Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3) von Purple_Moon (Prinz Soach und das Prinzip des Chaos) ================================================================================ Kapitel 4: Des Kriegers Sohn ---------------------------- Sorc hatte früh am Morgen nicht mit Besuch gerechnet, doch noch vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn flog die Tür von Lilys Reich geradezu auf und herein stürmte sein Sohn. Ihm fiel fast der Teebecher aus der Hand. Vorsichtshalber stellte er ihn auf den Nachttisch. Fire verschwendete keine Zeit. Er baute sich am Bett auf und packte Sorcs Schultern. „Endlich biste ma wach! Alder, sach mir, warum se das mit dir gemacht ham! Isses weg'n demm ollen Schwertfuchtler? Sach's mir, und ich geb den volles Pfund auf's Maul!“ Allein die Sprechweise seines Sprösslings war für Sorc stets erfrischend, aber auch, wie er sich benahm. „Du kannst nicht den ganzen Zirkel des Bösen verprügeln, Fire.“ „Kannich wohl! Ich burn denen die Hütte unterm Arsch wech!“ „Nein. Die Sache ist erledigt. Lass es darauf beruhen ja?“ „Nääh! Du bis mein Fadder, da iss nix mit beruhn lass'n! Und jetzt sach's mir!“ „Ja, ich... schulde euch wohl allen eine Erklärung. Bleib hier, bis Crimson da ist, und auch Lily, ja?“ Eigentlich war wohl bald Unterricht, aber das nahm Fire eh nicht so genau. Als ehemaliger Schüler der Eisigen Universität konnte er sich ein paar Fehlstunden aber auch leisten. Der Rothaarige setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und wartete. „Scheiße siehste aus! Dafür muss wer bezahl'n. Sach wer und er burnt!“ „Fire, beruhige dich. Du kannst nichts... oh, doch. Fires Augen leuchteten auf. „Ja?“ „Wenn die von Zirkel hier ankommen, sag ihnen, wie wichtig dir meine Anwesenheit an der Schule ist. Aber sei diplomatisch. Sonst denken sie noch, ich hätte einen schlechten Einfluss auf dich.“ „Kein Ding... aba wozu?“ „Die wollen mir einen anderen Arbeitsplatz zuweisen. Crimson hat sich aber schon darum gekümmert, vermutlich belassen sie es einfach so, wie es ist.“ „Nix iss, du bleibst hier und wenn ich all'n andern die Bude abfackeln muss. Ich brauch nämlich voll deine Hilfe. Also dassis villeicht nich de richtje Zeitpunkt, dir zu steck'n, dassich meine Braut geschwängat hab.“ Sorc hob überrascht die Augenbrauen. Das hatte er nicht bemerkt, aber er sah ja Eria auch nicht besonders oft. „Wie passend! Ich meine auch!“ „Ey, is nich dein Ernst! Wieviel Schüsse hast'n gebraucht?“ Fire grinste, und schließlich lachten sie zusammen wie beste Kumpels. Deshalb war wohl Crimson auch ein wenig verwundert, als er mit Vindictus im Schlepptau zu ihnen stieß. Beide hatten feuchte Haare vom Frühsport und deshalb ein Handtuch auf den Schultern liegen. „Hab nicht gezählt, aber sagen wir mal, ich hab es oft genug probiert,“ informierte Sorc seinen Jungen. „Ich störe hoffentlich nicht,“ mischte Crimson sich vorsichtig in das Gespräch ein. „Nein, du kommst gerade recht,“ versicherte Sorc. „Ich hab dir doch versprochen, dass ich dir erzähle, warum es so gelaufen ist, wie es ist.“ „In der Tat, darauf sind wir alle gespannt. Nicht dass ich dir das vorwerfen will, aber... nun ja, es ist nicht das, was ich von dir erwartet hätte.“ „Was ist denn da los?“ rief Lily aus einem anderen Bereich der Krankenstation, wo sie an organisatorischen Aufgaben gearbeitet hatte. „So... eine Versammlung, worum geht es denn?“ Fire starrte sie an, als sie sich näherte, als ob er versuchte, ihre Kleidung zu durchblicken. Sorc winkte die Fee heran, damit sie auch zuhören konnte. Damit hatte er alle im Schloss befindlichen Leute anwesend, denen er gerne eine Erklärung geben wollte. Er nahm noch einen Schluck Tee, während alle sich einen Stuhl besorgten. Lily setzte sich aufs Bett. „Ich hoffe, ihr wart nett zu unserem Gast,“ begann Sorc dann. „Er ist quasi Familie...