Schmerzende Liebe von NaschKatzi (IN ÜBERARBEITUNG) ================================================================================ Familienangelegenheiten ----------------------- Morinaga´s Vater ging ohne Soichi die geringste Aufmerksamkeit zu schenken an ihm vorbei. Mit langen Schritten, beschäftigt auf sein Handy tippend, eilte er den Flur entlang. Soichi starrte dem Mann perplex nach. Dem jungen Mann war es, als habe er eine Erscheinung. So würde Tetsuhiro also in 30 Jahren aussehen. Es war erstaunlich wie ähnlich sich Vater und Sohn waren. Morinaga Senior war groß gewachsen, mindestens zwei Köpfe größer als Tatsumi selbst. Das dunkle, kurzgeschnittene Haar war vereinzelt mit grauen Strähnen durchzogen. Soichi wusste nicht genau wie alt der Vater seines Freundes war, aber er schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Nach der Katastrophe von Telefonat war er ehrlich erstaunt ihn hier vorzufinden. Ob die Mutter auch da war? „Super! Was mach ich jetzt? Wieder gehen?“ Wie bestellt und nicht abgeholt lungerte er nun vor dem Zimmer herum und überlegte. „Ach! Wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch kurz reinschauen!“, beschloss er trotzig. So einfach wollte er sich nicht abspeisen lassen! Immerhin war er zuerst da gewesen! Leise trat er zur Tür und lauschte. Nichts zu hören. Ermutigt legte er eine Hand auf die Klinke. Doch dann ertönte die keifende Stimme einer Frau. Die Idee kam ihm mit einem Mal doch nicht mehr so gut vor. Aber bevor er sich zurückziehen konnte wurde die Tür unvermittelt von innen geöffnet. Tatsumi polterte regelrecht ins Innere. Morinaga haderte mit dem Schicksal. Seit seine Eltern überraschend angekommen waren, hatte er keine ruhige Minute mehr. Als er sie in der Tür stehen sah, glaubte er an eine Halluzination. Nach allen was sein Senpai erzählte, waren Sakura und Yuuto Morinaga die letzten Menschen, die er erwartet hätte. Tief in seinem Inneren keimte jedoch eine klitzekleine Hoffnung auf. Vielleicht war das die Gelegenheit sich mit ihnen zu vertragen! Doch seine Träume wurden jäh zerstört. Denn was er als erstes zu hören bekam waren keine tröstenden Wort, sondern Vorwürfe. „Tetsuhiro! Was hast du nur getan?? Wie konntest du nur deine Nieren zu ruinieren? Ich wusste immer dein Lebenswandel bringt dich noch ins Grab!!!“, legte seine Mutter los, kaum dass sie eingetreten waren. Keine Begrüßung, keine lieben Worte. Morinaga Senior schüttelte nur wortlos den Kopf. Tetsuhiro verfluchte innerlich Soichi. Warum musste sein Senpai auch seine Eltern informieren? Er konnte ja nicht mal weglaufen um ihnen zu entkommen. „Ich habe doch gar nichts…“, wollte er erklären, aber sein Vater unterbrach seinen Sohn rüde. „Erzähl mir doch nichts!! So was kommt doch nicht von allein!! Wer weiß wo und mit wem du dich überall rumtreibst!! Hast du denn einmal an dein Studium gedacht?? Wir finanzieren es nicht, damit du dich mit diesen Perversen die Nacht um die Ohren schlägst!!!