Architects von Arcturus (Neuer One-Shot: Blaise & Neville) ================================================================================ I just need somewhere now ------------------------- Vierhundertundneunzehn Tage und er konnte den Vorgarten von damals noch immer sehen. Es hatte in Strömen gegossen, ein sintflutartiger Gewitterschauer, der ihn beim Apparieren kalt erwischt und vollkommen durchtränkt hatte. Der Regen hatte die Farben der Blumen gedämpft und die Sträucher am Eingang hatten unter den Fluten die herzförmigen Blätter hängen lassen. Selbst der Geruch eines verfrühten Sommerschauers hing immer noch in seiner Nase. Damals hatte er nur ihre Eltern angetroffen, weil sie noch oder schon wieder oder überhaupt in der Schule gewesen war – britische Feiertage waren und blieben ihm ein Rätsel. Heute hoffte er, das hieß, er war sich nicht sicher, was er hoffen wollte. Es regnete wieder, doch die erfrischende Stimmung blieb aus. Es war ein kriechender Nieselregen, der ihn genauso durchweichte, wie der Platzregen im letzten Jahr. Die Natur erschien ihm genauso grau, wie der Himmel. Der Rasen des Vorgartens war gemäht, doch die Blumen des letzten Jahres hatten entweder schon abgeblüht oder aber waren dieses Jahr gar nicht gewachsen. Britische Pflanzen waren ihm genauso ein Rätsel, wie die Feiertage, also hatte all dass möglicherweise seine Richtigkeit. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass dieser Ort irgendetwas – oder irgendjemanden – vermisste. Vielleicht zögerte er deshalb, als er das Vordach über der Tür erreichte. Für einen Moment beäugte er die Klingel kritisch, so als würde sie ihn beißen können, wie die Glockenschnüre, die sich manche Reinblüter in seiner Heimat hielten, um Muggel abzuwehren. Doch nein, das war Quatsch. Ihre Eltern mussten keine Muggel abwehren und selbst wenn die Notwendigkeit dazu bestanden hätte, fehlte ihnen die Magie. Er drückte den Knopf. Das Läuten, das folgte, echote viel zu laut durch das Haus und ließ die Stille, die ihm folgte dröhnen. Vermutlich hätte er nicht kommen sollen. Immerhin – es war vierhundertundneunzehn Tage her. Vierhundertundneunzehn Tage, in denen er vor alten Dämonen geflohen war, während sie die Welt rettete, zumindest die britische. Sein Platz war auf dem Quidditchplatz, ihrer jetzt möglicherweise überall nur nicht hier. Natürlich nicht – das Ministerium verlangte nach ihr, ihre alte Schule, ihr Freund. Er war zu spät, mindestens dreihundert Tage. Seufzend wandte er sich ab, doch bevor er unter dem Vordach hervortreten konnte, hörte er das Öffnen der Tür, dann Stille, für einen Herzschlag lang. Zwei. Drei. „Viktor? Ich – Was machst du hier?“ Langsam drehte er sich soweit zurück, dass er sie sehen konnte. Sie war nicht mehr gewachsen, nur ihre braunen Haare erschienen ihm noch länger, als bei ihrem letzten Treffen. Sie wirkte überrascht, doch der erfreute Glanz ihrer Augen, den er so vermisste, die Hibbeligkeit, das davon herrührende leichte Beben in ihren Locken – all das blieb aus. Er lächelte trotzdem, versuchte es zumindest. „Hermyow-ny“, erwiderte er und schalt sich noch im gleichen Augenblick einen Narren, ihren Namen immer noch nicht richtig aussprechen zu können. „Ich – war in der Nähe und ich dachte, nun, ich würde dich gern wiederse‘en.