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Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3)

Prinz Soach und das Prinzip des Chaos
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mir fiel mal wieder kein besserer Kapitel-Titel ein... ein paar andere Ideen fand ich nicht so ganz passend. Wie auch immer... enjoy! Komplett anzeigen

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Heimliche Tränen

Der kraftvolle Schwung, mit dem er den Zauberstab geführt hatte, brachte Soach zu Fall. Aber es spielte keine Rolle mehr, was mit ihm geschah – der Lord konnte seiner Familie nicht mehr schaden. Er hoffte nur, dass es keine weiteren Racheakte gegen die Eisigen Inseln gab. Denn auch Edin hatte eine Mutter, die ihm vielleicht später einmal Geschichten vom Mörder seines Vaters erzählen würde. Als logische Konsequenz musste er eigentlich auch den Jungen und die Frau töten, um seine eigene Familie zu schützen. Hatte die Chaosjägerin Charoselle damals vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden und klein Edeh verschont?

Wenigstens diese Wahl gab es für ihn nicht, denn er würde nie ein Kind töten. Außerdem schaffte er es schlicht und einfach nicht mehr. Seine letzten Kraftreserven hatte er geopfert, um seinen Schwur zu erfüllen. Er lag auf dem Rücken und gab sich damit zufrieden.

Malice tauchte in seinem unscharfen Blickfeld auf und hockte sich neben ihm hin. „Hat ja wie am Schnürchen funktioniert. Er hat quasi den Kopf verloren im Angesicht unserer Genialität. Aber das Teil ist auch hin... muss regelrecht explodiert sein, was auch zu der Sauerei hier passt...“

Er hielt die obere Hälfte von Kays Zauberstab hoch. Soach verzog das Gesicht... Kayos würde nicht begeistert sein, aber vermutlich auch nicht sauer. Die Kugel hatte den Zusammenprall mit Araes Schädel nicht überstanden. Nur einige Scherben des Kristalls hafteten noch in der Metallhalterung, und aus irgendeinem Grund war der Stab ungefähr in der Mitte gebrochen. „Oh... ich hab den Rest noch in der Hand...“

Er konnte den Arm kaum heben, um nachzusehen. Seine Augen fühlten sich ganz schwer an. Nun musste er sich mit den Folgen seiner Handlungen auseinandersetzen und sich einer ernüchternden Tatsache stellen: Es war Zeit zu sterben.

Einige Stunden blieben ihm wohl noch, aber er hatte das Elixier der Verdammten benutzt, um seinen hinterhältigen Schlag mit der nötigen Kraft ausführen zu können. Helden setzten dieses Wundermittel für gewöhnlich ein, um in einem Notfall noch für bis zu fünf Minuten handeln zu können, doch es forderte einen hohen Preis vom Körper der Person, die es trank, deshalb endete diese Strategie oft tödlich. Darüber konnte er beinahe lachen.

„Ich geh mal eben den Oberboss looten, wenn du mich grad nicht brauchst,“ sagte Malice. „Bevor die anderen auftauchen. Geht schnell...“

„Hmmm...“ machte Soach.

Malice bewegte sich nicht vom Fleck. Er seufzte dramatisch. „Okay, ich bin anscheinend der Einzige, der dir hier Gesellschaft leistet, und außerdem sieht es ja komisch aus, wenn der Praktikant sich an dem verstümmelten Leichnam vergeht. Also warte ich an deiner Seite auf die Hauptstreitmacht.“

„Mach das... und erinnere mich ab und zu daran, nicht ausgerechnet hier neben dir den Geist aufzugeben.“

Malice setzte sich im Schneidersitz neben ihn und grinste ihn an. Sein Gesicht und seine Rüstung waren voller Blutspritzer. „Kann ich den Dolch haben, wenn du ihn nicht mehr brauchst?“

„Nimm ihn dir von mir aus... glaube nicht, dass ich den noch benutzen werde...“ Soach fühlte sich seltsam leicht. Bestimmt sollte er in seiner Lage eigentlich bewusstlos werden, aber dazu fehlte ihm die Seele.

Malice nahm ihm den Dolch ab und verstaute ihn in einer Tasche. „Ich bewahre das für dich auf. Würde mich wundern, wenn du hier tatsächlich abnippeln würdest. Aber vergiss nicht, Crimson zu sagen, dass er mir ein Elixier der Verdammten schuldet.“

Soachs Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben, „Das wird ihm überhaupt nicht gefallen.“

Sein früherer Komplize zuckte mit den Schultern. „Umso besser.“

Ob Crimson wohl spürte, dass etwas geschehen war? Soach hielt die Verbindung zu ihm absichtlich schwach, damit sich der andere auf seine Aufgabe konzentrieren konnte. Und natürlich hätte Crimson nicht zugelassen, dass er das Elixier der Verdammten benutzte.

