Lernen, wie man vertraut von MarySae (Sonic & Tails (Brüderlich!)) ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1 ----------------- Lernen, wie man vertraut Die Welt war kalt. Dunkel. Es gab keine Wärme, kein Licht in ihr. Nur eine erbarmungslose Kälte, die alles und jeden umgab. Liebe war nur ein Wort für etwas, an das sich die Lebewesen klammerten, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Echte Liebe gab es nicht. Er hatte es schon zu oft gesehen. Hass, Angst und Wut, die in ihren Augen glänzten, wie die kostbaren Schmückstücke in den Geschäften. Sie selbst strahlten nicht. Es war alles nur eine optische Täuschung. Das Licht kam nicht von Innen. Es spiegelte sich bloß darin. Das war alles. Es gab keine echte Liebe. Selbst diejenigen, die sich angeblich liebten, stritten sich oft. Bei einigen artete es sogar regelmäßig in Handgreiflichkeiten aus. Er wusste das. Er hatte es oft genug beobachtet. Und er war auch das beste Beispiel dafür. Ein erneuter, eisiger Regentropfen drang durch das löchrige Blätterdach und traf den kleinen, orangefarbenen Fuchs im Nacken. Er schauderte. Automatisch zog er seine Beine näher an seinen Körper heran, in der Hoffnung, das Zittern so etwas zu besänftigen. Doch er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Es war kalt. Bald würde es Winter werden. Der Regen, der sich durch die noch grünen Blätter der Bäume drängte, hatte schon den ersten Duft des Winters nach Westside Island gebracht. Der kleine Fuchs hob seinen Kopf und richtete seinen Blick in die Ferne. Graue Wolken hingen wie eine Glocke über der Insel. Schien sie regelrecht zu verschlucken. Schon den ganzen Tag prasselten die Tropfen auf die Erde und damit auch auf den jungen Fuchs. Er senkte seinen Blick auf seine Arme, die er um die an seinen Oberkörper gezogenen Beine gelegt hatte. Schnitte und Prellungen traten deutlich zwischen seinem Fell hervor, welches vom stetigen Regen eng an seiner Haut lag. „Tja, wenigstens ist das Blut weg.“, sagte er so leise zu sich selbst, dass es eher als Gedanke zählte. Doch auch, wenn die zahlreichen Wunden nicht mehr von Blut bedeckt waren, konnte er sie dennoch spüren. Auf seiner beinahe tauben Haut gab es mehr als eine Stelle, die wie Feuer brannte oder an der es unangenehm pochte. Erneut traten die Tränen in seine Augen, die er doch den ganzen Tag versucht hatte zu unterdrücken. Es war nicht fair! Einfach nicht fair! Niemand kümmerte sich einen Dreck um ihn! Es interessierte absolut gar keinen, dass er hier draußen vor sich hinvegetierte. Dass er tagelang nichts gegessen hatte. Den halben Hamburger, den er aus dem Müll gefischt hatte, zählte er nicht als Essen. Er hatte widerlich geschmeckt. Wieso aßen die Leute so was nur? Der Fuchs war anders und das machte ihn zum Freak. Und niemand wollte etwas mit einem Freak zu tun haben. Außer sie konnten ihn ärgern. Verprügeln. Beschimpfen. Nur dann schlich sich etwas wie Freude in ihre Gesichter, wenn sie ihn sahen. Nur dann verschwand der Hass aus ihren Zügen. Jedoch nur für einen kurzen Moment. Wenn sie genug Spaß hatten, kehrte der Hass zurück. Der Fuchs schloss die Augen. Er war müde. Und doch konnte er nicht schlafen. Er hatte Angst. Unfassbare Angst, dass jemand kommen könnte, während er schlief und ihn wieder verprügelte. Doch wo sollte er hin? Es gab keinen Ort, an dem er sich verstecken konnte! Er hatte die letzten Jahre jeden einzelnen Platz in der Emerald Hill Zone abgesucht, konnte jedoch nichts finden. Immer wieder wurde er verjagt und rausgeschmissen. Niemand wollte ihn. Warum war er also immer noch da? Warum war er noch nicht gegangen? An einen besseren Ort? Er öffnete seine Augen einen Spalt breit und starrte hasserfüllt auf die beiden, orangefarbenen Dinger neben ihm. Sie lagen so weit von ihm entfernt, wie es ging. Leider waren sie doch ein Teil seines Körpers. Und doch hasste er sie. Besonders einen von ihnen. Warum hatte er auch einen zweiten Schwanz haben müssen? Warum er? Jeder andere, den er kannte, hatte bloß einen Schwanz! Und nur er, der Freak, hatte zwei. Er war nicht gewollt. Eine Missgeburt. Etwas, was nicht das Recht hatte, zu leben. Warum also tat er es noch? Es würde nicht einmal jemanden stören, wenn er einfach verschwände… Seine Augen schlossen sich erneut und doch drängten sich immer mehr Tränen aus seinen Augen. Er hasste sie. Er hasste sich. Seine Eltern, dafür, dass sie ihn geboren hatten. All das Leid… All die schlimmen Erinnerungen… Er wollte einfach nicht mehr. Er hatte so viele Ideen, wie er es beenden könnte. Doch er war selbst dafür zu feige. Nie führte er einen Plan durch. Immer trugen ihn seine Beine automatisch fort. Immer wieder lief er davon. Und dafür hasste er sich noch mehr. Konnte er nicht einfach einschlafen und nie mehr aufwachen? In seinen Träumen war er sicher. Dort verprügelte ihn niemand. Dort konnte er sein, wer er wollte… Ein lautes Krachen ließ den Fuchs aufschrecken. Ängstlich, fast panisch sah er sich in der Dunkelheit der heran brechenden Nacht um, in der festen Überzeugung, dass das laute Geräusch ihm wehtun würde. Er lauschte Minutenlang in die Einsamkeit des Waldes; seine Ohren bis zum Äußersten gereizt. Und doch schien nichts zu passieren. Nur das stete Tropfen des Regens auf den Blättern schien zu existieren. Schnell schloss der zweischwänzige Fuchs seine Augen erneut und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Er hoffte einfach nur, dass ihn niemand fand. Versteckt zwischen Büschen, direkt unter einem alten Baum. Tief im Wald. Er war alleine, wie immer. Ein leises Schluchzen mischte sich unter seine Tränen. Es schüttelte seinen Körper noch zusätzlich zu dem Zittern wegen der Kälte. Seine Muskeln protestierten. Sie schienen taub zu werden. Schmerzten, da sie trotz der Taubheit noch so arbeiten mussten. Es machte den Fuchs ganz verrückt. Es sollte endlich aufhören! Ein erneutes Geräusch hallte durch den Wald, doch er hatte zu viel Angst um aufzusehen. Es klang wie das wütende Brüllen des Windes, gefolgt von einem großen Knall, der seinen Körper dichter an den Baum hinter ihm drückte. Der orangefarbene Fuchs zog seine Beine noch näher an sich heran, versuchte sich so klein wie möglich zu machen, zu verschwinden. Er war nicht da. Er war nicht an diesem schrecklichen Ort. Nein. Er war an einem Ort, an dem es ihm gut ging: in seinem Kopf. Er hoffte so sehr, dass niemand ihn sah. Oder, dass es wenigstens schnell ging. Ein Zischen zog dicht an ihm vorbei und er vergrub sein Gesicht noch tiefer zwischen seinen Knien und dem Brustkorb. Er spürte die Präsenz einer anderen Person dicht neben ihm und sein einziger Gedanke war: Bitte nicht! „Hey Kleiner. Ich glaube bei dem Wetter solltest du nun wirklich nicht hier draußen rum sitzen.“ Der Fuchs zuckte zusammen. Ein leises Wimmern entfleuchte seinem Mund und er bereute es sofort. Er kannte die Stimme nicht, was ihm noch mehr Angst machte. Stock steif blieb er in seiner Position sitzen und rührte sich nicht einen Zentimeter. Der Fremde würde sicherlich gleich gehen. Einfach verschwinden! „Hey, geht es dir nicht gut?“ Als er plötzlich eine warme Hand auf seinem Arm spürte, zuckte der Fuchs panisch zurück. Sein Körper protestierte, als er aus seiner starren Haltung gerissen wurde und er ungeschickt zur Seite kippte. Rückwärts und auf allen Vieren robbend versuchte das orangefarbene Geschöpf möglichst viel Raum zwischen sich und den Fremden zu bringen. Der nasse Boden unter ihm quietschte bei jeder seiner Bewegungen und erst, als er gegen einen anderen Baum stieß, wagte er einen Blick auf den Fremden. Blau. Das war das wohl Markanteste an der Gestalt vor ihm. Ein blauer Igel sah ihm verwirrt entgegen. Seine grünen Augen erschreckten den Jungen. Er konnte sie nicht deuten. Es lag nicht der Ausdruck in ihnen, wie die anderen Bewohner dieser Zone ihn hatten. Der Igel kam nicht von dieser Insel. Doch der Fuchs wusste, dass es nicht lange dauern konnte, bis der Ausdruck auch bei ihm sichtbar sein würde. „Na, na, Buddy. Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Wie zur Verteidigung hielt er die Hände vor seinen Körper, die Handflächen ausgestreckt. „Ich weiß, dass ich gerade nicht den besten Eindruck mache, so triefend n a s s“ – bei dem Wort schauderte er „und dreckig, aber SO schrecklich sollte ich eigentlich nicht aussehen.“ Ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, während er den verängstigten Fuchs nicht aus den Augen ließ. „Geh einfach besser nach Hause. Nachts ist es hier bestimmt gefährlich. Deine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Das Lächeln wollte seine Worte einfach nicht verlassen und gegen seinen Willen entspannte sich der Fuchs ein wenig. Erneut zog er seine Beine an seinen Oberkörper und schlang die Arme um sie. Er wandte seinen Blick von dem blauen Fremden und nuschelte eine leise Antwort. „Um mich macht sich bestimmt keiner Sorgen.