Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles" von Engelchen ================================================================================ Kapitel 7: Eine Sommernacht und ihre Folgen Teil 1 -------------------------------------------------- „Seine Majestät Louis XV lässt am 24. Juni 1769 zum Hofball nach Versailles bitten. Die Einladung ergeht an General Rainier de Jarjayes mit Gemahlin Emilie de Jarjayes und Lady Oscar Francoise de Jarjayes.“ Zufrieden ließ Monsieur de Jarjayes die Einladung, die ihm Laurent vor wenigen Minuten gebracht und die er seiner Gattin gerade eben laut vorgelesen hatte, sinken. „Es wird eine große Ehre für uns sein. Nicht wahr Emilie?“ „Das sagt Ihr bei jeder königlichen Einladung,“ antwortete ihm seine Gattin und sah von ihrer Handarbeit auf. „Auch dieses Mal wird es ein anstrengender und langer Abend werden, so wie an jedem der unzähligen Hofbälle die wir beiden die letzten Jahre zusammen besucht haben.“ „Nun klingt Ihr genau so wie Oscar,“ sagte der General leicht angesäuert. „Wenn wir gerade bei Oscar sind, das wird ihr erster Hofball,“ fiel Emilie de Jarjayes ein. „Ihr sagt es Emilie. Bitte kümmert Euch sofort darum das ihm eine passende Ausgehuniform angemessen wird. Das haben wir bis jetzt vernachlässigt.“ Düster sah der General vor sich hin. „Ich hoffe er wird sich dieses Mal anständig benehmen.“ Doch erst Mal galt es Oscar dazu zu bewegen überhaupt zu dem Ball zu erscheinen. Auf dem Hof der Offiziersakademie traten die Kadetten zu ihrer Schießübung an. Die Pistolen waren ihnen bereits ausgehändigt worden und so standen sie nun in Reih und Glied um ihren heutigen Lehrer General de Bouier zu begrüßen, in dem sie vorschriftsmäßig vor ihm salutierten. General de Bouier war trotz seines Ranges noch recht jung und Oscar mochte ihn und freute sich meistens auf die Stunden bei ihm. Doch ausgerechnet heute brannte die heiße Sommersonne allmählich unerträglich vom Himmel herunter. Dennoch war die Übungseinheit nicht abgesagt worden, denn ein Soldatenleben war nun einmal hart und irgendwann mussten sich die Kadetten daran gewöhnen. Mitten auf dem Übungsplatz war die große Zielscheibe aufgebaut worden, die Oscar bereits von den Übungen mit ihrem Vater kannte. Nachdem General de Bouier inspiziert hatte ob jeder mit einer Pistole angetreten war schallte auch schon sein erster Befehl über den Kasernenhof: „Ladet eure Waffen!“ Es wurde Wert darauf gelegt das jeder Kadett lernte so schnell wie möglich seine Pistole selbst zu laden, denn im Ernstfall konnte dabei keinesfalls unnötige Zeit verloren werden. Der Reihe nach bedienten sie sich rasch an der großen Kiste mit dem Schießpulver. Jeder verteilte etwas Pulver auf der Zündpfanne seiner Pistole und in deren Lauf. Nun mussten nur noch die Kugeln hineingestopft werden. General de Bouiers scharfe Augen achteten genau darauf, dass jeder sachgerecht beim Laden vorging. Es musste schnell vor sich gehen aber keinesfalls schlampig, denn auch das konnte im Kampf eine verheerende Wirkung haben. Endlich stellten sich alle Kadetten hinter der Ziellinie in einer Reihe auf. Nachdem sie nun schon zwei Monate auf der Akademie waren, war auch die Zielscheibe ein ganzes Stück weiter von der Ziellinie weg gerückt. Als erstes war Olivier an der Reihe. Er brachte sich in die richtige Position, hob die Pistole, kniff ein Auge zu, zielte, drückte ab und... es geschah nichts. „Kadett de Gramont weshalb schießt Ihr nicht?“ rief General de Bouier ungeduldig. Olivier blickte einigermaßen verwirrt aus der Wäsche. „Verzeiht!“ brachte er schließlich hervor. „Aber aus meiner Pistole kommt kein Schuss.“ „Himmel noch mal,“ fluchte General de Bouier. „Nun seid Ihr bereits seit zwei Monaten auf dieser Akademie und immer noch nicht in der Lage eine Waffe richtig zu laden. Weggetreten!“ Beschämt trat Olivier zur Seite. Was hatte er beim Laden denn nur falsch gemacht? Als nächstes war Oscar an der Reihe. Auch sie stellte sich auf, hob die Pistole, kniff ein Auge zu, zielte, drückte ab und... es geschah nichts. „Kadett de Jarjayes,“ brüllte General de Bouier. „Es ist wirklich unglaublich! Noch nicht einmal Ihr könnt plötzlich Eure Pistole sachgerecht laden! Habt Ihr alle denn alle einen Hitzschlag abbekommen?“ Einige Kadetten begannen zu lachen. Aber General de Bouier war nicht nach Lachen zumute. „Weggetreten!!!“ brüllte er nun auch Oscar an so das es im gesamten Hof hallte. Völlig geknickt stellte sich Oscar neben Olivier. Sie fühlte sich in ihrer Ehre verletzt. So etwas konnte doch ihr gar nicht passieren. Sie hatte bereits im Alter von sechs Jahren von ihrem Vater gelernt wie man eine Pistole lud. Auch der dritte Kadett namens Patrice der nun an der Reihe war hatte nicht mehr Glück. Aus seiner Waffe wollte ebenfalls kein Schuss entweichen. General de Bouier brach der Schweiß aus, nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen. All diesen Kadetten hatte er persönlich das Laden einer Waffe beigebracht, so das sie dies sogar im Schlaf bewältigen könnten. Litten sie alle gleichzeitig unter Gedächtnisschwund? Das war unmöglich! Und das alle Pistolen gleichzeitig Ladehemmungen hatten gab es genau so wenig. Wenn es also nicht an seinen Kadetten und nicht an den Pistolen lag so konnte nur das Schießpulver schuld daran sein. Er trat an die große Kiste, nahm etwas des Pulvers zwischen die Finger und zuckte zusammen. „Das Schießpulver ist feucht!“ rief er aus. „Ist das niemandem von Euch aufgefallen?“ Keiner der Kadetten rührte sich. Alle waren so darauf konzentriert gewesen möglichst schnell zu laden, dass es wirklich niemand bemerkt hatte. Oscar fiel ein Stein vom Herzen. Es hatte also nicht an ihr gelegen. Als sie Olivier neben sich anblickte sah sie das er genau so erleichtert war. „General,“ meldete sich Henry so vorlaut wie immer zu Wort. „Ich habe in der Waffenkammer eine neue Kiste mit Schießpulver entdeckt. Wenn Ihr mir es gestattet so werde ich sie schnell holen.“ Zustimmend blickte General de Bouier Henry an. „Das ist die beste Lösung wie wir so schnell wie möglich mit unserer Übung fort fahren können. Durch diesen groben Fehler haben wir ohnehin zu viel Zeit verloren. Also lauft Kadett de Mortemart und bringt die neue Kiste hier her.“ Schon flitzte Henry los während General de Bouier noch darüber grübelte wie Wasser in eine geschlossene Kiste eindringen konnte, noch dazu da es seit ihrer letzten Schießübung keinen einzigen Tropfen mehr geregnet hatte. Bald darauf stand Henry mit der neuen Kiste da und wurde von General de Bouier für sein schnelles und umsichtiges Handeln gelobt. Oscar die neben Henry stand entdeckte für einen Moment ein freches Grinsen auf seinen Lippen, dass er kurz darauf wieder sichtbar unterdrückte. Die Prozedur des Ladens begann also wieder von vorne. Pulver in die Zündpfanne, Pulver in den Lauf. Als erstes traten Olivier, Patrice und Emilian an die Kiste und begannen mit dem Laden. Plötzlich entfuhr Emilian ein kräftiger Niesser. „Hatschi!“ schalte es über denn Hof. Kurz darauf noch einmal „Hatschi!“ „Was hast du denn?“ fragte Patrice „Hast du dich bei dem heißen Wetter erkältet?“ Kaum hatte er ausgesprochen musste auch er lautstark niesen. Ebenso erging es Olivier. Zu dritt standen sie vor der Kiste und niesten und niesten und konnten kein Ende finden. „Was ist denn nun schon wieder?“ brüllte General de Bouier. Noch nie war der reibungslose Ablauf seines Unterrichtes derartig gestört worden wie an diesem Tag. Energisch schritt er auf seine drei haltlos niesenden Kadetten zu. Vor Aufregung und weil er vor lauter niesen nur noch taumelte stolperte Emilian über die Kiste mit dem Schießpulver. Diese kippte um und das Pulver verteilte sich über den Boden. Gleichzeitig stieg eine riesige Staubwolke auf. Eine Sekunde später standen sämtliche Kadetten einschließlich General de Bouier im Kasernenhof und niesten sich beinahe die Seele aus dem Leib. Die meisten hielten sich ihre Schnupftücher vor das Gesicht. Oscar hatte in ihrem Uniformärmel ein riesengroßes rot- weiß – gestreiftes Schnupftuch gefunden, dass Sophie ihr stets aufdrängte. Sie hatte es immer albern gefunden, doch heute war sie beinahe schon froh darüber es zu haben. Sie konnte sich nicht erinnern je so einen Niesreiz gehabt zu haben. Was war mit ihnen allen nur los? Einer der Kadetten brachte es allerdings fertig lautstark zu niesen und sich dabei trotzdem noch vor Lachen aus zu schütten, so das er kaum noch stehen konnte. Es war niemand anderer als Henry de Mortemart. Auch General de Bouier fiel das Lachen trotz der Niesattacke auf. „Hatschi! Kadett de Mortemart! Hatschi! Dahinter steckte mal wieder Ihr! Hatschiii!“ Er ließ sein Schnupftuch sinken, packte den lachenden und niesenden Henry wie ein Kaninchen am Kragen und schleppte ihn mit sich davon. Nach einigen Schritten drehte er sich noch einmal um und schrie: „Die Schießübung, hatschiii, entfällt heute hatschiii, komplett! Weggetreten!