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Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3)

Prinz Soach und das Prinzip des Chaos
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Endlich kann ich euch wieder ein neues Kapitel bieten.
Durch meinen neuen Job - Mutter - habe ich viel weniger Zeit zum Schreiben als erwartet... und außerdem hatte ich wohl eine dieser Phasen, in denen man erstmal etwas in der Story überbrücken muss, ehe es wie geplant weitergeht. Jetzt kommt also etwas, das ich schon lange plane, daher komme ich besser voran und es macht mir auch mehr Spaß. :)
Ich hoffe, ihr werdet euch auch freuen, denn es kommt etwas mehr Action ins Spiel.

Der erwähnte golden glänzende Drache ist der Fellgrant-Drache (8*, Licht, Atk2800/Def2800). Seines Reiters würdig. XD Komplett anzeigen

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Der unerwartete Bruder

Soach verbrachte wieder einen Teil seiner Nacht auf dem Turm. Auch Crimson war da, aber sie wechselten kein Wort. Soach war noch nicht so weit, dass er jemandem sein Herz ausschütten wollte; es reichte ihm völlig, dass die Möglichkeit bestand. Zwar konnte er dem Schlossherrn nichts vormachen, aber dieser akzeptierte, wenn er nicht zum Reden aufgelegt war. Mit Lily sah das schon anders aus. Sie erkundigte sich ständig nach seinem Wohlbefinden und stellte sicher, dass es ihm an nichts fehlte.

Doch ohne seine Magie verloren andere Dinge an Bedeutung. Er konnte sich beispielsweise nicht mehr richtig am Essen erfreuen und generell schien ihm die Freude abhanden gekommen zu sein. Eventuell renkte sich das bald wieder ein, aber derzeit wusste er nichts mit sich anzufangen, außer sich zu beschäftigen und vom eigentlichen Problem abzulenken. Kein Wunder – die Magie hatte einen großen Teil seines Lebens eingenommen. Er sah sich nicht als ihr Beherrscher, sondern als Mittel, mit dem sie sich ausdrücken konnte. Möglicherweise zürnte sie ihm dafür, dass er jetzt nicht mehr zur Verfügung stand und zugelassen hatte, dass man sie durch ihn verletzte.

Der Verlust tat weh. Er konnte den Schmerz kaum beschreiben, denn er war nicht vergleichbar mit einer körperlichen Wunde, nicht einmal mit den Qualen des Ausbrennzaubers. Es gab kein Schmerzmittel, das dagegen half. Er musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es der Preis für das Leben seines Sohnes war.

Soach drehte sich zu Crimson um und begegnete seinem Blick. „Ich werde morgen früh mit Kihnaf zu seinem Vater aufbrechen. Je früher ich das hinter mir habe, desto eher kann ich mich um wichtigere Dinge kümmern.“

„Sind die drei Tage schon um?“

„Ach, vergiss die drei Tage. Das, weswegen Vindictus mich dabehalten wollte, ist doch bereits eingetreten. Ich fliege bei Tagesanbruch, ob es ihm passt oder nicht. Dann ist Cathy auch endlich den Bengel los. Ich muss schon sagen, dass ich mir von Rahzihfs Sohn einen anderen Charakter versprochen habe, aber was soll's. Es ist wie Kihnaf sagte: Der Gefallen wurde eingefordert und ich habe meine Schuld beglichen.“

„Ich hoffe nur, dass es nicht umsonst war,“ sagte Crimson. „Brauchst du einen Schuldrachen?“

„Nein, Gandora ist schneller, auch wenn er zwei Personen trägt.“

„Na gut. Cathy kann Kihnaf Bescheid sagen.“

„Meinetwegen.“

Es dauerte danach keine zwei Sekunden, da wurde er auch schon mit einem Teil seines Bewusstseins Zeuge, wie Cathy Kihnaf aus dem Bett warf und ihm voller Schadenfreude die Entscheidung mitteilte. Der Junge kam aber rasch zu sich und gab seine Zustimmung. Er wirkte allerdings angemessen müde, denn die Bewohner hatten ihn tagsüber munter zu verschiedenen Arbeiten eingeteilt.

„Ich gehe noch etwas schlafen. Wir sehen uns sicher nochmal, und wenn nicht, dann morgen Abend, wenn ich zurück bin. Sollte es länger dauern, lasse ich es dich durch Cathy wissen.“ Soach wandte sich zum Gehen.

Crimson folgte ihm ins Schloss zurück. „Brauchst du noch irgendwas?“

„Nein, außer vielleicht... eine schriftliche Bestätigung, dass du darüber Bescheid weißt, dass ich vom Schloss weg bin. Wahrscheinlich werde ich niemandem vom Zirkel begegnen, aber nur für den Fall.“ Die Worte hinterließen einen bitteren Nachgeschmack auf Soachs Zunge. Nicht nur, dass er seine Magie verloren hatte, er war auch wieder an den Anfang des Rehabilitationsprogramms zurückgefallen.

„Ich gehe gleich ins Büro und schreibe etwas Passendes,“ stimmte Crimson zu. „Bist du sicher, dass dich niemand begleiten soll?“

„Gandora ist doch dabei. Es ist wirklich keine große Sache.“

Der Weg nach unten dauerte eine Weile. Die beiden Männer machten einen Umweg, um bei den Schülern nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Überraschend trafen sie dort auf Ujat, obwohl dieser seine Unterkunft ganz woanders hatte.

„Oh... eine gute Nacht wünsche ich,“ begrüßte der Lehrer sie. „Das trifft sich gut, ich habe nach dir gesucht, Soach.“

Sie blieben stehen. „Echt? Hat es irgendetwas mit meinem Tee zu tun?“ entgegnete Soach.

