Where Butterflies never die von Altair_Ibn_La-Ahad (Die Geschichte einer Assassine) ================================================================================ Kapitel 1: Blau --------------- Ayasha sah ihren Mann erstaunt an. „Wir sollen uns um das Kind kümmern?“ fragte sie nach. Sharif nickte. Er wusste, was seiner Frau ein Kind bedeuten würde, allerdings wusste er nicht, wie sie reagierte, wenn es nicht ihr eigenes war. „Ich bin von der Idee nicht sehr begeistert. Sie kommt nicht von hier. Wer weiß, wo sie hingehört“ meinte Ayasha schließlich skeptisch. „Wir können sie schlecht aus dem Dorf werfen. Dafür habe ich ihr nicht das Leben gerettet. Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich fühle mich für dieses Mädchen in gewisser Weise verantwortlich“ sagte Sharif. Ayasha sah ihn an. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein Kind von dir. Aber, seit jenem Tag ist dieser Wunsch nicht mehr als eine Illusion. Dieses Mädchen wird niemals das ersetzen, was ich wirklich möchte“ murmelte sie traurig. Sharif legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie tröstend an. „Ich verstehe dich, Ayasha“ lächelte er. Ayasha umarmte ihn und seufzte schwer. Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Sie dachte lange nach, ehe sie etwas sagte. „Wie hast du das Kind genannt?“ fragte sie schließlich. „Arsura. Da wir nicht wissen, wie sie heißt und sie uns nur sagen konnte, dass sie zuvor in Arsur war, finde ich diesen Namen ganz passend“ antwortete Sharif leise. Ayasha löste die Umarmung. Tief sah sie dem Assassinen in die Augen. „Ich werde Arsura diese Chance geben. Vielleicht schafft sie es, das Kind zu sein, was wir nie haben können“ lächelte sie. Sharif küsste sie innig. Er war ihr dankbar, dass sie es versuchen würde. Am nächsten Tag ging Sharif erneut zu Arsura. Er wollte ihr nun erklären wo sie war und wo sie bleiben würde. Allerdings erhoffte er sich auch von Arsura etwas zu erfahren. Das Mädchen saß im Schneidersitz in ihrem Bett, starrte auf ihre Hände und summte eine leise Melodie vor sich hin. Sie trug ein einfaches schwarzes kurzärmliges Oberteil und eine helle Hose. Sharif lächelte als er sie sah und klopfte leicht gegen den Türrahmen, um auf sich aufmerksam zu machen und sie nicht zu erschrecken. „Wie geht es dir?“ fragte er freundlich. Arsura sah zu ihm. „Ich weiß nicht. Es ist komisch. Ich kann mich an nichts erinnern. Egal, wie sehr ich mich anstrenge. In meinem Kopf herrscht Leere“ sagte Arsura. Sharif setzte sich zu ihr. „Wo bin ich hier?“ fragte Arsura. „In Masyaf, der Festung der Assassinen“ erklärte Sharif. „Und wer bist du?“ hakte sie nach. „Mein Name ist Sharif Antun Sa’ada. Ich habe dich vor drei Tagen gefunden. Erinnerst du dich noch?“ Arsura nickte. „Ja, daran erinnere ich mich noch etwas. Ich danke dir für deine Hilfe“ sagte sie höflich. „Weißt du wenigstens wie alt du bist?“ fragte Sharif weiter. „Sieben. Glaube ich“ kam es unsicher zurück. „Was passiert jetzt mit mir?“ „Meine Frau und ich werden dich bei uns aufnehmen. Du wirst vorerst hier in Masyaf bleiben“ erwiderte Sharif. „Ist deine Frau nett?“ fragte Arsura und musterte ihn erwartungsvoll mit ihren strahlenden blauen Augen. Der Assassine war nach wie vor angetan von dieser Farbe. