Du bist mir wichtig... von BloodyRubin (...warum merkst du es nicht?) ================================================================================ Kapitel 10: Schatten -------------------- Geduldig ließ Satoshi die Verlesung des Protokolls über sich ergehen. „Haben Sie noch irgendetwas hinzuzufügen?“ „Nein.“ „Dann würde ich gerne zunächst Doktor Yasamaki in den Zeugenstand rufen. Sie können Sich zu Ihrem Verteidiger setzen.“ Der Arzt war ein hagerer, freundlicher Mann in den Fünfzigern, der eine runde, etwas zu kleine Brille trug. „Doktor Yasamaki, erkennen Sie dieses Schriftstück wieder?“ wollte der Richter wissen und dieser trat an das Richterpult heran. „Ja, das habe ich geschrieben.“ „Danke. Sie dürfen Sich wieder setzen.“ Kurze Stille folgte, bis es weiterging. „Beschreiben Sie das Verhalten des Opfers näher.“ „Nun, das erste Mal wurde seine Störung deutlich, als ich ihm auf einer Feier begegnete. Er ist auf einen Gast losgegangen, der einen Scherz über seinen Bruder gemacht hat. Glücklicherweise konnte die Situation unter Kontrolle gebracht werden. Daraufhin habe ich ihn angesprochen und gebeten, sich bei mir zu melden.“ „Hat er das getan?“ „Ja. Er war sehr entgegenkommend und bereit, eine Therapie anzufangen. Offenbar hegte er schon länger viel zu große Gefühle für seinen Bruder. Nach den ersten Sitzungen hat er dann Medikamente bekommen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches.“ „Sie schreiben hier, dass er sich seinem Bruder vorerst nicht mehr nähern durfte.“ „Ja, zu seiner eigenen Sicherheit. Er war regelrecht fanatisch und hat sogar angefangen, seinem Bruder in allem nachzueifern. Daher hielten wir es für besser, ihm die Möglichkeit zu geben, wieder ein selbstständiges Leben zu führen.“ „Wussten Sie, dass das Opfer vor drei Jahren die Vormundschaft für den Angeklagten übernommen hat?“ „Nein, das ist mir neu. In seiner Verfassung hätte ich ihm auch dringend davon abgeraten. Nach dem Tod seines Bruders war er psychisch extrem labil.“ „Gut, wir sind fast durch. Was mich sehr interessiert: Hat er die Therapie nach dem Ableben seines Bruders weiter fortgesetzt?“ „Nein. Er ist urplötzlich nicht mehr bei uns aufgetaucht. Ich habe oft versucht, ihn anzurufen, aber er schien seine Nummer geändert zu haben. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört.“ „Vielen Dank. Sie haben uns sehr geholfen. Dann rufe ich als nächstes Frau Kimicha in den Zeugenstand.“ Eine Frau in einem schlichten Kleid nahm vor dem Richter Platz. „Frau Kimicha, Sie sind die Leiterin der Jugendbehörde, ist das richtig?“ „Ja, seit fast sechs Jahren.“ „Als der Angeklagte nach dem Tod seines Vaters in Ihre Einrichtung kam, was hat er da für einen Eindruck auf Sie gemacht?“ „Nun, er war verschlossen und etwas distanziert. Es hat gedauert, bis er auf die anderen Jugendlichen zugegangen ist.“ „Wie lange war er in Ihrer Einrichtung?“ „Etwa elf Monate. Dann hat sein Onkel die Vormundschaft beantragt, was er zu begrüßen schien.“ „Entspricht das der Wahrheit?“ fragte der Richter plötzlich unvermittelt. „Ja.“ antwortete Satoshi ruhig. „Als ich hörte, dass ich bei meinem Onkel leben konnte, war ich sofort dafür. Da ich nichts von seinen Problemen wusste, bin ich davon ausgegangen, in ihm jemanden gefunden zu haben, zu dem ich aufschauen konnte.“ „Also hat er sich zunächst nichts anmerken lassen.“ Ein verbittertes Lächeln spielte um die Lippen des Blauhaarigen. „Nein, zuerst nicht. Das kam später, als er sicher sein konnte, dass man ihm sein kleines Theaterstück abgenommen hatte.