„Du weißt doch, dass es zu meinen obersten Prinzipien gehört, niemanden verrückt zu machen, selbst wenn ich etwas gesehen habe,“ wich Ujat der Frage aus. „Ich bin überzeugt davon, dass nur alles noch schlimmer wird, wenn jemand versucht, seinem Schicksal zu entgehen.“ Er räusperte sich umständlich.

Crimson und Soach tauschten Blicke aus.

„Soach, ich will im Silbergebirge nach Schleimborke suchen. Möchtest du mich nicht begleiten? Du kennst dich doch dort ein bisschen aus, oder?“ fragte Ujat.

„Momentan ist es gerade schlecht. Kann das ein paar Tage warten?“

„Nein, leider nicht. Ich will so schnell wie möglich aufbrechen. Bist du ganz sicher, dass du die Zeit nicht erübrigen kannst? Ich wäre wirklich... erleichtert, wenn ich dich dabei hätte.“

Soach sah ihn sekundenlang prüfend an, doch die Mine des alten Mannes blieb unbewegt wie immer. Dies beherrschte er sogar noch besser als der Prinz. „Von hier ist es ungefähr eine halbe Tagesreise zum Silbergebirge. Ich möchte Kihnaf so schnell wie möglich zu Hause abliefern. Danach hätte ich Zeit, wenn es dir so wichtig ist.“

Ujat rieb sich den Bart, möglicherweise ein Zeichen, dass er ein wenig nervös war. „Nein... das kann nicht warten. Crimson, was ist mit Euch? Als Alchemist interessiert Euch das doch sicher.“

„Schleimborke? Ich kenne keine alchemistische Verwendung dafür.“ Crimson schaute nachdenklich zur Decke. „Nein, ich denke, ich komme nicht mit, auch wenn ich dort gerne nachsehen würde, was es sonst noch so gibt. Aber wenn Soach aus dem Schloss ist, bleibe ich lieber bei Cathy.“

Auch Soach fiel nichts ein, wofür ein Alchemist das Zeug verwenden konnte. Hingegen begrüßte er Crimsons Entscheidung. Der Schlossherr würde etwas Zeit haben, seine Angelegenheiten zu sortieren und ein bisschen Büroarbeit nachzuholen.

Ujat legte seine Hände in den Ärmeln seiner Robe vor dem Körper zusammen und seufzte. „Nun gut. Dann werde ich unverzüglich aufbrechen. Sagt bitte meinem Vater Bescheid, falls er fragt.“ Er begleitete die beiden noch ins Erdgeschoss, wo er sich dann von ihnen verabschiedete.

„Das war... seltsam,“ kommentierte Crimson. „Ob er uns etwas mitteilen wollte?“

„Dann soll er sich deutlicher ausdrücken,“ winkte Soach ab. „Im Silbergebirge habe ich jedenfalls nichts mehr zu schaffen.“ Er warf einen Blick auf das verblasste Mal auf seinem linken Unterarm. Auch ein Verlust, den er hatte hinnehmen müssen, aber keiner, der besonders an ihm nagte. „Vielleicht reise ich bei nächster Gelegenheit mal hin,“ räumte er ein.

Er begleitete Crimson in dessen Büro, um das besagte Schriftstück gleich an sich zu nehmen. Während er darauf wartete und sich ausmalte, wie das Treffen mit Rahzihf ablaufen mochte, kam er ein bisschen zur Ruhe. Anscheinend tat es ihm gut, wieder etwas zu unternehmen, statt untätig im Krankenbett zu liegen. Außerdem freute er sich darauf, den Krieger wieder zu sehen, selbst unter diesen Umständen. Immerhin handelte es sich um den Mann, dem er Fires Leben verdankte.

Crimson faltete und versiegelte seinen Brief und reichte ihn ihm. „Ich habe auch reingeschrieben, dass du Waffen tragen darfst. Wenn sich jemand beschwert, schick ihn zu mir.“

„Danke.“ Soach kehrte noch einmal auf die Krankenstation zurück, um die Bücher zu holen. Es war viele Jahre her, dass er zuletzt stapelweise Bücher hatte tragen müssen. Zuerst wollte er sie instinktiv in der Luft verschwinden lassen, doch er überlegte es sich rechtzeitig anders. Crimson kam nicht, um ihm zu helfen, und das fand er auch besser so.
 

Soach wählte am Morgen praktische Reisekleidung. Er konnte problemlos in einer Magierrobe reisen, aber er trug eine lederne Hose und kniehohe Stiefel, dazu ein helles Hemd und darüber einen Umhang. Er schnallte ein kurzes Schwert auf Hüfthöhe hinter seinen Rücken, während schon diverse andere Klingen und Helferlein in seiner Kleidung steckten. Dazu band er sich die Haare lediglich zusammen, weil er sie sich selbst nicht besonders gut flechten konnte. Man hielt ihn eher für einen Krieger als für einen Magier. Derzeit wohl angemessen. Seufzend räumte er die formelle Robe, die er zuletzt am Tag der Ausbrennung getragen hatte, ganz unten in die Kleidertruhe. Obwohl an diesem speziellen Kleidungsstück unangenehme Erinnerungen hingen, konnte er sich nicht davon trennen. Vielleicht... brauchte er sie irgendwann ja mal wieder. Was er gewiss nicht mehr brauchte, waren die Verbände an Händen und Füßen. Die Verletzungen heilten noch, mussten aber nicht mehr verbunden werden. Vindictus mochte anders darüber denken, aber ihn fragte er nicht.

Als Soach sich vor dem Tor einfand, wartete Kihnaf zu seiner Überraschung schon dort. Diszipliniert war er ja, das musste man ihm lassen. Er zuckte auch nicht, als dicht bei ihnen Gandora auf dem Boden aufkam.

„Ihr müsst wirklich nicht mitkommen,“ sagte der Junge.

„Was ist mit deinen Haaren passiert?“ fragte Soach, ohne darauf einzugehen.

