Zum Inhalt der Seite

Poisonous Berry

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Juis Geständnis

Sanft berührten sich unsere Lippen, schmiegten sich rhythmisch gegeneinander.

Nach anfänglichem Zögern wagte ich, den Kuss noch ein wenig zu steigern, indem meine Zunge zärtlich über seine volle Unterlippe glitt, bevor sie versuchte, in Toyas Mundhöhle vorzudringen. Langsam, fast schon widerwillig öffnete er seinen Mund, doch letztendlich trafen sich unsere Zungenspitzen. Schüchtern spielten sie miteinander, während meine linke Hand sich in seinem schwarzen Haar verfing und meine rechte über Brust und Bauch streichelte, dabei immer tiefer glitt, den Saum seines Shirts suchend. Toyas Atem war flach und zittrig, wie der einer Jungfrau, während seine Hände unverändert wie erstarrt auf dem Polster lagen.

Es war definitiv kein Kuss, wie ich ihn von Jui gewohnt war. Diesem hier fehlte die Hitze, die Leidenschaft, die Jui in mir auslöste und die für mich seither zu einer Selbstverständlichkeit geworden war. Ebenso vermisste ich Juis Hände, die mich jedes Mal aufs Neue überraschten, und die Aufregung, die ich normalerweise empfand. Zwar war sie dagewesen, als ich kurz davor war, Toya zu küssen, doch nun, da es passierte, war sie vollkommen verschwunden.

Aber es war vermutlich normal, dass es sich anders anfühlte, es war schließlich auch ein anderer Mann. Und auch, wenn es nicht so feurig wie mit Jui war, so war doch trotzdem auch… ganz okay. Kurz erwischte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, dass es die Haut des Sängers wäre, die ich nun unter dem T-Shirt berührte. Blut schoss in meine Lenden und Toya schien es ähnlich zu gehen, da er sich plötzlich unter mir aufbäumte und mir eine Hand auf die Brust legte. Er schob mich zurück, während er sich gleichzeitig aufrichtete, bis wir uns gegenüber saßen. Hoffnungsvoll glaubte ich, er wolle nun aufs Ganze gehen, doch weit gefehlt - Toya löste den Kuss, sah mich ungewohnt verlegen an. „Hm, so fühlt es sich also an, einen Mann zu küssen…“, sagte er schließlich und rutschte demonstrativ ein Stück von mir ab.

„Hast du etwa noch nie…!?“, fragte ich ungläubig. Er antwortete mit einem Kopfschütteln.

„Wow…“ Es war ein sonderbares Gefühl, das zu hören. Noch nie war ich für jemanden „der Erste“ gewesen und verstand erst jetzt, was die anderen immer so reizvoll daran fanden.

„Wieso „wow“!? Als ob es normal wäre, Typen zu knutschen!“, erwiderte er auf mein Erstaunen und schon zeigte sich wieder das gewohnte Grinsen in seinem Gesicht.

„Es ist auch nicht gerade unnormal…“, murmelte ich eine halbherzige Erklärung.

„Sag mal, Jun, küsst du Jui eigentlich auch immer so?“
 

Ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten, als er aus dem Nichts heraus diese Frage stellte. „Woher zum Teufel…!?“

Toya brachte mich bereits mit seinem Blick zum Schweigen, bevor ich ausgesprochen hatte. Ein Blick, der aussagte, dass jede Widerrede sinnlos wäre.

„Ach komm, das ist doch nicht zu übersehen. So, wie ihr euch bei der Probe anschaut… Du willst doch eigentlich gar nichts von mir“, sagte er mit wissendem Lächeln, stieß mir dabei spielerisch seinen Ellbogen in die Seite.

Plötzlich fühlte ich mich wie ein Idiot.

Ich hatte Jui dafür verurteilt, dass er mit Kirito rumgeknutscht hatte und mich an Toya rangemacht, um mich einerseits zu trösten und andererseits Jui zu bestrafen. Erst jetzt wurde mir klar, wie albern und kindisch das war. Und dass es mehr kaputt machte, als dass es tröstete. Nicht nur die Beziehung zu Jui hatte seitdem unübersehbare Risse bekommen, auch die Freundschaft zu Toya konnte im schlimmsten Fall darunter leiden.

