Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Prolog: Eine Überraschung ------------------------- Das schrille Klingeln des Telefons ließ Sora jäh aus dem Schlaf schrecken. Erschrocken riss sie die Augen auf und war mit einem Schlag wach. Ihr Herz pochte wild gegen ihren Brustkorb, so sehr war sie erschrocken. Stöhnend griff sie schließlich nach dem Hörer. „Hallo?“, krächzte sie. „Sora, ich muss dir was erzählen!“, rief eine aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mimi? Bist du das?“, fragte Sora müde und ließ sich zurück in die Kissen sinken. „Ja, wer denn sonst? Stör ich dich gerade?“ Sora war einige Sekunden sprachlos. „Ob du mich störst? Es ist mitten in der Nacht!“ „Also nicht.“ Mimi kicherte und Sora verdrehte die Augen. „Nein, tut mir Leid, es ist nur so wichtig, dass ich nicht warten konnte. Außerdem hab ich gerade nicht damit gerechnet, dass es bei euch nachts ist.“ Sora warf einen Blick auf die leuchtende Digitalanzeige ihres Weckers, die drei Uhr einundzwanzig anzeigte. „Wann lernst du das mit dem Zeitunterschied endlich?“, murmelte Sora gähnend. „Das ist ja das Schöne, ich brauche es nicht mehr lernen. Ich komme zu euch!“, verkündete Mimi und Sora konnte ihr Strahlen förmlich hören. „Was?“, rief sie aufgeregt. „Ehrlich? Wann?“ „Zum nächsten Schuljahr!“, antwortete Mimi begeistert. „Ich komme zu euch in die zweite Klasse der Oberschule!“ Dann kam sie genau genommen nicht zu Sora, sondern zu Izzy in die Klassenstufe, aber Sora beschloss, das einfach unerwähnt zu lassen. „Ist ja toll! Wie kommt das denn?“, fragte Sora überrascht und begeistert zugleich. „Mein Vater muss von der Arbeit her ein Jahr nach Japan, weil seine Firma doch auch einen Sitz dort hat. Und da hat er natürlich alles daran gesetzt, nach Tokio zu kommen und es hat geklappt!“, erzählte Mimi atemlos. „Ist ja super! Was für ein Zufall, dass du auf unsere Schule kommst“, sagte Sora. „Ja, also das steht noch nicht ganz fest, aber ich bettel einfach ein bisschen und dann kriegen wir schon die Wohnung in der Nähe eurer Schule“, erwiderte Mimi kichernd. Sora schüttelte lachend den Kopf. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass ihre Freundin das tatsächlich hinbekommen würde. Immerhin war sie für ihre Eltern die Prinzessin und die würden alles tun, um sie glücklich zu machen. _ Eigentlich wurde Kari wieder wach, weil sie Durst hatte, doch nachdem sie einen Schluck aus der Wasserflasche neben ihrem Bett getrunken hatte, hielt sie etwas ganz anderes davon ab, wieder einzuschlafen. Hörte sie da nicht ein Schluchzen? Unschlüssig stand sie auf und ging zu ihrer Zimmertür, um zu lauschen. Ja, eindeutig, ihre Mutter schluchzte. So leise wie sie konnte, öffnete sie die Tür und schlich in die offene Küche, wo sie ihre Mutter am Esstisch sitzend vorfand. Sie hatte den Kopf auf die Arme gelegt, die wiederum auf dem Esstisch lagen und ihre Schultern zitterten. Vor sich hatte sie eine Packung Taschentücher liegen. Kari bekam plötzlich Herzrasen. War etwas Schlimmes passiert? Eine Mutter durfte doch nicht weinen. Sie war doch immer die Starke gewesen, die Kari getröstet hatte, wenn sie traurig war. Wie versteinert stand Kari wenige Meter vom Tisch entfernt und starrte entsetzt ihre Mutter an. Schließlich bewegte sie sich wie in Zeitlupe auf sie zu und setzte sich leise auf den Stuhl ihr gegenüber. Yuuko hob den Kopf, als sie den Stuhl über den Boden scharren hörte. Das Gesicht, von dem alle sagten, sie hätte es an Kari weitergegeben, war rot gefleckt, die Augen geschwollen, die Wangen nass. Eilig nahm Yuuko sich ein Taschentuch und tupfte sich die Augen ab. „Wa-was ist denn?“, brachte Kari schließlich mit brüchiger Stimme hervor. Wo war denn ihr Vater? Hatte er nicht mitbekommen, dass es ihrer Mutter schlecht ging? „Nichts, nichts“, antwortete Yuuko hastig mit belegter Stimme und verbarg das Gesicht hinter einer Hand. „Geh lieber wieder schlafen, du musst doch morgen wieder in die Schule.“ „Mama, warum weinst du?“, fragte Kari verzweifelt, ohne auf sie einzugehen. Sie war selbst schon den Tränen nahe. Yuuko stand wackelig auf und nahm die Taschentücherpackung. „Kari, bitte. Es ist alles okay. Geh wieder schlafen.“ Sie lächelte ein sehr gezwungen aussehendes Lächeln und ging an Kari vorbei ins Badezimmer. Kari starrte eine Weile die geschlossene Badezimmertür an und stand auf, um in ihr Zimmer zurückzugehen. Ihr großer Bruder stand im Türrahmen seines eigenen Zimmers und Kari erschrak kurz, als sie ihn in der Dunkelheit ausmachen konnte. „Hat sie schon wieder geweint?“, fragte er leise. „Schon wieder?“ Irritiert sah Kari ihn an. „Hab sie letztens schon mal erwischt“, antwortete Tai nüchtern, als hätte er ihre Mutter beim heimlichen Rauchen gesehen. „Ich glaube, sie streiten sich oft in letzter Zeit.“ „Mama und Papa?“, fragte Kari verwirrt. Tai nickte nur, wünschte seiner Schwester eine gute Nacht und ging wieder in sein Zimmer. Auch Kari kroch wieder in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Ihre Eltern stritten sich oft? Weshalb hatte sie davon noch nichts mitbekommen? _ Es klingelte endlich zur Pause und nachdem Izzy seine Mitschriften beendet hatte, verließ er den Raum und ging auf den Pausenhof. Eigentlich hatte er vorgehabt, die Pause mit ein paar Jungen aus seinem Jahrgang zu verbringen, doch jemand machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Tai, Matt und Sora, das unzertrennliche Trio, kamen auf ihn zu, was Izzy wunderte, verbrachten sie doch sonst nie die Pause mit ihm. Fragend sah er sie an. „Kommst du kurz mit, T.K. und Kari suchen? Ich muss euch was erzählen“, sagte Sora und lächelte. Izzy zog die Augenbrauen hoch und sah Tai an, der nur mit den Schultern zuckte. Schließlich nickte er und ging mit den drei Freunden auf die Suche nach den Jüngeren. Die Mittelschule von T.K. und den anderen und Izzys Oberschule teilten sich ein Schulgelände, weshalb sich die Freunde jeden Tag in der Schule sahen, was manchmal praktisch, aber auch anstrengend sein konnte. Zu viert machten sie sich auf den Weg zu der Band, an der T.K. und Kari meistens die Pause verbrachten und fanden sie dort gemeinsam mit Yolei und ein paar anderen. Die drei sahen sie fragend an, als sie ihre Freunde kommen sahen. „Was gibt es?“, fragte Yolei. „Ich muss euch was erzählen. Habt ihr kurz Zeit?“, fragte Sora nun auch sie. Die drei Jüngeren sahen sich kurz an, nickten und folgten den vier Älteren einige Meter weg von der Gruppe. Izzy war wirklich gespannt, was nun folgen würde. Er beobachtete, wie Sora sich durch das rote Haar fuhr und sich räusperte. „Also, es gibt eine Überraschung. Mimi kommt nämlich nächstes Schuljahr hierher“, erklärte sie. „Was? Wirklich?“ Yoleis Augen leuchteten und Izzy musste sich ein Grinsen verkneifen. Alle anderen machten verdutzte Gesichter. Er selbst wusste es schon, da Mimi es ihm in einer E-Mail mitgeteilt hatte. Seit Jahren schrieben sie sich gegenseitig regelmäßig Mails und vor wenigen Tagen hatte ihn eine Mail von ihr erreicht, in der sie ihm diese Neuigkeit mitgeteilt hatte. „Das ist ja mal was“, sagte T.K. und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hat sie keine Lust mehr auf Amerika?“ „Ist ja toll, wie lang wird sie bleiben?“, fragte Kari. „Wie kommt das denn?“, fragte Tai. Sora erklärte ihnen alles, was sie wissen wollten, und machte dann ein verlegenes Gesicht. „Ich hab mir überlegt“, begann sie, „dass wir ja vielleicht eine Willkommensparty für sie schmeißen könnten. Also da sollte die ganze alte Truppe zusammengetrommelt werden und vielleicht noch ein paar aus der Schule, die sie kennt. Wärt ihr dabei?“ Izzy sah in die Runde und auch die anderen warfen sich gegenseitig Blicke zu. Schließlich stimmten alle mit einem Schulterzucken und Kopfnicken zu. „Klar, warum nicht?“, meinte Tai grinsend. „Dann sehen wir uns endlich mal alle wieder. Ist doch super.“ „Ich bin auch dafür“, sagte T.K. und Izzy entging der Blick nicht, den er Kari zuwarf. _ Erschöpft stöhnend lehnte Joe sich in seinem Stuhl zurück und gönnte sich eine kurze Pause von seinen Aufzeichnungen. Seit drei Stunden durchgängig lernte er nun schon wieder für die Aufnahmeprüfung. Aber er musste einfach auf diese verdammte Universität. Er musste! Aber er hatte keine Ahnung, was sie alles verlangen würden. Was passieren mochte, wenn er die Aufnahmeprüfung nicht bestand, mochte er sich gar nicht erst vorstellen. Als er sich gerade wieder seinen Unterlagen widmen wollte, fiel ihm auf dem Bildschirm seines Computers ein blinkendes Symbol auf. Er hatte eine E-Mail bekommen. Kurz überlegte er, ob er sie einfach ignorieren und weiterlernen sollte, doch wahrscheinlich war es eh nur Werbung und das ständige Blinken würde ihn nur ablenken. Also rückte er seine Brille zurecht und klickte mit der Maus auf das Symbol. Die Mail war von niemandem, der ihm Viagra verkaufen wollte, sondern von Izzy. Er legte den Kopf schief und musterte den Betreff, hatte er doch schon ewig nichts mehr von Izzy oder einem der anderen gehört. Hey Joe, wie geht es dir so? Bist du gerade dabei, dich an Unis zu bewerben? Ich schreibe dir, weil ich dir etwas mitteilen will. Mimi zieht anscheinend für ein Jahr nach Tokio und wird an meine Schule gehen. Sora hat vorgeschlagen, dass wir eine Willkommensparty für sie geben könnten, dann sehen wir uns endlich mal alle wieder. Ein Termin steht noch nicht fest, aber es soll eine Überraschung werden. Was hältst du davon? Wenn du Lust hast zu kommen, würde ich dich auf dem Laufenden halten. Viele Grüße Izzy Verblüfft las Joe sich die Mail noch ein zweites Mal durch, ehe er auf „Antworten“ klickte. _ Müde hatte Davis den Kopf auf die Hand gestützt und starrte den Hinterkopf des Mädchens vor sich an. Ihr walnussfarbenes Haar glänzte in der Sonne, die zum Fenster an der rechten Wand des Klassenzimmers herein schien und noch weniger Lust auf Unterricht machte. Plötzlich drehte Kari sich um und richtete ihre dunklen Augen direkt auf seine. Auf ihren Lippen lag ein schiefes Lächeln. „Wo warst du eigentlich schon wieder in der Pause?“ Verwirrt erwiderte er ihren Blick. „Na Fußball spielen, wo sonst?“ „Entschuldige, ich dachte, du hast auch irgendwann mal was anderes im Kopf“, entgegnete das Mädchen und lachte leicht. Bei diesem Klang wurde Davis wie immer warm ums Herz und er wollte sie am liebsten die ganze Zeit lachen hören. Eigentlich wusste sie doch, was er sonst noch im Kopf hatte außer Fußball... „Du hättest mich ja besuchen kommen können“, sagte er und versuchte, sie lässig anzulächeln. Sie lächelte zurück und warf mit einer Kopfbewegung ihr schulterlanges Haar nach hinten, wobei es einen blumigen Duft verströmte, der Davis verrückt machte. „Wir haben in der Pause mit Tai und den anderen gesprochen“, erzählte sie und neigte den Kopf in Richtung T.K., der einige Plätze von ihnen entfernt saß. „Mimi kommt ein Jahr nach Tokio und geht hier zur Schule. Wir wollen eine Willkommensparty veranstalten. Du bist doch auch dabei, oder?“ Anfangs war Davis verärgert über das „wir“, mit dem sie T.K. und sich selbst meinte, doch der Ärger wich Verblüffung, als sie weitersprach. „Mimi kommt? Ist ja cool.“ Er hatte zwar seit Ewigkeiten überhaupt keinen Kontakt mehr zu dem verrückten Mädchen mit den damals pinken Haaren, doch er hatte sie eigentlich immer gemocht. „Klar bin ich dabei. Wann soll die Party denn steigen?“ „Wissen wir auch noch nicht“, antwortete Kari schulterzuckend. „Sobald sie eben hier ankommt.“ „Und wann wird das sein?“, fragte Davis weiter. „Irgendwann im März“, antwortete Kari, was im Läuten der Schulglocke, das den Unterrichtsbeginn ankündigte, fast unterging. „Sag Ken Bescheid, ja?“, fügte sie noch hinzu, ehe sie sich wieder umdrehte. Kapitel 1: Einblicke -------------------- Erschöpft stand Matt vor dem Club und zog an seiner Zigarette. Das Konzert war zu seiner Begeisterung sehr gut verlaufen, doch nach zwei Stunden nahezu pausenlosem Singen und Anheizen der Menge fühlte er sich jedes Mal, als wäre er einen Marathon gelaufen. Die gewohnte Zigarette hinterher half ihm, ein wenig abzuschalten und wieder runter zu kommen. Nun standen ihm noch ein paar Stunden im Club bevor, bevor er sich irgendwann zwischen zwei und vier Uhr nachts völlig ausgelaugt in sein Hotelbett fallen lassen würde. Er drückte die Zigarette aus und warf den Stummel in den Mülleimer, neben dem er stand. Anschließend ging er in den Club, in dem er mit seiner Band aufgetreten war. Die Musik kam nun von einer Anlage und war gerade noch erträglich laut, sodass man sich noch einigermaßen unterhalten konnte. „Hey, Matty!“, grölte Shin, der Schlagzeuger, als er an der Bar vorbeikam, legte einen Arm um ihn und zog ihn unsanft neben sich. „Noch ein Bier für unseren Lieblingssänger“, fügte er grinsend an den Barkeeper gewandt hinzu. Kurz darauf wurde eine Flasche Bier vor Matt abgestellt, die er dankbar entgegennahm und einen Schluck trank. Die kühle Flüssigkeit tat unglaublich gut. „Hast du gemerkt, wie bei uns der Raum proppenvoll war und alle abgingen? Dagegen war die komische Band davor ein Scheiß. Wie hießen die noch mal?“, fragte Shin und nippte ebenfalls an seinem Bier. „Keine Ahnung“, antwortete Matt schulterzuckend. „Ist mir auch egal.“ Auch ihm war nicht entgangen, dass seine Band wesentlich mehr Zuwendung erhalten hatte, was ihn hämisch lächeln ließ. Er ließ den Blick durch die plaudernden, tanzenden, lachenden jungen Menschen schweifen, die sich ihre Zeit in diesem Club vertrieben. Dabei entdeckte er ein hübsches Mädchen mit schwarzem Haar und leuchtenden Augen. Sie war schlank, aber ziemlich klein. Matt stellte entschlossen seine Bierflasche ab und ging auf sie zu. „Hey, hab ich dich nicht schon von der Bühne aus gesehen?“, sprach er sie an und lächelte. Überrascht drehte sich das Mädchen zu ihm und starrte ihn mit großen Augen an. Auch ihre Freundinnen betrachteten ihn eingehend. „Du hast mich gesehen?“, fragte sie und wirkte immer noch überrascht. „Klar, du bist mir aufgefallen“, antwortete er. Sie fuhr sich mit einer zittrigen Hand durch die langen Haare und schien nicht zu wissen, was sie erwidern sollte. Ist die aber schüchtern, dachte Matt. „Ich bin... ich... warum?“, stotterte sie und auf ihren Lippen lag ein glückliches Lächeln. Matt zuckte lässig mit den Schultern. „Hübsche Gesichter kann ich mir gut merken.“ Ihre Wangen bekamen einen rosa Schimmer. Matt kämpfte gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen. „Wie heißt du denn?“, fragte er schließlich. „Ai“, antwortete sie zurückhaltend, sah ihm aber unablässig in die Augen. „Ich bin Matt. Willst du was mit mir trinken, Ai?“ Sie nickte strahlend, wobei sie eine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen entblößte. _ Es war nicht einfach, in einem Liebesdreieck festzustecken. Jedenfalls befürchtete Tai, dass er in einem steckte. Sora war seine beste Freundin und Matt sein bester Freund. Die drei hingen immer zusammen herum. Das hieß, oftmals waren Tai und Sora auch nur zu zweit, weil Matt häufig mit seiner Band unterwegs war. Aber er war sich mittlerweile sicher, dass er sich ernsthaft in den Sportfreak mit den roten Haaren verliebt hatte. Und das schon seit Monaten, wenn nicht gar Jahren. „Willst du nun was trinken oder nicht?“ Sora stand schon seit einigen Sekunden mit Stift und Zettelblock bewaffnet neben ihm und wartete auf seine Bestellung. „Einen Kaffee, bitte“, sagte er. „Okay, kommt gleich“, antwortete Sora lächelnd und ging hinter die Theke. Tai saß auf seinem Lieblingsplatz an einem Zweiertisch am Fenster in dem Café, wo Sora immer dann aushalf, wenn sie gerade nicht mit Schule oder Sport beschäftigt war. Tai stützte den Kopf auf einer Hand ab, blickte aus dem Fenster und beobachtete die Leute, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Seine Gedanken schwirrten darum, ob er Sora irgendwie klar machen sollte, was er für sie empfand, oder lieber doch nicht. Wie so oft in letzter Zeit. Seine Befürchtung war, dass auch Matt in sie verliebt war, obwohl er keinerlei Anzeichen dafür zeigte, doch er verbrachte so viel Zeit mit ihr und die beiden verstanden sich so gut. Da war es doch denkbar, dass es ihm wie Tai erging. Tai seufzte tief und rieb sich mit einer Hand über die Stirn. „Alles in Ordnung?“, fragte Sora, die soeben eine Tasse Kaffee vor ihm abgestellt hatte und ihn nun musterte. „Hm? Ja, klar“, antwortete Tai hastig. „Wenn du willst, kannst du dich gern mit her setzen.“ Sora ließ den Blick durch das Café gleiten, in dem um diese Uhrzeit kaum noch jemand war, und nahm schließlich auf dem Stuhl Tai gegenüber Platz. „Ein paar Minuten können ja nicht schaden“, stellte sie fest. „Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht für den Test morgen lernen?“ Tai nippte an seinem Kaffee und zog die Augenbrauen hoch. „Lernen ist was für Loser“, antwortete er abwinkend. „Oder für Leute, die etwas mit ihrem Leben anfangen wollen“, entgegnete Sora und warf ihm einen strengen Blick zu. Tai grinste. „Ich wusste gar nicht, dass meine Zukunft von dem Mathetest morgen abhängt. Das hätte der Saito vielleicht mal erwähnen sollen.“ „Du bist blöd. Du weißt genau, was ich meine“, erwiderte Sora, musste aber lächeln. „Ja, schon gut. Ich komm schon klar“, sagte Tai lässig. „Und was ist mit dir? Schließlich bist du auch noch hier.“ „Ich brauche eben das Geld“, seufzte Sora und zuckte die Schulten. „Aber in einer Stunde kann ich nach Hause.“ „Dann warte ich noch so lange hier, dann musst du nicht allein gehen“, beschloss Tai und lächelte sie an. _ Gerade als Ken die Wohnungstür aufgeschlossen hatte und noch nicht ganz in der Wohnung stand, kam seine Mutter ihm bereits mit einem Telefonhörer entgegen. „Du hast einen Anruf. Davis ist dran“, begrüßte sie ihn und reichte ihm den Hörer. „Danke“, antwortete Ken und hielt sich den Hörer ans Ohr. „Hallo?“ „Hallo, Ken!“, rief Davis von der anderen Seite, sodass Ken den Hörer einige Zentimeter von seinem Ohr nahm. „Hey, wir haben uns lange nicht mehr gesehen“, antwortete Ken und erst während er das sagte, wurde ihm klar, dass es stimmte. Zwar hatte er Kontakt zu Davis, doch das war auch der Einzige der alten Truppe. Er ging auf eine andere Schule und hatte andere Freunde, genau wie Davis und die anderen. Er selbst meldete sich auch so gut wie nie von allein bei Davis. „Ja, leider. Ich würde dich gern mal wieder treffen“, erwiderte Davis. „Du kannst jederzeit vorbeikommen, wenn du willst“, bot Ken ihm an und zog sich nebenbei die Schuhe aus. „Aber du bist doch eh immer so beschäftigt“, sagte Davis und ein leicht vorwurfsvoller Unterton lag in seiner Stimme. „Da hast du nicht ganz Unrecht“, gestand Ken ein wenig traurig. „Wie auch immer. Ich rufe dich eigentlich wegen etwas Anderem an“, wechselte Davis hastig das Thema. „Mimi wird aus den USA zu Besuch kommen und auf meine Schule gehen. Wir wollen eine Willkommensparty schmeißen und dich natürlich auch einladen.“ Ken zog überrascht die Augenbrauen hoch, was Davis natürlich nicht sehen konnte. „Ihr wollt mich einladen?“, fragte er verdattert. „Na klar, du gehörst doch dazu!“, meinte Davis entschlossen. „Ich weiß aber noch nicht, wann die Party stattfinden soll. Irgendwann im März.“ Ken überlegte, ob er Lust hatte, hinzugehen. Er war sich sehr unschlüssig und konnte gar nicht sagen, wie lange es her war, dass er die anderen gesehen hatte. Die Älteren hatte er zuletzt wahrscheinlich vor zwei Jahren gesehen. Oder war das sogar noch länger her? Wollten sie ihn alle überhaupt wiedersehen? Würde das nicht irgendwie seltsam werden? „Ken? Bist du noch dran?“, meldete Davis sich nun am anderen Ende. „Ja“, antwortete der Angesprochene langsam. „Was ist? Hast du Lust?“ _ Matt erwachte ziemlich früh am Morgen, wie jedes Mal. Er war einfach kein Langschläfer, schon gar nicht nach einer Partynacht. Er setzte sich auf und betrachtete das Mädchen neben ihm, das noch schlief. Wie hieß sie noch mal? Irgendwas mit A... Er zuckte mit den Schultern und stand leise auf. Schnell zog er seine Sachen vom Abend an, die noch auf dem Boden lagen, ordnete seine Haare vor dem kleinen Spiegel an der Wand und wollte schon das Zimmer verlassen, als das Mädchen ihn ansprach. „Was machst du denn da?“, fragte sie verschlafen. Er drehte sich zu ihr um. Sie hatte sich aufgesetzt und sah ihn mit dem gleichen Blick an wie all die anderen. Ihre Stirn war in Falten gelegt, ihre Augen drückten irgendwie Unbehagen und Verlegenheit aus. „Ich hab gleich noch einen Termin. Schlaf ruhig aus“, antwortete Matt und legte die Hand schon auf die Türklinke, doch sie hielt ihn wieder auf. „Kommst du danach wieder?“ Nein. „Also, ich weiß nicht, wie lang das dauert. Kann gut sein, dass ich da bis Nachmittag festsitze“, antwortete er und kratzte sich am Hinterkopf, wobei er eine bedauernde Miene aufsetzte. „Okay“, erwiderte die Bekanntschaft ein wenig deprimiert und senkte den Blick. „Kann ich dich anrufen?“ Nein. „Weißt du was? Ich ruf dich an, sobald ich fertig bin, ja? Gibst du mir deine Nummer?“ Nun sah sie ihn wieder an und ihre Augen leuchteten hoffnungsvoll. Sie schnappte sich einen Zettelblock und einen Kugelschreiber von ihrem Nachttisch, schrieb ein paar Ziffern darauf und gab Matt den Zettel. „Danke. Na dann bis später“, sagte Matt lächelnd, ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Bevor er das Hotel verließ, warf er den Zettel in den nächstbesten Mülleimer. _ „Bin zu Hause, Mama!“, rief T.K. und schloss die Wohnungstür hinter sich. „Kari ist auch da.“ Natsuko steckte den Kopf aus der Küche. „Hallo, ihr beiden“, grüßte sie lächelnd. „Wollt ihr was essen? Hab gerade gekocht.“ „Nein, danke, aber nachher vielleicht. Oder hast du Hunger?“ T.K. sah seine beste Freundin fragend an. „Danke“, antwortete Kari kopfschüttelnd. Natsuko zuckte mit den Schultern und verschwand wieder in der Küche, während T.K. mit Kari im Schlepptau in sein Zimmer ging. Dort angekommen setzten sie sich auf zwei Stühle an seinem Schreibtisch vor den Computer. „Eigentlich würde ich viel lieber was anderes machen als diesen bescheuerten Vortrag“, sagte Kari, während der Computer hoch fuhr, und streckte sich. „Was denn?“, fragte T.K. und grinste sie an. Kari runzelte die Stirn und boxte ihn leicht in die Seite. „Eis essen zum Beispiel. Oder mich draußen in die Sonne legen. Alles außer Schule eben.“ Sie zog die Beine an den Oberkörper und legte den Kopf auf die Knie. „Dann lass ihn uns morgen oder so machen“, schlug T.K. vor und zuckte mit den Schultern. Auch ihm war nicht nach Schule bei Sonnenschein. „Morgen oder so? Wir müssen ihn übermorgen fertig haben“, lachte Kari. „Ja, dann machen wir ihn morgen. Da haben wir bestimmt sowieso schlechtes Wetter“, bestimmte T.K. und stand auf. „Ich sollte mir vielleicht lieber einen anderen Vortragspartner suchen“, stellte Kari fest und zog die Augenbrauen hoch. „Was? Na hör mal! Das war doch deine Idee. Außerdem, wen willst du denn sonst?“ T.K. verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie gespielt gekränkt. „Hm“, Kari machte ein nachdenkliches Gesicht, „vielleicht Davis.“ Sie lächelte herausfordernd. „Tz“, machte T.K. nur. „Du meinst also, mit dem kommst du besser voran?“ „Wahrscheinlich schon“, meinte Kari nur und stand nun ebenfalls auf. „Lass uns raus gehen, bevor die Sonne weg ist.“ Sie griff sein Handgelenk und zerrte ihn hinter sich her aus seinem Zimmer. T.K. war das nur recht. Der Vortrag konnte auch warten. Kapitel 2: Vorbereitungen ------------------------- Endlich klingelte es zur Pause und Yolei stürmte eilig aus dem Raum, den Gang entlang, die Treppe hinunter und in die Mensa. Sie hatte einen Bärenhunger und das Gefühl, wenn sie nicht sofort etwas zwischen die Zähne bekommen würde, müsste sie sterben. Sie war einer der ersten in der Schlange und ließ sich so viel Essen auf den Teller laden, wie nur möglich war. Bei der Tischwahl hatte sie die freie Auswahl und setzte sich an ihren Lieblingstisch nahe der Fenster und begann zu essen. Nur wenige Minuten später kam Sora dazu und fragte, ob sie sich zu ihr setzen dürfte. Auch Tai und Matt folgten ihr. „Sag mal, hast du vielleicht Zeit, mir bei der Raumgestaltung für die Party zu helfen?“, fragte Sora an Yolei gewandt und ließ ihre Gabel sinken. Yolei schluckte den Bissen hinunter, den sie noch im Mund hatte, und überlegte. „Wann soll die Party denn sein?“ „Mimi kommt Samstag Mittag hier an und abends wollen wir die Party geben“, antwortete sie und lächelte Yolei fast schon flehend an. Diese dachte kurz nach. Samstag musste sie meistens in dem Laden ihrer Eltern aushelfen, da dort tagsüber immer besonders viel los war. „Ich weiß noch nicht genau. Ich muss meine Eltern fragen, ob sie mich brauchen“, antwortete sie und sah schuldbewusst drein. „Wo feiern wir denn eigentlich?“ „Naja, das Café, in dem ich arbeite, hat doch so einen Saal für Feiern. Den kann ich kostenlos mieten. Ich brauche noch ein paar Leute, die mir bei den Vorbereitungen helfen“, erklärte Sora und Yoleis schlechtes Gewissen wurde noch größer. Sora kümmerte sich nahezu allein um alles. Sie würde lieber alles versuchen, frei zu bekommen, um wenigstens ein bisschen zu helfen. „Ich werde mal bei meinen Geschwistern betteln, ob sie vielleicht an meiner Stelle aushelfen können“, sagte Yolei. „Hast du denn sonst noch jemanden, der hilft?“ „Tai will versuchen zu kommen“, antwortete Sora und warf dem Jungen neben sich einen Blick zu. „Außerdem hat Kari schon zugesagt und Izzy weiß es noch nicht.“ „Was ist mit Joe?“, fragte Yolei. Sora sah nun beide Jungen unsicher an. „Keine Ahnung, ich hab schon lange nichts mehr mit ihm zu tun gehabt.“ „Du solltest ihn einfach mal fragen“, schlug Matt vor und nun sahen alle ihn an. „Ich habe letztens ein paar E-Mails mit ihm geschrieben und ich glaube, er findet es schade, dass er nicht mehr so viel von uns hört. Er würde bestimmt gerne helfen kommen.“ „Ich kann auch noch Cody fragen“, bot Yolei an, die den Jüngsten der Gruppe fast schon vergessen hatte. „Der hat bestimmt Zeit. Wollen wir Freitag schon den Raum schmücken?“ „Ja, ich glaube, er ist für Freitag nicht gemietet. Das müsste gehen“, sagte Sora und nickte. _ Joe suchte den Weg von der U-Bahn-Station zu dem Café, in dem Sora arbeitete. Er war noch nie dort gewesen, obwohl sie dort seit einem Jahr jobbte. Er bog rechts ab und erblickte das Café direkt an einer Straßenecke. „Nami's Café“ stand in großen geschwungenen Buchstaben über dem Eingang geschrieben. Joe ging durch die Tür und augenblicklich strömte ihm ein angenehmer Duft von Kaffee und Gebäck entgegen. Innen war es durch viele große Fenster sehr hell. Die Tische waren größtenteils klein und rund, die Sitzflächen bestanden aus bequem aussehenden gepolsterten Bänken und Stühlen. Auf jedem Tisch standen zudem eine Kerze und eine dünne Vase mit einer frischen Blume darin. Joe sah sich um, konnte Sora oder sonst irgendjemanden, den er kannte, aber nicht entdecken. Er ging vor an die Theke. Dort stand eine Frau – vielleicht Ende zwanzig – mit dunklen Haaren, die gerade Gläser und Teller abspülte. Als Joe sich näherte, sah sie auf und lächelte ihn strahlend an. „Hallo, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie. Ihre Stimme klang warm und melodisch. An ihrer Brust war ein Namenskärtchen befestigt, der Joe verriet, dass er es mit Nami Tsukoyomi zu tun hatte. Das war wahrscheinlich die Besitzerin. „Ich suche Sora Takenouchi. Sie arbeitet doch hier, oder?“, fragte Joe und sah sich erneut um. „Dann sind Sie bestimmt ein Helfer für ihre Party“, mutmaßte Nami und kam hinter der Theke hervor. Sie bedeutete Joe ihm zu folgen und plauderte munter weiter. „Sie hat mir schon erzählt, dass wahrscheinlich ein paar ihrer Freunde hier auftauchen und nach ihr fragen würden. Ihr wollt die Party für eine Freundin schmeißen, richtig?“ „Ja.“ Joe nickte. „Sie kommt aus den USA zurück nach Japan und geht zusammen mit ein paar Freunden auf die Schule.“ „Und du gehst nicht mehr auf die Schule?“, fragte Nami neugierig weiter und Joe spürte, wie sie ihn von der Seite musterte. „Nein, ich studiere ab jetzt“, antwortete er. Ihm war nicht entgangen, dass sie plötzlich auf das persönliche Du umgestiegen war. „Oh, was denn?“, fragte Nami und sah ihn nun interessiert an. „Nein, warte, lass mich raten. Du siehst aus wie ein typischer Jurastudent.“ Joe konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. „Daneben“, antwortete er. „Wirklich? Hm...“ Sie waren vor einer Doppeltür stehen geblieben, doch Nami machte keine Anstalten sie zu öffnen, sondern starrte Joe nachdenklich an. „Dann bestimmt BWL.“ Joe lachte und bevor er etwas antworten konnte, rätselte sie weiter. „Literaturwissenschaft? Mathematik? Informatik?“ „Medizin“, antwortete er schließlich. Sie machte ein überraschtes Gesicht. „Echt? Ich glaube, darauf wäre ich nicht gekommen.“ Sie grinste ihn an und öffnete nun die Tür. „Das ist der Partysaal“, erklärte sie und Joe entdeckte auch sogleich Sora und Tai, die beide zur Tür blickten. Tai stand auf einer Leiter und knotete gerade das Ende einer schillernden Girlande an einem Nagel fest, während Sora die Girlande festhielt. „Joe!“, rief Sora überrascht, ließ die Girlande fallen und kam auf ihn zu. „Wie schön, dass du gekommen bist.“ Sie umarmte ihn kurz. „Ja, ich hab mir den Nachmittag frei geschaufelt. Oder eher Abend“, antwortete er mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Na, dann viel Spaß“, sagte Nami, schenkte Joe noch ein Lächeln und ging wieder. „War das deine Chefin?“, fragte er an Sora gewandt, die noch immer vor ihm stand. „Ja.“ Sie nickte. „Die ist ziemlich nett“, meinte Joe. „Und ziemlich heiß“, kam es von Tai, der Joe nun angrinste. „Tai“, murmelte Sora und wirkte ein wenig verärgert. „Was denn? Stimmt doch“, verteidigte sich der Angesprochene und nahm die Hände von der Girlande. „So, hängt. Wo machen wir das andere Ende fest?“ „Da drüben“, antwortete Sora und deutete auf einen Punkt an der Wand gegenüber. „Was soll ich machen?“, fragte Joe und sah sich in dem Raum um. Er war so groß, dass er etwa fünfzig Leuten locker Platz bieten sollte. In einer Ecke stand auf einem niedrigen Tisch eine Musikanlage. Entlang der Wände befanden sich übereinander gestapelte Stühle und Tische. An der Decke hing sogar eine Diskokugel. „Hm“, machte Sora und sah sich ebenfalls um. „Du kannst schon mal damit anfangen, die Stühle und Tische so anzuordnen, dass man sich ein bisschen hinsetzen kann. Dort vorn machen wir eine Tanzfläche, würde ich sagen.“ „Alles klar.“ Joe marschierte zu den Stühlen und Tischen und begann damit, sie im Raum zu verteilen. In diesem Moment kamen Yolei und Kari zur Tür hereingeschneit. Sie hatten ein Banner aus weißem Stoff dabei und eine Tüte voll mit Pinsel und Farben. „Hallo“, riefen sie wie aus einem Munde und die anderen erwiderten den Gruß. „Wir fangen gleich an, das Banner zu machen, okay?“, fragte Yolei an Sora gewandt und die beiden Mädchen breiteten den Stoff auf dem Boden aus. _ „Mann, Sora, meine Arme tun schon weh. Reicht das nicht langsam mal mit den bescheuerten Girlanden? Die braucht doch eh kein Mensch“, murrte Tai schlecht gelaunt, als Sora ihm gerade eine weitere Girlande in die Hand gedrückt hatte, die er aufhängen sollte. Es war bereits nach neun, was bedeutete, dass er seit über vier Stunden hier auf der Leiter stand und Girlanden auf- und umhängte, weil die Mädchen immer wieder mal meinten, es sähe unausgeglichen aus. „Ich denke, du bist Sportler. Wie kannst du dann jetzt schon rumjammern, dass dir die Arme weh tun?“ Sora sah ihn unerbittlich an und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie verbrachte den Abend damit, noch zusätzlich Luftschlangen über die Girlanden zu werfen, die Tischordnung zu bestimmen, die Tische mit Papiertischdecken zu bekleben und alle zu überwachen. „Ich bin Fußballer! Ich hab's nicht so mit den Armen“, antwortete Tai genervt und kletterte wieder auf die Leiter. „Dann wird’s Zeit, dass du was dagegen machst“, antwortete Sora, lächelte ihn an und reichte ihm wieder einmal das Ende einer Girlande. „Das ist auch die Letzte. Versprochen. Danach hängen wir nur noch das Banner auf.“ Tai verdrehte genervt die Augen und knotete die Schnur an einem Nagel fest. „Ich finde, euer Banner ist super geworden“, sagte Sora zu Yolei und Kari, die gerade überlegten, was sie noch verändern konnten. Sie hatten in großen bunten Buchstaben die Worte „Willkommen zurück, Mimi“ auf den Stoff gepinselt und ihn noch mit Herzen, Blumen und Glitzerkram verziert, was Tai völlig übertrieben fand. „Naja, also Mimi gefällt es bestimmt“, meinte Joe mit einem prüfenden Blick auf das fertige Banner und schien insgeheim das gleiche zu denken wie Tai, der ihn nun angrinste. „Gefällt es dir etwa nicht?“, fragte Yolei ihn und wirkte ein wenig gekränkt. „Wir haben uns so viel Mühe gegeben.“ „Doch, doch“, sagte Joe schnell und hob abwehrend die Arme. „Macht euch keine Sorgen, das sieht toll aus.“ „Es sieht kitschig aus und ist viel zu bunt“, meinte Tai, der sich zu den anderen gestellt hatte. „Halt du dich raus, du zweitklassiger Girlandenaufhänger“, zischte Kari und funkelte ihn böse an. „Was heißt denn hier zweitklassig? Die hängen ja wohl perfekt!“, entgegnete Tai und machte eine ausschweifende Armbewegung. „Perfekt ist anders“, antwortete Kari schnippisch und streckte ihm die Zunge raus. „Wie wäre es, wenn wir uns darauf einigen, dass die Girlanden super hängen und das Banner einfach toll aussieht?“, seufzte Sora. „Ja, dafür bin ich auch“, stimmte Joe zu. „Lasst uns das Banner aufhängen. Sind wir danach fertig?“ Sora überlegte kurz. „Ja, eigentlich schon. Es wäre schön, wenn morgen alle eine Stunde vor Mimi da sind, damit wir uns noch um die Musik und die Getränke kümmern können.“ Die anderen nickten und so machten sie sich daran, das Banner aufzuhängen. „Weißt du was? Ich bring dich noch nach Hause“, sagte Tai an Sora gewandt. Die beiden Freunde und Kari saßen in der U-Bahn und warteten auf ihre Station. Yolei und Cody waren bereits vorher ausgestiegen und eigentlich würden zunächst die Geschwister aussteigen, doch Tai wollte Sora nicht allein nach Hause gehen lassen. Sie musste von der U-Bahn-Station aus noch ein Stück laufen. „Das musst du nicht“, erwiderte Sora überrascht. „Ich weiß. Aber was ist, wenn dich jemand überfällt?“, entgegnete Tai und zog die Augenbrauen hoch. „Genau. Man kann nie wissen“, stimmte Kari zu. „Außerdem ist das doch kein großer Umweg.“ Tai sah seine Schwester stirnrunzelnd an. „Du fährst am besten schon mal nach Hause.“ „Was? Sora willst du begleiten, aber mich lässt du allein nach Hause gehen?“, rief sie empört. „Wir haben es doch nicht so weit“, grummelte Tai. „Du wirst das schon überleben.“ „Tai!“ Sora sah ihn nun streng an. „Kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief Kari energisch. „Na schön.“ Tai gab sich geschlagen und starrte finster aus dem Fenster, obwohl es dort eh nichts zu sehen gab. Manchmal war seine Schwester eine ziemliche Nervensäge. Sie stiegen aus der U-Bahn und machten sich auf den Weg zu Soras Wohnung. „Das ist wirklich nett, dass ihr mich noch begleitet“, sagte sie und lächelte die beiden an. Kari lächelte zurück, aber Tai sah noch immer finster drein. Er wollte doch mit Sora allein sein, wollte ihr näher kommen, als sie es sowieso schon waren. Wollte ihr einen Abschiedskuss geben. Aber Kari wollte er nicht dabei haben. So plauderten Sora und Kari den ganzen Weg miteinander, während Tai sich heraushielt und sich auf den Weg konzentrierte. Schließlich erreichten sie das Haus, in dem Sora wohnte, und verabschiedeten sich. „Danke fürs Nachhausebringen, ihr beiden“, sagte Sora und lächelte, bevor sie sich umdrehte und die Tür aufschloss. Nicht mal eine Umarmung, dachte Tai enttäuscht und erinnerte sich daran, wie sie Joe am Nachmittag umarmt hatte. Griesgrämig drehte er sich ebenfalls um und stapfte den Weg zur U-Bahn zurück. Als die beiden in der Bahn saßen, piepte sein Handy. Alles okay mit dir? Das war eine SMS von Sora. Tai runzelte die Stirn und überlegte, was er darauf antworten sollte. Ja, ich hätte dich nur gern geküsst, weil ich total verliebt in dich bin? Er schüttelte unwirsch den Kopf. Ja, warum fragst du? Er packte sein Handy weg, doch es piepte nur wenige Sekunden später wieder. Du warst so komisch. Gute Nacht :-* Tai starrte nachdenklich auf sein Handy. Was sollte er denn mit einem blöden virtuellen Kuss anfangen? Am liebsten wäre er auf der Stelle ausgestiegen und wieder zurück zu ihr gegangen, doch andererseits wollte er Kari wirklich nicht allein nach Hause gehen lassen. Er stieß einen lauten Seufzer aus. „Kari, du nervst.“ Seine Schwester starrte ihn beleidigt an. „Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?“ „Du bist hier. Reicht das nicht?“ Genervt sah Tai wieder aus dem Fenster. _ Manchmal konnte Tai ganz schön bescheuert sein. Erst wollte er sie allein nach Hause gehen lassen und nun sagte er ihr, sie würde ihn nerven, obwohl sie nicht mal etwas gesagt hatte. Dabei konnte sie auch nichts dafür, dass Sora anscheinend als Einzige nicht bemerkte, dass er total verknallt in sie war. Sie stiegen aus der U-Bahn aus und gingen nach Hause. Schon bevor sie ihre Wohnung ganz erreicht hatten, hörten sie von dort laute Stimmen nach draußen dringen. Kari hoffte erst, sie würden von woanders kommen, doch als die beiden direkt vor der Tür standen, war es eindeutig, dass es ihre Eltern waren, die sich anschrien. Die Geschwister sahen sich kurz an und Tai schloss schließlich die Wohnungstür auf, woraufhin das Geschrei augenblicklich anschwoll. „Schön! Dann geh ich eben woandershin!“, hörte Kari ihren Vater brüllen. „Jetzt hau doch nicht wieder ab!“, rief Yuuko wütend. Susumo kam Tai und Kari entgegen und schien überrascht, sie hier zu sehen. Er blieb unschlüssig vor ihnen stehen und sah sie wütend und traurig zugleich an. Keiner sagte etwas. Dann zog er schließlich Schuhe und Jacke an und quetschte sich an Tai und Kari vorbei aus der Wohnung. „Papa!“, rief Kari ihm nach, doch er drehte sich nicht mehr um. Tai schloss die Tür und sie traten ins Wohnzimmer, wo sie ihre Mutter vorfanden. Diese ließ sich beim Anblick ihrer Kinder auf die Couch fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. „Tut mir Leid“, schluchzte sie undeutlich. Kari warf Tai einen verzweifelten Blick zu und setzte sich neben ihre Mutter. „Was ist denn passiert?“, fragte sie leise. „Ich... Tai, Kari, ich... es ist nichts. Bitte macht euch keine Sorgen.“ Sie stand auf und lief ins Schlafzimmer, wo sie die Tür hinter sich schloss. Kari traten die Tränen in die Augen. Was war nur los mit ihren Eltern? Ihr Vater haute ab und ihre Mutter schloss sich heulend im Schlafzimmer ein und behauptete, es wäre nichts. Wollten sie sich etwa trennen? Kari bemerkte erst, dass die Tränen schon ihre Wangen hinunterliefen, als Tai einen Arm um sie legte und sie an sich drückte. Kapitel 3: Willkommen zurück ---------------------------- Samstag, 25. März 2006   „Endlich fertig“, seufzte Mimi und ließ sich auf ihr gerade bezogenes Bett fallen. Vor zwei Stunden war sie angekommen und hatte es mittlerweile geschafft, das Nötigste auszupacken. Nun musste sie eigentlich schon damit beginnen, sich fertig zu machen. Sora wollte unbedingt mit ihr noch einen Cocktail trinken gehen. „Du kannst doch auch zu mir kommen“, hatte Mimi zu ihr gesagt, doch Sora wollte unbedingt Cocktails trinken. Und dann auch in einer Bar, die nicht gerade um die Ecke war. Und abholen wollte sie sie obendrein auch noch. Als ob Mimi nicht selbst zu so einer blöde Bar finden würde. Zwar war sie schon lange nicht mehr in Tokio gewesen, aber so schlecht war ihr Orientierungssinn auch wieder nicht. Gerade als Mimi damit fertig war, sich zu schminken, klingelte es an der Tür. „Mimi, es ist Sora!“, rief ihre Mutter einige Sekunden später. „Ja, ich weiß“, rief Mimi zurück, schnappte ihre Tasche und verließ ihr Zimmer. Als sie Sora an der Haustür stehen sah, stieß sie einen Freudenschrei aus, rannte auf sie zu und fiel ihr um den Hals. Sora drückte sie einige Sekunden an sich und sah sie dann an. Auch Mimi musterte ihre Freundin. Ihr Haar hatte seine Farbe nicht geändert und es war auch noch immer schulterlang. Doch ansonsten war sie sportlicher geworden und hatte eine wirklich tolle Figur. „Lass uns gehen“, sagte Sora. Die beiden Mädchen verabschiedeten sich von den Tachikawas und gingen zur U-Bahn-Station. „Oh, Mist!“, rief Sora plötzlich und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich hab ganz vergessen, auf Arbeit Bescheid zu sagen, dass ich Montag nicht kann. Macht es dir was aus, wenn wir noch ganz kurz an meinem Café vorbeigehen, damit ich Bescheid sagen kann?“ Sie sah Mimi bittend an. „Ähm... klar, kein Problem“, erwiderte Mimi und zuckte die Schultern. Nach einigen Stationen stiegen sie wieder aus und gingen einen Weg entlang, den Mimi nicht kannte. Sie bogen um eine Ecke und standen vor einem Café, auf das Sora schnurstracks zusteuerte. „Sieht ja gemütlich aus“, bemerkte Mimi. „Ist es das, wo du schon seit einem Jahr arbeitest?“ „Ja und es ist auch echt gemütlich. Bei Gelegenheit musst du mich mal besuchen kommen. Tai kommt auch oft vorbei“, antwortete Sora und lächelte. Sie gingen hinein und Mimi folgte Sora durch das Café. Eigentlich hatte sie erwartet, sie würden zur Theke gehen, doch da war überhaupt niemand. Stattdessen liefen sie auf eine Doppeltür im hinteren Teil des Cafés zu. Mimi wunderte sich, sagte aber nichts. Mit einem Ruck stieß Sora die Doppeltür auf. „Überraschung!“, riefen ziemlich viele Leute gleichzeitig und Mimi klappte die Kinnlade herunter. _ Genau wie alle anderen im Raum beobachtete Izzy Mimi gespannt, wie sie sprachlos im Türrahmen stand und sich verblüfft umsah. Ihre Augen huschten von den vielen Leuten im Raum zur Dekoration, zum Banner, zu den Tischen und wieder zurück. Dann glitzerten plötzlich Tränen in ihnen. „Oh mein Gott, habt ihr das... für mich gemacht?“, fragte sie mit zittriger Stimme. „Ich dachte, Sora und ich gehen Cocktails trinken.“ „Nein, geh bitte zur Seite, wir haben das für den hinter dir gemacht“, antwortete Tai laut und erntete einige Lacher. „Natürlich haben wir das für dich gemacht!“ Mimi machte einen gerührten Gesichtsausdruck und ging dann los, um alle zu umarmen, die da waren. Es waren knapp dreißig Leute zusammengekommen. Von der alten Gruppe hatten es alle geschafft, hier zu erscheinen, und dann waren noch einige andere Leute eingeladen worden, die mit Mimi befreundet waren und einige Klassenkameraden, die sie zumindest kannten. Auch Izzy hatte einige seiner Klassenkameraden mitgebracht, die ja dann mit Mimi zumindest in einem Jahrgang wären. „Izzy“, sagte Mimi und schlang die Arme plötzlich um seinen Hals. „Es ist so schön, dich zu sehen.“ Izzy lächelte verlegen und musterte sie. Sie war in den letzten Jahren noch hübscher geworden. Ihr Haar fiel ihr lang und lockig über den Rücken, die Haarspitzen hatte sie pink gefärbt. Sie war schlank und trug ein einfaches kurzes Kleid, das ihrer Figur sehr schmeichelte. „Du siehst gut aus“, sagte Izzy ein wenig verlegen. „Danke, du auch“, erwiderte Mimi. „Wir müssen uns nachher unbedingt unterhalten. Ich hab die Nase voll vom Reden über Mails.“ Mit diesen Worten setzte sie die Reihe der Umarmungen fort und ließ Izzy stehen. _ Je später es wurde, desto ausgelassener wurden die Anwesenden. Davis konzentrierte sich sehr darauf, in Karis Nähe zu sein, wo leider auch T.K. stets anzutreffen war. Aber auch Ken hatte sich zu ihnen gesellt, was Davis freute. Es war aber kein Wunder, hatte er doch sonst kaum noch Personen dort, mit denen er reden konnte. „Wie schön, dass du gekommen bist“, rief Kari über die Musik hinweg Ken zu. „Ich hab dich schon so lange nicht mehr gesehen.“ „Ehrlich gesagt wollte ich erst gar nicht kommen, weil es mir irgendwie komisch vorkam“, gestand Ken und Davis schüttelte heftig den Kopf. „So ein Blödsinn! Du gehörst doch dazu“, widersprach er ungeduldig. „Davis hat Recht“, stimmte Kari zu und lächelte ihn an, wobei Davis ein Kribbeln in der Magengegend verspürte. Kari sah einfach toll aus. Sie trug eine enge Jeans und ein rosafarbenes Oberteil ohne Ärmel. Ihr Haar war noch immer knapp schulterlang, doch sie hatte es zu einem modischen Bob geschnitten. „Wollen wir tanzen gehen?“, fragte Davis plötzlich und spürte, wie er rot wurde. Ihm war die Frage einfach durch den Kopf gegangen. Er wollte sie gar nicht aussprechen, doch es war einfach so über seine Lippen gekommen. „Ähm... klar“, antwortete Kari und ging voraus in Richtung der kleinen Tanzfläche, wo schon ein paar andere herum hampelten. Davis strahlte über das ganze Gesicht, als er gegenüber von Kari anfing, sich einigermaßen rhythmisch zur Musik zu bewegen. _ Davis tanzte wirklich dermaßen lächerlich, dass T.K. sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. Aber neben Kari sah wohl jeder lächerlich beim Tanzen aus, tanzte sie doch schon seit Jahren in einem Verein. Sie bewegte sich so anmutig wie eine Elfe. „Und du und Kari, ihr seid jetzt zusammen?“, riss Ken ihn aus seiner Beobachtung. Überrascht sah er ihn an. „Was? Nein. Sieht das so aus?“ „Nur ein wenig“, antwortete Ken zurückhaltend. T.K. musste lachen. „Ehrlich gesagt werden wir ständig für ein Paar gehalten.“ „Ihr passt halt gut zusammen, schon seit ich euch kenne“, meinte Ken schulterzuckend. „Aber Davis ist noch in sie verliebt, oder?“ T.K. nickte mit finsterer Miene. Davis' Verknalltheit war manchmal ziemlich nervig und auffällig. Er sah Ken an und musterte ihn zum ersten Mal an diesem Abend. Er war ein ganzes Stück gewachsen, genau wie er selbst, sah aber recht schlaksig aus. Auch seine Haare hatte er wachsen lassen und hatte sie im Nacken zusammengebunden. „Wollen wir uns was zu trinken holen?“, fragte T.K. Ken nickte und gemeinsam gingen sie zu den Tischen, auf denen die Getränke verteilt waren. _ „Izzy!“, quietschte Mimi und warf sich ihm um den Hals. „Du hast mir so gefehlt. Endlich bekomme ich mal die Chance, mit dir zu quatschen.“ Izzy erwiderte ihre Umarmung überrascht und drückte sie kurz an sich. „Du hast mir auch gefehlt.“ „Komm, wir holen uns was zu trinken!“, forderte Mimi ihn auf, nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her zu den Getränken. Ungefragt schenkte sie jedem ein Glas Bowle ein, grinste Ken und T.K. zu, die an einen Tisch gelehnt standen und sich unterhielten und wandte sich wieder an Izzy. „Zum Wohl“, rief sie fröhlich und stieß mit ihm an. Ihre Wangen waren bereits gerötet und sie wirkte übertrieben fröhlich. „Diese Party ist echt so eine tolle Idee. Ich freue mich so und bin so gerührt, dass ihr das nur für mich gemacht habt.“ „Naja, eigentlich war das alles Soras Idee. Sie hat sich um alles gekümmert“, gestand Izzy und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Also habt ihr sie das alles allein machen lassen?“, fragte Mimi gespielt empört und stemmte die freie Hand in die Hüfte. „Natürlich nicht“, sagte Izzy schnell und hob die freie Hand. „Das heißt, ich hab nicht so viel gemacht.“ Er lächelte schuldbewusst. Mimi musterte ihn, wobei er sich geröntgt fühlte, und schüttelte den Kopf, wobei ihr langes Haar mitschwang und einen fruchtigen Duft verströmte. Sie trank in einem Zug ihr Glas voll Bowle aus und nahm dann wieder seine Hand. „Los, gehen wir zu Kari und Davis und tanzen mit!“ Wieder wurde Izzy nicht gefragt, doch er hatte nichts dagegen. Liebend gern tanzte er mit Mimi. _ Sora stand mit Tai und Matt in einer Ecke und trank Erdbeerbowle. Die Jungs hatten jeder eine Flasche Bier in der Hand. „Und wer ist die da hinten?“, fragte Tai und deutete auf ein Mädchen auf der Tanzfläche. „Das ist Natsu, die ging mal mit Mimi in eine Klasse und war gut mit ihr befreundet“, erklärte Sora. „Sieht auf jeden Fall ganz süß aus“, bemerkte Matt und musterte das Mädchen mit seinen blauen Augen. „Alter, nimmst du eigentlich jede, die nicht bei drei auf dem Baum ist?“, fragte Tai und boxte seinen besten Freund in die Seite. „Oh, nein“, antwortete Matt mit einem spöttischen Unterton und lachte. „Ich bin anspruchsvoll.“ „Du bist ein verdammter Casanova“, erwiderte Tai grinsend. „Ich möchte mich eben nicht festlegen“, antwortete Matt geheimnisvoll lächelnd, nahm einen Schluck von seinem Bier und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sora schüttelte nur den Kopf über die beiden und deutete auf Kari und Davis. „Kari tanzt wirklich toll und sieht hübsch aus. Kein Wunder, dass Davis so verliebt in sie ist.“ „Ja, kein Wunder“, stimmte Matt zu und grinste herausfordernd. Tai reagierte sofort. „Rühr' sie an und ich bring' dich eigenhändig um“, drohte er halb zum Spaß, halb ernst. „Reg dich ab“, meinte Matt lachend und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Sie ist mir eh zu jung.“ Tai machte eine verärgerte, aber halbwegs beruhigte Miene, bis Matt hinzufügte: „In ein oder zwei Jahren dann vielleicht.“ „Mimi sieht richtig glücklich aus“, sagte Sora laut und schob sich zwischen die beiden Jungs, bevor Tai Matt noch an die Gurgel gehen konnte. „Aber warum tanzt Kari eigentlich mit Davis und nicht mit T.K.?“ „Kari behauptet nach wie vor, dass sie nicht mit T.K. zusammen ist“, antwortete Tai schulterzuckend. „Vielleicht sollten wir die beiden mal verkuppeln? Das wäre doch mal eine Aufgabe für dich und Mimi“, schlug Matt an Sora gewandt vor und lächelte amüsiert. „Was?! Wieso für mich? Ich mische mich doch nicht in das Liebesleben anderer ein“, murrte Sora und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber Verkupplungsaktionen sind doch so'n Mädchending“, entgegnete Matt unbekümmert. „Ja, wenn man zwölf ist und gerade anfängt, Jungs nicht mehr doof zu finden“, meinte Sora schnippisch. Eine Weile beobachteten sie die Jugendlichen auf der Tanzfläche, bis es Sora schließlich auch in den Beinen juckte. Sie überredete die Jungs, ebenfalls mit tanzen zu kommen, wobei sie eigentlich nur Matt überreden musste. Tai hatte nichts dagegen. _ Alle auf der Tanzfläche Anwesenden grölten die Lieder mit, die aus der Anlage dröhnten. Das nächste Lied war ein Titel von Matts Band und Matt warf Sora einen anerkennenden Blick zu. „Derjenige, der die Musikliste zusammengestellt hat, hat einen guten Geschmack“, meinte er und zog die Augenbrauen hoch. Sora grinste. „Das war ich. Und das ist übrigens mein Lieblingslied von euch.“ „Echt? Zufällig ist es das einzige Lied auf diesem Album, das ich ganz allein geschrieben und komponiert habe“, antwortete er. „Das ist echt toll. Weißt du, ich hab – “ Doch Matt erfuhr nicht mehr, was sie hatte, denn Mimi, die an seiner anderen Seite tanzte und anscheinend nicht mitbekommen hatte, dass er sich gerade mit Sora unterhielt, sprach ihn plötzlich an und Sora wandte sich vorerst wieder ab. „Ist das nicht deine Band? Wie heißt ihr jetzt noch mal?“, fragte Mimi. „Tokyo Rebels. Und von den Teenage Wolves sind nur noch Shin und ich dabei“, antwortete Matt. Mimi machte ein überraschtes Gesicht. „Ach echt? Ich dachte, die Teenage Wolves haben sich einfach nur umbenannt.“ „Nein, nein. Die anderen beiden aus der Band hatten keine Lust mehr und so haben wir neue Mitglieder gesucht“, erklärte Matt. Mimi nickte und lauschte dem Lied. I will follow the electric lines. With my electric heart I then will find a way through all these damn street signs. But I'll be there, I will wait by your side, ooh, by your side. Think back, think back to the summer time. I will cross through these state lines. You were always on my mind. It should not be this hard to see how to get from point A to B without losing sleep, without losing sleep. „Hast du bei dem Text an jemand Bestimmtes gedacht?“, fragte Mimi und sah ihn interessiert an. Matt zuckte lässig die Schultern. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ „Der Text ist echt toll. Und deine Stimme klingt super“, meinte Mimi strahlend. „Ich wünschte, jemand würde mal für mich so ein Lied schreiben.“ „Soll ich dir eins schreiben?“, fragte Matt fast automatisch und setzte ein schiefes Lächeln auf. Er hatte sich bei dieser Frage ganz dicht zu Mimi gebeugt. Mimi lächelte erst, sah ihn dann aber mit einer Mischung aus Verwirrung und Belustigung an. „Flirtest du gerade mit mir?“ „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ Matt grinste und musterte Mimi. War sie früher schon hübsch gewesen, war sie nun nahezu umwerfend, wo sie weniger wie ein Mädchen und mehr wie eine junge Frau mit einer tollen Figur aussah. _ „Hey, ihr beiden!“ Yolei hatte T.K. und Ken entdeckt, die bei den Getränken herumlungerten und sich unterhielten. „Na“, meinte T.K. und Ken lächelte. „Ken, wie geht’s dir so? Ich hab dich schon lange nicht mehr gesehen“, fragte sie an Ken gewandt und musterte ihn neugierig. Augenblicklich sah er irgendwie verlegen und schuldbewusst aus und so bereute Yolei, dass sie das gesagt hatte. Sie wollte ihn doch nicht in Verlegenheit bringen. „Tut mir echt Leid. Ich weiß, ich hätte mich öfter mal bei euch allen melden sollen“, entschuldigte er sich und sah zu Boden. „Ach was“, sagte T.K. abwinkend. „Ich hätte mich ja auch melden können“, meinte Yolei und versuchte sich an einem unschuldigen Lächeln. „Wir können uns ja vornehmen, uns in Zukunft wieder öfter zu sehen.“ „Ja, das wäre super“, fand Ken und nickte. Yolei sah ihn an und ihr fiel dabei auf, dass er schöne Augen hatte. Gerade wollte sie noch etwas zu ihm sagen, als sich ein Mädchen näherte und ihn ansprach. „Hey, bist du nicht Ken Ichijouji?“, fragte es und lächelte ihn an. „Ähm... ja. Und du bist...“ Ken sah das Mädchen fragend an. „Mira. Ich hab dich damals oft im Fernsehen gesehen“, antwortete es und grinste. „Bist du auch mit Mimi befreundet?“ Yolei wandte sich desinteressiert ab und folgte dem Gespräch nicht weiter. _ Joe hatte sich gegen eine Wand gelehnt und beobachtete seine ehemalige Clique. Die meisten von ihnen hüpften auf der Tanzfläche durch die Gegend, als gäbe es kein Morgen mehr. Matt und Mimi unterhielten sich schon seit einigen Minuten angeregt miteinander und kamen kaum zum Tanzen. Davis warf Kari ständig Seitenblicke zu, ebenso wie Tai Sora. Joe verengte die Augen zu Schlitzen. Anscheinend war ihm hier eine ganze Menge entgangen in der Zeit, in der er mit den anderen kaum etwas zu tun gehabt hatte. Sollte er sich wieder mehr unter die Gruppe mischen oder lieber für sich bleiben, da er ja jetzt sowieso mit seinem Studium begann und neue Leute kennen lernen würde? Früher war das alles einfacher gewesen, doch irgendwie hatten sich ihre Wege getrennt. Tai, Matt, Sora, Izzy, Davis, T.K., Kari und Yolei sahen sich jeden Tag in der Schule und hatten daher mehr Kontakt zueinander. Er, Joe, war auf eine andere Schule gegangen und hatte die anderen daher nur sporadisch gesehen. Er wusste, dass es Ken in dieser Hinsicht nicht anders ergangen war. Cody besuchte gerade das letzte Jahr der Grundschule und auch eher hatte nur wenig Kontakt zu den anderen, wie Joe wusste. Mimi, die im Ausland lebte, kommunizierte eigentlich nur mit Sora und Izzy, wie Joe mitbekommen hatte. Früher waren sie alle doch so eine eingeschworene Truppe gewesen und hatten so viel zusammen erlebt und durchgemacht. Joe hatte geglaubt, diese Leute würden auf ewig seine besten Freunde bleiben. Nie hatte er gedacht, dass sie sich einmal so aus den Augen verlieren konnten. Verband sie denn gar nichts mehr? „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“ Yolei und T.K. waren plötzlich neben ihm erschienen und musterten ihn nun beide neugierig. „Du siehst nicht gerade aus, als hättest du hier besonders viel Spaß“, stellte Yolei fest und verengte die Augen. Joe schüttelte den Kopf. „Schon gut, ich war nur gerade in Gedanken.“ „Bei wem denn?“ Ein neugieriges Grinsen legte sich auf Yoleis Lippen, während sie ihn weiter musterte. T.K. lächelte sie nur schief an und warf Joe einen ratlosen Blick zu. Joe musste lachen. „Bei niemand Bestimmtem, wenn du das wissen willst“, antwortete er. „Schade“, fand Yolei und sah tatsächlich ein wenig enttäuscht aus. Sie drehte sich weg und schaute nun ebenfalls auf die Tanzfläche. „Wieso schade?“, fragte Joe verdutzt. „Ach, ich hab eine Schwäche für Liebesgeschichten.“ „Die hat sie wirklich“, stimmte T.K. zu. „Weigerst du dich etwa gegen Yoleis Kuppelversuche?“, fragte Joe scherzhaft. „Ständig!“, rief Yolei, bevor T.K. etwas antworten konnte. Joe lachte über die beiden und fühlte sich heiterer als noch vor wenigen Minuten. Vielleicht sollte er den Kontakt zu seinen alten Freuden tatsächlich wieder aufnehmen. _ Die Party dauerte bis spät in die Nacht und erst, als der Horizont im Osten langsam eine kühle bläuliche Farbe annahm, beschloss Sora, das Aufräumen auf den Sonntag zu verschieben. Nur noch sie, Matt und Joe waren übrig geblieben, was sie wunderte. Normalerweise verschwand Matt irgendwann im Laufe einer Party mit einem Mädchen und von Joe hatte sie nicht gedacht, dass er überhaupt lange feierte. Doch nun machten sie sich zu dritt auf den Heimweg, nachdem sie schon einmal den größten Schaden beseitigt hatten. „Wann soll ich morgen Früh kommen?“, fragte Joe an Sora gewandt, als sie in der U-Bahn saßen. Überrascht wandte sie den Blick vom sowieso schwarzen Fenster ab und sah ihn an. „Was meinst du?“ „Na zum Aufräumen.“ „Du brauchst mir nicht helfen, ist schon gut“, sagte sie abwinkend und gähnte. „Kommt nicht in Frage. Wann soll ich da sein?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an. „Na schön. Dann komm eben so gegen eins“, meinte Sora schulterzuckend. „Alles klar.“ Joe stand auf und ging Richtung Tür. „Dann bis morgen. Oder eher nachher.“ Er lächelte und stieg aus, nachdem die Bahn zum Stehen gekommen war und die Türen auf gingen. „Warum willst du eigentlich immer alles allein machen?“, fragte Matt, der neben ihr saß, und sah sie mit seinem typischen Matt-Blick an: eine seltsame Mischung aus Langeweile und Belustigung. Wie bekam er es nur hin, dass all seine Mädchen mit ihm mit gingen? „Ich mach doch gar nicht alles alleine“, antwortete sie unwirsch. „Klar. Du hättest die ganze Party vollkommen allein auf die Beine gestellt, wenn nicht ein paar Leute so viel Anstand gehabt hätten, dir von selbst zu helfen“, meinte Matt. „Ach was. So schlimm wäre das nicht gewesen“, murmelte Sora und starrte wieder aus dem Fenster. „Du musst es ja trotzdem nicht übertreiben, du Workaholic“, entgegnete Matt und lächelte schief. „Ich komme zurecht“, sagte Sora nur und stand auf, da ihre Station nun durchgesagt wurde. Auch Matt erhob sich. „Du musst doch noch eine Station weiter“, sagte sie verwirrt. „Ich bring dich noch nach Hause“, verkündete er und wirkte nicht, als würde er sich noch umstimmen lassen. „Ich glaube, ich finde den Weg auch ganz gut allein“, meinte Sora und sah ihn an, während sie ausstiegen. „Das glaub ich dir nicht“, erwiderte Matt grinsend und erntete dafür einen missbilligenden Blick. „Mensch, du weißt doch, dass man als Frau nachts ein bisschen vorsichtig sein sollte.“ „Um diese Uhrzeit?“ „Gerade um diese Uhrzeit.“ Sora seufzte resigniert. „Du bist ja schon wie Tai.“ Sie liefen die Treppe nach oben, die aus der U-Bahn-Station führte und liefen dabei an ein paar Besoffenen vorbei, die sie anpöbelten. „Siehst du? Jetzt stell dir mal vor, du wärst allein hier lang gegangen. Dann hätten sie dich in die nächste Ecke gezerrt“, sagte Matt, als sie an der Gruppe vorbeigegangen waren. „Das hätten sie nicht geschafft. Ich kann schnell rennen.“ Sora lächelte triumphierend. Matt blieb unvermittelt stehen und hielt Sora am Handgelenk fest. Irritiert sah sie ihn an. „Jetzt hör mal, das ist kein Spiel. Glaubst du, wenn es wirklich mal einer auf dich abgesehen hat, kannst du ihm so einfach davonlaufen? Manchmal mache ich mir echt Sorgen um dich, so oft, wie du spät abends allein unterwegs bist.“ Er sah sie ernst an und hielt noch immer ihr Handgelenk umklammert. Sora war etwas verwirrt von dieser Ansprache und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. „Du kannst mich jederzeit nachts anrufen, dann hole ich dich ab. Ich hab doch ein Auto und wohne nicht weit weg von dir“, sagte er, ließ sie los und ging weiter. „Matt, ich würde dich niemals mitten in der Nacht anrufen und dich fragen, ob du mich von irgendwo abholen kannst. Ich will dich ja nicht bei deinen Dates stören“, fügte sie hinzu und grinste ihn an. „Die Mädchen wären bestimmt gar nicht begeistert, wenn du mittendrin abhaust, weil du eine nervige Freundin abholen musst.“ „Besser, als wenn ich die Einzelteile dieser nervigen Freundin identifizieren muss“, murrte Matt und Sora lachte. „Jetzt übertreibst du aber.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an, als sie vor ihrem Wohnhaus ankamen und stehen blieben. „Matt, mir passiert schon nichts. Mach dir keinen Kopf.“ Sie sahen sich kurz in die Augen, dann schob Matt die Hände in die Hosentaschen und wandte den Blick wieder ab. „Na dann bis morgen um eins, Takenouchi“, sagte er und nickte ihr zu. „Du kommst also auch?“, fragte sie überflüssigerweise. Er zuckte die Schultern. „Hab ja schon beim Vorbereiten nicht geholfen.“ „Wie du willst. Dann komm gut nach Hause und schreib mir, wenn du angekommen bist. Sonst muss ich mir nämlich Sorgen um dich machen.“ Matt schnaubte, drehte sich um und ging zurück zur U-Bahn-Station. Sora stieg die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf und wunderte sich noch immer über Matt. Seit wann machte er sich so viele Sorgen um sie? Normalerweise verfügte Tai über diese Eigenschaft. Sie seufzte und ihre Gedanken schweiften ab zum Aufräumen am nächsten Tag. Wahrscheinlich hatte Matt einfach nur zu viel getrunken. Kapitel 4: Nach der Party -------------------------  Sonntag, 26. März 2006   Müde stand Mimi auf und machte sich nach einem kargen Frühstück auf den Weg ins Café. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust, beim Aufräumen zu helfen, doch sie wollte ihren Freunden unbedingt etwas zurückgeben, weil sie diese schöne Party für sie organisiert hatten. Also hatte sie Sora gleich nach dem Aufwachen eine SMS geschrieben und sie gefragt, wann sie kommen konnte. Gegen halb zwei mittags betrat sie Nami's Café und schlenderte zum Partyraum. „Guten Morgen“, murmelte sie, als sie den Raum betrat. Alle waren schon mit Aufräumen beschäftigt. Das hieß, alle die da waren, denn bisher waren hier nur Sora, Tai und Matt anwesend. „Kommt denn sonst niemand mehr?“ „Eigentlich wollte T.K. noch kommen, aber...“ Matt zuckte die Schultern. Er sah ziemlich müde aus und fummelte gerade an den Papiertischdecken herum. „Joe wollte auch noch kommen“, meinte Sora nachdenklich. „Hallo!“, rief plötzlich eine fröhliche Stimme und Joe erschien hinter Mimi in der Tür. Er wirkte nicht müde, so wie alle anderen. In einer Hand hielt er eine braune Tüte, die einen köstlichen Duft verströmte. Mimi trat einen Schritt zur Seite, um ihn hereinzulassen, und beäugte neugierig die Tüte. „Hast du uns was mitgebracht?“, fragte sie. „Ja, ich dachte, falls wir noch Hunger bekommen zwischendurch.“ Joe lächelte und legte die Tüte auf einem Stuhl ab. „Toll“, fand Sora, die gerade dabei war, nicht ausgetrunkene Getränke in einen Eimer zu schütten. „Das trifft sich gut. Ich bekomme nämlich langsam Hunger“, erklärte Tai, der auf einer Leiter stand und an den bunten Girlanden pfriemelte. „Anscheinend hat Tai sich schon mal nicht verändert“, stellte Mimi fest und grinste zu ihm hinauf. Dann schnappte auch sie sich halbleere Flaschen und Becher und goss sie in Soras Eimer. _ „Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil wir nicht beim Aufräumen helfen“, sagte Kari zu T.K. und leckte genüsslich an ihrem Schokoladeneis. T.K. blinzelte gegen die Sonnenstrahlen, als er sie ansah. Er warf einen Blick auf sein Handy. „Naja, jetzt sind sie bestimmt eh schon fertig“, meinte er schulterzuckend. Die beiden saßen auf einer Bank nahe einer Eisdiele und beobachteten die vielen Menschen, die an ihnen vorbeiliefen und die Sonne und das warme Frühlingswetter genossen. „Weißt du eigentlich schon, was du Tai zum Geburtstag schenkst? Er hat doch in einer Woche“, fragte T.K. Kari war froh, dass sie Tais Geburtstagsgeschenk schon vor einem Monat besorgt hatte, sonst wäre sie jetzt wohl in Panik verfallen. „Klar. Ich schenke ihm einen Gutschein für das Weltmeisterschaftstrikot. Sobald es raus ist, bekommt er es dann.“ Sie war noch immer ein wenig stolz auf diese Idee. Tai hatte sich schon vor vier Jahren lautstark beschwert, dass er nicht das offizielle Trikot der japanischen Nationalmannschaft hatte. Dieses Jahr sollte er es bekommen. „Ist das nicht ganz schön teuer?“, fragte T.K. skeptisch und sah sie von der Seite an. „Ich schenke es zusammen mit unseren Cousins. Die haben vor vier Jahren schon immer zusammen vor der Glotze gehockt und jedes Spiel mitverfolgt“, erklärte Kari und verdrehte bei der Erinnerung daran die Augen. „Glaub ich. Mann, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er schon achtzehn wird“, seufzte T.K. und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Kari kicherte. „Du redest ja schon wie ein Opa.“ Sie aß ihre Eiswaffel auf und sprang dann von der Bank auf. „Los, lass uns irgendwas Tolles machen. Morgen fängt schon wieder die letzte freie Woche vor dem neuen Schuljahr an.“ Und mit dem neuen Schuljahr würde langsam der Stress für die Aufnahmeprüfung an der Oberschule beginnen. Yolei hatte die Prüfung vor einigen Wochen mit Bravour gemeistert und ging ab sofort auf die Oberschule von Tai und den anderen. Kari, T.K. und Davis stand dies erst noch bevor. _ „Du Faulpelz, willst du nicht langsam mal aufstehen?“ Müde drehte Davis sich um und blickte direkt seiner Schwester Jun ins Gesicht, die ihn genervt anstarrte und einen Fuß auf seinem Bett abgestellt hatte. „Hau ab!“, fauchte Davis, doch sie bewegte sich nicht vom Fleck. „Mama hat gesagt, ich soll dich zum Mittag wecken, weil du sonst gar nicht mehr aufstehst. Also raus mit dir!“ Davis stöhnte gequält und kroch aus seinem Bett. „Du bist ätzend“, nuschelte er. „Danke, du auch. Aber sag mal...“, sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an, „... war Matt eigentlich gestern auch auf der Party?“ „Hä?“ Davis hatte das gar nicht laut sagen wollen, doch es war ihm herausgerutscht. „Wieso Matt? Ich dachte, du hast ihn schon vor Jahren aufgegeben.“ „Ja, eigentlich schon.“ Sie druckste ein wenig herum, bevor sie weitersprach. „Aber er ist schon ziemlich heiß. Und seine Band ist ja auch recht erfolgreich und naja... bisher hat es ja mit noch keinem geklappt, also...“ „Kein Wunder“, murmelte Davis leise, jedoch laut genug, dass sie es noch verstanden hatte. „Hey! Sei du mal still mit deiner Kleinen da. Wie hieß sie noch mal? Kari, oder? Die lässt dich ja auch immer wieder abblitzen.“ „Halt doch die Klappe! Das geht dich überhaupt nichts an!“, rief Davis wütend und war drauf und dran ihr den Hals umzudrehen. „Jetzt geh doch nicht gleich wieder an die Decke“, meinte Jun nur gelangweilt und ging aus dem Zimmer. Davis warf die Tür hinter ihr zu und begann damit, sich anzuziehen. _ „Oh, eine SMS von Davis.“ Wie selbstverständlich beugte T.K. sich zu Kari hinüber, um die SMS mitlesen zu können. Na, hast du ausgeschlafen? Was machst du heute? Wollen wir was gemeinsam machen? ;) „Soll ich ihm schreiben, wo wir sind?“, fragte Kari und sah T.K. fragend an. „Ähm... keine Ahnung, musst du doch wissen“, antwortete er nur ein wenig verwirrt. „Okay, dann schreib ich ihm einfach, dass ich keine Zeit habe“, meinte sie grinsend und machte sich an ihrem Handy zu schaffen. „Ist das nicht ein bisschen gemein?“ Er runzelte die Stirn und warf seiner besten Freundin einen skeptischen Blick zu. Normalerweise war es nicht ihre Art, andere anzulügen. „Aber er nervt mich mit seinem ständigen Anhimmeln“, murmelte sie, ohne den Blick vom Display abzuwenden. „Hm, stimmt. Mich auch irgendwie“, sagte er und dachte an Davis, wie er Kari den ganzen Tag lang heimliche Blicke zuwarf und alles dafür tat, um in ihrer Nähe zu sein. Das konnte wirklich anstrengend sein manchmal. Sie lagen nebeneinander im Gras in einem Park. Rund um sie herum spielten Kinder oder gingen Leute mit ihren Hunden spazieren. Alle genossen das sonnige Wetter, genau wie T.K. und Kari. „Eigentlich mag ich ihn ja. Er ist immer so nett, wenn er will und macht alles, was ich will“, plauderte sie neben ihm, während sie noch immer mit ihrem Handy beschäftigt war. Aus ihrer Stimme war ein schlechtes Gewissen herauszuhören. „Aber manchmal kann ich echt nicht lange mit ihm zusammen sein. Das wird mir in der Schule schon manchmal zu viel, wenn ich vor ihm sitze.“ „Vielleicht seid ihr ja dieses Jahr gar nicht in der gleichen Klasse“, warf T.K. ein und beobachtete einen großen Hund, der fröhlich einem bunten Ball hinterher sprang. „Vielleicht sind WIR dieses Jahr nicht in einer Klasse“, entgegnete Kari und sah nun von ihrem Handy auf. Ihr Blick war vielsagend, vielleicht sogar ein wenig ängstlich. „Dann wäre ich dich wenigstens endlich los“, antwortete er grinsend und sie boxte ihn in die Seite. _ „Das war echt eine super Idee, Joe“, sagte Tai mit vollem Mund. Joe hatte für sie alle Schokoladencroissants mitgebracht und da er nicht gewusst hatte, wie viele sie nun sein würden zum Aufräumen, waren es zu viele Croissants. Sie saßen im Kreis auf dem Boden, futterten die Croissants und tranken übriggebliebene Getränke aus übriggebliebenen Plastikbechern. Tais Magen hatte sich schon vor einer Stunde bemerkbar gemacht, da er zum Frühstück keinen Hunger gehabt hatte. Nun aß er mit Freuden Schokoladencroissants. „Wieso ist Kari eigentlich nicht hier?“, fragte Matt und biss von einem Croissant ab. „Weiß nicht“, antwortete Tai zwischen zwei Bissen. „Sie ist erst nach mir aus dem Haus. Meinte, sie hat noch was vor.“ „Ach, die treibt sich doch bestimmt nur wieder mit T.K. irgendwo rum“, warf Matt ein und winkte ab. „Lasst sie doch“, sagte Sora. „Die haben ein anstrengendes Schuljahr vor sich. Sollen sie doch die restlichen freien Tage genießen.“ „Wir haben auch ein anstrengendes Schuljahr vor uns und sind trotzdem hier“, erwiderte Tai energisch und deutete auf sich und Matt. „Was wollt ihr eigentlich nach der Schule machen? Wisst ihr das schon?“, fragte Mimi an die drei Drittklässler gewandt. „Also ich möchte mich bei der Botschaft bewerben“, antwortete Tai als Erster. Diesen Entschluss hatte er vor kurzem gefasst und hatte daher noch keine Ahnung, wie und wann und ob überhaupt das ging, aber darum würde er sich später kümmern. „Wow, da verdient man bestimmt gut“, antwortete Mimi und warf ihm einen anerkennenden Blick zu, bevor sie Matt ansah. „Ich glaube, ich werde einfach Rockstar“, antwortete dieser schulterzuckend. „Was? Aber du musst doch was Vernünftiges lernen“, warf Joe ein und runzelte die Stirn. „Einen Scheiß muss ich“, antwortete Matt trocken. „Ich mache Musik und fertig.“ „Aber das kannst du doch nicht hauptberuflich machen. Außerdem, was ist, wenn du keinen Erfolg hast? Du kannst doch von deinen Einnahmen gar nicht leben“, erwiderte Joe und rückte seine Brille zurecht. „Zudem ist das auch kein Job, den man ewig machen kann. Irgendwann ist man zu alt dafür.“ „Du hast noch nie was von den Rolling Stones gehört, oder? Oder von ACDC.“ Matts Blick war herablassend und missbilligend. „Du willst dich doch jetzt nicht mit zwei Legenden vergleichen?“, fragte Joe und erwiderte seinen Blick verblüfft. „Glaubst du etwa, die haben nicht so angefangen wie ich? Außerdem geht dich das nichts an. Ich geh eine rauchen. Das ist mir hier zu blöd.“ „Aber Matt!“, rief Joe, doch Matt war aufgestanden und verließ den Partyraum. „Ups“, sagte Mimi leise. Joe schien so verdutzt, dass er eine Weile schwieg, bevor er seine Sprache wieder fand. „Aber ich hab das doch nicht böse gemeint.“ „Mach dir keine Sorgen, es war nicht deine Schuld“, meinte Sora bestimmt. „Genau“, pflichtete Tai ihr bei. „Der kann es nur nicht ab, wenn jemand daran zweifelt, dass er mal ganz groß raus kommt.“ „Aber das ist doch ziemlich unrealistisch. Man muss sich nur mal die vielen Menschen vor Augen führen, die das Gleiche versucht haben wie er und gescheitert sind“, widersprach Joe hartnäckig. „Aber das will er nicht wahr haben. Er ist halt stur“, meinte Tai nüchtern. Matts Launen kannte er zur Genüge. „Was willst du denn eigentlich nach der Schule machen, Sora?“, wechselte Mimi das Thema und sah nun ihre ehemals beste Freundin an. „Ich will Modedesign studieren und...“ Bevor Sora weiter reden konnte, hatte Mimi schon wieder das Wort ergriffen. „Modedesign? Du?“, fragte sie und schien vollends verwirrt. Sora lief rosa an, was Tai immer besonders süß an ihr fand. „Ja, also... ich bin vor einem Jahr darauf gekommen. Ich zeichne gern, vor allem Klamotten und dann habe ich mir überlegt, das zu studieren“, erklärte sie ein wenig schüchtern. „Damit hätte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gerechnet. Ich dachte, du machst irgendwas mit Sport“, sagte Mimi verdattert. „Wollte ich ja auch erst, aber es war mir zu riskant. Was, wenn ich mich beim Studium verletze? Dann ist der Beruf schon im Eimer, bevor ich ihn angefangen habe“, gab Sora zu bedenken und seufzte. „Ja schon, aber... Modedesign?“ Mimi lächelte schief und schüttelte den Kopf. „Jetzt lass sie doch. Ist doch ein toller Beruf“, mischte Tai sich ein und schüttelte unwirsch den Kopf. Er mochte es nicht, wenn Sora sich unwohl fühlte, was momentan offensichtlich der Fall war. „Kann ja nicht jeder Hausfrau werden, so wie du.“ Mimi sah ihn wütend an. „Ich werde ganz bestimmt keine Hausfrau.“ „Ach ja? Und was willst du dann machen?“, fragte Tai herausfordernd. „Keine Ahnung, hab noch nicht drüber nachgedacht. Aber hab ja auch noch mindestens ein Jahr Zeit“, antwortete Mimi abweisend und wandte den Blick von ihm ab. Tai nahm an, dass sich das verwöhnte Prinzesschen wahrscheinlich zu fein war, um mal studieren zu gehen. _ Hey Davis, ich hab heute leider keine Zeit. Vielleicht können wir morgen zusammen Eis essen gehen? Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Freude las Davis Karis SMS. Warum sie wohl keine Zeit hatte? Ob sie beim Aufräumen half? Aber das hätte sie bestimmt geschrieben. Er tippte eine Antwort ein, dann seufzte er und suchte Kens Nummer heraus. Nach dem dritten Klingeln hob er schließlich ab. „Hi Davis“, sagte er und klang ein wenig überrascht. „Hey. Hast du vielleicht Lust, mit mir in den Park zu gehen? Wir könnten ein bisschen Fußball spielen oder so“, schlug Davis vor. „Ähm... ja, okay“, antwortete Ken noch immer überrascht. „Wollen wir uns in einer Stunde treffen?“ „Ja, passt mir super. Bis dann!“ Davis drückte auf den roten Knopf auf seinem Handy und packte es in die Hosentasche. Kein Wunder, dass Ken verwundert war. Es war schon wieder eine Weile her, dass Davis ihn gefragt hatte, ob sie etwas zusammen unternahmen. Davis machte sich in Ruhe fertig, packte ein paar Sachen zusammen, schnappte seinen Fußball und verließ die Wohnung. Im Park angekommen wartete Ken schon auf ihn. Davis grinste ihn an und warf ihm den Fußball zu, den er locker mit einem Knie annahm. „Bist du noch in Form? Ich glaube, wir spielen demnächst gegeneinander“, sagte Davis, als er bei ihm ankam. „Ich hoffe, ich bin in Form. Du kannst dir ja gleich selbst ein Urteil bilden“, antwortete Ken lächelnd, hob den Ball auf und sie gingen los. Sie suchten sich ein Stück freie Wiese, wo sie ihre Taschen an einem Baum abstellten. Anschließend übten sie gemeinsam Pässe und Annahmen. Viel mehr konnte man zu zweit schließlich nicht mit einem Fußball tun. „Mensch Davis, wo schießt du denn hin?“, rief Ken, als Davis einen Ball völlig verfehlte, und lachte. „Sorry. Ich geh ihn schon holen“, rief Davis zurück und rannte dem Ball hinterher. Er war zu einem Pärchen geflogen, die auf einer Decke in der Sonne lagen und Davis erkannte sie erst, als er nur noch wenige Meter entfernt war. _ Ein Fußball rollte gegen T.K.s Bein. Dieser setzte sich auf und nahm den Ball in die Hand, um ihn demjenigen zurückzuwerfen, dem er gehörte. „T.K.? Kari?“ Nun setzte sich auch Kari auf. Mist. Es war doch tatsächlich Davis, der dort stand und ein wenig verdattert aussah. „Oh, hi. Was machst du denn hier?“, stammelte Kari, strich sich unbeholfen eine Haarsträhne hinters Ohr und sah Davis unsicher an. „Ich ähm... bin mit Ken hier. Wir spielen ein bisschen Fußball“, antwortete Davis. Er schien etwas zurückzuhalten und Karis schlechtes Gewissen intensivierte sich noch. „Ihr könnt auch mit herkommen, wenn ihr wollt“, meinte sie und deutete auf den Platz neben sich, doch Davis schüttelte den Kopf. „Schon okay. Du hast ja geschrieben, dass du keine Zeit hast. Ich hab übrigens morgen keine Zeit“, antwortete Davis. Sein Blick verriet, dass er ziemlich verletzt war. Er drehte sich um und rannte zurück zu Ken, der nur gerade so zu erkennen war. Kari sah T.K. reuevoll an. „Was siehst du mich jetzt so an? Ich hab dir gleich gesagt, du musst selbst wissen, was du ihm schreibst“, meinte T.K. und hob abwehrend die Hände. „Aber das war blöd. Wieso sind wir auch ausgerechnet hierher gekommen? Hätten wir uns ja denken können, dass Davis eventuell auch hier auftaucht“, murmelte Kari und stand auf. Es war doch genau der Park, in dem sie sich auch früher schon oft getroffen hatten, um in der Sonne zu liegen, Eis zu essen oder Badminton zu spielen. „Was machst du?“, fragte T.K., der zu ihr hoch sah und gegen die Sonne blinzelte. „Na was schon? Ich geh mich entschuldigen“, antwortete Kari bestimmt und lief Davis hinterher. _ Ein wenig unsicher trat Joe nach draußen. Er wollte unbedingt mit Matt darüber reden. Er hatte ihn doch nicht verletzen wollen und ganz bestimmt wollte er sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. „Hey Matt“, sagte Joe vorsichtig und trat neben ihn. Tai und Sora hatten ihn davon abhalten wollen, mit Matt zu reden, da sie meinten, er bekäme sich von allein wieder ein und Joe würde es bloß schlimmer machen, wenn er jetzt versuchte, mit ihm zu diskutieren, doch Joe wollte den Konflikt nicht einfach so stehen lassen. Wenn er wieder Kontakt mit den anderen aufnehmen wollte, sollte er es sich nicht gleich von Anfang an mit einem von ihnen verscherzen. Matt blies grauen Qualm aus dem Mund und warf ihm einen kurzen Blick zu, wahrscheinlich als Zeichen, dass er zuhörte. Joe musste selbst für einen Mann zugeben, dass Matt unglaublich gut aussah. Er verstand durchaus, was die Mädchen an ihm fanden. Sein strohblondes Haar hatte die gleiche Farbe wie das von T.K., war aber länger, ein wenig fransig und bedeckte zum Teil sein Gesicht. Auch seine Augen hatten den gleichen tiefen Blauton wie die von T.K., allerdings waren seine Gesichtszüge kantiger als die seines jüngeren Bruders. Matt war hoch gewachsen, schlank, trug gerade lässige größtenteils schwarze Klamotten und ein paar Lederbändchen um das rechte Handgelenk. Die Fingerkuppen seiner linken Hand waren mit Hornhaut überzogen. Sein gesamtes Erscheinungsbild war durchaus hübsch, doch er wirkte auch stets ein wenig unnahbar und so, als würde er sich nicht für seine Mitmenschen interessieren. „Hör mal“, setzte Joe stammelnd an und kratzte sich am Hinterkopf, „ich wollte mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen und...“ „Hast du aber“, unterbrach Matt ihn trocken. „Ja, aber das hätte ich nicht tun sollen. Es ist ja deine Sache, was du aus deiner Zukunft machen willst, aber ich meinte es doch nur gut, verstehst du?“, erklärte Joe verlegen. „Oh Mann Joe, wenn ich jemanden brauche, der mir erklärt, dass Musiker kein ordentlicher Beruf ist, dann frage ich meinen Vater oder meine Mutter, kapiert? Ich hasse es, wenn andere mir vorschreiben wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Es ist mein verdammtes Leben und meine verdammte Entscheidung, was ich damit mache“, antwortete Matt genervt, zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er den Stummel auf einem Mülleimer ausdrückte und wieder in das Café zurück ging. Joe stand einige Sekunden lang wie vor den Kopf gestoßen da, bevor er ihm hinterher lief. „Jetzt warte doch mal, du bekommst das ja alles völlig in den falschen Hals“, rief er und wollte ihm in den Partyraum folgen, doch Nami hielt ihn auf. Hatte sie schon vorhin hinter dem Tresen gestanden und er hatte sie nur nicht bemerkt, weil er mit den Gedanken woanders war, oder war sie gerade erst gekommen? „Hey Joe“, grüßte sie ihn fröhlich und lächelte. „Sag mal, war das nicht gerade der Typ von den Tokyo Rebels?“ „Oh ähm... ja. Das war Matt, der Sänger und Gitarrist“, antwortete Joe und blieb verdutzt stehen. „Der sah ja nicht gerade glücklich aus. Aber naja, wenigstens traut sich mal eine kleine Berühmtheit in mein Café“, meinte sie grinsend. „Könntest du mir vielleicht ein Autogramm besorgen? Meine Nichte steht total auf ihn?“ Nun war Joe noch verdutzter. „Klar, ich versuche es zumindest. Aber wieso hast du nicht schon Sora gefragt?“ Nun wirkte Nami ein wenig verwirrt. „Sora? Wieso? Ist sie auch mit ihm befreundet?“ „Er gehört zu ihren besten Freunden“, antwortete Joe stirnrunzelnd. Nami machte große Augen. „Das hat sie nie erwähnt“, brachte sie irritiert hervor. „Er war auch noch nie hier, soweit ich mich erinnern kann. Zumindest nicht, wenn ich gerade Schicht hatte.“ Obwohl Joe die Sache ein wenig seltsam fand, dachte er nicht weiter darüber nach, sondern ging nun endgültig zurück in den Partyraum, wo mittlerweile alle wieder mit Aufräumen und Putzen beschäftigt waren. _ „Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Ken vorsichtig, als Davis zu ihm zurückkam, den Ball lustlos vor sich her kickend. Einige Meter hinter ihm lief Kari, die er anscheinend noch nicht bemerkt hatte. „Nein, schon okay“, murmelte Davis, aber offensichtlich war bei der Begegnung mit T.K. und Kari irgendetwas vorgefallen. „Davis?“ Davis zuckte zusammen, als das Mädchen plötzlich dicht hinter ihm stand. Er drehte sich um und auch Ken musterte sie fragend. Sie lächelte Ken kurz zu, bevor sie sich wieder an Davis wandte. „Hör mal, das war blöd von mir. Ich wollte mich dafür entschuldigen“, sagte sie und machte ein schuldbewusstes Gesicht. Ken fragte sich, was wohl passiert war. Hatte sie ihm irgendetwas Gemeines an den Kopf geworfen? Irgendwie konnte er sich das nicht vorstellen. Kari war doch immer die Liebenswürdigkeit in Person gewesen. „Nein, nein, schon okay“, stammelte Davis und wandte den Blick von ihr ab. „Ehrlich, schon vergessen.“ Er setzte ein gezwungenes Lächeln auf, das Ken jedoch sofort durchschaute und auch Kari schien es ihm nicht abzunehmen. „Darf ich dich morgen auf ein Eis einladen?“, fragte sie mit einem fast schon flehenden Unterton in der Stimme. „Ich... hab doch schon gesagt, dass ich morgen keine Zeit habe. Vielleicht übermorgen oder so“, murmelte Davis vor sich hin und schubste den Ball auf dem Boden mit den Füßen hin und her. „Okay“, erwiderte sie, wirkte aber nicht sehr zufrieden. „Ich schreib dir dann.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief zurück zu T.K. Ken fragte lieber erst gar nicht, was passiert war. Sicher wollte Davis ohnehin nicht darüber reden. Kapitel 5: Hanami -----------------  Samstag, 1. April 2006   Es war Samstag, der erste April und sie hatten beschlossen, die jährliche Kirschblüte zu nutzen, um in Tais Geburtstag rein zu feiern. Das Kirschblütenfest war Yoleis Lieblingsfest im Jahr. Sie liebte es, wenn im Park alles voll rosafarbener Blüten war, die Sonne schien und einfach alle nur fröhlich waren und picknickten. Diesmal war es jedoch etwas Besonderes. Es war eine Gelegenheit, wieder alle zu sehen, denn Tai hatte darauf bestanden, dass alle ehemaligen zwölf Freunde kamen und mit ihm feierten. Yolei konnte sich nicht daran erinnern, wann sie Mimi, Joe und Ken das letzte Mal gesehen hatte und nun sah sie sie alle gleich zwei mal innerhalb einer Woche. Sie freute sich schon und war gespannt. Sie belud ihren Rucksack mit Essen und Getränken aus dem Lebensmittelladen ihrer Eltern, die sie sich mitnehmen durfte, und schwang ihn sich über die Schultern. „Sag mal, hast du schon das ganze Essen eingepackt?“ Chizuru streckte gerade den Kopf in ihr Zimmer, rückte ihre Brille zurecht und musterte sie stirnrunzelnd. „Ich wollte auch noch was haben. Das hätte eigentlich für uns beide reichen sollen.“ „Sorry, ich hab den anderen versprochen, dass ich viel mitbringe. Nächstes Mal kriegst du meinen Teil, ja?“, antwortete Yolei und zwängte sich an ihrer Schwester vorbei durch die Tür. Chizuru seufzte ergeben und ging zurück in ihr Zimmer, während Yolei die Wohnung verließ. Sie beeilte sich, möglichst schnell zum Park zu kommen, da sie schon spät dran war. Eigentlich wollten sie sich alle um sechs treffen, doch mittlerweile war es fast halb sieben. _ Cody war kaum wiederzuerkennen. Mimi hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und fand, dass er sich sehr verändert hatte. Sein Haar war ein wenig länger und er war ein ganzes Stück gewachsen. Er war gerade in diesem Alter, in dem man die Kinder dabei beobachten konnte, wie sie sich langsam veränderten, da sie in die Pubertät kamen. Er wirkte zurückhaltend und schien sich irgendwie nicht wohl zu fühlen. „Cody, wie geht es dir so?“, fragte Mimi freundlich, da sie neben ihm saß. „Ganz gut, und dir, Mimi?“, fragte er. Er war im Stimmbruch und schwenkte zwischen hohen und tiefen Tönen hin und her, dass Mimi allein vom Zuhören schon fast der Hals weh tat. „Super. Immerhin bin ich jetzt ein Jahr wieder zu Hause“, antwortete sie fröhlich und lächelte breit. Auch Cody lächelte, doch es sah irgendwie lustlos aus. Wollte er nicht hier sein? „Sagt mal, wo ist eigentlich Matt?“, fragte Joe in die Runde. Mimi wusste, dass er noch immer ein schlechtes Gewissen hatte wegen der Sache vor einer Woche, auch wenn Sora mit aller Macht versucht hatte, es ihm auszureden. „Der hat ein Konzert, aber er kommt nach, sobald er kann“, antwortete Tai. Mimi hoffte irgendwie, dass er bald kam. Er war so hübsch, dass sie ihn einfach gern ansah. Außerdem strahlte er so eine Ruhe aus und sie hatte sich am Abend der Party gut mit ihm unterhalten. „Machst du dir denn immer noch Sorgen wegen der Sache am Sonntag?“, fragte Sora und sah Joe stirnrunzelnd an. „Ich weiß nicht, ich lasse sowas einfach so ungern stehen, ohne darüber geredet zu haben“, antwortete Joe und wirkte bedrückt. „Mach dir doch keinen Kopf. Er hat das bestimmt schon wieder vergessen. Er war doch noch nie der Typ, der viel über sowas redet“, meinte Tai abwinkend. „Seht mal, da kommt Yolei und bringt unser Essen mit.