Blind von SeishiroSumeragi (Holly x Rico) ================================================================================ Prolog: Prolog: Überraschung ---------------------------- Das Klingeln des Telefons riss Rico aus seinen Gedanken. Er sah entnervt auf und seufzte. Wer störte ihn ausgerechnet jetzt, wo er das Buch fast durch hatte. „Schwibs?“ „Hey Stolzi, ich bin's, Holly.“, meldete sich der Sänger am anderen Ende der Leitung. Das Herz des Angesprochenen machte einen kleinen Sprung; er musste unwillkürlich lächeln. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet; doch es war eine angenehme Überraschung und seine Übellaunigkeit ob der Tatsache, beim Lesen unterbrochen worden zu sein, war auf einmal wie weggewischt. „Hey, wie geht’s dir?“, erkundigte sich Rico nach wie vor lächelnd. „Super, momentan fühl ich mich wirklich großartig.“ Holly lachte; er klang in der Tat voller Elan und doch irgendwie ausgelassen. „Aber eigentlich ruf ich wegen dem neuen Album an. Ich hab da so eine Idee… Aber das ist am Telefon blöd zu erklären. Ich werd mich morgen früh auf den Weg machen, dann können wir uns im Studio treffen.“ „Das freut mich zu hören.“ Rico lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er sah den Sänger vor sich, wieder einmal über seine Notizen gebeugt und umgeben von zerknüllten und voll gekritzelten Zetteln. Bei der Vorstellung musste er schmunzeln. „Hm… Willst du nicht einfach ein paar Tage hier bleiben? Dann musst du nicht ständig pendeln. Du hattest allein in den letzten zwei Wochen vier Mal spontan die Idee, herzukommen. Das musst du dir doch nun wirklich nicht ständig antun.“ „Hm, das ist tatsächlich eine Überlegung wert.“ Kurz herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Ich sollte mich wohl am besten für ein, zwei Wochen in irgendein Hotel einquartieren.“ Der Geiger antwortete nicht sofort, sondern nahm stattdessen einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, nachdem er sich erhoben hatte und zum Fenster ging. „Du kannst doch auch bei mir pennen. Mein Gästezimmer ist frei und momentan kommt mir das Haus eh viel zu groß vor.“ Erst hatte er Bedenken und wagte es nicht, Holly einen derartigen Vorschlag zu machen. Doch warum eigentlich nicht? Immerhin waren sie Bandkollegen und Freunde. Und sie hatten sich schon mehr als einmal ein Zimmer geteilt. Der Sänger dachte kurz darüber nach. Er musste nicht fragen, was Rico mit seinem letzten Satz gemeint hatte. Die Trennung von seiner Freundin lag noch nicht allzu lange zurück und hatte den Geiger ganz schön mitgenommen. Er hatte Holly davon erzählt, nachdem dieser gefragt hatte, warum er so bedrückt und nachdenklich wirkte. „Ich will dir keine Umstände machen. Und es sind ja nur zwei Wochen; das geht schon.“ „Umstände? Ich muss allerhöchstens eine Portion mehr kochen – was soll daran umständlich sein? Mach dir da mal keine Sorgen. Ich würde eh gern mal wieder für zwei kochen; dann mach ich mir nicht immer nur Fertiggerichte und esse vielleicht auch mal wieder ordentlich und nicht nur vor dem Fernseher.“ Rico lachte, um so die einfache Tatsache zu überspielen, dass er um alles in der Welt Holly dazu bringen wollte, bei ihm zu schlafen. Ein leises Seufzen erklang. „Na schön, hast mich überzeugt. Warum auch nicht? Kann ja nicht viel schief gehen in zwei Wochen.“ Der restliche Abend war für Rico eine einzige Geduldsprobe. Nach dem Telefonat mit Holly stand er eine Weile einfach nur schweigend in seinem Wohnzimmer, das Telefon nach wie vor in der Hand und konnte sein Glück kaum fassen. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen und sein inzwischen wohl überbreites Grinsen abzustellen, doch vergebens. Sein Herz führte ein für seinen Geschmack etwas zu schwungvollen Freudentanz auf und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Der Violinist war einfach nur überwältigt von dem, was er empfand – pures Glück. Schließlich besann sich Rico jedoch darauf, dass er ja schlecht die ganze Zeit hier stehen konnte, bis Holly irgendwann vor seiner Tür stand. Er schüttelte nach wie vor grinsend den Kopf und legte das Telefon beiseite, ehe er sich wieder setzte. Der Versuch, sein Buch nun endlich zu Ende zu lesen, scheiterte jedoch an seiner Vorfreude und Ungeduld; immer wieder schweiften seine Gedanken ab und nach wenigen Minuten klappte er entnervt seufzend sein Buch zu. So würde das nie was werden! Toll, da freute er sich derart auf Holly und dann konnte er nicht mal die Zeit des Wartens nutzen, um endlich zu erfahren, wie sein Buch ausging – dabei war er froh gewesen, endlich mal zum Lesen zu kommen… Aber letztlich war es ihm wichtiger, dass Holly bei ihm schlafen würde. Doch der Abend zog sich endlos in die Länge – zumindest kam es Rico so vor. Unruhig streifte er durchs Haus auf der Suche nach Ablenkung und einer Beschäftigung. Hunger hatte er noch keinen, nach Violine spielen war ihm jetzt auch nicht zumute… also beschloss der Dunkelhaarige, duschen zu gehen und sich anschließend ein wenig vor den Fernseher zu lümmeln. Doch letzteres war auch nicht gerade die beste Idee, wie sich herausstellen sollte. Denn wie so oft kam nichts Vernünftiges im Fernsehen und auch nach mehrmaligem Herumzappen fand Rico einfach keinen zufriedenstellenden Sender. Also schob er eine DVD in den DVD-Player und legte sich gelangweilt auf die Couch. Nach etwa der Hälfte des Films meldete sich jedoch sein Magen und teilte ihm unmissverständlich mit, dass es an der Zeit war, doch noch etwas zu essen. Also gab Rico dem Drang nach und ging in die Küche, wo er ein wenig in den Regalen kramte, sich letztlich aber doch nur eine Tiefkühlpizza in den Ofen schob. Während er kurz zur Uhr sah, stellte er fest, dass es immer noch recht früh war – die Zeit musste doch mal vergehen! Seufzend zog er die Eieruhr auf und begab sich wieder ins Wohnzimmer, um wenigstens den Film weitersehen zu können. Als sein (überaus gesundes) Abendessen endlich fertig war, ging er wieder in die Küche; nur um keine fünf Minuten später wieder auf der Couch vor dem Fernseher zu sitzen – diesmal jedoch mit einem Teller Pizza vor der Nase. Mehr gelangweilt als wirklich begeistert von dem Film, kaute Rico auf einem Stück seiner Pizza herum. Nachdem der Violinist aufgegessen und seinen Teller in die Küche gebracht hatte, seufzte er wieder einmal an diesem Abend entnervt. Die verdammte Uhr konnte einfach nicht richtig gehen! Wie um alles in der Welt konnte es immer noch so früh sein!? Leise vor sich hin grummelnd nahm Rico wieder seinen Platz auf dem Sofa im Wohnzimmer ein… und wurde einige Zeit später von irgendeinem Geräusch geweckt. Langsam öffnete er die Augen, blinzelte ein paar Mal und fuhr sich verwirrt durch die Haare. Er fühlte sich ziemlich zerknautscht – so als hätte er eine Weile in unbequemer Position und nicht ganz freiwillig geschlafen. Und genau so musste es wohl auch gewesen sein, denn der Film war längst vorbei, über den Bildschirm flackerten in einer endlosen Schleife die Bilder des Hauptmenüs und da es inzwischen stockfinster war, musste es auch schon um einiges später sein als vorhin. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es inzwischen halb 12 war. Noch während er sich fragte, was ihn wohl geweckt haben könnte, klingelte sein Telefon und riss ihn abermals aus seinen Gedanken. „Ja?“, meldete er sich ein wenig verschlafen. „Hey, ich bin's.“ Es war Holly. „Hast du schon geschlafen? Entschuldige… Dabei hab ich mich extra beeilt.“ „Ähm… was? Nein, ich bin nur vor dem Fernseher eingenickt. Nicht so wild.“ Rico erhob sich langsam, um erst mal wieder richtig wach zu werden. „Beeilt? Wieso beeilt?“, fragte er dann verwirrt. „Wenn du mich reinlässt, sag ich's dir.“, antwortete der Sänger; man konnte sein Grinsen förmlich hören. „Hä? Was? Reinlassen? Wo denn reinlassen?“ Rico war noch immer nicht ganz da und konnte nur schwer ein Gähnen unterdrücken. Sein Kopf fühlte sich irgendwie taub an, als würde er noch immer halb schlafen. Einen vernünftigen Gedanken zu fassen, fiel da natürlich nicht unbedingt leicht. „Ich steh vor deiner Tür und es ist nicht gerade warm.“ Kapitel 1: Passion & Desire --------------------------- Erst jetzt begriff der Violinist und seine Augen wurden groß. „Wolltest du nicht erst morgen vorbeikommen?“ Während er das sagte, eilte er jedoch bereits zur Tür und riss diese regelrecht auf. Plötzlich so schwungvoll empfangen zu werden, hatte Holly offensichtlich nicht erwartet, grinste aber dennoch und steckte sein Handy weg. „Ja, wollte ich – aber auch nur, wenn ich in einem Hotel übernachte. Du weißt doch: ich bevorzuge es, dann zu fahren, wenn wenig Verkehr ist. Und da ich keine Lust hatte, früh aufzustehen, hab ich mich eben jetzt schon auf den Weg gemacht.“ „Du hättest anrufen können.“ Rico trat einen Schritt zur Seite, um Holly reinzulassen. „Hab ich doch.“ Der Sänger stellte seine Tasche im Flur ab und grinste. „Aber nur, weil ich auf's Klingeln nicht reagiert hab.“ Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. „Ich hätte mit dem Abendessen warten und uns was Ordentliches machen können. Und ich hätte Zeit zum Aufräumen gehabt.“ „Tzz, als ob das nötig wär. Bei dir ist es doch ordentlich genug.“ Während Holly lächelnd seine Jacke auszog, musste Rico sich zusammenreißen, um ihn nicht regelrecht anzustarren. Aber er konnte diesem wunderschönen Lächeln und den Augen Hollys einfach nicht widerstehen… ~ In den folgenden Tagen waren die beiden oft im Studio, teilweise auch mit dem Rest der Band. Die Zeit verging für Rico wie im Flug, denn er war einfach glücklich, Holly die ganze Zeit um sich zu haben und auch der Sänger schien sehr ausgelassen. Deshalb brauchte es einiges an Schauspielkunst von Seiten Ricos, um nicht zu zeigen, wie traurig er wirklich war, als Holly verkündete, dass er an diesem Abend wieder nach Berlin müsse. Wie immer wollte er aber erst abends losfahren, wenn nicht so viel los ist. Also konnten sie den Tag entspannt angehen lassen; doch Rico sehnte sich trotzdem danach, dass er nie enden würde. Er wollte nicht, dass Holly ging. Die gemeinsame Zeit mit ihm war einfach zu schön gewesen – selbst wenn er darunter litt… Denn schon seit Langem empfand er wesentlich mehr für den Sänger der Instanz als nur gute Freundschaft. Wann genau es angefangen hatte, wusste er schon gar nicht mehr; und auch nicht, wann er sich seiner Gefühle zum ersten Mal wirklich bewusst geworden war. Es hatte immer wieder Momente gegeben, in denen er sich einfach zu Holly hingezogen gefühlt und in denen der andere ihn völlig in seinen Bann gezogen hatte – auf eine Art und Weise, wie es unter Freunden nicht unbedingt üblich war. Anfangs hatte sich Rico zwar nicht viel dabei gedacht, doch irgendwann begann sein Körper, nach mehr zu verlangen. Er träumte von Holly; sehnte sich nach ihm, wenn er allein war; wollte ihn berühren, wenn er bei ihm war. Und das obwohl er in einer Beziehung steckte… Diese war nach einer Weile daran zerbrochen – zwar wusste niemand, außer Rico selbst, den wahren Grund, denn er hatte diesbezüglich nicht nur seine Freundin belogen. Doch letztlich konnte er es nicht verleugnen: seine Gefühle zu Holly hatten ihn derart übermannt, dass er sich immer weiter zurückgezogen hatte. Er hatte zwar so getan, als sei alles in Ordnung und eine Weile ging das auch gut; aber in Wirklichkeit war er ständig in Gedanken und versuchte irgendwie, mit dieser Situation umzugehen, die ihm so fremd war. In diesen Tagen ging Rico ein ums andere Mal durch die Hölle. Er hatte Angst um die Zukunft der Band, Angst um seine Freunde und Angst um Holly. Was würde passieren, wenn sein perverses Verlangen ans Licht kommen würde? Seine Gefühle für seine Freundin gerieten dabei offensichtlich immer mehr in den Hintergrund, denn immer öfter kriselte es zwischen den beiden. Sie wollte ihm nicht glauben, dass alles in Ordnung sei und er wollte ihr keine andere Antwort geben. Und so kam es letztlich dazu, dass sie sich trennten – in beiderseitigem Einvernehmen, denn sie beide sahen ein, dass es so nicht weitergehen konnte. Zu oft diskutierten sie darüber, was mit Rico los sei; zu oft endete es damit, dass sie völlig aufgelöst in Tränen ausbrach, weil sie sich doch nur um ihn sorgte. Um diesem Stress endgültig ein Ende zu bereiten, zog sie aus. Nur wenige Tage später folgte die Trennung – von ihrer Seite aus. Denn in diesen Tagen sprachen sie kaum miteinander und sie merkte, dass es ihr gut tat. So konnte sie sich erholen… Das hatte auch der Violinist eingesehen und ihr die Trennung deswegen nicht noch schwerer gemacht, indem er versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Obwohl es, rein pragmatisch betrachtet, die Situation Ricos theoretisch einfacher machte, da er zumindest keine Schuldgefühle gegenüber seiner Freundin mehr haben musste, litt er dennoch unter der Trennung. Sie hatten jahrelang eine glücklich Beziehung geführt und er hatte sie immer noch geliebt – wenn auch nicht so sehr, wie er Holly nun liebte. Und ganz so pragmatisch konnte Rico einfach nicht denken. Denn er gab sich die Schuld für die Trennung und daran, dass seine Freundin hatte leiden müssen. Das hatte sie nicht verdient. Wirklich nicht. Sie war ein herzensguter Mensch und im Grunde hatte er ihr und vor allem ihrer Beziehung etwas angetan, was er nie wieder gut machen konnte. Und Holly war es damals offensichtlich nicht entgangen, dass es dem Violinisten nicht gut ging. Nach einer Aufnahme für ihr Album „Heilig“ blieb Rico noch ein bisschen im Studio. Er sagte den anderen, sie sollten schon vorgehen und nicht auf ihn warten; er hätte Kopfschmerzen und würde sich heute lieber ein bisschen zu Hause ausruhen, statt mit den anderen noch was trinken zu gehen… Das mit den Kopfschmerzen war natürlich eine Lüge. Er wollte nur seine Ruhe und so spielte er noch ein wenig Violine, während er glaubte, allein zu sein. Es dauerte einige Minuten, bis Holly wieder in der Tür stand. Er behauptete, etwas vergessen zu haben. Doch sein Schlüssel lag so offensichtlich auf dem Tisch, dass er sich diese Ausrede auch hätte sparen können. Letztlich fragte er Rico was los sei und nach einigem hin und her, da Rico erst nicht antworten wollte, erzählte er ihm dann doch, was passiert war. Zumindest die Version, die auch seine Freundin kannte. Seine wahren Gefühle behielt er für sich… und das hatte sich bis heute nicht geändert. ~ Indes war es dunkel geworden und es war mal wieder einer jener Abende, an denen Holly eigentlich nur ein paar Bier mit Rico trinken und sich ein oder zwei Filme ansehen wollte. Und wie so oft endete auch dieser Abend letztlich in Ricos geräumigem Schlafzimmer… Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Holly auf die Idee gekommen, unbedingt auf ganz besondere Art und Weise einen Schluck von Ricos Bier kosten zu müssen. Er setzte sich rittlings auf den Schoß des Violinisten und küsste ihn. Mit der Zunge verschaffte er sich Zugang in die Mundhöhle des anderen, der den Kuss sogleich erwiderte und genießerisch die Augen schloss. Rico kannte dieses Verhalten des Sängers, wenn sie allein waren und so wunderte es ihn nicht, dass er auch an diesem Abend nicht von ihm abließ, nachdem er seine Kostprobe bekommen hatte. Einmal angestachelt, wurde Holly in solchen Situationen schnell leidenschaftlich. So auch heute. Er legte eine Hand in den Nacken des Violinisten und küsste ihn erst zärtlich, dann immer leidenschaftlicher. Seine andere Hand wanderte derweil unter Ricos Shirt und strich über dessen nackte Haut. Als seine Fingerspitzen die Brustwarzen des Schwarzhaarigen streiften, stöhnte dieser leise in den Kuss. Er liebte die Berührungen des Sängers mehr, als diesem vielleicht bewusst war. Erst als sie sich nach einer Weile wieder voneinander lösten, leicht außer Atem und mit einem unbändigen Verlangen in den Augen, hauchte Rico: „Lass uns hoch gehen.“ Es dauerte keine zwei Minuten, bis Holly – bereits oben ohne – erneut rittlings auf dem Violinisten saß, der unter ihm auf seinem großen Doppelbett lag. Langsam, nahezu genüsslich, schob Holly das Shirt des Dunkelhaarigen nach oben. In seinen Augen flammte erneut leidenschaftliche Begierde auf und als er begann, die Brust Ricos mit hauchzarten Küssen zu bedecken, stöhnte dieser leise. Er spürte deutlich, wie sich in seiner Hose etwas regte – sein Verlangen nach dem Sänger war einfach derart groß, dass ihn schon diese seichten Berührungen seiner Lippen erregten. „Holly…“ Seine Stimme war kaum wahrnehmbar, nur ein leises Hauchen. Dennoch hörte Holly ihn und hielt kurz inne. Ein verspieltes Lächeln bildete sich auf den Lippen des Sängers. Er verstand das ganze als Aufforderung, denn er spürte sehr wohl die Erregung des anderen und widmete sich deshalb mit der Zunge den Brustwarzen des Violinisten. Spielerisch umkreiste er sie und saugte daran. „Mhh~“ Rico entrann ein weiteres, leises Stöhnen und als wäre auch dies eine Aufforderung gewesen, landete sein T-Shirt kurz darauf achtlos irgendwo neben dem Bett. Der Blick des Dunkelhaarigen suchte den des Sängers und gerade als Rico dazu ansetzen wollte, etwas zu sagen, brachte Holly ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen. Unwillkürlich schloss der Violinist die Augen wieder und ließ sich gänzlich fallen. „Wolltest du irgendwas sagen, Stolzi?“, fragte Holly grinsend, als er sich von ihm gelöst hatte. Sein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter vor dem des anderen. „Mach einfach weiter…“, murmelte Rico nur, denn beinahe wären ihm jene drei Worte rausgerutscht, die er unter keinen Umständen zu Holly sagen wollte. Was würde der Sänger dann denken? Er hatte sich damit abgefunden, glücklich darüber zu sein, dass Holly ihn wenigstens hin und wieder als Ersatz für seine rechte Hand nahm. „Das hatte ich auch vor. Du hast hier eh nichts zu melden.“ Holly lachte frech, ehe er sich wieder dem Oberkörper des Geigers widmete. Dieser spürte die sanften Küsse überall auf seiner Brust und seinem Bauch gleichzeitig; sie ließen seine Haut angenehm kribbeln. Seine Leidenschaft wurde von Sekunde zu Sekunde immer mehr entfacht und entwickelte sich zu einem lodernden Feuer, als die Küsse des Sängers schließlich den Hosenbund des Violinisten erreichten. Ganz langsam und scheinbar mit einer Engelsgeduld machte sich Holly daran, Reißverschluss und Knopf zu öffnen und die Hose Stück für Stück seinem Besitzer zu entreißen. Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, dabei wie zufällig immer wieder über das Glied Ricos zu streichen. Dieser biss sich bei jeder noch so kleinen Berührung seiner Erektion doller auf die Lippe, denn er hielt es kaum mehr aus vor Lust. Das Lächeln, diese wunderschönen Augen und diesen unglaublich geile Körper Hollys direkt vor sich (und nebenbei ganz für sich allein) zu haben und dann auch noch zu wissen, dass er in diesem Moment nichts anderes begehrte als ungezügelten Sex, war ein ums andere Mal einfach unbeschreiblich. Allein dieser Gedanke brachte Rico um Sinn und Verstand und ließ seine Erregung, seine Lust und sein Verlangen ins Unermessliche steigen. Doch sein Blick musste ihn diesbezüglich verraten, denn Holly grinste, als er seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Violinisten widmete, nachdem Socken und Hose ebenfalls irgendwo anders gelandet waren. „Was denn? Schon so geil und ausgehungert!?“ Doch statt auf diese ohnehin rhetorischen Fragen zu antworten, zog Rico den Sänger zu sich heran und küsste ihn verlangend, fast schon ein wenig ungestüm. „Du wildes Ding~“, kommentierte Holly noch breiter grinsend. „Bist ja heute richtig heißblütig. Aber keine Sorge, ich werde schon dafür Sorgen, dass du dich austoben kannst.“ Rico wurde genau in diesem Moment zwei Dinge klar: erstens dass er sich deshalb in nächster Zeit wohl – besonders wenn sie allein waren – viele Sticheleien und zweideutige Kommentare anhören durfte, denn der Sänger liebte es, ihn aufzuziehen. Doch momentan war ihm das egal; klar denken konnte er ohnehin nicht – und er wollte es auch gar nicht. Das einzige, was er wollte, war: genießen. Und zweitens dass ihm ein langer, anstrengender und unheimlich geiler Abend bevorstand. Allein letzteres ließ seine Erregung noch ein wenig weiter wachsen – wenn dies überhaupt möglich war. Doch auch Holly konnte kaum verleugnen, dass er ziemlich erregt war – sein lustvoller Blick sprach Bände, auch ihm schien seine Hose langsam zu eng zu werden und Rico merkte, wie sehr er sich zusammenreißen musste, um nicht einfach wild über ihn herzufallen. Das war jedoch einfach nicht seine Art; Holly genoss den Sex lieber… und er genoss es, Rico auf die Folter zu spannen. Deshalb ließ er sich Zeit und kostete jede Sekunde aus, die ihn der Violinist mit lustverhangenen und zugleich flehenden Augen ansah. Auch heute strich er immer wieder zärtlich über die Erregung des Dunkelhaarigen, während dieser versuchte, sich darauf zu konzentrieren, Hollys Hose aufzubekommen. Der Sänger grinste, denn ihm klar, dass er es Rico damit nicht gerade einfacher machte. Als der Violinist es beinahe geschafft hatte, ließ Holly seine Hand in die Shorts des Dunkelhaarigen gleiten und umschloss dessen Glied mit den Fingern. Sein Daumen massierte die empfindliche Spitze und entlockte Rico so ein lustvolles Stöhnen. Schließlich gab er seine Bemühungen auf, ließ von der Hose Hollys ab und beugte seine Hüfte der Hand des Sängers entgegen. „Was denn? Willst du heute gar keinen Sex?“, fragte Holly frech und grinste ihn an. „Soll ich dir nur einen runterholen?“ „Nein…“ Die Stimme Ricos war eine Mischung aus Wimmern, Flehen und purer Begierde. „Dann sag mir, was du willst, Rico. Sprich es aus.“, hauchte der Sänger. „Nimm mich…“, murmelte der Dunkelhaarige leicht beschämt und wich dem Blick Hollys aus. Er war wie so oft in solchen Situationen leicht rot geworden. „Was? Ich versteh dich nicht, Rico.“ Holly kam dem Violinisten immer näher, bis ihre Gesichter schließlich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Nimm mich endlich!“, sagte der Violinist diesmal deutlich lauter. Holly grinste noch immer. „Dich nehmen? In den Arm? Das hättest du doch auch gleich sagen können.“ Er machte bereits Anstalten, sich neben Rico zu legen und diesen in seine Arme zu ziehen, als der Violinist ihn festhielt. „Nein! Ich will Sex. Ich will von dir durchgenommen werden, bis ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist!“ Die Worte kamen einfach so, ohne dass der Dunkelhaarige groß darüber nachgedacht hatte. Nun biss er sich beschämt auf die Lippe. „Das ist doch mal 'ne Ansage.“ Holly grinste. Er liebte es einfach zu sehr, ihn zu derartigen Sätzen hinzureißen. Ricos Reaktion auf seine eigenen Aussagen war jedes Mal einfach nur niedlich. Und als wären sie nie unterbrochen worden, küsste Holly den Violinisten leidenschaftlich und innig, während er die Shorts von Rico ein Stück nach unten schob und seine Hand anschließend begann, an dessen Glied auf und ab zu gleiten. Rico stöhnte in den Kuss hinein, was der Sänger sogleich ausnutzte, um den Dunkelhaarigen in ein wildes Zungenspiel zu verwickeln. Als sie sich nach Atem ringend wieder voneinander lösten, stöhnte Rico erneut laut. „Holly… bitte…“ Rico konnte kaum sprechen; zu sehr raubte ihm dieses unglaublich geile Gefühl, von dem Sänger so berührt zu werden, den Verstand. „Was denn?“, hauchte der Sänger. Er konnte den heißen Atem des unter ihm liegenden auf seinem Gesicht spüren. „Hör… nicht auf… bitte…“, flehte der Dunkelhaarige, während er immer wieder aufstöhnte. Holly grinste ihn lustvoll an. „Keine Sorge, so fies bin ich heute nicht mehr. Aber wie wäre es damit?“, fragte er leise, entledigte Rico anschließend seiner Shorts und begann, die Erektion des Dunkelhaarigen mit hauchzarten Küssen zu bedecken. Dafür wurde er mit einem noch lauteren und lustvolleren Stöhnen seitens Rico belohnt. „Ahhh~ Holly~“ „Ich sehe, du scheinst es zu mögen.“, meinte der Sänger grinsend, während er das Glied des Violinisten streichelte. „Dann werde ich mal nicht so sein… Aber zu erst…“ Schnell zog der Sänger nun ebenfalls Hose, Socken und Shorts aus, denn er konnte nicht verleugnen, dass ihn der ohnehin überflüssige Stoff ziemlich einengte. Anschließend widmete er seine Aufmerksamkeit wieder vollends der Erregung des Dunkelhaarigen und legte sich wieder zwischen dessen Beine. Er umschloss das Glied Ricos mit dem Mund und leckte es mit der Zunge der Länge nach ab. Rico keuchte und stöhnte laut auf, als ihn die warme, feuchte Enge der Mundhöhle umgab. Sein Denken und seine Vernunft waren nun endgültig lahmgelegt; er konzentrierte sich nur noch auf das, was er fühlte. Und das war einfach unbeschreiblich. Es war wie eine Droge, als Holly begann, seine Lippen am Schaft des Dunkelhaarigen auf und ab gleiten zu lassen. Rico stöhnte laut und ungezügelt, warf den Kopf in Nacken und krallte sich ins Bettlaken. Dieses Gefühl war so unglaublich, dass er glaubte, er wäre wirklich auf Droge. Dann spürte er auf einmal Hollys Hand an der seinen und sie verschränkten automatisch die Finger miteinander, als würden sie dies immer schon tun. „Holly~ Ich…“ Rico versuchte, ihn zu warnen, doch die Worte wollten einfach nicht so recht zusammenpassen. Zu sehr war er in seiner Ekstase gefangen, wurde immer wieder von seinem eigenen Stöhnen und Keuchen unterbrochen. Er spürte, wie seine Erregung immer weiter wuchs, wie nahe er dem Höhepunkt bereits war. Wenn der Sänger so weitermachen würde, dann… Doch Holly schien ihn auch ohne Worte zu verstehen. Innerlich grinsend wurde er nur noch intensiver, saugte am Penis des Violinisten, leckte daran und wurde mal schneller in seinen Bewegungen, mal glitt er ganz langsam und genüsslich am Glied Ricos auf und ab – genau so wie der Dunkelhaarige es gerade wollte. An der Spitze seiner Erektion sammelten sich nun schon die ersten Tropfen seiner Lust und Rico versuchte ein letztes Mal (vergebens), Holly zu warnen. Doch der schien sich daraus nichts zu machen und leckte den Samen von der empfindlichen Kuppe, was den Dunkelhaarigen nur dazu veranlasste, noch lauter zu stöhnen. Und als hätte der Sänger ihn dazu aufgefordert, sich nicht zurückzuhalten, warf der Dunkelhaarige den Kopf in den Nacken und beugte seine Hüfte dem Mund Hollys entgegen, als er den Höhepunkt endgültig erreichte. „Holly~ !!“ Rico schrie schon fast, denn der Sänger hörte nicht auf mit seinen Liebkosungen und so überschritt der Violinist den Höhepunkt rasch. Er konnte sich nicht mehr zusammenreißen und riss die Augen auf, sah jedoch nur Lichtpunkte vor sich flimmern, als er sich in Hollys Mund ergoss. Es war, als würde sein Herz mindestens doppelt so schnell das Blut durch seinen gesamten Körper pumpen. Ein Gefühl wie nicht von dieser Welt… so unbeschreiblich, dass es Rico fast übermannte. Erschöpft ließ er sich zurückfallen und sah keuchend zu Holly, der nun wieder zwischen seinen Beinen hervorkam und sich mit dem Handrücken über den Mund wischte. Auch er war inzwischen derart erregt, dass er es kaum noch aushielt. Dennoch grinste er anzüglich und küsste den Dunkelhaarigen sanft, der sich sogleich in dem Kuss verlor. Sein Herz raste noch immer und er spürte noch immer die unbeschreiblichen Nachwirkungen des Blowjobs. Als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, atmete Rico nach wie vor etwas unregelmäßig. Überwältigt von den Gefühlen, die ihn durchströmten, sah er Holly an. Dieser grinste mit gierigen Augen und rieb seine Hüfte verheißungsvoll an der des Dunkelhaarigen. Ein leises Keuchen kam über die Lippen Ricos, was das Grinsen Hollys nur noch breiter werden ließ. „Du kriegst wohl nie genug, was?“ Das Erröten des Violinisten war ihm Antwort genug und so setzte er sich neben ihn in den Schneidersitz. Rico sah ihn fragend an, setzte sich jedoch ebenfalls ohne Aufforderung hin. Holly zog den Dunkelhaarigen auf seinen Schoß und grinste. „Was-?“ Eigentlich hatte Rico fragen wollen, was das werden sollte, doch Holly schob ihm zwei seiner Finger in den Mund und befeuchtete diese somit. „Hör auf, zu reden. Du wirst schon merken, was ich mit dir vorhabe.“, hauchte der Sänger und küsste Rico leidenschaftlich, bevor dieser auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. Als er merkte, dass der Violinist völlig in den Kuss versunken war, strich er über dessen Hinterteil und glitt vorsichtig mit einem der beiden feuchten Finger in ihn hinein. Rico versteifte sich im ersten Moment und keuchte auf, entspannte sich jedoch sofort wieder. Nachdem er sich an das Gefühl gewöhnt hatte und sein Becken vorsichtig hin und her bewegte, um dies auch Holly klarzumachen, folgte der zweite Finger. Wieder gewöhnte er sich schnell daran und so begann der Sänger, seine Finger langsam in ihm zu bewegen. Die leicht kreisenden Bewegungen veranlassten Rico erneut dazu, aufzustöhnen. Er schlang die Beine um die Taille des Sängers und presste seinen Oberkörper an dessen nackte Brust, während er die Arme um den Hals des Älteren legte. Es war ein unglaubliches Gefühl, gleichzeitig von Holly geküsst zu werden, ihm so nahe zu sein und seine Finger in sich zu spüren. Doch es war ihm noch nicht genug – er wollte mehr. Wie auf Kommando fing Holly an, mit den Fingern anfangs vorsichtig, dann immer schneller werdend in ihn zu stoßen. Wieder reagierte Rico mit Keuchen und Stöhnen darauf. Doch auch das reichte ihm noch nicht. „Mehr…“, stöhnte er lustvoll. „Ich will dich in mir spüren, Holly. Deinen Schwanz.“ „Was immer du befiehlst.“, hauchte der Sänger und küsste Rico erneut. Dieser Aufforderung kam er nur zu gerne nach und so zog er seine Finger aus Rico zurück, was dieser mit einem leisen Aufstöhnen quittierte und ließ sich nach hinten auf das Laken sinken. Schnell griff er nach dem Kondom, welches auf dem Nachttisch bereit lag und streifte es sich über, bevor er nach dem Gleitmittel griff. Safety first und außerdem wollte er Rico nicht unnötig Schmerzen bereiten. Der Violinist hob indes ungeduldig seine Hüfte, damit Holly besser in ihn gleiten konnte. Als er die Spitze der Erregung Hollys an seiner Öffnung pochen spürte, durchlief ihn eine Gänsehaut, und langsam senkte er sich mit einem leisen Aufkeuchen auf den Sänger hinab. Er brauchte einige Sekunden, um sich zu entspannen und sich wieder an dieses Gefühl zu gewöhnen. Diesen süßen Schmerz, den er trotz allem zu gern verspürte. Auch Holly stöhnte auf, als er in den Violinisten eindrang. Die heiße Enge, die ihn umgab, raubte ihm alle Sinne. Es war einfach unbeschreiblich. Als er dann spürte, wie Rico langsam seine Hüfte bewegte, um sich weiter an ihn zu gewöhnen, legte er die Hände auf das Becken des Dunkelhaarigen. Vorsichtig stieß er zu, anfangs noch sehr zurückhaltend, sodass Rico sich langsam an ihn gewöhnen konnte. Doch schnell wurde der Violinist fordernder, seine Gegenbewegungen leidenschaftlicher und so fiel Holly in diesen begehrenden Rhythmus mit ein. Ricos lautes, ungezügeltes Stöhnen war ihm Bestätigung genug, dass es genau das war, was der Dunkelhaarige wollte und so stieß Holly mit der Zeit immer schneller und härter zu – angestachelt von Ricos wilden Küssen, seinem Stöhnen und dem, was er lautstark von ihm verlangte. Sie trieben sich immer weiter dem Höhepunkt ihrer Begierde entgegen und gaben ihrem Verlangen vollkommen nach. Lustverhangen, erregt und gierig sahen sie sich an – ihre Augen brannten vor Leidenschaft und entfachten das Feuer der beiden immer wieder aufs Neue. Nebenbei massierte Holly das harte Glied des anderen und ließ seine Hand so schnell daran entlanggleiten, dass ihm bald der Arm wehtat. Doch der Sänger ignorierte diesen Umstand geflissentlich – immerhin sollte nicht nur er auf seine Kosten kommen. „Rico~“ Holly stöhnte laut und bog seine Hüfte nun gänzlich durch, um so tief in den Violinisten einzudringen, wie es ihm möglich war. Er stand kurz vor dem Höhepunkt und konnte sich kaum noch beherrschen. „Komm~ in mir~“, keuchte der Dunkelhaarige und wand sich auf dem Sänger – scheinbar war auch er dem Gipfel der Lust nicht mehr fern. „Mach schon~ Ich kann~“ Doch als Holly noch einmal tief in ihn stieß und den Violinisten erneut Sterne sehen ließ, begleitet von noch schnelleren und festeren Bewegungen an seinem Glied, schrie der Dunkelhaarige regelrecht auf. Sein Stöhnen war lauter als zuvor, er riss die Augen auf, wand sich und zuckte, während er seine Hüfte Holly so stark entgegen drückte, wie er konnte. „Holly~ bitte~ tiefer~ schneller~“ Es waren nur einzelne Worte, die der Geiger der Letzten Instanz herausbrachte, doch Holly verstand ihn sofort und stieß erneut tief in ihn und ließ seine Hand nun so schnell Ricos Glied bearbeiten, wie er konnte. Wieder stöhnte Rico so laut, dass der Sänger befürchtete, dass sie bald wegen Ruhestörung verklagt werden würden und diesmal ergoss er sich endgültig in der Hand des Älteren. Sein Samen spritzte auf die Bauchdecke des Sängers und hinterließ dort eine klebrige, feuchte Pfütze. Doch das bekam Holly nicht wirklich mit, denn nachdem er noch einmal tief in den Violinisten eingedrungen war, der daraufhin erneut aufstöhnte, kam auch er tief in ihm drin. Sein Körper bebte und war gleichzeitig wie elektrisiert, als der Sänger sich dem Dunkelhaarigen entgegen drückte und er sich keuchend und stöhnend an Ricos Becken klammerte. „Rico~ Ahhh~“ Er war nicht mehr fähig, irgendetwas zu sagen, zu tun oder zu denken. Ihn durchströmten in diesem Moment nur eine riesige Menge an unbeschreiblichen Gefühlen – eine Mischung aus wohltuender Erlösung, Glück und so viel mehr, was er einfach nicht in Worte fassen konnte und wollte. Denn dieses Gefühl wollte der Sänger nie wieder vergessen und einfach nur genießen… Rico sackte indes auf seiner Brust zusammen – völlig erschöpft und überglücklich. Noch immer raste sein Herz; er rang keuchend nach Atem und war einfach nur überwältigt von seinen Gefühlen. Es war wie eine Art Rauschzustand. Und Holly war die Droge, die ihn in diesen Zustand versetzte. Kapitel 2: Just one more moment ------------------------------- Holly strich dem in seinem Arm liegenden Violinisten zärtlich über den Rücken, während sie erschöpft und verschwitzt auf dem großen Doppelbett Ricos lagen. „Wie lange geht das eigentlich schon so?“ Hollys Stimme war leise, mehr ein Flüstern; doch Rico konnte ihn in der Stille, die sie umgab, deutlich hören. „Was meinst du?“, fragte der Violinist schläfrig; er hatte die Augen geschlossen und genoss die sanften Berührungen des Sängers. „Das mit uns… Seit wann genießen wir diese… besonderen Vorzüge unserer Freundschaft?“ Der Sänger musste bei dieser Frage unwillkürlich grinsen – auch wenn er selbst nicht so recht wusste, wieso eigentlich. „Hmm… Weiß nicht genau. Muss auf irgendeiner der letzten Touren passiert sein…“ Ricos Stimme machte deutlich, dass er eigentlich nicht gewillt war, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Er wollte diesen Moment einfach genießen. Holly lachte leise. „Ich merk schon: du hast keine Lust mehr, zu denken. Schläfst ja auch gleich ein.“ Man konnte das Grinsen förmlich aus seiner Stimme heraushören. „Dann will ich dich mal nicht weiter stören.“ Der Sänger wuschelte durch die dunklen, ohnehin zerzausten Haare und lächelte warmherzig. „Ich werd mich auf den Weg machen, dann kannst du dich aufs Ohr hauen, Stolzi. Nicht, dass du morgen noch im Stehen einpennst.“ „Was?“ Nun war Rico wieder hellwach… und ziemlich verwirrt. Und so musterte er den Sänger auch, denn er hatte eigentlich gedacht, Holly würde nun doch noch über Nacht bleiben. „Du willst allen Ernstes jetzt noch losfahren!? Es ist doch mitten in der Nacht.“ „Ja, und? Da sind wenigstens die Straßen schön leer und man kommt gut durch, ohne sich über andere Verkehrsteilnehmer ärgern zu müssen.“ Nach wie vor lächelte Holly und beinahe wäre Rico in diesen wunderschönen Augen versunken, doch er ermahnte sich selbst und ordnete seine Gedanken. „Aber du kannst doch auch noch bis morgen früh hier bleiben, Holly. Du liegst eh schon im Bett; da bietet sich das doch an.“ Er versuchte sich an einem kecken Grinsen, was ihm offensichtlich auch ganz gut gelang, denn Holly erwiderte es. „Dann müsste ich morgen aber früh aufstehen oder mich durch den Berufsverkehr quälen.“ Scheinbar hatte der Sänger seine Entscheidung längst getroffen, denn er setzte sich auf, nachdem er Rico losgelassen hatte und schlug die Decke zurück. Ein kühler Luftzug strich über den Körper des Violinisten und hinterließ eine leichte Gänsehaut. Rico seufzte schicksalsergeben. „Na schön… ich scheine dich ja wohl nicht umstimmen zu können.“ Während er seine Sachen einsammelte, schüttelte Holly den Kopf, grinste dann aber. „Du wirst die Nacht ja wohl auch ohne mich überstehen, mein armes, einsames Stolzi.“ Der Dunkelhaarige spürte einen Stich im Herzen, da er wusste, dass das nicht unbedingt der Fall sein würde. Aber was sollte er machen? Holly auf Knien anflehen, zu bleiben, weil er ohne ihn nicht leben konnte? Wohl kaum eine gute Idee. „Willst du vorher wenigstens noch duschen? Deine Haare sollten ja schnell trocknen – eine Erkältung kannst du dir also wohl kaum einfangen.“ Holly lachte ausgelassen. „Zumindest nicht wegen nasser Haare. Aber die Idee ist wirklich nicht schlecht, danke.“ Mit einem weiteren, für Rico unwiderstehlichen Lächeln begab sich der Sänger ins Bad. Rico sah ihm hinterher und sein Blick wurde wehmütig, fast schon traurig. Wie er so dalag, wirkte er wie ein kleiner Welpe, den man alleingelassen hatte – und irgendwie fühlte er sich auch so. Für einen Moment spielte er deshalb mit dem Gedanken, Holly ins Bad zu folgen. Einerseits um die letzten Minuten seiner Anwesenheit zu genießen. Andererseits um seinen wunderschönen Körper zu betrachten – und das war wirklich ein verdammt guter Grund. Dennoch ließ er es bleiben. Wie hätte er Holly auch seine Anwesenheit erklären sollen? Hey, ich find deinen Körper einfach zu geil und muss ihn die ganze Zeit anstarren? Und bei der Vorstellung, wie du nackt unter der Dusche stehst, muss ich mir jedes Mal einen runterholen? So wohl eher nicht… Lautlos seufzend drehte sich Rico auf die Seite und setzte sich langsam auf. Er war in die Decke eingewickelt und fuhr sich etwas verschlafen durch die Haare. Holly hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet und ihn ziemlich erschöpft. Aber das war ihm egal – er liebte diese Art von Erschöpfung, auch wenn ihm das Sitzen am folgenden Tag nicht immer unbedingt einfach erschien. Doch so müde er auch war – an ruhigen und erholsamen Schlaf war heute nicht mehr zu denken. Er wollte einfach nicht, dass Holly ging. Doch ihm fiel nichts ein, wie er ihn hätte aufhalten sollen. Was konnte er schon gegen diesen Sturkopf ausrichten, wenn er erst mal seine Entscheidung getroffen hatte? Rico wusste zu gut, dass es dann nahezu unmöglich war, ihn umzustimmen – immerhin war er selbst auch nicht viel besser, wenn es darum ging. Er seufzte, als sich die Tür öffnete und Holly, lediglich mit Shorts und Jeans bekleidet, hereinkam. „Was hast du, Stolzi? Angst vor dem Einschlafen, wenn du so alleine bist?