„Hm, und du?“, fragte ich vorsichtig, woraufhin er plötzlich laut auflachte: „Ich!? Niemals! Ich wollte dich nur endlich ranlassen, damit du merkst, dass das nicht passt!“

Sein Selbstbewusstsein war einfach einzigartig, stellte ich peinlich berührt fest. Trotzdem fügte er seiner Erklärung noch eine Frage mit zweifelndem Unterton hinzu. „Du hast es doch gemerkt, oder?“

Und wie ich das gemerkt habe. Dass es Toya ganz offensichtlich genauso ging, machte die Sache bedeutend einfacher.

„Ja, wie zwei falsche Puzzleteile…“, stimmte ich ihm nachdenklich zu, als mir auffiel, dass mich eigentlich nur die Vorstellung, dass er Jui wäre, heiß gemacht hatte.

„Das hast du aber schön gesagt.“ Der Schwarzhaarige grinste breit, ehe er das ursprüngliche Thema wieder aufnahm. „Also, sag schon. Küsst du ihn genauso?“ Er schwang seine Beine über den Couchrand, rutschte noch ein Stückchen weiter von mir ab, um eine freundschaftliche Distanz herzustellen. Es war mir ganz recht.

„Na ja… jetzt nicht mehr… Seit ich ihn beim Knutschen mit Kirito erwischt habe…“

Toya biss sich nickend auf die Unterlippe, wippte auf seinem Platz hin und her, als denke er angestrengt über seine weiteren Worte nach. Er war nicht unbedingt der feinfühligste Mensch, aber ich wusste, dass er sich Mühe gab. Nach einigen schweigsamen Augenblicken meinte er dann: „Weißt du was? Schwamm drüber! Er hat Kirito geküsst, du hast mich geküsst, also seid ihr quitt!“
 

So, wie er das sagte, klang es so einfach. Und zweifellos hatte er auch nicht vollkommen Unrecht damit. Zwar war ich immer noch rasend eifersüchtig, wenn ich nur daran dachte, dass dieser alte Typ sich an Jui vergriffen hatte und es möglicherweise noch immer tat, doch diese Wut beschränkte sich allein auf Kirito, nicht auf Jui. Sehr wahrscheinlich basierte sie einfach nur auf meiner Angst, nicht ausreichend zu sein. Was hatte ich einem wie Kirito entgegenzusetzen?

Er war erfolgreicher, erfahrener, hatte mehr Geld und passte im Gegensatz zu mir in Juis Beuteschema. Vielleicht war es mein mangelndes Selbstbewusstsein in dieser Hinsicht, das mich dazu veranlasst hatte, es bei Toya zu versuchen. Und das, obwohl ich noch nicht mal wusste, ob er überhaupt Männer mochte.

„Davon abgesehen, dass du nichts von mir willst. Wie fandest du’s?“, fragte ich, um auch diese Frage zu klären und gleichzeitig ein kleines Feedback bezüglich meiner Qualitäten einzuholen.

Toya schwieg einen Moment, wippte weiter vor sich hin und drehte mir dann nach schier endlosen Sekunden sein Gesicht zu.

„Ganz ehrlich?“

Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.

„Ich fand’s schrecklich. Also in deine Küsse hat Jui sich ganz sicher nicht verliebt!“
 

Ich hatte vielleicht nicht mit Lobpreisungen gerechnet, aber auch nicht mit so einer harten Kritik, die er mir so unverblümt an den Kopf warf. Noch bevor mein verletzter Stolz eine passende Antwort bereitstellte, fand er aber noch Worte, die seine Aussage ein wenig entschärfte: „Aber liegt vielleicht auch daran, dass du’n Typ bist. Das war das erste und letzte Mal, dass ich das getan hab!“, versicherte er mir kichernd und schüttelte sich demonstrativ, ehe er von der Couch aufsprang. „Ich geh Zähneputzen!“

„Hey, so schlimm KANN es doch gar nicht gewesen sein!“, rief ich ihm noch fassungslos hinterher, als er eilig das Badezimmer aufsuchte.