Kihnaf zupfte an seinen jetzt sehr kurzen, leicht rußigen Zotteln und verzog das Gesicht. „Ach... nichts...“

Soach reimte es sich zusammen und stieg auf seinen Drachen. Er beugte sich hinunter und half dem Jungen hoch. Anders als erwartet ließ dieser sich das gefallen und schlang die Arme von hinten um ihn.

„Wo müssen wir hin?“

„Zum Dorf Schwarzbach im Donnertal. Nahe bei den Donnerbergen.“

Gandora breitete umständlich die Flügel aus und kratzte sich hinter den Augen.

Soach streichelte seinen Hals. [Alles in Ordnung, mein Freund. Kann losgehen.]

Darauf stieß Gandora sich ohne weitere Umschweife ab.

„Uaaaaah!“ schrie Kihnaf, was in Soach eine gewisse Genugtuung hervorrief. Er merkte, dass Gandora auf den Mitreisenden keine Rücksicht nahm, sondern so flog, wie er es immer mit seinem langjährigen Freund tat. Wenigstens das blieb beim Alten.

Soach versuchte, während des Fluges an nichts zu denken. Die Reise dauerte mit seinem schnellen Drachen gut drei Stunden. Durch das Geräusch des Windes, das ihm um die Ohren pfiff, konnte er sich nicht mit dem Jungen unterhalten. Das machte ihm allerdings nichts aus, denn anscheinend hatten sie einander ohnehin kaum etwas zu sagen. Und so drängte sich ihm allmählich ein ungewollter Gedanke auf: Hätte es auch eine einfachere Lösung gegeben?

Es gelang ihm nicht, diese Frage zu verdrängen, so sehr er es auch versuchte. Der Schaden ließ sich nicht mehr rückgängig machen, und nun, da er unterwegs zu Rahzihf war, fürchtete er zu erfahren, dass das Problem vielleicht doch nicht so ernst gewesen war.

Als sie sich schließlich dem Ziel näherten, bewegte sich Kihnaf hinter ihm und deutete nach unten. Soach hatte es auch schon gesehen: An den Hang eines Berges kuschelten sich mehrere Hütten mit Weiden davor. Weiter unten gab es landwirtschaftliche Felder, Gärten und Obstplantagen. Soach war überrascht, dass Rahzif in einem Bauerndorf lebte, andererseits kam das oft vor, wenn Krieger sesshaft wurden. Was ihn noch viel mehr überraschte, war der durchscheinende Magieschild, der das ganze Dorf überspannte. Kihnaf sah ihn wahrscheinlich nicht. Soach erinnerte sich, dass der Junge einen Magierfreund erwähnt hatte, mit dem zusammen er in Schwierigkeiten geraten war.

In diesem Zusammenhang suchten seine Augen den Berg und die nähere Umgebung nach einem dunklen Turm ab, aus dem die beiden angeblich das Artefakt gestohlen hatten. Gandora flog eine weite Schleife, während sein Reiter sich umsah. Den Turm eines dunklen Herrschers vermutete er am ehesten auf dem Berg. Aber er konnte nicht einmal ein Haus entdecken. Dafür jedoch einige Stellen, wo Magie wirkte, möglicherweise Unterweltlermagie, was passen würde, immerhin ging es um Lord Arae vom Zirkel des Bösen, der bekanntlich ein Unterweltler war. Vielleicht erwies es sich noch als gute Sache, dass er ein Schreiben von Crimson dabei hatte. Er hatte wohl die Wahrscheinlichkeit, jemandem vom Zirkel zu treffen, ein bisschen unterschätzt. Das Dorf lag möglicherweise näher an Araes Wohnort als gedacht.

Er entschied sich, Gandora etwas weiter unten am Hang landen zu lassen, um niemanden zu erschrecken. „Zieh dich ein bisschen zurück, damit die Bauern nicht in Panik geraten,“ bat er ihn. „Kann auch gut sein, dass der Schutzschild gegen Drachen ist.“

Kihnaf hob die Augenbrauen in seine Richtung. „Ihr habt den Schild bemerkt? Äh... der ist wirklich gegen Drachen, hätte ich Euch vielleicht sagen sollen.“

„Oh... haben sie Euer Vieh geräubert?“ mutmaßte Soach.

Kihnaf zuckte mit den Schultern. „Vorsichtsmaßnahme.“

„Und ich dachte schon, jetzt wirst du gesprächig.“ Soach folgte dem Jungen einen schmalen Trampelpfad hinauf. Er wollte noch spitzfindig fragen, ob sich das Donnertal auf einem Berg befand, aber darauf verzichtete er dann doch.

An der Grenze des Schildes deutete nichts darauf hin, dass dieser eine Auswirkung auf Menschen hatte. Kihnaf ging einfach hindurch und bemerkte es anscheinend überhaupt nicht. Auch Soach hatte keine Probleme, dabei hatte er zumindest ein Leuchten auf seiner Haut erwartet, als er das magische Feld durchdrang. Manche Schilde entlarvten auf diese Art einen Magier.

Er blieb kurz stehen und nahm einen tiefen Atemzug. Natürlich passiert mir dann nichts.

Als er sich wieder in Bewegung setzte, achtete er nur bedingt auf den Weg, da er in Gedanken war. Kihnaf ging ein paar Meter vor ihm, und als Soach sich bemühte, ihn einzuholen, blickte er auf den Rücken des Jungen und sah, dass über ihn ein Schimmern lief, wie er es eben noch bei sich selbst erwartet hatte. Noch ein Schild innerhalb des anderen? Ja, auf dem Boden ließ sich die Grenzlinie erkennen, doch wer immer dafür verantwortlich war, musste sich sehr um Verschleierung bemüht haben.