“ Sein Blick fiel auf eine nahe Pfütze, auf der sekündlich neue Regentropfen die Wasseroberfläche durchbrachen. Der Fuchs hörte leise Schritte auf dem Boden und drückte seinen Körper dichter an den Baum hinter ihm. „Das kann ich mir nicht vorstellen, Kid.“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Igel vor ihm in die Hocke gegangen war und ihn nun ansah. Das Starren war unangenehm. Auch wenn es nicht so schlimm war, wie sonst. Zumindest redete sich der Fuchs das ein. Trotzdem änderte das nichts. Überhaupt nichts. „Wenn du mich verprügeln willst, dann mach es endlich, damit ich es hinter mir habe.“ Er war es leid, angelogen zu werden. Wie oft hatte ihm jemand angeboten ihm zu helfen, nur um dann doppelt so brutal zuzuschlagen und sich darüber lustig zu machen, wie leichtgläubig er doch war? Das war nichts Neues. Viele versuchten es sogar mehrmals und jedes Mal hatte ein Teil von ihm die Lügen geglaubt. Doch dieser Teil existierte nicht mehr. Es gab keine Wärme, keine Liebe in dieser Welt. Es hat sie nie gegeben. Es war nur eine große Lüge. „Dich verprügeln? Wieso sollte ich das tun?“ Die Augen des Fuchses richteten sich sofort wieder auf den blauen Igel. Pure Wut lag in ihnen. Wie schwer wollte er es ihm eigentlich noch machen? „Pah, weil jeder es tut! Ich bin ein verdammter Freak, der es nicht anders verdient hat!“ Trotz des Katzens in seinem trockenen Hals klang seine Stimme erstaunlich fest, was dem kleinen Fuchs sehr gut gefiel. Man merkte ihm seine Angst zumindest in seinen Worten nicht an. Eine ganze Weile war es still und die beiden sahen sich lange in die Augen. Dem Fuchs war das Ganze nicht geheuer. Er konnte sie nicht lesen! Er konnte die Augen des Fremden einfach nicht lesen! „Wer sagt das?“ Der Blick des Igels wurde härter, als sich eine Spurt Wut in seine Worte mischte. Der Fuchs erschauderte. Da war sie. Und er wusste, es würde schlimm werden. Wie jedes Mal. Er konnte das Grün nicht länger sehen. „Alles und jeder.“, war seine kurze Antwort. Und doch schienen die Worte unaufhaltsam in ihm heraufzubrodeln. „Ich bin ein Freak. Ich habe es gar nicht verdient zu leben. Ich habe zwei Schwänze! Alle hassen mich! ICH hasse mich! Ich will nicht mehr.“ Tränen bildeten sich wieder in seinen Augen und rannen seine Wangen herunter. Die Wut in ihm wuchs. Wieder heulte er. Jetzt auch noch vor Fremden. Kein Wunder, dass ihn jeder für ein kleines Kind hielt. Unabhängig von seinem Alter… Wieder trat Stille ein. Doch diesmal dauerte sie so lange, dass der Fuchs es irgendwann nicht mehr aushielt und erneut in die Richtung des blauen Igels sah. Da war er. Der Hass. Das Gefühl, welches er nur so gut kannte. Wut und Hass. Bald würde es vorbei sein. „Wie heißt du?“ Diese Frage überraschte ihn. Perplex sah er dem Fremden entgegen. „Miles… Prower.“ Bevor er es selbst bemerkte, hatte er seinen Namen bereits ausgesprochen. „Aber ich hasse meinen Namen!“, fügte er noch schnell hinzu. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht seines Gegenübers. „Und wie soll ich dich dann nennen?“ „Keine Ahnung“, kam es wahrheitsgemäß von dem Fuchs-Kind. „Wie nennen dich denn die anderen?“ Wieso diese Fragen? Was sollte das alles? „Freak. Oder Missgeburt. Je nachdem.“ „Okay, es reicht!“ Die Stimme des Igels schwoll an, als er sich mit einer fließenden, beinahe unsichtbaren Bewegung aufrichtete. Der Fuchs wimmerte. „Jetzt möchte ich die Bewohner dieser Insel erst recht verprügeln und sie mal mächtig gegen eine Wand schmeißen.“ Fragend sah er den blauen Fremden an. „Hör zu, Miles. Was diese Leute dir angetan haben, ist absolut nicht hinnehmbar. Jemanden zu ärgern, nur weil er anders ist, ist das Widerlichste, was man überhaupt machen kann. Lass dich von denen nicht runterziehen! Ich finde es sogar ziemlich cool, dass du zwei Schwänze hast! Das macht dich zu etwas Besonderem! Und ich weiß, wovon ich rede.“ Bei den letzten Worten erschien das Lächeln wieder auf seinem Gesicht. Miles sah ihn weiter verständnislos an. „Sie haben dir diese Wunden zugefügt, oder?“ Er blickte auf die frischen Schnittwunden, die Miles Arm zierten und der junge Fuchs nickte nur zur Bestätigung. Unfähig etwas zu sagen. „Verdammte Bande. Wie können sie so etwas nur einem kleinen Kind antun?“ Er nuschelte diese Worte eher zu sich selbst, als zu seinem Gegenüber, der ihn aufgrund seines guten Hörvermögens jedoch sehr gut verstehen konnte. „Ich bin nicht klein! Ich bin schon 5 Jahre!“, protestierte er gleich darauf und bekam ein entschuldigendes Lächeln zurück. „Natürlich, entschuldige.“ Doch der Fuchs bemerkte, dass das Lächeln nicht echt war. Ein Schatten huschte über das Gesicht des Igels, was ihn aufhorchen ließ. „Weißt du was?“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. „Ich gebe dir einfach einen neuen Namen! Was hältst du von ‚Tails’? Das würde doch super zu dir passen!“ Der Fuchs zuckte zurück. Ein neuer Name? Nicht Miles? Oder Freak? Wieso gab sich dieser Fremde so viel Mühe mit ihm? Was war seine Taktik? Würde es diesmal schlimmer werden, als sonst? Und dieser Name… „Nein. NEIN!“ Er schrie sich regelrecht die Lunge aus seinem Hals. So sehr, dass er aufgrund seiner trockenen Kehle husten musste. Der Igel wich einen Schritt zurück. „Ich hasse sie! Hasse sie!“, brachte er zwischen dem Husten heraus und schüttelte wild den Kopf. Sein Körper schmerzte und sein Blick wurde unscharf. Erst da stoppte er die abrupten Bewegungen. Sein Atem ging keuchend und ein erneuter Kälteschauer rann über seinen Rücken. Er fror. Es war so kalt. „Woah. Sorry, Kleiner. Ich mache das Ganze wohl gerade nur schlimmer, was? Wie ungewohnt.“ Der zweischwänzige Fuchs sah das gequälte und verunsicherte Lächeln auf dem Gesicht seines Gegenübers. Es ließ ihn wieder etwas entspannen. „Hör zu. Ich weiß, du magst mich nicht, weil du denkst, dass ich dir auch nur wehtun werde. Und ich weiß auch, dass du keinen Grund hast, mir zu glauben, aber ich bitte dich: Komm mit mir! Ich kann dich hier nicht einfach im Regen sitzen lassen.“ Die Augen des Kindes weiteten sich. Obwohl er die Worte verstand, begriff er ihren Inhalt einfach nicht. Der Igel wollte ihn mitnehmen? Wohin? „Warum?“ Eine einfache, kindliche Frage, doch der Blaue schien sich sofort unwohl zu fühlen. „Na ja… Das ist schwer zu sagen, Buddy. Ich bin einfach jemand, der gerne hilft. Blöde Angewohnheit, würde ich sagen.“ Nun lachte er wieder. Die Augen fest auf den Fuchs gerichtet, so, als würde er jede seiner Bewegungen deuten wollen. „Ich kenne einen guten Platz zum Schlafen. Da ist es warm und trocken. Komm schon, bitte!“ Er streckte seine Hand nach dem Kind aus, doch dieser blickte den weißen Handschuh nur fragend an. Er bewegte keinen Muskel. Im Gegenteil. Er konnte nicht einmal mehr denken. Sein Ich war wie eingefroren. Etwas schmerzte in seiner Brust, doch er wusste nicht, was es war. Sollte er die Hand nehmen? Gab es doch die Möglichkeit, dass der Fremde ihm nicht wehtun wollte? War das wirklich möglich? Doch wahrscheinlich würde er es sich gleich anders überlegen und wieder weggehen. Einfach verschwinden. Ein lautes Seufzen ließ ihn aufblicken. Tatsächlich hatte der blaue Igel seine Hand zurückgezogen und kratzte sich nun damit am Hinterkopf. „Okay, okay, ich verstehe schon. Du vertraust niemandem, was? Wirklich schade.“ Der Igel blickte in den beinahe schwarzen Himmel. „Wenigstens hat es aufgehört zu regnen.“, sagte er mehr zu sich, als zu seinem Gegenüber. „Aber du solltest wirklich nicht da sitzen bleiben, Bud. Du erkältest dich noch.“ Ein beinahe schüchternes Lächeln zog über das Gesicht des Fremden, als der knurrende Magen des Fünfjährigen die Stille durchbrach. Peinlich berührt senkte dieser seinen Blick und wagte es nicht auch nur daran zu denken, was der andere jetzt wohl dachte. „Ich verstehe.“ Die Worte überraschten den Fuchs und gerade, als er den Grund dafür in den Zügen seines Gegenübers lesen wollte, zog ein mächtiger Windstoß über ihn hinweg und der Fremde war verschwunden. Das Stechen in seiner Brust wurde plötzlich stärker. So stark, dass er am liebsten aufgeschrien hätte. Doch er kniff seine Lippen zu einem schmalen Strich und rollte sich wieder enger zusammen. Jetzt war er wieder alleine. Endlich. Oder? Der Mann hatte ihm nichts getan. Alle anderen hatten ihn schon bei ihrem ersten Treffen beschimpft oder verprügelt. Doch dieser blaue Igel nicht. Warum? Der Fuchs war verwirrt. Tränen bahnten sich wieder ihren Weg über seine beinahe abgetrockneten Wangen und benetzen diese erneut. Ein müder Schauer übermannte ihn und es dauerte nicht lange, bis er sich in den Schlaf geweint hatte. Kapitel 2: Teil 2 ----------------- Der Morgen kam eher, als er es erhofft hatte. Das Geräusch von Schritten auf dem immer noch nassen Grund ließ den kleinen Fuchs aufschrecken. Ein kurzer Blick in den Himmel zeigte ihm bereits die ersten Farben des Sonnenaufgangs. Auch die Schatten des Waldes zogen sich allmählich zurück. Das hieß jedoch, dass er schneller gefunden werden konnte. Ein ihm nur zu vertrautes Lachen ertönte ganz in seiner Nähe und das Blut des Fuchses gefror. Nein, das war einfach nicht wahr! Nicht schon wieder! Nicht sie! Panisch blickte er sich um; suchte verzweifelt nach einem Versteck, doch es war bereits zu spät. In diesem Moment brachen drei Figuren durch das Unterholz, die sofort ihren Blick auf das Kind richteten. Ein unheilvolles Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie ihn erkannten und er wimmerte. Der grüne Panther, der in vorderster Reihe stand, beugte sich zu ihm herunter. Sein Lächeln wurde breiter. Doch darin lag nichts Freundliches. Nur abgrundtiefer Hass. „Na sieh mal einer an. Was haben wir denn hier gefunden? Eine stinkende Ratte!