Where Butterflies never die von Altair_Ibn_La-Ahad (Die Geschichte einer Assassine) ================================================================================ Kapitel 2: Talent ----------------- Kapitel 2: Talent „Das traust du dich doch sowieso nicht.“ Mit diesem Satz hatte vor gut zwei Jahren alles angefangen. Arsura hatte sich mittlerweile gut in Masyaf eingelebt und bei ihren täglichen Streifzügen durch das Dorf irgendwann Malik und seinen jüngeren Bruder Kadar angetroffen. Die beiden waren junge Novizen der Assassinen und in ihrer Freizeit, erprobten sie gerne ihre Fertigkeiten. Arsura hatte sie beim Dachspringen beobachtet und als sie es versuchen wollte, hatten die beiden Jungen sie ausgelacht. Schnell war ihnen das aber vergangen, als Arsura mit elf Jahren zeigte, dass sie das auch konnte. Mittlerweile war sie dreizehn Jahre alt und hängte manchmal sogar den behänden Malik im Dachrennen ab. So auch heute wieder. Knapp, aber sie hatte den vereinbarten Zielpunkt vor Malik erreicht. „Für ein Mädchen bist du nicht schlecht“ meinte der junge Novize und atmete tief durch. „Ich weiß“ gab Arsura grinsend zurück. Sie hüpfte geschickt von dem hohen Dach auf ein tieferliegendes und von diesem sprang sie auf den Boden. „Wo willst du hin?“ fragte der vierzehnjährige Malik sie. „Ich muss nach Hause. Vater wartet bestimmt schon auf mich“ erwiderte Arsura. „Bleib doch noch einen Moment“ meinte nun auch Kadar, setzte sich auf den Rand des Daches und sah sie bittend an. Arsura überlegte einen Moment. Dann kam ihr eine Idee. Sie kletterte an der Fassade des Hauses geschickt hoch und setzte sich neben Kadar. Dann sah sie zu Malik. „Willst du eine Revanche?“ fragte sie ihn grinsend. „Gerne. Wohin?“ stellte er die Gegenfrage. „Zu mir nach Hause. Wer als erstes bei mir auf dem Dach steht“ erwiderte Arsura und stand auf. „Ich gebe euch beiden das Startsignal und laufe dorthin. Wir treffen uns dort“ meinte Kadar. Er war Sache noch nicht ganz Herr. Wenn er so weit war, würde er mit den beiden auch um die Wette rennen, aber momentan hatte er noch nicht die Kraft dafür. Er stellte sich vor Malik und Arsura hob beide Hände und schlug sie mit einem „Los!“ wieder nach unten. Die beiden zögerten keine Sekunde und sprinteten los. Arsura versuchte schon nach dem zweiten Sprung Malik abzuhängen, aber dieses Mal hatte er klar die Nase vorn. Arsura probierte es über eine Abkürzung, aber das wollte auch nicht funktionieren. Als sie mit Malik endlich gleichauf war und die beiden gleichzeitig von dem Dach eines Hauses sprangen, wurde ihnen eines schlagartig klar: Das reichte nicht. Entsetzt versuchte Arsura nach einem Vorsprung zu haschen, doch da war keiner. Die beiden Halbwüchsigen fielen nun direkt auf den Marktstand zu, der an dem Gebäude stand. Polternd krachten Malik und Arsura in den Stand hinein. Das Holzdach brach unter der Wucht zusammen und begrub die zwei unter sich – zusammen mit teuren Tonvasen, die in ihre Einzelteile zersprangen. Kadar hörte von Weitem das Scheppern, des in sich zusammen brechenden Markstandes und eilte sofort dorthin. Als er ankam und von Malik nur ein Bein aus dem Trümmerhaufen herausschauen sah, fing er sofort an die Holzplanken wegzuräumen. „Bruder! Alles in Ordnung?!“ fragte der Jüngere erschrocken. Er zog Malik aus dem Marktstand. Der Ältere ächzte leicht vor Schmerz rieb sich das Bein und dann den Rücken, der bei dem Sturz am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde. Kadar wandte sich kurz von Malik ab, um nach Arsura zu suchen. Als er die oberste Holzplanke beiseite zog, lag die Braunhaarige etwas unglücklich in dem Rest des Marktstandes. „Hast du dir wehgetan?