“, witzelte der Sänger. Natürlich war das nicht ernst gemeint; doch Holly hatte keine Ahnung, wie richtig er mit dieser Vermutung lag. Rico lachte gezwungen, um einer Antwort zu entgehen und seine wahren Gefühle zu überspielen. Inzwischen war er darin sogar recht gut geworden – was aber nicht weiter verwunderlich war, denn mittlerweile hatte der Dunkelhaarige oft genug Gelegenheit gehabt, zu üben. „Also dann… Ich find den Weg auch allein. Du kippst doch eh fast um vor Müdigkeit; also bleib lieber gleich im Bett.“ Holly lächelte, was den Violinisten dazu veranlasste, sich einmal mehr enorm zusammenreißen zu müssen. Diese Augen… diese wunderschönen Augen… Um wieder in der Realität anzukommen, räusperte sich Rico kurz, während Holly sein Shirt wieder anzog. Vielleicht war das wirklich keine schlechte Idee – wenn er Holly nach unten begleiten würde, wäre da diese Gefahr, dass er ihn nicht gehen lassen könnte. Immerhin fiel ihm das so schon schwer genug. Blieb er hier, könnte er Holly nicht aufhalten und würde somit auch nicht in die eventuelle Verlegenheit kommen, erklären zu müssen, warum er den Sänger bei sich haben wollte. „Meldest du dich, wenn du zu hause bist?“, fragte er dann leise, ohne dass er wirklich erklären konnte, warum er diese Frage überhaupt gestellt hatte. Er sah zu dem Sänger hinüber und beobachtete ihn aufmerksam. Sein Blick musste ihn verraten haben, denn Holly sah ihn entsprechend verwirrt an und legte den Kopf leicht schief. „Warum? Was soll mir schon passieren? Außerdem bist du hundemüde, Rico. Du solltest schlafen. Wenn ich zu hause ankomme, ist es mitten in der Nacht.“ Es war nur nett gemeint, das hörte Rico deutlich aus der Stimme Hollys heraus; doch es war nicht das, was er hören wollte. Jetzt nicht. Er wandte den Blick ab und sah zu Boden. „Ist egal, ruf bitte einfach kurz an. Oder schreib eine Nachricht.“ Irgendwie war Rico unruhig geworden, sein Herz zog sich seltsam verkrampft zusammen. Doch er konnte sich diese Unruhe nicht erklären. Was war denn los mit ihm? Holly hatte recht – was sollte ihm schon groß passieren? Scheinbar sah man ihm seinen Gemütszustand jedoch deutlich an, denn nun bildeten sich kleine Sorgenfalten in dem hübschen Gesicht Hollys. „Hey… was ist denn auf einmal los? So kenn ich dich ja gar nicht.“ Der Sänger hockte sich vor Rico hin und sah ihm direkt in die Augen. „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen, Rico.“ Die Worte waren leise, aber eindringlich und ernst. Bei der Art, wie er den Namen Ricos aussprach, bekam dieser eine Gänsehaut. Doch seine Stimme klang auch sehr ehrlich, was ihm ein Teil seiner unbestimmten Sorge nahm. Der Violinist lächelte, jedoch nicht besonders überzeugend. Das erkannte er auch an Hollys Reaktion. Denn dieser seufzte kurz auf, ehe er sich wieder erhob. „Na schön, ich werd dich informieren, sobald ich wohlbehalten zuhause angekommen bin und in meinem Bett liege. Okay?“ Rico nickte, sein Lächeln wurde ehrlich und warmherzig. „Danke.“ Auch er stand noch einmal auf, wobei ihm die Decke vom Körper rutschte. Somit stand er nun nackt vor Holly und er hätte schwören können, dass dieser seinen Blick kurz über seinen Körper wandern ließ. Doch vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet, weil es seiner Wunschvorstellung entsprach. „Ich weiß ja selbst nicht, was mit mir los ist. Es ist nur so eine unbestimmte Sorge. Wahrscheinlich völlig übertrieben, wie du schon sagst.“ Er lachte verlegen. „Du bist schlimmer als meine Mutter, Stolzi.“ Wieder grinste Holly und gab Rico einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut. Und zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die du eh nicht beeinflussen kannst.“ Mit einem letzten Lächeln ging er hinaus. Dass er seinen letzten Satz bald in einer gänzlich schlimmeren Situation noch einmal sagen könnte, wäre ihm bis dahin nicht im Traum eingefallen. Denn er hatte es einfach nur gesagt, um Rico zu beruhigen. Und weil es der Wahrheit entsprach. Doch nicht mal eineinhalb Stunden später tauchte ein Paar blendend greller Scheinwerfer auf der Autobahn direkt vor ihm auf und Holly kam nicht einmal mehr dazu, zu realisieren, was geschah… Kapitel 3: Memories & Tears --------------------------- Rico blieb solange still in seinem Schlafzimmer stehen, bis er die Tür ins Schloss fallen hörte. Erst dann rührte er sich und ging langsam, wie in Trance, zum Fenster. Er sah noch, wie Holly in seinen Wagen stieg und losfuhr. Doch selbst, als die Scheinwerfer des Autos schon längst in der Dunkelheit der Nacht verschwunden waren, löste sich seine Starre nicht. Ihm wirbelten tausende Gedanken durch den Kopf, die ein solches Chaos verursachten, dass er nicht mal einen einzigen klaren Gedanken fassen konnte. Nur diese unterschwellige Sorge, dass Holly etwas zustoßen würde und er ihn hätte aufhalten sollen, wurde der Violinist einfach nicht los. Immer wieder versuchte er sich einzureden, dass der Sänger ihm in ca. zwei Stunden sicher eine kurze SMS schreiben und sich herausstellen würde, dass seine Bedenken völlig unnötig waren. Nach einer Weile seufzte der dunkelhaarige Violinist und schüttelte den Kopf, um endlich dieses Chaos aus Gedanken und Gefühlen loszuwerden, doch es half nicht. Da er wusste, wie wenig Sinn es hätte, sich jetzt ins Bett zu legen, beschloss er, es Holly gleichzutun und duschen zu gehen. Als er in das noch feucht-warme Bad kam, bemerkte er als erstes einen Duft, der ihm in die Nase stieg. Er war nur schwach wahrzunehmen und doch präsent. Es war Hollys Geruch. Wieder seufzte der Violinist, diesmal lautlos. Einerseits fand er es angenehm, dass er den Sänger hier riechen konnte; andererseits war es nicht unbedingt förderlich für seinen Gefühlszustand… Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, denn er konnte die bis vor kurzem andauernde Anwesenheit Hollys regelrecht spüren. Wie von einem unsichtbaren Bann gefesselt, stieg Rico langsam, fast schon apathisch in die Dusche. Als ihm das Wasser über den Körper rann, durchzuckte ihn immer wieder dieser süße Schmerz, den er nur zu gut kannte. Er spürte ihn jedes Mal, wenn er allein war, nachdem er mit Holly geschlafen hatte. Er liebte es, von dem Sänger genommen zu werden, ihn so nah bei sich zu spüren. Seine Küsse, seine Leidenschaft, seine Berührungen – einfach alles schürte das Feuer seines Verlangens nach Holly. Er wünschte sich ein ums andere Mal, dass diese Momente nie vergehen würden, dass er ihm für immer so nah sein könnte. Doch jedes Mal musste er einsehen, dass dies nur ein kindischer, naiver Traum war – nichts weiter. Er liebte Holly. Doch das wusste der Sänger nicht – und das war auch gut so. Denn er wollte diese Nähe zwischen ihnen nicht zerstören. Aber dennoch wusste er nicht, wie lange er das noch aushalten würde… Langsam schloss er die Augen und senkte den Kopf. Doch plötzlich hatte der Dunkelhaarige das Gefühl, in eine bodenlose, unendliche Tiefe zu fallen und schlang seine Arme um seinen Körper, fast wie um sich selbst festzuhalten. Obwohl das Wasser und auch die Raumtemperatur angenehm warm waren, zitterte Rico. Sein schlanker Körper erbebte immer wieder, seine Schulter zuckten in unregelmäßigen Abständen. Und nun vermischte sich das Wasser, welches ihm übers Gesicht lief, mit seinen Tränen. Er konnte und wollte nicht gegen sie ankämpfen, denn es wäre ein aussichtsloser Kampf, der nicht von Erfolg gekrönt wäre. Für den Moment spülten sie den Schmerz wenigstens zum Teil aus seinem Herzen und seiner Seele fort und ließen ihn meist völlig ausgelaugt und erschöpft zurück. Nicht selten war dies der einzige Weg für Rico, überhaupt einschlafen zu können – zumindest wenn er allein war… Zwar sank er dann entweder in einen scheinbar traumlosen, aber dennoch unruhigen oder aber in einen von Alpträumen und Ängsten geplagten Schlaf, was beides nicht besonders erholsam war. Doch es war auch immer noch besser, als gar nicht zu schlafen. Heute jedoch würde er keine Ruhe finden, bis er von Holly irgendeine Nachricht bekommen hatte, dass alles in Ordnung war. Und mit genau diesen Aussichten, dem Schmerz und der Sorge kämpfte der Violinist, während immer mehr Tränen über seine Wangen liefen und mit dem Wasser vermischt auf den Boden der Dusche tropften. Würde er dieses Gefühl der Hilflosigkeit und des Schmerzes nicht schon allzu genau kennen, wäre er wohl – wie viele Male zuvor – unter der Last seiner Emotionen zusammengebrochen und in die Knie gegangen. Doch inzwischen schaffte er es irgendwie, dabei aufrecht stehen zu bleiben. Erst als der Tränenstrom langsam abebbte und Rico leise schniefend nach dem Duschgel griff, machte er auch das Wasser wieder aus. Seine Haut war schon ganz aufgeweicht und schrumpelig. Mit flinken Fingern seifte er sich ein und duschte sich danach schnell ab, denn er hatte das dringende Bedürfnis, endlich dieser beengten Duschkabine, der schwül-warmen und feuchten Luft des Badezimmers und dem Wasserstrahl zu entkommen, der seine Haut noch weiter aufweichte. Rico hasste es, wenn er so schrumpelige Finger hatte – zwar war es manchmal sehr entspannend, etwas länger unter der Dusche oder in der Badewanne zu bleiben. Aber trotzdem beeilte er sich nun. Als er endlich, mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt, der Tropenlandschaft des Bades entkam, fühlte er sich gleich etwas besser. Frischere Luft und vor allem nicht dieses Gefühl des eingeengt seins. Der Violinist atmete einmal tief durch, ehe er sich wieder anzog und sich dann nach einer passenden Beschäftigung umsah – irgendwas, das ihn ausreichend ablenkte und ihn für eine Weile beschäftigen würde. Leider trat ein, was er befürchtet hatte: wie schon an dem Abend, als Holly angekündigt hatte, zu ihm zu kommen oder sich zumindest dazu hatte überreden lassen, war der Versuch, zu lesen, nicht gerade erfolgreich und auch im Fernsehen kam um diese Zeit nichts Spannendes. Billige Pornos und irgendwelcher Mist, den sich sowieso niemand ansah. Dennoch blieb Rico noch kurz auf der Couch liegen, als er den Fernseher wieder ausgeschaltet hatte. Dieser Moment genügte jedoch, um einzudösen. Holly hatte eben doch nicht ganz Unrecht gehabt: er sah nicht nur müde aus – er war es auch. Sein Körper merkte deutlich, dass sie es zwei Stunden lang wild und leidenschaftlich miteinander getrieben hatten. Und auch wenn die Sorge um Holly immer noch nicht verschwinden wollte, ebenso wenig wie das Chaos in seinem Kopf und der Schmerz aufgrund seiner Gefühle für den Sänger, so brauchte er dennoch ein bisschen Ruhe. Allerdings hielt auch diese nicht lange, denn als Rico wieder erwachte oder besser gesagt: hochschreckte, war kaum eine halbe Stunde vergangen. Seufzend setzte sich der Violinist auf, wuschelte sich durch die inzwischen fast trockenen Haare und schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit abzuschütteln und wieder richtig wach zu werden. Mit einem Blick zur Uhr stellte er fest, dass Holly inzwischen etwa eine Stunde unterwegs war. Das bedeutete, er hatte in etwa die Hälfte des Weges hinter sich… wenn nichts dazwischen kam. Doch diesen Gedanken verscheuchte Rico sogleich wieder – er wollte sich keine unnötigen Sorgen machen, auch wenn er diese innere Unruhe immer noch nicht ganz abschütteln konnte. Langsam erhob er sich und ging in die Küche. Vielleicht sollte er noch etwas essen, immerhin war seine letzte Mahlzeit eine ganze Weile her und momentan wäre er eh kaum in der Lage, Hunger zu verspüren. Dazu war sein Empfinden viel zu sehr von der allgegenwärtigen Sorge, von Holly und seinem Gefühlschaos beherrscht. Rico fühlte sich regelrecht benommen. Grübelnd schaute er in den Kühlschrank und beschloss schließlich, sich einfach nur ein Brot zu machen. Auch davon würde wieder etwas Zeit verstreichen. Also setzte er sich sogar ordentlich mit seinem Mitternachtsmahl an den Tisch und kaute langsam auf seiner Scheibe Brot herum. Rico dachte dabei die meiste Zeit an Holly – wie er ihn kennen und lieben gelernt hatte, wie sie gemeinsam lachten, ihre erste Tour, die ersten gemeinsamen Songs, ihr erster Kuss… und schließlich die stille Übereinkunft, dass sie „Freunde mit gewissen Vorzügen“ waren. Fuck Buddies. Freunde mit speziellen Extras. Wie immer man es nennen wollte. Als Rico aufgegessen hatte, saß er noch ein paar Minuten schweigend am Tisch, lauschte der leisen Musik aus dem Radio in der Küche und schweifte gedanklich in die Vergangenheit ab. Er genoss diese Erinnerungen an all die schönen, gemeinsamen Zeiten mit Holly, Benni und den anderen der Letzten Instanz. Doch dann erhob er sich seufzend. Bald musste die Nachricht von Holly kommen; der Dunkelhaarige sah zum wahrscheinlich tausendsten Mal in dieser Nacht auf sein Handy, das er die ganze Zeit bei sich trug, seit er aus dem Bad gekommen war. Doch nach wie vor zeigte es weder entgangene Anrufe, noch SMS oder sonst irgendwas neues. Laut ausatmend ließ er es wieder in die Tasche seiner Jogginghose gleiten, brachte seinen Teller zurück in die Küche und überlegte, was er jetzt noch machen sollte. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder zu Holly. Er konnte an nichts anderes denken; also beschloss er, sich oben aufs Bett zu legen und abzuwarten. Was sollte er auch tun, wenn er sich nicht mal aufs Nachdenken konzentrieren konnte? Oben angekommen warf er sich, ohne Rücksicht auf das ziemlich verwühlte, unordentliche Bettzeug, einfach auf sein Bett und rollte sich auf die Seite. Er schluckte; sein Hals fühlte sich trocken an, obwohl er gerade noch etwas getrunken hatte. Der Blick des Violinist glitt wie von selbst und ohne dass er etwas dagegen tun konnte, zu seinem Wecker. In zehn Minuten wären ungefähr zwei Stunden um… was bedeuten würde, dass Hollys Nachricht wirklich bald ankommen müsste. Doch Rico wusste aus Erfahrung, dass diese zehn Minuten für ihn zu einer quälenden Ewigkeit werden würden – wenn es denn überhaupt „nur“ zehn Minuten waren. Vielleicht gab es irgendwo Stau oder eine Straßensperrung und Holly würde später ankommen, als eigentlich geplant. Dann würde für den Dunkelhaarige eine Zeit des ungeduldigen Wartens beginnen, eine Zeit, in der er durch die Hölle gehen würde. Und das wusste er. Nur zu gut. Es war nicht das erste Mal, dass er in solch einer Situation steckte und die Qual der Ungewissheit durchleiden musste. Der Violinist biss sich auf die Unterlippe, als er erneut ein Brennen in den Augen spürte und versuchte diesmal, die Tränen zu unterdrücken, was ihm jedoch redlich misslang. Wieder bildeten sich kleine Tropfen in seinen Augenwinkeln, die langsam größer wurden und dann wie kleine Perlen über sein Gesicht rannen. Flüssige, salzige Perlen, die im Licht des Vollmondes schwach glitzerten, das durchs Fenster hereinschien. Wieder schluckte Rico. Doch jetzt, da der Damm eh gebrochen war, ließ er es einfach geschehen. Noch ein paar vereinzelte Tränen folgten, ehe der plötzliche Sturm in seinem Herzen sich wieder gelegt hatte und er sich einfach nur noch ausgebrannt fühlte. Als er die Augen schloss, spürte er, wo die Tränen sich ihren Weg über sein Gesicht gebahnt hatten und sah vor seinem geistigen Augen einen Scherbenhaufen, den er als seine Gefühlswelt erkannte. „Holly…“ Es war ein leises, verzweifeltes Schluchzen, doch mehr brachte Rico nicht hervor. Der Name des Sängers schwebte im Raum und schien noch lange nachzuhallen, auch als die brüchige Stimme des Violinisten schon längst verklungen war. Es dauerte noch eine Weile, ehe sich Rico wieder gefasst hatte und es wagte, die Augen wieder zu öffnen. Doch automatisch wurde sein Blick wieder auf den Wecker gelenkt, als zöge er ihn magisch an. Und was Rico sah, gefiel ihm nicht: Holly müsste eigentlich jeden Moment zu Hause ankommen. Mit anderen Worten: er müsste sich auch jeden Moment bei ihm melden. Doch es kam nichts – keine Nachricht, kein Anruf, einfach nichts. Konnte er es vergessen haben? Aus einer unbestimmten Überzeugung heraus war sich Rico absolut sicher, dass Holly es nicht vergessen hatte. Das nicht. Doch leider war er immer noch nicht davon überzeugt, dass seine Sorge unberechtigt war… Kurz entschlossen, holte er sein Handy hervor, setzte sich auf und drückte die Schnellwahltaste für Hollys Nummer. Es klingelte. Doch niemand nahm ab; auch nach dem siebten Klingeln nicht. Skeptisch die Augen zusammenkneifend legte Rico auf. Es war immer noch möglich, dass Holly seine Freisprecheinrichtung nicht am Handy hatte und immer noch unterwegs war. Doch dieser Gedanke beruhigte ihn in keinster Weise. Der Violinist erhob sich nun ganz vom Bett und lief unruhig im Zimmer auf und ab, ehe er es wenige Minuten später noch einmal versuchte. Vielleicht war Holly gerade im Bad oder hatte es doch einfach vergessen und nur sein Handy nicht gehört. Selbst in seinen Ohren klang das nicht besonders überzeugend – doch er brauchte irgendeine Erklärung dafür, warum der Sänger auch dieses Mal nicht ans Telefon ging. Schließlich beschloss Rico, sich einen beruhigenden Tee zu machen. Vielleicht half wenigstens das oder vielleicht würde er davon müde werden. Eine schwache Hoffnung zwar, aber besser als gar keine. Nachdenklich und von seiner inneren Unruhe getrieben, ging er wieder in die Küche und während das Wasser anfing, zu kochen, lief er im Erdgeschoss unstet hin und her. Er fühlte sich wie ein Tiger im Käfig. Nachdem er die Tasse Tee mit ins Wohnzimmer genommen und sich aufs Sofa gesetzt hatte, begann erneut das, was er am meisten hasste: das Warten und die dadurch nur noch verstärkte Ungewissheit. Ungeduldig wippte er mit dem Fuß zu einem nicht vorhandenen Takt auf und ab, während er darauf wartete, dass sein Tee eine trinkbare Temperatur annahm und sein Handy ihm mitteilen würde, dass er eine Nachricht von Holly bekommen hätte. Doch letzteres war selbst dann noch nicht eingetreten, als die Teetasse Ricos bereits leer und wieder in der Küche war. Langsam wurde Rico immer unruhiger, seine dunkle Vorahnung bestätigte sich zunehmend und als Holly sich nach knapp einer halben Stunde immer noch nicht gemeldet hatte, rief er bei ihm zu Hause an. Es war ihm egal, ob er den Sänger weckte, falls dieser es wirklich vergessen und nur sein Handy nicht gehört hatte. Dann wäre er doch selbst schuld. Außerdem machte sich Rico nur Sorgen – Holly hatte ihm versprochen, sich zu melden. Und ein Versprechen brach er für gewöhnlich nie. Doch auch beim Festnetzanschluss ging nur der Anrufbeantworter ran und Rico verspürte einen schmerzhaften Stich in der Brust, als er erneut Hollys Stimme auf dem Band hörte. Wie auch schon bei seinen beiden vorigen Anrufen auf Handy hinterließ er eine kurze Nachricht mit der Bitte, dass sich Holly sofort melden solle, wenn er das hörte und der Erklärung, dass er sich aus unerfindlichen Gründen einfach Sorgen machte. Rico ahnte jedoch nicht, dass er dazu auch wirklich allen Grund hatte… Der Violinist ging wieder ins Schlafzimmer und versuchte, die düsteren Gedanken zu vertreiben. Unruhig wälzte er sich im Bett hin und her, sah alle paar Minuten, wie es ihm vorkam, auf die Uhr und wartete auf irgendeine Nachricht von Holly. Zwischenzeitlich glitt er immer wieder in einen Halbschlaf mit wirren Träumen, in denen es zumeist um den Sänger ging; der Sex und die vielen schlaflosen oder zumindest unerholsamen Nächte der vergangenen Zeit forderten ihren Tribut. Gleichzeitig wollte sein Kopf jedoch nie gänzlich abschalten und so hielt die Sorgen ihn – mehr oder weniger – wach. Wenn er jedoch wegnickte, schreckte er schon nach wenigen Minuten wieder hoch, teilweise mit kaltem Schweiß auf der Stirn. Oder er hörte den Nachhall eines Schreis, den er entweder als seinen eigenen identifizierte oder als einen, der nicht real war. Einen, der in seinem Traum ausgestoßen wurde und ihm immer noch in den Ohren klang, als hätte man ihn tatsächlich angeschrien. Als es irgendwann anfing, zu dämmern, quälte sich Rico wieder aus dem Bett. Er hatte wirklich kaum geschlafen und fühlte sich wie gerädert. Eigentlich wusste er nicht mal, warum er aufstand; doch liegen konnte er inzwischen auch nicht mehr. Er spürte jeden einzelnen Knochen, jeden Muskel in seinem Körper. Sie waren steif und unbeweglich und sein Rücken schmerzte, als hätte er stundenlang in nicht besonders rückenfreundlicher Haltung vor dem PC gesessen. Ziemlich verschlafen und ohne so recht zu wissen, was er tat oder warum, ging er in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Während er an der Küchenzeile lehnte, löste sich seine Benommenheit allmählich und er wurde wieder klarer im Kopf. Zumindest soweit, dass er sich wieder orientieren und an die letzte Nacht erinnern konnte. Das war jedoch nicht unbedingt angenehm, denn seine Sorge kehrte gleich doppelt so heftig zurück und sein Herz verkrampfte sich schmerzhaft. In seinem Kopf herrschte derweil immer noch das Chaos aus Gedanken und Gefühlen, doch es hatte etwas nachgelassen, da Rico von der einzigen, für ihn wichtigen Frage beherrscht wurde: Ging es Holly gut? Wie von selbst griff er abermals zum Telefon und rief nacheinander auf Handy und Festnetz an. Doch wieder ertönte Hollys Stimme nur auf dem Band der Mailbox. Der Violinist musste sich zusammenreißen, um nicht vor Wut sein Handy in irgendeine Ecke zu feuern. Doch er wusste, dass es nichts bringen würde – außer dass er sich wohl ein neues kaufen oder seins zur Reparatur schicken müsste… Um sich abzulenken, ging er ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Die Moderatorin, die auf dem Bildschirm erschien, entschuldigte sich gerade für die Unterbrechung des Programms aufgrund einer Sondermeldung. Rico gab ein undefinierbares Geräusch von sich und wollte gerade umschalten, da er keine Lust auf irgendwelche Horrormeldungen hatte – wahrscheinlich hatte es in der Nacht irgendwo einen Großbrand oder ein Zugunglück gegeben und der Dunkelhaarige machte sich auch ohne solche Szenarien schon genug Sorgen. Doch dann sagte die Sprecherin etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte und er ließ die Fernbedienung wieder sinken, während er, wie gebannt, auf die Mattscheibe starrte. Es ging nicht um irgendeinen Brand oder ein Zugunglück. Auch nicht um einen Flugzeugabsturz oder irgendetwas Politisches. Nein. Es ging um einen Autounfall. Auf der Autobahn, die von Dresden nach Berlin verlief. Und die Holly immer nahm, wenn er Rico besuchte. Ganz langsam, regelrecht tröpfchenweise sickerten die Informationen der Meldung in sein Gehirn und dieses begann nun immer schneller werdend zu arbeiten. Als Bilder von den Autowracks gezeigt wurden und ein Reporter vor Ort Bericht erstattete, saß Rico stocksteif auf seiner Couch. Wie erstarrt sah er aus schreckgeweiteten Augen auf den Bildschirm. Es waren mehrere PKWs und sogar ein Kleintransporter in den Unfall verwickelt gewesen. Alle Farbe war aus dem Gesicht Ricos gewichen, er war nun weiß wie eine Wand. Denn als der Reporter, bevor er zum Unfallhergang kam, sagte, wann es passiert war, glaubte der Violinist, man würde seine ganze Welt erst auf den Kopf stellen und ihm dann den Boden unter den Füßen wegreißen. Das war in etwa die Zeit, zu der auch Holly an diesem Abschnitt der Autobahn gewesen sein müsste, wenn er ganz normal durchgekommen war und seine gewohnte Strecke genommen hatte. Er wollte schon aufstehen und zu seinem Telefon stürzen, als sich plötzlich alles um ihn drehte. Er war noch nicht einmal ganz hochgekommen, da sank er schon wieder, wie betäubt, zurück und kippte unkontrolliert zur Seite auf die Couch. Der Schlafmangel, die Panik, die Sorge und der Schock hatten ihren Preis und das machte ihm sein Kreislauf nun sehr deutlich. Doch nach einigen Momenten fing der Violinist sich wieder und schüttelte immer noch leicht benommen den Kopf, nachdem er sich vorsichtig aufgesetzt hatte. Diesmal wartete er kurz, bis der Raum um ihn herum sich aufgehört hatte, zu drehen und erhob sich dann sehr langsam. Ihm wollte das Bild der Unfallfahrzeuge bzw. dessen, was noch von den Autos übrig war, nicht aus dem Kopf. Der eine Wagen… er sah genauso aus wie der von Holly. Und der Teil, der vom Nummernschild noch zu erkennen gewesen war, stimmte auch überein. Gott! Konnte es womöglich sein, dass Holly…? Doch Rico schüttelte heftig den Kopf. Nein! So durfte er nicht denken. Wenn er Holly so leicht aufgeben würde – was würde der Sänger dann von ihm halten? Es war doch noch gar nicht sicher, ob Holly wirklich in den Unfall verwickelt war. Vielleicht war es ja nur Zufall und seine Einbildung hatte Rico einen bösen Streich gespielt. Zitternd stand er im Wohnzimmer und spürte, wie seine Augen anfingen, zu brennen. Die ersten Tränen sammelten sich darin und liefen ihm schon wenige Augenblicke später über die Wangen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass seine dunkle Vorahnung ihn genau davor hatte warnen wollen… und er hatte es als überflüssige Sorge abgetan, die vollkommen unbegründet war! Er hatte ja nicht mal richtig den Versuch unternommen, Holly aufzuhalten. Der Violinist ging mit bebenden Schultern in die Knie und schluchzte leise; er kam sich in diesem Moment so schwach und verletzlich vor. Und gleichzeitig so dumm. Er hätte auf die Warnung seiner Intuition hören sollen. Wie hatte er das nur zulassen können? Warum nur? Ohne eine Bestätigung oder einen wirklichen Beweis zu haben, wusste er, dass Holly deshalb nicht an sein Telefon gegangen war. Er konnte es nicht. Und Rico wollte es nicht wahrhaben. Der Gedanke, dass er diesen Unfall hätte verhindern können oder zumindest Hollys Beteiligung daran, ließ ein Gefühl der Ohnmacht und Schuld in Ricos Herz zurück und brannte sich in seiner Seele ein. Völlig verzweifelt hockte er am Boden seines Wohnzimmers, unfähig sich zu rühren oder klar zu denken. Erst ein paar Minuten später, als seine Tränen langsam versiegten, sein Herzschlag sich wieder normalisierte und er sich wieder fasste, ging er langsam zu seinem Telefon herüber. Er wartete noch kurz, bis er sich wieder vollends beruhigt hatte, um nicht allzu verheult und aufgelöst zu klingen und rief dann bei der Polizei an in der Hoffnung, dass sie ihm dort sagen könnten, wo die Verletzten und Opfer des Unfalls hingebracht worden waren. Es dauerte eine Weile und Rico wurde mit jeder Sekunde ungeduldiger, doch er zwang sich, Ruhe zu bewahren und freundlich zu bleiben. Die Personen, mit denen er sprach, konnten nichts dafür und er wollte ja immerhin etwas von ihnen. Als er dann endlich die gewünschten Informationen bekommen hatte, machte er sich fast umgehend auf den Weg. Er packte schnell ein paar Sachen zusammen und zog sich um, damit er nicht die zerknitterten und verschwitzten Sachen trug, die er auch während seiner unruhigen Nacht getragen hatte. Dann fuhr er sich kurz vor dem Spiegel im Flur durch die Haare – sie waren ziemlich zerzaust, doch Rico ignorierte diesen Umstand und lief schnellen Schrittes zu seinem Wagen. Es war noch recht frisch und nur wenige waren um diese Zeit schon unterwegs, doch die kühle Morgenluft und die Ruhe taten dem Dunkelhaarigen gut und kurz wurde er langsamer, um den Moment zu genießen. Seine Wangen fühlten sich noch immer ein wenig warm an von all den Tränen, doch wurden sie nun von dem leichten Wind, der ihm entgegen blies und sein Haar noch mehr verwuschelte, auf angenehme Art gekühlt. Rico hatte jedoch nicht die Geduld, diesen Moment auszukosten und eilte sogleich weiter. Hastig kramte er seinen Autoschlüssel hervor und fuhr zu dem Krankenhaus, in dem Holly lag. Er war immer noch blass, seine Augen blutunterlaufen und von dunklen Augenringen geziert – er musste wirklich einen perfekten Vampir abgeben. Der Violinist lachte kurz freudlos auf über diesen unpassenden Vergleich und missachtete nebenbei auf seinem Weg die ein oder andere Verkehrsregel, da sonst kaum ein anderes Auto unterwegs war. Jedoch setzte auch langsam der Berufsverkehr ein, weshalb es langsam voller wurde und Rico gezwungen war, wieder vorschriftsmäßiger zu fahren und teilweise sogar in kleineren Staus steckte, was seine Laune nicht gerade verbesserte. Seine Sorge fraß ihn mittlerweile von innen auf – zumindest fühlte es sich so an – und er konnte es kaum erwarten, endlich bei Holly zu sein. Er wollte ihm einfach nur beistehen, ihm zeigen, dass er da war… und sich selbst ein wenig beruhigen, indem er wusste, wie es dem Sänger ging. Am Telefon hatte man ihm nur gesagt, dass er nicht mehr auf der Intensivstation liegen würde und dass er keine schlimmen, äußerlichen Verletzungen hätte. Er hatte wohl mächtig viel Glück und einen großen Schutzengel gehabt, hatte ihm die Schwester erklärt. Immerhin hatte es sogar einen Toten bei dem Unfall gegeben, der durch einen Geisterfahrer verursacht worden war und der Zustand einiger Patienten sei noch kritisch. Das berichteten die Medien zumindest immer wieder. Rico schaltete deshalb das Radio aus und legte eine CD ein, um sich von seiner Sorge und den panischen Gedanken abzulenken. Doch viel brachte es nicht. Allein der Satz der Krankenschwester, dass Holly nicht mehr auf der Intensivstation liegen würde, ließ ihn in Angstschweiß ausbrechen. Denn das bedeutete, er musste zumindest zeitweise auf der Intensivstation gelegen haben und das hieß selten etwas gutes… Kapitel 4: Sorrow ----------------- Als Rico endlich – nach einer halben Ewigkeit, wie ihm schien – im Krankenhaus ankam und sich nach Holly erkundigte, sah ihn die diensthabende Schwester skeptisch an und fragte, ob denn überhaupt mit ihm alles in Ordnung sei. Er erklärte ihr ungeduldig, dass er einfach nur schlecht geschlafen hatte, weil er sich Sorgen wegen seines Freundes machte. Und dann hätte er in den Nachrichten von diesem furchtbaren Unfall gehört. Es entsprach ja sogar fast der Wahrheit, was er da von sich gab; nur mit dem Unterschied, dass „geschlafen“ bei dem, was er in dieser Nacht getan hatte, wohl ziemlich übertrieben war. Die Schwester sagte nichts weiter zu dieser Geschichte – sie hatte offensichtlich beschlossen, sich ihren Teil zu denken und bemerkte, dass es wohl nicht viel bringen würde, Rico vorzuschlagen, sich doch erst mal ein wenig auszuruhen und eventuell ein leichtes Schlaf- oder Beruhigungsmittel zu nehmen. Rico nickte daraufhin. Stattdessen nannte sie dem Violinisten die Zimmernummer Hollys und beschrieb ihm den Weg. Sie erklärte ihm außerdem, dass durch den Aufprall auf das vor ihm fahrende Fahrzeug und die Tatsache, dass anschließend noch ein weiteres Auto in seinem Wagen gefahren war, die Front- und eine Seitenscheibe gesplittert seien. Einige Splitter bohrten sich regelrecht in den oberen Bereich seines Gesichts – die Stirn und Augenpartie seien besonders betroffen gewesen. Trotz einer schnellen OP, bei der man alle Splitter entfernt hatte, wurde aufgrund der teils sehr tiefen Schnittverletzungen irgendetwas an den Augen des Sängers verletzt. Noch könnten die Ärzte daher nicht sagen, ob Holly sein Augenlicht je wieder zurückerlangen würde. Die Nachricht war für Rico ein Schock. Er stand da, ohne sich zu rühren, völlig durcheinander. Das lag nicht nur daran, dass er kaum verstanden hatte, was die Schwester ihm da versucht hatte, zu erklären – für ihn zählte nur ihr letzter Satz. Die Welt drehte sich rasend schnell um ihn herum, ohne dass er es mitbekam. Genauso wie die Gedanken in seinem Kopf. Er konnte sie nicht greifen, nicht klar denken und auf einmal hatte er wieder das Gefühl, zu fallen. Immer tiefer. In diese endlose, schwarze Tiefe. Nur mit Mühe schaffte er es, sich auf den Beinen zu halten, sein Zittern und seine Tränen zu verbergen und gleichzeitig seine Stimme halbwegs normal klingen zu lassen, als ihm gewahr wurde, dass die Schwester sich gerade wiederholt nach seinem Befinden erkundigt hatte. Er sagte ihr, dass schon alles in Ordnung sei und ging dann langsam in Richtung Fahrstuhl, um zu Hollys Zimmer zu gelangen… Auch wenn er Angst davor hatte, was ihn hinter der Tür erwarten würde, neben der ein Schildchen mit der Zimmernummer angebracht war. Leise klopfte er an, ehe er eintrat. Mit einem kurzen Blick erfasste er die Situation: Holly lag in seinem Bett, die Augen durch einen Verband verdeckt. An seinem Arm hing ein Tropf, der ihn stetig mit Nährstoffen versorgte. Sein Atem ging ruhig, doch es war unmöglich zu sagen, ob er wach war oder schlief. Abgesehen von dem Verband um seine Augen schien er aber nur ein paar kleinere Schürfwunden und blaue Flecke abbekommen zu haben. Der Violinist musste sich bemühen, deutlich zu sprechen, damit man das Zittern in seiner Stimme nicht hörte. „Holly?“ Es war kaum mehr als ein schwaches Flüstern. Vorsichtig ging er auf das Bett des Sängers zu und ließ sich langsam auf den daneben stehenden Stuhl sinken. Dabei ließ er Holly nicht aus den Augen. Er fühlte sich einfach nur schwach und zitterte am ganzen Körper, während er sich setzte. Der Anblick Hollys verstärkte seine Sorge und seine Schuldgefühle nur noch mehr und Rico kämpfte erneut mit den Tränen. Der Sänger regte sich indes und wandte den Kopf etwas unbestimmt in Ricos Richtung. „Hey… ich bin's, Rico…“ Der Violinist konnte kaum verhindern, dass seine Stimme brüchig und schwach klang. Fast so als müsste er sich von einer schweren Krankheit erholen. „Rico?“ Auch Holly sprach relativ leise, jedoch lag es bei ihm mehr daran, dass die Schmerzmittel ihn noch ein wenig benommen machten. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er weitersprach. Wahrscheinlich hatte er einfach nicht damit gerechnet, dass er schon Besuch hätte. „… Was machst du hier, Stolzi?! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst schlafen?“ „Ja… aber ich… Es kam keine Nachricht von dir und irgendwie konnte ich nicht richtig einschlafen. Und dann hab ich zufällig in den Nachrichten von dem Unfall erfahren und…“ Die Stimme Ricos versagte bei dem Gedanken an die Bilder der Sondermeldung. Er schluckte und biss sich auf die Lippe, um die erneut in ihm aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. „Tut mir leid… ich wollte mich melden, aber ich wurde sofort in den OP geschoben, als ich wieder halbwegs bei Bewusstsein war. Und jetzt hab ich auch noch keine Möglichkeit dazu gehabt.“ Wieder eine kurze Pause. „Hast du dir wirklich solche Sorgen gemacht?“ Nun klang Holly selbst ein wenig besorgt und hob eine Hand in die Richtung, in der er Rico vermutete. „Ja… aber du musst dich nicht entschuldigen; du kannst doch nichts dafür.“ Es grenzte schon fast an ein Schluchzen, was der Dunkelhaarige von sich gab, während er sich vorbeugte, sodass Hollys Hand auf seinem Kopf lag. Dieser strich ihm zärtlich durchs Haar, während er schwach lächelte. „Viel mehr… viel mehr tut es mir leid. Ich hätte das verhindern müssen. Ich hätte auf mein Herz hören sollen. Das ist alles meine Schuld. Wenn ich dich nur überredet hätte, bei mir zu bleiben – wenigstens bis zum nächsten Morgen… dann wäre das alles nicht passiert. Verzeih mir bitte, Holly.“ Inzwischen liefen ihm stumme Tränen in Strömen über die Wangen und wieder schluckte Rico. Doch nun brauchte er nicht mehr versuchen, die salzigen Perlen zurückzuhalten. Ein leises Schluchzen entrann seiner Kehle. Das schwache Lächeln verschwand von den Lippen Hollys, als er Ricos Worte hörte und machte einem ernsten Ausdruck Platz. „Hey… das ist doch nicht deine Schuld. So ein Blödsinn! Nur weil du etwas geahnt hast, heißt das doch noch lange nicht, dass du es auch hättest verhindern können. Und außerdem…“ Doch Rico würde wohl nie erfahren, was Holly noch sagen wollte, denn er unterbrach sich und sein Gesichtsausdruck wurde seltsam. Der Violinist wusste nicht, was in seinem Freund vorging, da ihm das wichtigste Indiz dafür fehlte – der Ausdruck in dessen Augen. Doch er merkte, dass sich die Stimmung des Sängers abermals verändert hatte. „Rico… weinst du?“ Langsam zog er die Hand zurück und ließ sie ein Stück sinken. So verharrte sie nur wenige Zentimeter von Ricos Gesicht entfernt. Doch ehe er es berühren konnte, klingelte das Handy des Violinisten. Dieser setzte sich daraufhin wieder auf und kramte in seiner Tasche nach dem Mobiltelefon. Holly ließ seine Hand sinken und schwieg nachdenklich. „Hallo?“ Rico klang belegt und abwesend, als er an sein Handy ging und sich mit der anderen Hand die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte. Er sah auf die Uhr, während er sich fragte, wer das sein konnte. Doch er musste feststellen, dass es bereits acht Uhr war – durchaus eine Zeit, zu der Anrufe vielleicht selten, aber auch nicht ganz unüblich waren. Es war Benni, der anrief. „Hey, ich bin's. Hab ich dich geweckt? Wenn ja, tut es mir leid. Aber es ist wichtig. Ist Holly noch bei dir?“ „Nein… nein, hast du nicht. Keine Sorge. Aber Holly ist… er ist…“ Wieder versagte die Stimme des Violinisten. Er konnte einfach nicht aussprechen, was er selbst nicht wahrhaben wollte und biss sich erneut auf die Lippe. Eigentlich hatte er sich um jeden Preis zusammenreißen wollen. Er musste jetzt stark sein – auch für Holly. Doch er schaffte es einfach nicht. „Oh Gott… Also war er wirklich in den Unfall verwickelt?“, fragte Benni sofort und Rico konnte das Entsetzen in der Stimme des Cellisten hören. Er sah förmlich, wie sein Gesicht kreidebleich wurde. „Oli hat mich vorhin angerufen und gesagt, ich solle schnell die Nachrichten einschalten. Wir wollten es erst nicht glauben, aber das eine Auto sah dem von Holly einfach zu ähnlich, als dass es ein Zufall sein konnte. Zumal er ja angekündigt hatte, dass er nach Hause wollte…“ Rico schwieg daraufhin, denn wieder zuckten die Bilder der zerstörten Fahrzeuge durch seinen Kopf. Das alles war einfach noch zu verstörend für ihn, als dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Er fühlte sich, als stünde er kurz vor einem Nervenzusammenbruch – und wahrscheinlich war dem auch so. „Und zufällig hatten wir uns ja erst vor ein paar Tagen darüber unterhalten, wann man am besten durchkommt. Da hat Holly noch gesagt, er würde lieber nachts oder sehr früh fahren, um den ganzen Verkehr zu meiden.