“ Seine Begleiter lachten. „Und dreckig ist sie auch noch!“, kicherte eine weiße Schneeleopardin. „Wir sollten sie zerstampfen.“ Der große, schwarze Bär überragte seine Freunde um gut einen Kopf. Das Knacken seiner Fingerknochen dröhnte in den Ohren des Fuchses. „Keith, musst du immer so brutal sein?“ Der Panther schüttelte den Kopf in gespieltem Entsetzen. „Ich habe da eine viel bessere Idee. Lasst uns ein bisschen Spaß haben!“ „Wir sind dabei, Ty.“ Ein verzweifeltes Quietschen entwich aus dem Mund des Fünfjährigen, als der Panther einen seiner Schwänze packte und begann ihn wie einen Sack hinter sich her zu schleifen. Jeder Stein, jeder Stock, jeder Erdhügel bereitete ihm unglaubliche Schmerzen. Er weinte, weil er wusste, dass es schlimm werden würde. Sehr schlimm. Er wusste, dass sie das Dorf bald erreichen würden, was die Panik in ihm nur noch schürte. Doch er gab keinen Laut von sich. Er hatte Angst, dass sie ihn sofort verprügeln würden, wenn er einen Mucks von sich gab. Bald traten die Häuser in sein Sichtfeld und er bemerkte die starrenden Gesichter, die ihre Blicke auf ihn geworfen hatten. Doch in ihnen lag nur Neugier. Es scherte sie nicht, dass die anderen Kinder ihm gerade Schmerzen zufügten. Niemanden scherte das… Bald darauf erkannte Miles den Marktplatz und in diesem Moment wurde er vom Boden aufgehoben. Er spürte, wie er gegen etwas Hartes geschlagen wurde und wie sich kurz darauf etwas Raues um seinen Körper wickelte. Panisch blickte er sich um und bemerkte den großen steinernen Pfeiler, der als Mittelpunkt des Dorfes galt. Das Seil, welches sich nun um seinen ganzen Körper spannte, schnitt ihm tief ins Fleisch. Erneut wallten Tränen in seinen Augen hoch, doch er versuchte sie mit aller Macht zurückzudrängen. Nicht jetzt! Das Kichern der anwesenden Erwachsenen und Kinder hallte so laut in seinem Kopf, dass er Angst hatte, er würde zerspringen. Wieso musste er das alles ertragen? Warum half ihm denn niemand? Warum? „So, Freak. Mal sehen, wie lange du diesmal durchhältst. Das du dich letztes Mal nach fünf Tagen selbst befreien konntest, wird diesmal nicht passieren.“, kicherte der Panther, als er wie aus dem Nichts einen braunen Sack hervor holte. Miles Augen weiteten sich und zum ersten Mal seit langem, fand er seine Sprache wieder. „Nein, nein, bitte nicht! Ty, tu das nicht, bitte!“ Er bettelte. Und weinte. Und doch… „Sag bloß nie wieder meinen Namen, du Missgeburt!“, zischte er, als er den Sack über den Kopf des Kindes stülpte und ihm dabei gleich noch mächtig in den Magen boxte. Der Schmerz raubte ihm fast die Sinne. „Viel Spaß, Missgeburt!“, rief einer der Kinder noch, als sie sich von ihm entfernten und einfach zurück ließen. Sein Kopf war umnebelt von Panik. Das letzte Mal hatte er das Seil durchbeißen können, doch das würde jetzt nicht funktionieren. Es war heiß und stickig in dem Sack und er konnte nichts sehen. Doch er spürte sie. Die Blicke der anderen. Und er wusste, dass niemand einen Finger rühren würde. Absolut niemand. Würde er diesmal endlich sterben? Aber warum musste es so qualvoll sein? Er wusste, was es hieß Hunger und Durst zu haben. Er hatte Angst davor. „Nein, bitte!“, quiekte er beinahe unhörbar und ließ seinen Tränen freien Lauf. „SEID IHR HIER ALLE VÖLLIG BEKLOPPT?“ Ein lauter Aufschrei ließ den kleinen Fuchs aufschrecken. Ein Wimmern entfuhr ihm. Sein Körper zitterte. „Verdammt, er ist ein KIND! Das kann nicht euer Ernst sein!“ Diese Stimme. Er erkannte sie. Aber das war… unmöglich! „Widerlich.“ Das letzte Wort war nur gemurmelt und ganz nah neben ihm. Sein Körper versteifte, als sich der Sack plötzlich bewegte und das Licht in seinen Augen blendete. Tatsächlich blickten ihm grüne Augen entgegen. So intensiv, wie es der kleine Fuchs noch nie gesehen hatte. „Hey, Buddy!“ Er lächelte. „Warte, ich hol dich da runter“, sagte er und begann sich an dem Seil zu schaffen zu machen. Plötzlich verschwand das Gewicht von seinem Körper und er fühlte wieder festen Boden unter seinen Füßen. „Komm!“ In seiner Stimme schwang etwas mit, was der Fuchs nicht kannte und doch… Der blaue Igel nahm das Kind mit einer Hand in seine Arme und drückte ihn an seine Brust. Dieser wimmerte, wehrte sich aber nicht dagegen. „Halt dich fest.“ Ohne zu zögern schwang er seine Arme um den Hals des Fremden und klammerte sich an ihn. Im Moment wollte er einfach nur weg. Egal wie. Und dann ging alles ganz schnell. Der Wind pfiff nur so an ihm vorbei und brannte in seinen Augen. Panisch schloss er sie und klammerte sich noch fester an den Igel. Doch nur wenige Sekunden später verschwand der starke Luftdruck wieder und der salzige Geruch von Meerwasser stieg ihm in seine empfindliche Nase. Er öffnete seine Augen und blickte sich um. Der Strand erstreckte sich Kilometerweit vor ihnen, doch wie war das möglich? Das Dorf war mindestens 10 Minuten vom Strand entfernt! Wie konnten sie so schnell…? „Kannst du stehen, Buddy?“ Die Stimme des Igels ließ den Fuchs aufschrecken. Er hatte den blauen Fremden beinahe vergessen. Hastig nickte er, bevor er den Boden wieder berührte. Miles sah, wie der Igel sich in die Richtung einer großen Höhle in Bewegung setzte. Ein trauriges Lächeln auf seinem Gesicht. „Kein Wunder, dass du niemandem vertraust. Tut mir leid, dass ich nicht eher da war. Ich wurde aufgehalten“, meinte er und verschwand zwischen den Felsen. Fragend sah ihm der orangefarbene Fuchs hinterher. Ein merkwürdiges Gefühl befiel ihn. Er wollte nicht, dass der Igel wegging. Wenn er nicht da war, schienen seine Ängste plötzlich wieder auf ihn einzubrechen. So schnell seine zitternden Beine konnten, eilte das Fuchskind über den Strand und sah vorsichtig in die Höhle. Ihm stockte der Atem. Ein riesiges, rot glänzendes Flugzeug füllte den Großteil der Grotte aus. Es war in schlechtem Zustand, das konnte er sehen, und doch… faszinierte es ihn sofort. Mit großen Augen saugte er jedes Detail des Flugzeuges ein: die gelben Streifen, die Rotorblätter, angetrieben von einem starken Motor, die doppelten Flügel… „Das ist der ‚Tornado’. Nicht schlecht, oder?“ Der Igel tauchte neben dem Fuchs auf, der - ohne es zu merken - näher an das Flugzeug heran getreten war, und setze sich neben ihn in den Sand. Jetzt waren sie auf Augenhöhe. „Okay, leider hat sie bei dem Absturz etwas gelitten, aber das kriege ich schon wieder hin. Wenn ich nur wüsste, warum die Elektronik gesponnen hatte… “ Der Fuchs horchte auf. „Absturz?“ Der Igel nickte. „Gestern Abend. Plötzlich hat das Flugzeug gestreikt und ich konnte hier gerade noch notlanden. Nicht auszudenken, was ich gemacht hätte, wenn ich im Wasser gelandet wäre.“ Ein Schaudern rann über seinen Köper und seine Stacheln zuckten. „Wow.“ Gebannt blickte der Fuchs weiter auf das Flugzeug, als sein Magen plötzlich schmerzhaft zu knurren begann. Verzweifelt hielt er sich den Bauch, in der Hoffnung, den Schmerz damit vertreiben zu können. „Ach stimmt ja!“ Das Knistern von Plastik rauschte in seinen Ohren und im nächsten Moment kitzelte ein köstlicher Duft seine Nase. Widerwillig wandte Miles seinen Blick von dem Tornado und blickte auf den blauen Igel. Dieser hatte sich im Schneidersitz in den Sand gesetzt, eine große Plastiktüte auf dem Schoß. Im nächsten Moment zog er etwas Längliches heraus und der leckere Duft verbreitete sich noch mehr in der Höhle. Er wusste, was das war. Er hatte oft das Restaurant in der Hoffnung beobachtet, sich einige Reste aus dem Mülleimer holen zu können. Doch diese Dinger hatte er nur von Weitem gesehen. „Chilidogs!“, meinte der Igel fröhlich. „Das beste Essen, das es gibt!“ Er lachte und Miles’ Magen zog sich unangenehm zusammen. Wie konnte sich der Fremde über sein Essen her machen, während der Fuchs neben ihm war? Wollte er ihn so quälen? Doch ehe die Wut in ihm anschwellen konnte, tauchte der Chilidog plötzlich unter seiner Nase auf. Verdutzt starrte er ihn an. „Hier, iss! Ich weiß, dass du Hunger hast!