My other Self von Erenya (Persona 4 Golden mit weiblichen MC) ================================================================================ Kapitel 4: Inside the TV ------------------------ April 14 Es war der 14. April, als Otome erwachte und der Regen immer noch grausam gegen ihre Fensterscheiben hämmerte. Ihr Kopf schmerzte und sie wurde das Gefühl nicht los, überhaupt nicht geschlafen zu haben, obwohl sie nach dem Vorfall, um Mitternacht, ohne große Probleme eingeschlafen war. Von den Schmerzen ihres Kopfes gepeinigt, griff Otome nach ihrem Handy um zu sehen wie spät es war. Sechs Uhr morgens. Wer hätte das gedacht. Und obwohl der Morgen alles andere als gut begonnen hatte, schlich sich ein Lächeln auf Otomes Gesicht. Sie hatte eine SMS. Und sie war von Miwako. Rufe dich später an. Das neue Schuljahr hat stressig begonnen. Halt die Ohren steif. Miwa Das Lächeln verstarb, als sie die Zeilen las. Vielleicht war sie ja etwas egoistisch, aber sie hätte sich von ihrer besten Freundin doch ein paar mehr und vor allem aufbauendere Worte gewünscht. Vielleicht auch eine kleine Notiz, was bei ihr genau los war. So hingegen wirkte die Nachricht lieblos, fast so, als wollte Miwako Otome nur damit abspeisen um ihre Ruhe zu haben. Nein, dass würde ihre Freundin niemals tun. Energisch schüttelte Otome diesen Gedanken ab und antwortete auf die ihr gesandte Nachricht. Ich freue mich auf deinen Anruf. Ich habe dir soviel zu erzählen. Oto Otome biss sich etwas auf die Unterlippe. Ihre Nachricht klang wahrscheinlich genauso unpersönlich und lieblos wie die von Miwako, doch in Anbetracht ihrer Kopfschmerzen war das nur verständlich. Sie tat sich schon schwer das bisschen Konzentration für diese Zeilen zusammen zukratzen. Sie brauchte wirklich dringend eine Kopfschmerztablette. Seufzend erhob sich Otome und schälte sich aus ihrem Futon. Der Weg zum Bad erschien ihr heute mit einem mal so ungemütlich weit. „Perfektes Timing. Machst du bitte etwas Platz.“ Obwohl sich Otome eine Kopfschmerztablette organisiert hatte und der pochende Schmerz allmählich nachließ, verzog sie murrend das Gesicht, als sie Chies Stimme vernahm. Sie klang plötzlich so unerträglich, genauso wie der Regen, der auf ihren durchsichtigen Regen prasselte. Allerdings hatte sie sich an diesen bereits gewöhnt. Anders als an Chie, die angerannt kam und sich neben sie unter ihren Schirm gesellte. „Danke.“ Von oben bis unten war Chie durchnässt und Otome konnte nicht umhin zu fragen, warum sie ohne Schirm das Haus verlassen hatte. Immerhin hatte es schon den ganzen Morgen geregnet und sollte somit nichts für ihre Klassenkameradin gewesen sein. Chie bemerkte scheinbar ihren fragenden Blick und lächelte verlegen, als sie zu ihrer Erklärung ansetzte. „Ich habe einen Schirm, aber ich habe einen Kung Fu Film gesehen, in dem sie mit für einige tolle Techniken einen Schirm benutzt haben. Und... Ich habe meinen zerbrochen, als ich versucht habe diese Techniken zu kopieren.“ Ein Seufzen kam über Otomes Lippen. Irgendwie war es ihr doch klar gewesen, dass der Grund irgendetwas damit zu tun hatte. Doch innerlich hatte sie gehofft, dass er etwas dramatischer sein würde, wie zum Beispiel, dass Chie beim Training darauf gefallen wäre. Aber selbst das wäre wohl zu Klischee gewesen und besser in einem Spiel oder Anime aufgehoben gewesen. „Ach ja, hast du es gesehen?“ Noch am Morgen als Otome das Haus verlassen hatte, hatte sie drauf gehofft, dass Chie es vielleicht vergessen hatte und ihr die Rekapitulation ihres wohl peinlichsten Erlebnis im Leben erspart geblieben wäre. Doch zu früh gefreut. Natürlich hatte das Kung-Fu-Mädchen es nicht vergessen. „Aber die Person die gezeigt wurde... Egal. Ich erzähle es später, wenn auch der Rest da ist. Wir kommen sonst zu spät zur Schule.“ Erleichterung machte sich, für Chie nicht deutlich sichtbar, in Otome breit. Sie hatte eine Schonfrist bekommen und musste sich noch nicht jetzt blamieren. Sie hatte so gesehen noch genug Zeit ihre Geschichte so gut zurecht zulegen, dass sie nur halb so peinlich, wenn auch nicht mehr glaubwürdiger klang. Es war ein nervöses Zucken, das Otomes Augenbraue plötzlich zum Besten gab, als sie ihre Geschichtslehrerin, Kimiko Sofue zu Gesicht bekam. Abnormalität bei den Lehrern war in einer Kleinstadt wohl vollkommen normal. Ihr Klassenlehrer war ein Pferdegesicht und die Geschichtslehrerin ein fanatischer Ägyptenfan. Zumindest deuteten die Pharaonen Artefakte daraufhin. „Da dies meine erste Stunde im neuen Semester ist, fange ich mit einer leichten Frage an. Wie wäre es mit unserer neuen Schülerin Narukami-san? Bitte steh doch auf. Der westliche Kalender basiert auf das Anno Domini, dem Jahr, von dem man traditionell glaubt, dass Jesus Christus geboren sei. Wie wird das Jahr vor 1 AD genannt?