“, wies er Morinaga zurecht. Dieser fasste sich an seinen Kopf. Jetzt ging das wieder los! Warum konnten seine Alten ihn nicht akzeptieren wie er war? Seit sie von seiner Homosexualität erfuhren, behandelten die Morinagas Tetsuhiro wie einen Aussätzigen. Ihrer Meinung nach war er nicht ganz richtig im Kopf. Dass er mit seiner Sexualität offen umging, war ihnen ein Dorn im Auge. Das Leben auf dem Land machte die Angelegenheit auch nicht besser. Natürlich redeten die Nachbar über ihn. Tetsuhiro war egal was erzählt wurde. Das Meiste war sowieso übertrieben. Doch für seine Eltern war nichts wichtiger als der gute Ruf der Familie. Unzählige Versuche Tetsuhiro zu „heilen“ gingen schief. Er war nur noch eine Schande, die man möglichst nicht erwähnte. Kurzer Hand wurde er zum Studieren fortgeschickt. Ihm war es nur Recht. Zum Schluss war die Situation für ihn unerträglich geworden. Das war inzwischen mehrere Jahre her. Anfangs suchte er noch den Kontakt, stellte ihn aber bald ein, weil von Seiten der Eltern keine Reaktionen erfolgten. Umso mehr war er verwundert, dass sie im Krankenhaus auftauchten. Seit geschlagenen zwei Stunden musste er sich jetzt schon mit ihnen herumschlagen. Sein Schädel drohte zu platzen. Darüber hinaus pochte die OP-Wunde wie verrückt. Morinaga fühlte sich so schwach, selbst das Zuhören war anstrengend und die ganze Zeit über spürte er den vorwurfsvollen Blick seiner Mutter auf sich ruhen. „Weist du eigentlich was wir alles auf uns genommen haben um herzukommen? Die Arbeit erledigt sich nicht von allein!! Tetsuhiro?? Hörst du mir zu???“, sprach Sakura Morinaga ihn eindringlich an. „Ja, ja ich höre zu…Wenn ihr so viel zu tun habt, warum seit ihr dann überhaupt gekommen??“ Im Grunde wollte er es gar nicht wissen. Doch einen sarkastischen Unterton konnte er sich dennoch nicht verkneifen. Das Gesicht seines Vaters lief rot an. „Pass bloß auf was du sagst, Freundchen!“, begann Morinaga Senior, wurde aber vom Klingeln eines Handys unterbrochen. Gereizt zog der Mann es aus seiner Hosentasche. „Da muss ich rangehen, entschuldigt mich…“, meinte er und verließ den Raum. Tetsuhiro und seine Mutter blieben allein zurück. Frau Morinaga sah auf ihre Armbanduhr und seufzte. Sie und ihr Mann warteten seit einer Ewigkeit auf den behandelnden Arzt. Wie hieß er noch mal? Tooto? Nein! Tonno!! Genau, dieser Dr. Tonno ließ sich ihrer Meinung nach viel zu viel Zeit. Ihr Blick fiel auf ihren Sohn. Er sah wirklich schlecht aus! Neben seinem Bett stand das Dialyse-Gerät. Leise summte es vor sich hin. Beim Anblick des Blutes wurde ihr leicht übel. „Wie ähnlich er seinem Vater sieht!! Es gab Zeiten, da waren sie ein Herz und eine Seele! Warum musste das auch unserer Familie passieren?“, kam es Sakura in den Sinn. Nach einigen Minuten verließ sie ihren Platz am Fenster und setze sich neben das Bett auf einen Stuhl. Vielleicht waren sie mit der Tür ins Haus gefallen. „Tetsuhiro, warum hast du uns denn nicht angerufen?“, fragte sie ihn sanft. Vorsichtig nahm sie seine Hand in die ihrige. Morinaga war erstaunt. Es war lange her, seit sie in diesem Tonfall mit ihm redete. „Warum…sollte ich? Ihr habt mir doch klar gemacht, dass ich mich bei euch nicht mehr blicken lassen soll…“ Selbst nach all den Jahren schmerzte die Erinnerung. Seine Mutter blickte empört auf. „Das war nur zu deinem Besten! Wir hatten gehofft du würdest dich besinnen und dir eine Freundin suchen!!