“ Das Kind blickte abwechselnd von dem Chilidog zu dem Igel und zurück. Verdutzt. Unsicher. „Komm schon! Ich habe ihn auch nicht vergiftet oder irgendwas! Du kannst ihn ruhig essen, Buddy.“ Sein Körper war versteinert. Er war hin und her gerissen. Etwas sagte ihm, er sollte das Essen unbedingt annehmen, aber ein anderer Teil erinnerte sich an das letzte Mal… Sie hatten das Brötchen in Essig eingeweicht und Miles musste sich tagelang übergeben. „Ahhh.“ Der Igel stöhnte. „Ich bin es echt nicht gewohnt so abgewiesen zu werden.“ Er seufzte. „Sieh mal.“, meint er dann und biss in den Chilidog. Seine Miene erhellte sich sichtlich. „Man, die sind gut!“, sagte er zu sich selbst und schob sich den Rest mit einem Mal in den Mund. Seine Hand griff wieder in die Tüte und erneut hielt er das Essen dem kleinen Kind entgegen. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, als dieser es tatsächlich annahm. Mit einer kleinen Bewegung ließ der Fuchs sich nach hinten fallen und saß so direkt neben dem Fremden. Sein Blick auf den Chilidog geheftet. Neben ihm hörte er den Blauen schmatzen, als er seinen Zweiten verdrückte. Sein Magen rebellierte und plötzlich war es ihm egal, ob an der Sache etwas faul war oder nicht. Bisher hatte der Igel ihm nichts Böses getan und er hoffte sehr, dass es so blieb. Mit einem großen Bissen schlang er den halben Hotdog herunter. Der Geschmack von Käse und Chili breitete sich in seinem Mund aus, was sich verdammt gut anfühlte. Mit einem weitern Bissen war auch der letzte Rest seiner Mahlzeit verschlungen und auch, wenn es sich anfühlte, als würde ein Stein in seinem leeren Magen aufschlagen, so freute er sich unglaublich über das erste richtige Essen seit… Jahren. „Na also, geht doch!“ Miles wandte sich zu dem Igel, der wieder in seiner Tasche wühlte und ihm einen weiteren Chilidog überreichte. Diesmal nahm er ihn ohne zu zögern und begann fröhlich ihn zu essen. „Es hat mich eine ganze Weile gekostet, die zu bekommen. Der Verkäufer wollte mich gar nicht wieder gehen lassen.“ Der Fremde kicherte. „Wieso?“ Der Fuchs bereute die Frage sofort. Das Wort war einfach aus ihm heraus gekommen, ohne dass er es wollte. Die anderen mochten es nicht, wenn er sich mit ihnen unterhielt. Wahrscheinlich würde er gleich wieder angeschrien werden… „Wieso? Das könnte daran liegen, dass mein Name überall einen großen Aufruhr verursacht, egal wo ich auftauchte.“ Und wieder ein Lachen. Es war so ungewohnt. Warum wurde er nicht angeschrien? War es das, was man eine ‚normale Unterhaltung’ nannte? Der Fuchs war verwirrt. „Hier.“ Diesmal erschien eine geöffnete Softdrinkdose unter seiner Nase. Erneut griff er sofort danach und trank in großen Schlucken. „Ah, Moment!“ Der Ausruf ließ ihn sofort innehalten. Hatte er etwas Falsches gemacht? Sein Körper versteinerte automatisch. „Ich habe mich dir noch gar nicht vorgestellt, oder? Ah, wofür hab ich bloß meinen gut aussehenden Kopf?“ Er grinste. „Also ich bin…“ „Hallo? Jemand da? Hallo?“ Eine weitere Stimme unterbrach den blauen Igel, der sich gleich nach dem Fremden umsah. Miles hingehen sprang augenblicklich auf und versteckte sich hinter den Rädern des Tornados. Er blickte ängstlich auf die Ankömmlinge, da er die Stimme sofort erkannt hatte. Eine ältere Schildkröte mit einem Gehstock in der Hand führte die Truppe aus ca. 10 Leuten an. Seine Brille schien ihm beinahe von der Nase zu rutschen. Der Fuchs wusste, dass das der Bürgermeister war. Hinter ihm erkannte er die drei Kinder, die ihn vor wenigen Minuten an den Pfahl gebunden hatten, sowie einige hochrangige Bewohner des Dorfes. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und die gerade gegessenen Chilidogs schienen seinen Körper schnell wieder verlassen zu wollen. Doch er kämpfte gegen die Übelkeit an und duckte sich noch tiefer hinter das Flugzeug. Alle Muskeln waren angespannt und bereit zum Fliehen. „Ah, der Herr Bürgermeister. Und ein paar der Freaks, wie ich sehe.“ Die Stimme des Igels war kalt und Miles spürte seinen Blick kurz auf ihm. Bei dem Wort ‚Freak’ zuckte er zusammen. „Sehr geehrter Herr Sonic. Entschuldigen Sie diese Unannehmlichkeit. Das war nur ein dummer Kinderstreich, nichts weiter. Bitte haben Sie keine schlechte Meinung von uns.“ Die Stimme der Schildkröte war weich und übertrieben freundlich. Selbst der kleine Fuchs konnte sagen, dass das größtenteils Theater war. „Ein Kinderstreich? Ist das Ihr ernst? Ein Kind durch die halbe Stadt zu zerren und an einen Pfahl zu binden finden sie witzig? Also da wo ich herkomme nennt man so was ‚krank’.“ Der Igel verschränkte seine Arme vor der Brust und sein kalter Blick verängstigte den Fuchs. Aber nicht nur ihn. Auch in den Augen der Dorfbewohner lag Furcht. Besonders bei den drei Kindern. Er konnte nicht leugnen, dass ihm das gefiel. Es gab also auch Dinge, wovor die Schläger Angst hatten… „Aber nein, so war das nicht, bitte…!“, begann der Bürgermeister erneut, doch der blaue Fremde unterbrach ihn. „Und ob das so war. Ihr quält ein kleines, fünfjähriges Kind! Ihr lasst ihn hungern und im Regen auf dem Waldboden schlafen! Zumindest, wenn ihn nicht gerade wer verprügelt. Ich denke, ich bin gut im Bilde, Herr Bürgermeister.“ Seine Stimme wurde – wenn das überhaupt ging – noch kälter. Miles Herz machte einen großen Satz, als ihm endlich bewusst wurde, was der Igel da tat: er verteidigte ihn! Erst hat er ihn vor den Schlägern gerettet, dann ihm etwas zu essen gegeben und jetzt legte er sich mit dem ganzen Dorf an! Und das nur… für ihn! Plötzlich wurde ihm ganz warm. Ein Gefühl, dass er bisher nicht kannte, machte sich in ihm breit und alle Sorgen schienen plötzlich von ihm abzufallen. „Aber bitte, Herr Sonic! Der kleine Miles ist bei uns gut aufgehoben! Er…!“, begann der Bürgermeister erneut, doch diesmal unterbrach ihn jemand anderes. „Ich heiße nicht Miles! Mein Name ist Tails!“ Vorsichtig trat der kleine Fuchs hinter dem Flugzeug hervor und ging ein paar Schritte auf den Igel zu. Ein aufmunterndes Lächeln lag auf dessen Gesicht und der zweischwänzige Fuchs konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Hey, Buddy!“, grüßte dieser ihn und zu Tails Überraschung legte er einen Arm um seine Schultern und zog ihn näher zu sich heran. Die Dorfbewohner starrten einfach nur geschockt auf die beiden Freunde. „Da, der Freak!“, schimpfte die Schneeleopardin lautstark. „Was macht DER hier?“ „Shhh, Lilly! Sei ruhig!“ Einer der Erwachsenen warf ihr einen strengen Blick zu, worauf sie sich mit einem „Pah!“ abwandte. Tails verkrampfte unter den hasserfüllten Blicken der Anwesenden, doch als die Hand an seiner Schulter ihn näher an den Körper des Igels zog, entspannte er sich sofort wieder. „Mein kleiner Freund ist KEIN Freak, habt ihr das verstanden? Wenn ich noch einmal sehe, dass einer von euch ihn auch nur schief anguckt, dann könnt ihr euch gegenseitig vom Boden aufkratzen, wenn der gute Eggman hier einmal vorbeischauen sollte!“ Ein schiefes Grinsen lag auf seinem Gesicht, doch seine Augen ließen keinen Zweifel daran, dass er seine Worte sehr ernst meinte. Die Dorfbewohner waren zu Eisblöcken erstarrt. „Super.“, lachte er, als er das Schweigen als ein ‚Ja’ betrachtete. „Und wenn ihr uns jetzt bitte alleine lassen würdet… Wir waren gerade beim Essen!“ Noch ehe der blaue Igel ausgeredet hatte, hatten die Dorfbewohner bereits den Rückzug angetreten und innerhalb weniger Sekunden waren nur noch er und der junge Fuchs übrig. „Bist du ok, Kiddo?“ Tails nickte mechanisch, als er begriff, dass er gemeint war. Wie gebannt starrte er auf die Stelle, an der eben noch die Personen gestanden hatten, die er am meisten hasste. Doch ehe er sich rühren konnte, tauchten plötzlich ein paar smaragdgrüne Augen vor ihm auf. Der Fuchs erschrak zunächst, fing sich aber sofort wieder. „Das war echt mutig von dir, dich den Typen entgegen zu stellen. Respekt.“ Der Igel grinste. „Auch wenn ich hier nicht gerade etwas für meinen guten Ruf getan habe.“ Jetzt brach wieder alles auf den jungen Fuchs ein. Dieser Name… Er hatte ihn doch schon einmal gehört… Was hatte der Bürgermeister gesagt? Sonic? „Sonic?“, wiederholte der Fuchs den Namen wie in Trance. Woher kannte er diesen Namen? „Jup. Der einzig Wahre. Freut mich dich kennen zu lernen, Tails.“ Er grinste. „Ich bin Sonic. Sonic the Hedgehog.“ Der Fuchs keuchte, als es endlich zu ihm durchsickerte. Das war Sonic! Der berühmte Blaue Blitz! Derjenige, der sich alleine mit dem gemeinen Doctor Eggman und seinen tödlichen Robotern angelegt hatte! Und er sprach gerade mit IHM! „Hey Tails! Vergiss das Atmen nicht! Du wirst schon so blau wie ich!“ Sonics Worte rissen den Fuchs aus seinen Gedanken und er bemerkte, dass seine Lungen wirklich verzweifelt nach Luft schrien. Schnell atmete er einmal tief durch, ohne den Igel dabei aus den Augen zu lassen. „Ah, so ist es gut. Orange steht dir wirklich besser.