“ „Wat? Dieser Sausack? Kommt an, läss'dich verhaften und verkriecht sich inner Butze!“ empörte Fire sich. Sorc betrachtete ihn mit all der Liebe, die ein Vater für einen Sohn haben kann, den er fast verloren hätte. „Er gehört zur Familie,“ beharrte er. „Ich erkläre euch, warum.“ Fire rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Möglicherweise war ihm aufgefallen, dass es etwas mit ihm zu tun hatte. Jedenfalls blieb er jetzt still. Sorc überlegte kurz, wieviel er von der Geschichte preisgeben musste und wollte, damit es alle verstanden. Es war ja im Grunde kein Geheimnis. Aber zu ausschweifend sollte er es wohl bei diesem ungeduldigen Publikum auch nicht machen. „Vor fast zwanzig Jahren hatte ich ein Verhältnis mit einer Angehörigen des Flammenbrunnen-Hexenzirkels. Ich besuchte sie alle paar Wochen, wohnte aber nicht dort, denn es war eine reine Frauengesellschaft. Fuega war schwanger von mir, und ich hatte versprochen, zur Geburt bei ihr zu bleiben. Doch als ich anreiste, musste ich feststellen, dass der Ort in meiner Abwesenheit überfallen worden war – die Hexen haben ein jährliches Ritual, in dessen Anschluss sie geschwächt und angreifbar sind, ansonsten wäre es wohl kaum so gekommen. Fuega hatte den Angriff gut überstanden. Ich fand einen Krieger Namens Rahzihf vor, der den Frauen zu Hilfe gekommen war. Allerdings hatte er sich beim Kampf schwere Verletzungen zugezogen, so dass sogar sein Schwertarm amputiert werden musste. Wenige Tage darauf gebar Fuega meinen Sohn, den ihr ja alle kennt...“ Sorc unterbrach sich, um Fire durchs Haar zu wuscheln. Dieser gab sich verlegen, ließ es sich aber gefallen. „Ohne Rahzihfs Hilfe wäre dieses Kind nicht mehr geboren worden. Ich kann heute noch nicht beschreiben, wie sich das anfühlte... ihn lebendig im Arm zu halten und zu wissen, wie knapp ein anderes Schicksal von ihm abgewendet worden war. Als Rahzihf abreiste, gab ich ihm Fuegas Armreif als Pfand meines Dankes und versprach ihm, eines Tages für ihn da zu sein, egal was ich dafür tun müsste. Und so ist es geschehen.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, als Sorc seine Erzählung beendet hatte. „Dann ist der Bursche, der das Artefakt gestohlen hat, Rahzihfs Sohn?“ hakte Lily nach. Sorc nickte. „Sein Name ist Kihnaf. Der Armreif hat ihn zu mir geführt. Er war auf der Suche nach Prinz Soach und sagte, dass sein Vater ihn geschickt habe. Ich hatte wenig Zeit, Einzelheiten in Erfahrung zu bringen, weil seine Verfolger ihm dicht auf den Fersen waren. Aber ich erfuhr: Er ist des Diebstahls schuldig, und das Artefakt gehört einem Mitglied des Zirkels des Bösen, Lord Arae. Dieser ist dafür bekannt, dass er nicht mit sich reden lässt, bevor er nicht einen Sündenbock zur Rechenschaft gezogen hat. Also tat ich, was nötig war.“ „Dasis... voll krass!“ murmelte Fire. „Wehe wennich rausfinde, dassde das umsonst gemacht hast! Nur weil so'n Knirps nich selbst seine Suppe auslöffeln kann!“ „Rahzihf hätte sicher nicht den Gefallen eingefordert, wenn es nur eine harmlose Bagatelle gewesen wäre, die man auch diplomatisch hätte klären können. Die hätten mich fast zum Tode verurteilt, allen voran Lord Arae. Es handelt sich offensichtlich um ein wichtiges Artefakt, mit dem ich wieder an die Macht gekommen wäre, wenn ich gewollt hätte. Ich gehe davon aus, dass der Bursche hinüber gewesen wäre, hätte er nicht so schnell rennen können.“ „Weiß jemand von euch genau, was das für ein Ding war?