“ Als der Akademieleiter Genral de Ronsard fünf Minuten später auf ein Klopfen an seiner Bürotüre antwortete kam ein ohne Unterbrechung niesender Offizier in sein Büro getaumelt, der einen ebenso haltlos niesenden Kadetten hinter sich her zerrte. Das war jedenfalls das Ende der Schießübung an diesem Tag. Als Oscar sich gemeinsam mit Olivier in den Stall begab, um ihre Pferde für den Ritt nach hause zu holen, hatten sich ihr Nasen ein wenig beruhigt. Henry war ihnen den Rest des Tages nicht mehr begegnet. Während der Mittagspause hatten sie überlegt wie er sie nur derartig hatte zum Niesen bringen können. Das es das Werk von Henry de Mortemart war stand für alle außer Zweifel. Es roch schon förmlich nach einem seiner Streiche. „Was sie wohl mit Henry gemacht haben?“ überlegte Oscar laut. „Hoffentlich haben sie ihn nicht all zu streng bestraft“ meinte Olivier. „Ja, das hoffe ich auch,“ antwortete ihm Oscar. „Auch wenn sein Verhalten trotz seiner vierzehn Jahre albern und kindisch ist muss man ihn einfach gerne haben. Er ist so unbekümmert.“ „Oh, vielen Dank die Herren für die netten Komplimente!“ ertönte im dämmrigen Stall eine wohlbekannte Stimme. Henry stand fröhlich und aufgekratzt wie immer da und hielt eine Mistgabel in der Hand. Anstatt seiner Uniform trug er eine alte Hose und ein einfaches Hemd. Offensichtlich war er zum Stalldienst verdonnert worden. „Henry“ riefen Oscar und Olivier wie aus einem Munde. „Jawohl ich bin es. Der gute Kadett Henry. Oder besser gesagt für die nächsten zwei Wochen Knecht Henry. Der alte, dicke de Ronsard hat mich für diesen Zeitraum vom Unterricht ausgeschlossen und zur Arbeit im Stall und auf dem Akademiegelände abkommandiert. Er riet mir diese Zeit zu nutzen um darüber nach zu denken wie es wäre endlich erwachsen zu werden.“ Henry wirkte jedoch keineswegs sonderlich reuig über seine Tat. „Du hast das Schießpulver nass gemacht?“ fragte Oscar. Henry nickte. „Es war wirklich ein herrliches Bild wie der sonst so perfekte Kadett de Jarjayes dastand und aus seiner Pistole keinen Schuss abfeuern konnte.“ Henry konnte sich schon wieder vor Lachen nicht halten. Für jeden anderen hätte Oscar eine entsprechende Antwort parat gehabt aber es stimmte das man Henry nicht böse sein konnte. „Und weshalb mussten wir alle so furchtbar niesen?“ erkundigte sich Olivier. „Bei meinem letzten Ausgang hat es mich in das schöne Paris verschlagen und da habe ich einem Händler ein Päckchen Niespulver abgekauft mit dem ich das Schießpulver vermengt habe. Er hat mir versprochen das es seine Wirkung nicht verfehlen würde. Wie ihr selber heute fest stellen konntet hatte er damit recht.“ „Du hast wirklich Nerven,“ meinte Olivier und führte sein Pferd aus dem Stall. „Mach so etwas bitte nie wieder,“ sagte Oscar. „Das nächste Mal trifft dich bestimmt eine viel empfindlichere Strafe. Wirklich Henry, ich meine es ernst damit.“ „Na kommt schon,“ rief Henry ihnen hinter her. „Mir alleine habt ihr es zu verdanken das wir bei dieser Bruthitze nicht in der Sonne die Schießübungen machen mussten. Also ein kleines Dankeschön hätte ich schon erwartet. Außerdem war es doch richtig lustig wie die ganze Truppe da stand und nieste, selbst der General.“ Plötzlich hatten Oscar und Olivier wieder das Bild vor Augen wie sie selbst und all ihre Kameraden mit ihren Taschentüchern dastanden und nicht mehr zu niesen aufhören konnten. Gegen ihren Willen lachten und lachten sie, ließen sich von ihren Pferden gleiten, vor dem Akademietor in das grüne Gras rollen und lachten sich aus. Dieser Henry war einfach unbezahlbar. Nachdem sich Olivier verabschiedet hatte, um nach Paris in das Haus seines Onkles zu reiten, sah Oscar wie jeden Tag schon von weitem Andre unter dem Apfelbaum auf sie warten. Freudig wollte sie ihn begrüßen doch satt einem Gruß entfuhr ihr schon wieder ein heftiges „Hatschi!“ Vermutlich musste doch noch etwas von dem Niespulver in ihrer Nase stecken. „Oscar, hast du dich erkältet?“ fragte Andre sofort besorgt. „Nein, Henry de Mortemart hat heute die ganze Truppe zum Niesen gebracht. Aber das muss ich dir der Reihe nach erzählen.“ Wie gewohnt ritten sie gemeinsam zum Palas de Jarjayes. Bald musste auch Andre über Oscars bildliche Erzählung der niesenden Truppe lachen. „Also diesen Henry musst du mir unbedingt einmal vorstellen. Ich würde ihn zu gerne kennen lernen. So etwas traut sich sicher nicht jeder.“ Gut gelaunt betraten sie miteinander das Haus. Während des Dinners verflog Oscars gute Laune jedoch schlagartig. Ihr Vater eröffnete ihr das sie mit mit ihm und ihrer Mutter zu ihrem ersten Ball nach Versailles geladen war und der Herrenschneider morgen von Philippe in Paris abgeholt werden sollte, um ihr am Abend, wenn sie von der Akademie nach hause kam, die Ausgehuniform an zumessen. „Du weißt es ist eine große...“ begann Monsieur de Jarjayes den Satz und Oscar vollendete: „...eine große.Ehre für uns und der Wunsch des Königs ist ein Befehl.“ Verdutzt sah der General seine Tochter an. Woher wusste sie nur das er das hatte sagen wollen? Wiederholte er sich wirklich so oft? „Ich werde nicht daran teilnehmen,“ erklärte Oscar bestimmt. „Du wirst was nicht?“ fragte der General gefährlich leise. Emilie de Jarjayes stöhnte auf. Nun ging das Gezanke zwischen den beiden schon wieder los! Sie hatte es doch gewusst. Es war immer das selbe. Oscar würde sich strikt weigern und ihren Gemahl damit zur Weißglut reizen. Er würde wie jedes Mal versuchen seinen Willen durch zu setzen, was zu einem Kleinkrieg zwischen ihm und Oscar ausarten würde, den sämtliche Dienstboten mitbekämen und ihr selbst Kopfschmerzen und Magenschmerzen einbringen würde. Dabei merkten die beiden noch nicht einmal wie ähnlich sie sich waren mit ihrem Stolz, ihrem Pflichtbewusstsein und ihrem verdammten, sturen Jarjayesschädel. Aber dieses mal würde es anders ablaufen. Das hatte sich Emilie fest vorgenommen. Einer Auseinandersetzung wie üblich würde sie heute nicht standhalten. Schnell stand sie von ihrem Stuhl auf, legte Oscar beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte: „Mein lieber Rainier, bitte gestattet das ich kurz mit Oscar unter vier Augen spreche. Es ist sehr wichtig. Oscar, folgst du mir bitte?“ Die sanfte Stimme ihrer Mutter beruhigte Oscar tatsächlich und sie ging Emilie in deren Salon hinterher. Dort angekommen bat ihre Mutter sie Platz zu nehmen. „Oscar ich muss dich darum bitten die Einladung zum Hofball anzunehmen.“ Oscars verschlossenes Gesicht entging Emilie nicht, dennoch sprach sie weiter. „Dein Vater ist nun einmal General in der Armee des Königs und dazu gehören bestimmte Verpflichtungen für ihn selbst und für uns als seine Familie. Wenn wir den König verärgern dann wird dein Vater sicher seine Stellung verlieren. Das bedeutete das jeden Monat sein großzügiger Sold entfällt und wir uns viele Dinge nicht mehr leisten können werden. Zum Beispiel müssten wir dann einen Teil unseres Personals entlassen, dass dann ohne Arbeit auf der Straße stünde. Das möchtest du doch sicher nicht? Schließlich tragen wir die Verantwortung für die vielen Menschen hier im Haus.“ Plötzlich trat in Oscars Gesicht ein betroffener Ausdruck. Madame de Jarjayes hatte an ihr Pflichtbewusstsein appelliert und damit genau das Richtige getan. Wie gut sie doch ihre Tochter kannte! „Außerdem werden sicher noch andere junge Leute an dem Ball teilnehmen. Bestimmt lernst du jemanden kennen mit dem du dir die Zeit vertreiben kannst. Das wird dir gut tun, denn außer Andre hast du kaum richtige Freunde.“ „Andre ist mir eben der Liebste von allen,“ antwortete Oscar. „Er ist mir viel lieber als sämtliche eingebildeten jungen Aristokraten.“ „Vorsicht Oscar,“ warnte Emilie. „Du hegst viele Vorurteile. In jedem Stand wirst du Menschen finden mit denen du dich gut verstehst, so wie du auch in jedem Stand Leute treffen wirst mit denen du weniger gut zurecht kommst. Auf der Offiziersakademie sind schließlich auch nur adlige junge Männer und du scheinst dich trotz deiner anfänglichen Bedenken mit den meisten von ihnen gut zu verstehen.“ Auch damit hatte Emilie vollkommen recht. „Also gut, ich werde Euch und Vater begleiten,“ antwortete Oscar. „Schließlich ist es nur für einen Abend.“ Erleichtert verließ Emilie de Jarjayes den Raum. Nachdem Oscar nun einsichtig war und ihr Mann damit zufrieden gestellt, würde es doch noch ein ruhiger Abend werden. Eines musste man Oscar lassen: Man konnte gut mit ihr reden und mit vernünftigen Argumenten überzeugen. Damit erreichte man weitaus mehr als ihr Mann mit seinem ständigen Getobe. Der 24. Juni war ein heißer Sommertag und Oscar war nach ihrer letzten Unterrichtsstunde gerade auf dem Weg in den Stall um ihre Stute zu holen. Wie versprochen würde sie pünktlich im Palas de Jarjayes sein um ihre Eltern zu dem Ball zu begleiten. Da sie es heute so eilig hatte wartete sie auch zum ersten Mal nicht auf Olivier, um ein Stück ihres Heimweges mit ihm zurück zu legen. Plötzlich hörte sie eine Stimme nach ihr rufen: „He! Jarjayes warte!