„Doooch!“

Ich schüttelte den Kopf, lächelte aber. Jui hatte sich nie beschwert… und genau genommen hatte sich Toya nun auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als er so reglos unter mir lag.
 

Ich rutschte tiefer, bis mein Kopf gegen die Rückenlehne stieß und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Und es gab eine Menge zu sortieren. Alles, was Toya, aber vor allem auch Jui betraf, musste nun neu durchdacht werden. Insbesondere deshalb, weil es zu viele Dinge zwischen dem Sänger und mir gab, die unbedingt geklärt werden mussten, ehe sie einen unüberwindbaren Keil zwischen uns trieben.

Um mich nicht ablenken zu lassen, schaltete ich den Fernseher aus, sodass ich nur noch das gleichmäßige Surren seiner elektrischen Zahnbürste aus dem Badezimmer hörte.
 

„I’ll always be wiz u“, erklang plötzlich Juis Stimme in meiner unmittelbaren Nähe und ließ mich aufschrecken. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, dass es mein Handy war, das dieses Lied abspielte. So, wie es immer der Fall war, sobald Jui anrief. Eine Woge der Nervosität erfasste mich und ließ mich zögern, ob ich den Anruf entgegen nehmen sollte. Es war ja schon fast unheimlich, dass er ausgerechnet jetzt anrief, während ich so viel über ihn, über uns, nachdachte.

Schließlich entschied ich mich doch dafür.

„Ja?“, meldete ich mich vorsichtig. Es war Unsinn, aber verdammt, ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen.

„Juuun!“

Erschrocken von der plötzlichen Lautstärke hielt ich das Telefon ein Stück vom Ohr weg. Oha, da war aber jemand gut drauf!

„Hey, ich hab gerade an dich gedacht.“

„Wirklich?“ Ich konnte sein Lächeln sogar durch das Telefon hören. „Ich auch! Ich wollte dir nur sagen, dass du in dem PV zu Futari No Hoshi einfach toll aussiehst!“

Nun musste auch ich schmunzeln. Ich wusste gar nicht, wie oft er mir das schon gesagt hatte, aber er schien von diesem Video geradezu besessen zu sein. Als ich meine Ohren anstrengte, glaubte ich sogar, im Hintergrund schon wieder dieses Lied zu hören.

„Guckst du wieder Youtube?“

Jui kicherte und ich nahm an, dass es ein Ja sein sollte.

„Hey, Jun, wo wohnt die Katze?“, fragte er so plötzlich, dass ich einen Moment brauchte, um zu merken, dass er ohne Vorwarnung das Thema gewechselt hatte.

„Hm? Welche Katze?“ Soweit ich wusste, hatte er keine. Und ich sowieso nicht.

„Im MIETS-HAUS!“

Er brach in schallendes Gelächter aus und ich sah vor meinem geistigen Auge, wie er sich krümmte und sich Lachtränen in seinen Augenwinkeln sammelten.

„Hm, wo auch sonst“, stimmte ich ihm lachend zu. Oh Mann, sein Lachen war ansteckend. Erst jetzt fiel mir auf, wie lange ich es schon nicht mehr gehört hatte. Er ignorierte mich, amüsierte sich weiterhin über seinen Witz, den er wahrscheinlich wieder irgendwo aufgeschnappt hatte. So wie ich ihn kannte, ließ es ihn nicht los, bis er ihn einige Male weitererzählt hatte. Ich hörte, wie er immer wieder dazu ansetzte, etwas zu sagen und dann doch wieder in albernes Gekicher ausbrach. Ich lauschte ihm zu gern dabei.

Derweil kehrte Toya aus dem Badezimmer zurück, frisch geduscht, mit feuchtem Haar und nur in einer Boxershorts bekleidet. Den Rest seiner Kleidung trug er auf dem Arm, aber ich war überrascht, wie wenig es mich in diesem Moment reizte. Noch vor ein paar Stunden hätte ich wahrscheinlich anders darüber gedacht. Es gehörte wohl zu den Dingen, die man ausprobieren musste, ehe man sicher war, dass es einem gar nicht so sehr gefiel wie man annahm.

