Die Zauberin und die Macht der Sterne von Ghaldak (Die Abenteuer der Zauberin Freya, erste Staffel) ================================================================================ Kapitel 5: Freya in: (6) Der Fluch des Rolat -------------------------------------------- Das Ritual Ich wusste wirklich nicht, was mich erwartet, doch Marcin sollte schnell dafür sorgen, dass es mir klar wurde. Es begann alles, wie ich erwartete, mit der Theorie: Einmal die Woche erhielt ich beschriebene Pergamente von ihm, die mir sagten, was ich eigentlich tat; abgeschriebene Seiten aus Marcins Vademecum und Teile, die er wusste und schnell für mich formulierte, beides ließ mich jedoch oft genauso schlau wie zuvor zurück. Es gab einfach nichts zu sagen und das wusste er wie ich. Die zweite Stufe, die fast gleichzeitig einsetzte, beinhaltete eine Selbstanalyse. Ich führte lange Gespräche mit Marcin und wandte unter dessen Anleitung Zauber auf mich selbst an: Odem, ein nahezu nutzloser Magie-Ja/Nein-Spruch, den ich seit der Akademie nicht mehr verwendete, den Gefühlserkennungszauber Sensibar, später auch, um mir die Angst und Hemmung davor zu nehmen, mir selbst zu schaden, auch Manipulationen wie Bannbaladin oder Horriphobus, Freundschaft und Schrecken. Gerade letzteres erwies sich für mich als furchtbar, doch brachte mir Marcin kein Mitleid entgegen, vielmehr beklagte er, wie wenig mir doch zur Verfügung stand. Mana sollte in meinem Körper zirkulieren, dies war der dritte Schritt. Ich sollte meine Kräfte verpulvern, meditieren, um zu deren Wiedererlangung meine Lebenskraft zu schwächen, und schließlich die Kraft wieder durch den Balsam heilend wirken lassen. Natürlich kam ich dabei nicht bei Null raus und ich weinte in den Nächten, in denen mich die Dämonen in den Träumen jagten, still vor Verzweiflung, denn ich wusste, sie hielten mir Kraft vor, die ich brauchte. Es war nur gut, dass ich niemanden in der Zeit traf, denn es hätte mich wohl die letzten Freunde gekostet. Was mich sehr überraschte, war die Tatsache, dass Marcin mir einen Essensplan aufstellte: Am Anfang war er noch allgemeiner Natur, er verbot mir Milchprodukte wie auch Alkohol, doch dann wandelte es sich immer mehr zu einem konkreten Plan, der mir meine Nahrung vorschrieb und – wirklich bei vollster Absicht – immer kürzer ausfiel. Marcin ließ mich hungern und dafür hasste ich ihn. Ich musste auch tanzen, in doppelter Art: Immer weiter gingen die Abläufe, die er für mich im Mada-Tanz fand, und sehr schnell verband er sie mit richtiger Zauberei, doch bei ewig dem gleichen Spruch, den ich schon bald hasste und doch mit Innbrunst liebte: Flim Flam, diese sternenartige Leuchte. Er sagte mir, dass wann immer es mir schlecht ginge und ich nicht weiter wisse, ich ein Licht entzünden sollte, und das tat ich auch, meist nachts, wenn mich die Dämonen jagten. Die andere folgte Ende Ingerimm, am Tag der dritten Dämonenschlacht, als auch Brig-Lo feierte und er mich als Lilims Begleitung in die Masse schickte; er sagte mir, ich solle mich amüsieren und wenn ich jammern würde oder meine Erfahrungen der letzten Wochen ausplappern, dann müsste ich gar nicht wiederkommen. Ich tanzte jedoch nur kurz mit Lilim, ehe wir uns ans Ufer zurückzogen, gemeinsam auf die nächtliche Brigella starrten und die Zeit verstreichen ließen. Ich hätte trotzdem nie vermutet, wie viel Kraft ich darin fand. Fünf Wochen dauerte die Vorbereitung: Nach der ersten war ich zuversichtlich, nach der zweiten kraftlos, in der dritten weinte ich mein Kissen voll, während ich in der vierten einen Zustand der Leere erreichte, in dem ich alles ertragen hätte. In der fünften Woche dann zog Marcin mich über Wasser und lockerte seine Bestimmungen, während ich freier wurde. Nun lag es an mir, lange zu wandern und das Gelände zu erkunden, welches ich mir vor so langer Zeit ausgesucht und doch nie besichtigt hatte: Ich ließ die hölzerne Palisade Brig-Los hinter mir und durchforstete das Land, durchschritt die alten, verwilderten Friedhöfe und passierte überwucherte Statuen und beschäftigte mich mit der Frage, wo ich schon bald sitzen wollte; Brig-Los Dämonenschlachtfeiern, zu denen die Besucher und Pilger aus allen Ländern heranströmten, fanden um den alten Feldherrenhügel der Hela-Horas statt, auf dessen Kuppe kurz danach ein Tempel zum Dank errichtet wurde, der die Jahrhunderte jedoch nicht überstand und nun wieder aufgebaut wurde, ein langsames Wachsen, um von möglichst vielen Pilgerjahrgängen zu profitieren. Sollte ich mich hier niederlassen, zu Füßen eines jahrhundertealten Praios und ganz frischen Ingerimm und Efferd? Tatsächlich, warum nicht, wohin