“ Obwohl Otome von den pharaonischen Insignien abgelenkt gewesen war, hatte sie sich wie von selbst von ihrem Platz erhoben und lauschte der für sie bestimmten Frage. Sie war wirklich einfach, was Otome fast schon verwunderte. Wenn Fragen dieses Kalibers dem Standard der ländlicheren Kleinstadtschulen entsprachen, konnte das ja noch richtig heiter werden. Aber gut, sie wollte das Spielchen mitspielen und unter Beweis stellen, dass Großstädter etwas auf den Kasten hatten. Hier ging es schließlich um Ehre. Ihre eigene und die ihrer geliebten Heimat. „1 BC“, antwortete sie kurz und bündig, ohne zu großen Erklärungen anzusetzen. Immerhin hatte man ihr in der Schule gesagt, dass man nur auf Fragen antworten sollte, die auch gestellt waren. In der Regel nickten dann die Lehrer, man setzte sich hin und erfreute sich an den bewundernden Gemurmel der anderen Klassenkameraden. Aber auch hier unterschied sich die Schule. Zwar wurde sie für die richtige Antwort gelobt, doch das Gemurmel blieb aus, oder ging unter den Ausführungen ihrer Lehrerin unter. Vielleicht musste sie sich auch daran gewöhnen, dass die Lehrer dieser Schule sich gerne reden hörten. Es gab nur ein Thema, dass an diesem Tag die Schule beherrschte. Die Leiche die von einer Antenne hing und Saki Konishi die wohl die Leiche gefunden hatte. Wenn das wirklich stimmte, hatte sie Mitleid mit ihrer Senpai. Vor ihrem inneren Augen konnte sie immerhin selbst die Absurdität des Tatorts sehen und gerade in einer so verschlafenen Kleinstadt, musste dieser Anblick traumatisierend gewesen sein. Wobei, so eine Szene wäre selbst für einen hartgesottenen Großstädter alles andere als normal oder gewohnt gewesen. Nur zu gut erinnerte sich Otome noch, wie es sie damals verstört hatte, als ein Schüler sich vor ihren Augen vor die anfahrende Untergrundbahn geworfen hatte und sein Körper wie eine Tomate aufgeplatzt war und seinen Saft verteilt hatte. Sie war damals gerade einmal sechs Jahre gewesen, doch von Jahr zu Jahr, gewöhnte sie sich mehr an so einen Anblick. Er war fast schon normal, wenn auch nicht alltäglich. Anders als hier, wurden solche Themen auch nicht ausgeweitet und tagtäglich durchgekaut. Am Abend lief ein kurzer, nichtssagender Bericht über solche Geschehnisse. Die Person und ihre Hintergründe blieben verschleiert und geriet schon am nächsten Tag in Vergessenheit. Hier allerdings, wurde förmlich das gesamte Leben der Nachrichtensprecherin ausgeweitet. Wann sie ihre Arbeit antrat, wie beliebt sie war, was mögliche Affären gewesen sein konnten und natürlich ihre Affäre mit Taro Namatame. Es war absolut widerwärtig, dagegen wäre es doch besser gewesen, wenn sie wie die Großstadtopfer schnell in Vergessenheit geriet. Genauso hätte dann auch Saki Konishi anonym bleiben können. Niemanden hätte interessiert, wer die Leiche gefunden hatte. Niemand auch nur ein Wort darüber verloren. „Hey, ähm... Es ist... nun... nicht wirklich so wichtig, aber... Gestern habe ich im Fernsehen.... Also... Egal. Ich erzähle es dir später.“ Verwundert sah Otome zu Yosuke auf, der sich zusammen stotterte, was er ihr sagen wollte. Letzten Endes blieb es erfolglos, denn sie verstand gar nichts. Wie sollte sie auch, sie war noch nicht fähig Gedanken zu lesen und selbst wenn sie es gekonnt hätte, sie wollte niemals in den Gedanken eines Jungen lesen wollen, abgesehen von denen, die ihre potentiellen Loveinterests waren. „Yosuke, hast du die Gerüchte gehört? Saki-senpai war wahrscheinlich diejenige, die die Leiche gefunden hat.“ Als wäre Otome nicht Yosukes aktuelle Gesprächspartnerin, mischte sich Chie in das Gespräch und verlangte mit nur einem Namen nach Yosukes gesamter Aufmerksamkeit. Sie war wieder vergessen, Geschichte, für einen kurzen Moment, den Chies und Yosukes Gespräch andauerte. Immerhin das unterschied sich nicht von der Großstadt. Es war ein guter Moment um abzuschalten und die Gedanken etwas streifen zu lassen, wenn die anderen sowieso nicht nach ihr verlangten. Vielleicht hatte sie Glück und beide vergaßen sie vollkommen, sodass das peinliche Erlebnis von der Nacht für immer ihr Geheimnis bleiben würde. Wobei, sie musste es den beiden ja nicht sagen. Es würde doch reichen, wenn sie einfach von dem Mädchen erzählte. „Wie sieht es bei dir aus? Hast du es gesehen?“ Es war wohl Otomes Worst Case Szenario, als Yosuke sie ansprach und in sein Gespräch mit Chie und der Sache mit dem Midnight Channel einbringen wollte. Otome hatte nicht zugehört. Sie wusste nicht, was die anderen gesehen oder getan hatte. Wenn sie jetzt nur erzählte, dass sie das Mädchen gesehen hatte und aus Scham die weiteren Details verschwieg, den anderen diese aber bekannt war, weil es ihnen auch passiert war, hätte sie ein Problem. Sie wollte nicht absonderlich sein. Sie wollte normal sein, auch wenn das was sie erlebt hatte, alles andere als unter der Definition von normal fiel. Jedoch was wenn die anderen beiden dieses Erlebnis nicht hatten? Dann galt sie auch als absonderlich. Sie hatte eine 50:50 Chance nun richtig zu liegen. Hätte sie doch nur zugehört. Sie bereute es gerade bitterlich, in Gedanken versunken gewesen zu sein. „Der Fernseher hat mich fast gefressen.“, beendete sie daher ihre Erläuterung und brachte ihren Abend so ziemlich auf den Punkt. „Klingt als hätten wir alle dieselbe Person gesehen... Aber... abgesehen von der seltsamen Stimme, wie war das doch gleich, dass dein Fernseher dich fast gefressen hätte?“ Yosukes Worte machten deutlich, dass sie sich definitiv für die falsche Version entschieden hatte. Bei Entweder-Oder Spielchen war sie noch nie sonderlich gut gewesen. Wobei sie sich wirklich dafür hasste, dass sie sich nicht für die normalerer Version entschieden hatte. Aber wenn man es so bedachte, jeder in ihrer Situation hätte wohl von der Stimme und dem Menschenfressenden Fernseher berichtet. Schließlich war ein Fernseher der sich selbst auf einen seltsamen Kanal schaltete, auch alles andere als normal. „Warst du letzte Nacht so müde, dass du vor dem Fernseher eingeschlafen bist?