My other Self von Erenya (Persona 4 Golden mit weiblichen MC) ================================================================================ Kapitel 2: The First -------------------- April 12 Als der Morgen anbrach und Otome die Augen öffnete, hörte sie nur den Regen der in prasselnder Monotonie gegen ihre Fensterscheibe klopfte. Sie fühlte sich gerädert, so wie sie es immer tat, wenn sie einen Alptraum hatte. Doch anders als die anderen Male, kam ihr nicht in den Sinn, wovon sie genau geträumt hatte. Ihre Erinnerungen waren so unklar, als hätte jemand sie in einen dichten Nebel gehüllt. Müde fuhr sich Otome durchs Haar und versuchte das beklemmende Gefühl abzuschütteln. Heute war ein neuer Tag in einer fremden Umgebung, die wachsen würde, denn heute hatte sie auch ihren ersten Schultag an der Yasoinaba High School. Nur zu gut erinnerte sie sich an den letzten ersten Schultag, als sie damals noch in der Mittelschule gewesen waren und ihre Eltern aus beruflichen Gründen in die Großstadt gezogen sind. Damals hatte sie ein paar Probleme gehabt sich einzugliedern, doch dank ihrer Freundin Miwako war alles besser geworden. Miwako. Sich daran erinnernd, dass sie Miwako noch den Abend zuvor geschrieben hatte, erhob sich Otome aus dem Bett und ging auf den kleinen Tisch zu, auf dem sie ihr Handy abgelegt hatte. Hoffnungsvoll ergriff sie dieses und weckte es aus seinem Schlummer. Vielleicht hatte Miwako ihre Nachricht schon gelesen und ihr nun geantwortet. Wahrscheinlich würde dann so etwas drin stehen wie „Halt die Ohren steif“ und „Sei einfach du selbst.“ Ja, dass passte zu ihrer Miwako. Sie hatte ihr immer Mut gemacht, selbst am Tag vor ihrer Abreise. Miwako hatte sie angelächelt und gemeint, dass alles gut werden würde. Doch nichts war gut. Denn es gab keine Nachricht von Miwako an diesem verregneten Morgen. Obwohl Otome enttäuscht war, versuchte sie sich einzureden, dass es sicher einfach nur zu früh oder zu spät gewesen war. Sicher würde Miwako noch im laufe der restlichen Woche anrufen und sich entschuldigen, dass sie es einfach verschwitzt hatte. Genau so würde es sein. Das klappern von Tellern hatte Otome, gekleidet in ihrer neuen Schuluniform, in des Essbereich des Wohnzimmers geführt. Sie war recht verwundert als sie Nanako sah, die alleine den Tisch deckte und scheinbar für ein kleines, aber doch sättigendes Frühstück verantwortlich war. Zum ersten Mal fragte sich Otome, wer für Nanako sorge, wenn ihr Vater auf Arbeit war. Kochte sie etwas ganz alleine? Erneut bewunderte sie das kleine Mädchen, dessen Vater sie scheinbar für Überlebensfähiger hielt als ihre Eltern. „Guten Morgen.“ Mit einem Nicken erwiderte Otome den Gruß ihrer Cousine, die ihren Teller auf den Tisch stellte und sich auf ihren Platz setzte. Da eine zweite Portion direkt ihr gegenüber aufgestellt war, schlussfolgerte Otome, dass dies wohl ihr Platz war. Sie setzte sich also ihrer Cousine gegenüber und sah sie an, als wollte sie, dass Nanako den ersten Bissen nahm und das Frühstück damit eröffnete. „Lass uns essen.“ Nun, da sie am Tisch saß, betrachtete sich Otome das Frühstück doch etwas genauer. Getoastetes Brot und Spiegeleier waren zwar nicht das schwierigste, aber für ein kleines sechsjähriges Mädchen wie Nanako war es mit Sicherheit auch keine Leichtigkeit. „Kochst du hier immer?“ Otome wollte gleich wissen, wie es hier lief und ob sie Nanako nicht vielleicht auch etwas Arbeit abnehmen konnte. Schließlich würde sie nun ein Jahr hier leben und da wollte sie nicht auf der faulen Haut liegen. Immerhin kostete auch ihre Anwesenheit Geld, da musste sie sich einfach nützlich machen, wenn die Zeit dafür passte. „Ich kann Brot toasten... und Spiegeleier. Papa kann nicht kochen, deswegen kaufe ich das Abendessen. Heute fängst du in der Schule an richtig?