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Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3)

Prinz Soach und das Prinzip des Chaos
von

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Kurz vor der Abreise

„Ah, da bist du ja, Neo.“ Blacky und Dark trafen den Magierkollegen draußen bei den Drachen, die in kleiner Gestalt vor dem Haupteingang ausharrten.

Der Blonde seufzte. „Um ehrlich zu sein, hoffte ich, dass...“ Er sah Blacky an und schien es sich anders zu überlegen. Er räusperte sich. „Ich meine... wie gut, dass dein Vater überlebt hat.“ Er sah ohne die Spur eines Lächelns zu den größeren Männern auf.

„Ich weiß, dass du ihn gerne sterben gesehen hättest, Neo,“ sagte Blacky und schaffte es, dabei nicht verärgert zu klingen – hoffte er jedenfalls.

Neo zuckte mit den Schultern. „Naja, daraus hab ich ja nie ein Geheimnis gemacht. Aber so ist es auch gut... ich kann zusehen, wie er langsam verkümmert ohne seine Magie. Noch stellt er sich stark, aber es ist nur eine Frage der Zeit. Ich werde seinen Niedergang genießen.“

Ein Hauch von Zweifel wollte sich in Blackys Unterbewusstsein schleichen, doch er verpasste ihm einen Tritt nach draußen. „Soach ist wie ein frisch geleerter Kelch, der nur darauf wartet, wieder gefüllt zu werden. Er muss nur noch herausfinden, womit.“

Neo schnaubte. „Er ist eher ein Kristallkelch, den jemand zertrümmert hat. Da kannst du nichts mehr reinfüllen, Blacky. Er taugt nur noch für den Müll.“

Blacky schwieg, denn ihm fiel keine kluge Erwiderung mehr ein.

Dafür ergriff Dark das Wort. „Ich mache mir Sorgen um dich Neo, und schäme mich, dass ich das Problem nicht eher erkannt habe. Du steigerst dich viel zu sehr in deine Rache hinein.“

„Ach was. Jetzt hat er endlich, was er verdient, also bin ich zufrieden. Schade ist bloß, dass ich nicht zusehen durfte, wie sie es gemacht haben,“ meinte Neo.

Blacky schloss die Augen und riss sich mühsam zusammen, während er seine Hände von Neos Hals fernhielt.

„Ich habe mit Lord Ishzark gesprochen und erfahren, dass er noch Männer sucht,“ fuhr Dark unbeirrt fort. „Er meinte, er könnte jemanden wie dich gebrauchen. Du hättest Gelegenheit, deine Schwertkünste aufzufrischen. Melde dich einfach mal bei ihm.“ Der Magier, der von den meisten anderen Magiern als ihr Anführer angesehen wurde, machte eine bedeutungsvolle Pause und fügte dann hinzu: „Das ist keine Bitte.“

Neo sah ihn an. Sein Gesicht zeigte kaum eine Emotion, aber an seiner Aura erkannte Blacky, dass er sich höchstwahrscheinlich verraten fühlte. Das verwunderte ihn nicht. Der Blonde machte eine Phase durch, in der die Welt für ihn nur noch aus Gegnern bestand. „Wie du meinst,“ sagte er langsam, wobei er sich zum Haus umwandte. „Ich suche ihn mal...“

Neo schlenderte langsam davon, wie ein Mann, für den das Leben den Sinn verloren hat. Sie blickten ihm schweigend nach, bis er außer Hörweite war, und spazierten dann ebenfalls zurück zum Haus.

„Das mit dem Kelch scheint dich nachdenklich gemacht zu haben,“ meinte Dark.

Blacky seufzte. „Nun ja... wenn ich korrekt über die Technik des Ausbrennens informiert bin, wird tatsächlich das Gefäß zerstört, in dem sich die Magie befindet. Also hat Neo ganz Recht.“

Dark lachte leise. „Das hat dich nicht etwa verunsichert, oder?“

„Nur im rhetorischen Sinne,“ versicherte Blacky. „Doch wenn Magie in Kelchen kommt, würde ich eher vom Boden trinken als gar nicht. Und mein Vater zweifellos auch.“

„Na siehst du. Aber sag mal... hast du nur ein einziges Trinkgefäß zu Hause?“

Blacky hob eine Augenbraue, doch Dark kommentierte das nicht weiter. Er ging etwas schneller, so dass er dem Chaosmagier eine Aussicht auf seine Kehrseite bot. Den absichtlichen Hüftschwung erkannte Blacky als deutliche Einladung, das Thema zu wechseln.
 

Crimson überließ Soach weitestgehend seiner Familie und gab sich damit zufrieden, seinen Tagesablauf im Hinterkopf zu verfolgen. Indessen besuchte er das Dorf, um sich den Leuten dort als neuer Herr der Ländereien vorzustellen. Dabei begleiteten ihn Iquenee und zwei Kriegerinnen, denn die Prinzessin meinte, dass ihm vielleicht nicht nur Freude entgegenwehen würde. Tatsächlich hatte er dann auch den Eindruck, dass die Dorfbewohner den Herrschaftswechsel hinnahmen, aber sich nicht zu eifrig um ihn bemühten, ähnlich wie die Bediensteten. Sie fragten nicht einmal, was es mit dem plötzlichen Schneefall auf sich hatte, dabei schmolz dieser noch.

Auf dem Rückweg zur Villa des verstorbenen Unterweltlers fragte er: „Wie verhalte ich mich jetzt am besten? Soll ich sie zwingen, mich zu verehren, oder lasse ich sie erstmal in Ruhe?“

„Du solltest dich nicht zu unbeliebt machen, Crimson,“ meinte Iquenee. „Wenn die Leute unverschämt werden, kannst du immer noch strenger sein. Allerdings musst du auch klar machen, dass sie dir nicht auf der Nase herumtanzen dürfen. Hm, das wird etwas schwierig. Ich kann dir da gar nicht gut helfen, mein Ding ist es eher, einen Aufstand niederzuschlagen, wenn mir das befohlen wird, oder eine feindliche Armee zu besiegen.“

„Verstehe.“ Crimson erinnerte sich an Charoselles Worte, die er durch Soach mitbekommen hatte. Iquenee schien tatsächlich zu rabiat für eine Herrscherin zu sein, ihr fehlte das diplomatische Feingefühl, während Ray vermutlich zu viel davon hatte. Aber ob dann Soach der richtige Kronprinz war? Crimson schob den Gedanken beiseite. Selbst wenn der Mann irgendwann König wurde, musste er sich jetzt noch nicht damit auseinandersetzen. Daher konzentrierte er sich lieber auf die aktuellen Probleme.