“ erkundigte Vindictus sich. „Nur, dass es magische Eigenschaften hat und Lord Arae gehört,“ sagte Crimson. „Das haben sie bei der Verhandlung erläutert, und anscheinend braucht es der Besitzer, um seine eigene Macht zu festigen. Es kann gut sein, dass er mit dem Jungen tatsächlich kurzen Prozess gemacht hätte, das zumindest kam für mich in einem Gespräch mit Genesis rüber. Aber Sorc war schon als Rehabilitand bekannt und konnte die Tat zu seinen alten Verbrechen hinzufügen. Das hat sich auf eine merkwürdige Art vergünstigend ausgewirkt, denn so bekam er zumindest eine neue Anhörung und wurde nicht einfach abgeurteilt.“ „Darauf habe ich spekuliert,“ bestätigte Sorc. „Mir fällt dazu noch eine ganz andere Frage ein,“ bemerkte Vindictus und rieb sich konzentriert das Kinn. „Wie soll es ein Kriegerbengel geschafft haben, bei einem Mitglied des Zirkels des Bösen einzudringen und ein wichtiges magisches Artefakt zu stehlen, das doch bestimmt irgendwie gesichert war?“ Darauf antwortete ihm nur Schweigen. „Vielleicht isser kein Magier, der Besitzer,“ vermutete Fire. „Dann müssten trotzdem Wachen da sein,“ widersprach Lily. „Vielleicht auch magische Sicherungsmaßnahmen, die jemand anderes für ihn gemacht hat.“ „Wir müssen den Jungen selber genau befragen,“ entschied Crimon. „Sonst können wir nur spekulieren.“ „Nein, lasst ihn zufrieden. Ich kümmere mich darum,“ unterbrach Sorc. „An den Tatsachen lässt sich eh nichts mehr ändern. Ich habe für seine Tat bezahlt, und damit ist es erledigt.“ „Aber ich bin für dich zuständig,“ beharrte Crimson. „Ich lasse nicht einfach zu, dass man deine Magie ausbrennt, ohne dass ich weiß warum! Schließlich mindert das deinen Nutzen für mein Schloss! Also will ich auch dabei sein, wenn du mit ihm redest!“ „Ich auch, der Kerl soll schließlich Familie sein!“ fügte Fire hinzu. Sorc gab sich geschlagen. „Wenn ihr alle darauf besteht...“ „Ähm... Verzeihung...“ Alle schauten Richtung Tür, von wo eine neue Stimme gekommen war. Der Besucher schloss die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen. Sorc hatte Kihnaf nicht mehr gesehen, seit er sich dem Zirkel des Bösen gestellt hatte. Kaum zu glauben, dass das noch keine Woche her war. Der Bursche sah jetzt viel besser aus – nicht mehr so abgehetzt, sauber und viel selbstbewusster. „Entschuldigung, ich wollte nicht lauschen,“ sagte er. „Aber soweit ich das mitbekommen habe, ist die Sache ja geklärt. Kann mir wohl jemand einen Drachen leihen, der mich nach Hause fliegt?“ Sorc sah, dass Fire zu einer Entgegnung ansetzte, daher kam er ihm schnell zuvor: „Ich wollte dich eigentlich persönlich zu deinem Vater begleiten, Kihnaf.“ „Aber nicht in den nächsten drei Tagen,“ widersprach Vindictus sofort. „Ach, das wird nicht nötig sein, Prinz Soach,“ winkte Kihnaf ab. „Ihr habt doch jetzt Eure Schuld beglichen, da müsst Ihr mich wirklich nicht auch noch begleiten...“ Crimson beobachtete, wie Sorcs Gesichtsausdruck von freundlicher Besorgnis zu etwas wechselte, das er noch nie gesehen hatte. Die Augen des Schwarzhaarigen weiteten sich und sein Mund öffnete sich zu einer Entgegnung, schwieg dann aber. Zugleich legte sich die Stirn in leichte Falten. War das ein Ausdruck des Unmuts? Empörung? Oder eher mildes Erstaunen? Natürlich war es Fire, der als Erster auf den Beinen war. „Ey laber keinen Schitt! Mein Alder hat seine Magie für dich geopfert!“ „Ohne Magie kann man gut leben, unsereins kommt schließlich auch so aus,“ sagte Kihnaf unbeeindruckt. „Zumindest hat dein Vater doch noch beide Arme!“ „Was ist das denn für ein Vergleich!“ brauste Lily auf. „Du solltest etwas mehr Respekt vor Sorcs Opfer haben,“ sagte Vindictus streng. „Eben! Dein Vater hat Sorcs Frau und Kind gerettet und dabei einen Arm eingebüßt, das ist schlimm. Aber deswegen musst du Sorcs Verlust nicht so runterspielen!“ regte Crimson sich auf. „Für einen Magier ist das so, als würde er beide Hände zugleich verlieren!“ „Jetzt übertreibt Ihr aber, Direktor Crimson,“ meinte Kihnaf. „Er tat es, um das Versprechen zu ehren, das er deinem Vater gegeben hat!