sonst? Jeder andere Ort hätte doch nur einen Rückzug bedeutet. Beim dritten Wandern richte ich mir ein Zelt ein und kehre nicht in das Dorf zurück. Es gab keinen Abschied zuvor, wie Marcin mir ausdrücklich befahl, und auch die Feiern werden auf später verschoben. Höre ich Geister? Es soll sie geben und vor Monaten hätte es mich beunruhigt, doch nun bin ich… entschlossen? Nein, das ist es nicht. Ich tue es, weil ich gar nicht mehr daran denke, zu zweifeln. Die Stute tritt in den Meridian. Es ist soweit. Im fernen Brig-Lo wird es langsam laut, während die Feierlichkeiten zum Fest der Freuden, dem höchsten Fest der Rahja, beginnen und die Menschen trinken, tanzen und ihr Leben genießen. Ich wäre gerne unter ihnen oder besser noch in der Heimat, ich würde gerne wissen, ob meine liebe Aillil wieder Geliebte der Göttin wurde, doch ich überlasse diese Träume dem Wind; die Menschen sind dort und beschäftigen sich mit sich selbst, deswegen kann ich ungestört hier sein, nun fehlt noch eine Frau in voller Pracht; komm, Mada, meine Göttin, ich brauche dich ganz. Auf dem Vorplatz vor dem einstigen Tempel möchte ich handeln und an einem Ort, der schon von Tausenden von Füßen in etwa Tausend Jahren getreten wurde, zücke ich die Kreide und beginne mit der Vorbereitung; am dritten Tag des Festes, am dritten Rahja, sollte sie erscheinen, doch da ich weder während Praios’ Licht noch in der Finsternis gestalten möchte, wähle ich die Dämmerung: Ein großer Kreis, darin ein Stern mit dreizehn Zacken, sechs Fackeln sollen brennen und die Herrinnen ansprechen, während mein Stab in der Mitte im Boden steckt und die Verbindung zwischen mir und dem dreizehnten Zacken verwehrt. Brauche ich Räucherwerk? Ich nahm welches mit, um es dann nach Gefühl zu entscheiden, nun möchte ich welches, also gebe ich Kräuter in die Fackelflammen und rieche schon bald einen Duft nach… irgendwas Pflanzlichem. Die Häuser in der Ferne, die ich vom Hügel aus betrachten kann, verschwimmen langsam, während die Zahl ihrer Feuer immer deutlicher wird; es ist Nacht, die Königin wird thronen, der Ort ist bereit, nur ich bin es nicht. Vorsichtig, um mein Werk nicht zu beschädigen, entferne ich mich ein Stück, wasche mich dann ausgiebig mit einem Wasserschlauch, doch ohne jede Form von Seife, da Marcin da eindeutig war, trockne mich auf gründlichste Weise ab und greife dann zu meinem Gewand; mein rotseidenes Konventsgewand, mit dem ich vor einem knappen halben Jahr vor meinem Meister trat, wird mein einziges Kleidungsstück sein und weil ich selbst auf den Gürtel verzichte, kann man es sehen, doch nur so geht es: Ich bin Zauberin und ich bin Rahja nah. Es wird Zeit. Ich erhebe mich. Die linke Hand umgreift die Kuppel meines Stabes, die ich mir irgendwann mit einem Kristall verzieren möchte und in der sich noch eine Holzkugel befindet, und ich gehe sie ab, ganz nacheinander. Hesinde: Ich wandere ziellos durch die Wüste, als die Waffen klirren. Ein stummer Gruß an Schairtia. Boron: Ich reise mit einem Waffenhändler, ehe es mich in die Flucht schlägt. Du warst mein Segen, Mhella. Travia: Mit Rufus sitze ich im Theater, doch wir können nicht ernst bleiben. Wir waren voll und du wurdest leer, Andi. Efferd: In Albernia helfe ich einem Druiden. Ich trage heute noch deinen Schmuck, Ogrim. Rondra: Im Mittelreich narrt uns ein Monster, ehe wir es töten. Danke für deine Wärme, Celissa. Praios: Ich verlasse die Akademie und lasse mich von dir zu meinem Schicksal führen. Die Frau im Regen dankt dir, Angbor. Die Leere: Lege dich über meine Vergangenheit und bedecke sie. Ich möchte nicht im Dunkeln verweilen, Jannis. Rahja: Am Ende eines Weges soll ich dir wohl danken, Marcin, doch ist noch nichts vorbei. Ingerimm: Inmitten von Ratten, was bin ich da? Du bist keine, Alrik, und dafür danke ich dir. Peraine: Ich suche in den Bergen nach Erz, welches mir fast in Klingenform nahe kommt, doch du rettest mich, Immrade. Phex: Ein Lagerhaus leert sich selbst, ehe ich es verhindere. Bald schon wirst du mich zeigen, Lilim. Tsa: Ich bin auf der Durchfahrt, bis mich ein Angebot und ein Kontakt hier behält. Du kostetest mich und ließest mich am Leben, Lytis, ich hoffe, ich kann dir je dafür danken. Firun: Ich bin bei dir und genieße das Leben, ich liebe dich und warte auf dich und hoffe einfach alles, mein Rufus. Diese Runde kostete mich Kraft, also setze ich mich wieder dahin, wo ich einst begann. Ich schließe die Augen und wenn ich das linke öffne, verdeckt die Holzkugel auf meinem Stab das Madamal, beim rechten die Sternenleere. Ich blicke heraus und kann sie alle erkennen, die Stute im Zentrum mit ihrem rötlichen Glanz, so