“ Sie zog die Augenbrauen hoch, so als glaube sie ihm kein Wort. Er kannte die Geste, genauso, wie er sich an all die anderen Gesichtsausdrücke erinnerte, die er in den letzten Jahren hatte sehen dürfen. Es war nicht unbedingt einer seiner Lieblingsausdrücke, doch er konnte es ihr nicht verübeln – es war ja auch eine kleine Lüge, wenn man es so sehen wollte. Vielleicht war ‚in der Nähe‘ auch nur ein sehr weitläufiger Begriff. „So?“, fragte sie, klang allerdings nicht böswillig. „Ich hatte ein Spiel, in Montrrose.“ Noch eine Lüge. Es war vielleicht ein Spiel im wörtlichen Sinne, aber eigentlich war ‚Massaker‘ der passendere Begriff. Diese verdammten Elstern hatten mit ihnen die Torposten gewischt, wie sonst nur mit Drittligisten. „Oh – ich hoffe, das Spiel lief gut?“ „Ja“, antwortete er. „Für Montrrose.“ „Oh. Ähm“, sie warf einen Blick hinter sich, „ich – komm doch rein, wenn du möchtest. Ich weiß, es ist im Moment vielleicht ein bisschen leer, aber ich habe einen Tisch und zwei Stühle. Oh und Tee.“ Im Gegensatz zu ihm log sie nicht. Bereits als er den Flur betrat, wurde ihm klar, dass sie das mit dem Tisch, den zwei Stühlen und dem Tee ernst meinte. Er war ein paar Mal in diesem Haus gewesen, meistens vor oder nach einem seiner Quidditchspiele, und immer hatte es die eine oder andere kleine Veränderung gegeben – ein Photo mehr, ein anderer Blumenstrauß, ein neuer Teppich. Heute erkannte er den Flur nur an der alten Tapete, die immer die gleiche geblieben war. Dort, wo Mrs. Granger seinerzeit liebevoll Photos der Familie arrangiert hatten, kündeten heute nur helle, rechteckige Flecken von entfernten Bilderrahmen. Die kleine Kommode, auf dem immer bunte Sträuße standen, fehlte genauso, wie der Schlüsselkasten, auf den eine Fünfjährige bunte Schmetterlinge gemalt hatte. In der Küche gab es nicht mehr als eine fest in der Wand verankerte Spüle und die Möbel, die Hermione ihm versprochen hatte. Er erinnerte sich an die Küche als einen sonnigen Ort, mit Schränken aus hellem Holz und einem Kuchen im Muggelbackofen. Vielleicht lag es auch einfach an der einsetzenden Dämmerung und am tristen Wetter, doch heute versank der Raum im Dämmerlicht. Ansonsten lag es möglicherweise auch einfach an seiner Stimmung und an ihrer. Einen Moment lang stand er einfach nur in der Flurtür, unschlüssig, ob sie die Nähe überhaupt wünschte. Vermutlich nicht. Er trat letztendlich trotzdem zu ihr an dem Tisch, während sie mit einem ihm fremden Zauberstab Wasser in zwei Tassen erhitzte. Der Zauber wirkte fahrig und ihre Hände zitterten leicht, ob wegen des Stabes oder aus anderen Gründen vermochte er nicht zu sagen. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er, etwas dass ihm gleich darauf Leid tat. Sie zuckte zusammen. Das Wasser schlug Blasen und spritzte überall hin. Er hörte, wie sie vor Schmerz die Luft einsog. Er trat eilig noch einen Schritt vor, nur um dann nicht zu wissen, was er tun sollte. „Entschuldige –“ „Entschuldige!“, fiel sie ihm ins Wort. „Ich – der Zauberstab … ich habe meinen alten verloren und der hier ist völlig ungeeignet für Haushaltszauber. Ich sollte eine gute Gastgeberin sein und für dich einen Trocknungszauber sprechen, aber am Ende zünde ich dich damit noch an. Ich –“ Sie beendete den Satz nicht, stattdessen atmete sie tief durch. Kurz trafen sich ihre Blicke und er sah ihre Augen verräterisch glänzen. Er lächelte, doch es fühlte sich schief an. „Das ist nicht schlimm. Ich bin ein furchtbarer Gast- Ich habe nicht einmal ein Geschenk mitgebracht. Ich mach das, ja?