Poisonous Berry von --Tsuki-- ================================================================================ Kapitel 3: Juns Wiedersehen --------------------------- Lächeln, immer schön lächeln, dachte ich, während ich festen Schrittes über den Flur ging. Die Hände in den Taschen meines Anzugs waren zu Fäusten geballt und ich grinste einem vorüberziehenden Kollegen flüchtig zu, ohne mir die Mühe zu machen, ihn wirklich anzusehen. Stattdessen fixierte ich die Tür zu meiner Garderobe, die ich so schnell wie möglich erreichen wollte. Und zwar am besten, bevor ich mitten auf dem Flur vollständig ausrastete! Zwei Sanitäter eilten an mir vorbei in die Richtung, aus der ich gerade kam. Mit einem Anflug von Gehässigkeit überlegte ich einen Moment lang, ihnen ein Bein zu stellen. Vielleicht verblutete Kirito ja. Und Jui gleich danach, wenn Kohta erst einmal mit ihm fertig war. Obwohl ich eigentlich ein friedliebender Mensch war, erfüllte mich dieser Gedanke mit einer gewissen Genugtuung. Trotzdem riss ich mich zusammen und ließ die Sanitäter unbehelligt an mir vorbei laufen. Ich erreichte schließlich meine Garderobe, riss die Tür unnötig heftig auf und ließ sie ebenso unnötig laut ins Schloss fallen. Die Anwesenden zuckten erschrocken zusammen und drehten mir ihre fragenden Gesichter zu. Ich starrte zurück. „Huch….“, sagte ich dann, nachdem einige Sekunden verstrichen waren, rang mir ein kindliches Grinsen ab und verbeugte mich mit vor der Brust gefalteten Händen. „Soooorry, Leute!“ Das schien die Leute zu besänftigen, und sie wandten sich wieder dem zu, womit sie sich vor meinem Eindringen beschäftigt hatten. Der Staff wuselte geschäftig durch den Raum und die Supporter packten ihre Sachen zusammen. „Hast wohl heut zu viel Spinat gegessen, was?“, fragte Riku, der zwar eigentlich mit seiner eigenen Band, Lin, hier war, Iori und mir aber ganz offensichtlich einen Besuch abstatten wollte. Grinsend trat er auf mich zu und legte mir zur Begrüßung eine Hand auf die Schulter. „War’n cooler Auftritt, Jun.“ „Danke.“ Dieses Mal war mein Lächeln sogar echt. „Ich glaub, Riku ist dein größter Fan!“, erklärte Iori plötzlich, nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hatte. Gute Idee. Ein Königreich für eine Zigarette! Ohne zu zögern ging auch ich zu der abgewetzten Ledercouch in der ruhigsten Ecke des Raumes und ließ mich neben Iori darauf sinken. Riku setzte sich auf die Lehne zu meiner Linken. Vermutlich, um auch einmal größer zu sein als ich, dachte ich sarkastisch, sprach die Worte aber nicht aus, weil ich wusste, dass ich sie im Moment nicht so witzig rüberbringen konnte, wie sie gemeint waren. „Ach, wirklich?“, fragte ich stattdessen an den blonden Sänger mit den unzähligen Piercings in der Lippe gewandt und nestelte eine Zigarette aus meiner Schachtel hervor, die sich auf dem Couchtisch befand. Meine Finger zitterten und erschwerten mir damit das Vorhaben. Zum Glück merkte es niemand. Riku antwortete irgendetwas und weil ich Iori lachen hörte, nahm ich an, dass er etwas Lustiges gesagt hatte. Darum lächelte ich ebenfalls, während ich meine Zigarette entzündete. Lächeln, immer schön lächeln. Wie eine Beschwörung wiederholte ich die Worte innerlich, während sich unaufhaltsam die Bilder aus Angelos Garderobe vor mein inneres Auge schoben und meinen Verstand für sich beanspruchten. Und dann sah ich sie wieder vor mir: Kirito und