“, neckte Yosuke sie, was er mit einem Zwinkern deutlich machte. Das war ja klar gewesen. Und als ob der Prinz des Junes nicht reichte, sprang Chie auf den Zug auf. „Aber das muss ein sehr interessanter Traum gewesen sein. Ich meine es ist schon sehr realistisch, dass du stecken geblieben bist, weil der Fernseher zu klein war. Wenn das ein größerer gewesen wä-“ Chie stoppte und schien über irgendetwas nachzudenken, bis sie sich schließlich wieder an etwas erinnerte, was wohl bis eben gerade in Vergessenheit geraten war. Und damit war Otomes peinlichster Moment wieder unwichtig genug. Immerhin das war der Vorteil einer Kleinstadt. Otome wollte es nicht so wirklich glauben, als sie vor dem großen Fernseher in der Elektronikabteilung Junes' stand. Sie hatten ihr zwar nicht geglaubt und obwohl sie beleidigt sein sollte, hatte sie sich breitschlagen lassen mit den beiden für Chies Eltern nach einem neuen, größeren Fernseher zu suchen. In Momenten wie diesen fragte sich Otome wirklich, was mit ihr nicht stimmte. „Wow, der ist gigantisch! Und... Verdammt ist der teuer! Wer kauft sich so etwas?“ 'Auf jedenfall keine Schüler', antwortet Otome im Geiste Chie, die den riesigen Flachbildschirm anstarrte, als hätte sie zum ersten Mal einen gesehen. Vielleicht war das auch so in der Kleinstadt, für Otome war es normal, noch dazu besaßen ihre Eltern selbst so einen, der nun an ihrer heimatlichen Wand in Tokyo verstaubte. Zum Glück, sonst hätte der Fernseher sie am Abend zuvor wohl wirklich ohne Chance auf Rettung gefressen. „Keine Ahnung... Reiche Leute? Ehrlich, hier kaufen nicht viele Menschen etwas. Deswegen sind haben wir keine Angestellten hier.“ Es leuchtete schon ein, dass man in einer Abteilung ohne große Besucherzahlen auch kaum Angestellte positionierte. Noch dazu wer würde schon einfach so einen Flachbildschirmfernseher klauen wollen. Das fiel auf. Zumindest hoffte Otome für die Umsätze im Junes, dass es wirklich auffiel. „Okay, immerhin ist das angucken umsonst“, erklärte Chie und sah zu Yosuke, der sie auf seltsame Art und Weise ohne ein Wort verstand. Irgendwie unheimlich, wenn man bedachte, mit wie viel Leidenschaft sich beide bekämpften. Wahrscheinlich stimmte das Sprichwort, dass das was sich neckte wirklich liebte. „Nö, ich kann nicht rein. Damit ist das geklärt.“ „Das beweist es. Es war alles nur ein Traum.“ Einigkeit in so großen Maßen bei Yosuke und Chie. Das war Otomes persönliches Highlight. Doch gleichzeitig kränkte es sie auch. Sicher, sie selbst hatte an sich gezweifelt und die Geschichte klang auch wirklich bescheiden, aber sie war sich zu 100 Prozent sicher, dass sie das nicht geträumt hatte. Schmollend sah Otome zu ihren Mitschülern, die noch den ein oder anderen Witz rissen, schnell aber wieder zum eigentlich Thema zurückkamen. Der Tatsache, dass Chies Eltern einen neuen Fernseher kaufen wollte. Zumindest war dieses Thema für Otome nicht interessant genug, denn sie hatte ein anderes Problem. Ihr Blick glitt zu dem Fernseher, in den sie körperlich dreimal reinpassen würde. Allerdings, was wenn sie wirklich geträumt hatte, oder es nur bei ihrem eigenen Fernseher ging? Nachdenklich besah sich Otome den teuren Flachbildschirm. Sie wog alle Möglichkeiten ab, immerhin wollte sie nicht schon wieder von einer Glotze halb gefressen werden. Wer konnte ihr aber wirklich garantieren, dass es funktionierte? Immerhin hatte sich bei Chie und Yosuke nichts getan. Warum sollte sie anders sein? Vorsichtig trat Otome näher an den Fernseher und hob ihren Arm, so dass ihre Fingerspitzen nur noch weniger Millimeter von dem glatten kühlen Glas entfernt waren. Ein kurzer Augenblick des Zögerns war alles was sie sich erlaubte, ehe sie ihre Hand vor bewegte und mit dieser durch die Scheibe fasste, als wäre sie Wasser. Ihr wurde klar, dass der Abend zuvor kein Traum gewesen war, den wieder fühlte es sich nicht nass an. Anders als aber am Abend zuvor, griff dieses Mal nichts nach ihr. Es weckte diese Neugier in ihr, denn sie wollte wissen, was sie am Abend zuvor ergriffen hatte. „I-Ist ihr Arm... im Fernseher?“ Otome bemerkte die aufgeregten Worte Yosukes und Chie nur nebenher. Mit Sicherheit lachten sie jetzt nicht mehr, immerhin wurden sie gerade Zeuge von dem, was Otome bereits am Abend zuvor erlebt hatte. Otome empfand etwas wie Schadenfreude, für diesen einen, flüchtigen Moment. Schnell wurde diese aber von der Neugier überwältigt. Was war eigentlich hinter dieser wabbernden Fernseherscheibe? Sie konnte ihren Wissensdurst nicht länger im Zaum halten, sie musste einfach wissen, was hinter all dem steckte. Ohne Chie und Yosuke Antworten auf ihre Fragen zu geben, zog sie ihre Hand wieder aus dem Fernseher und klammerte sich am unteren Rand von eben diesen fest, um mit dem Kopf darin eintauchen zu können. Otome musste einige Male blinzeln, doch der nebelige Schleier vor ihren Augen schwand nicht. Dennoch bemühte sie sich, durch die dicke Nebelsuppe zu blicken und etwas zu entdecken, das ihr sagen würde, was für ein Ort die Welt hinter der Matschscheibe war. Es war aber nichts zu sehen. Nur ein weiter, leerer Raum. „Hier drinnen ist es leer“, verkündete Otome und hörte das Hallen in ihren Ohren wieder. Dabei bemerkte sie keine Wände, an denen der Schall abprallen konnte. „W-Was meinst du mit 'drinnen'?“ Panik stieg in Yosukes Stimme an. Otome konnte das deutlich hören, doch es interessierte sie nicht. Viel interessanter war doch diese andere Welt. „Was meinst du mit leer?