“ Das hoffte die Morinagas wirklich. Aber ihr missratener Sohn war stur wie ein Maulesel. Und ja…in gewisser Weise stimmte, was Tetsuhiro sagte. Yuuto Morinaga stellte seinen Sohn vor die Wahl. Entweder er wurde „normal“ oder er brauchte sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen. Flehend sah Sakura zu Tetsuhiro. Der ballte die freie Hand zur Faust. Hitze stieg in ihm auf. „Freundin…Wie oft soll ich es denn noch sagen bis ihr es versteht! Ich bin weder krank, noch ist das irgendeine Selbstfindungsphase. Ich bin schwul und das wird sich auch nicht ändern. Könnt ihr das nicht akzeptieren? Bitte!!“ Mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter. Nun war er es, mit dem Flehen in den Augen. Er musste sich auf die Lippen beißen um nicht loszuheulend. Aber Sakura ging nicht darauf ein. Augenblicklich ließ sie die Hand ihres Sohnes los. Enttäuschung und Ablehnung zeichneten ihr hübsches Gesicht. „Dann kann ich dir auch nicht helfen…Ich schau mal wo dein Vater bleibt…“, murmelte sie und ging zur Tür. Kaum jedoch drückte sie die Klinke leicht hinunter, sprang die Zimmertür auf und eine Person fiel hinein. Mehrere Schritte stolperte Tatsumi in den Raum, konnte aber zum Glück verhindern, dass er auf die Nase fiel. „W-Wer sind Sie denn??“, fragte eine schlanke Frau. Mit weit geöffneten Augen schaute sie zu Soichi auf. Vor Schreck hatte sie eine Hand vor den Mund geschlagen. Er wusste sofort, dass es sich um Tetsuhiro´s Mutter handeln musste. Die Augen hatte sein Freund definitiv von ihr geerbt. Außerdem hatte Tatsumi ihre Stimme wiedererkannt. Ansonsten war keine Ähnlichkeit zwischen ihnen vorhanden. Sakura Morinaga war nur mittelgroß, mit schulterlangen braungelockten Haaren. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Aber einige Falten in ihrem feingeschnittenen Gesicht zeigten, dass sie bereits Mitte bis Ende vierzig war. „Senpai! Was machst du denn??“ Sein Kohai sah ihn mit dem gleichen überraschten Gesicht an. Verlegen suchte Soichi nach einer guten Ausrede. „Ich…Äh…sorry. Ich wusste nicht, dass du Besuch hast…“, log er einfach. „Senpai? Sind Sie ein Bekannter von Tetsuhiro?“, wurde von Mutter Morinaga gefragt. Skeptisch musterte sie den ungebetenen Gast. Die Stimme kam ihr vage bekannt vor. Auf das Krankenhauspersonal war auch kein Verlass. Hatten sie nicht ausdrücklich gefordert ungestört zu sein? Was war das für ein Service? Soichi war die Situation hochgradig unangenehm. Oh je. Das war also die Frau, die er ein „egoistisches Miststück“ nannte. Zum Glück kam ihn der Dunkelhaarige zur Hilfe. „Mutter, das ist mein Senpai aus der Uni." Keine weiteren Erklärungen. Die Atmosphäre war zum Reißen gespannt. Mutter Morinaga schnalzte mit der Zunge „Nun, danke für den Besuch. Aber Sie können gleich wieder gehen…“ Ungeduldig wedelte sie mit der Hand, um Soichi hinaus zu scheuchen. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihren Sohn gemacht. „Wolltest du nicht nach Vater sehen?“, warf Tetsuhiro scharf dazwischen. Die Frau warf ihm einen ätzenden Blick zu. Mehrere Male öffnete und schloss sie den Mund um etwas zu erwidern. Soichi schien es als würden beide einen stummen Kampf ausfechten. Wer am Ende gewann war nicht genau zu bestimmen. Aber schlussendlich, nach einem letzten wütenden Seitenblick auf Soichi, machte Sakura sich auf die Suche nach ihrem Mann. „Wenn Blicke töten könnte, wären Morinaga und ich mausetot.“, dachte Soichi während er der Mutter seines Kohais nachsah. „Sorry für den Auftritt…“, entschuldigte sich Soichi verlegen. Konnte er ahnen, dass die Alte genau hinter der Tür stand? „Hey? Alles klar?