Broken Record von Flordelis ================================================================================ Second Record: Always getting into trouble, aren't you? ------------------------------------------------------- Ein heftiger Windstoß begrüßte die Gruppe, als sie das Deck der Eulalia betraten. Egal in welche Richtung Arnaud blickte, überall konnte er nur den vom Sonnenuntergang rot gefärbten Himmel entdecken, gespickt mit dunklen Wolken, die sich auf derselben Höhe wie sie zu befinden schienen. Das einzig Interessante befand sich direkt vor ihnen, das Flugzeug, das sie nutzen wollten, um zu fliehen – und vor ihm, wie eine unscheinbare Barriere, stand ein Mann. Sein weißes Haar hob sich unangenehm von seiner braunen Haut ab, mehrere Tätowierungen waren auf seiner Brust zu sehen. Seine Kleidung ließ zwar nicht unbedingt darauf schließen, dass er ein machtvoller Gegner war, aber Arnaud war sicher, es spüren zu können. Elektrische Spannung flirrte in der Luft, ließ diese knistern und verriet ihm, dass sie sich allesamt die Finger verbrennen würden. Zu seinem Unglück wurde er aber nicht um seine Meinung gefragt. „Ah, das ging schnell“, ließ der fremde Mann sich vernehmen. „Ich wusste, dass ihr hier enden würdet, wenn ich ein Auge auf das Flugzeug werfe.“ Es war eindeutig, dass er nicht nur ein Mitglied von Brionac war, er musste auch der Leutnant Scythe sein, von dem die Soldaten zuvor gesprochen hatten – und das erkannte auch Jude sofort: „Du bist ein Crimson Noble?“ Er reagierte nicht wirklich darauf, sondern musterte die Gruppe eingehend mit gierigen Augen. Seine spitzen oberen Eckzähne standen leicht hervor und verrieten sofort, wer er war. Dennoch waren seine folgenden Worte auch durchaus hilfreich: „Mmm, solch frische, saftige Kinder. Ihr seht so schmackhaft und süß aus...“ Arnaud sog scharf die Luft ein, sein Körper begann unwillkürlich zu zittern. „Er... er ist wirklich ein Crimson Noble! Lauft! Es besteht keine Aussicht, dass wir jemanden wie ihn besiegen können!“ Trotz seiner Worte schaffte er es nicht, sich vom Fleck zu bewegen, seine Beine waren wie festgewurzelt – vermutlich weil er in seinem Inneren bereits das wusste, was Raquel gleich darauf einwarf: „Wir sind komplett von nichts anderem als Himmel umkreist. Wohin willst du laufen? Außerdem sind wir doch hierhergekommen, um einen Fluchtweg zu finden, richtig? Es ist Zeit, die Fakten zu akzeptieren, Arnaud! Unsere einzige Fluchtmöglichkeit liegt auf der anderen Seite von ihm!“ Er wusste, dass sie recht hatte und doch gab es etwas in ihm, das es nicht akzeptieren wollte. Gegen diesen Scythe zu kämpfen, würde ihren unausweichbaren Tod bedeuten und diesen wollte Arnaud lieber noch so lange wie möglich rausziehen. Und seine Erfahrung zeigte ihm, dass es mit Weglaufen am besten funktionierte. „Warum ende ich immer in solchen Situationen?“, fragte er sich seufzend. „Ich schwöre, mein Leben ist wie eine kaputte Schallplatte!“ So friedlich wie die Ruine vor uns lag, konnte ich mir kaum vorstellen, dass sie wirklich verflucht sein sollte. Ich war in diesem Moment sogar noch mehr als zuvor davon überzeugt, dass es sich wirklich nur um ein Gerücht handelte, um alle anderen von diesem Ort fernzuhalten. „Das ist es also?“ Auch in Candaces Stimme konnte ich Skepsis hören. „Unter einer legendären Ruine hätte ich mir etwas... Größeres vorgestellt.“ Es war nicht einstmals eine Burg gewesen und auch kein großer Tempel, vielmehr schien es eine kleine Kirche zu sein, die in sich zusammengefallen war und nun vor sich hinrottete. Chad ließ sich allerdings trotz des traurigen Anblicks nicht von seinem Enthusiasmus abbringen: „Die Ruine hat einen Keller, in dem die Schätze nur darauf warten, ausgegraben zu werden.“ „Graben?“, entfuhr es mir erschrocken. „Niemand hat was von graben gesagt!