“ Im Gegensatz zum Vortag, schien Nanako nun mit Otome etwas warm geworden zu sein. Sie war auskunftsfreudiger, auch wenn Otome nicht gerade erfreute was sie hörte. Hier in diesem Haushalt musste sich etwas ändern, man konnte doch nicht ständig nur von gekauften Bentos leben. Vielleicht war es nur gut, dass Otome hier her gekommen war. Immerhin konnte sie selbst ausgezeichnet kochen, zumindest würde sie das von sich behaupten. Bisher waren zumindest weder Miwako noch sie vom Stuhl gefallen weil etwas ungenießbar war. „Meine Schule liegt auf dem Weg... also lass uns gemeinsam laufen.“ Ein niedliches Lächeln lag auf Nanakos Lippen. Es erwärmte Otomes Herz allgemein, denn es war nun das erste Mal, dass sie sich in der Familie Dojima wirklich von allen Mitgliedern willkommen fühlte. Wahrscheinlich würde das Jahr doch nicht so unerträglich werden, wenn wenigstens ihre kleine Cousine schon so schnell warm mit ihr wurde. Freundlich erwiderte Otome das Lächeln und griff zu ihrem Besteck. Heute schmeckte das Essen in der Kleinstadt ganz besonders gut. Laut und rauschend prasselte der Regen auf auf Nanakos und Otomes Schirme. Das Wetter war heute wirklich mies und eigentlich hätte sie sich für ihren ersten Tag besseres Wetter gewünscht. Doch mit Nanako an Ihrer Seite, selbst wenn sie bis zum Samegawa Überflutungsgebiet schwieg, machte es ihr das alles nichts aus. „Du musst hier gerade aus weitergehen...“ Mitten auf dem Weg blieb Nanako stehen und wies Otome in die Richtung, in die sie noch gehen musste, wenn sie die Yasogami High School erreichen wollte. „Meine Schule liegt in dieser Richtung. Bis dann.“ Mit einem freundlichen Lächeln wandte sich Nanako um und lief in die Richtung ihrer Schule. Sie musste also doch noch den letzten Weg alleine gehen. Doch immerhin würde sie am Abend vielleicht ihre lächelnde Cousine begrüßen. Das war wohl der einzige Lichtblick an diesen trüben, verregneten Tag. Als Otome an der Kreuzung vor ihrer neuen Schule quietschende Geräusche hörte wandte sie sich um und erkannte einen Jungen auf seinem Fahrrad, dessen Koordination wohl nicht die beste war. Er hatte das Problem das Gleichgewicht zu halten, weil ein Schirm in seiner Hand ihn vor den Regen schützen sollte. Sie an seiner Stelle hätte auf den Schirm verzichtet und sich einen Regenmantel übergeworfen, aber scheinbar kannte man so etwas in der ländlichen Gegend nicht. Es verwunderte sie daher nicht, als er gegen einen Laternenpfahl fuhr und sich augenscheinlich sehr verletzte. Zumindest konnte sie sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen und Laute von ihm vernehmen, die sehr offensichtlich machten, dass er gerade die Qualen eines Mannes litt, der sich die Kronjuwelen gestoßen hatte. Nur kurz sah sie zu dem Jungen, dessen oranges Fahrrad bemitleidenswert am Boden lag. Auch wenn sie kurz überlegte, ob sie den Jungen ansprechen sollte, entschied sie sich weiterzugehen. Mit Sicherheit wollte ein Junge gerade jetzt nicht wissen, oder hören, dass ein Mädchen ihn bemitleidete. Mitleid, dass war das richtige Wort, das Otome für sich empfand, als sie das Lehrerzimmer betrat und sie sogleich von einem Lehrer mit vorstehenden Zähnen angemault wurde. Kein Guten Morgen, kein Fragen wer man war. „Na endlich bist du da? Ihr Stadtkinder wisst nicht, was Pünktlichkeit ist. Du mit deiner verrotteten Moral wirst hier nicht sehr weit kommen, versuch also gar nicht erst den Jungs hier den Kopf zu verdrehen. Du mit deinen kurzen Röcken und den überschminkten Gesicht. Ich behalte dich im Auge.“ Irritiert sah Otome den Lehrer an, der scheinbar glaubte, sie sofort durchschaut zu haben. Das seine Worte übertriebener Unsinn war, stand außer Frage, denn sie benutzte kein Make-Up. Sie hatte nicht einmal in der Stadt viel davon gehalten sich mit Farbe zu beschmieren um ihr äußerliches zu verfälschen. Ebenfalls hatte sie noch nie einem Jungen den Kopf verdreht. Zumindest war ihr nicht einmal bekannt, dass sie jemals einen Freund hatte. Woher wollte dieser Lehrer also soviel von ihr wissen? „Na na, Herr Morooka. Beruhigen sie sich. Lernen sie Narukami-san doch erst einmal kennen, bevor sie sich hingeben auf wilde Gerüchte und Klischees zu hören.