“ Nun war es Chie, die noch einen nachsetzte. Doch wozu sollte sie erklären, was sie meinte? Es wäre viel einfach ihnen das zu verdeutlichen was sie wollte, wenn sie es sehen konnte. „Es ist hier ziemlich weiträumig.“ Obwohl sie es nicht weiter beschreiben wollte, weil sie verzweifelte, dass die beiden es verstanden, wagte sie dennoch den Versuch um ihnen eine Vorstellung von dem zu geben, was sie genau sah. „Was meinst du mit weiträumig?“ Erneut meldete sich Yosuke zu Wort. Aufgeregt, fast schon panisch. Dabei war noch gar nichts geschehen. Otome konnte es nicht verstehen und überlegte, wie sie sich noch besser ausdrücken konnte. Sie merkte aber schnell, dass weder Chie noch Yosuke auf sie hören würden. Sie waren viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und damit Panik zu machen. Zumindest waren das die Art von Laute, die sie hören konnte, obwohl ihr Oberkörper in dieser fremden Welt schwamm. „Heiliger... I-Ich glaube das ist alles zu viel für meine Blase.“ Angewidert verzog Otome das Gesicht, als sie hörte, was Yosuke von der anderen Seite rief. Es war absolut unpassend, denn so schlimm war das was sie tat nun auch wieder nicht. Auch wenn sie zugab, dass es wirklich nicht normal war. Aber je mehr Drama ihre beiden Klassenkameraden machten, desto auffälliger wurden sie. Das schienen aber weder Chie noch Yosuke zu verstehen. Noch dazu würde Yosukes, „Voller-Blase-Tanz“, zumindest glaubte sie, dass er wie ein Medizinmann herum sprang und tanzte, noch viel mehr Aufmerksamkeit auf sie ziehen. „Verdammt, Besucher kommen!“ Die Panik bei Yosuke stieg, ebenso bei Chie, die das auch lauthals kund tat. Und das konnte sie verstehen. Mit Sicherheit wirkte es verstörend, wenn drei Jugendlich einfach so in der Gegend herumstanden und einer davon mit dem halben Körper in einem Fernseher steckte. Allmählich reicht es. Auch wenn es wirklich Spaß gemacht hatte, die beiden Ungläubigen in Panik zu versetzen. Mit einem stummen Seufzen machte sich Otome bereit zurück in die Realität zu kommen und dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen. Sie kam aber nicht dazu, denn ein plötzlicher Stoß, beraubte sie ihrem Gleichgewicht und Halt, den sie hatte, und drückte sie tiefer hinter die Welt im Fernsehen. Einen kurzen Moment lang wurde Otome schlecht. Abwechselnd schienen weiße und schwarze Querstreifen an ihr vorbeizuziehen und ihren Blick verwirren zu wollen. Die Frage, warum sie es nicht zuvor schon gesehen hatte, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Aber sie wünschte sich, dass es bald aufhörte. Damit ihr Magen sich nicht noch mehr drehte, schloss Otome die Augen und erwartete den Moment, an dem sie auf etwas hartes aufkam. Alles was sie hoffen konnte, war nur zu hoffen, dass sie nicht mit dem Kopf aufkam und sich letztendlich das Genick zu brechen. Sie hatte immerhin nicht vor gehabt in dem Jahr bei ihrem Onkel das Zeitliche zu segnen und mit Sicherheit wären ihre Eltern davon auch nicht begeistert gewesen. Wie sollte das denn klingen? 'Sie ist gestorben als sie in den Fernseher fiel.' Absolut lächerlich. Wobei man es auch als lächerlich sehen konnte, dass sie sich gerade jetzt um so triviale Dinge Sorgen machte. Das wurde Otome bewusst, als ihr Körper hart auf den Boden aufschlug und einen schmerzerfüllten aber auch sehr erleichterten Laut von sich gab. Schmerzen waren gut. Sie waren ein Zeichen dafür, dass sie lebte, doch darüber war sie sich bei ihren beiden Begleitern nicht so sicher. Sie hoffte zumindest, das die anderen aufschlagenden Körper, die sie hörte, von Chie und Yosuke kamen. „Au ich bin direkt auf meiner Brieftasche gelandet...“, murrte Yosuke. Immerhin, beide lebten noch, was Otome ein erleichtertes Lächeln abrang, als sie sich wieder erhob und versuchte jeglichen Schmerz zu ignorieren. „Mann, wo sind wir? Was zum Teufel ist das für ein Ort? Sind wir hier irgendwo in Junes?“ Das Chie nicht die Hellste war, hatte Otome wirklich früh verstanden, aber das sie glaubte, dass sie hier noch in Junes war, gab aller Hoffnung, dass sie nicht die dümmste der Dummen war, den Gnadenstoß. „Natürlich nicht! Immerhin sind wir durch einen Fernseher gefallen! Überhaupt... Was... uhm geht hier vor sich?“ Wie gerne hätte Otome eine Antwort auf Yosukes Frage gewusst. Doch es gab für all das keine logische Erklärung. Doch viel wichtiger, war in diesem Moment etwas ganz anderes. Immerhin waren sie, wenn Otome es richtig bedachte, aus dem Himmel gefallen, weswegen ihr Blick nach oben glitt. Doch sie sah nichts, außer Nebel. Sie konnte damit gar nicht ausmachen, wie tief sie gefallen waren. „Geht es euch gut?“ Auch wenn das Klagen und Jammern ihrer beiden Begleiter nur zu deutlich davon zeugte, dass es beiden gut ging, wollte sich Otome doch noch einmal nach ihrem Befinden erkundigen. „Ich glaube mein Hinterteil ist gebrochen...“, antwortete Yosuke ihr. Auf so eine Antwort hatte Otome zwar nicht gehofft, aber augenscheinlich ging es dem einzigen Jungen in der Runde gut. An Chies Befinden zweifelte sie gar nicht mehr, schließlich hatte sie noch Kraft genug sich über Yosuke lustig zu machen, selbst wenn weder er noch sie das wohl als eben so etwas wahrnahmen. Froh darüber, dass immerhin etwas okay war, ließ Otome ihren Blick etwas durch die nähere, vernebelte Umgebung schweifen. Sie erkannte Pfeiler aus Metall, einige Treppen und sonst... „Wow!“ „Was denn? Hast du in die Hose gemacht?“ „Nein, du Idiotin! Sieh dich mal um!