„Hey, Jun… wer hat den angenehmsten Job der Welt?“, fragte Jui dann, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.

„Hm, du vielleicht?“

„Der Schaffner!! Der genießt das Leben in VOLLEN ZÜGEN!“

Die letzten Worte gingen in einem weiteren Lachanfall unter und waren so laut, dass selbst Toya sie hörte. Automatisch fragte ich mich, wie betrunken er sein musste, dass er mich schon anrief, um Witze zu erzählen. Selbst ich, der schon etwas intus hatte, fand die Sprüche nicht annähernd so lustig wie er, obwohl ich alles andere als humorlos war.

„Na, haben wir zu tief ins Glas geschaut?“, fragte ich ihn neckend, als sich die Möglichkeit dazu bot.

„Hmmm, nur ein bisschen…“ Oder ein bisschen mehr.

„Hast du noch was da?“, hörte ich mich plötzlich selber fragen und sah, wie sich ein Grinsen auf Toyas Gesicht ausbreitete.

„Go, Jun!“, feuerte er mich an.

„Für dich hab ich immer was da!“

Daraufhin stand mein Entschluss fest, dass ich Toya ruhig auch mal allein in meiner Wohnung lassen konnte.

„Dann mach mal ne Pause, bis ich da bin!“

Er versprach es mir und wir verabschiedeten uns. Doch ehe das Gespräch abbrach, rief er noch eine Frage durch das Telefon, die mir prompt die Röte ins Gesicht schießen ließ.

„Bringst du deinen Zauberstab auch mit?“
 

~*~
 

Schnellen Schrittes zog ich durch die Straßen. Wir wohnten nicht weit auseinander, gerade mal fünfzehn Minuten zu Fuß oder auch drei Minuten mit der U-Bahn. Weil ich aber keine Lust hatte, fünf Minuten zur nächsten Station zu laufen und mir die frische Luft gut tat, legte ich die Strecke ohne Verkehrsmittel zurück.

Ich war aufgeregt, wie ein Teenager vor seiner Entjungferung. Und das, obwohl ich weder ein Teenager noch eine Jungfer war.

Trotzdem, eine kurze Dusche hatte noch sein müssen, ebenso noch eine schnelle Rasur und das Auflegen eines Parfums, ein bisschen Haarspray noch dazu. Toya hatte gelacht, als ihm auffiel, wie viel Mühe ich mir gegeben hatte und mir scherzend vorgehalten, dass ich mich für ihn nicht schön gemacht hätte.

Meine Hand tastete die Umhängetasche ab, die an meiner Seite herabhing. Ich dürfte alles dabei haben, Wechselkleidung, eine Zahnbürste,…

Hoffentlich durfte ich wirklich über Nacht bleiben!
 

Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich beim ihm klingelte. Ich schalt mich selbst einen Narren. Es war doch nicht das erste Mal, sagte ich mir selbst. Aber sehr wohl das erste Mal, dass wir ein ernstes Wort miteinander zu reden hatten. Und das ließ sich wirklich nicht mehr umgehen. Nicht, nach all dem, was war und nicht, wenn wir uns eine Zukunft erhofften.
 

Der Türöffner summte nach einer Weile, ohne dass Jui nachgefragt hatte, wer vor der Tür stand.

Ich durchquerte den großzügigen Flur und steuerte den Fahrstuhl an, mit dem ich schließlich in den fünften Stock fuhr. Nervös beobachtete ich, wie die aufleuchtende Zahl immer größer wurde. Drei, vier, fünf. Mit einem leisen Klingeln schwang die Fahrstuhltür auf. Von dort aus konnte ich bereits seine Wohnungstür sehen. Sie stand offen, doch verbarg sich dahinter nur Dunkelheit. Unsicher klopfte ich gegen das Holz, trat dann aber ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Normalerweise konnte man von hier aus bis zum Wohnzimmer blicken, doch auch in diesem brannte kein Licht, sodass ich mich kindischer Weise zu fragen begann, ob ich gerade zum Teil eines Krimis avancierte.

„Jui?“, rief ich unsicher, während ich nach dem Lichtschalter tastete.