“ Hermione schob ihre Unterlippe vor, sicher eine unbewusste Geste, doch er ließ sich nicht beirren. Er zog nun selbst seinen Zauberstab, sprach einen knappen Trocknungszauber, bis der Stoff nur noch klamm war – nicht trocken, denn auch er fürchtete, sich anzuzünden, wenn auch aus anderen Gründen – und zog dann die Tassen zu sich. Er nahm sich Zeit dafür, das Wasser zu erhitzen. Es war nicht so, dass er ein schlechter Zauberer war – nur das mit den Blasen, das hätte ihm auch mit seinem eigenen Zauberstab passieren können. Haushaltszauber waren in Durmstrang nie eines der Hauptfächer gewesen. Schließlich kochte das Wasser träge vor sich hin und er warf die beiden bereitliegenden Teebeutel ein. Erst dann setzte er sich und blickte wieder zu ihr auf. Sie zitterte immer noch, auch, nachdem sie seinem Beispiel folgte und sich auf den anderen Stuhl fallen ließ. Sie schob die Unterlippe jetzt noch ein bisschen weiter vor und dass sie die Arme gerade jetzt vor der Brust verschränkte, erschien ihm auch nicht sonderlich zufällig. Tatsächlich kam sie gleich zum Punkt. „Na los. Stell deine Frage, Viktor. Ich weiß, dass du sie stellen willst.“ Eigentlich hatte er mehr als nur eine Frage und eigentlich war er sich auch nicht sicher, ob er überhaupt eine davon stellen wollte – weil er sich dumm dabei vorkam, was nichts neues war, weil er sich vor der Antwort fürchtete und weil es ihn den meisten Fällen rein gar nichts anging. Er seufzte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Wasserhahn über der Spüle tropfte. Noch etwas, das so nicht hätte sein sollen. So vieles, das so nicht hätte sein sollen. Vermutlich hing das alles zusammen. Er gab sich einen Ruck. „Deine Eltern – sind sie …“ „Tot?“, beendete sie seine Frage. Er spürte sich dumpf nicken, nahm den Blick aber nicht von dem Tropfenden Wasserhahn. „Nein. Das heißt – ich weiß es nicht. Letztes Jahr, das heißt, vor der Übernahme des Ministeriums durch Voldemort … Mir war klar, dass die Todesser mich verfolgen würden, bei dem, was ich vorhatte, und dass ich sie damit in Gefahr bringe. Also …“ Sie verstummte. Natürlich hätte er sie drängen können, fortzufahren, doch er wusste es besser. Immerhin war er selbst wegen der verschiedensten Gründe zu den meisten Zeiten sprachlos bis wortkarg, nur dass seine Grunde ihm jetzt ziemlich erbärmlich erschienen. Sie verfolgten ihn seit 1994, das hieß nein, zumindest ein Teil von ihnen verfolgte ihn schon länger. Nur die Erinnerung darüber, die Kontrolle zu verlieren, zu tun, was jemand anderes ihm Befahl und sich nicht widersetzen zu können, die hatte sich erst während des Trimagischen Turniers dazugesellt. Die anderen Ängste waren älter. Wirklich verändert hatten sich nur Rettungsseile, nach denen er seine Hände ausstreckte, und das nicht zu seinen Gunsten. Die neuen Seile, die, die ihn noch heute antrieben, waren längst außer Reichweite. Es gab einfach keine anderthalbtausend Meilen langen Seile. Die alten hingegen hatten ihren sichernden Halt längst verloren, das hatte er zuletzt in Montrose erleben dürfen. Sein Verein hatte versagt und die Schuld fiel immer auf den Sucher und den Hüter zurück. Vermutlich zu