“ Otome wurde klar, dass Yosuke, der wohl Ausschau nach dem Ausgang oder nächsten Toilette gehalten hatte, zur selben Erkenntnis gekommen war, wie sie. Diese teilte er nur zu gerne mit Chie, die erst jetzt einen flüchtigen Blick durch den Nebel wagte und lautstark verkündete, was sowohl Yosuke als auch sie bereits erkannt hatten. Ein Filmstudio. Hier, in einer Welt von der sie nicht einmal wussten, wo sie war. Auch wenn es etwas ironisches hatte, dass die Welt im Fernseher ein Fernsehstudio war, oder zumindest so aussah wie eines. „Und was machen wir jetzt?“ Zweifelnd hob Otome eine Augenbraue und sah Chie an, die allen ernstes glaubte, dass sie, Otome, nun die ultimative Antwort auf ihre Frage hatte. Mit Sicherheit hatte sie nicht vor, hier Wurzeln zu schlagen. Schon gar nicht, wenn sie nichts über ihren Aufenthaltsort wusste. Sie wusste immerhin nicht, ob es hier gefährlich oder der Nebel giftig war. „Gehen wir nach Hause“, schlug Otome vor. Ihr war wirklich nicht wohl bei der ganzen Sache, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was ihr mit einem mal soviel Unbehagen bereitete. Es passte ganz und gar nicht zu ihr. Noch dazu... Sie durfte nicht nur an sich denken, immerhin war sie verantwortlich dafür, dass Chie und Yosuke in diese Welt gekommen waren, auch wenn das falsch war, denn schließlich waren es die beiden aufgeschreckten Hühner gewesen, die sie in die Fernsehwelt gestoßen hatten. „Moment, woher sind wir gekommen? Ich sehe weder einen Ein- noch Ausgang.“ Panik ergriff Yosuke und Chie die sich erst jetzt dem bewusst wurden, was Otome schon vor einen Minuten realisiert hatte. Seufzend schüttelte Otome den Kopf und sah die beiden an, die wie kleine Kinder verzweifelten, sich ihrer Panik ergaben und nicht mehr in der Lage waren klar zu denken. „Beruhigt euch!“ Lauter, aber dennoch mit einer stoischen Ruhe in der Stimme, machte Otome die beiden auf sich aufmerksam. Und es half. Sie vergaßen für einen Augenblick ihre Sorgen und Ängste und richtete ihren Blick erwartungsvoll auf Otome. „Wir sollten uns hier umsehen. Wer weiß, was wir finden.“ Es war der erst Gedanke, der Otome gekommen war, als sie vorgeschlagen hatte nach Hause zu gehen. Das es einfach werden würde, hatte sie bezweifelt, immerhin war ihr Weg in dieser Welt auch alles andere als gewöhnlich gewesen. Mit Sicherheit war ihre Tür in ihre Welt genauso ungewöhnlich. „Wenn es keinen Ausgang gibt, sind wir gefangen, also drücken wir die Daumen.“ Natürlich, das war genau das was ein Mädchen von einem Jungen hören wollte. Yosuke musste wirklich noch viel lernen, wenn er jemals eine Freundin haben wollte. Auf diese Weise, mit dieser unheldenhaften Art, würde es nichts werden. Soviel stand fest. Dennoch, er hatte Recht. Wenn es keinen Ausgang gab, würden sie gefangen sein. Doch daran wollte Otome nicht denken, denn das hätte nur bedeutet, dass sie bereits aufgegeben hätte. Selbstbewusst schritt Otome in die einige Richtung, die ihr das Gefühl gab, an ihr Ziel zu kommen. Sie ignorierte das Toben in ihrem Inneren, das neugierig versuchte die Oberhand zu gewinnen. Es war schwer gewesen durch den dichten Nebel auch nur etwas zu sehen. Otome hätte schwören können, dass es mit jedem Schritt schwerer wurde, doch irgendwie schafften sie und ihre Begleiter es, bis zu einem Ort zu kommen, der einem Gasthaus ähnelte. „Scheint so, als wären wir in einer Art Gebäude... aber verdammt, dieser Nebel ist so dicht, dass ich nur schwer sehen kann.“ Es war den ganzen Weg über dasselbe gewesen. Yosuke jammerte, Chie jammerte und sie versuchte irgendwie einen Weg zurück in ihre Welt zu finden, denn fest stand, dass man dies mit Jammern nicht erreichen konnte. Auch wenn Chies Bedenken sich nicht zu weit von ihrem Startpunkt zu entfernen, berechtigt waren, sie würden nicht mehr entdecken wenn sie auf der Stelle traten. Noch dazu, wer sollte sie finden wo sie waren? Mit Sicherheit hatten nicht viele Menschen die Möglichkeit in diese Welt zu gelangen. Und wenn es welche gab, waren sie sich ihrer Fähigkeit bestimmt nicht bewusst. Otome selbst hatte erst vor kurzem und eher durch einen Zufall davon erfahren. „Was ist das für ein Ort? Hier fühlt es sich anders an, als bei dem zuvor...“ Chie hatte inne gehalten und sah sich in ihrer näheren Umgebung um. Verwundert sah Otome sie an und konzentrierte sich nun bewusst auf die Atmosphäre und alles andere. Erst dadurch bemerkte sie, dass Chie Recht hatte. Etwas blutrünstiges, bedrückendes lag in der Luft. Etwas, dass ihre Sinne zur äußersten Vorsicht ermahnte. Dennoch, sie konnte sich nicht länger zögern, vielleicht war die Tür, von der sie glaubte sie zu sehen, ein Ausgang. Es war als hätten sie erneut eine vollkommen andere Dimension betreten. Der Nebel hatte sich verflüchtigt und gab Otome eine klare Sicht auf das Zimmer zu. Es wirkte wie ein normales, privates Zimmer, das spärlich eingerichtet war. Ein Bett, einige Schränke und... Otome gefror das Blut in den Adern, als sie sich umsah und die vielen Poster an der Wand erblickte. Aus eben jenen war das Gesicht der Person geschnitten oder gekratzt, die darauf zu sehen gewesen war. Fast so, als hätte jemand sie hier aufgehangen, um den Bewohner des Zimmers zu quälen und ihn in den Wahnsinn zu treiben, was scheinbar gelungen war. Denn in der Mitte des Zimmers stand ein Stuhl, über dem ein roter Schal zu einer Schlaufe an einem Seil gehängt wurden war. Otome erkannte diese Konstellation sofort, sie hatte sie immerhin schon oft in diversen Filmen und Animes gesehen. Es war eindeutig, dass sich hier jemand umbringen wollte, die Frage war nur, wo die Leiche war, wenn es wirklich eine gab. „Das ist eine Sackgasse! Es gibt keinen Ausgang.