“ „Hm…“, machte Rico nur. Es war mehr ein Zeichen dafür, dass er überhaupt noch in der Leitung war, denn eigentlich konnte er sich kaum auf das konzentrieren, was Benni ihm da erzählte. „Hey Rico, ist alles okay? Du hörst dich furchtbar an. Wo bist du jetzt?“ „Ich bin im… bei Holly.“, brachte der Violinist leise hervor. Er bemühte sich, so deutlich wie möglich zu klingen und gleichzeitig seine wahren Gefühle dabei zu verbergen. Auf Bennis Nachfrage erklärte er ihm den Weg, dann steckte er sein Handy wieder weg, nachdem er den Anruf beendet hatte. Für einige Sekunden herrschte Schweigen im Raum. „Die anderen sind auf dem Weg… sie haben es auch aus den Nachrichten erfahren und machen sich ziemliche Sorgen.“ „Hm… Ihr seid unmöglich. Ich meine: wie spät ist es?! Ihr fahrt in aller Herrgottsfrühe durch die halbe Weltgeschichte, obwohl es mir gut geht. Das ist doch verrückt! Wegen euch werd ich echt noch ganz verlegen.“ „Aber…“, begann Rico, wusste jedoch selbst nicht so recht, was er eigentlich einwenden sollte. Und dann sprudelten die Worte einfach aus ihm heraus, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. „Dir geht’s überhaupt nicht gut! Du hattest einen schweren Autounfall und vielleicht verlierst du für immer deine Sehkraft. Willst du mir allen Ernstes erklären, dass du das unter 'gut' verstehst?!“ Ohne es zu wollen, war er etwas lauter geworden und war beinahe von seinem Stuhl aufgesprungen. Jetzt ließ er sich zurücksinken, beruhigte sich wieder und schluckte. Die Verzweiflung in seiner Stimme war dafür nun umso deutlicher zu hören. „Tut mir leid. Ich wollte nicht…“ „Hey, hey.“ Holly hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut. Ist doch alles in Ordnung.“ Wieder bildete sich ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen. „Du siehst die Dinge einfach anders als ich. Versuch doch, das Ganze mal ein wenig positiver anzugehen. Ich hab den Unfall verhältnismäßig unbeschadet überstanden – immerhin lebe ich noch und befinde mich auch nicht im kritischen Zustand so wie einige andere Unfallopfer. Richtig? Und ich brauche mein Augenlicht nicht, um zu singen. Das kann ich auch tun, wenn ich blind bin. Ich werde meine Leidenschaft, die Musik, nicht aufgeben, nur weil das Leben mir einen Kiesel in den Weg legt.“ „Aber-“ Doch der Sänger schüttelte sanft den Kopf und unterbrach Rico erneut. „Kein Aber. Ich werde weitermachen – egal, was jetzt passiert. Ich werde kämpfen. Außerdem werde ich euch und euer Lächeln in meinem Herzen bewahren. So kann ich euch jederzeit sehen. Und genau dieser Gedanke gibt mir die Kraft, weiterzumachen. Warum jetzt verzweifeln, wo noch gar nichts feststeht?“ Seine Stimme klang erstaunlich zuversichtlich, wie Rico feststellen musste und auch das Lächeln Hollys war optimistisch. Das hätte der Dunkelhaarige wirklich nicht erwartet – auch wenn er wusste, dass Holly nicht so schnell kleinzukriegen war. „Hey, Rico… Als ich dich das letzte Mal sah, hast du so wunderschön und sanft gelächelt. Und auch wenn ich es jetzt nicht sehen kann, bitte ich dich: lächel wieder. Das passt viel mehr zu dir, als ein Ausdruck ständiger Sorge.“ „Aber… als du gegangen bist, da… da war ich… vollkommen nackt.“ Das letzte Wort murmelte Rico fast schon ein wenig beschämt, denn jetzt kam es ihm so falsch vor, an etwas derartiges zu denken. Immerhin sollten sie sich lieber Gedanken darum machen, wie es jetzt weitergehen sollte. „Na und? Dann ist die Erinnerung doch umso schöner.“ Holly grinste, doch Rico wandte den Blick ab und schwieg. Er konnte dieses Grinsen nicht ertragen, solange er durch den Verband immerzu daran erinnert wurde, dass er vielleicht nie wieder in den wunderschönen Augen des Sängers versinken könnte. Wieder drohte die Verzweiflung ihn zu übermannen; doch diesmal schaffte er es, sich zusammenzureißen. Er atmete einmal tief ein und aus. Woher nahm Holly nur diese immense Kraft und Zuversicht? „Rico? Alles in Ordnung? Du bist auf einmal so ruhig.“ Der Angesprochene sah wieder auf und überlegte, wie er antworten sollte. „Die Frage war nicht wirklich ernst gemeint, oder? Wenn du zu hause in deinem Bett liegen und süß und selig schlafen würdest, ohne irgendwelche Schrammen und Wunden, könnten wir uns gern noch mal darüber unterhalten, ob alles okay ist. Aber bis dahin kannst du dir diese Frage wirklich sparen.“ Er machte eine kurze Pause, ehe er fort fuhr. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass bei mir auch nur ansatzweise irgendwas in Ordnung ist, solange du nicht wieder zu hundert Prozent fit bist. Ich mach mir Sorgen um dich, Holly… ernsthafte Sorgen. Du siehst das alles so locker und bist kämpferisch. Das ist zwar schön, aber ich glaube, in dieser Situation nicht unbedingt die idealste Lösung.“ Holly seufzte. „Du hörst dich an wie meine Mutter.“ Er deutete ein Lächeln an. „Können wir jetzt aufhören, über mich zu reden? Das wird schon irgendwie wieder werden. Viel mehr mach ich mir momentan Sorgen, dass deine Sorge dich zerfrisst. Wenn du weiter so machst, wird das kein gutes Ende nehmen. Das tut dir nicht gut, Stolzi. Also bitte… tu es für mich und auch für dich selbst und deine Gesundheit: mach dir nicht so einen Kopf deswegen. Ich will hier nichts verharmlosen, aber… Wir kriegen das schon wieder hin. Zusammen schaffen wir das. Wenn erst mal die anderen der Instanz hier sind, werden sie mir sicher zustimmen. Gemeinsam meistern wir auch diese Situation. Das haben wir bisher doch immer irgendwie geschafft. Also lass dich nicht so entmutigen von ein paar unsicheren Diagnosen. Es steht doch noch gar nichts richtig fest.“ Sein Lächeln sollte wohl eindeutig eine aufmunternde Wirkung haben, doch Ricos Ängste waren nicht durch ein einfaches Lächeln zu besiegen – selbst wenn es das von Holly war, was bei ihm erwiesenermaßen Wunder wirken konnte. „Und wenn du so leicht aufgibst, dann frage ich dich: wie bist du da hingekommen, wo du jetzt bist?“ Rico wusste im ersten Moment nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er wusste, dass Holly ihn nur beruhigen wollte. Dennoch reagierte er nicht auf diesen Versuch und wählte eine – wie er selbst fand – etwas unpassende Antwort für diese Situation. Doch er hatte einfach Angst, dass jede andere Reaktion seine wahren Gefühle gezeigt hätte. „Die Antwort ist simpel: ich hab mich ins Auto gesetzt, bin hergefahren, zu deinem Zimmer gegangen und hab mich schließlich auf diesen Stuhl hier gesetzt. Deshalb bin ich jetzt hier. Ende der Geschichte.“, meinte Rico leicht sarkastisch. Holly schnaubte. „Meine Güte! Na, wenigstens hast du deine Schlagfertigkeit zurück. Das ist schon mal was.“ Kapitel 5: Loving you is suicide -------------------------------- Es dauerte nicht allzu lange, bis alle noch fehlenden Mitglieder der Instanz sich in Hollys Zimmer versammelt hatten. Und Rico sollte tatsächlich recht behalten mit seiner Vermutung: auch sie sahen das ganze weniger positiv und waren besorgt um ihren Frontmann und Sänger. Zwar waren ihre Bedenken bezüglich Hollys derzeitigem Zustand nicht so schlimm wie die des Violinisten; aber derart kämpferisch, wie der Sänger sich zeigte, konnten auch die anderen nicht denken. Dennoch schaffte Holly es irgendwie, die gesamte Band mit seinem Optimismus anzustecken und im Verlaufe des Vormittags wurde die Stimmung im Krankenzimmer zunehmend ausgelassener. Selbst Rico brachte zwischenzeitlich ein Lachen zustande – auch wenn es nicht ganz ehrlich klang. Um die Mittagszeit gingen Benni, Rico und die anderen dann aber in die Cafeteria. Zum einen weil sie Hunger bekamen und zum anderen weil Holly noch einige Untersuchungen über sich ergehen lassen musste. Während sie aßen, unterhielten sie sich über Belanglosigkeiten und ganz banale Dinge, nur um sich nicht daran erinnern zu müssen, warum sie hier waren. Doch irgendwann wusste keiner mehr, was er noch erzählen sollte, da sie sich in den vergangenen Tagen ohnehin recht häufig gesehen hatten und es so kaum Neuigkeit auszutauschen gab. So entstand eine unangenehm drückende Stille, die Rico nicht unbedingt behagte. Sein Herz begann erneut, sich zusammenzuziehen. Er wusste, welches Thema nun automatisch folgen würde und wollte es doch nicht wahrhaben. Deshalb entschuldigte er sich mit den Worten, er müsse mal auf die Toilette und stand fast etwas zu hastig auf. Die anderen nickten nur wortlos und sahen ihm besorgt nach. Rico folgte schnellen Schrittes der Richtung, in die das Schild ihn wies, wurde jedoch schon nach wenigen Metern wieder langsamer. Die Vorstellung der beengten Toilettenkabine war nicht unbedingt berauschend und so verließ er stattdessen das Krankenhaus und setzte sich auf eine Bank nahe dem Eingang. Sein Blick wanderte unstet über die ausladende Parkanlage des Hospitals. Eine Weile saß er dort, ohne dass er hätte sagen können, wie lange genau. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von einer Person abgelenkt, die er aus den Augenwinkeln auf sich zukommen sah. „Darf ich mich setzen?“ Es war Benni. Er war neben der Bank stehengeblieben und sah irgendwie besorgt aus. „Natürlich. Warum fragst du?“ Rico sah zu ihm auf und machte eine einladende Geste auf den freien Platz neben ihm. „Hätte ja sein können, dass du lieber allein sein willst.“ Der Cellist ließ sich neben seinen Bandkollegen sinken und sah ihn von der Seite her an. „Tut mir leid. Ich brauchte einfach ein bisschen frische Luft, wollte den Kopf ein bisschen frei kriegen…“ Rico sah zu Boden und räusperte sich. „Und ich wollte nicht darüber reden, dass…“ Doch seine Stimme erstarb und so blieb der Satz unvollendet. „Schon okay. Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen.“ Benni lächelte, doch nach wie vor lag Besorgnis in seinen Augen. „Die Sache geht dir ziemlich an die Nieren, was?“ „Mhm…“ Rico nickte. Er biss sich auf die Unterlippe und ließ seinen Blick über die Bäume schweifen. „Ich mach mir einfach Sorgen; das ist alles. Aber Holly, er… ihn scheint das überhaupt nicht zu interessieren, was wir denken. Er glaubt einfach, dass alles schon irgendwie wieder gut wird… Als wären wir in irgendeinem Schundroman, wo nach dem dramatischen Höhepunkt alles in einem Happy End gipfelt und alle glücklich sind. Friede-Freude-Eierkuchen sozusagen.“ Er schnaubte; doch innerlich krampfte sich sein Herz erneut schmerzhaft zusammen und es kostete ihn einiges an Mühe, dies nicht zu zeigen. Einerseits wütend, dass Holly die ganze Sache so locker nahm, andererseits verzweifelt, weil er sich immer noch so sehr um den Sänger sorgte und von Schuldgefühlen regelrecht zerfressen wurde, knetete er seine Hände und starrte ziellos umher. Benni antwortete nicht sofort, sondern beobachtete seinen Freund stattdessen eine Weile schweigend. „Ich kann dich ja verstehen, Stolzi. Mir… eigentlich uns allen geht es nicht anders – wir machen uns genauso Sorgen. Aber ich denke nicht, dass Holly das so egal ist, wie du glaubst. Wahrscheinlich macht er sich mindestens ebenso viele Gedanken um die Zukunft wie wir, aber er wird nicht wollen, dass wir uns seinetwegen Sorgen machen müssen. Deshalb spielt er den Starken. So ist er nun mal.“ Der Cellist lächelte aufmunternd. „Außerdem wäre er nicht unbedingt erfreut, wenn er wüsste, dass du immer noch nichts gegessen hast. Denn so fertig, wie du aussiehst, ist deine letzte Mahlzeit wohl mehr als ein paar Stunden her, hm? Und ausruhen solltest du dich auch lieber ein bisschen. Holly reißt mir den Kopf ab, wenn ich kein Auge auf dich hab und er erfährt, wie blass du heute warst.“ Irgendwie schaffte er es ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht zu zaubern. „Hm… wahrscheinlich.“ Rico lächelte Benni matt an, doch es war offensichtlich ein gezwungenes Lächeln. „Aber ich hab wirklich keinen Hunger. Also mach dir keine Sorgen; ich werd Holly schon nichts davon erzählen.“ „Aber du musst doch mal was essen! Du kannst nicht den ganzen Tag hungern, nur weil deine Gedanken sich einzig und allein um Holly drehen. Wie soll er wieder gesund werden, wenn er weiß, dass deine Sorge dich zerfrisst? Du kennst doch Holly – er wird dann die ganze Zeit Angst haben, dass du zusammenklappst deswegen. Und unter solchen Umständen ist an Genesung ja wohl nicht zu denken. Also bitte, Stolzi… als Hollys und dein Freund: tu es nicht nur für dich selbst, sondern auch für Holly.“ „…“ Rico schwieg und wandte den Blick wieder ab. Benni hatte recht, das wusste er. Doch allein der Gedanke an Essen bereitete ihm Übelkeit. Und wie sollte er auch an etwas anderes denken als an Holly? Das ging nun mal nicht so einfach, wenn man jemanden derart liebte. Aber das konnte Benni natürlich nicht wissen… woher auch? Seufzend schüttelte er den Kopf. „Na schön… gehen wir erst mal wieder zu den anderen. Sonst geben die noch eine Vermisstenanzeige auf.“, meinte Rico und erhob sich schwerfällig. Er fühlte sich immer noch ziemlich ausgebrannt und wäre am liebsten keine Sekunde von Hollys Seite gewichen. „Keine Sorge, nicht nur ich hab gesehen, dass du offensichtlich nicht auf Klo musstest.“ Der Anflug eines Lächelns bildete sich erneut auf Bennis Lippen, während auch er aufstand und Richtung Krankenhauseingang lief. Rico folgte ihm. „Hab mich wohl ziemlich seltsam verhalten, was?“ Benni wollte gerade etwas darauf erwidern, als sie verwundert stehen blieben. Eine Schwester kam ihnen auf dem Weg Richtung Cafeteria entgegen. Sie schob einen Rollstuhl vor sich her, in dem Holly saß; hinter ihr liefen die anderen Mitglieder der Instanz. Für einen Moment setzte Ricos Herzschlag aus. Er konnte sich nicht rühren, wirre Gedanken und Befürchtungen fluteten sein Gehirn und machten es einmal mehr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Unsicher machte der Dunkelhaarige einen Schritt nach vorn; er schwankte leicht, wobei er nicht wusste, ob es am Schlaf- und Nahrungsmangel oder am Chaos in seinem Inneren lag… oder einfach an beidem. Benni warf ihm einen besorgten Blick von der Seite zu. „Rico?“ Er wollte eigentlich noch mehr sagen, doch dazu kam er nicht, denn der Angesprochene stürzte auf Holly zu und kniete sich vor ihn. Seine Hände lagen auf den Knien des Sängers, in seinen Augen standen Sorge, Erschöpfung und Verwirrung gleichermaßen. „Ist alles in Ordnung mit dir, Holly? Was ist passiert?“ Es war ihm egal, ob seine Stimme einen fast schon hysterischen Klang hatte und was die anderen denken mussten. Er wollte einfach nur, dass es Holly endlich besser ging, doch seine Befürchtung war eine gänzlich schlimmere. Benni war inzwischen ebenfalls zu der Gruppe gestoßen. Die Krankenschwester hatte erst erschrocken angehalten, als der Violinist auf ihren Patienten zustürmte, doch nun stellte sie sich neben ihn und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Es war die Schwester, die ihm am Morgen den Weg zu Hollys Zimmer beschrieben und ihm erzählt hatte, was geschehen war. „Keine Sorge, Herr Schwibs. Es ist alles in Ordnung.“ „Ich habe diese nette, junge Dame gebeten, mich zu euch zu bringen, weil ich dachte, dass uns allen vielleicht ein bisschen frische Luft ganz gut tun würde, ehe ihr wieder geht.“ Holly lächelte. „Und da ich momentan schlecht allein durch die Gegend irren kann, macht sich ein Rollstuhl einfach besser.“ Hörbar erleichtert atmete der Violinist auf. Seine Fantasie war mit ihm durchgegangen – weiter nichts. Er schüttelte den Kopf. „Und ich dachte schon…“ „Aber vielleicht sollten Sie sich doch etwas ausruhen, Herr Schwibs. Sie sehen wirklich nicht gut aus.“, gab die Schwester zu bedenken. „Es geht mir gut. Wirklich. War nur der Schreck.“ Rico versuchte sich an einem Lächeln, doch der Versuch war nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt. „Ab hier übernehmen wir dann. Ich werde auch dafür Sorge tragen, dass Herr Loose wieder auf sein Zimmer kommt, wenn wir unsere kleine Spazierfahrt beendet haben.“ Das Grinsen schien ihm nun schon wesentlich besser zu gelingen, denn die Schwester lachte, ehe sie wieder an ihre Arbeit ging. Die kleine Gruppe machte sich langsam auf den Weg nach draußen und unterhielt sich schon wieder über ganz andere Themen. Doch zuerst musste Holly ihnen ausführlich Bericht erstatten, was die Untersuchungen bisher ergeben hatten und ob schon eine etwas sicherere Diagnose von den Ärzten bezüglich seiner Sehkraft gestellt worden war. „Soweit scheint bei mir alles heil geblieben zu sein, bis auf die paar kleineren Blessuren und Kratzer; das haben jetzt auch diverse andere Untersuchungen bestätigt. Ich muss mich wohl noch ein bisschen schonen und vor allem wird sich in den nächsten Tagen herausstellen, wie schlimm meine Kopfverletzungen wirklich sind. Also an und für sich nur gute Nachrichten.“ Der Sänger grinste und auch wenn Rico kurz davor war, ihm wieder einmal zu widersprechen, hielt Benni ihn mit einem kurzen Kopfschütteln davon ab. Auch die anderen schwiegen, was das Augenlicht ihres Frontmannes betraf und freuten sich stattdessen, dass wenigstens der Rest in Ordnung war. Lautlos seufzend schob Rico den Rollstuhl vor sich her und versank in Gedanken, während die anderen schon wieder lachten und Witze machten. Vielleicht hatte Benni ja wirklich recht und Holly wollte wirklich nur den Starken spielen, um ihnen keine Sorgen zu bereiten. Aber andererseits… er kannte Rico und wusste, dass er so bei ihm eigentlich nur das Gegenteil erreichte. Und wie schafften die anderen Mitglieder der Instanz es nur, jetzt schon wieder so fröhlich und gewohnt miteinander umzugehen, als würden sie sich nur ganz normal im Studio oder auf ein Bier treffen? Wahrscheinlich war es keine mangelnde Fürsorglichkeit, sondern eher eine Art Aufmunterungsversuch für Holly. Vielleicht wollten sie ihm einfach zeigen, dass er sich keine Gedanken um sie machen musste und gleichzeitig dafür sorgen, dass er seine eigene Unsicherheit für einen Moment vergaß… Doch dazu war Rico nicht imstande – nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen. Nach einer Weile verabschiedeten sich die anderen dann von Rico und Holly. Auf ihre Frage, ob Rico noch mit in eine Bar kommen wolle, entschuldigte sich der Violinist mit den Worten, er wolle lieber nach Hause und sich noch ein wenig erholen. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, doch dem Dunkelhaarigen war auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen. Die anderen schienen es jedoch zu schlucken, denn Benni nahm ihn zum Abschied mit verständnisvollen Augen in den Arm, ehe auch er den anderen folgte. Rico winkte der kleinen Gruppe, ehe er sich wieder Holly zuwandte. „Dann wollen wir mal. Ab zurück aufs Zimmer.“ Er lächelte matt, auch wenn er wusste, dass der Sänger es eh nicht sehen könnte. Es herrschte ein kurzes Schweigen zwischen ihnen; Rico wartete auf eine Reaktion Hollys, doch die kam nicht. Und das beunruhigte den Violinisten erneut. „Holly?“, fragte er besorgt. Er kniete sich vor den Sänger hin und sah zu ihm auf. Als er jedoch bemerkte, was der Grund für sein Schweigen war, bildete sich das erste ehrliche und warmherzige Lächeln auf seinen Lippen seit Holly sich das letzte Mal von ihm verabschiedet hatte. Der Sänger war eingenickt – wahrscheinlich war das alles doch ein wenig zu viel für ihn gewesen. Rico schob den Rollstuhl so leise er konnte zurück zum Eingang des Krankenhauses und hoch in Hollys Zimmer. Dort legte er den Sänger zusammen mit einer Schwester zurück auf sein Bett und deckte ihn zu. Nachdem die Schwester das Zimmer wieder verlassen hatte, setzte er sich auf den Stuhl an dem er auch am Morgen schon gesessen hatte und betrachtete Holly eingehend. Sein Gesicht – oder zumindest das, was man davon sehen konnte – wirkte ruhig und entspannt. Vorsichtig strich der Violinist ihm über die Wange und lächelte erneut. „Immer willst du den Starken spielen, damit wir uns keine Sorgen machen… aber du bist doch auch nur ein Mensch.“ Ihm war nicht einmal bewusst, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Doch eigentlich war es nur ein Flüstern gewesen, das nun regelrecht im Raum schwebte… Als Holly erwachte, wusste er nicht sofort, wo er war. Das erste, was er bemerkte, war dieser typische Krankenhausgeruch – eine Mischung aus Desinfektionsmitteln und Krankheit. Langsam erinnerte er sich, wie sich die anderen von ihm verabschiedet hatten, nachdem sie in der Parkanlage spazieren waren. Danach musste er wohl eingenickt sein. Doch dann stieg ihm noch ein anderer Geruch in die Nase. Er war nur sehr schwach und kam ihm dennoch sehr vertraut vor. Als der Sänger sich ein wenig widerwillig streckte und vorsichtig aufsetzte, spürte er, dass etwas auf seinem Bett lag. Oder jemand. Er war jedenfalls nicht allein im Raum. Sein Geruchssinn sagte ihm, dass sich die Person wohl relativ mittig auf seinem Bett befand. Etwas überrascht stellte er fest, dass die Ärzte nicht übertrieben hatten: seine anderen Sinne ersetzten ihm sein Augenlicht erstaunlich schnell. Es war ihm vorhin schon aufgefallen, als er mit den anderen unterwegs gewesen war. Auch Geräusche und Stimmen nahm er wesentlich klarer und deutlicher war als zuvor. Oder vielleicht war er sich dessen auch einfach nur mehr bewusst, da er sich momentan nicht auf seine Augen verlassen konnte. Vorsichtig tastete Holly nun mit der Hand das Laken entlang, bis er gegen ein Hindernis stieß. Es handelte sich um den Arm eines Menschen. Scheinbar schlief jemand mit verschränkten Armen auf seinem Bett. „Rico?“, fragte er leise und berührte die Person sanft an der Schulter. Als der Angesprochene zusammenzuckte, zog Holly instinktiv die Hand zurück. „Holly? Du bist ja wach.“ Es war eindeutig Rico. Wer auch sonst. Aber er hörte sich ziemlich verschlafen an und auch ohne etwas sehen zu können, war Holly klar, dass er völlig fertig sein musste. Die Stimme eines Menschen verriet viel über dessen Gemütszustand – besonders wenn man, so wie Holly momentan, darauf angewiesen war, Leute an ihrer Stimme zu erkennen. Holly lächelte. „Ja, bin gerade aufgewacht.“ Er hörte ein leises Rascheln und nahm an, dass Rico sich aufgesetzt hatte. „Was machst du noch hier? Ich dachte, du wolltest dich zu hause ausruhen.“ Zuerst schwieg der Violinist. Er schien zu überlegen, wie er antworten sollte. „Als könnte ich das. Mich ausruhen, meine ich…“ Er seufzte leise. Holly konnte die Erschöpfung, aber auch die immer noch vorhandene Sorge Ricos hören. „Ich wollte einfach noch bei dir bleiben.“, meinte der Dunkelhaarige dann etwas leiser. Holly schüttelte nun ebenfalls seufzend den Kopf. „Also wirklich, Stolzi. Du kommst noch um vor Sorge. Mir wäre es, offen gesagt, auch lieber, wenn du dir mal eine Auszeit nehmen würdest. Fahr nach Hause, mach dir irgendwas vernünftiges zu essen und leg dich ein bisschen auf's Ohr. Das wird dir gut tun. Und dann sieht die Sache auch gleich viel besser aus, glaub mir.“ Wieder lächelte der Sänger, diesmal aufmunternd und warmherzig. „Nein.“ Ricos Reaktion kam fast ein wenig zu schnell und so biss er sich verlegen auf die Zunge. Verdammt! Holly hatte ohnehin schon genug von seiner offensichtlichen Zuneigung mitbekommen. Wenn das so weiter ging, würde er bald nicht nur ihm einiges zu erklären haben. „Mir geht’s gut. Wirklich. Ich mach mir halt einfach Sorgen um dich und das kann ich auch nicht so ohne weiteres abstellen.“ Diesmal war seine Stimme betont ruhig und er hoffte, dass dem Sänger nicht allzu sehr auffiel, wie wichtig es ihm war, hier zu bleiben. „Außerdem kann ich zu Hause eh nicht schlafen.“, murmelte er dann mehr zu sich selbst, als an Holly gewandt. Ein kurzes Schweigen trat ein, das von Holly nach einigen Momenten jedoch wieder gebrochen wurde. „Rico?“ „Hm?“ Offensichtlich war der Violinist ein wenig in Gedanken versunken. „Mal abgesehen davon, dass du dir viel zu viele Gedanken um meinen Zustand machst… Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?“ Holly wirkte sehr ernst, das Lächeln auf seinen Lippen war verschwunden. „Du bist die ganze Zeit schon so still – besonders vorhin, als wir draußen waren. Du hast kaum ein Wort gesagt. Und dass du dich schon immer mehr um das Wohl anderer gesorgt hast, als um dein eigenes, weiß ich ja. Aber momentan bist du regelrecht…“ Er schien kurz nach einem passenden Wort zu suchen, doch ihm fiel keines ein. „… weiß auch nicht. Jedenfalls benimmst du dich so, als würde mein Zustand irgendwas in dir auslösen oder dich an irgendetwas erinnern, an das du nicht denken willst oder vor dem du Angst hast. Ich möchte nicht sagen, dass du dich komisch verhältst, aber irgendwas ist doch los mit dir… Was bedrückt dich?“ Überrascht, dass dem Sänger diese Tatsache nicht entgangen war und auch ein wenig wütend auf sich selbst, dass er sie nicht besser verschleiert hatte, sah Rico Holly eine Weile nur schweigend an. Er überlegte, wie er am besten darauf reagieren sollte, ohne Holly vor den Kopf zu stoßen, ihm eine billige Ausrede aufzutischen oder zu viel von sich bzw. seinen Gefühlen zu verraten. Keine leichte Aufgabe. Doch Holly schien sein Schweigen auch als eine Art Antwort aufzufassen und sich sein eigenes Urteil zu bilden. „Wenn du nicht darüber reden willst, ist das okay, Stolzi.“ Er deutete ein Lächeln an, das jedoch nicht allzu überzeugend ausfiel. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Aber ich mach mir wirklich Sorgen. Es ist nicht besonders… gesund all seinen Kummer in sich hineinzufressen und zu versuchen, allein damit klarzukommen. Wozu hat man denn schließlich Freunde?“ Es sollte wohl offensichtlich ein Versuch sein, ihn aufzumuntern, doch bei den Worten des Sängers zog sich Ricos Herz nur noch weiter zusammen. Wie sollte er denn mit den anderen – oder mit irgendwem – darüber reden? Er konnte ja schlecht zugeben, dass er in einen Mann verliebt war, noch dazu in den Frontmann ihrer Band… Die Reaktion der anderen wollte er sich lieber nicht ausmalen. „Ich… komm schon klar. Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen.“ Rico versuchte so beschwichtigend wie möglich zu klingen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. „Werd lieber selbst erst mal wieder fit.“ Das Lachen klang selbst in seinen eigenen Ohren hohl und gespielt. Nach einer kurzen Pause räusperte er sich. Die entstandene Stille war mehr als unangenehm. „Aber ich sollte auch langsam nach Hause.“ Eigentlich wollte er am liebsten gar nicht weg von Holly, doch das hätte er nie begründen können. Und jetzt brauchte er etwas Zeit zum Nachdenken, da die Frage Hollys ihm immer noch auf der Seele brannte. Die Frage, auf die er ihm keine ehrliche Antwort geben konnte. Doch es war nicht so, dass er nicht darüber reden wollte… Eigentlich würde er nichts lieber tun, als sich von dieser Last zu befreien, indem er mit jemandem darüber sprach. Doch mit wem? Er kannte niemandem, dem er genug vertraute, der auch nur ansatzweise Verständnis dafür hätte. Zumindest war er fest davon überzeugt und er hatte keine Lust, es darauf ankommen zu lassen – dazu waren ihm seine Freunde und die Band viel zu wichtig. „Natürlich, wenn du dich ein bisschen ausruhen willst, kann ich das verstehen; wie gesagt: es wäre mir ohnehin lieber. Und es ist ja auch nicht wirklich gemütlich hier.“ Holly versuchte offensichtlich, die Stimmung irgendwie ein wenig aufzulockern. Doch es wollte ihm nicht so recht gelingen, da er selbst nicht ganz davon überzeugt war, was er da sagte. Rico schwieg auf seine Worte hin und betrachtete den Sänger nur nachdenklich. Er war bereits aufgestanden, bewegte sich jedoch keinen Schritt von Hollys Bett weg. „Du wirst dich doch ausruhen, oder Stolzi?“, fragte letzterer nun wieder völlig ernst, da auch er bemerkt hatte, dass die Stimmung wohl so gedrückt und angespannt blieb. Erneut räusperte sich der Violinist. „Klar. Ich werd mich ein wenig auf's Ohr hauen, sobald ich zu Hause bin.“ Doch der Dunkelhaarige wusste schon in dem Moment, als er die Worte aussprach, dass sie eine Lüge sein würden. Holly schien genau dies auch zu ahnen, denn er ließ nicht locker. „Versprichst du mir das? Du hast wahrscheinlich nicht besonders viel geschlafen. Immerhin siehst du aus wie eine wandelnde Leiche, wenn ich den Worten der Schwester Glauben schenken kann.“ Ein wenig verstimmt, verdrehte der Dunkelhaarige die Augen. Toll… die Krankenschwester hatte auch noch brav alles ausgeplaudert… Da konnte er seine mühevoll aufgebaute Fassade auch gleich einreißen. Innerlich über dieses Plappermaul von Krankenschwester grummelnd, seufzte er theatralisch. „Von mir aus. Ich verspreche es.“ „Das will ich hoffen. Sonst mach ich hier so lange Terror, bis die mich rauslassen und ich persönlich dafür sorgen kann, dass du ins Bett kommst.“ Holly deutete ein Lächeln an. So zweideutig, wie es für Rico klang, hatte er es wohl offensichtlich nicht gemeint. Sein Lächeln war kein Grinsen und es kam auch sonst kein dummer Kommentar dazu. Doch er schien sich der Zweideutigkeit seiner Worte auch nach dem kurzen Schweigen Ricos nicht bewusst zu sein. „Also dann… ich komm dich morgen wieder besuchen.“, meinte der Dunkelhaarige schnell. Er wollte jetzt nur noch raus aus diesem verdammten Zimmer, raus aus dem verdammten Krankenhaus und an die frische Luft. Er brauchte erst mal wieder einen kühlen Kopf… „Aber… du musst doch nicht jeden Tag hier herkommen. Das ist doch ein viel zu weiter Weg.“, protestierte Holly noch. „Außerdem muss ich dich dann ja jeden Tag ertragen – ob ich das aushalte?“ Das Grinsen, was sich auf seinen Lippen zeigte, war – wenn auch nur gespielt – nur ein weiterer Versuch, die ganze Situation irgendwie aufzulockern. Und die Tatsache zu überspielen, dass er sich mehr Sorgen um Rico machte, als er zugeben wollte. Doch eigentlich war die Aussicht, ihn bald wiederzusehen, durchaus angenehm – das konnte er, zumindest vor sich selbst, kaum verleugnen. Wenn da nicht dieser bittere Beigeschmack wäre, dass er dem Violinisten viel zu viele Sorgen und Umstände bereitete… „Ach was. Das macht mir nichts aus. Bis dann.“ Allein der Umstand, dass Rico nicht weiter auf seine Bemerkung einging, sorgte bei Holly dafür, dass er sich gleich wieder Gedanken machte, was mit seinem Bandkollegen los sein könnte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es ihm sehr wohl etwas ausmachte, wenn Rico jeden Tag den ganzen Weg von seiner Wohnung in Dresden bis hierher und wieder zurück fahren würde… und das nur wegen ihm. Rico erging es derweil nicht anders: schnellen Schrittes lief er durch die Gänge des Krankenhauses, stieß drei Mal fast mit anderen Patienten und Schwestern zusammen und wurde erst wieder langsamer, als er endlich vor dem Eingang stand und ein leichter Wind angenehm über sein Gesicht strich. Verdammt… Warum musste Holly aber auch ausgerechnet in solch einer Situation so direkt fragen, was mit ihm los sei? Und diese blöde Bemerkung hatte Erinnerungen in ihm wachgerufen, die er für mehr als unpassend in ihrer momentanen Lage hielt. Allein dadurch herrschte erneut ein heilloses Durcheinander aus Gedanken und Emotionen in seinem Inneren. Holly wusste doch ganz genau, an was Rico denken würde, wenn er davon sprach, dass er „persönlich dafür sorgen“ würde, dass er ins Bett kommt… Und da sie nur wenige Stunden vor dem verhängnisvollen Unfall miteinander geschlafen hatten, kamen die Erinnerungen daran erst recht hoch – und zwar sehr intensiv. Doch da er sich immer noch ungemein Sorgen um den Sänger machte, konnte er die Bilder und Gefühle, die das Geschehene mehr oder weniger unfreiwillig Revue passieren ließen, nicht einmal genießen. Trotzdem würde Holly das nicht verstehen. Er sah die Sache viel zu locker – egal, ob Benni nun recht hatte oder nicht. Holly war zu leichtgläubig. Das war Ricos Meinung. Und genau das machte ihm so sehr zu schaffen… Aber er konnte es dem Sänger ja nicht mal vernünftig begreiflich machen, da er sich sonst selbst verraten würde; und seine Fassade wollte er um jeden Preis aufrecht erhalten. Das allein fiel ihm schon schwer genug. Aber noch schwerer wurde es, wenn er mit Holly allein war. Auch noch in Momenten wie diesen. Dann war er jedes Mal kurz davor, alle Vorsicht und Vernunft in den Wind zu schlagen und seinem geliebten Holly alles zu sagen. Ihm einfach alles zu gestehen. Doch bisher hatte er sich immer zusammenreißen können. Mit viel Selbstbeherrschung hatte er es ein ums andere Mal geschafft – irgendwie. Doch Holly machte es ihm nicht gerade leicht… Kapitel 6: Lullaby ------------------ In den folgenden Tagen kam Rico, wie versprochen, sobald die Besuchszeiten im Krankenhaus, in dem Holly lag, anfingen und ging oftmals entweder am späten Nachmittag oder wenn ihn eine Schwester darauf hinwies, dass sich Besucher doch bitte langsam verabschieden sollten. Holly hatte es aufgegeben, Rico davon zu überzeugen, sich einfach mal einen Tag Ruhe zu gönnen. Und Rico ließ im Gegenzug das Thema Zukunft auf sich beruhen. Auch wenn er sich natürlich immer noch unheimlich Sorgen um den Sänger der Instanz machte; von seinen Ängsten und dem Gefühlschaos in seinem Inneren ganz zu schweigen. Holly erging es derweil nicht anders. Er machte sich nach wie vor Gedanken um Ricos Zustand und fragte seine restlichen Bandkollegen, wann immer er die Zeit dazu fand, nach dessen Befinden. Doch das war leichter gesagt, als getan. Denn die anderen Mitglieder der Instanz kamen abwechselnd und ohne Ankündigung. So hatte der Sänger mal viel, mal wenig Besuch. Und Rico ließ es sich nie nehmen, trotzdem bei Holly zu bleiben – auch wenn die anderen da waren. Einerseits fand der Berliner es ja irgendwie rührend, wie sehr sich der Violinist um ihn kümmerte; andererseits konnte er nicht abstreiten, dass er seine Gesellschaft sehr genoss, auch wenn sie ihm Sorgen bereitete. Denn so war er immerhin von der Situation, in der er sich momentan befand, abgelenkt – allerdings wurde er auch tagtäglich daran erinnert, wie sehr Rico sich für ihn aufopferte und wie ausgebrannt er inzwischen sein musste. Dass das nicht nur an den ständigen Fahrten zum Krankenhaus und zurück lag, ahnte Holly jedoch nicht im geringsten… Es dauerte fast eine Woche bis endlich die Ergebnisse der ganzen Untersuchungen feststanden, die in der Zwischenzeit gemacht wurden. Und die Diagnose bezüglich Hollys Augenlicht. Rico erzählte gerade von seiner chaotischen Fahrt zum Krankenhaus, als ein Arzt in Begleitung einer Schwester hereinkam. Nachdem Holly ihnen versichert hatte, dass er Rico ohnehin sofort von den Ergebnissen erzählen würde und er somit im Raum bleiben konnte, nickte der Arzt. Der Dunkelhaarige griff indes instinktiv nach Hollys Hand, während der junge Mann begann, dem Sänger irgendwelche medizinischen Zusammenhänge begreiflich zu machen. Die Schwester überprüfte derweil die Infusion und stellte sich anschließend wieder neben den Arzt. Holly spürte den leichten Druck an seiner Hand und musste beinahe überrascht schmunzeln. Scheinbar war Rico angespannter und nervöser als er selbst. „Kurz gesagt: So wie es aussieht, werden Sie ihre vollständige Sehkraft zurückerlangen. Wir werden morgen noch eine abschließende Kontrolluntersuchung durchführen; aber ich denke, dass Ihrer morgigen Entlassung nichts im Wege steht. Sie haben sich wirklich schnell erholt.“ Die Schwester schenkte Holly ein Lächeln, was dieser zwar nicht sehen konnte, doch darum ging es bei der Geste ja auch nicht. Auch der Arzt war sichtlich erfreut, die gute Nachricht überbringen zu können. Und Rico war schlicht sprachlos. Er konnte in dem Moment noch weniger klar denken, als er es in letzter Zeit gekonnt hatte und wäre am liebsten dem jungen Mann oder der Schwester um den Hals gefallen… oder Holly. Dieser grinste währenddessen gut gelaunt. „Siehst du, Stolzi? Und da machst du dir Sorgen. Mich kriegt man nicht so schnell kaputt.“ Rico wollte etwas erwidern, brachte jedoch keinen Ton hervor. In diesem Moment war er einfach nur glücklich – alles andere zählte für ihn nicht mehr! Holly würde wieder sehen können. Das war wie ein Traum. „Wir werden Ihnen den Verband trotzdem heute schon entfernen, um zu sehen, ob mit Ihren Augen wirklich alles in Ordnung ist und dass Sie keine bleibenden Schäden davontragen. Am Anfang wird Ihnen wahrscheinlich alles sehr grell vorkommen, auch ein leichter Druck auf den Augen und Kopfschmerzen sind häufige Folgen. Und denken Sie daran, dass Ihre Augen sich erst langsam wieder daran gewöhnen müssen, zu arbeiten. Sie werden also erst mal noch etwas verschwommen sehen. Aber das gibt sich sehr schnell, keine Sorge. Sie sollten Ihre Augen aber noch nicht zu sehr anstrengen und sie stattdessen ein bisschen schonen – Kino, Disco, zu langes Fernsehen oder zu lange Arbeit vor dem PC würde ich also erst mal bleiben lassen. Und Sie sollten in regelmäßigen Abständen Nachsorgeuntersuchungen machen lassen. Zumindest über einen gewissen Zeitraum. Aber das erklären wir Ihnen dann morgen, wenn die letzten Untersuchungen durch sind.“ Lächelnd wandte er sich an die Schwester. „Also dann…“ Sie nickte und ging um Hollys Bett herum. „Wir bringen Sie jetzt in ein anderes Zimmer, dass man besser abdunkeln kann. Das macht es Ihren Augen leichter, sich langsam wieder an das Sehen zu gewöhnen.“ Rico, der immer noch nicht ganz glauben konnte, was er gerade erfahren hatte, lief wie in Trance neben Hollys Bett her, als dieser verlegt wurde. Das Zimmer, in das man den Sänger brachte, war mit Jalousien und Vorhängen versehen und konnte so je nach Bedarf verdunkelt werden. Als der Arzt den Raum eilends verließen, da er zu einem Notfall gerufen worden war, herrschte schummeriges Halbdunkel. Eine kleine Lampe brannte auf dem Nachttisch, die jedoch in ihrer Helligkeit gedimmt war und nur ein schwaches Leuchten von sich gab. Die Schwester begann derweil Holly den Verband abzunehmen. Nach und nach kamen dessen Augen darunter zum Vorschein, die er noch immer geschlossen hatte. „Sie können die Augen ruhig öffnen.“ Langsam, wie in Zeitlupe hob Holly die Lider, schien jedoch im ersten Moment immer noch so orientierungslos zu sein wie zuvor. „Das könnte jetzt ein bisschen unangenehm sein. Aber ich muss Ihnen in die Augen leuchten, um zu sehen, ob ihre Reflexe richtig funktionieren.“ Mit einer kleinen Stablampe leuchtete die Schwester Holly kurz in beide Augen, der diese daraufhin leicht zusammenkniff. Es schien wirklich nicht besonders angenehm zu sein und Rico war erneut kurz davor, die Hand des Sängers zu ergreifen. „Au! Das tut ja wirklich weh.“, jammerte Holly genau in diesem Moment. „Sehr gut. Dann ist alles ganz normal.