„Ist es eigentlich in Ordnung, dass deine ganze Familie hier ist?“ fragte er seine Begleiterin.

„Sicher. Blizzi ist noch im Palast,“ winkte Iquenee ab.

„Blizzi?“ Crimson lief es kalt den Rücken hinunter, denn an das verwöhnte Blag konnte er sich noch gut erinnern. So hart Iquenee auch zu sich selbst und ihren Leuten war, so sehr verwöhnte sie ihre Tochter. Bloß gut, dass viele andere vor ihr in der Thronfolge kamen.
 

Vindictus erwachte erst am späteren Vormittag, sehr zu seinem Ärger, denn er vernachlässigte seit Stunden seinen Patienten. Diesen störte das wahrscheinlich nicht, und so sagte der Heiler sich, dass es auch für ihn selbst besser war, wenn er genug Schlaf bekam.

Erfreut fand er Soach noch im Bett vor. „Wie schön – ich befürchtete schon, dich auf dem Gelände suchen zu müssen.“

„Crimson meinte, ich sollte auf dich warten, weil du sonst schimpfen würdest.“

„Ah, der Junge kennt mich inzwischen ganz gut. Wo ist er eigentlich?“

„Er wollte ins Dorf gehen und sich dort als der neue Herr vorstellen.“

„Ah ja...“ Vindictus kletterte auf einen Sessel links vom Bett, so dass er den Verband von Soachs Unterarm entfernen konnte. „Hm, das eitert,“ murmelte er.

„Er hat das Messer vermutlich nicht desinfiziert,“ kommentierte Soach.

„Manchmal hilft es, wenn die Wunde stark blutet, weil dadurch Verunreinigungen weggespült werden,“ erklärte der Heiler. „Aber die Umstände... nun ja. Da es dir jetzt besser geht, kann ich es heilen. Es wird dich wieder ermüden, weil der Zauber nicht mehr von deinem Meras gespeist werden kann. Aber ich wollte ohnehin vorschlagen, dass du dich noch ein bisschen ausruhst und erst nach dem Mittagessen aufstehst.“

„Meinetwegen,“ seufzte Soach. „Ich habe eh keine Kleidung außer einem Morgenmantel, um dieses Zimmer zu verlassen.“

Vindictus heilte die Wunde, bis eine dünne, frische Hautschicht über der Stelle entstanden war. Der Vorgang dauerte einige Minuten. „Nicht kratzen, auch wenn es juckt,“ grinste er, als er Soachs Gesicht sah.

„Kannst du nicht was gegen das Gefühl machen?“ jammerte der Patient.

Der Alte kicherte und erbarmte sich, indem er kurz darüber strich. „Na gut. So. Besser?“

Soach entspannte sich. „Bleibt davon eine Narbe?“

„Nur wenn du willst.“

Soach schien kurz darüber nachzudenken und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Das Kapitel mit dem zerstörten Schlossherz sollte ich vielleicht langsam abhaken.

„Na fein.“ Vindictus tätschelte ihm den Arm. „Du schläfst jetzt noch ein Stündchen.“ Ehe Soach protestieren konnte, wischte er über dessen Stirn, und die Augen des Prinzen fielen zu.

Der alte Heiler schickte sich an, ihn allein zu lassen, blickte aber noch einmal zurück, als er schon die Türklinke in der Hand hielt. Er konnte zwar nicht hellsehen wie sein Sohn, ahnte aber, dass sie mit Soach noch einige Probleme bekommen würden. Niemand steckte eine Ausbrennung problemlos weg.

Er begab sich in den Aufenthaltsraum, um nachzusehen, ob Crimson schon zurück war, traf jedoch Ishzark und Charoselle an, die in eine lebhafte Diskussion verwickelt waren. Da wollte er lieber nicht stören und zog sich deshalb wortlos wieder zurück.

Crimson hatte ihm gegenüber eine Bibliothek erwähnt, und da er nichts anderes zu tun hatte, ging er danach suchen. Er musste einige Türen probeweise öffnen, eher er den Raum mit den Bücherregalen fand. Hier wollte er sich etwas zum Lesen suchen und abwarten. Zu seiner Überraschung fiel ihm sogleich ein Geräusch auf, das er zwar erkannte, aber nicht an diesem Ort erwartet hatte: jemand schnarchte leise. Sein Blick wanderte nach links und fiel auf Ujat, der, mit dem Rücken an den Regalen lehnend, mit einem offenen Buch auf dem Schoß schlief.

Vindictus lächelte. Als Hellseher vermied sein Sohn es, an Orten zu schlafen, die ihm höchstwahrscheinlich lebhafte Träume bescherten, aber sein Körper forderte irgendwann sein Recht. Vermutlich hatte er versucht, sich mit einem Buch wach zu halten. Vindictus holte ein Kissen von einem der Sessel, legte es auf den Boden und zog Ujat vorsichtig in eine liegende Pose.

Neugierig sah er anschließend nach, was sein Sohn gelesen hatte. Der Titel des Buches lautete: Blutfeen und andere Abnormitäten. Im Prinzip mochte das ein beliebig ausgewähltes Exemplar sein, aber nicht bei einem Hellseher.