“ Es war Henry der ihr hinterher lief. Schon hatte er sie eingeholt und legte eine Hand auf ihre Schulter. Als Oscar ihm ins Gesicht sah entdeckte sie diesen Ausdruck an ihm, bei dem sie bereits wusste das er wieder etwas unsägliches ausheckte. „Ein paar von den Jungs und ich wollen heute Abend nach Paris hinein reiten und in ein Wirtshaus gehen. Willst du dich uns nicht anschließen?“ Überrascht sah ihn Oscar an. Solch eine Idee konnte wirklich nur von Henry kommen. Vermutlich waren sie für ein Wirtshaus noch viel zu jung und sie hatte es ihrer Mutter fest versprochen an dem Abend ohne Wiederworte auf den Ball zu gehen. Auf der anderen Seite war Oscar noch nie in einem Wirtshaus gewesen und sie brannte vor Neugier darauf wie es wäre eines besuchen. Und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, so freute sie sich ungemein darauf einmal mit Henry etwas außerhalb des Akademiegeländes zu unternehmen. Doch sie konnte ein Versprechen das sie ihrer Mutter gegeben hatte nicht brechen. „Es tut mir sehr leid aber ich kann nicht mit euch kommen. Meine Familie ist heute auf einen Ball des Königs eingeladen und ich habe fest versprochen daran teil zu nehmen.“ „Ach Versailles,“ sagte Henry abfällig. „Dort werden wir noch unser ganzes Leben lang ständig antreten müssen. Heute möchte ich etwas erleben. Also lass den König König sein und schliss dich uns an.“ Damit sah er Oscar in die Augen und strahlte sie auf seine unnachahmliche Art an. Oscars Knie begannen weich zu werden und in ihrem Bauch war ein merkwürdiges Ziehen zu spüren. Nicht so wie wenn sie sich vor etwas fürchtete, sondern auf eine völlig andere Weise. Sollte sie es wirklich wagen mit zu kommen? Ihr Mutter würde enttäuscht sein, ihr Vater sehr zornig. Es würde zuhause nicht angenehm werden. Sie selbst hätte niemals etwas getan das gegen die Regeln verstieß und schon gar nicht ein Versprechen gebrochen. Aber durch Henry war sie wie ausgewechselt. Plötzlich drängte es sie unbändig danach in seiner Nähe zu sein. Und sie verspürte den merkwürdigen Wunsch ihm zu gefallen. „Ich begleite euch gerne,“ hörte sie sich sagen. „Hervorragend! Das wird ein lustiger Abend!“ Damit war Henry schon verschwunden um den anderen Bescheid zu sagen. Oscar fand in ihrem Geldbeutel einige Münzen die ihr Monsieur de Jarjayes an ihrem ersten Tag auf der Akademie zugesteckt hatte. Bis jetzt hatte sie diese nicht ausgegeben. Schließlich hatte sie in ihrem Leben so gut wie noch nie Geld gebraucht. Im Palas de Jarjayes und auf der Akademie gab es immer von allem was sie brauchte. Die Burschen sattelten ihr Pferd und Oscar gab einem von ihnen ein Geldstück und schickte ihn mit der Nachricht zum Palas de Jarjayes, das sie heute nicht heimkommen würde, da sie auf der Akademie aufgehalten worden war. Oscar ritt ans Tor, wo die anderen bereits auf sie warteten. Begeistert begrüßten sie Oscar. Die Vorfreude auf ihr verbotenes Abenteuer machte sie alle ganz kribbelig. Mit von der Partie waren neben Oscar, Henry und Olivier noch Patrice und Emilian, die genau wie Henry auf dem Akademiegelände wohnten. „Müsst ihr nicht bis 21 Uhr in euren Betten sein?“ erkundigte sich Oscar. „Ach was, wir haben ein paar der Burschen bestochen das sie uns um Mitternacht das Tor aufschließen. Falls jemand in unsere Betten sieht liegen Kissen unter unseren Decken, so das es aussieht als ob jemand darinnen liegt.“ Fröhlich grinste Henry von einem Ohr zum anderen. Sein Lächeln ging Oscar durch und durch und schien ihr Herz einen kleinen Luftsprung machen zu lassen. Sie warf all ihre Bedenken fort und beschloss den Abend zu genießen. Ein herrliches Gefühl von Freiheit lag zum ersten Mal in ihrem Leben in der Luft. Der Schweiß stand dem Dauphin Louis Auguste in dicken Tropfen auf der Stirn. Die Schmiede, die ihm sein Großvater auf dem Dachboden von Versailles hatte einrichten lassen, war voll dickem Qualm aber das war Louis inzwischen gewohnt. Es machte ihm nichts aus wenn er nur seinem heiß geliebten Schmiedehandwerk nachgehen durfte. Neben ihm stand Monsieur Bonnet und sah ihm zu wie er das rotglühende Eisen bearbeitete. Der ältere Herr hatte seine Werkstatt aufgegeben um den Dauphin in der Schmiedekunst zu unterrichten. Dafür durfte er im Dienstbotentrakt von Versailles leben und wurde von König Louis XV so großzügig entlohnt wie er es sich nie in seinem Leben hatte träumen lassen. Inzwischen war aber nicht nur mehr sein Lohn der ausschlaggebende Grund dafür das er seine neue Arbeit so sehr liebte. Mit Louis hatte er einen Lehrling gefunden, der so begabt und begeistert bei der Sache war wie noch kein anderer vor ihm. Heute hatte er, obwohl er erst seit zwei Monaten sein Handwerk erlernte, sein erstes Türschloss geschmiedet. Dies war eine der schwierigsten Arbeiten in der Schmiedekunst. Louis hielt das fertige Türschloss an der Zange nach oben und Monsieur Bonnet begutachtete es. „Recht gut gearbeitet,“ lobte er. „Bis auf ein paar Kleinigkeiten nahe zu perfekt.“ Louis Auguste wurde vor Freude rot. Bei Monsieur Bonnet konnte er sicher sein das ein Lob immer ernst gemeint war und nicht das geringste damit zu tun hatte das er der Dauphin von Frankreich war. In diesem Moment klopfte es an der Tür der Schmiede. Ein Lakai trat ein und verneigte sich vor dem Dauphin. Für Monsieur Bonnet mutete es einen Moment seltsam an, dass sich der Diener in seiner eleganten Livree vor dem jungen Mann in seiner schmutzigen Arbeitsschürze verneigte, aber an diesem Hof durfte einen eben nichts verwundern. „Was gibt es?“ fragte Louis Auguste. Er hasste es wenn er in seiner Arbeit gestört wurde. „Euer Lehrer der Herzog La Vauguyon lässt Euch mit Verlaub daran erinnern das es Zeit wird sich für den Hofball heute Abend umzukleiden.“ „Der Ball! Das hätte ich beinahe vergessen!“ Der Dauphin schlug sich mit seiner verruhsten Hand gegen die Stirn und hinterließ dort einen dunklen Abdruck. Er verspürte nicht die geringste Lust auf dem Ball seines Großvaters zu erscheinen. Das Tanzen war ihm ein Greul, wusste er doch das er dabei eine ungelenke Figur machte. Aber wohl oder übel gehörte dies zu seinen Pflichten. Seufzend legte er seine Arbeitsschürze ab. „Monsieur Bonnet, Ihr müsst mich entschuldigen. Der Ball heute Abend ist für mich unumgänglich.“ Damit verließ er den Raum der ihm als Schmiede diente. Monsieur Bonnet sah ihm nach. „Sicher wäre er als einfacher Bürger viel glücklicher wie als Dauphin,“ dachte er bei sich. „Aber niemand wird bei seiner Geburt gefragt an welchen Platz er gestellt werden möchte.“ Gerade als der Dauphin um eine Ecke bog, um sich in seine Gemächer zu begeben, standen an der Seite zwei junge Damen und unterhielten sich. Die eine von ihnen war die Tochter des Grafen de Meuron, der mit ihm damals als er Monsieur Bonnet kennen lernte auf der Jagd gewesen war. Julie hatte eine zierliche Figur und ihr schmales Gesicht war von einer vollen, brünetten Lockenpracht umgeben. Ihre Freundin die neben ihr stand, eine hübsche Dunkelhaarige, die der Dauphin nicht namentlich kannte, hatte bereits eine frauliche Figur mit einem üppigen Dekolletee. Artig versanken sie, nachdem sie den Dauphin entdeckt hatten, in einem tiefen Hofknicks. Louis Auguste, der wahrgenommen hatte, dass es sich um zwei weibliche Wesen handelte, geriet ins Stolpern, fasste sich aber wieder so weit das er ihnen einigermaßen huldvoll zunicken konnte. Schnell sah er zu das er aus ihrer Sichtweite in den nächsten Gebäudetrakt kam. Dabei hörte er die beiden Mädchen albern hinter seinem Rücken kichern. Die Gegenwart von Frauen verwirrte ihn stets und brachte ihn aus der Fassung. Sollte er eine junge Dame zum Tanz auffordern oder gar noch Konversation mit ihr betreiben so brachte ihn dies stets so durcheinander, dass er kaum ein Wort heraus brachte. Meist ärgerte er sich dabei maßlos über sich selbst. Und ausgerechnet heute würde es unumgänglich sein, mit der ein oder anderen jungen Dame zu sprechen. So verlangte es sein Großvater. Je näher er seinen Gemächern kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Auf den kommenden Abend verspürte er immer weniger Lust. Wie gerne hätte er noch ein bisschen mit Monsieur Bonnet in der Schmiede gearbeitet oder sich in eines seiner Bücher vertieft. Doch statt dessen musste er sich nun in unbequeme Kleidung zwängen und sich die gesamte Etikette eines Hofballes antun. Am liebsten wäre er davon gelaufen. Es wurde bereits Abend, dennoch wurde es heute nicht dunkel. Die Welt war in ein milchiges Zwielicht getaucht Es war die Mittsommernacht in Schweden. Die Familie des Grafen von Fersen hatte sich den Sommer über auf ihr Landgut zurück gezogen. Hans Axel, der älteste Sohn des Grafen, stimmte sich gerade mit seinem Freund Arvid von Bergen auf das nächtliche Fest ein. Eine Einstimmung auf ein Fest bedeutete für Arvid meist das es dazu eine Flasche Champagner gab, die er des öfteren aus den Vorräten seines Vaters entwendete. Er war bereits zwei Jahre älter als sein Freund Hans Axel. Eigentlich war Graf von Fersen bis vor kurzem immer strikt dagegen gewesen, dass sein Sohn an nächtlichen Festlichkeiten teilnahm. Immerhin würde Hans Axel im Herbst erst vierzehn Jahre alt werden. Da er jedoch im nächsten Jahr Europa bereisen sollte, um