“ Die Schwester lachte beim Anblick des leicht schmollenden Hollys. „Auch wenn es sich komisch anhört: das ist wirklich ein gutes Zeichen – wäre es nicht ein wenig schmerzhaft, wenn ich Ihnen nach so langer Zeit in völliger Dunkelheit direkt in die Augen leuchte, dann müssten wir uns ernsthafte Sorgen um Ihre Nerven machen. Aber keine Sorge: mehr mache ich nicht. Ab jetzt können sich Ihre Augen ganz in Ruhe daran gewöhnen, wieder etwas zu sehen. Sollten Sie später immer noch Schmerzen haben, rufen Sie uns einfach.“ Lächelnd verließ sie den Raum. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, wandte sich der Sänger an Rico, der sich gerade – immer noch sprachlos – auf einen Stuhl neben Hollys Bett fallen ließ. Er war froh darüber, dass der Raum dunkel war. Denn einerseits konnte Holly so seine Erschöpfung und seine Augenringe nicht sofort sehen und andererseits blieben auch seine Tränen, die in seinen Augen glitzerten, so im Verborgen. Zwar machte sich der Violinist nach wie vor ein bisschen Sorgen, da er wusste, dass Holly Arztbesuche nicht besonders mochte; doch momentan war er vor allem eins: erleichtert. Und so hatte er auch die Tränen der Freude nicht zurückhalten können, als er endlich wieder in die wunderschönen Augen des Sängers hatte blicken können. Zum Glück war der Schwester das Ganze entgangen und jetzt wischte er sie schnell weg und tat so, als würde er sich nur durch die Haare streichen. Immerhin konnte er nicht mit Sicherheit sagen, wie viel Holly schon erkannte und sicher war sicher. „Nachsorgeuntersuchungen – na toll…“ Der Sänger seufzte theatralisch, doch Rico war sich ziemlich sicher, die Erleichterung darin hören zu können. Wahrscheinlich war auch Holly einfach froh, dass alles gut ausgegangen war. „Als hätte ich die Zeit für sowas, wenn wir auf Tour sind.“ „Holly!“, entfuhr es dem Violinisten sofort. „Wie kannst du jetzt schon wieder ans Touren denken?! Hast du dem Arzt nicht zugehört? Du sollst deine Augen schonen und erst mal wieder richtig fit werden. Die Tournee ist doch völlig unwichtig – die kann warten. Deine Gesundheit nicht.“ Holly lachte. „Du führst dich wirklich auf wie meine Mutter, Stolzi. Wärst du 'ne Frau, würde sie dich als Schwiegertochter sofort nehmen.“ Es war nur ein einfacher Satz, dessen eigentliche Bedeutung Holly sich wohl kaum im vollen Umfang bewusst war. Doch Rico spürte sofort wieder einen leichten Stich im Herzen. Für Holly würde er sich auch als Frau ausgeben… doch er könnte nie hundertprozentig weiblich sein. Denn er fühlte sich ja nicht in den falschen Körper hineingeboren und war eigentlich nicht enttäuscht darüber, ein Mann zu sein. Es machte manche Dinge im Leben lediglich komplizierter… „Aber ehrlich mal, Holly. Solche Untersuchungen sind wichtig. Wenn du später doch noch Folgeschäden davonträgst, können die so wenigstens rechtzeitig bemerkt und behandelt werden.“ „Ist ja schon gut – das war doch nur ein Scherz. Ich mag halt einfach keine Arztbesuche… Aber ich weiß doch selbst, dass man unsere Sinneswahrnehmung nicht so einfach wieder herstellen kann, wenn man sie einmal verloren hat. Du machst dir einfach zu viele Gedanken, Stolzi.“ Holly lächelte den Violinisten warmherzig an, der sich daraufhin ziemlich zusammenreißen musste, um nichts falsches zu sagen. Doch er konnte diesem wunderschönen Lächeln einfach nicht standhalten und so erhob er sich vom Stuhl, setzte sich auf die Kante von Hollys Bett und legte vorsichtig die Arme um den Sänger. Dieser schien im ersten Moment etwas überrascht zu sein, erwiderte die Umarmung jedoch. „Alles okay, Stolzi?“, fragte er leise. Seine Stimme klang besorgt. „Das wird es erst wieder sein, wenn bei dir auch alles wieder in Ordnung ist.“, murmelte Rico. In diesem Moment war es ihm egal, dass man die Verzweiflung in seiner Stimme deutlich hören konnte. „Ich mach mir halt immer noch Sorgen. Das war alles einfach… irgendwie… zu viel. Es hätte sonst was passieren können bei diesem Unfall! Und… und… allein der Gedanke daran lässt mich nachts nicht mehr schlafen. Ich will einfach nur, dass es dir besser geht.“ Nur mit Mühe konnte der Violinist ein Schluchzen und die erneut in ihm aufsteigenden Tränen unterdrücken. „Hey… schhhh, das wird schon wieder. Es ist doch nichts passiert. Und es macht auch keinen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, was hätte passieren können. Seien wir doch lieber froh, dass alles noch mal gut gegangen ist.“ Es klang ein wenig unbeholfen und wahrscheinlich fühlte sich Holly auch so – immerhin glich Ricos Zustand stark einem Nervenzusammenbruch und auch wenn der Sänger nicht so unsensibel war, um das zu übersehen, hatte er dennoch keine Ahnung, wie er am besten damit umgehen sollte. Rico klammerte sich indes regelrecht an ihm fest; als wollte er ihn gar nicht mehr loslassen. Und im Grunde war es auch so. Doch er bekam kein Wort heraus und schluckte nur, um seine Tränen auch weiterhin zu unterdrücken. „Hey… du machst mir langsam wirklich Angst, Rico. Ich komm mir so vor, als wäre ich todkrank, wenn du dich so an mich klammerst.“ „Holly…“ Es glich mehr einem Wimmern, doch Rico war schon froh, dass er wenigstens alles andere, was ihm auf der Zunge lag, zurückhalten konnte. „Schhh, ist ja gut.“ Beruhigend strich der Sänger dem völlig neben sich stehenden Violinisten über den Rücken. Inzwischen machte er sich ernsthafte Sorgen um dessen Zustand und überlegte, ob er vielleicht eine Schwester bitten sollte, ihm ein leichtes Beruhigungsmittel zu geben. Doch er kannte Rico und wusste, dass dieser damit nie und nimmer einverstanden wäre. Allerdings wusste er langsam wirklich nicht mehr, was er noch sagen oder tun konnte, damit Rico sich wieder beruhigte. Es kam ihm sogar fast so vor, als würde er alles nur noch schlimmer machen. Er musste ja wirklich ein toller Freund und Kollege sein… Doch dann wurden seine Gedanken von etwas anderem unterbrochen: Ricos Schultern bebten leicht. Zitterte er oder…? „Rico?“, fragte Holly vorsichtig. Keine Antwort. „Hey…“ Langsam verzweifelte auch Holly an der Situation, die ihn immer mehr überforderte. Er hatte keine Ahnung, was er sagen oder tun sollte. Also machte er einfach das, was ihm als erstes in den Sinn kam: er nahm Rico vorsichtig an den Schultern und drückte ihn sanft ein kleines Stück von sich weg, so dass er ihm in die Augen sehen konnte. Der Violinist ließ es geschehen, schloss jedoch die Augen. Holly konnte schwer sagen, ob er ihn nicht ansehen wollte oder konnte… oder beides. Doch der Anblick des Dunkelhaarigen schockierte ihn mehr, als er erwartet hatte. Obwohl ihm klar gewesen war, dass er Tränen und mit Sicherheit auch diverse Anzeichen von Erschöpfung sehen würde, hatte er nicht damit gerechnet, wie schlimm Ricos Zustand offensichtlich war. Seine Augen waren gerötet, sein Gesicht nahezu leichenblass, er hatte dunkle Augenringe und scheinbar sogar einiges an Gewicht verloren, denn irgendwie wirkte er ausgezehrt und völlig fertig. Die Tränen untermalten dieses abstrakte Abbild des sonst so fröhlichen Violinisten auf makabere Art und Weise. Hollys Herz zog sich schmerzhaft zusammen. So hatte er seinen Freund und Bandkollegen wirklich noch nie erlebt. Und es tat ihm in der Seele weh, ihn so zu sehen. Nachdem er den Dunkelhaarigen einige Sekunden völlig entgeistert angestarrt hatte, holte ein leises Schniefen ihn wieder in die Realität zurück. Noch immer liefen Tränen über Ricos Wangen und es schienen nicht die ersten zu sein, die er wegen Holly vergoss. Vorsichtig legte Holly eine Hand an Ricos Wange und hielt mit dem Daumen eine Träne des Violinisten auf. „Hey… Bitte, Rico… Du weißt doch, dass ich Menschen nicht leiden sehen kann. Nicht wegen mir. Nicht wegen sowas.“ Langsam öffnete Rico die Augen und wieder zuckte Holly innerlich zusammen. Sie waren so voller Verzweiflung und Sorge, dass der Sänger ihn am liebsten nie wieder losgelassen hätte – zumindest nicht, bis auch das letzte Fünkchen Schmerz daraus verschwunden war. In diesem Moment wurde ihm eines klar: er hatte noch nie so qualvolle Augen gesehen, die offensichtlich so viel Leid miterlebt hatten. Und dass es ausgerechnet Ricos Augen waren, machte die Sache nicht unbedingt besser. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er scheinbar völlig am Ende und durcheinander war und ihn jetzt auch noch aus diesen Augen, in denen immer noch Tränen glitzerten, zutiefst verzweifelt ansah. Irgendwie hatte er das Gefühl, es wäre das erste Mal seit langem, dass Rico wirklich seine wahren Gefühle zeigte. Doch dieser Anblick sorgte dafür, dass sich seine Brust nur noch mehr zusammenzog. Warum hatte er denn nie etwas gesagt, wenn er doch offensichtlich so sehr litt? Und weshalb musste Rico überhaupt leiden, was war der Grund dafür? Holly hätte die Antworten auf diese Fragen gern gewusst. Doch im Moment zählte das alles für ihn nicht. Sanft zog der Sänger Rico wieder in seine Arme und drückte den Kopf des Dunkelhaarigen ebenso vorsichtig gegen seine Schulter. Mit einer Hand hielt er seinen Freund fest, mit der anderen strich er ihm zärtlich durch die leicht verwuschelten Haare. Er wusste nicht, ob es Rico helfen würde, sich zu beruhigen, aber der Violinist wehrte sich auch nicht dagegen und klammerte sich stattdessen an das Krankenhaushemd Hollys. Immer wieder hörte der Sänger das leise Schluchzen, das zwar nur gedämpft zu ihm drang, aber dennoch deutlich zu erkennen war. Allein die Vorstellung, was Rico wohl gerade durchmachen musste, jagte ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Er konnte es kaum ertragen, den Dunkelhaarigen so verzweifelt zu sehen; also begann er, leise zu singen: „Schlaf, schlaf. Schlafe ein. Du bist auch heute Nacht nicht allein. Schlaf, schlaf. Schlafe ein. Ich werde jede Nacht bei dir sein.“ Er wiederholte den Text immer und immer wieder, bis Rico irgendwann wirklich ruhiger wurde und auch das Schluchzen nicht mehr zu hören war. Dennoch rührte sich der Violinist nicht und auch Holly ließ ihn nicht los. „Danke, dass du die ganze Zeit über bei mir warst, Rico.“, flüsterte der Sänger nach einer Weile, in der sie von einer nicht unbedingt unangenehmen Stille umgeben waren. „Du hast mir damit wirklich geholfen. Deine Anwesenheit hat mir Kraft gegeben… Und es war schön, als erstes ein bekanntes Gesicht zu sehen.“ Er lächelte sanft. Und auch wenn er es niemals zugegeben hätte: es war umso schöner, dass es ausgerechnet Ricos Gesicht gewesen war. „Denn die Schwester habe ich im ersten Moment gar nicht richtig erkannt – meine Sicht war noch viel zu verschwommen. War schon echt seltsam.“ Rico schwieg und hob nur vorsichtig den Kopf, um Holly in die Augen schauen zu können. Dieser erwiderte den Blick des Violinisten und für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und wieder nahm Holly ganz deutlich den ihm so vertrauten Geruch Ricos wahr. Doch diesmal lag es eindeutig an der Nähe zu ihm – immerhin hatte er sein Augenlicht ja jetzt zurück. Hollys Hand, die bis eben noch auf dem Hinterkopf des Dunkelhaarigen gelegen hatte, berührte nun zärtlich seine Wange. So wie vorhin, als er die Tränen aus Ricos Gesicht gewischt hatte. Der Sänger strich über Ricos Haut, als sei sie aus zerbrechlichem Porzellan. Und während letzterer sich in den Augen seines Geliebten verlor, verfolgte Holly die Bewegungen seiner eigenen Hand mit dem Blick. „Rico…?“ Seine Stimme war leise, fast nur ein Flüstern. Doch da es im Zimmer vollkommen still war, verstand der Violinist ihn klar und deutlich. Er sah den Sänger fragend an und schluckte. „Versprichst du mir etwas?“ „Was denn?“ „Bitte… gib mehr auf deine Gesundheit Acht. Ich weiß, dass du dir Sorgen gemacht hast und dass finde ich auch sehr rührend von dir. Aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustoßen würde, weil du dich für mich völlig aufgibst. Ich kann es nicht mit ansehen, wie du leidest! Das ist für mich selbst auch eine Qual. Besonders wenn ich der Auslöser für deinen Schmerz bin. Und momentan siehst du aus wie eine wandelnde Leiche. Ich hab Angst, dass du mir hier jeden Moment zusammenklappst. Du brauchst Ruhe und Entspannung, damit dein Körper sich erst mal ordentlich von dem ganzen Stress erholen kann!“ „Aber…“, begann Rico. Ich würde mich nun mal völlig für dich aufgeben… nur für dich und für niemanden sonst wäre ich bereit, ein solches Opfer zu bringen. „… du weißt doch ganz genau, dass ich das nicht kann. Nicht solange du noch hier drin bist. Ich kann keinen Gedanken an eine Ruhepause verschwenden, wenn ich weiß, dass sie mir außer Alpträume eh nichts bringt. Außerdem hatte ich Angst – Angst um dich, Angst um die Zukunft, Angst um die Instanz. Wie soll ich mich denn da entspannen?“ „Dann versprich mir bitte wenigstens, dass du dich ab jetzt ein bisschen erholst. Jetzt weißt du ja immerhin, dass bei mir alles in Ordnung ist und morgen bin ich ohnehin hier raus.“ „Meinetwegen, ich werd's versuchen. Aber gib mir nicht die Schuld, wenn es nicht funktioniert. Wenn ich dich morgen abgeholt hab-“ Doch Holly unterbrach ihn. „Mich abgeholt!? Mein Gott, Rico! Ich kann mir doch ein Taxi nehmen, verdammt. Sonst komm ich mir so vor, als würde ich dich nach Strich und Faden ausnutzen. Schon schlimm genug, dass du es wirklich durchgezogen und mich jeden verdammten Tag hier besucht hast. Jetzt willst du auch noch Fahrservice spielen!?“ „Aber du hast doch gesagt, dass es gut war, dass ich dich besucht hab. Und so kann ich dir wenigstens erst mal ein paar Sachen von mir leihen, bis du wieder zu hause bist.“, meinte Rico nahezu kleinlaut und wich dem Blick Hollys aus. „Es wär vielleicht ohnehin besser, wenn du die ersten paar Tage nicht unbedingt allein bleibst. Immerhin sind deine Wunden noch nicht vollständig verheilt und… man weiß ja nie… Es… wäre mir zumindest lieber, wenn ich wüsste, dass… jemand da ist.“ Der letzte Teil kam ziemlich stockend und Holly befürchtete schon, dass Rico wieder in Tränen ausbrechen würde. Doch eigentlich lag es eher daran, dass der Violinist sich zusammenreißen musste, um die Worte neutral klingen zu lassen. Denn eigentlich gefiel ihm die Vorstellung, dass irgendjemand bei Holly war, ganz und gar nicht… „Es war ja auch schön, jemanden zum Quatschen zu haben und so. Aber ich hab dir damit doch auch eine ganz schöne Last auferlegt – jeden Tag den ganzen Weg hierher und zurück… Mein schlechtes Gewissen hat sich schon gemeldet, als ich dich nicht davon abhalten konnte, am zweiten Tag wiederzukommen.“ Holly seufzte. „Also ich denke, ich komm auch allein zu recht. Ist ja nicht so, dass ich auf Krücken durch die Gegend humpeln muss oder sonst was. Und mal ehrlich: wer soll denn für die paar Tage bei mir einziehen? Ich kann doch niemanden um sowas bitten.“ Rico sah wieder zu ihm auf. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment und Holly legte fragend den Kopf schief. „Dann muss ich eben ein Auge auf dich haben.“ Der Satz kam ganz automatisch und keine Sekunde später biss sich der Dunkelhaarige auf die Zunge. Eigentlich hatte er es nicht aussprechen wollen, doch nun war es zu spät… Schnell wandte er den Blick wieder ab. Erneut hörte er Holly seufzen. „Du gibst wohl nie auf, was Stolzi?“ Vorsichtig riskierte der Angesprochene einen Blick zu dem Sänger. Doch statt eines genervten Gesichtsausdrucks sah er nur das warmherzige Lächeln Hollys. „Na schön, ich gebe mich geschlagen. Aber nur weil ich keine Lust auf endlose Diskussionen hab – damit das klar ist!“ Kapitel 7: Paradise ------------------- Wie verabredet, holte Rico Holly am nächsten Tag aus dem Krankenhaus ab und fuhr ihn nach Hause. Die letzten Untersuchungen waren nach Aussage der Ärzte mehr als zufriedenstellend und ließen auf eine schnelle, vollständige Genesung hoffen, was Ricos Herz gleich noch ein wenig höher schlagen ließ. Und seine Sorgen ein wenig mehr verdrängte. Als die beiden Mitglieder der Instanz endlich in Berlin ankamen, gingen sie zunächst einkaufen. Denn Hollys Kühlschrank füllte sich schließlich nicht von allein. Danach fuhren sie weiter zur Wohnung des Sängers. Rico hatte sich gleich ein paar Sachen mitgenommen, damit er für die nächsten Tage auf den Sänger aufpassen konnte. Auch wenn er nach wie vor noch nicht ganz realisiert hatte, was seit gestern alles geschehen war… Nicht nur, dass Holly aller Wahrscheinlichkeit nach wieder völlig gesund werden würde. Nein, er konnte auch noch persönlich dafür sorgen, dass der Sänger sich wirklich erholte und durfte die nächste Zeit bei ihm bleiben! Trotz aller Sorgen, die sich der Violinist immer noch machte, konnte er nicht leugnen, dass er bei dem Gedanken an die bevorstehenden Tage einfach glücklich war. Zwar würde es sehr mühevoll werden, weiterhin seine Gefühle vor Holly zu verbergen, aber darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn es soweit war. Und während Rico sein leichtes Lächeln gar nicht mehr ablegen wollte, machte auch Holly so seine Pläne, was die Zeit mit seinem Bandkollegen anging. Denn ganz uneigennützig war es nicht gewesen, dass er sich nahezu ohne Widerrede auf das Angebot Ricos eingelassen hatte. Immerhin sah der Dunkelhaarige trotz seines nun wenigstens wiedergefundenen Lächelns nach wie vor aus wie eine wandelnde Leiche. Und Holly hatte vor, genau das zu ändern. Wenn Rico bei ihm war, konnte er wenigstens dafür sorgen, dass dieser mal ordentlich ausschlief und auch wieder etwas vernünftiges zu essen bekam. Und vielleicht würde er sogar ein bisschen mehr aus ihm herauskriegen, als nur die bloße Aussage, dass er sich Sorgen um ihn machte… Denn Holly war der festen Überzeugung, dass das nur die halbe Wahrheit war. Da musste noch mehr sein – kein Mensch, auch wenn er noch so fürsorglich war, würde derart ausgezehrt und fertig sein, nur weil er sich Sorgen um irgendjemanden machte, der nicht mal sterbenskrank war. So kam es, dass Holly und Rico die kommende Woche fast ausschließlich gemeinsam verbrachten. Da der Sänger eigentlich vorgehabt hatte, ein wenig umzuräumen, hatte er das Gästezimmer vorübergehend als Abstellkammer für all jene Dinge genutzt, die er entweder wegschmeißen oder ordentlich verstauen wollte. Das wiederum hatte nun zur Folge, dass Rico ebenfalls in dem Doppelbett schlafen musste. Natürlich hatte er dagegen keinerlei Einwände, auch wenn er sich sicher war, dass es ihm die ein oder andere schlaflose Nacht oder diverse Problemchen am Morgen bereiten würde. Doch das war ihm so ziemlich egal – Hauptsache er konnte in Hollys Nähe sein… Entgegen seiner Befürchtungen schlief der Violinist jedoch sehr gut; die ständige Sorge und der alles andere als gesunde Tagesablauf der letzten Zeit forderten ihren Tribut. Und da Holly nach eigenen Aussagen die Krankenhausbetten ohnehin nicht besonders mochte, entwickelte auch er sich zunehmend zum Langschläfer. Die Tage verbrachten die beiden auf unterschiedlichste, aber immer entspannte Art und Weise. Rico hatte seine Violine dabei und spielte nicht nur an einem Abend diverse Songs der Instanz, die Holly entweder mitsang oder lediglich das Geigenspiel des Dunkelhaarigen genoss. Wenn das Wetter schön war, gingen die beiden Musiker spazieren und unterwegs essen. Oft tauschten sie dabei Ideen für neue Songs aus oder sprachen über ihre lustigsten Erlebnisse mit der Instanz. Rico wurde dadurch zunehmend ausgelassener, was Holly wohlwollend zur Kenntnis nahm und bekam auch wieder ein wenig mehr Farbe im Gesicht. Der Sänger selbst erholte sich ebenfalls schnell und vergass darüber völlig die Zeit und den Grund, warum Rico bei ihm schlief. Am dritten Abend überredete Rico Holly, in einer Bar vorbeizuschauen und den Abend dort ausklingen zu lassen. Was der Sänger nicht ahnte: die restlichen Mitglieder der Letzten Instanz waren allesamt anwesend und wollten seine Entlassung aus dem Krankenhaus und seine schnelle Genesung feiern. Die Überraschung war perfekt, denn Holly hatte wirklich nichts von der heimlichen Planung mitbekommen und freute sich wie ein kleiner Junge. An diesem Abend lachte selbst Rico viel und die Spuren seines Leids waren kaum noch erkennbar. Erst als nach circa einer Woche der erste Arzttermin anstand, wurde den beiden wieder deutlich bewusst, warum sie eigentlich jeden Tag bisher so entspannt angegangen waren… Wie Rico jedoch sehr wohl wusste, hasste der Sänger Arzttermine – das lange Warten, der sterile Geruch, die Krankheit, die einen umgab. Es gab viele Gründe, warum Holly nicht gern zum Arzt ging und deshalb beschloss Rico, ihn zu begleiten. Anfangs wollte der Sänger ihn von seinem Vorhaben abbringen, doch der Violinist blieb stur und letztlich war Holly froh, nicht allein im Wartezimmer zu hocken. Glücklicherweise bestätigte der Arzt nur, was bereits die Doktoren im Krankenhaus gesagt hatten: die Genesung Hollys schritt erfreulich schnell voran und wenn alles so weiterging, würde er gute Chancen darauf haben, keine Folgeschäden oder Spätfolgen davonzutragen. „Du scheinst ja quasi so etwas wie mein persönlicher Glücksbringer zu sein, Stolzi.“, meinte Holly grinsend, nachdem er dem Dunkelhaarigen auf dem Rückweg zum Wagen alles erzählt hatte. Es war nur ein einfacher Satz, doch Rico spürte sofort, wie er rot wurde. „Zur Feier des Tages lade ich dich ein. Also: was willst du essen?“ Etwas nervös wandte er sich ab, damit Holly die leichte Röte auf seinen Wangen nicht sah und räusperte sich, nachdem er tief durchgeatmet hatte. „Äh… keine Ahnung.“, murmelte Rico und konnte seine Gedanken kaum auf die eigentliche Frage Hollys konzentrieren. „Eigentlich würde es mir völlig reichen, wenn wir uns heute einen gemütlichen Abend bei dir machen.“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, hätte er sich dafür am liebsten die Zunge abgebissen. Was sollte das denn? Hatte er nicht vorgehabt, seine Gefühle trotz allem vor Holly zu verbergen!? Innerlich resigniert den Kopf schüttelnd sah Rico vorsichtig zu Holly, da er schon fast einen blöden Kommentar erwartete… oder einen entgeisterten Blick, wenn er ihn nun doch durchschauen würde. „Haha, du bist ja vielleicht anspruchslos. Aber meinetwegen. Dann koch ich was Schönes für dich. Da musst du dich dann aber schon entscheiden, was du willst.“ Holly lächelte ihn offen auf seine warmherzige Art und Weise an und Rico musste sich zusammenreißen, um nicht in diesen wunderschönen Augen zu versinken. „Äh, kein… kein Problem, das krieg ich hin.“ Er konnte sein Glück kaum fassen! Zwar hatten sie in letzter Zeit oft zusammen gegessen und gekocht und auch so sehr viel Zeit miteinander verbracht. Aber wenn Holly nur für ihn kochen würde, war das noch mal was ganz anderes. Die Vorfreude musste ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben stehen, denn während des gesamten Rückwegs machte Holly irgendwelche Bemerkungen über sein strahlendes Lächeln, was laut dem Sänger aussah wie das eines Honigkuchenpferdes. Doch offensichtlich freute es ihn, den Violinisten so glücklich zu sehen. Später verbannte Holly seinen Bandkollegen aus der Küche und schickte ihn ins Wohnzimmer, wo er solange warten sollte. Der etwas verwirrte Rico stand im ersten Moment ratlos vor der Couch und hörte für einige Sekunden nur dem Klappern des Geschirrs zu. Dann beschloss er, sich die Zeit mit Geige spielen zu vertreiben. Doch irgendwann wurde der Dunkelhaarige nervös – was machte Holly nur so lange in der Küche? Er war schon kurz davor, nachzusehen, ob mit dem Sänger alles in Ordnung war, da sich seine Sorge wieder zurückmeldete. Was wäre, wenn Holly zusammengebrochen war und nun bewusstlos am Boden liegen würde, während er hier dumm rumstand? Doch in diesem Moment kam Holly auch schon zur Tür herein, blieb stehen und sah Rico mit einem so sanften Lächeln an, dass dieser Mühe hatte, sich auf dessen Worte zu konzentrieren. „Darf ich bitten?“, fragte er und streckte dem Violinisten die Hand entgegen. Dieser war von dem seltsamen Verhalten des Sängers mehr als irritiert, errötete jedoch leicht, als Holly seine Hand nahm. Der Sänger geleitete den Dunkelhaarigen in das an die Küche angrenzende Esszimmer… und Ricos Kinnlade sackte zu Boden. Holly hatte nicht nur einfach Essen gemacht – er hatte quasi ein drei-Gänge-Menü gezaubert und das Esszimmer ganz nebenbei auch noch entsprechend hergerichtet. Über dem Tisch lag nun eine Tischdecke, in der Mitte stand eine Kerze und auch im restlichen Raum brannten mehrere Kerzen. Dazu hatte Holly eine passende Flasche Rotwein kühl gestellt. Es war eine Flasche, die Rico ihm mal zum Geburtstag geschenkt hatte, wie ihm bei genauerem Hinsehen auffiel. Scheinbar bemerkte auch Holly die Sprachlosigkeit des Violinisten, denn er sah ihn von der Seite her an und musterte ihn eingehend, während er noch immer seine Hand hielt. „Gefällt es dir? Ich dachte mir, dass du es nach all dem Stress und den Sorgen, die ich dir bereitet habe, nur verdient hast. Und ich wollte mich damit bei dir bedanken. Für… einfach für alles, was du für mich seit dem Unfall getan hast. Ich hab sogar extra den Wein rausgeholt, den du mir geschenkt hast. Ich glaube, jetzt ist er genug gereift und deswegen dachte ich mir, das ist doch der ideale Moment, um ihn zu trinken.“ Erst durch die leisen Worte des Sängers, die Rico einen angenehmen Schauer über den Rücken jagten, wurde er sich wieder bewusst, wo er war. Und er spürte auch wieder das leichte Kribbeln an den Stellen, wo Hollys Hand die seine berührte. Immer noch völlig überwältigt nickte er. „Es ist…“ Er schluckte, konnte die Tränen, die sich in seinen Augen sammelten, jedoch nicht unterdrücken. „Rico? Hey, was ist denn los?“, fragte Holly sofort besorgt, packte den Violinisten vorsichtig an den Schultern und drehte ihn zu sich. „Es ist nur… ich bin… einfach so glücklich. Ich danke dir, Holly.“ Und im Geiste fügte er noch hinzu: Für alles. „Hey, ist ja gut.“ Sichtlich erleichtert nahm der Sänger Rico in den Arm und streichelte ihm zärtlich über den Rücken. „Du hast dir das wirklich verdient, Rico. Ehrlich. Du brauchst dich deswegen nicht bei mir zu bedanken.“ Unfähig, etwas zu sagen und immer noch über alle Maßen gerührt von Hollys Verhalten nickte der Dunkelhaarige nur und genoss die Umarmung des Sängers für eine Weile mit geschlossenen Augen. „Aber wir sollten erst mal essen. Sonst hast du dir die ganze Mühe umsonst gemacht.“, murmelte er leise, obwohl er Holly am liebsten nie wieder losgelassen hätte. Dagegen konnte Holly nichts einwenden und ließ Rico langsam los – es kam dem Violinisten beinahe ein bisschen widerwillig vor, gerade so als hätte auch der Sänger die Umarmung am liebsten noch nicht beendet… Aber das bildete er sich sicher nur ein; immerhin hatten sie in letzter Zeit so viel gemeinsam gemacht, dass er diesen kurzen Moment der Nähe wohl überbewertete. Innerlich seufzend wandte sich Rico dem gedeckten Tisch zu und automatisch bildete sich ein leicht verträumtes Lächeln auf seinen Lippen. „Du grinst ja schon wieder so.“, meinte Holly nun ebenfalls grinsend, dem das nicht entgangen war und ging zu dem Stuhl, der Rico am nächsten Stand. Er zog ihn ein Stück nach hinten. „Bitte sehr, der Herr.“ Rico setzte sich langsam, während sein Herz einen wilden Freudentanz aufführte. Fast ein wenig zu wild für den Geschmack des Geigers. Doch das ließ er sich nicht anmerken und folgte stattdessen Holly mit dem Blick, während dieser sich ihm gegenüber niederließ. Während sie aßen, redeten die beiden über alles mögliche und lachten ausgelassen. Rico vergaß für eine Weile jegliche Sorgen und im Grunde auch alles andere um sich herum – für ihn gab es in diesem Moment nur Holly. Sie saßen noch ziemlich lange gemeinsam am Tisch, obwohl sie schon längst fertig mit essen waren. Doch die Atmosphäre war so unbeschwert, dass keiner den Moment zerstören wollte. Denn dann wären sie wohl oder übel wieder in der Realität angekommen und auch all die Sorgen und Ereignisse würden sich wieder in ihr Gedächtnis schleichen. Besonders Rico wollte das so lange wie irgend möglich hinauszögern; aber natürlich konnten sie auch nicht ewig dort sitzen bleiben und so beschlossen sie irgendwann, abzuräumen und sich dann auf die Couch zu setzen, um dort in Ruhe weiterzureden. „Du solltest deinen Augen doch regelmäßig eine Ruhepause gönnen – abgesehen vom Schlaf. Das hatte der Arzt doch gesagt, oder?“ Rico hatte sich gerade auf dem Sofa neben seinem Bandkollegen niedergelassen. „Ja. Ich soll halt mindestens alle paar Tage so 'ne Art Mittagsschlaf einlegen… Wieso fragst du?“ „Weil du das bis jetzt noch nicht gemacht hast. Und deine Entlassung ist bereits mehr als eine Woche her.“, meinte Rico mit erhobener Augenbraue. „Na ja…“ Unschuldig dreinblickend kratzte sich der Sänger am Hinterkopf. „Ich steh nicht so auf Mittagsschlaf. Und außerdem wurde mir doch heute bestätigt, dass alles in Ordnung ist. Also geht’s ja wohl auch ohne.“ Rico seufzte. „Darum geht es doch gar nicht. Mir wäre es lieber, wenn du einfach mal machen würdest, was die Ärzte dir sagen. Du könntest dich jetzt zum Beispiel ein bisschen ausruhen. Immerhin hast du eine ganze Weile in der Küche geschuftet und bist jetzt bestimmt vollgefuttert. Da würde sich das anbieten.“ Plötzlich breitete sich ein Grinsen auf den Lippen des Sängers aus, was Rico mit einer Mischung aus verwirrtem, fragendem und misstrauischem Blick quittierte. „Vielleicht hast du ja recht, Stolzi und ich sollte meinen Augen wirklich ein wenig Erholung gönnen.“ Doch ehe der Dunkelhaarige noch dazu kam, nachzuhaken, was denn nun so witzig daran sei, hatte Holly sich schon auf der Couch ausgestreckt und seinen Kopf auf dem Schoß des anderen platziert. Immer noch grinsend schloss er die Augen und rekelte sich ein wenig, um es sich noch bequemer zu machen. Rico kam nicht einmal dazu, zu protestieren, denn es verschlug ihm zum zweiten Male an diesem Abend die Sprache. Holly brachte ihn noch um den Verstand! Wobei… eigentlich hatte er das bereits getan. Doch wie sollte er so seine Gefühle im Zaum halten? Hin und her gerissen zwischen der unbändigen Freude, Holly derart nah bei sich zu haben und der Panik, dass dieser hinter seine Gefühle kommen könnte, wusste er nicht, was er tun sollte. Sein Körper hatte sich automatisch ein wenig versteift, als Holly sich hingelegt hatte; doch nun atmete er tief durch und konzentrierte sich voll und ganz darauf, völlig normal und entspannt zu wirken. Es gelang ihm sogar erstaunlich gut. Dennoch wusste er nicht, was er sagen sollte und ob ihn seine Stimme nicht am Ende verriet. Der Violinist schluckte und räusperte sich. „Na ja, wenigstens nimmst du einmal Vernunft an.“, meinte er dann leichthin und hoffte, dass Holly nicht auffiel, dass das alles nur gespielt war. Scheinbar funktionierte es, denn der Sänger lächelte nur und flüsterte: „Wenn man schon das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann…“ Rico lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Sanft legte er eine Hand über die nach wie vor geschlossenen Augen des Sängers. „Holly…“, hauchte der Dunkelhaarige, auch wenn er selbst nicht so recht wusste, wie er diesen Satz beenden oder was er überhaupt sagen wollte. „Immerhin weiß ich nicht, wie lange ich dazu noch die Möglichkeit hab. Du willst sicher irgendwann auch mal wieder nach Hause und im Grunde hast du dich ja auch lange genug um mich gekümmert… Ich will dich nicht noch mehr ausnutzen und du musst wirklich nicht mir zuliebe hier bleiben.“ Die Worte trafen den Violinisten mitten ins Herz, welches sich daraufhin schmerzhaft zusammenzog. Daran hatte er gar nicht gedacht. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass er ja nicht für immer bei Holly bleiben konnte… und dass das Thema unweigerlich irgendwann zur Sprache kommen musste. Rico biss sich auf die Unterlippe. Eines wusste er genau: er wollte nicht weg. Am liebsten wäre er gleich bei Holly eingezogen, doch natürlich konnte er das nicht. Immerhin wusste der Sänger nichts von seinen Gefühlen – und wenn er etwas wüsste, würde er es wohl noch viel weniger wollen, dass Rico blieb. Plötzlich war seine eben noch so fröhliche und ausgelassene Stimmung wie weggeblasen. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, riss ihn Holly erneut aus seinen Gedanken. „Rico? Alles okay? Du bist ja auf einmal so still.“ „Äh, ja… Ja, alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken.“ Obwohl Holly es momentan eh nicht sehen konnte, setzte der Violinist ein gezwungenes Lächeln auf. „Mir macht es wirklich nichts aus, bei dir zu bleiben. Da musst du dir keine Sorgen machen.“ Er versuchte, es irgendwie locker auszudrücken. Doch leider gelang ihm das nicht so richtig. „Aber vielleicht sollte ich tatsächlich mal wieder zu Hause vorbeischauen.“, meinte er dann nach einigen Momenten, in denen er abgewägt hatte, ob er dies wirklich aussprechen wollte… Immerhin sagte ihm sein Herz etwas ganz anderes. Aber was brachte es schon, wenn Holly nicht wollte, dass er blieb? Dann würde er sich die ganze Zeit aufdringlich und irgendwie unerwünscht vorkommen… Für einen Moment herrschte vollkommene Stille zwischen den beiden. „Tut mir leid, wenn ich dir die Laune verdorben hab.“, flüsterte Holly dann auf einmal. „Was?“ Die Verwirrung war Rico nicht nur anzusehen, man hörte sie auch deutlich aus seiner Stimme heraus. „Du wirkst auf einmal so bedrückt…“ „Äh…“ Dem Dunkelhaarigen fehlten die Worte – er konnte es schlecht bestreiten, dass er verletzt war, denn der Sänger hatte nun mal recht und Rico war nie ein besonders guter Lügner gewesen. Zumindest nicht Holly gegenüber. „Na ja… ich… hab nur völlig vergessen, dass das Leben ja einfach weitergeht.“, meinte der Violinist dann ehrlich und fügte in Gedanken hinzu: Ungeachtet dessen, was wir erleben und durchmachen. „Das wollte ich nicht. Verzeih.“ Es schien dem Sänger tatsächlich ziemlich unangenehm zu sein. „Schon okay. Irgendwann musste ich ja mal wieder in der Realität ankommen.“ Wieder lächelte der Violinist gezwungen. „Ruh dich jetzt lieber noch ein bisschen aus, damit deine Augen sich erholen können.“ Der restliche Abend verlief eher schweigsam. Nachdem die beiden Musiker noch eine Weile so auf der Couch gesessen bzw. gelegen und nur noch ein wenig über dies und jenes geredet hatten, beschlossen sie, ins Bett zu gehen. Es war schon ziemlich spät geworden und da sie sich morgen mit den anderen Mitgliedern der Instanz treffen wollten, um einige ihrer Ideen für das neue Album zu präsentieren, war es angebracht, nicht noch später schlafen zu gehen. Der nächste Tag begann zunächst genau wie die vorherigen. Nach einem ausgiebigen, entspannten Frühstück saßen Holly und Rico noch eine Weile gemeinsam am Tisch und redeten über alles mögliche. Danach ging der Sänger duschen, während Rico anfing, seine Sachen zusammenzupacken. Er hatte mit Holly ausgemacht, dass er ihn nach dem Treffen mit der Band nach Hause fahren und sich dann selbst auf den Heimweg machen würde. Einerseits konnte er den Sänger ja verstehen, dass er sich mies fühlte, weil er glaubte, Rico auszunutzen. Aber andererseits wäre er lieber noch bei ihm geblieben und fühlte sich so fast ein bisschen vor die Tür gesetzt… Seufzend warf er eines seiner Shirts in die Reisetasche, das auf einem gemütlichen Sessel im Schlafzimmer lag. Dabei fiel ein Zettel zu Boden, den Rico erst gar nicht bemerkt hatte. Doch nun hob er ihn hoch und wollte ihn schon auf die Kommode legen, als sein Blick auf die Schrift Hollys fiel. „Blind“ stand oben relativ mittig auf dem Blatt. Obwohl er sich ein wenig schlecht dabei fühlte, überwog doch die Neugier und er begann zu lesen. Es handelte sich wohl um einen Songtext, den Holly verfasst hatte… Kapitel 8: Let Down ------------------- Das Blatt zitterte in den Händen des Violinisten, als er zu Ende gelesen hatte. Alles um ihn herum drehte sich. Langsam ließ er sich auf den Sessel sinken, um dem Schwindelgefühl in seinem Kopf Herr zu werden. Dieser Songtext… er war… Rico konnte kaum klar denken, unbändige Freude durchströmte ihn und eine Woge puren Glücks durchlief seinen gesamten Körper. Konnte es vielleicht sein, dass Holly… vielleicht auch nur im entferntesten… doch Gefühle für ihn hegte? Dass er die seinen eventuell sogar erwiderte? Der Dunkelhaarige konnte es einfach nicht fassen – wenn das wirklich stimmte… Wie lange hätte er dann umsonst gelitten? Wie lange umsonst die halbe Welt belogen? Früher hatte er sich selbst immer und immer wieder jeden noch so kleinen Hoffnungsschimmer, jeden Gedanken an eine gemeinsame Zukunft untersagt. Denn die Enttäuschung wäre zu groß gewesen, das Leid zu unerträglich, um länger in Hollys Nähe bleiben zu können. Doch er konnte nicht verleugnen, dass es auch immer wieder Momente gegeben hatte, in denen es ihm besonders schwerfiel, alles nur als freundschaftliches Verhalten abzutun. Wenn Holly ihn manchmal so warmherzig und nahezu liebevoll anlächelte, wenn er auf der Bühne mit ihm tanzte oder ihn auszog – langsam und genüsslich, wenn er ihn wie zufällig berührte oder sich besorgt um ihn kümmerte. Rico konnte auch jedes Mal den Blick des Sängers auf sich spüren, wenn er mit Benni rumalberte. Bisher hatte er es als Einbildung und Wunschdenken abgetan, um sich selbst davon abzuhalten, irgendwelche Dummheiten zu begehen. Doch inzwischen war er sich dessen nicht mehr so sicher. Auch das Essen am gestrigen Abend erschien nun in einem ganz neuen Licht. Doch ehe er sich darüber Gedanken machen konnte, wie er nun auf Holly reagieren sollte, hörte er, wie die Badezimmertür aufging. Eilends legte er den Zettel mit den Lyrics auf die Kommode und wandte sich wieder seiner halb gepackten Tasche zu – auch wenn er sich kaum auf den Inhalt konzentrieren konnte. Nur Sekunden später stand Holly in der Tür. Er war vollkommen nackt – abgesehen von dem Handtuch um seine Hüfte. Der Violinist konnte es sich nicht verkneifen, seinen Blick kurz über den Körper des Sängers wandern zu lassen, ehe er sich leicht errötend abwandte. „Wenn du willst, kannst du auch noch duschen, bevor wir uns mit den anderen treffen. Noch ist es im Bad warm.“, meinte Holly ausgelassen, während er ein frisches T-Shirt aus seinem Schrank zog. „Äh, ja. Gute Idee.“ Rico hoffte, dass der Sänger seine Nervosität nicht bemerkte. „Du weißt ja, wo die Handtücher sind.“ Während Rico das Schlafzimmer verließ, musste er den Drang unterdrücken, loszurennen. Er war einfach viel zu aufgeregt und nervös. Vielleicht hätte er den Songtext doch lieber nicht lesen sollen… Doch dieser Gedanke verflüchtigte sich so schnell, wie er gekommen war. Immer wieder klang ihm der Text in den Ohren und er spürte, dass er jetzt dringend etwas Abkühlung nötig hatte. Wie sollte er sich nur in Zukunft auf Konzerten konzentrieren können? Das fiel ihm bei manch anderem Song der Instanz schon schwer – aber wenn sie wirklich diesen Song live spielen würden… Nachdem Rico die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich dagegen und atmete tief durch. Diese kleine Notiz ganz unten auf dem Zettel, die scheinbar nur hastig hingekritzelt wurde, ging ihm nicht aus dem Kopf. „2. Gesangspart?