“ Dankbar lächelte Otome einer Frau zu, die sich zu ihrem Kollegen umgewandt hatte. Normal war diese auch nicht, immerhin trug sie einen Kopfschmuck, der sehr ägyptisch anmutete. Vielleicht war sie auch einfach nur eine Geschichtslehrerin, die sich gerade genauer mit Ägypten befasste und ihren Schülern erklären wollte, wie schwer dieser goldene Kopfschmuck war. Zumindest versprach so etwas einen äußerst informativen Unterricht, von dem Otome hoffte, dass sie ihn bei dieser Frau haben würde. „Na schön. Komm mit. In meiner Klasse gibt es kein zu spät kommen.“ Zum dank, dass die Frau sie davor bewahrt hatte sich noch mehr von dem Unsinn Morookas antun zu müssen, nickte sie ihr zu und folgte dem Lehrer, der mit den Händen in den Hosentaschen, lustlos seinen Weg zu seiner Klasse angetreten war. Doch noch immer fragte sie sich, woher dieser Mann wusste, dass sie zum einen die Neue war und zu anderen in seine Klasse gehörte. Sie war nicht einmal dazu gekommen, ihren Namen zu nennen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie die einzige Neue in dieser Stadt war. „Okay, haltet eure Klappen!“ Kaum das Morooka den Klassenraum betreten und das Gehör der Schüler gefordert hatte, wurde es still. Otome konnte sich so schon einmal ein Bild davon machen, inwieweit die Klasse gehorsam war oder nicht. „Ich bin Kinshiro Morooka und von heute an eurer Klassenlehrer. Kommen wir zuerst zum Wichtigsten. Nur weil es Frühling ist, bedeutet es nicht, dass ihr wie verrückte verliebte Paradiesvögel füreinander schwärmen dürft. Solange ich in der Nähe bin, seid ihr so rein wie frisch gefallener Schnee. Und nun, weil ich es hasse Zeit zu verschwenden, stelle ich euch die neue Schülerin vor. Diese traurige Gestalt wurde aus ihrer großen Stadt in die Mitte von Nirgendwo geworfen, als wäre sie Abfall. Und sie wird hier genauso ein Flittchen sein, wie sie es dort war. Ihr Jungs kommt also besser nicht auf die Idee sie anzumachen. Nun sag ihnen deinen Namen und mach schnell!“ Wütend darüber, dass ihr neuer Klassenlehrer scheinbar nichts besseres zu tun hatte als böse Gerüchte über sie zu verbreiten, sah sie zu dem Menschen, der äußerlich genauso widerlich erschien wie er auch in seinem Inneren war. „Wen nennen Sie hier ein Flittchen?“ Sicher, Otome wusste, dass man nicht soviel auf äußeres geben durfte, was sie bei Morooka tat, aber sie fühlte sich im Recht. Zum einen war er nicht besser, auch wenn sie nicht wie ein leichtes Mädchen aussah, und zum anderen war er einfach nur unerträglich Sie merkte nicht einmal in ihrem Zorn, dass ihre Klasse voller Bewunderung zu ihr aufsah. Scheinbar hatte noch nie jemand dieser Kröte auch nur die Meinung gesagt. „Okay, das reicht. Du kommst, ab sofort wirksam, auf meine Abschussliste. Also hör zu. Du bist Kilometer von deiner großen Stadt mit all ihren Perversen und Arschlöchern entfernt. Und das mehr als auf nur einer Weise. Du denkst besser nicht einmal im Traum daran hier mit den Jungs anzubandeln. Aber was weiß ich schon... Es ist nichts so wie in den alten Tagen. Die Kinder von heute werden so verdammt groß. Jedes Mal wenn ich euch den Rücken zuwende, spielt ihr mit euren verdammten Handys, überprüft eure Weblogs und eure My-wasauchimmer.“ Schnell hatten sich Morookas Warnungen, die sich ausschließlich auf Otome gestützt hatten nun auf die gesamte Jugend von heute verlagert. Scheinbar war das Problem Morookas nicht Otome, sondern die gesamte Jugend, was schon sehr prägend für seinen Charakter war. „Entschuldigung, darf die neue Schülerin neben mir sitzen?“ Otome fiel sofort das Mädchen im grünen Oberteil auf. Sie unterschied sich wirklich von den anderen und es wunderte sie, als Morooka einfach zustimmte, ihr ein paar Beleidigungen entgegenwarf, und scheinbar nicht einmal auf die Mitschülerin in grün achtete. Irgendwie war ihr Klassenlehrer schon ein sehr oberflächlicher Mann. „Er ist wirklich das Schlimmste, oder?“ Verwundert sah Otome zu dem Mädchen, dass nun ihre Banknachbarin war. Stumm nickte sie, denn sie wollte nicht gleich noch fürs schwatzen erwischt werden, auch wenn sie nicht glaubte, dass es für Morooka einen Unterschied machen würde ob sie wirklich schwatzte, oder nicht. Sie stand immerhin auf seiner Abschussliste. „Das ist Pech, dass du in diese Klasse gekommen bist. Aber nun hängen wir hier ein Jahr lang gemeinsam rum.