“ _ Keuchend blieb Yolei vor der Gruppe stehen. Offenbar war sie den ganzen Weg durch den Park gerannt. Cody musterte sie und ihm fiel auf, dass er sie schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte, obwohl sie immer noch im gleichen Haus wohnten, genau wie T.K. Langsam sah man dem Mädchen ihre fast sechzehn Jahre an. Ihre Hüften waren ein wenig breiter geworden und ihr Gesicht dafür schmaler. Sie sah nun mehr aus wie eine junge Frau, während Cody sich selbst immer noch recht kindlich fühlte, zumindest wenn er mit dieser Gruppe zusammen war. Immerhin war er der Jüngste. Yolei breitete ihre Decke aus, die sie mitgebracht hatte, ließ sich darauf fallen und stellte den Rucksack ab. „Ich hab meiner Schwester das ganze Essen geklaut“, verkündete sie und packte ein Päckchen nach dem anderen aus. Da war von Gemüse und Obst über Reisbällchen und Sushi bis hin zu Limo und Tee alles dabei. „Mann, hast du euren Laden ausgeraubt?“, fragte Joe und betrachtete staunend den Lebensmittelhaufen vor Yolei. „Tai und ich haben Bento gemacht“, verkündete Kari und kramte nun aus ihrer Tasche ein paar Kästchen hervor. „Und ich hab Süßigkeiten mitgebracht. Dann sind wir ja alle bestens versorgt“, stellte Cody fest und holte tütenweise Bonbons aus seiner Tasche. _ Als alle bis auf Matt angekommen waren, machten sie sich über das Essen her. Izzy lehnte sich zurück und verspeiste gerade ein Reisbällchen. Im Park war wirklich viel los. Wo man auch hinsah, saßen grüppchenweise Menschen zusammen und lachten und tranken und aßen. Zwischen den prachtvollen rosafarbenen Kronen der Kirschbäume konnte man immer wieder Stücke hellblauen Himmels erkennen, der sich bereits langsam gelblich färbte. Kindergeschrei und ein wenig Musik wehte zu ihnen herüber, da manche Leute ein kleines Radio mitgebracht hatten. Alles in allem herrschte eine friedliche, fröhliche Stimmung und Izzy schloss für einen Moment die Augen, um die Ruhe vor dem neuen Schuljahr zu genießen. „Oh Mann, ich habe die Kirschblüte so vermisst in den USA“, seufzte Mimi und sah sich verträumt um. „Gibt es irgendein schöneres Fest?“ „Silvester vielleicht“, überlegte Kari laut. „Aber an Silvester ist doch Winter. Der Frühling ist doch viel schöner“, meinte Tai. „Ja, endlich wieder draußen Fußball spielen“, stimmte Davis ihm zu und grinste in Kens Richtung. „Ihr und euer blöder Fußball“, stöhnte Yolei genervt. „Du bist doch nur neidisch, weil du selbst nicht gut in Sport bist“, stichelte Davis und breitete sich auf seiner Decke aus, die er zusammen mit Ken belegt hatte. „So ein Blödsinn. Ich habe eben andere Qualitäten“, erwiderte Yolei nüchtern. „Ach Izzy, willst du dieses Jahr eigentlich wieder den Computerclub leiten?“ Fragend sah sie zu Izzy herüber, der erst einmal überlegen musste. Er hatte im vergangenen Schuljahr schon mit der Leitung des Clubs begonnen, doch es war immer ein Haufen zusätzlicher Arbeit gewesen, obwohl er nur einmal in der Woche stattgefunden hatte. Allerdings hatte es großen Andrang gegeben und der Club hatte sich auch noch im Laufe des Schuljahres großer Beliebtheit erfreut. Izzy hatte den Teilnehmern gezeigt, wie sie richtig mit Textbearbeitungsprogrammen umgingen, wie man Tabellenkalkulation vornahm, Fotobearbeitungsprogramme bediente und zum Schluss hatte er seine Gruppe sogar in die Grundkenntnisse des Programmierens eingeweiht. „Hm, ich weiß es selbst noch nicht. Willst du denn wieder mitmachen?“, antwortete er und erwiderte Yoleis Blick. „Keine Ahnung. Eigentlich wollte ich mich im Kochclub anmelden, aber vielleicht komme ich zusätzlich noch zu dir, wenn du den Club wieder übernimmst“, sagte sie. „Ich würde auch gerne in deinen Computerclub kommen, Izzy“, mischte Mimi sich ein und Izzy war nicht der Einzige, der sie daraufhin überrascht ansah. „Was? Du?“, fragte Tai und machte ein skeptisches Gesicht. „Ja, ich. Und was soll denn dieser blöde Unterton?“, blaffte Mimi ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Naja“, stammelte Tai, „du wirkst nicht wie der typische Computerfan.“ „Und wie wirkt bitte ein typischer Computerfan?“, fragte Yolei nun und sah Tai ebenfalls missbilligend an. „Ich... ähm... nicht so wie Mimi eben“, antwortete Tai unsicher und sah hilflos zu Sora, die kicherte. „Lass gut sein. Du kannst jetzt nur das Falsche sagen, glaub ich“, meinte sie und klopfte ihm auf die Schulter. Die anderen lachten, doch insgeheim konnte Izzy Tai nur Recht geben, was er aber lieber für sich behielt, da er sich nicht mit Mimi und Yolei anlegen wollte. Ein Interesse für Computer hätte er dem stets modisch gekleideten Mädchen mit den pink gefärbten Haarspitzen ebenfalls nicht zugetraut. _ Die Sonne war bereits völlig hinter dem Horizont verschwunden, als Matt endlich in der U-Bahn zum Park saß. Wenn alles glatt ging und es nirgendwo zu Verspätungen kam, dann wäre er wohl gegen elf bei den anderen. Auf keinen Fall wollte er zu spät kommen. Es war ungewohnt, nach dem Konzert nicht in einen nahegelegenen Club zu gehen und den Abend bei ein paar Bier ausklingen zu lassen. „War doch ein super Konzert“, bemerkte Shin grinsend, der ihm gegenüber saß. „Hätte kaum besser laufen können, oder?“ Matt nickte, während er aus dem schwarzen Fenster sah. „Wir hatten schon schlechtere.“ „Glaubst du, wir kommen irgendwann mal weiter hinaus als nur nach Tokio und sein Umland?“, fragte Shin nachdenklich. Matt sah ihn an und zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe es. Wir müssen einfach weiter Konzerte geben, wo wir können.“ Bisher hatten sich die Auftritte der Tokyo Rebels auf Japans Hauptstadt beschränkt, doch immerhin spielten sie nicht mehr nur in heruntergekommenen Kneipen, sondern auch in größeren Clubs und in kleineren Hallen zusammen mit ein paar anderen Bands. Wenn die Clubs mit Plakaten für ihre Rockabende warben, dann stand der Name ihrer Band stets als einer der ersten darauf. Matt wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich ihnen jemand näherte. Beide wandten sich um und erblickten zwei Mädchen, die ein wenig aufgeregt wirkten. Unsicher kichernd sahen sie sich an und wandten sich dann an Matt und Shin. „Ihr seid doch Matt und Shin, oder?“, fragte die Größere der beiden. Sie war vielleicht sechzehn, ein wenig mollig und hatte strohiges Haar. Nicht Matts Beuteschema. Die andere war ein bisschen kleiner, aber recht hübsch. Sie trug eine Hornbrille und roten Lippenstift. „Wir waren vorhin bei eurem Konzert“, fügte sie hinzu. „Cool, setzt euch doch her“, sagte Shin lächelnd und deutete auf den Platz neben sich. Matt hatte eigentlich keine Lust auf eine Kommunikation mit Fans, doch auch er setzte ein leichtes Lächeln auf. Die Hübschere der beiden setzte sich neben ihn. „Es ist echt cool, euch zu treffen“, schwärmte die Größere und strahlte abwechselnd beide Jungen an. „Ich bin übrigens Hisa und das ist Itoe“, stellte sie sich und ihre Freundin vor. „Okay, ich bin Shin und das ist Matt, aber...“ „Ja, das wissen wir doch schon“, kicherte Hisa und unterbrach somit Shin, der ein wenig verwirrt drein blickte. „Wollt ihr uns vielleicht Autogramme geben?“ „Klar, wenn ihr Zettel und Stifte dabei habt“, antwortete Shin, woraufhin beide Mädchen in ihren Taschen kramten und Schreibutensilien hervorholten. Sie reichten zwei Zettel und einen Stift abwechselnd an Shin und Matt weiter, die eine Widmung und ihre Unterschrift darauf schrieben. Sie bedankten sich strahlend, als sie ihre Zettel zurückbekamen. „Sagt mal, wollt ihr uns vielleicht eure Handynummern geben? Dann könnten wir miteinander schreiben“, fragte Hisa und sah dabei vor allem Matt an. „Sorry, wir geben unsere Handynummern nicht raus“, antwortete Matt abweisend. „Aber ihr könnt an unsere E-Mail-Adresse schreiben, wenn ihr wollt“, schlug Shin versöhnlich vor und warf Matt einen finsteren Blick zu. Ein wenig enttäuscht gaben sich die beiden Mädchen damit zufrieden. Sie fragten Matt und Shin noch ein wenig über neue Lieder und die nächsten Konzerte aus, bevor sie schließlich ausstiegen. „Mann Matt, du sollst nicht immer so gemein zu denen sein“, sagte Shin vorwurfsvoll, als die U-Bahn weiterfuhr. „Wieso denn gemein? Du kannst ja deine Nummer jedem geben, der dich danach fragt, wenn du willst“, antwortete Matt mit gerunzelter Stirn. „Nein, nein, ist ja richtig, dass wir die nicht rausgeben. Aber das kann man auch freundlicher sagen. Wenn du so weitermachst, heißt es bald noch, der Sänger von den Tokyo Rebels ist ein unsympathischer Arsch“, entgegnete Shin unwirsch. „Ist ja gut. Nächstes Mal bin ich freundlicher“, sagte Matt genervt und sah wieder aus dem Fenster. Nur noch wenige Stationen bis zum Park. _ „Hey, da kommt Matt“, rief Sora und deutete auf den blonden jungen Mann, der sich ihrer Gruppe gerade näherte. „Na super, dann sind wir ja endlich vollzählig“, sagte Joe. Sie rückten ein wenig zusammen, um Matt Platz zu machen, der sich zwischen Mimi und Tai setzte. „Mann, hier kommt man ja kaum noch durch“, seufzte er, als er sich fallen ließ. Sora sah sich um. Er hatte Recht; die Menschen saßen so dicht gedrängt, dass man tatsächlich aufpassen musste, niemanden zu treten. Mittlerweile waren hier fast nur noch Leute zwischen sechzehn und dreißig zu sehen. Die Familien hatten sich mit ihren Kindern bereits vor einer Weile verzogen. „Und wie war das Konzert?“, fragte Tai an Matt gewandt. „Lief gut“, antwortete Matt kurz angebunden. „Hast du wieder eine aufgerissen?“, fragte Tai grinsend, woraufhin Matt ihn gegen den Arm boxte. „War ja keine Zeit“, erwiderte er trocken. „Du bist unverbesserlich“, mischte Sora sich ein und drückte dem Neuankömmling eine Dose Bier in die Hand. „Danke“, sagte er, ohne auf ihren Kommentar zu reagieren. „Sag mal, bekommt man Karten für euer Konzert vergünstigt, wenn man dich kennt?“, fragte Mimi an Matt gewandt und klimperte mit den Wimpern. „Ich kann dir sogar gratis welche besorgen“, antwortete Matt lächelnd. „Du musst dich nur dafür ausziehen“, sagte Tai zu Mimi und lachte. Mimi stimmte in sein Lachen ein, während Sora nur den Kopf schüttelte und Matt Tai einen finsteren Blick zuwarf. „Du kannst auch einfach mal die Klappe halten, Yagami“, zischte er. „Ach, ich glaube, das will ohnehin keiner sehen. In den Staaten habe ich ganz schön zugenommen“, warf Mimi ein und winkte ab. Sofort wurde sie von den anderen drei kritisch beäugt. „Also ich sehe nichts“, meinte Tai und sah Matt an, der mit den Schultern zuckte und den Kopf schüttelte. Sora hielt sich lieber zurück, da sie Mimi Recht geben musste. Sie hatte durchaus ein wenig zugenommen, sah jedoch immer noch gut aus. „Hey Tai, du hast bloß noch eine halbe Stunde als Siebzehnjähriger“, rief Davis zu den Älteren herüber. „Zum Glück. Wieder ein Jahr näher an der Volljährigkeit“, entgegnete Tai. „Und am Schulabschluss“, fügte Izzy hinzu. „Hast du unser Geschenk dabei?“, fragte Matt leise an Sora gewandt, indem er sich über Mimi hinweg beugte. Er hatte die Gelegenheit genutzt, denn Tai war gerade mit Izzy und Joe in ein Gespräch darüber vertieft, was mit achtzehn besser war als mit siebzehn. „Klar“, antwortete Sora lächelnd und deutete auf ihre Tasche. „Was schenkt ihr ihm denn?“, fragte Mimi neugierig. „Ich habe ihm jetzt nur ein paar Süßigkeiten aus den USA mitgebracht.“ „Ein Fotoalbum“, antwortete Sora. „Das haben wir letztens noch gebastelt. Kari und T.K. haben auch mitgemacht.“ „Was für eine coole Idee“, fand Mimi und sah beeindruckt aus. „Da freut er sich bestimmt.“ „Ich hoffe es“, meinte Sora ein wenig bang. Aber bestimmt würde es Tai gefallen. _ Aufgeregt starrten seine Freunde eine Minute vor Mitternacht auf die Uhr und zählten die Sekunden runter. Als schließlich der nächste Tag begonnen hatte, stimmten sie alle gemeinsam ein Geburtstagslied an. Tai war das fast schon peinlich, denn die umliegenden Leute drehten sich schon ein wenig genervt nach ihnen um. Als das Lied verklungen war, musste Tai aufstehen und alle kamen nacheinander zu ihm, um ihm zu gratulieren. Elf Umarmungen, die alle sehr unterschiedlich waren. Während die von Ken und Joe sehr zögerlich waren, wollte Kari ihn gar nicht mehr loslassen. Aber auf Sora freute er sich am meisten und war froh, dass sie die Letzte war, die ihn umarmte. „Ich wünsche dir alles Liebe, Tai. Mögen sich all deine Wünsche erfüllen“, sagte sie leise und schlang die Arme um seinen Hals. Er schloss seine Arme um ihre Taille, schloss die Augen und hielt einen Moment die Luft an. Sein Herz machte einen Salto und er musste seine Enttäuschung verbergen, als Sora ihn wieder losließ. „Okay, wer möchte als Erstes sein Geschenk geben?“, fragte sie in die Runde. Nach und nach musste Tai Päckchen auspacken, bei denen er zum Teil nicht schlecht staunte. Von Mimi bekam er Süßigkeiten aus den USA, von Joe eine Flasche Sake, von Davis und Ken einen Gutschein für ein Sportgeschäft in Tokio, von T.K., Izzy und Yolei einen neuen Fußball, von Kari einen Gutschein, dem sie ihm vorerst nicht näher erläutern wollte, Cody schenkte ihm ebenfalls Süßigkeiten und Sora und Matt hatten ein Fotoalbum gebastelt, das den ganzen restlichen Abend unter den Freunden die Runde machte. Allerdings durfte Tai es sich als Erster anschauen. Es war wirklich süß gemacht. T.K. und Kari hatten auch daran mit gebastelt und es stellte sozusagen seine Lebensgeschichte in Fotos dar. Am Anfang klebten da Babyfotos von ihm, aber auch von Matt, Sora, T.K. und Kari mit witzigen Kommentaren darunter. Darauf folgten alle möglichen Kinderfotos aus Kindergarten- und Grundschulzeiten. „Ach Mimi, wir waren ja im selben Kindergarten. Hätte ich fast schon wieder vergessen“, sagte Tai an Mimi gewandt. „Zeig mal her“, meinte sie und tatsächlich. Da klebte ein Foto von einer Gruppe Kindergartenkinder. „Da bist du“, rief sie und deutete auf einen Jungen mit wirrem dunklem Haar und wildem Blick. Sein Gesicht war dreckig und ein Pflaster prangte auf seiner Stirn. „Typisch Tai, immer ein Wildfang“, kommentierte Sora grinsend. „Und da bin ja auch ich“, fiel Mimi auf und deutete auf ein Mädchen mit hellbraunen Zöpfen und einem rosa Kleidchen, das nicht besonders glücklich aussah. „Wie süß ihr ausseht“, fand Sora lachend. „Von dir sind doch auch noch Kinderfotos dabei“, sagte Matt. Tai blätterte weiter und fand noch mehr Fotos aus der ersten Klasse, aus dem Fußballverein, von Klassenfahrten, vom Sommercamp und allen möglichen anderen Dingen. Auf einem Foto waren sogar alle zwölf Freunde abgebildet. Das musste im Jahr 2002 gewesen sein. Das letzte Foto zeigte Tai, Matt und Sora und war erst vor kurzem entstanden. Nachdenklich starrte Tai es an. _ Als Mimi endlich an der Reihe war, sich das Fotoalbum genauer anzusehen, konnte sie nicht anders, als Matt und Sora mit Lob geradezu zu überschütten. „Das war echt eine tolle Idee von euch“, schwärmte sie, während sie durch die Seiten blätterte. „War Soras Idee“, meinte Matt nüchtern und nippte an seinem Bier. „Aber Matt hat ganz viele Fotos besorgt, die ich nie gekriegt hätte“, wandte Sora schnell ein. „Lass dich doch einfach mal loben“, erwiderte Matt kopfschüttelnd. „Also echt mal“, stimmte Mimi ihm fröhlich zu. „Du kannst Komplimente ruhig mal annehmen.“ „Ja, schon gut“, seufzte Sora ergeben. „Danke.“ Mimi schlug das Album zu und gab es an den Nächsten weiter. Dann ließ sie sich zurückfallen und streckte sich auf dem Boden aus. „Ich hab die Kirschblüte so vermisst“, seufzte sie glücklich und starrte nach oben. Die unzähligen rosafarbenen Blüten wurden nun von bunten Laternen beleuchtet, die ein angenehmes Licht über den ganzen Park warfen und für Mimi irgendwie typisch japanisches Flair ausstrahlten. „Das hast du jetzt auch schon mindestens zum hundertsten Mal gesagt“, meinte Matt und sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Macht nichts“, erwiderte sie nur schulterzuckend und setzte sich wieder auf. Ihr war gerade ein Einfall gekommen und sie sah Matt aufgeregt an, der ihren Blick etwas verwirrt erwiderte. „Sag mal, wollen du und deine Band eigentlich auch mal in New York auftreten?“ „Was für eine Frage“, antwortete er verdattert. „Wenn wir es schaffen, in den USA berühmt zu werden, dann sind wir Stars. Warum fragst du?“ „Hm, ich glaube“, fing Mimi an und machte eine Kunstpause, in der sie Matt beobachtete. In seinen Augen lag ein eigenartiger Ausdruck und er blickte sie gespannt an. „Ich glaube, ich könnte vielleicht etwas arrangieren. Ich gehe oft in einen großen Club in New York und mein Vater ist mit dem Besitzer des Clubs befreundet. Bestimmt kann ich mal mit ihm reden.“ Matt machte große Augen. „Das wäre... wow!“ „Aber jetzt geht es natürlich erst mal nicht. Aber sobald ich wieder in New York bin, werde ich nachfragen“, versprach sie lächelnd. Matt schenkte ihr einen anerkennenden Blick, griff nach einer neuen Bierdose, öffnete sie und drückte sie Mimi in die Hand. „Darauf sollten wir anstoßen“, fand er grinsend. Widerwillig hob Mimi die Dose, stieß mit ihm an und trank einen Schluck. Bier würde trotzdem nicht ihr Lieblingsgetränk werden. _ Obwohl T.K. ein Stück von Matt entfernt saß, entgingen ihm die Blicke nicht, die er Mimi immer wieder zuwarf. Er wusste, dass sein großer Bruder ein Aufreißer war und es mit keinem seiner Dates ernst meinte, obwohl Matt ihm davon natürlich nichts erzählte. Mit dem kleinen Bruder redete man schließlich nicht über solche Sachen. Doch dass er sich für jemanden interessierte, den er kannte, war neu. Gerade überlegte T.K., ob er Matt irgendwann mal darauf ansprechen sollte, als Kari neben ihm kichernd gegen ihn fiel und mit dem Kopf gegen seinen Kopf stieß. „Ups“, machte sie und grinste T.K. an. Ihre Wangen waren gerötet und sie wirkte selbst für ihre Verhältnisse zu fröhlich. Davis, dem T.K. gerade einen warnenden Blick zuwarf, saß an ihrer anderen Seite und lachte ebenfalls über irgendetwas. Beide hielten bunte Alcopops in den Händen, die Davis irgendwie zum Fest geschmuggelt hatte. „Hey, was soll das“, rief T.K. ihm genervt zu. „Wenn du dich betrinken willst, ist mir das egal, aber lass Kari in Ruhe.“ Kari sah zu ihm auf und kicherte erneut. „Sei doch nicht so ein Spießer“, gluckste sie und hielt ihm ihr Getränk unter die Nase, das er kopfschüttelnd ablehnte. „Du kannst auch einfach sagen, dass du auch was abhaben willst“, lallte Davis, bot ihm aber keine Flasche an. „Ihr solltet beide lieber damit aufhören“, erwiderte T.K. trocken. „Nein, du solltest lieber anfangen“, entgegnete Kari kichernd, stieß mit Davis an und trank einen Schluck. T.K. runzelte die Stirn und wandte sich von den beiden ab. Ihm war nicht ganz klar, was genau Davis mit dieser Aktion bezwecken wollte, doch ganz offensichtlich wollte er Karis Sympathie für ihn irgendwie steigern, anscheinend indem er sie zum Alkoholtrinken überredete. Es war T.K. nur schleierhaft, weshalb Kari darauf einging. Vielleicht hatte sie noch immer ein schlechtes Gewissen wegen der Sache am vergangenen Sonntag. „T.K.“ Er blickte auf und sah zu Tai hinüber, der ihn zu sich heran winkte. T.K. stand auf, ging zu ihm und setzte sich neben ihn. „Sag mal, trinkt ihr da drüben etwa Alkohol?“ Er wich Tais Blick aus, da er wusste, dass er ihn mit dafür verantwortlich machen würde, wenn Kari Dummheiten anstellte. Immerhin steckten nach der Meinung aller anderen Kari und T.K. ohnehin immer unter einer Decke. „Keine Ahnung“, log er und zuckte mit den Schultern. „Das glaube ich dir nicht“, entgegnete Tai kühl. „Dachte ich mir“, erwiderte T.K., ohne ihn anzusehen. „Hört auf damit, klar?“, sagte er barsch. „Ihr dürft das nicht. Ihr kriegt einen Riesenärger, wenn man euch erwischt.“ „Ihr dürft das auch nicht“, konterte T.K. und blickte den Älteren nun herausfordernd an. „Aber wir sind immer noch älter“, meinte Tai nun grinsend und wuschelte T.K. durchs Haar. Dieser riss sich los und stand wieder auf. „Übertreibt es nicht, okay?“, sagte Tai nun wieder ernst. „Ja ja, schon klar“, seufzte T.K. und ging zurück zu Kari und Davis. _ Davis hatte auch Ken eine Flasche von diesem süßen, bunten Zeug angeboten, doch er hatte abgelehnt und unterhielt sich mit Cody und Yolei. „Davis und Kari sollten sich mal zusammenreißen“, schnaubte Yolei und beobachtete die beiden mit finsterem Blick. „Das kann böse enden.“ „Es wird sie schon niemand verpetzen“, versuchte Ken sie zu beruhigen. „Diese Süßigkeiten aus eurem Laden sind übrigens super.“ Nun richtete Yolei ihre Aufmerksamkeit ganz auf Ken und strahlte. „Freut mich.“ „Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr in eurem Laden“, stellte Ken fest. „Naja, du wohnst ja auch ein Stück weg“, warf Cody ein und trank einen Schluck aus seiner Coladose. Ja, da hatte er Recht, denn das war ja auch der Grund, weshalb er den Kontakt zu den anderen verloren hatte. Aber das konnte sich ja nun wieder ändern. „Du darfst jederzeit in unserem Laden einkaufen kommen. Wenn ich gerade da bin, dann helfe ich dir sogar“, meinte Yolei und zwinkerte ihm zu, woraufhin Ken lächelte. „Das ist lieb“, fand er und nickte. „Wie geht es deinen Geschwistern?“ „Ach, denen geht es doch immer gut“, antwortete Yolei abwinkend, doch Ken sah, dass sie ein wenig genervt wirkte. Wahrscheinlich war es ziemlich anstrengend, zu sechst in einer kleinen Wohnung zu wohnen, doch irgendwie beneidete er Yolei trotzdem darum. Er hätte nichts dagegen, noch ein paar Geschwister zu haben, die die Aufmerksamkeit seiner Eltern ab und an mal auf sich lenken und sie somit von ihm ablenken würden. Oft fragte er sich, wie es wohl wäre, wenn Sammy noch leben würde. _ „Matt.“ Joe hatte einen Moment abgewartet, in dem Matt sich nicht mit irgendjemandem unterhielt und Tai und Mimi abgelenkt waren, sodass er ihn ungestört ansprechen konnte. „Hm?“ Matt sah auf und blickte Joe fragend an. „Also noch mal wegen Sonntag, ich...“ „Fängst du schon wieder damit an?“, unterbrach Matt ihn sofort und schüttelte den Kopf. „Vergiss es endlich, okay? Das ist doch Kinderkram. Wenn du das nicht ständig wieder ansprechen würdest, hätte ich es schon längst vergessen.“ „Naja, aber weißt du“, Joe rutschte unruhig auf seinem Platz herum, „ich kann sowas nicht einfach stehen lassen, ohne darüber geredet zu haben.“ „Wir haben doch darüber geredet“, seufzte Matt und verdrehte die Augen. „Aber nicht richtig“, widersprach Joe unruhig und sah Matt fest in die Augen. Dieser stieß nun einen weiteren genervten Seufzer aus und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Es ist nicht der Rede wert, okay? Das Thema ist durch. Fertig“, sagte er bestimmt. Zwar sah Matt so aus, als würde er es tatsächlich so meinen, doch Joe war der Ausgang des Gesprächs noch immer nicht recht. Dennoch beschloss er, das Thema nun auf sich beruhen zu lassen und es nicht mehr anzusprechen. Er wollte Matt nicht noch mehr nerven. Lieber wollte er dazu beitragen, dass es für alle noch ein angenehmer Abend wurde. Kapitel 6: Der erste Schultag ----------------------------- Donnerstag, 6. April 2006   Wenn sie etwas typisch Japanisches in den USA auf keinen Fall vermisst hatte, dann waren es wohl die Schuluniformen. Genervt stand Mimi vor dem großen Spiegel mit dem verschnörkelten Rahmen in ihrem Zimmer, hatte die Hände in die Hüften gestützt und musterte sich selbst. Am liebsten würde sie dieses seltsame Oberteil mit den langen Ärmeln und erst recht den Faltenrock sofort wieder ausziehen und ihre eigenen Sachen überziehen, doch dann würde man sie wohl nach Hause schicken, noch bevor der Unterricht begonnen hatte. „Honey, kommst du? Dein Frühstück wird kalt.“ Honey. Das war eines der Wörter, die Mimis Mutter in den USA kennen und lieben gelernt hatte, weshalb sie es jetzt immer noch benutzte, vorzugsweise, wenn sie Mimi ansprach. Ihr Vater wurde stets Darling gerufen. Bevor Mimi es sich mit ihrer Schuluniform doch noch anders überlegen konnte, wandte sie sich schnell von ihrem Spiegelbild ab und ging in die für japanische Verhältnisse relativ große Küche, wo ein Teller voll Rührei und Speck auf sie wartete. Auch Pfannkuchen mit Ahornsirup gab es. Das Essverhalten der US-Amerikaner hatte ihre Mutter ebenfalls mit nach Japan geschleppt. „Du siehst süß aus“, begrüßte Satoe sie lächelnd. „Ich finde, ich seh bescheuert aus“, widersprach Mimi und setzte sich auf ihren Platz am Esstisch. „Aber Mimi, auf deiner Schule sehen doch alle so aus“, sagte Satoe und musterte sie mit verzücktem Blick. „Eben“, murmelte Mimi und begann zu essen. „Aber du hast doch immer erzählt, wie in New York manche deiner Klassenkameraden gemobbt wurden, wenn sie billige Kleidung getragen haben. Das kann jetzt nicht mehr passieren“, erwiderte Satoe, stützte den Kopf auf die Hände und sah Mimi beim Essen zu. Sie selbst frühstückte stets halb sieben zusammen mit ihrem Vater. Mimi beschloss, nichts mehr zu antworten, da es eh zu nichts führte, und wandte sich nach ein paar Bissen vom Rührei den Pfannkuchen zu. Den Speck ließ sie vollkommen unangetastet. „Bist du eigentlich schon aufgeregt?“, fragte Satoe neugierig. „Total“, antwortete Mimi sarkastisch. Sie war selten vor irgendetwas aufgeregt und schon gar nicht vor diesem ersten Schultag. Immerhin kannte sie die Stadt, die Sprache und sogar ein paar Leute aus der Schule. Was sollte schon passieren? „Glaubst du, du kommst mit Izzy in eine Klasse?“, fragte Satoe weiter. „Keine Ahnung“, antwortete Mimi schulterzuckend. „Ich werde es nachher sehen. Aber es wäre zumindest gut, schon mit jemandem aus der Klasse befreundet zu sein.“ „Du kannst Izzy auch gern mal zu uns nach Hause zum Abendessen einladen“, schlug Satoe strahlend vor. Mimi runzelte die Stirn und antwortete auch hierauf nicht. Ihre Mutter war immer ganz scharf darauf, all ihre Freunde zu kennen und zu sich nach Hause einzuladen, um sie zu bekochen. Mimi ließ ihr Besteck sinken, stand auf und schnappte sich ihre Schultasche. „Ich muss los, sonst komme ich schon am ersten Tag zu spät“, verkündete sie und machte sich auf den Weg zur Wohnungstür. „Warte mal. Du hast doch noch gar nicht aufgegessen“, rief Satoe und lief ihr hinterher. „Ich hab dir doch schon gesagt, ich will nicht mehr so viel fettiges Zeug essen. Ich muss abnehmen“, antwortete Mimi ungeduldig. „Du musst doch nicht abnehmen!“, protestierte Satoe, wie immer. Sie gab Mimi einen Kuss auf die Wange zum Abschied und ließ sie dann endlich gehen. „Viel Spaß.“ _ Müde setzte Kari sich neben Tai an den Frühstückstisch und begann, sich eine Scheibe Toast mit Butter zu bestreichen. Ihre Mutter saß ihnen gegenüber und wirkte noch müder, als Kari sich fühlte. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihr Haar war unordentlich und fettig und sie wirkte um Jahre gealtert. Am vorigen Abend hatten Kari und Tai ihre Eltern wieder streiten hören, was Kari mittlerweile jedoch als gutes Zeichen deutete. Viel schlimmer fand sie es, wenn ihre Eltern kein Wort miteinander redeten und sich sogar ignorierten. „Seid ihr ausgeschlafen?“, fragte Yuuko, wahrscheinlich nur um überhaupt etwas zu sagen. „Wir schon, aber du anscheinend nicht“, antwortete Tai und musterte sie besorgt. Keiner der beiden Geschwister hatte ihre Mutter oder ihren Vater auf die häufigen Streitereien bisher angesprochen. „Ach was, schon gut, ich kann mich ja noch mal hinlegen, wenn ich will“, widersprach sie und lächelte ein sehr gezwungen aussehendes Lächeln. „Übrigens wundert euch nicht, wenn ich nachher nicht da bin. Ich muss ein paar Einkäufe fürs Wochenende erledigen.“ Kari nickte geistesabwesend und knabberte ohne Hunger an ihrem Toast. Als es endlich Zeit war, sich auf den Weg zur Schule zu machen, schnappten beide ihre Taschen und verließen mit ein paar Abschiedsworten für ihre Mutter die Wohnung. Schweigend liefen sie nebeneinander her zur Schule. „Ich bin irgendwie froh, dass die Schule wieder los geht. Das bedeutet, dass ich weniger zu Hause sein muss“, sagte Kari nach einer Weile mit gesenktem Kopf. „Geht mir auch so“, erwiderte Tai trocken. „Glaubst du, wir sollten sie mal direkt darauf ansprechen?“, fragte sie unsicher und rückte ihre Schultasche in eine bequemere Position. „Nein, was sollen sie uns denn sagen? Das müssen die unter sich ausmachen“, antwortete Tai bestimmt. Er klang ziemlich kühl. „Aber vielleicht könnten wir ihnen eine Paartherapie oder so etwas vorschlagen“, überlegte Kari laut und Tai gab ein verächtliches Geräusch von sich. „Ach, das ist doch eh alles Quatsch.“ Da war sich Kari nicht so sicher. Sie hatte eine Freundin in der Schule, deren Eltern auch einmal eine Paartherapie mitgemacht hatten und bei denen hatte das tatsächlich gewirkt. Wieso sollte es ihren Eltern also nicht auch helfen? Kari hatte sich immer so wohl gefühlt in ihrer Familie, so behütet und geborgen und glücklich. Sie wollte dieses Gefühl nicht verlieren. „Glaubst du, sie werden sich trennen?“, fragte sie beunruhigt und sah Tai an. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. „Nein, bestimmt nicht. Die kriegen das sicher wieder hin“, sagte er, erwiderte ihren Blick jedoch nicht, sondern sah stur geradeaus. Kari wusste, dass er selbst nicht von dem überzeugt war, was er sagte. _ Sie hatten sich alle im Foyer der Schule verabredet, um gemeinsam zum schwarzen Brett zu gehen und die Klassenverteilung anzuschauen. Nur Tai und Kari fehlten noch, dann waren sie vollständig, doch die beiden kamen gerade an. „Was ist denn mit euch los? Ihr seht ja so geknickt aus“, begrüßte Sora die beiden und machte ein besorgtes Gesicht. „Na logisch sind sie geknickt. Es ist ja auch der erste Schultag und wir tragen alle bescheuerte Schuluniformen“, warf Mimi genervt ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Izzy seufzte. Sie beschwerte sich schon den ganzen Morgen über ihre Schuluniform und fand sich damit furchtbar universell. Auch Cody, der bisher sehr schweigsam gewesen war, wirkte nicht allzu begeistert von seinem neuen täglichen Outfit. Tai und Kari begrüßten alle und anschließend machte sich die Gruppe, nun bestehend aus zehn Leuten, auf den Weg zum schwarzen Brett, wo sich schon viele Schüler tummelten und laut verkündeten, in welche Klassen sie eingeteilt waren. Izzy und die anderen versuchten, sich ebenfalls in die Menge zu quetschen, um den Plan lesen zu können. Wenigstens gab es zwei unterschiedliche schwarze Bretter für die Mittelschule und die Oberschule, doch es war trotzdem voll genug. „Izzy, hast du deinen Namen schon gefunden?“, fragte Mimi neben ihm aufgeregt und starrte auf den Plan. „Ja. Ich bin in der Eins und du?“ Ihr Blick glitt suchend die Liste entlang, bis sie anscheinend ihren Namen fand und vergnügt quietschte. „Ich auch!“ Sie warf die Arme um ihn und drückte ihn kurz an sich, weshalb Izzy ein wenig rosa anlief. Mimi war immer so überschwänglich. Sie kämpften sich zurück, woraufhin ihr Platz unverzüglich von anderen Schülern eingenommen wurde, und warteten auf ihre Freunde, die nach und nach wieder zu ihnen stießen. _ „Wie blöd, dass wir nicht mehr in einer Klasse sind“, sagte Sora traurig an Matt gewandt und meinte es auch ernst. Nun würden sie Matt noch weniger sehen. „Ja, dumm gelaufen“, sagte Matt nüchtern. „Aber wir sehen uns ja in den Pausen.“ „Und, wie ist es bei euch gelaufen?“, fragte Tai die anderen, als sie bei ihnen ankamen. „Wir sind alle drei in einer Klasse“, verkündete Davis und deutete auf sich, Kari und T.K. „Wie schön für euch. Wir haben Matt leider verloren“, erzählte Sora. „Ach, komm schon. Du tust ja gerade so, als würden wir uns gar nicht mehr sehen“, entgegnete Matt und tätschelte ihr die Schulter. „Naja, wir können zumindest keine Vorträge mehr zusammen machen. Jetzt muss ich die allein mit Tai machen.“ Sora grinste Tai an, der das Gesicht verzog. „Was soll das denn heißen? Ich bin ja wohl ein prima Vortragspartner!“, protestierte er. Matt und Sora prusteten los und die anderen lachten. „Wie sieht's bei euch aus? Seid ihr in eine Klasse gekommen?“, fragte Sora nun an Mimi und Izzy gewandt. Mimi klammerte sich an seinen Arm und nickte. „Ja und wehe, du lässt mich heute allein.“ Sie grinste ihn an und er lächelte unschuldig. „Gut, dass ich nicht mit Mimi in einer Klasse sein muss“, bemerkte Tai und musterte die beiden mit einer hochgezogenen Augenbraue. Mimi streckte ihm die Zunge raus. „Das Gleiche kann ich auch von dir behaupten.“ „Cody, wie ist es denn bei dir? Kennst du schon jemanden aus deiner Klasse?“, fragte Yolei an den Jüngsten der Runde gewandt, der den Kopf schüttelte. „Nein, die sind alle auf andere Mittelschulen gekommen“, antwortete er und ließ den Kopf hängen. „Aber das ist doch nicht so schlimm. So kannst du mehr neue Leute kennen lernen“, meinte Kari und zwinkerte ihm zu. „Genau, das wird bestimmt super“, pflichtete Sora ihr bei. „Mach dir keine Sorgen.“ Cody seufzte tief, nickte aber einigermaßen beruhigt. „Vielleicht sollten wir langsam mal in unsere Räume gehen, sonst kriegen wir nur noch die blöden Plätze ab“, sagte Davis mit einem Blick auf die große Uhr, die über den schwarzen Brettern hing. _ In ihrem Klassenraum angekommen, versuchte Davis, möglichst zwischen Kari und T.K. zu gehen, sodass er sich neben sie setzen konnte. Letztes Jahr hatten die beiden nebeneinander gesessen und Davis hinter ihnen, was ihn ziemlich genervt hatte, aber so hatte er zumindest nichts verpassen können. Sein Plan ging auf. Kari setzte sich auf einen Platz in der letzten Reihe am Fenster und Davis stürzte sich förmlich auf den Platz neben ihr. Ihm entging T.K.s kurzes Augenrollen nicht, doch das war ihm egal. Glücklich drehte er sich zu Kari, die gerade einen Schreibblock und einen Stift aus ihrer Tasche kramte. „Was machst du heute nach der Schule?“, fragte er lächelnd. Sie sah ihn an und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich weiß nicht.“ „Im Park ist doch gerade so ein Frühlingsfest. Vielleicht können wir ja da mal vorbeischauen?“, schlug Davis vor und spürte sein Herz höher schlagen. „Ja, okay“, antwortete Kari schulterzuckend. „T.K., willst du auch mitkommen?“ T.K. vor ihnen drehte sich um und Davis versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Immer T.K. Immer und immer wieder T.K. Warum konnte sie nicht einmal mit Davis allein etwas unternehmen, sondern musste immer T.K. einladen? „Nein, ich kann nicht“, antwortete T.K. und Davis hätte fast erleichtert aufgeatmet. „Matt hat mich zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Unser Vater kommt heute extra zeitig von der Arbeit.“ „Oh, schade“, sagte Davis und bemühte sich um einen betrübten Gesichtsausdruck. „Kocht Matt für dich?“, fragte Kari interessiert und widmete ihre komplette Aufmerksamkeit nun T.K. „Ja, zumindest war das gestern noch sein Plan“, antwortete er grinsend. „Ach, ich hätte auch gern einen Bruder, der mich bekocht. Tai hat das schon ewig nicht mehr gemacht“, seufzte Kari und stützte den Kopf auf die Hände. Davis warf ihr einen schiefen Blick zu. Obwohl Tai nicht kochte, würde er Jun sofort für ihn eintauschen. Wie ärgerlich, dass sie keine Wohnung gefunden hatte und während des Studiums weiter zu Hause leben musste. _ Die Klassenleiterstunde verging schleppend und Matt warf alle paar Minuten einen Blick auf die Uhr, die über der Tafel hing. Nagisa neben ihm, von der er wusste, dass sie auf ihn stand, versuchte ständig ein Gespräch mit ihm zu beginnen, obwohl Matt ihr jedes Mal nur einsilbige Antworten gab. „Wirst du dich in eine Arbeitsgemeinschaft einschreiben?“, fragte sie ihn gerade flüsternd, als er einen Kugelschreiber zwischen den Fingern drehte. „Nein, ich glaube nicht“, antwortete er. Immerhin hatte er genug mit seiner Musik zu tun und er hätte selbst dann keine Zeit für außerschulische Aktivitäten, wenn es keine Schule mehr geben würde. „Bestimmt wegen eurer Proben, oder?“, fragte Nagisa weiter. Matt nickte nur und starrte nach vorn zur Tafel. „Wann ist euer nächstes Konzert? Am Wochenende?“, fragte Nagisa, die anscheinend noch immer nicht merkte, dass er kein Interesse an einem Gespräch mit ihr hatte. „Morgen“, murmelte er. Morgen wollte er endlich mal wieder ein Mädchen mitnehmen. Seit Wochen hatte er schon keine mehr gehabt, weil er irgendwie nicht wollte. Warum, konnte er sich selbst nicht erklären. Es war doch irgendwie sehr eigenartig. Wäre er heute nicht mit T.K. verabredet, hätte er es mit Nagisa versuchen können, aber T.K. ging vor. Immer. _ „Puh“, machte Mimi, starrte auf die Liste, die sie in den Händen hielt, kratzte sich am Kopf, warf einen Blick auf Izzy neben sich und starrte wieder die Liste an. Sie saßen auf dem Schulhof auf einer Bank in der Sonne und überlegten gerade, in welche Aktivitäten sie sich einschreiben sollten. Das hieß, nur Mimi überlegte. Izzy wusste es wahrscheinlich schon. „Was soll ich bloß nehmen? Ich hätte Lust auf den Chor, aber ich würde auch gern in deinen Computerclub kommen. Aber tanzen wäre auch toll. Oder der Kochclub.“ Sie warf Izzy einen verzweifelten Blick zu. „Hilf mir doch mal.“ „Hm“, machte er und sah ebenfalls auf die Liste. „Was hast du denn in New York gemacht?“ „Du wirst lachen, wenn ich dir das sage.“ Er blickte neugierig auf und sah sie fragend an. „Ich war bei den Cheerleadern.“ Izzy nickte und lächelte amüsiert. „Dann geh doch zusammen mit Kari in den Tanzclub. Die ist da jetzt auch schon seit zwei Jahren.“ „Hm“, machte Mimi nun und sah nachdenklich die Eintragung „Tanzclub“ an. Er fand zwei mal die Woche statt, dienstags und donnerstags. Wenn sie regelmäßig zum Tanztraining ging, würde das ihrer Figur sicher gut tun und ihre Abnehmpläne unterstützen. Tanzen war zwar nicht das selbe wie Cheerleading, aber es kam dem zumindest nahe. „Ja, ich glaube, das mache ich. Machst du neben dem Computerclub noch etwas?“ „Ich wollte mal den Go-Zirkel probieren“, antwortete Izzy nachdenklich und tatsächlich hatte er selbigen auf seiner Liste unterstrichen. Das brachte Mimi zum Grinsen, weil es irgendwie total zu Izzy passte. „Also gut.“ Mimi sprang von der Bank auf und drehte sich zu Izzy um. „Lass uns uns einschreiben gehen, bevor noch alles voll ist.“ _ Es war schon mittags, als sie sich alle wieder vor dem Schulgelände trafen, um sich die wichtigsten Neuigkeiten zu erzählen. Alles hatte länger gedauert als erwartet: die Klassenleiterstunde, das Eintragen in die außerschulischen Aktivitäten, das Plaudern mit den Mitschülern, die man zwei Wochen nicht gesehen hatte. „Na, Cody? Was sagst du?“, fragte Izzy an den Jüngsten der Gruppe gewandt. „Wie ist dein Eindruck?“ „Also bisher finde ich es echt cool“, antwortete Cody. „Bei den ganzen außerschulischen Aktivitäten kann man sich ja gar nicht entscheiden.“ Daraufhin teilten sich alle gegenseitig mit, in welche Clubs und Vereine sie sich eingetragen hatten. Tai hatte sich natürlich beim Fußballclub angemeldet, wie jedes Jahr. Schließlich war er seit Beginn der Oberstufe der Kapitän der Mannschaft und liebte diesen Posten, auch wenn er Arbeit bedeutete. Davis hatte sich ebenfalls in die Fußballmannschaft eingetragen, denn auch er besuchte sie seit zwei Jahren. Izzy hatte sich dazu entschieden, wieder den Computerclub zu leiten, den auch Yolei besuchen wollte. Zusätzlich ging sie fortan in den Kochclub. Mimi und Kari hatten sich für den Tanzverein gemeldet und Kari war begeistert, dass Mimi diesen besuchen wollte. „Die Mädels beim Tanzen sind supernett, bis auf zwei, drei Ausnahmen“, hatte sie ihr fröhlich erklärt. Cody hatte sich wie auch Izzy in den Go-Zirkel eingeschrieben. T.K. wollte wieder am Basketballclub teilnehmen, wo er seit Beginn seiner Mittelschulzeit ziemlich erfolgreich war. Tai war sich sicher, dass er ab dem nächsten Schuljahr der Kapitän sein würde. Matt hielt wie üblich Abstand von außerschulischen Aktivitäten, da er genug mit seinen Bandproben zu tun hatte. Nur um Sora machte Tai sich Sorgen. Sie hatte sich in den Tennisclub, den Fußballclub der Mädchen und den Handarbeitsclub eingetragen. Zusätzlich wollte sie weiter in Nami's Café jobben. Tai konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Mensch so viele Dinge auf einmal bewältigen sollte, doch Sora war der Meinung, das wäre nicht zu viel. „Also dann sehen wir uns ja alle morgen wieder“, sagte sie gerade und blickte in die Runde. Alle verabschiedeten sich fröhlich voneinander und machten sich dann zusammen oder allein auf den Weg nach Hause. „Tai?“ Tai drehte sich um und sah seine Schwester fragend an. „Ich gehe noch mit Davis aufs Frühlingsfest. Sagst du Mama Bescheid?“ Tai musterte sie und Davis, der neben ihr stand, erstaunt. Es kam selten – um nicht zu sagen nie – vor, dass die beiden etwas zu zweit unternahmen. Ob Kari gerade dabei war, ihre Meinung über Davis zu ändern? „Ja, klar, kein Problem.“ _ „Was kochst du uns denn heute?“, fragte T.K. seinen großen Bruder neugierig. Sie waren gerade eben in der Wohnung der Ishidas angekommen und T.K. hatte auf seinem Stammplatz am Esstisch Platz genommen. In der gesamten Wohnung sah es wie immer ein wenig unaufgeräumt aus. Hier und da hing ein Hemd, das noch gebügelt werden musste, auf der Küchenarbeitsfläche lagen Notizzettel und Stifte verstreut, benutztes Geschirr stapelte sich auf dem Abtropfbecken, auf dem Boden flogen ein paar Staubflusen durch die Gegend. „Sagen wir, es gibt mein Spezialgericht“, antwortete Matt zwinkernd und holte ein Messer und ein Schneidebrett aus den Schränken hervor. „Ah, lecker, ich freu mich schon“, sagte T.K., dem schon der Magen knurrte. „Na ja, ein bisschen dauert es schon noch“, meinte Matt und begann, Gemüse zu schneiden. „Soll ich dir nicht irgendwie helfen?“, bot T.K. an und wollte schon aufstehen, doch Matt hielt ihn auf. „Nein, kommt nicht in Frage. Ich hab dich zum Essen eingeladen, also koche ich und du hältst dich schön raus“, entgegnete er streng, grinste aber. Mit dieser Antwort hatte T.K. schon gerechnet, schließlich durfte er sich auch sonst nie einbringen, sondern spielte stets den Unterhalter. „Findest du es eigentlich okay, dass Kari mit Davis allein aufs Frühlingsfest geht?“, fragte Matt plötzlich, drehte sich aber nicht um, sondern fuhr geschickt fort, das Gemüse zu schneiden. T.K. runzelte die Stirn. „Wieso sollte ich das nicht okay finden?“ „Naja, immerhin ist sie doch sowas wie deine... Freundin“, antwortete Matt schulterzuckend. T.K. schüttelte heftig den Kopf, was Matt natürlich nicht sehen konnte. „Warum versteht ihr eigentlich alle nicht, dass wir nur befreundet sind? Das ist doch schon seit Jahren so.“ Nun drehte Matt sich doch um, hielt im Schneiden inne und musterte ihn prüfend. „Deswegen ja“, sagte er grinsend. „Wir warten alle darauf, dass es bei euch endlich mal funkt.“ „Dann wartet mal alle weiter“, seufzte T.K. und verschränkte die Arme vor der Brust. Langsam war er dieses Thema leid. „Ich weiß ja, dass es dir schwer fällt, mit Mädchen nur befreundet zu sein, aber das heißt nicht, dass es mir genauso geht.“ Matt zog die Augenbrauen hoch und fuchtelte mit dem Messer durch die Gegend. „An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, Kleiner. Ich hab hier viele scharfe Messer.“ „Es wird aber schwer, das wie einen Unfall aussehen zu lassen“, erwiderte T.K. grinsend. „Wer sagt, dass ich es wie einen Unfall aussehen lassen will?“, fragte Matt und setzte einen gespielt psychopathischen Blick auf. T.K. schüttelte lachend den Kopf. _ Davis konnte es noch gar nicht fassen, dass Kari tatsächlich mit ihm allein auf das Frühlingsfest ging. Er wollte besonders aufmerksam sein, um ihre Gefühle für ihn irgendwie zu steigern. „Hast du Lust auf Lose ziehen?“, fragte er und deutete auf einen Losstand weiter vorn. „Klar, aber ich ziehe sowieso bloß Nieten“, antwortete Kari. Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her zu dem Losstand. „Also, ich lade dich ein. Zehn für dich und zehn für mich, okay?“ „Okay, danke.“ Sie lächelte ihr umwerfendes Lächeln, das Davis' Herz jedes Mal schneller schlagen ließ. Er kaufte die Lose und gemeinsam machten sie sich daran, sie aufzureißen und auseinanderzufalten. Kari hatte tatsächlich fast nur Nieten, Davis hingegen bekam ein paar Punkte mehr zusammen. Der Budenbesitzer nahm ihre Lose entgegen und deutete auf eine Armada von Stofftieren, von denen sie sich eines aussuchen durften. „Welches findest du am besten?“, fragte Davis an Kari gewandt und sah sie erwartungsvoll an. Ihr Blick schweifte abschätzend durch die Reihe, bis sie den Arm ausstreckte. „Den Hasen da.“ Davis nickte. „Den finde ich auch am besten.“ Der Budenbesitzer drückte drückte ihr den Hasen in die Hand, den sie an Davis weiter reichen wollte, doch er hob abwehrend die Hände. „Er gehört dir“, sagte er lächelnd. „Was ehrlich? Aber du hast die Lose bezahlt“, protestierte sie und hielt die Hand mit dem Stoffhasen immer noch ausgestreckt. „Na und? Ich will ihn dir trotzdem schenken“, antwortete Davis bestimmt und zuckte mit den Schultern. Kari sah den Hasen an, ließ die Hand sinken und lächelte dann. „Danke, das ist wirklich süß.“ Davis spürte, wie er errötete und wandte sich um, um weiter zu gehen. _ „Papa, da bist du ja endlich“, begrüßte Matt Hiroaki Ishida, der soeben die Wohnung betreten hatte. „Tut mir Leid, ist doch ein bisschen später geworden. Hallo, T.K.“ Er lächelte und klopfte seinem jüngeren Sohn auf die Schulter, bevor er sich ein wenig erschöpft wirkend neben ihn setzte. „Wie geht’s dir? Alles in Ordnung?“ „Ja, bestens“, antwortete T.K. fröhlich. „Aber du siehst wie immer mitgenommen aus.“ „Seit der Beförderung ist eben alles noch ein bisschen hektischer geworden“, seufzte Hiroaki und lehnte sich zurück. „Jetzt hast du ja für heute frei und kannst dich ausruhen“, warf Matt ein und stellte die fertig befüllten Teller auf dem Esstisch ab, bevor er sich selbst T.K. und seinem Vater gegenüber setzte. „Nicht ganz“, meinte Hiroaki und zog seinen Teller zu sich heran. „Heute Abend muss ich noch mal los.“ Beide Jungen richteten die Blicke neugierig auf ihn, was ihn zum Stottern brachte. „Ähm... ich... muss noch mal wohin. Wie war die Schule?“ Hastig griff er nach den Stäbchen und begann zu essen. Matt hatte ihn natürlich sofort durchschaut und wusste, dass er irgendetwas verheimlichte. Er fing T.K.s irritierten Blick auf, zuckte jedoch nur kaum merklich mit den Schultern und begann dann ebenfalls zu essen. _ „Es hat wirklich Spaß gemacht heute“, sagte Kari zu Davis, als sie vor ihrer Haustür standen. Sie waren tatsächlich bis zum frühen Abend auf dem Frühlingsfest geblieben, hatten gegessen, die Spiele an den Buden gespielt, geplaudert und einfach Spaß gehabt. Eigentlich hatte sie zuerst nicht allzu viel Lust verspürt, mit Davis allein etwas zu unternehmen. Meistens klammerte er dann an ihr und zeigte ihr bei jeder Gelegenheit, wie gern er sie hatte, doch an diesem Tag war er wirklich zuvorkommend und nicht aufdringlich gewesen. Und es war allemal besser, als zu Hause zu sein und ihre Mutter dabei zu beobachten, wie sie mit aller Macht versuchte, sich nichts von ihren Eheproblemen anmerken zu lassen. „Ja, mir auch“, antwortete er, kratzte sich verlegen am Kopf und errötete schon wieder, wahrscheinlich zum hundertsten Mal an diesem Tag. Kari war das nicht entgangen und sie fand es irgendwie süß. „Na dann bis morgen in der Schule“, verabschiedete sie sich lächelnd und umarmte ihn kurz. „Ja, bis morgen“, stammelte Davis verlegen. Er blieb so lang draußen stehen, bis Kari im Haus verschwunden war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. _ Sora räumte gerade die letzten Tische ab und stellte das Geschirr in den Geschirrspüler, als ihr Blick auf Tai fiel, der auf seinem Stammplatz saß und gedankenverloren aus dem Fenster starrte. Er war schon am frühen Abend gekommen und bis jetzt geblieben. Sie nahm ihre Schürze ab, hängte sie an den Haken hinter dem Tresen, nahm ihre Tasche und ging auf Tai zu. „Hey“, sagte sie leise und berührte mit einer Hand seine Schulter. Er zuckte zusammen und sah sie ein wenig aufgeschreckt aus seinen braunen Augen an. „Wir müssen los.“ „Achso, ja warte, ich hab noch gar nicht bezahlt“, sagte er und kramte in der Hosentasche nach seinem Portemonnaie. „Lass stecken. Das geht aufs Haus“, meinte Sora lächelnd und meinte damit eigentlich, dass es auf sie ging, aber das hätte Tai erst recht nicht angenommen. „Danke“, murmelte er und stand auf. Sora schaltete noch alle Lichter aus, bevor sie gemeinsam Nami's Café verließen. „Sag mal, hast du Lust, morgen mit auf Matts Konzert zu kommen?“, fragte Sora auf dem Weg zur U-Bahn. „Mimi will unbedingt hingehen und hat mich gefragt, ob ich nicht mitkommen will. Sie will nicht allein gehen.“ „Ja, kein Problem. Hab ihn ja mittlerweile schon lange nicht mehr spielen sehen“, antwortete Tai. „Da hast du was verpasst“, meinte Sora lächelnd. Sie ging sehr oft zu Matts Konzerten, da ihr seine Musik so sehr gefiel und er ihr die Eintrittskarten meistens schenkte. Manchmal ging sie sogar noch danach mit ihm und dem Rest seiner Band in einen Club, da sie sich auch mit den anderen drei sehr gut verstand. „Naja, ich weiß nicht“, erwiderte Tai scherzhaft. Sora wusste, dass die Musik der Tokyo Rebels nicht zu hundert Prozent Tais Geschmack traf, weshalb er die Konzerte auch nur hin und wieder besuchte. „Ich bring dich noch nach Hause, okay?“ „Ja. Ich weiß ja, dass du dich eh nicht davon abbringen lässt“, antwortete sie nur. Größtenteils schweigend legten sie den Weg zu Soras Wohnblock zurück und verabschiedeten sich vor der Haustür. „Schreib mir, wenn du zu Hause angekommen bist“, befahl Sora und sah ihn gespielt streng an. „In Ordnung“, sagte Tai ergeben und verdrehte die Augen. „Schlaf gut.“ Sora ging in die Wohnung, machte sich im Bad fertig und legte sich dann in ihr Bett. Sie schloss allerdings erst die Augen, nachdem Tai ihr, mal wieder verspätet, per SMS versicherte, dass er heil zu Hause angekommen war. _ Es war bereits nachts, als T.K. sich aus seinem Zimmer schlich, weil er auf die Toilette musste. Müde schlurfte er auf den Flur in Richtung Badezimmer, als er plötzlich seine Mutter hörte, wie sie mit jemandem an der Wohnungstür sprach. „Wann sehen wir uns wieder?“, säuselte sie gerade ihrem Gegenüber zu. T.K. verstand nicht, was derjenige antwortete, er konnte lediglich ausmachen, dass es sich um einen Mann handeln musste. Erstaunt zog er die die Augenbrauen hoch. Es war schon ewig her, seit seine Mutter das letzte Mal einen Freund hatte. Sie war in der Hinsicht sehr wählerisch, da sie unbedingt jemanden haben wollte, der mit T.K. gut auskam und ihn mochte. Das war stets ihre oberste Priorität und wenn sie auch nur im Geringsten den Verdacht hegte, der Mann könnte in irgendeiner Hinsicht nicht zu T.K. passen, dann schlug sie ihn sich sofort wieder aus dem Kopf. Umso verblüffter war T.K. nun, dass sie sich gerade von jemandem verabschiedete, den sie anscheinend wiedersehen wollte. „Okay, ich freue mich schon“, hörte T.K. sie leise sagen, dann folgte ein kurzes Kussgeräusch, bevor sie die Wohnungstür schloss. T.K. grinste und fragte sich, wann er ihn wohl kennen lernen würde. Kapitel 7: Seltsame Angebote ---------------------------- Freitag, 7. April 2006   Davis, T.K. und Kari standen an ihren Schließfächern, um die Bücher zu verstauen, die sie erst später am Tag brauchen würden. Während Davis gerade in seinem Fach herum kramte, um alles so zu arrangieren, dass ihm nicht alles entgegenflog, wenn er es öffnete, bekam er zufällig mit, wie Kari sich leise an T.K. wandte. „Sag mal...“, setzte sie an und zögerte einige Sekunden, bevor sie weitersprach. „Kann ich heute Nacht vielleicht bei dir schlafen?“ Entsetzt hielt Davis inne, wobei das Mathebuch unvermittelt aus dem Fach direkt auf seinen Fuß fiel. Langsam bückte er sich danach, ohne zu registrieren, was er tat. „Was? Warum denn?“, fragte T.K. und klang ein wenig verwirrt. „Ach, ich brauch mal einen Tapetenwechsel“, meinte Kari beiläufig. „Ich dachte, wir könnten uns vielleicht ein paar Filme anschauen oder so.“ „Hast du da etwa Klamotten in der Tasche?“ „Ähm... ja.“ Davis hörte Kari verlegen kichern und ihm wurde ganz schlecht. Er hoffte inständig, T.K. würde absagen, weil er noch irgendwas vorhatte. „Ja, also das geht klar. Meine Mutter hat bestimmt nichts dagegen, aber mein Zimmer ist nicht aufgeräumt“, antwortete T.K. lässig. „Super“, antwortete Kari fröhlich. In Davis' Magengegend breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Es war, als hätte es sich etwas sehr Schweres darin gemütlich gemacht. Er kannte das Gefühl schon, doch gerade war es besonders stark, stärker als jemals zuvor. Ihm wurde übel und er wollte am liebsten wieder nach Hause gehen. „Sag mal, Davis, was machst du da so lange?“ Er drehte sich um und sah T.K. und Kari hinter sich stehend und ihn erwartungsvoll ansehend. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer regungslos mit dem Mathebuch in der Hand vor seinem geöffneten Schließfach verharrte. „Wir haben doch jetzt gar nicht Mathe“, bemerkte Kari verwirrt. „Oh, achso“, murmelte Davis, warf das Buch achtlos ins Fach und schloss es ab. Dann machte er sich betrübt mit T.K. und Kari auf den Weg ins Klassenzimmer. _ „Ernsthaft, Tai, du solltest nicht so lange bei mir im Café rumhängen, wenn du dann am nächsten Tag so müde bist“, meinte Sora vorwurfsvoll, als er zum fünften Mal innerhalb einer halben Stunde gähnte. „Das liegt nicht daran“, seufzte Tai, den Kopf auf eine Hand gestützt. „Ich konnte heute Nacht so schlecht schlafen.“ Das stimmte wirklich. Irgendetwas hatte ihn vom Einschlafen abgehalten, obwohl er sich sonst eines sehr langen und tiefen Schlafes erfreuen konnte. Und heute Morgen hatte Kari ihm auch noch eröffnet, dass sie in der folgenden Nacht bei T.K. bleiben würde. Er konnte zwar verstehen, dass sie weg wollte, aber zu T.K. … Immerhin waren die beiden mittlerweile vierzehn und Kari hatte noch nie bei ihm übernachtet, immer nur bei Mädchen. Tai mochte T.K. Er war für ihn immer eine Art kleiner Bruder gewesen, aber eine Nacht zusammen mit seiner Schwester im gleichen Zimmer... Tai wusste einfach nicht, ob er das gut finden sollte oder nicht. „Warum das denn?“, fragte Sora erstaunt. Sie saß neben ihm und sie nutzten die Fünf-Minuten-Pause stets für kurze Gespräche. „Warum was?“, fragte Tai geistesabwesend. „Vergiss es“, murrte Sora. Tai wandte den Kopf ihr zu und sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Sag mal, ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“, fragte Sora und wirkte nun besorgt, sodass Tai fast schon ein schlechtes Gewissen bekam. „Ja klar, mach dir mal keine Sorgen“, meinte er abwinkend und tätschelte ihr die Schulter. „Darf man denn nicht mal müde sein?“ „Hm“, machte sie nur und wandte sich Herrn Saito zu, der soeben den Raum betreten hatte. _ „Komm schon, Izzy!“ Izzy verdrehte genervt die Augen. Den ganzen Tag schon bettelte Mimi ihn an, dass er mit auf das Konzert am Abend kommen sollte, doch er hatte keine Lust. Er wollte lieber mit der Vorbereitung seines Computerclubs beginnen, schließlich erstellte sich der Plan nicht von allein. „Du gehst doch mit Sora. Warum brauchst du mich denn?“, stöhnte er und schlug sein Buch zu. „Ich will dich eben auch dabei haben“, antwortete sie ungeduldig und klang dabei wie ein kleines Kind vor dem Süßigkeitenregal im Supermarkt. „Ich komme nächstes Mal mit“, versprach Izzy in versöhnlichem Ton, doch das interessierte Mimi überhaupt nicht. „Wer weiß, wann das nächste Mal ist. Komm doch heute mit. Beim nächsten Mal hast du doch eh wieder keine Lust“, bettelte sie weiter. Izzy war aufgestanden und verstaute seine Schulsachen in seiner Tasche. Mimi machte keine Anstalten, ihren Kram einzupacken, sondern fuhr unbeirrt fort, auf ihn einzureden. „Mimi!“, rief er schließlich genervt, was sie nun doch schweigen ließ. Erschrocken starrte sie ihn an. „Ein für alle mal: Nein! Ich komme nicht mit!“ Wie sie dort saß, ihn von unten herauf ansah mit Augen so groß wie Untertassen und so funkelnd wie Sterne, der Blick so traurig wie der eines Hundes, mit dem keiner Apportieren spielen wollte. Unwillkürlich trat Izzy einen Schritt zurück. „Nein, Mimi, sieh mich nicht so an“, stotterte er, doch Mimis Blick änderte sich nicht. Wenn überhaupt möglich, wurde er nur noch trauriger. „Hey!“ Beide drehten sich verwundert um, um zu sehen, wer gesprochen hatte. Katsuro, der wohl unsympathischste Typ der Schule, hatte anscheinend ihr Gespräch belauscht, denn er warf Izzy einen abfälligen und Mimi einen hungrigen Blick zu. „Lass doch den Nerd. Der verbringt doch jedes Wochenende zu Hause. Wenn du willst, geh ich mit dir.“ Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte an seinem Tisch, der hinter Mimis stand, und musterte sie begierig. Izzy stöhnte genervt auf, wandte sich um und marschierte aus dem Raum. Er hatte diesen Katsuro noch nie ausstehen können. Er war einfach nur arrogant und liebte es, sich über andere lustig zu machen. „Jetzt warte doch mal!“ Keuchend erschien Mimi neben ihm, als er soeben durch die Eingangstür der Schule nach draußen gegangen war. „Was ist denn das für ein Spinner?“ „Das ist Katsuro“, antwortete Izzy trocken. „Auf keinen Fall geh ich mit dem zum Konzert“, verkündete Mimi wütend. „Der spinnt wohl. Hör doch nicht darauf, was der sagt. Bestimmt ist er total schlecht in der Schule und nur neidisch auf dich.“ Izzy gab einen zischenden Laut von sich. Er bezweifelte, dass sie Recht hatte, doch er wusste, dass sie es nur gut meinte. _ „Hey Mama“, begrüßte T.K. seine Mutter, die am Computer im Wohnzimmer saß und auf der Tastatur herumtippte. „Hallo T.K.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Oh, und hallo Kari. Schön, dich wieder zu sehen.“ „Hallo“, erwiderte Kari lächelnd. „Kari schläft heute hier, ist das in Ordnung?“, fragte T.K., woraufhin Natsuko ihm einen fragenden Blick zuwarf, aber nichts erwiderte außer „Natürlich“. T.K. zog Kari hinter sich her in sein Zimmer, wo sie sich auf den Boden fallen ließen und ihre Schulsachen aus der Tasche kramten. „Mann, wenn wir jemandem erzählen, dass wir Freitag, wenn wir nach Hause kommen, zuerst Hausaufgaben machen, dann haben wir den Ruf der größten Streber überhaupt“, bemerkte T.K. scherzhaft und Kari kicherte. „Wahrscheinlich zurecht“, meinte sie schulterzuckend. „Solange wir nicht in der Pause auf dem Klo verprügelt werden...“ T.K. musste lachen. Solche Sprüche war er von Kari gar nicht gewohnt. „Also, wollen wir mit Mathe anfangen?“, fragte sie und schlug gerade das Mathebuch auf. „Klar“, antwortete T.K. gleichgültig und tat es ihr nach. Sie blätterten durch die Seiten, bis sie die richtige gefunden hatten. Einige Sekunden starrte Kari auf die Aufgabe, bis sie das Buch zuklappte und seufzte. „Ich bin dafür, wir fangen doch mit was anderem an.“ „Ach was“, meinte T.K. nur schulterzuckend und legte sein Buch zwischen sie. „Ist doch kein Problem. Ich erkläre dir das.“ Kari war in dieser Hinsicht ein „typisches Mädchen“, genau wie Sora. Gut in den Sprachen, kein Durchblick in Mathe und Naturwissenschaften, wobei Sora in beidem noch ein bisschen besser war als Kari. Nur Yolei widersprach dem Klischee. Wie es bei Mimi war, wusste er nicht, doch Mimi war in so vielen Hinsichten ein typisches Mädchen, dass es ihn nicht wundern würde, wenn auch sie kein Mathegenie war. „Also fangen wir einfach mit der da an“, schlug T.K. vor und deutete auf die erste Aufgabe. Kari nickte und schrieb erst mal die Aufgabe ab. _ „Wie fandet ihr die Band?“, fragte Mimi an Tai und Sora gewandt, die neben ihr standen inmitten einer riesigen Menschenmenge. Angeblich passten etwa zweitausend Menschen in die Halle, doch Mimi hatte das Gefühl, hier wären mindestens doppelt so viele. Die drei Freunde mussten sich dicht aneinander drängen, um nicht von irgendjemandem mit einem Ellbogen erwischt zu werden. Tai runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern, während Sora ein eher ratloses Gesicht machte. „Naja, geht so“, meinte sie. „Ja, fand ich auch. Mittelmäßig“, stimmte Mimi ihr zu. „Aber deshalb sind sie ja auch nur die mittlere Band. Der Hauptact heute sind schließlich die Tokyo Rebels“, erklärte Sora. „Deren Musik auch nicht viel besser ist“, stichelte Tai und bekam von Sora einen empörten Blick zugeworfen. „Das stimmt nicht. Musikalisch sind sie sehr gut. Du magst doch nur die Musikrichtung nicht“, entgegnete sie barsch. „War doch nur ein Witz“, erwiderte Tai grinsend. „Ich weiß doch, dass sie musikalisch was drauf haben.“ „Mann, ich bin schon ganz aufgeregt. Oh, seht mal, da kommen sie ja!“ Mimi stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick auf die Bühne zu haben, auf der soeben die Tokyo Rebels erschienen waren. Sie vergrub ihre Fingernägel in Soras Arm. „Wie heißen die jetzt noch mal alle?“ „Der Blonde vorne heißt Matt, den kenn' ich ganz gut“, antwortete Tai grinsend. „Du bist immer so witzig“, sagte Mimi ironisch und schüttelte den Kopf, bevor sie Sora fragend ansah. „Also der am Schlagzeug ist Shin. Der war auch schon bei den Teenage Wolves dabei“, erklärte sie. Auch sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, um besser sehen zu können. Lediglich Tai war groß genug, um alles gut zu erkennen, ohne seine Füße zu quälen. „Der Bassist da links heißt Ryo und der mit der zweiten Gitarre ist Tsubasa. Aber die gehen alle nicht auf unsere Schule.“ „Kennst du sie näher?“, fragte Mimi weiter. Sie fand Schülerbands, die was drauf hatten, unglaublich interessant und aufregend, weshalb sie sich wahrscheinlich auch so für Matt begeisterte. „Ja, ein bisschen. Die sind echt nett. Wir können ja nachher noch mit ihnen feiern gehen“, sagte Sora. „Au ja! Kommst du auch mit, Tai?“ Beide Mädchen sahen ihn erwartungsvoll an. „Ähm... keine Ahnung. Vielleicht?“, antwortete er und hatte eine Augenbraue in die Höhe gezogen. „Also ja“, bestimmte Mimi und wandte sich wieder zur Bühne. „Jetzt machen sie ihren Soundcheck, oder? Wie lang dauert es noch, bis sie anfangen?“ „Hm... schätze, eine halbe Stunde“, meinte Sora nachdenklich. „So lang“, seufzte Mimi. Sie wollte die Band endlich spielen hören und sehen. Sie war voller Vorfreude auf das, was sie da erwartete. „Bleib doch mal ruhig. Du kannst in dem ganzen Jahr noch hundert mal auf ihre Konzerte gehen“, sagte Tai ein wenig genervt. Mimi beschloss, ihn nicht weiter zu beachten, sondern sah Matt dabei zu, wie er ein letztes Mal seine Gitarre überprüfte und stimmte. _ Matt ließ seinen Blick über die Menge schweifen und suchte nach jemandem, den er kannte. Er wusste, dass Tai, Sora und Mimi hier sein wollten, doch er konnte sie nirgends entdecken. Aber es war ja auch ziemlich voll. Dafür entdeckte er in der ersten Reihe an der Bühne einige hübsche Mädchen, die ihm etwas zuriefen, das er nicht verstand. Es schien ein vielversprechender Abend zu werden. Matt schlug ein paar Akkorde auf seiner E-Gitarre an, die durch die Halle schallten und die Menge schon zum Jubeln brachten. Er lächelte. Er liebte dieses Gefühl, auf der Bühne zu stehen mit diesem Anflug von Lampenfieber, den er jedes Mal verspürte, und die vielen Menschen vor sich zu sehen, die ihm und seinen Bandkollegen zujubelten und ihm bestätigten, dass er sich den richtigen Lebenstraum ausgesucht hatte. Er hörte, wie Shin probehalber ein paar Takte auf dem Schlagzeug spielte und auch er bekam Applaus und Jubelgeschrei. Matt drehte sich zu ihm um und grinste ihm zu. Shin erwiderte seinen Blick, blieb aber ganz cool und tat, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan als Schlagzeug zu spielen. Ryo testete seinen Bass und Tsubasa sein Keyboard. Als alles so klang, wie es sollte, warf Matt allen noch einen kurzen Blick zu, bevor er einen Schritt an das Mikrofon herantrat, eine Hand darauf legte und begann. _ „Das war echt lecker“, lobte Kari Natsukos Essen, nachdem sie den letzten Rest von ihrem Teller gegessen hatte. „Vielleicht sollten Sie meiner Mutter mal Ihre Rezepte geben.“ Seit ihre Eltern kein gutes Verhältnis mehr zueinander hatten, war das Essen noch miserabler geworden. Natsuko lachte verlegen. „Danke, danke. Freut mich, wenn es schmeckt.“ T.K. und Kari halfen Natsuko noch dabei, den Tisch abzuräumen und das Geschirr in den Geschirrspüler zu sortieren, bevor sie sich in T.K.s Zimmer verzogen. Kari setzte sich auf T.K.s Bett, zog ihre Tasche zu sich heran und suchte die DVDs heraus, die sie mitgebracht hatte. Es waren drei Actionfilme. Normalerweise nicht ihr Lieblingsgenre, doch sie wollte keinen Herzschmerz sehen. Den hatte sie aufgrund ihrer mittlerweile zerrütteten Familienverhältnisse selbst genug. „Hier, die drei hab ich mitgebracht. Auf welchen hast du Lust?“ Sie hielt die DVDs hoch und sah T.K. fragend an. Dieser stand immer noch an der Tür, vergrub nun die Hände in den Taschen seiner Jogginghosen, kam auf sie zu und setzte sich neben sie. „Ich bin für den da“, bestimmte er und tippte auf „2 Fast 2 Furious“. „Okay“, sagte Kari, legte die anderen beiden Filme zurück in ihre Tasche und öffnete die Hülle. T.K. griff plötzlich nach ihrer Hand, sodass sie innehielt und ihn ansah. „Kari, was ist los?“, fragte er und sah sie ernst an. „Hm? Was meinst du?“ Sie wich seinem bohrenden Blick aus, mit dem er sie nur selten ansah. Es gab einfach nicht oft solch ernste Dinge, die sie zu bereden hatten. Zum Glück. Sie wollte nicht drüber reden, wie schief bei ihr der Haussegen derzeit hing, schon gar nicht mit T.K., litt er doch schon seit Jahren unter der Trennung seiner Eltern. Wie sollte er sich fühlen, wenn sie nun anfing, deswegen zu jammern? Und dabei waren ihre Eltern noch nicht einmal getrennt. „Du weißt doch genau, was ich meine. Du bist die letzten Tage oder sogar Wochen viel zu still, willst plötzlich ohne Vorankündigung bei mir übernachten und jetzt kommst du mir auch noch mit Actionfilmen, die sonst überhaupt nicht dein Ding sind. Also, was ist los?“ „Nichts, alles in Ordnung“, antwortete Kari betont lässig und entzog ihm ihre Hand, um die DVD-Hülle herum zu drehen und so zu tun, als würde sie sich den Inhalt auf der Rückseite interessiert durchlesen. Sie spürte, wie Tränen sich den Weg in ihre Augen bahnten und blinzelte sie angestrengt weg. Sie hasste es, auf etwas angesprochen zu werden, das sie bedrückte. Dann kamen ihr immer die Tränen. Eine Weile saßen sie nur schweigend da und Kari starrte weiter die Hülle an. Schließlich erhob sich T.K. und streichelte ihr kurz über die Schulter. „Gib mal her, ich leg sie ein“, sagte er leise und streckte seine Hand nach der DVD aus. Dankbar reichte Kari sie ihm und er ging zu seinem Computer, um sie in das DVD-Fach zu schieben. _ Sora, Tai und Mimi beobachteten, wie Matt einen Schritt nach vorne trat. „Hey Leute“, rief er ins Mikrofon und augenblicklich ertönte Jubel um sie herum. Mimi links neben ihr jubelte ebenfalls, was Sora zum Schmunzeln brachte. „Wir sind Tokyo Rebels und...“ Matt kam gar nicht dazu, weiter zu sprechen, da er von dem Gekreische der Masse übertönt wurde. Sora sah ihn lächeln, bevor er einen weiteren Versuch startete, als es wieder ruhiger wurde. „Wir würden euch gern ein paar neue Songs präsentieren, aber auch alte. Also viel Spaß und singt schön mit.“ Wieder jubelte die Menge und Shin gab auf seinem Schlagzeug den Takt vor, bevor alle anfingen zu spielen. „Er sieht so cool aus“, rief Mimi Sora zu und diese musste zugeben, dass sie Recht hatte. Wie er da vorne stand, den Blick auf einen unbestimmten Punkt in der Halle gerichtet, die E-Gitarre umgehangen, auf der er die ersten Akkorde spielte und schließlich mit dem Gesang begann. Sein blondes Haar hing ihm ins Gesicht und verdeckte sein linkes Auge. Wie auch die anderen Mitglieder trug er ein T-Shirt von einer Rockband und dazu Jeans. Seine Stimme war einfach umwerfend und Sora konnte wieder einmal aufs Neue sehen und auch hören, weshalb ihm die Mädchen in Scharen hinterherliefen. I don't wanna be a conclusion Victim of confusion And I'll stay, my own place, right here in nowhere Das war eines der älteren Lieder, doch Sora mochte es und sang, wie viele andere um sie herum, mit. Mimi stand neben ihr und starrte gebannt nach vorn zur Bühne, über das ganze Gesicht strahlend, während Tai eher desinteressiert wirkte, aber den Kopf zum Takt der Musik bewegte. Insgesamt herrschte sehr gute Stimmung. _ Der zweite Film ging zu Ende und T.K. gähnte herzhaft. Kari war schon vor einer halben Stunde eingeschlafen und ihr Kopf lehnte seitdem an seiner Schulter. Das Licht im Zimmer kam nur vom Monitor des Computers, auf dem nun der Abspann einsetzte. T.K. streckte eine Hand aus und strich Kari eine Haarsträhne aus dem Gesicht, wobei er sie nachdenklich ansah. Was war es nur, das sie in letzter Zeit so bedrückte und das sie ihm nicht erzählen wollte? Sie behauptete zwar, es wäre alles in Ordnung, doch selbst ein Blinder mit Krückstock würde erkennen, dass Kari irgendetwas belastete, mit dem sie offenbar nicht selbst fertig wurde. Doch warum wollte sie T.K. nichts davon erzählen? Vertraute sie ihm nicht? Vielleicht sollte er mal Tai darauf ansprechen, der wusste wahrscheinlich mehr. Selbst jetzt, da sie schlief, wirkte ihr Gesicht nicht vollends entspannt; eine kleine Falte lag zwischen ihren Augenbrauen. Ob sie wohl unglücklich verliebt war? Oder sich mit Tai gestritten hatte? Oder jemand aus ihrer Familie gestorben war? Langsam bewegte sie sich, rieb sich die Augen und richtete sich auf. „Oh, entschuldige, ich bin eingeschlafen“, murmelte sie und streckte sich. „Kein Problem, hast nicht viel verpasst“, meinte T.K. lächelnd und richtete sich ebenfalls aus seiner halb liegenden Position auf. „Wollen wir schlafen gehen?“ „Ja, gute Idee.“ _ Girl, you remind me of summer time But now you need time to clear your Da war es, Soras Lieblingslied. Tai warf einen Blick auf Sora neben sich, die mit leuchtenden Augen nach vorn zur Bühne starrte und verdrehte die Augen. Wie konnte man sich nur so sehr für diese Art von Musik begeistern? Oder war es etwa Matt, für den sie sich begeisterte? Erneut warf Tai einen Blick auf sie und musterte sie skeptisch. Er hatte keine Ahnung, wie Sora es ausdrückte, wenn sie sich für jemanden interessierte, aber sie würde doch nicht wohl... So viele Mädchen rannten Matt hinterher, da würde sie sich doch nicht einreihen. You're tripping over what is wrong and right Just decide, I've been waiting all night Tai sah nach vorn zu Matt und wieder zurück zu Sora. Keine Frage, ihr Blick galt ihm. Oh Gott! Er sollte schnellstens die Initiative ergreifen und mit Sora über seine Gefühle für sie sprechen, bevor sie Matt deswegen ansprach. Die ganze Zeit hatte er immer wieder befürchtet, Matt könnte sich eventuell auch für Sora interessieren, doch dass es andersrum war, daran hatte er nie gedacht. Aber möglich war es trotzdem. Think back, think back to the summer time I would cross through these state lines You were always on my mind „Alles okay?“, rief Sora ihm zu und unterbrach seine Gedankengänge. „Du guckst so entgeistert. Ich finde, du könntest die Arbeit der Band ruhig mal ein wenig mehr respektieren.“ „Was? Mach ich doch“, wehrte Tai sich. „Und ja, alles okay.“ Sora lächelte gut gelaunt und hakte sich bei ihm unter, was ihn seufzen ließ. It should not be this hard to see How to get from point A to B Without losing sleep, without losing sleep _ Die Tokyo Rebels spielten über eine Stunde lang und Mimi gefiel jedes einzelne Lied. Sie fand Matt und auch die anderen Jungs ziemlich cool, wie sie die Menge anheizten und eine super Stimmung verbreiteten. Dazu sahen sie auch noch gut aus. Sie wollte unbedingt noch hinterher mit der Band in einen Club gehen und auch die anderen drei näher kennen lernen. Ein bisschen neidisch war sie schon auf Sora, da die sie schon kannte und offenbar auch mit ihnen befreundet war. Bestimmt hatte sie so einige weibliche Feinde. „Das war großartig. Danke, dass ihr mitgekommen seid.“ Die drei Freunde standen draußen vor der Halle und warteten auf Matt und seine Band. Mimi strahlte noch immer über das ganze Gesicht und war völlig überwältigt von ihren Eindrücken. „Ich schick dir die Rechnung“, meinte Tai nüchtern und schob die Hände in die Hosentaschen. „Gehen wir noch alle zusammen in einen Club?“, fragte Mimi und sah die beiden an. An ihnen liefen noch immer junge Menschen vorbei, die aus der Halle strömten und sich lachend und plaudernd auf den Weg zur U-Bahn oder sonst wohin machten. „Klar“, antwortete Sora wie selbstverständlich. „Ich weiß nicht“, murmelte Tai. „Was? Wieso nicht? Komm schon“, erwiderte Mimi und sah ihn ungeduldig an. Sora rückte an ihn heran und hakte sich bei ihm unter. „Natürlich kommt er mit, oder?“ Sie warf ihm ihren liebsten Blick zu und Mimi stutzte. Lief da etwa was zwischen den beiden? Tais Blick, mit dem er Soras erwiderte, war seltsam und sprach Bände. „Na gut“, willigte er schließlich resigniert ein. Mimi sah Sora fragend an, die dies jedoch nicht mitbekam. „Ist denn hier in der Nähe ein guter Club?“, fragte Mimi und sah sich um. „Ich glaube, die Straße hier runter ist einer“, antwortete Sora und deutete nach links. „Aber keine Ahnung, ob er gut ist.“ Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis die Tokyo Rebels endlich vollzählig erschienen. „Mann, da bist du ja endlich“, rief Tai Matt entgegen, als die vier auf sie zu kamen. „Sorry, hat noch ein bisschen gedauert“, erwiderte Matt schulterzuckend. „Jungs, das ist Mimi. Mimi, das sind Shin, Ryo und Tsubasa.“ Er deutete nacheinander auf seine Bandmitglieder, die Mimi zunickten und sie anlächelten. „Hi“, sagte Mimi und lächelte vergnügt. _ T.K. seufzte und drehte sich im Schlaf schwungvoll um, wobei er seinen Arm auf die Seite warf, der irgendwie auf etwas landete. Auf etwas? T.K. schreckte auf und war zunächst völlig neben der Spur und noch im Halbschlaf. Es dauerte einige Sekunden, bis er realisierte, dass Kari neben ihm lag. Aber was machte sie denn hier? Er hatte ihr doch extra sein Bett überlassen und schlief selbst auf einer Matratze auf dem Boden. Und nun lag sie hier, dicht an ihn gedrängt. Sie gab einen Laut von sich. Wahrscheinlich hatte T.K. sie durch seine Bewegung geweckt. „Kari?“, flüsterte er. „Hm?“, machte sie müde. „Was machst du hier?“, fragte er verwirrt. „Oh, ähm... ich...“, stammelte sie und setzte sich auf. „Entschuldige, ich geh zurück ins Bett.“ Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, da es im Zimmer stockdunkel war, doch er sah, dass sich ihr Umriss bewegte. „Warte mal“, sagte T.K. und hielt sie am Arm fest. „Du weißt schon, dass du mit mir reden kannst, oder?“ Er flüsterte noch immer, obwohl sie beide wach waren und seine Mutter sie sowieso nicht hören würde, selbst, wenn sie normal sprachen. Er hatte sich aufgesetzt und starrte auf den Fleck, an dem sich Karis Gesicht befinden musste. „Ja“, erwiderte Kari leise. „Und warum tust du es dann nicht? Vertraust du mir nicht?“ Er bemühte sich, sich nichts von seiner Enttäuschung anmerken zu lassen. Er wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen. „Das ist es nicht“, antwortete sie langsam. T.K. wartete, dass sie weiter redete, doch sie schwieg. „Was ist es dann?“, hakte er nach. Sie zögerte mit ihrer Antwort und ließ sich stattdessen zurück auf das Kissen fallen. „Ich kann darüber nicht mit dir reden“, sagte sie schließlich nach einer Weile. T.K. verstand nur Bahnhof. Was sollte das bedeuten, sie konnte mit ihm nicht darüber reden? Konnte sie denn mit anderen reden? Warum konnte sie nicht mit ihm reden? Er war schon oft der Einzige gewesen, dem sie sich anvertraut hatte, wenn irgendetwas nicht stimmte. Warum diesmal nicht? Sie war doch nicht etwa wirklich in ihn verliebt? Aber warum sollte sie deshalb so niedergeschlagen sein? T.K. streckte vorsichtig den Arm aus, bis seine Hand ihren Kopf berührte. Er strich ihr über die Stirn, streifte ein paar Haarsträhnen zur Seite und seufzte. „Kari“, flüsterte er, wusste aber nicht, was er sagen sollte. „Es tut mir Leid“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Er ließ seine Hand auf ihrer Stirn ruhen und schüttelte den Kopf, was sie natürlich nicht sehen konnte. „Haben Davis und Tai nicht morgen ein Spiel? Wollen wir hingehen und zuschauen?“ Vielleicht würde sie das ja irgendwie ablenken. Er wollte sie nicht so traurig sehen, was auch immer der Grund dafür war, doch es passte nicht zu ihr. „Ja, klingt gut“, antwortete sie. Wieder schwiegen sie für eine Weile und T.K. legte sich nun ebenfalls wieder hin. „Soll ich wieder ins Bett gehen?“, fragte Kari, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. „Kannst auch hier bleiben, wenn du willst“, antwortete T.K. schulterzuckend. Eng aneinander gedrängt schliefen sie schließlich wieder ein. _ „Und? Hat's dir gefallen?“ Matt stand mit Mimi an der Bar des Clubs, der sich in der gleichen Straße befand wie die Konzerthalle. Er lehnte mit dem Rücken am Tresen, während Mimi die Ellbogen auf der etwas klebrigen Platte abstützte. „Ja, war super“, antwortete Mimi und wirkte tatsächlich begeistert, denn sie lächelte ihn an. Und wie hübsch sie dabei aussah. Ihre hellbraunen Augen fixierten ihn, ihre Haare fielen ihr über die Schultern und ihre Wangen waren leicht gerötet. „Okay, ich hoffe, du kommst öfter mal vorbei“, erwiderte er und lächelte ebenfalls. Er nippte an seinem Bier und Mimi an ihrer Cola. „Fährst du eigentlich nachher nach Hause oder hast du ein Hotelzimmer?“, fragte sie und schaute ihn neugierig an. „Nein, nein, wir kriegen meistens ein paar billige Zimmer“, antwortete er. Mimi nickte nur und trank noch einen Schluck aus ihrer Cola. In diesem Moment stieß Ryo zu ihnen und stieß seine Bierflasche klirrend gegen Matts. „Hey, gibst du deine hübsche Begleiterin auch mal ab?“, rief er und zwinkerte Mimi zu. „Die hübsche Begleiterin sucht sich selbst aus, mit wem sie redet“, antwortete diese schnippisch. Matt warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Sie war wirklich noch die Gleiche wie früher, die sich nichts gefallen ließ. Ryo zog die Augenbrauen hoch und grinste. „Du redest also nicht mit jedem?“ „Nur mit wenigen Ausgewählten“, antwortete Mimi und reckte das Kinn. „Und gehöre ich dazu?“, fragte Ryo und rückte Mimi ziemlich dicht auf die Pelle. Matt verdrehte die Augen und nippte an seinem Bier. „Momentan nicht, nein“, antwortete Mimi und setzte einen bedauernden Blick auf. „Ganz schön kratzbürstig“, stellte Ryo an Matt gewandt fest. Dieser lachte nur leise. „Mimi, wie sie leibt und lebt.“ Ryo zuckte mit den Schultern und ging in Richtung Tanzfläche davon. _ Sora stand mit Tai gerade bei Tsubasa und Shin. Die drei Jungen unterhielten sich über Musik und Musikgeschmäcker, während Sora sich im Club umsah. Sie kannte ansonsten niemanden, entdeckte aber Matt und Mimi an der Bar, die sich miteinander unterhielten und irgendwie sehr vertraut wirkten. Sora runzelte die Stirn. Wollte Matt nun Mimi abschleppen? Schon auf der Party und zum Kirschblütenfest hatte er reges Interesse an ihr gezeigt. Irgendwie störte Sora das. Nun nahm Matt nicht einmal mehr Abstand von Freunden, suchte er sich doch sonst nur Mädchen, die er nicht weiter kannte. Und nun Mimi. „Sora, wie fandest du eigentlich unsere neuen Songs?“, unterbrach Shin ihre Gedankengänge und musterte sie interessiert. „Was? Oh, sie waren toll“, antwortete sie und lächelte. „Super. Das wollte ich hören“, erwiderte Shin zufrieden und grinste. „Wo doch Tai schon nicht unser Fan ist.“ Tai zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich komme ja trotzdem“, meinte er. „Guter Junge“, sagte Tsubasa und klopfte ihm auf die Schulter. „Und, Sora, wie sieht es mittlerweile bei dir aus?“, fragte Shin und wandte sich nun wieder an sie. „Hast du endlich mal einen Freund?“ „Ähm... nein?“, antwortete Sora und sah ihn skeptisch an. „Was heißt hier außerdem 'endlich'?“ „Das heißt, dass ich nicht verstehen kann, dass eine wie du nicht vergeben ist“, entgegnete Shin grinsend und Sora lief rosa an. „Tja, es eilt ja nicht“, murmelte sie und warf Tai einen Blick zu, der irgendwie ein wenig misstrauisch drein sah. Shin lachte bei diesem Anblick. „Sorry, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen“, entschuldigte er sich und berührte Soras Arm. „Ich hole was zu trinken, okay?“, sagte Tai und ging schon in Richtung Bar davon, bevor Sora auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. Shin sah ihm nachdenklich nach. „Hat er irgendwas?“, fragte er an Sora gewandt, die nur mit den Schultern zuckte. „Keine Ahnung“, antwortete sie. „Ich geh mal zu ihm. Entschuldigt mich bitte, ja?“ Sie lief Tai hinterher, der sich inzwischen bis zur Bar durchgekämpft hatte, was bei den vielen Menschen in dem Club nicht so einfach war. „Geht's dir gut?“, fragte sie, als sie sich neben ihn quetschte. „Jaja“, sagte er abwinkend. „Was willst du trinken?“ „Eine Cola, bitte“, erwiderte Sora lächelnd und Tai bestellte. Als sie ihre Getränke erhalten hatten, gesellten sie sich zu Matt und Mimi, die noch immer an Ort und Stelle standen und miteinander redeten. „Da seid ihr ja“, sagte Mimi und drehte sich zu ihnen um. „Gerade haben wir über euch geredet.“ „Ich hoffe, nur Gutes?“ Tai musterte sie misstrauisch. „Natürlich!“, entgegnete Mimi wie selbstverständlich. „Aber wir werden jetzt gehen. Matt will mir noch sein Hotelzimmer zeigen.“ Verblüfft sahen Sora und Tai sich erst gegenseitig und dann Matt und Mimi an. „Mimi will mir nicht glauben, dass mein Hotelzimmer die reinste Bruchbude ist“, erklärte Matt und ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. Er trank seine Flasche Bier leer und stellte sie auf dem Tresen ab. „Also dann, macht's gut.“ Sora klappte die Kinnlade hinunter. Als Matt sich gerade von Tai verabschiedete, zog sie Mimi kurz beiseite. „Dir ist schon klar, was er mit 'Hotelzimmer zeigen' meint?“ Mit den Zeige- und Mittelfingern ihrer Hände formte sie Anführungsstriche und starrte Mimi entgeistert an. Glaubte sie denn wirklich, Matt nahm sie mit in sein Zimmer, zeigte es ihr und dann gingen sie wieder? War sie wirklich so naiv? Mimi erwiderte ihren Blick verständnislos, dann winkte sie unwirsch ab. „Ach, keine Angst, ich werde nicht mit ihm schlafen, falls du das meinst“, beteuerte sie locker und wandte sich zum Gehen um. „Viel Spaß noch.“ Sie verließen den Club und Sora und Tai blieben ratlos zurück. _ „Wow, dein Hotel ist ja wirklich um die Ecke“, stellte Mimi erstaunt fest, als sie vor dem etwas heruntergekommenen Gebäude standen. Die Fassade wirkte schäbig, die Fenster konnten mal wieder ein wenig Putzmittel vertragen und es machte einen verlassenen Eindruck, wie ein leerstehendes Gebäude. Sie betraten das kleine Foyer mit dem schmutzigen Boden und gingen zur Rezeption, wo Matt sich von einem genervt wirkenden Angestellten seinen Schlüssel geben ließ. Sie stiegen die Treppen hinauf in den dritten Stock und schlossen gleich die erste Zimmertür rechts auf. Mimi blieb erst einmal im Türrahmen stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen, was angesichts der Größe des Zimmers nicht lang dauerte. Es war wirklich winzig. Man hatte gerade mal ein Bett, das kaum für zwei Leute reichte, einen Stuhl und ein Nachtschränkchen. Mit diesen Gegenständen war das Zimmer schon fast komplett ausgefüllt. Links befand sich eine schmale Tür, hinter der vermutlich ein Badezimmer lag. Der dunkle Teppich wirkte abgetreten und hier und da waren einige undefinierbare Flecken zu erkennen. Die Wände waren zwar hell, aber ansonsten nicht besser als der Teppich. Wenigstens die Bettwäsche sah auf den ersten Blick sauber aus. Mimi ging zu dem kleinen Fenster und spähte hinaus in die Nacht. Unten war ein Hinterhof, also konnte man wenigstens einigermaßen ruhig schlafen. „Ist doch... ähm... sehr gemütlich“, versuchte sie das Zimmer schön zu reden. „Total“, erwiderte Matt ironisch und verschwand im Badezimmer. Mimi ließ sich auf dem Bett fallen und merkte sofort, dass die Matratze durchgelegen war. Wie gut, dass sie nicht hier schlafen musste. Sie betrachtete das Bild, das an der Wand hing und irgendetwas Abstraktes darstellte. So sehr sie auch ihren Kopf nach links und rechts neigte, sie konnte einfach nichts erkennen. Sie ließ den Blick wieder durchs Zimmer gleiten und entdeckte eine Akustikgitarre, die in der Zimmerecke neben der Tür stand. Sie holte sie, setzte sich wieder auf das Bett und klimperte darauf herum. Sie hatte keine Ahnung, wie man eine Gitarre spielte, also ließ sie die Finger einfach nur über die Saiten gleiten. Sie hatte es mehr mit dem Singen als mit den Instrumenten. Sie begann, das Lied „Wonderwall“ zu singen, doch der Klang der Saiten passte so gar nicht zu ihrem Gesang und es hörte sich schrecklich an. Als sie aufhörte, hörte sie plötzlich Matt leise lachen. Sie sah auf und entdeckte ihn gegen die Wand gelehnt stehend mit vor der Brust verschränkten Armen. „Bist du Linkshänder?“, fragte er amüsiert. „Nein“, antwortete Mimi etwas peinlich berührt. „Dann hältst du sie falsch herum.“ Er kam auf sie zu, setzte sich neben sie und nahm ihr die Gitarre aus der Hand. „So geht das.“ Er spielte ein paar Akkorde und Mimi beobachtete dabei bewundernd seine linke Hand, wie schnell sie ihre Stellung veränderte und so punktgenau die Saiten traf, sodass sich die Töne rein und klar anhörten. „Willst du es noch mal versuchen?“ „Lass mal, das überlasse ich dir“, meinte sie grinsend und schüttelte den Kopf. „Aber wir können zusammen was singen.“ Matt nickte und fing schon an zu spielen. Mimi erkannte sofort, dass es sich dabei um „Wonderwall“ handelte. Wie konnte er das nur so aus dem Kopf spielen und sich all diese komplizierten Griffe merken, bei denen Mimi sich wahrscheinlich die Finger brechen würde? Today is gonna be the day That they're gonna throw it back to you By now you should've somehow Realized what you gotta do I don't believe that anybody Feels the way I do about you now Matt hatte allein zu singen angefangen, doch Mimi war kurz nach ihm eingestiegen. Sie fand, es hörte sich gut an. Backbeat the word was on the street That the fire in your heart is out I'm sure you've heard it all before But you never really had a doubt I don't believe that anybody Feels the way I do about you now Matt hatte mitten in der Strophe aufgehört zu singen und nur noch Mimi beobachtet, die unbeirrt weiter gesungen hatte. Als die Strophe zu Ende war, hörte er auf zu spielen und legte die Gitarre beiseite. „Sag mal, willst du vielleicht mal mit uns auftreten?