Schmerzende Liebe von NaschKatzi (IN ÜBERARBEITUNG) ================================================================================ Schock ------ „Ich…bin…fertig…oh...ja…“ Zwei Tage und Nächte später war es vollbracht. Die Studienarbeit war komplett. Nicht perfekt aber immerhin vorzeigbar. Die Katastrophe war erfolgreich abgewandt! Als Soichi das surrende Geräusch des Druckers hörte, atmete er erleichtert auf. Er war ein Genie! Ein verdammtes Genie! In nur zwei Tagen hatte er die Arbeit von drei Monaten erledigt! Er war brillant und zu Tode erschöpft. Kraftlos hing er auf seinem Stuhl. Die letzten achtundvierzig Stunden verbarrikadierte er sich praktisch in seinem Zimmer. Dementsprechend vermüllt sahen die knapp 25 m² aus. Der Raum war mit unzähligen Arbeitsmaterialien vollgestopft. Auf Boden, Bett und Schreibtisch stapelte sich der Papierkram. Sogar die Wände waren damit tapeziert. Weder schlief, noch aß er. Sein ganzes Denken war von der Aufgabe erfüllt gewesen. Zwischenzeitlich zweifelte er an sich selbst, aber ein Soichi Tatsumi warf nicht so einfach die Flinte ins Korn!   Nachdem auch die letzte Seite ausgedruckt und alles ordentlich in eine Mappe geheftet war, konnte er sich endlich zurücklehnen. Müde massierte er den schmerzenden Nacken. Es würde nicht sein Meisterstück sein aber unter diesen Umständen war es gar nicht so schlecht. Jedenfalls war alles besser als überhaupt nichts abzugeben. Gähnend stierte Soichi auf den flimmernden Bildschirm des Computers. Die kleine Uhr unter rechts signalisierte ihm, dass er bis zur Abgabe noch ungefähr zwei Stunden Zeit hatte. Nachdem der größte Teil Anspannung verflogen war, spürte Soichi den Schlagmangel. Mit brennenden Augen warf er dem Bett einen unsicheren Blick zu. Konnte er es wagen? Oh Gott, noch nie sah es so einladend aus!  Schwankend stand Soichi auf. Wie magnetisch wurde er von dem unwiderstehlich weichen Kopfkissen angezogen. Nachlässig schob er die Papiere etwas zur Seite. Was war schon dabei? Er würde sich nur einen klitzekleinen Augenblick auszuruhen. Er hatte noch massenhaft Zeit. Nur ein kleine Pause, danach zur Uni und alles wäre perfekt. Doch sobald sein Kopf das Kissen berührte, fielen ihm die Augen zu.   „Los! Weg da! Lassen Sie mich doch durch!!“ Eine Menge empörter Blicke wurden dem jungen Mann zugeworfen, der sich grob durch die Menschenmenge drängelte. Ausgerechnet heute musste die U-Bahn-Station mit Pendlern überfüllt sein. Soichi kümmerte sich nicht um die Beschwerden. Wenn er nicht vor 16:00 Uhr in der Uni sein sollte, war er ein toter Mann! Warum musste er auch verschlafen? So schnell er konnte hastete er die Treppen der Station hinauf und betrat viertel vor vier die Uni. Hustend suchte er an einer Wand halt und musste kurz verschnaufen bevor seinen Weg fortsetzten konnte. Zum Glück lag das Büro des Professors nicht weit entfernt. Soichi war froh als er das Zimmer verlassen vorfand und wie es aussah, war er nicht der einzige Nachzügler. Ein kleiner Stapel weiterer Arbeiten befand sich bereits auf dem Schreibtisch. Geschwind legte er seine eigene Ausarbeitung dazu, dann verkrümelte sich Soichi so schnell er konnte. Er wollte auf keinen Fall irgendjemand, den er kannte begegnen. Wie peinlich wäre es denn, wenn man ihn in diesen Aufzug sehen würde! Das lange Haar war vollkommen zerzaust, ungewaschen und klebte an seiner Kopfhaut. Unter seiner Jacke trug er noch immer die Kleidung von vor zwei Tagen. Er sah wie ein dahergelaufener Penner. Soichi schwor nie wieder einen Abgabetermin zu versäumen! Unauffällig schlüpfte der Student aus dem Büro und schlich zum Ausgang. Mehrmals musste er sich dabei an der Wand abstützen. Er war so was von erledigt. Es war nicht das erste Mal, dass er eine Nachtschicht einlegte aber eine solche Plackerei war selbst für ihn eine Herausforderung. Und wessen Schuld war das alles? Morinaga! Dieser egoistische undankbare vollkommen verblödete Mistkerl!! Verflucht!! Die Wut verlieh ihm neue Kraft und er schaffte es ungesehen zum Ausgang. Jetzt wollte er nur noch nach Hause.   „Senpai!! Warte!! Haaallooo!!“ Die Hand an der Tür, zuckte Soichi schaudernd zusammen. Warum! Was hatte er nur verbrochen?  Wäre er doch eine Sekunde schneller gewesen! Eilige Schritte nährten sich ihm. „Senpai! Gut, dass ich dich treffe…!“ Oni kam schlitternd hinter ihm zum Stehen. Der Kohai glotzte Soichi ungeniert von oben bis unten an. „Mach´s  kurz!“, blaffte Soichi, dem es unendlich gegen den Strich ging ausgerechnet von Oni begafft zu werden. Was war er? Ein Affe im Zoo? Oni stand ein fettes Fragenzeichen im Gesicht geschrieben. Wo war sein Senpai nur die letzten Tage abgeblieben? „Nun…da…da war so ein großer Kerl vorgestern im Labor. Er hat nach dir gefragt…“, rückte Oni mit der Sprache heraus. Soichi verzog das Gesicht. Dem musste man auch alles einzeln aus der Nase ziehen. „Was für ein Kerl?“ Ungeduldig wartete der Ältere, dass der Jüngere weitersprach und aufhörte so blöd zu glotzen. „Na…so ein großer Typ…ziemlich unfreundlich…mit langen Haaren und…und einer Lederjacke…“ Mit beiden Händen formte Atsuhi eine Silhouette in die Luft. Der Kohai war vor Neugier beinahe umgekommen. Woher kannte Tatsumi-Senpai diesen Rüpel? Beim vergeblichen Versuch ihm klarzumachen, dass Tatsumi nicht da sei, scheiterte er rigoros. Der Besucher war kurz vorm Explodieren gewesen. Oni bekam es mit der Angst zu tun, der Kerl würde das Labor in Schutt und Asche legen! Nach dem er anordnete Soichi solle sich sofort bei ihm melden, verschwand er spurlos. „Kennst du den Typ?“, fragte der Assistent gespannt. Leider bekam er keine befriedigende Antwort. Soichi würde nur noch genervter. „Was wollte er?“, fragte er stattdessen. „Keine Ahnung…Ich weiß nicht genau…“, stotterte der Kohai verlegen. Vor Angst war ihm gar nicht in den Sinn gekommen danach zu fragen. Tatsumi schnaubte angepisst. Oni war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Auch Tomoya nervte gewaltig! Jetzt kreuzte er auch noch im Labor auf! Bloß weg bevor er ihn in die Arme lief. „Wie auch immer…ich bin weg…“, verabschiedete er sich knapp und war schon dabei die Tür zu öffnen als Oni zurückhielt. „Aber Senpai! Du warst zwei volle Tage verschwunden! Unsere Experimente!“, quietschte Oni alarmiert auf. Was dachte sein Vorgesetzter nur? Ließ sich tagelang nicht blicken und tauchte dann wie ein Schluck Wasser hier auf. Gings noch? Aber Oni würde sich hüten diese Gedanken laut auszusprechen. Er hing an seinem armseligen Leben. „Tatsumi-Senpai! Was wird denn jetzt aus…unseren Experimenten…?“, rief er Soichi hinterher, aber der andere war bereits aus seinem  Gesichtsfeld verschwunden. Klasse! Super! Niedergeschlagen kehrte der Assistent ins Labor zurück. Komisch, er hatte das dumme Gefühl etwas vergessen zu haben. Hinterher als er auf dem Weg nach Hause war fiel es ihn wieder ein. Oni hatte total verschwitzt Soichi zu sagen, dass er sich bei dem Freak melden sollte. Hoffentlich war es nichts Wichtiges gewesen...   