“ Erst jetzt wurde Otome bewusst, dass sie diesen Kerl, wirklich ein Jahr lang ertragen und sich wahrscheinlich seine unbestätigten Beleidigungen anhören müsste. Wenn er Glück hatte, würde sie ihm bis Ende des Schuljahres nicht umbringen. Und wenn sie es nicht tat, dann vielleicht einer ihrer Klassenkameraden, denn das Getuschel, dass lauter wurde, ließ sie nur zu deutlich vernehmen, dass sie nicht die einzige war, die mit Morooka alles andere als zufrieden war. „Haltet eure Klappen! Ich werde eure Namen aufrufen und ich erwarte verdammt nochmal, dass ihr mir auf vernünftiger Weise antwortet.“ Stille kehrte ein und zurück blieb nur noch Morookas Stimme, der Name für Name von seiner Liste ablas. Ihr Blick wandte sich immer an die angesprochene Person, denn sie wollte sich schnell in diese Gemeinschaft integrieren, oder zumindest nicht so schnell gesellschaftlich abstürzen, dass sie zu einem Einsiedler mutierte. Ohne ein vertrautes Gesicht, würde sie es sicher nicht leicht haben, sich in einem Jahr hier heimisch zu fühlen. Miwako war schließlich nicht hier. „Das war's für heute. Der normale Unterricht beginnt Morgen.“ Schnell hatte Morooka seine Tasche gepackt und war bereit das Zimmer zu verlassen. Wahrscheinlich war er genauso wenig scharf darauf noch mehr Zeit mit dieser verdorbenen Jugend zu verbringen, wie diese mit ihm verbringen wollte. Doch anders als ihr überaus charmanter Lehrer zeigten sie es nicht so deutlich und bildeten in ihren Grüppchen kleine Konversationsgruppen. „Achtung an alle Lehrer! Bitte melden Sie sich umgehend beim Lehrerzimmer für eine kurzfristige Lehrerversammlung. Alle Schüler müssen zu ihren Klassenräumen zurückkehren und dürfen das Schulgelände nicht verlassen bis weitere Informationen folgen.“ Na super. Das hatte Otome ja noch gefehlt. Sie hatte gerade ihre Tasche gepackt und war in Gedanken schon aus der Klassenzimmertür rausgegangen als eine Mitteilung der Schulleitung erfolgte und die wildesten Fantasien der Schüler anzuregen drohte. „Ihr habt es gehört. Macht nichts, bevor man euch was anderes sagt.“ Ärger erklang in Morookas Stimme. Sicher hatte er sich seinen Nachmittag auch anders vorgestellt. Aber da waren Otome und er sich ausnahmsweise mal einig, denn sie verbrachte ihre Zeit auch viel lieber woanders als hier in dieser Klasse, in der bereits lautstark irgendwelche Gerüchte über die Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano ausgetauscht wurden. In so einer Kleinstadt war Klatsch und Tratsch eben nur normal und wahrscheinlich musste sie sich erst einmal daran gewöhnen. „Achtung an alle Schüler. Es gab einen Vorfall innerhalb des Schulbezirks. Polizisten wurden innerhalb des Gebietes positioniert. Bitte bewahrt Ruhe und kontaktiert eure Eltern oder Aufsichtspersonen so schnell wie möglich und verlasst schnellst möglichst den Schulbereich. Stört nicht die Polizisten. Geht direkt nach Hause.“ Es hatte etwas erleichterndes als Otome die Stimme der Ansage vernahm. Endlich konnte sie zurück zu ihrem neuen Heim, weg von Morooka und vorallem weg von den ganzen Gerüchten, die ihr diese Stadt alles andere als sympathisch machten. Sie verabschiedete sich noch von den beiden Mädchen ihrer Klasse, mit denen sie so etwas wie ein Gespräch angefangen hatte und packte endgültig ihre Tasche. „Hey, gehst du alleine nach Hause?“ Verwundert sah Otome zu ihrer Banknachbarin auf, die scheinbar ein großes Interesse an ihr hatte. Warum war ihr nicht klar, aber sie fühlte sich schon irgendwie wie ein Affe im Käfig. Wahrscheinlich war das für jeden Neuen eine Hürde sein, die er nehmen musste. „Warum kommst du nicht mit uns? Oh, ich hätte es fast vergessen. Ich bin Chie Satonaka. Du weißt schon, deine Banknachbarin.