Corruptio optimi pessima von Noveen (Die Entartung des Besten führt zum Schlimmsten) ================================================================================ Kapitel 9: wissend ------------------ Der Hopper setzte sich zurück auf die Couch und da Bill keine Anstalten machte ihn loszulassen, zog er diesen einfach neben sich in die Polster. Der Schwarzhaarige vergrub sein Gesicht an der Halsbeuge des Anderen und schniefte leise. Er suchte sich eine bequeme Sitzposition und legte einen Arm um den zitternden Körper. Ihm war bewusst, dass das alles auch für Bill nicht einfach war. Schließlich war es sicherlich nicht toll die ganze Geschichte, die einem so geprägt hatte, noch einmal mit anzuhören. Beate sah ihn fragend an und er seufzte resignierend und nickte. Weg kam er eh nicht mehr. Er musste jetzt dadurch irgendwie. »Okay. Also Bill wurde von Stefan und Teresa aufgenommen und wohnte seit da an in Magdeburg. Stefan war ein toller Vater für den Kleinen… er gab ihm all die Liebe und Aufmerksamkeit die Mikeaela ihm nie gegeben hatte und erzog Bill zu einem wundervollen Menschen. Er liebte seinen Vater abgöttisch und hat zu ihm aufgesehen. Auch Teresa hat er geliebt… ich glaube das waren wohl die glücklichsten Jahre in seinem Leben.« erzählte sie weiter, doch ihre Blicke ließen vermuten was bald kommen würde. Sie waren stumpf und traurig, auch wenn aus ihnen Liebe und Erinnerungen sprachen. »Ungefähr zu der Zeit als Bill eingeschult wurde, wurde Teresa schwanger und wenige Monate darauf hatten sie ein weiteres Familienmitglied. Die kleine Chantal. Ich glaube ich habe noch nie glücklichere Menschen gesehen als die drei damals. Sie waren eine kleine, perfekte Familie… aber dann…« Sie machte eine bedeutungsschwere Pause. Tom spürte wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief. Er wollte nicht hören was jetzt kam! Wirklich nicht… Und doch war er dazu verdammt zuzuhören. »Weißt du, Stefan ist gerne gesegelt und hatte auch ein eigenes Boot. Die vier sind oft gemeinsam aufs Meer gefahren und haben da die Ferienwochen verbracht. Diese Familienausflüge fand ich immer besonders schön… ich hatte so etwas nie. Und doch… eines Tages, ich glaube da muss Bill acht oder neun gewesen sein, sind sie mit dem Boot in ein heftiges Unwetter geraten. Sie waren mitten auf den Meer… nirgendwo Land in Sicht und das Boot hat den Wellengang und dem Sturm nicht standgehalten. Sie sind einfach gekentert. So viel Glück zerstört in nur wenigen Minuten.« berichtete Beate weiter und plötzlich lief eine einzelne Träne ihre Wange hinunter. »Bill war der einzige der diese Katastrophe überlebt hat. Stefan hat ihn auf seinen Schultern zum Strand gebracht… er muss Kilometer weit geschwommen sein. Und er wollte auch seine Frau und seine Tochter holen, als Bill in Sicherheit war. Doch er war einfach zu erschöpft. Ich denke das Teresa und Chantal zu der Zeit schon lange tot waren, aber er hat es trotzdem versucht und ist genauso ertrunken wie die anderen auch. Nur Bill ist übrig geblieben. Er musste zusehen wie die Menschen, die er am meisten liebte, starben. Ich weiß nicht wie viele Tage er da alleine am Strand war… irgendwann haben ihn Spaziergänger gefunden und ihn ins nächste Krankenhaus geschafft. Er hat überlebt… Aber er war zerbrochen. Die Leute die ihn gefunden haben, sagten, dass er neben der Leiche seines Vaters lag. Diese war wahrscheinlich bei den starken Wellen angespült wurden… er habe dagelegen und sich nicht bewegt, sodass sie zuerst dachten das auch er tot war. Aber als sie ihn berührten habe er einfach die Augen aufgeschlagen und sie angesehen.