Und dann passierte es – ohne dass ich etwas unternahm, fiel die Wohnungstür hinter mir ins Schloss und Arme umschlossen mich von hinten, während jemand „Buh!“ rief. Vielleicht ein wenig verspätet. Möglicherweise hätte es mehr Eindruck gemacht, wenn das passiert wäre, bevor ich Licht gemacht hatte.

Ach, Jui…

„Du bist zusammengezuckt!“, kicherte er, während er seine Stirn an meine Schulter lehnte. Seine Arme schlossen sich fester um mich und ich legte meine Hände auf seine.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so standen. Alles was ich wusste, war, dass es sich gut anfühlte, und vor allem richtig.

„Ich war blöd zu dir…“, begann ich zögerlich, doch Jui unterband die Worte mit einem leisen Zischen.

Ich spürte, wie er den Kopf schüttelte, da seine Nase dabei über meine Wirbelsäule rieb.

„Ich war selbst blöd…“

Jui nuschelte und sein Atem roch nach Wein. Ich fragte mich unweigerlich, ob er schon den ganzen Abend allein war. Dabei war mir unklar, was mir besser gefallen würde – wenn er den ganzen Abend hier saß und sich allein betrank oder wenn er bis eben noch einen anderen Mann hier hatte und sich mit diesem betrunken hatte.

Ich löste mich aus seiner Umarmung, um meine Schuhe und die Jacke auszuziehen.

„Ich glaube, wir müssen reden“, sagte ich unsicher und konnte an seiner Miene sehen, dass ihm das nicht behagte. Gut möglich, dass mein unheilverkündender Tonfall daran Schuld war.

Schüchtern griff er nach meiner Hand und zog mich wortlos mit sich in das Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen zwei gefüllte Weingläser, daneben die leere Flasche und ein Laptop, auf dem ein Standbild aus meinem Musikvideo zu sehen war. Offensichtlich hatte er es pausiert, nachdem ich geklingelt hatte. Ich schmunzelte bei diesem Gedanken. Besonders dann, als mir das Poster auffiel, das er neben die Bilder von Vidoll gehangen hatte. Auch da war ich zu sehen, das Promobild von der Futari no Hoshi Single. Unweigerlich fragte ich mich, ob es bei meinem letzten Besuch auch schon hier hing.

Vielleicht war genau das der Grund, warum er immer lieber zu mir kam, als mich in seine Wohnung einzuladen. Vielleicht lag es aber auch an dem Hund, der sich gerade Gott sei Dank nicht in Sichtweite befand. Ich nahm an, dass er es sich in Juis Bett gemütlich machte.
 

Ohne meine Hand loszulassen, setzte er sich auf die Couch, sodass ich keine Wahl hatte als ihm zu folgen. Nicht, dass ich mich sonst anders entschieden hätte.

„Das mit uns ist im Moment etwas schwierig, oder?“, begann ich vorsichtig, versuchte, seinen unwilligen Gesichtsausdruck zu ignorieren. Wie um sich abzulenken, griff er bereits nach seinem Glas und trank daraus, während der Druck seiner Finger zunahm. Ich blickte erwartungsvoll zu ihm und fürchtete schon, er würde sich einfach weigern, mit mir darüber zu reden, doch schließlich antwortete er. Leise, niedergeschlagen. „Das ist aber nicht meine Schuld…“

„Das sage ich doch gar nicht.“ Ich seufzte. Schon jetzt drohte mich diese Unterhaltung zu überfordern. Zum einen, weil ich nicht besonders gut darin war, ernste Gespräche zu führen. Zum anderen, weil Jui nicht bereit dazu war und sein trauriger Gesichtsausdruck es mir nur noch schwerer machte. Ich fragte mich, ob ich ihm die Heiterkeit genommen hatte, die er eben noch am Telefon hatte.

„Weißt du, Jun, vielleicht war das mit der Band doch keine so gute Idee“, sagte er plötzlich, stellte sein Glas nach einem weiteren Schluck wieder zurück.