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Sie leuchteten wie zwei Kristalle im Sonnenlicht und schienen eine beeindruckende Kraft auszustrahlen. Dieses Mädchen war stark. Er konnte es ihr ansehen. „Ja, sehr sogar. Wenn es dir besser geht, darfst du bei uns mit im Haus wohnen. Du wirst dich wohlfühlen“ versicherte Sharif ihr. Arsura nickte leicht. Sharif stand auf und wollte gehen, doch das Mädchen hielt ihn zurück. „Geh nicht. Bitte. Bleib noch einen Moment“ flehte Arsura plötzlich. Erstaunt sah Sharif sie an. Er setzte sich wieder hin und sie kniete sich auf das Bett. Dann hielt sie sich erneut an Sharif fest, so wie sie es schon gestern getan hatte. „Lass mich nicht allein“ flüsterte sie. Sharif legte ihr beruhigend eine Hand auf den Hinterkopf und mit der anderen streichelte er Arsura vorsichtig über den Rücken. Dabei achtete er darauf, nicht an die frisch versorgte Wunde zu kommen. Arsura brauchte jetzt einfach Halt. Sie hatte keinerlei Erinnerung, an das was vor ihrer Rettung passiert war. Sie fühlte sich verloren und einsam. Sharif spürte das. Und er würde alles dafür tun, dass Arsura dieses quälende Gefühl wieder loswurde. „Keine Sorge, Arsura. Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich dir“ sagte Sharif sanft. Arsura nickte leicht. „Danke. Danke, dass du für mich da bist“ lächelte sie zurück. „Ich komme dich morgen wieder besuchen. Und wenn der Arzt es erlaubt, nehme ich dich mit nach Hause“ versprach Sharif. Arsura ließ ihn nur widerwillig ziehen. Sie wollte jetzt nicht allein sein, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sharif verabschiedete sich von ihr und ging. Noch eine ganze Weile starrte Arsura auf die Tür, die ins Schloss gefallen war. Sie fühlte sich unheimlich verlassen und allein. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie wollte jetzt nicht weinen. Schnell wischte sie sie weg, bevor sie fallen konnten. Offensichtlich hatte sie Glück im Unglück gehabt. Wieder versuchte sie sich angestrengt daran zu erinnern, was passiert war, aber wieder schwebten nur bruchstückhafte, verschwommene Bilder vor ihrem geistigen Auge. Nicht einmal ihr richtiger Name wollte ihr einfallen. Arsura schnaufte. „Wieso kann ich mich nicht erinnern?“ fragte sie sich leise. Es juckte sie am Hals und als sie sich kratzte, merkte sie, dass sie eine Kette trug. Es fühlte sich nach einem einfachen Lederband an. Sie tastete an dem Band entlang und ergriff schließlich einen Anhänger. Vorsichtig zog sie sich die Kette über den Kopf und nahm den Anhänger in die Hand. Es war ein einfacher, hellblauer tropfenförmiger Stein. Er sah edel aus und war wahrscheinlich von großem Wert. Verwirrt blickte Arsura den Stein, der ihrer Augenfarbe glich, an und hoffte, sich erinnern zu können. Doch der gewünschte Effekt blieb aus. Sie schnaubte und legte sich die Kette wieder um. Dann ließ sie sich seitlich ins Bett fallen und schloss die Augen, um noch etwas schlafen zu können. Der Arzt war guter Dinge. Die Wunde war gut verheilt und nach vier weiteren Tagen konnte er die Fäden entfernen. Nachdem das geschafft war, bedankte Arsura sich bei dem netten Mann. Auch Sharif war anwesend und sah lächelnd zu dem Mädchen. „Ihr könnt sie nun mitnehmen. Sie sollte sich noch nicht überanstrengen. Die Wunde ist gut verheilt. Sollten trotzdem Probleme auftreten, bringt sie zu mir“ sagte der alte Arzt mit dem weißen Bart zu Sharif. Er nickte verstehend. Arsura stand auf und ging zu Sharif. „Können wir gehen?“ fragte sie. Sharif nickte. „Komm mit“ sagte er lächelnd und verließ mit ihr das kleine Haus des Arztes. Arsura wurde von der hellen syrischen Sonne erst einmal geblendet. Sie war seit ein paar Tagen nicht draußen gewesen und ihre Augen waren das helle Licht nicht gewöhnt. Sie fand sich in einem belebten Dorf wieder. Es herrschte reges Treiben auf den staubigen Straßen. Krugträger liefen an ihr und Sharif vorbei, die Markthändler preisten ihre Waren an und immer wieder fiel Arsura auf, dass Männer an ihr vorbeiliefen, die eine ähnliche Kleidung wie ihr Ziehvater trugen. Die beiden liefen eine Weile bergauf, dann blieb Sharif vor einem Haus stehen. Davor saß eine Frau mit langen gelockten schwarzen Haaren und einem einfachen Überkleid in einer fast grauen Farbe. Sie hatte ein hübsches Gesicht, dunkle Augen und volle Lippen. Einen Moment schien die Zeit für sie still zu stehen, als sie Arsura erblickte. Die blauen Augen waren erwartungsvoll und alles andere als ängstlich auf Ayasha gerichtet. Sharif erwartete, dass Arsura sich hinter ihm verstecken würde, aus Furcht vor der für sie fremden Person, aber das Mädchen tat nichts dergleichen. Im Gegenteil. Sie ging auf Sharifs Frau zu. „Bist du Ayasha?