“ Und wir hatten nicht einmal Schaufeln dabei, dennoch nahm ich diese Aussage wörtlich, was zu einiges an Erheiterung bei den anderen zu führen schien, da sie sofort leise zu lachen begannen. „Er meint es nicht so“, erklärte Candace mir schließlich, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. „Chad ist viel zu träge, um zu graben, aber er sagt es immer gern, damit es klingt, als würde er wirklich arbeiten.“ Diese Logik verstand ich zwar nicht, aber ich war froh, dass er genausowenig vom Graben hielt, wie ich. Nicht, dass ich irgendwie faul wäre... aber ich vermeide solch schwere körperliche Arbeiten lieber. Ich wurde zum Denken erschaffen, nicht für niedere Arbeiten. Das schwere Eingangstor der Kirche war immer noch verschlossen und die tiefen Dellen und schwarze Brandflecken zeigten, dass vor uns bereits viele andere Leute versucht hatten, sich den Einlass zu erzwingen, aber gnadenlos gescheitert waren. Ein kurzer Blick zu den hoch liegenden Fenster, die allesamt eingeschlagen, aber von innen mit Brettern vernagelt waren, verriet mir schnell, dass wir auf diesen Weg auch nicht weiterkommen würden. „Gibt es keinen anderen Weg hinein?“ Candaces Frage sorgte dafür, dass wir alle zu Abiel blickten, der bereits gedankenverloren die Stirn gerunzelt hatte und die Kirche eingehend musterte. Ich stellte mir vor, wie er vor seinem inneren Auge den tatsächlichen Anblick mit einer Karte in seinem Gedächtnis verglich – und das war eine echt tolle Vorstellung. Schließlich war er aber fertig mit Vergleichen und richtete seine eigene Aufmerksamkeit wieder auf uns. „Wir sollten einen der hinteren Eingänge versuchen. Vielleicht ist dort noch einer intakt. Aber auch, wenn nicht, dann sollte es dort zumindest Fenster geben, die auf unserer Höhe angebracht worden sind und die wir zum Einstieg nutzen können.“ Da keiner von uns einen Gegenvorschlag anbringen konnte und zumindest ich das für eine gute Idee hielt, umrundeten wir die Kirche, was doch einiges an Anspruch nahm. Trümmer anderer Gebäude, die einstmals an diesem Ort gestanden haben mussten, zwangen uns dazu, Umwege zu gehen oder darüber zu klettern, was nicht nur anstrengend, sondern auch zeitraubend war. Doch schließlich standen wir vor dem Hintereingang der Kirche, allesamt erschöpft und verschwitzt, nur um festzustellen, dass es hier sogar eine Metalltür gab, die noch unnachgiebiger als das Tor am Eingang war. Aber die Bretter an den Fenstern schienen dafür nicht ganz so abweisend. Während Abiel und Chad miteinander besprachen, wie sie nun vorgehen sollten – und dabei sogar überlegten, ob wir über das Dach einsteigen sollten – war mein Blick auf die Fenster gerichtet. Die Bretter waren lückenhafter angebracht, so dass man hineinsehen konnte, aber sich schon nach wenigen Metern im Dunkeln verlor. Allerdings verriet mir das auch, dass es leicht sein dürfte, das Holz wieder loszuwerden. Ich wandte mich Sendoa zu, der ein wenig abseits auf einem Felsen saß und Abiel und Chad bei ihrer Unterhaltung beobachtete, ohne sich selbst einzumischen. Wieder musste ich einen Moment auf sein weißes Auge starren, fing mich allerdings rasch wieder. „Ähm, Sendoa...?“ Es erforderte für mich einiges an Mut, ihn anzusprechen und ich befürchtete fast, dass er mich ignorieren oder anknurren würde, aber stattdessen wandte er sich mir nur schweigend zu. Seine Miene wirkte fast schon gelangweilt, als erwartete er, dass ich ihm dieselbe Frage wie alle anderen stellen wollte. Aber auch wenn mich interessierte, was mit seinem Auge geschehen war, gab es etwas wesentlich Wichtigeres um das wir uns kümmern mussten. „Kannst du mit deinem Schwert vielleicht diese Bretter aus dem Weg räumen? Plötzlich unterbrach das Gespräch zwischen Chad und Abiel und sogar Candace, die einfach nur gedankenverloren in der Gegend gestanden hatte, wirkte interessiert. Sendoa dagegen stand endlich auf und lief schweigend zu den Brettern hinüber, um diese genauer in Augenschein zu nehmen. Ehrlich gesagt wunderte es mich in diesem Moment, dass keiner der anderen auf diese Möglichkeit gekommen war – aber möglicherweise lag das einfach daran, dass es so offensichtlich war. Bereits in den Rätseln, die ich als Kind in Büchern gelöst hatte, war mir beigebracht worden, dass ich mich nie auf das Offensichtliche verlassen sollte, aber manchmal bietet es sich doch einfach an, so wie in dieser Situation. Ohne jedes Wort zog Sendoa seine Schwert hervor und schlug mit heftigen Hieben auf die Bretter ein, die fast sofort unter der Wucht nachgaben und uns endlich einen Zugang schufen. Candace stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Nicht schlecht, Grünschnabel. Ich glaube, wir wären erst viel später darauf gekommen.