umschwärmt in diesen Wochen, den blauen Wal und das Schwert, welches mich nun an Serakil erinnert, Amboss, Storch, Greif und Hammer. Sind sie bei mir? Ich lasse den Blick senken. Die Welt hinter dem Kreidekreis wird immer undeutlicher, als würde sie von einem wässrigen Vorhang verdeckt, während meine Linien am Boden leuchten. Ich sehe eine Bewegung, als ein wolfsartiges Geschöpf außen seine Kreise zieht, ich spüre mich beobachtet und erkenne einen Adler kreisen, doch wagt er sich nicht heran, da mich eine warme, kraftvolle, männliche Präsenz beschützt. Draußen, das spüre ich, wirbelt der Sturm und ich sitze hier drin und bin sicher, solange die Linie auf dem Boden nicht angetastet wird, während meine Hand auf dem Stab ruht, der zu beben scheint. Nur, was ist das? Der Wolf kratzt mit seiner Tatze an meiner Markierung herum und ich kann gar nicht schnell genug schreien, um ihn zu verscheuchen, da öffnete sich schon ein Spalt und die Welt dringt in mein Refugium ein; ein irrsinniger Strom aus Eindrücken und Bildern erfasst mich und reißt mich zu Boden, während Uthar über mir thront und sich köstlich amüsiert. Alles verschwimmt um mich herum. Die Reise „Reißt sie nieder“, sagt Kathay, „Ihre Ebenbürtigkeit beleidigt unseren Herrn.“ Ein kleiner Junge gähnt, ein anderer kleiner Junge gähnt, eine ganze Gruppe langweilt sich. „Wann können wir wieder nach Hause, Mami?“ „Sieben, acht, neun… ein Dukat. Hier Eure Plakette, mein Herr.“ Ein Mädchen kichert. „Tue es nicht, es ist verboten.“ „Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben.“ „Ich liebe dich und warte auf dich und hoffe einfach alles, Rufus.“ „Gib ihr alle Liebe, die du noch hast, denn sie ist verloren und ihre Seele wird niemals mehr den kleinsten Funken Licht erleben.“ „Kommt, folgt mir, meine Krieger, wir können sie aufhalten.“ „Frau Kaiserin, ich bringe schlechte Nachrichten: Die garethischen Rebellen konnten sich formieren. Unter den jetzigen Bedingungen kann die Schlacht nicht mit letzter Sicherheit gewonnen werden.“ Die Stimmen werden übermächtig und ich schreie, der erste Laut, der aus der wirklichen Welt seit langer Zeit an mein Ohr dringt. Ich liege im warmen Sand, Seide auf meiner nackten Haut, und um mich herum stehen Männer mit schweren Stiefeln. Sie unterhalten sich. „Ob es wohl funktionierte?“ – „Es wird. Sahest du nicht die Veränderung ihrer Haare?“ – „Sie wirkt so menschlich.“ – „Was denkst du denn, Trottel? Frau Aphasmayra? Können Sie uns verstehen?“ Der Name weckt etwas in mir und ich zucke zusammen. Was geht hier vor? Ich öffne die Augen weiter als nur einen Spalt und erblicke Männer in glänzendem Stahl. Einer von ihnen senkt sich und bietet mir ein Schälchen Milch an. Das reicht, ich weiß jetzt alles… oder jedenfalls genug für eine Lüge. „Das nicht“, sage ich so kalt wie meine brüchige Stimme hergibt. „Wasser.“ – „Aber ich dachte…“ – „Wasser.“ Er greift an seinen Gürtel und bietet mir seine Trinkflasche an, die ich wie eine Verdurstende leere, während sie zusehen. Derweil kann ich zumindest den Blick streifen lassen: Ich befinde mich in einem Zelt, welches mein eigenes in der Größe durchaus schlägt und Platz für das knappe halbe Dutzend Männer bietet, welches mich anblickt – andere Gegenstände finden sich darin, wenn man von einem Schemel und einer Art Steinplatte absieht, allerdings nicht. Bleibe verärgert, Freya, mit Bitten kommst du nicht weiter: „Ich bin nicht zum Begaffen da. Du bleibst. Der Rest geht.“ Es funktioniert. „Du, setz dich.“ Der Soldat, der mir das Wasser reichte, überragt mich an Gestalt und wird mich auch knapp an Jahren übertreffen, doch in seinem weichen Gesicht spiegeln sich Angst und Erregung. Ich setze mich und gebe ihm die Chance, ebenfalls auf dem sandigen Boden Platz zu nehmen. „Wer seid ihr?“ Er deutet eine Verbeugung an: „Miras de Cer…“, möchte er sich vorstellen, doch ich lasse mir die Zügel nicht nehmen. „Nicht du, ihr.“ – „Soldaten der Dritten Dekurie der Legion Ihrer Kaiserin ‚VII Madain Sora’.“ Ich nicke. „Hmm. Und wer bin ich?“ – „Sie sind meines Wissens nach Fräulein Aphasmayra, verbannte Tierkönigin der Katzen und Herrin der Plagen der finsteren Höhle von Gron’gu’mur, geschmeidige Prot…“ Eine Handbewegung reicht, um ihn zu unterbrechen. „Ich weiß, wer ich bin. Wer ist sie?“ Der Soldat mit dem erschreckend ausdruckslosen Gesicht zaudert und verkneift sich ein Kichern, doch ich beharre auf meine Antwort und lasse ihn mit meinem Blick nicht frei. „Dieser Körper? Nun, der… ja… das ist… das wollt Ihr eigentlich gar nicht wissen.“ Ich verziehe das Gesicht. „Du willst mir antworten.