Jui, wie sie eng umschlungen auf der Couch lagen. Wie Jui seine Finger in Kiritos Schultern krallte, während Kirito das Glied rieb, das ich gestern noch in der Hand hatte. Ich verzog angewidert mein Gesicht und spürte, wie die Kieferknochen dabei hervortraten. Es war einfach ekelhaft, diese Vorstellung, nur einer von vielen Gespielen zu sein, die sich gegenseitig die Klinke in die Hand gaben. Ich erinnerte mich in diesem Moment mit schmerzhafter Genauigkeit daran, wie stolz ich gewesen war, als ich glaubte, Jui für mich gewonnen zu haben. Damals saß er auf meinem Schoß, klammerte sich mit vor Wein geröteten Wangen an mich und gestand mir kichernd, dass ich jemand ganz Besonderes war. Denn ich war der erste, der jünger ist als er und ihn trotzdem begeisterte, hatte er gesagt. Ich glaubte damals, er meine damit, dass er mich so sehr liebte, dass seine üblichen Kriterien keine Rolle mehr spielten. Genau genommen hatte ich das sogar bis eben geglaubt. Und nun war mir mit einem Schlag diese Illusion geraubt worden und ich musste einsehen, dass seine Worte nichts anderes bedeuteten als dass ich eine nette Abwechslung darstellte. Aber was hatte ich eigentlich erwartet? Dass ich mit einem Star wie Kirito mithalten konnte? Mir wurde bewusst, wie lächerlich dieser Irrglaube war. Etwas stieß mich schmerzhaft gegen den Arm und brachte damit meinen Gedankenfaden zum Reißen. „Hey, Jun, ich rede mit dir!“ Ich brauchte einen Moment, ehe ich mich wieder in der Realität zurecht fand und bemerkte, dass Iori mit mir sprach. „Sorry, ich hab nachgedacht!“, erklärte ich mit verlegenem Grinsen. „Also, wo ist er denn? Ich dachte, du wolltest ihn abholen? Oder musste er ins Krankenhaus?“ Ich spürte, wie mir kurzerhand die Gesichtszüge entglitten. Auf die Frage nach Jui war ich nun wirklich nicht vorbereitet gewesen. Ich holte tief Luft, ehe ich zum Sprechen ansetzte. „Jui!“, begann ich dann in so lautem Ton, dass Iori mich verdutzt ansah. „Jui… Ja… dem… geht’s gut, würde ich sagen.“ Riku und Iori tauschten einen Blick über meinen Kopf hinweg. Das spürte ich, auch ohne sie anzusehen. „Aber vielleicht auch nicht. Er scheint Kirito gerade die Zunge abgebissen zu haben.“ „WAS!?“, erklang es von beiden gleichzeitig mit ein und derselben Fassungslosigkeit, obwohl ich bereits wusste, dass meine Aussage für beide eine unterschiedliche Bedeutung hatte. „Der muss doch jetzt auftreten!“, entfuhr es Riku, während Iori mich mitleidig ansah. Dieses Mitgefühl in seinen Augen zu sehen war irgendwie noch schlimmer als meine eigene Wut auf den Sänger. „Wie abgebissen? So richtig ab!?“, fragte Riku aufgeregt. „Das war ja klar, dass das passieren musste….“, sagte Iori, ohne auf Riku einzugehen und legte mir fast schon väterlich eine Hand auf die Schulter. „Na ja, eigentlich hätte ich es ja wissen müssen!“, erklärte ich lachend, während sich tatsächlich Tränen in meinen Augen sammelten. Mann, das tat echt weh. Mehr, als ich erwartet hätte, um ehrlich zu sein. Plötzlich spürte ich auch das Gewicht von Rikus Hand auf meiner Schulter und drehte mich, tapfer lächelnd und die Tränen zurück haltend, zu ihm um, um auch seinen Trost entgegen zu nehmen. Bisher hatte er nicht gewusst, dass zwischen Jui und mir etwas lief, doch er hätte blind und taub sein müssen, um jetzt nicht zu verstehen, was los war. „Jun, sag doch mal! Ist die Zunge echt ab!?