“ Verstehend nickte Otome und sah zu dem Mädchen im roten Oberteil, das ihr nur einen entschuldigenden Blick zuwarf. Wahrscheinlich war es ihr selbst etwas unangenehm, dass ihre Freundin so ungefragt die Initiative ergriffen hatte. „Nun, es ist schön dich kennenzulernen. Das hier ist Yukiko Amagi.“ Es wurde immer deutlicher, dass Yukiko einfach nur ihrer Freundin gefolgt war und nun erkannte wie unangenehm diese Situation war. Etwas, dass Chie scheinbar selbst nicht erkannte. „Oh, es ist schön dich kennenzulernen. Tut mir leid, dass das alles so plötzlich kommt...“ „Komm schon, entschuldige dich nicht. Das lässt mich so aussehen, als hätte ich nichts anderes zu sagen. Dabei wollte ich etwas fragen. Wirklich, das ist alles.“ Otome wollte gerade, da es scheinbar auch Chie unangenehm wurde, erwidern, dass es für sie okay war, doch der Junge, der sich am morgen aufs schmerzhafteste verletzt hatte, kam ihr dazwischen. Es war unübersehbar, dass er und Chie sich doch schon etwas besser kannten, zumindest zeigte sich ihr das dadurch, dass er dem Mädchen eine geborgte DVD zurückgeben wollte. Doch noch etwas anderes schwang in seiner Stimme mit. So etwas wie Angst. „Und... Es tut mir wirklich leid! Es war ein Unfall! Bitte zeigen sie Erbarmen bis zu meinem nächsten Gehaltsscheck.“ Eindeutig, er hatte was zu verbergen, denn kaum das Chie ihre DVD entgegen genommen hatte, gab der Junge Fersengeld. Doch er war nicht schnell genug, denn Chie schien sein Spiel durchschaut zu haben, bemerkte die zerbrochene DVD und lief ihm hinterher. 'Bis einer weint...', dachte sich Otome und just in diesem Moment, lief ihr Klassenkamerad unbedacht gegen einen der Schülerpults und verzog voller Schmerzen das Gesicht. 'Wusste ich es doch.' „Was zum? Ich kann es nicht glauben, sie ist kaputt... Mein Trial of the Dragon.“ Chies Stimme klang genauso weinerlich, wie Miwakos, wenn sie wieder einmal nicht ihre Lieblingszeitschrift bekommen hatte. Wenigstens etwas war hier vertraut. Die weinerliche Stimme einer Freundin. Wobei Chie wohl eher nicht als Freundin gesehen werden konnte, da sie sich erst seit wenigen Minuten kannten. „Ich denke meine Nüsse sind auch zerbrochen... Ein kritischer Treffer...“ Schon bei seinen Anblick schmerzte es Otome, doch da es scheinbar Chie nicht wirklich interessierte und Yukiko ihrer besten Freundin gehorsam folgte, als diese meinte, man solle sich nicht um ihn kümmern, entschied auch Otome, dass es besser war, wenn man dieses Drama ignorierte und sich um seine eigenen Sorgen kümmerte. Nur schnell nach Hause, das hatte Otome sich gedacht, als sie aus dem Schulgebäude gekommen war. Doch erneut wollte das Schicksal ihr einen Strich durch die Rechnung machen, als am Tor sich eines der wohl unschönen Gesichter Inabas präsentierte. „Du bist Yuki, oder? W-Willst du mit mir irgendwohin gehen?“ Ein kalter Schauer lief Otome über den Rücken, als sie diese Szene beobachtete. Sicher, es kam auf die inneren Werte an, aber die Aura des Verehrers von Yukiko war gruselig. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sein äußeres nicht gerade das war, was Otome vorschwebte, wenn sie an ihren Traumprinzen dachte. „W-Was? W-Wer bist du?“ Okay, gerade wurde es noch besser. Yukiko kannte diese Horrorgestalt nicht. Und dennoch hatte er sie so vertraut angesprochen, als würden beide sich schon ewig kennen. 'Einfach ignorieren und weitergehen' Ja, dass wäre Otomes Variante gewesen, was sollte immerhin passieren. Nun gut er hätte ihr nachlaufen können, aber als Mädchen war sie aerodynamischer. „Ähm... kommst du nun oder nicht?“ Da Otome in ihren Gedanken etwas weiter abgedriftete war und sich vorgestellt hatte, wie sie vor dieser Gruselfigur davonlief, hatte sie nicht bemerkt, wie ihre Klassenkameraden von der „Amagi-Challenge“ gesprochen hatten. Wahrscheinlich war das auch besser so, denn auf die Gerüchteküche einer Kleinstadt stand Otome so gar nicht. Dennoch war sie dank dem Guppymann wieder in die Realität gekommen und konnte live miterleben, wie Yukiko wohl unwissend eben jenen abservierte, was den Abservierten wohl eher verärgerte. Sicher, auch sie wäre nicht begeistert gewesen, aber dennoch hätte sie bei ihrem Abgang etwas von ihrer Würde bewahrt, indem sie den Kopf stolz erhoben und weggegangen wäre. „Was wollte er von mir?