen lässt. Man lässt es besser in Ruhe.“ „Pah! Manche Stümper können nur frische Wunden behandeln. Vermutlich überstieg es seine Fähigkeiten,“ winkte Vindictus ab. Er verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn. „Ich kann sogar Tote erwecken, also lasst mich sehen.“ „Aber... diese Toten werden dann Zombies...“ begann der Feuermagier. Er blies nachdenklich die Luft aus. „Nun gut... was kann es schaden...“ Er ließ die Stiefel fallen und setzte sich in den Sand, winkelte ein Bein an und krempelte die Hose bis zum Knie hoch. Manch einer mochte da nur eine vernarbte Fläche sehen, die zu behandeln es sich nicht lohnte, Vindictus aber sah eine Herausforderung, die seiner würdig war. Er legte seine Hände vorsichtig auf die geschädigte Haut, genoss das Gefühl, wie all seine Sinne darauf ansprangen und sein Verstand wie von selbst eine erste Analyse erstellte. So ging es vielleicht auch Soach mit der Chaosmagie. In diesem Moment bemitleidete er den Mann aus tiefster Seele. So faszinierend der Anblick von Brandnarben auch war, wenn sie einem anderen gehörten – Vindictus schloss die Augen und ließ ein Bild in seinem Kopf entstehen. Sein erfahrener Heilerinstinkt versetzte ihn in die Vergangenheit und ließ ihn beinahe Zeuge der Folter sein, die sein Patient durchgemacht hatte. Ah, er betrachtete ihn bereits als seinen Patienten. Nun... den ließ er bestimmt nicht mehr gehen, bevor er mit ihm fertig war. Die Fläche war wahrscheinlich mit brennbaren Hilfsmitteln verbrannt worden, was die weitestgehend gleiche Schädigung erklärte. Vindictus weitete seine Sinne auf den Rest des Körpers aus. Er fand Spuren von mindestens drei verschiedenen Klingen. Schnittnarben waren immer sehr gradlinig mit sauberen Rändern. Es gab sie nicht auf dem Rücken, dort dominierten dafür die Überbleibsel von Hieben mit einer Peitsche oder etwas Ähnlichem, deutlich erkennbar an der Art, wie die Haut unter der Gewalteinwirkung aufgerissen war. Oh... Thaumator hatte sich einmal den rechten Arm gebrochen, schätzungsweise als Kind, wie er am Grad der Verwachsung erkannte. Die Bissnarben am Arm stammten auch aus dieser Zeit. Junge Menschen neigten ja häufig dazu, wilde Tiere und Risiken generell zu unterschätzen. Hingegen waren die Verätzungen, die ihm vorhin schon aufgefallen waren, wesentlich jünger, maximal fünfzehn Jahre. „Ein glorreicher Kampf gegen einen giftigen Schlangendrachen,“ bemerkte Thaumator.“ „Ah ja, das erklärt... Hä?“ Vindictus schreckte aus seiner Konzentration hoch. „Ihr murmelt vor Euch hin,“ grinste sein Patient. „Sehr aufschlussreich.“ „Ähem.“ Anscheinend nahm er es ihm nicht übel. „Dann könnt Ihr mir vielleicht sagen, was Euch gebissen hat...“ „Mein Drache, damals noch ganz jung. Aber es war ein Unfall. Er bewahrte mich vor einem tödlichen Sturz, indem er meinen Arm festhielt.“ „Oh... gutes Tier.“ „Bezeichnet ihn nie in seiner Gegenwart als Tier.“ Thaumator lächelte bei den Worten, also blieb Vindictus locker. „Eure Beine... Wie ist das passiert?“ wagte der Heiler zu fragen. Er bemerkte erhöhte Herzfrequenz und eine schnellere Atmung bei seinem Patienten. Hatte es vorhin noch so ausgesehen, als könne er sein Leben einfach kurz zusammenfassen und einem so gut wie fremden Mann erzählen, so mussten die Details ihn doch ein wenig aufregen. „Ihr müsst das nicht erzählen, wenn es schwierig für Euch ist.“ Thaumator ließ seinen Oberkörper zurücksinken, bis er auf dem Sand lag. Sein Blick richtete sich auf die Ferne... möglicherweise in die Vergangenheit. „Wir befanden uns in einer Art Heiligtum, einem verlassenen Ort, wo Magie nicht wirkt. Sie fesselte mich an den steinernen Alter und wickelte nasse Tücher um meine Beine. Ich konnte es riechen... ein rituelles Öl, das normalerweise in Feuerschalen verbrannt wird... die Tücher waren mit dem Zeug durchtränkt. Sie hatte noch viel mehr Tücher und jede Menge von dem Öl. Ihr ursprünglicher Plan sah nicht vor, dass ich überlebe. Doch wir hatten viel geredet, Dinge klargestellt... und als sie mit der Fackel näher kam, rang ich ihr das Versprechen ab, mit mir den Bund zu schließen, falls ich mich davon erhole.