“ Verzweiflung lag in Chies Stimme, als sie endlich das Zimmer betreten hatte und sogleich ihre Meinung kundtat. Das hier etwas nicht stimmte, schien sie nicht bemerkt zu haben. Wenn es hier wirklich keinen Ausgang gab, wo war dann die Person, die diese Schlaufe gebunden hatte? Noch dazu war viel rote Farbe an den Wänden. Otome ging dabei vom Worst Case Szenario aus. Hier war ein Mord geschehen und sowohl Leiche als auch Täter waren verschwunden. Der Logik zufolge musste es also einen Ausgang geben. Sie hatten ihn nur noch nicht gefunden. „Argh, ich kann es nicht länger halten... Meine Blase explodiert gleich...“ Yosukes Gezetter riss Otome aus ihren düsteren Gedanken. Sie hatte ganz vergessen, dass der Junge vor ihrer Ankunft so etwas ähnliches gesagt hatte. Augenscheinlich machte seine Blase nun Probleme und er wollte sich erleichtern, bevor er sich vor Chie und ihr zum Narren machte. Kein Junge machte gerne seine Hose vor zwei Mädchen feucht. Der persönliche Albtraum von jedermann. „D-Dreht euch um, ich kann nicht, wenn jemand hinsieht.“ Als hätte Otome vor auf Yosukes Befehl zu hören, wandte sie sich um und schloss die Augen. Sie verstand selbst nicht, wieso sie das getan hatte, doch im Gegensatz zu Chie war sie nicht sonderlich wild darauf jetzt schon fürs Leben traumatisiert zu werden. Sie wartete nur noch darauf das plätschern zu hören, doch nichts. Der Ton blieb aus und Otome wandte sich wieder zu Yosuke, der kapitulierend seufzte. „Aaargh, ich kann das nicht! Es ist alles eure Schuld wenn meine Blase platzt.“ Vorwurfsvoll wandte sich Yosuke zu den Mädchen um, von denen eine bereit war ihm nun gehörig den Marsch zu blasen. Nur dank Chie, die ihm deutlich machte, wie egal ihr seine Blase war, blieb er vom Totschlag verschont. Erst jetzt wurden Otomes Begleiter auf den gesamten Raum aufmerksam. Auf das was sich hier vielleicht abgespielt hatte, auch wenn sie eher weniger auf Otomes kombinierten Gedanken gekommen waren. „Mir geht es nicht so gut...“ Otome kam wieder zu sich, als Chies schwache, kränkliche Stimme zu ihr vordrang. Verwundert sah sie das Mädchen an, dass sich die Stirn hielt und in der Tat blasser wirkte als zu Beginn ihrer Suche. „Jetzt da du es erwähnst, ich mich auch...“ Ihr Blick wanderte zu Yosuke, der ebenfalls nicht gut aussah und mit Sicherheit lag das nicht an seiner Blase die zu explodieren drohte. Und die beiden waren nicht die einzigen. Erst jetzt bemerkte Otome, dass auch ihr Körper schwerer geworden zu sein schien. Wahrscheinlich war dieser Nebel der Grund dafür, denn diesem waren sie bereits seit einer gefühlten Ewigkeit ausgesetzt. Noch dazu war diese Atmosphäre hier alles andere als gesund. Es lag definitiv etwas in der Luft. Etwas, dass von ihren Kräften zerrte und nun dafür sorgte, dass sie sich alle schlecht fühlten. „Gehen wir zurück. Ich fange an mich immer kränker zu fühlen.“ Zustimmend auf Yosukes Vorschlag, nickten Chie und Otome und verließen das Zimmer. Nur kurz blieb Otome noch einmal stehen und sah zu dem Tatort. Etwas in ihr war nicht zufrieden. So als ob sie dort etwas finden würde, dass ihr mehr über diese Welt und seine Regeln sagen konnte. Ein Augenzeuge von dem, was hier wohl passiert war. Es war keine Neugier und auch keine Todessehnsucht, die in ihr aufgekeimt war. Vielmehr wollte sie die Wahrheit wissen. Was hier passiert war, oder warum sie die Fähigkeit hatte in diese Welt einzudringen. Das alles, so sagte es ihr ein Gefühl, stand irgendwie in Verbindung miteinander. Und dieses Gefühl nagte an ihr. Otome war sich gar nicht sicher wie, aber sie hatten es zurück zu ihrem Ausgangspunkt geschafft. Doch anders als bei ihrer Wanderung zuvor, zerrte jetzt jeder Schritt an ihren Kräften. Als sie endlich zum Stillstand kam, fühlte sich ihr Körper an, als habe er einen Marathon durchgestanden. Dieser Umstand bereitete ihr Sorgen, denn sie fürchtete, dass sie vor Erschöpfung zusammenbrechen würden, wenn sie noch länger hier blieben. Sie mussten zurück in ihre Welt, egal wie. „M-Moment... Was ist das?“ Verwundert sah Otome in die Richtung, in die Chie verwies und erkannte die erst schwache, aber immer deutlicher werdende Silhouette, die sich ihnen näherte. Sie waren nicht alleine. Doch das schlimmste war, dass diese Silhouette zu der Person gehören konnte, die vielleicht auch das Blutbad in dem Zimmer verursacht hatte. Nervös sah sich Otome um und versuchte etwas ausfindig zu machen, mit dem sie im Notfall angreifen konnte. Sie hatte nicht einmal ihre Tasche hier. Nichts. Sie waren dem was kam ausgeliefert. „Was ist das für ein Ding? Ein Affe? Ein Bär?“ Ihre Vorsicht aufrechterhaltend, sah Otome zu dem großen Plüschtier-ähnlichen Wesen, dass aus dem Nebel trat. Es sah alles andere als gefährlich aus und mehr wie ein Bär als ein Affe. Dennoch, man konnte nie vorsichtig genug sein. Diese Welt war fremd, ebenso wie ihre Bewohner und nur weil etwas niedlich war, so wie dieses Ding, konnte man nicht davon ausgehen, dass es ungefährlich war. Auch die Sirenen gaukelten den Seefahrern vor schön zu sein und lockten sie damit in ihr nasses Grab. Otome war der Meinung, dass es für sie noch viel zu früh war um zu sterben. „D-Das will ich gerne wissen, kuma! Wer seid ihr?