“ hatte da gestanden. Also hatte Holly vor, nicht nur Backing Vocals einzubringen, sondern einen aktiven zweiten Part… Die Vorstellung, was ihm beim Schreiben des Songs durch den Kopf gegangen sein musste, war einfach atemberaubend. Zu gut passte der Text auf ihre derzeitige Situation und auf Ricos Gefühle, als dass er sich länger davor verschließen konnte. Langsam drückte er sich von der Tür ab und begann gedankenverloren, sich auszuziehen. Er musste mit Holly darüber sprechen. Und zwar bald. Sonst würde er noch durchdrehen, denn dieser Text ließ ihn jetzt schon nicht mehr los. Doch zuerst würde er in Ruhe duschen, um wieder einen klaren und vor allem kühlen Kopf zu bekommen. Unglaublich, dass er es wirklich in Betracht zog – aber Rico machte sich ernsthaft darüber Gedanken, Holly alles zu gestehen… Das hätte er nie für möglich gehalten. Hätte ihm gestern jemand gesagt, was ihm jetzt gerade durch den Kopf ging, hätte er denjenigen ausgelacht und für verrückt erklärt. Doch nun war es tatsächlich so weit. Er würde Holly seine Liebe gestehen. Diesen Entschluss hatte er gefasst, noch während er wieder aus der Dusche kam. Er würde erst einmal das Treffen mit der Band abwarten und sehen, ob Holly den anderen schon von „Blind“ erzählen würde – was sehr wahrscheinlich war. Dann müsste er immerhin nicht zugeben, dass er ihn einfach gelesen hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen. Wenn er noch nichts sagen würde, dann… würde Rico ihm eben doch gestehen, dass er den Song bereits gelesen hatte und mit ihm über seine Gefühle reden wolle. Der Rest ergibt sich dann schon irgendwie, dachte sich der Dunkelhaarige zuversichtlich. Nachdem auch er mit duschen fertig war, packte er weiter seine Tasche, um sich irgendwie zu beschäftigen und nicht in die Verlegenheit zu kommen, dass Holly bemerkte, wie euphorisch er war. Doch natürlich gelang ihm das nur teilweise. Als Holly (nun vollständig bekleidet) zu ihm ins Schlafzimmer kam, hob sich sogleich die Augenbraue des Sängers. „Was grinst du denn so? Ist irgendwas passiert, was ich nicht mitbekommen habe?“ „Äh, nein. Ich hab irgendwie… einfach gute Laune. Ich weiß auch nicht wieso.“ Rico lachte verlegen und tat die Bemerkung mit einer schnellen Handbewegung ab. „Okay…“ Der Sänger schien nicht wirklich überzeugt zu sein und sah ein wenig misstrauisch zu seinem Bandkollegen herüber. „Ganz wie du meinst. Was ich aber eigentlich fragen wollte… Wann wollten wir uns nachher noch mal mit den Jungs treffen? Um drei?“ „Um 14 Uhr bei David. Soll ich dir auch noch die Adresse geben?“ Der Dunkelhaarige grinste Holly an, der sogleich auf das Spiel einging. „Nein, immerhin musst du fahren. Da brauch ich seine Adresse nicht zu kennen.“ Rico streckte dem Sänger die Zunge raus und beide fingen gleichzeitig an zu lachen. Die restliche Zeit verbrachte sie damit, Hollys Wohnung mal wieder ein bisschen auf Vordermann zu bringen. Der Sänger protestierte zwar, doch Rico blieb ebenso starrköpfig und letztlich einigten sie sich darauf, wenigstens ein bisschen aufzuräumen sowie die Wäsche und den Abwasch zu erledigen. Trotz allem waren sie die ganze Zeit ziemlich ausgelassen und alberten viel herum, weshalb sie doppelt so lange für alles benötigten. Und obwohl sie dadurch letztlich sogar spät dran waren, kamen sie dennoch halbwegs pünktlich bei David an. Benni steckte ohnehin im Stau und würde wohl erst in einer halben Stunde ankommen… Die anderen nutzten die Zeit deshalb, um schon mal in Ruhe ein Bierchen zu trinken und ein bisschen Smalltalk zu betreiben. Als ihr Cellist dann auch endlich eintraf und eine Flasche Bier in Händen hielt, wandten sie sich den wichtigeren Themen zu und somit auch dem eigentlich Grund ihres Treffens. Rico und Holly waren in der vergangenen Woche nicht untätig geblieben und hatten so einige Ideen zu Papier gebracht, von denen jedoch noch keine vollständig überarbeitet war. Es waren quasi alles Rohdiamanten, die noch geschliffen werden wollten. Und während man hier etwas veränderte, dort etwas rausstrich und manch Einfall gänzlich über Bord warf, verging die Zeit wie im Flug. Erst als Holly D. sich irgendwann nach hinten fallen ließ und mit Erstaunen feststellte, dass es inzwischen 18 Uhr war, merkten auch die anderen Instanz-Mitglieder, wie lange sie hier schon hockten und auf einmal wunderte sich keiner mehr, dass die Konzentration jedes einzelnen allmählich nachließ. „Hier um die Ecke hat letztens eine neue Bar eröffnet. Was haltet ihr von einem gemütlichen Feierabendbier, um den Abend ausklingen zu lassen?“ Grinsend fügte der Drummer noch hinzu: „Ich hab auch ein Gästezimmer, falls jemand zu tief ins Glas guckt.“ Gegen diesen Vorschlag hatte keiner etwas einzuwenden und so machte sich die gesamte Band auf den Weg. Rico ahnte nicht, dass dieser vermeidlich ausgelassene Abend noch eine unangenehme Wendung für ihn nehmen würde… Doch zunächst war die Stimmung unbekümmert und sorglos. Es wurde viel erzählt – alte Geschichten wurden wieder heraus gekramt und über so manch Missgeschick auf ihren bisherigen Touren gelacht. Das Unheil nahm erst seinen Lauf, als Holly auf Toilette musste. Es dauerte eine ganze Weile, bis Oli sich irgendwann laut fragte, ob er wohl ins Klo gefallen sei. Bei Rico meldete sich sofort wieder die Sorge zurück; er wurde unruhig und starrte immer wieder Richtung Herrentoilette. Allerdings waren die Türen von ihrem Tisch nicht direkt einzusehen, was den Violinisten nur noch nervöser machte. Er wollte gerade dazu ansetzen, etwas zu sagen, als Holly in sein Blickfeld kam. Jedoch nicht allein. Das Herz des Dunkelhaarigen zog sich schmerzhaft zusammen, als Holly in Begleitung einer Frau auf ihren Tisch zukam. Sie gestikulierte ein wenig beim Erzählen und beide fingen an, zu lachen. Wer auch immer sie war – sie war wirklich hübsch; das konnte der Geiger nicht abstreiten. Doch diese Tatsache machte es nur umso unerträglicher, Holly mit ihr zu sehen. Als der Sänger schließlich wieder an dem Tisch der Instanz ankam, blieb er stehen und sah gut gelaunt in die Runde. „Ich möchte euch jemanden vorstellen. Das ist Sotiria. Sie ist die Sängerin von 'Eisblume'.“ Dann wandte er sich an die Schwarzhaarige und stellte seine Bandkollegen der Reihe nach vor, die höflich grüßten. „Und… ihr kennt euch schon länger?“, fragte Benni dann, der offensichtlich – ähnlich wie der Rest der Band – etwas verwirrt von dem plötzlichen Erscheinen der Sängerin war. „Haha, nein. Wir haben uns gerade beinahe über den Haufen gerannt und sind eher zufällig ins Gespräch gekommen.“ Holly lachte gut gelaunt. „Ach so. Na, dann setz dich doch, Sotiria.“ David machte eine einladende Geste auf den noch freien Platz am Tisch, während Holly sich bereits wieder auf den seinen setzte. „Wenn ich euch nicht bei eurer Männerrunde störe… dann nehm ich das Angebot natürlich dankend an.“ Sotiria lächelte und Rico fragte sich, ob ihr wohl bewusst war, dass sie allein damit wahrscheinlich dem ein oder anderen Mann gehörig den Kopf verdrehen konnte. Der Violinist schluckte und biss die Zähne zusammen, als er sah, wie sich Sotiria direkt neben den Sänger setzte. Ihm selbst war es nicht vergönnt, neben Holly zu sitzen, da er bereits von Benni und Micha flankiert wurde. Er hatte sich einfach zu früh auf seinem Platz niedergelassen, nachdem sie die Bar betreten und sich für diesen Tisch entschieden hatten. Diesen Fehler bereute er nun umso mehr. Am schlimmsten war es jedoch für ihn, sich nichts anmerken zu lassen. Denn immerhin durften die anderen nicht mitbekommen, dass seine gute Laune so plötzlich mit dem Erscheinen der Sängerin in Schmerz umgeschlagen war. Der Violinist spürte auch einen Funken Eifersucht in sich aufkeimen, den er, so gut es ging, zu unterdrücken versuchte. Doch dies fiel ihm im Verlaufe des Abends immer schwerer. Besonders, da Holly seine Sitznachbarin auf dieselbe warmherzige Weise anlächelte, wie er ihn am gestrigen Abend angesehen hatte. Und auch dieses wunderschöne, ausgelassene Lachen… Rico hatte das Gefühl, er schenkte es ihr mindestens einmal zu viel. Sein Herz schrie sofort nach Vergeltung, dass sie den Sänger nicht verdient hätte und er hatte tatsächlich Mühe, ihre Persönlichkeit objektiv zu bewerten. Sie schien ganz nett zu sein und auch die anderen Instanz-Mitglieder kamen gut mit ihr aus – zumindest hatte es den Anschein. Doch Ricos Herz wollte in diese Situation am liebsten nur ein oberflächlich höfliches Geplänkel hineininterpretieren. Als sähe die Wahrheit ganz anders aus. Leider musste sich der Violinist jedoch eingestehen, dass er wohl der einzige war, der so dachte. Denn die anderen schienen tatsächlich immer noch genauso gut gelaunt zu sein wie zuvor. Als Sotiria dann irgendwann meinte, dass sie sie ruhig „Ria“ nennen könnten, weil es einfacher und kürzer war und die meisten ihrer Freunde das auch taten, konnte sich Rico kaum noch beherrschen. Jetzt fing sie schon mit Spitznamen an! Er wusste insgeheim, dass er ihr wohl ziemlich Unrecht damit tat, aber er konnte es kaum ertragen, wie Holly ihren Namen aussprach und sie ansah. Wie sie – fast schon etwas schüchtern und doch auf gewisse Weise aufreizend und betörend – zurück lächelte… Doch hatte er geglaubt, dies sei schon das Ende der Fahnenstange, so musste er miterleben, wie sehr er sich irrte. Denn die nächste Frage Hollys riss ihm quasi den Boden unter den Füßen weg. „Hast du nicht Lust mal einen Song mit uns zusammen zu machen? Ich hab in letzter Zeit an einem gearbeitet, bei dem ich gerne einen zweiten Gesangspart hätte. Leider haben wir ja keine Frau in der Band, deswegen wollte ich den Song schon beiseite legen. Aber du wärst, glaub ich, genau die Richtige dafür; deine Stimme würde super zu dem Stück passen.“ „Klar, gerne.“ Sotiria war sofort begeistert, was man auch an ihrem strahlenden Lächeln sah. „Ich fühle mich wirklich geehrt, dass du mich so einschätzt, Holly. Es würde mich wahnsinnig freuen, mal mit euch zusammenzuarbeiten.“ Rico war sprachlos. Er konnte nicht glauben, was er da gerade vernommen hatte. Seine bis vorhin noch so heile Welt fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Er musste sich ernsthaft zusammenreißen, um Holly nicht regelrecht entgeistert anzustarren. Und enttäuscht. Denn das war das einzige, was er in diesem Moment fühlte, in dem er einerseits so verletzt und andererseits so betäubt war, dass er sich vollkommen benommen fühlte: Enttäuschung. Wie hatte er nur denken können, dass Holly etwas für ihn empfand? Wie konnte er nur glauben, dass dieser – oder auch nur irgendein anderer – Text für ihn bestimmt war und von ihm handelte? Warum nur tat Holly ihm das an? Diese Frage beherrschte sein Denken, als er fast etwas zu hastig aufstand und sich mit den Worten, ihm wäre nicht gut, entschuldigte. Schnellen Schrittes ließ er seine Bandkollegen und Sotiria hinter sich und wollte gerade Richtung Toiletten abbiegen, als er innehielt und sich dann stattdessen zur Tür wandte. Allein die Vorstellung der Beengtheit der Toilettenkabine war eine Qual, die sein Leid nicht unbedingt verbesserte. Zwar hätte er dort seine Ruhe und könnte sich einschließen und versuchen, die Welt – insbesondere Holly und Sotiria – auszusperren, doch der Gedanke an frische, kühle Nachtluft, Dunkelheit und den Straßenlärm, der ihn vielleicht ein wenig ablenken würde, waren wesentlich erträglicher. Auch wenn Rico nicht wusste, ob das eine gute Idee war, so war sie denn immer noch besser, als sich auf der Toilette zu verstecken, wie ein Teenie in der Pubertät. Als er die Tür öffnete und ihm die kühle Luft entgegenkam, wusste er, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Wenigstens kam er hier weniger in die Versuchung, seinen Tränen, die hinter seinen Augen brannten, freien Lauf zu lassen. Denn wenn er mit verheultem und verquollenem Gesicht wieder zu seinen Jungs ging, konnte er das schlecht erklären. Nicht einmal mit Benni konnte er reden. Normalerweise half ihm das wenigstens ein bisschen, doch jetzt konnte er schlecht mit seinem langjährigen Freund unter vier Augen sprechen. Tief durchatmend und gegen die Tränen anblinzelnd legte der Violinist den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf. Die Sterne sah man kaum und auch der Mond spendete ihm keinen Trost. Warum nur hatte er sich eingebildet, dass Holly diesen Song vielleicht für ihn geschrieben hatte? Warum hatte er nie daran gedacht, dass der Sänger einzig und allein durch die Erfahrung, die er nach seinem Unfall, als noch nicht klar war, ob er sein Augenlicht zurückerlangen würde, auf die Idee gekommen war, diesen Song zu schreiben? Doch die Frage, die ihn noch mehr beschäftigte, war eine gänzlich andere: Wieso hatte Holly ausgerechnet Sotiria gefragt – eine Frau, die er seit nicht mal drei Stunden kannte? Bedeutete ihm persönlich der Songtext denn so wenig? Der Dunkelhaarige spürte, wie ihm allein der Gedanke daran, die Brust zusammenschnürte. Sein Herz verkrampfte sich immer mehr, seine Seele schien nach wie vor völlig betäubt. All das Glück, was er in den letzten Stunden empfunden hatte, umgab ihn wie ein riesiger Scherbenhaufen. Und jede einzelne Scherbe schien sich nahezu höhnisch und quälend langsam in ihn zu bohren. Rico ließ sich gegen die Hauswand sinken und spürte, wie ihm der Schmerz immer mehr Kraft entzog. All das Leid, all die Verzweiflung von früher kamen nun wieder mit voller Wucht zurück. Hatte er die letzte Woche noch als die schönste seines Lebens bezeichnet, so war dies nun das grausame Erwachen aus dem Traum, der für so wenige Tage sein Leben war. Doch in ihm regte sich neben all dem Schmerz auch noch etwas anderes… etwas, das er kaum zu unterdrücken vermochte. Etwas, das er in dieser Intensität noch nie gespürt hatte und das immer stärker wurde, je länger er litt. Als sich dann plötzlich die Tür der Bar öffnete und Holly zum Vorschein kam, wurde das Gefühl noch stärker. Rico atmete tief durch. Er wandte sich ab und war sich bewusst, dass er jetzt lieber gehen sollte. Doch der Sänger war schneller und packte ihn am Handgelenk. Ricos Körper versteifte sich augenblicklich, während er versuchte, ruhig zu atmen. „Ein Glück erwisch ich dich noch. Ich dachte schon, du wärst vielleicht einfach gegangen…“, meinte Holly beinahe erleichtert; aber auch ein wenig Unbehagen schwang in seiner Stimme mit. Er schien fast ein bisschen verunsichert – ziemlich ungewöhnlich für den sonst so selbstsicheren Sänger der Instanz. „Lass. Mich. Los.“ Rico betonte jedes einzelne Worte und sprach enorm ruhig. Zu ruhig. Verwirrt sah der Angesprochene seinen Bandkollegen an, kam seiner Aufforderung jedoch nicht nach. „Was ist mit dir los, Rico? Ist alles in Ordnung? Du benimmst dich irgendwie seltsam…“ Das war's. Das war zu viel! Rico riss sich von dem Sänger los, wirbelte herum und holte noch in der Drehung aus. Er traf Hollys Wange mit voller Wucht und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Der Sänger, der nicht mit dem Schlag gerechnet hatte, machte einen unkontrollierten Schritt nach hinten. „Hier. Das Geld für meine Drinks.“ Rico hatte wenigstens noch so viel Anstand, ihm einen Zehneuroschein hinzuwerfen, den er aus seiner Hosentasche zog. „Und jetzt lass mich endlich in Ruhe!“ Mit diesen Worten wandte er sich erneut ab und rannte in Richtung Davids Wohnung davon. Wer benahm sich hier denn bitte seltsamer!? Die ersten Tränen liefen dem Violinisten über die Wangen und ließen seine Sicht verschwimmen. In ihm loderte unbändige Wut. Kapitel 9: Klare Worte ---------------------- Während Holly noch vollkommen benommen dastand und dem Violinisten hinterher starrte, lief dieser mit tränenüberströmtem Gesicht die Straße entlang und blieb erst stehen, als er völlig außer Atem seinen Wagen erreichte. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen, schlug die Tür zu und verschränkte die Arme auf dem Lenkrad. Schluchzend und mit bebenden Schultern saß er da, den Kopf auf seine Arme gelegt und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Doch dies gelang ihm nur mit Mühe. Der Sänger der Instanz starrte indes noch immer auf die Ecke, hinter der Rico verschwunden war. Langsam drang der pochende Schmerz der Ohrfeige in sein Bewusstsein und auch die Erkenntnis darüber, was so eben geschehen war. Dennoch dauerte es einige Momente, bis er es wirklich begriff und auch die Tatsache verarbeitet hatte, dass Rico offensichtlich ziemlich verletzt war. Sein Blick war von Wut, Verzweiflung und Schmerz gezeichnet gewesen. Und er hatte Tränen in den Augen gehabt – dessen war sich Holly sicher. Dennoch konnte er es kaum fassen. Was war nur auf einmal passiert? Vorhin war der Violinist doch noch so euphorisch und gut gelaunt gewesen. Und nun dies? War wirklich er daran schuld, dass Rico so verletzt war? Eigentlich konnte es keine andere Möglichkeit geben, denn Rico hatte ihn geschlagen, war nur noch wütender geworden, als der Sänger besorgt gefragt hatte, was los sei und hatte allgemein abweisend auf die Gegenwart Hollys reagiert. Also musste er ja irgendwie der Auslöser für das Leid des anderen sein. Doch er wusste einfach nicht, wieso. Verwirrt runzelte Holly die Stirn und befühlte vorsichtig seine gerötete Wange. Zum Glück war sie nicht geschwollen, jedoch ziemlich warm. Na ja, das sah man wenigstens nicht. Und vielleicht würde die Röte in der schummerigen Beleuchtung der Bar auch nicht weiter auffallen. Langsam ging der Sänger zurück in das Lokal, legte sich auf dem Weg eine Ausrede zurecht und versuchte vorsichtig, zu lächeln. Seine Wange zog ein wenig, aber es würde schon irgendwie gehen. Wieder bei seinen Bandkollegen und Sotiria angekommen, meinte er, dass es Rico nicht gut ginge und er nach Hause fahren wollte. Auf Bennis Nachfrage meinte er, dass er versucht hätte, ihn davon abzuhalten, da es doch ziemlich gefährlich sein konnte, unter diesen Umständen Auto zu fahren. Doch Rico wäre eben ein Sturkopf und hatte seinen Willen letztlich durchgesetzt. Die anderen schienen ihm die Geschichte zu glauben, nur in dem Blick des Cellisten meinte er, Zweifel erkennen zu können. Er kannte Rico wohl einfach zu gut, als dass er diese Lüge so leichtfertig hinnehmen würde… Innerlich seufzend setzte sich Holly wieder und seine Gedanken wanderten zu dem dunkelhaarigen Violinisten. Er konnte sich kaum auf die Gespräche der anderen konzentrieren und musste sich ziemlich zusammenreißen, um nicht vollends in Gedanken zu versinken. Es fiel ihm schwer, den anderen die ganze Zeit vorzuspielen, dass alles in Ordnung sei. Wenigstens konnte er offen zugeben, dass er sich Sorgen um Rico machte; doch natürlich hatte das ganz andere Gründe, als er vorgab. Indes hatte sich Rico wieder halbwegs unter Kontrolle. Er atmete noch einmal tief durch, schob dann seine Lieblings-CD in den Player des Autoradios und drehte sie ein wenig lauter als gewöhnlich. Als die ersten Töne erklangen, wurde er allmählich ruhiger und fühlte sich schließlich gut genug, um vernünftig fahren zu können. Langsam starrte er den Wagen und machte sich auf den Heimweg. Die Strecke kam ihm viel zu kurz vor; am liebsten wäre er noch stundenlang weitergefahren. Die Konzentration auf die Straße und den restlichen Verkehr war eine hervorragende Ablenkung und da Rico ein sehr ordentlicher Autofahrer war, waren seine Gedanken während der Fahrt ausschließlich auf seine Umgebung gerichtet. Als er jedoch vor seiner Wohnung ankam und eingeparkt hatte, schaltete er seufzend den Motor aus. Er überlegte erst, einfach noch ein bisschen durch die Innenstadt Dresdens zu fahren, um sich noch nicht mit den Geschehnissen auseinandersetzen zu müssen. Doch eigentlich machte das wenig Sinn. Es war spät, irgendwann würde er so oder so darüber nachdenken müssen und im Grunde war es nur feige, vor dem, was er getan hatte, davonzulaufen. Also stieg er erneut seufzend aus und betrat seine Wohnung. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, herrschte vollkommene Stille und eine angenehme Dunkelheit um ihn herum. Langsam zog er Schuhe und Jacke aus und begann anschließend, seine Tasche auszupacken. Während er die dreckige Wäsche in die Waschmaschine stopfte, ließ er den Abend oder vielmehr den gesamten Tag Revue passieren. Er war an diesem Morgen etwas schwermütig in dem Wissen aufgestanden, dass dies seine letzten gemeinsamen Stunden mit Holly sein würden, in denen sie einander nah sein konnten, wann immer sie wollten. Auch wenn es ihm in all der Zeit immer schwerer gefallen war, sich zu beherrschen und seine Gefühle vor dem Sänger zu verstecken, so war es dennoch die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Und deshalb war das Packen für ihn nicht gerade einfach gewesen – es war, als wäre man zum ersten Mal in einem fremden Land, in das man sich sofort verliebt hatte… und dann musste man weg. Wurde einfach wieder aus dem Traum gerissen, den man für diese wunderschöne, aber dennoch begrenzte Zeit genießen konnte. Natürlich war Rico klar, dass er Holly auch so oft sehen würde – immerhin waren sie in einer Band – und wahrscheinlich würde es auch immer wieder Momente geben, in denen sie allein waren. Aber es würde nie wieder so sein wie in dieser einen Woche. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rico sogar schon gefragt, ob sie wohl bald wieder auf Tour gehen würden – in der Hoffnung, dass er möglicherweise wieder für Holly zum Ersatz für die rechte Hand werden könnte. Jedoch brachte dieser Gedanke auch Zweifel mit sich. Ob Holly jetzt wohl immer noch mit ihm schlafen wollte? Nachdem er ihm in diesen Tagen doch so nah gekommen war… Vielleicht würde der Sänger nun selbst Bedenken haben – immerhin war er eigentlich hetero und da zwischen ihm und Rico eine derartige Nähe entstanden war, könnte er es als abartig empfinden, mit dem Violinisten zu schlafen. Frei nach dem Motto: das würde ja so aussehen, als hätten wir quasi eine offene Sex-Beziehung. Vielleicht wäre dem Sänger deshalb ein wenig Distanz oder zumindest ein gesunder Abstand, wie er unter Freunden üblich ist, lieber. Wenn Rico jetzt daran dachte, loderte die Wut wieder in ihm hoch. Wie hatte er nur überhaupt an so etwas denken können? Natürlich wollte Holly Abstand – was denn auch sonst? Immerhin hatte er das Thema Abreise doch selbst angesprochen. Erst hatte er ihn mit einem wunderschönen Dinner verwöhnt, nur um dann wie beiläufig zu erwähnen, dass es ja mal Zeit wäre, nach Hause zu fahren. Zuckerbrot und Peitsche. Werfen wir dem armen, kleinen Violinisten erst einen Köder hin, der natürlich blöd genug ist drauf reinzufallen – weil es dem Sänger ja auch so schwerfällt, ihm den Kopf zu verdrehen. Und dann schmeißen wir ihn raus, damit wir den Babysitter endlich los sind, der die ganze Zeit anhänglicher ist als eine Klette. Dieser Gedanke ließ Rico innehalten. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen; er fühlte, wie er an der Enttäuschung, die ihn durchflutete, zu ersticken drohte. Tränen brannten hinter seinen Augen, doch er blinzelte sie wütend weg und schluckte. Nein. Er wollte jetzt nicht weinen. Er wollte keine Schwäche mehr zulassen. Nicht deswegen. Nicht wegen ihm. Das Klingeln des Telefons ließ ihn hochschrecken. Alarmiert sah er auf, machte jedoch keine Anstalten, abzunehmen. Er hatte das ungute Gefühl, zu wissen, wer ihn da versuchte, zu erreichen. Und richtig: als die Ansage des Anrufbeantworters durch den Flur schallte und schließlich der Piepton verklungen war, vernahm Rico eine ihm wohlbekannte Stimme. „Rico? Hier ist Holly… bist du schon zuhause? Wenn ja, geh bitte ran. Ich hab bestimmt schon zehn Mal versucht, dich auf dem Handy zu erreichen. Ich muss… möchte mit dir reden. Es ist wirklich wichtig… Wenn nicht… ruf mich bitte zurück… Ich mach mir wirklich Sor-“ Doch er kam nicht dazu, auszusprechen, denn die Aufnahmezeit war vorbei. Der Sänger hatte unsicher geklungen und nervös. Er schien immer wieder nach den richtigen Worten zu suchen und doch nicht wirklich zufrieden zu sein mit dem, was er sagte. In den kurzen Pausen überlegte er offensichtlich, was er sagen sollte. Rico starrte eine Weile zur offenen Tür, die in den Flur führte. Er konnte in diesem Moment kein Mitleid für Holly empfinden – weder wegen der Ohrfeige, noch wegen seines schlechten Gewissens. Letzteres hatte er sich selbst zuzuschreiben… und im Grunde war auch die Ohrfeige nicht ganz unverdient. Zwar hatte der Violinist im ersten Moment bereut, was er getan hatte, als ihm klar geworden war, dass er Holly mit voller Wucht und Absicht geschlagen hatte. Denn er war ein eher friedliebender Mensch und ein Gegner von Gewalt. Allerdings konnte er nicht verleugnen, dass das, was Holly ihm – wenn auch unbewusst – antat, nichts anderes als Gewalt war. Psychische Gewalt. Er quälte ihn. Auch wenn er davon rein gar nichts mitbekam und es niemals erfahren sollte. Aber mal ehrlich: wenn man jemanden mit einem selbstgemachten Abendessen bei Kerzenschein derart verführt und dann auch noch offen die Nähe des anderen sucht, dann sendet man(n) damit ja wohl eindeutig zweideutige Signale aus. Und wenn Holly sich auch dessen nicht bewusst war, dann würde er jetzt vielleicht mal ein wenig aus seinen Fehlern lernen. Denn Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Kopfschüttelnd wandte sich der Violinist wieder seiner Wäsche zu. Seufzend befüllte er die Maschine, schloss die Tür und erhob sich. Fehlte nur noch das Waschpulver. Während er die richtige Menge abmaß, wanderten seine Gedanken wieder zurück zu seinem geistigen Resümee der Geschehnisse. Nachdem er also gedankenverloren seine Sache zusammenpackte stieß er ausgerechnet auf diesen verdammten Song, der eine Kette von Ereignissen zur Folge haben, deren Ergebnis es war, dass er hier in seiner Wohnung in Dresden stand und beim Wäschewaschen war. Hätte er diese Lyrics nur nie gelesen… Es hätte ihm so vieles erspart. Natürlich war es schön gewesen, für eine Weile anzunehmen, dass es doch noch Hoffnung gab. Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Holly. Doch dafür war der Abgrund, in den er danach gestürzt war, umso tiefer und der Aufprall, der ihn in die Realität zurückholte, noch schmerzhafter als alles, was er bisher hatte durchmachen müssen. Er hatte noch nicht gewagt, sich zu viel zu versprechen – dass dies ein Fehler wäre, hatte ihn das Leben bereits mehrmals gelehrt. Und doch hatten seine Vernunft und sein Verstand Mühe, die schier unendliche Freude seines Herzens zu bändigen. Auf einmal war ihm die Welt viel bunter erschienen und vor allem der Gedanke, Holly alles zu gestehen, schien richtiger zu sein als jede physikalische Gesetzmäßigkeit. Alles war besser, als diese ständige Schauspielerei, das ständige Versteckspiel seiner Gefühle vor Holly. So kam es ihm zumindest in diesem Augenblick vor und er konnte diese Überzeugung einfach nicht ablegen. Er würde es ihm sagen. Sobald der Moment da war, sobald er dachte „jetzt oder nie“. Doch zu diesem Moment sollte es nie kommen. Denn nur wenige Stunden später kam es zu der folgenreichen Begegnung mit dieser Sängerin von Eisblume. Sotiria. Er hatte schon von ihrer Band gehört. Schien wohl bei den weiblichen Teenies recht beliebt zu sein. Auf ihrem Debütalbum war die Coverversion von Svbway to Sally's „Eisblumen“, allerdings fanden einige Kritiker die restlichen Songtexte irgendwie nichtssagend, zu oberflächlich. Mehr wusste der dunkelhaarige Violinist auch nicht – außer dass er nicht viel auf die Meinung von Kritikern gab. Sollte doch jeder selbst entscheiden, was ihm warum gefiel und was nicht. Zurück zum Thema: das Treffen mit Sotiria war an und für sich ja kein Weltuntergang. Sie war nett, hübsch und schien mit den Jungs von der Instanz gut klarzukommen. Doch dass Holly sie dann nach einem gemeinsamen Song fragte, ließ die Zeit für Rico für einen Moment still stehen… bevor sein Traum wie eine Seifenblase zerplatzte. Es war, als wäre er im ersten Moment im Auge des Orkans gefangen – vollkommene Stille um ihn herum, die Ruhe vor dem Sturm. Und dann… er hatte kaum noch klare Erinnerungen an das, was anschließend passiert war. Alles hatte sich gedreht, er wusste nicht mehr, wo oben und unten war und drohte, zusammenzubrechen. Die anderen redeten munter weiter, schienen gar nicht zu bemerken, dass mit ihm etwas nicht stimmte – was vielleicht auch besser war. Ein Erinnerungsfetzen war seine Aussage, dass es ihm nicht gut ginge und er gleich wiederkommen würde. Dann war er statt auf die Toilette nach draußen gegangen. Ab dem Moment, wo die kühle Nachtluft ihm entgegenkam, klärte sich das Chaos in seinem Kopf wieder. Er hatte da gestanden, gegen die Tränen ankämpfend und an die Wand gelehnt. Und dann war Holly ebenfalls nach draußen gekommen… Inzwischen arbeitete die Waschmaschine und Rico sah gedankenverloren zu, wie sich die Wäsche in der Trommel drehte. Seufzend wandte er sich dann jedoch ab und nahm seine Tasche mit. Ob er richtig gehandelt hatte, war schwer zu beurteilen. Holly hatte ihn verletzt – das stand ohne Frage fest. Aber er hatte es nicht gewusst. Natürlich hätte ihm klar sein können, dass er sich für einen guten Freund doch schon etwas merkwürdig verhielt, wenn er quasi ein Candle-Light-Dinner arrangiert. Doch er konnte ja nicht ahnen, dass Rico ihm ohnehin schon verfallen war. Es war also eine ziemliche verquere und irgendwie auch prekäre Angelegenheit… Einerseits hätte Rico ihm vielleicht die Möglichkeit lassen sollen, sich dazu zu äußern. Dann hätte er wenigstens die Chance gehabt, sich zu verteidigen – denn er konnte ja nicht ahnen, dass der Dunkelhaarige den Songtext von „Blind“ bereits gelesen hatte. Andererseits schien der Sänger ja nicht einmal zu wissen, warum Rico plötzlich so wütend war; was wiederum bedeuten würde, dass er sich nicht einmal bewusst war, dass er den Violinisten zu tiefst enttäuscht und verletzt hatte. Somit wäre es also auch überflüssig, mit ihm darüber zu sprechen. Denn eine Entschuldigung oder Einsicht war wohl kaum zu erwarten. Wahrscheinlich würde es die ganze Situation nur schlimmer machen… Während Rico seinen Kulturbeutel im Bad auspackte, machte sich sein Magen bemerkbar. Kein Wunder, sie hatten zwar eine Kleinigkeit bei David gegessen, aber auch das war schon mehrere Stunden her. Also beschloss der Violinist, noch schnell den Rest aus seiner Tasche auszuräumen und sich danach etwas zu essen zu machen. Wenn er denn überhaupt noch was im Kühlschrank hatte… Ehrlich gesagt, zweifelte er selbst daran, denn er hatte nicht bedacht, unterwegs irgendwo anzuhalten, um sich wenigstens Brot und Belag zu holen. Seufzend verstaute er seine Reisetasche im Schlafzimmerschrank und stellte seine Geige an ihren angestammten Platz, bevor er in die Küche ging. Seine Vermutung bewahrheitete sich und so ging er zurück ins Wohnzimmer, wo er den Laptop startete und sich einen Lieferservice heraussuchte, der auch um diese Zeit noch auslieferte. Nachdem er fündig geworden war, griff er zum Telefon, starrte es jedoch einige Sekunden nachdenklich an, als er das rotblinkende Lämpchen bemerkte, das ihm anzeigte, dass er mehrere Anrufe auf dem Anrufbeantworter hatte. Mit wenigen Knopfdrucken löschte er die Nachricht von Holly und wählte dann die Nummer des Lieferservices. Als er die Bestellung aufgegeben hatte, vertrieb er sich die Zeit des Wartens mit dem Abhören der restlichen Nachrichten. Der größte Teil waren entweder unwichtige Mitteilungen oder es war keine Nachricht hinterlassen worden. Seufzend ging der Violinist in die Küche, füllte den Wasserkocher und holte eine Tasse und eine Kanne aus dem Schrank. Dann kramte er in dem Fach, wo er die verschiedenen Teesorten aufbewahrte und stellte fest, dass er auch hier mal wieder für Nachschub sorgen sollte. Ein guter Tee half ihm meistens dabei, sich zu beruhigen. Und im Moment war das bitter nötig, denn sein Seelenleben war ziemlich durcheinander geraten. In seinem Herz herrschte ein unangenehmes Chaos – eine wilde Mischung aus Wut, erfolglos unterdrücktem Schmerz und nach wie vor qualvolle Enttäuschung. Mit dem Handballen massierte sich der Dunkelhaarige die Brust in Höhe seines Herzens und lauschte dem stetig lauter werdenden Blubbern des Wassers. Als es dann kochte, goss er es vorsichtig in die Teekanne und ging langsam ins Wohnzimmer, um dort zu warten, dass sein Essen geliefert wurde. Der Violinist hatte ja schon so einiges durch- und mitmachen müssen, doch er beschloss, dass er sich diesmal nicht einfach in der Versenkung verkriechen würde, in die er gefallen – oder besser gesagt: gestoßen worden – war. Er würde nicht noch einmal stillschweigend alles Leid ertragen. Das hielt er einfach nicht länger aus… Irgendwann musste auch mal Schluss sein! Er konnte doch nicht immer nur von Schmerzen zerfressen werden. Hatte er nicht ebenso ein Recht darauf, glücklich zu sein und für sein Glück zu kämpfen? Das erneute Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf, nahm aber wieder nicht ab. Um diese Zeit würde niemand anrufen, außer… „Hallo, Rico? Ich bin's noch mal… Bist du wirklich noch nicht zu Hause? Tut mir leid, dass ich dich so nerve. Aber ich mach mir wirklich Sorgen. Bitte geh ran. Es ist mir sehr wichtig, dass-“ Wieder kam der Sänger nicht dazu, das auszusprechen, was er eigentlich hatte sagen wollen, denn Rico war aufgestanden und hatte den Anruf entgegengenommen. Er hörte noch, wie Holly die erste Silbe seines Namens aussprach und legte auf. Er wollte nicht mit ihm reden und er wollte auch seine Stimme nicht hören müssen. Auch nicht auf dem Anrufbeantworter. Verstand Holly das nicht? Tief durchatmend setzte er sich wieder auf die Couch und nahm sein Handy zur Hand, welches auf dem Tisch vor ihm lag. Zehn entgangene Anrufe – alle von Holly. Rico löschte sie aus der Liste und schüttelte den Kopf. Er würde es nicht besser machen, wenn er es immer weiter versuchte. Und als wollte ihn das Schicksal noch mehr herausfordern, fing sein Handy just in diesem Moment an, zu klingeln. „Holly“ erschien im Display und für einen Augenblick verharrte sein Finger über der roten Taste. Er zögerte. Doch dann drückte der Violinist seinen Bandkollegen wirklich weg und schaltete sein Handy aus. Schnaubend warf es fast etwas zu schwungvoll wieder auf den Tisch. War das zu fassen? Der Kerl gab wohl nie auf! Kopfschüttelnd widmete sich Rico wieder seinem Tee. Bis es an der Tür läutete, hatte er tatsächlich Ruhe. Welch Wunder… Selbst das Essen konnte er in Ruhe genießen – auch wenn es nicht so gut schmeckte, wie selbstgemacht und schon ein bisschen abgekühlt war. Aber egal. Besser, als mit knurrendem Magen im Bett zu liegen, war es allemal. Als er fertig war, entsorgte er die Verpackung und trank den Rest seines Tees. Satt und durch den Tee gut durchgewärmt, merkte er, wie ihn die Müdigkeit allmählich übermannte. Der heutige Tag war anstrengend und im negativen Sinne aufregend genug gewesen. Es wurde wirklich Zeit, dass er ins Bett kam. Als er sich gerade bequem hingelegt hatte und kurz davor war, endlich alle nervigen Gedanken beiseite zu schieben, um wenigstens halbwegs in Ruhe schlafen zu können, klingelte erneut sein Telefon und riss Rico aus dem Dämmerzustand, in den er eben erst geglitten war. Auf diese unangenehme Weise geweckt, saß er im Bett und starrte im ersten Moment etwas verwirrt ins Nichts, bis er realisierte, dass es sein Telefon war, was da klingelte. Leise vor sich hin grummelnd stand er auf, hastete zurück ins Wohnzimmer und hörte, wie sich der Anrufbeantworter (mal wieder) einschaltete. „Rico… ich kann mir ja denken, dass du nichts von mir hören willst. Aber ich kann nicht schlafen, wenn diese Sache zwischen uns steht… Bitte geh ran… Bitte lass mich mit dir-“ Wütend packte der Dunkelhaarige den Hörer. „Kapierst du es eigentlich nie, Holly? Ich will nicht mit dir reden, ich will dich nicht sehen und ich will deine Stimme nicht hören. Wir haben uns nichts zu sagen! Außerdem bin ich müde. Nur weil du schlaflose Nächte hast, trifft das nicht auf den Rest der Welt zu! Vielleicht solltest du einfach mal besser über dein Verhalten nachdenken.“ Knurrend legte er auf und zog das Netzteil des Telefons aus der Steckdose. So würde er wenigstens den Rest der Nacht Ruhe haben… Kapitel 10: Highway to Hell --------------------------- Während Rico am nächsten Morgen noch überlegte, was er zum Frühstück essen sollte, klingelte erneut sein Telefon. Er hatte es nach dem Aufstehen wieder angeschlossen – immerhin gab es noch andere Leute, die ihn eventuell erreichen wollten. Allerdings konnte er sich kaum vorstellen, dass um diese Zeit jemand anderes anrufen würde. Entnervt seufzte er und verdrehte die Augen. Er hatte keine Lust, ranzugehen – seine Nachricht gestern sollte eigentlich unmissverständlich gewesen sein. Stattdessen warf er erneut einen Blick in seinen ziemlich leeren Kühlschrank und unterdrückte ein Gähnen. Der Violinist hatte nicht nur (mal wieder) ziemlich schlecht und wenig geschlafen, sondern auch noch vor seiner Abreise zu Holly alle schnell verderblichen Dinge entweder aufgegessen, sie mit zu dem Sänger genommen oder weggeschmissen. Er würde wohl erst einkaufen gehen müssen, bevor er ordentlich frühstücken konnte. Als dann jedoch der nervige Piepton des Anrufbeantworters erklang, erinnerte er sich daran, dass er diesen vorübergehend ausschalten sollte. Wenn jemand anrief, würde er an der Nummer erkennen, ob es Holly war oder nicht. Doch die Stimme, die dann zu hören war, war nicht die des Sängers. „Hey, Rico. Benni hier. Ich hab versucht, dich auf dem Handy zu erreichen. Alles okay bei-“ Weiter kam er nicht, denn der Violinist rannte ins Wohnzimmer und drückte eilends die grüne Taste seines Telefons. „Benni?“, fragte er hastig. „Tut mir leid, ich dachte, jemand anderes würde anrufen.“ „Ist doch nicht so wild. Ich wollte bloß fragen, ob bei dir alles in Ordnung ist… und ob du reden willst.“ Rico schluckte. Er wusste, wie gut der Cellist ihn kannte und konnte mit ihm immer über alles reden. Dass er auch jetzt wieder ein feines Gespür dafür hatte, dass der Dunkelhaarige offensichtlich etwas auf dem Herzen hatte, bewies nur einmal mehr, wie sehr sich die beiden auch ohne Worte verstanden. „Kann ich vorbeikommen?“, fragte Rico deshalb leise. „Da brauchst du doch nicht fragen. Meine Tür steht immer für dich offen – das weißt du doch.