dort in den verschiedensten Ländern zu studieren, gab es wohl nichts mehr dagegen einzuwenden wenn er nun zum ersten Mal alleine auf einen Mittsommernachtsball ging. Das Fest fand auf dem Landgut einer befreundeten Adelsfamilie statt und Hans Axel und Arvid wollten gemeinsam auf ihren Pferden dorthin reiten. Als sie über die Felder preschten lag ein angenehmes Gefühl in der Luft. Dies war die Nacht der Nächte, in der die Sonne nicht untergehen würde. Die Nacht in der alles passieren konnte. Der Weg in das Schloss, in dem der Ball stattfinden sollte, führte sie durch ein kleines Dorf. Mitten auf dem Dorfplatz stand der Mittsommerstab, mit Birkenlaub umwunden. Die Dorfleute tanzten um ihn herum. Um sie nicht zu stören ließen sie ihre Pferde im Schritt an den tanzenden Menschen vorbei gehen. Hans Axels spürte plötzlich das ihn jemand nicht aus den Augen ließ. Als er sich umsah bemerkte er das eines der Dorfmädchen ihren Blick unverwandt auf ihm ruhen ließ. Sie sah aus wie fast alle Mädchen hier in der Gegend, blond mit blauen Augen. Doch sie lächelte Hans Axel auf eine seltsame Art an, so wie ihn noch kein Mädchen angelächelt hatte. Als er weiter ritt wurde ihm warm, so warm wie an einem brennenden Kamin. Eine Kerze brannte auf dem Schreibtisch und durch die nach oben geschobenen Fenster drang die milde Luft des Sommerabends in das Zimmer. Maria Antonia saß über ein Buch gebeugt und versuchte verbissen sich französische Vokabeln einzuprägen. Seit der Heiratsantrag aus Frankreich gekommen war machte nichts mehr so rechten Spaß. Sämtliche Vergnügungen waren gestrichen worden und zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie gezwungen über den ihr verhassten Büchern zu brüten. Zum ersten Mal wurde kontrolliert ob sie sich etwas eingeprägt hatte. Anstatt durch den Garten zu tollen gab es nun Geschichtsunterricht mit all seinen unendlich vielen Jahreszahlen. Spaziergänge, Ausflüge und alles Vergnügliche war nun dem Unterricht der Etikette gewichen. Die Albernheiten ihrer Brüder waren von der Kaiserin ein für allemal unterbunden worden. An ihrer Stelle gab es nun nur noch lernen, lernen und nochmals lernen. Am Schwersten war das Französisch. Ausgerechnet in dieser Sprache sollte sie nun nur noch von morgens bis abends sprechen, an dem fremden Hof, an den sie „verhökert“ worden war, wie ihr Bruder Ferdinand so spöttisch gesagt hatte. Wie es dort in dem fremden Land wohl sein würde? Und ob der Dauphin Louis Auguste wirklich der Mann war von dem sie immer träumte? Ihre Brüder hatten gesagt er wäre hässlich wie die Nacht aber ihnen war wohl kaum zu glauben. Ihr gegenüber saß die Prinzessin Johanna von Lichtenstein, ein Mädchen im selben Alter, das die Kaiserin dafür bestimmt hatte mit ihr gemeinsam zu lernen. Gerade als sie zu ihr hinüber sah, blickte auch Johanna von ihrem Buch auf. „Es ist furchtbar langweilig. Findet Ihr nicht auch?“ „Ja, da habt Ihr völlig recht,“ sagte Maria Antonia, erleichtert darüber das es der Prinzessin ebenso ging wie ihr selbst. „An solch einem Sommerabend sollte man nicht lernen müssen. Ich wäre viel lieber draußen im Garten oder noch lieber in Wien unterwegs. Ich habe gehört das es dort einen großen Jahrmarkt geben soll. Aber die Kaiserin würde niemals erlauben das wir dort hin gingen.“ „Erlauben würde sie es keinesfalls aber eine Mutter braucht nicht immer alles zu wissen,“ hörten sie hinter sich eine tiefe Stimme. Ihr Bruder Ferdinand war unbemerkt eingetreten. Er sah seine jüngere Schwester an. Seltsamerweise versetzte es ihm einen Stich wenn er daran dachte das sie nächstes Jahr um diese Zeit nicht mehr hier sein würde. Aber das würde er niemals freiwillig zugeben. Nun war er aber nicht wegen Maria Antonia unangemeldet in das Studierzimmer gekommen sondern wegen der Prinzessin von Lichtenstein, auf die er schon seit langem ein Auge geworfen hatte. Aber da sie ständig mit seiner Schwester am lernen war, hatte er noch keine Gelegenheit gefunden um mit ihr alleine zu sprechen. Nun da seine Mutter, gemeinsam mit seinem ältesten Bruder Josef und ihrem Staatskanzler Kaunitz mal wieder in wichtige, politische Besprechungen vertieft war, die vermutlich bis tief in die Nacht hinein dauern würden, bot sich endlich eine passende Gelegenheit um mit der Prinzessin alleine sein zu können. Er näherte sich dem Tisch und betrachtete Johanna von Lichtenstein. Er fand sie heute besonders hübsch. Ein Besuch auf dem Jahrmarkt, fern von den strengen Augen seiner Mutter und des Hofes wäre endlich die ideale Gegebenheit um ihr einen Kuss zu entlocken. Maria Antonia würde sich leider wohl kaum abhängen lassen. Aber um sie würde sich ihr Bruder Maximilian kümmern, dass hatte ihm dieser schon fest versprochen, damit Ferdinand sich ganz der Prinzessin widmen konnte. Ferdinand nahm Platz, die Augen fest auf seine heimliche Angebetete geheftet. „Der Jahrmarkt wird sicherlich interessant und wir werden uns dort prächtig amüsieren. Also zögert nicht lange und kommt mit mir und Maximilian mit.“ Die Prinzessin zauderte merklich. Für ihr jugendliches Alter war sie bereits sehr besonnen und vernünftig, weshalb sie auch der Kaiserin als die perfekte Gefährtin für ihre flatterhafte Tochter erschienen war. „Ich denke nicht das dies ein guter Einfall ist. Wenn man uns dabei entdeckt wie wir die Hofburg unangemeldet verlassen wird man uns sicher sehr rügen.“ Dabei sah sie brav auf ihr Buch. Wie Ferdinand erwartet hatte kam ihm seine Schwester sofort zur Hilfe. „Ach bitte Johanna! Lasst uns Ferdinand doch begleiten! Wir werden uns hier noch zu Tode langweilen! Und ohne Euch wird der Ausflug nur halb so viel Spaß machen!“ Johanna blickte in Maria Antonias ehrliche blaue Augen. Sie hatte noch keinen anderen Menschen erlebt der so wunderbar schmeicheln konnte wie die junge Erzherzogin. Das Besondere war dabei allerdings das Maria Antonias Komplimente immer ernst gemeint waren. Niemals war sie unaufrichtig, auch wenn sie noch so überschwänglich war. Wie viele Menschen die mit der zukünftigen Kronprinzessin zu tun hatten wurde sie weich wie ein Stück Butter in der Sonne. Ihre unbekümmerte, herzliche Art tat so wohl. So warf sie all ihre Bedenken davon. „Nun gut. Ich begleite Euch und Eure Geschwister gerne. Sicher habt Ihr damit recht das wir uns ein wenig Abwechslung verdient haben.“ Maria Antonia stand ungestüm von ihrem Stuhl auf und umarmte die Prinzessin. „Liebe Freundin, wie sehr ich mich freue. Wir werden bestimmt einen herrlichen Abend erleben. Nichts ist so schlimm auf dieser Welt als sich zu langweilen.“ Auch Ferdinand erhob sich. „In einer halben Stunde treffen wir uns in meinem Salon. Bitte seid pünktlich und tragt möglichst einfache Kleidung. Am besten wird sein wir erwecken den Eindruck ein paar junger Landadliger die zum ersten Mal die große Stadt besuchen.“ Damit verließ er das Studierzimmer. Draußen dachte er bei sich: „Das Tonerl kann wirklich jeden um den Finger wickeln, von der Kaiserin einmal abgesehen. Gnade dem Mann dem sie einmal ihre Gunst schenken wird. Und mein untrügliches Bauchgefühl sagt mir das es sich dabei sicher nicht um ihren zukünftigen Gatten handelt.“ Fröhlich pfiff er vor sich hin, froh darüber Johannna von Lichtenstein endlich nahe kommen zu können. Je näher sie Paris kamen desto mehr Menschen kamen Oscar und ihren Kameraden entgegen. Vor allem Kutschen von Adligen, deren Hotels in Paris waren und Bauern die ihre Ware auf dem Markt verkauft hatten und sich nun mit leeren Wägen auf dem Heimweg gemacht hatten. Bald waren sie in den Straßen von Paris angelangt. Sie fühlten sofort wie der Puls der Stadt sie ansteckte. „In welches Wirtshaus sollen wir nun?“ fragte Patrice. Henry, der unbestrittene Anführer ihrer Gruppe blickte sich suchend um. Sein Blick viel auf ein Gasthausschild mit der Aufschrift: „Bleue chien.“ (Blauer Hund). Entschlossen saß er ab und seine Kameraden taten es ihm nach. Sie banden ihre Pferde vor dem Bleue chien an und betraten die Gaststube durch eine morsche Türe, die beim Öffnen erbärmlich in ihren Angeln quietschte. Im Gasthaus herrschte dämmriges Licht und an den grob zusammengezimmerten Tischen saßen einige Handwerker, die sich ihr Bier schmecken ließen und miteinander Karten spielten. Am Tresen stand ein Wirt in einer Schürze die sichtbar seit Monaten nicht gereinigt worden war und dessen Haare vor Fett trieften. Eine üppige Bedienstete brachte den Männern ihr Bier. Sie sah kaum gepflegter aus als der Wirt. Die Gespräche und das Gelächter verstummten als sich die quietschende Türe öffnete und die fünf jungen Kadetten eintraten. Etwas erstaunt musterten die Männer sie. So junge Gäste waren noch nie in das Gasthaus gekommen. Die fünf jungen Leute blickten nun etwas verunsichert drein. Doch nach einigen Sekunden hatte sich Henry wieder gefangen und lotste seine Truppe an einen freien Tisch. Einige der Männer in der Gaststube begannen zu grinsen. Jeder erriet sofort das dies der erste Gasthausaufenthalt der fünf sein musste und vermutete das sie sich sicherlich keine Erlaubnis dafür eingeholt hatten. Die Bedienung kam zu ihnen und nahm die Bestellungen auf. Olivier bestellte sich einen Krug Bier und die anderen taten es ihm nach. Die ersten Schlucke schmeckten bitter. Oscar sah an den verzogenen Mündern der anderen das es ihnen ebenso ging wie ihr. Doch nach einigen Schlucken schmeckte es ihr immer besser. Bald wurde es Oscar warm und da sie die rot leuchtenden Wangen ihrer Kameraden sah mussten auch sie allmählich ins Schwitzen kommen. Einer der Männer in der Gaststube stand auf und setzte sich zu ihnen auf den letzten Stuhl der noch frei war. „Ihr seid wohl zum ersten Mal hier?