« Tom fühlte eine bleierne Schwere auf seiner Brust. Es fühlte sich an als müsse er jeden Moment erdrückt werden. Tränen hingen ihm im Hals, doch er konnte nicht weinen. Er hatte noch nie gut vor anderen Menschen Gefühle zeigen können. Doch noch nie hatte er es sich mehr gewünscht als jetzt. Der Schmerz der sich in seiner Brust aufbaute war unerträglich. Und Bill neben ihm weinte. Er zog den Schwarzhaarigen dichter an sich heran. »Ich nahm Bill zu mir, als er entlassen wurde. Seit da an hat er kaum ein Wort geredet… nur manchmal rutscht ihm etwas heraus, wenn er stark in Rage ist oder man zu tief bohrt. Aber das ist sehr selten geworden. Ich merkte, dass es ihm in seiner alten Umgebung immer schlechter ging. Also nahm ich ihn von der Schule und zog mit ihm hierher. Ich hoffte, dass die Tatsache, dass ihn hier niemand kennt das Ganze einfacher für ihn machte. Doch da habe ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. Sie hatte ihre jüngste Tochter verloren… und weiß Gott warum, aber sie schob die Schuld Bill dafür in die Schuhe. Auf der Beerdigung von Teresa, Stefan und Chantal hat sie schrecklich unangebrachte Dinge zu ihm gesagt. Auch wenn er noch kleiner war… er hat es genau verstanden. Das weiß ich… Kinder verstehen viel, auch wenn wir es uns nicht immer bewusst machen. Sie verstehen genau ob es Erwachsene gut oder böse mit ihnen meinen.- Ich habe ihr nicht viel erzählt, aber das was sie wusste reichte. Sie erzählte Halbwahrheiten über Bill hier im Dorf und machte es dadurch zur Hölle auf Erden, für meinen kleinen Jungen. Aber er hat sich immer geweigert noch einmal umzuziehen. Er litt jeden Tag mehr… auch wenn er mir niemals genau erzählt hat, was in der Schule passierte. Einmal haben mich die Lehrer angerufen damit ich ihn abhole. Er saß da, war klitschnass und vollkommen apathisch. Seine Klassenlehrerin hat mir erzählt, dass sie mit ihnen am Teich schwimmen gewesen war und das drei andere Jungen Bill halb ertränkt hätten, weil er ein Hurensohn sei. Sie konnte nur mit Mühe und Not dazwischen gehen…- Das hat mir als Einblick gereicht. Ich würde sagen das war in der fünften oder sechsten Klasse, aber ich weiß es nicht mehr genau. Danach hat er sich zum ersten Mal versucht umzubringen und wurde dann in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.« beendete die Frau ihre Erzählung zittrig und schniefte. Der Hopper musste den schweren Kloß erneut hinunterschlucken. Aber er konnte nicht sprechen. Noch nie hatte er eine derart schreckliche Geschichte gehört. »Seine Diagnose kennst du ja schon, sie haben sich im Laufe der Jahre auseinander entwickelt… zuerst war die Depression die all diese Nebendiagnose nach sich gezogen hat, die ich dir schon erläutert habe.« Er wusste nicht wohin mit sich vor lauter Emotionen. Neben ihn saß der Schwarzhaarige und weinte und weinte. Wie konnte man so viele Tränen haben? Bill krallte sich in den Stoff seines T – Shirts das er fast Angst hatte es würde zerreißen. So als brauche er jemanden an dem er sich festhalten konnte. Schützend zog der Blonde ihn näher zu sich und küsste ihn auf die Haare. Es bereitete ihm innere Schmerzen den anderen so zu sehen. Bill war so stark und tapfer… und so zerbrechlich. Wie stark der Schwarzhaarige war, wurde dem Blonden aber erst später bewusst. Wenn er daran dachte wie nahe er damals, als Tobi in seinen Armen eingeschlafen und nie wieder wachgeworden war, davor gestanden hatte sich vor einen LKW zu werfen. Hätte er Georg und Gustav nicht gehabt, wusste er genau würde er jetzt nicht mehr leben. Da er aber weiter seine Machorolle spielen musste, blieb er bei Besinnung. Es war nicht so, dass er mit den Beiden geredet hatte, dass hatte er bisher nur mit Sam getan, aber trotzdem hatten ihn die Beiden immer wieder aus seinen Dunkelperioden gerissen. Und dafür war er ihnen so dankbar… Die Tage nach diesem Geständnis waren für Tom genauso anstrengend wie die Tage nach der ersten Begegnung. Er wusste einfach nicht wie er mit dem Anderen umgehen sollte. Das Wissen lastete schwer auf seinen Schultern und die Alpträume die ihn nachts plagten hatten wieder zugenommen. Bill klammerte noch mehr als ihm als vorher… fast so als hätte er seit Jahren endlich einen Verbündeten gefunden, den er jetzt nie weder loslassen