Oder ich war unvorsichtig. Wer rechnet schon mit sowas in einem Bauerndorf...

Soach trat durch den Schild und bekam seine Antwort.

Drei Lanzenspitzen richteten sich auf ihn. „Willkommen, Prinz Soach. Bitte kommt widerstandslos mit, dann wird mein Herr vielleicht darüber hinwegsehen, dass ihr unbefugt sein Gelände betreten habt,“ sagte ein Mann, den er wiedererkannte.

Rahzihf hatte sich kaum verändert. Sein Haar trug er jetzt kürzer und es war ein wenig ergraut. Am Kinn prangte eine Narbe. Aber am meisten fiel sein rechter Arm auf, den er gar nicht haben dürfte. Der Arm steckte in goldfarbenen, magisch verstärkten Rüstungsteilen.

Soach hob seine Hände auf Schulterhöhe und ließ zu, dass ihn ein jüngerer Krieger um sein Schwert erleichterte.

Rahzihf seufzte. „Dass Ihr bewaffnet unbefugt sein Gelände betreten habt,“ korrigierte er sich. „Kihnaf, komm her, Junge...“ Er nahm sich die Zeit, seinen Sohn zu umarmen und dann prüfend zu betrachten. „Bist du in Ordnung?“

„Sicher. Es... verlief alles nach Plan. Naja fast. Er hat nicht auf mich gehört und wollte mich unbedingt begleiten.“

Der Krieger nickte bedächtig und seufzte erneut.

Die Hütten waren nicht mehr da, statt dessen erhob sich eine prachtvolle Villa am Hang – samt finsterem Turm. Selbiger sah aus wie nachträglich angebaut und trug offenbar ein paar Zauberbanne auf sich. Möglicherweise konnte durch ihn ein so starker Schutzschirm über dem Gebiet errichtet werden.

Rahzihf drückte Kihnafs Schulter. „Geh und erstatte dem Lord Meldung.“

Der Junge warf noch einen Blick auf Soach und rannte dann auf das Gebäude zu.

Die drei Lanzenträger traten ein wenig zurück, als Rahzihf sich dem Gefangenen zuwandte. „Prinz Soach... wie soll ich nur anfangen... bitte nehmt doch erstmal die Hände runter. Ich schulde Euch eine Erklärung...“

Soach ließ die Hände sinken und folgte dem Krieger, als dieser sich langsamen Schrittes auf die Villa zu bewegte. Rahzihf war deutlich kräftiger als der ehemalige Magier, allerdings ein wenig kleiner. Dennoch hatte Soach ihn größer in Erinnerung. Womöglich ging der Mann leicht gebeugt.

[Crimson? Ich glaube, ich habe ein kleineres Problem...] Noch während Soach die telepathische Botschaft sandte, merkte er, dass er nicht zu ihrem Empfänger durchkam. [Gandora?] Auch der Drache hörte ihn nicht, obwohl er nicht weit weg sein konnte. Jemand hatte sich anscheinend große Mühe gegeben. Nur seinetwegen, oder schotteten die sich hier generell so ab?

Rahzihf ergriff wieder das Wort: „Wir haben Eure Geschichte sozusagen aus erster Hand erfahren... und es tut mir wirklich Leid, dass Ihr so weit gehen musstet für Euer Versprechen. Lord Arae hoffte eigentlich, Euch in seine Gewalt zu bekommen, statt Euch vor dem Zirkel abzuurteilen. Aber danach spekulierte er darauf, dass Ihr mit Kihnaf kommen würdet. Wie Ihr seht, seid Ihr in die Falle gegangen...“

„Also arbeitet Ihr für Lord Arae...“ stellte Soach fest. „Aber ich verstehe nicht... wusste er von dem Armband und meinem Versprechen an Euch?“

„Also... ja.“ Das war Rahzihf deutlich unangenehm. „Wisst Ihr... er ist mir seit siebzehn Jahren ein guter Herr, hat mich angeheuert, als ich Arbeit brauchte. Er gab mir und meiner Familie ein Dach über dem Kopf. Und er besorgte mir das hier...“ Er hob den rechten Arm und machte eine Faust mit dem Panzerhandschuh, ehe er ihn langsam wieder sinken ließ. „Er zeigte sich immer großzügig. Vor ein paar Jahren saßen wir bei einem Gelage zusammen. Es floss ein bisschen Alkohol, die Stimmung war locker... Als er mich nach dem Armband fragte, so aus reiner Neugier, da sagte ich es ihm. Ist ja nicht so, als wäre es ein Geheimnis gewesen.“

„Nein, das war es nicht,“ bestätigte Soach.

Rahzihf seufzte einmal mehr. „Vor gut drei Monaten nun kam Kihnaf in Schwierigkeiten. Vielleicht hat er Euch eine Geschichte aufgetischt, wie er und sein Freund Nizahr ein wichtiges Artefakt von Lord Arae gestohlen haben...“

„Allerdings. Er sagte, Euer Dorf sei in Gefahr gewesen, aus Rache zerstört zu werden. Er berichtete von einem verletzten Freund, den er zurückließ, und wie er fliehen musste...“

„Ja, das stimmt ungefähr, jedenfalls der Anfang. Kihnaf trieb sich andauernd mit dem Sohn des Alchemisten herum, das gefiel mir nicht, weil die Burschen sich oft gegenseitig zu Dummheiten anstifteten. Kihnaf glaubt auch immer, er müsse mir etwas beweisen... Sie stahlen jedenfalls tatsächlich ein magisches Artefakt aus Araes Turm, und Nizahr, der junge Magier, wurde dabei verletzt. Die beiden Lümmel konnten dennoch entwischen und kamen zu mir, weil sie Angst hatten, es dem Lord zu sagen. Also ging ich hin und redete mit ihm. Lord Arae war wütend, ließ sich aber von mir beschwichtigen, zumal ich ihm sein Eigentum zurück brachte.“