„Was?“, entfuhr es mir fassungslos, während er sich an mich schmiegte. „Wir haben sie doch gegründet, weil du einen Job brauchst!“ Ich konnte nicht verstehen, wie Jui so leichtfertig mit diesem Thema umgehen konnte. Der Jui, den ich kannte, hätte nicht so leicht aufgegeben, dafür war ihm die Karriere einfach zu wichtig. Ich hatte so ein Gefühl, dass es hierfür einen Grund gab, der mir nicht gefallen würde.

„Ich weiß… aber seitdem geht alles schief! Du bist plötzlich so böse zu mir… ich hab dir gesagt, dass das nicht gut geht!“

Natürlich erinnerte ich mich an seine Zweifel, die er damals ausgesprochen hatte, als wir die ersten Pläne hierzu schmiedeten. Und auch an meine Leichtfertigkeit, mit der ich seine Warnung in den Wind geschlagen hatte.

„Und wenn ich die Wahl hab, du oder die Band…“

Jui pausierte, umklammerte mich fester, verbarg dabei sein Gesicht in meinem T-Shirt. Unbeholfen streichelte ich ihm durchs blonde Haar und mit der anderen Hand über seinen schmalen Rücken. War das jetzt ein Liebesgeständnis? Ich war mir nicht sicher.

„Meinst du nicht, es geht beides… irgendwie?“

Jui zuckte hilflos mit den Schultern, schwieg aber. Auch mir fehlten die Worte und ich kramte krampfhaft nach einer passenden Antwort auf meine eigene Frage.

Kurz darauf nahm ich jedoch etwas anderes wahr: die leisen Geräusche eines unterdrückten Schluchzens. Ich unterbrach das Streicheln, nahm ihn stattdessen in den Arm. Ich war verunsichert, wusste nicht, ob es klüger war, nachzufragen, oder ihm einfach im stillen Einvernehmen eine Schulter zu bieten.

Vielleicht beides, in eben dieser Reihenfolge.

„Hey, noch ist doch gar nichts entschieden… oder ist es wegen etwas anderem?“ Es sollte tröstend auf ihn wirken, doch stattdessen brach das Schluchzen nun richtig aus ihm heraus, während er sich wie ein Ertrinkender an mich klammerte. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis er sich beruhigt hatte. Doch die grauenhaften Schreckensszenarien, die mir dabei durch den Kopf gingen, machten das Warten schwer.
 

Er brauchte einige Zeit und ich gab sie ihm schweigend und abwartend. Schließlich löste er sich von mir, ein Taschentuch aus seiner Hosentasche zupfend.

„Sorry, ich… ich bin einfach ein bisschen sentimental heute“, gab er beschämt zu, während er sich über die Wangen wischte.

„Was ist denn los?“

„Es ist…“ Es war nicht zu übersehen, wie schwer es ihm fiel, auf meine Frage zu antworten. Umso mehr fühlte ich mich schuldig, überhaupt mit dem Thema angefangen zu haben, obwohl Jui sich unser privates Wiedersehen ganz offensichtlich völlig anders vorgestellt hatte. Der Sänger holte tief Luft, ehe er weitersprach. „Ich hab einfach so große Angst… dass das alles nicht klappt… dass ich dich verliere… auch wegen Kirito und dem Label…“

Die ersten Bedenken konnte ich nachvollziehen. Doch das Letzte, das verstand ich nicht. Meiner Meinung nach hatten Kirito und das Label nichts in einem gemeinsamen Satz verloren und doch hatte Jui es nicht so ausgedrückt, als wären es zwei unterschiedliche Dinge, die ihn besorgten.

Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich.

„Das kriegen wir hin, Jui! Wir sind gut und… mich verlierst du auch nicht, solange du das nicht willst, versprochen!“, redete ich leise auf ihn ein, ging wieder dazu über, ihn sanft zu streicheln. „Aber was meinst du mit „Kirito und dem Label“?“

Angespannt wartete ich auf seine Antwort.

„Ich habe heute mit Giru geschrieben… er sagt, BiJu Records ist das Letzte! Und Kirito hätte die nur als Vorwand genutzt, um…“ Er brach ab, nachdem die letzten Worte schon von den neu aufkommenden Tränen erstickt wurden. Das ungute Gefühl wurde immer stärker und erzeugte ein flaues Gefühl im Magen.