“ „Da hat es sich bereits gelohnt, dich dabei zu haben“, stimmte Chad zu. Was dieses überschwängliche Lob nun sollte, wusste ich auch nicht so recht, vielleicht versuchten sie nur, mich als Neuling zu motivieren, aber ich freute mich dennoch darüber. Auf Chads Anweisung stieg Sendoa als erstes hinein und verschwand rasch in der Dunkelheit. Es verging eine quälend lange Zeit, in der er nicht zu sehen und auch nichts zu hören war. Ich bemerkte, wie Abiel besorgt die Stirn runzelte, wie Chads Kiefer zu mahlen begann und dass Candace ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte, während ich einfach nur dastand und sie allesamt beobachtete. Es machte mich nicht nervös, dass dieser mir vollkommen Fremde da drin möglicherweise gerade sein Leben verlor, weil die Sache mit dem Fluch doch der Wahrheit entsprach – vielmehr machte mir der Fluch an sich Gedanken und von diesen wollte ich mich ablenken. Doch schließlich, gerade als ich ebenfalls nervös zu werden begann, erklangen Sendoas schwere Schritte, die sich wieder in unsere Richtung bewegten und im nächsten Moment trat er bereits wieder ins Licht. „Es ist sicher.“ Seine Stimme war derart tief und dunkel, dass sie einem direkt durch den ganzen Körper fuhr, auf keine sehr angenehme Weise, wie ich fand, was erklären würde, weswegen er so wenig sprach. Chad nickte ihm zu und wies dann uns an, ebenfalls ins Gebäude zu steigen, was wir auch sofort taten. Die Luft im Inneren war derart trocken, dass ich sofort Durst bekam, kaum dass ich einmal eingeatmet hatte. Candace erging es offenbar ebenso, denn sie griff sich sofort ihre Feldflasche und nahm einen kräftigen Schluck. Ich ließ lieber meinen Blick schweifen. Die Zeichen der Zerstörung waren mehr als nur deutlich. Das gesamte Mobiliar war zersplittert und lag nur noch unnütz auf dem Boden. Holzsplitter, Glasscherben, alles verstreut auf dem Holzboden, der schwarz angesengt war oder sogar bereits Löcher aufwies, die so groß waren, dass ein Mensch hindurchgefallen sein musste. Das passte nicht ganz zu dem verbarrikadierten Bild, das sich von außen geboten hatte und noch etwas anderes irritierte mich sehr, die Abwesenheit von etwas, das ich aber noch nicht benennen konnte. „Sendoa hat den Zugang in den Keller bereits gefunden“, eröffnete Chad uns, wobei ich mich fragte, woher er das wissen wollte, immerhin schienen sie kein Wort miteinander gewechselt zu haben. Aber das störte ihn nicht weiter, denn er schien so davon überzeugt, dass er dem Schwertkämpfer wieder die Führung übergab, damit er uns zu diesem Zugang bringen könnte. Sowohl er, als auch Chad, der die Nachhut übernahm, entzündeten eine elektrische Lampe, mit der sie uns anderen den Weg wiesen. „Passt auf den Boden auf“, warnte Abiel uns, während wir liefen. „Versucht, immer nur auf die gesunden Bretter zu treten oder auf die Querbalken.“ Candace hatte bereits von selbst daran gedacht, was ich ihr unwillkürlich nachgeeifert hatte, wie mir auffiel, als er seine Warnung aussprach und ich besonders darauf achtete. Der Spalt zwischen manchen Bodendielen war breit genug, um hindurchzusehen und zu bemerken, dass sich darunter nur eine undurchdringbare Schwärze befand – in der sich etwas zu bewegen schien. Ich blinzelte irritiert, als ich das bemerkte und blickte noch einmal konzentrierter hin, aber die fahrige Bewegung erschien nicht noch einmal, weswegen ich beschloss, das als Einbildung meinerseits, einen fiesen Streich meiner Vorstellungskraft, abzuhaken. Aus