[Bist du dir da so sicher?]

[Crimson... wie...]

[Anscheinend hat dein Unterbewusstsein den Kontakt hergestellt, als du an mich dachtest. Ich muss wohl nicht fragen, wie es dir geht. Aber du wirkst so... zufrieden. Hast du geschafft, was du vorhattest?]

[Ja... der Lord ist tot. Sag mal... stört dich das gar nicht? Du hast vorhin schon nicht protestiert...]

[Ich habe in deinen Erinnerungen gesehen, was er dir angetan hat. Mit ihm habe ich kein Mitleid. Blacky und ich habe eine Hausangestellte gezwungen, uns zum Alchemielabor von Fawarius zu führen. Ich arbeite. Halte noch ein wenig durch. Vindictus ist auf dem Weg.]

Der Kontakt wurde wieder schwächer, und Soach fielen fast die Augen zu. Er kämpfte dagegen an, bis zahlreiche Schritte auf dem Flur erklangen und der Raum sich mit Verbündeten füllte.

„Showtime,“ murmelte Malice. Wahrscheinlich grinste er immer noch, aber Soach konnte sein Gesicht nur noch verschwommen erkennen.

„Ey! Was is hier vorgefallen? Alder! Was hamse mit dir gemacht?“ Fire schien als Erster anzukommen. Er betastete ihn auf der Suche nach Lebenszeichen, schlau genug, ihn nicht zu bewegen, falls er verletzt war. „Hol doch ma einer Vindictus her!“

Soach konnte sich nur auf sein Gehör verlassen, denn seine Augenlider arbeiteten nur bedingt mit ihm zusammen. Er konnte ab und zu kurz die Augen öffnen, schloss sie dann aber lieber wieder. Einige Stimmen redeten durcheinander, doch bald hörte er wieder Malice heraus: „... und als mir das Schwert aus der Hand fiel, wollte ich mich geschlagen geben, aber der Lord wollte mich einfach abstechen! Da hat ihn Sorc von hinten erschlagen, und ich wurde mit Blut bespritzt und irgendwelchem anderen Zeug... mir ist jetzt noch voll schlecht!“

„Das geht uns allen am Anfang so, schäme dich nicht deswegen.“ Black Luster, nahm Soach an, aber er konnte sich auch irren. Er stellte sich vor, wie der berühmte Krieger Malice brüderlich eine Hand auf die Schulter legte.

„Ich bin vielleicht doch nicht als Krieger geeignet... dabei war ich so sicher, dass ich schon soweit bin,“ gab Malice in perfekter Manier den geschockten Jungkämpfer zum Besten.

Soach hätte das zu gerne auch gesehen. Die Vernunft riet ihm, ein bisschen zu schlafen, was er jedoch verweigerte, weil er dann vielleicht nie wieder erwachte. Er wollte nicht seine Restzeit verschlafen.

„Soach. Kannst du mich hören?“

Er erkannte die Stimme. „Vindictus?“

„Ich bin auch hier, mein Sohn.“

„Vater... wie kommst du denn hierher? Der Bote...“

„Da war kein Bote, ich war zufällig zu deinem Schloss unterwegs.“

„Spart euch das für später, Lord Ishzark,“ unterbrach Vindictus unwirsch. „Soach, was hast du alles getrunken?“

„Elixier der Verdammten...“ murmelte Soach.

„Und was noch? Es ist nicht das Elixier, was dich umbringt...“

„Was sagt Ihr da, Vindictus?“

Der Heiler ignorierte Ishzark. „Ich bin kein Spezialist auf diesem Gebiet! Was ist es?“

„Weiß... ich nicht,“ presste Soach hervor. „Er wollte... Mutter stürzen... deshalb... gab er mir... Gift... K-Keine Heilung...“

„Junge... bitte gib nicht auf...“ Ishzarks Stimme klang auf einmal ganz belegt.