“ rief Lily empört. „Also war es seine Pflicht, mir zu helfen. Wie er das gemacht hat, dafür kann ich nichts. Also was ist nun mit dem Drachen?“ Crimson hielt Fire zurück, der sich auf den Bengel stürzen wollte. „Ich burn ihn, lass mich los! Rösten wird er! Braten wie'n Hahn!!“ „Nicht doch, dann hat dein Vater alles umsonst ertragen!“ versuchte Crimson ihn zu beruhigen, während er ihn mühsam am linken Arm festhielt. „Dann burn ich'en eben nich zu Asche, aber ne Lektion kriegter, die hatter verdient!“ Das konnte Crimson nicht leugnen, und vielleicht hatte er seinen unbewussten Wünschen in dem Moment freien Lauf gelassen, oder vielleicht war es Sorcs Wunsch, auf jeden Fall ging plötzlich die Tür nach innen auf und stieß den Jungen von sich. Leider hatte Kihnaf so gute Reflexe, dass er sich abfing und auf den Füßen blieb. Dafür materialisierte sich Cathy und schlug ihn nieder. „Du bist ein ungehobelter Klotz!“ fuhr das Schlossherz den Burschen an. Auffälligerweise hatte er momentan blaue Rosen an statt rote und sein Haar war dunkler, nicht ganz so rosenförmig geordnet wie sonst. „Nichts gibt dir das Recht, so abfällig über einen Magier zu reden!“ „Was soll das?“ rief Kihnaf verärgert und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. „Was wollt ihr von mir? Dass ich dankbar auf Knien rumrutsche? Okay, ich bin dankbar für die Hilfe, aber jetzt will ich nach Hause!“ „Nicht, bevor du uns einige Dinge erklärt hast,“ bestimmte Crimson. „Ich will wissen, warum du überhaupt in eine Lage gekommen bist, die so ausarten konnte! Komm mit!“ Crimson half ihm energisch auf die Beine. Er warf einen Blick auf Sorc, der nicht protestierte, also schleifte er Kihnaf zu seinem Büro. Vindictus folgte ihm, Fire jedoch zog es anscheinend vor, bei seinem Vater zu bleiben. Cathy schwebte hinter der Gruppe her und bekam unterwegs noch dunklere, unordentlichere Haare und einen deutlichen Rotstich in den Augen. Die Stiele der Rosenranken färbten sich von dunkelgrün zu fast schwarz. Crimson wusste, dass Sorc mithörte und vielleicht auch zusah. Kihnaf wurde im Büro auf einen der Besucherstühle komplimentiert. Crimson hatte noch keine Zeit gehabt, sich mit ihm zu befassen, weil es ihm wichtiger gewesen war, an Sorcs Seite zu sein. Aber nun war er fällig, besonders nach seinem Benehmen eben. Es war ja nun nicht nötig, sich übertrieben zu bedanken, aber etwas Bescheidenheit und Respekt hätten dem Jungen gut zu Gesicht gestanden! Irgendein Zeichen eben, dass er zu schätzen wusste, was für ihn getan worden war. Oha. Crimson bemerkte, dass dieser Gedanke nicht sein eigener war, aber er stimmte voll zu. Vindictus baute sich mit ernstem Gesicht an der Seite auf, denn er war kaum groß genug, über den Schreibtisch zu schauen. So wie jetzt wirkte er viel bedrohlicher. Er hatte auch seine Heilertasche dabei, die er bedächtig neben sich platzierte. Cathy schwebte vorerst hinter Crimson. Er berührte seinen Herrn unauffällig im Nacken, so dass ein Direktlink zu Sorc entstand. Eigentlich ging es einfacher, aber Sorcs Telepahie war im Moment nicht auf der Höhe. „So, Kihnaf... ich bin froh, dass wir endlich Zeit füreinander finden...“ begann Crimson. Kihnaf setzte sich betont gerade in seinem Stuhl zurecht. „Wenn Ihr mich einschüchtern wollt, könnt Ihr das vergessen! Ich bin ein stolzer Krieger, und Ihr würdet mir nichts antun, nachdem ich unter dem Schutz von Prinz Soach stehe!“ Crimson hob die Augenbrauen. „Ach wirklich! Ich dachte, ihr seid quit! Er hat keine Verpflichtung mehr dir gegenüber.“ Gut, Sorc hatte ihn gerade quasi adoptiert. Auch dieses unmögliche Benehmen brachte ihn nicht davon ab, wenn er einmal so entschieden hatte. Aber das wusste Kihnaf ja nicht. Doch der Junge war mit allen Wassern gewaschen. „Ihr würdet mir trotzdem nichts tun, oder soll er mir umsonst geholfen haben?