“ wollte Kadar wissen. „Ein bisschen. Aber, nicht mehr als sonst auch“ erwiderte Arsura und richtete sich auf. Kadar half ihr auf die Beine. Arsura stellte fest, dass sie einen Kratzer am Oberarm hatte. Vermutlich von eine der Tonscherben. Es blutete, war aber nicht schlimm. Die drei sahen sich das Chaos an, was Malik und Arsura gerade fabriziert hatten. „Ich glaube, das hat keiner gesehen. Lasst uns verschwinden, bevor-“ fing Arsura an, doch das Scheppern einer Holzkiste ließ sie, Kadar und Malik herumfahren. Die drei sahen direkt in das zornesrote Gesicht des Standbesitzers, der vor Schreck die Kiste hatte fallen lassen. „Wir… können das erklären“ meinte Arsura zerknirscht. „Darauf bin ich ja mal gespannt“ sagte der Ladenbesitzer zornig. Al-Mualim saß auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch, hatte sein Kinn auf die rechte Hand gestützt und die Finger seiner linken trommelten unruhig auf dem Pult herum. Dem Großmeister der Assassinen fehlten schlicht und ergreifend die Worte. Das war schon das dritte Mal in diesem Monat, dass Malik, Kadar und Arsura vor ihm standen, weil sich ein wütender Dorfbewohner über sie beschwerte. Und das Schlimmste an der ganzen Sache: Der Monat hatte erst begonnen. Er hatte einen Novizen nach Sharif geschickt. Der Assassine sollte wissen, was sein Ziehkind schon wieder angestellt hatte. Schließlich kam Sharif die Treppe hoch und als er das Trio sah, konnte er sich schon denken, was Sache war. „Friede sei mit euch, Meister“ sagte Sharif achtungsvoll. „Ihr könnt euch denken, worum es geht, oder Sharif?“ fragte Al-Mualim. Sharif konnte es sich gerade so verkneifen, sich an die Stirn zu fassen. Das konnte doch nicht wahr sein! „Was ist es dieses Mal?“ fragte er seine Ziehtochter entrüstet. „Wir haben einen Markstand ein wenig… zerdeppert“ erwiderte Arsura kleinlaut. „Ein wenig? Meine ganzen Vasen und der Stand sind zerstört! Ich verlange eine Entschädigung!“ polterte der Standbesitzer wütend. „Wie ist das jetzt schon wieder passiert?“ wollte Sharif weiter wissen. „Malik und ich haben beim Dachrennen die Entfernung unterschätzt und sind dann in den Marktstand gekracht“ erklärte Arsura. Jetzt ging es nicht mehr. Sharif fasste sich fassungslos an die Stirn. „Arsura. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du das lassen sollst?“ sagte Sharif nun leicht entnervt. Arsura schwieg daraufhin. Hier hatte sie zu viel Respekt vor Al-Mualim, als dass sie ihrem Vater eine selbstbewusste Antwort entgegenwerfen würde. Besagter Großmeister wandte sich an den Markstandbesitzer. „Euer Schaden wird euch entsetzt“ versicherte er ihm. Der Mann bedankte sich bei Al-Mualim, warf den Kindern einen wütenden Blick zu und ging dann. Al-Mualim stand auf und trat vor den Schreibtisch. „Das war das letzte Mal. Malik, Kadar, ihr werdet Strafarbeiten verrichten. Es kann nicht sein, dass ich wegen euch beiden jedes Mal so einen Ärger habe. Abtreten – alle beide“ sagte er angesäuert. Die beiden Jungs zögerten keine Sekunde und gingen sofort. Arsura schluckte leicht, als Al-Mualim auf sie zukam und vor ihr stehen blieb. „Was dich angeht… Da ich dir keine Strafarbeiten auferlegen kann, werde ich an deinen Ziehvater appellieren, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt, ansonsten hat das weitereichende Konsequenzen“ sagte er ernst. Arsura sah ihm entgegen und schnaubte resigniert. „Ich werde mich darum kümmern“ versicherte Sharif. „Ich hoffe es“ sagte Al-Mualim nur. Sharif ging mit seiner Ziehtochter. Sie sprachen beide kein Wort, bis sie die Festung verlassen hatten. Dann platzte es aus Sharif heraus. „Du bringst mich mit deinem Verhalten wirklich in Schwierigkeiten! Ich lege zwar jedes Mal ein gutes Wort für dich ein, aber irgendwann hat auch das kein Gewicht mehr – gerade nach so einer Aktion wie heute! Nicht nur du kriegst Ärger für solche Aktionen, sondern auch Malik und Kadar – und langsam auch ich“ sagte er ungehalten. „Ich kann es eben. Und ich werde nicht mit dem Dachrennen aufhören, nur weil du das sagst!“ widersprach Arsura. „Ich hab ja nichts dagegen, dass du das machst, aber wenn du jedes Mal dabei das Eigentum anderer Leute zerstörst, bringt das mehr Kosten als Nutzen. Denk mal darüber nach!“ erwiderte Sharif. „Wenn ich schon nicht mehr über die Dächer springen darf, darf ich wenigstens noch weiterhin mit Malik und Kadar Schwertkampf üben?“ fragte sie trotzig. Sharif blieb stehen. „Du… was?“ fragte er verwirrt. „Ja, ich verstehe schon. Ich sag den beiden morgen Bescheid, dass wir das auch lassen können“ gab Arsura zurück. „Du bist ein Mädchen. Eigentlich dürftest du in der Hinsicht überhaupt keine Erfahrungen haben“ meinte Sharif. Arsura grummelte etwas Unverständliches vor sich hin. „Wie war das?“ hakte er nach. „Ich sagte: Nur weil ich ein Mädchen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich so etwas nicht können darf. Ich bin gut darin. Malik und Kadar können dir das bestätigen. Altair vielleicht auch. Er hat ab und zu mal zugesehen“ sagte sie frustriert. Sharif wollte seinem Ziehkind schon die Meinung sagen, aber er zögerte einen Moment. War Arsura vielleicht wirklich gut im Schwertkampf? Doch er wusste, dass er das unterbinden musste. Sie konnte nicht damit anfangen. „Beim besten Willen und egal, wie gut du darin bist. Lass das zukünftig bleiben“ sagte Sharif schließlich. Arsura schnaubte enttäuscht. „Und ich dachte, wenigstens du siehst, dass ich Talent habe. Wenn du mich suchst, ich bin mit Kadir unterwegs“ sagte sie belegt, drehte sich um und machte sich auf den Weg zu den Ställen. Dort angekommen konnte sie nicht verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Sie war wütend und enttäuscht darüber, dass nicht einmal ihr Ziehvater sah, wie gut sie wirklich war. Arsura kannte ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen. Wenn sie könnte, würde sie in die Fußstapfen Sharifs treten. Sie würde Assassine werden, wenn man es zuließ, aber diese Vorstellung rückte immer mehr in weite Ferne. Keiner würde ihr Talent anerkennen. Und das nur, weil sie ein Mädchen war. Arsura ging zu Kadir in die Box, setzte sich auf den weichen Heuboden und versuchte zu verhindern, dass ihr noch mehr Tränen über die Wangen liefen. Kadir bemerkte ihren Unmut und stupste sie vorsichtig mit seiner hellen Nase an. Arsura lächelte. „Ich soll wohl damit aufhören, was? Du hast Recht. Komm, lass uns ausreiten“ meinte sie leise und stand auf. Sie holte Kadirs Sattel und seine Trense und legte sie ihm an. Mittlerweile hatte sie keine Probleme mehr damit und der Hengst freute sich auch immer, wenn sie da war. Sie führte das aufgezäumte Pferd aus dem Stall und lief damit durch das Tor der Palisade. Dort stieg sie auf und lief mit Kadir los. In irgendeine Richtung. Irgendwohin. Nur, erst einmal raus aus Masyaf. Sharif ging nach Hause. Er wollte die Lage mit Ayasha besprechen. Der Assassine wollte hören, was sie dazu zu sagen hatte. Zusammen saßen sie nun am Esstisch und Sharif massierte sich entnervt die Schläfen. „Mach