“ fragte er. „Oh ja!“ antwortete Olivier eifrig. Sonst schätzte Oscar gerade seine ruhige, unaufdringliche Art an ihm, doch urplötzlich begann er zu reden wie ein Wasserfall. „Wir sind sogar alle zum ersten Mal nachts alleine in Paris unterwegs. Auch waren wir noch nie in einem Gasthaus.“ Unauffällig trat ihm Oscar gegen das Schienbein. Wie konnte er nur so viel von ihnen preis geben? Er kannte den fremden Mann doch gar nicht. Dieser wirkte ungut. In seinen Augen war ein gemeines Glitzern. „Komm, Yves! Lass die kleinen Bälger in Ruhe,“ rief einer der Männer, die mit ihm Karten gespielt hatten. „Auch was! Die jungen Herren Kadetten sind meine Freunde und als meinen Freunden spendier ich ihnen eine Runde.“ Er winkte der Bedienung und ließ sie eine Runde Schnaps bringen. Sofort stellte sie den Schnaps in kleinen Gläschen auf den Tisch. Oscar sah sich die klare Flüssigkeit bedenklich an. Zuhause hatte sie noch nie Schnaps bekommen. Er wurde sehr sorgsam von ihrem Vater in einem Schrank verwahrt und nur wenn einer seiner engen Freunde zu Besuch kam oder wenn er mal wieder einen Beruhigungstrunk wegen nervenaufreibenden Familienangelegenheiten brauchte, die es des öfteren bei ihnen gab, schenkte er etwas davon ein. Auch Sophie hatte ein Flasche billigeren Schnapses in der Küche versteckt und gönnte sich hin und wieder ein Schlückchen zur Beruhigung ein. Sie achtete aber stets darauf das niemand der Herrschaft sie dabei erwischte. Es musste aber schrecklich komisch sein, denn Andre hatte ihr schon einige Male vorgemacht wie seine Großmutter sich ein Gläschen nach dem anderen genehmigte, aber davon seltsamer Weise noch aufgeregter wurde und schwankend und schimpfend durch die Küche torkelte. An Weihnachten hatte Oscar beim Dinner zur Feier ihres dreizehnten Geburtstages zum ersten Mal ein Glas Wein bekommen. Bis auf den Krug Bier dieses Abends waren das die beiden einzigen Male an denen sie Alkohol bekommen hatte. Nun stand dieses Glas mit Schnaps vor ihr, von dem sie wusste das er so verheerende Wirkung haben konnte. Immerhin hatte Andre aber erzählt das Sophie immer mehrere Gläser davon trank bevor sie zu Schwanken begann. Nun stand aber lediglich ein Glas vor ihr auf dem Tisch. Ein Glas konnte sicher nichts schaden. „So ein Glas leert man in einem Zug,“ erklärte ihnen der Mann der sie eingeladen und den sein Kamerad Yves genannt hatte. „Wer das nicht schafft der ist ein Feigling oder ein kleines Mädchen und das möchte von den Herren Kadetten doch sicher niemand sein?“ Mit einem Zug leerte er sein Glas. Um nicht als Feiglinge oder kleine Mädchen zu gelten taten es ihm Oscar, Henry und die anderen nach. Das Getränk brannte in der Kehle und in ihrem Magen. Oscar versuchte fest nicht das Gesicht zu verziehen und dachte dabei das es ihr als einziger zustehen würde, da sie tatsächlich ein Mädchen war. Olivier, der ihr gegenüber saß, verzog kurz das Gesicht zu einer kleinen Grimasse, riss sich aber sofort wieder heldenhaft zusammen. Yves wandte sich wieder ihnen zu. „Und nun erzählt mir noch ein wenig von euch. Zu welcher Truppe gehört ihr?“ „Also wirklich, das seht ihr doch an unseren Uniformen,“ meldete sich Olivier entrüstet zu Wort. Oscar überlegte wie er plötzlich nur so redselig werden konnte. Inzwischen klang seine Sprache schon ein wenig lallend. „Wir besuchen alle die Offiziersakademie.“ „So, so! Die Offiziersakademie. Was du nicht sagst.“ Ein gehässiges Grinsen stahl sich auf Yves Lippen. „Dann haben wir es wohl mit lauter hochwohlgeborenen Herrschaften zu tun.“ Er stieß ein gemeines Lachen aus. Oscar begann es unbehaglich zu werden und wie sie sich umsah bemerkte sie das sich auch die anderen nicht mehr wirklich wohl zu fühlen schienen. Ein weiterer der Mann stand auf und kam zu ihnen an den Tisch. „Lauter kleine Grafen und Barone. Dann werde ich ihnen wohl ebenfalls eine Runde ausgeben.“ Dies sagte er in keinem freundlichen Ton. Seine Stimme klang so wie die von Yves sehr gemein. Er gab ihnen das Gefühl als wären sie an einem Platz an den sie nicht gehören würden. „Habt dank für die Einladung aber wir müssen pünktlich wieder auf dem Akademiegelände sein.“ Henry erhob sich. „Ach, ist unsere Einladung den hochwohlgeborenen Grafen und Baronen nicht gut genug? Wollt ihr euch lieber nur mit eures Gleichen abgeben? Oder haben die gnädigen Herrschaften Angst das wir sie unter den Tisch trinken? So ein kleiner, feiner Grafensohn verträgt wohl nicht so viel unsereins.“ Oscar wäre es am liebsten gewesen wenn sie auf dem schnellsten Wege zur Tür hinaus gegangen wären. Aber die Jungen in ihrer Runde fühlten sich durch die provozierenden Worte offensichtlich in ihrer Ehre gekränkt. Emilian fuhr auf: „Auch wenn wir adliger Herkunft sind vertragen wir genau so viel wie ihr. „Jawohl,“ rief Henry. „Gebt uns so viel ihr wollt von dem Schnaps. Dann wird sich zeigen wer hier wenn unter den Tisch trinkt.“ Die Männer in der Gaststube hatten sich nun alle um ihren Tisch versammelt und grölten rau. „Nun denn, noch eine Runde für unsere neuen Freunde,“ rief Yves. Die schlampige Bedienung brachte die nächste Runde an Schnapsgläsern. Oscar hatte das Gefühl das nun alles außer Kontrolle geraten war. Doch wusste sie selbst nicht wie sie und ihre Kameraden wieder aus dieser Sache heraus kommen sollten. Auf der Landstraße nach Versailles fuhr eine Kutsche im Eiltempo. Auf ihrem Wappen war ein roter Löwe auf blauem Grund zu sehen, das Wappen der Jarjayes. Auf dem Kutschbock saß Philippe und gab den Pferden die Peitsche um sie schneller voran zu treiben. Im Inneren saßen General de Jarjayes und seine Gemahlin in vollem Ballstaat. Nervös und gereizt trommelte der General mit seinen Fingerspitzen gegen den Griff seines Degens und sah immer wieder aus dem Kutschenfenster in die dunkle Nacht hinaus. „Philippe, nun mach schon! So treib doch endlich die Pferde an! Wir sollten schon längst in Versailles sein!“ „Jawohl General de Jarjayes,“ rief Philippe. Man hörte erneut das Knallen der Peitsche und die Pferde zogen noch etwas mehr an, auch wenn Emilie de Jarjayes bei dem Tempo mit dem die Kutsche ohnehin schon über die Straße rollte, dies nicht mehr für möglich gehalten hatte. „Rainier, seid doch vernünftig. Wollt Ihr das wir im Straßengraben landen?“ fragte sie halb ängstlich halb ärgerlich. Die Antwort blieb ihr der General schuldig. „Durch die Wartezeit auf Oscar haben wir unnötig viel Zeit vertan. Zu spät auf einen Ball seiner Majestät zu kommen wäre unerhört. Ich kann wahrlich nicht verstehen weshalb auf der Offiziersakademie nicht Rücksicht darauf genommen wird wenn einer der Kadetten nach Versailles geladen ist. Sie hätten Oscar doch an jedem anderen Tag länger dabehalten können. Ich werde mich bei seiner Majestät selbst darüber beschweren. Nicht das er noch denkt Oscar würde absichtlich seinem Ball fernbleiben.“ Emilie hüllte sich in Schweigen und fächerte sich etwas frische Luft zu. Man hatte es in dieser Familie wirklich nicht leicht. Am Tor wurde die Kutsche der Familie de Jarjayes erkannt und eingelassen. Trotz seiner Eile und der Angst zu spät zum König zu kommen vergaß Monsieur de Jarjayes nicht Emilie aus der Kutsche zu helfen und ihr den Arm zu reichen, um sie durch die Gänge von Versailles in den großen Saal zu führen. Er konnte an diesem Abend nicht verbergen wie stolz er auf seine Frau war. Obwohl sie sechs Kinder geboren hatte war Emilie de Jarjayes immer noch eine schöne Frau und in ihrer apfelgrünen Robe wirkte sie heute so elegant wie schon lange nicht mehr. Trotz ihrer Befürchtungen kamen sie gerade noch rechtzeitig. Im selben Moment in dem ihnen ein Lakai die Tür öffnete, kündigte der Prozeptor den König, den Dauphin Louis Auguste und dessen jüngeren Bruder, den Graf de Provence an, die gleich darauf in den Saal einzogen, dicht gefolgt von der Dubarry und ihren Hofdamen. Sofort entdeckte Emilie ihre älteste Tochter Veronique, die mit darunter war. An manchen Tagen war sie weit aus mehr ihr Sorgenkind als Oscar. Emilie fragte sich oft ob sie mit ihrer Rolle am Hofe glücklich war. In der als Ehefrau, an der Seite ihres ungeliebten Mannes, war sie es höchst wahrscheinlich nicht. Sicher ging es den meisten adligen Frauen und auch reicheren unter den Bürgerlichen in ihren arrangierten Ehen eben so. Aber eine Mutter wünschte sich eben ihre Kinder glücklich zu sehen. Louis XV schritt durch die Reihen seiner Adligen um diejenigen unter ihnen, die in seiner Gunst gerade besonders hoch standen, persönlich zu begrüßen. Dabei fiel sein Blick auch auf Rainier und Emilie de Jarjayes. „General de Jarjayes! Seid willkommen in Versailles und auch Ihr liebe Madame de Jarjayes. Aber sagt, wo habt Ihr Lady Oscar gelassen? Ich habe mich so darauf gefreut das sie den Hof endlich einmal wieder durch ihre frische Art belebt.