“ Er konnte förmlich hören, wie Benni am anderen Ende der Leitung lächelte. „Ich muss nur vorher einkaufen gehen. Mein Kühlschrank ist leer und ich hab noch nichts gegessen.“ Rico seufzte. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell er sich entspannte, wenn er mit dem anderen Streicher der Band redete. „Das ist nicht so schlimm. Komm einfach vorbei, ich hab auch noch nicht gefrühstückt. Ich mach uns beiden was. Einkaufen können wir danach immer noch.“ Als Rico bei Benni ankam, erwartete dieser ihn schon. Lächelnd begrüßte der Cellist seinen Bandkollegen und nahm ihn in den Arm. Sie kannten einander schon so lange, dass Rico jede Sekunde mit dem anderen genoss. Besonders in Situationen wie dieser. Und scheinbar entging Benni das nicht, denn er hielt ihn noch einen Moment länger im Arm als gewöhnlich. „Wollen wir erst mal in Ruhe essen?“, fragte der Cellist dann. Rico nickte und so setzten sich die beiden an den bereits gedeckten Tisch. Während sie aßen, berichtete der Violinist grob, was in der Zeit während Hollys Krankenhausaufenthalts und danach passiert war und kam schließlich zu dem Abend, der alles verändert hatte. Der Cellist kannte inzwischen die meisten Geschichten, die seinen langjährigen Freund und den Sänger betrafen, denn natürlich war ihm nicht entgangen, dass Ricos Verhalten sich veränderte, nachdem Holly eine Weile in der Band war. Er hatte ihn am Abend nach dem Unfall darauf angesprochen. Rico erzählte ihm, wie er anfangs seine eigenen Gefühle noch geleugnet hatte – so lange, bis er sich selbst nicht mehr belügen konnte und sich eingestehen musste, dass er den Sänger liebte… Und so wusste der Cellist natürlich auch, dass die beiden hin und wieder miteinander ins Bett gingen. Doch er stand dem Violinisten immer zur Seite, war da, wenn er ihn brauchte – ob zum Reden, für einen Rat unter Freunden oder einfach nur zum Anlehnen. Heute traf irgendwie alles zu, denn es dauerte ziemlich lange, bis die Geschichte zu Ende erzählt war und Rico endlich seine Gefühle dargelegt hatte. Inzwischen hatten sie aufgegessen, den Tisch abgeräumt und sich gemeinsam auf die Couch gesetzt, wo sie ihr Gespräch fortsetzten. Benni wusste, wie schwer es war, niemanden zum Reden zu haben und er war immer wieder besorgt um den Jüngeren, wenn er merkte, dass da irgendetwas nicht stimmte. Und diesmal schien ihn sein Instinkt nicht getrübt zu haben, dass es momentan besonders schlimm war. Er legte einen Arm um den Violinisten, der sich dankbar an den Cellisten lehnte, während er mit dem Chaos in seinem Inneren kämpfte. Insgesamt dauerte es mehrere Stunden, bis sie sich letztlich auf den Weg zum Einkaufen machten. Rico fühlte sich zwar immer noch nicht gut, aber wenigstens etwas befreit von der Last, die er trug und inzwischen war er auch wieder ruhiger geworden. Denn er hatte ziemlich erfolglos versucht, sich nicht über Holly aufzuregen – besonders als er von den vielen Anrufen erzählte – und auch seine Tränen konnte er nicht ewig unterdrücken. Währenddessen erging es einem anderen Mitglied der Instanz auch nicht sehr viel besser. Holly lehnte die Angebote der anderen ab, ihn noch nach Hause zu bringen und fuhr stattdessen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu seiner Wohnung, nachdem sich die Gruppe voneinander verabschiedet hatte. Er wollte nachdenken. In Gedanken noch einmal alles genau durchgehen in der Hoffnung, Antworten zu finden. Doch als er seine Wohnungstür hinter sich verschloss, hatte er mehr Fragen aufgeworfen, als er beantworten konnte. Der Sänger hatte eine Vermutung – doch sie war so weit hergeholt und abwegig, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er damit auch nur im Ansatz richtig lag, verschwindend gering zu sein schien. Andererseits… vielleicht war sie ja auch derart abwegig, dass sie schon wieder logisch war und näher an der Lösung als alle anderen Ansätze, die Holly in Betracht gezogen hatte. Doch das konnte er sich kaum vorstellen. Nein, das war unmöglich. Seufzend und reichlich verwirrt betrat der Sänger sein Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch sinken. Er sah sich langsam in dem dunklen Raum um und sein Herz zog sich zusammen. Es kam ihm still und irgendwie einsam ohne Rico vor. Gestern noch hatten sie hier gemeinsam gesessen, waren einander so nahe gewesen. Er hatte den Duft des Violinisten gerochen und seine Anwesenheit gespürt – genauso wie die Hand auf seinen Augen. Diese weiche, angenehm warme Haut auf der seinen… Wehmütig sah Holly zu dem leeren Platz neben sich, der gestern noch besetzt gewesen war und strich über den Stoff des Sofas. Traurig stand er auf und ging in die Küche, um sich irgendwie abzulenken und etwas zu trinken. Es war schon schwer genug, sich auf die drängenden Fragen in seinem Bewusstsein zu konzentrieren, wenn er sich die ganze Zeit Sorgen um den Dunkelhaarigen machte, da dieser in seinem Zustand mit dem Auto bis nach Dresden unterwegs war… aber wenn nun noch all die Erinnerungen an diese wunderschöne Woche auf ihn einströmten, machte das die Sache nicht gerade leichter. Wie musste sich Rico nur gefühlt haben, als er so besorgt wegen ihm war? Wie hatte er das nur ausgehalten? Die ständige Nervosität, die Unruhe. Es war einfach grauenhaft, qualvoll und zermürbend. Doch in dem Moment, als er die Küche betrat, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Wie konnte er erwarten, dass er an dem Ort Ablenkung finden würde, wo er nur für ihn gekocht hatte? Wo er sein ganzes Talent als Koch aufgebracht hatte, um ihm einen unvergleichlichen Abend zu bescheren… Automatisch führten ihn seine Beine ins Esszimmer, wo sie gesessen hatten. Er war nervös und aufgeregt gewesen – wie vor seinem ersten Date mit seiner ersten großen Liebe. Das Gefühl war einfach wunderschön gewesen; die Schmetterlinge im Bauch, die wild umher tanzten, als er ihn umarmt hatte. Holly hatte das Gefühl gehabt, dass er Rico niemals zuvor so nahe gewesen war. So unendlich nah, dass er den Herzschlag des Dunkelhaarigen spüren konnte. Doch dann war der Moment der Erinnerung vorbei und der Sänger stand wieder in seinem verlassenen, dunklen Esszimmer. Allein. Langsam senkte er den Kopf und wandte sich ab. Er wollte diesen Anblick nicht länger ertragen müssen. Als er zurück ins Wohnzimmer ging, fiel ihm noch etwas anderes ein. An dem Abend, als sie hier gemeinsam gesessen hatten und Holly seinen Kopf auf dem Schoß des Violinisten gebettet hatte, hatte er etwas gesagt. Etwas, dass Rico scheinbar auch verletzt hatte. Zwar hatte der Dunkelhaarige so getan, als sei es nichts weiter, aber Holly war nicht entgangen, dass eine gewisse Enttäuschung in seiner Stimme zu hören gewesen war, als es darum ging, dass er ja auch mal wieder nach Hause fahren könnte. War es das? War das womöglich schon der Anfang von all dem? Ein Tropfen von so vielen, die das Fass letztlich zum Überlaufen brachten? Möglich wäre es… Immerhin hatte Rico zugegeben, dass er lieber noch bleiben wollte. Holly hatte ihm nur verdeutlichen wollen, dass er sich schlecht dabei fühlte, den Violinisten die ganze Zeit derart auszunutzen. Dass der Dunkelhaarige sich das nicht ewig antun musste, nur weil er sich zu irgendwas verpflichtet fühlte, sich Sorgen machte oder sonst was. Er wollte doch nur ausdrücken, dass Rico sich auch mal wieder Zeit für sich nehmen sollte. Immerhin hätten sie sich ja trotzdem öfter treffen oder miteinander telefonieren können oder so. Sein schlechtes Gewissen diesbezüglich nagte schon seit dem Unfall am ihm. Und genau deshalb wollte er das ganze mit dem Essen wieder gutmachen, den Abend danach entsprechend ausklingen lassen und sich entschuldigen bzw. das Thema vorsichtig ansprechen. Aber was, wenn das bei Rico ganz anders angekommen war? Wenn es nicht so rüberkam, wie Holly es eigentlich beabsichtigt hatte? Wahrscheinlich war genau das der Fall gewesen, denn Ricos Laune war nach dem Gespräch ziemlich getrübt und so verlief der Abend eher schweigsam, als entspannt. Oder besser gesagt: ganz anders als Holly sich das vorgestellt hatte… Aber wann verlief im Leben schon mal irgendetwas normal? Sein Unfall bewies doch das genaue Gegenteil. Und als hätte dieser Gedanke ihn daran erinnert, warum er so besorgt war, rannte der Sänger wie von der Tarantel gestochen zum Telefon und wählte Ricos Handynummer. „Komm schon. Geh ran!“ Ungeduldig lauschte er dem Freizeichen, doch niemand nahm ab. Gut, das musste ja nichts heißen. Vielleicht war er noch unterwegs und konnte nicht ans Handy gehen. Oder er hörte es schlicht weg nicht. Oder… doch die beiden anderen Möglichkeiten, die dem Sänger in den Sinn kamen, verdrängte er gleich wieder – so gut es ging. Er versuchte es mehrmals hintereinander und lief zwischen den Anrufen wie ein Tiger im Käfig unstet auf und ab. Nach dem dritten Versuch, bei dem er vor dem Fenster stand und sein Spiegelbild in der Fensterscheibe betrachtete, das ihn traurig und zugleich vorwurfsvoll anstarrte, wurden die Gedanken, die er so sehr zu unterdrücken versuchte, immer aufdringlicher. Doch Holly schüttelte den Kopf und wählte stattdessen die Festnetznummer Ricos. Eigentlich müsste der Violinist bereits zu Hause angekommen sein; zumindest wenn kein Stau oder dergleichen dazwischen gekommen war. Als auch dort niemand abnahm, drängten sich ihm die beiden Gründe dafür, die Holly nicht wahrhaben wollte, immer mehr auf. Seine erneuten Versuche blieben allesamt erfolglos und irgendwann verlor Holly jede Hoffnung. Er fühlte sich leer, einsam, kraftlos und allein gelassen. Doch er wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass er selbst schuld an all dem war. Dass alles anders hätte kommen können, wenn er sich nur anders – richtig – verhalten hätte. Aber die einzige Person, die ihm dies bestätigen und ihm sagen konnte, welche Fehler er begangen hatte, konnte entweder nicht mit ihm sprechen oder wollte es nicht… Dennoch versuchte Holly verzweifelt, seinen Bandkollegen zu erreichen und hinterließ ihm eine Nachricht nach der anderen auf dem Anrufbeantworter. Einmal nahm jemand ab und im ersten Moment überflutete ihn eine Welle der Hoffnung, doch noch ehe er wirklich zu Wort kam, wurde sofort wieder aufgelegt. Enttäuschung machte sich breit; doch es hatte auch etwas positives. Nun wusste Holly zumindest, dass jemand da war. Und dass dieser jemand offensichtlich nicht mit ihm sprechen wollte. Das bestätigte zwar seinen Verdacht, brachte ihn aber nicht sehr viel weiter. Es war gut, dass Rico offenbar nicht aufgrund eines Unfalls nicht abnahm. Aber natürlich konnte er so immer noch nicht mit ihm kommunizieren – außer über die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Eigentlich war ihm klar, dass Rico nicht unbedingt begeistert wäre, ständig neue Nachrichten auf diesem Wege von ihm zu bekommen. Doch er musste es einfach versuchen – so etwas wollte er am liebsten persönlich klären. SMS oder Email waren da die letzte Wahl. Also würde er es noch ein einziges Mal probieren… Allerdings stellte sich auch das als fataler Fehler heraus, denn Rico war in der Tat alles andere als begeistert und hinterließ einen sichtlich in sich zusammengesunkenen Holly, der langsam sein Telefon sinken ließ. Es war, als hätte er ihn erneut geschlagen. Zwar hatte der Sänger sich bereits gedacht, dass Rico nicht mit ihm sprechen wollte, doch er hatte irgendwie dennoch Hoffnung gehabt, zu ihm durchzukommen. Es jetzt derart direkt und unmissverständlich zu hören, tat weh. Es tat verdammt weh. Aber genau deshalb wollte er ihn ein allerletztes Mal anrufen. Wollte sich entschuldigen für das, was er getan hatte. Denn wenn es ihm schon so dreckig ging – wie musste es dann erst Rico gehen? Doch diesmal kam statt der Ansage des Anrufbeantworters, nur die weibliche Computerstimme, die Holly mitteilte, dass „der gewünschte Teilnehmer“ zur Zeit nicht erreichbar war. Er hatte offensichtlich endgültig genug von dem Sänger. Und der konnte es sogar verstehen. Er hätte ihm nur zu gern gesagt, dass es ihm leid tat. Dass er ihn nie verletzen und auch nicht loswerden wollte. Und dass er mit ihm darüber reden wollte, was passiert war. Denn er wollte verstehen, warum Rico so leiden musste. Doch er ahnte nicht, dass dies noch sehr lange dauern und ihn einiges an Beherrschung und Durchhaltevermögen kosten würde… Langsam öffneten sich für Holly die Tore der Hölle, ohne dass er es merkte. Blindlings lief er darauf zu; hätte er gewusst, dass dies alles nur der Anfang einer qualvollen Zeit sein würde, hätte er wohl alles daran gesetzt, mit Rico zu reden. So aber hatte er Angst, den Violinisten nur noch mehr zu verletzen, wenn er sich ihm aufdrängte. Er steckte in einer Zwickmühle, aus der es kein Entkommen gab. Ebenso wenig wie aus der Hölle, durch die er gehen würde… In den folgenden Tagen hörte er nicht ein Sterbenswörtchen von dem Violinisten – kein Anruf, keine Nachricht, nicht mal irgendein Lebenszeichen. Seine Sorge wuchs mit jedem Tag, der verging. Und doch wagte er es nicht, Rico noch einmal anzurufen. Wahrscheinlich würde er wieder nicht rangehen. Ihm kam sogar der Gedanke, dass er einfach auf gut Glück vorbeifahren könnte, doch auch diese Idee verwarf er wieder. Warum sollte der Dunkelhaarige ihm die Tür öffnen? Das würde keinen Sinn ergeben, wenn er schon nicht am Telefon mit ihm sprechen wollte… Und den ganzen Weg nach Dresden zu fahren, nur um dann vor verschlossener Tür zu stehen, war – gelinde ausgedrückt – schwachsinnig. Zumal Holly nicht wusste, ob Rico überhaupt da sein würde. Wer wusste das schon? Vielleicht hatte der Dunkelhaarige sich ein paar Tage Auszeit gegönnt, um so weit weg wie möglich von dem Sänger zu sein. Quasi um ihn endgültig loszuwerden. Dennoch dauerte es lange, bis er sich gänzlich selbst davon überzeugt hatte, dass es sinnlos wäre, zu Rico zu fahren. Immerhin wäre ihm kein Weg zu weit und so lange dauerte es bis nach Dresden nun wirklich nicht… Aber Holly konnte schlecht verleugnen, dass es nur ein Versuch seiner selbst war, die Realität zu verdrängen. Rico hatte ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er seine Ruhe haben wollte. Und das konnte er schlecht ignorieren, denn damit würde er alles nur noch schlimmer machen. In dieser Zeit versuchte Holly, sich so gut es ging von der Tatsache abzulenken, dass sich zwischen ihm und Rico vielleicht für immer etwas verändert hatte, dass sie sich nie wieder so nahe sein würden. Er begann, die Lyrics für ihr neues Album zu überarbeiten und zu perfektionieren. Besonders der Titelsong „Ewig“ bekam den letzten Schliff. Ursprünglich hatte er zwar die Struktur und Aussage des Liedes im Kopf gehabt, doch irgendwie hatten ihm die passenden Wörter gefehlt. Natürlich hatte Holly die Lyrics grob zu Papier gebracht, aber jetzt warf er den Zettel weg und schrieb alles noch einmal ins Reine, wobei er viele Stellen korrigierte. Denn nun kamen die Worte wie von selbst aus dem tiefsten Inneren seiner Seele. Auch Songs wie „Wieder einmal Rot“, „Schwarzer Sand“, „Von Anfang an“, „Unterwegs“, „Sing!“ und „Der Fährmann“ wurden an vielen Stellen überarbeitet und verbessert. Außerdem schrieb er vier neue Texte – inspiriert durch seine momentane Situation und durch Wörter, die er irgendwo aufschnappte. In dieser Zeit war er viel unterwegs; er fuhr meist relativ ziellos durch Berlin, im Gepäck nichts weiter als Block und Stift. Wann immer er ein Wort hörte oder las, dass ihn auf eine Idee brachte, schrieb er es auf. So entstanden die Titel und Lyrics für „Regenbogen“, „Tausendschön“, „Mein Kind“ und „Der Wind“. Als er insgesamt siebzehn Songtexte, komplett überarbeitet, vor sich liegen hatte, sah er sich mit einem weiteren Problem konfrontiert: normalerweise würde er jetzt Rico anrufen, um mit ihm über die Arrangements und musikalische Umsetzung der neuen Stücke zu sprechen. Zum Teil war dies zwar schon in der gemeinsamen Woche und dem Treffen mit den anderen Instanz-Mitgliedern passiert, doch jetzt standen die Songs endgültig und zudem waren neue hinzugekommen. Doch wie würde Rico reagieren? Würde er es nicht vielleicht als billigen Versuch Hollys werten, endlich wieder mit ihm zu sprechen? Seufzend starrte der Sänger zu seinem Telefon. Er saß zu Hause am Schreibtisch und hatte gerade die letzten Änderungen an „Der Wind“ vorgenommen. Inzwischen war es fast zwei Wochen her, dass er das letzte Mal Ricos Stimme gehört hatte. Traurig wurde ihm klar, dass der Violinist sich daran nicht zu stören schien. Nicht so sehr wie er selbst jedenfalls. Denn jeden Morgen sah der Sänger hoffnungsvoll auf sein Handy, überprüfte sein Postfach, schaute sogar mehrmals täglich in den Briefkasten und horchte bei jedem Telefonklingeln nervös auf. Aber jedes Mal musste er sich aufs Neue eingestehen, dass es keinen Sinn hatte, sich Hoffnungen zu machen. Und obwohl er wusste, dass die Enttäuschung danach nur umso größer war, konnte er dennoch nichts dagegen tun. Zwar hatte er sich die beiden Wochen über ganz gut ablenken können, indem er von morgens bis abends an den Songs gearbeitet hatte und ständig unterwegs war, aber jetzt war all das, was er die ganze Zeit zu verdrängen versucht hatte, wieder da. In der Öffentlichkeit war es ihm leichter gefallen, seine Gefühle zu kontrollieren, denn er wusste, dass er schlecht auf offener Straße einen Nervenzusammenbruch kriegen konnte. Es war ihm natürlich nicht immer ganz gelungen, seine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren – schließlich hatte Rico jahrelang sein Denken beherrscht. Doch es war immerhin einfacher, als wenn er zuhause allein in seiner Wohnung hockte. Dort hätte er kaum an den Songtexten arbeiten können. Allerdings musste Holly sich eingestehen, dass er manchmal unbewusst, wenn er ziellos durch die Straßen Berlins lief, zu den Orten ging, die er zuvor gemeinsam mit Rico besucht hatte. Und gerade dann fiel es ihm schwer, sich zu beherrschen… Kopfschüttelnd versuchte Holly, die Erinnerungen und den damit verbundenen Schmerz loszuwerden. Der Sänger atmete noch einmal tief durch, ehe er zum Telefon griff; ihm blieb dieser Anruf früher oder später ohnehin nicht erspart. Also wozu das ganze sinnlos aufschieben? Sein schlechtes Gewissen würde sich dadurch auch nicht mindern. Er fühlte sich so schon mies genug, da er Rico ziemlich verletzt haben musste und nicht einmal wusste, wieso oder womit genau. Und er wollte ohnehin mit ihm sprechen, um diese Sache endlich zu klären. Vielleicht würde er ihm ja zuhören, wenn sie sich im Studio trafen und die ersten Probeaufnahmen machten… Jedenfalls würde Holly keine Gelegenheit auslassen, Rico um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. Aber bevor er darüber nachdenken konnte, musste er erstmal dafür sorgen, dass sich die Instanz überhaupt traf. Und dazu wiederum musste er Rico anrufen. Natürlich hätte er auch jedem anderen Bandmitglied bescheid sagen und so dem Anruf bei Rico umgehen können. Doch das wäre nicht nur feige, sondern auch kontraproduktiv. Immerhin wollte er ja mit ihm sprechen… Noch einmal tief durchatmend wählte er die Nummer des Violinisten. Das Freizeichen ertönte, doch niemand nahm ab. Holly wollte schon auflegen, da er befürchtete, dass Rico den Anrufbeantworter abgestellt hatte, als sich die Bandansage einschaltete. „Hallo, Rico. Ich bin's Holly… Ich weiß, du willst nichts von mir hören, aber… Ich hab-“ Der Sänger räusperte sich, seine Kehle fühlte sich auf einmal wie ausgetrocknet an und schnürte sich scheinbar immer mehr zusammen. „Ich hab an den Songs für das neue Album gearbeitet. Wie wir es ausgemacht hatten.“, meinte er dann stockend. „Also… äh… Ich ruf dich morgen noch mal an, wenn- wenn du nichts dagegen hast. Du kannst dich auch jederzeit melden. Würde mich über ein-“ Doch die Zeit, die er für eine Nachricht hatte, war vorbei und so brach er mitten im Satz ab. Seufzend ließ Holly den Hörer sinken. Na, das war ja mal ein toller Anruf! Er musste sich angehört haben wie ein Pubertierender, der das erste Mal jemandem ein Geständnis macht… Den restlichen Tag verbrachte er damit, nachzudenken und sich irgendwie von seinem Verdacht abzulenken, dass Rico immer noch nicht ans Telefon gehen wollte, sobald er die Nummer des Sängers sah. Doch andererseits hätte er den Anrufbeantworter wirklich abschalten können, wenn er gar nichts mehr von ihm wissen wollte. Allerdings war er wahrscheinlich nicht der einzige, der Rico eine Nachricht hinterlassen wollte, wenn dieser nicht ans Telefon ging und da war es natürlich sicherer, die Mailbox einzuschalten. Am nächsten Morgen versuchte Holly dann noch einmal, Rico zu erreichen. Er war schon recht lange auf und hatte immer wieder auf die Uhr gestarrt in der Hoffnung, sie möge schneller gehen. Denn er wollte den Dunkelhaarigen mit seinem Anruf auf keinen Fall wecken – das wäre ja noch schöner! Schlimm genug, dass Rico wahrscheinlich ohnehin von seinem Anruf genervt sein würde; wenn er ihn dann auch noch aus dem Schlaf klingeln würde, wäre das wohl kaum förderlich für ihr Gespräch. Doch auch diesmal dauerte es eine Weile, ehe am anderen Ende der Leitung etwas passierte – es war nicht, wie Holly beinahe befürchtete, erneut der Anrufbeantworter… aber auch nicht Rico. „Hallo, Holly.“ Es war ein offensichtlich verschlafener Benni, der sich meldete. „Benni?“, fragte der Sänger überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. „Äh… Ich- bin etwas verwirrt…“ Diese doch etwas unerwartete Situation brachte ihn völlig aus dem Konzept. „Tut mir leid, wenn ich euch geweckt hab. Das wollte ich nicht.“ „Schon gut.“ Ein Gähnen erklang. „Wird eh langsam Zeit, dass ich aufstehe.“ Holly räusperte sich. „Kann ich mit Rico sprechen?“ „Nein.“ Die Antwort kam ohne zu zögern und mehr als direkt. „Erstens schläft er noch und zweitens sehe ich keinen Anlass dazu. Er möchte es nicht und ich auch nicht.“ Die letzten Worte hatten einen eisigen Unterton… und sie waren unmissverständlich. „Äh… ach so. Okay.“ Der Sänger wusste nicht so recht, wie er darauf reagieren sollte. „Tut mir leid-“ Eigentlich wollte er noch mehr sagen, doch Benni unterbrach ihn. „Bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen.“ Die Worte klangen weniger kühl als zuvor, doch Holly merkte, dass der Cellist offenbar eine Menge wusste. „Aber verzeih, dass ich dich unterbrochen hab. Was wolltest du eigentlich sagen?“ „Schon… okay. Ähm… Ich hatte gestern Abend angerufen – wegen den Songs für das Album.“ „Stimmt, der AB hatte geblinkt.“, erinnerte sich Benni. „Aber wir waren erst spät zu hause und haben ihn nicht mehr abgehört.“ „Ah, das erklärt's. Wo wart ihr denn?“, fragte Holly in der Hoffnung, die Stimmung ein wenig auflockern zu können. „Wir waren… unterwegs. In ein paar Clubs und Bars eben. Schöne Grüße von Specki übrigens.“ Holly verspürte einen leichten Stich im Herzen, ließ sich jedoch nichts anmerken. „Ah, danke. Habt ihr ihn getroffen?“ „Nein, der war von Anfang an mit dabei. Aber was ist denn nun eigentlich mit den Songs? Deswegen hattest du doch angerufen, oder?“ „Ach ja, genau.“ Holly versuchte, sich zu sammeln, was unter den momentanen Umständen gar nicht so einfach war. „Also insgesamt sind es jetzt siebzehn. Und sie sind alle überarbeitet und fertig. Deshalb wollte ich fragen, ob wir uns die Tage mal im Studio treffen können, um die Songs endgültig zu arrangieren. Das meiste steht ja schon. Und proben müssen wir ja auch noch.“ „Klar, kein Problem. Wie wär's mit übermorgen, elf Uhr?“ „Passt super. Soll ich die anderen anrufen oder wollt ihr das machen?“ „Ich kümmer mich drum. Ich muss eh noch-“ Doch was immer Benni hatte sagen wollen – Holly würde es nicht erfahren. Denn er hörte durchs Telefon, wie eine verschlafene Stimme im Hintergrund fragte: „Benni? Wer ist denn das um die Uhrzeit?“ „Warte mal kurz.“, meinte der Cellist daraufhin zu Holly und wandte sich offenbar an denjenigen, der ihn angesprochen hatte. „Es ist Holly. Er wollte nur bescheid sagen, dass die Songs fürs neue Album fertig sind und einen Termin fürs Studio klarmachen.“ „Mhm. Kommst du dann wieder ins Bett?“ „Ja, ich komm ja gleich. Kuschel du dich aber lieber wieder unter die Decke – du holst dir sonst den Tod, wenn du dir nichts anziehst.“ Leise Schritte entfernten sich und dann war Benni wieder am Telefon. „Bin wieder dran.“ „Okay. Ähm, dann würde ich sagen, sehen wir uns übermorgen.“ „Ja, genau. Wie gesagt: ich ruf die anderen an. Bis dann.“ „Bis dann. Und grüß Specki, wenn ihr ihn das nächste Mal seht.“ „Mach ich. Tschüß.“ Nachdem der Sänger aufgelegt hatte, starrte er eine Weile ins nichts. Dieser Anruf war alles andere als angenehm gewesen. Nicht nur, dass Benni offensichtlich bei Rico schlief, sie schienen sich auch noch ein Bett zu teilen. Und wer weiß, was sie noch alles taten, nach dem was er soeben hilflos mit anhören musste. Am liebsten hätte er die Augen vor der Realität verschlossen; denn er wollte nicht wahrhaben, dass er Rico wohl für immer verloren hatte… Als sie sich schließlich im Tonstudio trafen, wurde Holly einmal mehr überrascht. Dass Benni und Rico zusammen auftauchten, war ja nicht unbedingt verwunderlich und nach dem Gespräch mit dem Cellisten auch irgendwie zu erwarten gewesen. Dass sie aber bester Laune zu sein schienen und auch gleich noch Sotiria eingeladen hatten, erstaunte Holly dann doch. Verwirrt versuchte der Sänger, sich nichts anmerken zu lassen. Was war hier nur los? In welcher verkehrten Welt war er bitte gelandet? Er zweifelte schon ernsthaft an seinem Geisteszustand und begann, ein Paralleluniversum und eine parallele Zeitachse in Betracht zu ziehen. Denn Rico war ausgelassen und fröhlich, lachte mit den anderen als sei nie etwas gewesen… und ignorierte Holly kaum. Er sprach ganz normal mit ihm – jedoch nur über belanglose Dinge oder die Songs. Und noch etwas fiel dem Sänger auf: er vermied jegliche körperliche Nähe. Wann immer sie sich zu nahe kamen, distanzierte sich der Violinist unauffällig und geschickt von Holly. Nach einigen Stunden Arbeit und Probe beschlossen sie, es für heute dabei zu belassen und planten gleich ihre nächsten Treffen. Anschließend ging es ans Aufräumen. Danach kam Holly zu dem Schluss, dass es das beste wäre, Rico jetzt um ein Gespräch zu bitten. Er fand den Violinisten ans Mischpult gelehnt und mit ihrem Toningenieur diskutierend und räusperte sich. „Rico? Kann ich kurz mit dir reden?“ Der Angesprochene sah auf und legte den Kopf schief. Es war unmöglich, zu erkennen, was in ihm vorging. „Was gibt’s denn?“ „Ich würde gern unter vier Augen mit dir sprechen…“ Der Dunkelhaarige hob eine Augenbraue, reagierte jedoch nicht sofort. „Ich komm gleich.“ Dann wandte er sich wieder seinem ursprünglichen Gesprächspartner zu. „Ich warte draußen auf dich.“ Rico nickte ihm nur kurz zu, unterbrach seine Unterhaltung jedoch nicht. Vor dem Eingang zum Tonstudio holte der Sänger seine Zigaretten und das Feuerzeug hervor und steckte sich eine an. Geräuschvoll blies er den Rauch aus. So weit, so gut. Immerhin würde er mit Rico reden können. Fragte sich nur, ob es auch etwas brachte… Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür erneut öffnete und der Violinist herauskam. Als er Holly sah, wandte er sich zu ihm, blieb jedoch in einiger Entfernung stehen. „Also? Was wolltest du?“ Holly musterte den Dunkelhaarigen kurz, konnte jedoch nach wie vor nicht im geringsten abschätzen, was wohl in ihm vorging. „Ich wollte mit dir über den Abend reden, an dem wir Ria kennengelernt haben.“ „Und?“ Es war offensichtlich, dass Rico nun, da er mit Holly allein war, noch kühler und distanzierter ihm gegenüber war. Holly ließ seine Kippe fallen, trat sie aus und kam auf den Violinisten zu. „Ich möchte nur wissen, was an diesem Abend geschehen ist. Zwischen uns.“ „Was soll denn gewesen sein?“ Der Sänger glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben. Doch der harte Blick Ricos, der kein Stück zurückwich, während Holly näherkam, bestätigte auf eine seltsame Art und Weise seine Worte. Holly blieb stehen und sah den Dunkelhaarige einen Moment etwas verwirrt an. „Aber… du warst wütend. Und verletzt. Das kannst du doch nicht leugnen, Rico!“ „Ja, und? Kann ich nicht auch mal einen schlechten Tag haben? Deshalb muss ja wohl noch lange nichts aufregendes passiert sein.“ „Du hattest aber keinen schlechten Tag! Vorher warst du noch so ausgelassen und hast die ganze Zeit gute Laune gehabt. Und dann auf einmal…“ „Meine Güte! Dann hatte ich halt einen schlechten Abend. Besser?“ Genervt verschränkte Rico die Arme vor der Brust. „Und was ist mit jetzt? Geht's dir wirklich so gut, wie du es allen glauben machen willst?“ „Beantworte mir eine Frage: Warum sollte es mir denn schlecht gehen? Nenn mir nur einen plausiblen Grund dafür.“ Verständnislos sah Holly den Violinisten an. Was sollte er darauf antworten? Weil ich glaube, dass du Gefühle für mich hast und ich dich verletzt habe, ohne es zu wollen? Keine gute Idee… Doch ehe er noch dazu kam, sich eine Alternative zu überlegen und gleichzeitig darüber nachzudenken, wie er dem Dunkelhaarigen am besten begreiflich machen konnte, dass es ihm leidtat und er sich Sorgen machte, seufzte Rico genervt. „Siehst du? Du weißt auch keine Antwort auf diese Frage. Du glaubst, mich zu kennen und zu durchschauen und hast selbst nicht mal eine Begründung für deine Vermutung. Du bist einfach blind, Holly.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging zu Benni, der gerade ebenfalls das Studio verließ. Kapitel 11: Revenge of the fallen --------------------------------- Reichlich verwirrt blieb Holly zurück und wurde erst durch Micha aus seinen Gedanken gerissen. Die Einladung auf ein Feierabendbier nahm er gern an, denn ein wenig Ablenkung würde jetzt sicher gut tun. Vielleicht würde er nachher, mit etwas Distanz zu den Geschehnissen, eine plausible Erklärung für Ricos plötzlichen Sinneswandel und sein Verhalten finden. Aber im Moment beherrschten sein Inneres vor allem zwei Gefühle: Verwirrung und Enttäuschung. Eine denkbar schlechte Mischung, um auf die Lösung einer psychologisch verankerten Frage zu kommen. Während Benni, Rico und David sich entschuldigten, gingen die anderen vier Mitglieder der Instanz gemeinsam in eine Bar. Wie sich herausstellte, war es wirklich eine gute Idee gewesen, der Einladung zuzustimmen, denn so konnte Holly wenigstens für ein paar Stunden seine trüben Gedanken vergessen. Als er sich abends dann jedoch von den anderen Jungs verabschiedet hatte, geriet er wieder ins Grübeln. Er lief noch eine Weile nachdenklich durch die Straßen und kam letztlich zu dem Schluss, dass Ricos distanziertes und kühles Verhalten ihm gegenüber wohl einfach seine Art war, mit der Situation umzugehen und damit klarzukommen. Immerhin machte er dem Sänger so jedes Mal aufs Neue deutlich, dass er nichts weiter mit ihm zu tun haben wollte. Holly seufzte. Hoffentlich würde weder die Arbeit am Album, noch ihre Tournee darunter leiden. Aber andererseits… wenn sie sich jetzt aufgrund der Aufnahmen, Proben und Vorbereitungen ständig sahen, würde sich das sicher nach einer Weile wieder geben. Und dann konnte er bestimmt auch in Ruhe mit dem Violinisten reden. Dieser kleine Hoffnungsschimmer zauberte ein leichtes Lächeln auf das Gesicht des Sängers. Es war wie ein Licht am Ende eines sehr langen Tunnels.… Doch weit gefehlt! Holly ahnte noch nicht, dass er damit so falsch lag, wie die alten Gelehrten mit ihrer Vermutung, die Erde sei eine Scheibe. Denn wie sich schnell herausstellte, änderte sich das Verhalten des Violinisten nicht ein bisschen. Während der Produktion von „Ewig“ ließ er Holly weiter schmoren, indem er so tat, als sei nie etwas gewesen und gleichzeitig geschickt jeden Körperkontakt und jedes Gespräch unter vier Augen vermied. Inzwischen kam es zwar sogar mal vor, dass die beiden miteinander telefonierten; doch die Anrufe waren kurz und prägnant und ausschließlich auf die Arbeit am Album und ihre Tour bezogen. Private Dinge – selbst Smalltalk – waren eine Seltenheit und Holly wagte es nicht, den Abend noch einmal anzusprechen. Der Sänger war froh, überhaupt wieder mit Rico sprechen zu können. Diesmal wollte er es nicht erneut versauen! Also: kein überflüssiges Risiko. Wenn der Moment gekommen war, den Abend gefahrlos ansprechen zu können, würde Holly das schon merken. Das hoffte er zumindest. Doch auch die folgenden Interviews, Pressekonferenzen, Fotoshootings und Videodrehs wurden zu einer einzigen Zerreißprobe für den Sänger; denn scheinbar hatte Rico es sich zur Aufgabe gemacht, ihn endgültig aus der Fassung zu bringen. Sobald sie in der Öffentlichkeit bzw. vor einer Kamera oder einem Mikrofon waren, war der Dunkelhaarige nicht gerade zimperlich, was den sonst so hartnäckig vermiedenen Körperkontakt anging und auch mit leicht zweideutigen Bemerkungen sparte er nicht. Anfangs dachte Holly noch, dass nun vielleicht doch das Eis ein wenig gebrochen sei und der Violinist manch Zweideutigkeit schlicht nicht bemerken würde; aber er realisierte schnell, dass er sich auch damit täuschte. Der sonst eher zurückhaltende und schüchterne Rico schaffte es irgendwie, einerseits immer noch der Ruhigere zu sein und doch – wann immer es passte – das Gesagte zu kommentieren, sich an Holly ranzuschmeißen oder ihn wie zufällig zu berühren, sodass dieser völlig aus dem Konzept gebracht wurde und alle Mühe hatte, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Langsam verstand der Sänger wirklich gar nichts mehr… Wie schaffte es Rico, privat bzw. wenn sie unter sich waren, so kalt und abweisend und in aller Öffentlichkeit derart provokativ und anhänglich zu sein? Natürlich genoss Holly die Berührungen und die Nähe; doch gleichzeitig verletzten sie ihn auch. Denn er wusste nicht, aus welchen Beweggründen Rico handelte und langsam kam ihm immer mehr der ungute Verdacht, dass es eine Art Rache war… für das, was er getan hatte, womit er Rico verletzt hatte. Was auch immer das sein mochte. Doch momentan machte ihm eine ganz andere Frage zu schaffen: Wie lange wollte Rico das durchziehen und wie lange würde er selbst es aushalten? Kurz vor Tourneebeginn unternahm er einen erneuten Versuch, mit Rico zu reden. Denn das Verhalten des Dunkelhaarigen verunsicherte ihn zunehmend. Und vergrößerte zudem sein schlechtes Gewissen und seine Qual – Tag für Tag. Er wollte diesen Abgrund, der sich mittlerweile unübersehbar zwischen ihnen aufgetan hatte, endlich überwinden; wollte wissen, was mit Rico los war und endlich alles klären. Doch wieder scheiterte sein Versuch an der Distanziertheit des Violinisten, die er offensichtlich nicht ablegen wollte. Holly machte sich indes beträchtliche Sorgen, ob er die Tour unter diesen Umständen durchstehen würde und ob die anderen nicht inzwischen mitbekommen hatte, dass da irgendetwas nicht stimmte. Das wäre zwar prinzipiell nicht schlimm und eigentlich konnte Holly jede Hilfe nur Recht sein, doch andererseits waren Vermittler wohl das letzte, was sie gebrauchen konnten. Am Ende würde Rico noch denken, der Sänger hätte seine Bandkollegen dazu überredet, mit ihm zu sprechen… und das würde die Sache gewiss nur verschlimmern. Also war dieser Weg schon mal keine Option. Doch ehe er sich eine andere Möglichkeit hatte einfallen lassen, war auch schon Koffer packen angesagt. Seufzend warf er alles, was er brauchen würde, in seine Tasche und sah zu einem Foto, das die Band auf ihrem Kurztrip nach China zeigte. Sie alle grinsten ihm gut gelaunt entgegen. Traurig nahm er das Bild in die Hand und betrachtete es eine Weile. Das war wirklich eine angenehme und schöne Zeit gewesen… Erneut seufzend stellte er den Bilderrahmen wieder hin. Es brachte ihn nicht weiter, wenn er in der Vergangenheit lebte – seine Tasche packte sich immerhin nicht von selbst. Also wandte er sich wieder seinem Kleiderschrank zu und zog ein paar T-Shirts daraus hervor. Unter die sonst immer vorhandene Aufregung und Vorfreude auf die Tour mischte sich diesmal ein bitterer Beigeschmack der Nervosität. Es war diese unangenehme Art der Ruhelosigkeit, wenn man genau wusste, dass da noch etwas war, dass man unbedingt erledigen musste. Etwas, das man aber am liebsten schon längst hinter sich gebracht hätte, weil klar war, dass es nicht besonders angenehm werden würde. Am nächsten Tag zogen die Mitglieder der Instanz einmal mehr vorübergehend in den Nightliner und stellten sich darauf ein, die nächste Zeit miteinander auf engstem Raum zu verbringen. Mit anderen Worten: es würde noch schwerer für Holly werden, in Ruhe mit Rico zu reden und wahrscheinlich noch komplizierter, wenn der Dunkelhaarige seinen bisherigen Kurs beibehalten und ihm derart distanziert gegenüber treten würde. Holly seufzte innerlich bei diesem Gedanken und verstaute seine Tasche im Schlafabteil des Busses. Es war wohl das Beste, die Dinge erst einmal auf sich zukommen zu lassen und abzuwarten, was passieren würde. Sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, wie Rico sich ihm gegenüber unter diesen Umständen verhalten würde, war eh aussichtslos. Doch wenn der Sänger dachte, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte, so hatte er sich gründlich getäuscht, wie er schnell feststellen musste. Bereits die ersten Shows bewiesen ihm, dass Rico wohl nicht so schnell bereit war, mit ihm zu sprechen. Die beiden waren auf der Bühne ja immer schon recht anhänglich und tanzten miteinander, zogen sich gegenseitig aus oder spielten aneinander herum. Doch der Violinist trieb dieses Spielchen nun scheinbar mit dem größten Vergnügen auf die Spitze. Bei jeder sich auch nur im Ansatz bietenden Gelegenheit warf er dem Sänger Blicke zu, bei denen dieser unter anderen Umständen – sprich: wenn sie allein zu hause oder in einem Hotelzimmer gewesen wären – Rico sofort flachgelegt und durchgenommen hätte. Auch hatte er das Gefühl, dass sowohl die „zufälligen“ als auch die provokanteren Berührungen zunahmen. Ganz zu schweigen davon, dass er ihn noch öfter antanzte und sich scheinbar nur noch zwischen dem Sänger und Benni hin und her bewegte… Mit all dem wäre Holly ja noch irgendwie klargekommen, denn natürlich reizten ihn derartige Blicke und Berührungen und auch die Nähe zu dem Violinisten war durchaus angenehm. Doch leider blockte er immer noch ab, sobald sie die Bühne verlassen hatten. Und er beschäftigte sich, wie Holly auffiel, sehr ausgiebig mit den Jungs von Lord of the Lost. Der Sänger hatte das Gefühl, dass selbst Benni mehr Aufmerksamkeit als sonst erfuhr und langsam verhärtete sich sein Verdacht, der schon seit dem Telefonat mit dem Cellisten in seinem Unterbewusstsein verankert war: Konnte es sein, dass Rico und Benni eine Affäre hatten? Zwar hatte der Cellist vor kurzem eine Freundin gehabt, aber das musste nichts heißen. Außerdem hatten sie sich inzwischen getrennt – den Grund dafür kannte er nicht. Aber vielleicht war es Rico gewesen… Immerhin kannten sich die beiden Streicher schon seit einer halben Ewigkeit und hatten viel zusammen erlebt und durchgemacht. So abwegig war dieser Gedanke also gar nicht. Und je länger er sie still beobachtete, desto öfter sah er die kurzen Blicke, die so viel bedeuten konnten, die flüchtigen Berührungen und die ständige Nähe zwischen ihnen… Prinzipiell hatte er ja kein Problem damit – wenn es nur nicht gerade um Rico gehen würde. Und wenn dadurch nicht so viele andere Fragen aufgeworfen werden würden. So wie Rico sich benahm bzw. benommen hatte und mit der jetzigen Erkenntnis, dass er wohl wirklich schwul war, schien es nahezu sicher, dass er Gefühle für Holly gehabt hatte. Wie weit diese wirklich gingen, wusste der Sänger nicht; schließlich hatte er jahrelang geglaubt, dass er sich diesbezüglich nie Hoffnung machen dürfte und Rico in ihm nichts weiter als einen guten Freund mit gewissen Vorzügen und gleichzeitig einen sehr wichtigen Menschen in seinem Leben sah. Das bedeutete dem Sänger viel und er wusste es zu schätzen, dass Rico ihn derart respektierte und sich immer um ihn sorgte. Allerdings hätte er nie gedacht, dass da vielleicht mehr sein könnte. Sein derzeitiges Verhalten ließ jedoch kaum einen anderen Schluss zu. Das Problem war nur: jetzt war es zu spät. Er hatte sich Benni zugewandt, denn der Sänger hatte ihn verletzt. Durch seine eigene Dummheit hatte er den Menschen verletzt, der ihm am meisten am Herzen lag. Wie konnte er nur so blind sein?! Rico schien darüber hinaus auch noch sehr glücklich zu sein, was zwar im Grunde das war, was Holly wollte, doch unter diesen Umständen fiel es ihm schwer, sich für den Violinisten zu freuen. Denn dieser schien sich nun an ihm rächen zu wollen, indem er ihm zeigte, wie es war, verletzt zu werden. Und das nicht nur mit Benni. Auch Chris und seine Jungs waren um Zweideutigkeiten und versaute Sprüche nie verlegen und Rico schien neuerdings ziemlich angetan davon zu sein. Er ging im Verlaufe der Tour immer mehr auf die Kommentare vom Lord und seiner Band ein und es dauerte nicht lange, bis er sogar „mitspielte“. Besonders Chris schien es ihm angetan zu haben, denn man sah die beiden oft zusammen. Das wiederum überraschte Holly ein wenig, denn entweder war der Dunkelhaarige sehr sprunghaft oder er hatte eine offene Beziehung mit Benni. Beides passte so überhaupt gar nicht zu dem Rico, den er kannte. Doch da er auch das Verhalten des Violinisten kaum noch einschätzen konnte, sollte ihn wohl auch das nicht mehr wundern – immerhin hätte er auch nie geglaubt, dass Rico es durchziehen würde, ihn derart zu ignorieren und ihm nicht mal eine kleine Chance zu lassen, ordentlich mit ihm zu reden. Das war es nämlich, was Holly trotz aller Vorbehalte, wie der Dunkelhaarige reagieren würde, immer wieder versuchte. Aber wie sollte er es auch schaffen, ihn unter vier Augen zu sprechen, wenn er mit circa einem Dutzend anderen Kerlen unterwegs war, von denen mindestens einer scheinbar immer anwesend waren? Als er eines Nachts im Nightliner lag, die Decke anstarrte und über die bisherige Tour nachdachte, während die restliche Band schlief, beschlich ihn sogar das seltsame Gefühl, dass Chris und Benni scheinbar nie von Ricos Seite wichen – mindestens einer der beiden war eigentlich immer da. Konnte das wirklich nur Zufall sein oder sorgten der Lord oder der Cellist absichtlich dafür, dass Rico nie allein mit Holly war? Lautlos seufzend drehte sich der Sänger auf die Seite. Er würde wirklich mit dem Violinisten reden müssen, wenn die Tour vorbei war – koste es, was es wolle. Auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie er das machen sollte… Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht mal mehr, denn inzwischen war das Tourfinale quasi schon in Sichtweite. Doch zuvor musste Holly erstmal die letzten Gigs, Stadtbummel und Barbesuche überstehen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Leichter gesagt, als getan, wie sich herausstellte. Denn je näher sie dem finalen Gig in Berlin kamen, desto mehr schien Rico es darauf anzulegen, ihn vollends durchdrehen zu lassen. Einmal betrat er nichtsahnend den Backstage-Bereich eines Clubs und fand den Violinisten auf der Couch in Chris' Armen vor. Die beiden schienen gerade nicht unbedingt nur beim Kuscheln zu sein. Hinter ihm kamen auch Disco und Class herein. „Boah, sucht euch ein eigenes Zimmer.