Die aufgeschlagene Seite, eine der ersten, definierte einige Begriffe, die der Autor benutzte, darunter auch das Wort Blutfee. Hierbei handelte es sich um ein Feenkind mit Hybridblut, für gewöhnlich hervorgehend aus einer Verbindung zwischen einem Unterweltler und einer Fee. Blutfeen verfügten über besondere Kräfte, auf die später im Buch wohl noch eingegangen wurde, und tendierten dazu, dunkle Pfade einzuschlagen, so dass sie meistens ein unrühmliches Ende fanden.

Vindictus blickte von dem Buch zu Ujat, dann wieder auf die Definition. „Na großartig,“ murmelte er. „War ja klar.“ Er nahm auf dem Sessel am Fenster Platz und begann zu lesen. Es konnte nicht schaden, informiert zu sein.
 

Um die Mittagszeit hatte sich der Koch eingefunden und die Küche angeheizt. Crimson hätte sich sonst genötigt gesehen, ihn an die Arbeit zu schicken.

„Es gibt Gulasch,“ verkündete der Mann. „Oder isses nicht recht?“ Er schien ein Unterweltler zu sein, blauhäutig, und seine besten Jahre lagen bereits hinter ihm. Für einen Koch war er recht mager, dafür groß.

„Mach nur, aber in ausreichenden Mengen,“ entgegnete Crimson.

„Wär toll, wenn ich wüsst', wie lang die Leut' alle bleiben, damit ich planen kann,“ bemerkte der Koch. „Gibt auch nichts Kompliziertes, weil die Küchenhilfen nicht aufgetaucht sind.“

„Das ist in Ordnung,“ nickte Crimson die Worte ab. „Ich nehme an, dass wir heute Nachmittag abreisen, aber ich lasse es dich rechtzeitig wissen.“

„Gut. Sollen wir den Tisch im Speisesaal decken?“

„Ähm... ja, sicher. Schick jemanden, der uns Bescheid gibt.“

Crimson hatte keine Ahnung, wo sich der Speisesaal befand, aber das wollte er dem Mann jetzt nicht unter die Nase reiben.

Er verließ die Küche und beschäftigte sich damit, seine Verbündeten zusammenzusuchen und die Rückreise zu planen. Ray erklärte sich bereit, das Haus für ein paar Wochen zu verwalten, was ganz gut für Fuma und Edin war, wie er fand. So konnte Charoselle sich noch ein wenig an den Gedanken gewöhnen, die beiden bei sich wohnen zu haben.

Was das anging, äußerte die Herrscherin sich abweisend. Sie wollte die Schwiegertochter nicht um sich haben, andererseits aber fand sie es besser, sie im Auge zu behalten. Bisher hatte sie noch nicht entschieden, wo ihre Prioritäten lagen.

Als Crimson annahm, dass er alles Wichtige erst einmal erledigt hatte, ging er zu Soach. Darauf freute er sich immer wie auf eine lang verdiente Pause, fiel es ihm auf.

Der Prinz schlief, als er eintrat, fing aber nach wenigen Sekunden an, sich zu rühren, und schließlich blinzelte er ihn schläfrig an. „Oh... Crimson... gibt es Essen? Vindictus hat erlaubt, dass ich nach dem Essen aufstehe. Ich glaube, er hat einen Schlafzauber auf mich gelegt...“ Er rieb sich die Augen und streckte sich.

„Der Koch will den Tisch im Speisesaal decken lassen, also stehst du besser vorher auf, damit du dann mitkommen kannst.“ Crimson sah sich kurz im Zimmer um. „Oh... du hast keine andere Kleidung, oder?“

Soach schüttelte mit einem schiefen Lächeln den Kopf. „Es müsste aber irgendwo in diesem Haus etwas geben, das mir passt, schätze ich.“

„Hm... Moment.“ Crimson ging vor die Tür. „Malice? Ah, da bist du ja. Besorge bitte vernünftige Kleidung für Soach. Vielleicht ist die, mit der er hergekommen ist, noch irgendwo aufzutreiben.“

„Betrachte das als erledigt,“ grinste der Blonde und salutierte salopp.

Crimson schloss die Tür von innen. „Hab ich bitte gesagt? Meine Güte...“

„Versteif dich doch nicht so darauf, dass du Malice hasst,“ riet Soach ihm. „Damit verschwendest du nur Energie. Außerdem war ich damals auch dabei, und mir trägst du nicht nach, dass du jetzt ein Tattoo auf dem Rücken hast.“

„Du hast nicht das Messer geführt,“ erwiderte Crimson trotzig.

„Und wenn ich es getan hätte? Vielleicht habe ich es nur Malice überlassen, weil er die Bannformel kannte.“

Crimson schloss und öffnete mehrmals die Hände zu Fäusten, während er über den Grund nachdachte. „Es ist... anders mit dir. Du hast dich nie entschuldigt für das, was passiert ist, aber du hast vor Gericht Verantwortung übernommen.“

„Nun... das hat Malice auch,“ gab Soach zu bedenken.

Crimson schüttelte den Kopf. „Nicht so wie du, und außerdem... du bist nicht so... schadenfroh. Er hatte Spaß daran, dass er mir Schmerzen zufügen konnte.“

„Das mag sein,“ gestand Soach ihm zu. Er schwang die Beine aus dem Bett und hielt sich an Crimsons angebotener Hand fest, als er aufzustehen versuchte. Essen und Schlaf hatten ihm gutgetan, dennoch schienen seine Füße sich erst wieder daran erinnern zu müssen, was ihre Aufgabe war. Crimson stützte ihn, bis er sicher war, dass er alleine stehen konnte. Danach blieb er in seiner unmittelbaren Nähe und überwachte die ersten Schritte.

„Das ist... peinlich,“ murmelte Soach.

„Das Gift hat dich ganz schön mitgenommen,“ meinte Crimson mitfühlend. Er kramte einen dunkelgrünen Morgenmantel aus dem Schrank hervor und half seinem Freund, ihn überzustreifen. „So... das sollte reichen, bis du etwas Richtiges bekommst.“

Soach band den Morgenmantel zu und zupfte den Stoff etwas zurecht. Er nahm jene aufrechte Haltung an, durch die er selbst Nacktheit wie ein königliches Gewand trug, wenn es darauf ankam. Der Anblick bewirkte, dass auch Crimson die Schultern straffte und sich ein wenig erleichtert fühlte, denn solange Soach das tun konnte, hatte er noch nicht aufgegeben.
 