Recht. Oberreit und er hatten grottig gespielt und das zumindest in seinem Fall nicht zum ersten Mal in der laufenden Saison. Vorsichtig streckte er die Finger aus und griff nach der Tasse. Vermutlich würde der Tee nicht schmecken, aber er nippte trotzdem an der heißen Flüssigkeit, die längst zu lange gezogen hatte. „Vielleicht solltest du erst deine Fragen stellen“, schlug er vor. Nicht, dass er wirklich bereit war, ihre Fragen zu beantworten. Vermutlich nickte sie, zumindest stellte er sie sich so vor. Ein knappes Nicken, braune Locken, die ihr ins Gesicht fielen und die sie entschlossen wieder hinter ihr Ohr strich, bevor sie antwortete. Ob sie all das tat, er wusste es nicht. Sein Blick klebte immer noch auf dem Tropfenden Wasserhahn. Vielleicht tat sie es ja tatsächlich. Er mochte das Bild. Es stand ihr besser, als die verheulten Augen und das Beben in den Schultern. „Warum bist du hier? Bitte versteh mich nicht falsch – ich freue mich, dass du da bist. Es ist nur … hättest du mir Bescheid gesagt, hätten wir uns woanders treffen können, als … hier.“ Jetzt blickte er doch zu ihr zurück, auch wenn er es vermied, ihr in die Augen zu sehen. „Ich hätte dir Bescheidd gesagt – hätte ich …“, er schüttelte den Kopf, „nach dem Spiel. Ich konnte das alles nicht mehrr aushalten. Ich wusste nicht, wohin.“ Denn seine Rettungsseile endeten hier. Jetzt, wo er an diesem Tisch saß und ihre Tasse in den Händen hielt, fragte er sich, warum er überhaupt gekommen war. Um sich zu retten? Möglicherweise – nur ob die Seile seine Rettung waren oder das Durchschneiden derselben – er wusste es nicht. „Läuft die Liga so schlecht?“ „Montrose ist im Finale.“ Sie waren höchstens in den Zeitungen, mit Spott, den er nicht lesen wollte. Genauso wenig, wie er die Artikel der letzten Wochen hatte lesen wollen. Leider hatten seine Sprachkenntnisse mit seiner Zeit im Profisport exponentiell zugenommen. Bulgarisch, Russisch, Englisch, Deutsch, mittlerweile auch Polnisch und Spanisch, ein bisschen Französisch dank Fleur. Er würde immer eine Zeitung finden, die er verstand. Nicht, dass die meisten Bilder nicht ohnehin für sich sprachen, über jegliche Sprachgrenzen hinweg. „Man stellt sicher ziemliche Ansprüche an dich und dein Team.“ „Das Finale ist gegen Heidelberg. Es hätte das erste deutsch-deutsche Finale in der Intereuropean League of Quidditch seit siebenundachtzig Jahren sein können.“ Sie hob die Tasse und nahm einen knappen Schluck. Hinter der Tasse sah er sie leise lächeln. „Nun, hier wird dich niemand suchen.“ Er nickte. Wenn man ein berühmter Quidditchspieler war, war nichts so weit entfernt, wie die Muggelwelt vor der eigenen Haustür. Nicht einmal New York oder Nowosibirsk. „Ich hatte gehofft, vielleicht etwas bleiben zu können. Ich verschwinde morgen früh, wenn du willst. Es ist nurr, ich weiß nicht wohin sonst.“ Die Stille, die folgte, zog sich in die Länge. Er hätte sie in seiner Tasse ertränken können, doch er fand keine Worte, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie musste es so verstehen, all das, was er nicht ausdrücken konnte. Die Gründe, warum er seine Augen nicht schließen wollte. Die unsichtbaren Leinen, die ihn an sie banden, wie einen Ertrinkenden. Vielleicht konnte sie es, heute. Irgendwann stellte sie die Tasse zurück auf den Tisch. Sie klirrte laut auf dem Holz, aber vielleicht war das auch nur Einbildung. Genauso, wie das Echo des über die Fliesen kratzenden Stuhls, als sie aufstand. „Ich habe oben noch eine Matratze.