“ Dem General wurde der Kragen zu eng. Es blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig als die Wahrheit zu sagen. „Majestät, ich bitte vielmals darum Oscar für heute Abend zu entschuldigen. Aber er wurde auf der Offiziersakademie aufgehalten. Selbstverständlich ist er untröstlich darüber Eurem Ball nicht beiwohnen zu können.“ Dem König schien die Antwort zu genügen und er wandte sich dem Nächsten seiner Günstlinge zu. Erleichtert stellte der General fest das er nicht verärgert war. Bei ihm in Ungnade zu fallen war das schlimmste was einer Familie des Hochadels passieren konnte. Da es in Frankreich keine Königin mehr gab musste darauf verzichtet werden, dass der Ball durch das Königspaar eröffnet wurde. Als die Geigen einsetzten fühlte Emilie die Hand ihres Mannes auf ihrer Schulter. Sie blickte zu ihm auf. „Madame de Jarjayes, darf ich um diesen Tanz bitten?“ Freudig strahlte Emilie ihn an. „Mit Vergnügen, Monsieur de Jarjayes.“ Und schon wirbelten sie zu den Klängen eines Menuetts durch den Saal, vorbei an anderen Paaren, von denen einer prächtiger gekleidet war wie der andere. Doch plötzlich blieb Emilies Blick an jemandem hängen der nicht so fröhlich wirkte wie die anderen Gäste. Louis Auguste stand Abseits der anderen und sein trauriger Blick brannte sich tief in Emilies Herz ein. Auf dem Mittsommerball gab sich Hans Axel charmant, führte die Damen zum Tanz und macht mit ihnen leichte Konversation, so wie er es gelernt hatte. Doch er konnte das Dorfmädchen nicht vergessen, bei deren Blicken ihm so warm geworden war. „Ich möchte früher gehen,“ flüsterte er seinem Freund Arvid zu und schon war Hans Axel von Fersen von dem rauschenden Fest verschwunden und in die helle Mittsommernacht hinaus geritten. Es trieb ihn zurück auf den Dorfplatz. Das Fest war noch lange nicht zu Ende und nun leuchteten auch die Mittsommerfeuer. Als er an einem dieser Feuer vorbei ritt spürte er wie dessen Energie auf ihn überschlug und eine unbändige Kraft, die zuvor nicht in ihm gewesen war. Das Mädchen, das ihn mit ihren Blicken durchdrungen hatte, war noch da. Sie tanzte gerade mit einem jungen Mann. Als sie Hans Axel entdeckte ließ sie ihren Tanzpartner einfach stehen, trat auf den jungen Grafensohn zu und streckte ihm die Hände entgegen. Der nächste Tanz gehörte ihm. „Wie ist dein Name?“ fragte er sie. „Ich heiße Marga.“ „Mein Name ist Hans Axel.“ Sie lachte fröhlich. „Das weiß ich doch schon längst. Du bist der Sohn des Grafen. Ich habe dich schon oft auf deinem Pferd vorbeireiten sehen und ich fand dich schon immer wundervoll.“ Sie tanzten miteinander zu der Musik von Geigen, Flöten und Trommeln bis ihnen schwindlig wurde. Hans Axel stellte fest das dieses Mittsommerfest viel ausgelassener war wie der Ball den er zuvor besucht hatte und es gefiel ihm, genau so wie ihm Marga immer besser gefiel. Nach dem Tanz legte er den Arm um ihre Schultern, wie es auch einige andere Burschen bei den Mädchen taten. In Adelskreisen wäre dies äußerst unschicklich gewesen aber hier schien sich niemand daran zu stören. Nebeneinander ließen sie sich auf einer Bank nieder und ein Mädchen brachte ihnen ein würziges Kräuterbier. Plötzlich stand Marga auf und nahm Hans Axel bei der Hand. Er dachte sie wolle erneut mit ihm tanzen, doch sie führte ihn weg aus dem Gedränge auf eine Wiese. Dort lehnte sie sich gegen einen der Obstbäume, zog Hans Axel nahe an sich heran und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Sie schmeckte nach dem Kräuterbier und er konnte plötzlich gar nicht mehr genug von ihr bekommen. Instinktiv wanderte seine Zunge zwischen ihre Lippen und suchte die ihre. Seine Hand tastete nach den kleinen, festen Brüsten unter ihrem Mieder. Die Musik, die noch immer auf dem Dorfplatz spielte, nahmen sie schon lange nicht mehr war. Sie vergaßen die ganze Welt um sich herum. Auf dem Jahrmarkt in Wien herrschte ein dichtes Gedränge. Die Straßen waren voll von Buden und Fahrendes Volk hatte seine Zelte aufgestellt, in denen es gutgläubigen Bürgern Tränke gegen alle möglichen Beschwerden verkaufte und die Zukunft voraus sagte, die, je nach Bezahlung, mal besser mal schlechter ausfiel. Im dunkel der Nacht waren viele junge Leute unterwegs, darunter auch ein Grüppchen aus zwei jungen Mädchen und zwei Burschen. Sie waren eher schlicht gekleidet und niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen das es sich bei ihnen um die Prinzessin von Lichtenstein und die Sprösslinge der Kaiserin persönlich handelte. Vor allem bei dem blonden der beiden Mädchen mit dem noch kindlichen Gesicht, das so unbeschwert neben den anderen herging und alles was es sah begeistert bewunderte, war kaum zu vermuten das diese in einem Jahr bereits die Dauphine von Frankreich sein würde. Der vierzehnjährige Ferdinand hatte sich die Gunst der Stunde zu nutze gemacht und der Prinzessin den Arm angeboten, den diese, ebenfalls froh darüber endlich einmal unbeobachtet zu sein, nur zu gerne angenommen hatte. Ferdinand nickte Maximilian zu. Das war das ausgemachte Zeichen dafür, das er mit der Prinzessin ungestört sein wollte und sein Bruder mit Maria Antonia des Weges ziehen sollte. Maximilian, der das Nicken gesehen hatte, blinzelte seinem Bruder verschwörerisch zu und hakte ich bei Maria Antonia unter. „Komm Tonerl! Dort drüben gibt es einen lustigen Papagei der Kunststücke kann. Ich möchte ihn dir gerne zeigen.“ Sofort ließ sich Maria Antonia mitziehen. Sie wollte so viel wie nur möglich von dem Jahrmarkt sehen. Wie Maximilian richtig vermutet hatte war seine Schwester von dem Papagei sofort begeistert, der sogar rechnen konnte und die richtigen Zahlen auf die gestellten Rechenaufgaben mit einer kleinen Glocke läutete. „Maximilian, das süße Tier! Am liebsten würde ich es mit auf die Hofburg nehmen!“ Maximilian gab seiner Schwester einen Rippenstoß. Wie gedankenlos das Tonerl doch oft war. Beinahe hätte sie alles verraten. Doch niemandem der anderen Zuschauer schien etwas bemerkt zu haben. Neben ihnen stand ein Junge, ungefähr in Ferdinands Alter und musterte das Geschwisterpaar. „Der Papagei ist sehr gelehrig. Das ist wohl war. Aber wisst ihr beiden was noch viel interessanter ist?“ Sofort hatte er die Aufmerksamkeit Maria Antonias auf sich gezogen. Allem was Spaß machte galt ihr ungeteiltes Interesse.. „Oh, bitte erzählt es uns. Wir möchten nichts versäumen! Nicht wahr Maximilian?“ rief sie lebhaft. Der fremde Junge sah wohlgefällig auf Maria Antonias frisches Gesicht und ihre leuchtenden Augen. So eine ansteckende Begeisterung und gute Laune hatte er selten bei einem anderen Menschen erlebt. „Noch viel amüsanter ist es bei der Wahrsagerin. Sie kann genau vorher sagen was das Leben euch bringen wird.“ „Wie aufregend! Ich habe schon viel von solchen Wahrsagern gehört. Ihr müsst meinen Bruder und mich sofort in ihr Zelt bringen.“ Bevor Maximilian noch etwas dazu sagen konnte hatte sich Maria Antonia mit dem jungen Mann schon auf den Weg gemacht. „Tonerl, warte,“ rief Maximilian. „Glaub doch nicht solch einen Unsinn! Es gibt keine Wahrsagerei. Die Zigeunerin möchte nur dein Geld. Mutter wäre sicher auch sehr ungehalten darüber.“ Er dachte mit Schaudern wie seine streng katholische und sittenstrenge Mutter reagieren würde, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter zu einer Wahrsagerin ginge. Maria Antonia drehte sich um und sah ihn fest an. „Das mag sein. Aber,“ meinte sie mit Genugtuung in der Stimme, „Mutter ist nicht hier. Und sie wird niemals davon erfahren. Ansonsten müsstest du ihr auch diesen Ausflug beichten und ich glaube nicht das du das tun wirst.“ Selbstsicher folgte das Tonerl dem Jungen, der mit schnellen Schritten auf das Zelt zuging und Maximilian blieb nichts anderes übrig als wiederum seiner Schwester zu folgen. Schließlich konnte er sie nicht alleine mit dieser fremden Person ziehen lassen, auch wenn das Tonerl noch so leichtsinnig war. In der Schenke „Bleue chien“ ging es inzwischen hoch her. Ein alter Mann war mit seiner Ziehharmonika herein gekommen und spielte nun fröhliche Lieder auf. Der Lärm war bis nach draußen gedrungen und hatte nun auch einige „Damen“ angelockt, die gerade das Wirtshaus betraten. Nach der vierten Runde Schnaps, die Oscar und den Jungen ihrer Akademie ausgeschenkt worden war, war sie mit dem Kopf nach vorne auf die Tischplatte gesunken. Sie konnte sich nicht daran erinnern wann es ihr jemals in ihrem Leben so elend gegangen war. Nach einigen Sekunden zwang sie sich ihren schweren Kopf wieder zu heben. Sie sah Olivier direkt in sein Gesicht und stellte fest das die Röte in seinen Wangen verschwunden war. An ihre Stelle war eine ungesunde Blässe getreten. Die anderen Jungen sahen keineswegs besser aus. Patrice und Emilian waren ebenfalls wie Oscar gerade eben mit dem Kopf nach vorne gefallen und selbst Henry konnte nicht länger den Unbeschwerten spielen. Er sah genau so kränklich aus wie alle anderen. Eine der Frauen, die in die Schenke gekommen waren, entdeckte die jungen Gäste. „Na, was haben wir denn da Nettes?