“, meinte der Drumer von Lord of the Lost grinsend und verdrehte die Augen. „Mach doch mit, Disco. Dann stört's dich nicht mehr. Die beiden werden wohl kaum was einzuwenden haben.“ „Au ja!“ Mit sichtlicher Freude huschte Disco an dem Sänger der Instanz vorbei und warf sich schwungvoll zu Chris und Rico auf die Couch, die gefährlich knarzte. „Nicht so stürmisch.“ Auch Rico grinste, jedoch nur so lange, bis der Drumer quasi genau auf ihm landete und ihm die Luft wegblieb. „Mein Gott… bist du atemberaubend.“ „Ohh… machst du jetzt ihm schöne Augen?“, schaltete sich nun auch Chris ein und bedachte den Violinisten mit einem Blick wie von einem ausgesetzten Welpen. „Und was ist mit mir?“ „Keine Sorge, dich würde ich doch niemals ignorieren.“ Spielerisch strich er dem Sänger durchs Haar. Class hielt sich indes den Bauch vor Lachen, während Gared reinkam, eine Augenbraue hob und den Haufen auf dem Sofa betrachtete. „Treiben die's schon wieder am helllichten Tag?“ Holly fragte sich ernsthaft, wie er es schaffte, eine solche Frage derart trocken rüberzubringen. Noch dazu, wenn sich sein Bandkollege neben ihm vor Lachen nicht mehr einkriegte. Der Sänger der Instanz war jedenfalls verdammt froh, in dem Moment von Oli gerufen zu werden und somit eine Ausrede zu haben, wieder zu verschwinden. An dieser Szene würde er wohl noch lange zu knabbern haben… aber er war ja selbst schuld. Warum war er all die Zeit auch so blind gewesen? Als dann der Gig in Berlin anstand, war Holly fast endgültig fertig mit den Nerven. Inzwischen hatte mehrere Bandmitglieder gefragt, ob er über irgendetwas reden wolle, doch er hatte jedes Mal dankend abgelehnt. Was hätte er auch sagen sollen? Er konnte nicht erwarten, dass die anderen so tolerant waren und er wusste nicht, wie oder wo er anfangen sollte. Immerhin war das ein ziemlich heikles Thema – nicht nur, dass er in einen Bandkollegen verliebt war, er war darüber hinaus auch noch schwul… Inzwischen bereute er es jedoch, sich niemandem anvertraut zu haben; er hatte das Gefühl, kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen und wahrscheinlich würde es auch so kommen, wenn er nicht schleunigst etwas unternahm. Aber einen Hoffnungsschimmer gab es: sie waren bereits auf dem Weg nach Berlin und das hieß, ihr letzter Gig stand bevor. In seiner Heimat. Er konnte also nach dem Konzert nach Hause in seine Wohnung fahren und sich überlegen, wie er die Sache mit Rico am besten angehen sollte, ohne ihn noch mehr zu reizen oder zu verletzen. Immerhin waren all seine vorherigen Versuche, ein vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen, gescheitert… Doch als es schließlich soweit war und sich das Kesselhaus in Berlin allmählich füllte, hatte er immer noch keinen Ansatz gefunden, wie er an Rico herankommen oder überhaupt zu ihm durchkommen sollte. Doch wenn der Violinist erst mal wieder in Dresden war, würde es wohl noch schwerer werden. Andererseits: vor dem Konzert mit ihm zu reden, wäre eine ziemlich schwachsinnige Idee – immerhin wusste er nicht, wie das Gespräch laufen würde und im schlimmsten Fall wäre der gesamte Gig in Gefahr. Das durfte er nicht zulassen; es ging schließlich um das große Finale ihrer Tournee. Persönliche Probleme hatten auf der Bühne nun mal nichts verloren – ihre Fans hatten immerhin Geld für das Konzert ausgegeben und wollten dafür eine ordentliche Show sehen. Und die sollten sie kriegen! Egal, was Holly gerade durchmachte. Seufzend ließ er sich in einen Sessel fallen. Er würde das schon irgendwie hinkriegen. „Hey, alles klar?“ Holly D. setzte sich zu ihm. „Ja, alles in Ordnung. Geht nur echt schnell rum die Zeit, was?“ „Stimmt. Das ist schon wieder unser letzter Gig… kommt einem immer gar nicht so lang vor.“ „Kannst du laut sagen.“ Plötzlich hörte man die Fans in der Halle kreischen. „Ich glaub, es geht los.“, meinte Bo auf einmal, der gerade aus dem Bad kam. „Rockt die Bude und heizt denen mal ordentlich ein.“, antwortete Holly D. „Dann langweilen sie sich am Ende bei euch.“ Der Gitarrist von Lord of the Lost grinste. „Keine Sorge, wir werden ihnen schon zeigen, wer die bessere Band ist.“ Alle lachten. „Viel Spaß.“ Damit verschwand Bo zusammen mit seinen Bandkollegen auf der Bühne. Die Mitglieder der Instanz vertrieben sich während des Auftrittes ihrer Vorband die Zeit mit belanglosem Smalltalk. Als aus dem Zuschauerraum besonders lautes, vornehmlich weibliches Kreischen zu hören war, konnte Holly seine Neugier nicht unterdrücken und ging zum Bühnenaufgang. Er war ohnehin gerade ein wenig unstet hin und her gelaufen, um seine Nervosität zu bekämpfen und da Rico momentan auf der Bühne bei den Jungs von Lord of the Lost war, wollte er natürlich erst recht wissen, was da vor sich ging. Doch was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Stocksteif stand er da, nicht im Stande sich zu rühren und starrte auf die Szene, die sich ihm bot: Rico schien Chris und seinen Jungs gerade eine wunderschöne „Kriegsbemalung“ verpasst zu haben und nun küssten sich die beiden vor aller Augen. Und das nicht etwa schüchtern und zurückhaltend, sondern sehr leidenschaftlich und intensiv… und wie es Holly vorkam minutenlang. Er hatte es sich also wirklich nicht eingebildet – die Zweideutigkeiten, die Berührungen, die Blicke, die Nähe, das aneinander Rumspielen. Der Sänger spürte, wie seine Knie nachgaben. Panisch griff er nach dem Geländer, um sich festzuhalten. Er durfte nicht zusammenbrechen, nicht jetzt. Nicht kurz vor ihrem eigenen Auftritt. Das musste bis danach warten. Doch Holly hatte keine Ahnung, ob er den Gig durchstehen würde – irgendwie hatte er es bisher immer geschafft, all das auszublenden, wenn er auf der Bühne stand. Aber diese Provokation war einfach zu viel. Rico hatte es tatsächlich geschafft; er hatte ihn gebrochen… und er hatte eine derart starke Welle der Eifersucht in Holly ausgelöst, dass dieser über sich selbst schockiert war. Er hätte nie gedacht, dass er auf jemanden so extrem eifersüchtig sein könnte – besonders da ihm klar war, dass Chris nichts dafür konnte. Selbst Rico konnte er keine Schuld geben; immerhin hätte er das alles haben können, wenn er nur viel früher den Mund aufgemacht hätte. Wenn er sich nur getraut hätte, etwas zu sagen. Doch er hatte damals zu viel Angst gehabt – um die Band und darum, dass Rico ihn vielleicht verabscheuen würde… Zwei gute und für ihn völlig ausreichende Gründe, um zu schweigen. Und wie sich jetzt herausgestellt hatte zwei ebenso fatale Irrtümer. Dennoch konnte er das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, nicht bekämpfen. Er selbst küsste Rico so selten. Nur beim Sex um genau zu sein. Und das war Ewigkeiten her. Es schien ein anderes Leben zu sein, in dem er noch mit Rico geschlafen hatte; denn seit dem Unfall hatten sie nicht einmal mehr eine Andeutung in diese Richtung gemacht und Holly wollte Rico auch nie zu irgendetwas drängen. Dazu hatte er die schöne Zeit mit ihm zu sehr genossen. Doch jetzt wurde ihm umso deutlicher bewusst, wie sehr er die Berührungen des Violinisten vermisste. Dessen sanfte Haut, die Küsse, die verführerischen, warmherzigen Blicke, sein Stöhnen… All das erschien ihm nun so unsagbar weit weg, sodass er Angst hatte auch noch die Erinnerung daran zu verlieren. Trotzdem musste er sich zusammenreißen. Er hatte gleich ein Konzert zu spielen und da durfte er sich nicht anmerken lassen, wie fertig er war. Dafür hatte er Zeit, wenn er zu hause in seiner Wohnung sein würde. Allein. Wahrscheinlich für immer. Denn nun lag die Antwort für ihn klar auf der Hand: er würde nicht versuchen, irgendwie ein Gespräch mit Rico zu erzwingen. Er würde ihn anrufen, sich entschuldigen und ihm viel Glück wünschen; auch wenn es ihm schwer fiel, aber sein einziger und innigster Wunsch war schon immer gewesen, dass Rico glücklich werden würde. Danach würde dann wohl die schwerste Zeit für ihn anbrechen. Die, in der er darüber hinwegkommen und lernen müsste, damit zu leben. Wahrscheinlich würde es ziemlich lange dauern, aber das hatte sich Holly selbst zuzuschreiben. Trotz dieser nun auf seiner Seele ruhenden Last schaffte er es irgendwie, so zu tun, als sei alles okay und brachte sogar den Auftritt gut über die Bühne. Auch der anschließende „Fanservice“, die vielen Fragen, Fotos und Unterschriften meisterte er – immerhin waren sie eine willkommene Ablenkung, denn etwas Konzentration auf die Fans war schon erforderlich. Anschließend hieß es abbauen, zusammenpacken und Abschied nehmen. Doch nachdem alles im Nightliner verstaut war, mussten erst mal alle Bandmitglieder der Instanz und von Lord of the Lost gefunden werden. Sonst konnte man sich schlecht voneinander verabschieden. Holly ging gerade noch einmal in den Backstage-Bereich, um seine restliche Band zu suchen, als die Tür zum Bad aufging. Mitten in der Bewegung hielt der Sänger inne und starrte auf die Tür. Heraus kamen Chris und ein etwas verwuschelter Rico… Die Stimme Gareds, der seinen Sänger zu sich rief, nahm Holly nur halb wahr. Sein Blick war auf den dunkelhaarigen Violinisten gerichtet, der sich nun mit einer Hand durch die Haare fuhr. Chris flüsterte ihm etwas ins Ohr, was Holly nicht verstand und ging dann zu Gared. Der Sänger der Instanz stand indes immer noch wie angewurzelt da. Kapitel 12: Von Anfang an ------------------------- Rico sah ihn mit erhobener Augenbraue nahezu herausfordernd an. Holly starrte indes völlig entgeistert zurück. Konnte es wirklich sein, dass…? Der Sänger hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. Er ging unsicher einen Schritt auf seinen Bandkollegen zu und wartete kurz, bis sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte. Denn der hatte in dem Moment, als er den Dunkelhaarigen und Chris aus dem Bad kommen sah, scheinbar für einige Zeit ausgesetzt. Der Anblick war einerseits schockierend, andererseits verletzend und sein eigentlicher Plan, noch einmal zu versuchen, ganz in Ruhe und unter vier Augen mit Rico zu sprechen, war dahin. In diesem Moment konnte er nicht klar denken, tausende von Gedanken schossen gleichzeitig durch seinen Kopf und dann war da plötzlich nur noch Leere. Der Sänger atmete noch einmal tief durch, ehe er Rico ernst ansah. Er hoffte nur, dass er keinen weiteren Fehler begehen würde – doch dafür konnte er nicht garantieren. Denn das war eindeutig zu viel für ihn gewesen. Mühsam versuchte er, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Was zur Hölle sollte das?“ Der Dunkelhaarige, der seine Augenbraue inzwischen wieder gesenkt hatte, hob sie nun wieder. „Was meinst du?“ Doch was Holly noch mehr reizte als die kühle, distanzierte Art Ricos, war der Fakt, dass letzterer diese Frage offensichtlich auch noch ernst meinte. Aufgebracht sah er den Violinisten an und wurde ungewollt etwas lauter. „Du weißt ganz genau, was ich meine!“ Und ohne es zu wollen, rutschte ihm auch noch eine Frage heraus, auf die er eigentlich nicht unbedingt eine Antwort haben wollte – zwar würde ihn der Gedanke daran nie loslassen, doch die Wahrheit zu kennen, war vielleicht noch schmerzhafter. „Hast du's allen Ernstes mit Chris da drin getrieben?“ Rico jedoch blieb vollkommen ruhig und reagierte gelassen auf die hitzige Reaktion des Sängers. Er schien sogar fast ein wenig gelangweilt zu sein. „Wie kommst du denn darauf?“ Der leicht ironische Unterton in der Stimme des Dunkelhaarigen entging dem Sänger keineswegs und machte ihn nur noch wütender. Warum wollte Rico sich so sehr an ihm rächen? Hätte es nicht gereicht, ihn backstage (mehr oder weniger) zu ignorieren und onstage an ihm rumzuspielen? Musste er es derart ausreizen? Er hatte ja nicht einmal eine richtige Chance bekommen, ihm irgendetwas persönlich zu erklären oder sich gar zu entschuldigen. Und solche Dinge regelte man nun mal nicht per Email, SMS oder über die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Zumal Rico wahrscheinlich keine seiner Nachrichten gelesen bzw. abgehört hätte… Wie also hätte er sonst mit ihm kommunizieren sollen, ohne gegen den Willen Ricos zu handeln? Anfangs hatte er sich einfach nur mies deswegen gefühlt und war verzweifelt gewesen, aber so langsam wuchs neben seiner Eifersucht auch seine Wut. So sehr er Rico auch verletzt haben mochte – der Violinist machte es ihm nicht gerade leicht, eine Möglichkeit zu finden, das wieder gutzumachen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Dunkelhaarige ihn inzwischen selbst ziemlich verletzt hatte… Und so reagierte er in seiner Verzweiflung dennoch auf die Frage Ricos, obwohl ihm klar war, dass diese rhetorischer Natur sein sollte. „Ihr knutscht ja auch auf der Bühne wild rum und befummelt euch backstage vor aller Augen!“ Rico stand immer noch ungerührt da und schien davon überhaupt nicht beeindruckt zu sein. Ganz im Gegenteil: seine Gelassenheit nahm nicht ein bisschen ab – oder zumindest wirkte es so; er führte sich fast so auf, als würde ihn das alles nicht betreffen. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein sehr guter Schauspieler, denn Holly bezweifelte, dass es den Violinisten wirklich derart kalt ließ, dass sie sich mehr oder weniger lauthals stritten. Rico war auch früher schon sehr sensibel gewesen und hatte immer als erstes mitbekommen, wenn irgendetwas bei irgendjemandem im Argen lag… weshalb die meisten Mitglieder der Instanz mit Problemen zu ihm gingen. Zwar war auch Benni diesbezüglich ein guter Ansprechpartner, aber irgendwie hatte Rico so eine beruhigende Art an sich. Auch Holly hatte damals schnell bemerkt, wie gut der Dunkelhaarige zuhören konnte. Doch jetzt erkannte er ihn kaum wieder – schon allein das war Grund genug, daran zu zweifeln, dass sein Verhalten ernst gemeint und nicht nur Fassade war… Doch die Stimme des Violinisten riss ihn aus seinen zweifelnden Gedanken. „Na und? Was geht es dich an? Und außerdem: selbst wenn ich mit ihm geschlafen hätte – was wäre dann?“ „Was mich das angeht?!“ Der Sänger machte einen weiteren Schritt auf Rico zu – diesmal jedoch entschlossen und bestimmt. „Wir sind in einer Band, verdammt! Und wir waren mal sehr, sehr gute Freunde! Reicht das nicht?! Und außerdem interessiert es mich sehr wohl, wen du küsst! Also: was habt ihr da drinnen getrieben?“ So langsam riss bei Holly der Geduldsfaden. Ob das von Ricos Seite nun alles gespielt war oder nicht – er hatte inzwischen ernsthaft Probleme, sich zu beherrschen und seine Wut wurde besonders in der Lautstärke seiner Stimme deutlich. Er wusste nur nicht, wie er Rico noch begreiflich machen sollte, was in ihm vorging, ohne ihn gleich mit seinen Gefühlen zu konfrontieren. Sein Kopf war wie leer gefegt und dennoch herrschte in seinem Herzen ein einziges Chaos. Es war ein Paradoxon, das die Situation nicht gerade leichter machte. Allerdings schien auch der Violinist allmählich genug zu haben, denn der Sänger bemerkte das kurze Zucken seiner Augenbrauen und auch die Veränderung in seinem Blick. Jetzt schien auch er endgültig gereizt zu sein und stieß Holly von sich weg. „Was soll das? Bist du verrückt geworden?! Ich bin kein Kind mehr, auf das man aufpassen muss! Und selbst wenn, wärst du sicher der letzte für diese Aufgabe!“ Der Sänger machte ob dieses unerwarteten Stoßes ein paar unkontrollierte Schritte nach hinten; er spürte, dass er nun nicht nur im übertragenen Sinne mit dem Rücken zur Wand stand. Zurückgedrängt und durch all die Missverständnisse verunsichert, die in der gesamten letzten Zeit zwischen ihnen entstanden waren, wurde auch seine Stimme wieder leiser. Man konnte sogar die Verunsicherung darin ein wenig hören. Seine Wut war mit einem Mal so schnell verraucht, dass er sich nun kraftlos und verletzlich fühlte. Er hatte genug von dem endlosen Streit; er wollte ihn nur noch beenden. Hier und jetzt, für immer. „Natürlich bist du kein Kind mehr, aber-“ Doch Holly kam nicht einmal dazu, seinen Satz zu beenden, denn er wurde von Rico unterbrochen. Dieser sah ihn nun ebenso wütend an, wie es Holly bis vor wenigen Sekunden noch gewesen war. „Na also, da hast du's! Und ganz nebenbei: das ist mein Leben – damit kann ich ja wohl machen, was ich will!“ Seine Worte waren hart und eindeutig. Und sie trafen Holly tief, denn das war es nicht, was er hatte sagen wollen. „Du verstehst es einfach nicht! Ich mach mir Sorgen um dich, Rico!!“ Es war ein Fehler. Das bemerkte Holly noch im selben Moment, als der Satz über seine Lippen kam, denn nun war Rico eindeutig stinksauer. Seine Stimme bebte leicht und war erfüllt von bitterem Sarkasmus. „Sorgen? Ach ja? Oh, verzeih, dass ich das nicht bemerkt hab. Es hat sich ja nur so angefühlt, als wolltest du mich kontrollieren und mir vorschreiben, was ich darf und was nicht – wie konnte ich das nur mit Sorge verwechseln?!“ Es war wie stechender, beißender Hohn und alle Versuche, sich dagegen zu wehren, blieben erfolglos. Der Sänger schaffte es nicht, die verzweifelte Wut, die nun zurückkehrte, zu unterdrücken. Sich einfach vor den Worten des Violinisten zu verschließen und alles von sich abprallen zu lassen. Zwar wusste er, dass diese Worte – wahrscheinlich sogar ungewollt – Einblicke in das zerstörte Seelenleben des Dunkelhaarigen und dessen mit tiefen Wunden und Narben übersätes Herz gaben. Doch seine Vernunft wurde von seiner Verzweiflung nahezu mühelos ausgeschaltet – es war, als würde er nur noch seinen Instinkte gelenkt werden und nicht mehr selbst handeln. Ohne es zu merken, hatte Holly ausgeholt, doch als er in die vor Wut funkelnden, herausfordernden Augen des Violinisten sah, hielt er mitten in der Bewegung inne und ließ wie in Zeitlupe seine Hand sinken. Der Blick des Dunkelhaarigen brannte sich in sein Gedächtnis; es war als hätte er ihm stumm entgegen geschrien: „Na los, mach schon! Schlag zu, wenn du dich traust!“ Entgeistert starrte er auf seine Hand, als würde sie nicht zu ihm gehören. Als wäre sie ein Fremdkörper. Der Sänger atmete keuchend, als hätte er einen Sprint hinter sich und begriff nur sehr langsam, was gerade geschehen war. Als ihm dann klar wurde, was er beinahe getan hätte, fing sich alles um ihn herum an zu drehen. Er wollte zurückweichen, prallte mit dem Rücken jedoch gegen die Wand und rutschte an ihr herab. Seine Beine trugen ihn ohnehin nicht mehr. Tränen brannten hinter seinen Augen, als er in sich zusammengesunken vor Rico am Boden saß und ins Nichts starrte. Er konnte einfach nicht glauben, dass das wirklich passiert war. „Oh Gott… Es… es tut mir so leid, Rico.“ Völlig hilflos schlang er die Arme um seinen eigenen Körper, versuchte, irgendwie Halt zu finden und hatte doch das Gefühl, immer tiefer zu fallen, ohne jemals anzukommen. Ein leichtes Zittern ging durch den Körper des Sängers und seine Schultern bebten, als die erste Träne sich ihren Weg über seine Wange bahnte. Er hatte versucht, sie zu unterdrücken, doch er war nun vollends kraftlos und fühlte sich so unsagbar schwach und verletzlich wie schon seit langem nicht mehr. Auch seine Stimme war mehr ein leises, verzweifeltes Wimmern. Er hatte keine Fehler machen wollen und doch alles falsch gemacht. Ob ihm Rico überhaupt irgendwann vergeben würde? Wahrscheinlich würde er auch nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen… Seine Karriere als Sänger der Instanz war somit wohl endgültig beendet. Doch seine Gedanken waren nur von der einen Tatsache beherrscht: Rico würde ihn hassen und er würde ihn heute wohl das letzte Mal sehen… „Was denn? Was tut dir leid?“ In seiner Verzweiflung merkte Holly nicht, dass sich die Stimme des Violinisten verändert hatte. Da war keine Wut mehr und auch kein Sarkasmus. Sie klang eher… neutral. „Alles… Das mit dem Streit… Das mit dem Abend damals… und… Gott, ich wollte dich nicht schlagen, Rico… Das könnte ich einfach nicht.“ Der Sänger biss sich auf die Lippe, um ein Schluchzen zu unterdrücken, während die Tränen nun ungehindert über seine Wangen liefen. Er kam sich so klein und hilflos vor wie ein Kind. Was musste Rico nur von ihm denken? Wollte sich entschuldigen, verursacht stattdessen einen Streit und heult dann herum, als wolle er nur Mitleid erregen. Dabei war das nicht mal die Wahrheit. Mitleid wollte er nicht; das hatte er nicht verdient – schon gar nicht von Rico. Nicht nach allem, was passiert war und was er ihm angetan hatte. „Und ich wollte dich auch nie verletzen…“, fuhr der Sänger dann leise fort. „Ich werde die Band verlassen und dich auch ab sofort für immer in Ruhe lassen… Du hast es nicht verdient, weiter wegen mir leiden zu müssen…“ Die Worte taten weh, denn eigentlich liebte der Autor die Instanz. Hier fühlte er sich wohl und die Zeit mit den Jungs war mit die schönste seines Lebens. Und mehr noch als alles andere liebte er den dunkelhaarigen Violinisten mit seinem süßen Lächeln und den wunderschönen Augen. Doch er hatte es sich selbst zuzuschreiben, wenn er nun gehen musste. Er hatte einfach alles zerstört, was ihm wichtig war. „Aber bitte… Sag mir nur noch, was mit dir los ist. Ich flehe dich an, Rico… Es würde mir keine Ruhe lassen… Ich mach mir doch einfach nur Sorgen um dich… und ich verstehe es nicht. Warum hast du mir nicht wenigstens eine kleine Chance gegeben, vernünftig mit dir zu reden?“ Und leise murmelnd fügte er noch hinzu: „Ich will nicht, dass dieses Gespräch so endet… Und ich möchte wenigstens die Möglichkeit haben, mich ordentlich zu entschuldigen für das, was ich dir angetan habe. Die Fehler, die ich gemacht habe… Denn ich… will dich nicht verlieren.“ Obwohl Holly immer leiser geworden war, hatte ihn der Dunkelhaarige dennoch verstanden. Nachdenklich sah er zu ihm herab, reagierte jedoch nicht sofort. Stattdessen seufzte er. „Was redest du da nur?“, murmelte er so leise, dass Holly es nicht verstand. „Kannst du dir das wirklich nicht denken?“ Der Sänger hatte sich inzwischen zumindest wieder halbwegs unter Kontrolle und sah nun aus geröteten Augen zu ihm auf. Sein fragender Blick machte jede Antwort überflüssig. Er wirkte wie ein Hundewelpen, den man getreten und ausgesetzt hatte. „Jetzt sieh mich doch nicht so an…“ Vorsichtig kniete sich der Dunkelhaarige vor Holly hin und musterte ihn nach wie vor nachdenklich. Letzterer verfolgte jede Bewegung des Violinisten und nahm zum ersten Mal seit ihrer Auseinandersetzung sowohl die Veränderung seiner Stimme als auch die seines Blickes wahr. Langsam hob Rico eine Hand und legte sie an die Wange des Sängers, der daraufhin die Augen schloss. „Manchmal habe ich das Gefühl, du bist damals wirklich erblindet.“ Mit dem Daumen wischte er eine Träne aus dem Augenwinkel Hollys, der ihn nun reichlich verwirrt ansah. „Was… meinst du damit?“ Seine Stimme klang ein wenig kratzig und wieder musste er feststellen, dass er das Verhalten des anderen einfach nicht verstand. Er hätte etwas völlig anderes erwartet, doch jetzt schien da wieder der fürsorgliche, warmherzige Rico zu sein, der sich um andere stets mehr kümmerte als um sich selbst. Doch womit hatte er ausgerechnet so einen liebevollen Menschen wie Rico verdient? Die kalte, abweisende Art der letzten Zeit hatte ihm deutlich gemacht, dass er eigentlich keine Berechtigung hatte, mit dem Violinisten befreundet zu sein. Er hatte ihn verletzt und ausgenutzt. Ausgerechnet ihn. Und doch schien der Dunkelhaarige nun überhaupt nicht mehr wütend zu sein. Oder zumindest nahm er es ihm nicht mal mehr halb so übel, was passiert war, wie er bis eben noch angenommen hatte. „Ich hab das Gefühl, dass du mich manchmal gar nicht mehr richtig wahrnimmst, Holly.“, meinte Rico leise seufzend. Er ließ sich neben den Sänger sinken und lehnte sich ebenfalls an die Wand. Nach wie vor in Gedanken versunken, starrte er an die Decke. „Aber… ich…“ Nun war Holly endgültig verwirrt. Völlig aus dem Konzept gebracht, sah er den Dunkelhaarigen von der Seite her an, wobei ihm nicht entging, wie wunderschön Rico aussah. Seine weichen Gesichtszüge, die sanfte Haut… Holly hatte Mühe, sich zusammenzureißen und seinen Drang zu kontrollieren, den Violinisten einfach berühren zu müssen. Doch genau danach sehnte er sich in diesem Augenblick mehr als je zuvor. Auch vorher war es schon ziemlich hart gewesen – wenn er nachts wach im Nightliner lag in dem Wissen, dass Rico eigentlich so nah und doch unerreichbar für ihn war, wenn er mit den anderen Jungs durch die Städte bummelte oder im Backstage-Bereich nervös auf den Gig wartete. Wenn er auf der Bühne stand und Lieder über Gefühle sang, die er selbst auf so schmerzliche Weise erfahren hatte. Doch Holly konnte Rico schlecht die ganze Zeit sehnsüchtig anstarren. Er musste erst einmal seine holprige Antwort zu Ende bringen. „Natürlich nehme ich dich wahr! Du bist für mich immerhin viel mehr als nur irgendein Freund.“ „Aber dennoch übersiehst du das Offensichtliche.“, meinte Rico leichthin. Er schien jedoch nicht gewillt zu sein, genauer in seiner Antwort zu werden. Holly sah ihn verwirrt an; langsam verstand er gar nichts mehr. Was sollte das nun schon wieder bedeuten? Resigniert seufzend schüttelte der Sänger den Kopf – er kam sich so dumm vor. „Du sprichst in Rätseln, Rico… Was wird das hier? Eine Denksportaufgabe? Lässt du mich so lange raten, bis ich darauf komme, was los ist?“ Langsam ließ er seinen Kopf gegen die Schulter des Violinisten sinken und lehnte sich an ihn. Es tat gut, dem Dunkelhaarigen so nah zu sein und gab ihm Halt; denn irgendwie fühlte er sich einfach ausgebrannt. Er konnte spüren, dass Rico ihn für einige Momente nachdenklich ansah. Doch er sagte nichts. „Das ist ziemlich gemein. Ich weiß in letzter Zeit einfach nicht, was in dir vorgeht. Und du willst ja offensichtlich auch nicht darüber reden.“ Rico schien für einen Moment zu überlegen, wie er darauf reagieren sollte. Oder vielleicht genoss er auch einfach nur die Ruhe, die zwischen ihnen herrschte. Immerhin war es bisher nur kühle Distanz oder Streit gewesen… Kein Wunder also, wenn das auch an Ricos Nerven gezerrt hatte; so etwas ging wohl kaum spurlos an jemanden vorbei, der stets sensibel und gefühlsbetont war. „Siehst du? Genau das habe ich gemeint: du weißt im Grunde momentan nichts über mich – und das obwohl wir uns nun schon seit Jahren kennen.“ „Momentan?“, fragte Holly überrascht. „Da untertreibst du jetzt aber ein bisschen. Immerhin geht das schon so, seit wir damals in der Bar Sotiria kennengelernt haben.“ Langsam schloss er die Augen und glaubte, zu spüren, wie Rico leicht zusammenzuckte, als er den Namen der Sängerin aussprach. Doch er konnte es nicht mit Gewissheit sagen und war auch nicht in der Lage, weiter darüber nachzudenken. Nicht jetzt. Wieder herrschte eine Weile Schweigen zwischen den beiden Mitgliedern der Instanz. Dann räusperte sich der Violinist; seine Stimme klang irgendwie hohl – als würde er sich bemühen, neutral zu klingen. „Es überrascht mich, dass du dir dessen so genau bewusst bist, aber mein Verhalten ansonsten kein bisschen verstehst.“ Holly sah auf und betrachtete Rico nachdenklich. Was war denn auf einmal mit ihm los? Hatte er es sich nicht nur eingebildet, dass er auf Sotiria irgendwie seltsam reagierte? Doch der Sänger sagte nichts weiter dazu; er wollte, dass Rico es entweder von sich aus erzählte oder ihm zumindest einen konkreteren Hinweis gab. Und er hatte das Gefühl, dass er dies am ehesten erreichen würde, wenn er einfach abwartete. Als hätte er Hollys Gedanken gelesen, seufzte der Dunkelhaarige. „Ich möchte dir etwas erzählen. Wenn du es danach immer noch nicht begreifst, kann ich dir wirklich nicht mehr helfen, Holly.“ Er machte eine kurze Pause, wie um nach den richtigen Worten zu suchen. „Dieser Song, den du mit Eisblume singst… Blind… ich habe ihn bereits gelesen, bevor du der restlichen Instanz davon erzählt hast.“ Diese Aussage war für Holly ein Schock. Ein einziger Satz, der alles veränderte. Sein Denken war einmal mehr an diesem Tag vollends lahmgelegt; er konnte sich nicht einmal rühren. Eigentlich wollte er etwas erwidern, doch dazu fehlten ihm die Worte. Der Sänger wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Völlig entgeistert starrte er seinen Bandkollegen an, der sich daran nicht wirklich zu stören schien. Er schaute ins nichts und fuhr mit neutraler, fester Stimme fort. „An dem Tag, als wir Ria in besagter Bar kennengelernt haben, fand ich beim Packen einen Zettel in deinem Schlafzimmer. Du standest unter der Dusche… und ich war neugierig. Also hab ich ihn gelesen… Dieser Song, er…“ Wieder schien Rico kurz abzuwägen, was er sagen sollte. „Er hat mir Hoffnung gemacht. Hoffnung auf etwas, das ich mir nie zu wünschen gewagt habe… Doch bevor ich den Mut aufbrachte, mit dir darüber zu reden, hast du mit einer einzigen Frage – ohne es selbst zu bemerken – all meine Hoffnung wieder zerstört… In diesem Moment brach meine Welt in sich zusammen. Denn ich hatte es gewagt, etwas zu begehren, dessen ich mir eigentlich hätte bewusst sein müssen, dass es niemals funktionieren, mir niemals gehören würde…“ Langsam drückte sich Rico von der Wand ab und stand auf. Auf seinen Lippen bildete sich ein trauriges Lächeln, während die Erkenntnis, was das alles bedeutete, langsam in Hollys Bewusstsein eindrang. Dennoch brauchte er lange, um es zu verarbeiten. Konnte es wirklich sein, dass…? Er wagte es nicht, diesen Gedanken auch nur im Geiste zu Ende zu formulieren. Und doch wollte er nichts mehr, als die Wahrheit zu erfahren. Egal, wie diese aussehen würde – er musste es wissen. „Rico… du…“ Doch die Worte wollten nicht so recht zusammenpassen. Der Sänger war so durch den Wind durch das, was er gerade gehört hatte, dass er nicht klar denken, geschweige denn vernünftig reden konnte. „Deine Gefühle… der Grund für dein Leid… Kann es- kann es sein, dass…“ Doch er brachte diesen einen Satz einfach nicht über die Lippen. Diese eigentlich so einfache Frage, die er sich jahrelang untersagt hatte. Nun verfluchte er sich innerlich dafür; hätte er nur früher all seine Vernunft zum Teufel gejagt! Vielleicht hätte es ihnen so viel Schmerz ersparen können. Rico sah indes über seine Schulter zu Holly. Seine Augen waren matt und glanzlos, wie dem Sänger nun auffiel. Seit wann hatten sie ihren lebendigen Schimmer schon verloren? Und warum war ihm das bisher entgangen? Inzwischen waren die Augen des Violinisten nur noch ein Ozean aus traurigen Erinnerungen; doch scheinbar hatte Rico bereits mit diesem Thema abgeschlossen und es endgültig aufgegeben. Ihn endgültig aufgegeben. Diese Erkenntnis traf den Sänger mitten ins Herz. Unbewusst fasste er sich an die Brust, denn diese zog sich nun wieder schmerzhaft zusammen. „Ja, es ist wahr. Ich liebe dich, Holly… mehr als alles andere auf der Welt.“ Der dunkelhaarige Violinist wandte den Blick wieder ab und sah nach wie vor traurig lächelnd zu Boden. „Ich konnte es nicht ertragen, so von dir verletzt zu werden. Auch wenn du dir dessen nicht im Geringsten bewusst warst.“ Sein Blick wanderte unstet hin und her, doch er schien nicht wirklich etwas wahrzunehmen. „Im ersten Moment habe ich dich dafür sogar gehasst – ich war wütend und enttäuscht. Und als du dann auch noch ganz unbedarft gefragt hast, ob alles okay sei, konnte ich nicht anders, als dir eine runterzuhauen… Im Nachhinein habe ich mich dafür natürlich selbst am meisten gehasst; du konntest ja nichts dafür. Aber ich habe es auch gehasst, diesen Song zu spielen. Denn aus meiner Sicht warst du derjenige, der einfach nur blind war. Es lag mit wenigen Ausnahmen alles vor dir – all die Antwort, all die Zusammenhänge. Du hättest sie theoretisch so leicht erkennen können… Doch du hast es einfach nicht gesehen.“ Leise seufzte er, drehte sich wieder zu Holly und kniete sich erneut vor ihn. „Natürlich tut mir das mit deiner Wange leid. Ich hoffe, sie hat nicht allzu sehr wehgetan und du verzeihst mir diesen Ausrutscher.“ Vorsichtig strich er über die einst gerötete Wange und lächelte ein wenig verträumt, als wäre er in Erinnerungen an schönere Zeiten versunken. Der Sänger sah ihn währenddessen immer noch aus großen Augen an und konnte kam glauben, was er da hörte. Es dauerte lange, bis er es endgültig realisiert hatte, was hier gerade geschah. „Ich wollte dich nicht schlagen, doch ich hatte mich nicht mehr im Griff. Das tut mir wirklich leid, Holly. Von Herzen. Bitte glaub mir das. Aber ich hatte trotz allem die Hoffnung, dass du dadurch wenigstens zur Vernunft kommen würdest. Dass du vielleicht endlich verstehen würdest, dass mit mir absolut gar nichts in Ordnung war. Natürlich war mir klar, dass ich es dir ziemlich schwer gemacht hab, überhaupt mit mir zu reden, aber nachdem auch Benni der Meinung war, dass du ein ziemlicher Blindfisch bist, konnte ich nicht anders. Wenn sogar er mitbekam, was los war, dann müsstest du es doch auch sehen. Vielleicht kenne ich Benni inzwischen länger als dich, aber ich habe zu dir immer schon das engere Verhältnis gehabt.“ Er sah dem Sänger noch wenige Sekunden lang direkt in die Augen, dann erhob er sich vorsichtig und atmete geräuschvoll aus. Es schien, als sei eine große Last von seinen Schultern gefallen. „Aber… aber…“ Langsam sickerte die gesamte Wahrheit in Hollys Bewusstsein. Nachdem er halbwegs seine Sprache wiedergefunden hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. Er hätte nicht einmal sagen können, ob sie so Sinn ergaben, doch es war ihm egal. Er wollte nur, dass auch Rico endlich wusste, was in ihm vorging. All die Zeit, all die Jahre schon. Etwas ungeschickt stand er auf und packte den Violinisten am Handgelenk. Dieser zuckte ob der unerwarteten, plötzlichen Berührung zusammen, wehrte sich jedoch nicht dagegen. Auch nicht, als der Sänger ihn in seine Arme zog und ihn festhielt. „Nein, Rico, du musst dich nicht entschuldigen… viel mehr tut es mir leid. Ich war derjenige, der dich immer wieder verletzt hat und hab es noch nicht mal richtig bemerkt. Ich war wirklich blind und ziemlich dumm. Doch daran ist hauptsächlich meine Angst schuld. Ich wollte nicht, dass du angewidert von mir bist und hatte Schiss, dass du mich abweisen würdest. Ich wusste, dass es dann für mich vorbei wäre – ich meine, ich hätte dann nicht mehr in der Instanz bleiben können. Immerhin warst du von Anfang an dabei, ich dagegen…“ Er ließ den Satz unbeendet, da er keine Ahnung hatte, wie er ihn sinnvoll formulieren sollte und jetzt auch nicht die Muße hatte, über dieses Thema zu philosophieren. Rico verstand ihn mit Sicherheit auch so. „Deswegen habe ich dir nie gesagt, was ich fühle und jede Vermutung meines Verstandes, dass du auch mehr für mich empfinden könntest, im Keim erstickt. Bitte verzeih mir. Aufgrund meiner Feigheit musstest du so lange leiden… Und das auch noch grundlos.