“, fragte er. Überrascht sah Mimi ihn an. Auftreten? Mit Matts Band? _ Tai und Sora verabschiedeten sich bald ebenfalls von Shin, Tsubasa und Ryo und machten sich auf den Heimweg. „Glaubst du, Matt interessiert sich ernsthaft für Mimi?“, fragte Sora und Tai konnte die Sorge um Mimi aus ihrer Stimme heraushören. „Keine Ahnung. Vielleicht“, antwortete er, glaubte jedoch nicht, dass Matt irgendeine andere Intention als Sex hatte. Hatte er doch nie. Aber ein wenig tat Mimi ihm schon Leid. Sie war ein ehrliches Mädchen und er glaubte, sie könnte vielleicht mehr von ihm wollen. Auch wenn sie manchmal nervte, wollte Tai nicht, dass Mimi verarscht wurde. Er würde wohl mal ein ernstes Wörtchen mit seinem besten Freund reden müssen. „Tai?“ „Hm?“ Er sah auf und blickte direkt in Soras Augen. „Ich finde es super von dir, dass du heute mitgekommen bist. Das hat mich sehr gefreut.“ Sie lächelte und Tais Herz schlug schneller. „Ach, ist doch kein Thema“, murmelte er und sie stiegen in die U-Bahn. Sie hatten nun über eine Stunde Fahrt vor sich, bis sie wieder zu Hause waren. Eine Stunde allein mit Sora. Sie setzten sich nebeneinander auf zwei freie Platze. Es waren nicht allzu viele Leute unterwegs. „Sag mal“, setzte Tai nach einigen Minuten des Schweigens an. Sora sah ihn fragend an. „Hast du vielleicht Lust, mit mir morgen ins Kino zu gehen? Und danach könnten wir noch was essen oder so“, schlug er vor, ohne sie anzusehen. Sie schien darüber nachzudenken. „Morgen muss ich nur bis um vier arbeiten, also geht das klar“, sagte sie schließlich. „Welchen Film willst du denn sehen?“ „Weiß nicht. Vielleicht 'V wie Vendetta'?“, schlug Tai vor. „Oh, ich würde mir lieber einen Liebesfilm ansehen“, meinte Sora. Tai verzog das Gesicht. „Dann gehen wir danach aber noch 'Underworld Evolution' gucken“, bestimmte er. „Nein, bloß nicht“, erwiderte Sora fast schon angewidert. „Dann lieber 'V wie Vendetta'.“ „Okay, abgemacht.“ Tai nickte. „Ich hol dich dann von zu Hause ab, ja?“ „Aber wir können uns doch auch am Kino treffen“, entgegnete Sora verwundert. Tai warf ihr einen Seitenblick zu. Sie schien diese Verabredung nicht als Date, sondern als ganz normales Treffen unter Freunden zu sehen. Sollte er ihr sagen, dass er eher an ein Date dachte? Würde sie dann noch mitkommen? Warum war es nur so schwer, jemandem klar zu machen, dass man in ihn verliebt war, wo man doch sonst über alles redete? Manchmal wünschte Tai sich, er wäre ein bisschen mehr wie Matt, würde einfach seinen Spaß haben und jegliche Gefühle außer Acht lassen. Doch dafür war er wahrscheinlich zu nett. „Mann, bin ich müde“, seufzte Sora und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. _ Mimi starrte ihn noch immer an, als hätte er ihr soeben einen Heiratsantrag gemacht. „Naja, ich denke, deine Stimme passt gut zu unserer Musik“, erklärte er seinen Vorschlag. Diese Idee war ihm eben spontan gekommen. Die anderen wären sicher dafür. „Oh, also ich weiß nicht. Auftreten vor so vielen Menschen und was, wenn ich falsch singe?“, fragte sie und wirkte so, als hätte sie ihren Auftritt bereits in zehn Minuten. „Dann ist das halt so“, meinte Matt lässig und zuckte mit den Schultern. „Ich hab mich auch schon versungen und verspielt, genauso wie die anderen. Das passiert eben. Dann tut man einfach so, als wäre nichts gewesen und macht weiter.“ „Hm“, machte Mimi und dachte nach. „Eigentlich glaube ich ja, dass das ziemlich cool werden könnte.“ „Ja, das denke ich auch“, stimmte Matt ihr zu und rutschte ein wenig näher an sie heran. Er beugte sich vor, bis seine Lippen fast ihr Ohr berührten, streifte ihr mit einer Hand die Haare nach hinten über die Schulter und flüsterte: „Und wenn die dich da vorn stehen sehen, fällt eh keinem auf, wenn du dich versingst.“ Seine Hand ruhte auf ihrem Nacken und er spürte, wie sich ihre feinen Härchen dort aufstellten. Sein Gesicht war noch immer so nah an ihrem, dass er den fruchtigen Duft ihres Haares riechen konnte. Ihre Haut fühlte sich weich und zart an, ihre Wangen waren gerötet und sie biss sich auf die Unterlippe. Matt streifte ihr Oberteil etwas zur Seite und küsste sie sacht auf die Schulter. Als sie nichts sagte und nichts tat, küsste er langsam ihr linkes Schlüsselbein entlang, wobei ihm ein leichter Duft von Parfüm in die Nase stieg. Seine freie Hand strich über ihren Oberschenkel und unter ihr Shirt. Er wartete ein paar Sekunden, doch sie zeigte keinerlei Anzeichen dafür, dass sie dies nicht wollte, und so wanderte seine Hand über ihren Bauch. Schließlich fasste er mit beiden Händen den Saum ihres Shirts und zog es nach oben. Sie hob die Arme, sodass er es über ihren Kopf ziehen konnte, dann sah sie ihn mit etwas zerzaustem Haar aus ihren braunen Augen an. „Was ist?“, fragte Matt und zog eine Augenbraue hoch. „Matt, ich...“, setzte sie an, doch sprach nicht weiter, sondern sah ihn nur an. „Soll ich aufhören?“, fragte er und hielt ihr ihr Shirt entgegen. Wieder brauchte sie einige Sekunden, als würde sie im Inneren mit sich selbst diskutieren, bevor sie reagierte. Plötzlich packte sie ihn an seinem T-Shirt, ließ sich nach hinten fallen und zog ihn mit sich, sodass er auf ihr landete. Er lächelte schelmisch, bevor er sich sein eigenes T-Shirt auszog und sich dann an ihrer Jeans zu schaffen machte. _ „Hey, aufwachen, wir sind da.“ Tais Stimme riss sie aus ihrem kurzen Schlaf. Zunächst wusste sie nicht, wo sie war und war überrascht, in einer U-Bahn zu sitzen, doch dann stand Sora auf, gefolgt von Tai. „Ich bin so müde“, murmelte sie und rieb sich die Augen. „Sieht man“, meinte Tai nur grinsend. „Gleich kannst du dich schön ins Bett legen.“ Am liebsten hätte sie sich hier auf die Sitze der U-Bahn gelegt und wäre sofort wieder eingeschlafen, doch dann hätte sich ihre Mutter sicher Sorgen gemacht. Sie stiegen aus und verließen den U-Bahnhof über eine Treppe. Langsam liefen sie die Straße entlang, die zu Soras Wohnhaus führte. „Wann treffen wir uns morgen am Kino?“, fragte Sora, nur um irgendetwas zu sagen. „Um sieben?“, schlug Tai vor. „Alles klar. Soll ich Matt noch fragen, ob er auch Zeit hat?“ Tai warf ihr auf diese Frage einen etwas verdatterten Blick zu und Sora beschlich ein seltsames Gefühl. „Ähm... wenn du willst“, murmelte er. „Aber der wird eh keine Zeit haben. Wie immer.“ „Aber ich glaube, er hat morgen kein Konzert“, erwiderte Sora. „Weißt du was? Ich frag ihn einfach“, bestimmte Tai plötzlich und Sora warf ihm einen fragenden Blick zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, er wollte Matt nicht dabei haben. Sollte das etwa eine Art Date zwischen ihnen beiden werden? Unmöglich. Sora hatte Tai doch schon vor Jahren klar gemacht, dass aus ihnen nichts wurde. Das hieß, eigentlich hatte er es selbst mitbekommen, als sie ihm zu jener Zeit erzählt hatte, dass sie in Matt verliebt war, der damals noch ein unschuldiger Vierzehnjähriger war. Nun war er siebzehn und... alles andere als unschuldig. „Okay“, stimmte Sora unsicher zu. Irgendwie glaubte sie nicht daran, dass Tai Matt tatsächlich fragen würde, sollte sich ihr leichter Verdacht bestätigen. Sie kamen an ihrem Wohnhaus an und blieben vor der Eingangstür stehen. „Na dann bis morgen, Tai“, verabschiedete Sora sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn. Sie spürte, wie seine Arme sich um ihre Taille schlangen und sie länger hielten als nötig. Zumindest überschritt er die Zeit, die eine Umarmung normalerweise dauerte ohne merkwürdig zu sein. „Schlaf gut“, sagte Tai lächelnd, als er sie wieder los ließ. Schließlich drehte er sich um und ging. Kapitel 8: Verabredungen ------------------------ Samstag, 8. April 2006   Mimi fuhr zum wahrscheinlich hundertsten Mal in dieser Nacht jäh aus dem Schlaf und setzte sich auf. In dem winzigen Hotelzimmer herrschte ein trübes Dämmerlicht, das schon den neuen Tag ankündigte. Wieder stellte Mimi fest, dass sie nicht geträumt hatte, sondern sich tatsächlich hier neben Matt auf der durchgelegenen Matratze befand. Plötzlich wurde Mimi von Panik ergriffen. Sie hatte mit Matt geschlafen! Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass sie das nicht tun würde. Immerhin war hier von Matt die Rede, ihrem Kumpel. Wie hatte sie sich nur so leicht von ihm rumkriegen lassen können? Sie erinnerte sich noch an seine Lippen an ihrem Ohr, seine Hand auf ihrem Nacken, seine blauen Augen, die in ihre schauten. Und jetzt? Was sollte nur werden, wenn er auch noch aufwachte und sie dann gezwungen waren, miteinander zu reden? Oh, Mimi würde wohl nie wieder mit ihm reden können. So leise sie konnte, kletterte sie aus dem Bett und schlüpfte in ihre Klamotten vom Vorabend, die auf dem Boden lagen. Eigentlich musste sie dringend auf die Toilette, doch sie hatte Angst, Lärm zu verursachen, von dem Matt dann aufwachen könnte. Also versuchte sie, nicht an Wasser zu denken und schlich sich aus dem Zimmer. Fluchtartig stürzte sie aus der Eingangstür und ging schnellen Schrittes zur nächsten U-Bahnstation. Es waren nur sehr wenig Leute unterwegs. Kein Wunder, es war ja auch gerade mal fünf Uhr morgens. Auf halbem Weg kramte sie ihr Handy aus der Handtasche und rief Sora an. _ Sora schreckte aus dem Schlaf, als das schrille Klingeln ihres Handy ertönte. Wer zum Geier rief denn um so eine Uhrzeit an? Verärgert griff sie nach ihrem Handy, das auf ihrem Nachttisch lag und schaute auf das Display, um den Anrufer wegzudrücken, doch als sie Mimis Namen erblickte, seufzte sie und nahm doch ab. „Also jetzt kannst du den Zeitunterschied aber nicht als Entschuldigung nutzen“, murrte sie zur Begrüßung. Wieso war Mimi überhaupt um so eine Uhrzeit wach? „Tut mir Leid“, rief Mimi und klang sehr aufgebracht. „Aber es ist etwas Schreckliches passiert!“ „Oh Gott, was denn?“ Sora wurde panisch. War jemand verletzt? Gestorben? Von Aliens entführt? „Ich habe mit Matt geschlafen!“ „Nein!“, entgegnete Sora auf diese Enthüllung. „Nicht dein Ernst!“ Sie konnte sich einen sarkastischen Unterton in der Stimme nicht verkneifen. Als hätte sie nicht damit gerechnet. Von wegen „Hotelzimmer zeigen“. „Doch“, jammerte Mimi. „Das hätte ich nicht machen sollen. Was soll denn nun werden? Ich glaube, ich kann nie wieder mit ihm reden.“ „Ach Quatsch“, meinte Sora abwinkend. „Glaub mir, für Matt ist das nichts weiter. Der streicht dich jetzt auf seiner Liste durch und die Sache ist gelaufen.“ „Ich will aber auf keiner Sex-Liste stehen!“, rief Mimi verzweifelt. „Und jetzt gucken mich auch noch die zwei Leute hier komisch an.“ „Kein Wunder“, murmelte Sora. „Sora!“ „Ist ja gut. Aber du brauchst dir da wirklich keinen Kopf machen. Matt tut bestimmt so, als wäre nichts gewesen. Für ihn ist das echt nichts Besonderes“, versuchte Sora die aufgebrachte Mimi zu beruhigen. „Warum hast du es denn überhaupt getan, wenn du es jetzt bereust?“ Mimi seufzte laut. „Du kennst Matt doch auch, oder?“ „Ja?“ „Na bitte. Hat er denn noch nie versucht, dich rumzukriegen?“ Sora dachte kurz darüber nach. „Nein, hat er nicht“, antwortete sie schließlich. „Echt nicht?“ Mimi klang überrascht. „Echt nicht.“ Einen kurzen Augenblick herrschte Schweigen und Sora hätte gern Mimis Gesicht gesehen. Dann lamentierte sie jedoch wieder los. „Findest du, ich bin ein billiges Flittchen?“ „Aber nein“, widersprach Sora bestimmt. „Er hat dich halt in einem schwachen Moment erwischt.“ „Allerdings. Wir haben zusammen gesungen und er hat mir gezeigt, wie man richtig auf einer Gitarre spielt“, erzählte Mimi und klang ein wenig verträumt. „Das war schön.“ „Na siehst du? Das Singen und Gitarrespielen ist sein Steckenpferd. Damit kriegt er bestimmt jede rum“, ermunterte Sora sie. „Hör mal, können wir vielleicht morgen... oder eher nachher weiter reden?“ „Okay“, seufzte Mimi und klang etwas enttäuscht. „Aber es ist ja auch fast noch Nacht.“ „Eben. Ich arbeite nachher von zwölf bis vier. Wenn du willst, kannst du mich in der Zeit im Café besuchen kommen“, schlug sie Mimi vor. „Hm“, machte Mimi und schien nachzudenken. „Ja, ich glaube, das mache ich.“ „Super. Na dann bis nachher.“ „Ja, bis dann. Und entschuldige, dass ich dich geweckt habe.“ _ Kari wurde dadurch wach, dass T.K., der bis eben dicht neben ihr gelegen hatte, sich aufsetzte und die Decke weg schlug. Verschlafen drehte sie sich zu ihm um. „Du bist ja wach“, stellte er fest und schenkte ihr ein Lächeln. Kari nickte nur und gähnte. Auch sie setzte sich nun auf. „Du kannst auch noch ein bisschen liegen bleiben. Ich gehe mich jetzt erst mal um das Frühstück kümmern“, sagte T.K. und stand auf. Kari nickte und ließ sich wieder zurück in das Kissen fallen, dass sie sich, genau wie die Decke, die ganze Nacht mit T.K. geteilt hatte. Ein wenig peinlich war es ihr schon, dass sie einfach nachts zu ihm ins Bett gekrochen war, wo er ihr doch extra seines überlassen hatte. Sie war froh, dass niemand außer ihr und ihm davon wusste und wissen würde. Einen Augenblick blieb sie noch liegen und genoss die Sonnenstrahlen, die ins Zimmer herein schienen und alles warm und freundlich wirken ließen. Durch das offene Fenster wehten Vogelgezwitscher und Straßenlärm herein und verbreiteten ein Gefühl von Vertrautheit. Schließlich stand auch Kari auf, zog sich an und ging dann in die Küche, um T.K. bei der Vorbereitung des Frühstücks zu helfen, doch Natsuko Takaishi war ebenfalls schon dort. „Guten Morgen“, begrüßte sie Kari, die den Gruß erwiderte. „Setz dich doch.“ Sie deutete auf den Esstisch und Kari nahm Platz. „Und? Hast du gut geschlafen?“, fragte sie weiter, während sie den Tisch deckte. „Ja, sehr“, antwortete Kari. In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie tatsächlich so gut geschlafen hatte wie schon lange nicht mehr. „Schön. Und habt ihr heute irgendwas Besonderes vor?“, fragte sie interessiert. „Wir gehen uns das Spiel von Tai und Davis ansehen“, antwortete T.K. „Achso. Kommt Matt auch?“, fragte Natsuko. „Keine Ahnung, aber ich werde ihn gleich mal fragen“, meinte T.K. „Dann lade ihn doch bitte gleich mal zu uns ein. Er war schon so lange nicht mehr hier“, bat Natsuko und seufzte. „Klar.“ T.K. hatte sein Handy gezückt und tippte darauf herum. „Hast du denn heute was vor?“ „Ach, ich muss unbedingt diesen einen Artikel fertig bekommen bis Montag“, erwiderte Natsuko abwinkend. „Und heute Abend gehe ich noch aus.“ „Achso? Wohin denn?“, fragte T.K. verwundert und auch Kari beobachtete Natsuko, die nun irgendwie verlegen wirkte. „Ins Kino“, murmelte sie lächelnd. „Mit deinem neuen Verehrer?“, stichelte T.K. sie grinsend und Kari tat so, als hörte sie nicht zu. T.K.s Mutter hatte also ein Date. „Takeru!“, rief sie verärgert und wurde rot, doch T.K. lachte nur. _ „Davis willst du vielleicht endlich mal aufstehen?“ „Hä?“ Verschlafen drehte Davis sich zu seiner Mutter, die sich neben seinem Bett aufgestellt hatte und ihn wütend anstarrte. „Es gibt Essen! Jedes Mal das gleiche mit dir“, fluchte sie und stampfte wieder aus dem Zimmer. „Wenn er so viel Zeit mit Schule wie mit Schlafen verbringen würde“, hörte Davis sie noch murren, bevor er sich äußerst unelegant aus seinem Bett bewegte und sich anzog. Er schlurfte ins Wohnzimmer und setzte sich an den Esstisch. „Außerdem hast du nachher noch dein Spiel. Hast du das etwa wieder vergessen?“, meckerte Frau Motomiya weiter und stellte mit einem lauten Knall einen Topf voll Reis auf dem Tisch ab. „Beruhige dich doch“, meinte Herr Motomiya und tätschelte seiner Frau vorsichtig den Arm. „Der Schwachkopf würde doch seinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre“, mischte Jun sich ein. „Halt die Klappe“, zischte Davis, doch sie streckte ihm nur die Zunge raus. „Ihr sollt nicht so miteinander reden!“, rief Frau Motomiya wütend und Davis verdrehte die Augen. Gerade kam ihm wieder Kari in den Sinn, die heute bei T.K. übernachtet hatte. Er seufzte und stützte den Kopf auf die Hand. Ob die beiden wohl wieder kommen würden, um ihm beim Fußball zuzuschauen? Er wusste nicht, ob er das ertragen konnte. _ „Sag mal, ihr habt aber ganz schön lang gefeiert gestern, oder?“ Satoe stand neben Mimi, die sich gerade die Schuhe anzog und beobachtete sie dabei mit gerunzelter Stirn. „Ähm... wieso?“, fragte Mimi und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. „Ja, ich habe dich erst heute Morgen wiederkommen hören“, meinte Satoe. „Hat dich jemand nach Hause gebracht?“ „Ja, Tai und Sora. Wir ähm... waren noch so lang in einem Club“, log Mimi schnell. „Achso.“ Mimi glaubte nicht, dass Satoe ihr das abkaufte, denn sie hatte die Stirn noch immer in Falten gelegt und musterte sie skeptisch. „Ich muss jetzt wirklich los“, sagte Mimi schnell, um sich vor weiteren Fragen zu drücken und öffnete die Tür. „Viel Spaß und grüß Sora von mir“, verabschiedete Satoe sie. Mimi lief die Treppen hinunter und ging aus dem Haus. Obwohl es nahezu abwegig war, Matt zufällig über den Weg zu laufen, hatte sie Angst, ihm zu begegnen. Wie sollte sie ihm nur am Montag in der Schule gegenübertreten? Am besten gar nicht. Sie konnte die Pausen auch einfach drin verbringen. Für den Rest des Schuljahres. Das war doch kein Problem, zu viel Sonne ist ja eh nicht gut für die Haut. Warum zum Henker hatte sie sich nur von ihm so schnell verführen lassen? Er hatte ja nicht mal etwas dafür tun müssen, außer sie zu fragen, ob sie mit den Tokyo Rebels zusammen auftreten wollte und ihr anschließend die Haare wegzustreichen und ihre Schulter zu küssen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie wusste genau, dass sie sich das selbst nie im Leben verzeihen konnte. Und ihm auch nicht. Was fiel ihm denn eigentlich ein, sich an sie heranzumachen? Sie waren doch Freunde. Warum hatte er mit ihr schlafen wollen? Eigentlich war er an allem schuld. Mimi kam an Nami's Café an und stampfte hinein. Sie ging gleich nach vorn an den Tresen und setzte sich auf einen der Barhocker. In diesem Augenblick kam auch Sora von einer Bestellung zurück. „Hey“, begrüßte sie Mimi und grinste vielsagend. „Grins nicht so“, murrte diese und stützte den Kopf auf die Hände. „Entschuldige, aber du siehst so wütend aus und ich weiß ja, warum.“ Sora kicherte. „Und was ist daran lustig?“, fauchte Mimi. „Schon gut, vergiss es einfach“, sagte Sora hastig und hob abwehrend die Hände. „Kann ich dir irgendwas bringen?“ „Einen Tee, bitte“, seufzte Mimi. „Geht klar.“ _ Davis war gerade dabei, sich gemeinsam mit seiner Mannschaft unter Anleitung des Trainers zu erwärmen, als er T.K. und Kari am Spielfeldrand entdeckte, die ihm zuwinkten. Er verspürte einen Stich in seiner Herzgegend, dennoch lief er zu ihnen hinüber, um sie zu begrüßen. „Hallo“, sagte er und bemühte sich, sich nichts von seiner Niedergeschlagenheit anmerken zu lassen. „Na, bist du bereit, euren Gegner niederzustrecken?“, fragte T.K. fröhlich und grinste ihn an. „Tja, weiß nicht, wird schon werden“, murmelte Davis und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich bin sicher, ihr schafft es. Ich drücke euch ganz fest die Daumen“, meinte Kari zuversichtlich lächelnd. Davis sah ihr für einen Sekundenbruchteil in die Augen, wandte den Blick dann aber schnell ab. „Danke“, nuschelte er und spürte, dass er rot wurde. „Wir können ja nach dem Spiel irgendwas zu dritt machen“, schlug Kari auf einmal vor und sowohl Davis als auch T.K. sahen sie überrascht an. „Irgendwo was essen gehen oder so.“ „Ja, gern“, stimmte T.K. nickend zu, doch Davis hatte eigentlich keine Lust, mit den beiden irgendwo unterwegs zu sein. Bestimmt waren sie jetzt ein Paar nach dieser gemeinsamen Nacht. Wer weiß, was sie alles angestellt hatten. Nein, nein, nein, das wollte er sich lieber nicht vorstellen! „Also, ich weiß nicht, ich muss danach eigentlich nach Hause und noch was für die Schule machen“, stammelte er. T.K. und Kari starrten ihn entgeistert an. „Was? Du und Schule?“ „Naja, meine Mutter meckert schon, dass ich mehr für die Schule machen soll und ja...“, stotterte er und kratzte sich am Kopf. „Ach, komm schon, Davis. Sonst machst du doch auch nicht viel für die Schule“, warf Kari ein und runzelte die Stirn. „Wir bleiben auch nicht so lang weg. Dann kannst du hinterher immer noch Hausaufgaben machen.“ „Ich ähm... ich überlege es mir noch“, nuschelte Davis und trabte davon, zurück zu seiner Mannschaft. Tai warf ihm bereits böse Blicke zu. _ Sora fand immer wieder mal ein paar Minuten Zeit, sich mit Mimi zu unterhalten, wenn gerade alle Gäste zufrieden waren. „Also, was willst du jetzt machen?“, fragte sie, als sie sich gegenüber von Mimi auf der anderen Seite des Tresens aufgestellt hatte und ihre Freundin interessiert musterte. Mimi nippte an ihrem Tee und schien nachzudenken. „Keine Ahnung“, murmelte sie und zuckte mit den Schultern. „Ihm aus dem Weg gehen?“ „Das wird nicht nötig sein. Wie gesagt, Matt hat es bestimmt schon abgehakt und denkt nicht mehr dran“, meinte Sora zuversichtlich und lächelte, doch Mimi schien wenig überzeugt. „Aber ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Vielleicht hat das für ihn keine Bedeutung, für mich aber schon! Er kann doch nicht einfach mit allen dahergelaufenen Mädchen schlafen und davon ausgehen, dass denen das genauso wenig bedeutet wie ihm. Nicht jeder ist ein gefühlloser Klotz“, brauste Mimi auf. „Er ist kein gefühlloser Klotz. Ich glaube eher, dass er nur einsam ist“, mutmaßte Sora. Obwohl sie Matt gerade verteidigte, beschloss sie, bei Gelegenheit mit ihm zu reden, da Mimi ihr Leid tat. „Einsam? Aber er hat doch Freunde“, widersprach Mimi stirnrunzelnd. „Ja und er weiß auch, dass er immer mit uns reden kann, aber du kennst ihn doch. Er ist nicht gerade der Typ, der über seine Probleme redet und außerdem hat er immer wahnsinnig viel mit seiner Musik zu tun. Ich glaube schon, dass er sich manchmal einsam fühlt.“ Sie war sich sicher, dass Matt ihr empört widersprechen, aber insgeheim Recht geben würde, hätte er das gehört. „Wenn du meinst“, murrte Mimi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht solltest du mal mit ihm reden“, schlug Sora in ruhigem Ton vor. „Ja, das sollte ich wohl. Auch wenn das wohl das unangenehmste Gespräch meines bisherigen Lebens wird.“ „So schlimm wird das bestimmt gar nicht“, sagte Sora aufmunternd. Zwei junge Frauen kamen gerade in das Café und Sora ging zu ihnen, um ihnen die Karten zu reichen. Als sie wieder zu Mimi zurückkam, setzte sie sich kurz neben sie auf einen der Barhocker. „Sag mal, Mimi, wenn ein Junge ein Mädchen fragt, ob es mit ihm ins Kino und hinterher was essen geht, ist es dann zwangsläufig ein Date?“ Mimi sah sie an und ihre mürrische Miene hellte sich auf. „Das ist sogar eins der schlimmsten Sorte, nämlich der Klassiker.“ Ihre Augen begannen zu leuchten. „Wer hat dich gefragt?“ Sora zögerte ihre Antwort hinaus. Mimi war also ohne darüber nachzudenken der Meinung, dass es ein Date wäre. Sie beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen. „Tai“, flüsterte sie, als stünde er direkt hinter ihr, bevor sie sich erhob, um die Bestellungen der beiden jungen Frauen aufzunehmen. _ „Hey Leute! Da seid ihr ja!“ Yolei kletterte zu T.K. und Kari auf die Tribüne und setzte sich neben Kari, die ein überraschtes Gesicht machte. „Yolei“, sagte sie und lächelte. „T.K. hat mir vorhin geschrieben und gefragt, ob ich nicht auch zum Spiel kommen will“, erklärte sie auf Karis fragenden Blick hin. Yolei war ein fröhliches, witziges, aufgewecktes Mädchen und er hoffte, sie konnte Kari ein wenig ablenken und vielleicht würde sie sich ja ihr anvertrauen, wenn sie schon nicht mit ihm reden wollte, immerhin waren die beiden gute Freundinnen geworden in den letzten Jahren. „Hier, hab ich euch mitgebracht. Falls sie verlieren, dann haben wir wenigstens gute Laune“, verkündete Yolei, zog in buntes Papier eingewickelte Schokolade aus ihrer Tasche hervor und drückte T.K. und Kari jeweils ein Päckchen in die Hand. „Oh, danke“, sagte Kari begeistert und wickelte ihre Schokolade gleich aus. „Typisch Yolei“, kommentierte T.K. und lachte. „Jemand muss sich ja um eure Kalorienzufuhr kümmern“, erwiderte sie schulterzuckend und grinste. „Das Spiel geht los“, sagte Kari und biss ein Stück von ihrer Schokolade ab. _ „Tai?“, rief Mimi überrascht und starrte Sora an, die gerade von ihrer Bestellungsaufnahme zurück war. „Pscht, nicht so laut“, zischte Sora. Mimi war verwirrt. Anscheinend war es doch kein Zufall, dass Tai Sora immer so merkwürdig ansah und er war in sie verliebt. „Und? Gehst du?“, fragte Mimi neugierig und musterte ihre Freundin. Sora seufzte und machte sich daran, den Kaffeeautomaten zu bedienen. „Ja, schon. Aber...“ „Aber was?“ Sora stand vor der Maschine und wartete, bis die Tasse, die sie darunter gestellt hatte, bis oben mit Kaffee gefüllt war. „Keine Ahnung, ob das richtig ist, da ich ja weiß, dass es ein Date ist.“ „Bist du denn gar nicht interessiert an Tai?“, fragte Mimi, nippte an ihrem Tee und ließ Sora nicht aus den Augen. Diese starrte nur geistesabwesend auf die Tasse, die inzwischen voll war. „Ich liebe ihn, aber... nicht so“, murmelte sie. „Er ist mein bester Freund, weißt du? Er war immer da, wenn ich ihn brauchte, genau wie ich für ihn. Ich kenne ihn in- und auswendig. Aber eine Beziehung?“ Sie nahm schließlich die Tasse und stellte eine neue an ihre Stelle. Sie drückte ein paar Knöpfe, bevor sie sich zu Mimi umdrehte und sie etwas hilflos ansah. „Das ist schwierig“, sagte Mimi nur nachdenklich. „Selbst wenn ich auch an ihm interessiert wäre, hätte ich zu viel Angst um die Freundschaft“, erklärte Sora. „Kann ich verstehen“, meinte Mimi mitfühlend. Sora holte zwei Teller aus einem Schrank und platzierte Kuchenstücke aus einer Kühlvitrine darauf. Ihre Bewegungen wirkten fahrig und unsicher und mit angespanntem Gesichtsausdruck machte sie sich auf den Weg, die Bestellungen zu überbringen. Als sie zurückkam, setzte sie sich wieder neben Mimi. „Da stecken wir beide gerade in seltsamen Situationen mit Jungs, was?“, stellte Mimi fest und lächelte amüsiert. „Ja und dann auch noch mit Tai und Matt“, seufzte Sora und stützte den Kopf auf einer Hand ab. „Vielleicht solltest du einfach hingehen und schauen, was wird“, schlug Mimi vor. „Ja, das werde ich machen“, stimmte Sora zu und nickte. „Nanu, machst du schon Schluss?“, fragte Nami, die gerade mit einem Stapel schmutzigem Geschirr hinter den Tresen marschierte, und sah Sora mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Nein, nein“, sagte Sora hastig und sprang auf. „Schon gut, das war keine Kritik“, lenkte Nami ein und zwinkerte ihr zu. „Übrigens, kommt euer Kumpel Joe auch mal wieder hier vorbei?“ Beide Mädchen sahen Nami fragend an. „Ähm... soll ich ihn mal fragen?“, bot Sora an. „Ach was“, sagte Nami schnell. „Weshalb fragst du denn?“ „Ich fand ihn irgendwie süß.“ Nami grinste und stellte das Geschirr im Abwaschbecken ab. „Ich bringe ihn das nächste Mal mit, wenn ich herkomme“, verkündete Mimi fröhlich und Nami lachte. „Super, ich freue mich schon drauf.“ Mit diesen Worten wandte sie sich dem Kaffeeautomaten zu. _ „Mann, Davis, was ist denn los mit dir?“, keuchte Tai vorwurfsvoll, als sich die Mannschaft in der Pause an den Rand des Spielfelds begab, um sich Anweisungen vom Trainer abzuholen und etwas zu trinken. Davis hatte wirklich schlecht gespielt und er wirkte noch geistesabwesender als Tai sich fühlte. Hatte er etwa auch schlecht geschlafen? „Weiß nicht. Bin irgendwie nicht so bei der Sache“, nuschelte Davis lustlos. „Konzentrier' dich, Mann!“, entgegnete Tai unerbittlich. „Reiß dich zusammen, sonst bist du hier falsch.“ Er wusste, dass Davis ihm einen genervten Blick zuwarf, ohne ihn anzusehen, doch das war ihm egal. Beim Fußball ging es um Fußball und nicht um schlechten Schlaf oder private Probleme. Motivationslosigkeit und Geistesabwesenheit hatten hier nichts verloren. _ „Ich glaube, Tai putzt Davis gerade runter“, stellte T.K. fest. Alle drei beobachteten die beiden Jungs auf dem Spielfeld. „Aber er hat wirklich schlecht gespielt“, meinte Yolei überzeugt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Als wäre er total neben der Spur.“ „Aber Tai schießt beim Fußball manchmal über das Ziel hinaus“, warf Kari ein. „Haha, im wahrsten Sinne des Wortes.“ T.K. lachte leise über dieses Wortspiel und auch Kari kicherte, als sie bemerkte, was sie gesagt hatte. „Yolei, wir wollen nach dem Spiel noch irgendwo was essen gehen. Willst du nicht auch mitkommen?“, fragte Kari, als das Spiel weiterging. „Gern“, antwortete Yolei erfreut. Sie hatte eigentlich jetzt schon Hunger. _ Er hatte ein schlechtes Gewissen. Den ganzen gestrigen Abend hatte er vor dem Computer verbracht und schon mal einen Teil seiner Arbeit für den Computerclub vorbereitet. Und seit heute Morgen hatte er schon wieder nur am Computer gesessen, um andere Dinge für die Schule vorzubereiten. Und nur um zum Spaß ein wenig zu tüfteln. Und dafür hatte er nun Mimi abgesagt. Sie hatte gestern wirklich traurig gewirkt, weil er nicht mitkam. Vielleicht sollte er sie anrufen und ihr anbieten, heute Abend etwas mit ihr zu unternehmen. Er griff nach seinem Handy, starrte einige Sekunden auf das Display und suchte schließlich ihre Nummer aus der Kontaktliste hervor. Er war ein wenig nervös. Er telefonierte überhaupt nicht gern. Er drückte auf den grünen Knopf, hielt sich das Handy ans Ohr und wartete. Nach einigem Klingeln ging sie endlich dran. „Ja?“ „Hallo, Mimi, hier ist Izzy“, sagte Izzy schnell und verschluckte sich fast dabei. „Hey, Izzy“, erwiderte Mimi und klang überrascht. Im Hintergrund war Stimmengewirr zu vernehmen. „Weißt du, ich... ähm... also wegen gestern, das t-tut mir Leid“, stammelte er. „W-wie war denn das Konzert?“ „Oh, es war super. Du hast echt was verpasst“, antwortete sie fröhlich. „Ja? Naja...“ „Mach dir keinen Kopf. Du musst ja nicht mitkommen, wenn du nicht willst“, meinte sie lässig. „Nein. Ja. Also... ich wollte dich eigentlich fragen, ob du heute Abend zu mir kommen willst? Wir könnten zusammen was kochen oder so.“ Gut, dass niemand sehen konnte, wie er rot anlief. Von der anderen Seite der Leitung kam erst einmal nichts und für einen Moment dachte Izzy schon, Mimi hätte einfach aufgelegt. „Äh... ja klar, warum nicht? Wann soll ich bei dir sein?“, fragte sie nun. „Um sechs?“, schlug er vor. „Gut. Du musst mir aber noch mal genau beschreiben, wo du wohnst“, antwortete sie. „Gut, ich schicke dir eine Mail mit dem Plan. Dann bis nachher.“ Schnell legte er auf. Sicher hielt sie ihn nun für einen Idioten. _ „Was war das denn?“ Mit gerunzelter Stirn sah Mimi Sora an und hielt immer noch ihr Handy in der Hand. „Izzy hat dich gefragt, ob du heute zu ihm kommen willst?“, fragte Sora grinsend. „Ist doch süß.“ „Naja, ich weiß ja nicht“, meinte Mimi und zuckte mit den Schultern. „War irgendwie merkwürdig.“ „Bestimmt hat er ein schlechtes Gewissen, weil er gestern nicht mitgekommen ist“, mutmaßte Sora. „Aber er kommt oft nicht mit, wenn wir ihn fragen, egal wohin. Immer muss er noch irgendwas machen.“ „Hm“, machte Mimi nur und verstaute ihr Handy wieder in ihrer Handtasche. „Das klingt ganz nach dem Izzy, den ich kenne.“ „Aber es ist schade“, fand Sora. „Ach, ich krieg ihn schon noch dazu, dass er mal aus seinem Loch kommt“, sagte Mimi bestimmt und grinste. „Du wirst sehen. Das nächste Mal ist er dabei.“ Sora lachte. „Also da bin ich mir nicht so sicher.“ _ „Puh.“ Frisch geduscht und mit noch feuchten Haaren kamen Davis und Tai aus der Umkleidekabine. Das Spiel hatten sie knapp gewonnen, aber nur, weil es Tai kurz vor Schluss gelungen war, ein Tor zu schießen. Davis schämte sich für seine miserable Leistung, aber Tai war nun etwas milder gestimmt. „Mach dir jetzt nicht allzu viele Gedanken wegen heute“, sagte er gerade und klopfte Davis auf die Schulter. „Aber nächstes Mal musst du deinen Frust zu Hause lassen. Was ist denn eigentlich los?“ Davis druckste herum. Er konnte Tai doch jetzt nicht sagen, dass er eifersüchtig auf T.K. war und dass es ihn fertig machte, dass Kari bei ihm übernachtet hatte. „Nichts, bin einfach nur nicht gut gelaunt“, nuschelte er. „Das darf man dir aber nicht anmerken auf dem Platz“, entgegnete Tai. „Aber nun ist ja alles gut gegangen.“ Sie gingen zu T.K., Kari und Yolei, die am Rande des Spielfelds auf sie warteten. „Tai, dein Tor war wirklich super!“, rief Yolei ihm entgegen, doch Tai zuckte nur lässig mit den Schultern, als wäre das die einfachste Sache der Welt. „Kari, kommst du mit nach Hause?“, fragte er seine Schwester, die den Blick senkte und den Kopf schüttelte. Davis entging der seltsame Blick nicht, mit dem Tai sie daraufhin bedachte. „Aber heute Abend bist du wieder da, oder?“ „Ja, ich denk schon“, antwortete sie. „Was macht ihr vier jetzt?“, fragte Tai und blickte in die Runde. „Wir gehen noch irgendwo was essen. Willst du nicht mitkommen?“, fragte T.K. „Nein, nein, geht ihr mal. Ich hab heut noch was vor.“ Er grinste, verabschiedete sich von den Jüngeren und lief davon. Davis und die anderen sahen ihm fragend hinterher, bevor sie sich ebenfalls auf den Weg machten. _ Kari hatte seit langem mal wieder wirklich gute Laune, als sie mit T.K., Yolei und Davis in die Stadt lief, um irgendwo etwas essen zu gehen. Sie plauderten, alberten und lachten den ganzen Weg und Kari dachte nicht ein einziges Mal an ihre streitenden Eltern. Dazu schien auch noch die Sonne und der Himmel war strahlend blau. „Ist es okay, wenn wir Pizza essen gehen?“, fragte Yolei. „Ich habe echt Hunger auf Pizza.“ „Ich bin dafür“, stimmte Davis zu. „Ich auch“, mischte T.K. sich ein. Also war es entschieden. Gemeinsam steuerten sie auf ihre Lieblingspizzeria zu, in der sie fast jede Woche zu Gast waren. Die Kellner dort kannten sie auch schon und begrüßten sie mit einem Lächeln, als sie den Gastraum betraten. Es war viel los, obwohl es noch ziemlich früh am Abend war und laut war es außerdem auch. Sie gingen zu dem letzten freien Tisch, der eigentlich nicht groß genug für vier Leute war, doch sie zogen sich noch einen Stuhl vom Nachbartisch heran und setzen sich dicht aneinandergedrängt. „Wir könnten Ken und Cody noch anrufen und fragen, ob sie auch kommen wollen“, stellte Yolei fest und sah in die Runde. „Das ist eine super Idee. Dann wäre die alte Gruppe mal wieder zusammen“, meinte T.K. „Ja, prima, dann rufe ich Ken an.“ Begeistert zückte Davis sein Handy und tippte darauf herum. „Gut, und ich probiere es bei Cody“, bestimmte Yolei und holte ebenfalls ihr Handy hervor. T.K. warf Kari einen Blick zu, den diese lächelnd erwiderte. Sie war froh, dass T.K. die Idee hatte, zu dem Fußballspiel zu gehen. Wegen ihm erlebte sie heute einen schönen Tag und hatte somit Ablenkung. _ „Mimi, das Essen ist fertig.“ Satoe Tachikawa streckte den Kopf in Mimis Zimmer. Diese stand gerade vor dem Spiegel und kämmte ihre Haare. „Ich esse heute nicht mit“, verkündete sie, ohne den Blick von ihrem Spiegelbild abzuwenden. „Was? Wieso nicht? Bist du etwa immer noch auf Diät?“, fragte Satoe entrüstet. Mimi verdrehte die Augen. „Ich bin bei Izzy zum Essen eingeladen.“ „Bei Izzy?“ Satoe trat neben sie und musterte sie mit leuchtenden Augen. „Der Izzy?“ „Ja“, antwortete Mimi genervt. „Oh, etwa ein Date? Dann musst du ihn aber wirklich auch mal zu uns einladen. Ich will ihn sehen und ihn besser kennen lernen und Papa sicher auch“, rief sie begeistert. „Nein, kein Date!“, erwiderte Mimi heftig. Wenn ihre Mutter wüsste, was letzte Nacht mit Matt gelaufen war... „Wir sind Freunde, okay? Und wir verbringen den Abend zusammen.“ „Das klingt aber nach einem Date. Wie aufregend!“ „Mama!“ „Ja ja, schon gut. Lädst du ihn trotzdem mal zu uns ein?“ Sie stand noch immer dicht bei Mimi und musterte sie gespannt. „Ja, bestimmt“, murrte Mimi, wandte sich vom Spiegel ab und ergriff ihre Handtasche. „Ich muss jetzt los. Bis später.“ „Ja, gut. Aber pass auf dich auf. Komm nicht so spät nach Hause. Und grüß Izzy von mir.“ _ Tai war schon da, als Sora am Kino ankam. Er wartete vor dem Eingang, wie sie es verabredet hatten. „Hey“, begrüßte Sora ihn und umarmte ihn kurz. „Wartest du schon lange?“ „Erst eine Stunde“, erwiderte Tai und grinste. „Nein, ich bin gerade eben gekommen. Lass uns rein gehen.“ Gemeinsam betraten sie das Kino und gingen die Treppe hinauf zum Kartenverkauf, wo ihnen sofort der süßliche Duft von Popcorn entgegen strömte. In dem Raum tummelten sich viele Leute. Kein Wunder, denn es war Samstag Abend und das war die optimale Zeit für einen Kinobesuch. Sora fiel auf, dass hauptsächlich Pärchen hier unterwegs waren. Gerade wollten sie sich in die Schlange beim Kartenverkauf einreihen, als Tai sie plötzlich am Arm packte und hinter ein Grüppchen Jugendlicher zerrte. „Hey!“, beschwerte sie sich und sah ihn verständnislos an. „Sieh mal“, zischte er und deutete mit dem Kopf nach links. „Sind das nicht Matts und T.K.s Eltern?“ Sora folgte der Richtung, in die er gezeigt hatte, und entdeckte tatsächlich Hiroaki Ishida und Natsuko Takaishi in der Schlange. „Ja“, antwortete sie verwundert. „Ich wusste gar nicht, dass sie gemeinsam ins Kino gehen.“ „Ich bin mir auch nicht sicher, ob Matt und T.K. das wissen“, meinte Tai und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Selbst wenn, dann heißt es nicht, dass Matt uns auch davon erzählt hätte“, gab Sora zu Bedenken. Matt war schließlich nicht die typische Klatschbase. „Aber ich hätte es bestimmt von Kari gehört, wenn T.K. davon wüsste“, erwiderte Tai. „Die reden doch über alles.“ „Vielleicht sind sie ja doch nur als Freunde im Kino“, mutmaßte Sora und bekam von Tai einen vielsagenden Blick zugeworfen. „Die hatten doch eigentlich kaum noch Kontakt zueinander. Ich glaube nicht, dass die einfach mal so als Freunde ins Kino gehen“, entgegnete Tai und runzelte die Stirn. Sie warteten, bis Matts und T.K.s Eltern ihre Karten hatten und in Richtung eines Kinosaals davongingen, bevor sie sich selbst wieder in die Schlange einreihten. „Sollen wir Matt und T.K. davon erzählen?“, fragte Sora skeptisch. Eigentlich war das eine Familienangelegenheit, in die sie sich lieber nicht einmischen wollte. Andererseits hatte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie Dinge von Matts Eltern wusste, die er selbst nicht wusste und es würde ihr wie Verrat an ihm vorkommen, wenn sie ihm nichts sagte. „Lieber nicht“, bestimmte Tai. „Nicht, dass sie sich am Ende doch nur falsche Hoffnungen machen. Außerdem geht uns das ja gar nichts an.“ Sora nickte beklommen. Ganz wohl war ihr bei der Sache nicht. Als sie an der Reihe waren, ihre Karten zu kaufen, kramte Sora gerade in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie, doch Tai hielt sie auf. „Lass mal. Ich lad' dich ein.“ „Tai, nein...“, setzte Sora an, doch schon hatte Tai dem Kassierer ein paar Geldscheine in die Hand gedrückt. Ohne ein weiteres Wort ging Sora zu den Snacks und kaufte Popcorn, bevor Tai ihr auch hier noch zuvorkommen konnte. _ „Sag mal, hast du jemals in deinem Leben schon irgendwas gekocht?“ Mit skeptischem Blick und verschränkten Armen stand Mimi neben Izzy und beobachtete, wie er unschlüssig Gemüse in eine Pfanne warf, das anbrannte und zischte. „Ähm... ja klar, schon voll oft“, antwortete Izzy abwinkend. „Also nicht“, meinte Mimi grinsend. Izzy warf ihr einen unschuldigen Blick zu. Er hatte tatsächlich noch nie irgendwas gekocht. Seine Mutter war einfach sehr fürsorglich und eine begabte Köchin, er hatte nie die Notwendigkeit gesehen, selbst zu kochen, was ihm nun peinlich war. Er dachte, das wäre nicht so schwer. „Willst du nicht mal ein bisschen Fett in die Pfanne geben, damit nicht alles anbrennt?“, fragte Mimi belustigt. „Gute Idee“, meinte Izzy etwas peinlich berührt und holte eine Flasche Öl aus einem der Schränke. Er kippte eine ordentliche Portion direkt auf das Gemüse. „Nicht so viel!“, rief Mimi und riss ihm die Flasche aus der Hand. „Also echt, nächstes Mal lade ich dich zum Essen ein und dann koche ich.“ Izzy lachte. „Okay, ich freue mich drauf.“ „Wo sind eigentlich deine Eltern?“, fragte Mimi. „Sind heut ausgegangen“, antwortete Izzy und rührte mit einem Kochlöffel in der Pfanne herum. „Ach, da fällt mir ein, ich soll dich von meiner Mutter grüßen“, erzählte Mimi locker und lehnte sich an die Arbeitsplatte. „Oh, danke“, sagte Izzy und freute sich wirklich darüber. „Grüß sie zurück.“ „Mach ich. Das findet sie sicher super“, seufzte Mimi. „Wie war eigentlich das Konzert gestern? War es schön?“ „Tja, wärst du mitgekommen, müsstest du nicht fragen“, erwiderte sie schnippisch und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Aber es war sehr gut.“ Izzy sah sie an und bemerkte, dass sie auf ihrer Unterlippe herumkaute, als würde sie über irgendetwas nachdenken. „Nächstes Mal komme ich wirklich mit“, versprach Izzy. „Wie gefällt dir die Musik, die sie machen?“ „Was? Achso, ja, die ist prima“, antwortete Mimi lächelnd. „Bestimmt kaufe ich mir eine CD.“ Nach einer Weile holte Izzy das Gemüse aus der Pfanne, tat Reis aus dem Reiskocher dazu und stellte die Teller auf dem Esstisch in der Küche ab. „Madame, das Abendmahl ist serviert“, sagte er und zog einen Stuhl für Mimi zurück. Sie kicherte und setzte sich. _ „Bin ich vielleicht vollgefressen“, seufzte Davis und lehnte sich zurück, die Hände auf dem Bauch verschränkt. „Du hast ja auch 'ne Riesenpizza verdrückt“, sagte Yolei vorwurfsvoll. „Ein Wunder, dass du noch nicht geplatzt bist.“ „Also darüber wundere ich mich bei ihm wirklich oft“, warf Kari ein und kicherte. „Was soll das denn heißen?“, murmelte Davis beleidigt. „Wer viel Sport macht, braucht eben auch viel Nahrung.“ „Trotzdem frage ich mich, warum du nicht fett bist“, meinte Yolei und musterte ihn kritisch. „Wahrscheinlich setzt das alles in deinem Gehirn an, da ist ja noch genug Platz.“ Sie lachten alle über diese Bemerkung. Die Stimmung war ausgelassen und unbeschwert, selbst Kari wirkte nicht mehr traurig. Yolei war nicht entgangen, dass mit ihr in letzter Zeit etwas nicht stimmte, jedoch hatte sie sie nicht darauf ansprechen wollen. Sie wusste, dass es Kari schwer fiel, darüber zu reden, was sie fühlte. „Leute, ich muss jetzt wirklich langsam nach Hause“, verkündete Davis und stand auf. Bei einem Blick auf ihre Armbanduhr stellte Yolei überrascht fest, dass es fast zehn war. „Ohje, ich muss auch los!“, rief sie und sprang ebenfalls auf. Eigentlich sollte sie in zehn Minuten zu Hause sein. „Dann gehen wir jetzt einfach alle nach Hause“, bestimmte T.K. Sie gingen ihr Essen bezahlen und anschließend machten sie sich auf den Weg nach Hause. Yolei und T.K. wohnten noch immer im gleichen Haus, weshalb sie zusammen gingen, während Kari und Davis in die andere Richtung davon liefen. „Sag mal, T.K., weißt du eigentlich, was mit Kari los ist? Sie ist so komisch in letzter Zeit“, fragte Yolei und sah T.K. neugierig an. „Ich mache mir schon langsam Sorgen um sie. Heute wirkte sie das erste Mal seit Wochen wieder fröhlich.“ „Nein, keine Ahnung“, antwortete T.K. und wirkte niedergeschlagen. „Sie erzählt es mir nicht. Vielleicht solltest du sie mal fragen.“ „Glaubst du? Ich will sie nicht nerven“, gab Yolei zu bedenken. „Aber vielleicht ist es etwas, was sie mit mir nicht bereden kann, mit dir aber schon. Ich glaube, es würde ihr helfen, wenn sie jemanden hätte, dem sie sich anvertrauen kann“, erklärte T.K. und starrte auf den Boden vor sich. „Meinst du damit, sie hat vielleicht Mädchenprobleme?“, fragte Yolei überrascht. Was sollte das denn sein? Hatte sie ihre Tage bekommen und wusste nun nicht, wie sie damit umgehen sollte? Aber das hätte sie doch auch ihrer Mutter erzählen können. Nein, das war Blödsinn. Aber es musste ja ein Mädchenproblem sein, denn sonst hätte sie sich ja Tai oder T.K. anvertrauen können. „Hast du denn Tai mal gefragt? Vielleicht weiß er mehr.“ „Nein“, erwiderte T.K. „Hm“, machte Yolei nachdenklich. „Ich werde sie mal fragen.“ _ Es war um zehn, als Tai und Sora das Kino verließen. Glücklicherweise waren Matts und T.K.s Eltern in einen anderen Film gegangen, weshalb sie ihnen nicht mehr begegneten, doch Tai dachte auch gar nicht mehr an sie. Es war ihm außerdem schwer gefallen, sich auf den Film zu konzentrieren, da Sora so dicht neben ihm gesessen hatte, doch er hatte es nicht gewagt, ihre Hand zu berühren oder sonst irgendetwas zu machen, das kinotypisch für Pärchen ist. „Wie fandest du den Film?“, fragte Tai, als sie die Straße entlang gingen auf der Suche nach etwas zu essen. „Ganz okay“, antwortete Sora und zuckte mit den Schultern. „Nächstes Mal hätte ich trotzdem gern einen Liebesfilm.“ Tai machte ein Würgegeräusch und grinste. „Ohne mich.“ „Dann gehe ich eben mit Matt“, erwiderte Sora und sah ihn erwartungsvoll an. Tai verspürte einen kurzen Stich in der Herzgegend und wusste nichts mit ihrer Bemerkung anzufangen und schon gar nicht mit dem Blick, mit dem sie ihn ansah. Was wollte sie jetzt von ihm hören? Er lächelte ein gekünsteltes Lächeln und erwiderte nichts. „Was ist eigentlich mit Matt? Hatte er keine Zeit?“, fragte Sora. „Wieso?“, fragte er und sah sie an. Dann fiel der Groschen. „Achso! Nein, er... hatte schon was vor.“ Natürlich hatte er Matt nicht gefragt und sicher wusste Sora das nun auch. Sie nickte jedoch nur und wandte den Blick wieder von ihm ab. „Auf was hast du Hunger?“, wechselte Tai das Thema. „Hm, ich weiß nicht“, meinte Sora nachdenklich. „Pizza?“ „Okay“, erwiderte Tai und steuerte seine Lieblingspizzeria an. Dort angekommen dachte er schon, sie bekämen keinen Platz mehr, doch sie fanden noch einen kleinen freien Tisch, an dem mehr Stühle standen, als eigentlich dorthin passten. Tai und Sora setzten sich einander gegenüber an den Tisch und griffen nach den Speisekarten. _ Gelangweilt saß Matt auf seinem Bett und spielte auf seiner Gitarre. Kaum zu glauben. Es war Samstagabend und er war zu Hause und langweilte sich. Er sollte sich lieber sofort ins Nachtleben stürzen, sein Vater tat dies schließlich auch, was Matt überraschte. Normalerweise war er so kaputt von der Arbeit, dass er die Wochenenden zu Hause verbrachte und sich entspannte. Dass er ausging und dann auch noch mit einer Frau war etwas Seltenes. Er war nämlich immer der Meinung, er hätte keine Zeit für Frauen und die würden sich eh nur an seiner vielen Arbeit stören, wie es auch Matts Mutter getan hatte. Vielleicht sollte Matt Mimi anrufen. So leicht, wie sie gestern zu verführen war, war sie sicher auch heute. Er musste grinsen bei der Erinnerung daran. Er hätte nie gedacht, dass sie so leicht zu haben war. Sie war ihm wie eine starke junge Frau vorgekommen, die genau wusste, was sie wollte und sich von niemandem etwas sagen ließ. Hübsch, stolz, selbstbewusst, willensstark. Das waren die Worte, mit denen er Mimi bis gestern beschrieben hätte. Doch nun kam sie ihm eher vor wie ein normales Teenagermädchen mit Hang zur Schwärmerei für gut aussehende Jungs. Gut aussehende Jungs? Matt legte seine Gitarre beiseite, stand auf und trat vor den Spiegel, der an seiner Tür befestigt war. Würde er sich selbst als gutaussehend bezeichnen? Sein blondes Haar war zweifellos etwas Besonderes, genau wie seine blauen Augen. Aber sonst? Mehr Muskeln wären ganz nett. Manchmal fand er sich ein wenig zu dünn, aber er hatte keine Zeit, auch noch ein Fitnessstudio zu besuchen. Er holte sein Handy aus seiner Hosentasche hervor und suchte Mimis Nummer heraus. Eine Weile starrte er auf das Display, bis es aufhörte zu leuchten. Heute Morgen war sie schon weg gewesen, als er aufgewacht war, was ihn wirklich überrascht hatte. Sich unbemerkt aus dem Staub zu machen, gehörte normalerweise zu seinen Spezialitäten. Und überhaupt, als hätte er sie aufgehalten, wenn sie ihm gesagt hätte, dass sie nun ginge. Sollte er sie jetzt wirklich anrufen? Insgesamt war er fast schon ein wenig enttäuscht, dass das gestern Abend so einfach mit ihr gewesen war. Das machte sie irgendwie... uninteressant. Seufzend steckte er sein Handy wieder weg und beschloss, schlafen zu gehen. Ein bisschen mehr Schlaf tat ihm sicher gut. _ Mimi und Izzy saßen in seinem Zimmer, hörten Musik und plauderten den ganzen Abend miteinander. Sie erzählten sich, was so passiert war in den letzten Jahren in Tokio und in New York und Mimi merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Das Essen, das Izzy zusammengebraut hatte, war nicht sonderlich gelungen. Das Gemüse war angebrannt und viel zu salzig gewesen, doch Mimi war trotzdem gerührt, dass er sich so viel Mühe für sie gegeben hatte und das nur, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Dabei hätte er das wirklich nicht haben müssen. Sie streckte sich und stand von dem Stuhl auf, auf dem sie gesessen hatte. „Ich muss jetzt los“, verkündete sie gähnend mit einem Blick auf die Uhr. „Oh!“, rief Izzy, als er ebenfalls auf die Uhr sah. „Ich hab gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.“ „Ich auch nicht“, kicherte Mimi. „Es war so lustig mit dir.“ Izzy grinste verlegen und stand nun auch auf. „Vielleicht sollte ich dich besser noch nach Hause bringen“, meinte er mit einem prüfenden Blick aus dem Fenster. „Ach Quatsch“, erwiderte Mimi abwinkend. So weit hatte sie es glücklicherweise nicht bis nach Hause. „Ich krieg das schon hin. Und wenn nicht, ich hab ja ein Handy dabei.“ „Wenn du meinst“, sagte Izzy, wirkte aber nicht überzeugt. Er begleitete Mimi zur Tür, wo sie sich ihre Schuhe anzog. „Also dann, danke für die Einladung.“ Mimi schloss die Arme um Izzy und drückte ihn fest an sich, wie es ihre Art war, wenn sie Menschen umarmte. „Das nächste Mal kommst du zu mir.“ „Einverstanden.“ Izzy nickte. „Melde dich, wenn du zu Hause angekommen bist.“ „Klar.“ Sie lächelte ihm noch einmal zu, bevor sie gut gelaunt die Treppe hinunterlief. Es war wirklich ein schöner Abend gewesen. Dank Izzy hatte sie die Blamage mit Matt fast schon wieder vergessen. _ „Nein, Tai, du kannst mich doch nicht schon wieder einladen“, protestierte Sora, als Tai sein Portemonnaie gezückt hatte und einfach beim Kellner ihr Essen bezahlte. „Wieso wieder?“, fragte er beim Verlassen der Pizzeria. „Du hast ja unser Popcorn bezahlt.“ „Aber nur, weil du die Karten bezahlt hast!“ „Jetzt mach dir mal keinen Kopf“, sagte Tai locker und klopfte ihr sachte auf die Schulter. „Wenn du unbedingt willst, kannst du ja das nächste Mal zahlen.“ Sora sah ihn an. „Das nächste Mal?“ Sollte es etwa noch weitere Treffen wie diese geben? Kinoabende mit anschließendem Essen gehen zu zweit? Abende, die normalerweise nur Pärchen in dieser Form verbrachten? „Ja.“ Fragend erwiderte Tai ihren Blick. Sora wurde immer misstrauischer. Sie schlenderten gemeinsam die Straße entlang. Sora wollte gern zu Fuß nach Hause gehen, um noch ein wenig frische Luft zu schnappen, auch wenn das wohl eine Weile dauern würde. Es war ein milder Abend, die Luft war klar und die Sterne leuchteten am Himmel. Eine perfekte Nacht, um sie mit seinem Geliebten draußen zu verbringen... Sora wurde unbehaglich zumute. „Hast du eigentlich die Aufgabe für Mathe schon gemacht?“, fragte sie schnell. Schule war so ein normales und alltägliches Thema, weit weg von Dates und seltsamen Gefühlen. Sie versuchte, auf diese Weise ein Gespräch in Gang zu bringen, um nicht mit Tai über Dinge reden zu müssen, über die sie nicht reden wollte. Warum war das nur auf einmal so komisch? Die Stimmung war angespannt, zumindest auf ihrer Seite. „Lass uns doch jetzt nicht über Schule reden“, stöhnte Tai. „Es ist Samstag. Und nein, ich hab sie noch nicht gemacht.“ „Entschuldige“, murmelte Sora und schwieg wieder. „Hat dir der Abend gefallen?“, fragte Tai nach einer Weile. „Ja, es war sehr schön“, antwortete Sora leise. „Fand ich auch“, stimmte Tai zu. Wieder liefen sie schweigend nebeneinander und Sora bereute ihre Entscheidung, nicht mit der U-Bahn gefahren zu sein. Dann wäre sie jetzt nicht in dieser merkwürdig angespannten Situation. Endlich kamen sie bei ihr zu Hause an. „Dann schlaf gut“, sagte Tai. „Du auch“, erwiderte Sora und wollte ihn umarmen, doch noch bevor sie die Arme um ihn schließen konnte, hatte er plötzlich seine Hände an ihr Gesicht gelegt und küsste sie auf den Mund. Sie spürte seine Lippen, die ein wenig rau waren und leicht bebten. Seine Augen waren geschlossen, seine Augenbrauen etwas zusammengezogen. Noch nie war sie ihm so nahe gewesen wie in diesem Moment, der nur eine Sekunde dauerte. Sora riss die Augen auf und trat fast schon schockiert einen Schritt zurück. „Tai!“, stieß sie hervor und starrte ihn an. „Tut mir Leid, ich...“, stammelte er hastig. Einige Sekunden lang sahen sie sich in die Augen, bis er den Blick abwandte. „Gute Nacht“, murmelte er, bevor er sich umdrehte und ging und Sora völlig perplex zurückließ. Kapitel 9: Vorwürfe und Moralpredigten -------------------------------------- Montag, 10. April 2006   Sora saß vor der ersten Stunde im Klassenraum und war nervös. Sie hatte sich am Sonntag nicht bei Tai gemeldet und auch er hatte ihr nicht geschrieben. Allerdings hatte sie die ganze Zeit über ihn nachgedacht und er wahrscheinlich auch über sie. Er hatte tatsächlich versucht, sie zu küssen. Nicht nur versucht, es war ihm sogar gelungen. Sora berührte mit den Fingern ihre Lippen. Was sollte sie nur davon halten? Wie sollte sie ihm jetzt gegenübertreten? Sollte sie einfach so tun, als ob nichts wäre? Plötzlich kam sie sich vor wie Mimi. Ihr hatte sie geraten, mit Matt zu reden, dass sollte Sora selbst wohl auch mit Tai tun. Aber wie sollte sie das anstellen? Sie hatte ja ein komplett anderes Verhältnis zu ihm als Mimi zu Matt. Und außerdem gingen die beiden ja nicht einmal in die gleiche Klasse. Tai betrat den Klassenraum und kam auf seinen Platz neben ihr zu. Augenblicklich richtete sie sich auf und setzte sich kerzengerade hin. „Hey“, begrüßte Tai sie und warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Hi“, murmelte Sora und richtete den Blick auf ihre Hände, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Sie spielte mit ihren Fingern. Tai packte seine Schulsachen für die erste Stunde aus und sagte dabei kein Wort. Normalerweise unterhielten sie sich immer, bis die Stunde anfing, doch heute schwiegen sie sich an. Sora sah aus dem Fenster, nur um so zu tun, als wäre sie beschäftigt. Tai stellte seinen Rucksack wieder auf dem Boden ab und tat nun ebenfalls nichts. „Und, hast du Mathe noch geschafft?“, fragte Sora betont beiläufig. Die Stille zwischen ihnen war einfach nicht auszuhalten. „Ja, gestern“, murmelte Tai zur Antwort. „Okay“, erwiderte Sora, dann schwiegen sie wieder. Sie konnte es kaum erwarten, dass der Unterricht endlich begann. _ „Mimi, würdest du jetzt bitte rausgehen? Ich will den Raum abschließen für die Pause.“ Mit strengem Blick und verschränkten Armen stand Frau Yamamoto in der Tür und beobachtete Mimi, die gerade zum zweiten Mal feucht über die Tafel wischte. „Aber die Tafel ist noch nicht richtig sauber“, entgegnete Mimi mit flehendem Unterton. „So kann der Unterricht doch nach der Pause gar nicht richtig weitergehen.“ Frau Yamamoto zog eine Augenbraue in die Höhe. „Es ist schön, dass du dich so um ein ordentliches Klassenzimmer bemühst, aber ich glaube, die Tafel ist gut so.“ „Nein, da drüben ist noch ein Fleck, sehen Sie das nicht?“ Hastig sprang Mimi einen Meter nach links und wischte auf einem imaginären Fleck herum. „Mimi“, sagte Frau Yamamoto langsam und bedrohlich. „Ich würde jetzt auch gern in meine Pause gehen. Sofort.“ Mimi sah sie noch ein letztes Mal flehend an, doch sie war unerbittlich. Seufzend legte sie den Schwamm beiseite, schnappte ihre Tasche und ging an Frau Yamamoto vorbei nach draußen. Betont langsam schlenderte sie durch die Gänge und kam schließlich auf den Schulhof. Sie hielt Ausschau nach ihren Freunden und überlegte, was sie machen sollte. Wenn sie nicht zu ihnen ging, würde sie sich wohl schämen, weil sie sich so albern verhielt. Außerdem würde Izzy dann fragen, weshalb sie in der Pause nicht zu ihm gekommen war. Sie atmete einmal tief durch und schritt dann auf den Baum zu, an dem sich ihre Freunde in jeder Pause zu versammeln schienen. „Da bist du ja endlich. Was hast du denn so lang noch gemacht?“, fragte Izzy verwundert, als sie sich neben ihn stellte. „Die Tafel gewischt“, sagte Mimi schnell und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Die war ganz schön dreckig.“ Sie sah zu Sora, die ihr einen vielsagenden Blick zuwarf. Dann schaute sie ganz kurz in Matts Richtung, doch der stand einfach nur da und starrte gelangweilt in die Gegend. Wahrscheinlich hatte Sora wirklich Recht und Matt hatte das Ganze schon wieder vergessen. Wie konnte er nur? „Also, was gibt’s denn so Neues bei euch? Hattet ihr alle einen schönen Sonntag?“, fragte sie möglichst fröhlich in die Runde. „Ja. Meine Mutter hat gesagt, sie ist enttäuscht, dass sie nicht da war, als du da warst“, antwortete Izzy genauso fröhlich. Kein Wunder. Der hatte ja auch keine Probleme. „Oh, ähm... nächstes Mal komme ich vorbei, wenn sie da ist“, antwortete Mimi verlegen. „Super“, meinte Izzy. „Was habt ihr gestern so gemacht?“ Er wandte sich an Tai, Matt und Sora. „Schule“, murmelte Tai. „Nichts weiter“, antwortete Sora und lächelte unsicher. „Das Gleiche“, sagte Matt gelangweilt. Mimi sah Sora kritisch an. Sie wirkte irgendwie seltsam, etwas neben der Spur. Da fiel Mimi ein, dass sie sie ja noch gar nicht nach ihrem Date mit Tai gefragt hatte. Ob das wohl nicht gut gelaufen war? Dann sah Mimi sich nach Davis und den anderen um. Sie entdeckte sie bei einer Bank und stellte fest, dass die wie immer wirkten. Anscheinend war zwischen denen alles super. _ „Sag doch mal, Cody, wie findest du eigentlich die Schuluniform?“, fragte Davis und musterte ihn interessiert. „Gefällt sie dir?“ „Naja. Eigentlich ziehe ich lieber an, was ich will“, antwortete Cody und sah an sich herunter. „So sehen alle gleich aus.“ „Seit wann interessierst du dich eigentlich für Klamotten, Davis?“, fragte T.K. und sah ihn schief an. „Tu ich doch gar nicht. Ich wollte nur wissen, wie es Cody hier geht“, murrte Davis genervt und schob die Hände in die Hosentaschen. Dass dieser blöde T.K. auch immer wieder seine Kommentare abgeben musste. „Glaubt ihr, Ken hat am Samstag die Wahrheit gesagt?“, fragte Kari nachdenklich und sah in die Runde. „Warum er nicht kommt, meine ich.“ „Wieso sollte er nicht?“, fragte Davis verwundert. „Er ist doch immer fleißig, also glaube ich ihm auch, wenn er sagt, er hat noch so viel für die Schule zu tun.“ „Aber das Schuljahr hat gerade erst angefangen“, gab T.K. zu bedenken und wieder warf Davis ihm einen genervten Blick zu. „Um die Zeit hat niemand schon so viel zu tun. Ich glaube eher, er wollte nicht kommen.“ „Warum unterstellst du ihm, dass er lügt?“, fragte Davis verärgert. „Das weißt du doch gar nicht.“ „Ist ja auch nur eine Vermutung. Reg dich nicht gleich so auf“, entgegnete T.K. gelassen. „Also ich befürchte auch, dass er keine Lust hatte, uns zu sehen“, meinte Yolei, die sich gerade eine Haarsträhne um den Finger wickelte. „Aber das können wir ihm nicht verübeln, oder? Vielleicht ging ihm das einfach zu schnell.“ „Bin ich denn der Einzige, der glaubt, dass er nicht gelogen hat?“, rief Davis nun ernsthaft wütend. Wie konnten seine Freunde nur so etwas sagen? Wollten sie Ken etwa nicht wieder in die Gruppe integrieren? „Jetzt bleib doch mal ruhig“, meinte T.K. noch immer gelassen. „Es ist doch kein Problem, falls er wirklich keine Lust hatte. Wir fragen ihn in Zukunft einfach immer, ob er auch kommen will, wenn wir unterwegs sind und irgendwann wird er schon dabei sein.“ „Genau“, pflichtete Yolei ihm bei. „Wir wollen ihn doch auch wieder bei uns haben.“ _ Lustlos machte die Gruppe sich wieder auf den Weg ins Schulgebäude, da die Pause zu Ende war. Matt schloss zu Mimi auf und sah sie an. „Normalerweise bin ich derjenige, der morgens unbemerkt abhaut“, raunte er ihr zu und grinste. Erschrocken sah sie ihn an und wurde auf der Stelle knallrot. Sie öffnete den Mund, als würde sie etwas sagen wollen, schüttelte dann aber den Kopf und wandte sich ab. „Du brauchst mich deswegen nicht zu ignorieren“, sagte er. Sie warf ihm einen empörten Blick zu, griff ihn am Arm, wobei sich ihre Fingernägel in seine Haut bohrten, und zerrte ihn hinaus aus der Schülermasse in eine Ecke. Matt spürte die neugierigen Blicke der anderen Schüler, die sie verfolgten. „Jetzt hör mal! Das war einfach nur total daneben. Hast du eigentlich auch ein Fünkchen Anstand in deinem Hirn oder ist da nur Platz für Mädchen?“, fauchte sie und starrte ihn wütend an. „War doch nur Spaß“, erwiderte Matt und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Nur Spaß? Hast du mal darüber nachgedacht, wie andere sich fühlen, anstatt immer nur an dich selbst zu denken? Vielleicht ist es für andere kein Spaß!“ „Ich dachte, du wüsstest, worauf du dich einlässt“, sagte Matt stirnrunzelnd. Er war ein wenig perplex von dieser Ansprache. „Es geht ums Prinzip!“, keifte Mimi. „Welches Prinzip? Es geht einfach nur um Spaß“, entgegnete Matt verwirrt. Mimis Lippen wurden zu einer schmalen Linie und sie verengte die Augen zu Schlitzen. „Du kapierst es wirklich nicht, oder?“ Matt sah sie zur Antwort nur verständnislos an. „Du kannst einem eigentlich nur Leid tun, Yamato Ishida“, sagte Mimi finster, wandte sich um und stolzierte davon. Nachdenklich sah Matt ihr hinterher. _ Rauchend vor Zorn stampfte Mimi ins Klassenzimmer und ließ sich auf ihren Platz neben Izzy fallen, der sie erschrocken ansah. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Augen funkelten und sie wirkte allgemein gerade wie jemand, zu dem man besser einen Sicherheitsabstand einhielt. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Izzy verwirrt. In der Pause war sie doch noch halbwegs normal gewesen. Oder zumindest nicht wütend. „Matt ist ein Arschloch“, platzte Mimi heraus und warf geräuschvoll ihre Bücher auf den Tisch. „Oh... äh“, machte Izzy und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. „Wieso?“ „Weil... er... ein Idiot ist“, tobte Mimi und sprühte geradezu vor Zorn. „Okay“, sagte Izzy langsam. Anscheinend wollte sie nicht weiter darüber reden. Trotzdem fragte Izzy sich, was passiert sein konnte. Eben auf dem Schulhof war doch noch alles in Ordnung gewesen. Was konnte Matt in den zwei Minuten angestellt haben, die sie gebraucht hatten, um vom Schulhof in den Klassenraum zu gehen? „Etwa der Matt aus der Dritten?“ Oh nein. Gleichzeitig drehten Izzy und Mimi sich zu Katsuro um, der einen seltsam Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte und Mimi interessiert musterte. „Ich glaube, das sagt hinterher jede, die mit ihm geschlafen hat“, meinte er und zuckte mit den Schultern. Izzy zuckte zusammen. Was? Mimi soll mit Matt geschlafen haben? Das konnte er sich absolut nicht vorstellen. „Was mischst du dich hier eigentlich ein?“, zischte Mimi und in ihren Augen blitzte der Zorn. „Wenn du nicht willst, dass sich jemand einmischt, solltest du vielleicht nicht so herumschreien“, erwiderte Katsuro grinsend. Mit einer schwungvollen Bewegung drehte Mimi sich wieder um und Izzy tat es ihr gleich. Irritiert musterte er sie und konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. _ „Matt!“ Tai sah, wie der blonde Junge sich umdrehte und stehen blieb, als er Tai sah. Er hatte sich ganz kurz von Sora verabschiedet und war Matt hinterhergerannt, der ein wenig eher aus dem Schulgebäude gegangen war. „Hey“, sagte Matt, als Tai bei ihm ankam. Gemeinsam verließen sie das Schulgelände. „Sag mal, hast du vielleicht noch eine Stunde Zeit?“, fragte Tai nach einer Weile des schweigenden nebeneinanderher Laufens. „Klar, was willst du denn?“, fragte Matt und musterte ihn interessiert. „Mit dir reden.“ Matt stieß einen Seufzer aus. „Geht es um Mimi?“ „Um Mimi?“, fragte Tai verwirrt. „Gut, also nicht Mimi“, entgegnete Matt und wirkte erleichtert. Sie gingen in die Pizzeria, in der Tai am Samstag schon mit Sora gewesen war und setzten sich an einen freien Tisch. „Mann, hier war ich schon ewig nicht mehr“, stellte Matt fest und sah sich um. „Du solltest öfter mit uns mitkommen“, meinte Tai halb vorwurfsvoll, halb scherzhaft. „Ja, das sollte ich“, stimmte Matt zu. Sie bestellten sich jeder eine Pizza, als einer der Kellner vorbeikam, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Heute war es nicht besonders voll, aber es war ja auch Montag. Gedankenverloren trank Tai einen Schluck Cola. „Also“, setzte Matt an und beugte sich nach vorn, „was gibt’s denn?“ „Naja“, setzte Tai an und holte tief Luft. Wie sollte er nur anfangen? „Ich glaube, ich brauche einen Rat von dir.“ Matt zog überrascht die Augenbrauen hoch und musterte ihn interessiert. „Einen Rat? Worum geht’s denn?“ „Es gibt da so ein Mädchen...“ Er sah Matt an, der auf einmal schief lächelte, aber nichts sagte. „Und ich weiß irgendwie nicht richtig, was ich machen soll. Ich glaube, sie ist nicht wirklich an mir interessiert in dieser Hinsicht.“ „Kenne ich sie denn?“, fragte Matt. Tai raufte sich die Haare. Warum musste er sich ausgerechnet in Sora verlieben? Bei jeder anderen hätte er Matt sofort davon erzählt, aber nicht bei Sora. Er war sich sicher, es würde irgendwie komisch werden, wenn Matt wüsste, dass Tai in Sora verliebt war. Irgendwie wäre ihm das mehr als unangenehm. „Nein“, log er und Matt machte ein verdutztes Gesicht. „Kein Mädchen aus der Schule?“ „Äh... nein.“ „Okay, ähm... hattest du denn schon Kontakt zu ihr?“, fragte Matt. „Ja, ziemlich viel“, sagte Tai langsam. „Das macht die Sache doch schon einfacher“, erwiderte Matt gelassen. „Glaubst du?“ Tai glaubte eher, es wäre einfacher, wenn er Sora nicht so gut kennen würde, wie es nun mal der Fall war. „Klar. Halte einfach weiter Kontakt. Sei nett zu ihr, mach ihr Komplimente, aber sei nicht zu aufdringlich“, sagte Matt bestimmt. „Am besten, du lernst Gitarre spielen. Darauf stehen sie irgendwie.“ Er lächelte schon wieder sein schiefes Lächeln. „Könnte schwierig werden“, meinte Tai. „Oder zieh einfach dein T-Shirt aus. Das reicht bei dir als Sportler bestimmt schon.“ Tai runzelte die Stirn und Matt lachte. „Weißt du, ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum du ausgerechnet mich fragst.“ „Hä?“ Verständnislos starrte Tai ihn an. „Vielleicht, weil du schon an die hundert Mädchen hattest?“ „Erstens, übertreib es nicht. Zweitens, bei mir ist das doch immer nur für kurz. Ich hatte noch nie eine Beziehung, die länger als zwei Wochen gedauert hat. Und außerdem sind die meisten hinterher nicht gerade gut auf mich zu sprechen. Da brauchst du nur Mimi ansehen.“ Tai seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Aber ich glaube trotzdem, dass du mit Mädchen besser umgehen kannst als ich.“ „Du hattest doch schon mal 'ne Freundin“, meinte Matt nun und musterte ihn fragend. „Ja, aber das war doch nur kurz. Und ist außerdem schon zwei Jahre her“, entgegnete Tai abwinkend. „Du denkst also, ich sollte nicht aufgeben?“ „Aufgeben kannst du später immer noch“, antwortete Matt. „Wenn sie auch nur ein Fünkchen Verstand hat, wird sie schon bald sehen, welche Chance sich ihr bietet.“ Nachdenklich kaute Tai auf seiner Unterlippe herum. Matt war also der Meinung, dass Sora sich schon in ihn verlieben würde, wenn er nicht aufgab. Vielleicht sollte er es einfach weiter versuchen. „Und wie gesagt, wenn es nicht klappt, kannst du immer noch dein T-Shirt ausziehen“, fügte Matt hinzu und lachte. _ Mimi kochte noch immer vor Wut, als sie in Nami's Café ging, um Sora dort zu treffen und ihre Hausaufgaben zu erledigen. Sie setzte sich an einen freien Tisch am Fenster, packte ihre Schulsachen aus und zückte einen Stift, doch sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was war Matt nur für ein Mensch? „Hallo!“ Sora stand plötzlich neben ihr und lächelte sie an. „Was kann ich dir bringen?“ „Einen Tee, bitte. Und ein Stück Schokotorte“, murmelte Mimi und wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. Sora ging kommentarlos hinter den Tresen, um ihre Bestellung fertig zu machen. Zehn Minuten später kam sie wieder, stellte den Tee und die Torte auf dem Tisch ab und setzte sich auf den Stuhl Mimi gegenüber. „Ist alles okay mit dir?“, fragte sie und sah sie an. Stirnrunzelnd sah Mimi auf und schnaubte. Zähneknirschend erzählte sie Sora von dem Gespräch mit Matt in der Pause. „Ohje“, seufzte Sora, als Mimi fertig war und begann, ihre Torte zu essen. Oder eher zu verschlingen. „Er ist so ein egoistisches Arschloch“, fauchte sie zwischen zwei Bissen. „Er versteht mich überhaupt nicht. Er kommt nicht mal ansatzweise auf die Idee, dass diese ganzen Mädchen auch Gefühle haben, die verletzt werden können. Ihm ist das völlig schnuppe. Hauptsache, er hat seinen Spaß.“ Sora hatte den Kopf auf die Hände gestützt und beobachtete Mimi beim Essen, wodurch Mimi sich unbehaglich fühlte. Sie hatte doch eigentlich abnehmen wollen und nun stopfte sie sich vor lauter Ärger mit ungesundem Süßkram voll. Angewidert von sich selbst legte sie die Gabel beiseite und trank einen Schluck Tee. „Bestimmt hat er schon ein paar Kinder in die Welt gesetzt, ohne es zu wissen“, murrte sie und sah aus dem Fenster. Sora kicherte. „Na hoffentlich setzt du jetzt keins in die Welt.“ „Das wäre ja noch schöner“, schnaubte Mimi und schüttelte den Kopf. Dann kam ihr plötzlich eine Idee. Sie riss die Augen auf und sah Sora bedeutungsvoll an, die ihren Blick etwas ängstlich auffing. „Das ist es!“, rief Mimi. „Ich werde ihm sagen, dass ich schwanger bin! Das wird ihm hoffentlich mal eine Lehre sein!“ „Was?“ Verdattert sah Sora sie an. „Das ist doch Blödsinn.“ „Mir doch egal“, erwiderte Mimi trotzig. „Bestimmt bekommt er dann einen ordentlichen Schrecken. Immerhin muss er dann Verantwortung tragen zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben.“ „Oh, Mimi“, sagte Sora bang. „Ich halte das für keine gute Idee.“ „Wieso nicht? Er soll ruhig mal eine Strafe für das bekommen, was er abzieht.“ „Aber dafür musst du ihm doch nicht so eine Lüge auftischen.“ „Wenn er es anders nicht begreift schon.“ Unerbittlich verschränkte Mimi die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. „Bitte denk noch mal darüber nach“, bat Sora, bevor sie aufstand und zu einem anderen Tisch ging. _ Kari hockte in ihrem Zimmer auf dem Fensterbrett und starrte nach draußen auf die Straße. Sie malte sich gerade in Gedanken aus, wie ihr Leben wohl aussehen würde, wenn ihre Eltern sich tatsächlich trennten. Für Tai würde sich wohl nicht allzu viel ändern, da er nächstes Jahr sicher ohnehin wegzog. Doch was sollte Kari machen? Zu wem sollte sie ziehen? Sicher müsste sie ständig zwischen ihren Eltern hin und her pendeln, um beide gleich regelmäßig zu sehen. Ihre Eltern wären sicher nicht mehr gut aufeinander zu sprechen, würden beide losziehen, um einen neuen Partner zu finden. Dann bekämen sie und Tai eine Stiefmutter und einen Stiefvater. Vielleicht würden sich ihre Eltern irgendwann wieder miteinander vertragen und befreundet sein, doch das widersprach völlig Karis Vorstellungen einer glücklichen, heilen Familie. Jetzt konnte sie sich vorstellen, wie T.K. und Matt sich wohl gefühlt haben mussten. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Sie klappte es auf und hielt es sich ans Ohr. „Hallo?“ „Hi Kari, hier ist Yolei“, meldete sich Yolei am anderen Ende. „Hallo“, sagte Kari etwas überrascht. Sie hatte schon lange nicht mehr mit ihr telefoniert. „Ähm... ich wollte dich eigentlich was fragen. Und zwar, ob du am Wochenende schon was vorhast?“, fragte Yolei und klang etwas verunsichert. „Es ist Montag“, erinnerte Kari sie. „Ja, ich weiß. Mir ist nur gerade eine super Idee gekommen und da wollte ich dich gleich anrufen und dir davon erzählen“, antwortete Yolei fröhlich. „Nein, ich hab bisher noch nichts vor. Was hast du denn für eine Idee?“, fragte Kari nun neugierig geworden. „Also, vielleicht könnten wir ja am Samstag zusammen shoppen gehen. Was hältst du davon? Und abends machen wir uns bei mir einen gemütlichen DVD-Abend und ziehen uns alberne Schnulzen rein“, erklärte Yolei. „Oh, das klingt prima“, erwiderte Kari, war jedoch noch ein wenig überrascht von dem Vorschlag. „Ich bin gern dabei.“ „Super!“, rief Yolei. „Ich freue mich schon richtig darauf. Wenn doch nur schon Wochenende wäre.“ „Ja“, seufzte Kari. „Okay, das war eigentlich auch schon alles, was ich wollte“, sagte Yolei. „Mach's gut. Bis morgen in der Schule.“ „Bis morgen.“ Noch ein wenig irritiert klappte Kari ihr Handy wieder zu. Auch sie freute sich nun aufs Wochenende. _ Sora hatte beschlossen, noch bei Matt vorbeizugehen und mit ihm zu reden, auch wenn es schon spät war. Doch Mimis Vorhaben hatte ihr gezeigt, dass anscheinend ein Vermittler gebraucht wurde. Von allein würden die beiden wohl nicht miteinander reden. Sie hoffte nur, dass Matt noch wach war. Sie kam an seiner Wohnung an und drückte auf den Klingelknopf mit der Aufschrift „Ishida“. Es dauerte einige Sekunden, bis Matts Vater die Tür öffnete und sie neugierig musterte. „Hallo Sora“, sagte er verwundert. „Guten Abend. Entschuldigen Sie die späte Störung, aber ist Matt vielleicht noch wach?“, fragte sie. „Ja. Komm rein“, lud Hiroaki sie ein und trat zur Seite. „Danke“, erwiderte Sora lächelnd und lief an ihm vorbei in die Wohnung. „Er ist auf dem Balkon“, sagte Hiroaki, während sie sich die Schuhe auszog. Sie folgte ihm ins Wohnzimmer, in dem der Fernseher gerade eine Nachrichtensendung zeigte und trat hinaus auf den Balkon. Hiroaki schloss die Tür hinter ihr und ging zurück zur Couch. Matt stand am Geländer, hatte die Arme darauf abgestützt und rauchte gerade. Er drehte sich um und machte ein verdutztes Gesicht. „Huch. Wo kommst du denn auf einmal her?“, fragte er und musterte sie. „Von Arbeit?“, erwiderte sie lächelnd. „Ja, schon klar.“ Er grinste. „Willst du was trinken?“ „Nein, danke. Ich wollte nur mit dir reden“, antwortete Sora. Matt sah sie eindringlich an und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Da bist du nicht die Erste heute.“ Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch raus. „Worum geht’s denn?“ Sie stellte sich neben ihn und sah nach unten auf die Straße, wo ab und an ein Auto vorbeirauschte. „Um Mimi“, sagte sie schnell. „Oh, komm schon“, stöhnte Matt, drehte sich um und fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. „Willst du mir jetzt auch einen Vortrag über die Gefühle von Mädchen halten?“ „Nein“, erwiderte Sora hastig und drehte sich um, um ihn anzusehen. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du dich nicht vielleicht bei ihr entschuldigen kannst.“ „Entschuldigen?“ Empört starrte Matt sie an. Asche fiel von seiner Zigarette auf den Boden. „Wofür? Ich hab sie doch nicht vergewaltigt!“ „Natürlich hast du das nicht“, entgegnete Sora und schüttelte den Kopf. „Aber sie ist irgendwie ziemlich fertig deswegen. Und wütend. Sie denkt, du kümmerst dich nicht um ihre Gefühle. Und die der anderen Mädchen.“ „Tu ich ja auch nicht“, sagte Matt gelassen und drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus, der auf einem winzigen Tischchen stand. Sora warf ihm einen verdutzten Blick zu, den er stirnrunzelnd erwiderte. „Es kümmert sich doch auch keiner um meine Gefühle, oder? Es geht doch dabei auch nicht um Gefühle“, erklärte er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Naja“, fing Sora irritiert an, „manchen Menschen geht es dabei schon um Gefühle.“ Irgendwie war sie verwirrt von Matts Sicht auf die Dinge. Für ihn war Sex anscheinend etwas völlig Neutrales und unterschied sich nicht von einem Gespräch. Vielleicht war er noch nie auf den Gedanken gekommen, dass andere dabei etwas anderes als Spaß empfinden könnten. Er zuckte nur mit den Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. „Das ist nicht mein Problem. Ich habe bisher jedem klar gemacht, dass das nichts zu bedeuten hat.“ „Aber damit verletzt du andere trotzdem“, warf Sora ein und sah ihn an. „Willst du jetzt Moralapostel spielen?“, fragte Matt abfällig. „Jeder ist für sich selbst verantwortlich und entscheidet allein. Wenn Mimi sich dazu entscheidet, mit mir zu schlafen, dann ist das ihre Sache und ihr Problem, wenn sie das hinterher bereut. Damit habe ich nichts zu tun und deshalb werde ich mich auch nicht bei ihr entschuldigen.“ Er lehnte sich neben Sora an das Geländer des Balkons. „Dann ist es dir also total egal, wenn du die Gefühle anderer verletzt?“, fragte Sora und sah ihn nun eindringlich an. Er antwortete nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern. „Matt, willst du das jetzt den Rest deines Lebens so weitermachen? Mit irgendwelchen Mädchen schlafen und dich hinterher nie wieder bei ihnen melden? Sind dir andere Menschen wirklich so egal?“ Matt ging zur Balkontür, legte eine Hand auf den Türgriff und sah Sora an. Sein Blick war kalt und abweisend. „Gute Nacht, Sora“, sagte er leise, öffnete die Tür und ging ins Wohnzimmer. Erschrocken lief sie ihm hinterher und spürte, wie Hiroaki Ishida ihnen fragende Blicke zuwarf. Matt ging zur Wohnungstür und öffnete nun auch diese. Wortlos forderte er Sora somit auf, zu gehen. „Matt, was soll denn das?“, fragte sie flehend. „Ich wollte doch nur mit dir reden.“ Sein Blick wurde keine Spur weicher und somit schlüpfte Sora seufzend in ihre Schuhe und verließ die Wohnung. _ Er schlug die Tür hinter ihr zu, drehte sich um und wäre fast mit seinem Vater zusammengestoßen. „Hast du sie verärgert?“, fragte er verständnislos. „Sie sah so traurig aus.“ „Quatsch“, murmelte Matt und ging ohne ein weiteres Wort in sein Zimmer. Er hatte Sora immer dafür geschätzt, dass sie ihm nie irgendwelche Vorwürfe machte oder Moralpredigten hielt, so wie es alle anderen gern taten. Und nun hatte sie es doch gemacht und das nur wegen Mimi, die anscheinend nicht damit klar kam, dass sie nicht der Nabel der Welt war. Schon gar nicht der Nabel Matts Welt. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals eines der Mädchen nach seinen Gefühlen gefragt hätte. Warum sollte er sie dann also fragen? Für ihn war alles von Anfang an klar gewesen und eigentlich hatte er seine Absichten stets verdeutlicht. Oder zumindest dachte er, er hätte sie verdeutlicht. Andererseits wollte er sich eigentlich auch nicht mit Mimi streiten. Vielleicht sollte er einfach nur ein klärendes Gespräch mit ihr führen, noch einmal darüber reden und dieses Problem aus der Welt schaffen. Immerhin gehörte sie doch auch zu der alten Truppe und sie waren Freunde. Er hätte nie gedacht, dass diese einfache Nacht solche Folgen mit sich bringen konnte. Kapitel 10: Verkupplungspläne ----------------------------- Freitag, 14. April 2006   Es war bereits später Abend am Freitag, als Mimi gemeinsam mit Sora in einer Bar saß, Cocktails trank und und redete. „Sag mal, was ist eigentlich mit dir und Tai los?“, fragte Mimi und sah Sora über den Tisch hinweg an. „Ihr redet schon die ganze Woche nicht so wirklich miteinander, oder?“ „Oh, fällt das etwa auf?“, erwiderte Sora niedergeschlagen. Mimi nickte und musterte ihre Freundin neugierig. „Ach, ich hab es dir ja auch noch gar nicht erzählt. Wir hatten doch am Samstag dieses Date“, begann Sora und Mimi machte große Augen. „Und es war auch echt gut, bis er mich geküsst hat.“ Mimi stieß einen überraschten Schrei aus, woraufhin ihr die Leute am Nachbartisch mürrische Blicke zuwarfen. „Echt?“, quietschte sie. „Wie war's? Mit Zunge?“ „Nein!“, zischte Sora und lief rot an. „Nur ganz kurz. Ich bin zurückgeschreckt.“ „Und jetzt ist es peinlich zwischen euch“, schlussfolgerte Mimi. „Ein wenig“, gab Sora zu und senkte den Blick. „Ich hab keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll.“ „Das weiß ich auch nicht. Ist echt schwierig“, stimmte Mimi zu und nickte. „Ich vermisse ihn schon richtig. Wir sitzen im Unterricht nebeneinander, aber reden kein Wort“, erzählte Sora. „Du solltest mit ihm darüber sprechen“, meinte Mimi bestimmt. Sie gab Soras Rat gern an sie selbst zurück. „Aber was soll ich denn sagen? Es kann ja nur noch schräger werden. Wenn ich ihm jetzt sage, dass ich nicht... auf diese Art an ihm interessiert bin, wie soll er denn dann damit umgehen? Können wir dann noch befreundet sein?“ Sora seufzte tief und sog am Strohhalm ihres Cocktails. „Bestimmt. Aber dann wären zumindest die Verhältnisse geklärt und jeder wüsste, woran er beim anderen ist“, gab Mimi zu bedenken. „Aber könntest du mit jemandem befreundet sein, in den du verliebt bist?“, fragte Sora mit gerunzelter Stirn. „Wenn ich wirklich in ihn verliebt wäre, dann wäre das allemal besser, als nichts mehr mit ihm zu tun zu haben“, antwortete Mimi überzeugt. „Hm“, machte Sora nachdenklich. Sie schwieg eine Weile und starrte vor sich hin, während sie auf ihrem Strohhalm herumkaute. „Hast du dich eigentlich wieder mit Matt vertragen?“, fragte sie nach einigen Minuten. „Naja“, erwiderte Mimi abfällig, „Dienstag hat er mich nach der Schule aufgehalten. Wir sind in ein Café gegangen und haben geredet.“ „Achso?“ Erstaunt zog Sora die Augenbrauen in die Höhe. „Ja, ich war auch überrascht. Aber er hat sich nicht entschuldigt. Er meinte nur, dass er sich nicht mit mir streiten will und ob wir die Sache nicht einfach vergessen können. Dass es blöd war, dass wir miteinander geschlafen haben“, erzählte Mimi. „Und bist du immer noch sauer auf ihn?“, fragte Sora interessiert. „Ja, weil er einfach nicht versteht, worum es mir geht“, antwortete Mimi trotzig. „Er soll nicht so mit den Gefühlen anderer spielen, aber er meinte, für ihn geht es dabei nicht um Gefühle.“ Sie seufzte tief. „Er ist so egoistisch.“ _ „Und, Kari? Hat dir der Film gefallen?“ Erwartungsvoll sah Davis Kari an. Sie waren gemeinsam ins Kino gegangen und Kari hatte ihn auch noch eingeladen, weil sie meinte, sich für das Frühlingsfest noch revanchieren zu müssen. „War gut“, antwortete sie lächelnd. „Danke für den schönen Abend.“ „Das können wir gerne öfter machen“, erwiderte Davis und grinste. Wie schön es wäre, jedes Wochenende nur mit Kari allein zu verbringen. Aber morgen hatte sie keine Zeit, weil sie mit Yolei unterwegs sein wollte. Shopping. Da wollte Davis sogar freiwillig nicht mitkommen. Gemeinsam gingen sie die Treppen hinunter und verließen das Kinogebäude. „Soll ich dich noch nach Hause bringen?“, fragte Davis höflich und hoffte, dass sie bejahte. Dann hatte er noch eine Weile gemeinsam mit ihr. Zumindest ein Stück mussten sie ja ohnehin in die gleiche Richtung. „Nein, das brauchst du nicht. Tai kommt mich abholen“, antwortete Kari lächelnd. „Okay“, murmelte Davis. „Dann lass uns doch schon mal zur U-Bahn laufen. Da treffen wir ihn ja ohnehin.“ Sie gingen los und tatsächlich kam Tai ihnen auf halber Strecke entgegen. „Da seid ihr ja schon“, begrüßte er sie und ging mit ihnen mit in die andere Richtung. „Wie war der Film?“ „Gut“, antwortete Kari. Davis grinste nur vor sich hin. Obwohl Tai nun verhinderte, dass er noch einige Minuten mit Kari allein war, hatte er wirklich gute Laune. Und Kari wirkte auch noch zufrieden. Vielleicht konnte er sie ja doch noch für sich begeistern und sie von T.K. weg auf seine Seite ziehen. Wie glücklich er doch wäre, wenn sie sich endlich für ihn interessieren und ihn nicht mehr nur als guten Kumpel ansehen würde. Sie fuhren nur wenige Stationen mit der U-Bahn, bis Tai und Kari aussteigen mussten. „Na dann mach's gut, Davis“, verabschiedete Tai sich, als er aufstand. Er ging schon in Richtung Tür, doch Kari blieb noch einige Sekunden unschlüssig stehen und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick fragend. Dann lächelte sie ihr hübsches Lächeln. „Bis Montag“, sagte sie leise und folgte dann ihrem Bruder. Davis verspürte ein unruhiges Kribbeln in der Magengegend und lächelte selig. Er sah Kari hinterher, wie sie ausstieg und zur Treppe ging, bis die U-Bahn sich wieder in Bewegung setzte. Samstag, 15. April 2006 „Das steht dir so gut. Ich finde, du solltest es nehmen.“ „Meinst du? Ich weiß nicht. Lässt das meine Oberweite nicht noch kleiner aussehen?“ „Quatsch!“ „Aber meine Hüften sehen doch jetzt so breit aus.“ „Nein, überhaupt nicht. Ehrlich, nimm es.“ Kritisch musterte Yolei ihr Spiegelbild und drehte sich hin und her. Sie hatte ein weißes Sommerkleid mit blauem Blumenmuster an, das ihr beim Drehen um die Oberschenkel flatterte. Kari hingegen saß auf einem Hocker und musterte sie anerkennend. „Es steht dir so gut“, betonte sie noch einmal, streckte die Hand aus und prüfte den Stoff des Kleides, indem sie einen Zipfel zwischen den Fingern rieb. „Und es ist sicher super geeignet für den Sommer.“ „Na gut, wenn du meinst“, seufzte Yolei, grinste aber. Klamotten kaufen war so wie Süßigkeiten essen. Es machte einfach glücklich, wenn man etwas fand, das einem gefiel. Kari lächelte zufrieden und erhob sich von ihrem Hocker. „Hast du gar nichts gefunden?“, fragte Yolei. Bisher war eher sie diejenige, die ständig in der Umkleidekabine stand und ein Teil nach dem anderen anprobierte. Kari fungierte eher als Beraterin. „Nein, ist nicht so meins, der Laden“, antwortete sie und blickte sich um. „Aber wir müssen auch was für dich finden“, erwiderte Yolei und hielt ihre drei Tüten in die Höhe. „Vielleicht im nächsten Laden“, meinte Kari und zuckte mit den Schultern. „Okay. Dann geh ich schnell bezahlen“, verkündete Yolei und lief zur Kasse. „Wollen wir uns etwas zu essen suchen? Ich bekomme langsam Hunger“, fragte Kari, als sie gemeinsam den Laden verließen. „Au ja, gute Idee“, stimmte Yolei zu und hielt Ausschau nach Ständen, die Snacks verkauften. Sie fanden einen, bei dem sie gegrilltes Gemüse kaufen konnten, setzten sich auf eine freie Bank und verspeisten ihr Mittagessen. „Ich finde es super, dass du die Idee hattest, shoppen zu gehen“, sagte Kari, den Blick auf die vorbeilaufenden Menschenmassen gerichtet. „Und ich finde es super, dass du mitgekommen bist“, antwortete Yolei lächelnd. „Allein macht das nämlich keinen Spaß.“ „Ich war schon ewig nicht mehr shoppen“, meinte Kari nachdenklich. „Ist bestimmt schon zwei Jahre her. Dabei passen mir so viele Sachen nicht mehr.“ „Kein Wunder. Du bist ja auch ziemlich gewachsen in den letzten zwei Jahren“, erwiderte Yolei. Kari kicherte. „Du hörst dich schon an wie meine Oma. Die erzählt mir auch jedes Mal, wie groß ich geworden bin.“ „Das haben Omas so an sich“, sagte Yolei grinsend. _ „Joe! Hier drüben bin ich!“ Joe sah sich um, als er seinen Namen hörte, und erblickte Mimi, die an einem Tisch in der Ecke saß und ihm zuwinkte. Er ging zu ihr, zog sich einen Stuhl zurück und setzte sich. „Hi“, begrüßte er Mimi lächelnd. „Wie schön, dass du gekommen bist.“ „Wieso hast du eigentlich so darauf bestanden?