“ Seine grünen Augen funkelten vor Freude und Tails konnte nicht anders, als über seinen Witz zu kichern. „Danke, Sonic.“, brachte er dann ganz leise hervor. Seine Wangen glühten. „Nicht dafür, Kumpel.“ Er richtete sich wieder auf. Das Lächeln noch immer im Gesicht. „Aber sag mal… Was mich brennend interessieren würde… Warum hast du entschlossen meinen Spitznamen anzunehmen?“ Tails wandte den Blick ab und richtete ihn auf den Sandboden unter seinen Füßen. Er überlegte, wie er es am besten sagen sollte. „Weil du… mich nicht einen Freak genannt hast.“ Er malte mit seinen nackten Füßen kleine Kreise in den Sand. „Du hast dich nicht über meine zwei Schwänze lustig gemacht.“ Er hörte Sonic kichern. „Nein, natürlich nicht. Ich finde das echt cool. Hat doch nicht jeder so was. Das macht dich einzigartig!“ Tails blickte auf. Er konnte einfach nichts Negatives in Sonics Worten entdecken. Das war noch immer merkwürdig für ihn. Aber dieses Gespräch… Seine Nähe… Das fühlte sich unheimlich gut an. Verlegen blickte er wieder gen Boden. „Dann... würde es nicht stören, wenn ich… dir etwas… zeigen würde?“, stotterte der junge Fuchs und fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Doch er wollte es ihm zeigen. Unbedingt. „Was zeigen? Na, da bin ich aber mal gespannt.“ Wieder konnte er nichts Feindliches in seiner Stimme entdecken. Tails nahm all seinen Mut zusammen. „Moment.“, meinte er und trat einen Schritt in Richtung des Meeres, damit er das Flugzeug nicht versehentlich beschädigte. Angestrengt verkeilte er seine Schwänze ineinander und begann sie so schnell wie möglich zu drehen. Im nächsten Moment verloren seine Füße den Kontakt zum Sandboden und er hob seinen Körper einen guten Meter in die Luft. Erst dann traute er sich, Sonic wieder ins Gesicht zu sehen. Dessen Augen waren weit aufgerissen. Ungläubig starrte er den jungen Fuchs an, welcher von Sekunde zu Sekunde ängstlicher wurde. Hätte er das doch nicht zeigen sollen? Der Mund des Igels klappte mehrmals auf, bevor er tatsächlich einige Worte heraus brachte. „Verdammt, Tails! Du kannst fliegen? Wie cool ist das denn?“ Dann trat etwas anderes in seine Augen: Echte Bewunderung. Der Fuchs lief augenblicklich rot an und landete wieder sicher auf seinen Füßen. „Du… findest nicht, dass ich ein… abnormaler Freak bin?“ Vorsichtig blickte er ihm entgegen, der vehement seinen Kopf schüttelte. „Absolut nicht! Das ist doch so cool! Echt der Wahnsinn!“ Der Igel grinste. „Danke.“ „So, Tails.“, meinte Sonic nach einiger Zeit und lenkte seinen Blick vorbei and dem orangefarbenen Fuchs in den Himmel, der bereits wieder dunkel zu werden schien. „Was hältst du davon, wenn du heute hier bei mir schläfst? Mein Tornado ist nicht der Geräumigste, aber bequemer als der nasse Waldboden ist er allemal.“ Wieder das Lächeln. Tails nickte, ehe er selber begriff, was er da tat. „Super!“ Mit einem Satz sprang der Igel in Richtung des Cockpits und begann darin rumzuwühlen. Der Fuchs verdrehte erneut seine Schwänze und flog ebenfalls zum Cockpit hinauf, um Sonic über die Schultern zu sehen. Dieser war etwas überrascht, als er plötzlich auf der anderen Seite des Flugzeugs auftauchte, lächelte ihm aber gleich entgegen. „Viel Platz ist hier drin nicht, aber das kriegen wir schon hin.“ Sonic grinste, als er in das Cockpit sprang und sich einmal ausstreckte. Dann zog er sich auf die rechte Seite des Sitzes zurück und zog die bereitgelegte Decke über seinen Körper. Tails sah ihm die ganze Zeit nur zu, zu verwirrt, um etwas zu tun. Der Igel bemerkte das Zögern des Kindes und schlang die Decke erneut zurück, um Platz für seinen neuen Freund zu machen. „Hey, Kiddo! Willst du nicht reinkommen?“ Immer noch zögerte er, doch er spürte, wie seine Fassade bröckelte. Der Gedanke neben dem größten Held von Mobius zu schlafen und nicht im Schlamm, übte einen sehr großen Reiz auf ihn aus. Vorsichtig tastete Tails sich an das Flugzeug heran und landete neben dem blauen Igel. Immer darauf bedacht, ihm nicht zu nahe zu kommen. Ohne Sonic aus den Augen zu lassen legte er sich vorsichtig neben ihn und im nächsten Moment spürte er die angenehme Wärme der Decke, die ihn nun bedeckte. Ein wohliger Schauer rann durch seinen Körper und seit langer Zeit fühlte er sich einfach nur wohl. Die Angst, die sein ständiger Begleiter war, schien verschwunden. Beinahe so, als hätte es sie nie gegeben. Augenblicklich übermannte den jungen Fuchs die Müdigkeit und er schaffte es kaum noch die Augen offen zu halten. Er hörte noch, wie Sonic kicherte, bevor sich die Dunkelheit über ihn legte. „Gute Nacht, Buddy.“ Kapitel 3: Teil 3 ----------------- Der Morgen kam schnell und doch fühlte er sich so ausgeruht, wie seit Jahren nicht mehr. Zumindest konnte sich Tails nicht mehr daran erinnern. Er schlug die Augen auf und blickte in das immer noch schlafende Gesicht des berühmten Sonic the Hedgehog. Nie hatte der Fuchs damit gerechnet, einmal dem Helden von Mobius gegenüber zu stehen. Er war der Coolste überhaupt! Doch noch mehr verwirrte ihn, dass er sich mit ihm abgab. Wieso? Wieso war der coolste Held überhaupt so freundlich zu jemanden wie ihm? Einen, den alle nur Freak oder Missgeburt nannten? Und warum legte er sich mit dem ganzen Dorf an, nur um dem kleinen Fuchs zu helfen? Es war ihm ein Rätsel. Eines, das selbst er nicht lösen konnte. Vorsichtig schälte er sich aus der gemütlichen Decke und zitterte sogleich, als die kalte Morgenluft ihn umgab. Vorsichtig kletterte er aus dem Cockpit und landete so leise wie möglich im Sand. Der Morgen war bereits herangebrochen und die Sonne stand schon über dem Horizont. Es müsste sogar schon auf den Mittag zugehen, wenn Tails ihren Stand richtig deutete. So lange hatte er ja noch nie geschlafen! Schnell streckte er seine Knochen, um den Schlaf daraus zu vertreiben. Einige seiner Wunden ziepten unangenehm, doch er hatte schon viel schlimmere Verletzungen. Es ging ihm gut. Besser noch. Er war… glücklich. Sein Blick schweifte durch die Höhle und landete auf einem kleinen, roten Kasten. Sofort war Tails’ Aufmerksamkeit geweckt und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, wie er Sonic helfen konnte! Schnell sprang er zu der Kiste hinüber und zog einige Werkzeuge heraus, die er brauchen könnte. Er umrundete das Flugzeug und suchte nach einer Klappe, die ihn zum Inneren des Motors gelangen ließ. Der Igel meinte, etwas hätte mit der Elektronik nicht gestimmt… Das würde einfach zu beheben sein. Er entdeckte die Luke, schwang sich anhand seiner Schwänze in die Luft, öffnete diese und streckte seinen Kopf rein. Sofort sog er alle Details regelrecht in sich hinein und ein bewundernder Ausdruck huschte über sein Gesicht. Das Flugzeug war beeindruckend! Und doch bemerkte der junge Fuchs sofort die eine oder andere Sache, die es noch zu verbessern gab. Tails machte sich über die Verkabelung der Konsole her und begann, das Flugzeug zu reparieren. Er war völlig in seinem Element und vergaß alles um sich herum. Erst eine Stimme, die ihn so zusammenzucken ließ, dass er sich den Kopf anstieß, brachte ihn zurück in die Realität. „Darf ich fragen, was du da machst, Kiddo?“ Tails’ Körper gefror. Ob er… sauer war? Immerhin war das sein Flugzeug. Hätte er vorher fragen sollen? Würde er ihm jetzt wehtun? „Oh und sorry, dass ich dich erschreckt habe.“ Nun kicherte der Igel wieder, was den Fuchs sofort wieder aus seiner Starre holte. Er war nicht böse? Vorsichtig zog er seinen Kopf aus dem Motorraum und blickte verstohlen hinüber zu Sonic, der hinter ihm auf dem Flügel des Flugzeuges stand. Schnell schloss er die Luke und landete ebenfalls auf dem Flügel. Verlegen senkte er seinen Blick. „Tut mir leid. Ich hätte nicht einfach…“, begann er, doch er brach ab. Ein wenig Angst umklammerte noch immer seine Gedanken. Was, wenn er den Igel falsch eingeschätzt hatte? Die Dorfbewohner haben es gehasst, wenn Tails irgendetwas angefasst hatte. Selbst für das bloße Angucken war er schon verprügelt worden. „Sag nicht, du hast mein Flugzeug repariert?“ Der Fuchs suchte nach der ihm so vertrauten Wut in der Stimme seines Gegenübers, doch zu seiner Überraschung hörte er bloß Ungläubigkeit heraus. Schnell nickte der Orangefarbene. „Der Motor war… falsch verkabelt… und deshalb… ist das Flugzeug abgestürzt.“ Schnell stotterte er diese Worte heraus und verhaspelte sich mehr als einmal. Er wagte es erst dem Igel ins Gesicht zu sehen, als dieser lautstark lachte. „Falsch verkabelt? Na super, ich wusste, ich hätte die Finger davon lassen sollen.“ Er kratze sich verlegen am Kopf. „Von einem Fünfjährigen in Sachen Flugzeugmechanik übertroffen zu werden, lässt mich in keinem guten Licht dastehen.“ Er grinste. „Sag mal, Tails. Woher kennst du dich denn mit Flugzeugen aus?“ Echte Neugier lag in seiner Stimme. Keine Spur von dem üblichen Spott, den er für sein Hobby erntete. „Ich habe mich schon immer für Elektronik interessiert.