dir nicht so einen Kopf darum, Sharif. Das ist nur eine Phase. In einigen Monaten hat sie das schon wieder an Nagel gehängt. Arsura kann kein Assassine werden und wenn sie das erst einmal eingesehen hat, wird sich das ganz schnell im Sand verlaufen“ meinte Ayasha aufmunternd. „Das ist es ja. Ich glaube nicht, dass Arsura einfach so aufgeben will. Dafür ist sie viel zu starrköpfig“ erwiderte Sharif und seufzte schwer. „Außerdem…“ fing Ayasha nun an und lehnte sich nach hinten gegen den Stuhl. „… könnte ich es nicht ertragen, wenn meine Tochter und mein Mann auf Missionen unterwegs sind, von denen sie vielleicht nicht mehr zurückkommen.“ Sharif lächelte leicht. „Mich würde wirklich interessieren, wo Arsura herkommt. Sie ist seit nun mehr sechs Jahren hier und kann sich noch immer an nichts erinnern“ meinte er. „Das wird schon“ erwiderte Ayasha. Dann stand sie auf und ging an ihrem Mann vorbei aus dem Haus heraus. Sharif saß noch einen Moment dort und starrte nachdenklich vor sich hin. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und sah sein Schwert in der Scheide an der Wand stehen. Daneben stand sein altes Übungsschwert. Er hatte es früher zum Kämpfen gerne genommen, aber irgendwann war es ihm einfach zu kurz geworden. Seit seiner Beförderung zum Assassinen hatte er sein neues, mit dem er auch sehr zufrieden war. Als er die beiden Schwerter so anstarrte, kam ihm eine verrückte Idee. Warum sollte er sich nicht mal anschauen, was seine Ziehtochter konnte? Damit würde er ihr bestimmt eine Freude machen. Und wer weiß… vielleicht war sie wirklich so gut, wie sie behauptete. Wenn Arsura zurückkam, würde er ihr es auf jeden Fall anbieten. Mehr als ablehnen konnte sie nicht. Besagte 13-jährige kam erst nach mehreren Stunden wieder zurück nach Masyaf. Kadir war klatschnass geschwitzt. Arsura hatte sich mit ihm völlig verausgabt. Auch sie atmete schwer und eine Strähne ihrer langen hellbraunen Haare hing ihr nass im Gesicht. Vor dem Tor stieg Arsura von Kadir ab und führte ihn in den Stall. Sie sattelte das Pferd ab und rubbelte dessen Rücken mit Stroh trocken, sodass er sich nicht erkälten konnte. Zum Abschluss gab sie ihm noch ein paar Stücke getrocknetes Brot, redete mit ihm und streichelte ihn liebevoll. Sie hatte den Hengst in den letzten Jahren richtig lieb gewonnen. Auch Kadir freute sich jedes Mal, wenn sie zu ihm kam. Arsura lächelte dem edlen Tier entgegen, verabschiedete sich von ihm und ging. Mit einem Grummeln machte sie sich auf den Weg nach Hause. Vor der Tür erwartete sie allerdings eine Überraschung. Sharif saß auf einer Bank vor dem Haus und schien auf sie gewartet zu haben. Er ging auf sie zu und lächelte. „Willkommen zurück. Wie war der Ausritt?“ fragte er sie. „Erfrischend“ erwiderte Arsura gleichgültig und wollte an ihm vorbei ins Haus gehen, doch Sharif hielt sie auf. „Warte.“ „Was ist?“ fragte Arsura und klang ein wenig gereizt. Wortlos drückte Sharif ihr sein altes Übungsschwert in die Hand. Erstaunt blickte Arsura von der Waffe zu ihrem Ziehvater, der sie nur anlächelte. „Zeig mir, was du kannst.“ Arsura fiel die Kinnlade herunter. Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, grinste sie und nickte eifrig. Die beiden verließen das Dorf und suchten sich einen geeigneten Platz zum Trainieren. Sharif wollte nicht, dass jemand mitbekam, dass er seine Tochter auf ihre Fähigkeiten im Schwertkampf prüfte. Schließlich hatten sie eine große, völlig menschenleere Wiese gefunden und Sharif zog sein Schwert. Arsura begutachtete einen Moment das Schwert, als sie es aus der entsprechenden Scheide gezogen hatte. Der Griff war mit schwarzem Leder eingebunden, die Parierstange war silbern und die Klinge lang, glänzend und scharf. „Ich habe noch nie mit einem echten Schwert gekämpft. Es ist ziemlich schwer“ meinte Arsura schließlich. „Daran gewöhnst du dich. Ich nehme an, die Grundhaltung kennst du?