“, fragte Joe mit hochgezogenen Augenbrauen. Als Mimi ihn vorgestern angerufen hatte, hatte sie ihn nahezu angebettelt, mit ihr ins Café zu gehen und Sora Gesellschaft zu leisten. Mimi kicherte plötzlich und sah ihn verschmitzt an. „Es gibt jemanden, der nach dir gefragt hat und dich gern wiedersehen wollte.“ „Hä?“ Verwirrt erwiderte Joe ihren Blick. „Wer denn?“ „Kannst du dir das denn nicht denken?“, fragte Mimi und lächelte geheimnisvoll. Worauf wollte sie hinaus? Meinte sie etwa sich selbst? Er freute sich ja auch, Mimi zu sehen, aber so? Mimi lachte über seinen verdutzten Gesichtsausdruck. „Du stehst aber auf der Leitung.“ Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter zum Tresen und Joe erblickte Nami, die dort gerade Teller sortierte. Als sie bemerkte, dass er sie ansah, erwiderte sie seinen Blick kurz, grinste und wandte den Blick schnell wieder ab. „Nami?“, fragte Joe ungläubig und sah nun wieder Mimi an. „Klar!“, erwiderte Mimi, als wäre es das Natürlichste der Welt. Joe hatte Nami eigentlich schon wieder vergessen. Ja, er hatte sich kurz mit ihr unterhalten und hatte sie ganz sympathisch gefunden, doch er hatte inzwischen wieder so viel zu tun gehabt, dass er gar nicht mehr an sie gedacht hatte. Er spürte, dass er ein wenig rot wurde, und Mimi kicherte wieder. „Hey, was kann ich euch bringen?“ Sora war an ihrem Tisch aufgetaucht und sah sie erwartungsvoll an. „Einen Tee, bitte“, sagte Mimi. „Hallo Sora“, begrüßte Joe das rothaarige Mädchen mit der Schürze. „Ich nehme einen Kaffee.“ „Kommt sofort.“ Sora drehte sich um und lief zum Tresen, während Nami dahinter hervorkam und zu ihrem Tisch marschierte. „Joe, du bist ja auch mal wieder hier“, begrüßte sie ihn grinsend. „Ja“, erwiderte Joe lächelnd. „Mimi hat mich her geschleppt.“ Mimi verpasste ihm unter dem Tisch einen Fußtritt gegen das Schienbein, woraufhin er schmerzhaft das Gesicht verzog und ihr einen verstörten Blick zuwarf. „Setz dich doch zu uns“, sagte sie breit lächelnd zu Nami und deutete auf den Stuhl, hinter dem diese gerade stand. „Ja, eine Minute kann ich mich ja setzen“, meinte sie schulterzuckend und setzte sich. „Wie geht es dir denn so?“ Interessiert musterte sie Joe. „Ganz gut. Hab nur viel zu tun“, antwortete er und brachte seine Beine vorsichtshalber in Sicherheit, für den Fall, dass seine Antwort Mimi wieder so wenig gefiel, dass sie ihm einen Tritt gegen das Schienbein verpasste. „Und dir?“ „Auch“, antwortete Nami lächelnd. „Was macht dein Studium? Macht es Spaß?“ „Ja, ist sehr interessant“, erwiderte Joe nickend. „Aber auch anstrengend.“ „Das glaube ich gern. Und kannst du schon ein paar Krankheiten diagnostizieren?“ Sie grinste. Joe musste lachen. „Nein, nicht wirklich. Das dauert leider noch. Aber vielleicht im nächsten Semester.“ „Was willst du eigentlich für ein Arzt werden? Ein Allgemeinarzt?“, fragte Nami neugierig. „Nein, eigentlich eher Chirurg“, antwortete Joe. „Echt? Also das wäre ja nichts für mich, im Inneren anderer Leute herum zu wühlen.“ Wieder musste Joe über ihre Bemerkung lachen. „Ich war mir auch lange nicht sicher, ob das wirklich das Richtige für mich ist.“ In diesem Augenblick erschien Sora an ihrem Tisch und stellte Tee und Kaffee darauf ab. „Sora, kriegst du das hier für ein paar Minuten allein hin?“, fragte Nami und sah ihre Mitarbeiterin an. „Klar“, antwortete diese und ging wieder davon. „Ich geh Sora ein bisschen Gesellschaft leisten“, verkündete Mimi grinsend, nahm ihre Teetasse und entfernte sich in Richtung Tresen. Irgendwie fühlte Joe sich ein wenig verkuppelt. Was sollte das hier werden, wenn es fertig war? _ Er musste mit Sora reden. Musste. Unbedingt. So konnte das doch nicht weitergehen. Seit er sie einfach so geküsst hatte, hatten sie nahezu kein Wort miteinander geredet. Das war doch unsinnig. Er hatte nicht gewollt, dass das so endet und hätte auch nie gedacht, dass es dazu kommen würde, dass sie einmal nicht mehr miteinander redeten. Aber was sollte er ihr überhaupt sagen? Tai lag auf seinem Bett, warf seinen Fußball immer wieder in die Luft und fing ihn auf. Dabei dachte er ununterbrochen über Sora nach. Es durfte einfach nicht sein, dass sie sich so aus dem Weg gingen. Ob sie überhaupt noch mit ihm befreundet sein wollte? Matt hatte ihm geraten, einfach weiter ihr Freund zu sein, doch wollte sie das überhaupt? Hätte Matt ihm vielleicht etwas anderes geraten, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei dem ominösen Mädchen um Sora handelte? „Tai! Essen!“ Tai warf den Ball in eine Zimmerecke und schwang sich aus dem Bett. Er schlurfte ins Wohnzimmer, ohne wirklichen Hunger zu haben. Und Lust, mit seinen zerstrittenen Eltern zu essen, hatte er überhaupt nicht. Sie schwiegen sich nur noch an und die Luft war jedes Mal so dick, dass man sie mit Löffeln hätte essen können. „Was machst du eigentlich die ganze Zeit? Du bist schon den ganzen Vormittag in deinem Zimmer und kommst nicht heraus“, fragte Yuuko und musterte ihn skeptisch. „Nichts“, antwortete Tai kurz angebunden und setzte sich auf seinen Stuhl. Der Stuhl neben ihm war leer, da Kari den ganzen Tag unterwegs sein würde. „Sie ist kaum noch zu Hause“, sagte Yuuko, die Tais Blick auf Karis leeren Stuhl anscheinend bemerkt hatte. Kein Wunder, dachte Tai. Am liebsten würde er sich auch einfach woanders einquartieren, aber seine Freunde waren zu beschäftigt. Das hieß, bei Sora hätte er sich vielleicht über die Nächte einnisten können, doch mit der hatte er erst noch ein Hühnchen zu rupfen. Susumo saß auf seinem Stuhl und wirkte geistesabwesend. Yuuko setzte sich neben ihn und stellte einen Topf voll Reis auf dem Tisch ab. „Guten Appetit“, sagte sie und die drei Yagamis befüllten ihre Teller ziemlich lustlos mit Essen. Wie Tai es schon vorausgesehen hatte, wurde es ein sehr stilles Essen. Seine Eltern ignorierten sich und auch Tai hing seinen eigenen Gedanken nach. Wollten die jetzt eigentlich ewig so weitermachen? Blieben sie nur noch für ihre Kinder zusammen? Hoffentlich nicht, denn so, wie es jetzt war, war es sicher schlimmer, als wenn sie sich einfach trennten. „Hast du heute noch was vor?“, fragte Yuuko und blickte Tai über den Tisch hinweg an. „Ich gehe Sora besuchen.“ Im selben Moment, in dem er das gesagt hatte, hatte er es auch beschlossen. Sie musste heute bis um sechs arbeiten, wenn er sich nicht irrte, und danach würde er einfach bei ihr zu Hause vorbeischauen. _ Obwohl Kari an diesem Shoppingtag erst ein Teil für sich gefunden hatte, machte es ihr Spaß, mit Yolei durch die Gegend zu schlendern und ihr dabei zuzusehen, wie sie alle möglichen Klamotten anprobierte und Ratschläge zu erteilen. „Das hier? Oder doch lieber das schwarze?“, fragte Yolei gerade, als sie in einem pinkfarbenen Oberteil aus der Umkleidekabine trat. „Das schwarze“, sagte Kari bestimmt. „Das Pink steht dir nicht so gut.“ „Okay“, rief Yolei fröhlich und verschwand wieder in der Umkleidekabine. Kari lächelte amüsiert. Seit sechs Stunden waren sie nun schon hier in dieser Shoppingmeile unterwegs und Yolei wurde einfach nicht müde. „Kari?“ Kari zuckte zusammen und drehte sich um. „Ken!“ Etwas unschlüssig stand Ken hinter ihr und lächelte sie an. „So ein Zufall.“ „Ja, Tokio ist ein Dorf, nicht wahr?“ Kari grinste und nickte. „Kannst du laut sagen. Bist du allein hier?“ „Nein, mit einer Freundin. Ist gerade in der Umkleide“, antwortete Ken und setzte sich auf den freien Hocker neben Kari. Verwirrt runzelte Kari die Stirn. Einen Jungen als Shoppingbegleiter zu nehmen war doch eher ungewöhnlich. „Ich habe eine Wette verloren“, erklärte Ken, dem ihr Blick nicht entgangen war. „Deshalb begleite ich sie jetzt beim Shoppen.“ „Achso.“ Kari kicherte. „Langweilst du dich sehr?“ „Es geht“, seufzte Ken. „Auf wen wartest du?“ Als wäre es ihr Stichwort gewesen, zog Yolei den Vorhang ihrer Kabine zur Seite und trat heraus. „Oh, Ken! Hallo.“ „Hallo, Yolei“, begrüßte Ken sie und schenkte auch ihr ein Lächeln, woraufhin sie ein wenig rot wurde. _ „Sie reden schon seit einer halben Stunde“, bemerkte Mimi, die ständig verstohlene Blicke hinüber zu Joe und Nami warf. Grinsend wandte sie sich wieder zu Sora um, die hinter dem Tresen gerade Geschirr aus dem Geschirrspüler räumte. „So viel zu fünf Minuten“, meinte Sora amüsiert lächelnd. „Wie gut, dass du ihn herbestellt hast. Wollte er freiwillig kommen oder hast du deinen Charme spielen lassen?“ „Ich musste ihn ein bisschen überreden, weil er meinte, er hat eigentlich mit einer Hausaufgabe zu tun“, antwortete Mimi. „Typisch“, erwiderte Sora kopfschüttelnd. „Ich geh schnell Bestellungen wegbringen.“ Sie verschwand mit einem Tablett auf den Armen und Mimi rührte in ihrem mittlerweile kalten Tee. Das Verkuppeln machte ihr Spaß, vor allem, wenn es auch noch funktionierte. Vielleicht sollte sie mit Sora und Tai das gleiche versuchen, damit sie wieder miteinander redeten? Vielleicht brauchten die beiden einfach nur einen kleinen Anstupser, bevor die Sache ins Rollen kommen konnte. Unwirsch schüttelte sie den Kopf. Nein, Tai und Sora waren so gute Freunde, sie würde sich sicher schlecht fühlen, wenn sie sich da einmischte. Außerdem bekamen sie das sicher früher oder später von allein wieder auf die Reihe. Mimi seufzte und drehte sich wieder zu Joe und Nami um, doch Nami war nicht mehr am Tisch, sondern ging nun wieder im Café umher und erkundigte sich anscheinend bei den Gästen nach deren Zufriedenheit. Mimi trank in einem Zug ihren Tee leer, ließ die Tasse auf dem Tresen stehen und ging zurück zu Joe. „Na?“, fragte sie und grinste ihn auffordernd an. Joe zog eine Augenbraue in die Höhe. „Was 'na'?“ „Ihr habt euch aber lange unterhalten“, fing Mimi das Gespräch an, stützte den Kopf auf die Hände und ließ ihren Gegenüber nicht aus den Augen. Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. „Was soll das werden? Eine Verkupplungsaktion?“, fragte er misstrauisch. „Bingo.“ Mimi lachte. „Lass das lieber sein“, murmelte Joe und ein rosafarbener Schimmer breitete sich um seine Nase herum aus. „Entschuldige“, kicherte Mimi. „Ich werde es nicht mehr machen.“ Aber nun brauchte sie es ja auch nicht mehr. Ihr Ziel hatte sie erreicht, Nami hatte Joe wiedergesehen. _ „Wie lang seid ihr schon hier?“, fragte Ken die beiden Mädchen. „Seit um zehn“, antwortete Yolei. „Und du? Bist du mit jemand anderem hier?“ „Mit einer Freundin“, sagte Ken und deutete auf eine Umkleidekabine, deren Vorhang noch zugezogen war. „Achso.“ Yoleis Lächeln verblasste irgendwie und Ken fragte sich, ob das seine Schuld war. „Mit 'einer' Freundin?“, fragte sie neugierig weiter und Ken runzelte verwirrt die Stirn. „Yolei“, nuschelte Kari vorwurfsvoll. „Ja, nicht 'meine' Freundin“, antwortete Ken, nicht sicher, ob sie darauf hinaus wollte. Yolei nickte verstehend. In diesem Moment trat Saki, seine Freundin, aus ihrer Umkleidekabine und stellte sich neben Ken. Unsicher lächelte sie Yolei und Kari zu. „Das sind Kari und Yolei. Und das ist Saki“, stellte Ken beide Seiten einander vor. „Hallo, Saki“, sagte Yolei und Kari lächelte ihr freundlich zu. „Na gut, wir gehen dann mal weiter, oder Kari?“, fragte Yolei und sah Kari bedeutungsvoll an. „Okay“, willigte diese ein. Sie verabschiedeten sich von Ken und Saki und gingen dann aus dem Laden. „Woher kennst du die beiden?“, fragte Saki und musterte ihn neugierig. „Von früher“, antwortete Ken ausweichend. Er wusste nicht, was er ihr sonst antworten sollte. Saki warf ihm einen verständnislosen Blick zu, wollte aber anscheinend nicht weiter darüber reden, sondern hakte sich bei Ken unter und zog ihn mit sich zur Kasse. Ken fand es schade, dass er keine Gelegenheit hatte, sich weiter mit Yolei und Kari zu unterhalten. Das nächste Mal, wenn sie ihn nach irgendeiner gemeinsamen Aktivität fragten, musste er unbedingt zusagen. _ T.K. war gerade dabei, auf dem kleinen Basketballplatz im Hinterhof seines Wohnhauses ein paar Körbe zu werfen, als er das sanfte Vibrieren seines Handys in seiner Hosentasche spürte. Er hielt an, ließ den Ball fallen und zog das Handy aus der Tasche. Eine SMS von Kari. Wir haben gerade Ken getroffen. Er ist mit einem Mädchen unterwegs. Stirnrunzelnd sah T.K. auf das Display. Fing Kari nun etwa an zu tratschen? Er hatte heute noch gar nichts von ihr gehört, aber er wusste ja auch, dass sie mit Yolei shoppen war. Seine Freundin? T.K. kam die SMS komisch vor, als er sie abschickte, doch er wusste nicht, was er sonst darauf antworten sollte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Karis Antwort kam. Angeblich nur eine Freundin. ;) T.K. zuckte mit den Schultern und wollte das Handy wieder wegstecken, um mit seinem kleinen Training fortzufahren, doch da kam die nächste SMS. Was machst du gerade? Ein paar Körbe werfen. Wieso? Nur so. Es ist komisch, dich mal ein Wochenende lang nicht zu sehen. Ja, das fand T.K. auch irgendwie. Normalerweise verbrachten er und Kari fast jedes Wochenende gemeinsam. Aber noch war ja das Wochenende in vollem Gange. Find ich auch. Aber du kannst ja morgen vorbeikommen, wenn du willst. Bevor er weitermachte, wartete er noch auf Karis Antwort und diese folgte auch nach wieder nur wenigen Sekunden. Gern. :) _ Sora hatte sich gerade ein Handtuch um den Kopf geschlungen, um ihre nassen Haare darin zu trocknen, als es an der Tür klingelte. Sie verließ das Badezimmer und ging zur Wohnungstür. Ohne durch den Spion zu blicken, öffnete sie die Tür und stand Tai gegenüber. „Hi“, sagte er tonlos und sah ihr in die Augen. „Tai.“ Für den Bruchteil einer Sekunde wollte Sora ihn umarmen und hatte schon die Arme gehoben, machte jedoch nur eine fahrige Bewegung und ließ sie wieder sinken. „Kann ich reinkommen?“, fragte er, der ihrer Bewegung mit dem Blick gefolgt war. Zur Antwort trat Sora einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen. Wortlos schloss sie die Tür hinter ihm und ging unschlüssig voran in ihr Zimmer. Sie konnte ihre Gedanken noch nicht so ganz ordnen, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass Tai hier auftauchen würde. „Ähm, willst du was trinken?“, fragte sie und wollte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr streichen, als ihr auffiel, dass sie noch das Handtuch auf dem Kopf hatte. „Nein, danke“, erwiderte er und ließ sich auf ihrem Bett fallen. „Entschuldige mich kurz“, bat Sora und verließ dann ihr Zimmer wieder, um das Handtuch aufzuhängen und sich die Haare zu bürsten. In dieser Zeit versuchte sie, sich auf das vorzubereiten, was vielleicht gleich kommen würde. Aber was würde gleich kommen? Wollte er sich entschuldigen? Ihr seine Gefühle gestehen? Ihr die Freundschaft kündigen? Ein letztes Mal fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar, bevor sie zurück in ihr Zimmer ging und die Tür schloss. Langsam setzte sie sich auf den Schreibtischstuhl und sah Tai fragend an. Er hatte sich ein wenig vorgebeugt, seine Ellbogen ruhten auf seinen Knien und er sah zu Boden. „Also, das am letzten Samstag... ich glaube, das war irgendwie... blöd“, stammelte er, ohne aufzusehen. „Hm“, machte Sora nur und zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich hätte das lieber nicht machen sollen“, redete Tai weiter nach einigem Zögern und sah dann auf, direkt in ihre Augen. In seinem Blick lag etwas Hoffnungsvolles. „Oder?“ „Tai“, sagte Sora leise und sah ihn verzweifelt an. Betrübt senkte er den Blick wieder. „Hör mal, das war blöd von mir. Ich wollte nicht, dass es deswegen jetzt komisch zwischen uns wird. Du fehlst mir.“ „Du mir auch“, erwiderte Sora und stand auf, um sich neben ihn aufs Bett zu setzen. „Aber warum hast du das gemacht?“ Sie wollte es jetzt von ihm hören. Das hieß, eigentlich wollte sie es nicht hören, doch sie wollt die Wahrheit wissen. Sie hoffte, dass er sich nicht in sie verliebt hatte, aber sie befürchtete es. Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. „Kannst du dir das nicht denken?“ „Weil wir so gut befreundet sind?“ Sie lächelte unsicher, doch er schüttelte den Kopf. „Sora, ich bin... ich meine... da ist irgendetwas...“ „Schon gut, ich hab's verstanden“, unterbrach sie ihn leise und faltete die Hände im Schoß. „Okay.“ Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und starrten den Teppichboden an. Tai hatte also wirklich Gefühle für sie, die über Freundschaft hinausgingen, doch Sora erwiderte diese nicht. Jedenfalls glaubte sie, dass sie sie nicht erwiderte. Tai war doch so ein guter Freund. „Dann geh ich jetzt wohl besser“, sagte Tai und stand auf, als sie nichts erwiderte. „Nein, warte!“, rief sie. Aus irgendeinem Grund stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie hatte das Gefühl, wenn sie ihn jetzt gehen ließ, wäre es noch schlimmer als vorher. Er drehte sich um und sah sie an. Erschrocken riss er die Augen auf. „Jetzt wein doch nicht“, sagte er und hob die Hände. „Weshalb weinst du?“ „Tai, ich... ich will dich jetzt nicht verlieren“, antwortete sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Aber du verlierst mich doch nicht“, erwiderte er verwirrt. „Glaubst du denn nicht, dass das jetzt irgendwie blöd wird?“, fragte sie hilflos. „Blöd? Naja, es wäre blöd, wenn du jetzt nicht mehr mit mir reden würdest, ja. Aber ich will genauso mit dir befreundet sein wie vorher“, erklärte er und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Wie vorher. Das klang, als wäre etwas furchtbar Schicksalhaftes zwischen ihnen geschehen, das ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte. „Ich will auch weiterhin mit dir befreundet sein“, antwortete sie und sah ihm in die Augen. „Wo ist dann das Problem?“ Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen und er zuckte mit den Schultern. Er bemühte sich, die Situation ein wenig aufzulockern. Sora lächelte und wischte sich noch einmal über die Augen. Dann umarmte sie Tai. Er drückte sie kurz an sich und sie ließen sich wieder los. „Willst du zum Abendessen hier bleiben?“, fragte Sora. Er schien kurz über das Angebot nachzudenken. „Warum eigentlich nicht?“ _ Eigentlich hatten Yolei und Kari sich bei Yolei zu Hause einfach eine Pizza in den Ofen schieben wollen, doch Yoleis Mutter hatte darauf bestanden, für sie zu kochen. Es war ein seltener Abend, an dem gerade alle von Yoleis Geschwistern Mantaru, Momoe und Chizuru zu Hause waren. Mantaru und Momoe wohnten bereits seit einer Weile nicht mehr zu Hause und waren gerade ein Wochenende zu Besuch. Chizuru jedoch ging noch zur Schule und war in der gleichen Klasse wie Matt, wenn Kari sich recht erinnerte. „Guten Appetit!“, rief die ganze Familie Inoue wie aus einem Munde und alle begannen zu essen. Kari konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Einerseits fühlte sie sich wie ein Eindringling in dieser lauten Familie, in der selbst beim Abendessen alle durcheinander schnatterten, doch andererseits fühlte sie sich auch herzlich aufgenommen. Alle waren ihr gegenüber sehr zuvorkommend. „Willst du noch Reis, Kari?“, fragte Momoe freundlich und deutete auf die Reisschüssel vor sich. „Nein, danke. Ich bin satt“, antwortete Kari höflich. „Aber ich noch nicht“, rief Yolei, ließ sich den Reis reichen und schaufelte sich noch eine große Portion in ihre Schale. „Yolei, kannst du dich nicht mal benehmen, wenn du Gäste hast?“, stichelte Chizuru und warf ihr einen angewiderten Blick zu. „Ich hab halt Hunger“, verteidigte Yolei sich und fing unbeirrt an, ihre zweite Portion zu verdrücken. „Kein Wunder, dass du immer noch keinen Freund hast“, meinte Chizuru schulterzuckend. „Du hast doch selbst keinen“, warf Momoe ein und grinste Yolei an. „Woher willst du das wissen?“, erwiderte Chizuru schnippisch. „Ruhe jetzt! Niemand hat einen Freund!“, rief Herr Inoue und die Geschwister lachten. Auch Kari kicherte. Was für eine Familie... Nach dem Abendessen verzogen sich Kari und Yolei in Yoleis Zimmer und Yolei hockte sich vor ihr DVD-Regal. „Auf was hast du denn Lust?“, fragte sie langsam, während ihr Finger über die DVDs glitt. „Hm. Was Witziges?“, schlug Kari vor. „Okay.“ Yolei zog ein paar DVDs aus dem Regal und drückte sie Kari in die Hand. „Das sind meine witzigen. Such dir eine aus, mir ist es egal.“ _ Die Musik dröhnte in seinen Ohren und es war so laut, dass man sein eigenes Wort nicht einmal ansatzweise verstand. Es war noch nicht einmal gute Musik, sondern hauptsächlich Hip Hop. Zum wiederholten Mal an diesem Abend fragte Matt sich, was er eigentlich hier machte. Shin hatte nach der Bandprobe nicht allein in diesen Club gehen wollen und da Matt sowieso nichts zu tun hatte, hatte er eher widerwillig zugesagt, doch nun stand Shin in einer Ecke und knutschte mit einem Mädchen, während Matt an der Bar saß, Bier trank und sich über die Musik ärgerte. „Matt!“ Er drehte sich um, als jemand neben ihm seinen Namen schrie. „Nagisa“, antwortete er und sie fiel ihm um den Hals, als wären sie enge Freunde. Er erwiderte ihre Umarmung nicht, sondern ließ sie stirnrunzelnd über sich ergehen, setzte aber sofort einen freundlichen Blick auf, als sie ihn losließ. „Wie schön, dich zu treffen“, sagte sie strahlend. „Hast du Lust, mit mir tanzen zu gehen?“ „Nee, lass mal.“ Tanzen? Zu dieser Musik? War die noch zu retten? „Oh, okay“, meinte Nagisa und setzte sich auf den Barhocker neben ihn. „Du kannst ruhig gehen“, sagte Matt. Er hatte ohnehin keine große Lust, sich mit ihr zu unterhalten. „Nein, nein. Du sitzt so allein hier, da will ich dich lieber unterhalten.“ Sie lächelte. „Mit wem bist du denn hier?“ „Shin. Aus meiner Band.“ „Achso? Wo ist er denn?“ Sie sah sich um und Matt deutete mit einem kurzen Kopfnicken in Shins Richtung. „Oh.“ Sie grinste, als sie ihn mit seiner Flamme herumknutschen sah und drehte sich wieder zu Matt. „Ist ja sehr beschäftigt.“ „Mhm“, machte Matt und zuckte mit den Schultern. Er nippte an seiner Bierflasche, bis er bemerkte, dass Nagisa ihn beobachtete. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Was ist?“ „Ich finde es toll, dich mal am Wochenende zu sehen. Sonst sehe ich dich nur in der Schule“, erklärte sie begeistert. „Hast du denn in der Schule nicht genug von mir? Immerhin sitzen wir fast in jedem Fach nebeneinander.“ „Aber in der Schule hat man nie Gelegenheit, sich mal zu unterhalten“, erwiderte Nagisa schulterzuckend. Zum Glück. „Also. Wann habt ihr euer nächstes Konzert?“, fragte sie. „Nächsten Freitag“, antwortete Matt kurz angebunden. „Da hab ich Zeit“, verkündete sie und schien zu erwarten, dass Matt sich nun darüber freute. „Yay“, antwortete er und bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen. Sie lachte über seine Reaktion und legte dabei eine Hand auf sein Knie. „Schön, dass du dich freust.“ _ „Das Essen war wirklich lecker. Aus dir wird mal eine gute Hausfrau“, sagte Tai scherzhaft, als er seine Stäbchen beiseite legte. „Ich will aber gar keine Hausfrau werden“, erwiderte Sora lächelnd. „Schade. Meine Mutter ist eine und kann nicht halb so gut kochen wie du“, antwortete Tai grinsend und Sora kicherte. „Sei nicht so gemein“, sagte sie gespielt streng. „Ich bin nicht gemein, ich bin ehrlich“, widersprach Tai schulterzuckend. „Deine Mutter gibt sich bestimmt große Mühe“, entgegnete Sora nur und stand auf, um den Tisch abzuräumen. „Sag mal, wo ist eigentlich deine Mutter?“, fragte Tai und stand ebenfalls auf, um ihr zu helfen. „Bei meinem Vater in Kyoto. Sie verbringt das ganze Wochenende bei ihm“, antwortete sie und lächelte zufrieden. „Wie schön“, sagte Tai und senkte den Blick. Unweigerlich musste er an seine Eltern denken. Wahrscheinlich stritten sie sich gerade wieder oder ignorierten sich. Vielleicht hatte Susumo Yagami aber auch wieder die Flucht ergriffen und verbrachte die Nacht irgendwo anders. „Alles okay?“ Tai zuckte zusammen, als Sora auf einmal dicht neben ihm stand und ihn besorgt musterte. „Ja, klar“, antwortete er schnell und setzte ein Grinsen auf. „Dann hilf mir. Los.“ Sie drückte ihm die Pfanne in die Hand. Gemeinsam sortierten sie das ganze Geschirr in den Geschirrspüler ein und waren im Nu fertig. „Ich denke, ich mache mich dann mal auf den Heimweg“, sagte er ein wenig verlegen und kratzte sich am Kopf. Irgendwie hielt er es nun für unangebracht, noch länger bei ihr zu bleiben, nachdem sie wusste, was er für sie empfand. „Okay“, erwiderte sie nur und nickte. „Ich bring dich noch zur Tür.“ Bei der Verabschiedung war sie es, die ihn umarmte. Er erwiderte ihre Umarmung, aber nur ganz kurz. Er wollte jetzt auf keinen Fall zu aufdringlich sein. Was hatte Matt noch gleich gesagt? Einfach weiter ihr Freund sein. Und ihr Komplimente machen. Er musterte Sora und überlegte, was für ein Kompliment er ihr machen konnte. Tolle Haare? Schöne Augen? Hübsches Shirt? Ja, alles traf zu, aber passte das jetzt? Unschlüssig stand er da und überlegte fieberhaft, was er sagen sollte, bis er ihren fragenden Blick bemerkte. „Ähm... mach's gut“, sagte er schließlich und verließ die Wohnung. _ „Mein Bauch tut schon weh vor Lachen“, stöhnte Kari und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als Yolei aufstand, um die DVD aus dem Player zu holen. „Ja, ich hab dir doch gesagt, dass der witzig ist.“ Sie grinste und verstaute die DVD in ihrer Hülle. Anschließend ging sie zurück zu ihrem Bett und setzte sich neben Kari. „Danke für den tollen Tag, Yolei. Es hat super viel Spaß gemacht“, sagte diese lächelnd und Yolei fuhr sich verlegen durchs Haar. „Ich fand's auch toll. Das müssen wir öfter machen. Das nächste Mal können wir ja auch noch Sora und Mimi fragen. Nur wir Mädels.“ „Au ja, eine Pyjamaparty!“ Kari klatschte in die Hände und strahlte. „Das wäre toll.“ „Klar, ich bin auch dafür.“ Yolei grinste zufrieden. Da wusste sie ja schon, was sie als nächstes organisieren konnte. „Aber sag mal, Kari, du weißt, dass ich eine gute Zuhörerin bin, oder?“ Kari machte ein irritiertes Gesicht. „Naja, ich meine, wenn dich irgendetwas bedrückt, ich höre gern zu. Also, du musst mit mir natürlich über nichts reden, wenn du nicht willst, aber du kannst es jederzeit, wenn du Lust hast. Auch mitten in der Nacht.“ Yolei lächelte schief. „Oder so ähnlich. So, was machen wir jetzt? Bist du schon müde oder ziehen wir uns noch einen Film rein?“ „Meine Eltern werden sich vielleicht trennen.“ Zunächst war Yolei völlig verdutzt und wusste nicht, was Kari meinte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie nun tatsächlich anfangen würde, über ihr Problem zu reden, wo sie doch nicht einmal T.K. etwas davon erzählt hatte. „Ähm... bist du dir sicher?“, fragte Yolei verdattert. „Sie streiten sich nur noch. Und wenn sie sich nicht streiten, dann ignorieren sie sich, was noch schlimmer ist“, erklärte Kari mit gesenktem Blick. „Oh“, machte Yolei mitleidig. Da lag also der Hase im Pfeffer. Sie war nicht oft bei Kari zu Besuch gewesen, aber wenn, dann hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass Karis Eltern ziemlich glücklich waren und gut zueinander passten. „Wie lange geht das denn schon?“ „Seit einer Weile schon streiten sie immer mal wieder, aber seit zwei Monaten ist es erst richtig schlimm“, antwortete Kari, seufzte und lehnte sich zurück gegen die Wand. „Mein Vater ist sogar schon ein paar mal weg gegangen und hat die Nacht in einem Hotel oder so verbracht.“ Yolei sah sie erschrocken an. Das klang gar nicht gut und dann war Kari auch noch so eine sensible Person. Kein Wunder, dass sie die letzten Wochen so unglücklich aussah. „Habt ihr schon mal mit euren Eltern darüber geredet? Also du und Tai, meine ich.“ „Nein, nicht wirklich. Tai meint, die kriegen sich schon wieder ein, aber ich glaube, das sagt er nur, damit ich mir keine Sorgen mache.“ Ja, der Meinung war Yolei auch. Zwischen ihren eigenen Eltern krachte es auch manchmal, allerdings hatten die das immer sehr schnell geklärt und noch nie hatte einer von beiden die Nacht woanders verbracht. „Vielleicht solltet ihr sie mal darauf ansprechen. Dass es für euch schwierig ist, wenn sie sich immer streiten“, schlug Yolei unsicher vor. „Ich glaube nicht, dass das was bringt. Sie können sich ja nicht nur wegen uns zusammenreißen und versuchen, miteinander auszukommen“, erwiderte Kari kopfschüttelnd. „Doch, ich finde schon. Ihr seid immerhin ihre Kinder“, widersprach Yolei bestimmt. „Und sie sehen doch sicher selbst, wie es dir damit geht, wenn sie sich so viel streiten.“ „Naja, zumindest wird ihnen aufgefallen sein, dass ich in der letzten Zeit wenig zu Hause war“, meinte Kari. „Bestimmt“, stimmte Yolei zu. Eine Weile schwiegen sie, bis Kari wieder das Wort ergriff. „Es hat echt gut getan, es jemandem zu erzählen“, seufzte sie. „Danke, dass du mir zuhörst.“ „Ist doch klar, dafür brauchst du dich doch nicht zu bedanken.“ Viel eher noch hatte Yolei das Gefühl, sich bei Kari bedanken zu müssen. Immerhin bedeutete es, dass sie Yolei sehr vertrauen musste, wenn sie ihr etwas erzählte, was sie nicht mal ihrem besten Freund T.K. sagen wollte. Außerdem war Kari sowieso nicht der Typ Mensch, der gern über seine Gefühle sprach oder offen zeigte, wenn es ihm schlecht ging. So gesehen war es fast schon ein Kompliment für sie, dass Kari sich ihr anvertraut hatte. „Du weißt, dass du das jederzeit machen kannst“, fügte Yolei noch hinzu. Kari nickte und lächelte sie dankbar an. Kapitel 11: Oxytocin -------------------- Sonntag, 16. April 2006   „Guten Morgen, Süßer!“ Hä? Süßer? Müde schlug Matt die Augen auf und musste ein paar mal blinzeln, um scharf sehen zu können. Sein Kopf brummte und auch im Magen hatte er ein komisches Gefühl. Neben dem Bett stand Nagisa mit einem Tablett in den Händen und lächelte ihn liebevoll an. Ruckartig fuhr Matt hoch und zog die Stirn kraus. „Wie spät ist es? Ich glaube, ich gehe jetzt lieber mal nach Hause“, stammelte er und schwang sich aus dem Bett. „Du bist zu Hause“, antwortete Nagisa etwas irritiert und im selben Moment, in der sie das gesagt hatte, war es ihm auch aufgefallen. Wieso war er zu Hause? Wieso hatte er sie denn mit hierher genommen? Sie stellte das Tablett, auf dem sich eine Tasse Kaffee und ein Toast befanden, auf dem Nachttisch ab, drückte ihn dann sanft aber bestimmt zurück auf das Bett und setzte sich neben ihn. „Du bist anscheinend noch nicht richtig wach“, stellte sie fest und schlang die Arme um seinen Hals. „Aber das kann ich gern ändern.“ Matt spürte, wie sich sein Körper verkrampfte, als ihr Gesicht sich seinem näherte, ihre Lippen gefährlich nah an seine kamen und bereits zum Kuss gespitzt waren. Angewidert drehte er den Kopf zur Seite und versuchte, sie sanft von sich weg zu schieben, doch sie war hartnäckig. Mit einem Schwung glitt sie auf seinen Schoß, ohne die Position ihrer Arme zu verändern und wieder versuchte sie, ihn zu küssen. Dabei rutschte sie so weit wie möglich nach vorn und bewegte langsam ihr Becken. Aber Matt war überhaupt nicht nach irgendwelchen Tätigkeiten dieser Art. Wieder drehte er den Kopf zur Seite und schob sie diesmal eher unsanft von sich herunter. „Sag mal, warum willst du mich eigentlich nicht küssen?“ Matt zog sich gerade seine Boxershorts an und überlegte, wie er Nagisa am freundlichsten bitten konnte, seine Wohnung zu verlassen, weshalb er ihre Frage nur am Rande mitbekam. „Was? Nicht küssen?“ „Ja, selbst heute Nacht, als du total betrunken warst, hast du dich nicht von mir küssen lassen. Warum nicht?“ Noch immer konnte er sich nicht auf ihre Frage konzentrieren, da ihn etwas völlig anderes beschäftigte. Er war total betrunken? Ja, er trank gern Bier, aber so wirklich abgeschossen hatte er sich noch nie. Wenn er darüber nachdachte, konnte er sich an nichts erinnern, was heute Nacht passiert war. Am seltsamsten war immer noch, dass Nagisa hier bei ihm zu Hause war und er das zugelassen hatte. Er stöhnte und rieb sich die Stirn. „Ohje“, seufzte Nagisa und tätschelte ihm die Schulter. „Naja, ich kann mich ja den ganzen Tag um dich kümmern, damit es dir schnell wieder gut geht.“ Matt fuhr zusammen. „Ach, das kriege ich schon allein hin. Ich schlaf einfach den ganzen Tag. Allein kann ich mich da am besten kurieren.“ Hoffentlich verstand sie den Wink mit dem Zaunpfahl. „Quatsch, es ist immer leichter, wenn man jemanden hat, der sich um einen kümmert“, widersprach sie fröhlich. Matt verdrehte genervt die Augen und verließ ohne ein weiteres Wort sein Zimmer. In der Küche fand er seinen Vater vor, der gerade Zeitung las, ihm aber einen schiefen Blick zuwarf, als er den Raum betrat. „Ich hab ihr Frühstück angeboten“, sagte Hiroaki trocken. „Das war keine gute Idee“, murmelte Matt. „Ich dachte, wenn du schon mal eine mit her bringst, ist es ernst“, erwiderte Hiroaki schulterzuckend. „Ich wollte sie nicht mit her bringen“, sagte Matt schroff. „Vielleicht solltest du ihr das mal sagen. Sie war ganz erpicht darauf, dir Frühstück zu bringen und wollte wissen, was du so isst.“ „Du hättest sie lieber rausschmeißen sollen“, knurrte Matt und fuhr sich durchs Haar. „Was wird das hier eigentlich? Machst du jetzt jeden Sonntag ein Mädchen unglücklich?“ Hiroaki grinste und Matt war noch mehr genervt als vorher. Dieses Mädchen musste gehen. Jetzt. Entschlossen ging er zurück in sein Zimmer, wo Nagisa gerade seine Gitarren bewunderte. „Spielst du mir was vor, wenn es dir besser geht?“, fragte sie und lächelte erwartungsfroh. „Nein. Und du gehst jetzt besser. Ich hab noch viel zu tun“, antwortete Matt harsch. Ihr Lächeln verblasste und in ihren Augen spiegelte sich Enttäuschung wider, sodass Matt die Abfuhr fast schon Leid tat. „Hör mal, ich kann mich an gar nichts mehr erinnern und das hier war... nicht so gut“, sagte Matt und lehnte sich mit einer Hand gegen den Türrahmen. „Mir wäre es lieb, du würdest jetzt einfach gehen.“ „Aber ich hab dich doch extra nach Hause gebracht, nachdem du gestern so durch warst“, meinte Nagisa und klang schon fast flehend. „Wirklich? Das ist nett, aber...“ Er stutzte, zog die Augenbrauen hoch und sah sie durchdringend an. „Woher wusstest du, wo ich wohne? Ich kann mich nicht erinnern, dir das mal gesagt zu haben.“ Nagisas Wangen färbten sich rosa. „Ähm... ich habe auf deinem Ausweis nachgeschaut“, stotterte sie. Matt sah sie durchdringend an. Er glaubte ihr irgendwie nicht. „Gut, also... dann... äh, geh ich wohl jetzt“, stammelte Nagisa und warf ihm einen sehnsüchtigen Blick zu, als hoffte sie, er würde es sich doch noch einmal anders überlegen. Doch er beobachtete sie nur mit abweisendem Blick dabei, wie sie ihre Sachen zusammenpackte. _ Guten Morgen, Chirurg in spe! Joe musste grinsen, als er Namis SMS las, denn es war eigentlich fast Mittagszeit. Gestern hatten sie in der halben Stunde, die sie sich unterhalten hatten, ihre Handynummern ausgetauscht und seitdem hatte sie ihm schon einige SMS geschrieben. Er tippte eine Antwort ein und schickte sie ab. Es ist doch schon Mittag. ;) Gern würde er sie wiedersehen. Er musste doch zugeben, dass die halbe Stunde gestern mit ihr sehr unterhaltsam war. Sie war intelligent und witzig. Und außerdem recht hübsch. Und sie schien ähnlich wie er zu denken. Hast du heute Lust, mich wieder bei der Arbeit zu besuchen? Dann langweile ich mich nicht so. Ich bin ab eins da. Joe bezweifelte, dass sie sich langweilte, doch er freute sich, dass sie ihn danach fragte. Eigentlich hatte er keine Zeit, doch er würde sich die Zeit einfach nehmen. Und das alles nur, weil Mimi ihn gestern mitgeschleppt hatte. Ohne Mimis Anruf hätte er gar nicht mehr an Nami gedacht und nun dachte er seit gestern an nichts anderes mehr. Ich werde da sein. _ „Also, vielen Dank noch mal für gestern, Yolei“, sagte Kari, die gerade an der Haustür der Inoues stand. „Und sag deiner Mutter noch mal danke für das Essen.“ „Ach, hör auf dich zu bedanken“, erwiderte Yolei abwinkend. „Ist doch alles nicht der Rede wert. Komm gut nach Hause. Und grüß Tai.“ „Mach ich. Tschüss.“ Kari ging aus der Wohnung und steuerte auf die Treppe zu. Wie praktisch es doch war, dass Yolei und T.K. im gleichen Haus wohnten. So stand sie nur eine Minute später vor der Wohnungstür der Takaishis und drückte auf den Klingelknopf. Einige Sekunden später wurde die Tür von Natsuko geöffnet, die anscheinend jemand anderen erwartet hatte. „Oh, ach du bist es. Komm rein.“ Sie lächelte und trat zur Seite, um Kari in die Wohnung zu lassen. „Guten Morgen“, sagte Kari und ging an ihr vorbei in die Wohnung. „Ich glaube, T.K. schläft noch, aber du kannst ihn ruhig wecken“, erklärte Natsuko und deutete auf T.K.s Zimmertür. „Oh, achso. Wenn das so ist, dann komme ich vielleicht später wieder“, meinte Kari unsicher und wandte sich schon der Wohnungstür zu, doch Natsuko schien darauf zu bestehen, dass sie blieb. „Nein, nein, bleib ruhig“, sagte Natsuko eilig. „Geh ihn wecken, na los. Der schläft eh schon wieder zu lang. Außerdem freut er sich bestimmt, wenn er dich sieht. Er war gestern nicht gut drauf.“ „Wenn Sie meinen“, sagte Kari langsam, doch Natsuko schob sie schon sanft zu T.K.s Zimmertür. „Klar. Na dann viel Spaß euch beiden, ich muss jetzt los. Mach's gut.“ Sie lächelte freundlich und Kari wartete, bis sie die Wohnung verlassen hatte, bevor sie T.K.s Zimmer betrat. Leise schloss sie die Tür hinter sich und setzte sich vor seinem Bett auf den Boden. Sie fragte sich, wie er noch schlafen konnte, denn die Sonne schien durch das geöffnete Fenster direkt in sein Gesicht. Kari streckte eine Hand aus und kitzelte ihn leicht an der Nase. Im Schlaf zog er kurzzeitig die Nase kraus, wobei Kari die wenigen kleinen Sommersprossen auffielen. Noch einmal kitzelte sie ihn und wieder rümpfte er die Nase und drehte den Kopf weg, doch er war aufgewacht. Müde blinzelte er und erblickte Kari, woraufhin er sich ein wenig aufrichtete. „Hey“, sagte er mit rauer Stimme. „Hey“, erwiderte sie lächelnd. „Deine Mutter hat mich reingelassen.“ „Hab ich mir fast gedacht“, murmelte er und grinste schief. „Ich wusste nicht, dass du so früh kommst, sonst wäre ich schon lange wach.“ „Entschuldige, ich hätte anrufen sollen“, meinte Kari verlegen. T.K. rutschte ein wenig an die Wand und Kari kletterte neben ihn auf sein Bett und unter die Decke. „Wie war's gestern mit Yolei?“, fragte er. „Super“, antwortete Kari lächelnd. „Ich war zwar fast nur Shoppingberaterin, aber es hat echt viel Spaß gemacht.“ T.K. schnaubte belustigt. „Das hätte ich mir denken können.“ „Soll ich dir nachher zeigen, was ich gekauft habe?“, fragte Kari und sah ihn an. „Wenn du willst“, meinte T.K. und drehte sich auf die Seite. Schon wieder konnte sie seine Sommersprossen genau erkennen. „Und was habt ihr gestern Abend gemacht? Oder wart ihr nach dem Shoppingmarathon so k.o., dass ihr gleich ins Bett gefallen seid?“ „Eine DVD geguckt“, antwortete Kari und gab ihm einen Klaps gegen die Schulter. „Und gequatscht.“ „Über Mädchenkram?“ Stirnrunzelnd sah Kari ihn an. „Was wird das? Ein Verhör? Sei nicht so neugierig.“ T.K. zog eine Augenbraue hoch und lächelte unbekümmert. „Ich verschwinde jetzt mal ins Bad“, verkündete er und schwang sich über Kari hinweg aus dem Bett, wobei sie den typischen T.K.-Duft schnupperte. Es roch ein bisschen nach dem Duschgel, das er immer benutzte, und nach etwas anderem, das sie nicht genau bestimmen konnte. „Ich gehe dir Frühstück machen“, beschloss sie, als er gerade ins Badezimmer ging. _ Sora griff nach ihrem Handy und begann, eine SMS einzutippen. Hey Jungs, ich hab heute frei. Wollen wir irgendwas Tolles machen? Irgendwie bezweifelte sie, dass Matt Zeit hatte, doch sie würde ihn gern mal wieder dabei haben. Aber bestimmt musste er wieder zur Probe. Und Tai? Der hatte zwar bestimmt Zeit, aber ob er auch Lust hatte, sich mit ihr zu treffen, war eine andere Frage. Zwar hatten sie gestern Abend versucht, etwas zu klären, aber Sora war sich nicht sicher, ob das wirklich gelungen war. Sie befürchtete, dass es trotzdem noch komisch zwischen ihnen sein könnte, jetzt, wo sie beide wussten, dass er in sie verliebt war. Hey Sora, bin dabei, aber geht es auch erst Nachmittag? Mir geht’s grad noch nicht so gut... Stirnrunzelnd betrachtete sie Matts SMS. Wieso ging es ihm nicht gut? War er krank? Oder eher verkatert? Sie schüttelte den Kopf. Ja, geht auch. Treffen wir uns um 3 an der Eisdiele? Ist gebongt. Gut das war geklärt. Einige Sekunden später kam auch Tais Antwort. Tut mir Leid, ich muss noch die ganzen Hausaufgaben für morgen machen... :/ Das war ja wieder mal typisch. Jedes Wochenende lag Tai den ganzen Tag auf der faulen Haut und kümmerte sich nur um seinen Spaß, bis ihm am Sonntag auf einmal einfiel, dass er die Hausaufgaben für Montag noch nicht einmal angefangen hatte. Jeden Montag erklärte Sora ihm dann, dass er einfach schon Freitag anfangen und jeden Tag ein bisschen machen könnte, dann wäre nicht sein ganzer Sonntag verdorben. Doch er wollte das nicht einsehen. Dann würde sie sich heute eben allein mit Matt treffen. Auch gut. _ „Soll ich dir nebenbei meine Sachen zeigen?“, fragte Kari, die T.K. gegenüber saß und ihn beim Essen beobachtete. „Das wäre mir lieber, als wenn du mich die ganze Zeit anstarrst“, antwortete T.K. „Okay, ich bin gleich wieder da“, verkündete Kari, stand auf und lief in sein Zimmer. T.K. aß weiter, bis Kari wenige Augenblicke später wieder aus dem Zimmer trat und ein rosafarbenes Sommeroberteil trug. Es hatte kurze Ärmel und war sehr luftig und leicht. Es flatterte ein wenig, als sie sich einmal herum drehte. „Tada“, sagte Kari nahezu feierlich und sah ihn erwartungsvoll an. Da T.K. gerade an seinem Tee nippte, streckte er nur einen Daumen in die Höhe. Kari grinste und ging wieder zurück in sein Zimmer. Als sie wieder herauskam, trug sie ein kurzes hellblaues Kleid ohne Träger und drehte sich wieder um die eigene Achse. „Süß“, kommentierte T.K., wobei er eigentlich mehr Kari als das Kleid meinte. Er lächelte amüsiert darüber, wie sie dort stand, sich in ihrem Kleid drehte und wie ein kleines Mädchen wirkte. „Danke“, erwiderte sie und ging erneut in sein Zimmer. Diesmal brauchte sie etwas länger, bis sie wieder herauskam, doch dafür wirkte sie nun überhaupt nicht mehr wie ein kleines Mädchen. T.K. verschluckte sich an seinem Tee, als sie plötzlich im Bikini vor ihm stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Bikini war weiß und hatte ein Muster aus bunten Pünktchen. „Yolei meinte, ich soll den unbedingt nehmen“, erklärte Kari kichernd. „Steht dir... ähm... gut“, stotterte T.K. verlegen und sein Gesicht fühlte sich etwas zu warm an. Es war nicht so, dass er Kari das erste Mal im Bikini sah, aber erst jetzt, als sie dort fast nackt stand und sich hin und her drehte, fiel ihm auf, dass sie nicht mehr dieses kleine Mädchen war. Ihre Brüste waren gewachsen und ihre Hüfte ein wenig breiter geworden. Sie war eine junge Frau. T.K. hustete und trank eilig noch einen Schluck Tee. „Was ist? Findest du ihn nicht gut?“, fragte Kari unsicher und sah an sich hinunter. „Nein. Ich meine, doch. Sieht super aus. Würde Davis dich so sehen, würde er... naja.“ Kari lachte, schüttelte den Kopf und ging zurück in T.K.s Zimmer, während dieser versuchte, seine Gedanken zu ordnen. _ „Jetzt lad ihn schon zum Abendessen ein. Na los!“ „Mama!“ Mimi warf ihrer Mutter einen entnervten Blick zu. Den ganzen Vormittag schon drängte sie sie dazu, Izzy zum Abendessen einzuladen, da heute „der perfekte Abend“ dafür war, warum auch immer. „Was denn? Er hat dich zum Essen eingeladen und jetzt lädst du ihn ein. Komm schon!“, quengelte Satoe und drückte Mimi das Telefon in die Hand. „Darf ich vielleicht selbst entscheiden, wann ich MEINE Freunde zum Essen einlade?“, fauchte Mimi. „Aber ich entscheide, wann du deine Freunde in MEINE Wohnung einlädst“, gab Satoe zurück und grinste. „Und nun ruf ihn endlich an oder ich mach das.“ „Oh, Mama, du bist so peinlich!“ Wütend stampfte Mimi in ihr Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu und ließ sich aufs Bett fallen. Dann wählte sie eine Nummer und lauschte. „Izumi?“, meldete sich die Stimme von Izzys Mutter am Telefon. „Hallo, hier ist Mimi, könnte ich mit Izzy sprechen?“, sagte Mimi. „Oh, hallo! Ja, einen kleinen Moment bitte.“ Es knirschte und Mimi hörte dumpfe Stimmen, dann meldete sich Izzy. „Hallo, Mimi.“ Der klang aber erfreut. „Hey, Izzy. Na, was machst du gerade Schönes?“ „Ähm... das wird dich bestimmt nicht so sehr erfreuen“, murmelte Izzy hastig. „Sitzt du etwa am PC bei dem schönen Wetter?“, meinte Mimi kopfschüttelnd. „Bingo“, sagte Izzy und klang verlegen. „Naja, wie auch immer. Ich wollte dich fragen, ob du heute zum Abendessen vorbeikommen möchtest? Meine Mutter möchte dich so gern einladen.“ „Oh! Äh... ja, also... warum eigentlich nicht? Bist du denn auch da?“ Mimi runzelte die Stirn. „Natürlich, wo soll ich denn sonst sein? Sonst würde ich dich doch nicht einladen.“ „Okay.“ Er klang erleichtert. „Wann soll ich denn kommen?“ „Sei einfach um sieben hier, ja?“ „Ja, das passt mir gut.“ „Und wehe du bringst deinen Laptop mit!“ Er lachte. „Nein, keine Angst. Ich lasse ihn hier.“ „Bei dir weiß man ja nie. Na gut, dann bis heute Abend.“ „Ja. Bis dann.“ _ Pünktlich um drei erschien Sora an der Eisdiele und Matt war schon da. „Hey, wartest du schon lange?“, begrüßte sie ihn und bekam prompt ein schlechtes Gewissen, obwohl sie nicht zu spät dran war. „Nein, bleib ruhig“, erwiderte Matt und warf ihr einen gespielt genervten Blick zu. „Jetzt müssen wir nur noch auf Tai warten. Der kommt bestimmt wieder zu spät.“ „Nein, müssen wir nicht“, sagte Sora und Matt sah sie fragend an. „Er macht heute Schule.“ „Typisch“, kommentierte Matt. „Na los, holen wir uns ein Eis.“ Sie reihten sich in die kurze Schlange ein und Sora kramte schon in ihrer Tasche nach ihrem Portemonnaie. „Lass mal. Ich lad' dich ein“, sagte Matt und lächelte sie kurz an. „Was? Warum?“, fragte Sora irritiert. „Einfach so“, antwortete er schulterzuckend. „Das kannst du doch nicht machen“, murmelte Sora etwas verlegen und kramte weiter nach ihrem Portemonnaie. „Jetzt nimm gefälligst diese verdammte Einladung an“, zischte Matt und schüttelte unwirsch den Kopf. „Du weißt ganz genau, dass ich sowas nicht mag“, widersprach Sora. „Aber ich.“ Er wandte sich an den Verkäufer. „Ich nehme eine Kugel Erdbeere und das, was sie möchte.“ Sora gab ihren Widerstand auf, seufzte und bestellte sich ebenfalls eine Kugel Erdbeere. Sie schlenderten zum nahegelegenen Strand und ließen sich in den Sand fallen. Genüsslich leckte Sora an ihrem Eis und schaute aufs Meer hinaus. „Warum ging es dir heute Morgen nicht gut? Hast du gestern wieder zu wild gefeiert?“, fragte sie Matt. Dieser musterte sie von der Seite, als würde er überlegen, ob er ihr trauen konnte oder nicht. Irritiert erwiderte sie seinen Blick. „Schon gut, du musst es mir nicht sagen“, sagte sie ruhig. „Eigentlich war das gestern irgendwie komisch“, murmelte Matt und wandte den Blick von ihr ab. Er ließ ihn über das Meer schweifen und wirkte nachdenklich. „Inwiefern?“, fragte Sora stirnrunzelnd. „Ich war gestern mit Shin im Club und naja, du kennst doch Nagisa?“, fing Matt an. Sora zog die Augenbrauen hoch. Sie war sich nicht sicher, ob sie hören wollte, was jetzt kam. Eigentlich mochte Matt Nagisa doch nicht besonders. Und normalerweise gingen die Mädchen, die er abschleppte, nicht auf seine Schule. Sie nickte zögerlich. „Sie hat mich angesprochen und von da an kann ich mich an nichts erinnern. Wirklich nichts. Ich bin heute Morgen in meinem Bett aufgewacht und Nagisa war auch da. Sie meinte, ich war total besoffen, aber...“ Er schüttelte skeptisch den Kopf. „Aber du meinst, du hast nicht so viel getrunken?“, beendete Sora seinen Satz und sah ihn fragend an. „Genau.“ Matt nickte. Sora beobachtete ihn nachdenklich. Normalerweise trank Matt wirklich nicht viel, zumindest hatte Sora das noch nicht miterlebt. „Du kannst dich also an nichts erinnern? Und wie hast du dich heute Morgen gefühlt?“, fragte sie. Matt zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen verkatert. Und schwindelig. Seltsam.“ „Vielleicht hat dir jemand was in dein Getränk getan“, vermutete Sora und war besorgt. „Ach Quatsch“, sagte Matt sofort, ohne darüber nachzudenken. „Das hätte ich doch gemerkt.“ „Woher willst du das wissen? Weißt du, wie schnell das geht?“, fragte sie eindringlich und sah ihn an. „Wer soll denn das gemacht haben? Und vor allem warum?“ Er tat so, als wäre ihre Vermutung völlig daneben. „So ein bisschen Pulver wirft mich doch nicht aus der Bahn.“ „Um Himmels Willen, Matt!“ Sora war aufgesprungen und starrte ihn an. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was 'so ein bisschen Pulver' anrichten kann? Es kann dich sogar umbringen! Jetzt sei nicht so stolz, auch du bist nicht unverwundbar.“ Er antwortete nicht, sondern sah sie nur an. Einige Sekunden verharrten beide in ihrer Position, bis Sora seufzte und sich wieder hinsetzte. „Was ist los mit dir, Takenouchi? Du wirst doch sonst nie laut.“ Er lächelte amüsiert, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche und zündete sich eine an. Sora zog die Beine an den Körper und schlang die Arme um die Knie. „Ich mache mir eben Sorgen.“ „Hey“, sagte Matt leise, legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie kurz an sich. „Du weißt doch, schlechten Menschen geht es immer gut.“ Sie warf ihm einen genervten Blick zu, doch er grinste nur. „Siehst du wenigstens ein, dass es möglich ist, dass dir jemand was ins Getränk getan hat?“, fragte sie. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, bejahte sie aber schließlich. _ „Sind das nicht Matt und Sora da drüben?“ Kari blieb stehen, als sie am Strand ankamen, und deutete auf die zwei Menschen, die nebeneinander im Sand hockten. T.K. folgte ihrem Blick. „Ja“, stellte er überrascht fest und zog eine Augenbraue hoch. „Wollen wir zu ihnen gehen?“, fragte Kari und wollte schon losgehen, doch T.K. ergriff ihr Handgelenk. „Lass die mal lieber. Wer weiß, was die Wichtiges zu bereden haben.“ Er grinste und zog Kari mit sich ein Stück weiter den Strand entlang. Kari war verwirrt. „Wie meinst du das? Weißt du was, was ich nicht weiß?“ Eigentlich ging sie das ja nichts an, aber sie hegte seit einer Weile den Verdacht, dass ihr Bruder in Sora verliebt war, auch wenn dieser das bestimmt leugnen würde. „Nö. Aber man weiß ja nie“, antwortete T.K. lässig. Sie fanden eine freie Bank und setzten sich. T.K. kramte das Essen aus seinem Rucksack hervor, das Natsuko ihm am vorigen Tag vorbereitet hatte. Gebackenes Hühnchen mit eingelegtem Gemüse und Reis. Er stellte die Box zwischen Kari und sich auf der Bank ab und drückte Kari eine Gabel in die Hand. „Wo ist deine Mutter heute eigentlich?“, fragte sie und spießte ein Stück Hühnchen auf. „Sie wollte essen gehen mit ihrem geheimnisvollen Lover“, antwortete T.K. grinsend. Kari sah ihn überrascht an. „Dann hat sie ihn also immer noch?“ „Ja, anscheinend schon. Scheint was Ernstes zu sein, sie war schon ein paar mal mit ihm aus.“ „Hast du ihn inzwischen schon gesehen?“, fragte Kari neugierig. „Nee, noch nicht. Aber dauert bestimmt nicht mehr lange.“ Eine Weile aßen sie schweigend ihr verspätetes Mittagessen und blickten gedankenverloren über den Strand aufs Meer hinaus. Die Sonne schien ihnen angenehm warm ins Gesicht und das sanfte Rauschen der Wellen vermittelte Urlaubsstimmung. „Danke, dass du so viel Zeit mit mir verbringst, T.K.“, sagte Kari leise. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie er den Kopf zu ihr drehte und sie verdutzt ansah. „Keine Ursache?“ Nun wandte sie sich ihm zu und lächelte ihn warm an. „Ich meine, ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Dass du so bedingungslos für mich da bist.“ Offenbar war T.K. sprachlos, denn er lächelte schief und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Kari musste lachen und verpasste ihm einen leichten Schubs. „Jetzt sei nicht so verlegen, Spinner!“ „Wenn Davis das gehört hätte, wäre er gar nicht erfreut“, meinte T.K. grinsend. „Ach, der“, sagte Kari abwinkend. „Der wird doch schon eifersüchtig, wenn ich nur neben dir stehe. Da brauche ich ja noch nicht mal mit dir reden.“ „Das stimmt. Wie er wohl reagieren würde, wenn wir plötzlich ein Paar wären?“ Kari zog die Augenbrauen hoch und spürte, dass sie rosa anlief. T.K. und sie ein Paar? Sie räusperte sich und drehte sich weg. „Jetzt bist du aber die Verlegene“, sagte T.K. und lachte. Er sprang auf und zog sich die Schuhe aus, was Kari mit fragendem Blick beobachtete. „Los, komm. Wir gehen die Füße ins Wasser halten“, forderte T.K. sie auf und bot ihr seine Hand an. Sie ließ sich hoch ziehen und zog sich ebenfalls die Schuhe aus. Anschließend rannten sie Hand in Hand ins Wasser. _ „Guck mal, da drüben. Sieht aus wie T.K. und Kari“, sagte Sora und deutete auf zwei Jugendliche, die soeben ins Wasser gerannt waren. Matt kniff die Augen zusammen. „Das sind sie auch.“ Diese Bewegungen würde er unter tausend anderen wiedererkennen. Das konnte nur T.K. sein. „Ist das Wasser nicht noch ganz schön kalt?“, fragte Sora und schauderte. „Keine Ahnung“, erwiderte Matt und beobachtete, wie sie bis zu den Knien im Wasser standen und sich gegenseitig nass spritzten. Ja, ihm wäre das um diese Jahreszeit sicher zu kalt. Er stand auf. „Sag mal, hast du Lust noch kurz mit zu mir zu kommen? Ich will dir was zeigen“, fragte er und sah Sora an, deren Kinnlade auf einmal herunterklappte. Fassungslos starrte sie ihn an und er runzelte die Stirn. „Soll das ein Witz sein? Matt!“ Auch sie stand auf und wirkte auf einmal wütend. Matt erwiderte nichts, sondern sah sie nur völlig perplex an. Weshalb war sie auf einmal so aufgebracht? Dann verstand er plötzlich und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Nicht 'was zeigen'“, erwiderte er und deutete mit dem Zeige- und Mittelfinger beider Hände Anführungsstriche an. „Ich will dir wirklich was zeigen.“ Eine Weile musterte Sora ihn misstrauisch, bis sie anscheinend beschloss, dass er die Wahrheit sagte. „Solange es nicht dein Hotelzimmer ist.“ „Nein, nein, keine Angst“, sagte Matt grinsend, als sie sich in Bewegung setzten. „Außer natürlich, du willst.“ „Idiot!“, rief Sora und boxte ihn in die Seite. Zu Fuß gingen sie zu dem Haus, in dem Matt wohnte und stiegen die Treppen hinauf. Matt schloss die Wohnungstür auf und sie betraten die Wohnung, in der es sehr ruhig war. „Ist dein Vater gar nicht zu Hause?“, fragte Sora und sah sich um. „Nee. Ist mit seiner neuen Flamme unterwegs“, antwortete Matt schulterzuckend und ging in die Küche. „Willst du auch was trinken?“ „Ja.“ Sie folgte ihm und lehnte sich gegen einen der Küchenschränke. „Hast du sie schon mal gesehen?“ Matt holte zwei Gläser aus dem Schrank hervor und füllte sie mit Wasser. „Noch nicht“, antwortete er und reichte Sora ein Glas. „Willst du sie sehen?“ Matt sah sie an und entdeckte diesen typischen Blick, den sie immer machte, wenn sie versuchte, sich in jemanden hineinzufühlen. Er hasste es, wenn sie ihn bei ihm anwendete, denn dann fühlte er sich immer so durchbohrt. Schnell wandte er den Blick wieder ab und trank einen Schluck Wasser. „Keine Ahnung. Ist bestimmt eh nur 'ne Affäre“, murmelte er. „Los, komm mit.“ Sie folgte ihm in sein Zimmer, wo er ihr einen Platz auf seinem Bett anbot. Er selbst schnappte sich seine Gitarre und setzte sich neben sie. Er begann, die ersten Akkorde zu spielen. Well, I've heard that the devil is walking around I sold my soul way down in the dirt But stole it back now forever in debt And for a moment, I don't even care Until I felt his breath at my neck And maybe even you can feel it, too He's on a strike and looking at you Holding on to his words but baby I saw an angel become the devil Still they walk pretty good hand in hand But baby I don't need any of them Heaven nor hell Er hörte auf zu spielen und sah Sora erwartungsvoll an. „Wie findest du es bis jetzt? Ist nur die erste Strophe und der Refrain, mehr hab ich noch nicht.“ _ Etwas schüchtern betrat Joe Nami's Café und sah sich um. Niemand da, den er kannte, nicht mal Sora. Sein Herz klopfte wild in seinem Brutkorb. Schließlich hatte er ja nun so eine Art Date. Gestern wusste er noch nicht, dass die Mädchen versuchten, ihn mit Nami zu verkuppeln und war in der Annahme ins Café gegangen, dass Mimi mit ihm plaudern wollte, doch nun, da er offiziell auf Namis Bitte hin hier ist, war es ein anderes Gefühl. Er schwitzte, seine Hände waren kalt und zitterten und er kam sich bescheuert vor. Langsam schritt er auf den Tresen zu, wobei er sich bemühte, möglichst entschlossen und selbstbewusst auszusehen. Er ließ sich auf einem der Hocker nieder. Nami, die gerade hinter dem Tresen arbeitete, drehte sich um und strahlte, als sie ihn erblickte. „Joe“, rief sie. „Wie schön, dass du gekommen bist.“ „Hi“, sagte Joe und lächelte. „Was kann ich dir bringen?“, fragte sie musterte ihn interessiert. „Ich nehme einen Kaffee“, antwortete und zwang sich, ihrem Blick standzuhalten. Vielleicht schaffte er es ja, selbstbewusst zu wirken. Nami zwinkerte und keine Minute später hatte er einen Kaffee samt einem kleinen Keks vor sich stehen. Soweit er wusste, gab es normalerweise keinen Keks zum Kaffee. „Ich geh' mal schnell meine Arbeit abwälzen“, sagte sie grinsend und huschte in den Gastraum davon. Joe nutzte die kurze Zeit, um durchzuatmen. Was sollte er mit ihr reden? Sollte er sie irgendwas fragen? Würde sie ihn irgendwas fragen? Nervös schnappte er sich den kleinen Löffel, der auf seiner Untertasse lag, und rührte in seinem Kaffee herum, obwohl das überhaupt nicht nötig war. Er beobachtete den kleinen Wirbel, den der Löffel beim Rühren erzeugte und kaute auf seiner Unterlippe herum. „Brauchst du Milch? Oder Zucker?“ Joe zuckte leicht zusammen, als Nami plötzlich wieder ihm gegenüber stand und ihn ansah. „Nein, danke. Ich trinke ihn am liebsten schwarz.“ „Schwarz wie deine Seele?“, fragte Nami grinsend. Joe lächelte belustigt. „Ja, genau.“ Nami holte sich ebenfalls eine Tasse Kaffee und umschloss sie mit ihren Händen, als wären sie kalt. „Also, dann erzähl mal. Woher kennst du Sora? Und diese andere da... Mimi?“, fragte Nami, stützte den Kopf auf den Händen ab und sah ihn offen an. Joe überlegte kurz, was genau er antworten sollte. „Wir sind auf die gleiche Grundschule gegangen“, sagte er schließlich. „Aber du bist doch älter als sie. Trotzdem habt ihr euch angefreundet?“, fragte Nami skeptisch. „Ja ähm... das kam halt... irgendwie so“, stammelte Joe und rückte seine Brille zurecht. „Zufällig waren wir mal im gleichen Sommercamp.“ So, das war harmlos genug. „Achso. Und Mimi war dort auch dabei?“, fragte Nami neugierig. „Genau. Die war auch auf der Grundschule, eine Klasse unter Sora. Matt übrigens auch.“ „Tokyo-Rebels-Matt?“, fragte Nami. Joe nickte. „Genau der.“ „Mann, die Welt ist ganz schön klein“, meinte Nami lachend. „Eigentlich nicht. Dadurch, dass Sora hier arbeitet, hast du eben auch ein paar ihrer Freunde kennen gelernt.“ Nami zog irritiert die Augenbrauen zusammen und Joe realisierte, dass er mal wieder etwas zu genau genommen hatte. „Wie lang musst du heute arbeiten?“, wechselte Joe hastig das Thema. „Bis um zehn“, antwortete Nami seufzend. „Das ist aber lang“, stellte Joe fest. Nami nickte. „Wem sagst du das.“ „Arbeitest du jedes Wochenende so lang?“, fragte Joe nach kurzem Zögern. Namis Miene hellte sich auf und sie sah ihn an. „Meistens, aber ich kann es auch anders regeln. Ich meine, immerhin bin ich hier der Boss.“ Sie lächelte vielsagend. „Dann hast du also fast nie freie Wochenenden?“, fragte Joe. „Das ist der Nachteil, wenn man selbstständig ist. Aber ich kann das wie gesagt auch alles anders regeln bei Bedarf“, antwortete sie, nippte an ihrem Kaffee und sah ihn weiter unverwandt an, als erwartete sie sich eine bestimmte Reaktion. Verwirrt erwiderte er ihren Blick. „Dann kannst du dir also doch ab und an mal freinehmen.“ „Ja, zum Beispiel für besondere Anlässe. Wenn mich jemand unbedingt treffen will zum Beispiel.“ „Wer will dich denn treffen?“, fragte Joe etwas verständnislos. Nami hob die Augenbrauen und sah ihn verdutzt an, dann lachte sie plötzlich. „Was ist?“, fragte Joe, nun vollkommen verwirrt. „Ach, schon gut. Ich glaube, du meinst es nicht so, oder?“, fragte sie, als sie sich wieder eingekriegt hatte. „Was meine ich nicht so?“ Allmählich kam er sich veralbert vor. „Nichts, nichts.“ Sie lächelte etwas zerknirscht. „Ich muss jetzt erst mal weiter arbeiten.“ _ „Kari, da bist du ja wieder.“ Kari hatte kaum einen Fuß in die Wohnung gesetzt, als Yuuko vom Sofa aufsprang, auf sie zulief und sie fest in die Arme schloss. Tai, der faul auf dem anderen Sofa gelegen hatte, beobachtete sie. „Mama“, nuschelte Kari, als Yuuko sie wieder losließ. Tai grüßte sie mit einem kurzen Kopfnicken. „Ist Papa gar nicht da?“ Tai beobachtete, wie Yuuko erstarrte und einige Sekunden in ihrer Position verharrte, bevor sie zurück zum Sofa ging, sich darauf fallen ließ und sich mit einer Hand die Stirn rieb. Tai hingegen setzte sich auf. „Er ist bis Freitag weg“, verkündete er trocken. Karis Augen weiteten sich erschrocken. „Wo denn?“ „Bei irgendeinem Kollegen“, sagte er und stand auf. „Es ist nur bis Freitag, alles in Ordnung“, mischte Yuuko sich hastig ein und zupfte nervös an einer Haarsträhne. „Ach, komm schon, wem willst du hier was vormachen?“, fuhr Tai sie an. „Das sagst du doch nur, weil du es selbst glauben willst. Trennt euch einfach und gut ist's!“ „Tai!“, rief Kari und sah ihn wütend an. „Ist doch wahr!“, rief er zurück, stand auf und lief in sein Zimmer. Die Tür knallte er geräuschvoll hinter sich zu und warf sich auf sein Bett. Schon tat es ihm Leid, dass er seine Mutter so angegangen war, doch diese Familie nervte ihn mittlerweile nur noch. Wenige Minuten später wurde die Tür aufgerissen und eine wütende Kari erschien im Türrahmen. „Sie weint. Bist du jetzt zufrieden?“, fauchte sie und verschwand wieder, nicht ohne die Tür geräuschvoll zuzuwerfen. Nein, er war nicht zufrieden. Er hatte sie nicht zum Weinen bringen wollen, da sie doch sowieso schon seit Wochen ständig weinte. Einige Sekunden verharrte er noch auf seinem Bett, bevor er aufstand und sein Zimmer wieder verließ. Yuuko saß mit einem Taschentuch in der Hand auf dem Sofa und schnäuzte sich. Kari saß neben ihr, redete mit leiser Stimme auf sie ein und tätschelte ihr die Schulter. Als sie Tai erblickte, warf sie ihm einen finsteren Blick zu. Seufzend setzte er sich an die andere Seite seiner Mutter und tätschelte ihr ebenfalls die Schulter. „Entschuldige. Ich hab's nicht so gemeint“, murmelte er. „Nein, nein, nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Mir tut es Leid, dass ihr beide das alles miterleben müsst.“ Sie schniefte. „Euer Vater und ich, wir hielten es für angebracht, uns mal ein paar Tage nicht zu sehen, wisst ihr? Bis Freitag denken wir jetzt in Ruhe über alles nach und sprechen dann darüber.“ „Fahrt doch am Wochenende zusammen weg“, schlug Tai vor. Beide Frauen sahen ihn fragend an. Obwohl Yuuko verquollen und müde aussah und Kari frisch und süß wie eine Blume im Frühling, stellte er erneut die unglaubliche Ähnlichkeit zwischen den beiden fest. Kari war Yuuko wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. „Ich meine, mietet euch doch in irgendein Häuschen auf dem Land ein und verbringt mal ein Wochenende zu zweit, weg von zu Hause“, redete er weiter. „Entspannt mal, ruht euch aus, redet miteinander. Kari und ich kommen schon allein klar.“ „Also ich finde, das ist eine super Idee“, stimmte Kari ihm zu und lächelte ihre Mutter an. „Das hilft euch garantiert.“ „Meint ihr wirklich?“ Tai und Kari nickten bestätigend und redeten ihr weiter gut zu. „Gut. Ich werde euren Vater fragen, was er davon hält.“ Sie trocknete die letzte feuchte Tränenspur auf ihrer Wange mit dem Taschentuch und legte dann jeweils einen Arm um Tai und Kari und zog sie an sich. „Es tut mir wirklich Leid. Ich verspreche, dass wir alles tun werden, damit alles wieder gut wird.“ _ Soras Mund war noch immer geöffnet, während sie das gerade Gehörte verarbeitete. Er war also gerade dabei, ein neues Lied zu schreiben und wollte ihre Meinung dazu wissen. IHRE Meinung. Sora hatte sich immer für komplett unmusikalisch gehalten. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Matt die Hand ausstreckte und ihr Kinn nach oben schob, sodass ihr Mund wieder geschlossen war. „So schlimm?“, fragte er grinsend. „Nein, ich... es ist toll bisher“, stammelte sie noch immer verwirrt. „Aber... warum fragst du ausgerechnet mich?“ Er zuckte mit den Schultern. „Du gehst auf so viele unserer Konzerte und dir hat unsere Musik bisher immer gefallen. Mir ist es wichtig, dass sie dir weiterhin gefällt.“ „Aber... es ist doch deine Musik und sie muss dir gefallen“, wandte Sora ein. Erneut zuckte er mit den Schultern und lächelte schief. „Stört's dich, dass ich nach deiner Meinung gefragt habe?“ „Nein“, sagte Sora schnell. „Es wundert mich nur.“ Er legte seine Gitarre beiseite, lehnte sich ein wenig zurück und sah sie an. „Entschuldige übrigens, dass ich dich rausgeschmissen habe. Das war daneben.“ „Hä?“ Zuerst wusste Sora nicht, wovon er sprach, bis ihr der vergangene Sonntag einfiel. „Achso. Du hast aber doch noch mal mit Mimi geredet, oder?“ Sie erwiderte seinen Blick verschmitzt lächelnd. Er verdrehte die Augen und wandte den Blick ab. „Hab's für dich gemacht.“ Sora runzelte die Stirn. „Was?“ „Du stehst doch immer so auf Harmonie“, meinte er lässig und Sora sah ihn verständnislos an. „Aber Matt, du sollst doch machen, was du für richtig hältst und nicht, was ich für richtig halte. Wenn du denkst, du musst die Sache mit ihr klären, dann musst du das tun. Aber wenn du davon überzeugt bist, dass du das Richtige getan hast, dann ist das eben so. Und...“ Ruckartig beugte er sich vor zu ihr, kam mit seinem Gesicht dem ihren ganz nahe und legte eine Hand an ihre Wange. Sora riss die Augen auf. Was tat er da? Seine azurblauen Augen fixierten sie. Sie konnte seinen Atem an ihren Lippen spüren. Seine Nase berührte ihre fast. Sie spürte ein seltsames Gefühl in ihrem Inneren, als würde sich in ihrem Magen etwas winden und zappeln. „Bleib locker“, hauchte er, lächelte und ließ sie wieder los. „Was ist los mit dir, Sora? Wann bist du so geworden, wie du jetzt bist?“ Sie spürte, dass sie rot wurde und wandte den Blick schnell ab. Noch war sie ganz überwältigt von dieser plötzlichen Nähe zu Matt, die so überraschend und unerwartet kam. „Wie bin ich denn?“, fragte sie leise. „Unentspannt. Irgendwie erinnerst du mich an Joe.“ Er stand auf und streckte sich. „Findest du wirklich?“, fragte sie irritiert, obwohl sie die Antwort schon kannte. „Ja.“ „Du verhältst dich aber auch seltsam“, entgegnete sie ein wenig verletzt. Er erwiderte nichts, sondern warf ihr nur einen fragenden Blick zu. „Naja, du spielst mir dein neuestes Lied vor und willst wissen, wie ich es finde. Du kommst auf einmal so nahe, dass ich Angst habe, du willst mich küssen. Und letztens brachtest du mich nach Hause und erzähltest komische Sachen“, erklärte sie. Wieder beugte er sich zu ihr und kam ihr so nahe wie gerade eben schon. „Vielleicht wollte ich dich ja auch küssen“, raunte er. Sora wurde rot wie eine Tomate und presste die Lippen zusammen. „Matt“, nuschelte sie. Er ließ wieder von ihr ab und lachte. „Keine Angst. Ich küsse nicht, schon gar nicht dich.“ Verwirrt runzelte Sora die Stirn. Sie wusste nicht, was sie von diesem Bekenntnis halten sollte. Als Kompliment konnte man es wohl nicht auffassen. „Danke?“ Er lächelte nur und fuhr sich durchs Haar. Sora stand auf. „Ich glaube, ich gehe jetzt mal.“ „Weißt du was? Ich komme ein Stück mit dir mit. Ich schau mal bei Tai vorbei“, beschloss Matt lächelnd. _ Izzy klingelte und nur wenige Sekunden später öffnete sich die Wohnungstür. „Hey, Izzy“, begrüßte ihn eine etwas genervt aussehende Mimi. „Komm rein.“ Er trat in die Wohnung, ließ sich von ihr umarmen und zog sich die Schuhe aus. Während Mimi schon an ihm vorbeilief, blieb er noch stehen und sah sich um. Er stand in einem kleinen Flur, dessen Wände in einem leuchtenden Gelbton gestrichen waren. An den Wänden hingen Fotos von Mimi und ihren Eltern, alle fein säuberlich eingerahmt. „Schön habt ihr's hier“, bemerkte er. „Willst du jetzt da Wurzeln schlagen, oder was?“ Ungeduldig packte Mimi den kurzen Ärmel seines Hemds und zog ihn hinter sich her in die Wohnküche, in der es schon nach Essen duftete. „Hallo!“, riefen Mimis Eltern fröhlich und kamen beide auf ihn zugestürmt, sodass er es sich verkneifen musste, unwillkürlich einen Schritt zurückzutreten. „Herzlich Willkommen. Komm doch rein und fühl dich wie zu Hause“, sagte Keisuke Tachikawa strahlend. „Bist du wirklich noch der gleiche Izzy von damals? Ich hätte dich gar nicht wiedererkannt“, meinte Satoe ebenfalls strahlend. „Hehe“, machte Izzy langsam und lächelte verlegen. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. „Danke.“ Er fing Mimis genervten Blick auf, die die Augen verdrehte und zurück zum Herd ging. Satoe gesellte sich zu ihr und Keisuke führte Izzy an den Esstisch, wo sie sich hinsetzten. Izzy war etwas unbehaglich zumute, allein bei einer fremden Familie. Und warum war Mimi eigentlich genervt? „Mimi Schatz, hol ihm doch was zu trinken“, forderte Keisuke seine Tochter auf und sah dann Izzy an. „So und du bist also Mimis Klassenkamerad?“ „Ähm... ja“, murmelte Izzy. „Das freut uns sehr. Meine Frau und ich haben sehr gehofft, dass wir nach Odaiba kommen und Mimi mit dir zusammen in eine Klasse gehen kann. Sonst hätte die Ärmste ja gar niemanden gekannt und wäre ganz allein gewesen.“ „Papa“, zischte Mimi und stellte mit einem Knall ein Wasserglas vor Izzy ab. „Was denn? Ist doch so.“ Mimi ging zurück zu ihrer Mutter, wo sie sich über das Essen unterhielten und Izzy und Keisuke nicht weiter beachteten. „Ja ähm... ich habe mich auch sehr gefreut, mit Mimi in eine Klasse zu kommen“, erwiderte Izzy schüchtern. „Mimi hat erzählt, du leitest den Computerclub“, meinte Keisuke und sah ihn anerkennend an. „Ja, also... das... stimmt“, stammelte Izzy und kratzte sich am Hinterkopf. „Das ist wirklich großartig. Ohne Computer geht ja heutzutage gar nichts mehr. Möchtest du Informatik studieren?“ „Ich weiß noch nicht so genau.“ „Hast ja auch noch ein bisschen Zeit. Mimi meinte auch, du bist gut in der Schule?“ „Also in Sport nicht so sehr.“ Langsam aber sicher spürte Izzy, wie er rot anlief. Das war ihm alles zu viel Lob. Keisuke Tachikawa lachte. „Ach, Sport ist ja auch nicht so wichtig.“ „Das Essen ist fertig“, flötete Satoe und stellte eine große Schüssel voll Kartoffelspalten auf den Tisch. Mimi folgte ihr mit einer Platte in den Händen, auf der einige frisch zubereitete Burger darauf warteten, verspeist zu werden. Mimi setzte sich auf den Stuhl neben Izzy, während Satoe neben ihrem Mann Platz nahm und alle sich einen guten Appetit wünschten. _ Auch, wenn er keine Ahnung hatte, wann er Nami wiedersehen konnte, wich Joe das Dauerlächeln nicht mehr aus dem Gesicht. Beschwingt war er auf dem Weg von seiner U-Bahnstation nach Hause. Nami hatte nicht allzu viel Zeit für ihn gehabt, doch sie hatten sich in den Minuten, die sie beim ihm am Tresen verbrachte, gut unterhalten über alles Mögliche. Er wusste jetzt, dass Nami in einer Kleinstadt im Norden Japans aufgewachsen war und schon immer nach Tokio wollte. Sie wohnte in einer kleinen Zwei-Raum-Wohnung in der Nähe ihres Cafés, die sie sich mit ihrem Kater Zorro teilte. Ihr Lieblingsessen war Schokokuchen und sie fotografierte gern, wenn sie mal Freizeit hatte. Was sie nicht mochte, waren Zwiebeln, Sonntage und Liebesfilme. Ja, Joe hatte sich fast alles gemerkt, was sie ihm erzählt hatte. Ob sie wohl auch noch wusste, was er von sich preisgegeben hatte? Vielleicht würde er ja mit Nami seine ersten Erfahrungen in Sachen Liebe machen. Noch nie hatte er eine Freundin gehabt, in seinem ganzen Leben nicht. Es wäre zu schön, wenn sich dieser Zustand bald ändern würde. _ „Ja?“, rief Tai lustlos, als es an seiner Zimmertür klopfte. Seit Stunden hockte er nun schon an seinen Hausaufgaben und der Kopf schwirrte ihm bereits. Er sah nicht auf, als die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. „Deine Mutter sieht schlecht aus.“ Er stutzte und drehte sich um. „Matt.“ Matt schritt bereits durchs Zimmer, ließ sich auf das Bett fallen und sah ihn an. „Ist sie krank?“ „So ähnlich. Was machst du hier?“ Tai lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und musterte Matt nun. „Dachte, du brauchst vielleicht ein bisschen Gesellschaft“, antwortete Matt lässig. „Wie lang sitzt du schon daran?“ „Weiß nicht. Den ganzen Tag?“, seufzte Tai und schob den Blätterstapel von sich weg. „Wart ihr Eis essen, du und Sora?“ „Jap. Und wir haben nicht einen Gedanken an Hausaufgaben verschwendet“, antwortete Matt zwinkernd. In Tais Innerem breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus, das nichts mit den Hausaufgaben zu tun hatte. „Sie war bis eben noch bei mir“, erzählte Matt weiter und Tais unangenehmes Gefühl verstärkte sich. „Aber jetzt sag, was meinst du mit 'so ähnlich'?“ „Hm?“, machte Tai, aus seinen düsteren Gedanken gerissen. „Deine Mutter“, erwiderte Matt. „Achso“, sagte Tai und winkte ab. „Meine Eltern haben Stress und ich glaube, sie stehen kurz vor der Trennung.“ Matt zog die Augenbrauen hoch. „Tut mir Leid.“ Tai zuckte mit den Schultern, stand auf und ließ sich neben Matt aufs Bett fallen, wo er sich nach hinten warf. „Willst du drüber reden?“, fragte Matt und sah auf ihn herab. „Da gibt’s nichts zu reden“, antwortete Tai und legte den Unterarm über die Augen. „Deswegen ist Kari in der letzten Zeit so geknickt, oder?“, fragte Matt weiter. Tai nickte nur. „Aber ich glaube, T.K. tut alles, um sie aufzuheitern“, meinte Matt. Tai nahm den Unterarm weg und sah Matt forschend an, der grinste. „Glaubst du, da läuft was?“, fragte er. Sollte Matt ja sagen, wüsste er nicht, was er davon halten sollte. Seine Schwester zusammen mit einem Kerl? Aber andererseits war dieser Kerl T.K., der Bruder seines besten Freundes. „Glaub nicht. Die sind doch schon seit Ewigkeiten beste Freunde. Und von besten Freunden lässt man doch die Finger.“ Tai fing Matts vielsagenden Blick auf und wusste nicht, was er davon halten sollte. War das eine Anspielung? Hatte Sora ihm vielleicht erzählt, dass Tai in sie verliebt war? Matt drehte sich zu Tai und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett. Er musterte ihn eindringlich. „Wie läuft's eigentlich bei dir und deiner Angebeteten? Gibt's Neuigkeiten?“, fragte er. „Ich war bei ihr und hab mit ihr über den Kuss geredet“, antwortete Tai und wandte den Blick ab. „Wir haben das einigermaßen geklärt.“ „Aber zusammen seid ihr noch nicht?“, schlussfolgerte Matt. „Genau.“ Tai nickte. „Du solltest sie flachlegen“, meinte Matt trocken. Tai runzelte die Stirn und sah ihn wieder an. „Ich bin nicht du.“ „Mann, ich mein's ernst“, sagte Matt. „Oft verlieben sich die Mädels hinterher. Das liegt am Oxytocin.“ „Hä?“ Tai starrte ihn verständnislos an. „Oxytocinausschüttung bewirkt ein Gefühl von Vertrauen und enger Vebundenheit. Frauen sehen den Partner dann als potenziellen Vater ihrer Kinder an“, erklärte Matt und sah dabei aus wie ein Lehrer. Eine Sekunde lang sah Tai ihn noch skeptisch an, dann musste er lachen. „Was ist denn mit dir los? Wann bist du zum Biologieexperten mutiert?“ Er zuckte mit den Schultern. „Hab ich letztens irgendwo gelesen und fand das ganz interessant.“ „Du spinnst.“ Tai schüttelte den Kopf. „Du solltest es wirklich probieren“, fand Matt und sah ihn ernst an. „Wie soll ich das denn machen? Ich bin nicht du, ich kriege kein Mädchen innerhalb von zwei Stunden dazu, mit mir zu schlafen“, erwiderte Tai energisch. „Klar, kriegst du das. Du könntest so viele haben. Soll ich's dir beweisen?“ Matt sah ihn auffordernd an. „Wie denn?“, fragte Tai misstrauisch. „Freitag hab ich ein Konzert. Komm danach mit feiern, dann kriegen wir eine für dich“, meinte Matt zuversichtlich. „Ich will nicht irgendeine“, sagte Tai mürrisch. „Du solltest es mal versuchen. Weißt du, wie entspannend das ist?“ „Ja, ich weiß es, aber...“ „Siehst du? Dann kommst du nächste Woche mit und legst eine flach. Dann wirst du vielleicht ein bisschen selbstbewusster und traust dich mehr bei deiner Süßen.“ Matt grinste und Tai schüttelte den Kopf. Er konnte nicht so recht glauben, was Matt ihm da gerade vorgeschlagen hatte. Wahlloses Herumvögeln mit einer Fremden zur Entspannung und zum Lockerwerden? „Jetzt guck nicht so“, meinte Matt und boxte ihn gegen die Schulter. „Du musst ja nicht. Aber du solltest mal drüber nachdenken.“ „Ja, ich denke drüber nach“, seufzte Tai, hauptsächlich deshalb, damit Matt nicht mehr auf ihn einredete. „Sora glaubt übrigens, dass mir gestern jemand Betäubungsmittel in mein Getränk gekippt hat“, erzählte Matt plötzlich. „Was?!“ Tai setzte sich auf und starrte ihn erschrocken an. „Ja, ich war feiern und hab Nagisa getroffen. Und dann bin ich heute Morgen in meinem Bett aufgewacht und konnte mich an nichts mehr erinnern. Und Nagisa... war auch da.“ „Sicher, dass du nicht nur total voll warst?“, fragte Tai belustigt. „Ja, Mann“, erwiderte Matt ungeduldig. „Ich hab echt nicht viel getrunken. Nagisa behauptet, sie musste mich nach Hause bringen.“ „Hast du mit ihr geschlafen?“, fragte Tai. „Keine Ahnung“, antwortete Matt schulterzuckend. Tai schwieg einige Sekunden. „Tja, wenn's wirklich nicht am Alkohol lag, hat dir vielleicht wirklich jemand was ins Getränk getan.“ _ „Oh, Izzy, es tut mir so Leid“, seufzte Mimi. Sie und er saßen in ihrem Zimmer auf dem Bett und unterhielten sich noch eine Weile nach dem Essen. „Meine Eltern haben so einen Knall. Tut mir Leid, dass sie dich genervt haben.“ „Ach was, sie haben mich nicht genervt. Ich finde sie sehr nett“, widersprach Izzy schnell und hob die Hände. Mimi sah ihn forschend an. „Meinst du das ernst?“ „Klar“, bekräftige Izzy und nickte. „Sie waren total aufgeregt wegen dir.“ Izzy lachte. „Das habe ich gemerkt.“ Mimi lächelte verlegen. „Sie hatten solche Angst, dass ich ganz allein bin in Tokio und keine Freunde finde. Deswegen sind sie so froh, dass wir in eine Klasse gehen.“ „Ja, das hat dein Vater mir auch gesagt“, sagte Izzy. Mimi verdrehte die Augen. Ihre Eltern waren peinlich. Daran gab es nichts zu rütteln, egal, was Izzy sagte. „Mimi, ich glaube, ich gehe jetzt langsam nach Hause. Morgen ist ja wieder Schule“, verkündete Izzy und stand auf. Sie durchquerten gemeinsam die Wohnung und gingen zur Tür, wo Izzy seine Schuhe anzog. „Dann bis morgen. Und vielen Dank für die Einladung“, sagte Izzy zur Verabschiedung. „Ich richte es meinen Eltern aus“, meinte Mimi und sie grinsten. Als Izzy gegangen war, kam ihre Mutter sofort auf sie zu. „Er ist ja echt süß. Den kannst du nehmen“, sagte sie strahlend und Mimi glaubte, ihren Ohren nicht mehr trauen zu können. „Mama! Darf ich mir vielleicht noch selbst aussuchen, wen ich nehme?“, rief sie wütend und stampfte zurück in ihr Zimmer. „Ihr seid peinlich!“ Kapitel 12: Küsse und Enttäuschungen ------------------------------------ Freitag, 21. April 2006   „Izzy, ich kapier das einfach nicht“, flüsterte Mimi verzweifelt. „Wo kommt auf einmal dieses blöde x her? Das war doch bis eben noch nicht da.“ Während Herr Kuugo vorn an der Tafel irgendwas mit Extremwerten erklärte, versuchte Mimi erfolglos, ihm zu folgen und mitzuschreiben, doch sie kam einfach nicht hinterher. In ihrer ersten Schulwoche in Japan hatte sie noch gedacht, sie könnte den Stoff in Mathe schon irgendwie aufholen. So viel konnte das ja nicht sein. Aber sie hatte sich geirrt. Das amerikanische Schulsystem hatte sie weiter zurückgeworfen als sie dachte. „Na von da und da ergibt sich das doch“, flüsterte Izzy und tippte mit dem Finger auf Mimis Mitschriften herum. „Hä?“ Mimi verstand nur Bahnhof. „Na guck dir doch das mal an“, fing Izzy an und erklärte irgendetwas, was Mimi nicht ansatzweise verstand. Wahrscheinlich lag ihre mathematische Kompetenz mindestens ein Jahr hinter der ihrer Mitschüler. „Koushiro und Mimi, würdet ihr euch bitte melden, wenn es ein Problem gibt?“ Mimi und Izzy sahen auf und blickten Herrn Kugo ins Gesicht, der etwas genervt wirkte. „Könnten Sie das vielleicht noch mal erklären?“, bat Mimi. „Sicher. Wo bist du denn nicht mehr mitgekommen?“, fragte er und deutete auf die Tafel. „Am... Anfang?“, erwiderte Mimi langsam. Herr Kugo runzelte die Stirn und auch einige Mitschüler sahen sie nun an. „Ich kann jetzt unmöglich die ganze Stunde noch mal halten. Wenn du willst, kannst du heute Nachmittag nach dem Unterricht zu mir kommen und ich erkläre dir das noch einmal“, bot er an. Aus irgendeiner Ecke vernahm Mimi ein Kichern. Sie nickte nur und in diesem Moment ertönte die Schulglocke und verkündete das Ende der Stunde. Die Schüler packten ihre Sachen ein und gingen nach draußen auf den Schulhof. „Du solltest wirklich zu Kuugo gehen und dir das noch mal erklären lassen“, meinte Izzy, als sie gerade durch die Flure liefen. „Und dann? Dann habe ich vielleicht diese eine Aufgabe verstanden, aber ich kann doch nicht jede Stunde zu ihm gehen und ihn noch mal fragen“, erwiderte Mimi kopfschüttelnd. „Dann musst du dir einen Nachhilfelehrer suchen“, schlug Izzy vor. „Kannst du nicht mein Nachhilfelehrer sein?“, flehte Mimi und sah ihn mit großen Augen an. „Mimi, ich... ich würde ja, aber... ich weiß nicht, wann. Ich hab selbst viel zu tun“, antwortete er und erwiderte ihren Blick bedauernd. Ja, das stimmte. Izzy hatte wirklich ständig zu tun. Aber wen sollte sie sonst fragen? Die anderen Leute aus ihrer Klasse kannte sie alle noch nicht sonderlich gut. Blieben also noch Tai, Matt, Sora und Joe. Joe hatte vermutlich ebenfalls keine Zeit. Immerhin studierte er Medizin im ersten Semester. Sicher hatte er selbst momentan genug Probleme. Sora würde ihr sicher gern helfen, aber die wollte sie nun nicht auch noch mit ihren Sorgen behelligen, wo sie doch eh schon keine Freizeit hatte. Außerdem war sie sich nicht so sicher, dass Sora in Mathe wirklich so kompetent war, dass sie Mimi helfen konnte. Matt fragen kam nicht in Frage. Mit dem würde sie wohl nie wieder normal reden können. Blieb nur noch Tai. Aber den wollte sie eigentlich auch nicht fragen. _ Izzy und Mimi waren gerade in ein Gespräch vertieft, als sie zu den anderen in der Pause stießen. Sie grüßten alle fröhlich, bis auf Matt, den Mimi noch immer ignorierte. Mittlerweile schon seit zwei Wochen. Sora warf Matt unauffällig einen Blick zu, doch der wirkte gleichgültig. „Sag mal, Matt, du hast doch heute wieder ein Konzert, oder?“, fragte Izzy. Matt nickte und sah ihn fragend an. „Mimi, wollen wir hingehen?“ Ohje. Izzy hatte anscheinend schon wieder vergessen, dass Mimi Matt mied. Diese sah ihn scharf an und warf das Haar zurück. „Nein“, sagte sie entschieden. Matt und Tai verdrehten die Augen. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mich im Café besuchen, ich muss heute bis zehn arbeiten“, versuchte Sora die Situation für alle Beteiligten zu retten. „Ja, das ist eine gute Idee. Bist du dabei, Izzy?“ „Ähm... ja klar“, antwortete Izzy etwas verlegen. „Und was machst du eigentlich heute, Tai?“, fragte Sora nun an Tai gewandt. „Ich geh' zu Matts Konzert“, sagte er und erntete damit allgemein verdutzte Blicke. „Ach, obwohl du immer über die Musik meckerst?“ Mimi zog eine Augenbraue in die Höhe und musterte ihn skeptisch. „Auch drittklassige Musiker haben eine Chance verdient“, erwiderte Tai und grinste Matt an, der ihm einen Klaps gegen den Hinterkopf verpasste. „Von erstklassigen Idioten, oder was?“, fragte Mimi missbilligend und Sora fragte sich, ob Mimi sich jetzt mit jedem anlegen wollte. „Zumindest find' ich die Musik nicht so geil, dass ich gleich mit dem Sänger ins Bett hüpfe“, erwiderte Tai lässig und schob die Hände in die Hosentaschen. Sora sog scharf die Luft ein und Mimi riss die Augen auf. Sie warf Tai einen Blick zu, als versuchte sie, ihn damit zu töten, drehte sich um und stolzierte davon. „Oh, Tai“, seufzte Sora, „das war unter der Gürtellinie.“ „Was denn? Sie hat doch angefangen“, protestierte er. Matt klopfte ihm auf die Schulter. „Jetzt hasst sie uns beide.“ Sora schüttelte nur den Kopf. Die beiden hatten offensichtlich einen an der Klatsche. Und nun war Mimi auf sie sauer. Sora konnte fast schon spüren, wie der Zusammenhalt ihrer Gruppe zerbrach, ausgerechnet jetzt, wo sie doch gerade dabei waren, alle wieder zueinander zu finden. „Ich gehe mal nach ihr sehen“, murmelte Izzy und ging davon. „Tai, du solltest dich bei ihr entschuldigen“, sagte Sora und sah den Angesprochenen ernst an. „Wieso? Sie hat angefangen. Außerdem muss sie ja nicht gleich wegen jedem Mist beleidigt sein“, antwortete er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du musst sie aber auch nicht provozieren. Du weißt doch, wie sie ist“, erwiderte Sora. „Und genau weil ich es weiß, entschuldige ich mich nicht. Sie ist ein verwöhntes Prinzesschen und muss mal lernen, einzustecken und nicht nur auszuteilen“, sagte er stur. „Aber Tai“, fing Sora an, doch Matt unterbrach sie. „Mach dir doch nicht immer so furchtbar viele Gedanken um andere. Denk mehr an dich. Du meintest, du musst heute bis zehn arbeiten?“ „Das ist lang. Wann fängst du an?“, fragte Tai. „Um sechs, aber das ist schon okay. Ich brauche eben das Geld“, antwortete Sora schulterzuckend. „Trotzdem ist dein Freitag verdorben. Was machst du morgen?“ Tai und Matt nahmen Sora in die Mitte und gingen gemeinsam ins Schulgebäude zurück, nachdem die Schulglocke das Ende der Pause verkündet hatte. „Da muss ich von zwölf bis sechs arbeiten“, antwortete sie langsam. „Arbeit, Arbeit, Arbeit“, seufzte Matt. „Kümmer' dich mal ein bisschen um deinen Spaß, Soralein“, pflichtete Tai ihm bei. „Genau. Wollen wir anschließend zu dritt irgendwo was trinken gehen?“, schlug Matt vor. „Ähm... okay?“ „Abgemacht. Wir holen dich nach der Arbeit ab“, bestimmte Tai. „Spinner“, murmelte Sora, lächelte aber. _ „Hallo, hier Motomiya?“ „Ja, hallo, hier ist Ken. Ist Davis vielleicht zu Hause?“ „Oh, hallo.“ Jun schnurrte wie ein Kätzchen. „Er ist eben gekommen. Ich geb' ihn dir mal.“ Knacken, Rauschen, Gemecker, dann meldete sich Davis' Stimme. „Hallo, Ken?“ Er klang verwundert. „Hey, ich... ähm... hast du heute Abend vielleicht schon was vor?“, fragte Ken. „Nö, wieso?“ „Naja, ich wollte dich und die anderen fragen, ob ihr vielleicht zu mir kommen wollt. Ein bisschen quatschen und so.