Soach durchquerte einige Male das Zimmer, um seine Beine wieder an die Tätigkeit zu gewöhnen. Dabei bewegte er die Arme auf und ab und rollte mit den Schultern. Er hielt sich eigentlich körperlich in Form, aber derzeit fühlte er sich schwach und gebrechlich.

„Hier sind auch Hausschuhe, aber sie sind dir wahrscheinlich zu groß,“ stellte Crimson fest.

„Da laufe ich lieber erstmal barfuß,“ meinte Soach. „Das ist schon schwierig genug.“

Sein Körper fühlte sich an, als hätte er ihn zu lange nicht benutzt. Die Muskeln schmerzten noch von der Zeit, als er sie im Todeskampf verkrampft hatte, und der Rücken beklagte sich über eine zu lange Zeit im Bett. Soach nahm es hin, denn wenigstens lebte er. Ein paar Tage, und er war wieder wie neu. Beinahe jedenfalls... und da war er wieder, der Gedanke an eine Zukunft ohne Magie. Für gewöhnlich verdrängte er ihn recht erfolgreich, aber gelegentlich rief er sich in Erinnerung wie ein Dorn im Fuß.

„Was war das eigentlich mit dem Zirkel des Bösen? Du schienst es kaum erwarten zu können, Mitglied zu werden,“ fragte Crimson.

„Oh... das. Wusstest du das nicht? Hm... vermutlich nicht.“ Dankbar für die Ablenkung konzentrierte sich Soach auf das neue Thema. „Es dürfte nicht in den Berichten und Protokollen des Zirkels stehen. Ich sagte es nur zu Blacky, damals nach seinem Sieg und dem des jungen Marik über Malice und mich. Blacky fragte, warum ich das überhaupt alles getan habe. Und ich sagte, weil ich in den Zirkel des Bösen aufgenommen werden wollte. Sie hatten meine Bewerbung dreimal angelehnt. Also dachte ich, dass etwas Handfestes überzeugender wäre.“

Er wandte sich dem weißhaarigen Magier zu, der ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Ich kann nicht fassen, dass wir darüber noch nie gesprochen haben,“ sagte Crimson schließlich.

Soach zuckte mit den Schultern. „Warum auch.“

„Aber warum will jemand, der ein Reich erbt, im Zirkel des Bösen aufgenommen werden?“ wollte Crimson wissen. „Ich meine... andere würden den Thron mit Handkuss nehmen!“

„Die Idee hat mich schon immer gereizt,“ gab Soach zu. „Ich wollte meine Magie frei ausleben, nicht unter dem Joch einer Krone. Ich stellte mir den Zirkel des Bösen immer als eine Gruppe von mächtigen Leuten vor, denen niemand etwas anhaben kann und die ungeahnte Geheimnisse hüten, von denen man nicht einmal an der Eisigen Universität hört.“

„Offenbar hat dich das Konzept immer noch fasziniert, obwohl du inzwischen weißt, wie die wirklich drauf sind.“

„Aber sie sind noch viel schräger drauf, als ich jemals dachte!“ Soachs Begeisterung bekam einen jähen Dämpfer. „Mein Wunsch erfüllt sich auf eine sehr... seltsame Weise. Unter diesen Umständen hätte ich doch lieber darauf verzichtet, aber wie die Dinge liegen, nehme ich, was ich kriege.“

Crimson räusperte sich. „Naja... ich habe nie behauptet, dass ich einer von den Guten bin. Vielmehr sah ich mich immer als eine Art Rebell. Dann bleibt wohl nur noch zu hoffen, dass der Rest des Zirkels nichts gegen unseren Beitritt einwendet.“

„Sie werden zustimmen, schon um zu beobachten, wie du dich schlägst,“ vermutete Soach. „Manchmal tun sie Dinge, nur um zu sehen, was dann passiert.“

„Wenigstens kennt sich einer von uns gut aus,“ grummelte Crimson. Dann erhellte sich seine Miene. „Hey! Das bedeutet doch, dass ich auf der Gegenseite von Malice bin, wenn er Praktikant beim Drachenhauchorden ist, oder?“

Wie aufs Stichwort flog die Tür auf, und herein kam der platinblonde Unterweltlerkrieger. Sein Gesicht war allerdings kaum zu sehen, denn er trug einen Haufen Wäsche, über den nur die Spitzen seiner nicht mehr ganz so langen Haare hinausragten.

Er lud seine Last auf dem Bett ab und grinste in die Runde. „Bitte sehr, frisch aus der Waschküche. Man riecht teilweise noch den Dampf vom Bügeln.“

„Schön zu wissen, dass in der Waschküche gearbeitet wird.“ Crimson nahm das oberste Hemd vom Stapel und entfaltete es probeweise. „Oh, Malice... was ist mit Stiefeln?“

„Danach hast du nicht verlangt,“ stellte der Praktikant klar. „Aber ich hab hier bestimmt noch was im Inventar.“

Er fing an, in einer Gürteltasche zu kramen, die bestenfalls Platz für ein Ersatzhemd bot, aber während er darin wühlte, verschwand sein Arm bis zum Ellenbogen darin. Soach und Crimson starrten ihn gleichermaßen an, wechselten untereinander einen Blick und zuckten dann synchron mit den Schultern.

„Ich bin sicher, dass dies die Tasche für Klamotten und persönliche Items ist...“ Malice schnallte genervt die Tasche vom Gürtel ab und schüttelte den Inhalt heraus. Einige Kettenhemden, Helme und Rüstungsteile kamen zum Vorschein, dann auch mehrere Kleidungsstücke aus Leder, eine faustgroße, orangefarbene Kristallkugel mit vier roten Sternen darin, eine grüne Geldbörse in Form eines Frosches und schließlich ein einzelner Stiefel. Malice schüttelte heftiger und griff hinein, als das Schütteln nichts nützte. Er zog den zweiten Stiefel hervor, worauf sich ein weiterer Haufen von Items auf den Boden ergoss. Ganz oben kam eine kitschige Goldbrosche in Herzform mit Flügeln und rosa Applikationen zu liegen.