„Bringt mich zum Schloss... ich muss... im Schloss sterben...“

„Du bist im Moment nicht zu so einer langen Reise fähig,“ teilte Vindictus ihm mit. „Lord, wir sollten ihn woanders hinbringen, sicherlich gibt es hier irgendwo einen geeigneten Raum.“

„In Ordnung... Luster, würdet Ihr uns bitte helfen?“

Soach fühlte kurz darauf keinen Boden mehr unter sich und hoffte, dass es nur daran lag, dass er angehoben wurde. Es gab ein metallisches Scheppern, als das Stück Zauberstab, das er festgehalten hatte, auf den Boden fiel. Das Artefakt hatte seinen Zweck gut erfüllt. Danke, Magie.
 

Vindictus organisierte, dass Luster Soach in eins der Gästezimmer trug. Interessanterweise wusste der Drachenkrieger, wo diese sich befanden, aber der alte Heiler handelte wie ein Chaosmagier und stellte diesen Punkt im Moment nicht in Frage, da der Nutzen weit wichtiger war als der Grund.

Soach ging es schlecht, das konnte jeder sehen. Doch Vindictus sah auch Auren, wenn er wollte, und spürte schon ohne direkte Berührung, dass es mit dem Prinzen zu Ende ging. Bei seiner ersten groben Untersuchung hatte er festgestellt, dass etwas durch Soachs Kreislauf zirkulierte, das ihn langsam tötete, wie eine Krankheit.

Lord Ishzark ging dorthin, wohin Luster seinen Sohn brachte. Seine Soldaten sicherten das Gebäude, einer der Männer nahm seinen Umhang ab und bedeckte den Leichnahm des verstorbenen Hausherrn damit.

„Malice.“ Vindictus nahm sich den einzigen Zeugen vor, den er momentan erwischte. „Hör auf mit diesem weinerlichen Gesicht. Hast du eine Ahnung, wo Crimson und Blacky stecken? Sie sind eigentlich vor mir in das Haus eingedrungen, es wundert mich, dass sie nicht bei Soach sind.“

Der Junge grinste auf die altbekannte irre Art, stellte aber sicher, dass er allen anderen dabei den Rücken zuwandte. „Die beiden suchen das Labor, um was für Sorc zu kochen.“

„Er nennt sich nicht mehr Sorc, sondern Soach.“

„Mir egal. Aber es kommt vielleicht besser an, wenn ich mich umgewöhne. Helden machen das.“

„Soso. Hier ist eine Mission, du Held: Finde die Küche und bring was zu Essen in Soachs Zimmer. Er muss sich stärken. Naja das musst du als Held ja kennen, da muss ich nicht betonen, wie wichtig vor allem Wasser ist. Und hier, nimm das...“ Er gab dem Blonden eine kleine Flasche. „Um deine Nerven zu beruhigen nach diesem schrecklichen Erlebnis.“

„Das wird sicher helfen, vielen Dank!“ Malice machte ein Schauspiel daraus, einen Schluck zu nehmen und weiterhin erschüttert auszusehen, ehe er sich auf den Weg machte, nicht ohne noch den ein oder anderen verstört wirkenden Blick auf den Leichnahm zu werfen. Der blaue Umhang war schon ganz mit Blut durchweicht, so dass der Stoff schwer über dem Körper lag und trotz des Stoffes deutlich zu sehen war, dass der Kopf fehlte.

General Raiho blickte Malice nach, während er auf Vindictus zukam. „Es hat den jungen Krieger wohl schwer getroffen... aber das geht uns allen am Anfang so...“

„In einem Jahr wird er das stolz am Lagerfeuer erzählen,“ pflichtete Vindictus ihm bei. „So ist es mit schrecklichen Erlebnissen... mit den meisten jedenfalls.“

„Sollen wir hier aufräumen, oder wollt Ihr den Toten noch untersuchen?“ erkundigte sich der General.

Der Alte sah sich im Raum um. „Die Todesursache dürfte klar sein. Ich sollte mich besser mit den Lebenden befassen. Ich schlage vor, dass Ihr die Überreste diskret für eine Bestattung vorbereitet, ohne dass noch jemand die Sauerei hier zu Gesicht bekommt.“

„Wir erledigen das,“ nickte Raiho. „Lord Ishzark soll sich ganz um seinen Sohn kümmern. Könnt Ihr noch etwas für ihn tun?“

„Ich werde es auf jeden Fall versuchen,“ versprach Vindictus.

Er ging zum Ausgang, folgte dem Gang und gelangte ins Treppenhaus. Dort traf er Fire. Der junge Feuermagier hockte auf der obersten Stufe, lehnte an der Wand und weinte leise vor sich hin.