“, sage ich. Ich bin jetzt eine Dämonin, also quasi, da lasse ich nicht locker. Der Soldat schluckt und versucht sich dann an einer Antwort: „Eine Überläuferin und Verräterin. Sie lieferte uns die von ihr befehligte elfische Hilfstruppe aus, während ihr Vater den rechten Flügel der garethischen Rebellen kommandiert.“ Ich verziehe das Gesicht, ich denke, ich kann es wagen: „Was für einen Müll bietet ihr mir da als Heimstatt an?“ – „Mein Bedauern, Herrin, mein Bedauern. Ich kann sie gerne beseitigen und Euch würdiger in diese We…“ – „Ich lasse meine Zeit nicht verschwenden. Also…“ Ich seufze demonstrativ, während der Soldat seine Hand vom Schwert nimmt und ich mich wieder etwas entspanne. „Wie heißt sie und warum lief sie über?“ – „Sie heißt Frenja, Tochter des Galahan, und ist eine Zauberin zu Gareth. Ich sprach sie nie, solange sie frei war, doch ich habe gehört, sie habe es aus Liebe getan.“ Was? Willst du dich über mich lustig machen? Was ist das für ein Spiel? „Was für ein Unsinn.“, sage ich mit nicht einmal falschen Gefühlen und er nickt. „Vollkommener Unsinn.“ Ich muss über alles nachdenken. „Genug geredet, dieser Fetzen beschämt mich. Bringe mir angemessene Kleidung und beeile dich.“ – „Angemessen, meine Dame?“ Du hast Mut oder bist du bloß dumm? „Angemessen. Dieser Körper hier ist so hässlich nicht, also mache etwas daraus.“ Ich bin allein. Was ist das hier, Wirklichkeit oder Maskenball? Prüfen mich die Götter, spielen die Manalinien verrückt oder bin ich tatsächlich eben ein Jahrtausend zurückgereist, nur um meine Ur-Ur-Ur…-Ach-irgendwas zu ersetzen? Das wäre aber alles ein zu starker Zufall, um echt zu sein. Frenja, Tochter des Galahan… doch Moment, wurde meine Familie nicht in grauer Vorzeit von einer hohen Gestalt mit Kuslik belehnt? War das Raul? Muss ich jetzt im Ernst gegen meinen Vater… also… nein… gegen meinen Ur-Ur… ach, gegen meinen Verwandten kämpfen? Lieber nicht. Ich denke, ich muss besser hier weg. Wo ist nur mein Zauberstab? „Ich habe mir erlaubt, einen Lederpanzer zu wählen, Herrin, und dazu ein Unterkleid aus Bausch, welches Eure zarte Haut schützt. Hier habe ich auch einen passenden Helm, um Euren Körper wirklich gegen verirrte Pfeile zu schützen.“ Hui, das wollte ich immer schon einmal tragen, doch dieses blöde Gesetzeswerk verbietet mir jede Art wirksamen Schutzes. Trotzdem, nicht zu dankbar wirken. „Hatte sie auch einen Stab?“ – „Bitte?“ – „Sie war doch eine Zauberin. Hatte sie einen Stab?“ – „Das weiß ich nicht. Augenblick…“ Er geht und ich gestatte mir ein Lächeln, erübrigt der Auftrag doch die Frage, ob ich ihn herausschicken oder mich vor seinen neugierigen Blicken hätte räkeln sollen. Legen wir also den Panzer an. Verdammt, wie geht das nur? Der wird doch auch irgendwie geschnürt, oder? „Natürlich hatte sie, mein Fehler. Hier.“ Er wirft den Stab und ich muss meine Neugier zügeln und die brennende Frage erst einmal unbeantwortet lassen. „Du, schnüre. Rede auch mit mir.“ Ich hebe die Arme. Soll er mir doch einmal zeigen, wie es geht. „Meine Herrin, so sieht unsere Lage aus: Als Strafexpedition unter der Horas selbst ziehen wir gegen Gareth, doch die Aufständischen fanden mehr Hilfe, als wir es ihnen zugetraut hätten; was mit einem schnellen Gefecht hätte beendet werden sollen, wirkt gerade wie ein Patt. Unsere Späher suchen nach Wegen, um diese Schlacht schnell zu schlagen, doch da sie ihrerseits noch nicht in die Offensive gingen, befürchten wir Verstärkungen. Deshalb brauchen wir Sie: Helfen Sie uns. Stehen Sie uns bei, wie Sie einst Fran beistanden. Mit Ihrer Hilfe und der Hilfe Ihrer Brüder ist vielleicht doch noch ein Wunder möglich.“ Ich verlasse das Zelt und nehme von dem Soldaten, an dessen Namen ich mich gar nicht erinnern will, weil es unglaubwürdig wirken würde, gar keine Notiz, stattdessen streift mein Blick durch das Gewirr der Zelte. Wie viele mögen es sein? Ich erkenne schnell, dass wir uns am Rand befinden. Langsam trete ich in irgendeine Gasse und sollte mich mein Begleiter fragen, warum ich es tue, werde ich von katzenhafter Neugier sprechen – allerdings, die ist jetzt echt. Ich muss wissen, wo ich mich befinde. Frenja, Tochter des Galahan, gab es dich wirklich? Ich trete in ein Zelt, dessen aufgemaltes Zeichen ich kenne – einen Strich mit drei Verästelungen – und finde mich in einem Lazarett wieder, wo erst einmal alle Blicke auf mir ruhen. Ich bleibe stehen und schelte mich selbst; um Himmels Willen, ich darf bloß keinen göttlichen Boden betreten, sonst fliegt alles auf. „Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen, Aphasmayra.“ Ich will hier niemanden kennen lernen. Moment, da wäre doch ein Weg… „Ich brauche Kraft.