“ Crimson seufzte innerlich. Das war natürlich ein Punkt für den Gegner. Aber er behielt sein ernstes Gesicht bei. „Ich würde dein Leben nicht gefährden, das bezieht sich aber nicht auf deine Gesundheit. Die kann mein Heiler leicht wieder herstellen.“ Vindictus nickte bedeutungsvoll und strich sich über den nicht vorhandenen Bart. „Heiler unterstützen sowas nicht!“ widersprach Kihnaf. „Ich bin vor allem Necromant,“ teilte Vindictus ihm mit und lächelte nachsichtig – was bei ihm eher einer Bedrohung ähnelte. „Aber davon abgesehen spricht ja gar keiner davon, dass dir etwas angetan wird... wir wollen doch nur wissen, wie es zu dieser Situation gekommen ist.“ „Genau,“ nickte Crimson. „Wie konntest du das Artefakt stehlen, obwohl der Besitzer es doch sicherlich bewachen lassen hat? Hattest du Helfer?“ Kihnaf hob trotzig das Kinn. „Ich bin gut in dem, was ich tue! Was ist daran so schlimm?“ Crimson erhob sich von seinem Stuhl und beugte sich über den Tisch. „Schlimm daran ist, dass es zu Sorcs Nachteil war. Er hat wenigstens das Recht zu wissen, warum er das durchmachen musste, was er für dich erduldet hat!“ „Außerdem kannst du so gut nicht sein, schließlich haben sie dich anscheinend erwischt,“ fügte Vindictus spitzfindig hinzu. „Hast du es nötig, dich als Dieb zu betätigen?“ „Er war es mir schuldig, also was soll die Aufregung?“ „Er war es deinem Vater schuldig,“ korrigierte Crimson. „Aber mit so etwas sollte man nicht leichtfertig umgehen.“ Kihnaf zuckte mit den Schultern und lehnte sich lässig auf seinem Stuhl zurück. „Ich hatte Ärger mit ein paar Typen aus meinem Dorf. Sie haben immer auf mich herabgesehen, weil ich nur adoptiert bin. Sogar meine Brüder haben mich immer abfällig behandelt, obwohl sie so taten, als wären wir alle eine glückliche Familie... also wollte ich ihnen zeigen, dass ich auch ein Held bin, und diesem dunklen Herrscher in seinem gruseligen Turm etwas abjagen. Mein bester Freund hat mir geholfen, aber seinen Namen sage ich nicht. Vater will nicht, dass ich mit ihm verkehre, aber das geht ihn nichts an. Jedenfalls ist mein Freund Magier und hat sich um die magischen Sicherungen gekümmert. Ging alles glatt. Doch als wir schon fort waren, hat wohl jemand den Diebstahl bemerkt und uns verfolgt... Mein Freund wurde verletzt und ich versteckte ihn in einer Hütte im Wald, um dann Hilfe aus dem Dorf zu holen. Als ich Vater traf, sagte ich ihm alles, denn er weiß eigentlich immer Rat. Er gab mir den Armreif und kümmerte sich um meinen Freund, während ich mit der Beute floh. Wir wollten das Teil zuerst einfach zurückgeben, doch Vater meinte, dafür sei es zu spät, weil Lord Arae immer einen Sündenbock will. Er hätte vielleicht aus Rache unser Dorf vernichtet, wenn er mich erwischt hätte, und auch, wenn er niemanden gefunden hätte, den er beschuldigen konnte. Also sollte ich mit dem Artefakt davonlaufen und Prinz Soach um Hilfe bitten. Vater tat so, als wäre ich eine Art Opferlamm... wäre ja besser gewesen, es erwischt mich als das ganze Dorf. Aber ich wusste, dass ich es schaffen würde.“ Er wirkte jetzt sehr stolz darauf, was aber an jenem Tag noch anders ausgesehen hatte. „Mit anderen Worten... das alles geschah wegen einer Mutprobe. Weil du fandest, dass deine Leute dich unterschätzten,“ fasste Crimson zusammen. „Was spielt das für eine Rolle? Schuldigkeit ist Schuldigkeit, und nun ist sie beglichen.“ Crimson hätte am liebsten über den Tisch gegriffen, um den Bengel am Kragen zu packen, aber dafür war die Tischplatte zu breit. „Es spielt sehr wohl eine Rolle! Sorc hat dich und dein Dorf beschützt, aber das wäre ohne deine Mutprobe nicht nötig gewesen, und ihr hättet seinen Gefallen für etwas Sinnvolleres einsetzen können, was ihn dann vielleicht auch nicht seine Magie gekostet hätte! Doch er hat ohne zu zögern seine Existenz als Magier geopfert und hätte auch sein Leben gegeben, um dir aus der Patsche zu helfen! Findest du es angemessen, wie du es ihm dankst?