“ Wieder entgleisten mir meine Gesichtszüge. Nun, zumindest hatte ich gedacht, dass die Lage offensichtlich war. „Was weiß ich denn! Es hat auf jeden Fall ordentlich geblutet. Ist doch scheißegal – er hat mit Jui rumgemacht, das ist das Problem! Ich wollte nach diesem Idioten sehen, weil er während des Auftritts abgeklappt ist und Kirito hat ihn wohl ganz selbstlos in seine Kabine bringen lassen.“ Nach meinem Monolog betrachtete mich der blonde Sänger noch eine ganze Weile schweigend und je länger ich seinen Blick erwiderte, desto mehr gewann ich den Eindruck, dass die Zahnräder hinter seiner Stirn ins Ächzen gerieten. Und dann, nachdem er meinen Worten scheinbar einen Sinn zugeordnet hatte, sagte er endlich: „Seit wann stehst du denn auf Kirito?“ Ich war sprachlos. Es kam vielleicht nicht oft vor, aber jetzt war ich es definitiv. Ich hatte jahrelang mit Riku in einer Band gespielt und nie den Eindruck gewonnen, dass er besonders einfältig wäre. Warum musste er es ausgerechnet jetzt sein!? Noch bevor ich meine Sprache wiederfand, tauschte er seine ahnungslose Miene gegen ein Lächeln aus. „War’n Spaß. Aber Mann… du pennst echt mit Jui!?“ Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Dem sind wohl die Alten ausgegangen“, scherzte Riku erneut, aber ich fand das überhaupt nicht witzig. Leider konnte er mir das auch ansehen. So sehr ich auch bis vor wenigen Minuten versucht hatte, meine fröhliche Miene beizubehalten – jetzt schaffte ich es nicht mal mehr ansatzweise. „Hey, ich mein’s ja nicht böse. Aber mal im Ernst… wieso denn ausgerechnet Jui!?“ Ich seufzte auf. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich genau diese kräftezerrende Diskussion bereits mit Iori geführt, und mit Kisaki. Das Resultat daraus war, dass ich seitdem meine Beziehung zu dem ehemaligen Vidoll-Sänger verheimlichte. Nicht, dass ich ihn nicht am liebsten der ganzen Welt als Teil von mir präsentiert hätte. Aber es nervte mich, wenn ich mich für meine Gefühle rechtfertigen musste und die Menschen in meinem Umfeld mir trotzdem noch in diese Sache reinreden wollten. „Wieso denn nicht Jui!?“, gab ich zurück, vielleicht eine Spur zu giftig. „Weil den schon jeder hatte…“ Das war eines der Standardsprüche, die man nicht selten über ihn hörte. Komischerweise beteuerte aber jeder, der diese Unterstellung aussprach, selbst nicht dazuzugehören. „Ach ja? Wann hattest du ihn denn?“ Es war nicht zu übersehen, dass ich Riku mit der Frage überrumpelt hatte. Er hielt inne, grinste dann ergeben. „Eins zu Null für dich, Kleiner. Trotzdem… sei nicht traurig und such dir lieber jemanden, der besser zu dir passt.“ Kleiner, sagt genau der Richtige, dachte ich, behielt den Kommentar aber für mich. „Nur mal so als Tipp: Ich habe heute diesen Toya von Charlotte hier rumlaufen sehen… den fandst du doch so süß.“ „Toya ist hier!?“, brach es aus mir heraus und drängte meine Gedanken über Jui schlagartig in weite Ferne. Vor fast drei Jahren hatte ich Touya kennengelernt. Damals waren wir beide für die Band Toshi with T-Earth engagiert worden und zusammen mit Charlottes Bassisten Ruka senkten wir den Altersdurchschnitt gewaltig. Toshi selbst und auch die beiden sich abwechselnden Drummer waren verglichen mit uns schon Großväter. So kam es, dass die Alten nach den Auftritten schlafen gingen und wir zu dritt um die Häuser zogen. Leider zu dritt. Oft hatte ich mir gewünscht, auch einmal etwas mit Toya allein zu unternehmen, doch der hatte sein Herz am rechten Fleck und hätte seinen Bandkollegen niemals im Stich gelassen. Somit blieb es bei kleinen Flirts, die zum größten Teil von mir ausgingen und später, nachdem das Projekt beendet war, schrieben wir uns noch hin und wieder Nachrichten per Twitter, bis der Kontakt vollständig abbrach. „Jepp… könnte Schicksal sein, oder?