“ Sowohl Chie als auch Otome konnten es nicht fassen, denn noch offensichtlicher konnte man ein Mädchen nicht um ein Date bitten. Doch scheinbar war bei Yukiko offensichtlich nicht offensichtlich genug. Oder... Otome dachte etwas nach, als auch schon ihr Klassenkamerad mit dem zerbrochenen Nüssen kam und sich wohl etwas über die Szene lustig machte, indem er von einem Liebeskummer geplagten Narren sprach und sich gleich mit diesem in ein und dasselbe Boot setzte, als er erklärte, dass sie ihn im letzten Jahr ebenso abserviert hatte. „Ich kann mich nicht erinnern das getan zu haben.“ Otome sah, wie ein Hoffnungsschimmer in den Augen ihres Klassenkamerads mit den zerbrochenen Nüssen entfacht wurde. Scheinbar sah er dies nun als seine Gelegenheit doch noch irgendwie an die unnahbar geltende Yukiko ranzukommen. War das irgendein seltsamer Volkssport in dieser Stadt? Oder waren es einfach nur die Jungs, die nicht verstanden, dass ein Mädchen, das eine Anmache nicht verstand auch kein Interesse hatte? Es war doch nur logisch, dass Yukiko den Jungen auch jetzt wieder zurückweisen würde. Es war unausweichlich und vorhersehbar. „Das wohl eher nicht...“, antwortete Yukiko und wirkte doch schon etwas traurig. Wahrscheinlich war das einfach zuviel für sie. Immerhin brachte es ihren gepeinigten Mitschüler dazu jegliche Hoffnung fahren zu lassen. Sein Leben würde weitergehen. Da Yukiko, Chie und Otome doch zuviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, waren die Mädchen schließlich zu dem Entschluss gekommen, den Tatort der peinlichen Abfuhren zu verlassen und sich auf ihren Weg nach Hause zu machen. Es war vor allem Chie, die den ganzen Weg über sprach und Otome von der Schönheit Inabas zu begeistern versuchte. Oder ihr zumindest erklären wollte, dass auch Inaba für diverse Dinge berühmt war. Doch leider, wie hätte es anders sein sollen, hatte Otome gerade von diesen Dingen noch nie etwas gehört. Außer vom Amagi-Inn, dass wohl doch schon eine kleine Berühmtheit war, wenn es darum ging, das man ein Traditionsverbundenes Inn besuchen wollte. Immerhin, Otomes Bildung in Sachen Ländlichkeit war nicht ganz so mangelhaft wie man es vermuten konnte. „Was? Es ist nur ein altes Inn.“ Verwundert hob sich Otomes Augenbraue auf Yukikos Worte. Sie spielte ihr sogenanntes „altes Inn“ wirklich runter. Und das war wirklich seltsam. Fast so, als läge ihr nichts an dem Familienunternehmen. Dabei sollte es gerade Yukiko sein, die mit stolz von ihrem Inn sprach, und nicht Chie. Doch schnell versuchte Chie diesen negativen Kommentar wieder aufzupolieren, indem sie erwähnte, dass gerade dieser Stolz Inabas in allen möglichen Arten von Magazinen abgebildet wurde und das man fast schon mit Begeisterung darüber berichtete. Otome war die letzte, der man das erzählen musste, schließlich kannte sie das Inn aus diversen Reisemagazinen. Und um Yukiko noch vollkommen in Verlegenheit zu bringen, oder sie davon abzulenken ihr Inn noch schlechter zu machen, kam Chie schnell auf ein anderes Thema. „Also sag schon. Ist Yukiko nicht eines der elegantesten Mädchen, die du je gesehen hast?“ Erneut hoben sich Otomes Augenbraue. Wahrscheinlich konnte sie diese weiter oben fest tackern, denn sie bezweifelte, dass dies das letzte Mal sein würde. Wie kamen nur diese Landmenschen auf solche Fragen? Oder war das einfach nur der sogenannte Landslang? Otome konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch sie wollte auch Chie keine Antwort schuldig bleiben und nickte zaghaft. Ein Fehler, denn sie hatte Yukiko mit Sicherheit nicht in Verlegenheit bringen wollen. „Sie ist wirklich beliebt in der Schule. Aber sie hatte noch nie einen festen Freund. Das ist doch seltsam, oder?