“ vermutete Sharif. Arsura nickte. „Gut. Kannst du auch schon Angriffe parieren?“ wollte er weiter wissen. Wieder ein Nicken. „In Ordnung“ meinte Sharif. Arsuras Arm zitterte etwas, als sie sich in die Grundhaltung begab und das Schwert hob. Sharif machte es ihr nicht schwer. Er startete einen offensichtlichen Angriff, betont langsam, damit er sehen konnte, wie seine Ziehtochter reagierte. Was dann folgte, warf sogar den geübten Assassinen aus der Bahn. Arsura wich dem ersten Schlag locker aus, schlug Sharifs Schwert zu Boden und boxte ihm vor die Brust. Die Bewegung war fließend, schnell und absolut präzise. Als hätte sie das schon hundertmal gemacht. Perplex sah Sharif sie an. „Ich übe mit Malik und Kadar. Und da heißt es: Lerne schnell oder du kriegst blaue Flecken. Und da ich mir die ersparen wollte, habe ich alles daran gesetzt so schnell wie möglich ihre Tricks zu lernen“ meinte Arsura banal und ging wieder in die Grundhaltung. „Ah, ich verstehe schon. Offensichtlich bist du besser, als ich gedacht habe“ sagte Sharif nun lächelnd. „Ich mach das schon fast so lange, wie das Dachrennen. Unterschätze mich lieber nicht, Vater“ grinste Arsura zurück. „Hochmut kommt vor dem Fall, mein Kind“ erwiderte Sharif. Noch lange trainierten die beiden. Es war bereits dämmrig, als sie sich zurück auf den Weg nach Masyaf machten. Arsura war völlig aus dem Häuschen. Sie schwärmte von der Lehrstunde, bewunderte sich ab und zu selbst, wie gut sie das mit einem echten Schwert hinbekommen hatte und bettelte um mehr Unterricht bei Sharif. Dieser lachte herzlich. „Wir werden auf jeden Fall die nächsten Tage noch üben, auch damit du dich an das Gewicht der Waffe gewöhnen kannst. Ich hätte nicht gedacht, dass in dir so ein Potential steckt“ meinte er anerkennend. Arsura grinste. „Ich hatte es dir gesagt, aber du hast mir ja nicht geglaubt.“ Sharif nickte leicht. In seinem Kopf ratterte es. Hatte sie vielleicht als erstes Mädchen das Zeug zum Assassinen? Er schüttelte den Gedanken wieder ab. Das würde Al-Mualim nicht zulassen. Sharif würde Arsura trotzdem helfen, ihre Fähigkeiten auszubauen. So etwas war nie verkehrt. Es vergingen einige Wochen. Arsura trainierte fleißig fast jeden Tag mit Sharif. Sie verbesserte ihre Kontertechnik, lernte, dass das Schwert nicht nur aus der Klinge bestand, sondern auch die Parierstange sehr nützlich sein konnte, um seinen Gegner auszuschalten und gewöhnte sich an das Gewicht des Schwertes. Sharif beobachtete erstaunt die Fortschritte von Arsura und schließlich beschloss er, Al-Mualims Meinung einzuholen. So viel Talent musste gefördert werden. Das war sicher. Sharif hatte lange mit sich gerungen, aber nun war er auf dem Weg zur Festung. Der Assassine atmete tief durch und nahm die letzten Stufen. Der Großmeister besprach gerade etwas mit einem der Dais, mit dem er vor dem Schreibpult stand. Als Al-Mualim Sharif kommen sah, gab er ihm mit einer einfachen Handbewegung zu verstehen, dass er einen Moment warten sollte. Sharif blieb am Fuße der Treppe stehen, bis Al-Mualim den Dai wieder wegschickte. Dann wandte er sich dem Assassinen zu. Sharif verneigte sich leicht. „Friede sei mit Euch, Meister“ sagte er demütig. „Und mit Euch, Sharif. Was führt Euch zu mir?