“, sage ich ganz einfach und setze mich auf ein Lager, ohne auf den darin liegenden Soldaten zu achten: Ich habe gesagt, was ich will, also soll mein kleiner Begleiter dafür sorgen, dass ich es auch bekomme, und tatsächlich, er wendet sich an einen aufgedunsen fetten Mann und schon bald klimpern Phiolen. Ich nutze die Zeit. Ich kenne diesen Stab, ich kenne ihn sehr gut: Es ist meiner. Er ist aus Steineichenholz geschnitzt, kaum verziert und nur seines Wolfsfells, das ich um seine Mitte wickelte und schnürte, entledigt, unten ein einfacher Knauf, oben eine eingebettete hölzerne Kugel, in deren Fassung thorwalsche Runen eingeschnitzt wurden: Feuer – Krieger – Waffe – Haus – Vogel, oder als Buchstaben gefasst, FREYA. Das bin ich und ich heiße, wie ich heiße und nicht etwa Frenja, also bin ich echt. Das beruhigt mich doch ungemein. Der Soldat erscheint mit einem Beutel, den ich ihm schnell abnehme und mich über das Gewicht wundere, scheinbar war er fleißig. Ich schlendere weiter durch die Gassen und suche mir einen weiteren interessanten Ort, den ich in einem großen Zelt erblicke; zwei Wachen davor, doch wirken sie schmutzig und ungepflegt. Sie blicken mich nicht einmal an, als ich auf sie zutrete, und halten mich auch nicht zurück; der Gestank aus dem Inneren ist der größere Hinderungsgrund. Unzählige Augenpaare starren mich an, als ich den Raum mit den zwei Dutzend abgemergelten Gestalten betrete; Elfen, angekettet an Armen und Hälsen und bis auf Lendenschürze bar jeder Kleidung. Das Bild ist so erbärmlich, dass ich mir mit Mühe ein Würgen unterdrücken kann. Ich muss es überspielen. „Das stinkt widerlich“, bemerke ich. Gefühlte tausend Stimmen flüstern meinen Namen. „Frenja“ – „Frenja“ – „Frenja“ Kenne ich sie? Sind das die Überreste der Streiter, die ich verriet und in die Gefangenschaft führte? Vermutlich. Woher können sie mich sonst kennen? „Verzeiht, meine Herrin, doch uns war nicht klar, wie viele Anläufe wir benötigten, um Sie zu rufen. Ich muss aber sagen, die Möglichkeiten ihres Blutes übersteigen die Erwartungen bei ihrem Auftreten.“ Da möchte einem doch schlecht werden. „Ich bin hier. Lasst sie frei.“ Autsch. „Bitte, Herrin?“ Jetzt brauche ich ein irres Grinsen und ich kann alles retten. „Meine Bruten sind hungrig, doch sie möchten Beute und kein Schlachtvieh.“ Schweigen, wenn man fertig ist, denn Reden ist ein Zeichen von Nervosität. Ich drehe mich um und weiß, dass meine Befehle sicherer ausgeführt werden, wenn ich nicht dabei zusehe, während ich hoffe, dass den Elfen noch genug Kraft für einen Visibili blieb, mit dem sie sicher davonkommen könnten. Hoffentlich rettet das auch den Ruf meiner Verwandten. Ich trete heraus, während der Soldat noch Anweisungen gibt, und wandere umher, ohne auf ihn zu warten – immerhin bin ich ja eine Katze und zur Not kann ich behaupten, jetzt meine Dämonen beschworen zu haben. Der Lederpanzer quietscht und lastet schwer auf meiner Haut, die Phiolen klimpern und doch… ja, vor einer halben Stunde sah alles noch schlechter aus, doch ich muss hier weg. Ich suche einen Weg, doch der Weg findet mich. „Hey, Fräulein, wie wär’s denn mit uns beiden?“ Ich wende mich viel zu schnell um, doch da ist kein Gardist, dem mein Fehler auffällt. „Ich kann nett… zu dir sein, ganz sehr. Es ist nur…“ Lilim? Lilim, was machst du hier? „… ein kleiner Schritt.“ Die blonde, billig geschminkte und vollkommen betrunkene Elfe stolpert auf mich zu, verliert das Gleichgewicht und segelt in meine Arme; ich schäme mich fast für das Geräusch, als ihr Kopf gegen die Platte meines Lederpanzers knallt. „Alles in Ordnung bei dir?“, frage ich schuldbewusst. „Du bist eine ganz schön harte Nuss, aber ich werde dich schälen wie eine Kastanie.“ Sie lacht und ihre Hand versucht, zwischen Schale und Haut nach oben zu wandern. Ich stoße sie von mir. „Lilim, komm zu dir.“ Sie taumelt, kann sich aber auf den Beinen halten. „Ich bin nicht Lilim, ich bin Milai… Limai… Lai… ach, Lilim geht auch.“ Mir wird etwas klarer. „Milailee?“ Sie sieht mich an und grinst schräg. „Zu deiner persönlichen Entsaftung, Herzelein. Ich tue alles für wenig Geld.“ Das wird ja immer widerlicher. „Komm mit, wir verschwinden von hier.“ Ich packe ihr Handgelenk und schleife sie in irgendeine Richtung. Lilim schwallt noch immer. „Verschwinden kenne ich nicht. Was nehme ich nur dafür?“ Eine Hure dabeizuhaben, senkt meine Schwierigkeiten, aus dem Lager zu kommen, ganz gewaltig, denn die Torwächter kichern und grinsen nur. Wir halten uns nördlich, bis die ersten Wälder und Berge am Horizont erscheinen und rasten nach zirka einer Stunde, was wir aber allein meiner Gefährtin zu verdanken haben, an einer Quelle, wo kaltes Wasser einen dicken Schädel kühlt. Ich sehe ihr nur unberührt zu, wie sie jammert, und frage mich, ob alle Zauberer mit der Zeit kalt und herrisch werden… nein, hoffe ich, das sind nur die Umstände. „Geht es wieder?