“ Puh. Es hatte ihn einige Überwindung gekostet, diese Einladung auszusprechen. Nicht, weil er die anderen so ungern einlud, sondern weil es ihm irgendwie seltsam vorkam. Er befürchtete, dass sie gar keine Lust hatten, sich mit ihm zu treffen. „Ist ja eine super Idee“, rief Davis begeistert. „Ich bin – Halt die Klappe, Jun! - Ich bin dabei.“ Ken lächelte. „Das ist schön. Ich rufe dann mal noch die anderen an. Wollt ihr um sieben hier sein? Meine Mutter bereitet was zu essen vor.“ „Ja, das passt. Ich freu' mich!“ „Ich mich auch. Dann bis nachher.“ „Ja, bis dann.“ Ken legte seufzend auf. Nun fehlten nur noch vier Anrufe. _ „Nein, nein, nein! Doch nicht so!“ Sichtlich genervt schüttelte Iku, die Trainerin des Tanzvereins, den Kopf. „Hikari, zeig es ihr noch mal.“ Kari nickte und ging erneut zu Mimi, der ebenfalls anzusehen war, wie wenig Lust sie hatte. „Tut mir Leid, Kari“, brummte sie. „Macht doch nichts. Ich zeig's dir noch mal und danach machst du ganz langsam mit mir mit, okay?“ „Mhm“, machte Mimi und sah Kari geknickt dabei zu, wie sie eine komplizierte Schrittfolge vorführte, die zwei Drehungen enthielt. Anschließend machte sie sie ganz langsam Schritt für Schritt und Bewegung für Bewegung vor, sodass Mimi sie nachmachen konnte. Schließlich versuchte Mimi sie noch einmal allein. Der Rest des Tanzvereins war ebenfalls dabei, diese Schrittfolge zu üben, allerdings stellten sich die meisten bedeutend besser an als Mimi. Das hieß, Mimi stellte sich nicht schlecht an, aber man konnte deutlich erkennen, dass sie aus dem Cheerleading kam. „Weniger Hüfte“, sagte Kari, die sie kritisch beobachtete. „Und ein bisschen fließender. Nicht so zackig.“ „Boah!“, stöhnte Mimi und ließ sich auf den Boden fallen. „Ich krieg' das nicht hin.“ Kari presste die Lippen aufeinander und setzte sich zu ihr. „Klar kriegst du das hin. Du musst nur die Cheerleaderbewegungen ein bisschen raus kriegen“, sagte sie zuversichtlich. „Du hast nur Pech, dass wir gerade die langsameren Sachen machen. Nach den Sommerferien machen wir dann Streetdance und Hip Hop. Das liegt dir vielleicht mehr.“ Mimi sah sie stirnrunzelnd an, doch Kari lächelte aufmunternd, streckte eine Hand aus und strich Mimi eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. „Wenn du meinst“, sagte Mimi zögerlich und rappelte sich wieder auf. Auch Kari stand auf und sie übten weiter die Schrittfolge. _ Pünktlich um sieben klingelten sie alle fünf geschlossen bei Ken, der wenige Sekunden später die Tür öffnete. „Hallo, kommt rein“, begrüßte er sie lächelnd und trat zur Seite. Durcheinander schnatternd betraten sie die Wohnung und zogen sich die Schuhe aus. „Ich war ja schon ewig nicht mehr hier“, stellte Davis fest und sah sich um. „Ist 'ne Weile her“, stimmte Cody ihm zu. „Tut mir Leid. In Zukunft werde ich euch wieder öfter einladen“, sagte Ken entschuldigend und ging voran in sein Zimmer. Dort fühlte sich Davis von der ersten Sekunde an wohl, obwohl es sich etwas verändert hatte. Es war nicht mehr so düster wie früher, denn eine Wand war nun mintgrün gestrichen und die ein oder andere Pflanze verhalf dem Zimmer ebenfalls zu mehr Leben. „Schön hast du's hier“, bemerkte Yolei, die anscheinend Davis' Gedanken gelesen hatte. Es klopfte an der Zimmertür, sie wurde geöffnet und Kens Mutter und ein Mädchen traten ein mit Tabletts in den Händen. „Hallo, schön, euch zu sehen“, grüßte Frau Ichijouji sie freundlich. „Wir haben euch eine Kleinigkeit zu essen vorbereitet.“ Sie und das unbekannte Mädchen traten ein und stellten die Tabletts auf Kens Schreibtisch ab. „Ich gehe dann mal wieder. Macht euch einen schönen Abend.“ „Danke, Mama“, sagte Ken und sie zwinkerte ihm zu, bevor sie das Zimmer verließ. Das Mädchen blieb ein wenig schüchtern am Schreibtisch stehen. Ken ging auf sie zu und stellte sich neben sie. „Darf ich vorstellen? Das ist Saki, meine Freundin.“ _ Allein stand Tai zwischen den Menschenmassen in der Halle und lauschte dem Konzert. Er nickte leicht mit dem Kopf im Takt der Musik, während um ihn herum alle tanzten und mitsangen und kreischten, hauptsächlich Mädchen. Mit der Musik konnte er sich noch immer nicht wirklich anfreunden. Er fand sie okay, es gab definitiv schlimmere Richtungen. Aber auch bessere. Ein Mädchen rempelte ihn aus Versehen an und entschuldigte sich mit einem Lächeln. Das ließ ihn wieder daran denken, was Matt ihm geraten hatte. Sex, um entspannter zu werden. Um mutiger gegenüber Sora zu werden. Aber wollte er das wirklich? Er konnte doch nicht einfach irgendein Mädchen, das er gerade hübsch fand, flachlegen. Nein, für ihn war das immer noch mit Liebe verbunden. Oder zumindest mit Gefühlen. Während Matt vorn auf der Bühne etwas von verschmähter Liebe sang, dachte Tai über sich selbst und seine eigenen Gefühle nach. Vielleicht sollte er Matts Ratschlag doch befolgen? Aber wenn, dann würde er mit dem Mädchen auf jeden Fall vorher klären, dass das nichts zu bedeuten hatte. Schließlich wollte er niemanden verletzen, nur um sich selbst entspannter zu fühlen. Er raufte sich die Haare. Worauf hatte er sich hier nur eingelassen? _ „Ich kann nicht mehr“, jammerte Mimi und ließ den Kopf auf die Arme sinken, die auf der Tischplatte ruhten. „Aber hast du es denn jetzt wenigstens ein bisschen verstanden?“, fragte Izzy und musterte sie verzweifelt. „Wenn ich ja sage, hören wir dann jetzt auf?“, nuschelte sie, ohne den Kopf zu heben. „Sei ehrlich“, drängte Izzy sie. Seit zwei Stunden saßen sie nun schon in Nami's Café und besprachen die Mathestunde, was Izzy schlichtweg überforderte. Zwar hatte er selbst keine Probleme in Mathe und auch heute alles verstanden, doch er wusste einfach nicht, wie er den Stoff Mimi begreiflich machen konnte. Ihm fehlten jegliche didaktische und methodische Kompetenzen dafür. Mimi hob den Kopf. „Ich habe es ein bisschen verstanden.“ „Na, das ist doch schon mal was“, sagte Izzy und versuchte, optimistisch zu klingen. „Dann packen wir den Kram jetzt weg und reden über was anderes.“ „Das ist deine beste Idee heute“, fand Mimi und sie verstauten die Mathesachen in ihre Taschen. In diesem Moment erschien Sora an ihrem Tisch. „Mimi, du tust mir echt so Leid. Ich kann wirklich versuchen, irgendwo noch ein paar freie Stunden zu kriegen und dir das beizubringen“, sagte sie mit mitleidigem Blick. „Nein, nein, wirklich nicht. Ich komme schon zurecht“, erwiderte Mimi schnell und hob die Hände. „Ehrlich.“ Sora setzte sich auf den noch freien Stuhl an ihrem Tisch und musterte Mimi. „Hast du schon mal daran gedacht, Tai zu fragen?“, schlug sie vorsichtig vor. „Ganz kurz“, antwortete Mimi düster. „Aber er ist ein Idiot. Das hat er ja heute bewiesen.“ „Aber er ist wirklich gut in Mathe“, bekräftigte Sora. „Mir hat er auch oft geholfen, wenn ich Probleme hatte.“ Izzy nickte zustimmend. „Und Freizeit hat er auch noch genug. Er macht das bestimmt, wenn du ihn darum bittest.“ „Aber ich will mich nicht von ihm beleidigen lassen. Das habe ich nun wirklich nicht nötig“, widersprach Mimi stur, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Normalerweise beleidigt er dich doch auch nicht“, sagte Sora. Izzy seufzte nur und hielt sich zurück. Frauen konnten anstrengend sein. Er verstand einfach nicht, wie Mimi ihr Stolz wichtiger sein konnte als ihre Mathenote, aber das behielt er lieber für sich. _ Seine Freundin? Hatte sie gerade richtig gehört? Meinte er wirklich Freundin im Sinne von Beziehung? Yolei musste sich zusammenreißen, um Saki nicht anzustarren. Gern würde sie auch mit Kari einen Blick wechseln, um ihre Reaktion zu sehen, doch auch das wäre sicher auffällig. „Saki, das sind Davis, Cody und T.K. Yolei und Kari kennst du ja schon.“ „Echt? Ihr kennt euch?“, fragte Davis verdutzt. Yolei bekam nur am Rande mit, was die anderen redeten. Sie dachte gerade über ihre Begegnung mit Ken und Saki in der Shoppingmeile nach. Das war vor einer Woche. Da hatte er doch bestätigt, dass sie nur eine Freundin war und nicht seine. Nun hatte sich das aber auf einmal anders angehört. „Wir haben sie beim Shoppen getroffen“, erklärte Kari und schenkte Saki ein Lächeln. „Hast du denn noch viel gefunden?“ Sie konnte nicht sagen, warum, aber irgendetwas störte sie an diesem Umstand. Ken und eine Freundin? Das passte doch gar nicht. Er war doch immer so schüchtern. Wie sollten die denn zusammengekommen sein? „Ja, einiges“, antwortete Saki leise. „Und ihr?“ „Ja, vor allem Yolei hatte gute Beute, stimmt's?“ „Was?“ Yolei zuckte zusammen und sah Kari fragend an. „Beute? Ja, war gut. Aber teuer.“ „Geht's dir nicht gut?“, fragte Cody nun. „Du siehst ein bisschen blass aus.“ Nun sahen alle Yolei an. Na toll. „Nein, Quatsch, mir geht’s prima! Ist nur ein bisschen stickig hier drin. Können wir vielleicht ein Fenster aufmachen, Ken?“ Sie setzte ihr typisches unbeschwertes Grinsen auf. „Natürlich“, sagte Ken sofort und öffnete das große Fenster unter seinem Hochbett. „Vielen Dank. Und jetzt würde ich gern was essen. Ich hab einen Bärenhunger. Ihr nicht auch?“ Sie lachte und sah sich nach den Tabletts um. „Siehst du, Ken?“, sagte Davis und deutete mit dem Daumen auf Yolei. „Eins hat sich auf keinen Fall geändert: Yolei ist immer noch schräg.“ Sie lachten alle und Yolei war Davis ausnahmsweise mal etwas dankbar für seine nervige Bemerkung. _ „Danke, dass du mir das alles noch mal erklärt hast, Izzy“, sagte Mimi aufrichtig. „Ohne dich hätte ich das nie geschafft.“ Izzy wurde ein wenig rot um die Nase und kratzte sich am Kopf. „Hey, wir wollten doch über was anderes reden.“ „Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich mich noch gar nicht bedankt habe“, sagte Mimi. „So und jetzt reden wir über was anderes. Wann gehen wir mal zusammen feiern?“ Sie konnte sich schon denken, dass sie ihn mit dieser Frage überrumpelte. Er machte ein irritiertes Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Ähm... keine Ahnung?“ „Dann nehmen wir uns das jetzt für demnächst vor“, bestimmte sie. „Du musst mal ein bisschen aus deinem Kabuff raus und unter Leute gehen.“ Izzy runzelte die Stirn und machte ein Gesicht, als würde ihn diese Vorstellung anwidern. „Wenn es sein muss.“ „Ja, das muss sein. Komm schon, das wird lustig. Wir fragen die anderen noch. Vielleicht schaffen wir es ja, dass wir alle zusammen gehen.“ _ „Da bist du ja.“ Matt und die anderen Mitglieder der Tokyo Rebels traten auf Tai zu und begrüßten ihn. „Da drüben in der Straße ist gleich der Club.“ Sie setzten sich in Bewegung und steuerten auf eine Seitenstraße zu, in der nicht allzu viel los war. Als sie jedoch am Club ankamen, stellte Tai schnell fest, dass er rappelvoll war. Aber es war ja auch Freitag Abend. Sie zahlten den Eintritt und suchten sich erst einmal einen Platz am Tresen, um sich etwas zu trinken zu holen. „Und? Bist du schon aufgeregt?“, fragte Matt, während sie auf ihre Getränke warteten, und grinste Tai an. „Matt, ich schlepp' heute keine ab“, antwortete Tai etwas genervt. „Wir werden sehen“, meinte Matt. Tai schüttelte den Kopf und ließ den Blick durch den Club schweifen. Die Stimmung schien noch nicht allzu gut zu sein, denn noch war niemand auf der Tanzfläche. Die Gäste hatten sich alle irgendwo einen Platz gesucht und plauderten, obwohl man bei der lauten Musik nicht sonderlich viel verstehen konnte. Die meisten Leute hier schienen ungefähr in Tais Alter zu sein. „Na, hältst du schon nach deiner Beute Ausschau?“ Genervt wandte Tai sich an Matt, der ihn wieder angrinste. „Matt, zum letzten Mal...“ „Jaja, ich weiß“, unterbrach Matt ihn und winkte ab. „Aber ich werde dir zeigen, dass du so einige haben könntest, wenn du wolltest.“ „Zum Beispiel?“, fragte Tai, obwohl es ihn nicht wirklich interessierte. Er wusste schließlich selbst am besten, wen er haben wollte. Matt kniff die Augen zusammen und sah sich ein wenig um. „Die Kleine da drüben. Mit den roten Haaren.“ Tai folgte seinem Blick und entdeckte das Mädchen, das Matt meinte. Rote Haare waren schön und gut, aber nur bei Sora. Nichtsdestotrotz war das Mädchen recht hübsch. Sie lachte gerade über irgendetwas, das ihre Freundin neben ihr gesagt hatte. Er wandte sich wieder an Matt und sah ihn stirnrunzelnd an. „Guck nicht so. Ich werd's dir beweisen“, meinte Matt und war schon unterwegs, bevor Tai auch nur ein Wort sagen konnte. _ Sie spielten ein Brettspiel, wobei es darum ging, Wörter zu erklären, ohne bestimmte andere Wörter zu benutzen, Pantomime vorzuführen oder etwas zu zeichnen. Es war sehr witzig und alle hatten viel zu lachen. „Also nächstes Mal spielen Kari und T.K. nicht mehr in einem Team. Das ist ja nicht auszuhalten“, beschwerte Davis sich und warf T.K. einen feindseligen Blick zu. „Aber Davis, wir haben die Teams doch ausgelost“, erwiderte Kari. „Dann hätten wir noch mal losen müssen. So ist das ja unfair“, murrte Davis und verschränkte die Arme vor der Brust. Ken musste ihm allerdings fast schon Recht geben. Er wusste nicht, woran es lag, doch T.K. und Kari machten fast den Eindruck, als könnten sie die Gedanken des jeweils anderen lesen. T.K. zeichnete etwas, das nach allem aussah, nur nicht nach dem, was es darstellen sollte, und Kari erriet es sofort. Kari sollte etwas pantomimisch darstellen, über das sich alle anderen die Köpfe zerbrachen, nur T.K. erkannte, was es war. „Ach, du kannst doch nur nicht verlieren“, entgegnete T.K. und warf Davis einen spöttischen Blick zu. „Nicht, wenn es unfair zugeht“, verteidigte sich Davis. „Jetzt komm, das ist doch nur ein Spiel“, warf Cody ein. „Hauptsache, es macht Spaß.“ „Jaja, schon gut“, grummelte Davis. Saki kicherte. Sie war im Laufe des Abends ein wenig aufgetaut und hatte sich gut ins Spiel eingebracht. Ken schenkte ihr ein Lächeln und drückte kurz ihre Hand. Als er den Blick wieder von ihr abwandte, fing er Yoleis Blick auf, die sogleich woanders hinsah. Ken war aufgefallen, dass sie den ganzen Abend auffällig ruhig gewesen war. Irgendwie nachdenklich. Und ein wenig hatte er sich sogar von ihr beobachtet gefühlt. Das war seltsam. „Leute, ich muss jetzt langsam mal nach Hause. Hab meiner Mutter versprochen, dass ich spätestens um elf zurück bin“, verkündete Cody, als sie das Spiel beendet hatten. „Cody, ich glaube, ich komme mit dir mit“, sagte T.K., stand auf und verbreitete damit allgemeine Aufbruchstimmung. „Ich komm auch mit“, sagte Kari. „Ich auch.“ Auch Yolei stand auf. „Naja, dann werde ich mich mit euch auf den Weg machen“, meinte Davis. „Du kannst auch gern noch hier bleiben“, bot Ken an und lächelte. Gern würde er sich noch ein wenig mit seinem ehemals besten Freund in Ruhe unterhalten, um alles Neue zu erfahren, was in den letzten Jahren passiert war. Davis schien das zu spüren, denn er sah ihn einen Augenblick lang an und nickte schließlich. „Okay, dann bleibe ich noch ein Stündchen“, beschloss er. _ Shizuka oder wie auch immer sie hieß kicherte übertrieben über eine witzige Bemerkung von Tai. „Du bist echt witzig.“ Tai machte ein etwas lustloses Gesicht, wie schon den ganzen Abend. Am liebsten hätte Matt ihm dauerhaft gegen das Schienbein getreten. „Ihr beide seid also beste Freunde?“, fragte Yoshi, die blonde Freundin von Shizuka. „Das ist echt cool. Wir sind auch beste Freundinnen. Witzig, dass ihr uns gefunden habt.“ Sie lächelte strahlend. „Und man lernt endlich mal den besten Kumpel von Matt kennen“, fügte Shizuka hinzu und warf Tai einen feurigen Blick zu. Matt war fast ein wenig neidisch. Shizuka war ziemlich heiß, eine Neun auf der Skala. Yoshi war höchstens eine Sechs, aber heute Abend ging es ja ohnehin um Tai. „Ich mag's nicht so, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden“, murmelte Tai. Matt verdrehte die Augen. „Wollt ihr noch was trinken? Wir geben euch einen aus.“ Und damit führte er Tai und die beiden Mädchen zur Bar. Er bestellte vier Drinks und prostete ihnen zu, bevor er an seinem eigenen Drink nippte. Shizuka wandte sich ganz Tai zu, während Yoshi sich für Matt interessierte. „Und? Habt ihr gerade neue Songs in Planung?“, fragte sie, wie es fast alle fragten, die ihn irgendwo erkannten und ein Gespräch mit ihm beginnen wollten. „Ein paar“, antwortete Matt einsilbig. „Cool. Wann bekommt man die denn zu hören?“ Yoshis Augen leuchteten und Matt hatte fast das Gefühl, sie versuchte, ihn mit ihren Blicken zu verschlingen. „Tja, mal sehen. Gibt noch kein Datum“, antwortete er und trat einen Schritt zur Seite, um ein wenig Abstand zu ihr zu gewinnen. „Wie schade. Aber ich bin schon gespannt“, meinte Yoshi fröhlich. Matt nickte. Sie tranken ihre Drinks gemeinsam aus, dann machte Matt sich auf die Suche nach seinen Bandmitgliedern. Yoshi ließ er ohne ein weiteres Wort stehen. Er fand Shin, Ryo und Tsubasa in einer Ecke stehend und sich unterhaltend. „Hey, Matty!“, grölten sie, als er zu ihnen stieß. „Bist ja immer noch hier“, stellte Ryo grinsend fest. „Wieso ist Sora heute eigentlich nicht mit?“, fragte Shin neugierig. „Muss arbeiten“, antwortete Matt. „Ich glaube eher, sie hat keinen Bock auf dich“, neckte Tsubasa ihn. Matt zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand. „Hast du sie mittlerweile eigentlich schon gehabt?“, fragte Ryo. „Ihr kennt euch doch schon ewig.“ „Bestimmt sind sie Freunde mit gewissen Vorzügen“, mutmaßte Shin und die drei lachten. Matt schüttelte missbilligend den Kopf, woraufhin sie ihn ungläubig ansahen. „Was? Es gibt ein Mädchen in deinem Umfeld, mit der du noch nichts hattest?“, fragte Ryo und machte große Augen. Matt musterte ihn argwöhnisch und zuckte nur erneut mit den Schultern. So recht konnte er die Frage nicht verstehen, da er die Mädchen aus seinem Umfeld meist in Ruhe ließ, um Stress zu vermeiden. „Es gibt also doch eine, die dich nicht ranlässt“, rief Tsubasa und lachte schallend. „Das hätte ich ja nicht gedacht.“ „Doch nicht der Ober-Macker, der er gerne sein will“, sagte Shin und verschränkte die Arme vor der Brust. „So ein Schwachsinn“, erwiderte Matt abwinkend. „Klar könnte ich sie haben.“ Er erinnerte sich daran, wie sie letzte Woche rot angelaufen war, als er ihr zu nahe gekommen war. Ja, bestimmt würde sie sich auf ihn einlassen. „Glaub ich dir nicht“, entgegnete Shin. „Ein Mädchen wie Sora lässt sich nicht auf so einen wie dich ein.“ Matt lächelte spöttisch. „Das glaubst aber auch nur du.“ „Ach ja? Um was wetten wir?“ „Kriegst ein Bier, wenn du gewinnst“, sagte Matt. „Gut, und du 'ne Schachtel Zigaretten“, antwortete Shin. _ Tai hatte eindeutig zu viel getrunken. Sein Kopf fühlte sich ganz wirr an und er konnte nicht mehr still halten. Ständig war er in Bewegung und bewegte sich im Takt der Musik. Die Luft war unerträglich stickig. „Weißt du, ich habe eine kleine Schwester und irgendwie erinnerst du mich an sie“, lallte er und Shizuka grinste. „Ich hoffe, das ist ein Kompliment“, antwortete sie. „Klar. Ich liebe meine Schwester“, nuschelte Tai. „Erst recht jetzt, wo unsere Eltern so einen Stress haben.“ „Eure Eltern haben Stress?“, hakte Shizuka nach. „Ja, ich glaube, sie trennen sich bald.“ „Oh, das tut mir Leid“, sagte sie und sah ihn kurz erschrocken an, bevor sie sich zu ihm beugte, sodass er in ihren Ausschnitt sehen konnte. „Du bist sicher niedergeschlagen deswegen und brauchst ein wenig Aufmunterung.“ Tai sah ihr in die Augen und lächelte lüstern. „Schadet sicher nicht.“ _ „Leute, geht schon mal ohne mich. Ich bringe Kari noch nach Hause“, verkündete T.K., nachdem sie die U-Bahnstation verlassen hatten. Yolei und Cody blieben stehen, um sich von ihm und Kari zu verabschieden, dann gingen sie getrennte Wege. „Es war echt nett bei Ken, oder? Hast du auch über die Einladung gestaunt?“, fragte Kari und sah ihn von der Seite an. „Ja und ja. Ich vermute, dass er vielleicht ein schlechtes Gewissen hatte, weil er letztens nicht kam“, antwortete T.K. „Vielleicht. Aber ich finde es schön, dass er sich nun auch Mühe gibt, den Kontakt zu halten“, fand sie. „Ja und seine Freundin scheint ja auch echt nett zu sein“, ergänzte T.K. „Mhm“, machte Kari langsam. „Wie war eigentlich dein Tanztraining heute?“, fragte T.K. locker. Kari erzählte ihm, dass Mimi sich nicht sonderlich gut machte und die Trainerin unzufrieden mit ihr war. Dabei klang sie so mitleidig, dass T.K. ebenfalls Mitleid mit Mimi empfand. „Aber ich denke, sie packt das schon“, meinte Kari optimistisch. „Es ist ja nicht so, dass sie kein Rhythmusgefühl hat. Sie muss nur ein bisschen von diesen Cheerleaderbewegungen wegkommen.“ „Gibt's da denn Unterschiede?“, fragte T.K. verdutzt. Kari sah ihn verwundert an und lachte plötzlich. „Ach, T.K.“ „Was denn?“ Sie grinste. „Die Frage hätte von Tai kommen können.“ „Nun wirst du aber beleidigend“, sagte er scherzhaft und sie lachte erneut und stieß ihm in die Rippen. „Du solltest so etwas nicht sagen. Wenn er wüsste, dass du mich nach Hause bringst, wäre er jetzt sehr angetan von dir“, erwiderte sie. „Aber er weiß es nicht. Er ist doch heute mit Matt feiern, oder?“ „Genau.“ Kari nickte. „Die haben bestimmt auch Spaß.“ Sie unterhielten sich über ihre Brüder und malten sich aus, was sie wohl gerade anstellten, wobei sie viel lachten, bis sie an dem großen Wohnhaus ankamen, in dem die Yagamis wohnten. „Na dann, gute Nacht, T.K. Und danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“ Sie lächelte, trat auf ihn zu und bevor er etwas machen konnte, hatte sie ihn auf die Wange geküsst. Seine Augen weiteten sich und er berührte mit den Fingerspitzen die Stelle, die noch ein klein wenig feucht war. Kari sah ihn erschrocken an. „Entschuldige, das kam einfach gerade so.“ T.K. erwiderte nichts, sah ihr nur einige Sekunden lang in die Augen, bevor er eine Hand an ihre Wange legte, den Abstand zwischen ihnen überwand, sich herunterbeugte und sie auf die Lippen küsste. Er konnte nicht sagen, was genau in seinem Inneren ihn plötzlich dazu bewegt hatte. Wahrscheinlich war es wie bei Kari und es 'kam einfach gerade so'. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. In seinem Magen kribbelte es wie verrückt, während sein Kopf vollkommen leer war. Er spürte sein Herz so stark gegen seine Brust schlagen, dass es schon fast weh tat. Nach wenigen Sekunden löste er sich wieder von ihr und sah ihr in die Augen. „Gute Nacht, Kari“, flüsterte T.K., drehte sich um und machte sich auf den Heimweg. _ Obwohl er sich gerade mit Shin, Ryo und Tsubasa über andere Dinge unterhielt, kreisten Matts Gedanken die ganze Zeit um die Wette, die er mit Shin abgeschlossen hatte. Es kam ihm schon jetzt falsch vor. Sora war so etwas wie seine beste Freundin und nun wettete er um eine Packung Zigaretten, dass er sie verführen konnte. Aber die Wette war abgeschlossen, sie hatten sich die Hände darauf gegeben. Nun wollte er auf keinen Fall kneifen. „Matt! Was für eine Überraschung!“ Matt fuhr herum und erblickte Nagisa, schon wieder. Was machte die denn hier? „Hey“, sagte er langsam und fuhr sich durchs Haar. Sie lächelte und berührte mit einer Hand seinen Arm. „Wie schön, dass ich dich treffe. Du hast die ganze Woche fast kein einziges Wort mit mir geredet.“ „Tja, ich... bin sehr beschäftigt“, erwiderte er trocken. „Du Armer. Komm schon, ich lade dich auf einen Drink ein“, sagte sie und nickte mit dem Kopf Richtung Bar. „Nein, danke“, sagte er desinteressiert und wandte sich ab. „Oh, komm schon, ich bestehe darauf“, drängte sie und positionierte sich so, dass er sie wieder ansehen musste. „Nein, wirklich. Ich will gerade nichts trinken. Was machst du überhaupt hier?“ Er zog eine Augenbraue hoch und musterte sie. Schließlich befanden sie sich hier am anderen Ende der Stadt und es war doch wirklich seltsam, dass er sie hier traf. Selbst, wenn sie auf seinem Konzert war, war es merkwürdig, dass sie nun im gleichen Club auftauchte. „Naja, ich war auch auf deinem Konzert und wollte danach noch feiern gehen und zufällig bist du auch hier“, meinte sie unschuldig lächelnd. „Und nun komm, lass uns ein bisschen quatschen und trinken.“ „Nein, ich gehe eh gleich nach Hause“, sagte Matt entschieden. „Und jetzt hör auf zu fragen.“ Ihr Blick wurde plötzlich finster. „Dann eben nicht.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon. _ Sobald sie in Shizukas Zimmer angekommen waren, warf diese ohne Umschweife die Arme um Tai und küsste ihn wild. Sie drängte ihn sanft Richtung Bett, wo sie ihn nach unten drückte und sich rittlings auf seinen Schoß setzte. Mit ihrer Hilfe zog er sich das T-Shirt über den Kopf und ließ sich wieder ganz auf ihre Küsse ein. Etwas ungeschickt fuhren seine Hände ihren Rücken entlang und streiften dabei ihr Oberteil nach oben. Etwas schmerzhaft biss sie ihm auf die Unterlippe, was ihn irgendwie dazu brachte, aus seinem angetrunkenen Zustand zu erwachen. Er unterbrach den Kuss, fasste sie an den Schultern und schob sie ein wenig von sich. Sie lächelte und leckte sich über die Lippen. „Was ist?“ Ihre dunklen Augen funkelten in dem dämmrigen Licht, das eine Nachttischlampe von sich gab. Ihr langes rotes Haar leuchtete orange. Tai öffnete leicht den Mund, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Ihr Blick glitt an ihm herunter und ihr Zeigefinger strich über seinen Bauch. „Wow. Welche Sportart treibst du?“ „Fußball“, nuschelte Tai, ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Sie gab einen Laut von sich, der sich wie das Schnurren einer Katze anhörte, und drückte mit den Händen gegen seine Brust, um ihn in eine liegende Position zu bringen, doch er versteifte sich. „Hör mal, das hier hat alles... nichts... also ich meine, es ist bedeutungslos“, stammelte er. Sie hob die Augenbrauen und sah ihn an. „Schon klar.“ Sie wollte sich wieder auf ihn stürzen, doch erneut blieb Tai steif. „Du hast auch keinen Freund?“, hakte er nach. „Nein, alles gut“, antwortete sie und presste ihre Lippen auf seine, doch er schob sie von sich. „Das ist gut, weil... ich bin verliebt in ein Mädchen und...“ Sie seufzte und kletterte von seinem Schoß, um sich neben ihn zu setzen. „Willst du das hier überhaupt?“ „Keine Ahnung“, gab Tai zu und zuckte mit den Schultern. „Warum bist du dann mitgekommen?“ Sie wirkte etwas gekränkt. „Ich weiß nicht. Es war Matts Idee. Tut mir Leid, ich wollte dich nicht nerven.“ Sie musterte ihn eine Weile von der Seite. „Will das Mädchen, in das du verliebt bist, dich nicht?“ „Weiß nicht. Glaub nicht“, murmelte er. Sie schwiegen eine Weile. Schließlich legte Shizuka eine Hand auf Tais Schulter. „Wieso bist du eigentlich so zurückhaltend? Ich meine, du siehst gut aus und so. Du könntest ruhig selbstbewusster sein“, sagte sie. „Weißt du“, Tai holte Luft, „Matt wollte mir beweisen, dass ich so viele Mädchen haben könnte. Und er meinte, ich sollte mehr Spaß haben, um lockerer zu werden, aber ich glaub, das hier ist nicht mein Ding.“ „Also, ich kenne dich jetzt erst seit ein paar Stunden, aber ich habe auch den Eindruck, dass das hier nicht dein Ding ist“, erklärte sie und lächelte etwas spöttisch. Tai sah sie niedergeschlagen an. Er konnte kaum glauben, dass er hier bei einem fremden Mädchen zu Hause saß, mit ihr schlafen wollte und ihr nun erzählt hatte, dass er verliebt war. „Hey, du bist aber nicht noch Jungfrau, oder?“, fragte sie und wirkte auf einmal alarmiert. Nun stahl sich ein Lächeln auf Tais Lippen. „Nein.“ „Gut. Das hätte ich sowieso nicht verantworten können.“ Sie lachte erleichtert und stand auf. „Vielleicht solltest du jetzt besser gehen, Tai.“ Er nickte und folgte ihr zur Wohnungstür. „Na dann, mach's gut. Und sorry noch mal“, verabschiedete er sich. „Kein Problem, ich werd's überleben“, erwiderte sie. „Und denk dran: Du brauchst nicht so schüchtern zu sein.“ „Ich werde dran denken“, versprach er. „Okay. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ Er lächelte und ging. Kapitel 13: Die komische Sache Liebe ------------------------------------ Samstag, 22. April 2006   Tai betrat die Wohnung der Yagamis und schlich in die Küche. Er hatte unglaublichen Hunger und musste noch etwas essen, sonst würde das Knurren seines Magens ihn wohl vom Schlafen abhalten. Die Digitalanzeige des Herds verriet ihm, dass es kurz vor vier war. Ohne das Licht anzuschalten ging er direkt zum Kühlschrank, öffnete ihn und spähte hinein. Nach kurzem Überlegen griff er nach ein paar Möhren. „Da bist du ja wieder.“ Für eine Sekunde blieb sein Herz stehen, nur um anschließend viel schneller als gewöhnlich zu schlagen. Er fuhr herum und musste einen Schrei unterdrücken. „Scheiße, Kari! Bist du irre?“ Sie hatte es irgendwie geschafft, sich geräuschlos neben ihn zu stellen und nun konnte er sie im Licht des Kühlschranks deutlich sehen. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, murmelte sie, schaltete das Licht ein und setzte sich an den Esstisch. „Hast du aber. Verdammt, wieso machst du kein Licht an?“ Er setzte sich ihr gegenüber und wartete darauf, dass sein Herz sich wieder beruhigte. „Wieso machst du keins an?“, gab sie seine Frage zurück und nippte an einem Glas Milch. Tai antwortete nicht, sondern biss in eine Möhre, ohne sie vorher gewaschen oder geschält zu haben. „Wieso bist du überhaupt noch wach?“ „Konnte nicht schlafen“, antwortete Kari und drehte das Glas in ihren Händen. „Wieso nicht? Geht's dir nicht gut?“, fragte er und musterte sie. „Muss nachdenken“, antwortete sie und ein rosa Schimmer schlich sich auf ihre Wangen, der Tai trotz seines angetrunkenen und aufgewühlten Zustands nicht entging. „Worüber denn?“ Er sah sie forschend an. „Hör auf, mich auszufragen“, antwortete sie genervt. „Sag mir lieber, wie es war.“ „Ähm... gut. Und bei dir?“ „Auch. Das Mädchen, mit dem Ken letzte Woche unterwegs war, ist jetzt seine Freundin“, antwortete sie. „Achso?“ Überrascht zog Tai die Augenbrauen hoch. „Ja. Aber sie ist nett, glaub' ich“, meinte Kari schulterzuckend und trank ihre Milch leer. „Ich gehe jetzt wieder schlafen.“ Sie stand auf und ging an Tai vorbei auf ihr Zimmer zu. „Ach, Tai?“ „Hm?“, brummte er. „Putz dir die Zähne. Du stinkst nach Alkohol.“ _ „Guten Morgen“, begrüßte T.K. seine Mutter und setzte sich an den Frühstückstisch. „Morgen“, erwiderte sie seinen Gruß und legte die Zeitung weg. „Na, wie war es gestern bei Ken?“ „Cool“, antwortete T.K. und bestrich sich eine Scheibe Toast mit Marmelade. „Haben Spiele gespielt und so.“ „Das ist schön. Wie geht’s Ken denn? Ist er immer noch so gut in der Schule?“, erkundigte Natsuko sich und nippte an ihrem Kaffee. „Ja und es geht ihm gut.“ Sie unterhielten sich eine Weile über den Abend, bis sie schwiegen und Natsuko plötzlich unruhig wurde. Sie spielte mit ihren Fingern, rutschte auf ihrem Stuhl herum und wog ihre Kaffeetasse in den Händen. „Du, sag mal“, fing sie an. „Ja?“, ermunterte T.K. sie, als sie nicht weitersprach. „Ich würde dir gern jemanden vorstellen. Ginge das nächstes Wochenende?“ T.K. runzelte die Stirn. Bei diesem Jemand konnte es sich ja nur um ihren neuen Freund handeln. „Klar, wieso nicht?“ „Gut. Wir wollen gemeinsam essen gehen“, verkündete sie und wirkte sichtlich erleichtert. „Gute Idee“, fand T.K. Er war wirklich gespannt, wie der neue Freund seiner Mutter so war. „Hast dir aber ganz schön Zeit gelassen diesmal.“ Er grinste. „Was heißt denn hier 'diesmal'? So oft habe ich ja nun auch keinen Freund“, beschwerte sich Natsuko und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schon gut, vergiss es“, erwiderte T.K. lachend. „Ich freue mich, ihn kennenzulernen.“ Natsuko lächelte, sah aber trotzdem etwas bedrückt aus. „Und was hast du heute noch vor?“, fragte sie und stützte den Kopf auf einer Hand ab. Er zuckte mit den Schultern. „Mal sehen. Ein paar Körbe werfen oder so. Und du?“ „Naja, heute Abend treffe ich mich mit... du weißt schon.“ Sie lief rosa an. _ Es war bereits Mittag, als Davis die Augen öffnete. Er hatte in dieser Nacht spontan bei Ken übernachtet, da Frau Ichijouji fand, es war zu spät, um allein nach Hause zu fahren. Deshalb hatte sie seine Mutter angerufen und ihr Bescheid gegeben, dass Davis bei Ken übernachten würde. Die Zimmertür öffnete sich und Ken kam herein. „Ah, guten Morgen, du Langschläfer“, sagte er lächelnd. „Es ist schon nach eins.“ „Echt?“ Davis gähnte und setzte sich auf. „Ja. Wenn du willst, kannst du gleich Mittag essen“, schlug Ken vor. „Guter Plan. Ich glaube, ich ziehe bei dir ein.“ Seine eigene Mutter hätte ihm schon wieder den Hals umgedreht, weil er so lang geschlafen hatte. Er ging ins Badezimmer und anschließend setzte er sich an den Esstisch, gemeinsam mit Ken und seinen Eltern. Das Essen schmeckte hervorragend. „Und? Habt ihr heute noch was Schönes vor?“, fragte Frau Ichijouji, nachdem sie aufgegessen hatte. „Bisher nicht. Wollen wir in den Park gehen ein bisschen Fußball spielen?“ Ken sah Davis fragend an. Davis nickte. „Ja, klingt super. Nach dem vielen Sitzen gestern tut das bestimmt gut“, seufzte er. _ Yolei bekam ihre Augen den ganzen Tag kaum auf, weil sie so verquollen waren. Die ganze Nacht hatte sie irgendwie an Saki denken müssen. Sie hatte darüber nachgegrübelt, wie die beiden wohl so plötzlich ein Paar geworden waren und warum Yolei das überhaupt den Schlaf raubte. Sie war doch wohl nicht in Ken verliebt? Sie erinnerte sich an früher, vor etwa vier Jahren, als sie Ken nur aus dem Fernsehen kannte, weil er so ein unglaublicher Überflieger gewesen war. Wunderkind Ken. Damals hatte sie sich in ihn verknallt, oder zumindest in denjenigen, den sie immer im Fernsehen gesehen hatte. Er bekam nur Einsen, war ein absolutes Sportass und außerdem auch stets höflich und freundlich gegenüber seinen Interviewern. Doch als sie ihn dann selbst kennen lernte, war diese Verknalltheit schnell wieder verflogen, denn er hatte sich als ziemlich arrogant herausgestellt. Irgendwann war er dann freundlich und liebenswürdig geworden, doch dann hatte sich der Kontakt verloren und Yolei hatte kaum noch an ihn gedacht. Aber nun... Wie zum Teufel hatte er nur eine Freundin bekommen? Er war doch immer so schüchtern und zurückhaltend. Und reden war auch nicht unbedingt seine Stärke. Und warum überhaupt diese Saki? So hübsch war sie auch wieder nicht. Vollkommen durchschnittlich. Yolei stieß einen Seufzer aus. Das nervte sie alles. Gut, dass sie Ken und Saki ohnehin nicht oft sah. _ „Und?“ Nami sah Sora verständnislos an. „Was und?“ „Triffst du dich mal mit Joe, woanders als im Café?“, fragte Sora vielsagend lächelnd. „Sei nicht so neugierig, sonst bleibst du heute länger“, erwiderte Nami grinsend, während sie den Tresen abwischte. Sora zuckte mit den Schultern und räumte weiter den Geschirrspüler aus. „Ich weiß gar nicht, ob er mich überhaupt treffen will“, meinte Nami plötzlich. Verwirrt richtete Sora sich auf und sah sie an. „Was? Warum?“ „Naja, letzte Woche war er doch hier im Café und ich habe ein paar eindeutige Bemerkungen gemacht, aber er ist gar nicht darauf eingegangen. Und irgendwann ist er gegangen und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört“, erklärte Nami und starrte auf die Platte, die sie gerade zum fünften Mal abwischte. „Ach“, Sora winkte ab, „so ist Joe eben. Ich glaube, mit sowas tut er sich ein bisschen schwer. Den musst du schon direkt fragen.“ „Aber vielleicht will er ja gar nicht. Außerdem ist er eh noch ganz schön jung. Vielleicht suche ich mir besser einen anderen“, sagte Nami, sah aber nicht so aus, als würde sie diesen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen wollen. Sora zuckte mit den Schultern. Sie würde Joe wohl mal einen Tipp geben müssen. „Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit, um auszugehen“, redete Nami weiter. „Da müsste ich schon arbeitslos werden.“ „Da kann ich dir doch helfen. Überlass' den Laden doch einfach mal einen Abend lang nur mir. Und in der Zeit kannst du mit Joe ausgehen“, bot Sora an und schloss den Geschirrspüler. „Mal sehen“, murmelte Nami und warf den Lappen in die Spüle. „Was machst du heute noch? Hast du nicht erzählt, du hast heute noch was vor?“ „Nun ja, Tai und Matt wollen mich abholen kommen“, antwortete Sora. Nami sah sie an und zog eine Augenbraue hoch. „Was denn?“, fragte Sora irritiert. „Ich hätte auch gern zwei männliche beste Freunde. Die reißen sich bestimmt um dich, was?“ Sora musste unwillkürlich lachen. „Quatsch, sie reißen sich doch nicht um mich. Ich glaube, Matt hat genug Verehrerinnen.“ „Deswegen kann er ja trotzdem in dich verliebt sein“, meinte Nami lächelnd. „Hilfe, nein“, stöhnte Sora. Dass Tai in sie verliebt war, reichte ihr vollkommen aus. „Warum widert dich das an?“, fragte Nami verwirrt. „Er ist doch ein Süßer.“ „Ja, aber...“ „Siehst du, du hast ja gesagt“, rief Nami triumphierend. Sora verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich gehe mal Bestellungen aufnehmen.“ _ Er drückte auf den grünen Knopf, hielt sich das Telefon ans Ohr und wartete, bis Tai abnahm. „Ja?“ Er klang müde und Matt grinste. „Na? Warst du erfolgreich?“, fragte er. Tai seufzte. „Ich hab' nicht mit ihr geschlafen.“ Verdutzt zog Matt die Augenbrauen hoch. „Wieso nicht?“ „Matt, ich kann sowas nicht. Ich konnte die ganze Zeit nur an SIE denken. Dann habe ich mich bei Shizuka entschuldigt und bin gegangen.“ Matt stöhnte auf und warf sich auf sein Bett. „Du solltest doch auch keine Beziehung mit ihr anfangen, sondern mit ihr schlafen.“ „Das ist aber nicht meine Art“, erwiderte Tai trocken. „Och Tai, das ist doch nur Sex“, seufzte Matt. „Stell dich doch nicht so an.“ „Nee, lass mal“, nuschelte Tai. „Und wie lang warst du gestern noch da?“ Ganz kurz überlegte Matt, ihm von der Wette zu erzählen, die er mit Shin abgeschlossen hatte, doch das würde Tai nie und nimmer gutheißen und versuchen, es ihm auszureden. Er war ein zu guter Mensch für sowas. „Wir sind so gegen drei los“, antwortete er also nur. Einen Augenblick lang schwiegen sie beide, bis Tai wieder das Wort ergriff. „Sag mal, wollen wir uns irgendwo treffen und ein bisschen quatschen? Ich langweile mich sonst nur bis heute Abend.“ „Klar“, antwortete Matt. „Wo wollen wir hin? An den Strand?“ „Ja, gute Idee. In einer Stunde?“ „Geht klar. Dann bis nachher.“ _ Es klingelte, als Cody gerade den Stift weggelegt hatte. Bis eben hatte er an seinen Hausaufgaben für Japanisch gesessen, doch nun wollte er irgendwas anderes machen. Da kam ihm der Gast gerade recht. „Cody? Yolei ist da“, rief seine Mutter. Er ging zur Tür. Es kam nicht oft vor, dass er etwas zu zweit mit Yolei unternahm, doch ab und zu trafen sie sich und tauschten Neuigkeiten aus. „Hey“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Hast du Lust, mit mir in den Park zu gehen? Ein bisschen spazieren und so?“ „Ja klar, bin gerade mit den Hausaufgaben fertig geworden“, antwortete Cody und schlüpfte in seine Schuhe. „Dann bis später, Mama.“ „Bis später. Bist du zum Abendessen wieder da?“, fragte Frau Hida. „Ja, versprochen“, antwortete Cody schnell und verließ gemeinsam mit Yolei die Wohnung. „Wollen wir T.K. noch fragen, ob er auch mitkommt?“ „Ich war schon bei ihm. Seine Mutter meinte, er ist nicht da“, antwortete Yolei. Sie fuhren mit dem Aufzug nach unten und verließen das große Wohngebäude. „Naja, dann bleiben wir eben zu zweit“, meinte Cody und zuckte mit den Schultern. _ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er erneut ansetzte, in komplizierten Ausweichschritten in Richtung Korb dribbelte und den orangefarbenen Ball mit einem Wurf in seinem Ziel versenkte. Eine Stunde war er nun schon damit beschäftigt, einfach sinnlos über den kleinen Platz zu rennen und immer wieder Schritte, Korbleger und Freiwürfe zu üben. Das lenkte ihn ein wenig von gestern Abend ab. Er hatte Kari geküsst. Er hatte seine beste Freundin geküsst. Wenn er daran dachte, bekam er ein kribbelndes Gefühl in der Magengegend, genau wie in dem Moment, als er sie geküsst hatte. Aber wie war es ihr dabei gegangen? Hatte sie auch so etwas gefühlt? War sie jetzt wütend auf ihn? Ein kurzer Blick auf sein Handy teilte ihm mit, dass sie sich noch immer nicht gemeldet hatte. Warum auch? Er hatte ihr schließlich auch noch nichts geschrieben. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und er kniff die Augen zusammen, um besser zu zielen, sein Freiwurf ging jedoch daneben. Kari war doch seine beste Freundin, seit Ewigkeiten. Warum verspürte er erst jetzt dieses seltsame Gefühl? Und vor allem: Was dachte Kari? _ Davis und Ken waren schon eine Weile damit beschäftigt, sich auf einer Wiese im Park einen Fußball immer wieder zuzuspielen, als Ken in einigen Metern Entfernung zwei bekannte Gestalten ausmachen konnte. Er stoppte Davis' Pass mit dem Fuß und nickte mit dem Kopf in Richtung der beiden jungen Menschen. Davis drehte sich um und erblickte sie ebenfalls. „Hey, Yolei, Cody!“, rief er. Ken nahm den Ball auf und ging hinüber zu Davis. „Was für ein Zufall.“ „Ja, echt cool.“ Yolei und Cody kamen zu ihnen gelaufen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte Cody. „Ach, wir spielen nur ein bisschen Fußball“, antwortete Davis abwinkend. „Und ihr?“ „Wir wollten uns nur ein bisschen in die Sonne setzen und quatschen“, erwiderte Cody. „Ich glaube, da sind wir dabei, oder Ken?“, fragte Davis an Ken gewandt. Dieser nickte nur und sah Yolei an, weil ihm auffiel, dass sie noch gar nichts gesagt hatte, was ja sonst nicht ihre Art war. Er versuchte, an ihrem Gesicht zu erkennen, ob sie vielleicht keine Lust hatte, hier mit ihm und Davis zu sitzen. Sie suchten sich gemeinsam einen freien Platz in der Sonne aus und ließen sich in das weiche Gras fallen. „Sag, Cody, wie kommst du eigentlich jetzt in der Mittelschule zurecht?“, fragte Ken interessiert. Er konnte sich noch genau an seinen eigenen Übergang in die Mittelschule erinnern. Es war ein deutlicher Unterschied zu spüren gewesen. „Naja, alles ist schwerer geworden“, antwortete er. „Aber noch komme ich ganz gut klar. Die Leute in meiner Klasse sind auch alle ganz nett.“ „Und Yolei, wie ist es bei dir? Du bist doch jetzt das erste Jahr an der Oberschule“, fragte Ken weiter und sah nun Yolei an, die ein wenig zusammenzuckte. „Ähm... ja, ist auch ganz cool. Viele aus meiner Klasse gingen ja schon in der Mittelschule in meine Klasse. Aber der Unterrichtsstoff ist eindeutig schwerer“, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. Ihre Finger zupften ein paar Grashalme heraus. „Das klingt doch super“, fand Ken. „Und habt ihr mit den anderen auch viel zu tun? Mit Tai und so?“ „Klar, wir sehen sie ja jeden Tag in den Pausen“, antwortete Davis. „Und Tai und ich sind ja im selben Fußballverein, wie du weißt.“ „Stimmt ja“, erwiderte Ken. „Aber jetzt erzähl du mal“, forderte Cody Ken auf. „Ist Saki eine Schulfreundin von dir gewesen?“ „Ja, wir sind seit der ersten Klasse der Mittelstufe in einer Klasse“, antwortete er ein wenig verlegen. „Wir haben uns eigentlich sofort angefreundet.“ _ Die meisten Leute in Nami's Café drehten sich zu ihnen um und begannen zu tuscheln, als Matt und Tai das Café betraten. Auch Sora erblickte sie und kam auf sie zu, nachdem sie einen Tisch bedient hatte. „Es ist doch noch gar nicht sechs“, meinte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. „Hallo, freut uns auch, dich zu sehen“, erwiderte Tai ihre Begrüßung sarkastisch. Sie ließ den Arm sinken und lächelte. „Entschuldigt.“ „Wir dachten, wir kommen eine halbe Stunde eher und trinken noch einen Kaffee, damit du noch was zu tun hast“, erklärte Matt grinsend. „Wie gütig“, entgegnete Sora. „Da drüben ist noch ein Tisch frei.“ Während Tai ihr noch hinterhersah, als sie Richtung Tresen davonging, suchte Matt den freien Tisch. Er befand sich mitten im Raum, sodass alle sie beobachten konnten. Na prima. „Warum gucken die denn alle so?“, fragte Tai, als er sich hinsetzte. „Weil du mit einem Superstar hier bist“, antwortete Matt und grinste schief. „Ja und mit dir“, erwiderte Tai spöttisch. Ein Mädchen kam, fragte nach einem Foto mit ihm, das Tai schießen musste, und ging kichernd wieder zurück an ihren Tisch. „Mit dir kann man nirgendwo hingehen“, beschwerte sich Tai mit einem skeptischen Blick zu dem Mädchen. „Verteilst du schon wieder Fotos von dir?“, fragte Sora mit spöttischem Blick, als sie neben ihnen auftauchte, um ihnen den Kaffee zu bringen. „Wieso? Eifersüchtig?“, erwiderte Matt ein wenig gelangweilt. _ Yolei saß im Gras neben Cody und sie unterhielten sich schon seit ein paar Stunden zu viert, wobei Yolei nicht allzu viel zum Gespräch beisteuerte. Sie bemühte sich, sich nichts von ihrem Unbehagen anmerken zu lassen, doch befürchtete, dass ihr das mehr schlecht als recht gelang. Ständig sah sie verstohlen Ken an. „Was machen Kari und T.K. eigentlich heute?“, fragte Davis und Yolei hörte deutlich den misstrauischen Unterton heraus. „Keine Ahnung. Ich war heute bei T.K., aber seine Mutter meinte, er ist nicht da. Und Kari habe ich nicht gefragt“, antwortete Yolei. Davis runzelte die Stirn und malte sich anscheinend Dinge aus, die T.K. und Kari wohl gerade zusammen tun konnten, während er hier saß und keinen von beiden im Blick hatte. „Vielleicht solltest du dir Kari aus dem Kopf schlagen, Davis“, meinte Yolei trocken. „Was?“ Nicht nur Davis, sondern auch die anderen beiden sahen sie überrascht an. „Ist doch so. Man kriegt eben nicht immer den, den man haben will“, meinte Yolei und zuckte mit den Schultern. „Sag mal, Yolei“, fing Davis an, „hat dich jemand zurückgewiesen?“ „Quatsch, wie kommst du denn darauf? Wer sollte mich zurückgewiesen haben?“, fragte sie und spürte, dass ihre Wangen heiß wurden. „Keine Ahnung. Jedenfalls kann ich mir Kari nicht so einfach aus dem Kopf schlagen. Wie stellst du dir das bitte vor? Ich bin seit der Grundschule in sie verliebt“, antwortete Davis und kratzte sich verlegen am Kopf. „Davis, du bist gerade mal vierzehn Jahre alt. Du wirst schon noch die Richtige finden“, erwiderte Yolei abwinkend. „Ken, wie war es denn eigentlich bei dir und Saki?“, fragte Davis und wandte sich nun an den Angesprochenen. Ken zuckte zusammen und sah ihn an. „Ähm... naja in der ersten Klasse der Mittelschule haben wir uns angefreundet und ich glaube, sie hat sich da schon in mich verliebt.“ „Und jetzt seid ihr erst zusammengekommen?“, fragte Yolei, womit sie wohl das erste Mal an diesem Tag mit Ken direkt sprach. Er sah sie unsicher an. „Tja, ich habe bisher nicht so richtig gemerkt, dass ich... Gefühle für sie habe.“ Yolei presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. Seufzend ließ sie sich nach hinten ins Gras fallen. „Die Liebe ist schon eine komische Sache.“ „Ja“, stimmte Ken zu. „Warst du denn schon mal verliebt, Cody?“, fragte Davis nun mit neckendem Unterton in der Stimme. „Nö“, antwortete Cody schlicht. „Darüber habe ich auch noch nie nachgedacht, wenn ich ehrlich bin.“ „Lass dir bloß Zeit damit“, erwiderte Yolei ein wenig abfällig. _ Zu dritt lachten und tranken sie bis spät in die Nacht. Tai genoss diesen Abend wirklich sehr. Sie unternahmen viel zu selten etwas zu dritt, weil ständig einer von den dreien keine Zeit hatte. Doch nun sprachen sie über alles Mögliche. Tais Fußballtraining, Matts Band, Soras Arbeit, die Schule, die Mitschüler und auch vergangene Zeiten wurden nicht ausgelassen. Während des Abends versuchte Tai, seine Gefühle für Sora einmal beiseite zu schieben und so zu tun, als wären sie wirklich alle drei nur befreundet, ohne Gedanken an mehr. „Und wisst ihr noch, diese eine Klassenfahrt am Anfang der Mittelschule?“, kicherte Sora. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Stimme ein wenig schwer, doch dafür wirkte sie ausgesprochen gut gelaunt. „Da haben wir uns zu fünft eine Flasche von diesem Mixbier geteilt und kamen uns vor wie Verbrecher.“ Tai und Matt lachten. „War ja auch verboten“, sagte Tai kopfschüttelnd. „Und wir haben uns fast in die Hosen gemacht aus Angst davor, von den Lehrern erwischt zu werden“, fügte Matt hinzu. „Und Naomi Tanaka hat hinterher in der ganzen Klasse herumerzählt, sie wäre total besoffen gewesen“, sagte Tai. Sie lachten erneut. „War das nicht auch die Klassenfahrt, als Matt in der einen Nacht mit ihr rumgeknutscht hat?“, fragte Sora nun und sah Matt belustigt an. „Also rumgeknutscht ist wirklich zu viel gesagt“, entgegnete Matt abwinkend und lehnte sich zurück. „Wir haben Händchen gehalten und uns ganz kurz geküsst.“ „Und alle haben nach euch gesucht“, erinnerte Sora ihn. „Matt war eben schon damals ein Casanova“, sagte Tai und grinste ihn an. „Allerdings“, stimmte Sora zu. „Ich war damals ziemlich eifersüchtig auf Naomi.“ Sie kicherte. „Achso?“ Matt lächelte amüsiert, doch Tai runzelte die Stirn und sah sie skeptisch an. „Ja, ich war verknallt in dich. Aber ich hab's niemandem gesagt“, antwortete Sora unschuldig lächelnd. Plötzlich beugte Matt sich wieder vor und sah sie an, als wäre ihm soeben etwas eingefallen. „Ich war irgendwann in der Zeit auch verknallt in dich.“ „Echt?“ Sie kicherte wieder. „Tja, da hast du es wohl auch niemandem gesagt.“ „Nee“, meinte Matt und zuckte mit den Schultern. Tai trank in einem Zug sein Glas Bier aus und stellte es geräuschvoll auf dem Tisch ab. „So, ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns langsam auf den Heimweg machen, oder?“ „Oh, achso! Kari ist ja heute allein bei euch zu Hause, stimmt's?“, rief Sora. „Ja, aber sie kann mich ja anrufen, wenn irgendwas ist“, antwortete Tai, froh, dass sich ihr Gespräch nicht mehr um die heimlichen Lieben Zwölfjähriger drehte, denn auch für ihn war das eben Gehörte neu gewesen. Er warf Matt nur einen verstohlenen Blick zu, den dieser fragend erwiderte, bevor sie aufstanden, um ihre Getränke zu bezahlen. Kapitel 14: Meinungsfreiheit ---------------------------- Montag, 24. April 2006   Schon als sie T.K. vor der Schule gemeinsam mit Yolei und Cody auf sie warten sah, spürte sie ein unruhiges Kribbeln in ihrer Magengegend. Sein bloßer Anblick gepaart mit der Erinnerung an den Kuss am Freitag lösten in ihr Herzrasen aus und ließen sie die Probleme ihrer Eltern fast schon für einen kurzen Moment vergessen. Gestern waren sie aus ihrem Kurzurlaub zurückgekehrt. Offensichtlich hatten sie wirklich alles in Ruhe besprochen, denn sie hatten Kari und Tai erklärt, dass sie sich von nun an beide mehr um ihre Ehe bemühen wollten und eventuell sogar eine Paartherapie in Betracht zogen. Auf keinen Fall wollten sie sich aber jetzt trennen. Das hatte Kari vorerst beruhigt. „Guten Morgen“, rief sie den anderen entgegen und umarmte sie. Tai ging zu Matt und Sora, die mit einem kleinen Abstand neben den drei Jüngeren gestanden hatten. „Wo ist eigentlich Davis?“ „Keine Ahnung. Wir sollten aber langsam mal rein gehen, sonst kommen wir zu spät“, antwortete Cody und blickte besorgt Richtung Tür. Die vier Jüngeren und auch Tai, Matt und Sora betraten das Schulgebäude. Dort angekommen traf sie allerdings fast der Schlag. Yolei schnappte nach Luft, alle anderen blieben einfach mit offenen Mündern stehen. „Krass“, hörte Kari Tai murmeln. Überall im Foyer wurden sie von Matt angestarrt. An den Wänden und Schließfächern rings um sie herum waren Plakate aufgehängt worden, die ihn zeigten. Dabei war von Kleinkindfotos bis heute alles dabei. Verziert waren diese Bilder mit Sprüchen wie „männliche Schlampe“, „Danger! Keep out!“, „Eltern haften für ihre Kinder“ oder „Gotta catch 'em all!“. Die Fotos waren vielfältig gewählt. Es gab harmlosere, die ihn beispielsweise auf der Bühne mit seiner Gitarre zeigten, aber auch Fotos, die man eher nicht der Öffentlichkeit preisgab, wie zum Beispiel im Alter von vielleicht vier Jahren beim Essen oder im Alter von fünfzehn Jahren beim Rauchen. Im Foyer tummelten sich viele Schüler, die sich alle zu ihnen umdrehten und miteinander tuschelten, über die Bilder lachten oder sie einfach nur überrascht anstarrten. Die Schüler, die nach ihnen das Gebäude betraten, blieben ebenfalls stehen und sahen sich um. „Was ist denn hier passiert?“, rief Davis, der plötzlich neben Kari stand. T.K. ging kommentarlos zum nächstbesten Plakat und riss es von der Wand. Tai und Sora taten es ihm sofort gleich. Kari drehte sich zu Matt um. Sein Blick wirkte fast schon gleichgültig, doch er rührte sich nicht von der Stelle. „Matt“, sagte Kari, „du musst zum Schulleiter.“ Für den Bruchteil einer Sekunde sah Matt sie an und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der Treppe, die ins obere Stockwerk führte. Etwa in der Mitte stand Herr Watabe und überblickte die Schülerschar. „Alle Schüler begeben sich sofort in ihre Klassenräume! Der Unterricht beginnt in wenigen Minuten!“, brüllte er über das Geschnatter der Schüler hinweg. Er stieg die restlichen Stufen hinunter und kam auf Matt zu. „Yamato, komm bitte mit in mein Büro.“ Tai und Sora und auch Yolei und Cody hatten sich auf den Weg in ihre Klassenräume gemacht, doch Kari und Davis blieben bei T.K. stehen. „Komm schon“, forderte Davis ihn auf. „Wir müssen auch.“ „Ich lass' das hier bestimmt nicht hängen“, zischte T.K. und riss akribisch ein Plakat nach dem anderen ab. „T.K., du bekommst Ärger“, sagte Kari und berührte ihn am Arm, doch er schüttelte ihre Hand ab. „Ihr drei da, geht in eure Klassen“, forderte Herr Watabe sie auf. „Nicht bevor dieser Mist hier weg ist“, erwiderte T.K. grimmig und drehte sich nicht einmal um. Mittlerweile waren sie die einzigen Personen im Foyer. „Geht in eure Klassen, oder ich trage euch eine unentschuldigte Fehlstunde ein“, drohte Herr Watabe. T.K. fuhr herum. „Falls sie es noch nicht geschnallt haben, das ist mein Bruder, der hier überall hängt! Und ich dachte, wir wären hier auf einer Schule, an der Verleumdung und Demütigung nicht geduldet wären!“ „T.K.!“, sagte Matt scharf. „Takaishi, zum letzten Mal. Geh in deine Klasse, oder es wird ein Nachspiel geben“, sagte Herr Watabe ruhig und sah T.K. streng an. Einen Augenblick stand T.K. da und starrte sowohl den Direktor als auch seinen Bruder wütend an, bevor er das Plakat, was er zuletzt abgerissen hatte, zusammenknüllte und Herr Watabe vor die Füße warf. „Nach dem Unterricht in meinem Büro“, rief Herr Watabe, als T.K. sich umdrehte und davonlief. Davis und Kari eilten ihm hinterher. „Sag mal, bist du irre?“, fragte Davis, der links neben T.K. lief. „Was sollte das? Jetzt kriegst du bestimmt ziemlichen Ärger“, sagte Kari stirnrunzelnd. Sie befand sich an T.K.s anderer Seite. „Mir doch egal“, brummte T.K., den Blick stur geradeaus gerichtet. „Was will er denn schon machen? Meine Mutter anrufen?“ _ „Setz dich“, forderte Herr Watabe Matt auf und deutete auf den Stuhl gegenüber seines Schreibtischs. Matt ließ sich darauf fallen und sah Herr Watabe über den Tisch hinweg an. „Also“, begann er und beugte sich nach vorn, die Ellbogen auf der Tischplatte abstützend, „hast du eine Vorstellung, wer das gewesen sein könnte?“ „Vermutlich jemand, der mich nicht sonderlich mag“, erwiderte Matt trocken. Herr Watabe zog eine Augenbraue hoch. „Yamato, es ist mir ernst. Sollte es ein Schüler unserer Schule gewesen sein, wird dieser auf jeden Fall einen Verweis erhalten. So etwas kann ich hier nicht dulden. Also überlege bitte, ob dir jemand einfällt, der das gewesen sein könnte.“ Nachdenklich sah Matt sich um. Der Raum war hell und lichtdurchflutet. Grüne Pflanzen zierten die Fensterbänke, gestreifte Vorhänge schirmten neugierige Blicke von außen ab und Fotos auf dem Schreibtisch zeigten die Kinder des Direktors. Hinter Matt befand sich ein Schrank voller Bücher und Aktenordner. Der Boden war mit Teppich ausgelegt und an den Wänden hingen einige Landschaftsgemälde. Alles in allem hatte man hier drin nicht den Eindruck, sich noch in einer Schule zu befinden. „Nein“, antwortete Matt wahrheitsgemäß. Eigentlich fragte er sich eher, wie derjenige an seine Kinderfotos gekommen war. Herr Watabe beobachtete ihn einige Augenblicke, bis er sich schließlich zurücklehnte. „Nun gut“, sagte er. „Das Ganze muss irgendwann am Wochenende geschehen sein. Jemand muss sich unerlaubterweise Zutritt zur Schule verschafft haben. Ich werde natürlich umgehend dafür sorgen, dass diese... Schmierereien verschwinden.“ Matt nickte langsam. „Kann ich jetzt gehen?“ „Ja, aber bitte geh in deinen Unterricht“, sagte Herr Watabe. Matt stand auf und ging zur Tür. Er drückte die Klinke herunter, doch bevor er das Büro verließ, drehte er sich noch einmal um. „Ach, Herr Watabe?“ „Hm?“ Fragend sah er ihn an. „Könnten Sie bitte mit meinem Bruder nicht allzu streng vorgehen? Ich bin sicher, er hat es nicht so gemeint.“ Herr Watabe faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. „Wir werden sehen.“ _ „Hast du eigentlich die Plakate gesehen?“, flüsterte Izzy Mimi während der Mathestunde zu. „Wer hat die nicht gesehen?“, fragte Mimi kopfschüttelnd. Natürlich waren diese Plakate das Erste, was ihr ins Auge gesprungen war, nachdem sie das Schulgebäude betreten hatte. Obwohl sie unmöglich fand, was diese Kleinkriminelle getan hatte, hatte sie sich ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen können. Dagegen war ihre Idee, ihm eine Schwangerschaft vorzutäuschen, ein Witz. „Ganz schön fies“, kommentierte Izzy. „Tze“, machte Mimi nur. „Morgen sind die wieder weg und in einer Woche haben alle vergessen, dass es sie überhaupt gab.“ „Mimi, ich glaube nicht, dass du es dir nach deinem letzten Testergebnis leisten kannst, im Unterricht nicht aufzupassen“, unterbrach Herr Kuugo ihr Gespräch und warf ihr einen strengen Blick zu. Sofort wandte Mimi sich wieder ihrem Blatt zu und murmelte eine Entschuldigung. „Das klingt fast so, als hättest du sie aufgehangen“, flüsterte Izzy nach ein paar Minuten. „Ich?!“, rief Mimi empört und alle drehten sich zu ihr um. Herr Kuugo hielt in seinen Erläuterungen inne, verschränkte die Arme vor der Brust und sah Mimi mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Entschuldigung“, nuschelte sie und senkte den Blick. Herr Kuugo drehte sich wieder zur Tafel und fuhr mit seinem Unterricht fort. „Also weißt du, zwar finde ich, dass Matt eine Abreibung verdient hat, aber ich würde ihn doch niemals so bloßstellen. Das ist nicht mein Stil. Ich bin enttäuscht, dass du sowas von mir denkst, Izzy“, zischte sie Izzy nach einigen Augenblicken der Stille zu. „Aber so habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich habe dich nicht verdächtigt“, widersprach Izzy sofort im Flüsterton. „Das hoffe ich“, erwiderte Mimi. „Wenn ich mich an ihm rächen würde, dann würde ich eher -“ „Raus jetzt! Mir reicht's!“, rief Herr Kuugo plötzlich und deutete mit ausgestrecktem Arm zur Tür. „Das ist doch hier kein Kaffeekränzchen! Klär das draußen und heute Nachmittag sehen wir uns im Büro des Schulleiters!“ Starr vor Schreck saß Mimi auf ihrem Platz. Noch nie war sie aus dem Unterricht geworfen worden, auch nicht in den USA. In der Klasse war es mucksmäuschenstill und alle starrten sie an. Sie spürte, dass sie hochrot anlief und stand langsam auf, um den Klassenraum zu verlassen. _ Beim Mittagessen in der Mensa wurde Matt von wahrscheinlich zwanzig Schülern gefragt, ob er wusste, wer für die Plakate verantwortlich war. T.K. stocherte unterdessen mit finsterer Miene in seinem Essen herum, ohne wirklich etwas zu sich zu nehmen. „Vielleicht solltest du noch zur Polizei gehen und Anzeige erstatten“, schlug Yolei vor. Matt runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Darüber solltest du wirklich mal nachdenken“, stimmte Sora Yolei zu. „Heute sind es nur Plakate, aber wer weiß, was morgen passiert. Nicht, dass dir jemand ernsthaft was antun will.“ „Vielleicht will dir jemand ernsthaft schaden“, mischte Cody sich ein. „Ach was, macht euch doch nicht so viele Gedanken“, erwiderte Matt und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich frage mich wirklich, wer sich so viel Zeit nimmt und die ganzen Plakate ausdruckt, beschriftet und aufhängt“, murmelte Davis und stützte den Kopf auf den Händen ab. „Das hat doch sicher lange gedauert.“ „Anscheinend jemand, der keine Hobbys hat“, sagte Tai trocken. „Vielleicht war es auch einfach jemand, der seine Spielchen satt hat und sich nicht einfach so verarschen lässt“, sagte Mimi schnippisch. Matt warf ihr einen genervten Blick zu. „Halt die Klappe, Mimi. Niemand hat nach deiner Meinung gefragt“, fuhr Tai sie an. „Ich dachte, wir leben in einem Land, in dem es jedem erlaubt ist, seine Meinung frei zu äußern“, giftete Mimi zurück. „Richtig, und deswegen darf ich dir auch offen sagen, dass mich deine Meinung nicht interessiert“, gab Tai zurück. „Oh Leute, bitte!“, rief Sora und sah beide verzweifelnd an. „Streitet euch doch nicht. Wir sollten lieber zusammenhalten, wenn jemandem so etwas passiert wie Matt heute.“ Tai und Mimi wandten sich ab und sprachen während des restlichen Mittags kein Wort mehr. „Sag mal, Kleiner, war das vorhin eigentlich wirklich nötig?“, fragte Matt, als sie gemeinsam auf den Pausenhof gingen, um noch ein wenig frische Luft vor dem Nachmittagsunterricht zu schnappen. T.K. warf seinem Bruder einen mürrischen Blick zu. „Hätte es DIR denn gefallen, wenn du MEIN Gesicht überall an den Wänden gesehen hättest?“ „Nein, aber das wäre für mich kein Grund gewesen, mich mit Herrn Watabe anzulegen“, antwortete Matt trocken. T.K. lachte verächtlich. „Du bist doch der Rebell von uns beiden.“ „Aber ich sehe gerade, dass mein kleiner Bruder anscheinend ein wenig nach mir kommt“, erwiderte Matt und zerzauste ihm das Haar. T.K. konnte ein wenig Stolz aus seinem Tonfall heraushören. „Matt, das ist nicht witzig. Yolei und Sora haben Recht. Wer weiß, was noch passieren könnte“, sagte er, blieb stehen und schob die Hände in die Hosentaschen. Matt verdrehte die Augen. „Mach dir doch keinen Kopf. Ich -“ „Ich bin nicht bescheuert. Ich weiß, was du so nach deinen Konzerten machst und kann mir denken, dass das der Grund dafür ist, weshalb hier diese Plakate von dir hingen“, unterbrach T.K. ihn und funkelte ihn an. Matt kümmerte diese Aktion anscheinend kein bisschen. Alle anderen machten sich mehr Sorgen um ihn als er selbst. Matt schwieg und sah ihn schief an. „Vielleicht solltest du aufhören damit“, sagte T.K. nach einer Weile und ging zu Davis, Kari, Yolei und Cody. _ „Du hast Tai bestimmt noch nicht gefragt, ob er dir Nachhilfe gibt?“, fragte Izzy vorsichtig, als sie wieder in ihrem Klassenraum saßen und sah sie von der Seite an. „Nein und ich glaube nicht, dass ich das noch tun werde“, antwortete sie stur und holte ihre Bücher aus ihrer Tasche. Izzy seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Süße, wenn du Nachhilfe brauchst, kann ich dir auch welche geben und zwar nicht nur in Mathe.“ Izzy und Mimi drehten sich empört zu Katsuro um, der Mimi angrinste. „Wie bitte?“, zischte Mimi und in ihren Augen blitzte es. „Du hast mich schon gehört. Der Nerd hat ja anscheinend keine Zeit für dich. Oder er ist schwul, das halte ich für am wahrscheinlichsten“, sagte Katsuro lässig und warf Izzy einen überlegenen Blick zu. Izzy musste zugeben, dass er sich durch diese Bemerkung ziemlich verletzt fühlte. Ohne Worte drehte er sich wieder um und beugte sich über seinen Schreibblock, um so zu tun, als würde er sich vor dem Unterricht noch etwas durchlesen. „Ach, Katsuro, versuch doch nicht, deinen winzigen Penis mit deiner riesigen Arroganz zu überspielen. So arrogant kann kein Mensch sein“, sagte Mimi tonlos und drehte sich ebenfalls um. Izzy sah sie mit großen Augen an und die Schüler um sie herum, die Mimi gehört hatten, begannen zu lachen und wiederholten für ihre Banknachbarn, was Mimi gesagt hatte. „Das kriegst du wieder, Tachikawa“, hörte Izzy Katsuro zischen. _ „Sag mal, müsst ihr euch eigentlich ständig streiten? Du und Mimi, meine ich“, sagte Sora in einer Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden. Tai hatte den Kopf auf die Arme gelegt, die Augen geschlossen und versuchte, ein wenig zu schlafen. Sora stützte den Kopf auf den Händen ab und musterte ihn besorgt. „Das bringt euch doch beide nicht weiter. Außerdem bin ich mir sicher, dass du sie verletzt mit dem, was du immer sagst“, redete Sora weiter. „Na und? Sie nervt eben mit ihrer hochnäsigen Art“, murmelte Tai, ohne die Augen zu öffnen. „Das meint sie doch nicht so. Sie kann sehr lieb und fürsorglich sein, aber wenn du sie ständig dumm anmachst, ist es kein Wunder, dass sie so ist“, antwortete Sora. „Davon, dass sie lieb sein kann, hab ich schon lange nichts mehr gesehen“, brummte Tai. Und wenn er darüber nachdachte, dann hatte er ihre wirklich guten Seiten wohl vor über vier Jahren zum letzten Mal gesehen. Außerdem brachte es doch ohnehin nichts, wieder eine engere freundschaftliche Beziehung zu ihr aufzubauen, da sie nur ein Jahr in Japan bleiben würde. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass sie es momentan nicht leicht hat?“, fragte Sora und klang nun streng. „Sieh mal, sie hat ihre ganzen Freunde der letzten Jahre alle in Amerika zurückgelassen und ist nun für nur ein Jahr in Japan und muss hier Anschluss finden. Und bevor sie sich richtig eingelebt hat, ist sie auch schon wieder weg. Und dazu hat sie auch noch schulische Probleme.“ „Pf“, machte Tai. „Ihr Papi bezahlt ihr bestimmt einen Nachhilfelehrer. Und Anschluss hat sie doch schon gefunden, Izzy kümmert sich doch um sie.“ Sora verpasste ihm mit dem Ellbogen einen Stoß gegen den Arm. _ Benjiro, ein Junge aus T.K.s Klasse, der ebenfalls im Basketballteam der Mittelschule spielte, wartete nach dem Unterricht wie gewohnt auf ihn. „Mach schon, du weißt, wie begeistert der Trainer immer ist, wenn einer zu spät kommt“, rief er T.K. von der Tür aus zu. „Ich komm' heute nicht. Muss nachsitzen“, brummte T.K. und beeilte sich nicht, seine Sachen einzupacken. „Was? Du musst nachsitzen? Warum?“ Benjiro zog eine Augenbraue in die Höhe und musterte ihn ungläubig. „Er hat sich mit dem Direktor angelegt“, antwortete Davis für ihn und schulterte seine Schultasche. „Kommst du, Kari?“ Kari stand ein wenig unschlüssig neben T.K. und beobachtete ihn. „Geh schon. Ich finde den Weg schon allein“, sagte T.K. etwas spöttisch, ohne sie anzusehen. „Hey, das ist kein Grund, so mit Kari zu reden!“, rief Davis wütend. „Lass gut sein, Davis“, sagte Kari, die sich nicht anmerken ließ, dass sie sauer oder verletzt war. Ohne ein weiteres Wort verließen sie und Davis den Klassenraum. Benjiro sah ihnen verwirrt hinterher. „Und warum hast du jetzt Stress mit Watabe?“, fragte er und wandte sich wieder an T.K. „Wegen dieser Plakate“, murmelte T.K., nahm seine Tasche und ging gemeinsam mit Benjiro aus dem Raum. „Oh, ach ja. Üble Sache. Aber sie sind ja alle wieder weg“, erwiderte Benjiro. „Hat Matt denn eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?“ T.K. seufzte. „Nein.“ Benjiro grinste. „Bestimmt irgendeine Verflossene.“ T.K. zuckte mit den Schultern und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Über Matts Verflossene wollte er jetzt nicht nachdenken. Sie kamen zu einem Gang, an dem T.K. zum Schulleiterbüro abbiegen musste. „Ich wünsche dir viel Glück, dass er dich nicht so quält“, sagte Benjiro grinsend und verpasste T.K. einen derben Klaps auf die Schulter. „Und lass dir nicht allzu oft Nachsitzen verpassen. Das ist nicht gut für die Mannschaft.“ „Alles klar“, sagte T.K. und nickte ihm zum Abschied zu. Vor dem Büro des Schulleiters angekommen, klopfte er an die Tür und öffnete, als er hereingebeten wurde. Zu seiner Überraschung stand auch Mimi dort vor dem Schreibtisch und blickte ihn an, als er hereinkam. Auch Herr Kuugo, sein Mathelehrer, stand im Raum. „Da bist du ja“, begrüßte Herr Watabe ihn. „Takeru?“, fragte Herr Kuugo ungläubig. T.K. antwortete nicht, sondern blieb mitten im Raum stehen und sah Herrn Watabe erwartungsvoll an. Dieser griff nach einem Stapel Papier, der auf seinem Schreibtisch lag und stand auf. „Gut, folgt mir beide“, forderte Herr Watabe. Er und Herr Kuugo gingen voran und T.K. und Mimi trotteten hinterher. Sie gingen den Gang entlang zu einem der Unterrichtsräume und traten ein. _ „Miyako, dein Zitronenkuchen sieht wirklich gut aus“, sagte Frau Hirata mit einem Blick in Yoleis Ofen. „Der ist bestimmt gleich fertig.“ „Danke“, sagte Yolei erfreut und sah ebenfalls in ihren Ofen. Im Kochkurs befanden sich außer ihr noch neun andere Mädchen, doch Yolei erhielt stets das meiste Lob der Leiterin. Sie war froh, dass sie diesen Kurs gewählt hatte. Kochen und Backen machte ihr unheimlich viel Spaß und anscheinend besaß sie auch ein kleines Talent dafür. Und nach einem anstrengenden Schultag war das hier wirklich Erholung und Entspannung. Sie nahm sich vor, mal etwas für ihre Freunde zu kochen. Das Piepen der Eieruhr verkündete ihr, dass die Zeit um war. Eifrig öffnete sie die Ofentür und holte den Kuchen vorsichtig mit einem Paar Topflappen heraus. Er verbreitete einen verführerischen Duft und das Mädchen neben ihr warf einen neidischen Blick auf ihn. Yolei konnte nicht anders, als ihren Kuchen anzustrahlen, als hätte er eine Persönlichkeit. Vielleicht sollte sie Bäckerin werden. _ „Der spinnt doch“, murmelte Mimi zum gefühlt hundertsten Mal und starrte auf ihr Aufgabenblatt. „Das ist echt nicht fair.“ „Weshalb musst du eigentlich nachsitzen?“, fragte T.K. und sah von dem Aktenstapel auf, den er sortieren sollte. „Weil Herr Kuugo spinnt“, brummte sie. „Okay?“, erwiderte er verwirrt. „Ich hab im Unterricht zu viel gequatscht“, murmelte sie und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. „Und du?“ „Hab mich mit Watabe angelegt“, sagte T.K. Mimi sah ihn stirnrunzelnd an. „Du hast dich mit ihm angelegt?“ „Wegen dieser bescheuerten Plakate“, seufzte T.K. „Oh“, machte Mimi. Sie senkte den Kopf und wollte sich wieder ihren Aufgaben zuwenden, doch dann fiel ihr ein, dass sie die Aufgaben nicht einmal verstand. Und Herr Kuugo verlangte doch tatsächlich, dass sie sie am nächsten Tag noch im Unterricht vorstellte. Der Stoff wäre auch Thema der nächsten Klassenarbeit und das Einzige, was sie bisher zustande bekommen hatte, war die Aufgabe abzuschreiben. Ohne Izzy war sie einfach völlig hilflos. Ob er wohl kommen und ihr helfen würde, wenn sie ihn anrief? „So, fertig“, sagte T.K. plötzlich und stand auf. „Wie weit bist du?“ Verzweifelt sah sie ihn an. „Ich... habe noch nicht mal richtig angefangen. Ich kapiere das einfach nicht.“ T.K. schulterte seine Schultasche und kam zu ihr. Er beugte sich über ihr Blatt und las die Aufgaben durch. „Sorry, das kann ich leider auch nicht. Hatten wir noch nicht“, sagte er mitleidig. „Aber Davis und so haben gerade Schluss mit Fußball. Vielleicht ist da jemand aus deiner Klasse dabei, der dir helfen kann?“ „Wer denn?“, fragte Mimi missmutig. Sie hatte zu noch niemandem engeren Kontakt aufgebaut. „Das wird doch nie was. Ich werde mich morgen total zum Löffel machen.“ Sie ließ den Kopf wieder auf die Tischplatte sinken und war den Tränen nahe. Sie hörte, wie T.K. den Klassenraum verließ und sie damit nun endgültig sich selbst überlassen war. _ Nicht gerade bester Laune öffnete Tai die Tür zum Klassenraum, den T.K. ihm genannt hatte, und trat ein. Mimi blickte zunächst verzweifelt, dann überrascht auf. „Was machst du denn hier?“, fragte sie ihn. „Dir helfen“, antwortete Tai entschieden, ging zu ihr, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. Seine Schultasche und seine Sporttasche hatte er achtlos fallen lassen. „Ähm...“, machte Mimi und sah ihn verwirrt an. „T.K. hat mir gesagt, dass du Hilfe brauchst“, erklärte Tai gelangweilt. „Also zeig mal her hier.“ „Ich kann das allein“, protestierte Mimi nicht sehr überzeugend. Ihr Blick war nun voller Abneigung und Empörung. „Deswegen sitzt du hier auch schon seit zwei Stunden vor einem leeren Blatt“, erwiderte Tai trocken und griff nach ihrem Aufgabenblatt. Er las sich die Aufgaben schnell durch und legte das Blatt zurück auf den Tisch. „Das ist leicht.“ „Tai, was soll das? Warum willst du mir auf einmal helfen?“, fragte Mimi und fixierte ihn mit ihrem Blick. Kurz sah er sie an, wandte sich dann jedoch schnell wieder ab. „Naja, wegen heute Mittag, das war... ähm... lass mich dir doch einfach helfen, okay?“ Das war zwar keine wirkliche Entschuldigung dafür, dass er sie heute Mittag so angefahren hatte, doch mehr wollte er dazu nicht sagen. Außerdem hatte nicht nur T.K., sondern auch Sora dazu beigetragen, dass er jetzt hier bei Mimi saß und ihr helfen wollte. Mimi musterte ihn noch einige Augenblicke, bis sie schließlich nachgab und nach ihrem Stift griff. Sie hatten keine zehn Minuten an der Aufgabe gearbeitet, als die Tür erneut geöffnet wurde und Yolei ihren Kopf herein streckte. „Oh, das ist also der richtige Raum“, stellte sie fröhlich fest, trat ein und schloss die Tür hinter sich. „T.K. hat mir gesagt, dass ihr hier seid und ich dachte, ich bringe euch eine kleine Stärkung.“ Tai runzelte die Stirn, Mimi war erfreut. „Wie schön! Was hast du denn da?“, fragte sie und reckte sich neugierig. „Haben wir gerade im Kurs gebacken. Zitronenkuchen“, antwortete sie und stellte den Kuchen, der nur noch zur Hälfte existierte, auf dem Tisch ab. „Vielleicht sollten wir erst mal die Aufgabe beenden“, mischte Tai sich etwas genervt ein. Eigentlich wollte er nach Hause und nicht hier sitzen, Matheaufgaben lösen und Kuchen essen. „Guter Plan. Und anschließend gibt es dann die Belohnung“, stimmte Yolei ihm grinsend zu. _ „Was musstest du für Watabe machen?“, fragte Davis, als sie gerade auf dem Heimweg waren. Sie hatten sich mehr oder weniger zufällig vor dem Schulgelände getroffen und gingen nun ein Stück gemeinsam nach Hause. „Ein paar Akten alphabetisch sortieren. Total sinnlos, aber besser als Mimis Aufgabe“, antwortete T.K. gelassen. Verdutzt sah Davis ihn an. „Mimi musste auch nachsitzen?“ „Ja, die hatte Stress mit Kuugo.“ Davis stieß einen Seufzer aus. Herrn Kuugo konnte auch er nicht besonders gut leiden und er hatte ebenfalls schon mal bei ihm nachsitzen müssen. Er konnte gut verstehen, wie es Mimi gerade ging. „Naja, Tai hilft ihr ja jetzt“, meinte T.K. Sie schwiegen einen Moment, dann fiel Davis eine Frage ein. „Gibt es schon was Neues wegen der Sache mit Matt?“ „Nein“, antwortete T.K. und klang plötzlich abweisend. „Ich finde es immer noch ziemlich krass. Wer kann das nur gewesen sein?“, überlegte Davis laut und wartete, dass T.K. eventuell eine Vermutung äußerte, doch der schwieg und starrte auf den Boden vor seinen Füßen. „Glaubst du, es war vielleicht ein Mädchen, die sich irgendwie rächen will oder so? Oder vielleicht ein Junge, dem er die Freundin ausgespannt hat.“ Davis grinste und erwartete, dass auch T.K. lachte, doch der schien das gar nicht witzig zu finden. „Was weiß ich“, knurrte er. Davis kratzte sich verwirrt am Kopf. „Wer auch immer es war, ich hoffe, sie erwischen ihn.“ _ „Oh Mann, Yolei, dass du hier aufgetaucht bist, war definitiv der Höhepunkt meines Tages“, sagte Mimi fröhlich und schob sich das letzte Stück Zitronenkuchen in den Mund. Der schmeckte wirklich köstlich, aber das Beste daran war die Füllung aus Vanillecreme. Genüsslich leckte sie sich die Finger ab. „Freut mich, dass der Kuchen so toll ist“, sagte Yolei grinsend. „Ist echt gut geworden. Ich schicke demnächst meine Mutter bei dir in die Lehre“, stimmte Tai zu und Yolei lachte. „Sag doch nicht so etwas Gemeines über deine Mutter. Bestimmt gibt sie sich Mühe“, sagte sie und verstaute die Kuchendose in einer Tüte. „Ich muss jetzt echt los. Habe meinen Eltern versprochen, noch im Laden auszuhelfen. Bis morgen!“ Und schon war sie aufgestanden und aus dem Raum gestürmt. „Ich mache jetzt auch los“, verkündete Tai und stand auf. „Ich komme mit. Ich will keine Sekunde länger hier bleiben“, schloss Mimi sich an. Sie nahm ihre Tasche, stand ebenfalls auf und folgte ihm aus dem Raum. Schnell verließen sie das Schulgebäude und machten sich auf den Heimweg. Mittlerweile war es Abend und Mimis Eltern fragten sich sicher schon, wo sie blieb. Normalerweise wäre sie schon seit drei Stunden zu Hause, aber immerhin musste sie sich nun nicht in der nächsten Mathestunde blamieren. Nur wäre es ihr lieber gewesen, Izzy oder Sora hätten ihr geholfen. „Danke, dass du mir geholfen hast“, nuschelte sie ein wenig verlegen, gerade als ein Auto an ihnen vorbeifuhr. „Was?“, fragte Tai. Jetzt musste sie diesen Satz auch noch wiederholen. „Danke“, sagte sie, nun ein wenig lauter. „Kein Problem. Jetzt sind wir quitt“, erwiderte er lässig. „Quitt?“, fragte Mimi verwirrt. „Ja. Wegen heute in der Mittagspause. Und wegen dem, was ich letztens zu dir gesagt habe“, erklärte er. Mimi wusste zwar noch immer nicht, was genau er mit „letztens“ meinte, doch sie fragte nicht nach. Das Gespräch war ihr ohnehin schon unangenehm. Nie könnte sie ihn fragen, ob er ihr dieses Schuljahr Nachhilfe geben würde. Den Rest des Weges schwiegen sie, bis Mimi in eine andere Richtung weiter musste als er. „Na dann bis morgen“, verabschiedete sie sich von ihm. „Bis dann“, sagte Tai, ohne sie noch einmal anzusehen. _ Müde und hungrig kehrte Matt von der Bandprobe zurück. Sie waren gerade dabei, neue Lieder einzuspielen, was allerdings jedes Mal für Diskussionen sorgte, die dazu führten, dass sie sich weder über den Text noch über die Melodie einig wurden. In Momenten wie diesen dachte Matt hin und wieder über eine Solokarriere nach. An Ideen für Songtexte mangelte es ihm nie. Er nahm die Post aus dem Briefkasten, fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und schloss die Tür zur Wohnung auf. Sein Vater war natürlich noch nicht zu Hause, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es machte ihm nichts aus, allein zu essen. Er stellte seine Tasche in der Küche ab, warf die Post auf den Esstisch und erst in diesem Moment fiel ihm der Brief auf, der ganz oben lag. Sein Name stand auf dem Umschlag, allerdings ohne Adresse. Er runzelte die Stirn, öffnete den Umschlag und holte den Zettel darin heraus. Nachdem er ihn auseinander gefaltet hatte, sah er, dass nur ein einziger Satz darauf stand. „Das war erst der Anfang.“ Kapitel 15: Der gute und der böse Bruder ---------------------------------------- Freitag, 28. April 2006   „Guten Morgen, T.K.“ Kari tauchte in dem Moment neben ihm auf, als er gerade das Schulgelände betrat und lächelte ihn an. Davis befand sich an ihrer anderen Seite. Seit dem Kuss vor einer Woche hatten sie außerhalb der Schule keinen Kontakt mehr miteinander gehabt. T.K. wusste einfach nicht, ob er den Kuss ansprechen sollte oder nicht. Vermutlich ging es Kari nicht anders. Aber irgendwie fehlte sie ihm ziemlich. Er vermisste es schon, mit ihr zusammen im Park oder am Strand zu sitzen, spazieren zu gehen oder Filme anzusehen. Er hatte das Gefühl, sich von ihr zu entfernen. Nicht nur wegen des geringen Kontakts in den letzten Tagen, sondern auch, weil sie ihm nichts von ihrem Problem erzählen wollte, wo sie mit ihm doch sonst über alles sprach. Vielleicht war sie ja mittlerweile doch an Davis interessiert. „Hi“, begrüßte er die beiden. Gemeinsam gingen sie ins Schulgebäude zu den Schließfächern, um ihre Bücher für die ersten Stunden zu sortieren. Als T.K. seinen Spind öffnete, fiel ihm etwas Rosafarbenes entgegen. Er achtete nicht auf das, worüber Davis und Kari sich gerade unterhielten, sondern drehte den Brief in seiner Hand hin und her. Verwirrt schaute er sich um, ob vielleicht derjenige, der ihn in seinen Spind getan hat, noch in der Nähe stand, aber keiner der Schüler, die gerade durch das Foyer marschierten, wirkte verdächtig. Er wandte sich wieder dem Brief zu, öffnete den Umschlag und holte einen Bogen Papier heraus. Er zog die Augenbrauen hoch. Die Handschrift war sehr sauber, kam ihm jedoch nicht bekannt vor. Lieber Takeru, du bist mir schon aufgefallen, als ich dich das erste Mal gesehen habe, aber ich habe mich bisher nicht getraut, dich anzusprechen. Deshalb schreibe ich dir nun diesen Brief. Du hebst dich so sehr von den ganzen anderen Jungs ab, ist dir das bewusst? Ich finde dich wirklich süß, charmant, witzig und nett. Du bist immer hilfsbereit und hast für jeden ein Lächeln übrig. Das macht dich so anders als die anderen. Ich würde dich wirklich gern näher kennen lernen. Willst du mich auch kennen lernen? Ganz unten findest du meine E-Mail-Adresse. Schreib mir, wenn du Lust hast. Ein Tipp: Wir haben schon mal miteinander gesprochen. „Was hast du da? Ist das ein Liebesbrief?“ Neugierig lugte Davis über seine Schulter und grinste ihn an, als T.K. den Brief zusammenfaltete und zurück in den Umschlag steckte. „Vielleicht“, antwortete T.K. und packte den Brief zusammen mit seinen Büchern in seine Schultasche. „Aber Valentinstag war doch erst“, meinte Davis nachdenklich. Sie machten sich allmählich auf den Weg in ihren Unterrichtsraum. „Na und? Menschen verlieben sich auch an anderen Tagen, stell dir vor“, erwiderte T.K. „Wer verliebt sich?“, fragte Kari, die von dem Brief anscheinend nichts mitbekommen hatte. „T.K. hat einen Liebesbrief bekommen“, trällerte Davis belustigt. „Oh, von wem denn?“ Kari sah T.K. fragend an. „Keine Ahnung“, antwortete T.K. _ „Fräulein Tachikawa, dein Höhenflug war offensichtlich nur von kurzer Dauer“, sagte Herr Kuugo leise und legte im Vorbeigehen Mimis Mathetest auf den Tisch. Mimi warf Izzy einen ängstlichen Blick zu und zog das Blatt zu sich heran, machte aber keine Anstalten, das Ergebnis zu begutachten. „Willst du es denn nicht wissen?“, fragte Izzy erstaunt. „Eigentlich nicht“, murmelte Mimi. „Sieh du es dir an und wenn es mehr als dreißig Punkte sind, sag mir Bescheid.“ Sie schob Izzy das Blatt zu. „Bist du dir sicher?“, fragte er und nahm das Blatt in die Hand. „Ja, jetzt mach schon“, antwortete Mimi ungeduldig und beobachtete ihn genau, während er das Blatt umdrehte. Mimi hatte gerade mal zehn Punkte bekommen. Angestrengt versuchte Izzy, keine Miene zu verziehen. Was sollte er jetzt machen? Unsicher sah er sie an. Sie seufzte und wandte sich ab. „Schon gut, dein Blick sagt alles.“ „Mimi, das tut mir echt Leid“, murmelte Izzy. Er selbst hatte ganz nebenbei seinen Test kommentarlos auf den Tisch gelegt bekommen. Er hatte neunzig Punkte, doch konnte sich nicht darüber freuen, während Mimi so deprimiert aussah. „Zeig mal her“, verlangte sie und schnappte ihm nun seinen Test aus der Hand, bevor er reagieren konnte. „Hey, Glückwunsch! Freu dich gefälligst.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter und lächelte. „Naja, aber dein Test...“, stammelte Izzy. „Izzy, nur weil ich eine Matheniete bin, heißt das nicht, dass du dich nicht über deine guten Ergebnisse freuen darfst“, sagte sie streng. Izzy zuckte mit den Schultern und starrte auf Mimis Blatt. Dort war mehr rot als schwarz zu sehen und viele Aufgaben hatte sie gar nicht erst angefangen. Fieberhaft überlegte Izzy, ob er nicht doch irgendwo ein wenig Zeit lockermachen konnte, um Mimi Nachhilfe zu geben. _ „Vielleicht ist es ja die da“, rief Davis, deutete auf ein ziemlich korpulentes Mädchen und grinste hämisch. „Du bist gemein“, kommentierte Kari, woraufhin er sie erschrocken ansah. „Ich glaube, es ist die da. Die sieht doch so aus, als ob sie Liebesbriefe schreibt“, meinte Yolei und deutete auf ein Mädchen, das mit Zettel und Stift bewaffnet auf einer Bank saß. „Nee, nie und nimmer.“ Davis sah sich um. „Guckt mal, die da. Bestimmt ist es die.“ „Leute, ihr nervt“, stöhnte T.K. „Ja, das tut ihr wirklich. Lasst T.K. doch einfach in Ruhe“, pflichtete Cody ihm bei. Davis hatte in der Pause sofort ihm und Yolei verkündet, dass T.K. einen Liebesbrief von einer Unbekannten bekommen hatte und seitdem waren die beiden nur damit beschäftigt, zu überlegen, wer das geheimnisvolle Mädchen sein könnte. Cody hatte Mitleid mit T.K. Er selbst war froh, dass er mit Mädchen noch nicht so wirklich viel am Hut hatte. „Vielleicht hat Yolei dir ja auch den Brief geschrieben“, meinte Davis nun und grinste Yolei an. „So ein Quatsch. Wenn ich mich für T.K. interessieren würde, würde ich einfach hingehen und es ihm sagen“, widersprach Yolei bestimmt. „Ach, ich glaube nicht, dass du das machen würdest. Du bist bestimmt viel schüchterner, als du immer tust“, erwiderte Davis abwinkend. „Ach ja? Vielleicht hast du ihm ja auch den Brief geschrieben“, konterte Yolei und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin kein Mädchen, schon vergessen?“ „Niemand hat gesagt, dass ein Mädchen den Brief geschrieben hat.“ Yolei lächelte spöttisch. „Aber das Briefpapier ist rosa“, widersprach Davis und schüttelte energisch den Kopf. Cody verdrehte die Augen. Ihm fiel auf, dass T.K. und Kari sich abgewandt hatten und der Diskussion um die geheimnisvolle Verehrerin nicht weiter folgten. Er konnte sie nur zu gut verstehen. „Hey T.K., was denkst du denn, von wem der sein könnte?“, fragte Davis nun, woraufhin T.K. sich mit genervtem Blick zu ihm umdrehte. „Keine Ahnung“, murrte er und wollte sich schon wieder umdrehen, doch Yolei funkte dazwischen. „Vielleicht hat Kari ihn ja auch geschrieben“, witzelte sie. Kari verschluckte sich an ihrem Apfel, von dem sie gerade abgebissen hatte und Cody hätte schwören können, dass T.K.s Wangen einen leichten, rosafarbenen Schimmer bekamen. Cody war sich sicher, dass Yolei eigentlich nur Davis ärgern wollte. „Nein!“, widersprach dieser sofort. „Kari wusste nichts von dem Liebesbrief, also ist das totaler Quatsch. Denk doch mal nach, bevor du redest, Yolei!“ „Das sagst ausgerechnet du?!“, brauste Yolei auf. Den Rest der Pause verbrachten Davis und Yolei damit, sich zu streiten. Keiner der beiden schien diese seltsame Spannung zwischen T.K. und Kari bemerkt zu haben, aber Cody war sie nicht entgangen. Irgendetwas regte sich da zwischen den beiden. _ Es war ein seltener freier Abend. Ein merkwürdiger freier Abend, denn Matt hatte sie gefragt, ob sie mit ihm ins Kino gehen wollte. Allein, ohne Tai. Es war schon verwunderlich genug, dass sie beide gleichzeitig einen freien Freitagabend hatten, aber dann auch noch eine Verabredung zu zweit? Irgendwie hatte Sora ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, als sie auf dem Weg zum Kino war. Unruhig lief sie durch die Straßen. Das alles war seltsam. Mit Tai war es in letzter Zeit schon seltsam genug gewesen, da irgendetwas in ihrer Beziehung verändert war. Sollte sich jetzt auch noch etwas zwischen ihr und Matt ändern? Sie lief auf das Kino zu und erkannte Matt schon von weitem an seinem blonden Haarschopf. „Hi“, begrüßte sie ihn und umarmte ihn kurz. „Lass uns rein gehen“, sagte er und hielt ihr ganz gentlemanmäßig die Tür auf. Sora lächelte und ging an ihm vorbei. Sie liefen die beiden Treppen nach oben und reihten sich in die Schlange vor dem Kartenverkauf ein. Dabei musste Sora unwillkürlich an ihren Kinobesuch mit Tai zurückdenken, als sie Matts Eltern gesehen hatten. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Ob er oder T.K. inzwischen schon wussten, dass ihre Eltern miteinander ausgingen? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte einer von ihnen schon irgendwas in der Richtung erwähnt. Das würden sie wohl erst morgen beim Essen herausfinden. Seltsam, dass noch keiner der beiden geschlussfolgert hatte, dass ihre Eltern sich gegenseitig trafen. „Bist du eigentlich schon aufgeregt wegen morgen?“, fragte Sora. „Nö, warum denn?“, fragte Matt verwundert. „Naja, immerhin lernst du morgen die Frau kennen, mit der dein Vater vielleicht den Rest seines Lebens verbringt“, sagte Sora nachdenklich. Sie wünschte, sie könnte ihm sagen, dass diese Frau seine Mutter war. Doch sie wollte sich nicht einmischen, obwohl ihr das irgendwie falsch Matt gegenüber vorkam. „Tz“, machte Matt nur und hob eine Augenbraue. „Das werden wir erst noch sehen.“ Sie bestellten ihre Karten und Matt bestand darauf, zu bezahlen. „Ich kriege doch ein schlechtes Gewissen, wenn ständig jemand für mich bezahlt“, seufzte Sora, als sie sich auf dem Weg zum richtigen Kinosaal befanden. „Wieso? Du brauchst dein gespartes Geld dringender als ich“, antwortete Matt grinsend. „Und außerdem...“ „Hey, ihr beiden.“ Gleichzeitig wandten beide ihre Köpfe nach rechts und erblickten Nagisa zusammen mit Yoko, ein Mädchen, das auch in Matts Klasse ging. „Schön euch zu treffen“, sagte Nagisa strahlend. „Schaut ihr euch etwa auch Scary Movie 4 an?“ Sie redete zwar mit ihnen beiden, aber Sora fiel auf, dass sie hauptsächlich Matt ansah. „Ja“, antwortete Matt kurz angebunden. „Ihr auch?“, fragte Sora höflich und lächelte. „Ja. So ein Zufall. Vielleicht sitzen wir ja sogar noch nebeneinander“, meinte Nagisa und schielte auf die Karten, die Matt in der Hand hielt. „Oh, Tatsache!“ „Man kann eben nirgendwo hingehen, ohne jemanden zu treffen, den man kennt“, sagte Sora. Yoko stand unschlüssig neben Nagisa und machte einen etwas verwirrten Eindruck. „Da hast du Recht. Seid ihr nur zu zweit hier?“, fragte Nagisa und sah von Sora zu Matt. „Jap“, antwortete dieser einsilbig. „Und jetzt gehen wir besser rein. Ich bin nicht zum Quatschen hier.“ Mit diesen Worten nahm er Soras Hand und zog sie hinter sich her zu ihrem Kinosaal. „Matt, echt, du bist ein Sauertopf“, schimpfte Sora. „Sei doch mal ein bisschen freundlicher.“ „Dann wird sie aufdringlich“, entgegnete Matt trocken. „Ich spreche aus Erfahrung.“ Sora verdrehte die Augen und suchte nach ihren Plätzen. _ Mimi sah zu, wie die Tränen von ihren Wangen auf den Hefter tropften, den sie vor sich zu liegen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so verzweifelt wegen irgendetwas war. Bestimmt würde sie wegen Mathe von der Schule fliegen und musste zurück in die USA gehen. Sie war zu dumm für das japanische Schulsystem. Sie versuchte gerade, den Stoff der Woche noch einmal durchzugehen, doch sie verstand es einfach nicht. Und erst recht nicht verstand sie die Hausaufgaben, die sie zu Montag auf hatten. Was sollte sie nur machen? Izzy anrufen? Nein, den nervte sie schon in der Schule genug mit Mathe. Sora war mit Matt im Kino. Ob Joe den Stoff wohl noch beherrschte? Wahrscheinlich nicht. Mimi konnte sich ja nicht einmal mehr an den Stoff des letzten Schuljahres erinnern. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als Tai noch einmal anzurufen. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und griff zum Telefon auf ihrem Schreibtisch. Zögerlich wählte sie die Nummer der Yagamis. Kari nahm ab, klang ein wenig verwundert und reichte den Hörer auf Mimis Bitte hin an Tai weiter. „Ja?“, fragte er skeptisch. „Hey, hier ist Mimi. Ich habe eine Bitte an dich“, sagte sie und bemühte sich, nicht verheult zu klingen. Er zögerte eine Weile. „Heulst du?“ Mist. „Nein!“ Er seufzte. „Was gibt’s?“ „Ich verstehe die Matheaufgaben nicht. Kannst du mir vielleicht noch mal helfen?“ Er stöhnte. „Schon wieder?“ „Ja“, murrte Mimi und ärgerte sich darüber, dass er so genervt klang. Als wäre sie nicht selbst schon genug von Mathe genervt. „Okay“, sagte er nach einer Weile. „Aber heute nicht mehr, ja?“ „Ja. Danke. Willst du morgen Mittag herkommen? Dann springt auch noch ein Essen für dich raus“, bot Mimi an. „Klingt gut. Dann komme ich morgen Mittag“, willigte er ein. „Cool“, sagte Mimi erleichtert. Tai war also noch immer mit Essen zu ködern. Typisch. „Na dann, bis morgen.“ „Tschau.“ _ Hallo Miss Unbekannt, ich habe heute deinen Brief in meinem Spind gefunden und dachte, ich schreibe dir einfach mal. Ich würde natürlich wirklich gern wissen, wer du bist. Gibst du mir vielleicht noch einen Tipp oder lässt du mich weiter spekulieren? ;) T. Stirnrunzelnd las T.K. seine E-Mail noch einmal durch. Er wusste einfach nicht, was er noch schreiben sollte, doch er fand, dass das eigentlich auch reichte. Er klickte auf „Senden“ und schaltete den Computer aus. „Was hast du denn um die Uhrzeit noch am Computer gemacht?“, fragte Natsuko, die auf der Couch lag und ihn neugierig musterte. „Eine Mail geschrieben“, antwortete T.K. wahrheitsgemäß. „Und an wen?“ „Sei nicht so neugierig.“ Er grinste und ließ sich in den gemütlichen Sessel fallen. „Ich mache mir nur Sorgen. Im Internet sind leider auch genug Perverse unterwegs.“ „Ich schreibe nicht mit Perversen, Mama“, murmelte T.K. „Manchmal weiß man aber nicht, wer dahinter steckt“, entgegnete sie und schüttelte den Kopf, als wollte sie einen unangenehmen Gedanken loswerden. „Es ist ein Mädchen aus der Schule, wenn es dich beruhigt“, seufzte T.K. resigniert. „Ui“, machte sie, setzte sich auf und lächelte ihn an. „Wie heißt sie denn?“ „Keine Ahnung.“ Natsuko sah ihn skeptisch an. „Sie hat mir einen Brief geschrieben und will mich kennen lernen, ist aber zu schüchtern, um zu sagen, wer sie ist“, erklärte er ungeduldig. „Achso.“ Sie lächelte vielsagend, hakte aber zum Glück nicht weiter nach. „Ich werde jetzt schlafen gehen. Morgen ist immerhin ein besonderer Tag.“ Mit diesen Worten stand sie auf und verschwand ins Badezimmer. _ „Mimi will also noch mal Nachhilfe?“ Tai zuckte zusammen und fuhr herum. Seine Schwester hatte sich angeschlichen und musterte ihn neugierig. Er dachte, sie wäre in ihr Zimmer zurückgegangen, nachdem sie ihm das Telefon gegeben hatte. „Mein Gott, Kari. Kannst du vielleicht aufhören, mich im Dunkeln zu erschrecken?“ „Entschuldige.“ Sie kicherte. „Was ist denn nun mit Mimi?“ „Sie kommt mit ihren Hausaufgaben nicht klar. Morgen gehe ich zu ihr.“ Tai seufzte und kratzte sich am Kopf. Das bedeutete dann, dass er wieder einmal Gemeinsein bei ihr offen hatte. „Ohje, die Arme“, meinte Kari mitleidig. „Sie? ICH muss ihr Nachhilfe geben“, protestierte Tai. „Aber du hast keine Probleme in der Schule“, antwortete Kari und hob eine Augenbraue. „Klar, in Englisch.“ „Na, dann nimm doch morgen deine Englischhausaufgaben mit und sag ihr, sie soll dir helfen“, schlug Kari vor. „Guter Plan.“ Tai ging in die Küche, goss sich ein Glas Wasser ein und trank einen Schluck. Kari war ihm hinterhergelaufen und beobachtete ihn. Sie waren wieder allein zu Hause, da ihre Eltern ausgegangen waren. Yuuko hatte in einem Buch über gelingende Ehen gelesen, dass Paare mit Kindern oft zu wenig Zeit zu zweit verbrachten. Nun würden Tai und Kari also öfter sturmfrei haben. „Ist irgendwas?“, fragte Tai und musterte seine Schwester argwöhnisch. „Naja...“ Sie druckste herum und setzte sich schwungvoll auf die Arbeitsplatte. „Wenn du ein Mädchen küssen würdest, dann würde das was bedeuten, oder? Also ich meine, du würdest das nicht einfach so machen.“ Mit einem Knall stellte Tai sein Wasserglas ab und starrte sie an. „Wer hat dich geküsst?“ „Von mir war doch gar nicht die Rede!“, widersprach sie energisch, aber ihre Wangen färbten sich verräterisch rosa. „Das ist eine ganz allgemeine Frage.“ Mit zu Schlitzen verengten Augen musterte er sie eine Weile, bis sie beschämt den Blick abwandte und unruhig mit ihren Fingern spielte. Tai musste daran denken, wie er Sora geküsst hatte. Und das hatte definitiv etwas bedeutet. „Also, wenn der Junge kein Arsch ist, dann bedeutet es ihm was, dass er dich geküsst hat“, antwortete er langsam. „Wenn er kein Arsch ist?“, fragte Kari. Sie stritt nicht mehr ab, dass sie die Geküsste war. „Naja, weißt du...“ Was für ein unpassendes Gespräch unter Geschwistern. „Es gibt Jungs, die küssen Mädchen, obwohl sie ihnen nichts bedeuten. Sie machen das, weil...“, stammelte er und suchte nach den richtigen Wörtern. „Weil sie sie nur flachlegen wollen. Rede doch nicht mit mir, als wäre ich ein kleines Kind.“ Verblüfft sah Tai sie an. Ihr Blick war entschlossen und sie wirkte nicht verlegen, im Gegensatz zu ihm im Moment. „Entschuldige. In meinem Kopf bist du noch zehn“, erwiderte Tai grinsend. „Ich glaube, in deinem Kopf bist du selbst noch zehn“, entgegnete Kari und lachte. „Nervensäge“, grummelte Tai und zwickte sie in die Wade, woraufhin sie sich lautstark beklagte und nach ihm trat. „Wer hat dich denn nun geküsst? T.K.? Davis?“ „Niemand“, antwortete sie, schwang sich von der Arbeitsfläche und trat dicht zu ihm. „Es ist auf jeden Fall so, dass wenn ein Mädchen seinen großen Bruder küsst, es bedeutet, dass er der beste Bruder der Welt ist.“ Und ohne dass Tai etwas unternehmen konnte, hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt, ihn auf die Wange geküsst und tänzelte nun zurück in ihr Zimmer. _ Es war definitiv falsch, was er hier mit Sora machte. Sie hatten einen schönen Abend zu zweit verbracht, aber irgendwie nicht wie gute Freunde. Vielleicht war es auch nur Matt aufgefallen, da er selbst ja wusste, was er vorhatte, aber es lag auf jeden Fall Spannung in der Luft. Sie hatten sich vor dem Film gut unterhalten und Nagisa und Yoko so gut es ging ignoriert, fanden den Film am Ende beide albern und unterhielten sich nun angeregt auf dem Nachhauseweg. Er spielte mit dem Gedanken, Shin einfach anzulügen und zu behaupten, er hätte mit ihr geschlafen. Oder das Ganze einfach aufzugeben. Aber nein, das ließ sein Stolz nicht zu. Vielleicht könnte er sie auch einfach fragen. „Du, sag mal“, fing er an, als gerade für ein paar Sekunden keiner von ihnen geredet hatte. Sie sah ihn an, wobei sich das Licht der Straßenlaternen in ihren braunen Augen spiegelte. Ihre Augen, die so warm und so voller Sanftmut waren. „Was denn?“, fragte sie, als er nicht weitersprach. „Musst du morgen arbeiten?“, fragte er schnell. Sora kicherte auf einmal. „Ja, bis wir schließen. Nami will sich mit Joe treffen.“ „Ach“, sagte Matt überrascht. „Ja, ich hab's ihr angeboten. Wieso? Hattest du irgendwas geplant?“ „Nein, schon gut. War nur eine Frage“, antwortete er. Sie kamen an ihrem Haus an und sie warf einen Blick auf ihr Handy. „Willst du noch mit hoch kommen? Es ist ja noch nicht so spät.“ „Klar“, willigte Matt ein, doch plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl. Als würden sie beobachtet. Ruckartig drehte er sich um und ließ den Blick über die Gegend wandern. „Was ist?“, fragte Sora irritiert. „Ich dachte, da wäre... nicht so wichtig“, murmelte Matt, sah sich aber noch immer um. Halluzinierte er jetzt auf einmal? Sora hakte sich bei ihm unter. „Ich glaube, du brauchst einfach einen starken Kaffee nach diesem Film.“ Sie grinste ihn an und gemeinsam gingen sie nach oben in die Wohnung der Takenouchis. Sora schlüpfte aus ihren Schuhen, schaltete das Licht an und ging in die Küche, wo sie Kaffee aufsetzte. Matt folgte ihr und setzte sich an den Esstisch. „Hast du Hunger?“, fragte sie ihn und warf einen Blick in den Kühlschrank. „Kochst du mir was, wenn ich ja sage?“, erwiderte er und lächelte leicht. Sie sah ihn mit großen Augen an. „Na klar. Was willst du denn?“ „Vergiss es, war nur ein Witz“, sagte Matt und winkte ab. „Also Tai hätte sich diese Chance nicht entgehen lassen“, meinte Sora lachend und schloss den Kühlschrank wieder. Sie wartete, bis der Kaffee fertig war, verteilte ihn auf zwei Tassen und setzte sich dann Matt gegenüber. „Und? Bist du aufgeregt wegen morgen?“ Er hob skeptisch eine Augenbraue. „Was fragst du mich das dauernd?“ Sie lief rot an. „Ähm... naja, also ich wäre aufgeregt, wenn ich die neue Freundin meines Vaters kennen lernen würde. Ich würde mich vorher schon fragen, wie sie wohl ist und wie sie aussieht.“ „Ach, wie soll sie schon sein? Vermutlich eine, die früher oder später feststellt, dass er zu viel arbeitet und sich dann wieder von ihm trennt“, erwiderte Matt abfällig. „Das kannst du doch vorher gar nicht wissen“, entgegnete Sora. „Vielleicht magst du sie ja.“ „Es ist doch völlig schnuppe, ob ich sie mag. Mein Vater muss sie mögen. Ich bin in einem Jahr eh weg.“ „Wo bist du denn?“ Sie sah ihn verwundert an. Er zuckte mit den Schultern. „Im besten Fall auf Welttournee.“ „Dann können wir uns ja in Paris treffen“, sagte Sora lächelnd. Als er sie fragend ansah, fügte sie noch hinzu: „Die Stadt der Mode.“ „Willst du auswandern?“, fragte er und musterte sie ernst. „Ich weiß nicht. Ich will so gern die ganze Welt sehen und mich inspirieren lassen. Ich will mit dem, was ich mache, Menschen erfreuen, nicht nur in Japan, sondern überall.“ „Unsere Träume sind sich ähnlich“, sagte er. Sie legte die Hände um ihre Kaffeetasse und sah ihm in die Augen. „Ja.“ Matt hielt ihrem Blick nicht lange stand, sondern trank seine Kaffeetasse leer und stand auf. „Ich mache mich jetzt auf den Heimweg.“ Sie brachte ihn zur Tür und lehnte sich gegen den Türrahmen, während er seine Schuhe anzog. „Schreibst du mir, wenn du heil zu Hause angekommen bist?“ Er verdrehte gespielt genervt die Augen. „Ja.“ Sie grinste. „Ich gehe nicht eher schlafen, bevor ich was von dir gehört hab.“ „Geht klar.“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange, was sie offenbar verlegen machte. Sie senkte den Blick und lächelte schüchtern. „Mach's gut.“ Samstag, 29. April 2006 Ken wurde schon zeitig wach. Er hatte die ganze Nacht recht unruhig geschlafen, was vermutlich daran lag, dass Saki die ganze Zeit dicht neben ihm gelegen hatte. Er setzte sich auf und musterte sie. Ihr dunkles Haar war wie ein Kranz um ihren Kopf herum ausgebreitet. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund leicht geöffnet. Auf ihrer Nase tummelten sich ein paar Sommersprossen. Ken lächelte. Wie süß sie doch aussah, vor allem schlafend. Leise stand er auf und ging in die Küche, wo er ihr ein Frühstück zubereitete. „Na, habt ihr gut geschlafen?“, fragte seine Mutter, als sie hereinkam und ihn erblickte. „Ihr seid zeitig wach.“ „Ja, geht so“, antwortete Ken und drapierte Toast, Marmelade, Obst und Saft auf einem Tablett. Seine Mutter lächelte ihn verschwörerisch an, als er die Küche mit dem Tablett in den Händen wieder verließ. Er schlich zurück in sein Zimmer, stellte das Tablett auf dem Boden neben dem Bett ab und gab Saki einen flüchtigen Kuss. Es fühlte sich noch seltsam an, sie zu küssen, wo sie doch zwei Jahre lang so etwas wie seine beste Freundin gewesen war. Und jetzt war da auf einmal mehr. Ihre Lider flatterten und sie schlug die Augen auf. „Morgen“, nuschelte sie und lächelte ihn an. „Ich hab dir Frühstück gemacht“, sagte Ken und deutete auf das Tablett neben dem Bett. „Oh, wie lieb von dir.“ _ „Mensch, Mimi, du lädst nur Jungs zu uns nach Hause ein“, stellte Satoe Tachikawa fest, die schon mit der Vorbereitung des Mittagessens beschäftigt war. „Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, meinte Keisuke, legte die Zeitung weg und warf Mimi einen skeptischen Blick zu. „Aber ihr kennt Tai doch. Er hilft mir nur in Mathe. So oft wird er hier nicht auftauchen.“ Hoffentlich. „Wie geht es Izzy denn?“, fragte Satoe und grinste sie an. „Ihr könnt nerven“, seufzte Mimi und streckte die Beine aus. Sie saß neben ihrem Vater am Esstisch und wartete auf das Türklingeln. „Isst Tai überhaupt gern Amerikanisch?“, fragte Satoe auf einmal und beäugte kritisch das Hackfleisch in der Pfanne. Mimi hatte das Gefühl, dass es jetzt jedes Mal, wenn einer ihrer Freunde zu Besuch kam, Burger geben würde. „Tai isst alles“, sagte sie trocken. „So lob' ich mir das“, lachte Satoe und schwenkte fröhlich die Pfanne. Keine Minute später klingelte es an der Tür. Mimi seufzte deprimiert, lief zur Tür und öffnete sie. „Hi. Komm rein“, begrüßte sie ihn und trat zur Seite. „Hier riecht's aber lecker“, bemerkte Tai und schnupperte. „Es gibt auch gleich Essen“, antwortete Mimi und ging ihm voran in die Küche. Tai grüßte ihre Eltern höflich. Satoe strahlte ihn zur Begrüßung an und hieß ihn überschwänglich willkommen, während Keisuke eine Augenbraue hob und ihn unverhohlen musterte. Das Essen wurde auf den Tisch gestellt und sie wünschten sich einen guten Appetit. _ T.K. stand im Flur und wartete auf seine Mutter. Natsuko war vor fünf Minuten eingefallen, dass sie sich in ihrem Outfit doch nicht wohl fühlte und nun zog sie sich schon zum vierten Mal an diesem Tag um. Gerade kam sie aus dem Schlafzimmer gehetzt. „So, wir können los. Wir müssen uns beeilen“, rief sie und eilte zur Tür hinaus. Ein paar Stationen fuhren sie mit dem Bus, bis sie an dem Sushi-Restaurant ankamen, in dem sie sich mit ihrem mysteriösen Freund verabredet hatte. T.K. hatte noch nie in einem Restaurant Sushi gegessen. Wenn, dann machte seine Mutter das immer selbst, da es ihr sonst zu teuer war, aber heute war ja ein besonderer Tag. Sie betraten das Lokal und wurden gleich freundlich von einer Kellnerin begrüßt. „Takaishi, wir haben bestellt“, sagte Natsuko nervös. Die ganze Busfahrt hatte sie aus dem Fenster gestarrt und mit ihren Fingern gespielt. Die Kellnerin geleitete sie zu einem Tisch und als T.K. die beiden Personen dort sah, klappte ihm der Mund auf. „Matt? Papa?“ Fragend sah er seine Mutter an. Hatte die Kellnerin sie wirklich an den richtigen Tisch geführt? Ein unsicheres Lächeln huschte über Natsukos Lippen, das Hiroaki und Matt galt. „Was zum...“ Matts Blick glitt von Natsuko und T.K. zu seinem Vater. Anscheinend hatte auch sein Bruder nichts hiervon gewusst. „Verstehe ich das jetzt richtig? Dein neuer Freund ist Papa?“, fragte T.K. zweifelnd und sah seine Mutter stirnrunzelnd an. „Ja, so kann man es sagen“, murmelte Natsuko und sah hilfesuchend zu Hiroaki. „Wir wussten nicht, wie wir euch das sagen sollten, versteht ihr? Wir dachten, so wäre es am besten. Jetzt haben wir Zeit, in Ruhe über alles zu reden“, sagte er und stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab. Natsuko setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, während T.K. völlig perplex neben ihr Platz nahm, doch im gleichen Moment stand Matt auf. „Das ist nicht euer Ernst, oder?“ Fassungslos starrte er seine Eltern an, doch auch T.K. wartete darauf, dass irgendjemand aus irgendeiner Ecke sprang und „Reingelegt!“ rief. Die Leute an den Nachbartischen drehten sich bereits zu ihnen um. „Matt, wir...“, fing Natsuko an. „Was? Wie lange geht das hier schon?“, fragte Matt wütend und deutete auf seine Eltern. „Das kommt sicher gerade ein bisschen plötzlich für euch, aber...“ Wieder unterbrach Matt Natsuko. „Ein bisschen plötzlich? Nein, ich habe natürlich damit gerechnet, dass meine Eltern auf einmal wieder was miteinander anfangen, nachdem sie seit über zehn Jahren in Scheidung leben!“ „Setz dich wieder hin“, sagte Hiroaki ruhig, doch an seiner Schläfe trat eine Ader hervor. „Warum? Soll ich euch dabei zugucken, wie ihr euch versöhnt, um euch in einem Jahr wieder zu trennen?“ Er schnappte seine Jacke. „Das ist mir echt zu blöd.“ „Matt!“, rief Natsuko, aber Hiroaki griff nach ihrer Hand, um sie daran zu hindern, ihm nachzulaufen. T.K. saß sprachlos auf seinem Stuhl. Er wusste nicht im Geringsten, was er von dieser Gesamtsituation halten sollte. „Dieser Junge!“, fluchte Hiroaki leise und raufte sich das Haar. „Wir haben doch befürchtet, dass es schwierig werden könnte“, meinte Natsuko mit gesenktem Blick. „Ich gehe mal nach ihm sehen“, murmelte T.K. und stand auf. Eilig verließ er das Restaurant und sah sich um. Mitten in einer Menschenmenge konnte er Matts blonden Haarschopf ausmachen und lief ihm nach. Er rief ein paar mal laut seinen Namen, bis er sich endlich umdrehte. Er hatte sich schon eine Zigarette angezündet und blieb stehen, bis T.K. ihn erreichte. „Komm doch bitte wieder mit zurück“, bat T.K. ihn eindringlich. „Es ist nur ein Essen.“ Matts blaue Augen musterten ihn eingehend. „Nein“, entgegnete er entschlossen, drehte sich um und ging weiter. „Jetzt warte doch mal“, rief T.K. und hielt ihn am Arm fest. „Lass es sie doch mal erklären, bevor du wieder abhaust.“ Matt sah ihn genervt an und zog ihn hinter sich her in eine Seitenstraße. _ „Das war echt lecker“, sagte Tai und legte fast schon erschöpft eine Hand auf seinen Bauch. „Wollen sie das Rezept vielleicht meiner Mutter geben?“ Satoe lachte und wurde ein wenig rot. „Wenn sie will, kann ich ihr das geben, ja.“ Sie hatte sich während des Essens angeregt mit Tai unterhalten, während weder Mimi noch ihr Vater besonders viel zum Gespräch beigetragen hatten. Keisuke Tachikawa hatte die ganze Zeit ein wenig abweisend gewirkt und Tai fragte sich schon, ob er immer so war oder ob es an ihm lag. Mimi stand auf. „Los, Tai, gehen wir Mathe machen.“ „Es bleibt uns ja nichts anderes übrig“, sagte Tai schulterzuckend und folgte ihr in ihr Zimmer. Verblüfft blieb er mitten im Raum stehen und sah sich um. Das ganze Zimmer war komplett in rosa und weiß eingerichtet. Die Wände waren rosa gestrichen und hatten hier und da einen kunstvollen weißen Streifen. Geschmückt waren sie mit Fotos aus New York und von Mimis amerikanischen Freunden. Das Bett war weiß mit einer pinkfarbenen Tagesdecke und sah aus wie das einer Prinzessin. Der Fußboden war mit weißem Teppich ausgelegt. Sämtliche andere Möbel waren ebenfalls weiß. Die Vorhänge schimmerten in zartem Rosa und gaben den Blick auf die Straße frei. Das Zimmer selbst war ordentlich aufgeräumt bis auf ein paar Klamotten, die über dem Schreibtischstuhl hingen. „Kriegst du hier keinen Augenkrebs?“, fragte Tai entgeistert und rieb sich die Augen. „Wie kannst du hier drin überhaupt schlafen?“ „Halt doch die Klappte“, nuschelte sie und ließ sich auf den Boden fallen. „Ich glaube, ich stehe in einem überdimensionalen Sahnebonbon.“ Noch immer stand er da und betrachtete ihr Zimmer. „Können wir jetzt anfangen oder willst du noch zwei Stunden über mein Zimmer meckern?“, fragte Mimi ungeduldig und zog an seiner Jeans, damit er sich hinsetzte. Er ließ sich endlich neben ihr nieder, während sie damit beschäftigt war, ihre Mathesachen aus ihrer Schultasche zu kramen. „Zeig mal her, was du nicht verstehst.“ _ „Matt, findest du das nicht ein bisschen albern, was du hier abziehst?“ Aufgebracht stand sein kleiner Bruder vor ihm und starrte ihn wütend an. „Ehrlich gesagt finde ich es nur albern, was Papa und Mama abziehen. Warum sollte es jetzt auf einmal klappen? Papa arbeitet nicht weniger als vor zehn Jahren und ich glaube nicht, dass Mama das auf einmal weniger stört.“ „Gib ihnen doch eine Chance.“ Matt wandte den Blick ab und fuhr sich durchs Haar. Er wollte nicht wegen seiner Eltern mit T.K. streiten. „Willst du denn nicht, dass wir vielleicht wieder eine Familie werden?“, fragte T.K. nun. Ungläubig sah Matt ihn an. Da war es schon, das Problem. Natürlich wäre er gern wieder in einer intakten Familie, aber er wollte sich gar nicht erst falsche Hoffnungen machen. Er glaubte kein bisschen daran, dass die beiden ihre Beziehung nun in den Griff bekommen würden. Und noch mehr ärgerte es ihn, dass sie T.K., der sich seit Jahren nichts anderes als die Versöhnung seiner Eltern wünschte, falsche Hoffnungen machten. Jetzt freute er sich und am Ende wurde er wieder enttäuscht. Nein, das wollte Matt nicht auch noch unterstützen, indem er den beiden Verrückten die Chance gab, ihre Ehe erneut zu ruinieren. „Nein“, antwortete er deshalb. „Will ich nicht.“ T.K.s Augen weiteten sich. Einige Sekunden sah er Matt zutiefst verletzt in die Augen, dann drehte er sich um und ging. „T.K.“, rief Matt ihm nach, doch sein jüngerer Bruder drehte sich nicht um. _ Bist du schon arbeiten? Sora las Matts SMS kritisch durch. Es war doch noch Mittagszeit. Irgendetwas stimmte anscheinend nicht, dass er ihr jetzt schrieb. Nein, muss erst um sechs. Ist alles in Ordnung? Es dauerte einige Minuten, bis seine Antwort kam. Ja, schon gut. Sora zog die Stirn in Falten. Das konnte sie ihm irgendwie nicht glauben. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie noch über drei Stunden Zeit hatte. Sie machte sich in Ruhe fertig, sagte ihrer Mutter, sie ginge spazieren und verließ die Wohnung. Zuerst fuhr sie mit dem Bus zu der Wohnung von Matt und seinem Vater, doch als sie klingelte, machte ihr niemand auf. Das hatte sie sich schon fast gedacht. Wo könnte er noch sein? Am Strand? Im Park? Oder im Proberaum? Sie beschloss, es im Proberaum zu versuchen. Weder für den Strand noch für den Park war das Wetter heute besonders angenehm, da es sehr windig war. Wenige U-Bahn-Stationen später kam sie am Proberaum an. Sie betrat das Gebäude, ging den langen Gang entlang und fand den gesuchten Raum. Sie war erst einmal hier gewesen und hatte es trotzdem beim ersten Versuch wiedergefunden. Das machte sie ein wenig stolz auf sich selbst. Der Gang war düster und man hätte hier sicher gut Horrorfilme drehen können. Es roch ein wenig muffig und sie hatte keine Ahnung, wofür dieses Gebäude überhaupt sonst noch gebraucht wurde. Aus dem Proberaum der Tokyo Rebels klangen einsame Gitarrentöne. Offenbar hatte sie sich nicht geirrt. Sie klopfte an die Tür, obwohl diese offen war und räusperte sich laut. Matt hielt inne und drehte sich zu ihr um. „Was machst du denn hier?“, fragte er überrascht. Er saß auf einem Stuhl dem Fenster zugewandt. „Ich... dachte, du willst vielleicht reden“, sagte sie ein wenig verlegen. „Eigentlich nicht“, meinte Matt, deutete aber trotzdem auf den Stuhl neben sich. Sora ging zu ihm und setzte sich. Matt spielte leise weiter auf seiner Gitarre, zupfte eine schöne Melodie, wirkte aber gedankenverloren. „Die Neue von meinem Vater ist meine Mutter“, murmelte er nach einer Weile, ohne sein Spiel zu unterbrechen. „Ich weiß“, sagte Sora, die seine Finger beobachtete. Nun hörte Matt doch auf zu spielen und sah sie an. „Du weißt es?“ Erschrocken schlug Sora die Hand vor den Mund. Nun hatte sie es doch ausgeplaudert. „Naja, also... als ich mit Tai im Kino war, haben wir sie zusammen gesehen.“ „Wann war das?“ „Vor zwei Wochen, glaube ich.“ „So lang wisst ihr das schon? Und ihr habt mir nichts gesagt?“ Betreten senkte Sora den Blick. „Matt, wir... wir wollten uns wirklich nicht einmischen. Tut mir Leid. Ich habe überlegt, ob ich es dir erzählen sollte, aber... weißt du, das ist eben eine Familienangelegenheit.“ Sie machte sich fast schon darauf gefasst, dass er sie rauswarf, doch er tat es nicht. Stattdessen seufzte er nach einigen Augenblicken. „Schon gut. Ist ja auch egal.“ Er stellte seine Gitarre zurück in die Halterung und stützte die Ellbogen auf den Knien ab. Sein Kopf war so weit gesenkt, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. „Warum hast du was dagegen, dass deine Eltern sich treffen?“, fragte Sora vorsichtig und rückte ein wenig näher an ihn heran. „Ich will einfach nicht, dass sie T.K. falsche Hoffnungen machen. Das ist doch eh nur so eine Phase“, murmelte er ohne aufzusehen. „Ich glaube, er ist mittlerweile gut damit zurechtgekommen, wie es war. Und jetzt stellen sie wieder alles auf den Kopf.“ „Aber vielleicht geht es ja diesmal gut“, meinte Sora langsam. „Ich bin sicher, sie haben euch erst jetzt von ihrer Beziehung erzählt, weil sie sich sicher sind, dass es klappen kann. Bestimmt überstürzen sie nichts und haben lange genug vorher darüber geredet.“ Matt sah endlich wieder auf. Er wirkte nachdenklich und Sora hatte Mitleid mit ihm. In so einem Fall war sie froh über ihre eigene Familie. Auch wenn sie und ihre Mutter ihren Vater nicht allzu oft sehen konnten, so liebten ihre Eltern sich doch. „Vielleicht hast du ja Recht“, sagte Matt leise. „Du kannst ja zumindest mal darüber nachdenken und sehen, wie sich alles entwickelt“, erwiderte Sora aufmunternd und legte eine Hand auf seine Schulter. _ „Ich kann nicht mehr. Mir schwirrt der Kopf“, seufzte Mimi und ließ sich nach hinten fallen, sodass sie nun auf dem Boden lag. „Wir sind ja jetzt auch fertig“, meinte Tai und gähnte. „Sag mal, wieso hat mich dein Vater eigentlich während des Essens so komisch angeguckt?“ Mimi zog die Augenbrauen hoch. Es war ihm also aufgefallen. „Naja, ähm... er hat was gegen Fußballer.“ Tai runzelte die Stirn. „Hä?“ „Er meint, Fußballer sind alle hirnlose Egoisten.“ Er riss die Augen auf. „Und das sagst du mir erst jetzt?“ „Hätte ich es dir vorher gesagt, wärst du ja wahrscheinlich nicht mehr hergekommen“, erwiderte Mimi. „Wahrscheinlich nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Wieso denkt er das? Als ob man alle über einen Kamm scheren könnte.“ Mimi lief rot an. „Tja, ich weiß auch nicht, wieso er das denkt.“ Dass sie vor einem halben Jahr einen Freund hatte, der ebenfalls Fußball spielte und wegen einer anderen mit ihr Schluss gemacht hatte, erwähnte sie nicht. „Aber wer gibt denn hier wem Nachhilfe? Warum bin ich hirnlos?“ „Vielleicht, weil du in ein Mädchen verliebt bist, das deine beste Freundin ist und von der du lieber die Finger lassen solltest?“ Tai starrte sie einige Sekunden lang entgeistert an, bevor er aufstand. „Das geht dich einen Scheiß an, klar?“ „Schon klar. Ich mein' ja nur. Sowas geht doch nie gut.“ „Arroganten Mädchen Mathe beibringen geht auch nie gut“, fauchte er und mit diesen Worten stürmte er aus dem Zimmer und anschließend aus der Wohnung. Säuerlich verengte Mimi die Augen zu Schlitzen und schüttelte den Kopf. Dämlicher Tai. Als sie ihre Schulsachen aufräumte, fiel ihr auf, dass Tai einen Hefter vergessen hatte. Es war sein Englischhefter. _ „Was meinst du, T.K., sollten wir einen neuen Versuch mit Matt starten?“, fragte Natsuko ratlos und stützte den Kopf auf den Händen ab. Sie warteten gerade auf die Rechnung. Matts Platz war natürlich leer geblieben und nun hatten Hiroaki und Natsuko nur T.K. die Situation versucht zu erklären. Seit etwa einem Jahr trafen sie sich regelmäßig auf einen Kaffee und plauderten über alles Mögliche, was ihre Söhne betraf. Das Ganze hatte damit angefangen, dass Natsuko ein wenig besorgt auf Hiroaki zugegangen war, weil Matt der festen Überzeugung war, er würde Musiker werden. Im Laufe dieser Treffen hatten sie anscheinend wieder Gefühle füreinander entwickelt, falls diese Gefühle überhaupt jemals gänzlich verschwunden waren. Immerhin hatte keiner der beiden seit der Scheidung eine wirklich ernsthafte Beziehung gehabt. Und nun, nachdem sie sich sicher waren, es noch einmal miteinander versuchen zu wollen, wollten sie die Neuigkeit ihren Kindern mitteilen. „Ja. Der kriegt sich schon wieder ein. Er ist halt ein sturer Esel“, antwortete T.K. und lehnte sich zurück. „Von wem er das wohl hat“, sagte Natsuko und warf Hiroaki einen Seitenblick zu. „Also bitte, ich bin doch nicht stur“, entgegnete Hiroaki und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie lächelten sich belustigt an und T.K. fühlte sich seltsam behaglich, auch wenn die Situation sehr ungewohnt war und Matt jetzt wer weiß wo war und seine Familie verabscheute. Die Kellnerin erschien mit der Rechnung, die Hiroaki zu Natsukos Überraschung vollständig übernahm, und die fast vollständige Familie verließ das Restaurant. An der Straße blieben sie stehen, um sich voneinander zu verabschieden. „Bitte sag Matt, dass ich ihn lieb habe“, sagte Natsuko und sah Hiroaki in die Augen. „Natürlich“, antwortete er lächelnd. „Bitte mach dir nicht zu viele Gedanken um ihn.“ „Ich versuche es.“ Während die beiden sich voneinander verabschiedeten, wandte T.K. sich ab und sah auf sein Handy in der Erwartung, Matt hätte vielleicht irgendetwas geschrieben. Was er vorhin zu ihm gesagt hatte, hatte ihn verletzt und wütend gemacht, weil er nicht glaubte, dass das stimmte. Auch Matt wollte in einer glücklichen Familie leben. Wer wollte das nicht? T.K. wusste nicht, warum er gelogen hatte. Viel Spaß beim Essen mit dem Neuen. Ich drücke die Daumen. Die SMS war von Kari. Es tat so gut, von ihr zu lesen, auch wenn es nur diese beiden kurzen Sätze waren. Doch seit dem Kuss hatten sie viel zu wenig miteinander geredet, waren sich fast schon aus dem Weg gegangen. Doch der Kontakt zu Kari war genau das, was er jetzt brauchte. Per SMS verabredete er sich mit ihr in Nami's Café, verabschiedete sich von seiner Mutter und machte sich auf den Weg. Es dauerte nicht lang und als er das Café betrat, saß Kari schon an einem Tisch für zwei Personen und wartete auf ihn. Als sie ihn sah, stand sie auf, umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Es war diese Art Umarmung, die immer ein wenig zu lang dauerte, um eine reine Freundschaftsumarmung zu sein. „Was ist passiert?“, fragte sie, als sie ihn losließ und sah ihn besorgt an. Typisch, dass sie schon durchschaut hatte, dass etwas nicht so gelaufen war wie geplant. _ „Das hätte ich alles echt nicht gedacht“, brachte Kari nur heraus, als T.K. mit seiner Erzählung fertig war. Sie nippte an ihrem Tee und starrte ihn unentwegt an. Wer hätte schon gedacht, dass seine Eltern sich auf einmal doch versöhnten? „Matt geht mir echt auf die Nerven“, seufzte T.K. und lehnte sich zurück. Auf seiner Stirn hatte sich eine senkrechte Falte gebildet und er wirkte verärgert. „Er hat das bestimmt nicht so gemeint. Das mit der Familie, meine ich“, sagte Kari unsicher, obwohl sie nicht im Geringsten verstehen konnte, wie jemand so etwas zu seinem Bruder sagen konnte. Hätte Tai das zu ihr gesagt, wäre sie unendlich traurig. „Es ist ja nicht nur das. Zur Zeit kommt irgendwie alles zusammen. Diese ganzen Gerüchte, die in der Schule über ihn kursieren...“ Langsam schüttelte er den Kopf und Kari blickte ihn mitleidig an. Wie ironisch das doch war. Die Brüder, die die ganze Zeit zusammengehalten hatten, distanzierten sich ausgerechnet jetzt voneinander, wo ihre Eltern wieder zueinanderfanden. T.K. war anzusehen, wie sehr ihn das belastete. Kari beugte sich vor und griff nach seiner Hand. Sie fühlte sich warm unter ihrer eigenen an. „Alles wird gut. Irgendwie. Ihr müsst miteinander reden. Das schafft ihr schon, ihr seid doch Brüder.“ „Sind wir das?“, entgegnete er kühl. „Ja, seid ihr. Ihr müsst einfach zusammenhalten“, erwiderte Kari überzeugt und sah ihm fest in die Augen. „Das ist nicht so leicht, wenn er sich benimmt wie ein Idiot“, murmelte T.K. finster. „Aber er liebt dich, das weiß ich. Keine Ahnung, warum er sich so benimmt“, sagte Kari entschlossen. Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas. Kari hatte ihre Hand wieder zurückgezogen und sie stattdessen um den Teebecher gelegt. Nachdenklich starrte sie in ihre Tasse und beobachtete die sanften Bewegungen, die entstanden, wenn sie die Tasse leicht bewegte. „Aber sag mal“, fing T.K. an und Kari blickte auf, „warum willst du mir eigentlich nicht erzählen, was mit dir los ist? Oder eher los war?“ Sie wandte den Blick wieder von ihm ab. „Naja, also... du hast doch genug eigene Probleme. Da will ich dich nicht noch mit meinen nerven.“ T.K. sah sie schief an, streckte dann eine Hand aus und schnippte ihr mit dem Finger gegen die Stirn. „Dummkopf. Erstens habe ich keine Probleme und zweitens, egal, wie viele Probleme ich auch habe, ich werde mich immer für deine interessieren. Also, was ist los?“ Kari seufzte und erzählte ihm schließlich von dem Problem mit ihren Eltern. Er hörte die ganze Zeit aufmerksam zu und unterbrach sie kein einiges Mal. Hin und wieder nickte er, runzelte die Stirn oder nippte an seinem Tee. „Und das konnte ich dir eben nicht erzählen, weil deine Eltern immerhin geschieden sind und meine nicht. Aber nun ja, jetzt sieht es für deine Eltern besser aus als für meine“, schloss Kari ihren Bericht und lächelte traurig. „Aber du meintest doch, sie wollen sich nicht trennen?“, hakte er nach. „Schon, aber deswegen sind ja trotzdem nicht alle Streitigkeiten von jetzt auf gleich aus der Welt geschafft.“ „Stimmt auch wieder. Aber jetzt mal im Ernst“, er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf den Tisch, „ich habe immer Zeit für deine Probleme, ehrlich. Du würdest mich nie nerven.“ „Okay. Tut mir Leid, falls du dachtest, ich vertraue dir nicht genug oder so. Das ist es echt nicht.“ Er lächelte aufmunternd und wieder verstummte das Gespräch für eine Weile. Kari versank in ihren Gedanken. Sie musste an den mysteriösen Liebesbrief denken, den T.K. erhalten hatte. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, beschäftigte sie dieser Brief seit gestern Morgen, als T.K. ihn bekommen hatte. Wer hatte sich da in ihn verliebt und traute sich nicht, seine Identität preiszugeben? „Hast du eigentlich schon den Brief beantwortet?“ Die Frage war heraus, ohne dass sie viel darüber nachgedacht hatte, ob sie sie wirklich stellen sollte oder nicht. Sie spürte, dass ihre Wangen heiß wurden und wandte schnell den Blick von ihm ab. „Ähm... ja, gestern Abend“, antwortete er. „Hab ihr eine Mail geschrieben.“ „Mhm“, machte Kari und kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Stört's dich?“, fragte er zögerlich und sah ihr in die Augen. „Was? Nein, warum sollte mich das stören? Ich bin nur neugierig“, antwortete Kari etwas zu eilig und machte ein unbekümmertes Gesicht. „Ich frage mich, wer das nur sein könnte.“ „Ich mich auch“, meinte T.K. schulterzuckend. „Mal sehen, was sie antwortet.“ Kari nickte. Hätte er sie doch bloß nicht geküsst. _ „Okay, hier wohnst du also.“ Nami hatte ihre Schuhe ausgezogen und sah sich in dem winzigen, dunklen Flur um. „Es ist klein, aber es reicht“, meinte Joe und kratzte sich verlegen am Kopf. Er hatte den ganzen Tag mit Aufräumen und Putzen verbracht – obwohl ohnehin schon alles sauber und ordentlich war – bevor er Nami soeben von der U-Bahn-Station abgeholt hatte. Vom Flur gingen auf der rechten Seite eine kleine Küche und ein noch kleineres Bad ab und geradeaus erreichte man das Wohn- und Schlafzimmer der Ein-Raum-Wohnung. Joe beobachtete Nami dabei, wie sie sich umsah. „Schon hier sieht es typisch nach Mann aus“, sagte sie grinsend. „Findest du?“, fragte Joe. Sein Flur war vollkommen funktionsmäßig. Es gab hier ein kleines Schuhregal und zwei Haken, die Platz für Jacken boten. Sonst gab es hier nichts zu entdecken. „Ja, finde ich.“ Bestimmt ging sie ihm voran ins Wohn- und Schlafzimmer und sah sich auch dort neugierig um. Es gab ein Sofa, das jeden Abend zum Bett ausgeklappt wurde, einen Schreibtisch, einen Kleiderschrank, ein Bücherregal, zwei kleinere Schränke und einen Stuhl. „Gemütlich“, fand Nami, die mitten im Zimmerstand. Joe interessierte sich eher für sie als für sein Zimmer. Sie sah hübsch aus und es war das erste Mal, dass er sie ohne Schürze sah. Sie trug einen kurzen Rock und ein Oberteil, das ihr ein schönes Dekolletee zauberte. Die Haare hatte sie nicht, wie sonst im Café, zusammengebunden, sondern offen. Sie reichten ihr bis knapp unter die Schulter. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und musterte das Bücherregal. „Hast du die alle schon gelesen?“ „Nein, die habe ich mir angeschafft, weil ich sie sicher im Laufe des Studiums mal brauchen werde“, antwortete Joe. Nami sah ihn mit großen Augen an. „Sind die nicht ganz schön teuer? Es gibt doch Bibliotheken, oder nicht?“ „Ja, aber ich habe sie lieber selbst. Dann kann ich sie behalten“, sagte Joe. „Stimmt auch wieder. Und Notizen kannst du dir darin machen.“ „Ja.“ Er hasste es, in Bücher zu schreiben, aber das ließ er unerwähnt. Nami drehte sich lächelnd zu ihm um. „Wollen wir Essen machen? Ich habe heute den ganzen Tag noch nicht sonderlich viel gegessen.“ Joe war einverstanden und so gingen sie in die Küche und bereiteten gemeinsam das Abendessen vor. „Ehrlich gesagt dachte ich, du hast gar keine Lust mehr, dich mit mir zu treffen“, gestand Nami nach einer Weile. „Was? Warum?“, fragte Joe und spürte, dass er rot anlief. „Du bist auf meinen Wink mit dem Zaunpfahl nicht eingegangen“, sagte sie schief lächelnd. Nachdenklich runzelte Joe die Stirn. Welcher Wink mit dem Zaunpfahl? Meinte sie vielleicht das letzte Treffen im Café vor zwei Wochen? Da hatte sie ihm zumindest erzählt, dass sie sich für besondere Anlässe einen freien Abend nehmen konnte. Hatte sie damit etwa ihn gemeint? Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie an. „Achso. Entschuldige, in der Richtung steh' ich wohl immer ein bisschen auf dem Schlauch“, sagte er und lachte verlegen. Sie kicherte. „Hab' ich gemerkt. Naja, du hast mich ja doch noch gefragt.“ Ja, das hatte er. Er hatte irgendwie das Gefühl bekommen, dass er an der Reihe war, sich zu melden. Und weil Sora ihm einen „dezenten“ Hinweis gegeben hatte, wie sehr Nami sich über eine Nachricht von ihm freuen würde. Sie redeten während der Essensvorbereitung über alles Mögliche. Joe erzählte ihr von seinem Studium und den Menschen, die er bisher kennen gelernt hatte und Nami erzählte ihm die unglaublichsten Geschichten über manche Gäste ihres Cafés. Über Rentner, die in jungen Jahren in Pornofilmen mitgewirkt hatten, über eine Frau, die sich vor kurzem zum sechsten Mal hat scheiden lassen mit knapp vierzig Jahren, über Touristen, die sie entrüstet fragten, warum sie denn kein Sushi anbot, über Studenten, die gerade im dreiundzwanzigsten Semester studierten und der Meinung waren, sie müssten das Studentenleben eben auskosten und Nami fragten, warum sie denn um Himmelswillen nicht studiert hatte. Joe und sie hatten viel zu lachen bei all diesen Geschichten und allmählich fiel die Anspannung und Nervosität von ihm ab, die ihn gequält hatte, seit er sie gefragt hatte, ob sie ihn besuchen wollte. Sie aßen gemeinsam an dem kleinen Tisch für zwei Personen in der Küche und erledigten hinterher den Abwasch zu zweit, obwohl Joe ihn allein machen wollte. Nami hatte allerdings darauf bestanden, ihm zu helfen. „Ich kann das doch eh viel besser als du“, hatte sie gesagt und dabei gezwinkert. Dem konnte er nicht widersprechen. Anschließend sahen sie sich nebeneinander auf dem Sofa sitzend eine DVD an, einen Krimi, in dem sie beide versuchten, den Mörder zu erraten. „Ich bin mir sicher, dass es die Schwester war“, sagte Nami immer wieder. „Aber wer würde denn seine eigene Schwester umbringen?“, fragte Joe kopfschüttelnd. „Mensch, sie war eben eifersüchtig. Immerhin wurde ihr der Freund ausgespannt“, antwortete Nami bestimmt. „Aber deswegen bringt man doch niemanden um“, wandte Joe ein und warf Nami einen argwöhnischen Seitenblick zu. „Ich glaube, der Gärtner war es. Immerhin hatte sie ein Verhältnis mit ihm.“ „Du wirst schon sehen“, sagte sie mit theatralisch erhobenem Zeigefinger. Am Ende sollte Nami Recht behalten und die junge Frau wurde von ihrer eigenen Schwester ermordet. „Siehst du?“, sagte sie zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ehrlich gesagt beängstigt es mich ein wenig, dass du dich in die Mörderin einfühlen kannst“, gab Joe zu und grinste. „Tja, pass lieber auf“, entgegnete Nami lachend und berührte wie zufällig seinen Arm. Während der Abspann lief – und auch noch eine ganze Weile danach – saßen sie einfach nur nebeneinander auf dem Sofa und unterhielten sich. Dabei fand Joe heraus, dass Nami vor einem Jahr mit ihrem Ex-Freund Schluss gemacht hatte, obwohl sie eigentlich schon verlobt gewesen waren. Da Joe fühlte, dass sie nun wahrscheinlich erwartete, dass er von seinen nicht vorhandenen Ex-Freundinnen erzählte, wechselte er lieber schnell das Thema, um nicht zugeben zu müssen, dass er noch gar keine Erfahrungen in Sachen Liebe hatte. Und das mit achtzehn. Doch es kam, wie es kommen musste, und sie fragte ihn direkt danach. „Wie sieht es denn eigentlich bei dir aus? Gibt es eine Ehemalige?“, fragte sie unverblümt. „Naja“, stammelte Joe und kratzte sich verlegen am Kopf. „Ehrlich gesagt... nein.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und sah ihn überrascht an. „Nein? Gar keine?“ „Nicht wirklich“, murmelte Joe verlegen. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagte sie perplex. „Wie kommt das? Sind die Mädchen in der Umgebung denn alle blind?“ „Keine Ahnung, vielleicht...“, als er bemerkte, dass sie ihm gerade ein Kompliment gemacht hatte, lief er rot an und stotterte, „w-wer weiß. Ich ha-hatte bisher nicht so die Zeit für Mädchen. Schule und so.“ „Aber jetzt hast du Zeit?“, hakte sie nach und lächelte ihn an. „Ich glaub' schon“, nuschelte Joe und zwang sich, ihrem Blick standzuhalten. „Du bist echt süß, Jyou Kido“, sagte sie leise. Joe starrte sie an, bis sie unvermittelt aufstand und ihre Gläser in die Küche brachte. „Das war ein schöner Abend, aber ich muss echt nach Hause“, rief sie vom Flur aus. Joe brauchte einige Sekunden, bevor er auf diese Aussage reagieren konnte. Verwirrt stand er auf und ging zu ihr in den Flur, wo sie schon dabei war, ihre Schuhe anzuziehen. „Okay“, sagte er unsicher. Warum wollte sie denn jetzt so plötzlich gehen? Hatte er was Falsches gesagt? Lag es an seiner mangelnden Liebeserfahrung? Am liebsten hätte er sie gebeten, noch ein wenig länger zu bleiben. „Danke für den tollen Abend“, sagte sie und lächelte ihn noch einmal an, bevor sie aus der Wohnung ging. Ratlos schloss Joe die Tür hinter ihr. Kapitel 16: Mädelsabend ----------------------- Samstag, 6. Mai 2006   Die Golden Week war im Nu vorübergegangen und sie alle hatten sich von den ersten mehr oder weniger aufregenden Schulwochen erholt. Mimi hatte zu ihrer eigenen Überraschung viel Zeit damit verbracht, Mathe nachzuarbeiten und einige Aufgaben aus dem Mathebuch zu lösen, obwohl sie nicht ihre Hausaufgabe waren. Außerdem war sie noch shoppen gewesen. Das brauchte sie als Belohnung. Aufgeregt und bei bester Laune wartete Mimi auf das ersehnte Türklingeln. Sie warf einen letzten prüfenden Blick in die Küche, nur um erneut festzustellen, dass alles da war, was sie brauchten. Alle Pizzazutaten standen bereit, der Erdbeersekt wartete im Kühlschrank und die Frauenfilme lagen auf dem Tisch im Wohnzimmer. In ihrem eigenen Zimmer lagen die Gästefutons bereit. Ihre Eltern hatten sich für den heutigen Abend extra ausquartiert, um ihnen nicht im Weg zu sein, obwohl Mimi ihnen beteuert hatte, dass das nicht nötig war. Als Mimi gerade Sektgläser aus dem Schrank holte, klingelte es endlich an der Tür. Sie eilte durch den Flur, riss die Tür auf und strahlte Sora, Yolei und Kari an. „Hi!“, riefen sie alle wie aus einem Munde und lachten. Mimi trat zur Seite, um sie einzulassen und sofort war die geräumige Drei-Raum-Wohnung von Mädchenstimmen und Gekicher erfüllt. „Am besten, ihr bringt eure Sachen erst mal in mein Zimmer. Und dann können wir auch schon mit dem Abendessen anfangen. Ich habe einen Bärenhunger“, sagte Mimi und ging ihren Freundinnen voran in ihr Zimmer. „Wow! Das sieht aber gemütlich aus“, fand Yolei und betrachtete mit strahlenden Augen Mimis Zimmer. „So viel rosa.“ „Wo darf ich schlafen?“, fragte Kari und beäugte die Gästefutons. „Wo du willst“, antwortete Mimi und ging zu ihrem Bett. „Ich schlafe hier, der Rest ist mir egal.“ „Dann schlafe ich hier“, bestimmte Yolei und setzte sich auf die andere Seite von Mimis Bett. „Mein Bett zu Hause ist so viel kleiner als das hier.“ „Meins auch“, lachte Kari und hockte sich auf einen der Futons. Sora stellte ihren Rucksack ab und streckte sich. „Ich hoffe, Nami kommt heute allein klar.“ „Mach dir doch nicht solche Sorgen“, sagte Mimi abwinkend. „Sie ist das doch gewohnt. Sie wird es schon mal einen Abend ohne dich aushalten, oder nicht?“ „Ja, schon“, setzte Sora an, aber Mimi schnitt ihr das Wort ab. „Immerhin hat sie dich doch letztens auch allein gelassen, als sie ihr Date mit Joe hatte, oder?“ „Mit Joe?“, fragte Yolei verblüfft. „Unser Joe?“ „Mimi, schrei' doch nicht immer alles so heraus“, murmelte Sora und warf ihr einen strengen Blick zu. „Sorry, aber das ist doch kein Geheimnis, oder? Außerdem ist es doch was Schönes.“ Sie lächelte in die Runde und ging dann zurück in die Küche. „Wer hat Lust auf Sekt?“ Die anderen drei kamen ihr nach und betrachteten die Küche. Mimi war schon dabei, die vier Gläser mit Sekt zu füllen, ohne die Antworten abgewartet zu haben. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das so gut ist mit dem Sekt. Wir sind alle noch nicht volljährig“, meinte Kari stirnrunzelnd und beobachtete Mimi beim Eingießen. „Ach komm schon, Kari. Auf der Hanami hast du das auch nicht so gesehen, wenn ich mich richtig erinnere“, erwiderte Mimi, grinste die Jüngere an und drückte ihr ein Glas mit der erdbeerfarbenen Flüssigkeit in die Hand. „Und da warst du sogar ein bisschen beschwipst“, erinnerte sich Yolei und nahm ebenfalls von Mimi ein Glas entgegen. „Das war aus Versehen“, nuschelte Kari verlegen, behielt ihr Glas aber. Mimi reichte das dritte Glas an Sora weiter und behielt das Letzte. „Cheers, Mädels. Auf uns“, sagte sie feierlich und erhob ihr Glas. Klirrend stießen sie an und nippten an ihrem Erdbeersekt. „Lecker“, gab Kari zu und leckte sich über die Lippen. „Eben“, meinte Mimi lächelnd. „Außerdem will sich hier ja heute niemand betrinken.“ Sie stellte ihr Glas ab, ging zur Musikanlage neben dem Fernseher und schaltete das Radio an. Tanzend ging sie zurück in die Küche und zeigte den anderen dreien, was gemacht werden musste. Schließlich machten sich alle daran, Gemüse zu waschen und zu schneiden. „Jetzt erzählt doch mal, was nun mit Joe und Nami ist“, forderte Yolei neugierig und sah abwechselnd zwischen Sora und Mimi hin und her. „Also ich weiß nur, dass sie ein Date hatten“, sagte Mimi und richtete somit das Wort an Sora, auf der nun alle Blicke ruhten. „Naja, sie hat ihn eben in seiner Wohnung besucht“, erzählte Sora und zuckte mit den Schultern. „Und weiter? Weißt du, wie es gelaufen ist?“, hakte Yolei nach und machte große Augen, sodass sie vergaß, auf die Paprika zu achten, die sie gerade abwusch. Das Geräusch des fließenden Wassers nahm keiner von ihnen so wirklich wahr. „Sie meinte, es lief gut, aber...“ „Aber?“, fragten Mimi und Yolei, als Sora nicht weitersprach. Kari grinste und schüttelte den Kopf. „Sie war sich unsicher, ob das was wird“, erklärte Sora langsam. „Wegen des Altersunterschieds und so. Und zum Schluss sind sie sich nahe gekommen und dann wurde es ihr unangenehm. Sie meinte, sie wäre in einem unpassenden Moment gegangen.“ „Okay“, sagte Mimi und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Klingt seltsam.“ „Wie alt ist Nami noch mal?“, fragte Kari, die gerade damit beschäftigt war, Tomaten zu schneiden. „Siebenundzwanzig. Das sind immerhin acht Jahre“, antwortete Sora nachdenklich. „Ach Quatsch. Liebe kennt kein Alter“, meinte Mimi fröhlich und knetete energisch den Pizzateig im Rhythmus zu „My Humps“ von den Black Eyed Peas. „Das finde ich auch. Sie sollte sich nicht davon abschrecken lassen“, bemerkte Yolei, die endlich das Wasser abgestellt hatte. „Das ist ja so, als wäre ich mit einem Sechsjährigen zusammen“, warf Kari ein und verzog das Gesicht. Mimi konnte nicht anders als loszuprusten und auch die anderen beiden mussten lachen. „Du darfst dabei nicht vergessen, dass Joe schon volljährig ist“, erinnerte Sora sie. „Entschuldigt“, sagte Kari schnell. Sie war rot angelaufen. „Ich habe nur versucht, mir den Altersunterschied zu verdeutlichen.“ „Lass das lieber sein“, meinte Yolei und klopfte ihr auf die Schulter. „Jedenfalls finde ich es total süß und ich freue mich für Joe“, sagte Mimi mit strahlendem Lächeln. Sie lud den fertigen Teig auf ein Backblech und rollte ihn aus. „Hoffentlich wird es überhaupt was“, gab Yolei zu bedenken und rückte ihre Brille zurecht. „Aber selbst, wenn nicht, dann hatte er zumindest schon mal ein Date“, erwiderte Mimi zwinkernd. „Ich kann mir unseren Joe gar nicht so richtig mit einer Frau vorstellen“, sagte Kari und machte ein Gesicht, als versuchte sie, vor ihrem inneren Auge ein Bild von Joe und Nami zu produzieren. „Für Nami würde es mich auch freuen, wenn es klappt. Joe ist wirklich ein toller Kerl“, warf Sora lächelnd ein. „Apropos toller Kerl.“ Mimi drehte sich zu ihr um und kümmerte sich nicht mehr um ihren Teig. „Wie läuft es eigentlich mit Tai?“ Sora machte große Augen. „Mit Tai?“, fragte Yolei verdattert und starrte nun Sora an. „Oh, ich wusste es!“, rief Kari aus. „Autsch! Ich habe mich geschnitten.“ Während Kari zum Wasserhahn ging, um ihre Schnittwunde zu waschen, sahen Mimi und Yolei Sora erwartungsvoll an. „Was soll laufen? Nichts läuft. Es ist... schwierig“, murmelte Sora und wandte den Blick ab. Sie tat so, als wäre sie hochkonzentriert mit ihren Champignons beschäftigt. „Hä? Ich versteh' nur Bahnhof. Seid ihr zusammen? Warum kriege ich nichts mit?“ Yolei kratzte sich verwirrt am Kopf. _ Kari hatte es gewusst. Die ganze Zeit hatte sie geahnt, dass Tai in Sora verliebt war und während Mimi Yolei die Sache erklärte, hing Kari ihren Gedanken nach. Er redete so oft von ihr und wirkte in letzter Zeit irgendwie anders, allerdings hatte Kari sich nicht weiter darum gekümmert, weil sie das Problem mit ihren Eltern wichtiger fand. Aber offenbar war ihr großer Bruder unglücklich verliebt. „Ach so ist das“, sagte Yolei nickend. „Was sagt Matt denn dazu? Fühlt er sich nicht ausgeschlossen?“ Mimi machte ein abfälliges Geräusch. „Keine Ahnung, ob er das überhaupt weiß“, antwortete Sora. „Ich habe ihm nichts davon erzählt und wenn Tai es ihm gesagt hat, dann lässt er sich zumindest nichts anmerken. Ich glaube eh, dass Matt zur Zeit genügend eigene Probleme hat.“ „Welche denn? Sind ihm die Schlampen ausgegangen?“, fragte Mimi sarkastisch. „Mimi!“ Sora warf ihr einen verärgerten Blick zu. „Er hat Probleme mit der Versöhnung seiner Eltern, oder? Hat T.K. mir zumindest erzählt“, sagte Kari. „Versöhnung seiner Eltern? Sind die Eltern von Matt und T.K. etwa wieder zusammen? Warum kriege ich denn nichts mit?“, rief Yolei verzweifelt und raufte sich die Haare. „Das wusste ich aber auch noch nicht“, sagte Mimi mit hochgezogenen Augenbrauen. Geistesabwesend verteilte sie Tomatensoße auf dem Teig. „Das wissen die beiden selbst erst seit seiner Woche“, seufzte Sora. „T.K. ist ziemlich sauer auf Matt“, sagte Kari an Sora gewandt. „Warum?“, fragten Mimi und Yolei gleichzeitig. „Weil Matt nicht will, dass sie alle wieder eine Familie werden“, antwortete Kari. Mimi stöhnte auf. „Der Typ ist so ein Egoist. Der hat sie doch nicht mehr alle. Nicht mal seine Familie ist ihm wichtiger als er selbst.“ „Er macht sich nur Sorgen um T.K.!“, widersprach Sora heftig und sah Mimi erneut verärgert an. „Er will nicht, dass T.K. noch mal so enttäuscht wird, weil er nicht glaubt, dass das klappt mit ihnen.“ Kari sah Sora erstaunt an. Vielleicht sollte sie das mal T.K. weitersagen, damit die beiden sich wieder vertragen konnten. T.K. litt wirklich sehr unter dem Streit mit seinem großen Bruder, was ja auch kein Wunder war. Vielleicht würde die Information ihm helfen, ihn besser zu verstehen. „Sag mal, bist du in Matt verknallt, oder warum verteidigst du ihn dauernd?“, fragte Mimi und warf Sora einen genervten Blick zu. „Blödsinn!“, rief Sora. „Ich hasse ihn nur nicht sinnlos, so wie du.“ Kari war nicht entgangen, dass sich ihre Wangen rosa verfärbt hatten. „Sinnlos?“ Mimi starrte Sora wütend an, doch bevor sie zu einer Schimpftirade ansetzen konnte, fuhr Yolei dazwischen. „Jetzt streitet euch doch bitte nicht“, bat sie und stellte sich zwischen die beiden. Sie funkelten sich noch einige Sekunden an, bevor Mimi schließlich auf Sora zuging und ihre Hand nahm. „Entschuldige“, murmelte sie mit gesenktem Blick. „Schon gut“, sagte Sora lächelnd und drückte ihre Hand kurz. „Ich habe Matt gestern übrigens erzählt, dass ich schwanger bin.“ Kari klappte die Kinnlade herunter. Sie nahm das Geräusch von Yoleis Messer wahr, wie es klirrend zu Boden fiel. _ „D-du bist schwanger? Von Matt?“, stotterte Yolei und rang um Fassung. Mimi hatte ganz locker nebenbei die Pizza in den Ofen geschoben und nun saßen sie alle am Esstisch und starrten Mimi an. „Natürlich bin ich nicht schwanger“, erwiderte Mimi endlich und schüttelte unwirsch den Kopf. „Aber er soll es denken.“ „Mimi, das ist total daneben“, murmelte Sora, das Gesicht in den Händen vergraben. „Matt ist total daneben!“, protestierte Mimi. „Aber jetzt hat er ja wenigstens einen Grund.“ Sie lächelte triumphierend. „Aber warum machst du das?“, fragte Yolei bestürzt. Sie konnte nicht recht glauben, was sie da hörte. „Das ist total verrückt.“ „Er soll endlich mal nachdenken. Offensichtlich hat er das bisher nicht getan, aber ich glaube, jetzt macht er es.“ „Aber warum schläfst du denn überhaupt mit ihm, wenn du das so schrecklich findest?“, fragte Yolei verständnislos. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass ihre Mimi einen One-Night-Stand mit einem Typen hatte, und dann auch noch ausgerechnet mit Frauenheld Matt. „Er hat mich verführt und ich glaube, er hatte das von Anfang an geplant. Er war den ganzen Abend so nett zu mir und dann wollte er mir sein Hotelzimmer zeigen und...“ „Tai und ich haben dir doch gleich gesagt, was das heißt“, warf Sora verzweifelt ein. „... dann hat er mich auf niederträchtige Art und Weise verführt, obwohl wir Freunde waren. Er hätte die Finger von mir lassen sollen“, fuhr Mimi unbeirrt fort. „Oh Gott“, murmelte Kari und fuhr sich durchs Haar. „Mimi, bitte ruf' ihn sofort an und sag ihm, dass du gelogen hast“, bat Sora ruhig und sah Mimi fest an. „Das mache ich nächste Woche. Der soll sich jetzt ruhig mal ein paar Tage lang Gedanken machen“, antwortete Mimi gleichgültig. „Wie hat er überhaupt reagiert? Wie hast du es ihm gesagt?“, fragte Yolei. „Ich bin gestern einfach bei ihm zu Hause aufgetaucht und hab ihm gesagt, dass ich mit ihm reden muss. Da war er schon ziemlich überrascht. Dann sind wir in sein Zimmer gegangen und ich habe es ihm langsam erklärt. Er ist fast vom Stuhl gefallen und hat mich hundertmal gefragt, ob ich mir wirklich sicher bin und dass das ja eigentlich überhaupt nicht sein kann.“ Sie grinste. „Ich habe gesagt, mein Arzt hat es mir bestätigt und dass er sich schon mal überlegen soll, wie er den Unterhalt zahlen will.“ „Oh, Mimi“, seufzte Sora. „Ich kann ja verstehen, dass du wütend auf ihn bist, aber muss das denn sein? Er macht sich bestimmt total fertig.“ „Das war das Ziel der Sache“, erwiderte Mimi zufrieden. Yolei konnte immer noch nicht glauben, was sie da hörte. Das war irgendwie gar nicht mehr die Mimi, die sie kannte. „Jetzt schaut doch nicht alle so. Ich sag' es ihm doch nächste Woche und dann ist alles wieder gut. Los, wir wollen einen schönen Abend haben.“ Sie trank einen Schluck Sekt und stand dann auf, um die Pizza aus dem Ofen zu holen. „Du bist echt wahnsinnig“, murmelte Sora. Während des Essens fiel Yolei plötzlich eine Frage ein. „Ach, sag mal, Kari...“, setzte sie an. „Hm?“ Kari ließ ihre Gabel sinken und sah sie fragend an. „Was ist eigentlich aus T.K.s geheimer Verehrerin geworden?“ „Geheime Verehrerin?“ Nun wandte sich auch Mimi an Kari und musterte sie neugierig. Yolei erzählte ihr und Sora von dem mysteriösen Liebesbrief, woraufhin die beiden sie sofort mitleidig ansahen. Kari war ein wenig rot geworden und lächelte, doch es sah ziemlich gekünstelt aus. „Das ist sicher schwer für dich“, sagte Sora und seufzte. „Du Arme“, stimmte Mimi zu. „Nein, nein, das ist überhaupt nicht schwer für mich“, widersprach Kari schnell. Yolei tat sie eigentlich nur deswegen Leid, weil alle dachten, sie wäre in T.K. verliebt und sie nun als die arme Zurückgewiesene dastand. Niemand konnte anscheinend verstehen, dass sie und T.K. nur befreundet waren. „Und ich weiß übrigens nicht, was aus ihr geworden ist. Sie schreiben sich E-Mails, aber T.K. weiß noch nicht, wer sie ist“, sagte Kari an Yolei gewandt und aß unbeirrt ihr Pizzastück auf. Yolei entging der Blick nicht, den Sora und Mimi miteinander tauschten und sie schüttelte den Kopf. Nach dem Essen räumten sie gemeinsam die Küche wieder auf und machten es sich im Wohnzimmer auf der Couchlandschaft gemütlich. Mimi hatte Obst und Schokolade bereitgestellt, die ihnen den Abend ein wenig versüßen sollten. „Ich freue mich, dass ihr heute alle kommen konntet“, erklärte sie und lächelte in die Runde. „Wir müssen sowas unbedingt öfter machen“, stimmte Kari zu. _ Der Mädchenfilm, den sie sich angesehen hatten, war zwar witzig, aber hatte sie auch alle ziemlich müde gemacht. Vollgestopft gingen sie sich alle nacheinander die Zähne putzen und versammelten sich anschließend in Mimis Zimmer in ihren Betten. Sora musste erneut an Mimis vorgetäuschte Schwangerschaft denken. Sie stellte sich Matt vor, wie er den Verstand verlor, eine Zigarette nach der anderen rauchte und überlegte, wie er das seiner Familie beibringen sollte. Am liebsten würde sie ihn sofort anrufen und ihm sagen, dass es nur eine Lüge war. „Mimi, du musst Matt unbedingt sobald wie möglich aufklären“, sagte sie noch einmal und sah Mimi ernst an. „Fängst du schon wieder damit an“, murrte diese und verschränkte stur die Arme vor der Brust. „Ich mache es ja, wirklich. Aber du musst zugeben, dass er auch mal eine Abreibung verdient hat.“ „Also ich finde es auch nicht toll, was er macht. Man kann nur hoffen, dass T.K. nicht in seine Fußstapfen tritt“, mischte Yolei sich ein. „Das würde er nicht“, sagte Kari sofort. „Tz, das haben wir von Matt auch gedacht, als er so alt war wie T.K. jetzt“, meinte Mimi spöttisch. „Was hat ihn überhaupt dazu gebracht, so zu werden?“, fragte Yolei und sah Sora an. „Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht“, murmelte Sora. Sie glaubte, dass Matt sich durch die chaotischen Familienverhältnisse und die Arbeit für seine Band einfach einsam fühlte und irgendein Ventil brauchte. Sora und Tai hatten beide versucht, so gut es ging für ihn da zu sein und dafür zu sorgen, dass er sich geborgen fühlte, doch das schien nicht gereicht zu haben. Offenbar brauchte er diese ganzen Mädchen, um sich stark und geliebt zu fühlen. Aber Sora war keine Psychotherapeutin, weshalb sie ihre Vermutung nicht laut äußerte. „Er ist einfach ein Arschloch“, sagte Mimi gleichgültig. „Das reicht doch schon, oder nicht? Yolei, erzähl' mir lieber, warum du nicht Kens Freundin bist, sondern eine andere.“ „Hä?“, rief Yolei und lief auf der Stelle rot an. „Bitte was? Warum ich?“ Mimi kicherte. „Ich erinnere mich an früher. 'Ken sieht ja so cool aus. Er ist ein toller Typ.'“ Sie hatte Yoleis Stimme nachgeahmt und dabei ein verträumtes Gesicht gemacht. Kari lachte und Yolei runzelte peinlich berührt die Stirn. „Er hat eben eine andere“, nuschelte sie und ihre Finger spielten mit der Bettdecke. „Das habe ich schon gehört. Erzähl' mir lieber, warum“, antwortete Mimi zwinkernd. „Keine Ahnung“, murmelte Yolei. „Wir hatten einfach zu wenig Kontakt zueinander.“ Die anderen drei sahen Yolei fragend an. „Heißt das etwa, du bist in ihn verliebt?“, fragte Kari mit großen Augen. „Ich habe mich gleich gewundert, warum du so ruhig warst am Spieleabend. Also war es wegen Saki.“ „Ich bin nicht in ihn verliebt, aber irgendwie...“ Yolei kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Es nervt mich, dass er mit dieser Saki zusammen ist. Ich würde ihn auch gern jeden Tag sehen und enger mit ihm befreundet sein.“ „Das nennt man Eifersucht“, warf Mimi ein. „Ich finde es auch traurig, dass wir mit Ken nicht mehr so viel zu tun haben. Ich mochte ihn immer“, sagte Kari mit gesenktem Blick. „Ich mochte ihn auch sehr gern“, stimmte Sora ihr zu. „Aber mit Joe war es das Gleiche. Zu ihm hatten wir auch den Kontakt verloren, aber jetzt geht es wieder. Seit Mimi da ist.“ „Seit Mimi da ist, habe ich auch wieder mit Ken gesprochen“, fiel Yolei auf. „Und seit Mimi da ist, wirkt Izzy ein bisschen fröhlicher“, fügte Kari grinsend hinzu. „Offenbar haben wir dir einiges zu verdanken, auch wenn du vieles auf den Kopf stellst“, stellte Sora fest. Mimi lächelte verlegen. „Ich werde Matt am Montag die Wahrheit sagen.“ Sora nickte zufrieden. „Aber... Izzy wirkt fröhlicher?“, fragte Mimi plötzlich verblüfft. „Ja, das ist mir auch aufgefallen. Seit du da bist, ist er ein bisschen offener und redet mehr“, antwortete Yolei. „Izzy braucht eben jemanden, der ihn an die Hand nimmt und ihn ein bisschen aus der Reserve lockt“, sagte Sora. „Dann werde ich bis zum Ende des Schuljahres versuchen, aus Izzy einen extrovertierten Menschen zu machen“, sagte Mimi fest entschlossen und stemmte die Hände in die Hüften. Die anderen lachten nur. Kapitel 17: Aussprache ---------------------- Montag, 8. Mai 2006   Izzy war müde von den Ferien. Seine Eltern nutzten die freien Tage jedes Jahr, um alle möglichen Verwandten zu besuchen, die über ganz Japan verteilt waren. Das bedeutete meist viel Reisen, viele Gespräche und wenig Schlaf. Der wolkenverhangene Himmel an diesem Montag Morgen trug auch nicht gerade dazu bei, dass man sich wacher fühlte. Gähnend erreichte Izzy das Schulgelände, wo er Mimi am Eingang wartend fand. Es war höchst ungewöhnlich, dass sie vor ihm da war. „Guten Morgen“, begrüßte er sie erstaunt. „Oh. Guten Morgen, Izzy“, erwiderte sie und lächelte flüchtig. „Wollen wir rein gehen?“, fragte Izzy und war schon auf halbem Weg zum Hauptgebäude. „Nein, ich... ich warte noch auf Matt“, antwortete Mimi und zog Izzys Arm zu sich heran, um einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen. „Achso“, sagte Izzy, als hätte er ihre Antwort voll und ganz verstanden. Eigentlich redete sie seit Wochen nicht mehr mit Matt und jetzt stand sie hier und wartete auf ihn. Hatte er irgendetwas angestellt, weswegen sie ihn jetzt zur Schnecke machen wollte? Ein Regentropfen traf Izzys Wange. „Willst du nicht lieber drin warten? Es fängt gleich an zu regnen, so wie es aussieht“, meinte Izzy und blickte stirnrunzelnd in den Himmel. „Schon gut, ich warte hier. Geh doch schon mal rein, Izzy. Du musst nicht auf mich warten. Er kommt sicher gleich“, antwortete Mimi und sah in die Richtung, aus der Matt immer kam. Izzy wollte aber nicht schon rein gehen, sondern lieber Mimi noch ein wenig Gesellschaft leisten, wenn sie schon draußen im Regen stand. In diesem Augenblick kamen Tai, Kari, Davis und Sora angelaufen. Auch sie blieben bei den beiden stehen und sahen sie fragend an. „Was ist denn hier los? Wartet ihr auf jemand Bestimmten?“, fragte Davis und sah sich um, als erwartete er, irgendetwas Besonderes zu entdecken. „Auf Matt“, antwortete Mimi ihm knapp. „Wieso denn das?“, fragte Davis neugierig und hob eine Augenbraue. Auch er musste schließlich mittlerweile bemerkt haben, dass Matt und Mimi nicht gerade die besten Freunde waren. „Ich muss eben mit ihm reden“, murmelte Mimi und warf Davis einen Seitenblick zu. „Hä? Worüber denn?“, hakte Davis nach. Kari seufzte und griff nach seinem Arm. „Los, wir gehen schon rein. Ich habe Tropfen abbekommen.“ Sie zwinkerte Mimi zu und verschwand mit Davis im Schulgebäude. Sie verbrachten einige Minuten vor dem Schulgelände und unterhielten sich darüber, was sie in der Golden Week unternommen hatten, bis Tai einen prüfenden Blick auf sein Handy warf. „Ich glaube, wir sollten langsam rein gehen. Der Unterricht fängt in fünf Minuten an“, sagte er. „Vielleicht ist Matt ja schon drin“, vermutete Sora. „Das glaube ich nicht“, antwortete Mimi und blickte weiter in die Richtung, aus der Matt kommen müsste. „Dann wäre er wirklich viel, viel zu früh gekommen.“ „Er kommt heute nicht“, sagte Tai plötzlich und sah vom Display seines Handys auf. „Hab eine SMS von ihm.“ „Was?“, rief Mimi und starrte ihn an. „Warum?“ „Er schreibt, er fühlt sich nicht gut“, antwortete Tai und sah Mimi skeptisch an. „Was ist los mit dir? Planst du wieder irgendwas?“ Mimi und Sora tauschten einen vielsagenden Blick. Sora schnappte Tai das Handy aus der Hand, tippte darauf herum und hielt es sich ans Ohr. Izzy stand mit offenem Mund zwischen Tai und Mimi und fing Tais verwirrten Blick auf. „Weißt du, was hier abgeht?“, fragte dieser, worauf Izzy nur langsam den Kopf schütteln konnte. „Sein Handy ist aus“, berichtete Sora. Auf ihrer Stirn hatten sich Sorgenfalten gebildet. „Was ist, wenn er irgendwelche dummen Gedanken hat?“ Völlig perplex beobachtete Tai sie. „Er hat immer dumme Gedanken. Aber was ist denn hier los?“ Die Schulglocke ließ sie alle zusammenzucken. „Ich gehe ihn suchen“, bestimmte Sora. „Nein, das mache ich“, widersprach Mimi fest. „Mimi, aber...“ „Nein, Sora, das ist meine Sache. Ich mach' das schon.“ „Könnt ihr jetzt mal erklären, was zur Hölle passiert ist?“, rief Tai genervt und sah abwechselnd zwischen den Mädchen hin und her. „Ich... ich habe ihm gesagt, ich wäre schwanger von ihm, aber das war eine Lüge“, erklärte Mimi betreten. „Was?!“, rief Izzy fassungslos und starrte sie an. „Bist du denn total bescheuert?“, fuhr Tai sie an. „Das ist überhaupt nicht witzig. Wer weiß, was er jetzt vorhat.“ Tai sah aus, als würde er am liebsten auf Mimi losgehen. Sora legte eine Hand auf seinen Arm, um ihn zu beruhigen, doch er schüttelte sie ab. „Ich gehe ihn jetzt suchen“, beschloss Mimi. „Bitte entschuldige mich bei Frau Yamamoto, okay Izzy?“ „Ähm... okay“, willigte Izzy ein, der noch immer mit der Situation überfordert war. „Und ihr macht euch keine Sorgen. Ich finde ihn schon. Ich melde mich, wenn ich Hilfe brauche“, sagte Mimi an Tai und Sora gewandt, drehte sich um und rannte los. „Die spinnt doch“, grummelte Tai und starrte ihr hinterher. „Los, gehen wir rein“, sagte Sora, deren Gesicht noch immer von Sorgen sprach. _ Es hatte inzwischen angefangen zu regnen und es dauerte nicht lange, bis Mimis Haar ihr in feuchten Strähnen ins Gesicht fiel. Sie rannte so schnell sie konnte zu dem Haus, in dem sich die Wohnung von Matt und seinem Vater befand. Zwischendurch musste sie allerdings gehen, da sie völlig außer Atem war. Sie klingelte unten an der Haustür, aber niemand antwortete. Zufällig kam gerade eine ältere Dame, die offenbar auch Bewohnerin des Hauses war und ließ Mimi hinein. Sie stürmte die Treppen hinauf zur Wohnung der Ishidas und klingelte noch einmal, doch wieder kam keine Antwort. Sie lauschte an der Tür, doch es war nichts zu hören. Offenbar war wirklich niemand zu Hause. Erschöpft hockte Mimi sich vor die Tür und überlegte. Wo sollte sie hin? Wo sollte sie nur nach ihm suchen? Vielleicht hätte sie doch besser Sora mitnehmen sollen. Der fielen sicher mehr Plätze ein, an denen Matt sich aufhalten könnte. War er vielleicht im Proberaum der Tokyo Rebels? Sora hatte ihr mal erklärt, wo in etwa der Raum lag und Mimi hatte zumindest grob verstanden, um welches Gebäude es sich handelte. Also lief sie die Treppen wieder hinunter und ging zur nächsten Bushaltestelle. Sie stieg in den Bus und fuhr zu dem Gebäude, von welchem sie meinte, das wäre das Richtige. Die Leute im Bus warfen ihr neugierige und teilweise auch missbilligende Blicke zu. Kein Wunder. Immerhin war sie Schülerin und hatte sich zu dieser Zeit nicht in Bussen aufzuhalten, sondern im Unterricht zu sitzen. Als sie ausstieg, war sie sich nicht mehr so sicher, am richtigen Ort zu sein. Hier war ziemlich wenig los, doch das Gebäude, an das sie gedacht hatte, passte auf Soras Beschreibung. Sie ging hinein und fand prompt das Logo der Tokyo Rebels mit einem Hinweispfeil. Sie folgte der Richtung und fand eine Tür, auf welcher erneut das Logo prangte. Sie klopfte hastig an und rief Matts Namen, doch niemand antwortete. Als sie die Klinke herunterdrückte, musste sie feststellen, dass die Tür verschlossen war. Also war er hier anscheinend auch nicht. Mimi seufzte und verließ das Gebäude wieder. Fieberhaft überlegte sie, wo sie noch nach Matt suchen sollte. Sie beschloss, es als nächstes mit der Stelle im Park zu versuchen, an der sie Hanami und Tais Geburtstag gefeiert hatten, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, dass Matt bei diesem Wetter im Park herumlungerte. Zwanzig Minuten später kam sie im Park an und hielt Ausschau. Im Lauftempo durchquerte sie den ganzen Park, als sie Matt an der vermuteten Stelle nicht fand, doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Sie versuchte, ihn auf dem Handy anzurufen, doch er hatte es immer noch ausgeschaltet. Vielleicht war er in Nami's Café? Nein, das machte erst um zehn auf, soweit Mimi wusste. Vielleicht saß er in irgendeiner anderen Gaststätte, doch Mimi konnte unmöglich alle absuchen. „Was soll ich nur machen?“, fragte sie sich selbst und sah sich um, als könnte sie ihn im Park übersehen haben. Mittlerweile fror sie, weil ihre Kleidung nass war, doch das war ihr im Moment egal. Erst einmal wollte sie Matt finden und mit ihm reden, um ihr Gewissen zu beruhigen. Wer konnte auch ahnen, dass so etwas dabei herauskam? Matt sollte einfach nur mal über sein Verhalten und dessen Konsequenzen nachdenken und nicht gleich abhauen, ohne irgendjemandem zu sagen, wo er war. Ziellos lief Mimi durch die Gegend, die Augen offen haltend. Jedes Mal, wenn sie irgendwo einen Menschen mit blondem Haar sah, wurde sie aufmerksam, doch Matt war einfach nicht dabei. Sie ging zum Meer und lief durch den feuchten Sand, der unter ihren Füßen knirschte. Es wehte ein starker Wind, der das Wasser aufbrauste und weiter an den Strand spülte als normalerweise. Kaum jemand war hier. Sie sah eine Person, die mit einem Hund spazieren ging und eine Person, die im hohen Bogen Steine ins Wasser warf. Mimi lief an der Person mit dem Hund vorbei. Es handelte sich um einen älteren Herren, der seinen Kopf unter einer Kapuze verborgen hatte. Das Fell des Hundes war nass und er trug einen Stock im Maul mit sich herum. In Momenten wie diesen war Mimi froh, keinen Hund zu haben. Sie hätte keine Lust, bei Wind und Wetter mit dem Tier Gassi zu gehen. Als Mimi sich der anderen Person näherte, drehte diese sich zu ihr um, weil sie sie bemerkt haben musste. Zu ihrer Verblüffung stellte sie fest, dass es Matt war. Auch er hatte eine Kapuze auf, die sein blondes, markantes Haar verbarg. Vor Überraschung klappte Mimi die Kinnlade herunter. Matt schien nicht minder überrascht über ihr Erscheinen. „Du siehst schrecklich aus“, sagte er zur Begrüßung und musterte sie von oben bis unten. „Charmant“, antwortete sie und rieb sich die Hände in der Hoffnung, sie würden dadurch wärmer. „Ich hab' dich überall gesucht.“ „Weshalb denn?“, fragte er und schleuderte einen weiteren Stein ins Meer. Mit einem Platschen tauchte er in einigen Metern Entfernung in das tosende Wasser ein. „Ich muss mit dir reden“, eröffnete sie das Gespräch. „Ich habe gelogen. Ich bin nicht schwanger.“ _ „Jetzt mach dir doch nicht solche Sorgen“, flüsterte Tai Sora zu, die die ganze Stunde damit verbrachte, geistesabwesend aus dem Fenster zu starren. „Du hast dir doch auch Sorgen gemacht“, murmelte sie. „Ach, das hab' ich doch nur gesagt, damit Mimi ein schlechtes Gewissen kriegt“, erwiderte er abwinkend. „Matt ist schon groß, weißt du?“ „Aber er ist so...“ „So was?“ „Ach, vergiss es.“ Sie stützte den Kopf auf der Hand ab und starrte wieder aus dem Fenster. Tai verstand absolut nicht, weshalb sie sich solche Gedanken machte. Er selbst machte sich viel mehr Gedanken um Mimi, die er gern an die Wand klatschen würde. Sie kam hierher, hüpfte mit dem nächstbesten Typen ins Bett und gab ihm hinterher die alleinige Schuld dafür, dass sie sich nun gekränkt und in ihrem Stolz verletzt fühlte, anstatt den Fehler bei sich selbst zu suchen. Tai konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Matt sie zu irgendetwas gedrängt hatte. Und nun behauptete sie auch noch, sie wäre schwanger. So langsam ging ihm dieses Mädchen schwer auf die Nerven. Das Läuten der Schulglocke verkündete das Ende der Stunde und Tai stand seufzend auf. Endlich war die erste Stunde vorbei. „Bitte legt eure Aufsätze vorn auf dem Lehrertisch ab“, rief Frau Shiba durch den Raum, um das allgemeine Stühlerücken zu übertönen. „Oh, Scheiße!“, fluchte Tai. „Diesen dämlichen Aufsatz habe ich ja komplett vergessen.“ Wer gab auch schon über die Ferien das Schreiben von Aufsätzen auf? Und dann auch noch darüber, wie man Gewalt an Schulen vermeiden konnte. Und das zu allem Überfluss auch noch auf Englisch. Sora sah ihn an. „Ach, das hätte ich ja fast vergessen.“ Sie wühlte in ihrer Tasche und holte einen Hefter hervor. Tais Englisch-Hefter. „Den hat Mimi mir am Wochenende gegeben. Du hast ihn bei ihr vergessen.“ „Danke“, murmelte Tai. „Aber das bringt mir jetzt auch nichts.“ Aber als er durch die Deckfolie etwas ihm Unbekanntes entdeckte, stutzte er. Da waren ein paar mit dem Computer geschriebene Seiten und der Überschrift „Violence in school and how to prevent it“. Oben links in der Ecke stand sein Name. Langsam nahm er die Seiten heraus und musterte sie argwöhnisch. Es waren fünf Stück, mehr als verlangt. „Hat Mimi das geschrieben?“, fragte er und sah auf. „Keine Ahnung. Sie hat ihn mir nur in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll ihn dir zurückgeben“, antwortete Sora und betrachtete nun ebenfalls die Seiten. „Gebt ihr mir bitte eure Aufsätze? Ich muss weiter in die nächste Stunde“, forderte Frau Shiba sie auf und warf ihnen einen ungeduldigen Blick zu, während sie am Lehrertisch ihre Sachen zusammenpackte. _ Auf der Unterlippe kauend sah T.K. sich im Schulgebäude um, während seine Klasse den Raum wechselte. Er suchte nach dem mysteriösen Mädchen, das ihm schrieb, wollte unbedingt wissen, wer sie war. In ihren E-Mails wirkte sie sympathisch und intelligent, wenn auch zurückhaltend. Bisher konnte er die in Frage kommenden Mädchen zwar eingrenzen, aber die Beschreibung passte trotzdem noch auf einige Mädchen. Miss Unbekannt, wie er sie einfach nannte, ging dieses Jahr nicht in seine Klasse, wollte ihm aber nicht verraten, ob sie letztes Jahr in der gleichen Klasse waren. Auf jeden Fall aber waren sie im selben Jahrgang. Sie trug keine Brille und hatte langes, schwarzes Haar. Die Mittagspausen verbrachte sie wie die meisten anderen Schüler in der Mensa beim Mittagessen und achtete meist darauf, vegetarisch zu essen. Dies waren jedoch alles keine entscheidenden Hinweise. Im Schulgebäude liefen sie an einer der beiden Parallelklassen vorbei und T.K. erblickte Shiori, auf die die Beschreibung bisher passte. Absichtlich sah er ihr direkt in die Augen und lächelte leicht, als er an ihr vorbeilief. Sie fing seinen Blick auf und lächelte zurück. „Glaubst du, das war sie?“, fragte Kari, die ihn offensichtlich beobachtet hatte. „Keine Ahnung“, erwiderte er schulterzuckend. „Vielleicht.“ „Shiori ist ziemlich hübsch“, meinte Kari beiläufig. „Ja, finde ich auch“, sagte T.K. und drehte sich noch einmal nach ihr um. Er wusste schon, was er in seiner heutigen Mail schreiben würde. _ „Hier, willst du das haben?“ Matt zog ein schwarzes T-Shirt mit dem aufgedruckten Logo der Band Motörhead aus seinem Kleiderschrank. „Ja, passt schon“, murmelte sie und entledigte sich ohne Vorwarnung des durchgeweichten Oberteils ihrer Schuluniform. Matt verdrehte die Augen und ging aus dem Zimmer. „Was denn? Du weißt doch eh schon, wie ich nackt aussehe“, rief sie ihm nach. Er achtete nicht auf sie, sondern ging in die Küche und befüllte den Wasserkocher. Nachdem sie ihm ihre Lüge gestanden hatte, hatte er sie mit zu sich nach Hause genommen, um mit ihr zu reden. Und weil sie total nass war. Matt war fast schon gespannt, was sie ihm jetzt wieder erzählen würde. Er goss das kochende Wasser in zwei Tassen, warf ein paar Teeblätter dazu und stellte sie auf dem kleinen Esstisch ab. In diesem Moment erschien Mimi in der Küche, nur mit seinem T-Shirt bekleidet und einem Handtuch, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte. „Danke“, murmelte sie und setzte sich. Sie legte die rot angelaufenen Finger um die Tasse und starrte in ihren Tee. „Kannst du mir jetzt vielleicht sagen, warum du so einen Scheiß erzählst?“, fragte Matt und sah sie über den Tisch hinweg an. Auch er hatte sich inzwischen hingesetzt. „Ich wollte dir einfach eins auswischen“, antwortete sie und machte ein schmollendes Gesicht. „Ich dachte, so bekommst du mal einen Schreck und denkst darüber nach, was du machst.“ Matt stieß einen Seufzer aus. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum mich diese Sache zu einem schlechteren Menschen macht als dich. Ich meine, was hast du anders gemacht als ich?“ „Ich habe nicht angefangen, dich zu verführen!“, begehrte Mimi auf und funkelte ihn an. „Aber du hast dich darauf eingelassen und das hat mich nicht gerade viel Mühe gekostet“, erwiderte Matt ruhig. „Aber ich springe nicht mit jedem in die Kiste, der nicht bei Drei auf den Bäumen ist!“, rief Mimi wütend und sprang auf. Sie stützte ihre Hände auf dem Tisch ab und starrte ihn an. Matt blieb gelassen. Er hatte keine Lust, sich mit ihr zu streiten. „Du vergisst, dass immer zwei dazugehören.“ „Mein Gott, Matt!“, stöhnte Mimi und riss sich das Handtuch vom Kopf. Sie warf es über ihre Stuhllehne und begann, das lange Haar mit den Fingern zu kämmen. „Du bist hier in der Gegend so eine Art Idol. Ein Mädchenschwarm. Natürlich interessieren sich viele Mädchen für dich, aber das solltest du nicht so ausnutzen. Du solltest auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen und darauf, dass sie vielleicht in dich verliebt sind und dir deshalb so nahe sein wollen.“ „Wie können sie in mich verliebt sein, wenn sie mich überhaupt nicht kennen?“, fragte Matt. „Ich bin doch genauso eine Fremder für sie wie sie für mich.“ „Du willst einfach nicht verstehen, dass du eine Verantwortung hast bei deinem ganzen Treiben“, rief Mimi theatralisch. „Und du willst meinen Standpunkt einfach nicht verstehen, weil du auf der Seite der deiner Meinung nach Geschädigten stehst“, antwortete Matt. „Nee, deinen Standpunkt will ich wirklich nicht verstehen“, erklärte sie stur und verschränkte die Arme vor der Brust. Matt sah sie einige Sekunden lang an, bevor er aufstand, um den Tisch herumging und zu ihr trat. „Hör mal“, sagte er leise, „wir haben eben zwei unterschiedliche Meinungen. Können wir es einfach dabei belassen und die Sache jetzt vergessen? Wir sind ja jetzt sowieso quitt.“ Er bot ihr eine ausgestreckte Hand an. Mimi sah kurz auf seine Hand, bevor sie ihm misstrauisch in die Augen sah, als versuchte sie, in ihnen abzulesen, ob er es auch wirklich ernst meinte. Schließlich nahm sie seine Hand und drückte sie kurz. Ihre Finger waren kalt. „Wir hatten nicht gerade den besten Start hier“, sagte er mit einem schiefen Lächeln, als er ihre Hand losließ. „Nein“, stimmte sie ihm zu. „Jetzt können wir ja noch mal von vorn anfangen.“ _ „Sie hat ihn gefunden und es ist alles in Ordnung“, berichtete Sora mit einem Seufzer der Erleichterung und steckte ihr Handy zurück in ihre Tasche. „Na siehst du“, meinte Tai und zuckte mit den Schultern. „Du hast dir völlig umsonst den Kopf zerbrochen.“ Sora verdrehte die Augen. „Hoffentlich beruhigt sich die Beziehung zwischen den beiden jetzt endlich mal ein bisschen.“ „Hoffentlich nicht zu sehr“, sagte Tai mit einem vielsagenden Grinsen auf den Lippen. „Sagt mal, habt ihr Matt heute schon gesehen?“ Sora und Tai drehten sich zu T.K., der neben ihnen aufgetaucht war und Tai fragend ansah. „Nein, er ist...“, setzte Tai an, doch Sora schnitt ihm eilig das Wort an. „... krank. Ihm geht es heute nicht gut.“ Nun wandten sich die beiden an sie und sahen sie erstaunt an. „Oh, okay“, erwiderte T.K. „Weißt du, ob er morgen wiederkommt?“ „Bestimmt. Mach dir keine Sorgen“, sagte sie lächelnd. T.K. machte ein nachdenkliches Gesicht, nickte und ging wieder zurück zu seiner Gruppe. „Warum sagst du, Matt sei krank?“, fragte Tai und sah sie verwundert an. „Überleg' doch mal“, antwortete Sora ungeduldig. „Die beiden verstehen sich ohnehin gerade nicht besonders gut und wenn ich ihm jetzt noch das mit der vorgetäuschten Schwangerschaft erzähle, trägt das bestimmt nicht dazu bei, dass sie sich wieder vertragen. Außerdem erzählst du Kari bestimmt auch nicht alles.“ Sie sah ihn forschend an, bis er den Blick abwandte. „Stimmt wohl.“ _ Es war bereits später Nachmittag, als Mimi sich auf den Weg nach Hause machte. Weder sie noch Matt hatten Lust gehabt, doch noch zur Schule zu gehen und so hatten sie den Tag damit verbracht, sich so gut es eben ging auszusprechen. Matt hatte ihnen etwas zum Mittag gekocht und Mimi war beeindruckt von seinen Kochkünsten. Außerdem hatten sie über alles Mögliche, was in den letzten Jahren passiert ist, geplaudert und Mimi war überrascht, wie gut man sich mit Matt unterhalten konnte. Vielleicht würde sie ja eines Tages seinen Standpunkt zumindest ansatzweise verstehen. „Achso.“ Mimi hatte sich noch keine drei Schritte von der Wohnung entfernt, als sie stehen blieb und sich umdrehte. „Hm?“ „Das Angebot mit dem Auftritt steht übrigens noch“, sagte Matt, lächelte flüchtig und schloss dann die Tür. Erst, als Mimi schon fast zu Hause war, fiel ihr ein, was für ein Auftrittsangebot er meinte. Jenes Angebot, das er ihr gemacht hatte, bevor er sie verführt hatte. Oder war es sogar dieses Angebot, weshalb sie sich überhaupt hatte verführen lassen? Sie wusste es nicht. Und sie wusste auch nicht, wie sie jetzt auf das Angebot reagieren sollte. Wenn sie es annahm, würde das wohl bedeuten, dass sie endlich alle Streitigkeiten geklärt hatten und wieder Freunde waren. Und falls sie es nicht annahm... nun, dann konnte das genauso gut bedeuten, dass sie schlicht und einfach nicht auftreten wollte. „Bin zu Hause“, rief sie, als sie die Wohnungstür hinter sich schloss. „Na endlich.“ Satoe streckte den Kopf aus dem Wohnzimmer und musterte sie neugierig. „Wo warst du denn noch? Der Unterricht ist doch schon seit einer Weile vorbei.“ „Bei Matt“, antwortete Mimi. Dass sie die Schule geschwänzt hatte, erwähnte sie lieber nicht. „So?“ Satoe hob eine Augenbraue und sah sie misstrauisch an. „Weißt du, Honey, du hast ziemlich viel Kontakt zu Jungs. In New York war das nicht so.“ „Man kann auch mit Jungs befreundet sein, Mama“, murmelte Mimi, während sie sich die Schuhe abstreifte. Sie lief an ihrer Mutter vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Satoe kam ihr nachgelaufen und setzte sich neben sie. „Tja, weißt du, ich mache mir nur Sorgen, dass... naja, irgendwas passieren könnte“, stammelte Satoe mit gesenktem Blick. „Was soll denn passieren?“, fragte Mimi mit einer Ahnung im Hinterkopf. „Naja... also, ich habe Angst, dass ich schon sehr zeitig Großmutter werde, weißt du?