“, fragte er als der Jüngere nicht reagierte. Tetsuhiro sah ihn nicht an. Er war kurz davor zu platzen. Die Worte seiner Mutter ätzten wie Säure in seinem Inneren. „Warum…Warum musstest du sie anrufen??“, presste er durch zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Atem des Kranken ging stoßweise. Am liebsten würde er seinen ganzen Frust laut heraus schreien. Anstrengend atmete er ein und aus. „Ich….sorry…aber ich halte…diese ständigen…Vorwürfe nicht länger aus…“ Ein Stechen in der Brust ließ ihn verstummen. „Tetsuhiro!“ Soichi stolperte eilig an seine Seite. „Hey! Ganz ruhig! Du sollst dich doch nicht aufregen.“, tadelte er sanft. Sachte legte er ihm eine Hand auf die Stirn. Müde schloss Morinaga die Augen. Wie angenehm kühl sich Senpai´s Haut auf seiner anfühlte. „Danke…es geht schon wieder…“, meinte der Kranke nach einer kleinen Verschnaufpause. In Wahrheit fühlte er sich erbärmlich. Nach der vierstündigen Dialysesitzung war er ausgelaugter als nach einem Marathonlauf. Im Laufe des Tages ging es etappenweise bergab. Besuch war für heute nicht vorgesehen. Aber da es sich um die Familie handelte, wurden Sakura und Yuuto Morinaga zu ihm gelassen. Und so nahm das Drama seinen Lauf. Ohne das Wissen, das Soichi auf ihn wartete hätte er schon längst aufgegeben. „Soichi…du bist so lieb…“ Vorsichtig legte er dem Älteren, der mittlerweile den verwaisten Platz neben dem Bett eingenommen hatte, ein Hand auf die Wange. „Du Idiot…Musst du immer so peinliche Sachen sagen…“, motzte der Blonde halbherzig zurück. „Ich glaub es nicht! Was machst du denn da?? Bist du verrückt geworden??“ Eine wutentbrannte Stimme erfüllte den Raum. Yuuto Morinaga stand fassungslos in der Tür. War sein Sohn von allen guten Geistern verlassen? Jeden Moment könnte jemand vom Personal auftauchen. Was sollte die Leute denken, wenn sie Tetsuhiro und seinen…was auch immer…sahen? Auch Tatsumi realisierte erschrocken welches Bild die beiden abgeben mussten. Doch Yuuto war schneller. Zwei Schritte des großen Mannes genügten, um die Hälfte des Raumes zu durchqueren. Hart versetzte er Soichi einen Stoß, der ihn beinahe von den Füßen riss. „Sie! Verschwinden Sie auf der Stelle! Wir haben mit unserem Sohn zu sprechen.“, brüllte er. Bei dem Wort „Sohn“ warf er dem Kranken einen Blick zu, als wollte er sich als nächstes auf ihn stürzen. Soichi Tatsumi wäre nicht er selbst, wenn er einfach so das Feld geräumt hätte. Dachte der Alte ernsthaft, dass er ihn nach diesem Auftritt mit Tetsuhiro allein ließ! „Ich denke nicht daran!“, teilte er provokant mit. Der Senior starrte ihn baff an. Anscheinend rechnete er nicht damit, dass sich jemand mit ihm anlegte. Zornig lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück auf seinen Sohn. „Du! Hast du keinen Anstand im Leib?? Wie kannst du nur diesen…diesen…Perversen hier anschleppen??“, donnerte er gellend. Soichi wurde weiß wie die Wand. „Wie hast du mich genannt???“, zischte er respektlos zu Morinaga´s Vater. In seinem Kopf ratterte es. Was sagte der Mann zu ihm? „Spreche ich undeutlich? Sie haben mich schon verstanden!! Ich wusste auf den ersten Blick von welcher Sorte Sie sind!!