“ We were told just to sit tight ------------------------------ Theo sah aus, als würde er gleich auf den Boden des Unterrichtsraums kotzen. Immer noch. Mittlerweile war es über eine Stunde her – Muggelkunde, keine sonderlich berauschende Stunde, aber immerhin – doch eigentlich sah er nicht so aus, als würde es irgendwann besser werden. Er war immer noch weiß wie eine Wand, seine Lippen waren immer noch grau, bis auf die roten Striche, aus denen er noch kurz zuvor geblutet hatte. Nur seine geballten Fäuste ließen vermuten, dass er überhaupt noch an irgendetwas dachte und nicht vollkommen abgeschaltet hatte. Dass er überhaupt noch zwischen ihnen saß, war ein kleines Wunder … aber eigentlich nicht. Blaise kannte ihn mittlerweile das siebte Jahr und wenn er ehrlich war, konnte er ihm nicht einmal sauer sein, auch wenn ihm klar war, dass die McGonagall längst anderthalb Katzenaugen auf seinen Mitschüler geworfen hatte. Natürlich hielt er die Klappe, genau, wie die anderen. Es war das übliche Spiel. Solang der Betroffene – in diesem Fall Theo – schwieg, schwiegen auch alle anderen Slytherins. Und die Schüler der anderen Häuser … vermutlich interessierte es sie einfach nicht genug, um den Mund mehr als nur zum Tuscheln zu öffnen. Wenn es nach ihm ging, konnten die sich ohnehin gepflegt ins Knie … aber auch das sprach er nicht aus. Eigentlich sprach er in dieser Stunde gar nicht, außer um Gamps Gesetze der Transfiguration zu rekapitulieren und dafür nicht einmal Hauspunkte zu bekommen. Irgendwann läutete die Pausenglocke zum Mittag. Ein letzter Versuch der Verwandlungslehrerin, sie ohne ein Wort der Aufforderung zum Reden zu bringen, schwappte in einem finsteren Blick über ihn und seine Klassenkameraden, dann war es vorbei. McGonagalls Entschluss tröpfelte mit den Schülern, die ihren Raum verließen, davon. Anscheinend war es ihr – wie ihren Gryffindorschützlingen – letztendlich doch nicht wichtig genug. Sie blieben Slytherins. Todesserkinder. Blaise konnte es nicht mehr hören, aber ihn fragte bei solchen Dingen ohnehin niemand nach seiner Meinung. Vermutlich war es besser so. So konnte er auf seinem Platz bleiben und den ganzen Hufflepuffs, Ravenclaws und Gryffindorks dabei zusehen, wie sie einer nach dem anderen zum Essen verschwanden. Stumm blieb er auf seinem Stuhl sitzen. Sein Magen knurrte ohnehin nicht, das hatte er sich bereits in der ersten Stunde abgewöhnt, außerdem war es Theodore, der immer noch saß, schuldig. Hinter sich hörte er Stühle rücken, als sowohl Vincent und Gregory aufstanden. Draco folgte ihnen mit einem gewissen Abstand und einem skeptischen Blick über die Schulter aus dem Raum. Die anderen blieben. Pansy direkt vor ihnen und Millicent neben ihr, Sally-Ann in der ersten Reihe, Tracey und Pike am Fenster und sogar Daphne, die die Mittagspause normalerweise mit der Maniküre verbrachte. Es war Pansy, die sich schließlich ganz langsam umdrehte. Das Schulsprecherabzeichen funkelte auf ihrer Brust, genauso wie die Wut in ihren Augen. „Okay“, verkündete sie betont langsam. Ein paar schwarze Haarsträhnen fielen in ihr Gesicht, doch das milderte den Zorn genauso wenig, wie ihre Mopsnase. „Ich hab‘s satt, Nott. Du wirst jetzt in den Gemeinschaftsraum gehen und dich in dein Bett legen und wenn –“ „– Pansy –“ „– ich dich dorthin accion muss.