Vindictus räusperte sich. „Ich dachte, du wärst mit den anderen gegangen.“

Fire sprang auf, nahm ein paar Stufen nach unten und wischte sich über die Augen, während er dem Heiler den Rücken zuwandte. „Ich kann mich so nicht sehen lassen. Erst wenn ich mich beruhigt hab, kann ich hingehen.“

„In dieser Familie wird viel zu viel auf eine starke Fassade Wert gelegt, wenn du mich fragst. Aber es ist schon recht – lass deinen Vater etwas ausruhen.“

„Das passiert alles, weil mich vor meiner Geburt jemand gerettet hat! Wäre ich doch damals gestorben... dann hätte mein Vater eine Weile getrauert, sicher, aber er müsste das jetzt nicht alles durchmachen.“

Vindictus seufzte innerlich. Solche Bemerkungen kannte er typischerweise von Angehörigen und Freunden eines Patienten, die sich hilflos fühlten. „Wenn es dir dann besser geht, frag General Raiho, ob er deine Hilfe gebrauchen kann,“ schlug er vor. „Der Leichnahm muss verbrannt werden, und du bist ja gut mit Feuer. Sorg dafür, dass nichts als Asche von ihm bleibt. Ich gehe jetzt nachsehen, wo sie Soach hingebracht haben.“

Den Raum zu finden war nicht schwierig. Die Tür stand offen und Ishzarks silbrige Rüstung zog den Blick auf sich. Der Mann wirkte etwas deplatziert, während er seinen Sohn sorgfältig zudeckte und die Beschaffenheit des Kissens prüfte.

Luster hatte wahrscheinlich nach dem Zufallsprinzip ein Gästezimmer ausgesucht. Es war ganz gemütlich eingerichtet mit einem breiten Bett, Büchern auf Regalen und anderen Kleinigkeiten, für die der Heiler momentan keinen Blick hatte. Er schob sich einen Sessel ans Bett heran, um seinen Patienten erreichen zu können. Dummerweise konnte er nicht viel ausrichten außer eventuell auftretende Schmerzen zu lindern. Momentan hielt Soach die Augen geschlossen, was aber nicht zwangsläufig hieß, dass er schlief.

„Lord Ishzark, bitte lasst mich einen Moment mit Eurem Sohn allein,“ bat er den Herrscher der Eisigen Inseln.

Der Mann wirkte verstört, obwohl er sich sichtbar anstrengte, es mit Fassung zu nehmen. Er zögerte, stimmte dann jedoch zu und verließ den Raum.

„So, jetzt können wir ungestört reden,“ sagte Vindictus leise. „Gift ist leider für viele Heiler ein Schwachpunkt, so auch für mich. Man hat für sowas auch meist einen Alchemisten und kommt damit gut aus.“

„Nicht in diesem Fall,“ brachte Soach heraus, wobei er die Augen einen Spalt breit öffnete.

Ganz wie erwartet schlief er nicht, aber er musste sehr erschöpft sein. Wahrscheinlich wollte er nicht vor seinem Vater über seine Lage reden.

Die Stirn des Prinzen legte sich in Grübelfalten. „Ich hätte etwa zwölf Stunden gehabt. Zweimal habe ich ein Mittel getrunken, das für eine bis anderthalb Stunden die Wirkung aufgehoben hat... aber durch das Elixier habe ich die zusätzliche Zeit wohl wieder verspielt.“

„Nicht unbedingt,“ überlegte Vindictus. „Das Elixier der Verdammten mobilisiert alle Reserven des Körpers, betäubt Schmerzen, gibt zusätzliche Kraft und stillt Blutungen. Mit anderen Worten, es kann einen Mann mit einer tödlichen Verletzung noch kurz einsatzfähig machen, so dass er nicht stirbt, ohne seine Mission zu erfüllen. Manchmal ist die Todesursache aber auch das Elixier, weil es dem Körper zu viel abverlangt. In deinem Fall ist es anders, du hast es genutzt, um die Symptome der Vergiftung aufzuheben, nehme ich an.“

„Ja... ich hätte sonst nicht so stark und zielsicher zuschlagen können.“

„Aber dein Körper ist abgesehen von der Vergiftung in einem relativ guten Zustand. Das Elixier hat dich erschöpft, aber meiner Meinung nach kannst du dich davon erholen, wenn du etwas isst und ruhst. Vielleicht hast du etwas Zeit verloren, aber nicht so viel, wie du denkst.“

„Nett von dir.“

„Das meine ich ernst.“ Vindictus scherzte nie, wenn es um seine Patienten ging.