“ Wild fuchtelte der Alte mit seiner Hand durch die Luft. Tetsuhiro, der sprachlos zugehört hatte, konnte regelrecht sehen, wie bei Soichi der Geduldsfaden riss. Wenn er nicht etwas unternahm, würde es ein Blutbad geben! Im wahrsten Sinne des Wortes. Er ahnte ja nicht wie kurz Tatsumi davor war genau das in die Tat umzusetzen. Er kochte innerlich. Vater hin oder her! Niemand, absolut niemand durfte so mit ihm reden. Und niemand nannte ihn einen Perversen!! Dachte der Alte wirklich er sei schwul? „Jetzt mach mal halblang Alter...“ Ein wildes Wortgefecht setzte sich in Gang. Plötzlich sprachen alle durcheinander. Soichi und der Vater übertönten sich gegenseitig mit ihrem Geschrei. Der Student wurde mit Beschuldigungen, Beleidigungen und Unterstellungen bombardiert. Gleichzeitig versuchte Soichi, dem älteren Mann zu erklären, dass es nicht so war wie es aussah. Um das Chaos komplett zu machen mischte sich auch noch Frau Morinaga ein. Ohne Erfolg versuchte sie ihren Mann zu beruhigen. Ihre schrille Stimme vermischte sich mit dem Geschrei der Männer. Vergeblich versuchte Tetsuhiro sich Gehör zu verschaffen. Doch teilweise war es so laut, dass er sich die Ohren zuhalten musste. „Ihr Perversen seid doch alle gleich!! Widerwertig! Ekelhaft! Das ist doch nicht normal!!“, ätzte der Senior giftig. Sein Blick huschte zwischen den beiden jungen Leuten hin und her. Dass er seinen Sohn damit aufs tiefste beleidigte war ihm egal. „Sag mal, bist du taub?? Ich bin keiner von denen!! Ich kann Schwule nicht ausstehen!! Ich hasse sie!!“, blaffte Soichi laut zurück. Die Worte verließen seinen Mund bevor er nachdenken konnte. Tetsuhiro zuckte leicht zusammen. Verblüfftes Schweigen auf beiden Seiten. Soichi schluckte. Was hatte er da gesagt...? „Was ist denn hier los? Raus! Sofort! Alle raus!“ Vier Köpfe drehten sich zur Tür. Der behandelnde Arzt Dr. Tonno stand mit entsetzter Miene im Eingang. Das laute Gebrüll der Besucher war auf der gesamten Station zu hören gewesen. „Verlassen Sie alle sofort das Zimmer! Kommen Sie mit!“, wiederholte er nochmals. Mit einer nachdrücklichen Geste scheuchte die die Eltern und Soichi hinaus. „Das ist alles Ihre Schuld…“, knurrte Yuuto auf dem Flur in Soichi´s Richtung. „Schluss damit!“, brummte der Mediziner warnend. Der Senior verzog das Gesicht, hielt jedoch den Mund. Seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm. „Beruhig dich Yuuto!!“, zischte sie ihm zu. Auch Soichi fand, dass es besser war die Klappe zu halten. „Können Sie mir bitte erklären, was das sollte??? Der Patient braucht Ruhe! Das Letzte was er gebrauchen kann ist Aufregung und Stress!!“, erklärte der Arzt kopfschüttelnd. Er seufzte genervt. Dieser Fall war wirklich schwierig! Tonno hoffte die Anwesenheit der Elternteile würde dem Jungen gut tun. Aber das Gegenteil war der Fall!! Der Vater war genauso dickköpfig wie der Sohn. „Entschuldigen Sie Doktor! Das…war…nur…eine kleine Auseinandersetzung…!“, versuchte Sakura die Szene zu erklären. Ihr war es hochgradig peinlich, wie ihr Mann sich aufführte. Der Arzt musterte sie unverständlich. „Werte Dame, ich glaube Sie und ihr Mann missverstehen den Ernst der Lage! Es gibt keinen Platz für „kleine Auseinandersetzungen“. Ihr Sohn ist ernsthaft krank. Verstehen Sie das nicht??“ Dabei hatte der Arzt bereits mit den Morinagas über den Gesundheitszustand Tetsuhiro´s gesprochen. „Und Sie müssten es doch besser wissen!