Soach wurde hellhörig. „Ihr brachtet es ihm zurück? Das habe ich anders gehört.“

Der Krieger nickte bedächtig. „Ja... Lord Arae verlangte, dass ich den Gefallen von Euch einfordere. Anderenfalls wollte er die Jungen schwer bestrafen. Er sagte es nicht deutlich, aber ich kenne ihn. Er belohnt großzügig und bestraft streng. Seine Strafen sind stets abschreckend und nicht selten tödlich. Ich befürchtete, dass zumindest bleibende Folgen entstehen würden.“

„Verstehe. Also war die Geschichte wenigstens teilweise wahr.“

„Ja... Lord Arae plante, dass Ihr Euch für Kihnaf einsetzen würdet, wenn er mit dem Armreif zu Euch kommt. Er rechnete allerdings nicht damit, dass Ihr Euch dem Gericht des Zirkels stellt, sondern wollte, dass Ihr Euch in seine Gewalt begebt, um die Strafe an Stelle meines Sohnes auf Euch zu nehmen. Nun... letztendlich hat er sein Ziel erreicht. Hat Kihnaf denn nicht klar gemacht, dass er allein zurück reisen kann?“

„Doch... mehrmals. Er benahm sich richtig unverschämt.“ Soachs Magen krampfte sich zusammen. Warum hatte er den Hinweis nicht erkannt?

„Deutlicher konnte er es nicht sagen. Wir sind Lord Arae treu ergeben. Kihnaf hat sein erstes Schwert von ihm bekommen... Er darf sich erstmal keinen weiteren Schnitzer erlauben.“ Rahzihf seufzte. „Und deshalb kann auch ich Euch nicht helfen, so gern ich es täte.“

Sie passierten ein eisernes Tor und gelangten über einen gepflasterten Weg zum Eingang der Villa. Dort trafen sie auf einen anderen Mann, den seine grüne Robe als Magier kennzeichnete. Der braune Bart zeigte graue Ansätze und fehlte auf einem Teil der rechten Wange, wo eine Narbe wie von einer ätzenden Substanz zu sehen war. Aus demselben Grund trug er wohl eine Augenklappe auf dieser Seite.

„Prinz Soach, dies ist Fawarius, Nizahrs Vater,“ stellte Rahzihf den Magier vor. „Er arbeitet als Alchemist für Lord Arae, versteht sich aber auch auf Banne und Schilde.“

„Oh... dann ist das wohl Eure Arbeit.“ Soach deutete mit dem Daumen über seine Schulter.

Fawarius neigte höflich den Kopf zur Begrüßung. „Ganz Recht, Eure Hoheit.“

„Oh, bitte!“ winkte Soach ab.

„Erlaubt mir, Euch zum Verlust Eurer Magie mein Beileid auszusprechen,“ sagte Fawarius. „Ich bedaure, dass dies geschehen musste, zumal es so unnötig war... allerdings haben wir dadurch leichtes Spiel mit Euch.“

„Unnötig?“ wiederholte Soach, den Rest des Satzes ignorierend. „Bitte sagt mir nicht, dass es einen einfacheren Weg gegeben hätte.“

„Nun... nicht direkt...“ Fawarius warf Rahzihf hilfesuchende Blicke zu.

Der Krieger wirkte untröstlich. „Es wäre einfacher für Euch gewesen, hätte der Zirkel Euch gleich zum Tode verurteilt. Denn das ist es, was Lord Arae tun wird.“
 

***
 

Crimson glaubte schon, dass Soach bereits so früh am Vormittag zurückkehrte, als ein gigantischer Drache auf das Schloss zu kam. Doch sobald Cathy ihm ein genaueres Bild zuspielte, erkannte er, dass es sich nicht um Gandora handelte. Der golden glänzende Drache war jedoch nicht minder imposant, und imposant traf auch ganz gut den Reiter, der nach der Landung mit einer fließenden Bewegung von seinem Rücken stieg. Dieser hüllte sich in weiße, wallende Gewänder mit ein paar eher zierenden Rüstungselementen aus blitzendem Metall: Beinschienen, Armschienen, Brust- und Schulterpanzerung sowie einen Helm. Auf letzterem prangte das Wappen der Eisigen Inseln.

Der Mann blickte sich interessiert um, während hinter ihm ein weiterer, silbrig-blauer Drache landete und Prinz Lichal, auch bekannt als Ray, absetzte. Als ein weiterer Drache dieser Art dazu kam und sechs weitere über dem Schloss kreisten und dann in einiger Entfernung nieder gingen, wurde es Crimson etwas mulmig.

Zunächst einmal begrüßte er die Gäste vor dem Haupttor, oder plante das zumindest. Der erste Fremde trat ihm sogleich entgegen, noch ehe er etwas sagen konnte.

„Lord Crimson vom Lotusschloss?“

Crimson nickte. „Und Ihr seid...?“

Statt einer Antwort zog der Krieger ein beeindruckend großes Schwert, stieß einen Angriffsschrei aus und ging auf den Schlossherrn los. Crimson trat einen Schritt zurück und brachte gleichzeitig eine Hand nach vorne, mit der er eine Schwarze Magie Attacke entließ.

Das dunkel leuchtende Geschoss krachte auf die Brustpanzerplatte, schickte allerdings den Angreifer überraschenderweise nicht zu Boden: Er taumelte lediglich, griff jedoch nicht mehr an. Er überprüfte seine Rüstung auf Schaden und lachte. „Wie zu erwarten von jemandem wie Euch... Ihr haltet Euch nicht mit der Verteidigung auf, sondern greift ebenfalls an.“

Crimson blieb wachsam. „Sollte ich Euch kennen?“ Er kam ihm tatsächlich irgendwie bekannt vor. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass Ray sich näherte, ohne besondere Wachsamkeit an den Tag zu legen. Ihm folgte ein weiterer Krieger in einer bläulich gehaltenen Rüstung, ebenfalls mit dem Wappen der Eisigen Inseln verziert.