Wie auf Stichwort tauchte Malice auf. Er öffnete die Tür mit dem Ellenbogen, ohne zu klopfen, und schloss sie von innen mit einem Tritt. Kein Wunder, denn er hatte die Hände voll mit einem Tablett voller Essen und einer Wasserkaraffe. „Ah, da sind wir drei Hübschen ja wieder alle auf einem Haufen,“ grinste er.

„Sprich nur für dich, Bürschchen, ich war immer nur euer Angestellter.“ Darauf legte Vindictus großen Wert.

„Du arbeitest doch immer noch für Sorc... oder Soach, wie auch immer.“

„Ich arbeite für Crimson.“

„Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden...“

„Ach, Klappe. Ich lasse euch zwei mal alleine. Du Held sorgst dafür, dass der Patient isst und trinkt. Gib ihm keine weiteren Zaubertränke.“ Der Heiler stieg vom Sessel und marschierte aus dem Zimmer, froh, als die Tür sich hinter ihm schloss. Er fand es immer schwierig, einen Patienten zu verlieren, zumal er ein Alter erreicht hatte, in dem die meisten davon um einiges jünger waren als er. Doch jemand, den er so gut kannte und mittlerweile als Freund bezeichnete...

Warum muss ich das noch erleben?
 

Crimson wünschte sich, ein anderer wäre der Alchemist und er könnte einfach bei Soach sitzen. Er verspürte das dringende Bedürfnis, bei ihm zu sein und sein Bewusstsein zum Schloss zu bringen, wenn es soweit war. Aber davon abgesehen verhielt sich Catherine erstaunlich ruhig, dafür dass er sich so aufgeregt hatte, als der Kontakt abgebrochen war. Es schien den Geist wenig zu belasten, dass sein Seelengeber vielleicht starb, aber für ihn hatte der Tod eben nicht die gleiche Bedeutung wie für Wesen aus Fleisch und Blut.

[Soach wird in mir weiterleben,] ließ er Crimson wissen. [Ich besitze bereits seine Seele, und solange du vor Ort bist, um sein Bewusstsein einzufangen und herzubringen, geht er uns nicht verloren.]

Diese Information beruhigte Crimson nur wenig. Für ein Geschöpf aus Fleisch und Blut zählte eben nicht nur, dass die Präsenz des Freundes blieb, sondern er wollte mit ihm Zeit verbringen, über Magie philosophieren und Dinge ausprobieren. Er hatte sich daran gewöhnt, den Mann um sich zu haben und jederzeit auf seine Hilfe zurückgreifen zu können. Nicht zuletzt sah er in Soach eine Schulter, an die er sich lehnen konnte. Vielleicht würde Cathy noch lernen, was Verlust bedeutete, nun, da er eine Seele besaß. Oder aber... vielleicht war das nur die Art des Geistes, mit dem Problem umzugehen. Schließlich stammte die Seele von jemandem, der stets bemüht war, andere zu beschützen und sich seine eigenen Sorgen nicht anmerken zu lassen.

Irgendwo in seinem Hinterkopf meldeten sich manchmal seine Drachen, die in den Mauern des Schlosses spüren konnten, dass etwas vor sich ging, diesen Zustand aber nicht recht einordnen konnten. Und es gab noch Gandora... Crimson bemerkte ihn in seinem Geist, kannte ihn aber nicht gut genug, um zu beurteilen, ob er ihm etwas mitteilen wollte oder einfach nur die Verbindung hielt.

Was Soach selbst betraf... der unterhielt sich gerade mit Malice, so dass Crimson eigentlich wegschauen wollte, aber auch neugierig war, was sie zu reden hatten. Da Soach sich momentan mit Essen beschäftigte, hielt sich das Gespräch in Grenzen.

„Gleich bin ich fertig. Wenn das nicht hilft, weiß ich nicht mehr weiter...“ murmelte er, während er sein Gebräu umrührte.