“ fragte Arsura gerade heraus. Die Frau vor ihr nickte. „Ja und du musst Arsura sein“ stellte sie fest. „Sharif hat gemeint, du wärst ganz nett und ihr würdet euch beide um mich kümmern“ meinte Arsura direkt heraus. Ayasha lächelte. „Natürlich. Zusammen sind wir jetzt wie eine kleine Familie.“ Arsura lächelte glücklich. Jetzt hatte sie erst mal einen Platz, wo sie sich wie zuhause fühlen konnte. Am Horizont gen Osten zeichneten sich die ersten hellen Lichtstreife des bevorstehenden Sonnenaufgangs ab. Sharif schnallte seinen Gürtel fest und steckte anschließend sein Schwert in die Scheide. Dann zog er seine braunen Lederstiefel an, kontrollierte, ob er alles hatte und wollte das Haus verlassen. Er wollte zu Kadir. Der morgendliche Ausritt zwei bis drei Mal die Woche war immer sehr angenehm. Die Ruhe tat Reiter und Pferd sehr gut und brachte Balance in das Verhältnis zwischen den beiden. „Wo willst du hin?“ fragte plötzlich jemand verschlafen. Sharif drehte sich um. Arsura war gerade wach geworden und sah ihn mit müden Augen an. Er ging auf sie zu und hockte sich vor ihrem Bett hin. „Zu meinem Pferd. Möchtest du mitkommen oder lieber weiterschlafen?“ fragte er sie. Arsura versuchte sofort hellwach zu sein. „Ich möchte mit“ sagte sie schlaftrunken. Sharif lachte leise. „Dann zieh dich an und komm mit. Kadir wartet bestimmt schon“ sagte er lächelnd. Arsura schlüpfte schnell in ihre Sachen hinein und folgte Sharif nach draußen. Im Gegensatz zu gestern herrschte an diesem Morgen schon fast gespenstische Stille in Masyaf. Arsura folgte Sharif bis zu den Ställen, die sich in der Nähe der Palisade befanden. Sharif betrat den Stall und sein Hengst hörte ihn kommen. Er drehte sich von der Wassertränke weg zu seinem Herren. Er wieherte leise, als Sharif auf ihn zukam. Der Assassine strich dem weißen Tier über die Stirn und klopfte ihn am Hals. „Das ist Kadir?“ fragte Arsura ehrfurchtsvoll. „Ja. Seit ein paar Jahren schon mein treuer Begleiter“ sagte Sharif und Stolz schwang in seiner Stimme mit. Kadir war nun auch auf den Besuch aufmerksam geworden, den sein Herr mitgebracht hatte. Er streckte den Kopf nach Arsura, stellte die Ohren und blähte die Nüstern. Sharif war erstaunt. So offen verhielt sich der Hengst selten gegenüber Fremden. Außer ihm konnte normalerweise niemand die Box von Kadir betreten, ohne getreten oder gebissen zu werden. Das Pferd war sehr eigen und akzeptierte nur eine Handvoll Menschen. Bei Arsura schien der Hengst jedoch ein gutes Gefühl zu haben. Er gab Arsura einen kleinen Leinenbeutel in die Hand. „Gib ihm ein Stück trockenes Brot daraus. Dann bist du gleich seine beste Freundin“ sagte Sharif. Arsura holte aus dem Leinenbeutel ein Stück Brot und hielt es Kadir auf der flachen Hand hin. Sofort nahm der Hengst den Leckerbissen an und verlangte offenbar nach mehr. Sachte stupste er Arsura mit der Nase an. Sie lächelte dem Hengst entgegen. „Ich denke, nach dem Ausritt bekommst du noch etwas“ lächelte Arsura. „Ja, er soll sich nicht davor den Bauch vollschlagen“ meinte Sharif. Er holte Sattel, Trense und das Ledergeschirr aus einem Abstellraum und legte es Kadir an. „Darf ich mit dir Ausreiten?