Zu Hause gönnte sich Soichi erst einmal eine lange heiße Dusche. Über eine halbe Stunde ließ er das wunderbar warme Wasser über den verspannten Körper laufen. Nach und nach entspannten sich die verkrampften Muskeln. Erfrischt und einigermaßen wieder hergestellt fiel er im Wohnzimmer auf das Sofa. Ihm war ein ganzes Stück leichter ums Herz. Trotzdem konnte er immer noch nicht darüber fertig werden, dass ihm dieser bescheuerte Fehler unterlaufen war. Professor Nagiza dachte nun bestimmt er nehme das Studium nicht mehr ernst genug. Tetsuhiro. Ohne Tetsuhiro wäre es nie so weit gekommen! Die vergangenen Stunden waren wie im Rausch vergangen, er hatte kaum an ihn gedacht. Doch ohne den Druck kehrten die Gedanken zurück zu ihm. Ein rasender Schmerz, der tief aus dem Inneren zu kommen schien breitete sich in seiner Brust aus. Freundschaft! Pah, die konnte der sich sonst wo hinschieben!! Soichi war verwirrt. War es nicht das was er all die Jahre wollte? Er war doch immer derjenige gewesen, der alle Annährungsversuche des Jüngeren abwehrte. Warum also fühlte er sich so…so betrogen? Was war es nur was sie beide verband? Freundschaft…oder Lie…Nein! Ausgeschlossen! Nein! Tatsumi wehrte sich gegen diesen absurden Gedanken. „Vielleicht ist etwas Abstand dar nicht schlecht…“, murmelte er in den leeren Raum. Es ging doch auch irgendwie ohne Tetsuhiro. Die letzten Tage dachte er kaum an ihn, zu sehr war er mit der Studienarbeit beschäftigt gewesen. Genau! Es musste gehen! Ansonsten würde er noch den Verstand verlieren. „Scheiße! Was soll das!!“ Um sich nicht länger quälenden Gedanken hingeben zu müssen verkroch er sich ins Bett. Ausgelaugt zog er die Decke über den Kopf. Angestrengt versuchte er einzuschlafen, lag aber noch lange wach und grübelte. Ihn beschlich ein merkwürdiges Gefühl, eine innere Unruhe erfasste Soichi. Nach unzähligem Herumwälzen fiel er in einen leichten Schlummer.   Mitten in der Nacht wurde Tatsumi aus seinen Träumen gerissen. Schrill ertönte die Haustürklingel. Schlaftrunken blinzelte er auf den Wecker. Die leuchtenden roten Zahlen zeigten 01:30 Uhr an. Wer war das denn? Drehten jetzt alle am Rad? Das konnte doch nicht wahr sein! Herrgott, es war zu früh für Ärger! Trotzig beschloss Soichi liegen zu bleiben. Irgendwann würde der Störenfried aufgeben. Aber wer auch immer vor der Tür stand, dachte nicht daran zu verschwinden. Im Gegenteil. Zu dem Sturmklingeln gesellte sich noch lautes Klopfen. Wütend schlug er die Decke zurück. „Wer zum Teufel…!“, schimpfte er, während er aufstand und zur Tür ging. Das erste was er zu Gesicht bekam war das zornerfüllte Gesicht Tomoya’s. Der Blonde kam erst gar nicht dazu etwas zu sagen, denn im nächsten Augenblick lag er auf dem Boden. Verwirrt sah er zu dem Mann auf. „Hier hast du dich verkrochen!“, brüllte der. Langsam breitete sich ein ziehender Schmerz im Gesicht, dort wo der Schlag ihn getroffen hatte, aus. „Was…Bist du übergeschnappt? Was soll der Scheiß?“, schrie er den Rocker an. Taro´s Miene wurde noch eine Spur grimmiger. Er antwortete nicht, zog stattdessen Soichi auf die Beine, wollte erneut zuschlagen. Diesmal sah der Senpai den Schlag jedoch kommen und wich aus. Auf wackligen Beinen stolperte er einige Schritte zurück. Auf einmal war er hellwach. Das Adrenalin strömte durch seine Adern. „Hat der den Verstand verloren?? Soll das ein Überfall sein, oder was??“, schoss dem Studenten durch den Kopf. Er konnte sich doch nicht in seiner eigenen Wohnung verprügeln lassen! Und schon gar nicht ohne Grund. Taro nutzte Soichi´s Unaufmerksamkeit. Er packte den anderen und stieß ihn erneut zu Boden. Schnell war Tomoya über ihm, nagelte ihn am Boden fest. „Du Hurensohn!