“ Sie machte ein betrübtes Gesicht, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Mimi starrte sie entgeistert an. „Mama, ich bin sechzehn. Und überhaupt, was denkst du eigentlich von mir?!“ Sie sprang auf und stürmte in ihr Zimmer. „Mimi, das war doch nicht so gemeint!“, hörte sie ihre Mutter noch rufen, doch sie hatte die Tür zugeknallt und griff mit hochrotem Gesicht nach dem Telefon. _ „Mimi, ich muss arbeiten“, beantwortete Sora unwirsch den Anruf auf ihrem Handy. „Ich wollte dir sowieso nur kurz erzählen, dass Matt und ich uns ausgesprochen haben“, sagte Mimi und legte wieder auf. Sora sah stirnrunzelnd ihr Handy an, legte es zurück auf seinen Platz hinter dem Tresen und machte eine Bestellung fertig. Sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken, was Mimi ihr gerade erzählt hatte. Als sie die Bestellungen an den richtigen Tisch brachte, lief sie zufällig an Joe vorbei, der auf einem Platz am Fenster saß und gedankenverloren hinaus starrte. „Joe“, sagte sie und blieb mit dem Tablett in den Händen stehen. Er zuckte zusammen und drehte sich zu ihr um. „Hi.“ „Warte, ich bin gleich wieder bei dir“, sagte sie und brachte die Bestellung weg. Sie ließ den Blick kurz durch das Café schweifen, stellte fest, dass alle zufrieden schienen, und setzte sich dann auf den Platz neben Joe. „Nami kommt heute leider nicht mehr“, eröffnete sie das Gespräch. „Sie war heute bis um fünf hier.“ „Ich weiß“, seufzte Joe, den Kopf auf die Hand gestützt. „Ich bin mit Izzy verabredet.“ „Achso“, erwiderte Sora und legte den Kopf schief. Das hatte Izzy gar nicht erzählt, aber sie hatte heute fast nichts mit ihm geredet. „Wie geht’s dir, Joe?“ Er sah sie fragend an. „Gut, alles in Ordnung.“ Sora nickte nachdenklich. Sie wollte ihn nicht auf Nami ansprechen, wenn er von selbst nicht darüber redete. Eigentlich ging sie das ja auch gar nichts an. „Und bei dir? Musst du heute lange arbeiten?“, fragte Joe. „Bis wir schließen“, antwortete Sora seufzend. „Joe schob seine Brille zurecht. „Alles für die Zukunft, hm?“ „Alles für die Zukunft“, bestätigte Sora und stand auf. Ein Tisch wollte zahlen. _ Hey Takeru, deine letzte Mail war wirklich süß. ;) Habe mich sehr gefreut. Ich will dich auch sehr gern treffen, aber alles zu seiner Zeit. Habt ihr heute auch diesen Geschichtstest bei Frau Yamamoto geschrieben? Bis auf die letzte Frage war er wirklich einfacher, als ich gedacht habe. Aber die letzte Frage war wieder typisch Yamamoto. Heute in der Schule haben wir uns übrigens einmal genau angesehen. Wenn du also nicht völlig kopflos durch die Gegen läufst, dann hast du hiermit wieder einen weiteren Tipp, wer ich sein könnte. ;) Falls dich das noch interessiert, meine ich natürlich. Vielleicht verrate ich dir in der nächsten E-Mail, welchen Club ich nach dem Unterricht besuche. Nachdenklich las T.K. die E-Mail noch einmal durch und überlegte, ob ihm heute in der Schule jemand aufgefallen war, der ihn angesehen hatte. Shiori, ja. Vielleicht handelte es sich bei dem ominösen Mädchen wirklich um Shiori. Das wäre schön, denn dann wäre das über Internet so sympathisch wirkende Mädchen auch noch hübsch. Als er sich gerade Shioris Gesicht vorstellte, schob sich irgendwie das von Kari dazwischen. Wie immer, wenn er versuchte, sich auszumalen, wie Miss Unbekannt wohl aussehen könnte. Warum nur? Nur, weil er sie an diesem einen Abend kurz geküsst hatte? Er konnte sich nicht erklären, was um Himmelswillen ihn in diesem Augenblick dazu gebracht hatte, das zu tun. Je länger und öfter er darüber nachdachte, desto mehr verwirrte es ihn. Kari war seine beste Freundin und fertig. Diese Position in seinem Leben konnte ihr niemand streitig machen und es nervte ihn, wie oft sie von Leuten, die sie nur oberflächlich kannten, gefragt wurden, ob sie ein Paar waren. Es nervte ihn, dass es anscheinend niemand für möglich hielt, dass ein Junge und ein Mädchen auch einfach nur befreundet sein konnten, ohne sich sofort ineinander zu verknallen. Er schüttelte den Kopf, als könnte er diese Gedanken damit vertreiben und tippte eine Antwort in den Computer. Hey Miss Unbekannt, das klingt so, als müsste ich mich noch gedulden, bis ich endlich weiß, wer du bist. Ja, den Test haben wir heute auch geschrieben und ich habe das Gleiche wie du gedacht, als ich die letzte Frage gesehen habe. Aber die Antwort dazu stand im Geschichtsbuch. ;) Normalerweise laufe ich nicht kopflos durch die Schule und ich erinnere mich, dass mich heute wirklich jemand angesehen hat. Jetzt habe ich eine Vermutung, wer du sein könntest, aber ich glaube, ich warte noch auf den nächsten Tipp, bevor ich dir das sage. Und mich interessiert das natürlich noch. Bin auf den nächsten Tipp gespannt. T. _ Izzy kam natürlich pünktlich, wie immer. Etwas anderes hatte Joe von ihm auch nicht erwartet. „Hi, wartest du schon lang?“, fragte Izzy und setzte sich auf den Stuhl, auf dem bis vor wenigen Minuten noch Sora gesessen hatte. „Nein“, antwortete Joe abwinkend. „Alles gut.“ Izzy lächelte verlegen und bestellte sich bei Sora einen Kaffee. Anschließend sah er Joe fragend an. „Also, was hat denn dein Laptop für ein Problem?“ Joe holte den kleinen Laptop aus seiner Tasche hervor und platzierte ihn vor Izzy. „Ich kann mich in keine W-Lan-Netze mehr einloggen und habe keine Ahnung, wieso“, erklärte Joe und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Es wäre super, wenn du dir das mal ansehen könntest.“ „Na klar“, erwiderte Izzy, schaltete den Laptop an und tippte sogleich darauf herum. „Studieren ohne Internet ist ziemlich schwierig“, fügte Joe hinzu. „Das glaube ich dir. Ich schaue mal, ob ich irgendwas machen kann.“ Izzys Blick war wie gebannt auf den Bildschirm gerichtet und wurde von diesem leicht beleuchtet. Joe grinste. Izzy war einfach immer noch der Alte. Sobald er sich mit Computern beschäftigen konnte, war er wie weggetreten und bekam fast nichts mehr mit. Deshalb ließ Joe ihn einfach machen und richtete seinen Blick wieder aus dem Fenster. Er beobachtete die Leute, die vorbeiliefen und alle mehr oder weniger gehetzt wirken. Dabei dachte er, wie so oft in den letzten Tagen, über Nami nach. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, ob er ins Café kommen sollte, wenn sie da war, um mit ihr zu reden, ihr schreiben sollte, sie anrufen sollte … „So“, sagte Izzy und drehte den Laptop wieder zu Joe herum. „Jetzt müsste es wieder gehen.“ „Wow, so schnell?“, fragte Joe staunend. „Ja, da hat sich nur was verstellt. Hab' es wieder richtig gestellt“, verkündete Izzy schulterzuckend. Joe hob eine Augenbraue und öffnete testweise sein E-Mail-Postfach. Tatsächlich, er hatte soeben neun Mails empfangen. „Vielen Dank, Izzy“, sagte er erleichtert und lächelte. „Ich wusste, dass man sich auf dich verlassen kann.“ Izzy kratzte sich am Kopf und grinste schief. „War nicht schwer.“ Joe überflog kurz die Absender der E-Mails und wollte den Laptop wieder ausschalten, doch da entdeckte er eine Nachricht von Nami. Lieber Joe, bitte entschuldige mein komisches Verhalten am Samstag. Ich war wohl ein bisschen neben der Spur. Mir hat der Abend mit dir wirklich gut gefallen. Man kann super mit dir reden und Spaß haben und ich will mich wirklich weiter mit dir treffen, aber ich glaube, mir ging es doch ein bisschen zu schnell. Es fällt mir schwer, jemandem vollkommen zu vertrauen und ich brauche wohl einige Zeit, um warm zu werden, wenn du verstehst, was ich meine. Ich hoffe, du hältst mich jetzt nicht für bescheuert. Ich finde es wirklich süß, dass du noch keine Erfahrung mit Frauen hast und gerade deswegen sollten wir wohl alles ein bisschen ruhiger angehen lassen. Falls du mich jetzt überhaupt noch sehen willst. Liebe Grüße Nami Joe hatte wohl beim Lesen die Stirn gerunzelt, denn Izzy fragte ihn, ob alles in Ordnung wäre. Wortlos drehte er den Laptop wieder zu Izzy herum und ließ ihn die Mail lesen. Anschließend klappte er ihn zu und packte ihn wieder ein. Izzy sah ihn verdutzt an und war ein wenig rot geworden. „Welche Nami? Aus dem Café?“, fragte er. „Ja. Wir haben Kontakt zueinander seit der Willkommensparty“, antwortete Joe. „Oh, das wusste ich gar nicht“, sagte Izzy zerstreut. Joe erzählte ihm, wie das Treffen mit ihr am Samstag gelaufen war, aber das schien Izzy nicht schlauer zu machen. Im Gegenteil. „Ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll“, murmelte Izzy nach einer Weile verlegen. „Du solltest lieber auf die Mail antworten, oder?“ Joe musterte ihn einige Sekunden, dann lachte er. Er hatte völlig vergessen, dass Izzy ja auch nicht mehr Erfahrung in Sachen Frauen hatte als er selbst. „Ja, das sollte ich wohl“, meinte er und nippte an seinem Kaffee. Gleichzeitig dachte er sich, dass er sich öfter mit Izzy treffen sollte. _ Tai drückte auf den Knopf mit dem grünen Hörer und wartete, dass Mimis Stimme sich meldete. „Was willst du denn?“, fragte sie nach dem dritten Klingeln. „Charmante Begrüßung“, sagte Tai statt einer Antwort. „Sorry, ich bin nur verwirrt, weil du mich anrufst“, murmelte sie. „Also, was gibt’s?“ „Ich wollte mich nur... äh... bedanken, dass du meinen Aufsatz in Englisch geschrieben hast“, stammelte Tai. Irgendwie kostete es ihn Überwindung, sich bei Mimi zu bedanken, auch wenn er es ihr schuldig war. „Oh, achso“, erwiderte sie und klang ein wenig überrascht. „Sieh es einfach als Ausgleich dafür, dass du mir in Mathe Nachhilfe gegeben hast.“ „Ach, das war doch nicht so viel Arbeit“, entgegnete Tai abwinkend, was Mimi natürlich nicht sehen konnte. „Naja, doch, zumindest ein bisschen“, widersprach Mimi. „Falls du noch mal Hilfe in Englisch brauchst, kannst du dich ja melden.“ „Mach' ich. Schreibst du dann auch die Klausuren für mich?“ Mimi gab ein zischendes Geräusch von sich. „Das hättest du wohl gern.“ Tai grinste. „Ja, irgendwie schon. Naja, jedenfalls, falls du noch mal Hilfe in Mathe brauchst, kannst du dich natürlich auch melden.“ „Wirklich?“, fragte Mimi mit bebender Stimme. „Ich glaube, ich werde noch ganz schön oft Hilfe in Mathe brauchen.“ Tai seufzte resigniert. „Wir können ja einen Termin in der Woche ausmachen, an dem ich dir Nachhilfe gebe.“ „Das wäre super, denke ich“, sagte sie unsicher. „Wie sieht es bei dir mittwochs aus? Da habe ich nachmittags frei.“ Tai warf einen Blick auf seinen Plan, der auf seinem Schreibtisch herumflog. „Naja, ich habe bis halb sechs Training, aber das passt schon.“ „Okay, dann bin ich einfach um sechs bei dir. Oder willst du lieber herkommen?“, fragte Mimi. „Nein, schon gut. Komm du zu mir.“ Er hatte wirklich keine Lust, jede Woche Mimis fußballerhassendem Vater zu begegnen. „Okay, cool“, antwortete Mimi einsilbig. Auch Tai war von dieser Aktion nicht besonders begeistert, wo Mimi ihn doch öfter auf die Nerven ging. Aber so hatte er wenigstens bei Bedarf jemanden, der ihm in Englisch helfen konnte. „Dann mach's gut. Wir sehen uns morgen“, verabschiedete Tai sich von ihr. „Tschüss“, sagte Mimi und sie legten beide auf. Tai tippte auf seinem Handy herum und suchte in der Kontaktliste nach Matt. Als er ihn fand, drückte er auch hier auf den grünen Hörer und wartete, bis er abnahm. „Hey“, meldete er sich nach einer Weile. „Hi. Bist du gerade beschäftigt?“, fragte Tai vorsichtig. „Nee, ich war nur auf dem Balkon. Was gibt’s?“, fragte Matt in lässigem Tonfall. „Ich wollte nur fragen, ob bei dir alles okay ist“, erklärte Tai. „Ja. Mimi ist gar nicht schwanger“, antwortete Matt knapp, klang aber einigermaßen gut gelaunt. „Ich weiß“, sagte Tai langsam. Matt schwieg für einen Augenblick. „Du wusstest es?“ „Erst seit heute Morgen, als alle verrückt geworden sind, weil du nicht da warst, Mann“, beschwichtigte Tai ihn, bevor er sich irgendwelche Anschuldigungen anhören musste. „Oh.“ Matt lachte leise zu Tais Überraschung. „Bist du gar nicht sauer auf sie?“, fragte Tai irritiert. „Ich mein', mit so etwas scherzt man nicht. Mimi hat übertrieben.“ „Wir haben darüber geredet und jetzt ist alles wieder in Ordnung“, erklärte Matt kurz angebunden. „Mach dir keinen Kopf.“ „Alles ist wieder in Ordnung? Na, dann macht so einen Scheiß nicht noch mal“, erwiderte Tai spöttisch. „Naja, hübsch ist sie ja.“ Tai konnte das Grinsen aus Matts Stimme praktisch heraushören. „Alter, du bist doch krank“, seufzte er kopfschüttelnd. „Ich bin eben verliebt in die Liebe“, trällerte Matt und nun musste Tai lachen. „Liebe nennst du das also? Ein Spinner, das bist du.“ Matt stimmte in sein Lachen ein, bevor sie sich verabschiedeten und wieder auflegten. Kapitel 18: Die unbekannte Verehrerin ------------------------------------- Mittwoch, 17. Mai 2006   „Davis, das ist doch eine bescheuerte Idee“, sagte Kari zum gefühlt hundertsten Mal. „Wir sollten hier nicht stehen und ihn beobachten.“ „Klar“, widersprach Davis und hielt ihr Handgelenk fest, um sie am Gehen zu hindern. „Wir müssen doch wissen, wer seine neue Freundin wird. Außerdem hätte er uns eben nicht sagen dürfen, dass er sich um acht mit ihr am Wasserspender trifft.“ Aufgeregt starrte Davis von ihrem Versteck hinter einem der Schließfächer hinüber zu T.K., der an der Wand neben dem Wasserspender lehnte und lässig wirkte. Er hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und sah sich beiläufig um. Kari schien das Ganze nicht zu interessieren, denn die ganze Zeit betonte sie, wie blöd sie sich vorkam, dass sie T.K. heimlich ausspionierte, aber Davis wusste, dass auch sie erfahren wollte, wer seine heimliche Verehrerin war. Und in fünf Minuten mussten sie ja ohnehin zum Unterricht gehen. „Was macht ihr denn hier?“ Davis und Kari wirbelten herum und erblickten Yolei und Cody, die sie skeptisch musterten. „Davis will unbedingt T.K. ausspionieren“, antwortete Kari und warf Davis einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ausspionieren?“, fragte Cody und legte den Kopf schief. „Weshalb?“ „Er trifft sich mit seiner unbekannten Liebhaberin am Wasserspender“, erklärte Davis grinsend. Yolei riss die Augen auf und stürzte neben Davis, um ebenfalls in den Gang zum Wasserspender spähen zu können. Cody blieb verwirrt stehen und Kari schüttelte seufzend den Kopf. „Wo ist sie denn?“, fragte Yolei aufgeregt. „Ich sehe sie nirgends.“ „Sie ist ja auch noch nicht da“, grummelte Davis ungeduldig. „Aber der Unterricht fängt in zehn Minuten an. Wir sollten langsam alle in unsere Klassenzimmer gehen“, sagte Cody. „Der Meinung bin ich auch“, stimmte Kari ihm zu, aber Davis und Yolei beachteten sie gar nicht. „Sie verspätet sich“, stellte Davis mit einem Blick auf sein Handydisplay fest. „Vielleicht hat sie ihn ja auch versetzt“, überlegte Yolei und schob ihre Brille zurecht. „Hey Cody, kommst du?“ Nur am Rande bekam Davis mit, wie Cody von einem seiner Klassenkameraden mitgenommen wurde. Auch Kari war unruhig und trat von einem Fuß auf den anderen. „Wo bleibt sie denn?“, fragte Yolei ungeduldig. „Vielleicht muss sie sich ja erst noch schminken, weil sie hässlich ist wie die Nacht“, spottete Davis und lachte über seinen eigenen Witz. Yolei stöhnte genervt auf. „Du bist so kindisch.“ Das Läuten der Schulglocke teilte ihnen mit, dass sie noch fünf Minuten bis zum Beginn des Unterrichts hatten. Die letzten Schüler, die noch in den Gängen unterwegs waren, begaben sich allmählich in ihre Klassenräume und Kari richtete sich auf. „Ich gehe jetzt“, verkündete sie. „Das ist sowieso falsch, was wir hier machen.“ Doch auch T.K. kam nun auf sie zu. Es blieb keine Zeit mehr, sich zu verstecken. Davis versteifte sich, als T.K. ihn und die beiden Mädchen erblickte und stehen blieb. „Was macht ihr hier?“, fragte er und hob eine Augenbraue. „Wir? Äh... Yolei, was machen wir hier?“, fragte Davis, kratzte sich ertappt am Kopf und sah Yolei an. „Nichts weiter. Wir haben zufällig gerade unsere Sachen eingeschlossen“, antwortete Yolei mit ungewohnt hoher Stimme und wirkte ebenso beschämt wie Davis. T.K. verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr habt mich beobachtet.“ „Nein!“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Ja.“ Davis und Yolei starrten Kari an, deren Aufmerksamkeit jedoch T.K. galt. „Wir wollten nur wissen, wie das Mädchen aussieht“, erklärte Kari ruhig und machte ein reuevolles Gesicht. „Naja, eigentlich wollte ich wissen, wie das Mädchen aussieht“, gab Davis nun zu. „Ich habe Kari gezwungen, hier bei mir zu bleiben.“ „Und ich bin dazugekommen und habe gefragt, was sie machen“, erklärte Yolei mit gesenktem Blick. „Sorry.“ T.K. musterte die drei einige Sekunden, dann zuckte er mit den Schultern. „Wie auch immer.“ Dann machte er sich auf den Weg ins Klassenzimmer. _ T.K. war genervt von Davis und Yolei. Und irgendwie auch von Kari, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht ausspionieren wollte. Aber die Sache mit dem unbekannten Mädchen ging nun einmal nur ihn etwas an und die anderen hatten sich da nicht einzumischen. Sie hatte ihn offensichtlich versetzt. Er hatte nicht länger warten können, sonst hätte er den Beginn der Geschichtsstunde verpasst. Ob sie wohl wie Davis und die anderen hinter irgendeiner Ecke gelauert und ihn beobachtet hatte, ob er auch wirklich kam? T.K. seufzte. Matt wäre so etwas sicher nicht passiert, den würde kein Mädchen so einfach versetzen, dessen war T.K. sich sicher. Allerdings gab es mit Matt ganz andere Probleme. Keiner aus der Familie kam mehr an ihn heran, am allerwenigsten sein Vater. T.K. vermied es in letzter Zeit, allzu viel mit Matt zu tun zu haben, obwohl es ihm schwer fiel, doch er war einfach wütend auf ihn. Er konnte nicht verstehen, weshalb er sich so sehr gegen die Versöhnung seiner Eltern und gegen ein Familienleben einsetzte. Eigentlich hatte T.K. gedacht, dass auch Matt sich Eltern wünschte, die einander liebten, doch da hatte er offensichtlich falsch gelegen. Matt dachte nur an sich, seine Eltern waren ihm egal. Natsuko rief ihn jeden Tag an und versuchte, mit ihm zu reden, doch er wimmelte sie jedes Mal mit seiner kalten Art ab, bekam daraufhin Ärger von Hiroaki und die Situation verschlimmerte sich noch. „Takeru! Hörst du überhaupt zu?“ T.K. schreckte aus seinen Gedanken und sah nach vorn zu Herrn Ishikawa, der ihn streng musterte. „Entschuldigung“, murmelte er und setzte sich gerader hin. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Kari ihn ansah, doch er erwiderte ihren Blick nicht. _ Punkt halb sechs stand Mimi vor der den Umkleidekabinen und wartete auf Tai. Eigentlich hatte sie schon nach Hause gehen und dort auf ihn warten wollen, doch dann hatte sie beschlossen, die Zeit in der Schule zu verbringen und Hausaufgaben zu erledigen. Ungeduldig tippte sie immer wieder mit dem Fuß auf und sah ständig auf die Uhr. Als Tai endlich zusammen mit einigen anderen Jungen wie Davis herausgeschlendert kam, warf sie ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sag mal, schminkt ihr euch da drin, oder warum dauert das so lang?“, begrüßte sie ihn. „Bleib cool, Mimi, Schönheit braucht ihre Zeit“, erwiderte Davis grinsend, woraufhin Mimi die Augen verdrehte. „Schade, dass es bei euch nichts bringt“, murmelte sie. Sie gingen das meiste Stück des Weges mit Davis zusammen zu Tai. Kurz vor seinem Haus verabschiedeten sie sich von ihm und gingen nach oben in die Wohnung der Yagamis. „Ich muss jetzt aber erst mal was essen“, erklärte Tai, während er sich die Schuhe auszog. „Nach dem Training habe ich immer mordsmäßig Hunger.“ Das überraschte Mimi wirklich überhaupt nicht. Immerhin war hier von Tai die Rede. Sie gingen ins Wohnzimmer der Yagamis, in dem es schon nach Gebratenem duftete, und setzten sich an den Tisch. Mimi begrüßte Tais Eltern und Kari höflich. „Es ist so toll, dass du Tai Nachhilfe in Englisch gibst, Mimi“, sagte Frau Yagami mit breitem Lächeln, während sie allen Essen auftat. „Die hat er wirklich bitter nötig. Ich weiß auch nicht, woher...“ „Ähm, bitte was?“, unterbrach Tai sie genervt. „Wir sind hier, weil ich ihr Nachhilfe in Mathe gebe.“ „Ach, das braucht dir doch nicht peinlich zu sein“, meinte Herr Yagami und zerzauste Tai das Haar, was Mimi zum Kichern brachte. Tai schlug seine Hand weg und warf ihm einen verärgerten Blick zu. Auch Kari lachte nun. „Tai ist echt gut in Mathe. Bestimmt verbesserst du dich ganz schnell.“ Sie aßen und Mimi war verwirrt, dass sich keiner der Anwesenden etwas anmerken ließ, denn das Essen war total versalzen, doch niemand verzog eine Miene. Mimi trank viel Wasser und trotzdem brannten ihre Lippen hinterher von dem vielen Salz. „Das war wirklich lecker, Frau Yagami. Vielen Dank“, sagte Mimi und lächelte die Angesprochene an, die daraufhin glücklich aussah. „Findest du wirklich?“, fragte sie. „Nein, findet sie nicht“, antwortete Tai an Mimis Stelle, woraufhin Mimi ihm einen Tritt gegen das Schienbein verpasste. „Autsch!“ Mimi und Tai gingen in sein Zimmer und machten sich mit wenig Lust an Mimis Matheaufgaben. _ „Zum Glück werden die Nächte endlich wärmer“, sagte Sora, schloss die Augen und genoss die milde Brise, die ihr um die Nase wehte. Trotzdem hatte sie die Hände in die Taschen ihrer Strickjacke geschoben und fröstelte leicht. „Mhm“, machte Matt gedankenverloren und blies graublauen Rauch aus. Sie standen nebeneinander auf dem Balkon der Ishida-Wohnung und genossen die Stille der einbrechenden Nacht. Nur einige wenige Autos waren zu hören, die unten vorbeifuhren, gelegentlich auch ein Flugzeug, doch ansonsten war es ruhig. Die Lichter der Stadt funkelten und blinkten und ließen abendliches Treiben vermuten. In den vergangenen Tagen hatten sich Sora und Matt oft getroffen, wenn sie beide Zeit hatten, was häufig erst nach zehn Uhr abends der Fall war. Sora war meist diejenige gewesen, die diese Treffen herbeigeführt hatte, weil sie das Gefühl hatte, dass Matt jemanden brauchte, mit dem er reden konnte. Den Großteil der Zeit war er jedoch sehr schweigsam und so war es Sora, die redete und ihm erzählte, was im Café passiert war oder was ihr sonst so in den Sinn kam. „Wie wäre es eigentlich, wenn wir im Sommer mal wieder alle zusammen campen fahren?“, schlug sie nach einer Weile vor. Matt sah sie schief von der Seite an. „Wie kommst du darauf?“ „Naja, es wäre doch schön, wenn wir alle mal wieder etwas zusammen unternehmen würden, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren“, meinte Sora verlegen. Matt lächelte. „Du und dein Harmoniebedürfnis immer.“ „Was soll das denn heißen?“, fragte Sora und hob eine Augenbraue. „Nichts, ich finde nur, mehr Menschen sollten so um andere bemüht sein wie du“, antwortete er und ließ den Blick wieder über die funkelnde Stadt schweifen. „Matt, hör mal“, fing Sora an und drehte sich zu ihm um. Fragend sah er sie an. „Ich mache mir Sorgen um dich. Geht es dir wirklich gut zur Zeit?“ Er verzog keine Miene und zuckte nur mit den Schultern. „Passt schon.“ „Ich weiß von Tai, dass T.K. ziemlich... frustriert ist“, meinte Sora seufzend. „Es hilft wirklich, sich mit dem auseinanderzusetzen, was einen beschäftigt und darüber zu reden. Ihr seid doch Brüder.“ „Ich habe Mist gebaut“, sagte Matt nur und lehnte sich auf das Geländer. „Ich habe ihm gesagt, ich würde keine Familie mehr wollen. Aber eigentlich will ich nur nicht, dass er noch mal von unseren Eltern enttäuscht wird.“ „Ich weiß, aber.... T.K. wird das bestimmt verstehen, wenn du ihm das sagst“, erwiderte Sora und legte eine Hand auf seinen Arm. „Ich glaube, er wartet nur darauf, dass du endlich mit ihm redest.“ „Vielleicht“, murmelte Matt und zog an seiner Zigarette, die nur noch ein Stummel war. „Und wieder machst du dir zu viele Sorgen um andere.“ „Ach was“, sagte Sora schulterzuckend. „Doch, dabei solltest du dir mal Sorgen um dich selbst machen. Du bist dünn geworden. Machst du eigentlich noch irgendwas für dich selbst oder widmest du dein Leben voll und ganz der Schule und deiner Arbeit?“ Er sah sie durchdringend an und Sora fühlte sich fast schon ein bisschen ertappt. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann lebte sie in den letzten Monaten wirklich nur noch für die Schule und das Café. „Ein Mädchen wie du hat es verdient, glücklich zu sein, aber ich habe in letzter Zeit nicht den Eindruck, dass du besonders glücklich bist“, sagte er, ohne den Blick abzuwenden. Schließlich sah Sora woandershin, biss sich auf die Unterlippe und spielte mit ihren Fingern. „Mir geht es gut, wirklich“, sagte sie. Das Gespräch war ihr unangenehm. „Na hoffentlich. Du bist die Letzte, die ich unglücklich sehen will.“ Er lächelte warm und drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher auf dem kleinen Tisch aus. „Und du bist der Letzte, den ich unglücklich sehen will“, erwiderte Sora fast schon flüsternd. Ihr Herz schlug ihr auf einmal bis zum Hals, als sich ihre Blicke erneut begegneten. Und sie glaubte, es würde zerspringen, als er ihr mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest, sodass er sie nicht zurücknehmen konnte. Sein Blick durchbohrte sie förmlich. Das Blau seiner Augen bekam einen seltsamen Glanz durch die Lichter der Stadt. Sora konnte nicht sagen, was auf einmal los war. Es war, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen, als wäre die Zeit plötzlich stehengeblieben, als gäbe es nur noch sie und Matt auf diesem Balkon. _ Lieber Takeru, bitte entschuldige, dass ich heute nicht zum vereinbarten Treffpunkt gekommen bin. Es tut mir wirklich unendlich Leid, ich wollte dich nicht einfach so versetzen. :( Ich konnte einfach nicht kommen, ich weiß auch nicht so genau, warum. Ich habe wohl Angst, dass du mich zurückweisen könntest, wenn du mich siehst, dass ich nicht deinen Vorstellungen entspreche. Vielleicht bin ich doch noch nicht bereit. Bitte sei mir nicht böse. Ich will mich auf jeden Fall irgendwann mit dir treffen. Hier bekommst du einen weiteren Tipp: Mein Nachname beginnt mit K. T.K. wusste nicht so richtig, was er von dieser Mail halten sollte. Er verstand nicht, weshalb dieses Mädchen sich einfach nicht mit ihm treffen wollte. Er hatte ihr doch schon mehrfach klargemacht, dass er sehr daran interessiert war, sie persönlich kennen zu lernen und lieber mit ihr von Angesicht zu Angesicht reden wollte als immer nur über E-Mail. Im Kopf ging er die Nachnamen der schwarzhaarigen Mädchen seines Jahrgangs durch, die nicht in seiner Klasse waren und deren Nachname mit K anfing. In Frage kamen nun nur noch drei Mädchen: Reika Kumada, Midori Kino und... Shiori Kimura. _ Mimi gähnte und schien überaus schlecht gelaunt. Doch Tai ging es auch nicht besser. Seit geschlagenen drei Stunden saßen sie hier auf dem Fußboden seines Zimmers und übten, übten, übten. Zunächst hatten sie Mimis Hausaufgaben erledigt, dann waren sie den Stoff der letzten Wochen durchgegangen und hatten versucht, Mimis Verständnisprobleme zu beseitigen und anschließend hatte Tai ihr ein paar Aufgaben zum Üben herausgesucht. Jetzt streckte er seinen Rücken durch, der von der krummen Sitzhaltung ganz steif geworden war. „Ich glaube, ich gehe jetzt nach Hause“, murmelte Mimi, während sie das durchblätterte, was sie heute geschrieben hatte. „Bist du denn jetzt wenigstens ein bisschen schlauer als vorher?“, fragte Tai erschöpft. „Ich glaube schon“, seufzte Mimi, packte den Schreibblock in ihre Tasche und stand auf. Tai nickte und stand ebenfalls auf. „Das nächste Mal müssen wir aber eher aufhören.“ „Das nächste Mal?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an. „Heißt das, du gibst mir weiter Nachhilfe?“ „Klar, hab' ich doch versprochen“, antwortete Tai ein wenig verwirrt über ihre Frage. Mimi sah erleichtert aus. Er verabschiedete sich von ihr an der Wohnungstür und schloss sie, als sie gegangen war. Als er zurück in sein Zimmer gehen wollte, fing Kari ihn ab. „Warum bist du denn noch wach?“, fragte er und sah sie streng an. „Habt ihr bis jetzt Nachhilfe gemacht?“, fragte sie mit skeptischem Blick und ignorierte seine Frage. „Ja, was denn sonst?“, entgegnete Tai ungeduldig. Kari grinste plötzlich. „Jaja, als ob.“ Tai verdrehte genervt die Augen und ging in sein Zimmer, ohne seine Schwester noch eines Blickes zu würdigen. Für so etwas hatte er jetzt wirklich nichts mehr übrig. _ Matt witterte seine Chance. Der Blick, mit dem Sora ihn gerade ansah, kam ihm sehr bekannt vor. Er war dem jener Mädchen ähnlich, mit denen er sich vergnügte und sagte ihm, dass er seine Wette gewinnen würde, wenn es so weiterging. Doch da war noch irgendetwas anderes in ihrem Blick, etwas, das er bisher nicht gekannt hatte. Es ging ihm nicht um seinen Wettgewinn, sondern um seine Ehre. Er wollte sich selbst beweisen, dass er alle haben konnte, die er wollte. Außerdem lenkte ihn diese Sache von seinen verrückt gewordenen Eltern und T.K. ab, der nicht mehr mit ihm redete. Seine Hand glitt in Soras Nacken und er zog sie näher an sich, während er sich zu ihr beugte, bis ihre Lippen sich berührten. Er hatte vor ihr erst ein Mädchen geküsst und das war bereits drei Jahre her. Dieser Kuss hier mit Sora war vorsichtig und sanft. Und... falsch. Es war nicht so, dass er nicht ernst meinte, was er zu ihr gesagt hatte, doch es war nicht richtig, sie zu küssen und dabei nicht mehr als Freundschaft für sie zu empfinden, ja sogar einen Hintergedanken dabei zu haben. Er löste den Kuss, doch sie zog ihn wieder zu sich und presste ihre Lippen erneut auf seine. Er schloss die Augen, fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und konzentrierte sich ganz auf sie. Schließlich lösten sie sich voneinander und sahen sich verlegen an. „Das war... schön“, sagte Sora leise. Matt nickte nur und ließ sie endgültig los. Er fuhr sich mit zittrigen Fingern durch die Haare und zündete sich eine Zigarette an. Das brauchte er nach diesem Moment. „Sag mal“, setzte Sora unsicher an, „hat das gerade eben eigentlich etwas bedeutet?“ Er sah sie nicht an, weil er gänzlich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Er hatte gerade seine beste Freundin geküsst, um sie für eine Wette ins Bett zu bekommen. „Ich... keine Ahnung“, murmelte er und nahm einen tiefen Zug. „Ich weiß es echt nicht.“ Sora seufzte. „Okay.“ Sie hob ihre Tasche vom Boden auf und öffnete die Glastür, die ins Wohnzimmer führte. Nur wenige Sekunden später verkündete ihm das Geräusch einer zufallenden Tür, dass sie gegangen war. Donnerstag, 18. Mai 2006 „Guten Morgen“, begrüßte Kari T.K. ein wenig kühl, bemühte sich aber um ein Lächeln. Aus irgendeinem Grund hatte sich ihre Beziehung zu ihm in den letzten Tagen etwas verändert. Sie sprachen nicht mehr so viel miteinander wie sonst und Kari wünschte sich, sie könnte dafür einen anderen Grund als den eigentlichen nennen: T.K.s unbekannte Verehrerin. Obwohl sie sie nicht kannte, hatte sie eine Abneigung gegen sie und wünschte sich, T.K. wäre nicht so interessiert an ihr, sondern hätte ihren Brief in seinem Spind einfach ignoriert. Kari, T.K. und Davis gingen auf das Hauptgebäude ihrer Schule zu, als T.K. plötzlich angesprochen wurde. Automatisch blieben auch Kari und Davis stehen. „Hi Takeru. Hast du vielleicht kurz Zeit?“ Es war Shiori. „Klar“, sagte T.K. langsam und er und Shiori sahen Kari und Davis an. „Ich verstehe schon“, meinte Davis grinsend, umfasste Karis Arm und zog sie mit sich ins Schulgebäude, während T.K. bei Shiori zurückblieb. Kari widerstand mit Mühe dem Drang, sich noch einmal nach den beiden umzusehen. „Unglaublich, oder? Anscheinend ist Shiori seine heimliche Bewunderin“, sagte Davis gut gelaunt und warf Kari ein breites Lächeln zu. „Da hat er ja echt Glück gehabt, dass die Unbekannte so hübsch ist.“ „Wir wissen doch gar nicht, ob sie es ist“, erwiderte Kari mürrisch. „Selbst wenn nicht, Shiori interessiert sich für ihn, das ist doch echt cool.“ Lachend gab Davis ihr einen Klaps auf die Schulter und sie betraten das Klassenzimmer. Den Kopf voller Gedanken ließ Kari sich auf ihren Stuhl fallen und stellte ihre Tasche auf dem Tisch ab. Davis nahm wie gewohnt auf dem Stuhl hinter ihr Platz und summte irgendein Lied schief vor sich hin. Kari packte ihre Tasche aus, bemerkte jedoch erst einige Zeit später, dass sie die Sachen für Geschichte und nicht für Englisch herausgeholt hatte. Mies gelaunt schob sie den Hefter zurück in die Tasche. „Davis?“, fragte sie und drehte sich um, um den Angesprochenen anzusehen. Mit fragendem Blick hob dieser den Kopf. „Sag mal, hast du vielleicht Lust, heute nach der Schule etwas mit mir zu unternehmen?“ _ T.K. legte den Kopf etwas schief und sah Shiori fragend an. Natürlich hatte er sofort die Vermutung, sie wäre die Miss Unbekannt, die ihm seit nun schon über zwei Wochen E-Mails schrieb. „Was gibt’s?“, fragte er, als sie keine Anstalten machte, ihm ihr Anliegen zu erklären. „Ähm... ich...“, stammelte sie, starrte zu Boden und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Auf ihren Wangen hatte sich ein rötlicher Schimmer ausgebreitet. Ihre andere Hand spielte mit dem Saum ihres Rocks. „Ja?“, hakte er nach, als sie erneut schwieg. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ihm in die Augen, nur um anschließend tomatenrot anzulaufen. Wieder senkte sie den Blick und fuhr sich mit zittrigen Fingern durch die Haare. T.K. beugte sich ein wenig herunter, um in ihr Gesicht sehen zu können. Er lächelte sie warm an. „Ich muss jetzt in den Unterricht. Wollen wir das Gespräch auf die Pause verschieben?“, fragte er mit lockerer Stimme. Shiori nickte zögerlich. „Okay. Dann treffen wir uns beim Kirschbaum, dort ist nie jemand“, schlug er vor und Shiori nickte wieder. Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, woraufhin er an ihr vorbeiging, um in den Unterricht zu eilen. Dabei bekam er Zweifel, ob es sich bei diesem schüchternen Mädchen, das keinen Ton herausbrachte, wirklich um das gleiche Mädchen handelte, das ihm diese E-Mail schrieb, denn dort wirkte sie viel offener. Als er den Klassenraum betrat und sich auf seinen Platz neben Kari setzte, sah diese ihn für eine Sekunde an, wandte sich jedoch schnell wieder Davis zu, zu dem sie sich umgedreht hatte. Ein wenig verärgert packte T.K. seine Sachen aus und wartete, dass der Unterricht endlich begann. _ Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Tai seine beste Freundin. Sie wirkte schon den ganzen Tag völlig geistesabwesend und kaute ständig auf ihrer Unterlippe herum, als hätte sie vor irgendeinem anstehenden Ereignis Angst. Doch immer, wenn er sie fragte, ob irgendetwas nicht in Ordnung wäre, schüttelte sie heftig den Kopf und lächelte ihn an. Aber ganz bescheuert war er ja auch nicht. In der Pause stieß Matt zu ihnen, der ausgesprochen müde aussah. Unter seinen Augen waren dunkle Schatten und sein Haar wirkte zerzaust, als wäre er eben erst aufgestanden. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Tai spöttisch grinsend. „Hast du deine Exzesse jetzt schon auf die Wochentage ausgeweitet?“ „Klappe“, antwortete Matt, grinste aber ebenfalls ein wenig. Sora hatte sich von ihnen abgewandt und sprach mit Mimi und Izzy. „Mit der stimmt heute auch irgendwas nicht“, murmelte Tai Matt zu, woraufhin dieser sie ansah. Seine Augen bekamen einen seltsamen Ausdruck. „Vielleicht hat sie auch schlecht geschlafen“, meinte Matt nüchtern und zuckte mit den Schultern. Tai schüttelte nur verständnislos den Kopf. Über Schlafprobleme hatte er selbst sich noch nie beklagen können. _ „T.K. und Shiori?“, rief Yolei, sodass sich einige der umstehenden Schüler zu ihr umdrehten. „Psst!“, zischte Kari und drückte einen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Schrei doch nicht so.“ „Wieso denn nicht? Bald werden es eh alle wissen“, sagte Davis, der noch immer seltsam gut gelaunt wirkte. „Wo treffen sie sich denn?“, fragte Yolei neugierig und sah sich um. Sie konnte jedoch nirgendwo T.K.s blonden Haarschopf ausmachen. „Keine Ahnung“, antwortete Kari und zuckte mit den Schultern. „Ist das eigentlich auch wirklich okay für dich?“, fragte Yolei nun und sah ihre Freundin durchdringend an, bis diese den Blick abwandte. „Klar, wieso sollte es nicht okay sein?“ „Naja, ihr seid doch... beste Freunde“, antwortete Yolei langsam. „Und seht fast immer aus wie ein Paar.“ „So ein Blödsinn!“, murrte Kari und schüttelte den Kopf. „Es ist vollkommen okay, dass er sich mit ihr trifft. Ich freue mich, dass sie ihm gefällt und es ist doch schön, wenn er so ein hübsches Mädchen als Freundin hat.“ „Da hat sie vollkommen Recht“, stimmte Davis sofort zu und grinste breit. „Ich freue mich auch für T.K. Die beiden passen sicher total gut zusammen, oder Kari?“ „Mhm“, machte Kari und lächelte ein Lächeln, das aussah, als hätte sich ein Kiefermuskel verkrampft. Mit gerunzelter Stirn musterte Yolei sie und wusste, dass sie log. „Könnt ihr T.K. nicht einfach alle mal in Ruhe lassen?“, fragte Cody an die drei gewandt. „Ich finde, ihr solltet euch nicht so in sein Privatleben einmischen. Es geht euch doch gar nichts an, mit wem er sich wann trifft. Wenn er mit uns darüber reden will, dann wird er es auch tun.“ „Typisch Cody“, bemerkte Davis und tätschelte dem Jüngsten der Gruppe die Schulter. „Du bist viel zu erwachsen für dein Alter.“ „Aber er hat Recht“, sagte Kari und alle sahen sie an. „Es geht uns wirklich nichts an und wir sollten nicht so neugierig sein.“ „Aber euch interessiert es doch auch, oder nicht?“, fragte Davis verwirrt und sah nun von Kari zu Cody und wieder zurück. Da konnte sich Yolei insgeheim nur Davis anschließen. Sie wunderte sich sowieso, warum T.K. noch keine Freundin hatte. Erstens war er ein wirklich hübscher Junge und zweitens war er der kleine Bruder des Mädchenschwarms Matt. Sie jedenfalls kannte ein paar Mädchen, die nichts dagegen hätten, sich mal mit ihm zu treffen, auch aus ihrem Jahrgang. „Ich würde wirklich zu gern wissen, was die beiden reden“, meinte Yolei und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Gleichzeitig wünschte sie sich, sie hätte auch gerade eine Liebesgeschichte am Laufen. Sie wollte auch endlich mal erste Erfahrungen in der Liebe sammeln, sich mit einem Jungen treffen und das Gefühl bekommen, gemocht zu werden. _ „Na gut. Was willst du mir sagen?“ Fragend sah T.K. Shiori an. Sie saßen nebeneinander im Gras unter dem Kirschbaum und sie zupfte mit den Fingern einzelne Grashalme aus, worauf sie sich voll und ganz zu konzentrieren schien. „Ich ähm... t-tut mir Leid w-wegen gestern. Dass ich dich versetzt habe, meine ich“, murmelte sie leise und ohne aufzublicken. T.K. sah, wie ihre Finger zitterten. Er fragte sich, weshalb sie nur so viel Angst vor ihm hatte. „Du bist also die, mit der ich schreibe“, sagte er lächelnd. „Du brauchst echt nicht so schüchtern zu sein. In deinen E-Mails bist du es doch auch nicht.“ Nun blickte sie endlich auf und sah ihn verlegen an. „Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Ich habe immer so viel Angst, was Falsches zu sagen.“ „Es ist doch nicht schlimm, was Falsches zu sagen. Jeder macht das, ehrlich“, antwortete T.K. aufmunternd. Sie nickte leicht und senkte den Blick wieder. „Bist du eigentlich enttäuscht, dass ich... dass ich ich bin?“ „Willst du eine ehrliche Antwort oder eine nette Antwort?“ Erschrocken sah sie ihn an, sodass er lachen musste. „War nur ein Witz. Ich bin ganz und gar nicht enttäuscht.“ Sie lächelte und wurde rot. „Wollen wir heute Nachmittag irgendwas unternehmen?“, fragte T.K., um das Gespräch am Laufen zu halten. „Ich habe bis um vier Basketball und danach können wir irgendwo hingehen.“ „Das klingt gut“, antwortete sie. „Dann hole ich dich ab, ja?“ „Geht klar.“ Sie standen auf und gingen langsam zurück auf den Schulhof, da die Pause sich dem Ende neigte. T.K. entdeckte Kari und die anderen in dem Moment, als es klingelte. „Na dann“, sagte Shiori leise, „bis heute Nachmittag.“ „Ja“, erwiderte T.K. „Ach und ich bin froh, dass du mir diesen Brief in den Spind geworfen hast.“ Er lächelte sie noch einmal an und lief dann zu seiner Gruppe. _ Am meisten ärgerte sie sich über sich selbst. Sie hätte Matt eben nicht küssen dürfen. Wie hatte sie etwas anderes erwarten können als Matts übliches Verhalten Mädchen gegenüber? Warum hatte sie sich nur eingebildet, bei ihr wäre es anders? Dieser Moment auf dem Balkon gestern Abend war ihr so magisch vorgekommen. Wie er sie angesehen hatte. Sie dachte, das wäre etwas Besonderes gewesen. In der Pause hatte sie mit Mimi und Izzy geplaudert, was sie ein wenig von ihren eigenen Gedanken abgelenkt hatte, doch die Ablenkung war jäh vorüber, als Matt im gedrängten Schulflur neben ihr erschien und ihr etwas in die Hand drückte. Ein flüchtiger Blick streifte sie, bevor er in einen anderen Gang abbog als sie und Tai. Als Sora im Klassenraum Platz genommen hatte, öffnete sie die Hand. Matt hatte ihr einen kleinen zusammengefalteten Zettel gegeben. Mit gerunzelter Stirn öffnete Sora ihn und las die wenigen Worte, die darauf geschrieben standen. Ich würde es wieder tun. „Wer würde was wieder tun?“ Erschrocken faltete Sora den Zettel wieder zusammen und schob ihn in ihre Schultasche. Tai musterte sie mit fragendem Blick. „Man liest nicht anderer Leute Post“, antwortete Sora gespielt schnippisch. Wie würde Tai wohl reagieren, wenn er wüsste, dass Sora und Matt sich gestern geküsst hatten? Es würde ihn sicher sehr verletzen, darauf würde Sora Wetten abschließen. Es erschien ihr sehr unfair ihm gegenüber, ausgerechnet mit Matt etwas anzufangen, doch sollte sie jetzt so lang in dieser Hinsicht Rücksicht auf ihn nehmen, bis er keine Gefühle mehr für sie hatte? Schließlich konnte sie auch nichts dafür, dass er sich in sie verliebt hatte. „Das bezeichnest du als Post?“, fragte Tai und warf ihr einen schiefen Blick zu. Sora beachtete ihn nicht, sondern überlegte, was Matts Nachricht zu bedeuten hatte. Was würde er wieder tun? Sie küssen? Sie küssen und hinterher nicht wissen, was es bedeutet? Bedeutungslose Dinge mit ihr tun? _ Barfuß und mit einem Eis in der Hand spazierten Kari und Davis nebeneinander im flachen Wasser hin und her. Ihre Schuhe hatten sie achtlos an einer Bank zurückgelassen und genossen es nun, den nassen Sand zwischen den Zehen zu spüren. Eigentlich sollte Davis sich wundern, weshalb Kari auf einmal einen Nachmittag mit ihm allein verbringen wollte, doch er dachte gar nicht darüber nach, sondern genoss es einfach, sie an seiner Seite zu haben. Es war für Mitte Mai zwar ein ziemlich warmer Tag, dennoch war das Meerwasser sehr kalt und sie erstarrten beide, wenn eine Welle kam und das Wasser gegen ihre Waden schlug. Eine der Wellen jedoch war ein wenig größer und traf sie so hart, dass Kari für einen Augenblick das Gleichgewicht verlor und Davis reflexartig nach ihrer Hand griff, um sie festzuhalten. „Ups, danke“, sagte sie und lächelte ihn an. Sie ließ seine Hand nicht los. „Die Welle war ganz schön stark.“ „Vielleicht sollten wir ein bisschen weiter zum Strand gehen“, meinte Davis verlegen und zog sie hinter sich her. „Es ist echt schön heute mit dir hier am Strand“, sagte Kari unvermittelt und Davis spürte, dass er rot anlief. „Das finde ich auch“, murmelte er. Sein Herz fühlte sich an, als wäre es auf einer wilden Achterbahnfahrt und drehte einen Looping nach dem anderen. Dazu verschränkte Kari ihre Finger mit seinen und lächelte ihn süß an. „Hast du Lust, morgen etwas mit mir zu unternehmen?“, fragte sie. Davis riss die Augen auf und strahlte Kari an. „Ja, klar. Wir können ja ins Kino gehen oder so.“ „Ja“, stimmte Kari zu und rutschte ein wenig näher an ihn heran. Als Davis mit wild klopfendem Herzen den Blick von ihr abwandte und glücklich in die Ferne schweifen ließ, erkannte er T.K. und Shiori, die nebeneinander auf einer Bank saßen. T.K. erwiderte seinen Blick und sah für diesen kurzen Moment alles andere als zufrieden aus. _ Völlig außer Atem kam Joe an seinem Ziel an. Für einige Sekunden blieb er vor der Tür stehen und schnaufte und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, um gleich keinen Mist zu reden. Als er sich einigermaßen bereit fühlte, atmete er ein letztes Mal tief durch und drückte auf den Klingelknopf. Es dauerte eine Weile, bis die Tür endlich geöffnet wurde und eine verdutzte Nami vor ihm stand. „Joe?“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Ich... hier“, sagte Joe und streckte seine rechte Hand aus, die einen kleinen Blumenstrauß festhielt. Nami sah von den Blumen zu ihm auf und nahm mit noch immer verwirrtem Blick den Strauß entgegen. „Entschuldige, ich musste einfach herkommen“, erklärte Joe sein Erscheinen und versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. „Du bist mir wichtig und... und ich möchte den Kontakt zu dir nicht verlieren.“ Nami erwiderte nichts, sondern trat zur Seite, um ihn einzulassen. Joe zog sich die Schuhe aus und folgte ihr in das kleine Wohnzimmer. Im Gegensatz zu ihm hatte Nami keine Ein-Raum-Wohnung, sondern ein Wohn- und ein Schlafzimmer und zumindest das Wohnzimmer war geschmackvoll eingerichtet. „Setz dich“, forderte sie ihn auf, woraufhin er auf der Couch Platz nahm. Sie setzte sich neben ihn und sah ihn erwartungsvoll an. „Es tut mir Leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich war ein Idiot. Ich wusste einfach nicht, was ich dir auf deine Mail antworten sollte und da habe ich vorhin Sora nach deiner Adresse gefragt und bin einfach vorbeigekommen“, erzählte Joe schnell, wobei seine Stimme sich fast überschlug. „Ich wollte dich so gern wiedersehen.“ Nun lächelte Nami ein wenig. „Das ist... wirklich süß von dir.“ Und sie schloss die Augen, beugte sich vor und küsste ihn. Kapitel 19: Im Gefühlschaos --------------------------- Dienstag, 30. Mai 2006   Es war soweit. Mit diesem Gedanken erwachte Yolei aus dem Schlaf, eine Stunde früher als gewöhnlich durch das Weckerklingeln. Ab jetzt war sie endlich sechzehn Jahre alt. Was für ein schönes Alter. Sweet sixteen. Um diesen Tag voll und ganz auskosten zu können, schwang sie sich viel zu früh gut gelaunt aus dem Bett und machte sich in aller Ruhe für die Schule fertig. Sie schlüpfte in ihre Schuluniform, band die langen Haare zusammen und ging in die Küche, um etwas zu frühstücken. Nur wenige Minuten nach ihr betraten ihre Eltern die Küche. „Du bist ja schon wach“, stellte ihre Mutter verdutzt fest und kam auf sie zu. „Natürlich bin ich schon wach“, erwiderte Yolei und ließ sich in die Arme nehmen. Nacheinander gratulierten ihre Eltern ihr, küssten sie auf die Wange und setzten sich zu ihr an den Tisch. Sie redeten, während Yolei ihr Frühstück aufaß und gingen anschließend ins Wohnzimmer, wo stets an Geburtstagen die Geschenke für das Geburtstagskind kunstvoll auf dem Tisch drapiert wurden. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das einfach nicht verschwinden wollte, machte Yolei sich daran, die Geschenke auszupacken. Ihre Eltern hatten ihr ein komplettes Koch- und Backset geschenkt. Da waren zwei Bücher, bunte Schüsseln, ein Rührgerät, Pfannenwender, Schneebesen, … „Vielen Dank“, sagte Yolei strahlend und bestaunte die neuen Sachen. „Wir dachten uns, da du in letzter Zeit so gern kochst und bäckst, können wir dir schon mal einen Vorrat für später besorgen“, meinte Frau Inoue zwinkernd. „Ja, das war eine prima Idee“, erwiderte Yolei. Neugierig blätterte sie das Kochbuch durch und bekam sogleich wieder Hunger und außerdem Lust darauf, ihre Freunde zu sich nach Hause einzuladen und sie zu bekochen. „Musst du nicht langsam los?“, fragte Herr Inoue gähnend. „Oh!“, rief Yolei und sprang auf. „Es ist ja schon so spät.“ Eilig zog sie sich an und lief zur Schule. Nun musste sie doch fast rennen, obwohl sie so zeitig aufgestanden war. Vor dem Schulgelände erkannte sie schon von weitem Kari und Davis Hand in Hand. Die beiden waren neuerdings ein Paar, wie Davis fröhlich vor ein paar Tagen zur Überraschung aller verkündet hatte. Kari hatte nur gelächelt und nichts gesagt und Yolei dachte, Davis wolle sie veralbern. Sie hatte ihm erst geglaubt, als die beiden am nächsten Tag immer noch ständig aufeinander hingen und selbst dann erschien es ihr nicht wie eine wirkliche Beziehung. Irgendwie hatte sie den Zeitpunkt total verpennt, an dem Kari Gefühle für Davis entwickelt hatte. „Hey, Yolei!“, rief Davis ihr entgegen und winkte wild. „Wir haben extra hier auf dich gewartet.“ Yolei grinste und ließ sich erneut in die Arme nehmen, als sie bei ihnen ankam. Sie gratulierten ihr fröhlich und gingen dann gemeinsam ins Schulgebäude, um nicht doch noch zu spät zum Unterricht zu kommen. _ „Morgen.“ Karis Stimme klang freundlich, aber sie sah ihn nicht an. „Hey“, erwiderte T.K. ihren Gruß beiläufig und nickte Davis flüchtig zu. „Na, T.K., hast du gut geschlafen?“, fragte dieser grinsend. Dieser Gesichtsausdruck war seit Tagen wie auf sein Gesicht geklebt und T.K. fragte sich, ob er wohl auch mit diesem Grinsen schlief. „Jup“, antwortete T.K. einsilbig und blätterte in seinem Japanischbuch. „Cool. Dann bist du ja fit für Yoleis Party heute Abend“, erwiderte Davis und klopfte ihm auf die Schulter, bevor er sich auf seinen Platz hinter Kari setzte. Ach ja. Yolei hatte heute Geburtstag und er war zusammen mit Davis, Kari, Ken und Cody zu ihr nach Hause eingeladen. Ihm fielen nur wenige Dinge ein, auf die er heute noch weniger Lust hatte. „Kari, ich hole dich dann heute Abend ab und dann gehen wir zusammen zu Yolei, okay?“, redete Davis weiter und T.K. wünschte sich, er könnte ihn einfach stumm schalten. Irgendwie tat ihm diese Stimme in den Ohren weh. „Prima Idee, aber...“, antwortete Kari. „Finde ich auch. Ich könnte auch gleich nach der Schule mit zu dir kommen und einfach so lang bei dir bleiben“, schlug Davis gut gelaunt vor und T.K. verdrehte die Augen. Er war froh, dass Frau Yamamoto die Stunde eröffnete, bevor Kari antworten konnte, und somit das Gespräch der beiden beendete. _ Sora gähnte, als die Stunde vorbei war und sie und Tai endlich raus konnten, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie wäre fast eingeschlafen. „Was ist los mit dir in letzter Zeit? Ich sehe dich nur noch gähnen“, sagte Tai auf dem Weg nach draußen und musterte sie skeptisch. „Nichts. Ich schlafe nur zu wenig, glaube ich“, antwortete Sora wahrheitsgemäß. „Du musst echt weniger arbeiten. Das kann doch nicht gesund sein, was du machst.“ Wenn Tai wüsste, dass ihr Schlafmangel nicht an ihrer Arbeit oder ihren Hausaufgaben sondern an Matt lag. In den letzten Tagen hatten sie sich jeden Abend getroffen. Mal draußen, mal bei ihm, mal bei ihr. Sie waren sich schon viel näher gekommen, als Sora jemals in ihrem Leben beabsichtigt hatte. Sie konnte selbst nicht erklären, was es war, das sie dazu brachte, ihre Vorsätze zu brechen, aber zwischen Matt und ihr hatte sich irgendetwas entwickelt, das es bei einer normalen Freundschaft nicht gab. Meist saßen sie nur zusammen, redeten und lachten, aber häufig küssten sie sich auch, obwohl Matt vor gar nicht langer Zeit noch behauptet hatte, er küsste nicht, und schon gar nicht sie. Doch Sora dachte nicht darüber nach, sondern genoss einfach die Momente; das kribbelige Gefühl in ihrem Inneren, als wäre eine Horde Ameisen in ihrem Magen unterwegs. In der Schule jedoch ließen sie sich nicht anmerken, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Es war wie ein stummes Einverständnis. Matt saß schon auf der gewohnten Bank der kleinen Gruppe und lächelte sein kühles Lächeln, als sie und Tai zu ihm stießen. Tai begrüßte ihn mit einem Handschlag, Sora mit einem tiefen Blick. Wenig später kamen auch Mimi und Izzy dazu, die gerade miteinander diskutierten. „... aber dafür ist doch das Schwammgewebe da“, sagte Mimi gerade ungeduldig und fuchtelte mit dem Apfel in ihrer Hand vor Izzys Gesicht herum. „Nein, das Schwammgewebe ist dazu da, um das Wasser zu speichern“, antwortete Izzy gelassen und stellte seine Tasche ab, als sie bei Tai, Matt und Sora ankamen. „Und was macht dann das Palisadengewebe?“, fragte Mimi in genervtem Ton. „Was quatscht ihr da?“, unterbrach Tai sie und sah sie schief an. „Wir besprechen gerade den Biotest, den wir morgen schreiben. Und das Palisadengewebe enthält die Chloroplasten“, sagte Izzy und streckte sich. „Ah, und die Chloroplasten betreiben die Photosynthese, richtig?“, fragte Mimi, ohne auf Tai einzugehen. „Genau.“ Izzy nickte bekräftigend. „Puh.“ Mimi ließ ihre Tasche fallen. „Also Kutikula, Epidermis, Plaisadengewebe, Schwammgewebe, Epidermis, Kutikula.“ Izzy machte eine erleichterte Miene und nickte. „Hallo, es ist Pause“, erinnerte Tai sie. „Hört auf mit dem Scheiß.“ „Tja, Tai, um gute Noten zu bekommen, muss man eben auch mal außerhalb des Unterrichts was machen. Aber was erzähle ich das überhaupt einem Vierenschreiber wie dir?“, zischte Mimi und verschränkte die Arme vor der Brust. Tai sah sie an und hob eine Augenbraue. „Wer hatte denn in seinem letzten Mathetest mickrige zehn Punkte, hm?“ Sora seufzte und setzte sich neben Matt auf die Bank. Dieser Diskussion wollte sie nicht weiter folgen, das endete nur wieder im Streit. _ Davis küsste Kari auf die Wange und nahm ihre Hand. Er hätte den ganzen Tag damit verbringen können, ihre Hand zu halten und sie anzusehen. Ihr süßes Lächeln machte ihn jedes Mal ganz verrückt. „Sagt mal, kommt T.K. heute Nachmittag eigentlich auch zu Yolei?“, fragte Cody und sah Davis und Kari an. T.K. verbrachte die Pausen seit einigen Tagen gar nicht mehr mit ihnen, sondern nur noch mit Shiori. Davis war das egal. Ihm war alles egal, solange Kari bei ihm war. Yolei war ebenfalls nicht da in dieser Pause. Die stand bei einigen Mädchen aus ihrer Klasse. „Glaub' schon“, antwortete er schulterzuckend. „Ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen“, meinte Cody und sah sich um. Davis tat es ihm gleich, doch er konnte T.K. nirgends entdecken. Wer wusste schon, wo er sich mit Shiori immer herumtrieb. Schnell wandte er sich wieder an Kari. „Sag mal, fandest du die Hausaufgaben in Mathe diesmal auch so leicht wie ich?“ Sie antwortete nicht, schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass er mit ihr gesprochen hatte, sondern starrte nur gedankenverloren auf einen unbestimmten Fleck. „Kari? Hey, Kari!“ Sie zuckte zusammen und sah ihn an. „Hm?“ „Ich hab' dich gefragt, ob du die Mathehausaufgaben auch leicht fandest“, wiederholte Davis und lächelte. „Welche Hausaufgaben?“, fragte Kari verwirrt. „Na in Mathe. Im Buch“, antwortete Davis stirnrunzelnd. Auch Cody musterte Kari nun irritiert. „Wir hatten was auf?“ Plötzlich sah Kari erschrocken aus. „Mist, das habe ich irgendwie...“ „Willst du meine Hausaufgaben abschreiben?“, bot Davis unsicher an. „Kari vergisst Hausaufgaben?“, fragte Cody und schüttelte den Kopf. „Ich... nein, ich werde Herrn Kuugo einfach gleich sagen, dass ich es vergessen habe“, antwortete Kari langsam und fuhr sich durch die Haare. Sie machte sich von Davis los, holte ihren Mathehefter aus ihrer Tasche und blätterte darin herum, als hoffte sie, irgendwo doch noch die erledigten Hausaufgaben zu finden. Cody und Davis sahen sich ratlos an. _ „Nein!“, rief Iku, klatschte in die Hände und sah Kari streng an. „Hikari, Füße! Du siehst ja aus wie ein Trampel.“ Kari nickte und führte die Bewegung noch einmal aus. „Rücken!“, schnappte Iku und verpasste Kari einen leichten Schlag auf den Lendenwirbelbereich. Und noch einmal machte Kari die gleiche Bewegung. „Hände! Wie hältst du denn bitte deine Hände? Und die Füße waren auch schon wieder nicht gestreckt.“ Iku musterte Kari forsch. „Übe!“ Dann kam sie schließlich zu Mimi und sah sie erwartungsvoll an. Mimi führte die gleiche Bewegung aus wie Kari, ohne unterbrochen zu werden. Als sie fertig war, nickte Iku. „Achte auf deine Hände. Ansonsten okay. Du hast dich verbessert.“ Und mit diesen Worten ging sie weiter und ließ Mimi erleichtert zurück. Sie war inzwischen so daran gewöhnt, von ihr kritisiert zu werden, dass sie gar nicht mehr mit einem Lob rechnete. Sie hatte sogar schon öfter überlegt, den Tanzkurs zu schmeißen und sich eine andere Aktivität zu suchen, doch Kari hatte ihr immer wieder Mut gemacht, mit ihr geübt und ihr gut zugeredet, sodass sie schließlich doch geblieben war. Und heute war der erste Tag, an dem sie auf einmal besser war als Kari. „Hast du das gehört? Sie hat nur meine Hände... ist alles okay?“ Mimi hatte sich zu Kari umgedreht und gerade noch mitbekommen, wie diese sich über die Augen gewischt hatte. Jetzt nickte sie schnell und setzte ein Lächeln auf. „Mhm. Ja, das ist super. Du bist wirklich viel besser geworden“, sagte sie mit belegter Stimme. „Kari, was ist los?“, fragte Mimi verwirrt. „Nimm dir doch die Kritik nicht so zu Herzen. Du bist heute eben ein bisschen unkonzentriert. Freitag ist es dann wieder gut.“ „Ich... ja. Ist schon gut. Alles okay“, antwortete Kari und machte sich wieder daran, die Tanzbewegung zu üben. Mit skeptischem Blick sah Mimi ihr zu. Sie hatte das Gefühl, dass noch irgendetwas ganz anderes nicht in Ordnung war. Und sie hatte auch schon so eine Ahnung, was das war. _ Ken konnte sich noch gut an den Weg zu Yolei erinnern. Er wohnte in einem anderen Stadtteil und brauchte eine Weile zu ihr, doch er hatte keinerlei Probleme, das Haus zu finden, in dem sie mit ihrer Familie wohnte. Er fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben, lief den Flur entlang bis zur Wohnung der Inoues und drückte auf den Klingelknopf. Es dauerte keine drei Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde und Yolei ihn anstrahlte. „Oh, hallo Ken! Du bist der Erste“, begrüßte sie ihn und trat zur Seite, um ihn einzulassen. Sie trug eine mit Essen befleckte Schürze. „Alles Gute zum Geburtstag!“, sagte Ken, umarmte sie kurz und drückte ihr sein Geschenk, das in einer bunten Tüte ruhte, in die Hand. „Danke“, erwiderte Yolei lächelnd. Sie ging ihm voran in die Küche und stellte das Geschenk sorgsam auf dem Tisch ab. Auf der Arbeitsfläche befand sich ein Erdbeerkuchen, dem sie sich nun zuwandte. „Entschuldige, ich bin noch nicht ganz fertig“, sagte sie und nahm eine Sahnespritztüte in die Hand. „Ist doch kein Problem. Bin ich vielleicht zu früh?“, fragte Ken mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Nein, nein, die anderen sind nur zu spät und ich zu langsam“, antwortete sie, während sie den Kuchen verzierte. Ken fiel auf, dass ihre Hände zitterten. „Ich meine, von Kari weiß ich, dass sie ein bisschen später kommt, aber die anderen?“ „Aber T.K. und Cody wohnen doch noch hier, oder?“, fragte Ken. „Ja, aber die mit dem kürzesten Weg kommen doch immer zuletzt“, erwiderte Yolei grinsend. Im nächsten Moment klingelte es an der Tür. „Ich gehe aufmachen“, verkündete Ken, bevor Yolei reagieren konnte. Er ging zur Tür und öffnete sie. Dort standen T.K. und Cody und machten ziemlich verdutzte Gesichter. „Nanu, Ken“, begrüßte Cody ihn. „Yolei ist gerade beschäftigt“, erklärte Ken und ließ die beiden herein. Da entdeckte er auch Davis, der gerade den Flur herunterkam. „Hallo, Ken!“, rief er ihm zu, als er ihn erkannte. Als sie kurz darauf alle in der Wohnung waren, gingen sie gemeinsam in die Küche zu Yolei, die große Augen machte. „Oh, ihr seid ja gleich alle gekommen. Wie schön.“ Sie grinste und trug den fertigen Kuchen ins Wohnzimmer. Die Jungs folgten ihr. „Das sieht aber lecker aus. Hast du das selbst gebacken?“, fragte Davis, der den Kuchen gierig musterte. „Ja, ist eben erst fertig geworden“, antwortete Yolei und stellte den Kuchen auf dem Tisch ab. Die Jungs begrüßten Yoleis Eltern, die auf dem Sofa saßen. Yolei nahm die Geschenke von T.K., Davis und Cody entgegen und stellte sie zusammen mit Kens Geschenk auf dem Tisch vor der Couch ab. „Die packe ich nachher aus. Jetzt futtern wir erst mal.“ Dann aßen sie Kuchen, tranken Kakao, hörten Musik und tauschten Neuigkeiten aus. „Mann, Yolei, der Kuchen ist echt lecker“, lobte T.K. Yolei und schob sich das letzte Stück von seinem Teller in den Mund. „Ich glaube, ich hebe gleich mal ein Stück Kuchen für Kari auf“, verkündete Davis, weil der Kuchen bedrohlich zur Neige ging und schaufelte noch ein Stück auf seinen Teller. Ken entging nicht, dass T.K.s Gesicht für eine Sekunde einen seltsamen Ausdruck bekam, bevor er sich an ihn wandte. „Wie geht es eigentlich Saki?“ „Gut. Sie hat gesagt, ich soll euch alle schön grüßen“, antwortete Ken. „Danke. Du hättest sie ruhig auch mitbringen können“, meinte Yolei. „Vielleicht nächstes Mal“, erwiderte Ken ausweichend. Die Beziehung zwischen ihm und Saki lief nicht so gut, wie er es sich erhofft hatte. Es fühlte sich irgendwie seltsam an. _ Es war später geworden als geplant. Kari hatte zu Hause eine ganze Weile damit verbracht, sich fertig zu machen. Sie hatte einfach nicht gewusst, was sie anziehen sollte. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch Zeit schinden wollen. Auch, wenn sie Yolei sehr mochte und im Normalfall gern bei ihr war, hätte sie heute lieber darauf verzichtet, zu ihr zu gehen. Alles war so seltsam geworden. Sie konnte selbst nicht erklären, warum sie jetzt mit Davis zusammen war. Sie hatte versucht, etwas in ihm zu finden, das sie so liebenswert fand, dass sie ihn als ihren ersten Freund haben wollte. Er hatte genug gute Seiten. Er war hilfsbereit, verbreitete gute Laune, war ehrlich, zuverlässig, freundlich. Doch das alles reichte Kari irgendwie nicht, um sich wirklich in ihn zu verlieben. Zumindest glaubte sie nicht, dass sie ernsthaft verliebt war. Wenn doch, dann war das Gefühl lange nicht so toll, wie immer alle behaupteten. Und warum das Ganze? Sie hatte sich einsam gefühlt. Sie hatte Angst gehabt, sie würde ihren Platz in T.K.s Leben für Shiori hergeben müssen, mit der er sich jetzt immer traf. Seit er diesen Brief von ihr in seinem Spind gefunden hatte, hatte sich der Kontakt zwischen Kari und ihm immer mehr reduziert. Vielleicht waren T.K. und Shiori ja mittlerweile ein Paar. Kari wollte es gar nicht wissen, denn bestimmt waren sie das. Und wenn nicht, dann waren sie sicher auf dem besten Weg, eines zu werden. Und nun versuchte Kari verzweifelt, in Davis das zu finden, was sie vorher in T.K. hatte. Und ja, vielleicht wollte sie damit auch ein wenig T.K. eins auswischen. Sie drückte auf den Klingelknopf und wartete, dass die Tür geöffnet wurde. Wenig später lächelte Davis sie an. „Hallo, wir haben schon auf dich gewartet. Komm rein“, begrüßte er sie. Sie lächelte und ging an ihm vorbei in die Wohnung. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor er mit ihr gemeinsam ins Wohnzimmer ging, wo alle am reich gedeckten Esstisch saßen. _ „Wie weit bist du eigentlich mit Sora?“, fragte Shin beiläufig. „Ich glaube, ich hab' sie fast so weit“, antwortete Matt aus dem Fenster starrend. Sie waren auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn und kamen gerade von der Bandprobe. Matt war müde und wollte eigentlich nicht reden. „Ich glaub's einfach nicht, dass du immer noch an der Sache dran bist“, meinte Shin kopfschüttelnd. „Alles nur für eine blöde Wette. Wenn Sora das herausfindet...“ Matt konnte selbst nicht so ganz glauben, was er tat. Mit jedem Tag wuchs sein schlechtes Gewissen ein kleines Stück und er spielte mehr und mehr mit dem Gedanken, die Sache abzubrechen. Er glaubte, dass sie sich in ihn verliebt hatte und er selbst konnte auch nicht bestreiten, dass er etwas für sie empfand, auch wenn er sich immer wieder einredete, dass das nicht stimmte. Er würde ihr zu gern von der Wette erzählen, doch er war sich fast sicher, dass sie ihm dann die Freundschaft kündigte. Und das zurecht. Die U-Bahn hielt an seiner Station, Matt verabschiedete sich von Shin und stieg aus. Auf dem kurzen Nachhauseweg galten seine Gedanken Sora. Heute hatten sie beide keine Zeit, sich zu treffen, weil sie beide noch Schulaufgaben erledigen mussten. Die abendlichen Treffen waren in den letzten zwei Wochen fast schon zu einer Art Ritual geworden. Er hatte nicht mehr das Bedürfnis gehabt, mit irgendwelchen anderen Mädchen zu schlafen, auch nicht nach dem Konzert am letzten Wochenende, obwohl er genug Gelegenheiten dazu gehabt hätte. Er schloss die Tür zur Wohnung auf und wurde von seinem Vater empfangen. „Ah, gut, dass du kommst. Ich habe etwas gekocht, es ist noch warm“, begrüßte er ihn, woraufhin Matt ihn erstaunt ansah. „Du hast gekocht?“ „Naja, ich hab's versucht.“ Er kratzte sich verlegen am Kopf. „Deine Mutter hat mir gesagt, wie das geht.“ Matt verdrehte die Augen und ging an Hiroaki vorbei in die Küche. Seine Eltern hatten ihr Vorhaben immer noch nicht aufgegeben, sondern waren nach wie vor der festen Überzeugung, ein Paar zu sein. Er setzte sich an den Küchentisch auf seinen Platz, wo schon ein fertiger Teller stand. Curry mit Reis. Er kannte das Gericht nur zu gut. Seine Mutter kochte das oft, wenn er mal bei ihr zu Besuch war. Während er anfing zu essen, setzte sein Vater sich ihm gegenüber. „Na? Schmeckt's?“, fragte er und musterte Matt fast schon ängstlich. „Bisschen viel Pfeffer. Ansonsten okay“, antwortete Matt zwischen zwei Bissen. „Da habe ich ja Glück gehabt“, seufzte Hiroaki und lachte nervös. „Sag mal, ist irgendwas passiert?“, fragte Matt und hob eine Augenbraue. „Du wirkst so angespannt.“ „Naja, um ehrlich zu sein... Deine Mutter hat uns am Wochenende zu sich nach Hause eingeladen. Zum Essen. Und... tja, es wäre schön, wenn du dir diesen Termin freihalten könntest.“ „Wieso? Soll ich in der Zeit auf unsere Wohnung aufpassen?“, fragte Matt abweisend und trank einen Schluck Wasser. Hiroaki runzelte die Stirn. „Du sollst natürlich mitkommen.“ Matt schnaubte verächtlich. „Nein. Das werde ich sicher nicht.“ „Matt, bitte überleg's dir. Wir...“ „Ich hab's mir schon überlegt.“ „Bitte. Wir würden uns alle sehr freuen, wenn du dabei bist. Wir brauchen dich doch, um eine Fa...“ „Nimm nicht das Wort 'Familie' in den Mund.“ „Doch, denn genau das sind wir. Eine Familie.“ „Oh, komm schon! Für eine Familie braucht es mehr als Vater, Mutter und zwei Söhne, die an einem Tisch sitzen.“ „Matt!“ Eine Ader an Hiroakis Schläfe pochte gefährlich. „Wieso bist du nur so verdammt stur? Ich bin diese Gespräche mit dir langsam leid.“ „Dann sind wir ja schon zwei“, erwiderte Matt gelassen. Hiroaki raufte sich die Haare. „Mir reicht's! Du wirst am Wochenende mitkommen, ob du nun willst oder nicht! Solange du nicht volljährig bist, wirst du tun, was ich dir sage!“ „Zwing' mich doch“, zischte Matt und stand auf, um seinen Teller zum Geschirrspüler zu bringen. Hiroaki stöhnte genervt und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. _ Trotz Schule war es insgesamt ein sehr schöner Geburtstag für Yolei gewesen. Gerade eben hatte sie alle bis auf Kari verabschiedet. Sie hatten nicht allzu lang bleiben können, schließlich war ja am nächsten Tag Schule. Kari hatte bereitwillig ihr Angebot angenommen, bei ihr zu übernachten. Als alle weg waren und die beiden Mädchen sich bettfertig gemacht hatten, kuschelten sie sich müde unter ihre Decken. „Vielen Dank für die Einladung, Yolei. Und dass ich hier übernachten darf“, murmelte Kari und klang so, als würde sie schon halb schlafen. „Ist doch kein Problem. Ich freue mich“, antwortete Yolei lächelnd. „Aber sag' mal...“ „Hm?“, machte Kari und sah sie aus halb geöffneten Augen an. „Das mit dir und Davis, das... sieht irgendwie... nicht so ganz ernst aus“, gestand Yolei. „Ich meine, von Davis sieht es schon ernst aus, aber von deiner Seite?“ Kari setzte sich wieder auf und sah sie an. Sie presste die Decke fest an ihren Körper, als wäre sie nackt und versuchte so, ihre Blöße zu verstecken. „Ich... nein, das ist ernst. Ich habe mich eben in ihn verliebt.“ „So sieht es aber nicht aus“, erwiderte Yolei. „Und zwischen dir und T.K. sieht es auch nicht so aus, als wäre alles in Ordnung. Liegt es an dieser Shiori?“ „Keine Ahnung. Nein“, murmelte Kari und wandte den Blick ab. „Er ist jetzt eben mit ihr zusammen und ich bin mit Davis zusammen. Ich verbringe eben viel Zeit mit Davis und habe deswegen nicht mehr so viel mit T.K. zu reden.“ „Und das ist okay für dich?“, hakte Yolei nach und sah sie durchdringend an. Sie glaubte Kari kein Wort. „Klar ist das okay“, antwortete sie ausweichend. „Ach Yolei, dein Essen heute war übrigens super lecker. Und der Kuchen erst. Wir müssen unbedingt mal zusammen kochen.“ „Oh, findest du wirklich?“, fragte Yolei erfreut und vergaß das Thema Kari und Davis. „Liebend gern. Ich kann dir das Rezept geben, wenn du magst.“ „Ja, das wäre prima. Dann kann ich den mal für Tai backen“, sagte Kari und nickte. „Ja, der freut sich bestimmt“, erwiderte Yolei grinsend. Kari gähnte, legte sich wieder hin und kuschelte sich unter ihre Decke. „Gute Nacht, Yolei.“ „Gute Nacht. Schlaf schön.“ _ Sie befand sich im gleichen Haus wie er, nur zwei Stockwerke über ihm. Normalerweise hätte sie diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne ihn zu besuchen. Mit ihm zusammen zu Yolei zu gehen. Oder bei ihm zu übernachten. Aber seit sie mit Davis zusammen war, hatten sie plötzlich noch weniger Kontakt als vorher. Davis hatte ihn heute Abend unglaublich genervt. Und das, obwohl er sich eigentlich verhalten hatte wie immer. Davis eben. Aber neuerdings fühlte T.K. sich von diesem Verhalten so dermaßen gestört, dass er sich am liebsten gar nicht erst im gleichen Raum mit ihm aufhalten würde. Und Kari war auch noch in diesen Idioten verliebt. Was fand sie nur an dem? Und warum auf einmal? Er schloss die Tür zur Wohnung auf und trat ein. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, was bedeutete, dass seine Mutter noch wach war. „Hey Mama“, begrüßte er sie und wollte schon weiter in sein Zimmer gehen, doch sie hielt ihn auf. „Warte doch mal. Wie war es denn?“, fragte sie und sah ihn neugierig an. „Lustig. Haben gegessen und gequatscht und ein paar Spiele gespielt und so“, antwortete T.K. ein wenig lustlos, sodass sie ihn schief ansah. „Du siehst aber nicht aus, als ob es lustig war“, meinte sie skeptisch. „Bin nur müde“, erwiderte er und unterstrich seine Aussage mit einem Gähnen. „T.K., hör mal“, fing sie an, sodass er doch wieder aufhorchte. „Dein Vater hat vorhin angerufen. Er hat wohl Ärger mit Matt.“ T.K. verdrehte die Augen. Von Matt wollte er jetzt eigentlich nichts hören. „Weshalb denn?“ „Wegen Samstag. Matt will anscheinend nicht mit ihm herkommen“, antwortete Natsuko und runzelte die Stirn. T.K. seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Irgendwie überrascht mich das jetzt nicht.“ „Er ist wohl immer noch dagegen, dass dein Vater und ich... naja“, murmelte Natsuko traurig. „Kannst du nicht noch mal mit ihm reden?“ „Ich?“, fragte T.K. verdutzt. „Ich glaube, du hast mehr Einfluss auf ihn als wir“, erklärte Natsuko langsam. „Das glaubst aber auch nur du. Wie soll ich ihn denn dazu überreden, doch wieder eine Familie haben zu wollen? Wenn er nicht will, dann will er nicht und dann müssen wir uns damit abfinden“, knirschte er. Natsuko zog die Augenbrauen hoch. „Er will keine Familie mehr?“ „Hat er mir zumindest gesagt.“ Natsuko rieb sich die Stirn. „Ich dachte, er bräuchte vielleicht nur etwas Zeit, aber wie es aussieht, hilft da wohl doch keine Zeit der Welt.“ Deprimiert senkte sie die Augenlider und wandte sich von ihm ab. Kapitel 20: Brüche ------------------ Mittwoch, 31. Mai 2006   „Mein Gott, Kari. Was ist denn los? Du gähnst schon zum gefühlt tausendsten Mal“, beschwerte sich Yolei und sah sie schief von der Seite an. „Ich habe irgendwie schlecht geschlafen“, murmelte Kari und rieb sich über die Augen. „Warum denn das? War es dir zu kalt? Vielleicht hätte ich das Fenster doch nicht öffnen sollen“, erwiderte Yolei. „Nein, das war okay. Mein Kopf ist nur so...“ Fragend sah Yolei sie an, als sie den Satz nicht zu Ende sprach. Ihr Kopf war gesenkt, als versuchte sie angestrengt, etwas zu übersehen. Yolei sah sich um und entdeckte T.K. am Eingang zum Schulgelände. „Ah, guten Morgen, T.K.“, begrüßte sie ihn schon von weitem. Zum Gruß hob er eine Hand. Kari murmelte ihm eine Begrüßung entgegen, ohne ihn anzusehen und auch er schien den Blickkontakt zu meiden. Yolei runzelte verwirrt die Stirn. „Ich gehe schon mal rein“, verkündete Kari. „Warte, wir kommen doch mit“, rief Yolei und sah T.K. auffordernd an, doch der schüttelte den Kopf. „Ich warte noch auf Shiori“, antwortete er. „Hätte ich mir eigentlich auch denken können, so sehr, wie ihr in letzter Zeit aneinanderklebt“, erwiderte Yolei grinsend. T.K. lächelte nur verhalten. „Ich gehe jedenfalls schon mal rein. Bis später.“ _ Nachdenklich sah er Kari nach, die soeben im Schulgebäude verschwunden war und von Yolei verfolgt wurde. So sehr, wie ihr in der letzten Zeit aneinanderklebt, hatte sie gesagt. Für seine Freunde musste es tatsächlich so aussehen, als wären er und Shiori ein Paar, doch das war nicht der Fall. Er konnte nicht von sich behaupten, etwas für Shiori zu empfinden, das über Freundschaft hinausging. Sie war nett und sie hatten viele gemeinsame Themen, über die sie reden konnten, doch je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto sicherer war er sich, dass es da keine Gefühle gab. „Hallo“, begrüßte Shiori ihn fröhlich, sodass er ein wenig zusammenzuckte. Sie umarmte ihn und machte sich mit ihm gemeinsam auf den Weg ins Schulgebäude. „Na, hast du deinen Vortrag noch fertig bekommen?“, fragte er. „Ja, heute Nacht noch. Aber ich habe danach kein Auge zu bekommen. Ich habe solche Angst davor“, murmelte sie. „Aber wieso denn? Du hast doch anscheinend viel Zeit damit verbracht. Dann kriegst du das bestimmt gut hin“, sagte T.K. ermutigend. „Ach, du weißt doch. Mir liegt es nicht so, vor Menschen zu reden“, antwortete sie ein wenig verlegen. „Ja, ich weiß“, antwortete T.K. lächelnd. Diese Art ging ihm allmählich etwas auf die Nerven. Er konnte nicht verstehen, wie ein Mensch nur so schüchtern sein konnte. Mittlerweile schaffte sie es, mit ihm normal zu reden, doch auch das hatte einige Tage gedauert, nachdem sie sich das erste Mal persönlich gegenübergestanden hatten, obwohl sie sich vorher so viele E-Mails geschrieben hatten. Er hatte nichts gegen Schüchternheit, doch er konnte einfach nicht verstehen, wie jemand kaum den Mund auf bekommen konnte. „Vielleicht sind wir ja im nächsten Schuljahr wieder in einer Klasse. Dann kannst du mein Vortragspartner werden und dann bekomme ich das bestimmt besser hin“, sagte sie. Sie kamen im Foyer an und blieben stehen. T.K. musste den Gang nach rechts weitergehen, während Shioris Raum im ersten Stock lag. „Glaubst du?“ Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Vielleicht wird es mit mir auch nur noch schlimmer.“ Sie kicherte. „Das kann ich mir nicht vorstellen. In deiner Nähe fühle ich mich irgendwie so sicher und... ich glaube, das würde einfach klappen.“ „Wenn du meinst“, antwortete T.K. verwirrt. „Ja, meine ich. Ich muss jetzt hoch. Sehen wir uns in der Pause?“ Mit leuchtenden Augen sah sie ihn an. „Klar, wie immer.“ Sie lächelte glücklich, zwinkerte ihm zu und eilte dann die Treppe nach oben. T.K. beobachtete sie, bis sie um die Ecke bog und verschwand. Dann ging er in seinen eigenen Klassenraum. _ „Sag mal, hast du irgendwas genommen, oder warum bist du so gut gelaunt?“, fragte Tai, den Kopf auf die Hand gestützt und beobachtete Sora skeptisch. Diese war gerade dabei, ihre Schulsachen auf dem Tisch auszubreiten und summte ein Lied vor sich hin. „Hm? Oh. Nein, alles okay“, antwortete sie lächelnd. Tai hob eine Augenbraue, erwiderte aber nichts. Eigentlich freute er sich ja auch, wenn sie glücklich war, aus welchem Grund auch immer. „Gibst du Mimi heute wieder Nachhilfe?“, fragte Sora. „Oh Gott, ja. Erinner' mich nicht dran“, seufzte Tai und verdrehte die Augen. „Wieso? Ist es denn so schlimm?“, fragte sie verdutzt. „Sie ist so schwer von Begriff. Das bringt mich manchmal zur Weißglut“, murmelte Tai und verzog das Gesicht. Sora kicherte. „Ich finde es aber echt toll, dass du das für Mimi machst. Ich glaube, das bedeutet ihr sehr viel, auch wenn sie das nicht so zeigt.“ „Das will ich stark hoffen“, erwiderte Tai. „Immerhin opfere ich jeden Mittwoch drei Stunden meiner Freizeit für sie.“ Sora lachte und berührte mit der Hand seinen Arm, was ihm einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte. „Du bist ein richtiger Held, Tai.“ „Man tut, was man kann“, antwortete Tai lässig und zuckte mit den Schultern. „Wir müssen unbedingt mal wieder was zusammen machen. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal einen Abend zusammen verbracht haben“, stellte Sora fest und sah ihn fragend an. „Ähm... keine Ahnung“, erwiderte er und kratzte sich am Kopf. Er konnte sich auch nicht wirklich daran erinnern. Es war ein wenig schwieriger geworden, seit sie wusste, was er für sie empfand, doch vielleicht wurde es jetzt wieder besser und vielleicht bekam er sogar eine Chance. „Vielleicht am Freitag?“ „Hm...“, machte Sora nachdenklich. „Da könnten wir zu Matts Konzert gehen und hinterher irgendwo feiern.“ „Matts Konzert?“ Tai runzelte die Stirn. „Da war ich doch erst mit.“ „Das war letzten Monat, du Banause“, erwiderte sie. „Aber wir können auch was anderes machen, wenn du willst.“ Tai lächelte. Eigentlich war es ihm egal, was sie machten, solange sie zu zweit waren. _ Irgendetwas musste einfach passieren. So wie jetzt konnte es nicht weitergehen. Unruhig rutschte Kari auf ihrem Platz hin und her und konnte sich beim besten Willen nicht auf den Unterricht konzentrieren. Es widerte sie mittlerweile fast schon an, wenn Davis sie küsste. Sie spürte einfach, dass sie das eigentlich gar nicht wollte und würde sich am liebsten wegdrehen, wenn er ihr so nahe kam. Nicht, dass sie ihn nicht mochte, doch sie war einfach nicht in ihn verliebt. Und mit T.K. musste sich auch wieder etwas ändern. Es machte sie fertig, dass sie sich in den letzten Tagen so wenig zu sagen hatten. Als seine beste Freundin sollte sie sich für ihn freuen, dass er eine Freundin hatte, die er liebte und kein Eifersuchtsdrama abziehen. Und schon gar nicht jemand anderen dafür ausnutzen, denn das hatte Davis auf keinen Fall verdient. Ruckartig drehte sie sich zu T.K. neben sich um, der ihren Blick fragend erwiderte. „Ich muss mit dir reden“, flüsterte sie. „Jetzt?“ Er sah sie stirnrunelnd an. „In der Pause?“ „Da treffe ich mich mit Shiori“, antwortete T.K. „Hikari, Takeru. Ich bitte um Aufmerksamkeit in meinem Unterricht.“ Frau Yamamoto sah sie streng an, sodass beide sich wieder an sie wandten. Als Frau Yamamoto sich wieder zur Tafel drehe, kritzelte Kari eine Notiz auf die Ecke eines Blatt Papiers. Heute nach der Schule Nami's Café? Sie riss die Ecke ab und schob sie zu T.K., der eine Hand darauf legte, ohne den Blick von der Tafel abzuwenden. Während er möglichst unauffällig ihr Gekritzel las und darauf antwortete, versuchte Kari, Frau Yamamoto zuzuhören, doch es gelang ihr einfach nicht. Viel mehr dachte sie darüber nach, was T.K. wohl antwortete und wie Davis reagieren würde, wenn sie ihm demnächst sagte, dass sie doch keine Beziehung mit ihm wollte. Sicher brach es ihm das Herz. Sie zuckte zusammen, als sie T.K.s Hand an ihrem Oberschenkel spürte. Er wollte ihr nur den Zettel unter dem Tisch geben, doch diese Berührung machte sie trotzdem verlegen. Sie nahm ihm den Zettel aus der Hand, wobei sich ihre Hände berührten. Schnell legte sie beide Hände auf dem Tisch ab und wartete auf einen günstigen Moment, seine Antwort zu lesen. Ok. Treffen im Foyer? Kari sah ihn an und nickte kaum merklich. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. „Dürfte ich das bitte haben?“ Erschrocken drehte Kari sich wieder um. Frau Yamamoto stand mit ausgestrecktem Arm vor ihr und hielt ihr die Hand direkt vors Gesicht. „Was denn?“, fragte Kari in einem verzweifelten Versuch, sich dumm zu stellen. „Den Zettel in deiner Hand“, antwortete Frau Yamamoto trocken. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Beschämt legte Kari den Zettel in ihre Hand und schaute anschließend auf ihren Hefter. Frau Yamamoto ging mit dem Zettel nach vorn. „Eure Liebesbriefe könnt ihr in der Pause austauschen, aber jetzt ist Unterricht.“ Kari biss sich auf die Unterlippe. Sie sah Davis nicht, doch sie wusste genau, wie sein Gesicht in diesem Moment aussah. _ „Liebesbriefe? Warum hat sie Liebesbriefe gesagt? Was habt ihr euch da geschrieben, Kari?“ Cody beobachtete Davis' verzweifeltes Gesicht. Er konnte ihm nicht so ganz folgen und hatte keine Ahnung, wovon er redete, doch er wirkte ziemlich geknickt. „Das waren keine Liebesbriefe“, antwortete Kari nun schon zum dritten Mal. Sie sah ihn nicht an. Cody fing Yoleis Blick auf und wusste, dass er nicht der Einzige war, der wieder einmal nichts mitbekommen hatte. „Aber was stand denn dann auf dem Zettel?“, fragte Davis und versuchte, Kari in die Augen zu sehen, doch sie fand ständig eine andere Beschäftigung. Jetzt spielte sie mit dem Saum ihres Rocks und kratzte an einem unsichtbaren Fleck herum. „Das war nichts Wichtiges. Nur so Blabla“, murmelte Kari ausweichend. „Worum geht’s denn überhaupt? Weshalb streitet ihr?“, fragte Yolei nun neugierig. „Das kann Kari dir wahrscheinlich besser erklären. Immerhin schreibt sie T.K. geheime Zettelbotschaften“, antwortete Davis leise. Überrascht hob Cody die Augenbrauen. Er konnte sich nicht erinnern, Davis schon einmal so enttäuscht gesehen zu haben. Er wirkte ernstlich verletzt, sodass auch Cody sich nun fragte, was Kari und T.K. sich für Zettel schrieben. „Da ist nichts Geheimes“, erwiderte Kari mit einer Spur Ungeduld in der Stimme. Es sah ihr gar nicht ähnlich, so zu reagieren. „Das war nur ganz oberflächliches Gerede.“ Cody sah sich um, konnte T.K. aber nirgendwo entdecken. Es hätte ihn interessiert, was er dazu zu sagen hatte, doch er war sicher wieder bei Shiori. „Kari...“, stammelte Davis. Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen. Nun sah sie ihn an. „Was?“ „Nichts.“ _ Ungeduldig und ein bisschen nervös wartete Kari im Foyer auf T.K. Sie wusste, dass er gerade noch irgendwo mit Shiori sprach. Sie selbst hatte sich nur ganz kurz von Davis verabschiedet und war ins Foyer gegangen, während Davis sich zu den Umkleidekabinen aufgemacht hatte. Kari war froh, dass er heute Fußballtraining hatte und so nicht mit ihr und T.K. mitkommen konnte. T.K. tauchte zusammen mit Shiori auf und Kari lächelte beide tapfer an. „Hallo Hikari“, grüßte Shiori sie schüchtern. „Hi“, antwortete Kari ausweichend. Sie machten sich auf den Weg zu Nami's Café und Kari fragte sich gerade, ob Shiori wohl mitkommen würde, als sie plötzlich in eine andere Richtung abbog. „Macht's gut. Bis morgen“, verabschiedete sie sich und Kari entging der Blick nicht, den sie T.K. zuwarf. „Bis morgen“, erwiderte T.K. und wandte sich um. Schweigend gingen sie nebeneinander her zu Nami's Café. Drinnen war es relativ voll und sie hatten Glück, noch einen Tisch abzubekommen „Da drüben sind ja Izzy und Mimi“, stellte T.K. überrascht fest. Kari drehte sich in die Richtung um, in die er sah, und entdeckte die beiden. Sie saßen an einem Fensterplatz und unterhielten sich angeregt miteinander, sodass sie sie gar nicht bemerkten. Das war Kari ganz recht so. Mimi würde sie es zutrauen, dass sie Gerüchte verbreitete, wenn sie sie und T.K. hier ohne Davis sah. Sie nahmen Platz und bestellten sich etwas zu trinken. Dann schwiegen sie und Kari überlegte, wie sie das Gespräch beginnen konnte. Auch T.K. schien darauf zu warten, dass sie endlich etwas sagte, denn er sah sie fragend an. „Lange her, dass wir was zu zweit gemacht haben“, sagte er schließlich, nachdem sie weitere Augenblicke lang geschwiegen hatte. „Ja“, antwortete Kari nickend. „Jetzt fang' du nicht auch noch an wie Shiori. Die sagt auch immer nur 'ja' und 'nein' und den Rest muss man ihr aus der Nase ziehen.“ Er sah sie schief an, sodass sie lächelte. „Entschuldige. Ich freue mich, dass du Zeit hast.“ T.K. nickte. „Wolltest du irgendwas Bestimmtes?“ „Ehrlich gesagt ja“, gestand Kari, den Blick auf ihre Cola gerichtet, ohne sie wirklich zu sehen. „Ich vermisse dich, T.K., obwohl ich dich jeden Tag sehe. Aber es ist irgendwie so anders und ich weiß gar nicht richtig, warum. Das heißt, eigentlich weiß ich schon, warum.“ Sie sah auf und bemerkte, dass er sie beobachtete. Sein Blick war ernst, doch er erwiderte nichts. „Als ich gesagt habe, dass es mich nicht stört, dass du und Shiori euch Briefe schreibt, habe ich vielleicht gelogen.“ Sie nippte an ihrer Cola und nutzte den kurzen Moment, um ihn anzusehen, doch er zeigte noch immer keine wirkliche Reaktion. Wusste er nicht, was er sagen sollte? Oder wollte er einfach nichts sagen? Kari stellte ihr Glas ab und seufzte. „Hör' mal, wenn du mit Shiori zusammen bist, dann ist das für mich okay. Ehrlich. Ich kann ja trotzdem genauso mit dir befreundet bleiben wie vorher. Naja, vielleicht nicht genauso. Es gefällt ihr wahrscheinlich nicht, wenn ich bei dir übernachte, aber wir können uns trotzdem noch am Wochenende treffen und in den Park gehen und so.“ Er runzelte die Stirn. „Ich bin doch gar nicht mit ihr zusammen.“ _ Izzy genoss es, wieder einmal außerhalb der Schule Zeit mit Mimi zu verbringen. In den letzten Tagen und Wochen hatten sie sich nur in der Schule gesehen, da sie beide ständig beschäftigt waren, doch jetzt hatten sie einen freien Nachmittag gefunden, um mal wieder ein wenig zu quatschen. „Wie läuft es denn eigentlich mit deiner Nachhilfe? Macht es Spaß oder ist es anstrengend mit Tai?“ Mimi seufzte. „Also es hilft mir schon und ich glaube, ich habe mich verbessert, aber es ist anstrengend mit Tai, ja. Mit dir wäre es sicher schöner.“ Verlegen kratzte Izzy sich am Hinterkopf. „Aber Tai ist doch nett, oder nicht?“ Mimi runzelte die Stirn. „Es geht so. Er ist nicht gerade der geduldigste Mensch und meistens merke ich ihm an, dass er keine Lust hat. Aber dann machen wir irgendwas in Englisch und dann geht’s wieder.“ Sie warf einen Blick auf ihr Handy. „In einer Stunde hole ich ihn vom Training ab und dann gehen wir zu ihm nach Hause. Er will nicht mehr zu mir kommen, weil mein Vater ihn nicht leiden kann, weißt du?“ Sie kicherte. Izzy hob überrascht die Augenbrauen. „Dein Vater mag Tai nicht?“ Mimi schüttelte den Kopf. „Nein, er hat keine gute Meinung von Fußballern.“ „Wieso nicht?“, fragte Izzy verwirrt. „Ach, lange Geschichte“, antwortete Mimi abwinkend. „Dich mag er da schon viel lieber.“ Sie zwinkerte ihm zu und Izzy wurde verlegen. „Dich mögen meine Eltern auch. Du bist jederzeit wieder zu uns eingeladen“, antwortete er lächelnd. _ T.K. beobachtete, wie sich Karis etwas zurückhaltender Gesichtsausdruck in Überraschung verwandelte. „Du bist nicht mit ihr zusammen?