“ Vor Aufregung war Crimson aufgestanden und lehnte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch, um Kihnaf besser anschnauzen zu können. Dieser schien nach wie vor der Meinung zu sein, dass Sorc nur seine Pflicht getan hatte und dass nichts weiter dabei war. Er hatte einen hochmütigen Blick wie jemand, der die ganze Diskussion nicht nachvollziehen konnte. Anscheinend hatte es auch keinen Sinn, ihm zu erklären, welche Schmerzen Sorc auf sich genommen hatte und wie sehr er noch unter dem Verlust litt und immer leiden würde. Ganz davon abgesehen hatte das Schloss einen fähigen Magier verloren. Für Kihnaf war das reine Pflichterfüllung. Crimson hatte keine Ahnung, was er mit ihm machen sollte. „Du bleibst hier, bis Sorc in der Lage ist, dich zu deinem Vater zu begleiten, wie er es sich wünscht,“ beschloss er. „Versuch nicht, vorher wegzulaufen. Dieses Gemäuer hat ein Schlossherz und würde dich aufhalten.“ Kihnaf seufzte. „Von mir aus. Ich geh auf mein Zimmer.“ „Nein, du kannst in der Küche helfen, dort wird um diese Zeit das Frühstück zubereitet. Jeder Schlossbewohner muss seinen Beitrag leisten.“ „Aber...“ „Wenn du jetzt sagst, dass du hier nur Gast bist, zeige ich dir die Gästezimmer im Keller, und glaub mir, die haben keine so schöne Aussicht.“ Es vergingen drei, vier Sekunden, in denen Kihnaf anscheinend abschätzte, wie ernst Crimson das meinte, und schließlich gab er nach und begab sich in die Küche. Sorc hatte das Geschehen verfolgt und war erschüttert. Nicht dass es irgendetwas änderte. Rahzihf hatte den Gefallen eingefordert, da spielten die Umstände keine Rolle. Dennoch... es war wie ein Schlag ins Gesicht, den er nicht verdient hatte. Oder hatte er das? Strafte so das Schicksal jemanden, der selber Opfer in Kauf genommen hatte, um seine Ziele zu verwirklichen, während sein eigenes Kind gerettet worden war? Zugegeben... seine bisherige Strafe des Rehabilitationsprogramms Stufe drei war nicht unbedingt schlimm ausgefallen. Wenn alles aus einem bestimmten Grund geschah – und davon war ein Chaosmagier überzeugt – dann sollte es vielleicht so sein. Und doch wurde ihm die Gnade zuteil, dass er nicht allein damit klarkommen musste. Er beschloss, mit seinem Schicksal nicht zu hadern, und rief sich Rahzihf in Erinnerung, der den Verlust seines rechten Armes hingenommen und weitergemacht hatte mit dem Arm, der ihm geblieben war. Sorc wurde erst jetzt klar, dass der Krieger mit seinem Verhalten einen Teil seiner Persönlichkeit geprägt hatte. Als Prinz der Eisigen Inseln und Sohn der Chaosjägerin war er generell durch eine harte Schule gegangen, aber dieser Mann hatte ihn gelehrt, sich über das zu freuen, was ihm blieb. Was ihm nach dem Ausbrennen seiner Magie geblieben war, musste Sorc allerdings erst noch ergründen. Damit Lily und Fire sich nicht über sein geistesabwesendes Verhalten wunderten, hatte er die beiden unter einem Vorwand weggeschickt. Fire in die Küche und Lily zurück an ihre Arbeit, denn davon wollte er sie nicht abhalten. Sie waren beide gleich gegangen, dachten wohl, er bräuchte etwas Zeit alleine. Kihnafs Reaktion hatte ihn auch gelinde gesagt etwas... überrascht. Fire tauchte nach einer Viertelstunde wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt war das Gespräch im Büro auch schon vorbei, und so konnte sein Sohn ihm gleich mitteilen: „Ey ich hab die Hackfresse unterwegs getroffen, der kann froh sein, dassich die Hände voll hatte!“ Da war Sorc auch froh, schließlich wäre der Bursche ja sonst als Arbeitskraft wieder ausgefallen. „Crimson hat ihn zum Küchendienst geschickt. Verdirb ihm das mal nicht.