“ „Ich verstehe. Frau Kamichi, haben Sie gewusst, dass das Opfer unter einer krankhaften seelischen Störung litt?“ „Was? Davon höre ich heute zum ersten Mal.“ „Wäre es nicht Ihre Aufgabe gewesen, genaue Erkundungen einzuholen, bevor Sie einer Adoption zustimmen?“ „Aber… er hat einen völlig gesunden Eindruck gemacht, war freundlich und zuvorkommend. Woher hätte ich das ahnen können?“ „Also haben Sie nicht weiter nachgefragt?“ „Nein. Wozu auch?“ „Wozu? Wozu? Durch Ihre Nachlässigkeit ist der Angeklagte jahrelang geschlagen und sogar vergewaltigt worden.“ Die Frau war inzwischen weiß wie eine Wand. „Wovon reden Sie da?“ „Das Opfer hatte eine krankhafte Bindung zu seinem Bruder. Als dieser starb, wurde der Angeklagte dafür verantwortlich gemacht.“ Kurz erhob sich der Doktor und der Richter wandte ihm seine Aufmerksamkeit zu. „Was Sie eben sagten, klingt so, als hätte sich die Krankheit verschlimmert.“ „Erklären Sie das genauer.“ „Nun, offenbar sind die Gefühle, die das spätere Opfer für seinen Bruder empfand, nach dessen Tod noch gewachsen, anstatt, wie normalerweise üblich, zu verschwinden. Dadurch ergaben sich sexuelle Fantasien, die das Opfer nicht mehr ausleben konnte, da das Objekt seiner Begierde tot war.“ „Soll das heißen, das Opfer wollte mit seinem eigenen Bruder schlafen?“ Einfach ausgedrückt, ja. Wahrscheinlich kam es zu den gewaltsamen Handlungen, weil der Angeklagte das Blut seines Vaters in sich trägt.“ „Was soll das denn jetzt bedeuten? Dass das Opfer in dem Angeklagten nicht ihn selbst, sondern dessen Vater gesehen hat?“ „Sie sollten als Doktor anfangen. Genau das habe ich gemeint.“ „Ich werde darüber nachdenken.“ seufzte der Richter müde und rieb sich die Schläfen. „Nun gut, das war es erstmal. In einer Woche wird das Urteil gesprochen. So lange bleibt der Angeklagte in Untersuchungshaft.“ Ein Hammerschlag und die Verhandlung war vorüber. Mit schmerzenden Gliedern stand der Blauhaarige auf. Eine ganze Woche noch, bevor er wusste, was ihn erwartete. Nun, sieben Tage konnte er auch aushalten. Als er Niwa bemerkte, seine Tränen sah, schüttelte er den Kopf. „Ist doch ganz gut gelaufen.“ wisperte er, als er an dem Jüngeren vorbeiging. „Satoshi…“ „Lass das. Du solltest nicht um jemanden wie mich weinen. Und das auch noch zum dritten Mal.“ Die tiefroten Augen des anderen veränderten sich. Erst waren sie traurig, dann fassungslos und schließlich wütend. Im nächsten Moment spürte er einen brennenden Schmerz in seiner linken Wange. „Ich weine, um wen ich will, du Riesenidiot. Begreif das endlich mal.“ „Niwa…“ Weiter kam er nicht, da ein Polizist ihn hastig von dem Rotschopf entfernte. In seiner Zelle dachte der Blauhaarige lange nach. „Vielleicht habe ich dich wirklich unterschätzt.“ murmelte er so leise, dass niemand außer ihm selbst es hören konnte. Niwa Daisuke. Ein Rätsel, schlimmer als jedes andere. Und trotzdem die einzige Person, die ihn so akzeptierte, wie er war. Bei diesem Gedanken kam ein Glücksgefühl in ihm auf, das er seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. „Du verdammter Mistkerl. Warum nur empfinde ich so für dich? Wie kann ich dir jetzt noch unter die Augen treten? Was soll ich tun, wenn ich dich liebe und du es gar nicht weißt?“ Kurz hielt er inne. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Er liebte den Rotschopf, der immer noch seiner ehemaligen Freundin nachtrauerte. Schöner Mist. Vielleicht sollte er es dem anderen sagen. Nein, das würde nichts bringen. Schlaf überkam ihn und ließ ihn ruhig und traumlos zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)