“ Er löste sich ein kleines Stück von Rico, um ihm in die Augen sehen zu können. Dieser sah nun verwirrt und ein wenig überrascht drein. Scheinbar schien er langsam zu erahnen, worauf dieses Gespräch hinauslief. „Ich wollte dich immer vor Schmerzen bewahren und dich beschützen, weil…“ Er stockte. Die Worte, die er sich so lange verboten hatte, nun doch aussprechen zu können, war wie ein Traum und doch irgendwie seltsam. „…weil ich dich liebe, Rico.“, hauchte er sanft. „Ich wollte immer nur dein Glück.“ „… Aber mein Glück bist du.“ Die Stimme des Violinisten war brüchig. Er schien den Tränen nahe zu sein. Ohne weiter darüber nachzudenken, verschloss Holly Ricos Mund mit seinen Lippen. Vorsichtig, fragend. Dieser war im ersten Moment ein wenig überfordert mit der Situation und hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Seine Welt drehte sich um ihn herum. Halt suchend klammerte er sich an Hollys T-Shirt fest, der ihn daraufhin noch enger an sich drückte. Eine Hand war um die Taille des Dunkelhaarigen geschlungen, die andere lag in dessen Nacken. Genießerisch schloss Rico daraufhin die Augen und ging zärtlich auf den Kuss ein. Holly verstand dies als Aufforderung und wurde sogleich leidenschaftlicher. All die Zeit, die er darauf verzichten musste und nur davon träumen konnte, machte sich nun bemerkbar. Sanft strich er mit der Zunge über die Lippen des Violinisten, der den Mund leicht öffnete. Ihre Zungen spielten wild und neckisch miteinander, als hätten sie nie etwas anderes getan und wurden immer leidenschaftlicher. Alles um sie herum war in diesem Moment vergessen. Erst nach einer wunderschönen Ewigkeit lösten sie sich wieder voneinander. „Ich liebe dich, Rico.“, hauchte Holly, der etwas außer Atem war und lächelte liebevoll. Er strich dem Jüngeren über die Wange und küsste ihn auf die Stirn. „Und das mit dem Song… das tut mir leid. Eigentlich war er dir gewidmet… und natürlich auch ein wenig den Erfahrungen, die ich durch den Unfall gemacht hab. Aber ich konnte dich schlecht als zweiten Gesangspart nehmen. Du spielst immerhin Geige, machst auch sonst nirgends die Backing Vocals und…“ Er zögerte kurz und errötete leicht; aber jetzt konnte er es ja sagen. „Ich hab im Internet diverse Gerüchte gelesen. Einige Mädels scheinen es sehr… interessant zu finden, wie nahe wir uns doch stehen und na ja… Es gibt inzwischen sogar Wallpapers und Stories über uns beide.“ Ungläubig sah der Violinist Holly an. „Und deswegen hast du dir wirklich Sorgen gemacht? Ich wusste doch, dass ich den zweiten Part niemals singen konnte. Mir ging es ja nur darum, dass du jemanden gefragt hast, den du gerade erst kennengelernt hast. Dazu noch jemanden, der vorher nichts mit der Instanz zu tun hatte.“ Nun lächelte auch er wieder – sanft und warmherzig. Das erste Mal seit dem Abend, als er Holly geschlagen hatte. „Und solche Gerüchte gibt’s doch zu fast allen Bands. Wenn sie nur ein bisschen Erfolg haben und es ein paar verrückte Fans gibt, gibt’s auch Geschichten und manipulierte Bilder. Du weißt doch: das Internet ist dahingehend sehr vielfältig und bewertet nichts und niemanden.“ Ehe der Sänger jedoch etwas erwidern konnte, kam Benni um die Ecke. „Kommt ihr beiden nun endlich mal oder wollt ihr da noch ewig rumturteln? Wir warten schon alle auf euch.“ Er war nicht wirklich böse, klang aber dennoch ungeduldig. Etwas panisch sah Holly den Cellisten an, der nur eine Augenbraue hob und Rico fing an, zu lachen. „Keine Sorge. Benni ist der Letzte, der das zwischen uns nicht mitgekriegt hat.“ Beruhigt atmete der Sänger auf und ging zusammen mit dem Violinisten zu den anderen. Endlich schien die Zukunft ein Ende ihres gemeinsamen Leids zu bedeuten… Epilog: Epilog: Fears --------------------- Benni war bereits vorgegangen und Rico sah abwartend zu dem Sänger, der ihn anlächelte, während er einen Arm um den Violinisten legte. „Lass uns gehen.“, hauchte er sanft. Glücklich vor sich hin lächelnd kuschelte sich Rico an Holly und gemeinsam verließen sie den Backstage-Bereich des Kesselhauses. Wie Benni angekündigt hatte, standen alle bereits vor dem Nightliner der Letzten Instanz und unterhielten sich ausgelassen. Auch die Jungs von Lord of the Lost waren noch da. Und zum ersten Mal seit der gemeinsamen Tournee störte sich der Sänger nicht ein bisschen an der Anwesenheit von Chris und seinen Bandkollegen. „Hey, Leute. Sorry, dass es länger gedauert hat; wir mussten noch was klären.“ Holly grinste entschuldigend und ließ Rico unauffällig los. Der Dunkelhaarige erwiderte den Blick von Chris und Gared, die ihn fragend ansahen, mit einem fast unmerklichen Nicken und lächelte verliebt. Die beiden Mitglieder von Lord of the Lost grinsten, während sich der Violinist zu seinen Freunden und Bandkollegen gesellte. Doch da keiner Lust hatte, schon Abschied zu nehmen, beschlossen sie, das Tourfinale in einer Bar ausklingen zu lassen. An diesem Abend herrschte eine ehrliche, ausgelassene Stimmung zwischen ihnen; es wurde viel gelacht und die lustigsten Geschichten der Tour noch einmal erzählt. Wenn Holly nun auf das Geschehene zurückblickte, wirkte es irgendwie surreal und unwirklich. Wie eine abstrakte Geschichte aus einem Film oder Buch. Oder wie ein Alptraum. Jedenfalls nicht so, als wäre ihm das alles passiert und als hätten Rico und er derart leiden müssen. Nun konnte er tatsächlich unbeschwert zurückblicken und endgültig mit der Vergangenheit abschließen. Später stand die Gruppe vor der Kneipe, in der sie gewesen waren und sahen einander an; ihnen war bewusst, dass es jetzt Abschied nehmen hieß, doch keiner wollte den Anfang machen. Die gemeinsame Zeit war dazu zu schön gewesen. Nach einigen Sekunden des Schweigens räusperte sich Holly. Irgendwer musste ja mal etwas sagen. „Danke, dass ihr uns so tatkräftig unterstützt habt. Und danke für die schönen Erinnerungen. Wäre echt cool, mal wieder zusammen auf einer Bühne zu stehen. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“ Er lächelte in die Runde. „Auf unsere erfolgreiche Tour und auf Lord of the Lost!“ „Auf die Letzte Instanz!“, stimmte Chris mit ein und lächelte zurück. „Ich wünsch euch viel Erfolg – auch weiterhin. Und vergesst uns nicht.“ Die beiden Sänger standen sich gegenüber und für einen Augenblick zögerte Holly. Er wusste trotz allem, was geschehen war, nicht, wie er auf Chris reagieren sollte. Mit Rico hatte er sich zwar ausgesprochen, aber er hatte immer noch keine Antwort darauf, was zwischen ihnen gewesen war. Doch er konnte das jetzt schlecht als Ausrede vorschieben, um derart distanziert dem Blonden gegenüber zu reagieren. Also umarmte er ihn kurzerhand, bevor er sich es doch anders überlegte. Theoretisch hätte er ihm zwar auch die Hand geben können, aber er fand diese Geste noch heuchlerischer als gar nichts zu tun. Chris erwiderte die Umarmung und für einen Moment konnte der Sänger der Instanz den warmen Körper des anderen ganz dicht an seinem spüren. Ein seltsam angenehmes Gefühl… „Sorry.“ Es war nur ein leises Flüstern direkt an seinem Ohr, doch es reichte, um Holly aus seinen Gedanken zu reißen und ihm einen Schauer über den Rücken zu jagen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich der andere Sänger entschuldigen würde und hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Als sie sich voneinander lösten, sah Holly ihn im ersten Moment fragend und auch ein wenig verwirrt an, lächelte aber sofort wieder, damit die anderen nichts davon mitbekamen. „Also dann… ich würde mich freuen, öfter von euch zu hören.“, meinte er, um keine unangenehme Stille entstehen zu lassen. Auch Chris lächelte und irgendwie kam es Holly so vor, als sähe er Erleichterung in seinen Augen. „Das lässt sich einrichten.“ Auch die anderen verabschiedeten sich voneinander. Disco hielt Rico jedoch etwas länger im Arm, als die anderen und schien ihn noch etwas zu fragen. Ebenso leise, dass es keiner hören konnte, wie zuvor schon Chris mit Holly gesprochen hatte. Die Antwort schien dem Drumer von Lord of the Lost zu gefallen, denn er grinste, während er irgendetwas erwiderte. Was sollte nur diese Heimlichtuerei? Etwas verwirrt beobachtete Holly die Szene. Aber eigentlich konnte ihm das egal sein – er kannte nun Ricos wahre Gefühle und musste keine Angst mehr haben. Eifersucht schien ihm in diesem Moment derart fremd zu sein, dass er kaum glauben konnte, wie stark sie bis vor kurzem noch gewesen war. „Ihr seid wirklich süß zusammen.“, sagte Chris dann auf einmal. Holly hatte gar nicht bemerkt, dass der andere Sänger sich wieder neben ihn gestellt hatte. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, sah er grinsend zu Rico und seinem Bandkollegen. Ein leichter Rotschimmer bildete sich auf Hollys Wangen, den auch die Dunkelheit um sie herum nicht verdecken konnte. „Ist es so offensichtlich?“ Chris lachte. „Meinst du das wirklich ernst?“ Der Röte nahm noch ein wenig zu, während Gared, Disco, Bo und Class sich zu ihnen umdrehten. „Also dann… Bis zum nächsten Mal. Kommt gut nach Hause.“ „Ihr auch.“ Die Mitglieder der Instanz winkten, während Chris und seine Jungs in der Dunkelheit verschwanden und machten sich anschließend auf den Weg zurück zu ihrem Nightliner. Holly hatte kurzerhand beschlossen, mit nach Dresden zu fahren, da er nicht von Rico getrennt sein wollte; der Violinist hatte natürlich keinerlei Einwände und freute sich auf die gemeinsame Zeit. Denn nach allem, was sie durchgemacht hatten und nach dieser doch sehr ereignisreichen Tournee wollten sie nur noch eins: sich entspannen und genießen. Die anderen Bandmitglieder legten sich hin, da sie von dem Konzert erschöpft waren, doch Holly und Rico konnten nicht einmal an Schlaf denken. Dazu war zu viel zwischen ihnen geschehen. Sie setzten sich in den unteren Teil des Nightliners, um die anderen nicht zu stören und unterhielten sich leise. Holly hielt den dunkelhaarigen Violinisten fest im Arm, der sich glücklich an ihn schmiegte und gar nicht mehr aufhören konnte, zu lächeln. „Wann hast du eigentlich das erste Mal gemerkt, dass da was ist, Rico? Wie fing es bei dir an?“, fragte der Sänger neugierig. „Ich weiß es gar nicht mehr genau… Ich war fasziniert von dir, seit du in die Band gekommen bist. Deine Stimme passte so unglaublich gut zur Instanz, deine Texte waren großartig.“ Er überlegte kurz. „Doch ich merkte bald, dass es nicht nur das war, was mich so sehr anzog. Auch deine Ansichten faszinierten mich und deine ganze Art. Und so schnell, wie sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelte, wurde daraus auch mehr. Zumindest für mich. Anfangs dachte ich noch, ich hätte in dir nur einen Seelenverwandten gefunden – so wie Benni. Wir kennen uns schon ewig und sind so eng befreundet, dass ich mir ein Leben ohne ihn kaum vorstellen kann. Er ist immer für mich da und hat mir durch so viele schwere Zeiten geholfen… Aber bei dir war es anders. Ich wollte mehr, als nur ein guter Freund für dich sein, dich nicht nur umarmen. Deswegen habe ich nach unserem ersten Mal auch ohne zu zögern zugestimmt, dass wir halt eine Freundschaft mit besonderen Extras hätten. So wurde wenigstens ein Teil meines Verlangens befriedigt und jedes Mal, wenn wir wieder miteinander schliefen, konnte ich mir für einen wunderschönen Moment einreden, dass du mich nicht nur wegen meines Körpers und der Befriedigung begehrst.“ Sanft strich der Sänger durch die Haare seines geliebten Violinisten. „Aber ich habe dich nie nur deshalb genommen. Ich wollte immer nur dich und niemanden sonst.“, hauchte er sanft. Rico lachte leise. „Welch Ironie, was? Aber jetzt ist es endlich vorbei. Jetzt müssen wir uns nicht mehr voreinander verstecken.“ Er lächelte verträumt. „Und bei dir?“ Holly nickte, ehe er auf die Frage des Dunkelhaarigen antwortete. „Bei mir war es im Grunde genauso. Aus Interesse wurde Freundschaft, aus Freundschaft Liebe und aus Liebe unbändiges Verlangen. Deshalb konnte ich mich irgendwann nicht mehr beherrschen. Ich musste dich einfach verführen und dachte nicht über die Folgen nach. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich dich vielleicht endlich berühren könnte – mehr als es normale Freunde tun. Ich ging das Risiko ein, dass du mich eventuell abweist und aus der Band wirfst; doch das merkte ich zu dem Zeitpunkt kaum. Als es mir dann doch bewusst wurde, kam mir die Idee, mein Verlangen hinter einer – wie du schon sagtest – 'Freundschaft mit besonderen Extras' zu verstecken.“ Liebevoll kraulte er Rico im Nacken und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Eine Weile war somit meine Begierde gestillt, doch natürlich konnte das auf Dauer nicht gut gehen. Ich wollte dich öfter sehen, dich nur für mich allein haben und mehr als nur Sex on Tour. Deshalb begann ich, dich immer öfter wie zufällig zu berühren, zweideutige Kommentare und Anmerkungen zu machen und dir entsprechende Blicke zuzuwerfen, auch wenn wir nicht auf Tour waren. Es fing auf der Bühne an – wenn auch mehr aus dem Grund, dass ich mein Verlangen kaum zu bändigen wusste, jedes Mal wenn du dich ausgezogen hast. Na ja… und dann wurde ich eben auch neben den Tourterminen deutlicher in meinem Verhalten. Ich wollte dich so sehr, dass es mich innerlich auffraß. Ich war oft eifersüchtig, wie gut du dich mit Benni verstanden hast. Jedes Mal, wenn ich euch so ausgelassen zusammen lachen sah, spürte ich einen Stich im Herzen. Denn oft schien es, als würdet ihr euch ohne Worte verstehen und über ein Geheimnis lachen, das nur ihr beide kennt. Das euch verbindet. Das hat mich damals fast wahnsinnig gemacht.“ Unwillkürlich zog Holly den Violinisten noch näher zu sich, als wolle er sich vergewissern, dass diese leidvolle Zeit der Unwissenheit nun endlich vorbei war. Und dass sie nie wieder zurückkehren würde. „Nun ja… so ganz Unrecht hast du damit nicht. Wir verstehen uns wirklich fast ohne Worte. Aber wir haben ja auch viel gemeinsam erlebt; da ist das kein Wunder.“ Rico sah zu dem Sänger hinauf und strich zärtlich über dessen Wange. „Aber damals musste er tatsächlich öfter zum Reden herhalten als sonst. Er war für mich da und hat mir geholfen, als er merkte, dass ich mich veränderte bzw. dass sich das Verhältnis zwischen uns veränderte. Zwar hat er erst nach deinem Unfall mit mir darüber gesprochen, aber gemerkt hat er es schon viel früher. Und er hatte die Hoffnung, dass ich vielleicht von mir aus zu ihm komme, aber ich konnte ja nicht so ohne weiteres darüber sprechen. Denn anfangs verleugnete ich meine Gefühle noch und belog mich selbst. Doch er hat mir gesagt, dass es nicht falsch wäre, so zu empfinden. Es sei eben einfach Liebe – und die stellt bekanntlich keine Frage. Auch nicht nach dem Geschlecht. Dennoch war es für mich keine einfache Situation, wirklich zu realisieren, dass ich auch auf Männer stehe und selbst als ich es dann irgendwann akzeptiert hatte, zögerte ich, mit jemandem darüber zu reden. Auch als Benni mich ansprach. Immerhin ist das ja durchaus ein heikles Thema und das musste auch Benni klar sein; schließlich ist er selbst ein Kerl. Aber ihm war das egal, er nahm mich einfach in den Arm und ließ es zu, dass ich mich schweigend bei ihm ausweinte. Auch ohne dass er wusste, was genau passiert war. Später fing ich dann an, mit ihm darüber zu reden und wie sich herausstellte, war er selbst auch lange Zeit mit einem Mann zusammen. Das machte mir Mut, meine Gefühle endgültig zu akzeptieren und damit zu leben. Deshalb hab ich in dieser Zeit so oft mit Benni gesprochen. Ich konnte eben immer mit allem zu ihm gehen, da ich wusste, er würde mich nicht abweisen oder über mich urteilen.“ „Benni… ist schwul?“, fragte Holly überrascht, korrigierte sich dann aber. „Also… äh, bi, mein ich…“ Damit hatte er nicht gerechnet. Und auch wenn das jetzt nicht sein eigentliches Interesse war, konnte er nicht umhin, den Violinisten ungläubig anzusehen. Dieser nickte lächelnd und verstand die unausgesprochene Frage auch so, die Holly nicht zu stellen wagte. Er hob den Kopf und hauchte einen zarten Kuss auf die Ohrmuschel des Sängers. „Du kennst ihn sehr gut.“, flüsterte er dann so leise, dass Holly es gerade so verstand. Die Stimme des Dunkelhaarigen verursachte bei dem Sänger der Instanz eine Gänsehaut; er war wie elektrisiert und konnte sich kaum rühren. Rico leckte über das Ohrläppchen Hollys, dessen Herzschlag scheinbar auf das doppelte beschleunigte. „Er war mal Mitglied der Instanz.“, hauchte der Violinist. Holly schluckte; er musste sich ziemlich auf die eigentlichen Worte seines Geliebten konzentrieren, denn seine Stimme vermittelte eine gänzlich andere Botschaft. „Seine Haare hatten meist die Farbe von Feuer und Liebe.“ Zärtlich begann er, am Ohrläppchen des anderen zu knabbern und schien auch noch sichtlich Gefallen daran zu finden, ihn in eine derartige Lage zu bringen. „Rico…“ Es war schon fast ein flehendes Murmeln. „Nein. Mit mir war Benni nicht zusammen.“, hauchte der Angesprochene und ließ von dem Sänger ab. Verspielt grinsend sah er ihn an und setzte sich rittlings auf seinen Schoß. „Er und Specki hatten lange Zeit eine Affäre, die sie natürlich vor allen anderen geheim hielten. Es brach Benni fast das Herz, als Specki die Band verließ, doch er wusste, dass er ihn nicht aufhalten konnte. Damals war ich für ihn da – so wie er all die Zeit für mich da gewesen war. Doch ich ahnte noch nicht, was der eigentlich Grund für seine Trauer war. Er war ja so eng mit Specki befreundet, dass es niemanden wunderte, wie traurig er war. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung von ihrer Beziehung.“ Doch man konnte dem Blick des Sängers entnehmen, dass es ihm schwerfiel, jetzt auch nur das geringste Interesse dafür aufzubringen. Dieser Umstand verleitete Rico zu einem wissenden Lächeln und dazu, Holly leidenschaftlich zu küssen. Er schlang die Arme um den Hals des Sängers und drückte sich eng an ihn. Immerhin hatte er selbst dafür gesorgt, dass Holly nun alles andere als jugendfreie Gedanken hatte, also wollte er sich auch entsprechend dafür revanchieren, dass er so gemein gewesen war. Hollys Hände wanderten indes sofort zum Hinterteil des Violinisten und streichelten dieses ausgiebig. Voll feuriges Begierde erwiderte er den Kuss Ricos und verwickelte dessen Zunge immer wieder in wilde, neckische Spiele. Beide hatten die Augen geschlossen; die Welt um sie herum existierte in diesem Moment ohnehin nicht. Für sie zählte nur noch das Genießen des Augenblicks und das Gefühl ihres gegenseitigen Begehrens. Als sie sich schließlich nach Atem ringend wieder voneinander lösten, loderte ihre Leidenschaft noch immer in ihren Augen. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und sie konnten den heißen Atem des anderen auf ihrer Haut spüren. Es kostete beide einiges an Selbstbeherrschung nicht übereinander herzufallen, doch sie mussten sich daran erinnern, dass sie hier alles andere als allein und ungestört waren. „Rico…“, hauchte Holly verlangend. „Tut mir leid… ich wollte nicht-“, murmelte der Violinist. Irgendwie war es ihm unangenehm, den Sänger derart erregt zu haben – eigentlich war das nicht seine Absicht gewesen. Doch Holly lächelte nur liebevoll und strich eine Strähne aus dem Gesicht des Dunkelhaarigen. „Es gibt nichts, was dir leidtun müsste.“, flüsterte er zärtlich – auch wenn Rico deutlich hörte, dass er sein Verlangen unterdrücken musste. „Oder bereust du es etwa?“, fragte er dann ernst und sah den Jüngeren aus ehrlich besorgten Augen an. „Nein!“, meinte Rico sofort. „Wie könnte ich es bereuen, endlich mein Glück gefunden zu haben? Ich liebe dich, Holly. Von ganzem Herzen!“ Er warf sich dem Sänger entgegen, diesmal jedoch nur, um sich an seinem T-Shirt festzuhalten. „Und ich will dich nie wieder verlieren, Holly… Jahrelang wollte ich nur dich und dachte, ich hätte nie auch nur die geringste Chance. Und jetzt, wo du endlich bei mir bist, soll ich es bereuen?!“ Zärtlich legte Holly die Arme wieder um den Violinisten, der sich inzwischen regelrecht an seinem T-Shirt festklammerte und streichelte beruhigend über dessen Rücken. „Schhh… schon gut, Rico. Verzeih. Ich wollte deine Gefühle nicht in Frage stellen. Ich… wollte nur sicher gehen, dass es das ist, was du dir am meisten wünschst. So viele Jahre habe ich mit einer tief verwurzelten Angst gelebt – die kann ich jetzt nicht so ohne weiteres ablegen. Deswegen möchte ich, dass du jetzt umso glücklicher bist.“ Die leisen Worten des Sängers waren wie Balsam für die geschundene Seele Ricos, deren Wunden nun langsam begannen, zu verheilen. „Aber das bin ich doch…“, murmelte der Violinist, schloss die Augen und legte seine Stirn auf die Schulter Hollys. „Na, siehst du.“ Holly lächelte und hielt Rico fest im Arm, um ihm Halt zu geben, aber auch um ihn seine Nähe und Wärme spüren zu lassen. „Dann haben wir doch den Beweis, dass du es wirklich nicht bereust. Und mach dir keine Sorgen…“ Den letzten Satz hauchte er nur noch. „… ich werde niemals von deiner Seite weichen. Ich werde für dich da sein und immer bei dir sein, wenn du mich brauchst. Und ich werde zu dir stehen – egal, was alle anderen sagen.“ „Danke, Holly…“ Die Stimme Ricos war leise, kaum wahrnehmbar und doch verstand der Sänger ihn. Er lächelte. „Nein. Ich muss dir danken, Rico. Denn durch dich habe ich die wahre Liebe erst wirklich kennengelernt. Die Liebe, die keine Grenzen kennt und einen so sehr leiden lässt, obwohl man doch so viel Glück empfindet, den anderen zu haben. Die Liebe, bei der man jeden Schmerz akzeptiert – auch wenn er noch so groß ist – nur für diese eine Person. Und in meinem Leben bist du diese Person, Rico.“ „Holly…“ Beinahe zu Tränen gerührt, sah der Violinist seinen Bandkollegen an. Mit so viel Liebe und Warmherzigkeit, wie Holly nie zuvor in seinem Blick gesehen hatte. Zärtlich küsste er den Dunkelhaarigen und diesmal ging er so sanft und langsam bei dem Kuss vor, als wäre es ihr erster und Rico eine zerbrechliche Porzellanpuppe. Vorsichtig legte er die Hand in den Nacken des Jüngeren und genoss jede einzelne Sekunde dieses Moments. Auch wenn er im Nachhinein niemals hätte sagen können, wie lange sie sich küssten, so war es doch eine Verschmelzung all ihrer Gefühle füreinander. Atemlos und überwältigt von dieser innigen und tiefen Verbundenheit, die sie soeben verspürt hatten, sahen sie sich an. Wieder vergingen einige Momente, in denen nur ihr leises Keuchen zu hören war, während sie neuen Atem schöpften. Sie schienen sich auch ohne Worte zu verstehen und auf einer ganz anderen Ebene miteinander zu kommunizieren als sonst. Holly war der erste, der seine Sprache wiederfand, als der Moment vorbei war. „Sag mal, Rico… damals nach dem Unfall…“, begann er dann vorsichtig. „Waren es deine Gefühle, die dich derart beschäftigt und zermürbt haben?“ Eigentlich ahnte er, was die Antwort darauf war, doch er wollte die Wahrheit aus Ricos Mund hören, denn immerhin hatte er damals genug leiden müssen – nun wollte Holly sichergehen, dass er nicht einen Grund seines Leidens übersah. Langsam nickte der Violinist. Er sackte merklich ein wenig in sich zusammen – dieses Thema war nach wie vor nicht unbedingt leicht für ihn. „Natürlich. Deshalb wollte ich dir auch nicht mehr sagen, als dass ich besorgt um dich war. Aber in Wirklichkeit bin ich jedes Mal fast umgekommen vor Sorge, wenn ich nicht bei dir sein konnte. Ich konnte nicht schlafen, hab mir Vorwürfe gemacht und wurde immer schwächer. Meine Fassade drohte, gänzlich zusammenzubrechen. Immerhin gab ich mir die Schuld an dem Unfall. Doch ich wusste nicht, wie du darauf reagieren würdest, wenn ich dir von meinen Gefühlen erzählt hätte. Ich glaubte natürlich, du würdest mich abstoßend finden und habe deshalb geschwiegen. Natürlich kam noch hinzu, dass ich dich erst recht nicht damit belasten wollte, als du… in dieser Verfassung warst… Ich konnte auch einfach nicht verstehen, wie du das alles so leichtfertig hinnehmen konntest.“ Wieder klammerte sich Rico an den Sänger. „Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren und nie wieder in deine wunderschönen Augen sehen zu können, Holly! Natürlich war ich deswegen völlig am Ende. Doch ich konnte es dir nicht sagen, denn dann wäre all meine Schauspielerei die ganze Zeit über umsonst gewesen.“ Ein leichtes Zittern ging durch den gesamten Körper des Dunkelhaarigen und Holly befürchtete schon, dass er in Tränen ausbrechen würde. Doch er blieb zumindest äußerlich ruhig. „Und natürlich waren auch meine Gefühle der Grund dafür, dass ich dich nicht gehen lassen wollte. Ich wär so gern mit dir zusammen eingeschlafen und in deinen Armen aufgewacht… Dazu kam noch diese ungute Vorahnung. Und als ich dann von dem Unfall erfuhr…“ Rico schluckte. Es war, als hätte er einen Kloß im Hals. Er konnte auch jetzt immer noch nicht darüber sprechen; die Erinnerungen waren wie Dolche, die sich in sein Herz bohrten. „Schon gut, Rico. Du musst mir das nicht erzählen.“, meinte Holly sanft und zog ihn näher zu sich heran. „Ich weiß, was du mir sagen willst.“, flüsterte der Sänger mit beruhigender Stimme. „Doch es waren auch meine Gefühle, die mich damals davon abhielten, bei dir zu bleiben. Ich hatte solche Angst, dass du sie bemerken würdest, wenn ich bei dir übernachtet hätte. Ich glaubte, dass ich mich vielleicht irgendwann nicht mehr beherrschen könnte und die Kontrolle verloren hätte… Was meinen Zustand nach dem Unfall dagegen angeht – auch hier ging es hauptsächlich darum, euch keine Sorgen zu bereiten. Natürlich war mir bewusst, dass ich ernsthaft in Schwierigkeiten steckte. Doch wenigstens ihr solltet euch nicht so viele Gedanken und Sorgen deshalb machen müssen. Ich merkte jedoch schnell, dass das zumindest bei dir überhaupt nicht klappte und eher noch das Gegenteil bewirkte. Deshalb hatte ich keine Einwände, als du vorgeschlagen hast, dass du ja bei mir schlafen könntest. Einerseits machte ich mir unheimliche Vorwürfe, weil ich dir derart viele Umstände und Sorgen bereitete; andererseits nutzte ich die Situation aus, um dafür zu sorgen, dass du dich ebenso ein wenig erholen konntest.“ Er lächelte bei der Erinnerung an diese wunderschöne Woche, die sie quasi nur zu zweit verbracht hatten. „Diese Zeit war wirklich unglaublich. Ich fühlte mich damals wie in einem Traum…“, murmelte Rico ebenfalls verliebt lächelnd. „Deshalb habe ich dann ja auch dieses Dinner für dich arrangiert; damit ich mich angemessen bei dir für deine Hilfe und Unterstützung bedanken konnte… und mich gleichzeitig dafür entschuldigen, dass ich dich quasi durch die Bank weg ausgenutzt habe.“ Holly seufzte. „Und eigentlich wollte ich diesen Abend nie durch so etwas dummes kaputt machen wie die Frage, ob du nicht langsam mal wieder nach Hause willst. Das tut mir wirklich leid, Rico. Ich wollte dir damit nie die Stimmung verderben… Eigentlich wollte ich nur, dass du weißt, dass ich mich schuldig fühlte, weil du all das für mich getan hast, ohne je auch nur eine Gegenleistung zu erwarten. Doch ich hab es unbewusst so formuliert, dass man es sehr einfach missverstehen konnte. Du wusstest ja nicht, was wirklich in mir vorgeht und das habe ich in dem Moment, als ich die Frage gestellt hab, nicht bedacht. Kein Wunder also, dass sie falsch rüberkommen musste. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich dich quasi die ganze Zeit an mich gefesselt hab und wollte nur, dass du weißt, dass du nicht meinetwegen bei mir bleiben musstest, weil du dich zu irgendwas verpflichtet fühlst… Dass ich das Missverständnis nicht gleich aufgeklärt habe, ist ein dummer Fehler von mir gewesen. Und dann kam natürlich auch noch dieser Songtext und Sotiria dazwischen… Als ich dich dann nicht erreicht habe, bin ich fast verzweifelt. Ich hab mir unheimliche Sorgen gemacht, weil du in diesem Zustand allen Ernstes bis nach Dresden fahren wolltest. Und ich konnte mich nicht vernünftig entschuldigen, denn das wollte ich persönlich tun. Doch dazu hätte ich dich zumindest ans Telefon bekommen müssen…“ Holly seufzte leise. „Es tut mir so leid, was passiert ist. Das war wirklich die beschissenste Verstrickung von Fehlern und Zufällen, die ich je erlebt habe…“ „Schon gut. Es waren ja nicht nur deine Fehler, die dazu führten. Und für die Zufälle kannst du doch auch nichts.“, flüsterte der Violinist, der schweigend zugehört hatte und nun die Wange des Sängers streichelte. „Denk einfach nicht mehr darüber nach.“ Gerade, als Holly nicken wollte, fiel ihm etwas ein. „Eine Sache geht mir aber nicht so ganz aus dem Kopf…“ Rico sah ihn fragend an. „Als ich mit Benni telefoniert hab, als er bei dir übernachtet hat… Hast du zu der Zeit mit ihm geschlafen?“ Die Frage ließ ihn schon seit damals nicht los. Verwirrt sah Rico ihn an. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte er sichtlich durcheinander. „Na, du hast doch gesagt, dass er wieder ins Bett kommen solle…“ Rico überlegte einen Moment, ehe er antwortete, doch seine Augen zeigten nach wie vor, wie verwirrt er von dieser Frage war. „Ah!“ Offensichtlich war ihm irgendetwas klar geworden, denn sein Blick klärte sich und er musste lächeln. „Nein, ich habe noch nie mit Benni geschlafen. Aber Specki war zu dem Zeitpunkt auch bei mir. Wir waren am Abend zuvor gemeinsam unterwegs und da Specki ein bisschen betrunken war, haben wir ihn mit zu mir genommen. Benni hat ohnehin bei mir gepennt, weil es mir in dieser Zeit nicht besonders gut ging und ich Ablenkung brauchte. Ich hab auch gar nicht mitbekommen, dass du angerufen hast – das hat Benni mir erst erzählt, als ich auch irgendwann aufgewacht bin. Aber Specki merkt es sofort, wenn er mit jemandem in einem Bett schläft und dieser jemand aufsteht. Da ist es auch egal, wie müde oder besoffen er am Abend zuvor war. Wahrscheinlich hast du also Specki gehört und nicht mich.“ „Oh Gott…“ Holly schlug sich gegen den Kopf. „Und ich dachte allen Ernstes, du wärst das gewesen. Ich hab nur gehört, was ich glaubte, zu hören. Aber wenn ich so darüber nachdenke… eigentlich habe ich wirklich nur irgendeine Männerstimme erkannt.“ Erleichtert seufzte er. Eine Sache, die ihn ziemlich mitgenommen hatte, wäre somit geklärt. „Und mit Chris habe ich auch nicht geschlafen.“, meinte Rico dann ganz unvermittelt, als könne er die Gedanken des Sängers lesen. „Ich weiß, wie das alles ausgesehen haben muss – aber ich wollte dir nur zeigen, dass das was früher zwischen uns war, nur Sex unter Freunden war. So wie du es damals gesagt hast. Und dass ich auch andere Freunde habe, mit denen ich es treiben könnte. Du solltest nur merken, dass du entweder um mich kämpfen oder dich zurückziehen sollst. Der Gedanke dahinter kam von Benni und mir gleichermaßen. Entweder du willst mich zurückhaben oder du lässt mich endgültig in Ruhe, damit ich die Chance habe, darüber hinwegzukommen… Wobei ich natürlich gehofft habe, dass letzteres nicht der Fall ist. Denn das wäre für mich fast unmöglich und wahrscheinlich nahezu unerträglich geworden.“ Rico lächelte traurig und Reue schlich sich in seinen Blick. „Aber das war unfair und es tut mir leid, dass ich dir das angetan hab. Doch als wir Chris und seine Jungs kennenlernten, merkte ich schnell, wie sie drauf waren und dass sie ziemlich… offen sind. Als Chris mich dann auch noch darauf ansprach, was zwischen uns wäre, war ich erstaunt und schockiert zugleich. Er hatte in so kurzer Zeit nicht nur mitbekommen, dass wir uns scheinbar ziemlich heftig gefetzt hatten, sondern auch noch unsere Gefühle bemerkt… Ich kann dir nicht sagen wieso, aber mit ihm war es ähnlich wie mit Benni. Ich vertraue ihm einfach. Also erzählte ich ihm in groben Zügen, was passiert war. Zumindest dass ich unglücklich in dich verliebt bin, dass ich mir dann durch dein Verhalten Hoffnungen machte und enttäuscht wurde, als Sotiria auftauchte. Chris hörte geduldig zu, zeigte sich erstaunlich fürsorglich und bot mir sogar seine Hilfe an. Für ihn und die anderen sind Zweideutigkeiten und so ganz normal – sowohl backstage, als auch on stage. Deshalb spielte ich einfach mit. Aber auch wenn er so offen wirkt, hängt er doch ziemlich an Gared und Disco. Bo und Class sind ohnehin zusammen und die anderen haben eine Dreierbeziehung. Chris liebt die beiden genauso, wie sie ihn vergöttern… Und ich war nach dem Gig eigentlich ohne böse Absichten im Bad, wurde dann aber nachdenklich und wäre am liebsten zu dir gerannt, hätte mich für alles entschuldigt und dir einfach die Wahrheit gesagt. In dem Moment kam Chris rein und fand mich ziemlich fertig mit den Nerven auf dem Boden hockend. Er hielt mich davon ab, mir noch mehr die Haare zu zerraufen und sie am Ende womöglich noch auszureißen und beruhigte mich. Danach küsste er mich und sagte mir, dass alles gut werden würde. Doch durch diesen und den vorherigen Kuss, sowie das, was ich immer auf der Bühne mit dir veranstaltet hab, um dich aus dem Konzept zu bringen und dir zu zeigen, dass du langsam mal tätig werden sollst, weil ich nicht ewig warten würde, war ich einfach maßlos erregt. Chris hat mir nur geholfen, wieder runterzukommen, indem er mir einen runtergeholt hat. Mehr war da wirklich nicht.“ Im ersten Moment wusste Holly darauf nichts zu erwidern und sah den Violinisten einige Zeit einfach nur nachdenklich an. Er ließ die Dinge vor seinem geistigen Auge Revue passieren und fügte die nun vorhandenen Puzzleteile in das Gesamtbild der Vergangenheit ein. Jetzt ergab das alles Sinn. Beruhigt durch die Tatsache, dass Rico nie wirklich etwas mit Benni oder Chris hatte und obendrein auch noch grundehrlich zu ihm war, lächelte er wieder. „Weißt du, dass Chris sich sogar bei mir entschuldigt hat?“ Nun sah Rico überrascht aus. „Wann denn das?“ „Er hat es mir ins Ohr geflüstert, kurz bevor wir uns verabschiedet haben.“ Holly strich ihm über die Wange. „Aber ich kann verstehen, dass du Chris magst. Als er mich umarmt hat, habe ich eine angenehme Wärme gespürt… es war wirklich seltsam. Als hätte er meine Seele berührt. Nur durch eine einzige Umarmung.“ Kurz dachte er über diesen Moment nach, als ihm plötzlich noch etwas einfiel. „Und er meinte, dass wir echt süß zusammen wären… Komischer Kerl.“ Rico schmunzelte leicht. Das sah Chris irgendwie ähnlich. „Dafür wünscht uns Disco viel Glück und alles Gute für unsere gemeinsame Zukunft. Das hat er mir zum Abschied gesagt.“, meinte er dann grinsend. „Oh man. Haben wir uns denn so offensichtlich verhalten?“, fragte Holly lachend. „Ich denke, es war für unsere Jungs und die Lollies einfach schwer zu übersehen.“ Rico kuschelte sich an den Sänger und schloss die Augen. „Weißt du, Holly… damals hab ich dir doch von der Trennung meiner Freundin erzählt. Erinnerst du dich?“ „Natürlich. So etwas vergesse ich nicht.“ Holly streichelte den Violinisten zärtlich und schloss ebenfalls halb die Augen. Ein verträumter Ausdruck bildete sich auf seinem Gesicht. „Der Grund waren eigentlich meine Gefühle für dich… Damals begann ich zu merken, dass ich mehr für dich empfand, als ich sollte. Anfangs konnte ich das ja noch ganz gut verstecken und verleugnen. Doch irgendwann ging es eben nicht mehr und sie bemerkte natürlich zu erst, dass mich irgendetwas beschäftigte. Aber ich sagte nur, dass alles in Ordnung sei. Immer wieder. Selbst als es schon ziemlich offensichtlich war, dass ich log, denn ich war oft abgelenkt und unkonzentriert. Und so… begann ich, immer weniger mit ihr etwas zu unternehmen und mich immer mehr der Band – und damit dir – zuzuwenden. Ich wusste, dass es eigentlich ein Fehler war und ich so einen Streit provozieren würde, doch ich konnte nicht anders… Wie es ausging, weißt du ja. Aber es lag keineswegs daran, dass wir uns ständig wegen 'Kleinigkeiten' stritten oder auseinandergelebt hätten.“ Das Lächeln des Violinisten wurde ein Spur trauriger. Auch das war keine schöne Erinnerung an die Vergangenheit. Holly hatte sich das nach allem, was passiert war, denken können. Doch es jetzt von Rico direkt zu hören, tat ihm irgendwie weh. „Das tut mir leid. Ich wollte deine Beziehung nicht zerstören.“, meinte er leise und sah den Dunkelhaarigen besorgt an. „Das weiß ich doch. Und du bist ja auch gar nicht schuld daran. Ich habe sie vielleicht geliebt… aber nicht so sehr, wie ich letztlich dich liebe. Und deshalb habe ich mich entschieden. Es ist immer schwer, wenn man in mehr als eine Person verliebt ist. Doch du trägst wirklich keine Schuld daran. Es war mein freier Wille, dass ich diesen Weg gewählt habe. Andernfalls wäre ich vielleicht… ach, egal. 'Was wäre wenn'-Geschichten haben noch niemandem wirklich geholfen. Man kann die Vergangenheit ja eh nicht ändern.“ Rico hob den Kopf und lächelte nun wieder warmherzig. „Und ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe.“, hauchte er und die beiden versanken erneut in einem zuerst zärtlichen, dann immer leidenschaftlicheren Kuss voller Liebe und Zuneigung. Als sie schließlich in Dresden ankamen und sich von den anderen verabschiedet hatten, gingen sie Hand in Hand zu Ricos Wohnung. Nachdem der dunkelhaarige Violinist die Tür hinter sich verschlossen hatte, seufzte er glücklich und wandte sich an Holly, der gerade seine Tasche im Flur abgestellt hatte. „So, da wären wir…“ Sie sahen sich für einige Sekunden tief in die Augen und es war, als hätte man plötzlich ein Feuer zwischen ihnen entfacht. Ihr Blick war verlangend und voller Begehren und als sie sich leidenschaftlich küssten, war alles andere um sie herum vergessen. Holly drückte den Violinisten stürmisch gegen die Wand, während ihre Zungen schon wieder wild miteinander spielten. Ungeduldig zerrte Rico an der Jacke des Sängers, die – gefolgt von diversen anderen Kleidungsstücken – schnell achtlos auf dem Boden landete. Folgte man der Spur ihrer Kleidung, so landete man im Schlafzimmer des Dunkelhaarigen, aus dem in dieser Nacht noch sehr lange lautes, ungezügeltes Stöhnen erklang… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)