“, tadelte der Mediziner erbost in Soichi´s Richtung. Dieser schrumpfte in sich zusammen. Er schämte sich für sein Verhalten. „Es…tut mir Leid…“, würgte er mühsam hervor. Die Antwort schien das Ehepaar zu verblüffen. Sakura stieß ihren Ehemann in die Seite. Er räusperte sich. „Entschuldigen Sie Doktor. Es kommt nicht wieder vor.“, bat er um Verzeihung. Tonno schien nicht gänzlich überzeugt was die Ernsthaftigkeit der Entschuldigung betraf, ließ es aber dabei beruhen. Schließlich gab es wichtigere Dinge. „Lassen wir das. Bitte folgen Sie mir in mein Büro. Ich muss mit Ihnen sprechen. Hier entlang.“, kommandierte er und ging voraus. Soichi Tatsumi blieb zurück. Er musste unbedingt nochmal zu Tetsuhiro. Was er da vorhin gesagte hatte…Er musste... „Tatsumi? Kommen Sie?“ Erstaunt bemerkte er, dass Tonno auf ihn wartete. Was? Sollte er etwa mitkommen? „Was will der denn?? Das ist eine Familienangelegenheit.“, fauchte Yuuto Morinaga ihn im Büro des Oberarztes an. Er und Sakura hatten auf zwei Stühlen Platz genommen. So ähnlich Vater und Sohn auch sahen, gegensätzlicher konnte der Charakter nicht sein. „Ja, das das ist richtig. Aber unter diesen Umständen ist Anwesenheit Tatsumis erwünscht.“, erklärte Tonno, der hinter Soichi eingetreten war. Angespannt lehnte Soichi sich an die Wand. Normalerweise hatte er hier wirklich nichts zu suchen. Jetzt da die nächsten Verwandten anwesend waren, hatte er nichts mehr zu melden. „Welche Umstände?“, erkundigte sich Sakura. Der ältere Mediziner wühlte in einem Stapel Papiere und zog einen dünnen Ordner hervor. „Ähm…ihr Sohn hat eine Vollmacht unterschrieben, die Soichi Tatsumi in alle medizinischen Entscheidungen einbezieht. Hier…“ Über den Tisch hinweg reichte er dem Vater die Papiere. Rüde riss Yuuto das Blatt aus der Hand. „Er hat was??? Darf er das denn???“, baff starrte der Mann auf das Formular. „Da ihr Sohn volljährig ist, kann er über seinen Körper frei entscheiden. Das müssen Sie akzeptieren.“ Die Eheleute tauschten einen ratlosen Blick. „Verflucht! Dieser Bengel! Arg...Wenn es sein muss. Was wollen Sie mit uns bereden??“ Begeisterung sah anders aus. Vollmacht?? Was dachte Tetsuhiro nur einen Fremden in Familienangelegenheiten einzubeziehen?? Als ob seine Eltern nicht am besten wüssten, was gut für ihn ist!! Auch Tatsumi war von der Enthüllung überrumpelt. Vertraute Tetsuhiro ihm denn so sehr? Seine unbedachten Worte...Er musste sich entschuldigen. Stopp! Warum…sollte er? Schließlich war das die Wahrheit! Oder…??? „Ich will gleich zur Sache komme. Wie Sie wissen mussten wir eine Niere entfernen. Natürlich ist das Organspendezentrums informiert worden…“ Kaito Tonno seufzte bevor er weitersprach. „...Leider…haben sich die Werte verschlechtert. Ich weiß nicht wie lange wir sie noch stabil halten können.“ Sakura knetete nervös ihre schmalen Hände. „I-Ich verstehe nicht…?“, ängstlich wanderten ihre blauen Augen im Büro umher. „Nun, Tetsuhiro war schon vor der OP in keiner guten Verfassung. Die Dialyse ersetzt zwar die Nierenfunktion, aber sie setzt dem Körper auch zu…Um Klartext zu sprechen: Je schneller er ein neues Organ bekommt, umso besser. Wenn nicht, besteht akute Lebensgefahr. Vielleicht verstehen Sie nun, warum ich so streng bin. Er muss sich schonen!! Jegliche Aufregung ist Gift für den Körper.