“ fragte Arsura neugierig. Sharif zögerte einen Moment, doch er war sicher, dass Kadir sie dulden würde. Der Hengst zeigte ihm sofort, wenn er jemanden nicht leiden konnte. Und das war bei Arsura nicht der Fall. Schließlich nickte Sharif. „In Ordnung. Komm mit“ sagte er und führte das Pferd aus dem Stall. Er ging zum Tor der Palisade und grüßte die Wachen. Nachdem sie das Tor passiert hatten, half Sharif Arsura auf das Pferd. Danach stieg er selbst auf und ließ sein Pferd im Schritt losgehen. Arsura, die vor Sharif im Sattel saß, war begeistert. Kadir war ein wunderschönes Pferd und es war eine genauso so schöne Umgebung, durch die die beiden in der morgendlichen Dämmerung ritten. Sharif lenkte sein Pferd einen steilen Pfad hinauf. Oben angekommen standen die drei auf einem leicht grasigen Felsvorsprung. Von hier aus konnte man über Masyaf schauen und dabei den Sonnenaufgang bewundern. Arsura war fasziniert von diesem Anblick. „Ich komme gerne hier her, um das zu sehen. Es ist jedes Mal wieder ein Erlebnis“ sagte Sharif. Arsura konnte nichts sagen. Sie wollte sich diesen Moment nicht kaputt machen. Er war einfach unbeschreiblich. Nachdem die Sonne vollständig aufgegangen war, drehte Sharif sein Pferd und lief wieder hinunter. Er ließ das Pferd angaloppieren und mit großen Schritten schwebten sie nun über den Boden. „Kann er noch schneller?“ fragte Arsura nach. „Halt dich gut fest“ erwiderte Sharif, stieß Kadir mit den Fersen in die Seite und trieb es schnalzender Zunge weiter an. Kadir legte die Ohren zurück und beschleunigte seinen Galopp. Das gleichmäßige Treten der Hufe wurde schneller, bis es sich wieder in einem Rhythmus einpendelte. Nach einer Weile bremste Sharif das Pferd wieder und trabte noch ein Stück weiter, bevor er es Schritt gehen ließ, damit es verschnaufen konnte. „Das war toll!“ freute Arsura sich. „Eines Tages möchte ich Kadir auch mal so reiten können.“ „Er hat dich auf jeden Fall schon mal akzeptiert. Vielleicht wirst du ihn eines Tages wirklich reiten können“ meinte Sharif und hielt das Pferd an. „Möchtest du es versuchen?“ Arsura starrte ihn mit großen Augen an. Dann nickte sie eifrig. Sharif hielt das Pferd an und stieg ab. Er gab ihr die Zügel in die Hand und erklärte ihr, was sie machen musste, um das Pferd anzutreiben und zu bremsen. „Du läufst jetzt mit ihm erst einmal Schritt. Ich gehe neben dir her. Keine Angst, wenn er weg will, halte ich ihn fest“ versprach Sharif. Arsura nickte verstehend und nahm die Zügel in die Hand. Noch hatte sie nicht die Kraft Kadir alleine nach vorne zu treiben. Sharif half ihr, damit das Pferd loslief. Arsura konnte das Gefühl, was sie auf dem Rücken dieses edlen Tieres empfand, kaum beschreiben. Es war einfach wunderbar. Sie spürte seine regelmäßigen, ruhigen Schritte unter sich und spürte den leichten Ruck in den Zügeln, wenn Kadir kaute. Sharif lief neben den beiden, bereit im Falle eines Falles einzugreifen. Nach einigen Metern stieg er selbst wieder mit auf und ritt im Galopp mit Kadir und Arsura zurück nach Masyaf. Nachdem sie durch das Tor geritten waren, brachte Sharif sein Pferd zurück in den Stall. Er sattelte es ab und gab ihm frisches Heu. „Wenn du möchtest, kannst du gerne noch bei ihm bleiben“ bot Sharif ihr an. „Ich muss jetzt erst mal weg. Wir sehen uns später.“ Arsura streichelte Kadir vorsichtig an der Nase und an der Stirn. Mit einem warmen und dankbaren Lächeln blickte sie zu Sharif. Er konnte die Wärme in ihren blauen Augen spüren, war gefesselt von diesem einzigartigen Blick. „Danke, Vater“ sagte Arsura. Sharif war erstaunt. Das hatte er nicht erwartet. Er ging zu ihr, nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Auch wenn du nicht mein leibliches Kind bist, wirst du für mich wie eine Tochter sein“ sagte er leise. „Und du wirst für mich, wie ein Vater sein“ erwiderte Arsura und umarmte ihn. Sharif würde auf dieses Kind aufpassen und ihr zur Seite stehen. Egal, was auch kommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)