“ – „Mein Kopf, mein armer, es tut so weh und…“ – „Geschieht dir recht.“ – „… und dieses Wasser vermischt meine ganze schöne Schminke.“ – „Ich hoffe, du bezahltest für sie nicht mehr als ein paar Kreuzer.“ – „Da kann ich doch nicht mehr arbeiten. Wie kann ich da Geld bekommen, um die Wachen zu bestechen, damit sie mich nicht erstechen wie die meisten anderen?“ – „Wir sind nicht mehr im Lager.“ – „Wie kann ich dich denn glücklich machen und dich bestechen?“ – „Schweigen wäre ein Anfang.“ Wider Erwarten funktionierte es. Ich sehe von der Böschung aus zu, wie Milailee den Bach verlässt und zu mir hochkommt. Sie greift in ihre Tasche, doch als ich eine kleine Handharfe sehe, halte ich es für besser, sie aufzuhalten. „Reden wir lieber.“ Den letzten Schritt zu mir, um sich neben mich zu setzen, kann sie nicht gehen. „Wer bist du?“, fragt sie mich. „Firlina.“ Dieser Name sollte sicherer sein. „Du erinnerst mich an unsere Menschenfrau, Frenja, Tochter des Galahan. Bist du mit ihr verwandt?“ Ich will ihr nicht offen zustimmen; was bleibt mir da anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen? „Irgendwie. Ich gehöre eigentlich nicht hierher.“ – „Du hast ihre Figur, nur die Haare… ihre waren hell, so wie meine.“ Das also meinten die Soldaten? Gut. Es nutzte mir. „Ich bin hier und ich weiß nicht, warum. Hast du eine Idee, wie ich von hier wegkomme?“ Sie blickt mich mit ihren leuchtenden blauen Augen an. „Es gibt nahe von hier eine Höhle, in der ein Zaubermann wohnt, den ich manchmal… besuchte. Er ist weise.“ Das klingt doch nicht schlecht. „Führst du mich?“ – „Ich komme mit dir. Ich kann gut kämpfen, mit einem Bogen und auch mit diesem Wolfsmesser hier. Ich werde dich nicht enttäuschen.“ Der Tempel Der Eingang zur Höhle wirkt klein, doch kaum betreten wir ihn, stehen wir in einer Halle. Ich überlasse es Milailee, für Licht zu sorgen, als mir der Schrecken in die Glieder fährt: Knochen in allen Stadien der Verwesung lagen hier beisammen und kaum leuchtet das Licht, bewegen sie sich. Ich reagiere schnell und in einer Bewegung: Hände schalenförmig öffnen, Formel sprechen, dann einen dicken Feuerball in die Horde schießen. Skelette und Zombies vergehen im Feuer, nur eine seltsame Kreatur scheint gänzlich unbeeindruckt und blickt mir mit seinen aus Diamanten bestehenden Augen direkt in meine Seele, ehe sie verschwindet. Für Milailee ging alles zu schnell. „Hast du das gesehen?“ – „Ja.“ – „Was war das?“ – „Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht richtig gesehen.“ – „Du bist ganz schön stark.“ – „Danke.“ Ich wühle mich derweil durch die Segeltasche, um mit den passenden Phiolen meine verlorene Kraft auszugleichen. Langsam trete ich voran, da ich Fallen fürchte, und ich entscheide mich für den linken der beiden Gänge. Der natürliche Teil der Höhle wird hier durch steinerne Gänge ersetzt, die in die Finsternis getrieben wurden, und unsere Schritte hallen voran. Schlechte Erinnerungen an viel zu viele Orte suchen mich heim, als wir letzten Endes eine weitere Halle betreten, und dann tritt es ein: Milailees Licht verlischt und als sie es wieder anzündet, sind wir von Feinden umgeben. Ich kann die Skelette nicht zählen, die uns da umringen, nur wissen wir beide: Wir kommen hier nicht mehr lebend raus. Ein Mann lacht. „Wen haben wir denn da? Zwei hübsche Damen, so spät in der Nacht? Die Waffen runter oder ihr erfahrt, worin der Unterschied zwischen Gast und Eindringling besteht.“ Was sollen wir tun? Durch die Skeletthorden könnten wir vielleicht durchbrechen, doch bei einem Nekromanten dabei… und worum soll es sich sonst handeln… nein. Ich lasse meinen Zauberstab sinken, was auch Milailee überzeugt. „Die Magierin ins Verließ.“, befielt die Stimme und ich mache die Erfahrung, wie widerlich es ist, von Skeletten und ihren unnatürlichen Kräften ohne jede Geschicklichkeit umringt und bezerrt zu werden. Mein Stab bleibt auf dem Boden liegen, während ich mich tiefer in die Dunkelheit begebe. „Die Elfe“, höre ich noch seine Stimme, „könnt ihr töten.