Der erste Krieger schulterte lässig sein Schwert und grinste breit. „Ich bitte um Verzeihung, ich wollte nur Eure Reaktion testen. Das ist eine Marotte von mir, wenn ich die Leute kenne. Euch kenne ich allerdings nur durch Erzählungen, Lord Crimson. Mein Name ist Ishzark.“

Crimson durchsuchte sein Gedächtnis nach diesem Namen und fand eine Erinnerung, die eventuell nicht seine eigene war. „Ishzark... von den Eisigen Inseln?“

„Ganz genau! Ich möchte meinen Sohn besuchen. Rilly wollte ja auch kommen, aber sie regt sich immer so auf, deshalb habe ich sie dazu gedrängt, zu Hause zu bleiben.“

„Rilly?“ Auch das glaubte Crimson schon einmal gehört zu haben.

„Vater, ich glaube, Mutter würde nicht wollen, dass du sie vor anderen so nennst,“ warf Ray ein.

Ishzark warf ihm einen strengen Blick zu. „Soll Rilly mich nur davon abhalten.“

Der Prinz zuckte mit den Schultern. „Nun ja, du bist vermutlich der einzige Mensch im Schattenreich, der ihr die Stirn bieten kann. Crimson, dieser junge Mann hier ist Raiho, General der Eisbarriere. Er hat darauf bestanden, uns mit seinen Leuten zu begleiten.“

Crimson wandte sich dem Krieger in der eisblauen Rüstung zu. „Ah ja... willkommen, General. Lasst doch Eure Leute ins Schloss kommen, Ihr müsst ja eine weite Reise hinter Euch haben.“

Crimson ging voraus und Cathy öffnete das große Tor.

Ray schloss sogleich zu ihm auf. „Wo ist Soach?“ fragte er mit ernster Mine.

„Er bringt Kihnahf nach Hause... Ehm, bist du informiert über seine... Situation?“

Der Blonde seufzte. „Ich war es schon zwei Tage, bevor es passierte. Meine Visionen von ihm sind derzeit sehr klar. Aber meine Eltern haben mir mal wieder nicht geglaubt... möglicherweise liegt das daran, dass ich widersprüchliche Dinge sehe.“

„Wir haben die Spioninnen kontaktiert und erfahren, dass Soach beim Zirkel des Bösen war, aber niemand genau wusste, wieso,“ verteidigte Ishzark sich. „Rilly war davon überzeugt, dass er sich nie die Magie ausbrennen lassen würde, und im Falle einer Hinrichtung hätten wir Zeit gehabt, ihn zu befreien.“

Crimson konzentrierte sich auf Ray. „Inwiefern widersprüchlich?“

„Ich träumte viel und lebhaft in letzter Zeit,“ berichtete der Prinz. „Vor einigen Tagen sah ich Soach in Ketten und unter furchtbaren Schmerzen leidend. Ich fühlte mich sehr unwohl, wusste aber, dass es sich nicht um eine Hinrichtung handelte, zumal der Traum ihn später in einem Krankenbett zeigte. Diese Szene ähnelte stark einer anderen, von der ich vor etwa einem Jahr hier im Schloss geträumt habe...“

„Oh... daran erinnere ich mich,“ nickte Crimson.

Ray fuhr fort: „In derselben Nacht sah ich eine Kampfszene mit Schwertern und Lanzen. Mir war beim Aufwachen übel, als wäre ich krank. Ich hatte Schmerzen wie von Muskelkrämpfen. Unser Hofmagier gab mir einen Trank, so dass ich weiterschlafen konnte. Aber entgegen seiner Beteuerung, dass es ein fester Schlaf sein würde, träumte ich wieder. Erneut sah ich Soach, blutend auf seinen Knien. Dann Soach voller Verzweiflung in Tränen aufgelöst. Er hielt jemandes Hände fest umklammert und sagte etwas, das ich aber nicht verstehen konnte. Ich glaube, er sprach mit dir, denn die Hände trugen einen goldenen Ring...“ Er griff nach Crimsons linker Hand, an der er einen magischen Goldring mit einem roten Stein trug. „Ja... den sah ich ganz deutlich. Aber meine Eltern glaubten mir nicht, bis wir erfuhren, dass der Zirkel ihn zur Ausbrennung verurteilt und das Urteil auch vollstreckt hat.“

„Lichal ist davon überzeugt, dass Soach noch immer in Gefahr ist,“ warf Ishzark ein. „Wir kamen, um es Euch zu sagen, denn wenn seine Visionen stimmen, werdet Ihr gebraucht, Lord Crimson. Soweit ich hörte, steht Ihr ihm sehr nahe.“

„Ja, das... kann man sagen,“ nickte Crimson ernst. „Er ist seit zwei, drei Stunden unterwegs, um den Jungen wegzubringen, der ihn in den Schlamassel gebracht hat, den Sohn eines Kriegers, dem er etwas schuldig war.“

„Oh... diese Geschichte,“ murmelte Ray. „Der Mann, der Fire und seine Mutter gerettet hat. Der einzige Schwur von ihm, der noch vor deinem kam. Deshalb ist es also geschehen. Der Grund offenbarte sich mir nicht.“

Crimson musste an Ujats Meinung denken, dass man sich als Hellseher auch verrückt machen konnte. Vielleicht sorgte Ray sich umsonst, aber er wollte das Risiko nicht eingehen. „In deinen Visionen, ist Soach da schwer verletzt oder krank? Du hast von Blut gesprochen... Wir sollten ihm nachreisen, aber nicht ohne angemessene Vorbereitung.“

„Wenn du fragst, ob wir einen Heiler mitnehmen sollten, so denke ich, dass es auf keinen Fall schaden kann. Mein Gefühl sagt mir, dass er sich in Lebensgefahr befindet. Können wir bitte schnell aufbrechen?“

Crimson musterte Ray kurz. Der blonde Prinz trug seine Maske der Selbstbeherrschung, wie sie denen von den Eisigen Inseln zu eigen war, aber seine Stirn lag in leichten Falten und seine Haltung wirkte angespannt. Er versuche anscheinend, sich zu beherrschen.