Malice hob eine seitlich hingefallene silberne Taschenuhr mit einer Art Drachenkopf auf dem Deckel auf. „Oh, die habe ich schon gesucht!“

Soach verglich den Haufen mit dem Täschchen. „Faszinierend...“ Er schnappte sich die Tasche und nahm sie in Augenschein. Als er hineinfassen wollte, bekam er einen elektrischen Schock, der ausreichte, um seine Hand für einige Sekunden zu betäuben. „Wow... was ist das für ein Ding?“

„Eine personalisierte Heldenkammer,“ sagte Malice mit stolzgeschwellter Brust. „Hat mich die Loots von sechs Quests gekostet! Aber es lohnt sich, so habe ich immer das richtige dabei.“

„Und du hast... mehrere von den Dingern?“ Soach deutete auf den Gürtel, an dem eine weitere Gürteltasche hing.

Malice nickte eifrig. „Ja, das ist auch eine. Aber sie ist übertragbar, weil ich darin Heilmittel und sowas habe, die vielleicht mal ein Kollege für mich rausholen muss. Man kann allerdings die personalisierten mit einem Passwort versehen, dann kann auch ein anderer den Inhalt herausholen, wenn derjenige das Passwort kennt.“

„Die übertragbaren sind vermutlich billiger,“ vermutete Crimson.

„Darauf kommt es nicht so sehr an,“ winkte Malice ab. „Der Unterschied liegt in der Größe des Stauraums.“

„Warum habe ich von sowas noch nie gehört?“ erkundigte Crimson sich.

„Also bitte!“ Malice rollte mit den Augen, als wäre das offensichtlich. „Du bist ein Magier. Du wohnst erstens für gewöhnlich in einem Schloss oder hast dein eigenes magisches Gepäck, sowas wie eine Dimensionsfalte oder so. Nicht wahr, Sorc?“

„Ähm... ja, hatte ich,“ murmelte Soach. „Oh, verflixt... Vaters Löffel war darin.“

Der kleine Schmerz, der sich wieder einmal in seinem Herzen bemerkbar machte, verschwand im Hintergrund, als er die gleichermaßen verdutzten Gesichter der beiden anderen Männer sah. Für ein paar Sekunden herrschte Stille.

„Der, den Ray dir vor einiger Zeit überbracht hat?“ fiel es Crimson ein.

„Ein magischer Löffel?“ fragte Malice interessiert.

Soach musste kichern – endlich hatten sie mal etwas gemeinsam. „Ja, genau der, und magisch ist er wahrscheinlich auch.“

„Er muss noch irgendwo zu holen sein,“ meinte Malice ernst.

„Ja, ich habe nur vergessen, wohin dieser Taschenzauber führte,“ gestand Soach. „Den benutze ich schon so lange.“

Ein weiteres Mal erwischte er sich dabei, dass er von Zaubern, die er in Gebrauch hatte, und seiner Magie generell redete, als existierte das alles noch. Er bezeichnete sich selbst immer noch als Chaosmagier oder Chaoshexer, konnte sich nicht wirklich eingestehen, dass er keiner mehr war. Es geschah meistens auf einem unbewussten Level, aber wenn er darüber nachdachte, weigerte er sich ebenfalls, sich anders auszudrücken. Dabei wusste er, dass es manchmal besser war, einen Verlust zu akzeptieren und vorwärts zu gehen, statt immer zurück zu blicken. Ihm kam Rahzihf in den Sinn mit seinem verlorenen Arm. Doch dieser hatte Ersatz gefunden, mit dem er gut zurechtkam. leider gab es solche Prothesen wohl nicht für ausgebrannte Magier.

„Ey!“ Malice schnippte vor seinem Gesicht mit den Fingern und weckte ihn damit aus seinem Tagtraum. „Hier, probier die halt mal an!“ Er hielt die Stiefel hoch.

Soach nahm das Paar entgegen und stellte fest, dass sich an den Knöcheln kleine Zierflügelchen befanden. Die Sohle sah golden aus. Eventuell waren sie ihm etwas zu klein, überlegte er.

„Setz dich mit den Dingern lieber hin,“ riet Malice ihm. „Man muss sich erst dran gewöhnen, sie lassen einen knapp überm Boden schweben!“

„Ach, wirklich?“ Soach setzte sich auf einen Sessel und probierte die Stiefel an. Erst waren sie wirklich zu eng und sein großer Zeh fühlte sich sehr gestaucht an, aber nach wenigen Sekunden passten sie sich seiner Größe an. Soach erkannte einen leichten magischen Schimmer, der die Stiefel nun umgab. Dieser verblasste, als das Schuhwerk sich perfekt seinen Füßen angepasst hatte.

Der Prinz erhob sich und schritt probeweise auf und ab. „Hm, sie sind bequem.“

Malice hob eine Augenbraue. „Merkst du nichts? Ich bin fast auf die Schnauze geflogen, als ich sie zum ersten Mal anhatte.“

Soach blickte an sich herunter, bewegte noch einmal testweise die Füße und schüttelte den Kopf. „Vielleicht werden sie von der Magie des Benutzers gespeist,“ vermutete er bedauernd. „Und vielleicht hatten sie gerade so viel übrig, dass sie jetzt passen.“

Malice zuckte mit den Schultern. „Naja, hat Vorteile, würde ich sagen.“

„Ja... scheint so,“ seufzte Soach. Er zog die Stiefel erst einmal wieder aus, nahm von Crimson ein schlichtes, weißgebleichtes Hemd entgegen, das der Magier aus dem Stapel herausgesucht hatte, und hielt es an seinen Oberkörper. „Das müsste gehen. Hast du auch eine Hose?“ Sie fanden eine geeignete in hellem Braun, und Soach zog sich unzeremoniell um. Dieses Mal dachte er daran, dass seine Haare kürzer waren, und verkniff sich die Bewegung, mit der er sie normalerweise aus dem Kragen zog.