“ fragte sie in einem affektierten Ton und kam mit kokett schwingenden Hüften an ihren Tisch. Trotz dem heftigen Schwindelgefühl, das sich in ihr ausbreitete, konnte Oscar ihren Blick nicht von dieser Frau wenden. Noch nie hatte sie eine Person in solch einer Aufmachung gesehen. Ihre Lippen und Augenlider waren in solch grellen Farben geschminkt wie Oscar es von keiner anderen Dame kannte. Auch war sie sehr seltsam gekleidet. Um ihren Oberkörper schmiegte sich nichts weiter als ein enges Korsett, von dem Oscar von ihren Schwestern her wusste, dass es für gewöhnlich als Unterwäsche diente. Sie versuchte in Gedanken die Frau zu beschreiben aber ihr fiel kein passendes Wort für sie ein. Sophie, wenn sie anwesend gewesen wäre, würde so einen Kleidungsstil wohl als anstandslos und unschicklich bezeichnen. Aber das würde sie vermutlich zu dem gesamten Wirtshaus sagen. „Marielle, darf ich dir unsere jungen Freunde von der Offiziersakademie vorstellen?“ sagte einer der Männer, der sich zusammen mit dem Mann der Yves hieß noch immer an ihrem Tisch lümmelte. „Frische, kleine Aristokraten, wie reizend,“ sagte die Frau namens Marielle und strich mit ihrer Hand Olivier über den Kopf, der nicht mehr wusste wie ihm geschah. Dann zog sie sich unaufgefordert einen Stuhl heran und platzierte ihn mitten zwischen Olivier und Patrice und legte den Arm um die beiden. Oscar stellte für sich fest das nicht nur ihre Kleidung sondern auch das Benehmen dieser Person sehr unschicklich waren. Wo um alles in der Welt waren sie hier nur gelandet? „Sagt,“ fuhr Marielle fort, „Was führt euch hierher in unsere bescheidene Schenke?“ Bevor einer der Kadetten antworten konnte meldete sich Yves für sie zu Wort. „Die jungen Herren möchten unter Beweis stellen wir trinkfest sie sind. Stell dir vor, sie haben bereits vier Gläser Schnaps geschafft.“ „Nein,“ sagte Marielle und lachte meckernd. „Dabei sehen sie noch so frisch aus wie kein anderer in dieser Schenke. Also ein fünftes Gläschen geht doch sicher noch! Ihr seid doch alles stramme Burschen!“ Mit diesen Worten schlug sie Olivier und Patrice fest auf die Schultern, die immer elender aussahen. „Eine fünfte Runde für unsere Freunde von der Offiziersakademie,“ rief sie durch die Wirtschaft. „Welcher der Herren spendiert noch eine fünfte Runde?“ Ein weiterer Mann kam dazu und sagte: „Die soll auf mich gehen aber dann verschwinden wir beiden einmal für ein Stündchen, nicht wahr Marielle?“ Oscar versuchte krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen. Noch ein fünftes Glas von dem verdammten Schnaps und sie wären nicht mehr in der Lage nach hause zu kommen. Das bedeutete das sie auffliegen würden und dies wiederum hätte für Patrice, Emilian und Henry, die auf der Offiziersakademie wohnten, harte Folgen. Vermutlich würde man sie nach hause schicken, was für ihre Familien eine große Schande bedeuten würde. Aus irgendeinem Grund schienen die Leuten in der Wirtschaft einen großen Spaß daran zu haben sie immer mehr betrunken zu machen. Denn Grund dafür konnte sich Oscar allerdings nicht erklären. Schließlich hatten sie diesen fremden Menschen nie etwas getan. Tatsache war aber das sie auf dem schnellsten Weg aus diesem Gasthaus heraus mussten. Oscar nahm all ihre Willenskraft zusammen und sprang so heftig vom Tisch auf das hinter ihr der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, krachend umstürzte. „Hoppla, nicht so stürmisch mein Schätzchen,“ rief Marielle „Wir gehen sofort! Und zwar alle von uns!“ sagte Oscar so fest wie es ihr nur möglich war. Sie sah ihre stark mitgenommenen Kameraden an. „Wenn wir nicht gehen dann werden wir alle ernsthaften Ärger bekommen. Ich bitte euch also das wir aufstehen und uns auf den Rückweg machen.“ „Ach was! Hört doch nicht auf diesen kleinen Spielverderber. Das magere Bürschchen verträgt eben nichts und will euch deswegen einen guten Schluck nicht gönnen,“ rief Yves „Also lasst ihn verschwinden und trinkt noch einen mit uns.“ Oscar spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Wie konnte dieser Kerl nur so gemein sein? Konnte er sich denn nicht denken das sie alle heftige Schwierigkeiten bekommen würden? In ihrem Ärger schlug sie heftig mit der Faust auf die Tischplatte des alten Holztisches. „Wie schlecht ihr doch seid!“ fuhr sie den plötzlich verdutzten Mann an. „Weshalb macht Ihr so etwas mit uns? Wir haben Euch nie etwas zu Leide getan und Ihr treibt Euren Spaß mit uns. Wie herzlos könnt ihr nur sein?“ In der Schenke herrschte nun vollkommene Stille. Alle starten den jungen Kadetten an, der so mutig versucht seine Kameraden aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Auch die Augen ihrer Freunde waren auf Oscar gerichtet. Langsam erhob sich Yves von seinem Stuhl. Dabei stützte er sich auf der hölzernen Tischplatte auf. Da auch er getrunken hatte fiel ihm das Stehen bereits schwer. Mit böse glitzernden Augen sah er Oscar an. Er rückte ihr ein gutes Stück näher, bis er mit seinem Gesicht beinahe ihres berührte. Oscar widerstand der Versuchung vor ihm zurück zu weichen. Felsenfest blieb sie vor ihm stehen. Nur ein sehr genauer Beobachter hätte in ihrem Gesicht einen Anflug von Furcht bemerkt, denn sie jedoch tapfer unterdrückte. In diesem Gasthaus war eine große Ungerechtigkeit gegen ihre Freunde im Gange und gegen jede Ungerechtigkeit musste man ankämpfen. Das entsprach Oscars Naturell. „Wir sind schlecht und herzlos sagst du?“ Oscar roch den Alkohol in seinem Atem und erneut stieg Übelkeit in ihr auf. „Du findest wir behandeln dich und die anderen Burschen ungerecht?“ fragte Yves weiter. „Ja, das macht Ihr!“ antwortete Oscar. „In dem Ihr meine Freunde und mich betrunken macht, um Euer Vergnügen mit uns zu haben, bringt Ihr uns nichts als Schwierigkeiten. Wir hätten nicht hierher kommen dürfen und wenn auf der Akademie bemerkt wird das wir betrunken sind, so werden sicher einige von uns und dort hinausgeworfen.“ Yves Hände schnellten wie aus heiterem Himmel nach vorne und packten Oscar am Hemd, das unter ihrer Uniformjacke hervor sah. Nun konnte sie ein leichtes Zittern nicht mehr unterdrücken. Was würde ihr Yves nun antun? Doch er brüllte nur los das es durch die ganze Gaststube schallte. „Ich will dir sagen was ungerecht ist, du kleiner adliger Grünschnabel! Ich habe die Hälfte meines Lebens als Soldat gedient. Ich habe im Dienste des Königs und für Frankreich jeden Tag mein Leben aufs Spiel gesetzt. Trotzdem habe ich immer nur einen mageren Sold erhalten von dem ich kaum meine Familie ernähren konnte. Obwohl ich immer meine Pflicht erfüllt habe und in der Armee vorbildlich gedient habe wurde ich niemals befördert. Soll ich dir sagen weshalb das so war Grünschnabel? Weil ich ein Bürgerlicher bin, kein verdammter Aristokrat so wie ihr. Ich wäre niemals auf der Offiziersakademie zugelassen worden. Das ist nur etwas für adlige junge Herren. Wenn ihr in ein paar Jahren die Akademie verlasst werdet ihr alle sofort zum Leutnant ernannt, während es für einen bürgerlichen Soldaten kaum Aufstiegschancen gibt. Und euer Sold wird in wenigen Jahren bereits höher sein wie der von bürgerlichen Soldaten die bereits seid Jahrzehnten dienen. Alles nur weil ihr adlig seid und der Rest der Welt nicht. Nennst du das gerecht Grünschnabel?“ Während seiner Rede hatte Yves noch etwas fester zugedrückt und Oscar spürte das sie kaum noch Luft holen konnte. Der Nerven der Anwesenden waren zum Zerreißen gespannt. Niemand konnte den Blick von dem wütenden, betrunkenen Mann wenden, der den jungen Offizierskadetten so in die Mangel genommen hatte. Plötzlich zerschnitt ein Klirren die Stille. Henry war aufgesprungen und hatte hatte seinen Degen gezogen. Dessen Spitze setzte er nun Yves in das Genick. „Lass meinen Freund sofort los und dreh dich um!“ Henrys Stimme klang nun gar nicht mehr lallend und er stand wieder kerzengerade da. Sofort ließ Yves von Oscar ab. Bedächtig drehte er sich zu Henry um. Dieser ließ seinen Degen hoch erhoben. Die Spitze zeigte nun auf Yves Kehle. Verächtlich sah Yves auf Henry hinunter. „Ein Angriff von hinten. Das sieht einem Aristokraten ähnlich.“ „Wenn ich einem meiner Freunde helfen muss der gerade in Not ist, so soll mir jedes Mittel dabei recht sein,“ antwortete Henry. Oscar konnte nun, nachdem ihr Yves grobe Hände nicht mehr die Luft abschnürten, tief durch atmen. Nun bemerkte sie erst wie sehr ihr Herz raste und wie weich sich ihre Knie anfühlten. „Was willst du von mir Bürschchen?“ fragte Yves. „Soll ich vor dir auf die Knie gehen und dir die Stiefel lecken? Das gefällt euch adligem Pack doch so gut.“ „Ich will nichts weiter von dir und von allen anderen in dieser Spelunke als das ihr meine Freunde und mich unbeschadet gehen lasst.