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, woher ich das kann. Aber die anderen Kinder haben meine Spielzeuge immer kaputt gemacht.“ Seine Stimme war zum Ende hin leiser geworden, als eine große Traurigkeit ihn übermannte. Sein Lieblingsspielzeug – ein kleiner Roboter – hatten Ty und seine Freunde erst vor ein paar Tagen von einer Klippe ins Meer geworfen. Lediglich ein paar Einzelteile hatte er aus dem Meer bergen können. „Hey, hey.“ Eine Hand legte sich auf seine Schultern und als er aufblickte hockte der Igel direkt vor ihm. Seine grünen Augen glänzten. „Das ist wahnsinnig toll, Tails! Wirklich! Lass dir bloß nichts anderes sagen, okay? Dank dir können wir heute endlich von dieser Insel verschwinden!“ Der Igel wandte sich von ihm ab und sprang in sein Cockpit. Tails hörte noch, wie er etwas von „Dann wollen wir mal sehen“ sagte, doch in seinem Kopf herrschte gähnende Leere. Nur diese paar kleinen Worte hallten noch durch seine Gedanken: ‚… von dieser Insel verschwinden’. Sonic würde… gehen? Und Tails würde ihn… nie wieder sehen? Es würde alles wieder so werden wie bisher? Aber… Aber…! Er hatte sich gegen den Bürgermeister aufgelehnt! Gegen seine Peiniger! Was… was würden sie jetzt wohl mit ihm machen? Sie würden ihm wehtun! Sein Körper verkrampfte und sein Atem ging flach. Das Röhren des Motors hinter ihm nahm er kaum wahr. In seiner Brust schmerzte es. Genau wie den Abend, als er Sonic das erste Mal getroffen hatte. Seine Beine gaben unter ihm nach und er spürte, dass er beinahe von dem Tornado gefallen wäre, doch das störte ihn wenig. Wie eine schwere Decke lag etwas auf ihm, was ihn zu erdrücken drohte. Er war dabei das Bewusstsein zu verlieren, das spürte er. Er hatte das schon oft genug erlebt. Die Panik hatte ihn fest im Griff. „Tails! Tails?“ Sein Körper wurde durchgeschüttelt und er spürte etwas, was auf seine Schultern drückte. Die Stimme ließ ihn aufblicken. Zwei smaragdgrüne Augen bohrten sich direkt in seine. Das Glänzen war verschwunden. Stattdessen schienen sie plötzlich hart und unbeweglich. „Tails? Was ist los? Du bist plötzlich so blass! Ist alles in Ordnung? Hey, Kid!“ Der Fuchs versuchte sich wieder zu fangen, doch sein Körper zitterte und machte es ihm unmöglich aufzustehen. „Sie… Sie werden mir wieder… wehtun.“ Seine Stimme war leise und ängstlich. Wenn Sonic weg war, würde es noch viel schlimmer werden. „Tails, Tails, sieh mich an!“ Er konnte nicht. Doch als eine Hand sein Kinn anhob, blieb ihm nichts anderes übrig. „Keiner wird dir mehr wehtun, verstanden? Das lasse ich nicht zu! Du bist doch jetzt mein kleiner Freund, oder?“ Sonic lächelte. „Hör mir zu, Kiddo. Ich lasse dich nicht hier. Wie könnte ich? Ich nehm’ dich mit, wenn ich von hier verschwinde, okay? Wir werden einen anderen Platz für dich finden! Ich wohne gleich neben Station Square. Ich verspreche dir, wir werden einen Platz finden, an dem du dich wohl fühlst!“ Das Zittern stoppte. Seine Gedanken rasten, als er versuchte die Worte des Älteren zu verstehen. Doch obwohl sein Kopf sie sofort verstand, konnte sein Herz es nicht begreifen. „Ich… ich kann hier weg?“ Sein Herz überschlug sich. Tränen wallten in seinen Augen hoch. „Klar, glaub mir, Kleiner! Sonic the Hedgehog erzählt keinen Mist.“ Er nahm seine Hand von dem Kinn des Fuchses und legte sie ihm beruhigend auf den Kopf. „Wir brechen heute Nachmittag auf, okay?“ Er wartete, bis sich das Kind rührte und ihm zunickte. Dann lächelte er wieder. „Wenn du noch etwas hier hast, was du mitnehmen möchtest, solltest du das schnell holen. Ich verschwinde noch mal kurz in das Dorf und hol uns ein paar Chilidogs zum Frühstück, was hältst du davon, Tails?“ Das Nicken wurde energischer. „Ja, Chilidogs!“ Sein Gesicht begann zu strahlen, als er an das leckere Essen von gestern dachte. „Haha! Du hast einen guten Geschmack, Kleiner!“ Sonic grinste und gab ihm ein Daumen-hoch. „Bin sofort wieder da!“, meinte er und sprang von dem Flugzeug. Alles, was dann noch an ihn erinnerte, war eine große Wolke aus Sand. Tails konnte es gar nicht glauben. Er würde diese Insel verlassen! Er würde nie wieder zu den Dorfbewohnern zurück müssen! Sie nie wieder sehen! Das klang wie der Traum, den er jede Nacht hatte, seit er denken konnte. Gab es doch so etwas wie Glück für ihn? Würde er von jetzt an nicht mehr leiden müssen? Konnte er jetzt das Leben leben, was er sich immer gewünscht hatte? Der Held von Mobius, Sonic the Hedgehog, hatte nun auch sein Leben gerettet. Schon wieder. Ein lauter Knall riss den Fuchs aus seinen Gedanken. Eine riesige Staubwolke waberte über den Sandstrand, direkt vor dem Höhleneingang. Angestrengt versuchte der Fuchs die verschwommenen Gestalten auszumachen, die sich darin zu bewegen schienen. Das waren keine der Dorfbewohner… Auch wenn er noch nie welche gesehen hatte, war er sich sicher, dass das… Einer der Schatten schälte sich aus der Staubwolke und Tails stockte der Atem. Eine metallische Stimme zog über die Insel. "Sonic-the–Hedgehog. Priorität 1. Vernichten.“ Schnell verkroch sich der kleine Fuchs im Inneren des Cockpits und sah verstohlen über den Rand des Flugzeuges. Er hoffte, dass die Roboter das Flugzeug nicht entdecken würden… Immer mehr schälten sich aus der Staubwolke: große, rote Roboter, an dessen Armen und Rücken große Raketen befestigt waren, kleinere, lilafarbene Varianten mit rundem Oberkörper und eine Gruppe fliegender Maschinen, die ihn sehr stark an eine Hornisse erinnerten. Es waren gut 20 Stück. Tails Herz schlug schneller. Was sollte er bloß tun? Die Dinger waren hinter Sonic her! Wahrscheinlich würden sie die ganze Insel zerstören! Doch… Sollte ihn das wirklich stören? Bisher hat niemand sich auch nur einen Dreck um ihn gekümmert! Wieso sollte er es also tun? Aber bevor er sich entschließen konnte, was er tun sollte, hörte er die metallische Stimme erneut: „Flugzeug. Identifiziert als Eigentum von Sonic-the-Hedgehog. Zerstören.“ Tails zuckte zusammen. Nein! Das war Sonics Flugzeug! Sie durften es nicht kaputt machen! Bevor er wusste, was er tat, sprang er aus dem Cockpit und stellte sich dem Roboter in den Weg. Er breitete die Arme aus und starrte dem roten Roboter entgegen. „Nein! Du darfst das Flugzeug nicht zerstören!“ Obwohl die Maschine keine Augen hatte, spürte der Fuchs einen eisigen Schauer über seinen Rücken laufen, als sich der Roboter ihm zuwandte. „Bewohner der Insel. Zerstören.“ Er streckte einen Arm aus, sodass die bedrohliche Rakete direkt auf Tails gerichtet war. Sein Körper versteinerte. Er wusste, dass das wehtun würde. Sehr wehtun. Doch seine Beine weigerten sich, sich von der Stelle zu rühren. Er war vor Angst wie gelähmt. Tränen rannen über seine Wangen. Warum? Warum ausgerechnet jetzt? Gerade, als er dachte, einen Freund gefunden zu haben… „Du wirst dieses blöde Ding ja wohl nicht auf meinen kleinen Freund richten, oder?“ Ehe der Roboter reagieren konnte, schoss etwas Blaues durch ihn hindurch und er explodierte in tausend Teile. Der zweischwänzige Fuchs starrte ungläubig auf den brennenden Haufen, der noch von der bedrohlichen Maschine übrig geblieben war. „Tails! Bist du in Ordnung, Buddy?“ Sofort drehte er sich zu Sonics Stimme um. Er stand plötzlich neben ihm, ein vorsichtiges Grinsen auf dem Gesicht. Tails nickte energisch. „Ein Glück.“ Der blaue Igel atmete erleichtert aus, drückte dem Kind eine weiße Plastiktüte in die Hand und beugte sich zu ihm herunter. „Das war wirklich gefährlich! Du hättest ernsthaft verletzt werden können! Mach das nie wieder, okay? Erst Recht nicht, um so etwas Unwichtiges wie mein Flugzeug zu beschützen!“ Tails Augen weiteten sich. Unwichtig? „Aber…!“, begann er, doch Sonic unterbrach ihn. „Nichts aber! Ein Flugzeug kann man wieder zusammensetzen, einen guten Freund hingegen nicht.“ „Ziel identifiziert. Sonic-the-Hedgehog!“ Die Stimme ließ beide herum fahren. Die restlichen Roboter näherten sich der Höhle. Tails umklammerte die Tüte fester. „Bleib hier, Buddy. Ich kümmere mich darum.“ Er lächelte ihm zu und wandte sich in Richtung der Roboter. „Das dauert nicht lange.“ Tails sah zu, wie sich der Igel zusammenrollte und seine Konturen in einem blauen Streifen verschwanden. Sofort stürzte Sonic sich auf die Roboter und brachte einen nach dem anderen zum Explodieren. Bewundernd sah der orangefarbene Fuchs zu, wie der Held scheinbar ohne große Mühe die Anzahl der Roboter rasant verringerte. Das war der Wahnsinn! Doch etwas ließ seinen Atem stocken. Während Sonic sich gerade mit drei der lilafarbenen Robotern anlegte, schien sich eine der Riesenbienen von hinten anzuschleichen. Ein gelber Ball erschien am unteren Ende seines Stachels und war drauf und dran den blauen Igel zu treffen. Umgehend ließ Tails die Tüte fallen und sprintete über den heißen Sand. „Sonic! Hinter dir!