„Um?“, fragte ich nach, obwohl ich mir schon denken konnte, worauf es hinaus lief und wie wenig mir das gefiel. Seine Augen suchten meine, nur ganz kurz, als wolle er sich vergewissern, dass er wirklich weiter sprechen konnte. Der Anblick zerriss mir fast das Herz. „Nein, schon gut. Ich weiß, was du sagen willst…“

Er nickte dankbar, verbarg sein Gesicht dann wieder in meinem T-Shirt, das allmählich von seinen Tränen durchnässt wurde.

Das Merkwürdige war, dass ich in diesem Moment eigentlich gar nichts fühlte. Ich war nicht schockiert, höchstens etwas überrascht, ich war nicht rasend vor Wut, wie ich es sonst beim bloßen Gedanken an Kirito war. Und ich war auch nicht enttäuscht wegen dem Label. Eigentlich fühlte ich mich nur ernüchtert, desillusioniert. In meinem Leben hatte noch nie etwas so geklappt, wie ich es mir wünschte. Es klappte meistens irgendwie, aber es war nie so einfach wie man es in Filmen sah oder in Romanen las. Besonders, was die Herzensangelegenheiten anging.

Ich dachte an Toya und an seinen Rat, diesen Kuss zwischen Jui und Kirito zu vergessen, weil wir jetzt ohnehin quitt waren. Aber nun hatte sich die Lage drastisch geändert. Er hatte ganz offensichtlich mehr als nur einen Kuss mit einem anderen Mann ausgetauscht und gleichzeitig auch noch hinter meinem und dem Rücken der anderen Bandmitglieder ominöse Verträge ausgehandelt. Und das alles noch vor Veröffentlichung der ersten Single.

„Warum, Jui?“ Meine Stimme war ruhig, doch allmählich realisierte ich die Folgen, die das alles mit sich brachte. Seine Antwort konnte jetzt noch einiges retten oder aber es noch viel schlimmer machen als es ohnehin schon war.

„Du warst so traurig, weil wir kein Label hatten… und dann ist mir sein Angebot eingefallen…“

Ich schüttelte seufzend den Kopf, löste meine Hände von ihm, um mir meine Schläfen zu reiben.

„Ich hab es für dich getan“, setzte er leise hinzu.

„Wofür ich dir unglaublich dankbar bin!“ Er zuckte wie unter einem Schlag zusammen, als meine Stimme schärfer als beabsichtigt antwortete. „Jui, du hast nicht nur mich, sondern die ganze Band verraten!“ Ich hielt inne, als ich mich plötzlich fragte, wie Toya darauf reagieren würde, wenn er in meiner Situation wäre. Er war der positivste Mensch, den ich kannte und ich glaubte, dass er in diesem Moment versuchen würde, es positiv zu sehen. Genau genommen hätte es doch auch viel schlimmer kommen können. Er hätte mich betrügen können, während wir eine Beziehung führten. Oder aber die Sache mit dem Label erst auffliegen lassen können, wenn wir bereits erfolglos in der Versenkung verschwunden wären. Oder aber es nie verraten! All das wäre schlimmer. „Ach, ist jetzt auch egal! Dann suchen wir uns halt was anderes… Sag mir nur, wie oft habt ihr’s gemacht?“

Jui senkte den Blick, starrte auf seine Hände, ehe er mir kleinlaut antwortete. „Nur einmal…“
 

Wenn ich die Chance gehabt hätte, hätte ich es dann nicht genauso getan wie er? Wenn ich jemand anderen als Toya, jemand willigeren bei mir gehabt hätte?

Vielleicht waren wir uns ja doch ähnlicher als ich bislang dachte.

„Hey, Jui. Was ist ein Keks unter einem Baum?“ Ich konnte sehen, wie er perplex begann, eine poetische Antwort darauf zu suchen. „Ein schattiges Plätzchen!“, antwortete ich dann an seiner Statt und seine Trauermiene wich einem Lächeln, wuchs zu einem schüchternen Lachen heran, ehe wir beide in Gelächter ausbrachen. Mehr aus Erleichterung denn aus Belustigung, nahm ich an.
 