Im Anschluss fühlte er sich zumindest wieder präsentabel, obwohl er wie ein Bauer mit magischen Stiefeln aussah.

Crimson stapelte die restlichen Sachen neben dem Bett, wo die Dienstmädchen sie finden konnten. Malice indessen sammelte seinen Kram wieder ein. Ein paar Schulterpanzer und Beinschützer, die viel zu groß für die Öffnung aussahen, verschwanden in seiner Gürteltasche.

Kurz darauf rief jemand alle Anwesenden zum Essen, und Soach hatte seinen ersten Auftritt nach dem beinahe tödlichen Anschlag...
 

Es gab Gulasch mit Gemüse. Und es schmeckte köstlich, dafür dass der Koch ziemlich grimmig ausgesehen hatte.

Blacky ließ sich durch die seltsame Stimmung am Tisch nicht den Appetit verderben. Alle Paar Minuten entstand ein kurzes Gespräch und starb wieder ab. Von einer gemütlichen Runde konnte nicht die Rede sein.

Er saß neben seinem Vater, welcher den ersten Platz zu Crimsons rechter Hand innehatte, sehr symbolisch. Dem neuen Herrn gebührte natürlich der Kopf der Tafel, was ihm einen guten Überblick verschaffte. Anfangs hatte Crimson etwas unsicher deswegen gewirkt, aber nun schlug er sich ganz gut.

Dark saß auf Blackys anderer Seite, dann kamen Fire, Onkel Ray, Tante Fuma, Edin und Neo. Gegenüber, links von Crimson, befanden sich Oma Charoselle und Opa Ishzark sowie Tante Iquenee, Vindictus, Malice und Black Luster. Die restlichen Plätze besetzten Ishzarks und Iquenees Soldaten und Soldatinnen, die Blacky nicht alle namentlich kannte.

„Wo ist Ujat?“ fragte Ray den alten Heiler.

„Ach, das weißt du nicht?“ entgegnete Vindictus. Beide lachten, und ein paar Stimmen fielen verhalten mit ein. „Er ist endlich mal eingeschlafen, da wollte ich ihn nicht wecken.“

„Ist das der Mann, der das Leben meines Sohnes gerettet hat?“ begehrte Charoselle zu erfahren. „Bedauerlich, dass er nicht hier ist, sonst hätte ich ihm danken können.“

„Die Gelegenheit wird sich sicherlich noch ergeben, Lady,“ sagte Vindictus.

Das Gespräch geriet wieder ins Stocken.

„Mama, ich bin fertig, darf ich raus gehen?“ ließ sich Edin bald darauf vernehmen.

Blacky beobachtete, wie seine Großmutter misstrauische Blicke in die Richtung warf.

„Warte lieber noch etwas,“ flüsterte Fuma dem Jungen zu. „Es ist höflich zu warten, bis alle fertig sind.“

„Aber das kann ja noch dauern!“ nölte das Kind.

„Und ich dachte, die Araes erziehen ihre Kinder gut,“ murmelte Charoselle wie zu sich selbst, aber laut genug für alle.

Soach wählte diesen Moment, um laut zu rülpsen. Er füllte sein Glas nach.

„Ey, das kann ich auch!“ rief Edin. Er rülpste nicht ganz so laut.

„Edin!“ zischte seine Mutter, warf aber im Anschluss der älteren Frau einen giftigen Blick zu.

„Kinder, Kinder, ich zeig euch mal, wie man das--- Au!“ Ishzark wurde von einem heftigen Ellenbogenstoß seiner Frau unterbrochen.

Iquenee schlürfte laut die Soße von ihrem Teller. „Woah, lecker! Ich esse so selten in so feiner Gesellschaft, meistens fangen wir irgendwas und braten es über einem Feuer. Da darf man nicht wählerisch sein. Einmal war ich mit meiner Truppe in der Wüte unterwegs, und wir hatten seit drei Tagen nichts gegessen. Da fanden wir einen toten Riesenwal, dessen Gedärme aus einem Schlitz am Bauch raushingen und schon ganz eklig rochen. Ameisen krochen auf ihm herum und Geier kreisten am Himmel...“

Edin klebte förmlich an ihrem Mund. „Und habt ihr das gegessen?“

„Nein, wir waren hungrig, aber nicht lebensmüde,“ stellte die Generälin mit erhobenem Zeigefinger klar. „Iss nie etwas, das du schon lange riechst, bevor du es siehst.“

„Wir dachten außerdem, es sei eine optische Täuschung,“ schaltete sich Milenna, eine ihrer Kriegerinnen, in das Gespräch ein. „Ich meine... ein Wal in der Wüste...“

„Ich hätte mich eher gewundert, woher die Ameisen kamen,“ bemerkte General Raiho.

„Wir haben es jedenfalls nie erfahren, aber vielleicht hat den Wal ein Drache fallengelassen, weil er ihn nicht mehr tragen konnte,“ beendete Iquenee ihre Geschichte.

Und vielleicht war es auch nur das – eine Geschichte, um die Kameraden zu unterhalten. Blacky kannte Krieger, die am Lagerfeuer von Abenteuern erzählten, die er selber miterlebt hatte, und da hatte dann das schreckliche Monster nicht nur zwei, sondern sechs Köpfe und war auch plötzlich dreimal so groß.

Insofern verwunderte es nicht, als nun einer von Raihos Gruppe anfing, von einem Riesen zu erzählen, dessen Mundgeruch Stahl schmelzen konnte.