“ Ein stummes Blickduell folgte. Pansy starrte, Theodore sah schweigend zurück. Er war es allerdings nicht, der einknickte – sondern Blaise. Er hasste es, wenn Pansy ihn so ansah. Es bedeutete immer, dass man sich auf ein handfestes Duell gefasst machen musste oder schlimmer noch – sie nicht mehr ab ging – und im Moment war sie ihm eindeutig zu nah. Unwillkürlich ließ er die Schultern sinken und rutschte Millimeter für Millimeter weiter in seinen Stuhl. Keiner von beiden beachtete ihn. „Zumindest über die Mittagspause und deine Freistunde.“ Theodore antwortete nicht mit Worten. Vielleicht fürchtete er, doch noch auf Professor McGonagalls geheiligte Dielen zu reihern, wenn er den Mund zu oft öffnete. Stattdessen erhob er sich, langsam und schwankend. Pansy wich nicht von seiner Seite und Daphne schloss sich den beiden ungefragt an. Erst, als die Drei durch die Tür aus seinem Blickfeld verschwanden, wagte Blaise, die Luft, die er angehalten hatte, langsam auszuatmen. Vor ihm stopfte Millicent ihre Unterlagen in die Tasche und stapfte von dannen. Tracey eilte ihr nach, vermutlich zum Essen, und Pike und Sally-Ann verschwanden schließlich sonstwohin – so genau wollte er es allerdings auch gar nicht wissen – und ließen ihn mit sich selbst und Theodores Habseligkeiten allein zurück. Es war eine einsame Angelegenheit. Zuerst steckte er seinen eigenen Kram, Buch, Pergament, Federn und Tinte, zurück in die schwarze Ledertasche. Das schwarze Z seines Familienwappens rastete klickend im Schnappverschluss ein. Seiner Meinung nach war das eine überflüssige Spielerei seiner Mutter, aber immerhin hatte das Ding noch nie geklemmt. Mit Theodores Sachen gab er sich mehr Mühe, auch weil er wusste, dass sein Mitschüler kein großer Freund von Knicken und Eselsohren war. Er trocknete die restliche Tinte aus dem Federkiel und hielt die Feder kurz gegen das Licht, das durch die Fenster nach innen drang. Er wusste gar nicht, von welchem Vogel die Feder einmal gestammt hatte – braun mit helleren braunen und orangen Flecken war jetzt nicht so unüblich – doch ihm war klar, dass die Feder Theo wichtig war. Entsprechend vorsichtig legte er sie deshalb zurück in ihr Mäppchen. Danach rollte er sorgsam die Pergamente auf und verstaute sie zusammen mit dem Verwandlungsbuch in Theodores Tasche. Die hatte – natürlich – kein fettes Zabini-Z auf der Schnalle. Eigentlich war es eins der gut eingetragenen Standard-Modelle, die man bei Dervish and Banges kaufen konnte. Gut eingetragen – und schwer. Blaise fragte sich nicht, was für Bücher Theodore neben den erforderlichen Schullektüren noch durch die Gegend schleppte. Möglicherweise drei unterschiedliche Ausgaben von Hogwarts – A History oder ähnliche Späße. Nein, nein. Er würde sich nicht fragen, er würde nicht nachgucken, er würde Theodore die Tasche einfach nach dem Essen in den Schlafsaal bringen und sich dann an seine Zauberkunsthausaufgaben setzen. Leider kam er nicht einmal bis zum Essen, geschweige denn bis in den Schlafsaal. Kaum hatte er die Tür des Unterrichtsraums hinter sich geschlossen und die Treppe, die ihn in die unteren Stockwerke führen würde, betreten, erkannte er am Fuß eben jener