“ fragte Al-Mualim. Sharif überlegte einen Moment, wie er anfangen sollte. Die Situation war wirklich sehr ungewöhnlich. „Es geht um Arsura“ sagte er schließlich. Al-Mualim schien nicht begeistert zu sein. Er konnte sich denken, um was es ging. „Was hat sie nun wieder angestellt?“ wollte er leicht entnervt wissen. „Nichts. Ganz im Gegenteil. Sie hat mir in den letzten Wochen bewiesen, dass sie unglaublich talentiert ist“ erwiderte Sharif. „Inwiefern?“ fragte Al-Mualim verwirrt nach. „Neben dem Springen über die Dächer, das vor einigen Wochen ziemlich schief gelaufen ist, beherrscht sie auch den Schwertkampf sehr gut. Ich wollte ihr das erst nicht glauben, aber sie hat mir bewiesen, dass sie es kann. Sie besitzt großes Talent“ sagte Sharif. „Und was genau wollt Ihr nun von mir, Sharif?“ hakte der Großmeister nach. „Ich würde mir wünschen, dass Ihr Arsura eine Chance gebt, sich zu beweisen“ meinte Sharif nun. „Keine Frau war jemals so talentiert, dass man sie in die Bruderschaft hätte aufnehmen können. So war es und so wird es bleiben. Selbst wenn sie es kann, werde ich sie nicht als Novizen aufnehmen“ erwiderte Al-Mualim ernst. Sharif seufzte leicht. Er trat ein, zwei Schritte auf den Großmeister zu. „Mit Verlaub gesagt, Meister… Arsura ist nun mehr schon sechs Jahre hier. Noch kann sie sich nicht an ihr früheres Leben erinnern, aber wenn das eines Tages der Fall sein sollte, wäre es nicht besser sie zur Gänze auf unserer Seite zu haben? Gebunden an die Gesetze unseres Kredos? Wenn sie sich irgendwann erinnert und geht, dann geht sie mit all unseren Geheimnissen. Und wer weiß, wem sie es dann erzählt. Wir wissen nicht, wo sie herkommt, noch wo sie wirklich hingehört und wer sie eigentlich ist“ argumentierte Sharif dagegen. Al-Mualim schien zu zögern. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Arsura so talentiert sein sollte, wie Sharif es gerade behauptete. Doch, der Assassine hatte mit seiner Argumentation Recht. Ewig konnten sie Arsura nicht hier in Masyaf festhalten. Und sie bekam viel mit. Auch, weil Sharif Assassine war. „Ich bitte Euch einfach nur, Euch anzusehen, was sie kann. Meiner Meinung nach, muss ihr Talent professionell gefördert werden“ sprach Sharif weiter. Al-Mualim lehnte sich gegen den Schreibtisch und überlegte eine Weile. „Ihr wisst, dass das eigentlich nicht zulässig ist. Die Bruderschaft der Assassinen besteht ausschließlich aus Männern. Eine Frau in unseren Reihen wäre absolut inakzeptabel, das könnte sogar Ärger verursachen. Allerdings habt Ihr mit Eurer letzten Argumentation durchaus Recht. Sie weiß zu viel und wir wissen nicht, wer sie ist“ sagte Al-Mualim schließlich. Sharif sah überrascht auf. Er hätte nicht gedacht, dass der Großmeister ernsthaft in Erwägung zog, seiner Bitte nachzukommen. „Ich werde Arsura die Chance geben, ihr Talent unter Beweis zu stellen. Sollte sie sich wider Erwarten genauso gut anstellen, wie Ihr behauptet, dann werde ich darüber nachdenken, ob sie in den Bund der Assassinen aufgenommen werden kann. Allerdings darf sie sich dann keinen Fehltritt mehr erlauben. Solche Aktionen wie von vor ein paar Wochen dürfen sich nicht ehr ereignen“ sagte Al-Mualim. „Ich werde für sie bürgen“ meinte Sharif nickend. „Sagt das nicht so leichtfertig, Sharif. Euer Ziehkind ist ziemlich unberechenbar“ erwiderte Al-Mualim. „Ich verstehe, Meister. Allerdings vertraue ich Arsura in jeder Hinsicht. Wenn es darauf ankommt, kann ich mich auf sie verlassen“ sagte Sharif lächelnd. „Nun gut. Bringt sie morgen früh mit hier her. Die anderen Novizen in etwa ihrer Altersklasse üben auch um diese Zeit. Sie soll gegen einen der Schüler antreten und zeigen, was sie kann“ beschloss Al-Mualim nun. Sharif nickte verstehend. Er verneigte sich leicht, verabschiedete sich und ging. Er verließ die Festung und ging gut gelaunt nach Hause. Beim Abendessen würde er Ayasha und Arsura davon erzählen. „Was?!