“ Ein weiterer Faustschlag ließ Soichi Sternchen sehen. Ein schwacher Blutgeschmack überzog seinen Mundinnenraum. „Lass…los!...“, würgte der Gefangene mühselig hervor. Das Gewicht des anderen raubte ihm den Atem. Außerdem konnte der Blonde deutlich den Alkohol in Taro´s Atem riechen. Der Rocker lachte trocken auf. „Du kleiner Drecksack hast noch viel mehr verdient!!“, knurrte er. Tatsumi verstand überhaupt nichts mehr. War das ein böser Traum? Wovon sprach der Freak? „Nimm deine dreckigen Pfoten weg…“, erwiderte Soichi patzig. Einen dritten Schlag wehrte er erfolgreich ab, bäumte sich auf und schubste Tomoya von sich weg. Augenblicklich verschwand der Druck. „Du…widerst mich an! Ich dachte Tetsuhiro bedeutet dir etwas.“, lallte Taro zusammenhanglos. Schwer atmend hockte er nicht weit von Soichi entfernt auf dem Boden. „…Ich weiß nicht, was zwischen euch passiert ist…aber das ist kein Grund ihn eiskalt abzuservieren.“, jaulte Taro.  „Wie kannst du nur so herzlos sein?“, spukte er verächtlich aus. Umständlich zog er sich auf die Beine. Die Verachtung war deutlich in seinen Augen sichtbar.   Soichi lief dunkelrot an. „Schnauze! Was zwischen Morinaga und mir ist, geht nur uns was an!!“, stieß er keuchend hervor. Mühsam schluckte er und rieb den schmerzenden Hals. Dieser versoffene Kerl!! Kreuzt mitten in der Nacht auf, um ihn voll zu texten! Woher wusste er überhaupt davon? Hatte sich Morinaga bei ihm ausgeheult, oder was? Außerdem, was hieß abservieren? Tetsuhiro war doch derjenige, der Soichi den Laufpass gab! Überhaupt, warum sollte er vor Taro Rechenschaft ablegen? Mit juckenden Fingern rappelte sich Tatsumi in eine stehende Position. „Es geht mich nichts an?“, lachte Tomoya irre. „Du bist gut! Tetsuhiro verreckt und du meinst es geht mich nichts an!!“ Schnell steigerte sich sein Lachen in eine Symphonie der Verzweiflung. „Ich wusste immer, dass du ein Arschloch bist. Aber für so eiskalt habe ich dich nicht gehalten…“ Mit dieser Aussage ließ er Soichi stehen und torkelte zur Tür. Soichi war verunsichert. War irgendwas passiert? Wovon sprach Tomoya im Suff? Plötzlich kehrte das ungute Gefühl wieder. Mit wenigen Schritten war er an der Haustür. „Hey! Warte! Wovon sprichst du?“, fauchte er. Der Rocker sah ihn aus alkoholvernebelten Pupillen an. „Er ist einfach umgefallen…BUM!“ Mit einer ausschweifenden Geste kommentierte er das Gesagte. „Te…tsu…er ist so gut wie t…ot..“ Er lachte nochmals missglückt auf, dann versetze er Soichi einen schwachen Stoß und verzog sich in die Dunkelheit. „To…Tomoya! Taro! Tetsu…was ist passiert?“ Im ersten Moment wollte der Blonde hinterher laufen. Aber Taro war weit und breit nicht mehr zu sehen. Was sollte er von diesem Auftritt halten? Warum stand der Typ um Mitternacht betrunken vor seiner Haustür? „Tetsuhiro…was ist mit ihm?“  An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er war hellwach. Noch während er über den überraschenden Besucher nachdachte, stolperte er in sein Zimmer zurück und kramte das Handy hervor. Verwirrt sah er auf das dunkle Display. Warum war es ausgeschaltet? Soichi überlegte nicht lange. Zitternd schaltete er das Gerät ein. Drei Versuche benötigte er, um den PIN einzugeben. Als das Menü ausblinkte, fiel es ihm beinahe aus der schweißnassen Hand. Es wurden 30 Anrufe in Abwesenheit und 4 Nachrichten auf der Mailbox angezeigt - alle eingegangen in den letzten zwei Tagen seiner Abstinenz. „Tetsuhiro…Tetsuhiro…Tetsuhiro…Tetsuhiro…“, stand in der Anruferliste. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die neuste Nachricht auf der Mailbox abhörte. „…Tatsumi? Hier noch mal Dr. Tonno! Kommen Sie so schnell wie möglich ins Nakamura! Wir mussten Morinaga auf die Intensivstation verlegen! Alarm Stufe rot! Es sieht nicht gut aus. Ich glaube er wird nicht…“ Den Rest hörte Soichi nicht mehr. Knallend landete das Handy auf dem Boden. Die Umgebung drehte sich um den jungen Mann. Zitternd sank er in die butterweichen Knie, weil die Beine ihn nicht mehr tragen konnten. Minuten war er unfähig sich zu rühren. „Er…Ich…Intensiv…station…warum….“ Sein Kopf begann wie verrückt zu hämmern, das Blut rauchte laut in den Ohren. Doch allmählich ergab alles einen Sinn. Tomoya’s merkwürdiger Auftritt und seine Suche nach ihm. „Ich…muss…sofort zu ihm!!“ Mit zwei Schritten war Soichi am Schrank. Wie von Sinnen wühlte darin herum, um sich die erstbesten Klamotten überzuwerfen, die er zu fassen bekam. Auf dem Weg nach unten nahm er zwei Treppenstufen auf einmal. Verbissen ignorierte der Student die müden Beine und das Seitenstechen, das mit jedem Meter, den er hinter sich ließ stärker wurde.   **   Nachdenklich betrachtete Dr. Tonno die Laborergebnisse seines Patienten. „Mhm…nicht gut. Damit habe ich nicht gerechnet.“ Seufzend notierte er einen Vermerk auf dem Krankenblatt. Seit Tetsuhiro Morinaga vor zwei Tagen auf die Intensivstation verlegt worden war, verschlechterten sich die Werte kontinuierlich. Der Körper war an seinem Limit angekommen. Es sah düster aus. Dabei war der Zustand bis vor kurzem noch stabil. Diese Art der Entwicklung gefiel dem Arzt ganz und gar nicht! Welche Art der Behandlung sollte er anwenden? Das einzige was half, wäre eine sofortige Transplantation! Tonno würde sofort ans Telefon setzen. So schnell er konnte flitzte der Arzt zu seinem Büro. Fast war er dort angekommen, als er in einiger Entfernung einen kleinen Aufruhr wahrnahm. Nichts Ungewöhnliches. Es tat sie mit einem Schulterzucken ab, doch als er sich in das Zimmer zurückziehen wollte, hörte er eine ihm wohl bekannte keifende Stimme.   „Wo ist er? Was ist passiert? Sagen Sie schon!“, verlangte Soichi Tatsumi lautstark. Unbeeindruckt ließ die Oberschwester die Fragerei über sich ergehen. Als Soichi stoppte um notgedrungen Luft zu holen, unterbrach sie ihn abrupt. Nun war sie an der Reihe. „Halten Sie die Luft an!! Sagen Sie mir lieber wo Sie gesteckt haben?? Wir haben dutzende Male versucht Sie zu erreichen!!“, donnerte die Frau ihm entgegen. Soichi biss sich auf die aufgeplatzte Lippe und wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Bevor er sich rechtfertigen konnte, schaltete sich Tonno, der eilig näher gekommen war, ein. „Lassen Sie es gut sein Erica! Ich kümmere mich darum.“, sagte er freundlich. Achselzuckend ließ Erica die Männer allein. Dem Mediziner fiel ein Stein vom Herzen, den Vermissten zu sehen. Doch bevor er zu seinen Erklärungen ansetzen konnte, musterte er den jungen Mann nachdenklich. Tatsumi sah schrecklich aus. Er konnte sich eigentlich direkt neben Tetsuhiro legen. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind ja weiß wie die Wand! Haben Sie sich verletzt??“ Fragend begutachtete der Mediziner Soichi´s linkes Hosenbein, das verdächtige dunkle Flecken aufwies. Der Blonde schüttelte ungeduldig den Kopf. „Nein! Mit mir ist alles Bestens!! Sagen Sie mir lieber was los ist!!! Ich habe…ihre Nachricht gehört!!“, verlangte Tatsumi nachdrücklich. Sein Herz schlug wilde Purzelbäume. Taro´s Worte klangen ihm in den Ohren. Angst setzte sich in ihm fest. Der Doktor strich sich über den Bart. „Nun, erst einmal sollten Sie sich beruhigen. Es hilft niemanden, wenn Sie umfallen!