“ Kalte Gitter und ein schmutziger Raum mit Steinboden, der sich wohl von keinem Loch dieser Welt unterscheidet, warten auf mich. Ich taste die Wände ab, muss jedoch feststellen, dass sich hinter keinem Gitterstab und keinem Stein ein Geheimnis verbirgt, und doch… ich verzweifle nicht. Ich erinnere mich an meine Erfahrungen in dem Kreis, an die schützenden, starken Präsenzen und an die Zuversicht. Wo bin ich wirklich? Wann, wie, wer? Meine Träume waren doch sonst kürzer und eindeutiger in ihren Gefühlen. Sie sind auch deutlicher mit Aktionen gefüllt. Hier warte ich nun und muss mich fragen, was nun kommt. Tatsächlich kommt auch was, aber das ist nicht gut. Der Nekromant könnte mit seinen schwarzen Haaren und seinem Bart fast als Doppelgänger meines Onkels Efferdan durchgehen, wäre sein Gesicht nicht so schmal und seine Augen nicht so stechend. Die Horden der Skelette begleiten ihn und sichern ihn ab, jeweils drei zerren an jedem meiner Arme, als er die Zelle betritt. Er starrt mich lange an, während ich sein einstmals schönes dunkles und fast schwarzes Zeremoniengewand bemitleide, welches wie der gesamte Magier litt. Er schwenkt eine dünne Peitsche und hält sie mir vor Augen. „Was hat sie noch einen Panzer an? Macht sie frei.“ Weitere Skelette nähern sich mir und zerren, ohne jedoch den Sinn der Gurte zu verstehen, und schließlich hat der Magier ein Einsehen, greift an seinem Gürtel nach einem Jagdmesser und durchtrennt so das Leder. „Na also“, sagt er, „geht doch“, während er die Peitsche einmal auf mein Fleisch knallen lässt, um zu zeigen, was es für mich bedeutet. Es tut höllisch weh. „Also lass uns etwas spielen: Was machst du hier?“ – „Ich bin auf der Flucht und…“ Er bringt mich mit einem Schlag zum Schweigen. „… möchtest in deine Welt zurück? Ich weiß, Fräulein Galahan, Magierin zu Andergast, deshalb will ich wissen: Warum bist du hier?“ – „Ich weiß es nicht“, schreie ich und erwarte den nächsten Schlag, der aber auf sich warten lässt. „Ich vollführte ein Ritual und landete hier.“ – „Was für ein seltsamer Zufall, nicht wahr? Du landest ausgerechnet hier, wo ich lebe, und ganz plötzlich tauchen auch noch diese Armeen vor meiner Haustür auf. Also, wer bezahlt dich? Oder bist du die, die bezahlen muss?“ Er schlägt noch einmal zu, wohl um mir Zeit zum Nachdenken zu geben. „Damit habe ich nichts zu tun, da kämpfen Garether gegen Horasier, wie es im Geschichtsbuch steht, und schon bald wird da draußen eine Menge passieren. Ort und Zeit sind wichtig, so kam ich auch genau hierher.“ Er schlägt nicht, sondern lässt die Peitsche nur in seinen Händen wippen. „Und du bist sicher, dass dich kein Verhüllter Meister darauf ansetzte, mich zu ermorden?“ Ich schüttele nur schwach den Kopf. „Tja, das erklärt einiges, aber nicht alles. Möchtest du wirklich dabei bleiben?“ Was soll ich tun? „Das ist nun einmal so.“ Das Lächeln des Magiers wird fast milde, was nur eines bedeuten kann – es geht mir an den Kragen. „Na dann, meine Liebe…“ Weiter kommt er nicht, da er plötzlich aus unerfindlichen Gründen zurücktaumelt, was auch die Skelette sich lösen lässt, und als er sich sehr schnell mittels Transversalis davonteleportiert, bleiben nur Gerippe auf dem Fußboden übrig. „Bist du in Ordnung?“, höre ich eine Stimme rufen, noch ehe ich sie sehen kann, und sofort schlägt mein Herz höher. Rufus, bist du es? Was machst du hier? Ach, egal. Ein kalter Schauer erwartet mich. „Du bist nicht Rufus“, sage ich zu der Gestalt, die nicht weniger irritiert wirkt, „Und du bist nicht…“ Am anderen Ende der Gitter steht ein blonder Mann in meinem Alter, dessen Kurzbogen in der Hand mir eine Ahnung verschafft, was den Magier wohl aus dem Konzept brachte. In seiner hellen, doch nicht ganz weißen Kleidung wirkt er seltsam fremd an diesem Ort, doch sein Gang ist der eines Raubtieres und die beiden Schwertscheiden an seinem Rücken – eines zum Ziehen über die Schulter, das andere bei der Hüfte – beseitigen den letzten Rest Zweifel, so dass ich mich gar nicht über das blaue Stirnband mit dem Kristall wundern kann. Er verstaut den Kurzbogen in seinem Hüftköcher und werkelt am Schloss, welches nach kurzer Zeit nachgibt. „Mylady, darf ich mich Ihrer als Jungfrau in Not annehmen?“ Ich muss lachen, teils aus Erleichterung, teils weil dieser albernische Akzent Heimatgefühle weckt. „Gerne, ja, doch… habt Ihr vielleicht auch etwas gegen andere Nöte?“ Er blickt herab auf mein nass geschwitztes Unterkleid, dessen Stellen sich langsam rot färben. „Zu meinem Bedauern, doch ich kann Ihnen versprechen, dass ich vergeben bin und voll und ganz treu.“ Immerhin etwas. „Doch verzeiht. Man nennt mich Corsaia, Kommandant des Bataillons der Schatten, Wächter über Kalchias äußere Ländereien, Freund des Feenkönigs und, wie ich Euch versichern darf, nicht ungeschickt mit Schwert und Bogen. Und Ihr, schöne Frau?“ Sein Redefluss überrascht mich. „Freya“, sage ich, die Geschichte oben zu schnell vergessen, „Ich bin Kampfmagierin… und gehöre eigentlich nicht hierher.