„Ich will nicht daran glauben, dass mein Vater einfach so stirbt,“ sagte Blacky, der sich im Hintergund hielt, um den Alchemisten nicht zu stören. „Kann er das Gift nicht einfach durch pure Willenskraft überwinden? So etwas kommt doch hin und wieder vor! Und ich kenne keinen mit einem festeren Willen.“

„Du bist auch ein Chaosmagier, Blacky. Muss ich dir sagen, dass du nicht zweifeln darfst?“

Er hörte den anderen kurz kichern. „Hast Recht. Aber ich habe seine Aura gesehen, und es fällt mir schwer, optimistisch zu bleiben.“

„Cathy kommuniziert mit den anderen Schlossherzen, um vielleicht eine Lösung zu finden. Fawarius hat ein großes Sortiment in seinem Inventar, aber ich werde vielleicht weitere Zutaten brauchen, die jemand herbringen muss. Hier gibt es hauptsächlich Zeug für diese Kampfsachen...“

Crimson gab als letzte Zutat eine Drachenschuppe in seinen Trank und nahm ihn vom Feuer. Sorgfältig füllte er alles in kleine Fläschchen um, die der Kampfalchemist massenhaft auf Lager hatte. Er fühlte sich ein wenig überfordert, so als müsste er zu viel tun in sehr wenig Zeit. Und es gab noch eine wichtige Sache. Selbst wäre er vielleicht nicht darauf gekommen, aber es half, mit einem Prinzen und einem relativ alten Schlossherz verbunden zu sein.

„Blacky... du bist derzeit mein Chaosmagier, so ist es doch, nicht wahr?“ vergewisserte er sich und wandte sich zu ihm um.

Der Schwarzhaarige nickte ernst. „Ich wünschte, ich könnte die Worte meines Vaters benutzen... Sag mir, was du brauchst, und ich finde einen Weg. Aber es scheint, gegen Gift bin auch ich machtlos.“

Es überraschte Crimson, dass Blacky offenbar den Wortlaut von Soachs Treueschwur kannte, andererseits... es spielte keine Rolle. „Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was ich brauche. Ein Heilmittel, ja. Aber das ist eine relativ ungenaue Angabe. Nein, von dir brauche ich etwas anderes. Kläre Rahzihf und Fawarius darüber auf, dass Lord Arae tot ist. Befrage sie zum Thema. Vielleicht hat der Lord ihnen gegenüber mal was erwähnt. Ich könnte mir vorstellen, dass Fire dir dabei helfen möchte. Und es gibt eine Frau... die Lady Arae. Auch sie könnte etwas wissen. Und die Angestellten sollen sich in einem Raum sammeln, zum Beispiel... in der Eingangshalle, durch die wir vorhin kamen.“

„Betrachte es als erledigt.“

Beide Magier verließen gemeinsam das Alchemielabor. Blacky schlug eine andere Richtung ein, als Crimson in den Gang einbog, wo er Soachs neues Zimmer vermutete. Es musste ganz in der Nähe seiner früheren Unterkunft sein, wenn er die Erinnerungen seines Freundes richtig interpretierte, aber auf der anderen Seite und nahe bei den Treppen. Crimson kam an der Stelle vorbei, wo er mit Fawaruis gekämpft hatte. Da musste dringend renoviert werden.

Vor der gesuchten Tür traf er Vindictus und Ishzark an. Der Herrscher der Eisigen Inseln lehnte mit dem Unterarm und der Stirn an einer Wand und rieb sich die Augen mit der freien Hand. Vindictus betrachtete die Kunstgegenstände auf einer Kommode, die zur Zierde herumstand.

„Ich bringe ein Mittel, das uns vielleicht hilft,“ sagte Crimson den beiden Männern.

Ishzark löste sich sofort von der Wand und sah ihn hoffnungsvoll an, oh, so hoffnungsvoll. „Wirklich? Wird ihn das heilen oder die Sache nur verzögern?“

„Wir müssen es ausprobieren. Vindictus, ist es risikolos möglich, ihm das Mittel zu geben? Ich habe Drachenschuppen zugesetzt, das bewirkt, dass das Meras des Anwenders nicht verbraucht wird. Und der Trank könnte stärker sein.“

„Du überraschst mich immer wieder mit deiner Umsichtigkeit, Jungchen. Soach ist momentan sehr müde, ich könnte mir vorstellen, dass er mit Hilfe deines Gebräus eine Weile in Ruhe schlafen kann. Welches hast du gekocht?“

„Gundulahs Allheilmittel. Es ist am erfolgversprechendsten, entspricht aber vom Geschmack her nicht dem Gegenmittel, das Soach hier bekam. Möglicherweise handelte es sich dabei gar nicht um eine alchemistische Substanz, sondern etwas, das direkt gewonnen wird, was auch das sehr klare, farblose Aussehen erklären würde.“

„Versuch es. Wir haben nichts zu verlieren.“ Vindictus ging vor.

Drinnen hockte zu Crimsons Leidwesen noch Malice auf der Bettkante und erzählte Geschichten von Heldentaten, die er angeblich vollbracht hatte.