„Jeder weiß, dass das nicht am Geruch liegt,“ warf Luster ein. „Sie speien ganz feine Tröpfchen Speichel aus, die ätzend sind.“

„Man muss ihnen nach Möglichkeit einen großen Klumpen Kalk in den Rachen schmeißen,“ fügte Malice hinzu. „Aber man kann den Sabber auch in Flaschen abfüllen und mitnehmen, um irgendwo ein Schloss wegzuätzen!“

Lady Charoselle verdrehte kopfschüttelnd die Augen. Blacky fragte sich, ob es sie wohl viel Beherrschung kostete, nicht selbst einen Schwank aus ihrer Jugend zum Besten zu geben.

Aus dem Augenwinkel sah er neben sich Dark lächeln. Der Schwarze Magier schien sich mühsam zu beherrschen, um nicht die Fassung zu verlieren. Blacky wandte seinen Blick Crimson zu. Der Weißhaarige ignorierte all das Geplänkel oder tat zumindest so. Auch Fire hatte noch nichts gesagt. Aber Blacky wusste, dass sein Bruder sich praktisch ununterbrochen auf die Zunge biss, um nichts gegen die neue Tante oder Onkel Ray zu sagen.

Soach neben ihm schwieg ebenfalls die ganze Zeit, aber Blacky brauchte nicht hinzusehen, um sich seiner Wachsamkeit bewusst zu sein. Sein Vater beobachtete, schien sich aber nicht unbedingt in den Vordergrund drängen zu wollen.

Die Unterhaltung am Tisch wurde nun von den Soldaten bestritten, die weitere Geschichten zum Besten gaben. So blieb es wenigstens nicht so bedrückend still. Alle Episoden beschrieben eklige Zwischenfälle des normalen Soldatenlebens, als versuchten sie, den letzten Essern den Appetit zu verderben. Das war jedoch unnötig.

„Jetzt haben aber alle fertig gegessen!“ plärrte das Kind. „Darf ich jetzt endlich aufstehen?“

Seine Mutter musste es ihm erlauben, schließlich wäre es erziehungstechnisch unklug gewesen, sich nun eine andere Ausrede einfallen zu lassen.

Sofort sprang Edin von seinem Stuhl, rannte zu Soach und packte seinen Arm. „Onkel Soach! Ich will dir was zeigen, komm mit!“

Charoselle schoss von ihrem Platz hoch, doch Blacky konnte rechtzeitig über den Tisch greifen und ihren Arm packen, damit sie sich beruhigte. „Er ist nur ein kleines Kind, Oma.“

Edin hatte den Zwischenfall anscheinend nicht bemerkt. Er zerrte an Soachs Hemd, bis dieser sich erhob und zustimmte.

„Soll ich mitkommen?“ rief Crimson den beiden zu und kam Blacky damit zuvor.

„Nein, viele Leute sind nicht gut!“ protestierte Edin.

„Was willst du ihm zeigen?“ wollte Charoselle in scharfem Tonfall wissen.

„Nur mein Haustier, Motti. Er hat aber Angst vor zu vielen Fremden.“

„Ist er gefährlich?“ fragte die Herrscherin weiter.

Edin lächelte strahlend. „Ach was, der ist doch noch ganz klein und tut nichts! Er spielt so gerne und will immer gestreichelt werden.“

„Ich komme schon klar,“ versicherte Soach und ließ sich wegziehen.

Blacky konnte die starke Verbindung seines Vaters zu Crimson in der Luft glitzern sehen und lehnte sich beruhigt zurück. Vielleicht tat es Soach gut, Zeit mit einem Kind zu verbringen.
 

Soach ließ sich gerne von dem Kleinen mitziehen, und ehe er sich versah, verließen sie das Haus durch einen Bediensteteneingang auf der Rückseite und eilten auf den Wald zu.

„Du hast dich so für unsere Tiere interessiert, als du krank warst, deswegen will ich dir Motti zeigen,“ verkündete Edin. Er marschierte auf einem oft benutzten Trampelpfad hinein in die Dunkelheit der Bäume, Soachs rechten Zeigefinger fest mit einer Hand umklammert. Ganz offensichtlich kannte er sich in dem Gebiet aus.

Auf einer kleinen Lichtung blieben sie stehen. Viel heller war es aber nicht, denn das Blätterdach lichtete sich zwar, aber mehrere Zweige wuchsen dennoch über die Lichtung und ließen nur ein kleines Loch offen, durch das der Himmel zu sehen war.

Edin legte die Hände trichterförmig vor den Mund. „Motti! Moooottiiiii!“

„Ist dein Haustier ein Hirsch oder so?“ erkundigte Soach sich.

„Wirst du ja gleich sehen!“ Der Junge sah zu ihm auf und grinste breit, wie es Kinder tun, wenn sie hoffen, gleich jemanden beeindrucken zu können.

Im Gehölz bewegte sich etwas. Es schien sich aber nicht nur um ein Tier zu handeln, sondern um mehrere, und zwar um große und schwere. Der Boden bebte, und die Geräusche von mächtigen, schnell laufenden Füßen erklangen. Soach spürte plötzlich sein Herz pochen und schluckte, damit es sich wieder an den ihm zugewiesenen Platz begab.

Dann brach ein haushohes, dunkelrosafarbenes Geschöpf auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Schatten der Bäume. Edin stand zwei Kinderschritte vor Soach, aber der Prinz ergriff das Kind, stellte es hinter sich und wandte sich dem Feind zu.

Sein Atem kam schneller, wie auch sein Herzschlag, als ein Behemoth auf ihn zustapfte und dabei ein sabberndes, zähnebewehrtes Maul zu einem Brüllen aufriss. Soach wusste, dass die einzige Chance, eine solche Begegnung zu überleben, in dreister Arroganz bestand, denn Flucht bewirkte eine Einsortierung ins Beuteschema. Dennoch merkte er, wie seine Knie nachzugeben drohten und ein Bein automatisch nach hinten wollte. Nur die Tatsache, dass er ein kleines Kind dabei hatte, hielt ihn unbeweglich auf der Stelle. Kurz darauf mischte sich ein anderes Bewusstsein mit seinem. Die Unsicherheit wich der Überzeugung, dass der Behemoth niemanden fraß, der ihn direkt ansah. Soach schaffte es, standhaft zu bleiben.