Schließlich legte ich meine Arme um seinen schmalen Körper, zog ihn nah an mich heran.

„Fangen wir von vorn an?“, fragte ich versöhnlich und erntete damit ein eifriges Nicken, zusammen mit einem glücklichen Lächeln. „Ich heiße Jun, und du?“

„Ich auch. Aber meine Freunde und Fans nennen mich Jui!“ Er kicherte erneut, so süß, dass ich nicht länger an mich halten konnte. Ich hob sein Kinn mit einem Finger an und küsste ihn. Und dieser Kuss war nicht einmal ansatzweise mit dem zu vergleichen, den ich zuvor mit Toya ausgetauscht hatte. Er war lang, zärtlich und löste dieses angenehme Bauchkribbeln aus, das ich schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte.
 

„Sag mal, du und Toya…?“, begann Jui, als wir kurz darauf auf der Couch lagen, ich auf dem Rücken, er an meine Brust gekuschelt. „Ist da irgendwas? Also habt ihr auch…?“

Sanft strichen meine Finger durch sein blondiertes Haar, während ich ihm alles erzählte. Alles von meiner ersten Begegnung mit dem anderen Gitarristen bis zu dem Moment, der sich noch vor einer Stunde auf meiner Couch abgespielt hatte. Je mehr ich erzählte, desto mehr fragte ich mich, wie ich nur so blind sein konnte. So blind, nicht zu merken, dass Toya sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht für mich interessierte, während ich Jui vor lauter Misstrauen von mir stieß.

„Du bist doch doof“, seufzte der Sänger mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht und sprach damit meine Gedanken aus.

„Verzeihst du mir noch mal?“, fragte ich halb ernst, halb im Scherz und bekam zur Antwort viel mehr als nur Vergebung.

„Wenn du jetzt mir gehörst, dann ja. Dann verzeih ich dir alles…“

Ich glaubte, mein Herz machte plötzlich einen gewaltigen Satz und schlug doppelt so schnell in meiner Brust.

„Nur, wenn du mir auch gehörst.“ Ich konnte kaum glauben, dass ich das tatsächlich sagte! Ich war wirklich nervös wie ein Teenager und es wurde nur noch schlimmer, als Jui meine Bedingung akzeptierte und mich erneut küsste. Es war der erste Kuss, den wir nicht nur als Liebhaber austauschten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T14:34:55+00:00 27.11.2013 15:34
XDDDDDDDDDDDDD
Ich hab mich bei den Witzen sowas von weggeschmissen xD die sind schon lustig, irgendwie xD

Aber das mit Kirito oO Also hat er Ju..i so ziemlich hintergangen?! QQ das macht ihn allerdings weniger heiß ûu
Ich freue mich allerdings für Jun und Jui, dass sie sich endlich wieder vertragen haben :3
Von:  Panakeia
2013-10-30T19:47:27+00:00 30.10.2013 20:47
Toya... der Kerl is einfach super.
Ich hab ihn ins herz geschlossen xDD
Von:  AKIHIRO
2013-05-07T08:21:46+00:00 07.05.2013 10:21
Endlich war es da! >___<
Ein schönes Abschlusskapitel, und zum Glück mit einem Happy End! Ich bin froh, dass du nicht auf mich gehört hast, und Mr. Wei's Tree glücklich ist! xD
Ein kleines, vergessenes Wort ist mir aufgefallen ("Küsst ihn genauso?"), ansonsten war es wie immer angenehm zu lesen.
Ganz besonders durch diese niveauvollen, anspruchsvollen und gesellschaftskritischen Witze von Jun. xD
Es freut mich auf jeden Fall, diese FF gelesen zu haben, und keine Angst, ich werde sie nicht MSTen. :P

PS: Und am Ende bist du tatsächlich zu deinem Keil gekommen ("einen unüberwindbaren Keil zwischen uns trieben).
Antwort von:  --Tsuki--
07.05.2013 14:55
Arigatou m(_)m
Aber ich bin noch nicht fertig, die Band ist noch nicht komplett ;)


Zurück