“ „Und wenn nicht? Stichst du dann zu? Dazu hast du doch gar nicht den Mut!“ „Lass sie gehen,“ ertönte da eine Stimme durch die Gaststube. Sie kam direkt hinter dem Tresen hervor. Alle sahen in die Richtung des Wirtes der gesprochen hatte. „Ich meine es Ernst Yves. Denkst du ich will einen Haufen Ärger wegen dieser kleinen Aristokratengören?“ „Sie gehören nicht hier her. Deswegen werde ich ihnen nun eine Lektion erteilen so das sie sich für immer daran erinnern werden.“ „Wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst dann haben wir morgen sofort das gesamte königliche Garderegiment auf dem Hals und ich kann meine Schenke für immer schließen. Wer ernährt mich und meine Frau dann? Sag mir Yves, können wir dann jeden Tag zu dir kommen um uns bei dir satt zu essen?“ Währenddessen war Olivier aufgestanden und stellte sich neben Henry. Seine Schritte waren noch etwas schwankend. Man sah ihm deutlich an wie sehr er sich beherrschen musste. Doch er biss tapfer die Zähne zusammen. Völlig unerwartet zog auch er seinen Degen. Unwillkürlich griffen einige der Männer zu ihren Bierkrügen um eine Waffe in der Hand zu haben, falls er auf Yves los gehen wollte. Doch Olivier richtete seinen Degen nicht gegen Yves sondern richtete dessen Spitze steil nach oben. „Wenn ihr uns gehen lasst ohne uns ein Leid zu tun, dann schwöre ich Olivier de Gramont, Sohn des Baron de Gramont, bei meiner Ehre das wir keiner Menschenseele von den Vorfällen in dieser Spelunke berichten werden.“ „Ach, du hast so etwas wie Ehre?“ fragte Yves in verächtlichem Ton. „Sicher hat doch dein Vater mindestens ein großes Landgut? Findest du es auch ehrenvoll das dort Menschen für weniger als einen Hungerlohn für euch schuften müssen?“ „Nun genügt es aber Yves“ fuhr plötzlich die leicht bekleidetet Dame namens Marielle auf. „Monsieur Lefebre hat vollkommen recht.“ Dabei deutete sie auf den Wirt. „Passiert den Kindern etwas, und Kinder sind sie noch, so werden wir alle nichts als Ärger bekommen. Das ist die Sache nicht wert. Und außerdem,“ dabei deutete sie auf Oscar, Henry und Olivier „haben sie wirklich Mut und Ehrgefühl, auch wenn die Burschen Adlige sind. Das müssen wir ihnen zugestehen.“ „Ja, sie haben sich wacker geschlagen,“ meinte einer der Männer. Zustimmendes Gemurmel war in der Gaststube zu hören. Der Mann mit der Ziehharmonika legte sein Instrument auf die Seite, stand auf und legte Yves die Hand auf die Schulter. „Sei vernünftig Yves und lass sie abhauen. Es ist so wie Monsieur Lefebre gesagt hat. Es ist die Sache nicht wert.“ Widerwillig trat Yves beiseite. Oscar und die anderen Kadetten waren einen Moment wie versteinert. Viel zu schnell hatten sich die Ereignisse überschlagen, als das sie noch einen klaren Gedanken hätten fassen können. Ein rauer Anschnautzer des Wirtes löste sie aus ihrer Erstarrung. „Habt ihr nicht gehört? Ihr sollt verschwinden! Und das nächste Mal lasst unsereins in Ruhe und bleibt in eurem feinen Palais.“ Henry wandte sich an seine Freunde. „Kommt es wird Zeit für uns zu gehen.“ Gleichzeitig steckten er und Olivier ihre Degen wieder in die Scheiden zurück. Patrice und Emilian erhoben sich mühsam und die fünf Freunde versuchten einigermaßen aufrecht, denn Rest Würde bewahrend der ihnen noch geblieben war, die Schankstube zu verlassen. Kurz vor der Türe stolperte Olivier, der als letztes den Raum verließ, über einen Beutel, den jemand achtlos auf den Boden geworfen hatte und fiel der Länge nach hin, was in den Gästen des „Bleue chien“ einen schallenden Lachanfall hervor rief. Unter ihrem Gelächter schaffte es auch Olivier mit vor Scham brennenden Wangen nach draußen. Endlich im Freien fühlten sich die Freunde so erleichtert wie schon lange nicht mehr. Nachdem sie ihre Pferde los gebunden und sich mit ihnen am Zügel in sicheren Abstand von dem „Bleue chien“ gebracht hatten, ließen sie sich dort entkräftet gegen die Mauer eines offensichtlich verlassenen Hauses sinken. Nun spürten sie auch welche Ängste sie während der letzten Minuten durchgestanden hatten. Emilian wandte sich abrupt von der Gruppe ab und nach den würgenden Geräuschen zu urteilen übergab er sich in der schützenden Dunkelheit. „Es tut mir so leid,“ stieß Henry zerknirscht hervor. „Der Ausflug war mein Einfall gewesen und ich habe euch nun alle damit in Schwierigkeiten gebracht. Bitte verzeiht mir!“ Da es in ihrer Nähe keine Straßenlaterne gab, die wenigstens ein wenig Licht gespendet hätte, sah niemand Henrys Gesicht. Aber seine Stimme klang so, als würde er es wirklich tief bereuen seine Freunde zu diesem Abenteuer verleitet zu haben. „Wenn jemand Schuld hat dann wir alle,“ hörten sie plötzlich Oliviers Stimme sagen. „Ja, wir sind alle freiwillig mit dir mit gegangen. Niemand hat uns dazu gezwungen,“ sagte Oscar bestimmt. „Und wenn es heraus kommen sollte das wir unerlaubter Weise in einer Schenke gewesen sind,“ fuhr Oscar fort, „so werden wir auch alle dafür einstehen und unseren Kopf dafür hinhalten.“ „Ich danke euch! Ihr seid echte Freunde,“ meinte Henry nun einigermaßen beruhigter. Er nahm sein Pferd etwas fester am Zügel. „Nun sollten wir uns aber endlich auf den Heimweg machen. Je früher wir in der Kaserne ankommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit das wir nicht doch noch entdeckt werden.“ So saßen die jungen Kadetten auf ihren Pferden auf, um den Rückweg anzutreten. Oscar, die sich noch etwas unwohl fühlte, führte ihre Stute ein Stück am Zügel. Sobald ihre Übelkeit verflogen war würde sie aufsitzen. Sie war so eine gute Reiterin das sie die Anderen schnell eingeholt haben würde. Das Hufgeklapper der Pferde ihrer Kameraden wurde immer leiser, je weiter sie sich von Oscar entfernten. Doch hinter ihr war das eindeutige Geräusch eines Pferdes, das im langsamen Schritt geführt wurde zu hören. „Wer ist hinter mir?“ erkundigte sich Oscar. Sie versuchte die Unsicherheit in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Ich bin es, Henry.“ „Henry...“ Bald hatte er sie mit seinem Pferd am Zügel eingeholt. „Ich wollte dir noch sagen das ich dein Auftreten heute Abend richtig tapfer fand.“ Oscar spürte, als sie Henrys Worte hörte, wieder dieses angenehme Ziehen im Bauch, dass sie nicht näher zuordnen konnte. Aber es fühlte sich wunderbar an. „Du warst aber auch sehr mutig. Du und Olivier habt euch dem Mann den sie Yves genannt haben ohne Zögern in den Weg gestellt.“ „Ja, aber dabei gibt es einen Unterschied,“ meinte Henry bedächtig. „Du warst die Erste die bemerkt hat das die Lage außer Kontrolle gerät. Wenn du nicht gewesen wärst dann hätten uns die Kerle vielleicht wirklich noch unter den Tisch getrunken und wir wären morgen irgendwo aufgewacht, während man in der Kaserne unser Fehlen schon längst bemerkt hätte. Wirklich Oscar, das wir heute heil aus der Kneipe gekommen sind ist nur dir zu verdanken.“ Für einen kurzen Moment wurde es hell um sie herum, als sie in den Schein einer Straßenlaterne traten. Oscar sah zu Henry hinüber und entdeckte das auch er in ihre Richtung blickte. Ein Lächeln huschte bei seinem Anblick über Oscars Gesicht und zu ihrer Freude sah sie das er ihr Lächeln erwiderte. Dann verließen sie den Lichtschein der Laterne und die Nacht hüllte sie wieder ein. Sie gingen schweigend nebeneinander her, man hörte nur das Klappern der Hufe ihrer beiden Pferde. Doch Oscar spürt Henrys Nähe und genoss es endlich einmal mit ihm ganz alleine zu sein, außerhalb der Kaserne und fern von den anderen Kameraden. Sie wurde sich bewusst, dass sie sich das schon seit Wochen gewünscht hatte. Es war so schön durch die milde Sommernacht zu streifen, den Atem ihrer Stute zu spüren und Henry ganz alleine für sich zu haben. Es waren nur wenige Minuten und Oscar wünschte sich das sie nie vergehen sollten. Doch von weitem sah sie bereits ihre Kameraden unter der nächsten Straßenlaterne warten, die bemerkt hatten das zwei ihrer Freunde fehlten. Bei ihnen angekommen saßen auch Oscar und Henry auf ihren Pferden auf. Oscar spürte dabei erneut den starken Schwindel in ihrem Kopf. Als sie weiter ritten meinte Olivier: „Welch ein Glück das mein Onkel für heute Abend nach Versailles geladen wurde. So schaffe ich es vielleicht das er nicht bemerkt wie spät ich nach hause komme. Ich wüsste nicht wie ich ihm erklären sollte wo ich die halbe Nacht gesteckt habe.“ „Ich hoffe der Stallbursche den ich bestochen habe wartet wirklich am Kasernentor und wir können unbemerkt eintreten,“ sagte Henry. Er stöhnte kurz auf. „Ansonsten möchte ich gar nicht wissen was uns blüht.“ Auch Oscar fiel wieder ein das sie mit der Botschaft, die der Stallbursche ihren Eltern überbracht hatte, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Unwahrheit gesagt hatte und das sie dies bereits den ganzen Abend innerlich bereut hatte. Außerdem würde es für sie genau so schwierig werden unbemerkt in das Palas de Jarjayes zu gelangen. Doch ob wohl so viele Unannehmlichkeiten auf sie warteten würde sie diesen Abend nicht rückgängig machen wollen. Viel zu schön waren die Minuten alleine mit Henry gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)