„In Ordnung. Cathy... sag Lily... nein, sag Vindictus Bescheid. Dann finde heraus, wo Soach---.“

Crimson unterbrach sich, denn Cathy schrie in seinem Geist auf, so sehr, dass er sich die Hände an die Schläfen drückte und fast in die Knie ging. Ray stützte ihn reaktionsschnell.

[Ich habe die Verbindung zu ihm verloren!] ließ der Schlossgeist ihn wissen.

Crimson versuchte, Soach telepathisch zu erreichen, kam aber auch nicht durch. Er gab sich alle Mühe, nicht wie Cathy in Panik zu verfallen. „Ray... es sieht ganz so aus, als wäre an deinen Ahnungen was dran. Ich hole nur schnell meinen Reisemantel...“
 

***
 

„Sagtet Ihr nicht, der Lord würde darüber hinwegsehen, dass ich sein Land betreten habe?“ Soach übergab seinen Umhang an Fawarius, ehe er seine Hände vor sich hielt, damit Rahzihfs Männer sie in Ketten legen konnten. Auf die gleiche Art verfuhren sie mit seinen Füßen.

„Es tut mir Leid. Das sagte ich aus Gewohnheit... und damit ihr keine Dummheiten macht,“ entschuldigte der Krieger sich. „Er möchte Euch tot sehen, seit Ihr zum ersten Mal vor Gericht standet. Er konnte jedoch den restlichen Zirkel nicht davon überzeugen.“

„Bevor Ihr fragt, wir wissen den Grund nicht,“ kam Fawarius einer Frage des Gefangenen zuvor. „Aber er wird es Euch sicherlich erklären... das ist das mindeste, würde ich sagen.“

„Sicherlich kann ich die Sache mit ihm klären, es muss sich um ein Missverständnis handeln,“ meinte Soach, um die beiden Männer zu beruhigen. Er selbst fühlte sich trotzdem unwohl, denn er musste auf dem Gelände von Schloss Lotosblüte sterben, wenn sein von der Seele getrenntes Bewusstsein nicht für alle Zeiten verloren gehen sollte. Vermutlich würde der Hausherr sich aber nicht auf solche Sonderwünsche einlassen.

Fawarius öffnete für ihn die großzügig bemessene Eingangstür und ließ ihn mitsamt den Kriegern eintreten. Sie durchquerten einen Windfang, dann die Eingangshalle und schließlich einige Gänge. Im Normalfall hätte Soach wohl die Einrichtung bewundert, denn Arae schien sein Haus gerne mit Kunst und Zierrat zu schmücken. Gemälde, Kerzenhalter und Schwerter an den dunkel vertäfelten Wänden ergänzten Vasen und Statuen, die je nach Größe auf dem Boden oder auf teuer wirkenden Holzkommoden standen. Hübsch gemusterte Teppichläufer dämpften alle Schritte.

Soach fand die Sachen teilweise unnötig, aber ganz hübsch. Manche strahlten eine magische Aura aus, dienten also möglicherweise dem Schutz. In seiner momentanen Situation bewertete er die Gegenstände jedoch mehr danach, wie gut sie sich als Waffen eigneten. Er prägte sich den Weg durch die Gänge ein, falls er Gelegenheit zur Flucht bekam.

Schließlich erreichten sie Lord Araes Arbeitszimmer. Zu Soachs Enttäuschung unterschied sich dieses in seiner Nüchternheit sehr vom Rest des Hauses: Zwar gab es auch hier Gemälde und Teppiche, doch außer einem großen Schreibtisch, hinter dem der Unterweltler thronte, befanden sich keine Möbel darin, möglicherweise, weil er des öfteren Gruppen von Besuchern empfing, so wie jetzt. Sie betraten den Raum und sahen sich dem Gastgeber gegenüber. In dessen Rücken befand sich ein großzügig bemessenes Fenster und ließ Tageslicht herein. Soachs Augen erkannten einen Zauber, der das Buntglas gegen Einbrecher schützte... oder Fluchtversuche verhindern sollte.

Lord Arae war ein kräftiger, großer Kerl mit blassblauer Haut und ordentlich kurzem, schieferfarbenem Haar, das zwischen zwei gebogenen, knochenweißen Hörnern hervor schaute. Wie viele Mitglieder des Zirkels des Bösen trug er vornehme Kleidung und schien dabei die Farben Schwarz, Rot und Dunkelgrau zu bevorzugen. Soach hatte ihn schon mit grau schattierten Flügeln gesehen, diese trug er im Moment aber nicht. Jedoch zeigte sein Mund ein zähnebewehrtes Grinsen, und die schmalen roten Augen vervollständigten den triumphierenden Gesichtsausdruck. Neben dem Schreibtisch stand Kihnaf, der ihm vermutlich gerade Bericht erstattet hatte.

„Willkommen, Prinz Soach. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.“ Lord Arae lehnte in einem bequemen Stuhl. „Es ist nett von dir, dass du mir so in die Hände spielst. Ich muss mich nicht einmal vor irgendjemandem rechtfertigen, schließlich habe ich das Recht, Eindringlinge auf meinem Land zu töten, wenn ich den berechtigten Verdacht habe, dass mein Eigentum gefährdet ist. Oder gar mein Leben.“

Soach nahm aus dem Augenwinkel zur Kenntnis, dass sich Fawarius wie ein Bewacher zu seiner Linken aufbaute, während Rahzihf zu seinem Sohn ging und leise mit ihm sprach. Seine drei Männer gruppierten sich hinter dem Gefangenen.