Sekunden nach dem Auftritt des großen Ungeheuers erklang ein weiteres Geräusch, das eher an einen jaulenden Hund erinnerte. Zu den Füßen des Behemoths preschte eine kleinere Ausgabe von ihm heran. Zugleich kam Edin hinter Soach hervor und lief mit ausgebreiteten Armen auf das Geschöpf zu, welches immerhin die Größe von Meras der Schlosskatze hatte.

„Motti!“ kreischte der Kleine vergnügt und schlagt die Arme um den Baby-Behemoth, der sich an ihn drückte und seine Ohren abschleckte.

Soach war so verdutzt, dass er sich unbewusst entspannte und den größeren Behemoth für den Augenblick vergaß. Motti sah aus wie ein haarloser, besonders kräftiger Wolfshund. Seine Haut war rosa, nur im Nacken zeigte sich der Ansatz der späteren lila Mähne. Hörner und andere stachelige Teile ließen sich in Ansätzen erahnen. Aber das kleine Biest hatte schon furchteinflößende Krallen und Zähne. Edin spielte mit ihm wie mit einem harmlosen Häschen. Geräusche weiter im Wald wiesen auf Artgenossen hin, die sich aber nicht zeigten.

[Soach... alles in Ordnung?] nahm Crimson mit ihm Kontakt auf.

Soach ließ seinen Blick zu dem großen Behemoth schweifen, der beobachtete, wie das Junge und das Kind zwischen seinen Beinen herumtollten. [Ich... glaube, ja.] Er wankte zu einem umgestürzten Baum und setzte sich auf den dicken Stamm. Was eben passiert war, konnte eigentlich nicht wahr sein, schließlich hatte er einen Drachen zum Freund. Einen von der großen, zerstörenden Sorte. Andererseits kannte er Gandora seit seiner Kindheit, gerade wie Edin seinen kleinen Behemoth. Mit Drachen kannte Soach sich aus. Drachen konnten in ihm nicht diesen Effekt auslösen, den der Behemoth eben hervorgerufen hatte.

Offensichtlich zog die Ausbrennung ungeahnte Folgen nach sich. Soach rieb sich mit den Händen durchs Gesicht. Ich hatte Angst...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2016-02-29T05:45:00+00:00 29.02.2016 06:45
Hallo (•‿•)

das Wortspiel mit dem Gefäß, dem zerbrochenen Kelch und dann der Aufmunterung, das niemand nur ein einziges Glas zuhause hat, fand ich toll gemacht. Ich glaub mich hätte es auch sehr entmutig, so eine niederschmetternde, schlagfertige Antwort zu bekommen, wo man sich doch an dem Fünkchen Hoffnung festklammert, das Soach es doch noch irgendwie hinbekommt.

Das Buch mit dem Hinweis auf die Blutfee klingt nicht sehr beruhigend, ob Soarch und Lilly das vorher gewusst haben? – Aber es muss ja nicht alles alles so eintreffen...

Ich glaube das wenn jemand die Magie so selbstverständlich benutzt hat wie Soach, - so wie es für uns normal ist zu atmen – da wird er das auch nicht so schnell ablegen können in seiner Sprache und dem Denken. Ich kann mir gut vorstellen, so wie du es beschrieben hast, das da so viele Kleinigkeiten dran hängen, an die Soach selbst gar nicht gedacht hat, wie mit der Dimensionsfalte, das man das Ausmaß was Soach alles verloren hat auf einmal gar nicht fassen kann. Zudem bin ich jetzt ebenfalls neugierig geworden, was es mit dem Löffel von seinem Vater auf sich hat. ... Könnte den ein Teil von Soachs Fähigkeiten auch in diese Dimension Falte gerutscht sein? Ich möchte auch nicht aufgeben, irgendwie wird Soach es schon packen.

Den letzten Teil mit Edin fand ich auch toll, das er Soach mag. Ob Edin auch besondere Fähigkeiten hat, das er so unbekümmert zu Motti gehen kann? Wo Soach einen gehörigen Schrecken bekommen hat... der Vergleich mit Gandora hat mir gefallen – wer weiß, was noch in dem Jungen stecken wird, und ob jemand anderes von seinem Freund/Haustier weiß?

Liebe Grüße, Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
29.02.2016 22:48
Hallo, zurück im Lande? :)

Sehr interessant, dass du auch das mit dem Kelch so toll findest - zum Glück hab ich das nicht weggelassen, ich hatte erst überlegt, ob ich sowas nicht schon zu oft geschrieben habe.

Blutfee - deine Fragen zu dem Thema werden bald beantwortet. Und wir lernen eine kennen, mal sehen, ob du es merkst. ;) Ich weiß aber nicht, wann das genau sein wird, die Kapitel werden manchmal länger als gedacht und Sachen passieren dann erst später als geplant.

Nein, Fähigkeiten bzw. Meras rutschen nicht in Dimensionsfalten. Die Lösung liegt in etwas, das Sage in #2 erklärt hat. XD Etwas Geduld ist schon noch nötig.
Der Löffel wird zweifellos auch noch seinen Auftritt haben - falls sie ihn jemals wiederfinden. Ich plane auch eine Gabel und ein Messer.

Edin hat aus Motti kein Geheimnis gemacht, also kannst du davon ausgehen, dass es keines ist. Schließlich gehören die Behemoths seinen Eltern - oder gehörten, jetzt sind es natürlich Crimsons. Ich bin nur irgendwie nicht dazu gekommen, irgendwo zu erwähnen, wer für die Viecher verantwortlich ist... Ansonsten hab ich Edins Zukunft natürlich schon voll geplant... *unschuldig zur Decke guck* Nee, keine Ahnung, aber bestimmt fällt mir noch was ein, das ich dann so aussehen lassen kann, als hätte ich es lange geplant. ;)

Es dürfte bald weitergehen!
Liebe Grüße
Anja






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