“ „Sieht ganz so aus“, stimmte Iori dem Sänger grinsend zu, der von meinen Schwärmereien über Toya seinerzeit wusste. „Was macht er hier?“ Riku zuckte auf meine Frage hin mit den Schultern und erhob sich dann von der Couchlehne. „Keine Ahnung. Frag ihn doch selbst. Wenn ich ihn sehe, halt ich ihn auch für dich fest.“ Grinsend richtete er sich die Kleider und wandte sich dann zum Gehen. „So, ich muss jetzt gucken, ob Kiritos Zunge noch dran ist. Halt die Ohren steif!“ Er wuschelte mir noch kurz zum Abschied durchs Haar, dann ging er zur Tür, die sich in just dem Moment zaghaft öffnete. Dem vorherigen Thema geschuldet, rechnete ich fest damit, dass Toya nun in meine Garderobe hereinschneite und erwartete sein fröhliches Gesicht mit freudigem Herzklopfen. Doch an seiner statt war es Jui, der kurz erstarrte, als er sich Riku gegenüber sah und irritiert das Schild mit dem Bandnamen an der Tür las. „Alles gut, du bist schon richtig.“ Einen Moment lang zog ich in Erwägung, mich demonstrativ an Iori heranzuwerfen. Wüsste nicht jeder, dass Iori seit vielen Jahren mein bester Freund und obendrein hetero war, hätte ich es vielleicht sogar getan. Aber so hätte es mehr nach einem Armutszeugnis als nach einer Vergeltung ausgesehen. „Oh, ich muss auch los. Riku, warte mal!“, rief mein Gitarrist plötzlich und stand ebenfalls von der Couch auf, um mich mit meiner längst erloschenen Zigarette allein zu lassen. „Iori!“, zischte ich noch, doch er hechtete zielstrebig an mir vorbei. „Hey, hast du Kirito die Zunge WIRKLICH abgebissen!?“ Plötzlich wallte Hitze in mir auf und ich vermutete, dass mein Gesicht eine Färbung annahm, die nicht so recht zu meinem pinken Haar passen wollte. Ich redete zwar auch oft, ohne nachzudenken, aber Jui musste ja nicht sofort wissen, dass ich bereits über ihn gesprochen hatte. „Ganz genau“, antwortete Jui, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Und zwar gaaanz langsam und genüsslich.“ Bei der bloßen Vorstellung überkam mich die Übelkeit. Aber Riku stellte die Antwort erst einmal ruhig, sodass Jui ungehindert an ihm vorbei und zu mir gehen konnte. Während er auf mich zukam, fixierte er mich und ich glaubte, in so etwas wie Unsicherheit in seinen Augen lesen zu können. Lächeln, immer schön lächeln,… Leise fiel die Tür hinter meinen Kollegen ins Schloss und ich war mit Jui allein. Tolle Freunde hatte ich… „Hey, Jun…“, begann er leise, setzte sich auf die Lehne, auf der sich bis eben noch Riku befunden hatte. Als er seine Beine überschlug, stellte ich wieder einmal fest, wie dünn sie waren. Zu dünn eigentlich, aber trotzdem schön. So schön, wie der ganze Rest seines Körpers auch. Ich verfluchte ihn innerlich dafür, dass er so perfekt war. Er lächelte unsicher, kramte nebenbei nach seinen Zigaretten. „Hey…“, antwortete ich, um einen freundlichen Ton bemüht. „Alles klar?“ „Alles klar…“ Sein Feuerzeug klickte, kurz darauf meines. Es war zwischen uns so still, dass ich sogar das Knistern des verbrennenden Tabaks hörte. Wir schienen beide nicht zu wissen, was wir sagen sollten oder durften. „Bist du sauer?