“, sagte Tonno. „Dort drüben ist ein Ruheraum.“, führsorglich legte Tonno Soichi eine Hand auf die Schulter. Die helfende Hand wurde aber grob weggestoßen. „Nein! Ich sagte doch, es ist gut!!!“ Der ältere Mann hob kurz seine Augenbrauen und betrachtete die Unvernunft in Person vor sich! Selten traf er eine verbohrtere Person, als diesen jungen Mann! Resignierend winkte er Soichi in sein Büro.   „Also gut. Wie Sie wollen. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir einen herben Rückschlag erlitten haben. Vor drei Tagen kam es zu einem totalen Zusammenbruch. Die andauernde Belastung war zu groß. Dazu kommt noch eine leichte Lungenentzündung, die den Körper zusätzlich angreift. Glücklicherweise war jemand bei ihm, so konnten wir unverzüglich handeln und Morinaga stabilisieren. Er befindet sich auf der Intensivstation. Aber er ist sehr schwach….es sieht nicht gut aus. Ich kann derzeit nicht sagen, wie lange er noch ohne Transplantation durchhält.“ Den Atem anhaltend, wartete der Doktor auf die Reaktion des anderen. Dieser hörte den Erklärungen wortlos zu. Eine eiskalte Hand griff nach seinem Herzen. Während er über dieser blöden Studienarbeit saß, war Tetsuhiro… „Tatsumi? Tatsumi! Hören Sie mich??“ Tonno wedelte mit der Hand vor Soichi´s Augen, um den Jungen wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Der Blonde schaute ihn mit leerem Blick an. Doktor Tonno räusperte sich laut. „Ich sagte gerade, dass ich die Morinagas informieren werde. Es ist notwendig…außerdem…Hey! Wo wollen Sie denn hin???“ Ohne Vorwarnung war Tatsumi aufgesprungen. „Ich…muss ihn sehen! Auf der Stelle…“, stammelte er -  die Türklinke in der Hand. Der behandelnde Arzt war damit überhaupt nicht einverstanden. „Halt, halt! Sie können nicht einfach so auf die Intensiv spazieren. Da gibt es Vorschriften, die eingehalten werden müssen. Und...es tut mir leid, aber nur Verwandte dürfen im Augenblick…“ Schlagartig ließ der Student die Klinke los, um sich nur Sekundenbruchteile später auf den Doktor zu stürzen. Roh fasste er Tonno an seinen Kittel. „Verwandte? Seine Familie hat sich jahrelang einen Dreck um ihn gekümmert! Die wollten ihn verrecken lassen!! Ich habe mich um ihn gekümmert…also sagen Sie mir nicht ich darf nicht zu ihm….“ Blitzartig wich alle Kraft aus dem Griff, Soichi taumelte von dem Mann weg. Sein Körper bebte verdächtig, der Mediziner konnte Tränen in den Augenwinkeln glitzern sehen. Tonno haderte mit sich selbst. Vorschriften waren nun mal Vorschriften. „Was mach ich nur mit Ihnen…? Arg!! Na schön, wir haben ja die Vollmacht aber nur solange niemand von der Verwandtschaft ankommen ist….“   Wie in Trance trat Soichi näher. Durch eine gewaltige Scheibe konnte er ins Innere des Zimmers blicken. Tetsuhiro lag leblos in dem großen Bett. Nur eine kaum sichtbare Bewegung des Brustkorbes  ließ erkennen, dass noch ein Hauch Leben in ihm war. Schläuche, Kanülen und Elektroden bildeten den Schmalen Grad zwischen Leben und Tod. Die Kälte in Soichi lähmte ihn. Er stand wie festgewachsen vor dem Raum, traute sich keinen Schritt weiter. Er dachte an ihre letzte Begegnung. Der Kuss, seine zärtlichen Berührungen. Tränen sammelten sich in den braunen Augen des jungen Mannes. Wenn er doch nicht so schnell aufgegeben hätte! Was wenn er nie wieder die Gelegenheit bekam mit Tetsuhiro über alles zu sprechen? Wie sollte er mit der Schuld leben? „Tetsuhiro…du Idiot…“ Soichi wusste nicht wie aber er schaffte es irgendwie seine Füße in Bewegung zu setzen. In der Abgeschiedenheit des Zimmers verlor Tatsumi die Beherrschung. „Tetsuhiro…du…ich…bin so dumm…du darfst nicht…sterben…“, stieß er mit tränenerstickter Stimme hervor. Er weinte, flehte, bettelte. Es konnte doch nicht so enden?! War Gott wirklich so grausam?   