“ – „Meine liebste Sorte Zauberer, wenn ich das sagen darf. Was das Letztere angeht: Ich weiß. Ich war so frei, Euer Gespräch mit dem Magier zu belauschen, ehe ich eingriff.“ Natürlich. „Danke dafür übrigens… also für die Rettung. Wisst Ihr denn, was hier vorgeht?“ – „Nicht in letzter Gewissheit, meine Liebe, zu meinem Bedauern, doch weiß ich, dass er in einem Punkt nicht irrt: Er ist in Gefahr. Ich bin nämlich aus den Gründen hier, die er Euch anheften wollte.“ – „Dann wollt Ihr…?“ – „Den Zauberer Rolat töten und diesem Spuk ein Ende setzen? Ganz genau. Ihr liegt auch in einem anderen Punkt richtig, wenn ich es bemerken darf, denn ich gehöre genauso wenig wie Ihr eigentlich hierher.“ Ein Schauer läuft mir über den Rücken, doch ich muss die Frage einfach stellen: „Woher kommt Ihr denn?“ – „Albernia, 32 Hal.“ Ich rechne kurz nach. „Dann seid Ihr seit drei Jahren hier?“ – „Das ist möglich, doch ich weiß es nicht. Was ich aber weiß – oder zumindest ahne –, ist, dass der Magier noch nicht weit ist. Es gibt da einen Geheimgang. Folgen Sie mir.“ Keine zwanzig Schritt weiter befindet sich hinter einer falschen Wand verborgen eine Treppe, die ich zusammen mit Corsaia herabschreite. Lange vermute ich unseren Weg falsch, doch plötzlich bricht der Magier mit hektischer Stimme durch die Stille. „Sie kommen, sie kommen, macht euch bereit.“ Da sehen wir ihn, das Monster mit den Rubinaugen ist ebenso bei ihm wie einige frisch erhobene Leichen, die mit schweren Äxten auf uns zu gerannt kommen. Ein Blick, den ich mit Corsaia wechsele, erübrigt jedes Gespräch – er die Monster, ich die Leichen. Hand zum Kelch, Feuer… drauf. Die brennen, doch sie rennen weiter und da sind sie schon fast bei mir, als ich es noch einmal versuche. Kelch, Feuer… und aus. Am Ende meiner Kräfte und doch überglücklich, mich nicht mit diesen Äxten messen zu müssen, wende ich mich Corsaia zu, der mit seinen beiden leicht blau leuchtenden Kurzschwertern auf eine ausgesprochen sehenswerte Art mit diesem Monster ringt, welches eine Art mit Metall verstärktes Skelett zu sein scheint. Es wird Zeit, einzugreifen, denke ich mir, und bereite einen nächsten Zauber vor: Linke Faust auf Ziel, Formel sprechen und dann die Energie fließen spüren… und wissen, dass es nun reichen muss, denn mit meiner Kraft bin ich am Ende. Das Glück steht mir allerdings bei, denn es reicht: Die Kreatur bricht zusammen und zerbirst in einem Nebel, der keine Reste hinterlässt. Wieder tauschen wir Blicke aus, während der Magier erneut flieht. Wir haben gewonnen. Der Raum, in dem wir uns befinden, gleicht einem Labor und während ich zufrieden meinen Zauberstab wieder an mich nehme und Corsaia in der Tasche stöbern lasse, damit er seine Wunden heilen kann, sehe ich mich um. Auf dem Tisch steht nur eine einzige Flasche mit einer Flüssigkeit, die aussieht wie flüssiges Gold, und ich bin mir sicher: Das muss es sein. Ich nehme zwei Gefäße und teile gerecht. „Corsaia?“, rufe ich. „Stets zu Diensten?“ – „Ich habe hier etwas… doch ich möchte zuvor mit dir anstoßen. Wir sind hier weit gekommen und es bleibt mir nichts, außer zu sagen: Danke für die gute Zusammenarbeit.“ Corsaia nickt und lächelt. „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“ Wir stoßen an und trinken aus. Die Farben verschwimmen. Die ersten Strahlen der Sonne wecken mich und erinnern mich daran, dass ich nur knapp bekleidet auf dem Vorplatz eines Tempels liege. Die Sommersonne wärmt mich, meinem Zauberstab geht es gut, nur die Kreidemarkierungen verblassten so vollständig, als habe es sie nie gegeben. Ich weiß noch nicht, ob ich mächtiger wurde oder nicht, denn meine Kraft wurde von mir bis zum letzten Rest eingesetzt… und das lohnte sich nun wirklich. Ich kam doch gut durch und kann zufrieden mit mir sein. Einmal zerlegte mich nichts. „Fräulein Freya?“ Die Stimme wirkt hier so unerwartet, dass ich erschrocken herumfahre. „Gleich, Corsaia, gib mir noch Zeit, mich umzuziehen.“ – „Ich muss wirklich sagen, du verstehst es, einen Mann glücklich zu machen… und viele unglücklich.“ Die Bemerkung trifft sie und obgleich ich weiß – oder zumindest annehme –, dass sie als Kompliment gedacht war, denke ich an Frenja und fühle mich mies. Ich muss wirklich einmal nachforschen, ob es sie wirklich gab. „Hier bin ich, entschuldige bitte die Weile.“ – „Du bist hier, nur wo bin ich?“ – „Brig-Lo, Almada, Anfang Rahja… und wenn wir uns beeilen, dann bekommen wir noch ein bisschen was vom Fest der Freuden mit.“ Ich lache und ich stecke Corsaia damit an, denn ich weiß, dass etwas Großes hinter mir liegt… und das Größere noch warten kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)