“ „In so einem Moment?“ staunte Vindictus. „Konntet Ihr sie nicht, nun ja... um Gnade bitten?“ „Vielleicht. Ich empfand es aber schon als Gnade, dass sie nur meine Beine verbrannte. Aber um das zu verstehen, kennt Ihr noch immer viel zu wenige Einzelheiten. Wisst Ihr... aus uns wäre vielleicht schon früher etwas geworden, wenn meine Mutter sie nicht fälschlich beschuldigt hätte. Rose fühlte sich von mir verraten, und von jemandem verraten zu werden, den Ihr mögt, tut noch viel mehr weh als bloßer Verrat. Dann die Sache mit ihrer Schwester...“ „Der Schock einer solchen Verletzung hätte Euch töten können!“ „Ja... aber ich überlebte. Und gewann eine Frau, die selbst im Bett Messer am Körper trägt – wenn auch sonst nichts.“ „Schön für Euch,“ grinste Vindictus. „So eine hatte ich auch mal, aber Amazonen binden sich nicht für lange.“ Er ließ von Thaumators Bein ab. Der Feuermagier stand auf, krempelte sein Hosenbein wieder herunter und schlüpfte in seine Stiefel. „Nun? Wurde Eure wissenschaftliche Neugier befriedigt?“ „Ich kann die Narben verschwinden lassen, wenn Ihr es zulasst,“ verkündete Vindictus und beobachtete den Effekt. Thaumator fuhr herum und starrte mit großen Augen zu ihm herunter. „Ihr beliebt zu scherzen.“ „Ich bin Heiler im Zirkel des Bösen. Mit sowas mache ich keine Witze.“ Er genoss es, Thaumators eigene Worte auf ihn zurück zu werfen. „Aber... all die anderen Heiler...“ widersprach der Jüngere halbherzig. „Stümper,“ meinte Vindictus achselzuckend. „Zweifellos junge Burschen.“ „Naja... jünger als Ihr.“ „Genau. Ich kann eine Wunde so heilen, dass sie einfach nicht mehr stört. Aber dafür würde eine Salbe und Verbandszeug aus dem Gepäck eines Helden reichen. Oder ich mache es ordentlich. Dann seht Ihr hinterher nichts mehr.“ Vindictus baute sich stolz auf und kam sich zehn Zentimeter größer vor. „Mit so alten Narben ist es schwierig im Vergleich zu einer frischen Wunde. Aber noch lange nicht unmöglich. Gewöhnliche Heiler würden natürlich davon abraten, und selbst ich warne vor den Risiken. Aber ich bin Necromant. Die üblichen Moralvorstellungen sind anders bei mir.“ „Da ich im Zirkel des Bösen bin, kann ich damit leben,“ sinnierte Thaumator. „Ich werde Rose eine Nachricht schicken. Wenn sie einverstanden ist, dürft Ihr es versuchen.“ „Ihr macht das von Eurer Frau abhängig?“ „Es ist die Frau, die nicht alles an mir verbrannte, obwohl sie die nötigen Mittel und genug Gründe hatte.“ „Auch wieder wahr.“ Vindictus freute sich schon darauf, diese Person kennen zu lernen und zu sehen, wie das Pärchen miteinander umging. „Aber wie lange würde es dauern?“ erkundigte sich Thaumator. „Gewiss klappt das nicht an einem Tag, oder? Dann hätten wir ein Problem, denn das Schlossherz hat mich praktisch dazu aufgefordert, so bald wie möglich zu verschwinden.“ Vindictus rieb sich das Kinn. „Hm. Da fällt mir schon was ein. Aber wir werden nicht ewig verheimlichen können, was wir tun. Ist es Euch unangenehm, jemandem die Narben zu zeigen? Ich meine... Ihr habt sie mir gezeigt.“ „Es ist mir nicht direkt unangenehm, es ist nur... privat,“ erläutert Thaumator. „Wenn ich als Zirkelmagier unterwegs bin, zeige ich keine Schwäche, also verdecke ich die Narben. Außerdem ist es oft anderen Leuten unangenehm, sie zu sehen. Manche fühlen sich von dem Anblick abgestoßen. Andere fangen an, mich zu bemitleiden. Beides will ich nicht. Aber möglicherweise tat es mir gut, mit einem Fremden darüber zu reden.