“ Ja, sie hätte sich die Augenbrauen wirklich an der Stirn fest tackern können. Die Bewohner Inabas waren wirklich seltsam. Für sie war es alles andere als seltsam, dass die Erbin des Amagi-Inns noch keinen festen Freund hatte. Otome selbst war in der Hinsicht auch noch vollkommen unerfahren. Es gab sicher wichtigere Dinge als einen festen Freund. Es gab eben ein paar Spätzünder. Außerdem war es wesentlich besser als eben jene Mädchen, die jeden Tag einen neuen Kerl an der Angel hatten oder ihre festen Freunde wie die Unterwäsche wechselten. Doch Chie wollte sie das nicht auch sagen. Wer wusste schon, wann sie Otome als „seltsam“ abstempelte. Wer solche Freunde hatte, brauchte keine Feinde. „Also, die High School Schülerin hat die Schule früher verlassen, und als sie die Straße hier entlang kam...“ Die kleine Gruppe von Mädchen blieb stehen, als sie die tratschenden Damen hörten, die vor einem abgesperrten Tatort standen. Es war eindeutig das hier etwas passiert war, denn das Polizeiaufgebot schien nicht klein zu sein. Es schien sich also um etwas großes zu handeln. Und wenn Otome ehrlich war, wollte sie nur zu gerne wissen, was passiert war. 'Das Kleinstadtleben steckt mich schon an.' Unglaublich. Dabei war nicht einmal ein Tag vergangen. Warum interessierte sie so etwas? „Nun, ich denke, dass es furchterregend ist. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet hier ein toter Körper aufgetaucht ist.“ Otomes Magen schlug einen Salto. Selbst in der großen Stadt, zumindest in dem Viertel in dem sie lebte, waren Leichen so selten, dass es eigentlich gar keine gab. Und nun, ausgerechnet hier, in dieser verschlafenen Kleinstadt, einen Tag nach ihrer Ankunft, wurde sie mit so etwas konfrontiert. 'Moment, war Onkel Dojima nicht ein Cop?' Suchend versuchte sie durch die Menge Schaulustiger zu sehen. Sie hoffte ihren Vormund zu erspähen, doch die Mühe machte sie sich vollkommen umsonst, als der unrasierte Klischeecop auch schon auf die Mädchen zukam. Super. Der Tag war einfach nur super. „Hey, was macht ihr hier?“ Er war durch und durch ein Cop. Versessen auf die Regeln und wahrscheinlich auch misstrauisch. Otome wusste, dass sie besser nichts sagte, was in irgendeiner Weise sein Misstrauen weckte. „Wir sind hier nur vorbei gekommen.“ Etwas schmollendes, fast schon rebellisches lag in Otomes Stimme. War es jetzt schon ein Verbrechen nach Hause zu gehen? Wenn ja, dann sollte Dojima sie gleich in den nächstbesten Bau werfen. „Was? … Ich hätte wissen sollen, dass das passiert.“ Immerhin, ihr Onkel war einsichtig, so dass sie nicht befürchten musste, sich noch eine Standpauke anzuhören, weil sie seinen nicht vorhanden gewesenen Anleitungen nicht gefolgt war. „Dieser verdammte Direktor... Wir haben ihm gesagt sie hier nicht durchzulassen.“ Ein fragender Blick von Chie, mit der dazugehörigen Frage, machten sowohl Dojima als auch Otome klar, dass sie scheinbar nicht von allein bemerkte, dass sie sich doch schon besser kannten, oder ihre Art miteinander zu kommunizieren, vertrauter war als zwischen zwei Fremden. „Ich bin Detective Dojima. Ihr Vormund. Nun... wie soll ich das sagen. Ich hoffe ihr kommt gut mit ihr aus. Dennoch solltet ihr drei aufhören herumzulungern und nach Hause gehen.“ Dojima hatte sich gerade von den Mädchen abgewand und wollte sich wieder seiner Arbeit widmen, als ein junger Kriminalbeamter an ihm vorbeilief und seinen Mageninhalt in einer ungesehenen Ecke verteilte. Nun war Otome sich sicher, dass die Leiche wirklich in keinen guten Zustand war und nicht sehr appetitanregend war. Es war wohl besser, dass die Polizei sie bereits abgenommen hatte. So konnte Otome hoffen, dass sie das Abendessen doch noch genießen konnte. Zuhause sah Otome das gewohnte Bild. Zumindest war es schon nach diesem einen Tag so vertraut geworden, dass es sie nicht überraschte, dass Nanako wieder vor dem Fernseher hing und sich vom Stumpfsinn der Medien berieseln ließ. Eigentlich hatte sie die Gerüchte über die Generation Fernsehen, also jene Kinder, die von der Glotze erzogen wurden, nicht glauben. Aber Nanako war irgendwie der lebende Beweis. Immerhin reagierte die Kleine auf die Tür und erhob sich sofort. Doch die Hoffnung vom Morgen, dass sie warm miteinander werden würden, war gestorben. Denn wie schon am Abend zuvor, war die Atmosphäre doch eher unterkühlt und nicht einmal der angebotene Tee konnte das noch ändern. Aber immerhin, ein Tee. Vielleicht half er ja doch. „Ich frage mich, ob Papa heute wieder nicht nach Hause kommt...