„Es ist Zeit, dass du dich verabschiedest,“ teilte der Magier ihm mit.

Malice schaute zu ihm auf. „Ui... aber ich komme gerade erst in Fahrt...“

„Wenn du nicht gleich aufstehst und die Tür von außen hinter dir schließt, wirst du nirgends mehr kommen,“ lächelte Crimson liebenswürdig, doch seine Augen blickten den verhassten Blondschopf streng an.

„Jetzt macht er einen auf hart... ich steh da voll drauf, auf hart, meine ich...“ Malice grinste, aber er erhob sich lässig und schlenderte hinaus. Dabei musterte er den anderen langsam von oben bis unten. Crimson ging darauf nicht ein, ließ seinen erklärten Feind aber auch nicht aus den Augen.

Insofern atmete er auf, als das Türschloss einrastete, denn endlich konnte er sich Soach widmen. Dieser lag mit halb geschlossenen Augen im Bett, der Kopf versank tief in dem weichen Kissen. Aber er bekam zweifellos alles um sich herum mit.

Crimson zog sich den Sessel an die Seite des Bettes, den Vindictus nicht auf der anderen Seite in Beschlag hatte. „Hier, trink das... es könnte helfen.“ Er hob Soachs Kopf an und hielt ihm das Fläschchen an die Lippen.

Der Patient trank ohne Protest. „Widerlich,“ kommentierte er.

Auf der anderen Seite des Bettes hielt Vindictus mit geschlossenen Augen seine Hand, als fühlte er lediglich den Puls, aber das täuschte. „Ich glaube, es hat zumindest nicht geschadet,“ stellte der Heiler fest. „Kannst du eine Besserung feststellen?“

„Im Moment bemerke ich keinen Unterschied,“ murmelte Soach. „Könntest du mir einen Gefallen tun, Vindictus? Sag meinen Verwandten, dass sie beizeiten zu mir kommen sollen, wenn sie mich besuchen möchten. Lass niemanden mehr zu mir, wenn es ernst wird, sie sollen nicht solche Erinnerungen an mich haben. Aber Crimson muss hier sein...“

Vindictus nickte bedächtig. „Ich sage es ihnen, aber letztendlich werde ich sie nicht aufhalten. Ich lasse euch zwei mal kurz alleine. Ihr hatten noch gar keine Zeit füreinander.“

Soach widersprach nicht. Es blieb still, bis nur noch die beiden Freunde zurückblieben.

„So wie er redet, könnte man meinen, wir wären ein altes Liebespaar,“ murmelte Crimson. Etwas schien in sein Herz zu stechen, als er das sagte, und eilig fügte er hinzu: „Naja, das soll nicht heißen, dass ich dich nicht... liebe, also...“ Seine Wangen wurden ganz heiß.

„Crimson... ich liebe dich mit all der Kraft, mit der man ein anderes Lebewesen lieben kann,“ sagte Soach. So einfach. „Du... du bist derjenige, bei dem ich mich gehen lassen kann...“ Seine Stimme verlor ihren festen Klang. Zugleich fiel der Rest der Fassade. Soachs Atem kam unregelmäßig und abgehackt, während Tränen in seine Augen traten. „Hör zu, Crimson... ich will bis zum Schluss dagegen ankämpfen... ganz egal, ob ich Schmerzen habe oder nicht mehr ganz bei mir bin... Vielleicht... kann ich es besiegen! Auf jeden Fall... werde ich... kein leichtes Opfer.“

Eine Erinnerung flackerte in Crimsons Gedanken auf. Sie zeigte Fawarius, der anbot, ihm den Todeskampf etwas zu verkürzen.

„Ich verstehe... ich werde dafür sorgen, dass niemand sich einmischt.“

„Du kümmerst dich doch um Lily, nicht wahr?“

Crimson hasste es, dass Soach so redete, aber leugnen brachte nichts. Er konnte auch nur noch flüstern. „Natürlich. Du wirst auch da sein... und wenn es nur als ein Geist im Schloss ist.“

„Zumindest daran zweifle ich nicht,“ schniefte Soach. „Ich werde jetzt... ein bisschen schlafen. Weck mich, wenn du deine Angelegenheiten erledigt hast, ja? Aber bitte... warte nicht zu lange.“

„Okay. Ich beeile mich.“ Crimson blieb an seiner Seite, bis Soach sich beruhigt hatte und einschlief. Er musste noch weitere Minuten ausharren, um selber wieder präsentabel zu sein. Noch wollte er seiner Trauer nicht nachgeben, denn er brauchte eine selbstsichere Fassade, wie sie die Prinzen der Eisigen Inseln so gut beherrschten. Davon abgesehen hoffte er noch auf ein Wunder.

