The Sin Verse von P-Chi ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- 1952 Es war eine kühle Nacht. Niemand befand sich mehr in der verlassenen Allee, bestehend aus Bäumen und Straßenlaternen, die wenigstens ein bisschen Licht spendeten, wenn sich bereits der Mond hinter einer dichten Wolkendecke versteckte. Eine Frau mit hochgestecktem, blondem Haar und einem erstaunlich sicheren Schritt, dafür, dass sie in gefährlich hohen Schuhen ging, war scheinbar die einzige Person, die sich um drei Uhr morgens hierher verirrt hatte. Genau genommen jedoch, war sie auf dem nach Hause weg nach einer durchzechten Nacht als Edelhure, lediglich bekleidet in weißer Reizwäsche und einem kurzen, braunen Mantel, der ihre langen Beine mehr schlecht als recht bedeckte. Für gewöhnlich machte es ihr nichts aus so spät noch unterwegs zu sein, besonders wenn das dicke Geldbündel in ihrer Tasche so schwer war, doch in den letzten Tagen fühlte sie sich seltsam verfolgt. Nicht wie von einem Verehrer, die sie bei Gott genug hatte, sondern eher so, als würde ein Raubtier sie beobachten. Andauernd hatte sie das Gefühl, dass stechende Augen auf ihr ruhten und jede ihrer Bewegungen verfolgte. In diesen Augenblicken schnürte sich ihr die Kehle zu und sie hatte das schreckliche Bedürfnis zu rennen. Rennen, rennen, rennen, so weit es nur ging. Doch dann schalt sie sich eine Idiotin und kehrte ihrer schlechten Vorahnung den Rücken zu. Natürlich machte ihr alles andere als ehrenhafter Beruf sie paranoid, daher durfte sie sich keinesfalls zu sehr hinein steigern, wenn sie nicht verrückt werden wollte. Die Frau verschränkte die Arme vor der Brust und beschleunigte ihren Schritt. Einerseits, weil ihr von Sekunde zu Sekunde kälter wurde und andererseits, weil sie endlich die vielen Schatten hinter sich lassen wollte. Die kahlen Äste der Bäume schienen nach ihr zu greifen und das dämmrige Licht der Laternen legte sich schwer auf sie. Die andere Frau, die mit auf dem Schoß gefalteten Händen auf einer Bank saß, bemerkte die Edelhure erst, als sie nur noch einige Meter von ihr entfernt war und einen genaueren Blick auf sie werfen konnte. Dunkles Haar, das ihr in einem Zopf über die Schulter fiel; Haut, die in diesem Licht grau und kränklich aussah und braune, trostlos aussehende Augen denen jeglicher Glanz fehlte. Als die Frau sich erhob und ihren leeren Blick fest auf sie gerichtet hielt, bemerkte die Blondine, wie klein sie eigentlich war. Die Schwarzhaarige reichte ihr kaum bis zu den Schultern und sah paradoxer weise gleichzeitig alt und jung aus. Die Edelhure wollte eigentlich an ihr vorbei gehen und so tun, als hätte sie die andere Frau nur halbherzig bemerkt, doch da richtete diese das Wort an sie. In einer deutlich lauten und herrischen Stimme, die man von dieser kleinen Person nicht erwartet hätte, sagte sie: „Ich brauche deinen Körper.“ Die Blondine stolperte beinahe über ihre eigenen Füße und starrte diese merkwürdige Erscheinung mit großen Augen an. Hatte sie sich gerade verhört? Nein, nein, sie hatte sie ganz genau verstanden und für einen kurzen Augenblick fragte sie sich, woher sie wusste, dass sie eine Edelhure war, bis ihr wieder einfiel, dass sie wohl eine der berühmtesten Prostituierten der Stadt war. Überraschend war allerdings, dass zum ersten Mal eine Frau ihre Dienste in Anspruch nehmen wollte und die Tatsache allein drängte sie irgendwie dazu stehen zu bleiben und ihr zu antworten. „Ich bin zu teuer für dich, Darling“, sagte die Blondine mit einem spöttischen kräuseln ihrer Lippen. Ihr Gegenüber sah gerade einmal aus wie jemand vom unteren Ende der Mittelschicht und befand sich somit definitiv nicht in ihrer Liga. „Such dir jemand anderen zum spielen.