“ Überrascht darüber, dass der Bär zu sprechen begann, zog Chie scharf die Luft ein und sah zu dem Wesen, dass die Arme hinter seinem Rücken verschränkt hielt und nicht den Eindruck machte, dass es sie angreifen wollte. Seine Haltung war ruhig, gelassen kein wenig aggressiv oder verängstigt, sodass Otome diese Haltung reflektierte und sich selbst entspannte. „Willst du einen Kampf?“ Gerade in Momenten wie diesen wünschte sich Otome, dass sie nicht mit Chie in dieser Welt gelandet wäre. Ihr fehlte einfach die Interpretation der Körpersprache oder vielmehr etwas mehr weibliches Feingefühl um zu verstehen, dass wenn es zu einem Kampf kam, sie mit ihren Worten Schuld daran wäre. „S-Schrei mich nicht so an, kuma!“, wisperte der Bär verängstigt und ging, soweit es möglich war in eine schützende Haltung. Es wirkte fast so, als befürchtete er, dass Chie auf ihn eintreten wollte, weswegen er schon der Vorsicht wegen seine Hände auf den Kopf legte um diesen zu schützen. Nein, mit Sicherheit war dieser Bär nicht der Täter des Blutbades. Und wenn doch, war er ein herausragender Schauspieler. Otome vertraute einfach ihrer „Bärenkenntnis“ und trat einen Schritt auf das Wesen zu, dass spürte wie sie sich ihm näherte und aufsah. „Was ist das für ein Ort?“, fragte Otome, hoffend, dass dieser Bär ihr eine zufriedenstellende Antwort geben konnte. Er musste immerhin wissen, was das für eine Welt war, schließlich schien er in dieser zu leben. „Dieser Ort ist was er ist. Er hat keinen Namen. Hier lebe ich.“ Unzufrieden verzog Otome das Gesicht. Das war nun doch nicht die Antwort, die sie sich erhofft hatte. Im Grunde war sie nun genauso schlau wie vorher, allerdings ergab das, was der Bär sagte auch keinen Sinn. Wenn diese Welt keinen Namen hatte, so musste man davon ausgehen, dass sie bis zu ihrer Entdeckung unbekannt war. Und doch wirkten die Orte hier so, als wären sie von Menschenhand geschaffen worden. „Wenn ich ihr wäre, würde ich zurück auf die andere Seite gehen, kuma. Irgendjemand wirft Personen hier rein. Das macht nichts als Ärger, kuma.“ Otomes Augen weiteten sich, als sie hörte, was der Bär sagte. Ihre Alarmglocken klingelten, denn wenn jemand Menschen in diese Welt warf, hieß es, dass da draußen noch jemand existierte, der dieses Tor, dass sie durchschritten hatten, ebenfalls öffnen konnte. Noch dazu warf er dann auch Menschen rein. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was aus diesen wurde, wenn es niemanden gab, der ihnen helfen konnte. „Was? Wirft Personen hier rein? Wovon redest du?“ „Ich weiß nicht wer es ist! Ich will nur, dass man darüber nachdenkt, bevor man so etwas macht!“, erklärte der Bär auf Yosukes Frage. Sein Gesicht, war vor Wut verzerrt, doch es wirkte mehr niedlich als bedrohlich. Allerdings konnte Otome seine Worte nachvollziehen. Sie und ihre Freunde waren immerhin ausversehen hier reingefallen. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie sich eine Person, einsam und alleine, fühlte wenn sie hier zu sich kam. „J-Jedenfalls solltet ihr schnell zurück gehen.“ Otome wollte gerade zu einem Satz ansetzen, um zu fragen, wie sie es denn sollten, wenn es augenscheinlich keinen Ausgang für sie gab. Doch Yosuke kam ihr mit dieser Frage, zumindest in abgewandelter Form, zuvor. „Du willst damit sagen, dass du willst, dass wir gehen, richtig? Würden wir gerne. Wir wissen nur nicht wie, verdammt!“ Die Stimmung in ihrer kleinen Gruppe wurde aggressiver und das gefiel Otome ganz und gar nicht. Es wäre mit Sicherheit verherrend gewesen, wenn sie es sich nun mit dem Bären verscherzten. „Wie ich es schon sagte, wir wissen nicht wo der Aus- … … Moment, was?“ Yosuke hatte nicht die Chance seine Frage zu formulieren, als der Bär aus dem Nichts mit viel Rauch und Glitzer, drei aufeinander gestapelte Fernseher erscheinen ließ. Otome selbst staunte nicht schlecht, denn das hatte sie dem Bären gar nicht zugetraut. Er wirkte so schwach so, unmagisch wie ein großes Kuscheltier. „Okay, und jetzt geht geht, geht raus hier, kuma. Ich bin ein sehr beschäftigter Bär.“ Noch während Otome und die anderen Beiden die alten Fernseher bestaunten, hatte sich der Bär hinter die drei Yasogami gestellt und drückte sie mitsamt seines weichen Körpers auf die Fernseher zu. Sie wehrten sich dagegen, doch auf kurz oder lang mussten sie dem Druck nachgeben und wurden durch die Fernseher gedrückt. Otome öffnete die Augen, als sie die Musik vom Junes-Werbejingle hörte. Vor ihr stand der Fernseher über den sie in die andere Welt gekommen war. Sie waren eindeutig wieder zuhause. Sicher war sie sich aber erst, als die Ansage über die kurzzeitigen Angebote für Beilagen gemacht wurde. „Verdammt, es ist schon so spät?“ Fragend sah Otome zu Yosuke. Er wusste scheinbar anhand dieser Ansage, wie spät es war. Doch das merkte sie recht schnell selbst, als sie ihr Handy zog und auf die Uhr sah. Es war Zeit nach Hause zu gehen, zumindest wenn sie nicht wollte, dass ihr Onkel ihr die Hölle heiß machte. Polizisten waren wirklich so Regeltreu. „Ah, daher kannte ich die Poster.“ Verwundert sah Otome von ihrem Handy zu Yosuke und folgte seinem Blick zu einigen Promotionpostern, die das neuste Album von Misuzu Hiiragi zeigten. Auf diesem war auch die Sängerin selbst zu sehen. Otome kannte sie nur aus den Nachrichten der letzten Tage. Immerhin ging ihr Bild als Exfrau des Politikers Namatame durch die Presse. Sie war es wohl auch gewesen, die diese Affäre bekannt gemacht hatte und damit nun in aller Munde war. Wenn man es recht bedachte, war es ein guter Marketingtrick gewesen. Wenn auch nicht gerade ein positiver. Aber schlechte Werbung war auch welche. „Hey, könnte das bedeuten... Das dieser seltsame Raum, den wir gesehen haben, irgendwie mit dem Tod von Yamano zu tun haben könnte? Jetzt wo ich so darüber nachdenke... Von der Decke hing diese seltsame Schlaufe.