“ Kaito Tonno hasste es schlechte Nachrichten überbringen zu müssen. Die Gesichter der anwesenden Personen sprachen für sich. Tonno sah die unterschiedlichsten Emotionen. Fassungslosigkeit. Wut. Trauer. „Sie meinen er könnte…könnte sterben???“, kam es von Yuuto Morinaga. Sakura wurde blass. Sterben?? Ihr Sohn sollte sterben? Nein! Es musste sich um einen Irrtum handeln!! Ganz bestimmt! „Oh, entschuldigen Sie! Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen. Aber die Lage ist ernst. Deswegen wollte ich mit ihnen über eine weitere Option sprechen.“ Die Stimme des Mannes klang souverän und vertrauenerweckend. Yuuto stieß ein verächtliches Schnaufen aus. „Denken Sie ich weiß nicht worauf sie hinauswollen?“ Er bedachte den Mann hinter dem Schreibtisch mit einem mörderischen Blick. „Sagen Sie es schon! Wir sollen als Ersatzteillager herhalten? Ist es nicht so!?“ Der große breitschultrige Mann stand auf. „Es tut mir leid, aber da mach ich nicht mit!!“ Ohne weiteren Kommentar verließ das Büro. Baff starrten alle ihm nach. „Aber…Yuuto!“, rief die Mutter seines Freundes ihrem Ehemann nach. „Einen Moment…Ich rede mit ihm…“ Sofort eilte sie ihm hinterher. „Da…damit habe ich nicht gerechnet!“, murmelte der Arzt überrascht. Es war das erste Mal, dass ihm die Worte fehlten. Solch eine Reaktion war ihm unverständlich. Zum Wohle seines Patienten konnte er nur hoffen, dass die Ehefrau Erfolg haben würde, denn wenn beide Elternteile sich testen ließen war die Wahrscheinlichkeit dreimal so hoch, dass einer von ihnen als Spender in Frage kam. Auch Soichi überlegte fieberhaft. War der Alte verrückt geworden? Eine Idee formte sich in seinen Kopf. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einen Spender außerhalb der Familie zu finden? Das muss doch auch gehen oder??“ Wenn der Alte sich quer stellte musste er die Sache in die Hand nehmen! Der Arzt, der immer noch wie hypnotisiert auf die offene Tür starrte, nickte geistesabwesend. „Ja…natürlich…unter gewissen Umständen…ist das möglich…“ Auf diese Antwort hatte Tatsumi nur gewartet. Energisch krempelte er den Ärmel hoch. Auffordernd hielt er dem Arzt seinen nackten Arm hin. „Worauf warten Sie dann noch! Testen Sie mich!“ Tetsuhiro Morinaga lag in seinem Bett und dachte nach. Nach dem Krach war die Stille eine wahre Wohltat. Er konnte sich denken was Tonno mit ihnen besprechen wollte. Schließlich konnte er eins und eins zusammenzählen. Obwohl er kein Schwarzseher war, spielte er ernsthaft mit dem Gedanken sein Testament zu machen. Aber für was eigentlich? In seinem Besitz befand sich nichts Wertvolles, das einen Nachlass wert war. Wozu die Mühe machen? Viel mehr als ihm lieb war, drehten sich die Gedanken um Soichi. Die Vollmacht war wahrscheinlich ein Fehler. Was dachte er nur dabei?? Senpai eine solche Verantwortung aufzubürden! Sein Freund hatte andere Sachen, die seine Aufmerksamkeit benötigten. Die Uni, seine eigene Familie und vieles mehr. Schließlich waren sie kein Paar. Das war Morinaga heute schmerzlich klar geworden. Er wusste auch nicht was er sich alles eingebildet hatte. Die Worte seines Senpai´s brachten ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er war so ein Träumer gewesen! Ende Kapitel 23 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)