“ „Ich kann nicht. Ich brauche dich“, beharrte sie und die Straßenlaterne neben ihnen begann zu flackern. „Wie viel willst du für einen Kuss?“ Sie seufzte. Ihr war kalt, sie hatte Hunger und geschlafen hatte sie seit vierundzwanzig Stunden auch nicht mehr. Da die kleine Frau nicht wirkte, als würde sie locker lassen, beschloss sie die Sache schnell hinter sich zu bringen. Sie sah auf eine gruselige Art und Weise süß aus und es war schließlich nur ein Kuss. Da musste die Edelhure schon weitaus Schlimmeres über sich ergehen lassen. „Also gut, du kannst dein Geld behalten, aber bringen wir es schnell hinter uns“, gab sie sich geschlagen und wollte ihr einen kurzen Schmatzer auf die blassen Lippen geben, doch da packte diese sie plötzlich am Hinterkopf und drückte ihren Mund beinahe schon schmerzhaft auf ihren. Als die Edelhure in Empörung den Mund aufmachte, um die kleine verwahrloste Frau anzuschreien, erstarrte ihr Körper in purem Entsetzen. Der eisige Atem der Schwarzhaarigen strömte in ihre Kehle und raubte ihr die Luft. Ihre Zunge fühlte sich plötzlich so schal an, als hätte sie Seife im Mund und es wurde immer heller und heller vor ihren Augen. Warum strahlten die Laternen in diesem grellen Weiß? Nein, nicht die Laternen, sondern die andere Frau. Licht strömte aus ihren Augen, als würde ein Stern in ihr explodieren. Es tat nicht weh, sie spürte nichts und dennoch fühlte sie, dass sich jemand in ihr einnistete wie eine Spinne und ihren Geist verdrängte. Sie hatte Angst. Unglaubliche Angst, die ihr die Kraft nahm sich gegen den Eindringling zu wehren. Lass los, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Beruhigend. Sanft. Als würde alles gut werden. Und sie ließ los. Ich starrte meine Arme an. Oder besser gesagt ihre Arme. Das vertraute, silbrig-blaue Leuchten der Engelssigile flaute langsam ab; die Schnörkel und Kreise, die mich vor unerwünschten Verfolgern verstecken sollten, verschwanden wieder unsichtbar auf meiner Haut und ich konnte endlich erleichtert aufatmen. Es hatte viel zu lange gedauert, eine neue Hülle zu finden. Emotionslos beobachtete ich, wie mein alter Körper zu Boden fiel und in Sekundenschnelle der Zeit erlag, die ich für sie angehalten hatte, solange ich sie gebraucht hatte. Ihr Körper mochte von mir zerstört worden sein, doch wenigstens konnte ich nun ihre Seele in Sicherheit wissen. Ein halbes Jahrhundert lang war ich auf sie angewiesen, während ich auf der Suche nach einem passenderen Gefäß war, denn nicht alle Menschen hatten diesen flair, dieses gewisse Etwas, das mir sagte, ob jemand stark genug war, um mich zu beherbergen. Hätte ich sie noch länger benutzt, wäre ihre Seele daran zerbrochen. Ich atmete tief ein und genoss das Gefühl meines neuen Körpers, als würde ich ein neues Paar Schuhe anprobieren. Alles saß perfekt und ich hätte mich meiner Freude ergeben können, wenn ich nicht plötzlich dieses Gefühl gehabt hätte. Das Gefühl beobachtet zu werden. Sofort sah ich mich um; versuchte hinter jedem Baum, in jedem Schatten, eine Silhouette auszumachen und herauszufinden, wer – oder was – mir folgte. Mir waren bereits zu viele Dinge passiert, um meinen Instinkt mit einem Schulterzucken abzutun. „Wer ist da?“, fragte ich laut, obwohl ich noch im selben Moment wusste, dass man mir keine Antwort geben würde. Das taten sie nie. Niemals. Und es gab nur eine Sache, die mich retten konnte: Ich musste mich verstecken, so gut es nur ging. Denn sonst würde ich es bereuen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)