“ Da war es wieder. Der Versuch eine Verbindung zu etwas zu erstellen, was augenscheinlich nichts mit all dem zu tun hatte. Zumindest wollte Otome das glauben, denn ihre Fähigkeit, jemanden in eine andere Welt bringen zu könnte, hätte sie genauso gut zu einem potentiellen Täter machen können, auch wenn sie bereits wusste, dass es noch jemanden mit dieser Fähigkeit gab. „Ich möchte, dass was passiert ist gerne aus meinem Gedächtnis verbannen. Mehr verträgt mein schwaches Herz nicht“, nuschelte Yosuke müde und gab damit das Signal, dass es Zeit war den Tag für heute ruhen zu lassen. Otome konnte das verstehen, denn sie selbst war viel zu müde um jetzt über so etwas wie einem Mord nachzudenken. Sie wollte nur noch eine Kleinigkeit essen, baden und dann müde in ihrem Futon fallen und schlafen. Dieser ungewollte Ausflug hatte einfach zu viel von ihr und auch von den anderen abverlangt. „Machen wir Schluss für heute. Wir sehen uns morgen in der Schule...“, flüsterte Otome und wandte sich von den beiden ab. Sie wollte nur noch ihre Tasche aus dem Schließfach holen und nach Hause gehen. Ihr war klar, dass es den anderen beiden nicht anders ging, weswegen sie wusste, dass sie ihr nicht böse sein würden, wenn sie sich nicht angemessen verabschiedete. Als Otome nach Hause kam, saßen Nanako und Dojima bereits am Tisch. Vor ihnen standen jeweils eine Packung Nudelsuppe. Sie war froh, dass man sie nicht mit ins Abendessen eingeplant hatte, denn sie hatte sich im Junes noch eine Kleinigkeit mitgenommen und unterwegs gegessen, auch wenn ihr Magen mit einem Mal versucht hatte jegliche Nahrung zu verwehren. „Willkommen zurück“, begrüßte ihr Onkel sie freundlich. Doch Otome fühlte sich nicht Willkommen. Die Worte ihres Onkels klangen etwas lieblos, fast so als wollte er damit einen stummen Vorwurf machen. Wahrscheinlich bildete sie sich das aber ein, weil sie einfach nur müde war. Schweigend setzte sich Otome an ihren Platz und schloss die Augen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, dass sie glaubte hier sofort im Sitzen einschlafen zu können. Zumindest driftete ihr Geist langsam, Stück für Stück ab. „Ähm... ich bezweifle, dass du das weißt... Aber hast du irgendetwas über eine Schülerin namens Saki Konishi gehört?“ Die Stimme ihres Onkels riss sie zurück in die Gegenwart und hinderte sie daran sofort ihren verdienten Schlaf zu bekommen. „Sie soll heute nicht in der Schule gewesen sein...“, murmelte Otome müde und rieb sich die Augen. Sie hoffte, dass ihr Onkel diese Geste verstand und das Verhör schnell beendete. Sie wollte nur noch schlafen gehen. Das wohltuende Bad hatte sie bereits unterwegs gecancelt, dafür würde sie aber am nächsten Morgen ausgiebig duschen. „Oh... Verstehe. Um ehrlich zu sein, haben wir einen Anruf von ihren Eltern bekommen. Sie ist verschwunden. Unsere Leute suchen bereits nach ihr, aber sie wurde noch nicht gefunden.“ Die Worte ihres Onkels drangen nur bis in ihr Unterbewusstsein vor. Bewusst nahm sie diese gar nicht mehr wahr, sonst hätten ihre Alarmglocken wohl geschrillt. Erneut lehnte sie sich wieder etwas zurück und schloss die Augen um sie etwas ruhen zu lassen. Doch wieder kam sie nicht zur Ruhe. Im Fernseher lief erneut ein Bericht über die Nachrichtensprecherin Yamano, die wohl im Amagi Inn untergekommen war, nachdem man den Skandal öffentlich ausgeschlachtet hatte. Kurz keimte in Otome der Gedanke auf, dass es doch kein Wunder war, wenn die Nachrichtensprecherin die Sängerin gehasst hätte. Immerhin war diese dafür verantwortlich gewesen, dass ihr gesamtes Leben und ihre Karriere den Bach runterging. Und nun war sie tot. „Hatschi!“ Schniefend rieb sich Otome die Nase. Ihr war plötzlich so kalt und mit jeder Sekunde fühlte sie sich schlechter, was nun auch ihr Onkel bemerkte. „Wirst du krank? Du gewöhnst dich wahrscheinlich noch an die neue Umgebung. Nanako, bring ihr die Erkältungsmedizin aus dem Schrank. Du solltest schlafen gehen, nachdem du sie genommen hast.“ Ohne sich zu wehren nickte Otome und wartete auf Nanako, die sich sofort erhoben hatte und ins Bad lief. Sie wusste was ihre Cousine dort wollte, denn sie hatte die kleine Hausapotheke schon am ersten Tag ihrer Auskunft dort ausgemacht. „Hier?“ Zurückhaltend hielt ihr das Mädchen die Medizin, die in einer roten Flasche war, entgegen. Mit einem schwachen Lächeln nahm Otome ihr diese ab und füllte eine Kappe voll der flüssigen, scharf riechenden Medizin. Angewidert verzog Otome das Gesicht, als der erste Tropfen der Medizin ihre Zunge berührte und bitter ihren Hals hinabglitt. Schon als kleines Kind hatte sie diese Medizin gehasst und wahrscheinlich würde sie sich nie daran gewöhnen, soviel stand fest. Tief atmete sie ein und aus, während sie im Futon lag und schwitzte. Gevatter Schlaf hatte sie, kaum dass sie sich hingelegt hatte, in seine Arme genommen und ließ sie nun nicht mehr los. Otome nahm nicht einmal ihr vibrierendes Handy auf dem Tisch war. Hätte sie es doch getan, so wäre ihr das Herz sicher aufgegangen, denn auf dem Display stand der Name der Person, die sie so dringend erwartet hatte. Zumindest heute würde ihr verwehrt bleiben zu erfahren, was ihre Freundin Miwako zu sagen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)