“, fragte er endlich nach einer gefühlten Ewigkeit und eigentlich war ich kurz davor, ihn zu packen, durchschütteln und ihn zu fragen, wie er dazu kam, eine so selten dämliche Frage zu stellen! Aber mein Verstand schaltete sich gerade noch rechtzeitig ein. Zum Glück konnte ich mich in wirklich wichtigen Momenten auf ihn verlassen. Ich wusste, was es bedeutet hätte, wenn ich Jui nun meine Gefühle offenbart hätte. Er hätte all unsere Bandpläne sofort über den Haufen geworfen und mich nur beschwichtigt, dass er von vornherein gewusst hatte, dass es nicht klappen konnte. „Nein, wieso denn?“, log ich deshalb schweren Herzens. Ich wagte nicht, ihm dabei ins Gesicht zu sehen. Zu groß war die Angst, mich zu verraten. „Dann ist ja gut…“ Er seufzte leise. Vor Erleichterung, glaube ich. „Ich hab vorhin vielleicht etwas komisch reagiert… hab mich einfach erschrocken, weißt du….“ „Schon gut.“ „Wie geht es Kirito?“ „Hm, ganz gut… er hat Eis bekommen… Moran ziehen jetzt ihren Auftritt vor und Angelo spielen zuletzt. Bis dahin sollte es abgeschwollen sein.“ „Glück gehabt“, kommentierte ich und wusste selbst nicht, ob ich damit Jui oder Kirito meinte. Wahrscheinlich irgendwie beide. Jui nickte stumm. Zumindest sah ich aus den Augenwinkeln eine leichte Kopfbewegung. Wieder breitete sich das Schweigen wie eine nasskalte Decke zwischen uns aus und drohte uns zu ersticken. „Darf ich heute wieder mit zu dir kommen?“ Seine Stimme klang leise, schüchtern, als koste es ihn viel Überwindung, diese Frage überhaupt auszusprechen. Fast wie ein Kind, das von seiner Mutter gerügt wurde und dann um Süßigkeiten bat, obwohl es die Antwort auf diese Bitte schon kannte. Er blickte verzeihungsheischend zu mir auf und allein schon dieser Blick hätte ausgereicht, um Riesen in die Knie zu zwingen. „Ja, okay!“, stimmte ich schließlich zu, zauberte ihm damit ein erleichtertes Lächeln auf die Lippen. Aber wollte ich das eigentlich? Wollte ich wirklich, dass er heute Nacht neben mir lag und morgen dann wieder bei Kirito oder wem auch immer? Während dieser Grübelei war meine Hand immer lockerer geworden, sodass die Zigarette zwischen meinen Fingern hindurchglitt und auf meinen Schoß fiel. „Scheiße!“ Fluchend sprang ich von der Couch auf, um sie von meiner Hose zu schütteln, bevor sie ein Brandloch hinterlassen konnte. Wie ich dann mit einem gezielten Blick feststellte, war mein Bühnenoutfit tatsächlich heil geblieben. Gott sei Dank! Die Sachen waren schließlich teuer genug gewesen. Erleichtert ging ich in die Knie, um die Zigarette aufzuheben, die bereits dabei war, einen unschönen Fleck in den Boden zu brennen. Dass Jui genau dasselbe vorhatte, merkte ich erst, als wir mit den Köpfen zusammenstießen. In genau diesem Moment, als wir uns beide lachend die Stirn rieben und das Eis zwischen uns zu brechen schien, wurde die Tür zur Garderobe erneut aufgestoßen. Ich erblickte Riku, der irgendetwas hinter sich herzog. „Das ging aber schnell!“, stellte ich verwundert fest. „Ich hab dir wen mitgebracht, Jun!“ Riku trat noch einen Schritt vor und ich erkannte, dass er einen Arm umfasste. Einen Atemzug später erkannte ich auch, zu wem dieser gehörte. Zu einem Mann, etwas größer als ich, etwas jünger und mit einem Piercing unterhalb der vollen Lippen. Das schwarze Haar ordentlich gekämmt, umrahmte es sein hübsches Gesicht. Als er mich erblickte, breitete sich sofort ein euphorisches Grinsen auf seinen Zügen aus, sodass ich glaubte, die Sonne ginge auf und vertriebe die düsteren Wolken, die Jui heute heraufbeschworen hatte. Schlagartig verbesserte sich meine Laune um ein Vielfaches. „Toya!