“, rief er immer und immer wieder, doch über den Lärm des Kampfes schienen seine Worte nicht zu ihm durchzudringen. Der Bienenroboter schoss seine Energiekugel ab und der Fuchs sah mit Schrecken, dass sie ihn treffen würde. „Nein!“ Er verdrehte seine Schwänze hinter seinem Rücken. Nicht um zu fliegen, sondern um schneller Laufen zu können. „Sonic!“, schrie er erneut und der Igel, der gerade den letzten der lilafarbenen Roboter besiegt hatte, blickte den Fuchs verwundert an. In genau diesem Moment prallten ihre Körper gegeneinander und beide landeten unsanft im Sand. Nur eine Sekunde später detonierte die Energiekugel an genau der Stelle, an der Sonic eben noch gestanden hatte und hinterließ einen Krater im Boden. Tails keuchte, als er sich von Sonics Körper herunterrollte. Er bekam kaum noch Luft. So schnell war er noch nie gerannt! Er hatte es tatsächlich geschafft. „Tails! Alles okay?“ Er nickte zur Antwort; unfähig zu sprechen. Der Igel richtete sich auf und stellte sich sofort vor den noch immer am Boden liegenden Fuchs. „Danke, Buddy.“ Ein Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Kindes, und ein Gefühl der Freude machte sich in ihm breit. Er war stolz, dass der Held von Mobius ihm gedankt hatte. Einige weitere Explosionen folgten, dann war alles still. Tails lag auf dem Rücken und blickte schwer atmend in den hellblauen Himmel. Sein Herz schlug heftig gegen seinen Brustkorb. Eine Folge des Adrenalins, welches sich durch seinen Körper pumpte. Etwas bewegte sich neben ihm und er sah aus den Augenwinkeln, wie sich eine blaue Gestalt neben ihn auf den Boden setze. Zu Tails großer Freude schien er unverletzt zu sein. „Du schaffst es immer wieder mich zu beeindrucken, Buddy. Selbst ich habe dich nicht kommen sehen! Wie konntest du dich so schnell bewegen?“ Tails grinste. Er hatte es geschafft den schnellsten Igel der Welt zu überraschen. „Ich habe… einfach meine Schwänze benutzt. Doch statt zu fliegen… habe ich sie als Propeller benutzt“, erklärte er so gut es ging. Was er genau getan hatte, wusste der Fünfjährige selber nicht genau. „Das ist mehr als cool. Mit der Technik könntest du wahrscheinlich sogar fast mit mir mithalten. Das müssen wir unbedingt mal ausprobieren.“ Sonic grinste und gab ihm einen Daumen-hoch. Der Fuchs grinste ebenfalls und erwiderte die Geste. Erst sein knurrender Magen unterbrach das Gespräch. „Zeit fürs Frühstück!“, sagte der Igel fröhlich, erhob sich aus dem Sand und streckte Tails seine Hand entgegen. Dankend nahm er sie und ließ sich aufhelfen. Auch wenn seine Beine noch etwas wacklig waren, fühlte er sich gut. Es war ein unglaubliches Gefühl, jemandem helfen zu können. Er hätte nie gedacht, wie schön das war… Kapitel 4: Teil 4 ----------------- Schweigend machten sich die beiden über die Chilidogs her. Während Tails zwei verputze, brachte es Sonic auf stolze 5 Stück. „Das war gut!“, grinste der Blaue und hielt sich den vollen Bauch. „Danke, Sonic.“, meinte der Kleine, als er seine Soda ausgetrunken hatte. Das war schon das zweite Mal, dass er sein Essen mit ihm geteilt hatte. „Gern geschehen. Wofür sind Freunde denn da?“ Der Fuchs horchte auf. „Freunde?“ Der Igel grinste. „Beste Freunde!“, meinte er fröhlich, hob seine Hand und wuschelte einmal über den Kopf des Jungen. Dieser kicherte. „Freunde.“, wiederholte er dieses eine Wort erneut, so, als ob er es nur dann richtig fassen könnte. Sein erster Freund! „Na komm, Buddy! Lass uns von hier verschwinden! Ich denke zwar nicht, dass der Eierkopf noch mehr Roboter vorbei schickt, aber ich denke, je schneller wir hier weg kommen, desto besser.“ Tails nickte und beide erhoben sich von dem sandigen Boden. Er folgte dem Igel hinauf ins Cockpit, doch zu seiner Überraschung sprang dieser weiter, bis er auf dem Flügel stand. Ein breites Grinsen im Gesicht. „Hey, Kleiner, sag mal. Wenn du dich so gut mit dem Flugzeug auskennst, dann kannst du es doch bestimmt auch fliegen, oder?“ Der Angesprochene starrte perplex zurück. „Ist das… dein Ernst?“, keuchte er beinahe. Sonic hob seine Hand und gab ihm erneut einen Daumen-Hoch, wobei er verschwörerisch grinste. „Das sollte doch für ein kleines Genie wie dich kein Problem sein! Und bisher hast du mich immer überraschen können!“ Tails Augen glänzten. Seine Angst verschwand. Er war sich tatsächlich sicher, dass er den Tornado fliegen konnte. Das sah nicht so schwer aus. Und wenn Sonic es ihm zutraute, würde er es versuchen! Für ihn würde er alles tun! Mit einer flüssigen Bewegung schwang er sich in das Cockpit, legte seinen Gurt an und nahm den Steuerknüppel in die Hände. Er ließ seinen Blick kurz über das Armaturenbrett schweifen und begriff die Funktion der vielen Schalter und Knöpfe sofort. Er startete den Motor, der daraufhin ein lautes Dröhnen von sich gab. Doch er zögerte. Sonic stand noch immer auf dem rechten Flügel des Flugzeuges, sein Blick nach vorne gerichtet. Freudige Erwartung glänzte in seinen Augen. „Ähm, Sonic? Solltest du nicht lieber mit ins Cockpit kommen?“ Er musste fast schreien, um das Geräusch des Motors zu übertönen. Ein helles Lachen kam als Antwort. „Mach dir keine Sorgen! Mit Geschwindigkeit kenn ich mich aus! Gib alles, Buddy! Ich vertraue dir!“ Tails Herz schwoll bei seinen Worten auf die doppelte Größe an. Der Held von Mobius vertraute ihm! Und er würde ihn nicht enttäuschen! „Also gut!“ Sein Grinsen wurde breiter, als das Flugzeug langsam aus der Höhle rollte. Draußen angekommen wendete er das Gefährt, um genug Startbahn zu haben. Er blickte den langen geraden Strand entlang, bereit es zu versuchen. „Auf geht’s!“, lachte Sonic und Tails trat das Gaspedal durch. Schnell brachte er das Flugzeug in die Luft und es dauerte nicht lange, bis sie etliche Meter über der Insel schwebten. So hoch war er noch nie geflogen! Die Insel… Sie war wunderschön! Und trotzdem… Er würde sie nicht vermissen. Er würde nie wieder zurück kommen. „30° Nordwest!“ Es dauerte einige Sekunden, ehe der Fuchs seine Aufmerksamkeit wieder dem Fliegen zuwandte und Sonics Kommando umsetzte. „Gib Vollgas!“ Tails grinste und tat, wie ihm gesagt wurde. Ein Ruck ging durch den Körper des Igels und für eine Sekunde dachte der Fuchs, er würde runterfallen, doch Sonic fing sich sofort wieder. Mit einem wissenden Ausdruck in seinem Gesicht wandte er sich dem Fuchs zu, welcher bereits grinste. „Du hast nicht zufällig auch noch den Tornado schneller gemacht, oder Tails?“ Dieser kicherte. „Schon möglich, dass ich das eine oder andere Kabel anders angeschlossen habe.“ Er lachte. Es war so einfach, er selbst zu sein, wenn Sonic in der Nähe war. Er fühlte sich regelrecht befreit. „Du bist einfach klasse, Kleiner.“ Der Rest des Fluges verlief ohne weitere Komplikationen und schon bald erreichten sie wieder Festland. Ein großer Wald erstreckte sich vor ihnen, als Sonic seinen Piloten auf ein kleines, freies Feld lenkte. Obwohl sich Tails vor der Landung etwas fürchtete, verlief sie absolut sanft, was ihn sehr stolz auf sich selbst machte. Sonic sprang von seinem Platz auf dem Flügel und wartete auf den jungen Fuchs, der gleich darauf neben ihm landete. „Super Flug, Buddy!“, lachte er und streckte seinem Freund seine Faust entgegen. Diese Geste hatte der Junge bereits bei den anderen Kindern im Dorf beobachtet und er schlug freudig mit seiner Faust gegen Sonics. „Danke!“ „Komm, ich zeig dir, wo ich wohne!“ Tails folgte seinem Freund einige Meter durch den Wald, bis sie vor einer kleinen Hütte anhielten. Sie war nicht groß, aber es sah gemütlich aus. Sonic eilte vor und öffnete die kleine, hölzerne Tür. Bewundernd trat der Fuchs in das kleine Haus hinein. Er folgte dem kurzen Flur, von dem ein Badezimmer, ein Schlafzimmer und die Küche kombiniert mit dem Wohnzimmer ausgingen. Es gefiel ihm. Sehr sogar. „Tja, das ist es wohl.“, meinte der Igel und ließ sich auf die blaue Couch fallen, die gegenüber einem Fernseher stand. „Groß ist es nicht, aber ich bin auch nicht oft hier.“ Er lachte. „Aber ich mag es.“ Ein Schulternzucken. „Ich finde es toll!“, meinte der Fuchs, der sich immer noch ehrfürchtig umsah. Er war schon lange in keinem Haus mehr gewesen! „Hehe, danke!“ Das klang etwas verlegen. Er warf einen Blick durch das Fenster. Der Himmel verdunkelte sich bereits erneut. „So, Kleiner! Dann geht’s jetzt ab ins Bett! Morgen gehen wir dann in die Stadt und suchen dir ein neues Zuhause!“ Das Grinsen auf dem Gesicht des Fuchses verschwand. Eine Eiseskälte breitete sich in seinem Inneren aus, als ihm der Ausmaß dieser Worte bewusst wurde. Bisher hatte er diesen Fakt einfach verdrängt. Und das hatte er jetzt davon, dass er sich Hoffnungen gemacht hatte… Wieso war er so dumm gewesen? Es war doch von vornherein klar gewesen, dass Sonic nichts mit ihm zu tun haben wollte! Er hatte ihn von der Insel geholt und damit war die Sache für ihn erledigt. Morgen würde er wohl in ein Waisenhaus kommen. Abgeschoben, bis an das Ende seines Lebens. Die Beleidigungen der anderen Kinder dröhnten bereits in seinem Kopf. „Tails?