“ „Soach würde sagen, es gibt keine Zufälle. Das Schicksal hat Euch zu mir geführt!“ Vindictus ballte eine Faust im Triumph. Thaumator verdrehte lachend die Augen. „Das könnte natürlich sein.“ Sie verließen gemächlich den Strand, wobei es leider erst einmal etwas bergauf ging, bis sie den oberen Landabschnitt erklommen hatten. Von hier ging es relativ ebenerdig zum Schloss weiter. Da der ganze Ausflug mehr Zeit in Anspruch genommen hatte als geplant, hatten sie vermutlich das Frühstück versäumt. Vindictus‘ Magen beklagte sich über die Leere. Sein Begleiter hatte es wohl gehört und warf ihm einen verständnisvollen Blick zu. „Also... gehen wir in der Küche räubern oder verhalten wir uns wie Männer und leiden schweigend bis zum Mittag?“ „Ich würde sagen, wir verhalten uns wie Zirkelmagier und lassen uns was in den Saal bringen,“ schlug Vindictus vor. „Aber erst muss ich kurz auf der Krankenstation Bescheid sagen, sie warten da sicher schon auf mich.“ „Ich komme mit – wenn sich jemand beschwert, nehme ich die Verantwortung auf mich, schließlich war ich es, der woanders schwimmen wollte,“ bot Thaumator an. Da widersprach Vindictus gewiss nicht. Als sie sich dem Schlossgelände näherten, zog der Feuermagier seine Kleidung noch einmal glatt, straffte seine Haltung und befleißigte sich eines arroganteren Schrittes. Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, doch die Andeutung eines Lächelns blieb sichtbar, wenn man wusste, wie Thaumator aussah, wenn er lächelte. „Zurück im Zirkelmodus, wie ich sehe,“ murmelte Vindictus. Das Lächeln wurde deutlicher. „Nennt es, wie Ihr wollt.“ Vielleicht habe ich seine harte Schale geknackt, dachte Vindictus selbstzufrieden. Oder Thaumator hatte nie eine besessen und man musste sich nur die Mühe machen, sich mit ihm zu befassen. Wie auch immer... an seinem Arbeitsplatz schien einiges los zu sein. Schon von weitem hörten die beiden das Gezeter von mehreren Frauen durch die geschlossene Tür. Ab und zu mischte sich ein Mann ein. Die Stimme von Lady Charoselle kristallisierte sich heraus: „... allgemein bekannte Vorurteile, aber was soll man von einer Fee, die nie ihr Nest verlassen hat, anderes erwarten!“ „Ihr sprecht von Vorurteilen, aber anscheinend denkt Ihr tatsächlich, dass Feen in Nestern wohnen!“ regte eine fremde Stimme sich auf. „Das war bildlich gemeint!“ keifte Charoselle. „Versteht Ihr absichtlich alles falsch, was ich sage, oder seid Ihr wirklich so hinterweltlerisch? Ich frage mich ohnehin, warum Ihr Eure Tochter nicht über die Risiken aufgeklärt habt, bevor es so weit kam. Jetzt ist es zu spät!“ „Das würde ich so nicht sagen, sie kann immer noch...“ „Beendet diesen Satz lieber nicht,“ unterbrach Dsasheera die Fremde. Sie klang sehr bedrohlich. Vindictus trat ein, wobei er schwungvoll die Tür aufstieß. „Was geht hier vor?“ Schnell nahm er das Bild in sich auf. Lily lehnte mit verschränkten Armen an einem der Betten und starrte mit wütendem Blick auf den Boden. Lady Charoselle und Dsasheera schienen ein Team zu bilden, das sich mit einem Pärchen stritt, welches ihnen gegenüber stand. Vindictus hatte diese Leute noch nie gesehen, aber sie mussten Feen sein, denn beide trugen gefiederte Flügel auf dem Rücken und hatten blumige Haarfarben, sie ein zartes Rosa und er ein pastelliges Lila. Die Frau blickte sich zum Eingang um und bekam große Augen. Sie streckte anklagend den Zeigefinger aus. „Ah! Das sind die beiden Schwulen vom Strand!“ Hinter ihm machte Thaumatur ein hustenähnliches Geräusch, als würde er sich das Lachen verkneifen. „Und wer, bitte, seid Ihr?“ gelang es Vindictus zu fragen. „Guten Morgen, Vindictus,“ sagte Lily. „Das sind Petunia und Lavender. Meine Eltern...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)