“ „Oh... gute Idee, soll ruich wat tun für sein Brot.“ Fire stellte das Tablett auf den Nachttisch und reichte Sorc eine Schale mit Obst, Gemüsestreifen und Brot. Dazu gab es klare Brühe. „Die Küchenmädels meinten, das wär' gesund.“ „Ach herrje... die Küchenmädels. Hoffentlich haben die nicht schon an deine Oma gepetzt.“ „Kannst davon ausgehen, dasses irgendwer macht.“ „Lässt sich wohl nicht vermeiden.“ Seine zeternde Mutter gehörte derzeit nicht zu den schönsten Zukunftssaussichten. Andererseits... er freute sich ja immer, sie zu sehen. Sorc bemühte sich, die Brühe zu verbrauchen und zugleich das Brot zu essen, indem er es hinein tunkte. Heute konnte er wieder fester zupacken, obgleich die Gelenke von der gestrigen Beanspruchung noch immer schmerzten. Doch das hielt Sorc locker aus, ebenso die Schmerzen, die der Ausbrennzauber hinterlassen hatte. Schmerzen gingen normalerweise irgendwann weg... „Ich hab... keinen Hunger...“ meinte er schließlich und schob das Tablett in Fires Richtung. „Du hast ja außer'm Stück Brot nix geschafft!“ schimpfte dieser. „Trink wenigstens was. Vindictus hat gesagt, dassis gut für dich!“ „Ja, da hat er wohl Recht,“ stimmte Sorc zu. Im Moment wirkte Fire etwas fehl am Platze, denn er konnte das Problem nicht mit roher Elemantarmagie aus der Welt schaffen. In solchen Fällen wurde er immer gleich viel stiller. „Ich ess deine Suppe auf,“ verkündete der Junge. „Wär schade drum, wennse kalt wird. Aber's Gemüse kannste vielleicht später essen. Und da hat's Beeren...“ „Ja, lass das ruhig stehen.“ Niemand kam, um Fire zum Unterricht zu beordern, als es an der Zeit war. Dabei hätte er jetzt bei Ujat in Runenkunde sitzen müssen, wie Sorc wusste, und der Sohn von Vindictus galt eigentlich als sehr streng und pflichtbewusst. „Hat jemand die Schlossbewohner über meine... Situation... informiert?“ erkundigte er sich. Fire nickte. „Vindy hat's gemacht.“ „Vindy?“ „Najaaa...“ „Stell die leere Suppenschüssel zurück aufs Tablett. Muss ja nicht sein, dass Vindy dumme Fragen über mein Essverhalten stellt.“ Fire verstand das und half ein bisschen mit dem Obst. Stengel und Kerne ließ er absichtlich auf dem Tablett, damit es aussah, als hätte sein Vater die Sachen gegessen. „Wennde morgen auch nix Gescheites essen kannst, sachich's ihm aber. Villeicht biste krank oder so von...“ Er räusperte sich und blickte starr auf einen Punkt vor sich in der Luft. „Naja von de Ausbrennung.“ „Du kannst das Wort ruhig benutzen,“ versicherte Sorc ihm. „Nützt ja nichts, die Sache zu verschweigen. Aber vielleicht könntest du mir Literatur zu dem Thema besorgen. Vindictus lässt mich hier nicht weg, und ich langweile mich.“ Fires Gesicht hellte sich auf, als er eine konkrete Aufgabe bekam. „Klar, kein Ding... ich besorch dir alles von überall!“ „Das wäre gut. Wenn ich verstehe, wie es gemacht wird, finde ich vielleicht einen Weg, doch noch wieder Magie zu benutzen.“ „Dann machich mich gleich auf'n Weg zur Bibliothek...“ „Nein, erst gehst du in deinen Unterricht.“ „Ey du gehs' vor! Unterricht brauchich eh nich mehr richtig, hab doch schon nen klein'n Uniabschluss.“ Sorc widersprach seinem Sprössling nicht weiter, schließlich war dieser auch alt genug für solche Entscheidungen. Also verschwand Fire Richtung Bibliothek. Crimson wartete, bis Fire das Feld räumte, dann begab er sich zur Krankenstation zurück, denn er wartete schon auf eine Gelegenheit, mit Sorc reden zu können – dabei wusste er nicht einmal genau, worüber. Er verspürte einfach das Bedürfnis, dem Freund jetzt so gut wie möglich beizustehen. Vindictus kam auch wieder mit. Er warf kurz einen skeptischen Blick auf das Essenstablett. Sorc nahm schnell ein Stück Gemüse zur Hand und knabberte daran herum. „Wann hattest du deine letzte richtige Mahlzeit?