“ Der Igel erhob sich vom Sofa und ging auf den Fuchs zu, doch kurz bevor er ihm eine Hand auf die Schultern legen konnte, wich dieser zurück. Sonic stoppte. „Nein, nein! Ich will nicht ins Waisenhaus! Sie werden sich alle über mich lustig machen! Nein.“ Er zuckte weiter zurück. Sein Körper zitterte. Er würde nicht gehen! Nein! „Aber Tails, keiner wird dich ärgern, das verspreche ich dir!“ Sonic rang sichtlich um Worte, als der wütende Blick des Kindes auf ihm lag. „Nein! Ich kann auf mich selbst aufpassen!“, zischte er und wandte sich um. In wenigen Sekunden hatte er das Haus verlassen und lief durch die bereits hereingebrochene Nacht. Er war selber Schuld. Er wusste, dass das so enden würde! Und trotzdem… Es hatte sich gut angefühlt. Zu gut… Kalte Tropfen prasselten auf den Fuchs herab und erst jetzt bemerkte er die graue Wolkenwand, die über ihm schwebte. Schon wieder Regen. Genau wie in dieser schlimmen Nacht vor zwei Tagen. Die letzten Stunden kamen ihm fast wie ein Traum vor. Der schönste Traum seines Lebens, aber nicht real. Plötzlich stieß er mit dem Fuß gegen etwas Hartes und ehe er reagieren konnte, landete er mit seinem Gesicht auf dem kalten Fußboden. Er keuchte, als der Schmerz des Aufpralls durch seinen Körper zog. Erschöpft blieb der Fuchs regungslos am Boden liegen. Er wollte nicht aufstehen. Warum sollte er auch? Hier konnte er genauso gut schlafen. Morgen würde er sich dann umsehen und sich in die hinterste Ecke des Landes verziehen. Dort, wo nie jemand gewesen war. Keiner würde wissen, dass er existierte. Keiner würde ihm wehtun. Er atmete ruhig, trotz des Zitterns seiner Muskeln. Wenigstens war der Regen hier nicht ganz so kalt, wie auf Westside Island. Er war beinahe… angenehm. Es war friedlich hier. So wahnsinnig friedlich. „Es tut mir leid, Tails.“ Der Regen stoppte, zeitgleich mit den Worten. Der Fuchs erkannte die Stimme sofort und zuckte zusammen. Wie hatte er ihn so schnell gefunden? Jetzt würde er ihn bestimmt gleich in der Stadt abgeben. Nein, nein! „So gerne ich es auch würde, ich kann dich nicht bei mir behalten! Es ist viel zu gefährlich! Eggman steht mindestens dreimal die Woche vor meiner Tür. Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“ Tails rührte sich nicht. Er vergrub sein Gesicht zwischen dem Moos und ignorierte den muffigen Gestank. Vielleicht würde der Igel einfach gehen. „Hey, Buddy. Du bist mir wirklich wichtig geworden, verstehst du? Ich bin auch noch ein Kind! Ich kann nicht auf dich aufpassen!“ Der Fuchs bemerkte den klagenden Unterton. Es schien, als ob er dem Igel Schmerzen zufügte. Sein Herz verkrampfte. Er tat ihm weh! „Ich will nicht in die Stadt. Ich habe Angst.“, schluchzte er. Die Panik kehrte zurück. Fraß sich in seinen Kopf. Sie würden ihn auslachen, ärgern, daran bestand kein Zweifel. „Ich weiß, Buddy, ich weiß. Es tut mir so leid.“ Regungslos verharrten die beiden etliche Minuten in derselben Position. Bis auf einen neugierigen Blick, weshalb der Regen aufgehört hatte, auf ihn zu fallen, obwohl er ihn noch hörte, wagte auch er es nicht, sich zu rühren. Die Tropfen, die auf den blauen Regenschirm über ihren Köpfen tropften, waren das einzige hörbare Geräusch. Bis Sonic die Stille durchbrach. „Würdest du gerne bei mir bleiben?“ Tails Atem stockte. Was? „Bitte sei ehrlich. Würdest du gerne mit mir zusammen wohnen? Ich… habe mir schon immer einen… kleinen Bruder gewünscht.“ Mechanisch wandte der Fuchs seinen Kopf in die Richtung des Älteren und sah in seine smaragdgrünen Augen. Er bemerkte den leichten Rotschimmer auf den Wangen des Igels, als er verlegen grinste. „Ich weiß, ich bin erst 10 und ich habe die letzten Jahre ganz alleine gelebt, aber… vielleicht gibt es doch die Chance, dass ich das mit dem Aufpassen ganz gut hinkriegen könnte.“ Tails traute seinen Ohren kaum. Zu unglaublich klang der Vorschlag, der ihm gerade unterbreitet wurde. Und doch schien ihm sein Herz gerade vor Freude aus der Brust zu springen. Mühsam begann sich der Fuchs aufzurappeln, um wenigstens vernünftig zu sitzen, doch ohne Sonics Arm, der seinen packte und ihm aufhalf, hätte er es nicht geschafft. Sein Körper hatte die Konsistenz von Wackelpudding. „Ist… Ist das… dein Ernst?“ Tränen brannten in seinen Augen, als das Glück wie eine Welle auf ihn einbrach. Sonic lächelte. „Aber klar! Du weißt doch, Sonic the Hedgehog erzählt keine Lügen.“ Doch noch ehe der Igel reagieren konnte, prallte plötzlich etwas Schweres gegen seinen Oberkörper, dass ihm beinahe sämtliche Luft aus den Lungen presste. Er brauchte eine Sekunde um zu realisieren, dass da ein kleiner Fuchs um seinen Nacken hing und ihm eine ordentliche Umarmung verpasste. Als der erste Schock von ihm abgefallen war, schlang er seine Arme um den zerbrechlichen Körper seines Freundes und drückte ihn fest an sich. „Danke! Danke, Sonic! Ich… Wollte schon immer einen großen Bruder haben!“, schluchzte das Kind und doch hatte der blaue Igel ihn noch nie so glücklich erlebt. „Für dich würde ich alles machen, lil bro.“, lächelte er und erhob sich von dem kalten Waldboden. Den Fuchs hielt er fest in seinen Armen. „Lass uns nach Hause gehen.“ Und entgegen seiner sonstigen Art hatte der Igel es diesmal nicht eilig. Er hatte in dem Moment alles, was er brauchte. Und er würde dafür sorgen, dass ihm das nie jemand wegnehmen würde. ***** „Sonic, sieh mal!“ Der blaue Igel wandte seinen Blick vom Fernseher ab und beäugte neugierig das blaue Blatt Papier, welches sein kleiner Bruder ihm unter die Nase hielt. Das Lächeln in dessen Gesicht schien es beinahe zu sprengen. Fröhlich tanzten seine blauen Augen und starrten ihn erwartungsvoll an. Sonic ließ seinen Blick über die weißen Linien schweifen, die in beinahe erschreckender Genauigkeit den Grundriss eines zweistöckigen Gebäudes zeigten. Oben in der Ecke thronten die Worte „Tails’ und Sonics Workshop“ in Großbuchstaben, gefolgt von zwei kleinen Zeichnungen, die der Igel als Miniversionen von sich und seinem Freund identifizierte. „Das ist das Wohnzimmer und gleich daran ist die Küche. Ähnlich wie hier in deinem Haus. Der Flur hat eine Treppe, die ins Obergeschoss führt. Dort gibt es zwei Schlafzimmer und ein Bad. Hier rechts“, erklärte der Fuchs weiter und zeigte auf eine kleine Tür auf der rechten Seite des Flures, „ist eine Tür, die zu meiner Werkstatt führt. Da kann ich ganz viele Maschinen erfinden und Platz für den Tornado ist da auch! Was hältst du davon?“ Sprachlos starrte der Igel auf den Grundriss des Hauses. Hatte das wirklich ein fünfjähriges Kind gezeichnet? Er hatte wohl noch immer nicht verstanden, wie genial sein kleiner Freund war… „Ich bin begeistert, lil bro! Das Haus ist der Wahnsinn!“ Der Fuchs kicherte vor Freude. „Und wo willst du damit hin?“ Er erntete ein Schulternzucken. „Weiß ich noch nicht. Ich kenne die Gegend noch nicht so gut. Aber es sollte irgendwo weit oben hin. Dann kann der Tornado besser landen.“ Sonic nickte. Der Kleine hatte echt an alles gedacht. „Ich kenne da einen super Platz, der wird dir gefallen!“ Er grinste. „Soll ich ihn dir zeigen?“ Jetzt hielt den Fuchs nichts mehr. „Ja, ja, ja!“ „Aber nur unter einer Bedingung…“ Der Fuchs sah ihn misstrauisch an. „Der Letzte kümmert sich um den Abwasch!“ Er lachte, als er das entrüstete Gesicht seines Freundes sah. „Das ist unfair!“, protestierte dieser, doch Sonic ließ ihn gar nicht weitermachen. Er schnappte sich den Fuchs und schlang einen Arm um seine Hüften. Wie ein Gepäckstück trug er ihn nach draußen, wo er ihn sofort wieder absetzte. „Auf geht’s!“, lachte der Igel und düste mit einem lauten Knall davon. Er war nicht erstaunt darüber, dass er bald das ihm inzwischen so vertraute Geräusch der zwei Schwänze seines besten Freundes hörte, wie sie die Luft zerschnitten. Das Gefühl, dass den Igel in diesem Moment durchflutete, war unglaublich. Er konnte es gar nicht in Worte fassen, wie viel ihm dieser kleine Fuchs bedeutete. Der Schock, als er ihn das erste Mal gesehen hatte… Das Wissen, was diese Wesen ihm angetan haben mussten. Seine ungläubige Reaktion, als ihm das erste Mal in seinem Leben jemand etwas zu Essen gegeben hatte. All das schmerzte mehr, als es jede seiner Wunden bisher getan hatte. Er verlangsamte seine Schritte und der Fuchs holte schnell auf. Und dort sah er das, was diesen Kampf so wertvoll machte. Das breite Lächeln auf dem Gesicht seines neuen, kleinen Bruders. Das war der Kampf, dem er sich nun widmen würde. Er würde ihn beschützen, auch wenn es ihn sein Leben kosten würde. Er würde dieses Lächeln beschützen und alles dafür tun, dass er glücklich ist. Das war von nun an wichtiger, als alles andere. Er war nun etwas Besseres als ein Held. Er war jetzt ein großer Bruder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)