Lautes Stimmgeschwirr flatterte in seinem Schädel umher. Desorientiert schlug Soichi die Lider auf. Wo war er? Was war passiert? Das letzte woran er sich erinnerte…war…Tetsuhiro! Sofort schnellte er hoch. Das Bett auf dem er lag war schmale und stand in einem kleinen Behandlungszimmer. Wie kam er hierher?  Das Aufstehen erwies sich allerdings als schwierig, da in seinem Arm eine Infusion steckte. „Na? Gut geschlafen?“ Schwester Erica betrat den Raum. „Was…ist passiert…?“, fragte Soichi durcheinander. Er hatte keinen blassen Schimmer was los war. Erica hob erstaunt eine Augenbraue. „Wissen Sie das nicht mehr?? Sie sind den Herrn Doktor praktisch vor die Füße gefallen! Dehydriert und erschöpft! Haben wohl Tage lang nicht richtig geschlafen.“ Schnalzend befreite Erica Tatsumi von der Infusion. „Sie müssen besser auf sich aufpassen!! Bleiben Sie noch eine Weile liegen, bevor Sie aufstehen.“ Freundlich nickte sie ihm zu. Soichi runzelte die Stirn. Der Anblick der hellen Lichtstrahlen, die durch das kleine Fenster blitzen gefielen ihm überhaupt nicht. „Wie lange liege ich schon hier?“ Ein böser Verdacht beschlich ihn. „Zirka zehn Stunden. Es ist kurz nach 12:00 Uhr…“, teilte die Schwester nach einem Blick auf die Uhr mit, schien jedoch seine Gedanken lesen zu können. „Keine Sorge. Sein Zustand ist unverändert. Aber stellen Sie sich vor! Seine Mutter ist vor einer halben Stunde angekommen. Kaum zu fassen, oder?“ Die Frau war kaum aus dem Zimmer, da hielt Soichi nichts mehr. Noch etwas wacklig auf den Beinen stand Tatsumi von der Liege auf. „Seine Mutter ist da…bin erstaunt, dass die so schnell gekommen ist…“ Humpelnd schlurfte er zum Zimmer Tetsuhiro´s. Schon von weitem erkannte er die Gestalt Sakura Morinagas. Die Mutter seines Freundes saß vor dem Bett. Als hätte sie Augen im Hinterkopf, richtete Sakura sich kerzengerade auf, drehte sich zu ihm um.   „Ich habe geahnt, dass Sie auftauchen werden!! Es hat wohl keinen Zweck Sie verscheuchen zu wollen, oder?“, begrüßte Frau Morinaga Tatsumi vor der Tür. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Tetsuhiro…er ist kurz aufgewacht…und hat nach Ihnen gefragt…“ Sie funkelte ihn wütend an. Sakura war enttäuscht. Ihr Sohn hatte sofort nach diesem Blonden gefragt! Unerhört! Sie war den ganzen Weg allein gereist um ihn zu sehen! Was dachte er sich? „Ich muss kurz an die frische Luft…“, entschied sie und rauschte an dem sprachlosen Soichi vorbei. Mit klackernden Absätzen entfernte sie sich.   „S…sen…pai….“, flüsterte Morinaga tonlos als Soichi sich dem Bett nährte. Die Lieder des Dunkelhaarigen waren leicht geöffnet. Soichi ergriff seine schlaffe Hand. „Tetsuhiro…ich bin hier…“, beruhigend strich er ihm über die kalten Finger. Er war dankbar für dieses kleine Lebenszeichen. Er klammerte sich daran wie ein Ertrinkender an einen Rettungsreifen. Es würde alles gut werden! Es musste einfach! „Oh…Entschuldigung…!“ Eine junge Krankenschwester platzte in den Raum. „Ich suche Sakura Morinaga. Ich dachte die wäre hier?“ Suchend flogen die Augen des Mädchens durch das Zimmer und blieben schließlich an Soichi hängen, der sie mit fragenden Augen ansah. „Bitte…Da ist Jemand, der sie unbedingt sprechen will… Er sagt es gehe um ihren Sohn…“   Ende Kapitel 26   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)