“ fragte der Heiler ihn. „Gestern früh, bevor die Verhandlung fortgesetzt wurde.“ „Nun ja... wenig Appetit ist vielleicht in Anbetracht der Umstände normal, aber ich dachte, du wärst heute hungrig, weil du ja gestern nichts mehr bekommen hast. Sieh zu, dass du viel trinkst.“ Er ging in den hinteren Bereich der Krankenstation und machte sich an den Medizinvorräten zu schaffen. Crimson setzte sich auf den Stuhl, der noch von Fire vorgewärmt war, und fragte: „Also... du hast alles mitbekommen, ja?“ „Vielleicht hätte ich lieber darauf verzichten sollen,“ meinte Sorc. „Aber nur weil Kihnaf ein frecher Flegel ist, habe ich immer noch mein Versprechen gehalten... insofern spielt es keine Rolle. Ich werde ihn nach Hause bringen, sobald Vindictus mich aufstehen lässt. Ich wünschte nur, ich müsste Rahzihf nicht noch länger warten lassen, sicher macht er sich schon Sorgen.“ „Soll ich jemanden hinschicken?“ schlug Crimson vor. „Oder doch den Jungen erstmal gehen lassen?“ Sorc starrte einige Sekunden lang das Gemüsestück in seiner Hand an und legte es dann zurück. „Nein, ich werde meinen Entschluss nicht ändern,“ antwortete er schließlich. „So kann ich Rahzihf selbst sagen, was mir widerfahren ist, und er muss es nicht von anderen erfahren. Außerdem... habe ich das Gefühl, dass es so richtig ist. Ich will mich jetzt nicht im Schloss verstecken.“ „Soll ich dich dorthin begleiten?“ fragte Crimson als Nächstes. „Also wirklich, das schaffe ich schon,“ entgegnete Sorc. „Einer von uns beiden sollte bei Cathy bleiben. Und ich werde ja mit Gandora fliegen, bin also nicht völlig hilflos.“ „So... war das nicht gemeint,“ stammelte der Schlossherr verlegen. „Ich, um... will dich nur nicht in dieser schwierigen Phase alleine irgendwo hin lassen. Das ist noch... neu für dich.“ „Ich werde nach Inseltradition bis an die Zähne bewaffnet sein, und du weißt, dass ich mit den Sachen umgehen kann,“ versicherte Sorc. „Du brauchst dich nicht zu sorgen, schließlich besuche ich einen erfahrenen Krieger.“ „Es könnte aber sein, dass der Mann inzwischen nicht mehr im Geschäft ist, oder vielleicht ist er krank,“ gab Crimson zu bedenken. „Kihnaf hat zwar nichts dergleichen erwähnt, aber es ist lange her, dass du Rahzihf zuletzt gesehen hast.“ „Kihnaf hat erwähnt, dass seine Brüder Krieger sind. Crimson, ich fliege da hin, liefere den Jungen ab, unterhalte mich mit seinem Vater und bleibe vielleicht zum Essen. Aber dann komme ich gleich wieder her. Ist das für dich in Ordnung?“ „Ja, sicher... entschuldige, ich benehme mich wie eine Glucke.“ Sorc lächelte, aber nur mit dem Mund. Seinen Augen fehlte noch immer der Glanz. „Schon gut, lass dich nicht davon abhalten. Übrigens... ich glaube, ich sollte den Namen Sorc ablegen, das ist mein Chaoshexer-Name. Außerdem verbinden den immer noch viele mit negativen Erfahrungen. Und, naja, so toll klingt er nun auch nicht.“ Crimson zuckte mit den Schultern. „Man hat sich aber daran gewöhnt, es wird eine Weile dauern, das zu ändern.“ „Es ändert sich derzeit so einiges,“ entgegnete Sorc ernst. „Vielleicht werde ich wieder dein loyaler, persönlicher Chaoshexer. Aber bis es soweit ist, verteidige ich dieses Schloss und alle, die darin leben, mit allem, was ich habe. Sag mir, was du brauchst, und ich finde einen Weg. Du hast das Wort von Soach, Prinz der Eisigen Inseln.“ Crimson spürte plötzlich starken Druck hinter den Augen. „Für's Erste... komm wieder zu Kräften,“ presste er hervor. Er wünschte sich den Freund zurück, der wie ein Fels hinter ihm stand und ihm Sicherheit gab. Doch im Moment musste er selbst der Fels sein, eine Rolle, die er bisher gerne dem Älteren überlassen hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)