wollte. Jenny hatte ihn am ersten Schultag nach dem Wochenende nur fragend angeschaut. Doch er konnte es ihr nicht erzählen, deswegen schenkte er ihr nur einen bedeutungsvollen Blick und sie nickte verstehend. Auch wenn der Umgang für den Dreadhead nicht einfach war, er versuchte alles um sich nicht zu sehr von Bill abzugrenzen, denn ihm war klar, dass dies mehr als Kontraproduktiv wirken würde. Und so kam es das der stumme Junge zum ersten Mal Toms Zimmer betreten durfte… Es war an einem verregneten Mittwochnachmittag. Tom war gerade von seinem Spaziergang mit Sam zurück, als sein Handy klingelte. Die Schule war erst vor einer halben Stunde beendet wurden. Wer zum Henker rief ihn jetzt an? Als er auf den Display schaute, sah er verwundert das es die Nummer von Bill war. Was sollte das denn? Das machte überhaupt keinen Sinn! Einer Eingebung folgend, sah er aus der Eingangstür und sah Bill auf sich zulaufen in seinen Gesicht war Panik zu lesen. Blanke Panik. Ohne genau zu überlegen was er tat, schoss er aus dem Haus, packte den Schwarzhaarigen am Handgelenk und zog ihn mit sich zurück durch die Tür, die er geräuschvoll hinter ihnen ins Schloss fallen ließ. Danach schloss er den zitternden Jungen fest in die Arme. Bill klammerte sich an ihn. Nur im Augenwinkel hatte er die drei Kerle gesehen, die ebenfalls die Straße hoch gerannt waren. »Wer ist das Bill?« wollte er wissen. Aus dem Fenster im Flur beobachtete er wie die Drei vor seinem Haus stehen blieben, darauf zeigten und dann missmutig abmarschierten. Der Angesprochene schüttelte den Kopf und drückte sich noch näher an ihn, so als hätte er Angst er würde sich jeden Moment in Luft auflösen… Es tat schon fast weh. »Sag schon. Wer war das eben?« Keine Reaktion. »Bill!« warnte Tom und trat einen Schritt zurück. Schüchtern sah er den Hopper an und zog dann seufzend sein Handy hervor; hielt ihn aber immer noch mit einer Hand fest. Das waren die Drei… also vom See… du weißt… die, die mich… die… »Dich damals beinah ertränkt hätten.« ergänzte Tom, als er begriff was der andere ihm da versuchte über den Bildschirm verängstigt mitzuteilen. Bill zuckte bei diesen Worten zusammen, nickte aber. Eine unbändige Wut stieg in dem Blonden auf und raubte ihm kurz den Atem. Am liebsten wäre er den Drein hinterher gelaufen und ihn jeden Knochen im Leib gebrochen. Für all das was sie Bill angetan hatten und immer noch taten… auch wenn er nicht alles wusste. Ich kann da nicht mehr raus Tom Nur nebenbei nahm er die geschrieben Worte war. Immer noch kämpfte er mit sich… aber ihm war klar, dass Bill das nicht helfen würde, wenn er jetzt eine Prügelei anfing. Eher würde es ihn noch mehr verschüchtern. Lass mich hierbleiben, Tom, bitte… Er seufzte tief. Bill wusste, dass er eigentlich nicht wollte, dass er hier im Haus war. Auch wenn er den Grund nicht kannte… sie hatten sich bis jetzt immer im Hause Kaulitz getroffen. »Natürlich kannst du bleiben… als würde ich dich jetzt vor die Tür setzten.« sagte er ergeben und lächelte leicht. »Na los, zieh dir die Schuhe und die Jacke aus.« Er bekam noch eine feste Umarmung. »Nichts zu danken.« Dann tat der Schwarzhaarige wie geheißen, während Tom aus der Küche Gläser und Trinken besorgte. Dann führte er ihn in sein Zimmer und stellte das Tablett auf den kleinen Couchtisch ab, der vor dem Sofa stand. Schmunzelnd sah er wie sich Bill im Kreis drehte und sein Zimmer fasziniert in Augenschein nahm. »Mach´s dir gemütlich.« sagte er, setzte sich selber an den Schreibtisch und klopfte dann aufs Bett, dass direkt daneben stand. Bill kam sofort zu ihm und lächelte als er sich auf die Matratze fallen ließ. »Ich wollte mich gerade an den Bericht für Geografie machen, macht es dir was aus? Den müssen wir bis morgen fertig haben.