Der weißhaarige Magier stand auf und rief sich in Erinnerung, was Soach ihm einmal über Haltung und Körpersprache beigebracht hatte. Er trat vor den Spiegel und stellte sicher, dass er den gewünschten Eindruck vermittelte. Schultern nach hinten, gerader Rücken, fester Stand...

„Du bist ein strenger Schlossherr!“ sagte er zu seinem Spiegelbild und hob das Kinn noch ein bisschen an.

Das musste reichen. Er trat auf den Flur, wo Ishzark, Vindictus und Malice warteten. Letzterer schärfte lässig sein Schwert, während die anderen beiden Crimson fragend ansahen.

„Soach schläft,“ sagte er. „Geben wir ihm eine Stunde. Vindictus, bleib bitte bei ihm. Lord Ishzark, Euch bräuchte ich als Unterstützung, und...“ Bediene dich der Mittel, die du zur Verfügung hast. „Malice. Komm mit. Du bekommst zehn Tränke deiner Wahl als Bezahlung.“

Der Blonde vergaß seine Schleifarbeit. „Und du schuldest mir ein Elixier der Verdammten!“

„Von mir aus.“

Malice grinste sein unnatürlich breites Grinsen. „Dann ist ja alles klar... wie lautet die Mission?“

Crimson ballte die Hände zu Fäusten und ging vor. „Wir nehmen dieses Haus in Besitz.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jyorie
2015-12-18T05:34:29+00:00 18.12.2015 06:34
Hi :D

mir ist gestern Abend noch ne Frage zu Soarch eingefallen ... durch seine Bindung an das Schloss, kann er ja nicht sein Bewusstsein verlieren ... ist schlafen nicht auch so etwas ähnliches, in abgeschwächter Form. Weil schlafen kann Soarch ja... (konnte gestern abend nicht einschlafen, irgendwie kam mir das dabei...)

Grüße,
Jyorie
Antwort von:  Purple_Moon
20.12.2015 00:36
Hey, gute Idee... aber das wäre zu fies, oder? *grins*
Allerdings kann man zum Beispiel vor Schmerzen das Bewusstsein verlieren. Schlafen kann man mit Schmerzen allerdings nicht. Also doch nicht ganz dasselbe.
Von:  jyorie
2015-10-27T12:30:20+00:00 27.10.2015 13:30
(ᵔᴥᵔ) Hi,

mir gefällt der Gedanke, das das Elexier der Verdammten in Soarchs Fall sogar positiv ausschlagen könnte. An den Gedanken werd ich mich dann erstmal ein bisschen klammern :) Weil ich ja noch nicht will das er ablebt. Hoffentlich behält er seinen starken Willen, weil die Gedanken wie er sich sein Ende vorstellt und wer ihn dann noch besuchen darf und bis zu welchem Zeitpunkt, die gehen ja eher schon in der Richtung, das er aufgeben könnte. Und der eigene Wille ist nicht unmassgeblich, wie und ob man gesundet.

Marlice fand ich große Klasse, wie er schauspielert, wenigst ein bisschen Humor, wenn der Plot um Sorc schon so traurig ist.

Ich hoffe das Chrimson und die Schlossherzen etwas finden. Schade das das Haus in dem sie jetzt sind kein Schloss ist, wenn Chrimson es in Besitz nimmt und es auch ein Schlossherz haben würde, könnte ihnen das ja vielleicht helfen. Ich bin weiterhin gespannt, wie du Soach retten wirst :D

Liebe Grüße, Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
20.12.2015 00:41
Uiuiui, lange her dass du das geschrieben hast... hab ich das überhaupt kommentiert? Vielleicht auf ff.de... glaube aber nicht.
Das zeigt auch, wie lange ich schon am neuen Kapi sitze. Die Zeit rennt momentan noch schneller als sonst.

Crimson kann nur ein Schlossherz zur selben Zeit haben, also wenn müsste ein anderer sich mit ihm verbinden. Aber Araes Haus hat wirklich keins.
Malice hast du zu großen Teilen meinem Mann zu verdanken... XD
Ich kann ein bisschen spoilern: Die Schlossherzen werden nichts finden. Auch Crimson nicht. So mehr sag ich nicht. :P

Grüße
PM


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