dem Kirchenschiff, an dem wir nur wegen einer Tür vorüberkamen, war ein Rascheln zu hören, das wir allesamt stillschweigend auf Mäuse oder anderes Ungeziefer schoben, wobei sich mir wieder der Gedanke aufdrängte, dass etwas fehlte, das eigentlich da sein müsste. Aber noch immer entzog sich mir, worum es sich genau handelte. Auch als wir die Treppe in den Keller erreicht hatten, war es mir noch nicht wieder eingefallen, dafür stellte ich aber fest, dass es sich um steinerne Stufen handelte, die noch dazu widerstandsfähig genug aussahen, dass wir uns keine Sorgen machen müssten, mittendrin einzubrechen. Dennoch setzten wir unsere Füße nur bedacht auf jede Stufe, so dass es mehrere Minuten dauerte, bis wir endlich ganz unten angekommen waren. Hier mangelte es an Fenstern, aber leuchtender Moos hatte sich an mehreren Stellen an den Wänden ausgebreitet und verbreiteten ein angenehmes, blaugrünes Glühen, das uns auch abseits der Lampen genug Licht spendete, um etwas zu erkennen. Bislang gab es allerdings nicht viel zu sehen, denn der Gang, der sich vor uns erstreckte, war vollkommen leer. Ein ungutes Gefühl beschlich mich plötzlich, bei der Vorstellung, weiterlaufen zu müssen, die feinen Härchen auf meinen Armen stellten sich protestierend auf – es war eindeutig, dass mein gesamter Körper am Liebsten in die andere Richtung davongelaufen wäre. Aber ich konnte jetzt nicht einfach fliehen, wenn ich ein Drifter werden wollte und zu allem Überfluss wurde mein einziger Fluchtweg auch plötzlich versperrt. Wir waren kaum zehn Schritte gelaufen, als hinter uns plötzlich ein leises Fauchen erklang, dem sich ein Chor unzähliger gequälter Laute anschloss. Augenblicklich hielten wir inne und sahen zurück, wo noch nichts zu entdecken war. „Was war das?“, fragte Candace und in diesem Moment war ich ziemlich froh, dass ich ganz offensichtlich nicht der einzige war, der ratlos war. Aber ich befürchtete, dass ich der einzige war, der tatsächlich zu zittern begonnen hatte. Wenn nicht einmal diese Profis wussten, was da hinter uns war, wie sollte ich da ruhig bleiben? Und was Chad dann sagte, wollte mir erst recht nicht gefallen: „Was immer es ist, wir sind ziemlich sicher in Schwierigkeiten.“ „Das ist so typisch“, seufzte Candace. „Deine Missionen enden immer so, Chad.“ Er schnitt ihr lediglich eine Grimasse, statt darauf einzugehen, aber sie achtete lediglich auf meinen fragenden Blick, der sie zu einer Antwort bewegte: „Ich erinnere mich an keine einzige Mission von Chad, bei der er nicht in Schwierigkeiten geraten ist. Monster scheinen ihn zum Fressen gern zu haben.“ Ich wünschte nur, ihr wäre das früher eingefallen, bei allen Geschichten vorher, hatte sie kein Wort davon erwähnt. Vielleicht hätte ich mir diese ganze Sache dann doch noch aus dem Kopf geschlagen. Aber so war ich nun hier in diesem Keller eingesperrt und konnte beobachten, wie etwas die Treppe herabstieg. Es waren mehrere Wesen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Die Körper erinnerten an jene von Menschen, sofern diese aus grünem Wackelpudding bestehen würden, sie hatten keinerlei Gesicht, aber das sichtbare Gehirn erinnerte an eine rote Kirsche... ich bemerkte in diesem Moment, wie hungrig ich war. Doch der Gedanke verflog sofort wieder, als ich sah, dass es immer mehr solcher Wesen wurden, die herunterkamen und sich so sehr auf der Treppe drängten, dass sie sogar seitlich herunterfielen und sich dann erst wieder mühsam aufrichten mussten. Aber nichts hielt sie davon ab, weiter auf uns zuzulaufen und uns weiter in den Gang hineinzudrängen. „Du gerätst auch immer in Schwierigkeiten, was, Chad?“, fragte Candace schmunzelnd. Er grinste ein wenig. „Aber ich manövriere uns auch immer wieder aus ihnen raus, heute auch, du wirst schon sehen.“ Ich wünschte mir ein wenig von seinem Selbstvertrauen, während ich die Wesen weiter dabei beobachtete, wie sie auf uns zuliefen – und dabei auf ein Wunder hoffte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)