« redete der Hopper weiter und verzog das Gesicht. Der Andere schüttelte den Kopf. Also schmiss Tom seine Hoodie aufs Bett neben Bill, fuhr den Laptop hoch und begann zu tippen. Er spürte genau das Bill ihn eine Weile beobachtete… Doch es war nicht so das es ihn sonderlich störte. Er vertiefte sich völlig in der Aufgabe. Nach einer Viertelstunde brauchte er, dann hatte er den doofen Bericht fertig. Als er sich zu seinem Besuch umwandte, fand er ihn schlafend auf seinen Bett vor. Seine Jacke hatte er im Arm wie ein Kuscheltier und sein Gesicht tief darin vergraben. Der Hopper lachte leise und stand auf. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr, ging er nach unten. Er sollte mal Beate anrufen, nicht das sie sich unnötig sorgen um Bill machte… außerdem hatte er langsam Hunger. Wenige Minuten später hatte er das Telefonat geführt und kam mit einem neuen Tablett voll Essen wieder. Er deckte den kleinen Tisch ein und stellte dann die beiden Tabletts neben die Couch. Als alles vorbereitet war, ging er zu dem Schwarzhaarigen um ihn zu wecken. Es tat ihm beinah ein wenig Leid…er sah so friedlich aus, wie er da lag. Beinah wie ein Kind. Trotzdem berührte er sanft seine Schulter. »Hey, wach mal auf…« Und dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Bill schoss hoch und sprang regelrecht bis ans Bettende… seine Augen waren weit aufgerissen, er zitterte am ganzen Körper. Für wenige Augenblicke war Tom total erstaunt. Was war das denn? »Hey, Billy… beruhig dich. Du bist in meinem Zimmer, schon vergessen? Es ist alles in Ordnung…« Er hatte in den letzten Tagen herausgefunden, dass der andere bei dem Spitznamen sich immer schneller beruhigte. So hatte ihm sein Vater genannt, jedenfalls hatte das Beate erzählt. Doch auch wenn es etwas komisch war, dass er ihn jetzt auch so nannte… Bill hatte noch nicht einmal angemerkt, dass es ihn störte, wenn er ihn so nannte. Endlich schien er ihn zu erkennen. Der Hopper setzte sich auf die Bettkante und lächelte liebenswürdig. »Ich hab uns essen gemacht, kommst du…?« Er nickte, krabbelte langsam wieder auf ihn zu und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Gemeinsam gingen sie zum Sofa und ließen sich darauf nieder. »Hast du Hunger?« Bill zuckte die Achseln. »Du weißt es nicht?« fragte er irritiert. Der Andere schüttelte den Kopf und machte eine Wellenbewegung mit der Hand. »Nicht so viel? Na dann iss wenigstens ein wenig, okay? Danach können wir noch ne DVD gucken oder so…« Bill strahlte ihn wieder so unfassbar an. Ihm wurde jedes Mal ganz warm, wenn ihm der Schwarzhaarige dieses Strahlelächeln schenkte. Verdammt… »Ich hab Beate schon angerufen.« informierte der Blonde dann, als er bemerkte wie sein Gast auf sein Handy schaute. Dafür bekam ein dankbaren Blick. Dann aßen sie. Auch wenn der Schwarzhaarige nicht viel aß… er aß… Und als sie fertig waren und Tom den Fernsehen anschaltete, ließ sich Bill wie selbstverständlich gegen ihn sinken. Das tat er zurzeit öfter. Doch der Hopper sagte nichts dazu. »Was magst du schauen?« Der stumme Junge zuckte die freie Schulter und kuschelte sich näher an ihn, während Tom durch die Kanäle zappte. Eine ganze Weile saßen sie so da. Tom genoss die Nähe irgendwie, auch wenn er sich nicht wirklich erklären konnte warum, aber es tat gut den Anderen so halten zu können. Es war als würde er Bill Kraft geben und sich selbst damit stützen… Ging das überhaupt? Irgendwann bewegte sich der Schwarzhaarige in seinen Armen und sah zu ihm auf. »Hm?« Bill sah ihn fragend an und drehte dann sanft seinen Kopf auf die andere Seite. Gerade als er fragen wollte was das sollte, sah er den Finger der vor seinen Augen auf das Bild zeigte… das Bild auf seinem Schrein… Tobis Bild. »Das ist mein Bruder…« sagte er und dieser Satz war schmerzhaft und schön zugleich. Doch er entsprach nicht der Wahrheit. Er fühlte sich falsch an. »Na ja… er war mein Bruder.« versuchte er es nochmal und sah Bill wieder an. Das fühlte sich besser an. Wahrer… Er spürte Bills Hand an seiner Wange und erst da merkte er wie sehr er sich angespannt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)