Treppe, dass leider doch noch nicht alle seine Mitschüler zum Essen geflohen waren. Kurz überlegte er, ob er einfach umdrehen und einen Umweg nehmen sollte. Dann machte die Treppe einen Ruck und löste sich vom oberen Absatz. Hektisch griff er nach dem Geländer, doch die Wucht warf ihn trotzdem beinahe um. Sein Blick glitt zu dem Absatz, den die Treppe jetzt ansteuerte. Der Flur, der sich daran anschloss, würde ihn möglicherweise überall hinbringen, inklusive des Turms für Wahrsagen – nur sein Essen, das würde zweifellos kalt sein, wenn er in der großen Halle ankam. Er stöhnte leise. So viel dazu. Also blieb ihm wohl doch nur die Höhle des Löwen. Seufzend warf er dem Gryffindor, der dort unten stand, einen letzten Blick zu, dann machte er sich missmutig an den Abstieg. Am Fuß der Treppe angekommen, fragte Blaise sich dann doch einen Moment lang, ob Neville Longbottom wirklich auf ihn wartete oder ob er eigentlich nur da war, um irgendwelche sich bewegenden Treppen anzugaffen. Immerhin – es war Longbottom. Der verlor auch Kröten. Aber nein. Gerade, als Blaise sich schon in Sicherheit wiegen wollte, immerhin hatte er die ersten Schritte Richtung Flur bereits hinter sich gebracht, hörte er, wie Longbottom sich hinter ihm bewegte. In seine Richtung. Er umfasste den Griff von Theodores Tasche fester. „Was willst du?“ Gut. Die Frage war nicht die Ausgeburt aller Höflichkeit. Die meisten Gryffindors verdienten allerdings auch keine. „I-Ich ...“ Er hörte Longbottom stolpern, er hörte ihn einen ersten Versuch stottern, er ignorierte beides komplett und starrte stur geradeaus. Stille folgte, die nur von seinen und Longbottoms Schritten unterbrochen wurde. „Ich wollte dir nur eine Frage stellen.“ Blaise verdrehte die Augen. „Dann tu es. Mein Cottage Pie wird kalt.“ Longbottom schluckte hörbar, doch Blaise ignorierte auch das. „Warum?“ Für einen, kleinen, verräterischen Moment war er versucht, dem Gryffindor einen Vortrag darüber zu halten, warum essen kalt wurde und darüber, dass bestimmte Angestellte der Schule – namentlich die Hauselfen – es seit einer geraumen Zeit – genauer seit dem ersten September des letzten Jahres – darauf verzichteten, Slytherins in den Genuss solch überflüssiger Extras wie Warmhaltezauber kommen zu lassen. Dann überwog der Gedanke, dass er Longbottom schneller loswurde, wenn er seine dumme Frage einfach beantwortete. „Ich fürchte, du musst Theodore fragen, wenn du ein ausführliches Referat über seine Motivationen erwartest.“ Leider verstummten Longbottoms Schritte nicht. Sie verlangsamten sich nicht einmal. „Ich frage aber dich. Und ein ausführliches Referat verlange ich auch nicht.“ Blaise seufzte und blieb stehen. Er drehte sich zu Longbottom um, wenn auch nur, damit dieser den abweisenden Blick, den er ihm zuwarf, ganz genau sehen konnte. Kurz musterte er den Gryffindor, der im Laufe des Jahres anscheinend immer gryffindoriger geworden war – größer, breitschultriger und momentan wieder mit einem schwarzen Auge, das seine rote Uniform wunderbar akzentuierte. „Würdest du diese Frage auch einem Hufflepuff oder einem Ravenclaw stellen?