“ In der Stimme ihrer Cousine schwang etwas Trauer mit und Otome ärgerte sich, dass sie Dojima nicht noch am Nachmittag gefragt hatte, ob er denn nach Hause kommen würde. Wahrscheinlich hätte sie das Mädchen mit einer Antwort etwas glücklicher machen können. Stattdessen musste der Fernseher Aufklärungsarbeit leisten, indem er den Fall vom Nachmittag erläuterte. Nun hatte das Opfer für Otome auch ein Gesicht. Die Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano und es war die Abteilung in Inaba, die sich dieses Mordes angenommen hatte und nun nach dem Täter ermittelte. Nanako wusste sofort, was das bedeutete und die Sorge in ihren Augen blitzte nur zu deutlich hervor. Diesen Kummer konnte sie nicht verbergen. „Es wird alles gut.“ Ruhig und aufmunternd lächelte Otome ihre Cousine an. Doch im Gegensatz zu anderen Kindern, hellte sich ihre Mimik nicht auf. Wahrscheinlich war sie es einfach gewohnt, weswegen sie Otome die Worte nicht glaubte, aber dennoch nickte, um nicht unhöflich zu sein. Bedrückt sah Otome auf ihren Becher Tee. Sie wollte die Kleine aufmuntern und dachte darüber nach wie, doch der Fernseher hatte scheinbar genau die richtige Antwort, denn ein Werbespot von Junes erhellte sofort die Miene des Mädchens, das begeistert, wie schon am Abend zuvor, die Melodie mitsang. Sie musste sich das unbedingt merken. Vielleicht konnte sie ja irgendwann mal selbst die Stimmung heben, indem sie einfach den Werbejingle sang. TICK TACK TICK TACK. Klar und deutlich vernahm Otome die Uhr in ihrem Zimmer. Ihr Blick war starr auf das Display ihres Handys gerichtet. Sie hoffte, obwohl es schon weit nach Mitternacht war, dass ihre Freundin Miwako doch noch schrieb. Doch nichts. Otome war unsicher, denn sie fühlte sich hier so alleine und wünschte sich eigentlich die Stimme einer vertrauten Person zu hören. Doch alles was sie hörte, war die Zimmeruhr. TICK TACK TICK TACK. Würde Miwako noch antworten? Sollte sie vielleicht noch einmal schreiben? War die letzte SMS überhaupt angekommen? Sie wusste es nicht. Und dennoch, beschlich sie die Angst. Was wenn Miwako nicht mehr antworten wollte? Was, wenn ihr etwas passiert war? Sollte sie anrufen? Nein... Um diese Uhrzeit schlief Miwako sicher. Erneut drückte Otome einen Knopf auf dem Handy, sodass ihr Display sich erhellte. Sie hatte Empfang, daran konnte es also auch nicht liegen. Ihre Nummer war auch aktiv. Immerhin hatte sie die SMS ihrer Eltern erhalten. Irgendwie hatten sie die Zeit gefunden ein „Wir lieben dich, mach meinem Bruder keinen Ärger.“ zu schreiben. Liebevoll. Aber von Miwako, gab es nichts. 'Kein Grund zur Panik. Ihr seid erst einen Tag voneinander getrennt. Wahrscheinlich genießt sie es erst einmal, dass du nicht mehr da bist.' Ein seichtes Lächeln huschte Otome bei diesem Gedanken übers Gesicht. Genau. Sicher genoss Miwako erst einmal die Otome-freie Zeit. Irgendwann, wenn sie Sehnsucht nach ihr bekam, würde sie sich melden. Das konnte höchstens ein paar Tage dauern. In ein paar Tagen konnte sie sich wieder Sorgen um Miwako machen. Erst einmal musste sie sich noch in Inaba einleben. Der Rest war vorerst unwichtig. Allerdings... Otome legte das Handy weg. Gute schlafen würde sie heute sicher nicht. Immerhin gab es da noch diesen Mord, der ihr nicht aus dem Sinn wollte. Diese Nachrichtensprecherin, war Kopfüber auf einen Dach aufgehängt wurden. Was hatte das zu bedeuten? Wozu machte sich ein Täter soviel Mühe, eine Leiche zu drapieren, wenn es doch dazu führen konnte, dass man ihn entdeckte? Otome verstand es nicht. Aber sie musste es auch nicht verstehen. Immerhin war das die Arbeit ihres Onkels und der Polizei. Dennoch, irgendetwas störte sie. Und dieses Etwas nagte auch noch lange an ihr, bis sie eingeschlafen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)