“ Das war die erste Reaktion von Sharifs Ziehtochter und seiner Frau. Ayasha schien schockiert zu sein und Arsura war vor lauter Staunen der Löffel aus der Hand gefallen. „Assassine? Ich?!“ fragte die Braunhaarige völlig aus dem Häuschen. „Nein. Nein, Sharif. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Arsura wird niemals Assassine. Sie ist eine Frau!“ protestierte Ayasha sofort. „Es kommt jetzt nur darauf an, wie sie sich morgen anstellt. Und der Umstand, dass sie sich an nichts erinnern kann, kommt ihr ebenfalls zugute“ erwiderte Sharif banal. „Wir hatten das doch schon besprochen, Sharif. Ich möchte nicht, dass ihr beide wochenlang unterwegs seid und vielleicht gar nicht mehr zurückkommt!“ beharrte Ayasha weiterhin. Arsura sprang von ihrem Stuhl auf und umarmte ihren Ziehvater überglücklich. Ayasha sah empört zu Arsura. „Danke, Vater!“ „Hast du mir eben nicht zugehört?!“ wollte sie wissen. „Natürlich hab ich das, Mutter. Aber, für mich würde damit ein Traum in Erfüllung gehen“ grinste Arsura übermütig. Ayasha schüttelte nur den Kopf. „Komm schon, Liebling. Gib ihr die Chance. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich hier zuhause hinsetzt und mit dir zusammen Kleidung näht oder ähnliches. Arsura hat Talent. Das kann man nicht bestreiten“ erwiderte Sharif. „Du hättest es mit mir vorher absprechen müssen“ sagte Ayasha wütend. Dann sah sie aber in das überglückliche Gesicht ihrer Tochter und seufzte leicht. „Du wünscht es dir wirklich, oder?“ fragte sie Arsura. Ihre Ziehtochter nickte eifrig. „Mehr, als alles andere“ antwortete Arsura. „Na gut. Es passt mir zwar nicht und noch besteht die Möglichkeit, dass man dich nicht aufnimmt. Aber, ich will dir diese Chance geben“ sagte Ayasha schließlich. „Danke, Mutter. Das bedeutet mir wirklich sehr viel“ meinte Arsura lächelnd. „Ich habe übrigens noch eine gute Nachricht für dich, Arsura“ sagte Sharif schließlich. „Bin ich schon aufgenommen?“ fragte Arsura sofort. Sharif lachte leicht. „Nein. Es geht um Kadir“ erwiderte er. „Was ist mit ihm?“ wollte Arsura wissen. „Ich habe mir überlegt, mir ein zweites Pferd zuzulegen. Eigentlich sollte das für dich sein, aber ich sehe, wie gut du dich mit Kadir verstehst und deshalb habe ich beschlossen, mir ein neues Pferd zuzulegen und dir Kadir zu überlassen“ erklärte er. „Kadir ist ab sofort mein eigenes Pferd?“ fragte sie ungläubig. „Wenn ich mein neues habe, ja. Er wird dann dir gehören“ sagte Sharif. So viele gute Neuigkeiten an einem Tag. Wenn Arsura könnte, würde sie vor Freude explodieren. „Und jetzt ab ins Bett. Du willst doch fit für morgen sein, oder?“ meinte Sharif lächelnd. Arsura nickte, drehte sich um und verschwand in ihrem immer. „Ich hoffe du weißt, was du da tust, Sharif“ sagte Ayasha schließlich. „Ich hoffe es auch. Aber, ich denke, sie kriegt das hin“ erwiderte Sharif zuversichtlich. „Das meine ich nicht“ widersprach Ayasha. „Wenn Arsura bei den Assassinen wirklich aufgenommen werden sollte…“ „Ayasha. Mach dir keine Gedanken. Glaub mir, es wäre das Beste für sie“ sagte Sharif. „Ich hoffe, du hast recht“ lächelte sie. „Bestimmt, Ayasha. Bestimmt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)