“ Longbottom öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Grund genug für Blaise, um die Frage selbst zu beantworten. „Nein, vermutlich würdest du das nicht. Und genau das ist das Problem mit euch Gryffindors. Für euch sind wir Slytherins Monster. Theo ist eins. Ich bin eins. Pansy ist eins. Sogar der kleine Erstklässler, der sich im Gemeinschaftsraum ausheult, weil ihm einer eurer Prewetts das Taschengeld abgezogen haben, ist eins.“ „So ist es nicht-“ „Doch, so ist es. Und ich würde euch damit vermutlich nicht mal bei Pansy zustimmen.“ Und die war ein Drachen. Ungarischer Hornschwanz, vermutlich. Mit Eiern. „Zabini-“ „Ich weiß, wie ich heiße, Longbottom.“ „Es ist nur – das, was Nott heute getan hat …“ „War dumm und zumindest für Gryffindors wie dich vermutlich absolut un-slytherinhaft, ja“, antwortete Blaise, der langsam die Geduld verlor, „weshalb es einer von euch hätte tun sollen.“ „Das weiß ich. Er hätte es nicht tun müssen. Er hat sich damit selbst unnötig in Gefahr gebracht.“ „Du klingst schon wie Granger.“ Longbottom zuckte mit den Achseln. „Vielleicht muss es einer tun. Solche Aktionen wie die von heute früh bringen überhaupt nichts. Oder glaubst du ernsthaft, Carrow überdenkt seine Haltung jetzt und hört auf, uns zu solchen Sachen zu zwingen?“ „Und du denkst, Carrow überdenkt seine Haltung wegen ein paar Schmierereien an den Wänden?“ Für einen Moment starrte Longbottom ihn an, als fühle er sich ernsthaft ertappt. Gut, er hatte ihn ertappt, aber letztendlich war es ein offenes Geheimnis, wer hinter den DA-Schmierereien, die immer wieder auftauchten, steckte. Potters kleine Privatarmee aus der fünften, in die man sie seinerzeit nie eingeladen hatte. Dass die sich nach Snapes Schulübernahme unter den verbliebenen Mitgliedern neu formiert hatte, war wirklich kein großes Rätsel für Leute, die die Augen offen hielten. Und selbst das vermutlich Potters engerer Freundeskreis die Finger im Spiel hatte – es gab Slytherins, die hatten das bereits nach dem ersten, schäbigen Graffito geunkt. „Er vielleicht nicht-“ Blaise nickte zustimmend. „Er vielleicht nicht.“ „Oh.“ Blaise zog die Augenbrauen hoch, dann versicherte er sich, gespielt gelassen, der Taschen über seiner Schulter. „Weißt du, was dich und Theodore unterscheidet? Einer von euch beiden hat begriffen, dass die Hilfe, auf die er wartet, nicht kommen wird.“ Und damit drehte er sich um und ging weiter. Dieses Mal folgten ihm Longbottoms Schritte nicht. Erleichtert atmete er auf, auch wenn tunlichst darauf acht gab, das äußerlich nicht zu sehr zu zeigen. Stattdessen schob er lieber den Vorhang zur Seite, hinter dem ihn eine Treppe ins Stockwerk unter ihnen bringen würde. „Zabini?“, rief Longbottom dann doch noch. Mit zuckender Augenbraue blieb er mitten im Durchgang stehen und drehte sich noch einmal zu dem Gryffindor um. Dieser musste nicht aussprechen, was er ihm sagen wollte. Blaise sah es so. In den angespannten Schultern, in den dicht zusammengezogenen Augenbrauen und in den aufeinandergepressten Lippen. Vermutlich war die Frage schwerer, als vieles, was einem Gryffindor jemals über die Lippen gekommen war. Longbottom tat ihm fast schon ein wenig Leid. Immerhin war Longbottom immer noch Longbottom und keines der Wiesel oder Hairy Potthead. Vielleicht nahm er ihm das mit dem Ausformulieren der Frage deshalb ab und antwortete darauf, ohne, dass irgendwer sie verbal ausformulieren musste. „Danke“, sagte er, schüttelte dann allerdings den Kopf, „aber nein danke.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)