„Du willst sicher wissen, warum ich einen Groll gegen dich hege,“ fuhr Arae fort. „Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass es eigentlich nur indirekt etwas mit dir zu tun hat. Die Person, die ich so abgrundtief hasse, dass ich ihr auf jede erdenkliche Art wehtun will, ist deine Mutter, Lady Charoselle von den Eisigen Inseln, auch bekannt als die Chaosjägerin.“

Soach hob eine Augenbraue. „Ihr scheint sie gut zu kennen. Haltet Ihr es für weise, ihren Sohn zu bedrohen? Wenn sie erst erfährt, dass ich hier bin, werdet Ihr bald nichts mehr zu lachen haben.“

„Das mag sein,“ gestand der Unterweltler ihm mit einem Schulterzucken zu. „Aber sie wird dich verlieren, selbst wenn sie dieses Haus dem Erdboden gleich macht. Ich hoffe doch sehr, dass sie herkommt, um dir beim Sterben zuzusehen. Eigentlich hatte ich geplant, dass der Zirkel dich zum Tode verurteilt – schon bei deiner ersten Verhandlung, sobald ich wusste, wer du bist. Dein Verlust hätte Lady Charoselle angreifbar gemacht, und ich hätte endlich meine Rache bekommen!“

„Rache? Ich erinnere mich nicht, was sie Euch getan haben könnte. Obwohl sie sich natürlich in ihrer aktiven Zeit viele Feinde gemacht haben dürfte.“

Arae knallte eine Faust auf die Tischplatte. „Sie hat unseren Vater getötet und den Thron der Eisigen Inseln an sich gerissen!“

„Unseren Vater?“ wiederholte Soach. „Gibt es hier noch jemanden?“

Lord Arae sammelte sich einen Moment. „Ah... sie hat es dir nie gesagt,“ stellte er fest. „Sie hat den Chaoshexer getötet, der vor ihr die Eisigen Inseln beherrscht hat. Von Anfang an wollte sie dieses Gebiet für sich haben, doch um ihren Anspruch zu sichern, verführte sie den Herrscher und wurde schwanger, erst dann brachte sie ihn um. Hast du dich nie gewundert, warum sie unbedingt dich als ihren Erben will, statt Lichal oder Iquenee zu benennen? So ist es doch, oder? Die Antwort ist ganz einfach: Du bist mein Bruder, Soach! Der legitime Erbe sowohl der jetzigen Herrscherin als auch des früheren Herrschers der Eisigen Inseln!“

Arae machte eine ausladende Geste zur rechten Seite des Zimmers, wo ein Portrait hing, dem Soach bisher nicht viel Beachtung geschenkt hatte. Als er jetzt hinsah, erkannte er die harten Züge eines Mannes, der ihm durchaus ähnlich sah, vor allem, da seine Haut blau und die langen Haare schwarz waren. Rote Augen starrten den Betrachter verächtlich an. Der Mann trug die dunkle, protzige Kleidung eines dunklen Herrschers.

Was auch immer Soach erwartet hatte... das war es nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2015-06-29T13:03:16+00:00 29.06.2015 15:03
Hey ( ˘▽˘)っ♨

*lacht* mal wieder eine Überraschung, mit der man nie und nimmer rechnen konnte. Hast du gut gemacht mit der neuen Wendung.

*seuftz* oh man, Soach tut mir leid, das er da jetzt so viel erfährt und merkt das einiges was er getan hat doch nicht hätte sein müssen. Aber das war sicher von Lord Arae so gewollt, das es nicht großartig Zeit zum nachdenken gegeben hat und Soach so unter zugzwang stand. Die Stelle mit dem König hab ich nicht ganz verstanden ... Soachs Mutter hat zuerst mit dem König der eisigen Inseln angebandelt, bevor sie ihn umgebracht hat und Lord Arae und Soach sind dann Geschwister oder ½Geschwister, weil Lord Arae Lady Carusella nicht Mutter nennt? (Muss mir das nachher noch mal durchlesen, wie da die Verwandtschaft zusammen hängt)

Das ist einfach nur krass, wie sich das jetzt entwickelt hat. Man oh man. Worauf ich jetzt gespannt bin, ist wie groß Rahzihfs schlechtes Gewissen ist, ob er vielleicht doch noch eine Idee hat, wie er Soach helfen kann ohne das er seine Treue zu seinem Herrn verletzt, weil ich glaub das ist ihm schon sehr wichtig, aber ich denke als Krieger hat er auch eine gewisse Ehre und ich kann es mir einfach nicht vorstellen, das er Soach ohne Hilfe lassen wird, und wenn es vielleicht nur ein Hilfe Ruf nach draußen ist, das Chrimson bescheid bekommt. Immerhin wollte er und sein Sohn ja schon im Vorfeld versuchen, das Soach nicht in die Berge zu ihnen kommt.

(Soachs Verwandschaft ist ja auch nicht ohne Grund auf Schloß Lotusblüte angekommen – Sieht fast so aus, wie der Rettungstrupp, der vor dem Hilferuf zusammengekommen ist)

Spannend.

CuCu, Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
30.06.2015 08:13
Hallo!
Freue mich über das Lob, dankeschön. :)
Das hast du ganz richtig verstanden, nach Araes Informationen sind Soach und er Halbbrüder mit demselben Vater. Sowas kommt im Schattenreich oft vor, weil die Leute nicht zwangsläufig heiraten bzw. "den Bund eingehen". Soach selbst hat ja auch keine zwei Kinder mit derselben Frau. XD

Geht bald weiter.

Grüße
PM


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