“ „Juuun!“, rief er und kam auf mich zugelaufen. Diese Wiedersehensfreude war so echt, wie ich sie nur von meiner Großmutter kannte, wenn ich sie als Kind besucht hatte. „Ich hab deinen Auftritt gesehen! Richtig gut!!“, erklärte er, während wir uns zur Begrüßung in die Arme schlossen und er mir freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Danke! Mann, du siehst jetzt richtig erwachsen aus!“, lobte ich ihn, als ich seine Schultern packte, ihn ein Stück von mir wegschob, um ihn besser mustern zu können. „Das sieht aber auch nur so aus!“, erklärte er lachend. „Ich hab mir gerade gestern erst den Nintendo 3DS gekauft! Mit Super Mario 3D Land!“ Er war einfach unverbesserlich. Schon damals hatte er die Zeit im Backstageraum zu gerne vor seinem alten Nintendo verbracht. Einmal hatte ich ihn sogar in einem Club damit spielen sehen, als Ruka und ich auf der Tanzfläche waren. „Naja, aber heut Abend wirst du das doch mal aus der Hand legen können, um mit Jun wegzugehen, oder?“, mischte sich Riku ein, nachdem er gemächlich zu uns herüber geschlichen war. Er zeigte mir ein wölfisches Grinsen und ich war heilfroh, dass Toya es nicht sehen konnte. Dieser schürzte die Lippen, sah erst mich, dann ihn übertrieben schockiert an, so als wollte Riku ihn bestrafen. „Waaas!? Also, nee, heut hab ich keine Zeit. Heute muss ich… ähm… mein Zimmer aufräumen. Mein Hotelzimmer.“ „Ja, ja, gleich nachdem du in der Hotelküche abgewaschen hast, was?“, fragte ich und stieß ihm spielerisch meinen Ellbogen in die Seite. Seine Antwort war ein weiteres Grinsen und eifriges Nicken. „Ganz genau!“, pflichtete er mir bei, wurde dann aber wieder ernster. „Klar können wir weggehen, wenn du willst. Wir haben uns ja wohl ne Menge zu erzählen! Mann, wie lange ist das her!?“ Ich spürte Juis Blick im Nacken und wusste, welche Antwort er von mir erwartete. Doch nachdem, was ich heute gesehen hatte, tat es mir vielleicht ganz gut, meine Zeit zur Abwechslung mal mit jemand anders zu verbringen. Außerdem hatte ich Toya schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und die Gelegenheiten, ihn zu treffen, vor allem allein, waren mehr als spärlich gesät. „Schon zwei Jahre! Auf jeden Fall müssen wir was unternehmen, ich kenn da eine coole Location!“, sagte ich und traute mich dabei nicht, Jui anzusehen. Doch auch, wenn es ihm nicht passte – er musste verstehen, dass sich die Welt nicht immer nur um ihn drehte. Ihn mit einzuladen kam aus genau diesem Grund auch nicht in Frage. Allein schon deshalb, weil man nicht wissen konnte, was sich heute Abend vielleicht noch entwickelte. Und davon einmal abgesehen, tat so ein bisschen Eifersucht Jui auch mal ganz gut. Wenn er sie denn empfand. „Kirito?“, ertönte seine Stimme plötzlich, fröhlich und glockenhell. „Hast du heut Abend schon was vor?“ Als ich mich daraufhin dann doch zu ihm umdrehte, sah ich, dass er telefonierte und schnell den Blick von mir abwandte. „Ja, super! Ich komme dann zu dir!“ In mir kochte es. Aber nur kurz. Nämlich solange, bis ich Toya wieder ansah. Das war dann wohl eine Kampfansage.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)