“, fragte sie irritiert. „Irgendwie dachte ich das die ganze Zeit.“ T.K. schüttelte den Kopf. „Wieso hast du mir nicht gleich gesagt, dass dich das mit Shiori stört?“ „Erstens will ich dir ja bei nichts im Weg stehen und mich nicht wie eine eifersüchtige Ziege benehmen und zweitens hätte das doch sowieso nichts geändert“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern. „Ich glaube schon, dass das was geändert hätte“, erwiderte T.K. „Dann würden wir jetzt nicht hier sitzen und darüber reden, sondern alles wäre gut.“ Sie senkte die Lider und betrachtete erneut eingehend ihre Cola. Ihre Wangen hatten einen zarten rosafarbenen Schimmer angenommen und sie fuhr sich fahrig durchs Haar. „Wahrscheinlich wäre ich dann auch nicht mit Davis zusammen“, sagte sie nach einer Weile und sah ihm wieder in die Augen. T.K. runzelte die Stirn und sah sie schief an. „Wie meinst du das?“ „Naja“, wieder senkte sie den Blick, „ich bin gar nicht verliebt in ihn, denke ich. Ich glaube, ich habe das nur gemacht, um dir irgendwie eins auszuwischen. Ich weiß, das war bescheuert.“ Entgeistert starrte T.K. sie an. Was hatte sie ihm da gerade gestanden? Die ganze seltsam plötzliche Beziehung mit Davis war nichts als ein Akt der Eifersucht? Kari nutzte jemanden aus, um jemand anderem eins auszuwischen? „Ist das dein Ernst?“, brachte T.K. heraus. Er konnte nicht behaupten, dass Davis sein bester Freund war und auch nicht, dass er von ihm und Kari begeistert war, doch er wünschte es ihm wirklich nicht, so ausgenutzt zu werden und schon gar nicht von Kari, in die er seit gefühlten hundert Jahren verknallt war. „Ja“, antwortete sie betreten. „Ich werde es ihm morgen sagen und mit ihm Schluss machen.“ „Kari, das ist...“ Ihm fehlten die Worte. Er war wirklich enttäuscht von ihr. Nie hätte er ihr so etwas zugetraut. „Ich weiß, das ist gemein von mir“, stimmte sie ihm deprimiert zu. „Ja. Jetzt stehst du doch wie eine eifersüchtige Ziege da.“ T.K. stand auf, legte ein paar Münzen auf den Tisch, die für sein Glas Cola gedacht waren und verließ Nami's Café, ohne sich noch einmal nach Kari umzudrehen. _ „Worüber wolltest du mit mir reden?“, fragte Ken geduldig. Er und Davis saßen auf einer Bank am Strand und blickten aufs Meer hinaus. Davis hatte diese Sache mit Kari so sehr zu schaffen gemacht, dass er Ken nach dem Unterricht angerufen hatte und ihn gefragt hatte, ob sie sich treffen könnten. Er musste einfach mit jemandem darüber sprechen und er glaubte, dass Ken genau der Richtige war. Er konnte zuhören und würde sicher versuchen, ihm hilfreiche Tipps zu geben. Und außerdem konnte er sicher verstehen, wie Davis sich fühlte, da er ja selbst gerade eine Freundin hatte. „Ich habe Angst, dass das mit Kari bald vorbei sein könnte“, gestand Davis schließlich und sah zu Boden. Allein der Gedanke, Kari könnte sich von ihm trennen, machte ihn fertig. „Oh. Wie kommst du denn darauf?“, fragte Ken verwundert. „Sie und T.K. haben sich im Unterricht Zettel geschrieben. Und in der Pause hat sie mich ignoriert. Und nach der Schule hat sie sich so komisch von mir verabschiedet“, erklärte er und seufzte. „Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und ich glaube, es hat was mit T.K. zu tun.“ „Aber ich dachte, T.K. hat eine Freundin?“, erwiderte Ken verwirrt. „Bestimmt machst du dir umsonst Sorgen.“ „Ich weiß nicht, ob er wirklich mit Shiori zusammen ist. Ich hab's nur gehofft, aber ich kann mich auch irren“, murmelte Davis. „Ehrlich gesagt hatte ich mich gefreut, als er angefangen hat, mit Shiori rumzuhängen. Seitdem rennt Kari ihm nicht mehr so hinterher.“ „Aber sie sind doch sowieso nur beste Freunde, oder?“, fragte Ken weiter. Davis zuckte ratlos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Offiziell schon, aber wer weiß, was da wirklich abgeht. Sie hat auch schon bei ihm übernachtet und so.“ Ken nickte zögerlich. „Ich denke, du solltest einfach mal mit ihr darüber reden. Bestimmt versteht sie das und erklärt dir dann, was los ist.“ „Ich weiß nicht. Ich will sie nicht nerven oder so. Ich hab' Angst, dass sie sich dann erst recht trennen will“, entgegnete Davis deprimiert. „Aber vielleicht machst du dir auch völlig umsonst sorgen“, sagte Ken aufmunternd. „Mit Kari kann man doch reden.“ „Vielleicht hast du Recht.“ Davis seufzte tief und lehnte sich auf der Bank zurück. „Ich wünschte, ich wäre du und müsste mir keine Sorgen um meine erste Beziehung machen.“ Ken zögerte. „Naja, also...“ Davis sah ihn mit gehobenen Augenbrauen an. Ken sah nicht wirklich glücklich und zufrieden aus. „Was also?“ „Mit Saki, das ist irgendwie komisch“, murmelte Ken mit gesenktem Blick. Davis war verwirrt. Komisch? „Wie meinst du das?“ Ken zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Es fühlt sich seltsam an. Ich glaube, ich bin nicht richtig verliebt in sie.“ Davis machte große Augen. „Du glaubst es nicht? Heißt das, du weißt es nicht? Wie kannst du das nicht wissen?“ Erneut zuckte Ken mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob sich Liebe wirklich so anfühlt.“ „Also ich weiß ja nicht, wie es sich bei dir anfühlt, aber wenn ich an Kari denke, dann kriege ich so ein kribbelndes Gefühl im Bauch. Jetzt auch gerade. Und wenn sie bei mir ist, dann kann ich an nichts anderes denken. Und nachts, bevor ich einschlafe, sehe ich immer als letztes ihr Gesicht vor mir“, erzählte Davis und hatte auch jetzt Karis Gesicht vor seinem inneren Auge. Wie sie lächelte. Wie sie sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Ken lächelte traurig. „So geht es mir irgendwie nicht, wenn ich an Saki denke.“ _ Am ganzen Körper verkrampft saß Mimi mit den Yagamis am Esstisch und würgte das Abendessen herunter. Sie hasste Tai dafür, dass er immer darauf bestand, erst einmal etwas zu essen, wenn er zu Hause ankam. So war sie gezwungen, mitzuessen. Sie konnte sich ja schlecht ausklinken und in der Zeit allein in seinem Zimmer warten. Es war auch schon vorgekommen, dass Kari gekocht hatte, dann war das Essen eigentlich in Ordnung gewesen, auch wenn manchmal ein wenig Salz fehlte oder das Hühnchen zu zäh geworden war. Aber im Grunde schmeckte es. Doch Kari saß heute Abend vor dem Teller und stocherte in ihrem Essen herum. Mimi konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass es ihr nicht schmeckte, oder ob irgendetwas nicht stimmte. „Wie hast du das denn gewürzt?“, fragte Tai an seine Mutter gewandt, das Gesicht verzogen. „Von irgendwas ist hier viel zu viel drin. Und der Reis ist auch noch hart.“ „Ich weiß auch nicht mehr. Koriander oder so. Kann sein, dass ich ein bisschen viel rein gekippt habe“, räumte Yuuko ein. „Wieso hat Kari eigentlich nicht gekocht, hm?“, fragte Tai nun an seine Schwester gewandt, die ihm einen giftigen Blick zuwarf. „Koch' doch selbst“, zischte sie. „Kari kam heute später nach Hause, deswegen“, antwortete Yuuko an ihrer Stelle. „Achso? Wo war sie denn?“, fragte Tai neugierig. „Was geht dich das an?“, fuhr sie ihn an. Tai hob eine Augenbraue. „Was ist denn mit dir los? Hast du deine Tage, oder was?“ Kari knallte ihre Gabel auf den Tisch, stand auf und ging in ihr Zimmer, nicht ohne die Tür geräuschvoll zu schließen. „Tai“, sagte Yuuko vorwurfsvoll und schüttelte den Kopf. „Was? Wieso denn ich? Ich stelle ganz normale Fragen und sie macht mich dumm an“, protestierte Tai und aß den letzten Bissen aus seiner Schüssel. „Du musst sie ja nicht provozieren, wenn sie eh schon schlechte Laune hat“, antwortete Yuuko gelassen. Tai schnaubte nur und stand auf. Erleichtert folgte Mimi ihm. Genau wie Susumu Yagami hatte sie sich aus der Situation ganz herausgehalten und sich ganz auf ihr Essen konzentriert, das sie einfach nicht aufessen konnte. Sie hatte beschlossen, lieber hungrig ins Bett zu gehen. In Tais Zimmer packten sie beide ihre Mathesachen aus und setzten sich auf den Boden. „Du weißt nicht zufällig, was mit Kari los ist? Ihr Mädels steckt doch immer alle unter einer Decke“, sagte Tai und sah Mimi fragend an. „Nein, weiß ich nicht. Und Tai, ehrlich, es würde dir nicht schaden, mal ein bisschen sensibler zu sein“, antwortete Mimi trocken. „Dann würde Kari dir vielleicht auch erzählen, was los ist.“ „Sensibel? Ich bin doch sensibel“, erwiderte Tai. Mimi prustete los. „Du bist vieles, aber sicher nicht sensibel.“ „Du solltest dir überlegen, mit wem du hier redest, Miss Matheniete.“ Er sah sie vielsagend an. „Wollen wir jetzt anfangen, oder weiter diskutieren?“ _ Heute sollte es passieren. Heute wollte er endlich versuchen, seine Wette mit Shin zu gewinnen und mit Sora zu schlafen. Er war fast schon ein bisschen aufgeregt. Eben war sie gekommen und nun saßen sie in seinem Zimmer. Matts Vater war schon schlafen gegangen und Sora war direkt vom Café zu ihm gekommen. Sie hatte allerdings schon angekündigt, dass sie hundemüde war und nicht lang bleiben wollte, doch Matt wusste, wenn er wollte, könnte er sie dazu bringen, lange zu bleiben. „Sag mal... kann ich dir mal was zeigen?“, riss sie ihn aus seinen Gedanken und er sah sie erstaunt an. „Hm? Klar, was denn?“ Sie kramte in ihrer Tasche und holte etwas hervor, das wie ein Skizzenbuch aussah. Sie lächelte ihn nervös an, bevor sie es auf ihren Schoß legte und aufklappte. „Du bist der Erste, dem ich das zeige, also sei bitte nicht zu streng“, sagte sie. „Damit will ich mich bewerben.“ Und dann zeigte sie ihm Skizzen von Kleidungsstücken. Die zugehörigen Figuren waren nur schemenhaft gezeichnet, die Kleidungsstücke dafür umso ausgearbeiteter. Zu jeder Skizze sagte sie ein paar Sätze und erklärte, wie sie sich das gedacht hatte, welche Stoffe verwendet werden sollten und zu welchen Anlässen man die Sachen tragen konnte. Matt hörte interessiert zu und betrachtete ihre Zeichnungen. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie so gut zeichnen konnte. „Und? Wie findest du's?“, fragte sie und sah ihm in die Augen. „Ich dachte, du kannst dazu bestimmt was sagen. Immerhin machst du ja auch irgendwie was Künstlerisches.“ „Ich hab' zwar nicht so viel Ahnung von Mode, aber deine Zeichnungen finde ich gut. Man merkt, wie viel Herzblut du da reingesteckt hast“, antwortete er, nahm ihr das Buch aus der Hand und blätterte es noch einmal durch. „Das hier würde bestimmt an dir gut aussehen.“ Er hatte ein mintfarbenes Kleid aufgeschlagen und Sora lächelte. „Wenn ich es irgendwann mal genäht habe, dann zeig' ich dir, wie es an mir aussieht“, sagte sie. „Danke, dass du es dir angesehen hast.“ „Da gibt es nichts zu danken“, antwortete Matt abwinkend. „Zufällig habe ich auch was, was ich dir zeigen kann.“ Er holte seine Gitarre und setzte sich wieder zu ihr aufs Bett. „Dazu hast du mich inspiriert.“ Er spielte die ersten Akkorde und begann zu singen. Picture perfect memories, scattered all around the floor I'm reaching for the phone, 'cause I can't fight it anymore And I wonder if I ever cross your mind For me, it happens all the time It's a quarter after one, I'm all alone and I need you now Said I wouldn't call but I lost all control and I need you now And I don't know how I can do without, I just need you now Er ließ den letzten Akkord ausklingen und legte die Gitarre wieder beiseite. Dann sah er sie an. „Ist noch nicht fertig, aber wie gefällt's dir bisher?“ „Das ist... toll“, antwortete sie mit verträumtem Blick. „Und dazu habe ich dich inspiriert?“ „Ja, irgendwie schon“, sagte Matt mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen und zuckte mit den Schultern. Unvermittelt überwand Sora den Abstand zwischen ihnen und küsste ihn. Natürlich ging er sofort darauf ein, schloss die Augen und fuhr ihr mit einer Hand durchs Haar. Er atmete ihren typischen Duft ein, der ihm seit Jahren so vertraut war, genoss ihre Nähe, ihre weichen Lippen auf seinen. Er zog sie auf seinen Schoß, sodass sie nun rittlings auf ihm saß. Seine Hände ließ er vorerst an ihren Hüften ruhen, sie dagegen vergrub ihre Hände in seinem Haar und wurde allmählich ungehaltener. So kannte er sie gar nicht. Fest presste sie sich an ihn, er ließ seine Finger unter ihr Oberteil gleiten und schob es langsam nach oben. Ihre Hände rutschten zum Bund seiner Hose und nestelten an dem Knopf herum. Gerade wollte Matt ihren BH öffnen, als es ihn durchzuckte wie ein Blitz. Sora! Es war Sora, so etwas wie seine beste Freundin, mit der er hier gerade rummachte, um eine Wette zu gewinnen. Die liebe, gutherzige, einfühlsame Sora, die immer ein offenes Ohr für ihn hatte und ihn nie verurteilte, im Gegensatz zu allen anderen. „Warte mal.“ Diese zwei Worte waren wie von selbst aus ihm herausgerutscht, als hätte seine Zunge sich selbstständig gemacht. Sie hielt inne und sah ihn fragend an. Der Ansatz eines Lächelns umspielte ihre Lippen. „Was denn?“, fragte sie leise und ein wenig außer Atem. „Ich... muss dir was sagen“, sagte Matt. Er schob sie behutsam von sich herunter, woraufhin das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand. Vielleicht ahnte sie ja schon, was jetzt kam. „Was musst du mir sagen?“, fragte sie, als er zögerte. Er wollte ihrem Blick ausweichen, doch er zwang sich, ihr in die Augen zu sehen. Wenigstens das musste er tun. „Es war eine Wette.“ Sie sah nicht so aus, als hätte sie verstanden, was er gesagt hatte. Ihre Miene blieb unverändert und sie sah ihn nur an. „Was war eine Wette?“ „Das hier. Shin meinte, ich würde dich nie rumkriegen und ich bin darauf eingegangen, blöd wie ich bin“, erklärte Matt kurz angebunden. Ihre Augen weiteten sich. Sie sah ihn an, als hoffte sie, sie hätte sich verhört oder als würde er seine Worte noch einmal zurücknehmen. Wie in Zeitlupe schüttelte sie den Kopf. „Nein“, hauchte sie. „Das meinst du nicht ernst.“ „Doch. Ich bin ein Arschloch. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, ich weiß. Es tut mir Leid. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe“, erwiderte Matt schnell. Man könnte förmlich in ihren Augen sehen, wie etwas zerbrach. „Mir tut es Leid.“ Verwirrt beobachtete Matt, wie sie aufstand und ihre Tasche vom Boden aufhob. „Mir tut es Leid, dass ich so dumm war, zu denken, mit mir könnte es anders sein als mit deinen ganzen anderen Weibern!“ Bei den letzten Worten brach ihre Stimme weg und sie lief aus dem Raum. Matt sprang auf und lief ihr nach. „Es war anders“, rief er und versperrte ihr den Weg zur Wohnungstür, während sie in aller Eile ihre Schuhe anzog. „Glaub mir, es war anders. Ich empfinde wirklich etwas für dich.“ „Geh mir aus dem Weg“, sagte sie. Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Nein, hör mir zu. Ich hätte das nicht machen dürfen. Es war ein Riesenfehler. Ich...“ „Nein! Geh beiseite!“, rief sie. „Sora, bitte...“ „Lass – mich – sofort – raus.“ Er zögerte noch einige Sekunden und sah sie verzweifelt an. Mit funkelnden Augen starrte sie zurück. Schließlich trat er zur Seite und sie eilte an ihm vorbei aus der Wohnung. Kapitel 21: Klärende Gespräche ------------------------------ Donnerstag, 1. Juni 2006   Es war alles gelogen. All die Zeit, die sie in den letzten Wochen miteinander verbracht hatten. Alles, worüber sie geredet hatten. All die Küsse und Berührungen, die Vertrautheit. Alles. Und nun lag sie hier in ihrem Bett um vier Uhr morgens und weinte. Eigentlich hatte sie es gar nicht anders verdient. Immerhin war sie so dumm gewesen zu glauben, er könnte es mit ihr ernst meinen. Mit ihr wäre es anders. Von wegen. Wie hatte sie sich nur so hinters Licht führen lassen können? Und dann hatte er auch noch ganz dreist behauptet, er würde etwas für sie empfinden. Wie konnte er nur? Sora lag auf der Seite und das Kissen unter ihrem Gesicht war schon ganz feucht. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie da schon lag und über Matt und die vergangenen Wochen nachdachte. Sie war immer wieder mal eingeschlafen, aber jedes Mal hatte ein wirrer Traum sie wieder geweckt. Nicht nur, dass er ihr vorgegaukelt hatte, er würde etwas für sie empfinden. Nein, sie waren wirklich gute Freunde gewesen und er hatte sie einfach so verwettet. Alle anderen hatten Recht. Matt war ein Arschloch, das nur an sich selbst dachte. „Sora, du musst aufstehen.“ Toshiko war in Soras Zimmer erschienen und musterte sie. „Hast du deinen Wecker nicht gestellt?“ „Nein“, murmelte Sora und setzte sich langsam auf, verwundert, dass anscheinend schon wieder drei Stunden vergangen waren. „Ohje, was ist denn mit dir los? Geht's dir nicht gut? Du siehst ziemlich blass aus“, fragte ihre Mutter besorgt und kam auf sie zu, um ihr eine Hand auf die Stirn zu legen. „Ich... ähm... ja, mir geht’s wirklich nicht so gut“, antwortete Sora mit belegter Stimme. „Na gut“, sagte Toshiko. „Dann leg' dich wieder hin. Ich ruf' für dich in der Schule an. Danach geh' ich gleich in den Laden. Du kommst doch allein klar, oder?“ „Ja, alles okay“, murmelte Sora und ließ sich zurück in ihr Kissen sinken. _ „Na? Bist du wieder normal?“, wurde Kari von ihrem großen Bruder begrüßt, als sie zum Frühstück in die Küche kam. „Tai“, murmelte Yuuko und warf ihm einen scharfen Blick zu. Kari beachtete ihn einfach nicht, sondern setzte sich auf ihren Platz. In ihren Gedanken war sie bei Davis und überlegte, wie sie ihre Trennung formulieren sollte. In der Nacht hatte sie kaum ein Auge zu bekommen. „Guten Morgen, Kari“, begrüßte ihre Mutter sie mit einem Lächeln, das Kari flüchtig erwiderte. Sie strich sich eine dünne Schicht Marmelade auf ihr Toast und biss ohne Appetit ab. Ihre Mutter und Tai unterhielten sich über den heutigen Tagesablauf, während Kari gedankenverloren kaute und schwieg. Innerlich ging sie die Reaktionen durch, die Davis auf die Trennung zeigen könnte. Wut, Enttäuschung, Traurigkeit. Würde er anschließend überhaupt noch mit ihr befreundet sein wollen? Und würde T.K. wieder mit ihr reden? „Nanu“, riss Tai sie aus ihren Gedanken. „Sora hat mir gerade geschrieben. Sie ist krank.“ „Oh. Was hat sie denn?“, fragte Kari. „Keine Ahnung. Komisch. Gestern sah sie noch super gesund und fröhlich aus“, meinte er nachdenklich. „Das geht halt manchmal schnell“, sagte Yuuko schulterzuckend. „Du kannst ja heute zu ihr gehen und dich um sie kümmern. Dann geht’s ihr bestimmt schnell wieder besser.“ Sie zwinkerte vielsagend und Tai verdrehte die Augen. Wenig später machten sich die Geschwister auf den Weg zur Schule. Wie jeden Morgen trafen sie unterwegs auf Davis, der sie grinsend begrüßte und Kari küssen wollte, doch sie wich zurück. Fragend sah er sie an. Tai drehte sich zu ihnen um, weil sie stehen geblieben waren. „Kannst du schon mal vorgehen?“, bat Kari ihn. „Ich will was mit Davis besprechen.“ Er hob die Augenbrauen, drehte sich aber wortlos um und ging. Davis schien zu ahnen, dass es sich bei dem kommenden Gespräch um nichts Gutes handeln würde. „Was hast du denn?“, fragte er und sah sie zweifelnd an. Langsam gingen sie weiter. Kari versuchte, sich die richtigen Worte zurechtzulegen, was ihr jedoch nur mäßig gelang. „Hör mal, ich... also... das mit uns...“, sie holte tief Luft, „ich glaube, das ist nicht richtig.“ Davis zögerte, bevor er antwortete. „Wie meinst du das?“ „Ich bin nicht wirklich verliebt in dich“, gestand sie schließlich. „Wenn ich ehrlich bin, dann... also das mit T.K. und Shiori hat mich ziemlich mitgenommen. Und vielleicht wollte ich ihn eifersüchtig machen mit dir.“ „Was?“, fragte Davis mit brüchiger Stimme. Er blieb stehen und sah sie an. Sein Blick versetzte Kari einen schmerzhaften Stich. „Es tut mir Leid. Ich dachte, vielleicht würde ich mich noch in dich verlieben, aber ich glaube, es geht nicht“, antwortete sie. „Das war blöd von mir, ich weiß.“ Einige Sekunden starrte Davis sie sprachlos an. Dann drehte er sich um und rannte los in Richtung Schule. Kari seufzte tief und ging ihm dann langsam nach. _ Das schrille Piepen des Weckers riss Joe aus dem Schlaf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war, doch als Nami sich neben ihm regte, fiel es ihm wieder ein. Er stellte den Wecker aus und setzte seine Brille auf, die auf dem Nachttisch gelegen hatte. Nami grummelte und drehte sich zu ihm um. Ihre Haare lagen wirr durcheinander auf dem weißen Kissen und sie blickte ihn müde an. Joe lächelte, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. „Guten Morgen.“ Sie schlang einen Arm um seinen Hals und hielt ihn fest, sodass er sich nicht von ihr lösen konnte. „Guten Morgen, Chirurg in spe“, raunte sie und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Ein wildes Kribbeln verbreitete sich in Joes Magengegend und er ging nur zu gern auf ihren Kuss ein. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen ihm wieder in den Sinn und ließen ihn zufrieden lächeln. Doch schließlich musste er den Kuss lösen und sah ihr in die Augen. „Ich muss aufstehen“, sagte er bedauernd. „Ach, komm schon. Noch fünf Minuten“, bettelte sie und ließ ihre Fingernägel sanft über seinen Arm gleiten, woraufhin die feinen Härchen darauf sich aufstellten. „Aber ich muss um acht in der Uni sein“, antwortete Joe mit einem zweifelnden Blick auf den Wecker. Nami runzelte die Stirn und zog einen Schmollmund. „Du kannst dich doch dafür im Bad ein bisschen mehr beeilen. Und vor allem jetzt weniger diskutieren.“ Joe überlegte kurz, dann zuckte er mit den Schultern und küsste Nami erneut. Er schob die Decke beiseite, die das einzige Hindernis zwischen ihren Körpern war und Nami nahm ihm die Brille wieder ab. _ Nachdenklich ging Tai seinen gewohnten Weg zur Schule und fragte sich, was Davis und seine Schwester wohl so Wichtiges zu bereden hatten. Höchst wahrscheinlich nichts Gutes, sonst hätte Kari wohl nicht so ein Gesicht gemacht und wäre besser gelaunt gewesen. Was war da nur schon wieder los? Er musste sie bei Gelegenheit mal ausquetschen. Vor dem Eingang zum Schulgelände lungerte Matt herum und schien auf jemanden zu warten. Tai begrüßte ihn mit einem Handschlag und sah ihn fragend an. „Ich warte noch auf Sora“, erklärte Matt. „Da kannst du lange warten. Die ist heute krank“, antwortete Tai. „Was wolltest du denn von ihr?“ „Nichts Bestimmtes. Sie ist krank?“ Er runzelte die Stirn. „Ja.“ Tai nickte. „Guten Morgen.“ Tai und Matt drehten sich um. Mimi lächelte ihnen kurz zu und ging schnurstracks an ihnen vorbei ins Schulgebäude. Verwirrt blickten sie ihr hinterher. „Hat sie eigentlich abgenommen?“, fragte Tai und musterte ihre Rückseite. „Sie sieht irgendwie anders aus.“ Matt schnaubte leise und grinste. „Sag' ihr das lieber nicht. Das bekommt sie nur wieder in den falschen Hals.“ Gemeinsam gingen sie nun ebenfalls ins Schulgebäude. „Wie läuft's eigentlich mit deiner Flamme? Du erzählst gar nichts mehr von ihr.“ Fragend sah Tai ihn an. Dann fiel ihm ein, dass er Matt ja davon erzählt hatte, dass er verliebt war, ohne zu erwähnen, dass es sich bei jener Person um Sora handelte. „Keine Neuigkeiten“, erwiderte er trocken. Matt schüttelte den Kopf. „Vielleicht solltest du sie mir mal vorstellen und ich lege ein gutes Wort für dich ein.“ „Nicht nötig“, murmelte Tai. „Jedes Mädchen, das dich kennen lernt, landet mit dir im Bett.“ „Hm“, Matt schien kurz zu überlegen. „Nicht jedes. Deine Schwester zum Beispiel nicht.“ Tai warf ihm einen wütenden Blick zu. „Und wenn du mit der was anfängst, muss ich dich auch leider umbringen.“ Matt lachte nur und bog ab in seinen Klassenraum. _ Als T.K. die Klasse betrat, konnte er auf den ersten Blick sehen, dass Kari sich tatsächlich schon von Davis getrennt haben musste. Beide saßen mit versteinerten Gesichtern stumm auf ihren Plätzen. Langsam ging T.K. zu seinem Platz und setzte sich. „Hi“, begrüßte er Kari, ohne sie anzusehen. „Hi“, erwiderte Kari seinen Gruß. Auch sie machte keine Anstalten, sich irgendwie zu bewegen. T.K. packte seine Sachen für die erste Stunde aus und drehte sich zu Davis um. Dessen Gesichtsausdruck sprach nur so von Schmerz und Enttäuschung. Unwillkürlich empfand T.K. Mitleid mit ihm. Als Davis bemerkte, dass er ihn ansah, wandte er sich ihm zu. „Was ist?“ T.K. kippte seinen Stuhl ein wenig nach hinten und beugte sich zu Davis, sodass Kari ihn nicht hören konnte. „Geht's?“ Davis zuckte mit den Schulten, ohne eine Miene zu verziehen und wandte den Blick wieder von ihm ab. „Falls du jemanden zum Reden brauchst...“, begann T.K. seinen Satz. „Willst du mich verarschen?“, zischte Davis und sah ihn nun doch wieder an. Er schien darauf zu warten, dass T.K. einen Witz machte oder grinste, doch dieser sah ihn ernst an und schüttelte langsam den Kopf. „Es tut mir echt Leid“, murmelte er. Davis seufzte und Herr Kuugo beendete das Gespräch zwischen den beiden, indem er die Stunde begann. _ „Was machst du eigentlich am Wochenende?“, fragte Mimi fröhlich und musterte Izzy, der neben ihr zum Pausenhof lief, neugierig. „Ähm...“, machte er und schien nachzudenken. „Ich muss die Computer-AG für die nächste Woche vorbereiten. Aber ansonsten nichts weiter, glaube ich.“ „Mann, Izzy, du solltest Lehrer werden“, fand Mimi. „Deine Unterrichtsstunden wären sicher immer top vorbereitet.“ Izzy lachte verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Ach was. Ich glaube, ich bin zu schüchtern, um Lehrer zu werden.“ „Die Schüchternheit kriege ich schon noch aus dir raus“, meinte Mimi zuversichtlich. „Möchtest du am Wochenende etwas mit mir unternehmen?“ „Klar, warum nicht?“, erwiderte Izzy. „An was hast du denn gedacht?“ „Ich weiß nicht. Wir könnten vielleicht irgendwo was trinken gehen und anschließend feiern“, schlug Mimi vor und wartete gespannt auf Izzys Reaktion. Inzwischen waren sie bei Tai und Matt an ihrer angestammten Bank angekommen. Die beiden Jungs beachteten sie jedoch nicht weiter, da sie selbst in ein Gespräch vertieft waren. „Hm“, machte Izzy zweifelnd. „Ich weiß nicht. Trinken und feiern gehen? Das ist doch nicht so meins.“ „Ach, komm' schon, das wird witzig“, antwortete Mimi euphorisch. Mit so einer Reaktion seinerseits hatte sie gerechnet. „Ich weiß nicht“, wiederholte Izzy nur. „Was wird witzig?“, mischte Tai sich in das Gespräch der beiden ein. „Dein Gesicht bei der nächsten Englischklausur“, antwortete Mimi schnippisch. „Und hör' gefälligst auf, dich in die Gespräche anderer Leute einzumischen. Das gehört sich nicht.“ Tai musterte sie mit gerunzelter Stirn. „Noch so eine, die ihre Tage hat. Du könntest ruhig mal ein bisschen mehr Dankbarkeit dafür zeigen, dass ich dir den Arsch rette.“ Mimi lachte höhnisch und verspürte die Lust, Tai etwas an den Kopf zu werfen. Keine verbale Äußerung, sondern einen Gegenstand. Wie eigentlich jedes Mal, wenn sie miteinander redeten. Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch Izzy kam ihr zuvor. „Wo ist eigentlich Sora heute?“, fragte er und erst da fiel Mimi auf, dass sie fehlte. Suchend sah sie sich auf dem Schulhof um, konnte sie aber nirgends entdecken. „Krank“, antwortete Tai monoton. „Hat bestimmt zu viel Zeit mit Mimi verbracht.“ „Nicht witzig, Tai“, sagte Mimi trocken. „War ja auch kein Witz“, entgegnete Tai. Sie funkelten sich an, während Matt und Izzy nur die Augen verdrehten. Schließlich wandte Mimi sich wieder an Izzy und sah ihn erwartungsvoll an. „Was ist denn nun? Hast du Lust?“ _ Yolei stürmte nahezu in die Mensa. Sie hatte einen Bärenhunger. Die ganze Lernerei machte sie immer müde und hungrig. Sie holte ihr Essen an der Theke ab und setzte sich zu Kari, die allein in einer Ecke saß und so aussah, als wäre sie in Trance. „Hallo“, rief Yolei fröhlich und Kari zuckte zusammen. „Hab' dich gar nicht kommen sehen“, nuschelte sie mit der Gabel im Mund. „Hab' ich gemerkt. Warum sitzt du allein hier? Wo sind Davis und T.K.?“, fragte Yolei und sah sich nach den beiden Jungs um. T.K. entdeckte sie zwei Tische weiter, aber Davis konnte sie nicht finden. Kari antwortete nicht, sondern seufzte nur, sodass Yolei sie schief ansah. Irgendetwas war doch da im Busch. „Ich habe mich heute Morgen von Davis getrennt“, erklärte Kari schließlich. „Und gestern habe ich mich mit T.K. gestritten, nachdem ich mich mit ihm ausgesprochen hatte.“ Yolei machte große Augen und vergaß für einen Augenblick ihr Essen. „Hä?“ Und dann erzählte Kari ihr schließlich die kleine Geschichte. Dass sie nur aus Eifersucht mit Davis zusammen war, ganz wie Yolei es schon vermutet hatte. Dass T.K. von dieser Tatsache gar nicht begeistert war und sie hatte sitzenlassen. Und dass sie heute Morgen auf dem Schulweg mit Davis Schluss gemacht hatte. Yolei hatte aufmerksam zugehört und nebenbei ihr Essen verschlungen. Kari hingegen hatte die Gabel abgelegt und ihren Teller nicht einmal zur Hälfte geleert. „Mann, du machst Sachen“, sagte Yolei, als Kari schließlich fertig war, und schüttelte den Kopf. „Nimm's mir nicht übel, aber ich habe es schon vermutet.“ Kari sah sie traurig an. „Ich hatte gehofft, das mit Davis würde noch ernst werden für mich, aber wurde es nicht. Ich hatte gar keine Lust mehr auf ihn.“ „Kein Wunder. So eine erzwungene Beziehung kann doch nur schief gehen“, meinte Yolei. „Was willst du jetzt machen?“ „Ich weiß auch nicht. Die Sache irgendwie wieder geradebiegen“, antwortete Kari hilflos. „Aber vielleicht redet Davis jetzt auch nie wieder ein Wort mit mir.“ „Ach was, das glaube ich nicht“, meinte Yolei bestimmt. „Ich glaube, er ist nicht besonders nachtragend. Lass ihm einfach Zeit, entschuldige dich bei ihm und dann wird er irgendwann wieder mit dir reden. Und T.K. kriegt sich bestimmt auch wieder ein.“ „Gestern wirkte er, als fände er mich ätzend“, murmelte Kari deprimiert. „Aber du bist doch seine beste Freundin. Lange hält er es bestimmt nicht ohne dich aus“, sagte Yolei abwinkend. „Das wird schon.“ „Meinst du?“ „Ja, meine ich.“ Sie nickte bekräftigend. „Lass uns am Wochenende irgendwas Mädchenhaftes zu zweit machen. Was hältst du davon?“ Sie hatte das Gefühl, Kari könnte mal ein wenig Ablenkung gebrauchen. Wenn sie schon Probleme mit den Jungs hatte, dann sollte Yolei versuchen, sie wieder aufzubauen. „Hm, ich glaube, das wäre gut“, antwortete Kari langsam. „Ja, das könnte ich gut gebrauchen.“ „Prima“, fand Yolei. „Dann lass uns zusammen backen. Ich soll für den Kochclub mein Lieblingsessen zubereiten und mitbringen. Du kannst mir dabei helfen.“ Kari nickte. „Ja, ich glaube, das wäre super.“ Sie lächelte. „Danke, Yolei.“ „Ist doch nicht der Rede wert“, meinte Yolei abwinkend. „Nein, ich meine, danke, dass du mich nicht verurteilst, sondern trotzdem mit mir befreundet bleiben willst.“ Yolei sah ihre Freundin skeptisch an. „Wieso sollte ich jetzt nicht mehr mit dir befreundet sein wollen? Du weißt ja selbst, was du gemacht hast und ich weiß, dass es dir Leid tut. Da wäre es doch jetzt sinnlos, wenn ich dir auch noch sagen würde, wie enttäuscht ich von dir bin.“ _ Gleich nach der Schule machte Davis sich auf den Weg zu Ken. Er hatte sich weder von Kari noch von T.K. verabschiedet. Er konnte einfach nicht glauben, was Kari getan hatte. Das hätte er nie von ihr erwartet und es passte auch überhaupt nicht zu ihr. Doch anscheinend hatte er all die Jahre, die er sie kannte, ein falsches Bild von ihr gehabt. Und T.K. hatte auch noch die Frechheit besessen, ihm anzubieten, mit ihm über diese Sache zu reden. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er der Grund für dieses ganze Dilemma war. Nein, nun machte er sich auch noch lustig über Davis. Wahrscheinlich wurden T.K. und Kari jetzt ein glückliches Pärchen. Davis drückte auf den Klingelknopf, über welchem der Name Ichijouji angebracht war, und wartete. Wenig später öffnete Kens Mutter die Tür. „Oh, hallo Davis“, begrüßte sie ihn lächelnd. „Du möchtest sicher zu Ken.“ Davis nickte mit finsterer Miene. „Hallo.“ Frau Ichijouji trat zur Seite und ließ ihn herein. Langsam zog er sich die Schuhe aus und ging den Flur entlang zu Kens Zimmer. Er ging einfach hinein ohne anzuklopfen. Ken saß gerade an seinem Schreibtisch über ein Blatt Papier gebeugt und sah auf, als Davis eintrat. „Oh, Davis“, begrüßte er ihn. „Ich wusste gar nicht, dass du kommst.“ „Sorry, dass ich nicht Bescheid gesagt habe“, murmelte Davis. „Ich wollte nur mit dir reden.“ „Klar“, erwiderte Ken und deutete auf den zweiten Stuhl in seinem Zimmer, woraufhin Davis Platz nahm. „Was gibt es denn? Du siehst deprimiert aus.“ „Kari hat heute Schluss gemacht“, erklärte Davis kurz angebunden. „Sie war nur mit mir zusammen, um T.K. eifersüchtig zu machen.“ Ken erwiderte nichts, sondern lehnte sich nur auf seinem Stuhl zurück und sah Davis erstaunt an. „T.K. hat mir sogar noch gesagt, ich könne mit ihm reden, wenn ich reden will.“ Verächtlich schnaubend schüttelte Davis den Kopf. „Das ist... wow. Tut mir echt Leid, Davis“, antwortete Ken stirnrunzelnd. „Das hätte ich nie gedacht. Hat Kari dir das so erzählt?“ „Mhm“, machte Davis und nickte. „Tut mir wirklich Leid“, wiederholte Ken. „Das ist ziemlich unfair von ihr.“ „Ich hätte auch nie gedacht, dass sie zu so etwas in der Lage ist“, stimmte Davis zu und warf einen Blick auf sein Handy. Zwei verpasste Anrufe und eine SMS. Alles von Kari. „Sie hat versucht, mich anzurufen. Und geschrieben hat sie mir auch.“ „Was denn?“, wollte Ken wissen. „Es tut mir so Leid. Bitte lass uns noch einmal darüber reden“, las Davis vor und packte sein Handy wieder weg. Fragend musterte Ken ihn. „Willst du noch einmal mit ihr reden? Vielleicht kann sie es dir erklären.“ Resigniert zuckte Davis mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was es noch zu erklären geben sollte. Ich will eigentlich nicht mit ihr reden. Es... ist so...“ Er legte eine Hand auf seine Brust, ungefähr auf die Stelle, wo sich sein Herz befinden musste. Es war, als wäre dort etwas verletzt. _ Mit einem kleinen Töpfchen Blaustern in den Händen stand Matt vor Soras Tür und drückte zögerlich auf den Klingelknopf. 'Vergib mir' bedeutet Blaustern in der Sprache der Blumen, hatte die Verkäuferin in dem Blumenladen gesagt. Ob Sora diese Bedeutung auch kannte? Ob sie nun tatsächlich krank war oder nicht, Matt war sich sicher, dass ihr heutiges Fehlen mit ihm zu tun hatte. Soras Mutter öffnete die Tür und musterte ihn. „Hallo. Willst du Sora besuchen?“, fragte sie. „Ja“, antwortete Matt und nickte kurz. Frau Takenouchi lächelte und trat zur Seite. „Sicher hilft es ihr beim Gesundwerden, wenn du sie besuchst.“ Matt biss sich auf die Unterlippe. Noch zweifelte er an dieser Sicherheit. Immerhin hatte er sie vorhin schon einmal angerufen, doch sie hatte ihn weggedrückt. Er ging zu Soras Zimmer und klopfte leise an. „Ja?“, kam es dumpf von innen und er öffnete die Tür. „Nein“, sagte sie, als sie ihn erkannte. Sie hockte auf ihrem Bett mit einem Buch auf den Oberschenkeln und hörte Musik. „Sora, bitte. Ich muss mit dir reden“, sagte er eindringlich, schloss die Tür hinter sich und ging auf sie zu. „Ich will nicht mit dir reden“, erwiderte sie kühl. „Bitte geh' wieder.“ „Erst, wenn du mir zugehört hast“, antwortete Matt unnachgiebig, stellte den Blumentopf auf ihrem Schreibtisch ab und ging zu ihr. „Geh' wieder“, sagte sie leise, aber bestimmt. Ohne auf sie einzugehen, setzte er sich vor ihrem Bett auf den Boden und sah sie an. „Ich weiß, dass du sauer bist und ich verstehe dich. Ich war ein Arsch. Ich habe dich verwettet. Aber bitte glaube mir, dass die letzten Wochen nicht bedeutungslos waren.“ Sora antwortete nicht, sondern starrte mit verstörtem Blick auf ihr Buch. Gern würde Matt ihre Gedanken in diesem Moment lesen können. „Am Anfang habe ich dich wirklich nur geküsst, um diese blöde Wette zu gewinnen, aber dann war es anders“, redete Matt weiter. „Ich empfinde wirklich etwas für dich. Du bist mir wichtig und...“ „Hör' auf mit diesen Lügen“, unterbrach sie ihn mit brüchiger Stimme. „Ich will nichts mehr hören.“ „Das sind keine Lügen, das ist die Wahrheit“, erwiderte Matt nachdrücklich. „Du bist so wichtig für mich, weil du einfach immer da bist, wenn was ist. Weil ich mit dir über alles reden kann. Weil du mich nie verurteilt hast. Weil du mich immer irgendwie verstanden hast.“ „Warum hast du dann eine Wette auf mich abgeschlossen?“, fragte sie und sah ihm für einen Augenblick in die Augen. „Warum? Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, aber das ist alles so sinnlos.“ „Weil ich ein Idiot bin. Einen anderen Grund gibt es nicht. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen“, antwortete Matt ehrlich. „Kannst du aber nicht.“ „Sora, bitte glaub' mir.“ Er griff nach ihrer Hand, doch sie zog sie ruckartig weg. „Was soll ich machen, damit du mir glaubst?“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Keine Wetten über mich abschließen? Mir die Wahrheit sagen? Mich nicht küssen und dabei...“ Ihre Stimme brach weg und sie wandte sich von ihm ab. „Geh' einfach.“ _ Ziellos irrte Kari durch die Straßen. Sie fühlte sich einsam und verlassen, obwohl sie wusste, dass sie es sich selbst zuzuschreiben hatte. Davis ignorierte ihre Versuche der Kontaktaufnahme und T.K. zeigte ihr seit gestern die kalte Schulter, obwohl sie geredet hatten. Und obendrein hatten sich ihre Eltern gerade wieder einmal gestritten. Zwar machten sie gerade eine Therapie, doch Kari verspürte trotzdem jedes Mal, wenn sie anfingen zu streiten, den Drang, aus der Wohnung zu fliehen. Sie achtete nicht darauf, wo ihr Weg sie hinführte und war umso erstaunter, als sie vor dem Haus ankam, in dem Yolei, T.K. und Cody wohnten. Es war, als würde ihr Inneres ihr den richtigen Weg zeigen. Doch zu wem sollte sie jetzt gehen? Cody? Nein, der würde sie sicher nur schief ansehen, wenn sie plötzlich vor seiner Tür stand. Sie hatte einfach zu wenig mit ihm zu tun. Und Yolei hatte sicher ohnehin keine Zeit, weil sie nachmittags meist in dem Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern arbeitete. Dann blieb nur noch T.K. Vielleicht konnte sie ja wenigstens diese Sache wieder geradebiegen. Sie ging die Treppen hinauf und klingelte an der Tür, die zu seiner Wohnung gehörte. Wenig später wurde sie geöffnet und T.K. sah sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Zurückweisung an. „Oh, hi“, sagte er tonlos. „Hi“, erwiderte Kari unsicher. „Kann ich reinkommen?“ T.K. zuckte mit den Schultern und ließ sie herein. Er wartete nicht, bis sie sich die Schuhe ausgezogen hatte, sondern ging gleich voran in sein Zimmer, wo er sich aufs Bett setzte und Kari erwartungsvoll musterte. Kari schritt durch das Zimmer und setzte sich neben ihn. „Ich will mich nicht mit dir streiten“, begann sie ohne Umschweife das Gespräch. „Ich wusste nicht, dass dir das mit Davis so nahegehen würde. Ich dachte auch, ihr wärt nicht so gut befreundet.“ „Darum geht’s doch auch gar nicht“, entgegnete T.K. kühl. „Ich hätte einfach nur nicht gedacht, dass du sowas abziehst. Gerade mit Davis, der seit Ewigkeiten in dich verknallt ist. Sowas nutzt man nicht aus, Kari. Ich dachte, du wüsstest das.“ „Ich weiß es doch und es tut mir ja auch wirklich Leid. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht ran“, murmelte Kari und ließ den Kopf hängen. „Ich war einfach so traurig wegen der Sache mit Shiori. Ich dachte, ich würde dich jetzt nicht mehr so oft sehen können. Und ich hatte Angst, du würdest mich gegen sie auswechseln.“ „Kari“, seufzte T.K., „warum sollte ich das tun? Du bist meine beste Freundin, seit ich dich kenne. Warum denkst du, ich würde dich einfach so austauschen?“ „Wegen dieses blöden Kusses!“, platzte Kari heraus. T.K. sah sie verblüfft an. „Hä?“ „Na du hast mich doch geküsst an diesem einen Abend. Als wir bei Ken waren“, sagte sie nachdrücklich. „Ja, schon, aber... hä?“ Sein Gesichtsausdruck wirkte nicht länger kühl, sondern nur noch verwirrt. „Der Kuss war eben so besonders. Dachte ich zumindest. Und dann kam diese Sache mit Shiori und dann dachte ich, er wäre doch nicht besonders“, stammelte Kari. Als T.K. zögerte, vergrub sie das Gesicht in den Händen und wandte sich von ihm ab. Was für ein peinliches Gespräch. „Der Kuss war besonders. Und Shiori habe ich nicht geküsst“, murmelte T.K. „Und ich wollte sie auch nie küssen.“ _ Mitleidig musterte Ken seinen Freund. Er hatte keine Ahnung, was er zu dieser Geschichte sagen sollte. Auch er hätte sich niemals träumen lassen, dass Kari zu so etwas fähig war. Sie hatte sich anscheinend verändert. Sie alle hatten sich im Laufe der letzten drei Jahre verändert. „Ich denke, du solltest trotzdem noch mal mit ihr reden und ihr sagen, wie du dich fühlst. Und wie mies du das von ihr findest“, schlug Ken nach einigen Augenblicken des Schweigens vor. „Sicher bereut sie schon, was sie gemacht hat.“ „Aber das ändert nichts. Sie hat mich ausgenutzt, um T.K. eifersüchtig zu machen“, erwiderte Davis. „Eigentlich bin ich nur hergekommen, um dir das zu erzählen. Ich brauche keine Tipps, ich wollte es nur loswerden.“ Ken legte eine Hand auf Davis' Schulter. „Du kannst jederzeit gern kommen. Ich höre dir immer zu.“ „Danke“, seufzte Davis mit gesenktem Kopf. „Wie geht’s mit Saki?“ Resigniert zuckte Ken mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich finde es irgendwie immer falscher, mit ihr zusammen zu sein. Es fühlt sich einfach komisch an.“ „Dann solltest du mit ihr Schluss machen“, sagte Davis sofort. „Bevor sie sich falsche Hoffnungen macht und denkt, ihr bleibt für immer zusammen.“ „Aber das würde ich nicht übers Herz bringen“, antwortete Ken langsam. „Sie wirkt so glücklich und zufrieden. Ich will sie nicht verletzen.“ „Ich glaube, du verletzt sie mehr, wenn du mit ihr zusammen bist, obwohl du nicht in sie verliebt bist“, entgegnete Davis entschlossen. Gedankenverloren nickte Ken. Saki tauchte vor seinem inneren Auge auf, wie sie seine Hand nahm und ihn anlächelte. Er mochte sie, sehr sogar. Aber er war nicht verliebt in sie. Glaubte er zumindest. Davis sagte, wenn man verliebt war, wusste man das. Man merkte es einfach und wenn Ken sich nicht sicher war, dann war er nicht verliebt. Ob Davis Recht hatte? Oder ob sich Verliebtsein für Ken vielleicht einfach nicht so stark anfühlte wie für andere? Vielleicht konnte er sich ja gar nicht richtig verlieben und das, was er für Saki empfand, war das Höchste der Gefühle. In dem Fall wäre es dumm von ihm, mit ihr Schluss zu machen. „Vielleicht solltest du einfach mal mit ihr reden“, gab Davis Kens Rat zurück, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Sag' ihr, wie du dich fühlst. Dann versteht sie es bestimmt auch, wenn du mit ihr Schluss machst.“ Unschlüssig kaute Ken auf seiner Unterlippe herum. Er hatte eher die Befürchtung, dass Saki so ähnlich reagieren könnte wie Davis und zutiefst verletzt war. _ Sora zuckte zusammen, als es erneut an ihrer Zimmertür klopfte. Matt war erst vor zehn Minuten gegangen. War er nun wiedergekommen, um weiter auf sie einzureden? Sora wusste nicht, ob sie je wieder mit ihm sprechen wollte. Weil sie nicht reagierte, wurde die Tür schließlich geöffnet, doch herein kam nicht Matt, sondern Tai. „Hey Sora, ich dachte mir, ich komm' einfach rein, okay?“, sagte er, als er in ihr Zimmer trat. Sora starrte ihn nur an und wusste nicht, was sie erwidern sollte. „Was ist denn los? Hast du geweint?“ Tai runzelte die Stirn und setzte sich neben sie auf das Bett, genau dorthin, wo Matt bis vor ein paar Minuten noch gesessen hatte. Unwirsch schüttelte Sora den Kopf und versuchte, ein unbekümmertes Gesicht zu machen. „Alles gut.“ „Ach, komm' schon. Hältst du mich für bescheuert? Deine Mutter meinte gerade, dass Matt erst vorhin hier war. Hat er irgendwas gemacht?“, fragte Tai und musterte sie durchdringend. Deprimiert wich sie seinem Blick aus. Was sollte sie ihm denn sagen? Er war nun wirklich nicht die richtige Person, um über ihre Probleme mit Matt zu reden. Doch die Tatsache, dass sie nicht sofort antwortete, ließ Tai anscheinend noch stutziger werden. „Was hat er gemacht?“, fragte er nun und sah plötzlich wütend aus. „Was ist passiert? Sora, du kannst es mir erzählen.“ „Nein, kann ich nicht“, murmelte Sora. „Doch, mach' schon. Ich verspreche auch, dass ich ihn nicht verprügel'“, drängte Tai. „Ich kann es dir wirklich nicht erzählen“, erwiderte Sora nachdrücklich. „Es tut mir Leid, Tai.“ Einen Augenblick sahen sie sich in die Augen und Sora konnte fast schon hören, wie sich in Tais Kopf die Gedanken überschlugen. Es tat ihr Leid, wie alles gekommen war. Dass sie Gefühle für Matt hatte, der sie nur verarscht hatte. Dass sie sich nicht in Tai verlieben konnte, der so etwas niemals mit ihr machen würde, sondern sie auf Händen tragen würde. Und dass Tai und Matt zu allem Überfluss auch noch beste Freunde waren. Verdammte Dreiecksgeschichte. „Ich ähm... hab' dir was mitgebracht“, sagte Tai leise und drückte ihr eine Tafel Schokolade in die Hand, die er dabei hatte. Ihre Lieblingsschokolade. „Ich dachte, das hilft dir beim Gesundwerden. Und hier sind meine Mitschriften für dich.“ Er kramte in seiner Tasche und zog einen dünnen Stapel Papier heraus. Sora sah ihn hilflos an. „Vielen Dank, Tai.“ Er nickte langsam. „Ich... gehe dann mal wieder, denke ich.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Tai?“, hielt Sora ihn auf, als er schon die Hand auf der Türklinke hatte. Mit fragendem Blick drehte er sich um. „Danke, dass du immer da bist.“ Er verzog kurz den Mund zu einem traurigen Lächeln und verließ dann ihr Zimmer. Sora starrte noch eine Weile auf die Stelle, an der bis eben gestanden hatte. _ Irgendwie war Kari ja niedlich, wie sie wie ein Häufchen Elend hier auf seinem Bett hockte, das Gesicht in den Händen vergraben und sich schämend. T.K. glaubte ihr, dass es ihr Leid tat, was sie mit Davis gemacht hatte, doch verstehen konnte er es trotzdem nicht. Kari war einfach die Letzte, der er so eine Aktion zugetraut hätte. „Kari“, sagte er, griff nach ihren Händen und zog sie sanft von ihrem Gesicht weg. „Das war überhaupt nicht nötig. Du bist für mich das tollste Mädchen und ich dachte, das wüsstest du. Bitte mach' so einen Scheiß nicht noch mal.“ Sie atmete hörbar aus und nickte. „Ich werde auf jeden Fall noch mal mit Davis reden. Es tut mir so Leid. Er ist sicher am Boden zerstört. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er ging nicht ran.“ „Ich glaube, ich wäre an seiner Stelle auch nicht rangegangen“, gestand T.K. „Vielleicht wartest du ein paar Tage und gibst ihm ein bisschen Zeit, sich zu beruhigen. Dann kannst du immer noch mit ihm reden.“ „Glaubst du, er verzeiht mir irgendwann?“, fragte Kari und starrte ins Leere. „Bestimmt“, sagte T.K. zuversichtlich. „Aber er braucht sicher Zeit.“ Kari machte ein nachdenkliches Gesicht. Entschlossen stand T.K. von seinem Bett auf und nahm ihre Hand. Verwundert sah sie ihn an. „Die Sonne scheint noch. Lass uns noch ein bisschen raus gehen und irgendwas machen“, sagte er und lächelte. Zögerlich nickte sie und erwiderte sein Lächeln. „Gute Idee.“ _ „Herzlichen Glückwunsch, Herr Kido. Sie sind nun offiziell Besitzer eines Führerscheins.“ Es dauerte eine Weile, bis Joe diese Worte verarbeitet hatte. Mechanisch stieg er aus dem Golf aus, der ihm in den letzten drei Monaten schon ein wenig ans Herz gewachsen war, und nahm den Führerschein vom Prüfer entgegen. „Jetzt machen Sie doch nicht so ein Gesicht. Freuen Sie sich lieber“, sagte der Prüfer, dessen Namen Joe schon wieder vergessen hatte, lachend. Sein Fahrschullehrer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Ich wusste, du schaffst das“, sagte er zwinkernd. Joe nickte noch ein wenig fassungslos, verabschiedete sich dann vom Prüfer und seinem Fahrlehrer und machte sich auf den Heimweg. All die Qualen der letzten drei Monate hatten nun ein Ende. Die ständige Angst, er könnte in der Prüfung versagen. Das ständige Autofahren in seinen Träumen, in denen er andauernd irgendeinen Fehler machte. Schulterblick vergessen, Auto abgewürgt, Blinken vergessen, an der grünen Ampel stehen geblieben. Nun hatte er endlich diesen verflixten Führerschein und würde nicht sofort wieder eins auf den Deckel kriegen, wenn er mal einen Schulterblick vergaß. Glücklich saß er im Bus nach Hause und zückte sein Handy. Jetzt musste er sofort Shuu anrufen. „Und?“, kam es von diesem ohne eine weitere Begrüßung. Anscheinend hatte er schon vor seinem Handy gelauert. „Bestanden“, seufzte Joe. „Ich wusste es!“, rief Shuu jubelnd. „Ich hab' dir doch gesagt, du schaffst das. Von wegen du fällst durch.“ „Jetzt tu' nicht so, als wäre das komplett abwegig gewesen“, erwiderte Joe grinsend. So langsam realisierte er, dass er diese blöde Prüfung bestanden hatte. „Wenn du Streber die nicht bestanden hättest, hätte ich meinen Glauben in die Menschheit verloren“, meinte Shuu. „Wann treffen wir uns, damit ich dir die alte Karre geben kann?“ „Ich weiß nicht. Wann bist du denn mal wieder in Tokio?“, fragte Joe. „Zufällig fahre ich morgen über das Wochenende nach Hause zu Mama und Papa. Kommst du auch?“ Joe verzog das Gesicht. Ein Wochenende zu Hause? Eigentlich hatte er noch mit einer Hausarbeit zu tun. Und außerdem wollte er die Zeit, die er nicht in die Uni steckte, lieber mit Nami verbringen. „Ich weiß nicht. Eigentlich habe ich zu tun.“ „Ach, komm' schon. Mama und Papa meckern jedes Mal, wenn sie mich anrufen, darüber, dass du dich so selten meldest“, sagte Shuu. „Bring' deinen Unikram einfach mit.“ „Dass ich mich so selten melde? Ich bin doch erst vor drei Monaten zu Hause ausgezogen“, antwortete Joe stirnrunzelnd. „Naja, du weißt doch. Nesthäkchen und so. Jetzt ist der Kleinste auch raus, da kriegen sie Sehnsucht“, witzelte Shuu. „Ich überleg's mir“, gab Joe schließlich nach. „Super, dann sehen wir uns also morgen Abend“, sagte Shuu gut gelaunt. „Hey, ich hab' gesagt, ich überleg's mir.“ „Das bedeutet, dass du kommst. Ich kenne dich doch.“ Shuu lachte. „Shin kommt auch inklusive Anhang.“ Das würde bedeuten, dass Joe seinen kleinen Neffen mal wieder sehen würde. Allein dafür lohnte es sich fast schon, nach Hause zu fahren. „Na gut. Ich werde da sein“, gab er sich nun endgültig geschlagen. „Prima! Dann bis morgen.“ _ Sora und Matt. Matt und Sora. Irgendetwas musste da gelaufen sein, dessen war Tai sich sicher. Hatte er etwa auch mit ihr was am Laufen gehabt? Anders konnte Tai sich Soras Verhalten nicht erklären. Sie hatte betont, dass sie mit ihm nicht über diese Sache reden konnte, da war es offensichtlich, dass zwischen den beiden irgendetwas vorgefallen war. Und das auch noch hinter Tais Rücken. Nicht, dass er der Überzeugung war, er hätte ein Recht darauf, alles zu erfahren, was Soras Liebesleben betraf, aber immerhin waren die beiden seine besten Freunde. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, falls sie tatsächlich etwas miteinander hatten. Das wollte er sich in diesem Moment nicht einmal vorstellen. Er hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen. Kari musste endlich wiedergekommen sein. Es war schon fast dunkel draußen. Entschlossen stand Tai auf und ging aus seinem Zimmer. Er wollte seine Schwester fragen, was heute Morgen mit ihr und Davis los gewesen war. „Kari?“, hielt er sie auf, als sie gerade in ihr Zimmer gehen wollte. Sie blieb stehen und sah ihn fragend an. „Wo warst du gerade?“ „Eigentlich geht dich das nichts an, aber ich war mit T.K. Eis essen“, antwortete sie etwas schnippisch. Tai hob eine Augenbraue. Ihre Pubertät war ganz schön nervig. „Und was war heute Morgen los? Ist alles in Ordnung mit dir und Davis?“, fragte er. „Tai, sowas bespricht man nicht mit seinen Geschwistern“, murmelte sie ein wenig beschämt. „Wieso nicht? Du hast mir doch auch erzählt, dass T.K. dich geküsst hat“, erwiderte er. „Du bist eine ziemliche Chameurin. Erst T.K. und jetzt Davis.“ Kari runzelte die Stirn. „Davis und ich sind nicht mehr zusammen.“ „Nicht? Wieso nicht?“, fragte Tai wenig verwundert. Irgendwie war ihm diese Beziehung ohnehin spanisch vorgekommen. Kari hatte nie auch nur angedeutet, dass sie an Davis interessiert war. „Ich war gemein. Ich war nur mit ihm zusammen, weil ich T.K. eifersüchtig machen wollte wegen dieser Shiori“, erklärte Kari. „Kann ich jetzt in mein Zimmer gehen?“ „Was? Du wolltest... was?“ Entgeistert sah er Kari an. „Habe ich das gerade richtig verstanden? Tickst du noch ganz richtig? Der arme Davis.“ Kari stöhnte genervt, ging in ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Tai schüttelte verwirrt den Kopf. Kapitel 22: Atemlos durch die Nacht ----------------------------------- Freitag, 2. Juni 2006   Sora quälte sich fast schon in die Schule am nächsten Tag, obwohl sie am liebsten noch länger zu Hause geblieben wäre. Den ganzen gestrigen Tag hatte sie nachgedacht. War nicht in der Schule gewesen, nicht bei der Arbeit, nicht beim Training. Noch so einen Tag voller Nichtstun würde sie nicht aushalten, aber trotzdem wäre sie der Schule lieber ferngeblieben, denn nun war es nicht nur Matt, mit dem sie nicht mehr reden wollte, sondern auch Tai. Das hieß, sie wollte schon mit ihm reden, doch nach seinem Besuch gestern musste er wissen, dass zwischen ihr und Matt etwas vorgefallen war. Und das würde ihm sicher überhaupt nicht passen, was Sora auch sehr gut verstehen konnte. Vor dem Schulgelände fand sie eine hibbelige Mimi, die sie fröhlich begrüßte. „Du bist ja so gut gelaunt“, stellte Sora erstaunt fest. „Und du siehst aus wie der Tod persönlich“, gab Mimi zurück und musterte sie neugierig. „Bist du noch krank?“ „Nein, nein, alles gut“, murmelte Sora und wollte weitergehen, doch Mimi hielt sie fest. „Warte mal. Was ist los?“, fragte sie und durchbohrte sie mit ihrem Blick. „Nichts, alles okay. Ehrlich“, antwortete Sora und wich ihrem Blick gekonnt aus. „Auf wen wartest du hier?“ „Auf Izzy“, antwortete Mimi strahlend. „Ich muss ihn noch überreden, mit mir morgen feiern zu gehen.“ „Oh, wieso das?“, fragte Sora verwirrt. „Wieso nicht?“, entgegnete Mimi schulterzuckend. „Der muss mal herauskommen aus seinem Schneckenhaus, der arme Kerl.“ Sora konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Izzy war wohl eher ein armer Kerl, weil Mimi versuchte, ihn zu ändern. Sora hatte den Eindruck, dass er eigentlich ganz glücklich war, so wie er war. „Na, dann warte mal weiter. Er kommt ja bestimmt gleich“, sagte sie und ging. „Wenn irgendwas ist, du kannst jederzeit mit mir reden“, hörte sie Mimi noch rufen, bevor sie im Schulgebäude verschwand. Tai kam mit dem Klingeln zur ersten Stunde in den Klassenraum gehetzt. Er begrüßte Sora flüchtig und ließ sich auf seinen Platz neben ihr fallen. „Guten Morgen“, flüsterte sie und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, doch es wirkte traurig. _ T.K. saß mit Shiori unter jenem Baum, unter welchem sie jede Pause verbrachten, seit sie miteinander in Kontakt standen. Sie erzählte ihm von ihrem bisherigen Tag und er hörte halbwegs aufmerksam zu. Gleichzeitig dachte er jedoch an Karis enttäuschten Blick, als er ihr gesagt hatte, dass er die Pause mit Shiori verbringen würde. Er fragte sich, was nur mit ihr los war in letzter Zeit. „Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“, fragte Shiori nach einer Weile und musterte ihn. „Ja“, antwortete er. „Du hast dich gestern mit deinem Bruder gestritten und Herr Kuugo hat heute in der ersten Stunde genervt.“ Shiori grinste. „Okay, entschuldige. Du sahst irgendwie ein bisschen geistesabwesend aus.“ T.K. schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut und das Gras unter seinen Fingern. Am liebsten würde er sich jetzt hinlegen und für den Rest des Tages hier liegen bleiben. Nur schlafen und an nichts denken. Weder an Kari noch an sein gestörtes Verhältnis zu Matt, mit dem er seit Tagen nicht mehr geredet hatte. „Sag mal“, riss Shiori ihn aus seinem Tagtraum, „was machst du eigentlich am Wochenende?“ „Nichts weiter. Wieso?“, erwiderte er, ohne die Augen zu öffnen. „Naja, ich... ich wollte dich fragen, ob wir etwas unternehmen wollen“, murmelte sie. Nun sah T.K. sie an. Ihre Finger spielten mit ein paar Grashalmen, ihr Blick war auf den Boden gerichtet. „Klar, warum nicht. An was hast du denn gedacht?“, fragte er. „Wir könnten ins Kino gehen“, schlug sie vor. „Und danach noch irgendwo etwas essen gehen.“ „Okay“, sagte T.K. gelassen, doch dann stutzte er. „Meinst du wie ein Date?“ Ihre Wangen färbten sich rosa. „Nun... ja.“ Er sah sie verwirrt an, doch sie wich seinem Blick aus. War er denn der Einzige, der in dieser Beziehung eine ganz normale Freundschaft sah zwischen zwei Menschen, die sich einfach nur gut verstanden? Offenbar hatte nicht nur Kari gedacht, sie wären ein Paar, sondern auch Shiori. „Ich glaube, das wird nichts“, meinte T.K. langsam. „Also... Date und so.“ Erschrocken sah sie ihn an. „Okay, ich... ich dachte, du und ich wären irgendwie...“ Sie beendete den Satz nicht, sondern wandte sich ab. „Tut mir Leid“, murmelte T.K. Und es tat ihm wirklich Leid, doch ändern konnte er seine Gefühle schließlich nicht. „Ich mag dich echt, aber... mehr nicht.“ Sie nickte betrübt und T.K. war froh, dass die Schulglocke in diesem Moment das Ende der Pause verkündete. _ „Also, wann und wo treffen wir uns morgen?“ „Mimi, ich weiß nicht...“ „Ach, komm schon, du hast doch schon 'ja' gesagt“, bettelte Mimi und sah Izzy mit großen Hundeaugen an. „Das hast du gesagt“, erinnerte Izzy sie, als sie bei Tai und Matt ankamen. „Aber du hast aufgehört zu widersprechen“, erwiderte Mimi bestimmt. Izzy lachte. „Und nicht widersprechen ist bei dir das Gleiche wie Zustimmung?“ „Irgendwie schon, ja. Wo ist denn Sora?“ Mimi sah Tai und Matt fragend an, die beide irgendwie finstere Gesichter machten. „Da drüben bei ein paar Mädels“, antwortete Tai und nickte mit dem Kopf in die Richtung, die er meinte. Mimi drehte sich um und entdeckte Sora tatsächlich in einer Gruppe von fünf Mädchen. Sie wandte sich wieder an Tai und Matt und runzelte die Stirn. „Warum ist sie nicht bei euch?“ Tai verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich. Frag' sie doch.“ Mimi wandte sich an Izzy, doch der wirkte unbekümmert und sah nicht so aus, als würde er sich irgendwelche Gedanken darüber machen, warum Tai, Matt und Sora, das unzertrennliche Trio, die Pause auf einmal getrennt verbrachte. Mimi beschloss, das Thema zu wechseln und der Sache später allein auf den Grund zu gehen. „Was macht ihr am Wochenende?“ „Konzert“, antwortete Matt einsilbig. „Fußball“, antwortete Tai nicht weniger einsilbig. „Redet bloß nicht zu viel“, sagte Mimi spöttisch und schüttelte den Kopf. „Wenn ihr nachts noch nichts vorhabt, könnt ihr euch ja Izzy und mir anschließen.“ Nun starrten Tai und Matt Mimi und Izzy mit einer Mischung aus Verwirrung, Ungläubigkeit und Belustigung an. Mimi hätte ihre Gesichter gern fotografiert, während Izzy neben ihr anscheinend verlegen wurde. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. „Wir wollen irgendwo was trinken gehen und dann in einen Club. Ihr könnt ja mitkommen“, verkündete Mimi und erwiderte die Blicke der beiden Jungs abwartend. „Izzy geht in einen Club?“ Skeptisch hob Tai eine Augenbraue. „Jap“, sagte Mimi bestimmt, bevor Izzy etwas erwidern konnte, und hakte sich bei ihm unter. „Du solltest ihn nicht zwingen, wenn er nicht will“, meinte Matt mit verschränkten Armen, der Izzy kritisch beobachtete. „Ich zwinge ihn doch gar nicht, ich verhelfe ihm nur zu seinem Glück. Ich werde nämlich sein Wingman sein“, erklärte Mimi gewichtig. Dieser Einfall war ihr vor einer Sekunde gekommen und sie fand ihn super. Matt runzelte die Stirn, Tai prustete los und Izzy drehte sich entsetzt zu ihr um. „Dir ist schon klar, dass du die Mädels abschrecken wirst, die sich für den armen Izzy interessieren?“, sagte Tai lachend. Mimi stemmte entschlossen die Hände in die Hüften. „Von wegen. Ich werde ihnen erzählen, dass ich seit Ewigkeiten mit ihm befreundet bin und werde betonen, was für ein toller Kerl er ist. Dann werden sie ihm alle zu Füßen liegen.“ „Hörst du dir eigentlich zu?“, fragte Tai grinsend und musterte Mimi etwas abschätzig. „Wenn du an seiner Seite klebst, wird ihn doch gar kein Mädchen ansprechen.“ Mimi verengte die Augen zu Schlitzen. „Weißt du, Tai, nur weil dich kein Mädchen auch nur mit der Kneifzange anfassen würde, muss das Gleiche nicht für Izzy gelten. Im Gegensatz zu dir ist Izzy lieb und gutherzig und hilfsbereit.“ Tai klappte der Mund auf. „Und ich bin nicht hilfsbereit?! Wenn ich das richtig verstanden habe, bin ich der Einzige, der seine Zeit opfert, einem hoffnungslosen Fall wie dir Mathe beizubringen. Nichts für ungut, Kumpel“, fügte er an Izzy gewandt hinzu. „Oh, herzlichen Glückwunsch, du großer Retter der Menschheit, willst du einen Blumenstrauß?“, spottete Mimi. „Wie kann man nur so undankbar sein?“, rief Tai empört. _ Während Tai und Mimi höflich miteinander diskutierten, hatte Izzy sich zu Matt gesellt. Langsam konnte er diese Streitereien nicht mehr hören. „Du brauchst dich von ihr nicht zu irgendetwas drängen lassen“, sagte Matt gelassen und musterte Izzy von der Seite. „Wenn du nicht feiern gehen willst, gehst du nicht feiern und lässt sie halt schmollen.“ Izzy seufzte verlegen. „Ich denke, ich werde mitgehen. Sie freut sich doch schon so darauf.“ „Wenn du meinst“, erwiderte Matt schulterzuckend. „Dann werde ich nach meinem Konzert zu euch kommen und dir helfen.“ „Bei was denn helfen?“, fragte Izzy verwundert. „Na dir ein Mädchen zu besorgen“, antwortete Matt grinsend und Izzy runzelte die Stirn. Wenn irgendjemand auf dieser Welt ein noch ungeeigneterer Wingman war als Mimi, dann war das wohl Matt. Wenn Izzy dort zusammen mit ihm auftauchte, bemerkte ihn doch erst recht kein Mädchen mehr. „Wir kriegen das schon hin“, meinte Matt zuversichtlich und klopfte Izzy auf die Schulter. „Verlass dich drauf.“ Izzy war sich da nicht so sicher. _ Am frühen Abend machte sich T.K. auf den Weg zum Proberaum der Tokyo Rebels. Er musste diese Sache mit ihm jetzt einfach klären. Gestern hatte er sich mit Kari versöhnt, heute die Sache mit Shiori geklärt und nun fehlte nur noch Matt. Doch sein Bruder war sicher die größte Herausforderung. Er wusste nicht, dass T.K. auf dem Weg zu ihm war und das war auch gut so. Ungeduldig wartete er vor dem heruntergekommenen Gebäude, dass die Proben endlich vorbei waren und Matt herauskam. Er hatte nur Kari erzählt, dass er jetzt hier war. Nicht einmal seine Mutter wusste davon. Schließlich hörte er Stimmen und wenig später trat die Band aus dem Gebäude und ging auf die Busstation zu. „Matt“, rief T.K. Alle vier drehten sich um und sahen T.K. an. „Geht schon mal vor“, sagte Matt zu den anderen dreien. „Wir sehen uns dann morgen.“ Sie verabschiedeten sich voneinander und Matt wandte sich an T.K. Es war das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass sie wieder miteinander sprachen. In der Schule hatten sie sich weitestgehend ignoriert. „Hey Kleiner“, begrüßte Matt ihn mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und zündete sich eine Zigarette an. „Nenn' mich nicht so“, erwiderte T.K. kühl. Gemeinsam machten sie sich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Für eine Weile sagte keiner von ihnen etwas, doch schließlich ergriff Matt das Wort. „Es geht um morgen, nicht wahr?“ „Ja.“ „Ich werde nicht mitkommen“, sagte Matt leise aber entschieden. „Wieso denn nicht?“, fragte T.K. und konnte den Ärger in seiner Stimme nicht verbergen. „Es ist nur ein Mittagessen.“ „Ich will mich nicht mit euch an einen Tisch setzen und einen auf heile Familie machen, verstehst du?“, antwortete er. „Aber genau das könnten wir wieder sein, wenn du dich nicht so sträuben würdest“, fuhr T.K. ihn an. „Und wie lang? Ein Jahr? Zwei Jahre? Ein paar Monate?“, entgegnete Matt ruhig. „Erinnerst du dich nicht mehr an den Grund, weshalb sie sich getrennt haben? Papa hat zu viel gearbeitet. Er arbeitet heute nicht weniger, also wieso sollte es funktionieren?“ „Weil sie glauben, es könnte funktionieren!“, rief T.K. ungeduldig. „Warum vertraust du ihnen nicht?“ Matt blies blauen Rauch aus und ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Weil ich nicht so naiv bin wie du.“ T.K. stöhnte genervt. Am liebsten würde er Matt eine reinhauen. „Meinst du nicht, sie haben selbst schon viel darüber geredet und sind sich jetzt sicher, dass es klappen könnte? Warum stehst du dann also im Weg, anstatt ihnen wenigstens eine Chance zu geben?“ „Sie hatten doch eine Chance“, erwiderte Matt. „Vor zehn Jahren. Dann haben sie beschlossen, dass es nicht geht und fertig.“ „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, knirschte T.K. wütend. „Du baust so viel Mist. Du rauchst, trinkst, vögelst dich durch die Weltgeschichte und willst ernsthaft Rockstar werden. Mich würde es nicht wundern, wenn du auch noch Drogen nimmst. Und trotzdem lassen Mama und Papa dich nicht fallen. Warum kannst du ihnen also nicht einfach noch eine Chance geben?“ Matt blieb stehen und schnippte seinen Zigarettenstummel weg. T.K. erschrak über sich selbst. Eigentlich hatte er das alles nicht so sagen wollen, doch es war ihm einfach herausgerutscht. Nun tat es ihm jedoch Leid. „Ich...“ „Schön zu wissen, wie du über mich denkst“, sagte Matt kühl und sah ihn mit ausdruckslosen Augen an. „Es ging mir die ganze Zeit nur um dich. Du wünschst dir seit zehn Jahren nichts anderes sehnlicher, als dass unsere Eltern wieder zusammenkommen. Das kann ich verstehen, ich wäre auch lieber in einer intakten Familie. Aber ich will einfach nicht noch mal mitansehen, wie sie dich enttäuschen, wenn ihnen in einem Jahr doch auffällt, dass es nichts wird. Ich will nicht sehen, wie mein eigener Bruder an so etwas zerbricht, kapiert?“ Für einige Sekunden standen sie nur dort in der Dunkelheit und sahen sich in die Augen. T.K. tat von Herzen Leid, was er vor einigen Minuten zu Matt gesagt hatte. Er hatte geglaubt, Matt handelte nur aus Egoismus und versuchte, das Glück seiner Eltern für sein eigenes Wohl zu sabotieren. Dabei hatte er dabei an ihn gedacht und T.K. hatte im Gegenzug nicht eine Sekunde an Matts Gefühle gedacht, sondern nur an sich. „Matt, es tut mir Leid“, murmelte er. „Das war nicht so gemeint.“ „Nein, wieso? Du hast doch Recht. Naja, ich nehme keine Drogen, aber der Rest stimmt“, antwortete Matt in seinem typisch gelassenen Tonfall. Langsam gingen sie weiter. „Trotzdem“, sagte T.K. schuldbewusst. „So viel Mist baust du ja eigentlich gar nicht.“ „Zur Zeit schon“, meinte Matt tonlos. _ Sora rannte in Nami's Café auf und ab, um keinen Gast zu lang warten zu lassen. Es war früher Abend an einem Freitag und somit war das Café sehr gut besucht. Sobald sich ein paar Leute von einem Tisch erhoben, wurde dieser sofort von den nächsten Gästen besetzt. Erst vor wenigen Minuten war Mimi gekommen und hatte sich auf einen der noch freien Stühle an der Bar gesetzt. Sora brachte eine Bestellung weg und gesellte sich dann endlich zu ihr. „Hier ist aber viel los. Wie lang musst du denn heute arbeiten?“, fragte Mimi und sah sich um. „Noch knapp vier Stunden“, antwortete Sora mit einem Blick auf die Uhr. „Ich habe ja erst vor einer Stunde angefangen.“ Mimi erwiderte nichts, sondern hob nur die Augenbrauen und nippte an ihrer Cola, die Sora gerade vor ihr abgestellt hatte. „Ich bin hier, weil ich dich fragen wollte, ob irgendwas nicht in Ordnung ist.“ „Hm?“ Sora sah sie an und begegnete ihrem durchdringenden Blick. „Nein, was soll denn nicht in Ordnung sein?“ „Ich bin nicht blind. Die letzten Tage warst du so gut drauf und gestern warst du krank und heute bist du total neben der Spur. Und du hast die Pausen woanders verbracht. Was ist denn los? Hast du dich mit Tai gestritten?“ Mimi verengte die Augen zu Schlitzen und sah aus, als versuchte sie, bis in Soras Gehirn hineinzublicken. Sora dachte kurz nach und entschied sich dann dazu, Mimi die Wahrheit zu sagen. Vielleicht war es an der Zeit, diese Dreiecksgeschichte nicht mehr allein mit sich herumzutragen, sondern jemanden einzuweihen, der nicht direkt involviert war. Sie fasste sich so kurz, wie es ging, und Mimis Augen wurden immer größer, je mehr sie erzählte. Am Ende der Geschichte schlug sie schließlich die Hand vor den Mund. „Nein, das hat er nicht!“, rief sie empört und sah aus, als wollte sie auf der Stelle loslaufen und Matt verprügeln. „Dieser schwanzgesteuerte Penner!“ „Nicht so laut“, zischte Sora, als sich schon ein paar Leute zu ihnen umdrehten. „Wenn es nun mal die Wahrheit ist. Um Himmelswillen!“ Mimi raufte sich die Haare und schüttelte den Kopf. „Der Typ hat aber auch gar keinen Anstand. Der weiß einfach nicht, wann es genug ist. Wann ist der überhaupt so geworden?“ „Keine Ahnung“, murmelte Sora. „Soralein, ich bezahle dich nicht fürs Quatschen“, unterbrach Nami sie, grinste aber fröhlich. Sora ging durch den Gastraum und ließ ein paar Gäste bezahlen, bevor sie zu Mimi zurückkehrte, die immer noch ein wütendes Gesicht machte. „Der hätte mal eine ordentliche Abreibung verdient!“ Anscheinend war sie mit ihrer Schimpftirade über Matt noch nicht am Ende angelangt. „Was glaubt er eigentlich, wer er ist?“ „Nun hör aber auf“, sagte Sora. Mimi starrte sie ungläubig an. „Bitte was? Warum nimmst du ihn in Schutz? Wieso hast du dich überhaupt auf ihn eingelassen?“ Sora machte sich daran, geistesabwesend ein paar Bestellungen fertigzumachen. „Ich weiß nicht. Ich hatte geglaubt, bei mir wäre es anders.“ „Bei dir wäre es anders? Sag mal, bist du ernsthaft in ihn verknallt?“, fragte Mimi in einem Tonfall, der vermuten ließ, dies wäre eine schlimme Sünde. „Keine Ahnung“, nuschelte Sora, ohne sie anzusehen. Mimi schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fiel fast vom Stuhl. „Sora!“ „Was denn?“ Mit der flachen Hand schlug sie auf die Tischplatte der Theke. „Weißt du, Tai und ich sind nicht gerade beste Freunde, aber er ist in dich verliebt.“ Sie machte eine Pause. „Und du verliebst dich in Matt? Was läuft falsch bei dir?“ „Mimi...“ „Ich halte nicht viel von Tai, aber sowas würde er nie mit dir abziehen! Und ich glaube, wenn er wüsste, was Matt da macht, würde er ihn umbringen. Und ich könnte es ihm nicht verübeln.“ „Er wird es nie erfahren.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ „Mimi! Du erzählst ihm das auf keinen Fall!“, rief Sora alarmiert. „Nein, nein, keine Angst“, meinte Mimi abwinkend. „Aber was ist Matt bitte für ein Kumpel? Macht sich zum Spaß an die Flamme seines besten Freundes ran.“ „Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt weiß, was Tai für mich empfindet“, gab Sora zu bedenken. „Bestimmt weiß er das“, sagte Mimi, wirkte aber nicht sonderlich sicher. „Oh, Joe!“ _ Anscheinend hatte er Mimi und Sora in einer hitzigen Diskussion gestört, als er bei ihnen am Tresen erschienen war. Sie unterbrachen ihr Gespräch und sahen ihn überrascht an. „Hi“, sagte er und lächelte. „Hallo“, murmelte Sora und verschwand in den Gastraum, um eine Bestellung zu überbringen. Nami kam gerade zurück, erblickte ihn und lächelte fröhlich. „Joe. Du hast es doch noch geschafft. Wie schön“, sagte sie und drückte verstohlen seine Hand. „Klar. Ich hab' doch gesagt, dass ich herkomme und warte, bis du fertig bist“, antwortete er schulterzuckend. „Das ist sehr süß von dir. Ich bin gleich wieder da.“ Und auch sie lief eilig in den Gastraum zurück. Joe begegnete Mimis überraschtem Blick. „Du und Nami also.“ Er lächelte verhalten und setzte sich auf den freien Stuhl neben ihr. „Ja.“ Mimi grinste von einem Ohr zum anderen. „Das ist ja schön. Freut mich für dich, hätte ich gar nicht von dir gedacht. Wie lang seid ihr schon zusammen?“ „Ähm... seit einer Woche“, antwortete er verlegen und schob seine Brille zurecht. Eine Geste, die er sich einfach nicht abgewöhnen konnte. „Oh!“, rief Mimi und machte ein verträumtes Gesicht. „Das ist die schönste Zeit. Genieß' es.“ „Mache ich“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Und was treibt dich her?“ „Mädchenkram“, antwortete Mimi schulterzuckend. „Es ist schön, dich zu sehen. Ich glaube, das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe, war der Tag nach der Party.“ „Ja, das kann sein“, erwiderte Joe, erstaunt, dass schon wieder über zwei Monate vergangen waren. „Hast du dich denn gut neu eingelebt?“ Mimi schnaubte und fing an zu erzählen, was ihr in den letzten Wochen widerfahren war. _ Nach dem zehnten Tuten legte er frustriert das Handy weg und zündete sich eine weitere Zigarette an. Der Balkon hatte sich zu seinem Lieblingsort entwickelt. Hier konnte er meist ungestört stehen, rauchen und auf die Welt hinabblicken. Es war ein geeigneter Platz zum Nachdenken, obwohl er jetzt in diesem Moment lieber nicht nachdenken würde. Viel lieber wollte er mit Sora reden und dieses Problem aus der Welt schaffen, anstatt nur darüber nachzudenken, wie es jetzt mit ihnen weitergehen sollte. Sie ging einfach nicht an ihr Handy, wenn er anrief. In der Schule hielt sie sich von ihm fern und gab ihm somit dort erst recht keine Gelegenheit, diese Sache zu klären. Und unangemeldet bei ihr aufzutauchen hatte sie auch nicht gerade dazu veranlasst, vor Freude in die Luft zu springen. Wie sollte er das nur jemals wieder geradebiegen? Und dann war da noch die Sache mit seiner sogenannten Familie. Er musste zugeben, dass es ihn verletzt hatte, wie T.K. ihn sah. Das war ihm nicht bewusst gewesen. Er hatte immer versucht, T.K. aus seinen Eskapaden herauszuhalten, doch anscheinend bekam er viel mehr mit, als Matt gedacht hatte. Er wusste selbst, dass er sich nicht gerade wie das typische Großer-Bruder-Vorbild benahm, doch dass T.K. das so bewusst war, war ihm nicht ganz klar gewesen. Auch dieses Problem musste er irgendwie klären. „Du sollst nicht so viel rauchen“, erklang die Stimme seines Vaters neben ihm. Matt hatte ihn gar nicht kommen hören. „Wie oft willst du mir das noch sagen?“, fragte Matt gelangweilt. „Bis du auf mich hörst“, antwortete Hiroaki bestimmt. Er stützte die Arme auf dem Geländer des Balkons ab und blickte ebenfalls in die Ferne. „Das ist krebserregend. Weißt du, wie deine Lunge aussieht? Und das in deinem Alter?“ „Ich wusste nicht, dass du neuerdings den Röntgenblick beherrschst“, erwiderte Matt sarkastisch. Auf Gesundheitsvorträge hatte er jetzt wirklich keine Lust. „Man lernt nie aus“, meinte Hiroaki schulterzuckend. „Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir morgen zu um eins bei Natsuko eingeladen sind. Nur für den Fall, dass du es dir noch einmal überlegst.“ „Ich werde mitkommen“, sagte Matt und überraschte sich selbst damit. Er hatte es in dem Moment beschlossen, in dem er es gesagt hatte. „Für T.K.“ Sein Vater musterte ihn einige Augenblicke von der Seite. „Das... freut mich. Schön. Damit habe ich nicht mehr gerechnet.“ „Ich auch nicht“, gestand Matt. _ Joe und Nami waren vor einer halben Stunde gegangen und Sora war gerade dabei, Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen und Rechnungen für die letzten Gäste fertigzumachen. Mimi saß noch immer am Tresen und gähnte mittlerweile nahezu ununterbrochen, während sie Sora beobachtete. „Sag mal, bist du nicht auch ganz schön müde? Immerhin bist du direkt nach der Schule hergekommen“, fragte Mimi ihre Freundin, die den ganzen Abend nicht einmal das Gesicht verzogen hatte. „Doch, ein bisschen“, antwortete Sora. „Vielleicht solltest du weniger arbeiten“, schlug Mimi vor. „Das muss dich doch ganz schön fertig machen, keine Freizeit zu haben. Ich würde durchdrehen.“ „Jetzt fang' nicht an wie Matt. Ich brauche das Geld eben“, erwiderte Sora schulterzuckend. „Aber Erholung brauchst du auch“, wandte Mimi ein. „Wenn man so dauerhaft unter Strom steht wie du wird man schneller krank.“ „Das geht schon“, meinte Sora abwinkend. „Ich komme klar, wirklich.“ Sie ging zu dem letzten Tisch, an dem noch Gäste saßen, und ließ diese zahlen. Dann kam sie zurück und räumte das letzte Geschirr in die Spülmaschine. „Außerdem siehst du auch ziemlich gestresst aus.“ „Ach, ich habe nur ein paar Probleme in der Schule und dann noch mit dem Tanzen. Iku ist so streng. Kari sagt immer, in mir steckt eben die Cheerleaderin“, erklärte Mimi. Sora kicherte. „Du warst bestimmt der Kapitän der Cheerleader.“ Mimi musste lachen. „Wie kommst du darauf? Aber nein, ich war zu jung. Man muss mindestens in der elften Klasse sein, um Cheerleaderkapitän zu werden.“ „Oh, wie schade. Aber dann schaffst du das bestimmt nächstes Jahr“, meinte Sora zuversichtlich. Nächstes Jahr. Mimi seufzte. Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte, im nächsten Schuljahr wieder in New York zu sein oder nicht. Die High School in den USA war einfacher als die Schule hier in Japan. Man bekam leichter gute Noten und hatte mehr Freizeit. Außerdem liebte sie New York. Doch andererseits liebte sie auch Tokio und ihre alten Freunde hier. Vor allem Izzy und Sora hatte sie vermisst und sie würden ihr schrecklich fehlen, wenn sie nächstes Jahr im März wieder zurück musste. Samstag, 3. Juni 2006 Schon den ganzen Morgen rannte Natsuko kreuz und quer durch die Wohnung und entfernte Flecken, die anscheinend nur sie sehen konnte. Der Fußboden blitzte, auf den Schränken war nicht ein Staubkörnchen zu finden und kleine Vasen mit frischen Blumen schmückten sämtliche Tische der Wohnung. Man hätte meinen können, sie wäre ein Ausstellungsstück für Menschen, die auf der Suche nach einer passenden Inneneinrichtung für ihre eigene Wohnung waren. Doch das reichte Natsuko nicht. „Mama, du übertreibst“, sagte T.K., der mit einem Glas Wasser in der Küche stand und sie dabei beobachtete, wie sie mit einer peinlichen Genauigkeit das Geschirr auf dem Esstisch ausrichtete. Für vier Leute. „Es kommt doch nur Papa und nicht der Kaiser.“ „Und Matt“, fügte seine Mutter hinzu. „Kann ich mir nicht vorstellen“, murmelte T.K. Nach dem, was er gestern zu seinem Bruder gesagt hatte, glaubte er erst recht nicht, dass er hier auftauchen würde. Natsuko erwiderte nichts, sondern fuhr unbeirrt fort, das Besteck geradezurücken. Die drei Töpfe auf dem Herd verströmten einen köstlichen Geruch und ließen T.K. das Wasser im Mund zusammenlaufen. Seine Mutter hatte ein ganzes Menü vorbereitet für heute. Vorspeise, Hauptgang, Dessert. Und sich selbst hatte sie auch herausgeputzt. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid mit langen Ärmeln und hatte ein paar Locken in die schulterlangen blonden Haare gedreht. Als es klingelte, ließ sie fast das Glas fallen, von welchem sie gerade unsichtbare Staubkörner wischte. „Herrje. Oh Gott. Um Himmelswillen“, murmelte sie, strich sich das Kleid glatt und zupfte an ihren Haaren herum. „Ich gehe schon aufmachen“, meinte T.K. und verdrehte die Augen. Sie tat wirklich so, als würde sie Besuch vom Kaiser erwarten. Er öffnete die Tür und machte große Augen. Dort standen tatsächlich sein Vater und Matt. „Hallo.“ „Na, T.K.?“, begrüßte sein Vater ihn und zerzauste ihm das Haar. „Ich habe das Gefühl, du bist jedes Mal, wenn ich dich sehe, wieder ein Stück größer.“ „Ich muss mich ja auch ranhalten“, erwiderte T.K. grinsend. Sein Vater ging an ihm vorbei, um seine Mutter zu begrüßen und nun wandte T.K. sich an Matt. „Hey.“ „Hi“, erwiderte dieser seine Begrüßung und rang sich ein Lächeln ab. „Schön, dass du da bist“, sagte T.K. ernst. „Mama freut sich bestimmt sehr.“ Seine Vermutung bestätigte sich prompt. „Matt!“, rief Natsuko und fiel ihm um den Hals. Er tätschelte etwas unbeholfen ihren Rücken und schien erleichtert, als sie ihn wieder losließ. Sie strahlte in die Runde. Anscheinend war sie sich doch nicht ganz so sicher gewesen, dass Matt tatsächlich kommen würde. „Lasst uns essen, sonst wird das Fleisch noch zäh.“ _ Joe konnte einfach nicht glauben, was mit ihm los war. Nami stellte etwas mit ihm an, das ihn völlig verrückt machte. In ihrer Nähe war ihm heiß und kalt auf einmal. In seinem Bauch kribbelte es wild und er bekam das Grinsen einfach nicht aus seinem Gesicht. Selbst sein Studium erschien ihm auf einmal nebensächlich. Alles war nebensächlich und sie war der Mittelpunkt. Er wurde ganz deprimiert bei dem Gedanken, dass er sich gleich auf den Weg nach Hause machen und das Wochenende von ihr getrennt verbringen musste. Doch er musste. Eigentlich hatte er ja schon gestern nach Hause fahren wollen, doch er hatte seiner Familie einfach am Telefon gesagt, er hätte noch eine Hausarbeit fertig zu schreiben. „Am liebsten würde ich den ganzen Tag hier mit dir im Bett verbringen“, murmelte Nami, die in seinem Arm lag, den Kopf auf seiner Brust gebettet. „Ich auch“, seufzte Joe. „Wie alt ist dein Bruder noch mal?“, fragte sie interessiert. „Shuu ist vierundzwanzig und Shin ist siebenundzwanzig“, antwortete Joe. „Oh, gleich zwei Brüder?“, fragte Nami überrascht. „Ja.“ „Das kann bestimmt anstrengend sein“, meinte Nami. „War es auch manchmal. Als Jüngster steht man immer im Schatten der Älteren“ sagte Joe und schwelgte in Erinnerungen. „Ich wollte eigentlich kein Arzt werden, aber mein Vater ist einer und meine Brüder wollten auch welche werden. Da wurde von mir das Gleiche erwartet.“ Nami hob den Kopf und sah ihn stirnrunzelnd an. „Und jetzt studierst du Medizin, obwohl du das eigentlich gar nicht willst?“ „Irgendwie will ich es schon. Ich finde es toll, Menschenleben zu retten oder vielleicht ein Heilmittel für Krebs zu entdecken. Aber wenn ich nicht so viele Ärzte in der Familie hätte, würde ich bestimmt was anderes studieren“, antwortete er. „Und was?“, fragte Nami neugierig. „Hm“, Joe dachte nach, „vielleicht Geschichte. Oder Physik.“ „Bäh. Physik habe ich immer gehasst“, sagte Nami und verzog das Gesicht. „Aber die Physik ist doch so spannend“, sagte Joe erstaunt über ihre Meinung. „Sie erklärt so viel in unserem täglichen Leben und ist so faszinierend.“ Nami schüttelte nur verständnislos den Kopf. „Du bist echt ein Phänomen, Joe Kido.“ _ Das Essen verlief zu Matts Überraschung recht entspannt, obwohl Natsuko fast nichts aß. Ihr Blick flackerte ständig zu ihm herüber und ihre Hände zitterten ein wenig. Sie und Hiroaki unterhielten sich während des Essens locker über die Arbeit, versuchten auch Matt und T.K. miteinzubeziehen, doch Matt hielt sich weitestgehend heraus. Er war ohnehin nur wegen T.K. hier und es kam ihm mehr als falsch vor, hier mit der ganzen „Familie“ an einem Tisch zu sitzen. Doch er hielt den Mund. Nach dem Essen machten sie einen Spaziergang durch den Park und das kam Matt noch falscher vor. Fehlte nur noch, dass sie sich alle an den Händen nahmen und ein Lied trällerten. Matt schob die Hände in die Hosentaschen und schwieg. Zwei Mädchen kamen auf ihn zu und hielten ihn auf. Seine Eltern und T.K. drehten sich fragend zu ihm um. „Hey, du bist doch Matt, oder? Von den Tokyo Rebels?“, fragte die eine. „Mhm“, machte Matt gelangweilt. „Würdest du vielleicht ein Foto mit uns machen?“, fragte die andere mit leuchtenden Augen. „Ja, klar“, murmelte Matt schulterzuckend. „Super. Hier, kannst du das Foto vielleicht machen?“ Sie drückte T.K. eine Digitalkamera in die Hand, der diese ein wenig überrascht annahm. Die beiden Mädchen stellten sich links und rechts neben ihm auf und strahlten in die Kamera, während Matt sich zu einem müden Lächeln herabließ. Seine Band wäre stolz auf ihn, wo sie ihm doch immer sagten, er sollte netter zu den Fans sein, die ihn auf der Straße ansprachen. T.K. machte zwei Fotos und die Mädchen nahmen ihre Kamera zurück. „Bist du sein Bruder?“, fragten sie ihn. „Du siehst ihm echt ähnlich.“ „Ja“, antwortete T.K. lächelnd. „Oh, wie schön. Über Matts Familie erfährt man im Internet natürlich nichts. Es ist wirklich toll, euch zu sehen.“ „Danke. Es ist auch schön, mal ein paar seiner Fans kennenzulernen“, erwiderte T.K. freundlich. Matt beobachtete ihn. Sein kleiner Bruder hatte die freundliche, liebenswürdige Art so viel besser drauf als er selbst. „Na dann noch ein schönes Wochenende“, verabschiedeten die Mädchen sich und zogen von dannen. „Herrje. Nur Flausen im Kopf haben, aber Mädchen magnetisch anziehen, das kann er“, murmelte Hiroaki und bedachte Matt mit einem finsteren Blick. „Hiroaki“, zischte Natsuko und sah ihn streng an. Matt verdrehte nur die Augen und erwiderte nichts. Er wollte die bisher ganz friedliche Atmosphäre nicht stören, obwohl der Kommentar seines Vaters ihn nervte. Er freute sich auf sein Konzert heute Abend, denn dort konnte er sich ein wenig abreagieren und wieder auf andere Gedanken kommen. _ „Hau ab!“, zischte Kari und schubste ihren Bruder von dem Teller weg, den sie gerade beladen hatte. „Das riecht aber so lecker“, protestierte er. „Ich will doch nur...“ „Nein! Such dir selbst Freunde zum Kochen“, rief Kari und brachte ihren Teller in Sicherheit. „Sei doch nicht immer so gierig. Du kannst anderen ruhig auch mal was abgeben, anstatt immer alles für dich haben zu wollen“, meinte Tai vorwurfsvoll. „Ich erinnere dich bei Gelegenheit dran“, konterte Kari und streckte ihm die Zunge raus. „Wolltest du nicht noch weg?“ „Jaja, bin ja schon unterwegs.“ Yolei lachte über den Streit der beiden. So ähnlich ging sie mit ihren Geschwistern auch um, nur dass sie sich gegen drei ältere Geschwister durchsetzen musste. „Wo gehst du denn heute hin?“, fragte sie ihn interessiert. „Mit Matt feiern“, antwortete Tai und wandte sich nun den Töpfen auf dem Herd zu. „Und was habt ihr heute vor?“ „Tai, mach dich vom Acker!“, rief Kari und quetschte sich zwischen Tai und den Herd. „Kari hat mir dabei geholfen, mein Lieblingsessen zuzubereiten. Das ist für den Kochclub der Schule. Und nachher schauen wir noch eine DVD oder so“, antwortete Yolei. „Also von Kari würde ich mir da aber nicht helfen lassen, wenn das was werden soll“, erwiderte Tai und grinste seine kleine Schwester herausfordernd an. „Immerhin hat sie die Gene meiner Mutter.“ „Du bist ein absoluter Idiot, Tai. Und wenn du das so siehst, dann kannst du ja jetzt abhauen und dich selbst um dein Essen kümmern“, fauchte Kari und starrte ihn giftig an, sodass er schließlich aufgab. „Sei doch nicht immer so zickig“, murmelte er und tätschelte ihr den Kopf, doch sie duckte sich weg. „Wie auch immer, ich muss jetzt los. Aber das riecht wirklich echt lecker, Yolei.“ Yolei lächelte geschmeichelt. „Wir lassen dir was übrig.“ „Tun wir nicht“, widersprach Kari. „Ach, weißt du, Schwesterherz, gegen so ein Bündnis wie das von Yolei und mit kannst du eh nichts ausrichten, also versuch's gar nicht erst.“ Er zur Wohnungstür. „Also dann, macht's gut.“ Die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen und weg war er. „Mann, kann der vielleicht nerven“, stöhnte Kari. Yolei kicherte. Sie fand es ausgesprochen amüsant, Tai und Kari zu beobachten. Obwohl sie sich ab und an in der Wolle hatten und Tai Kari gern ärgerte, merkte man doch, wie wichtig sie einander waren. „Also dann, lassen wir uns mein Lieblingsessen schmecken!“ _ „Mann, Izzy, ich kann es immer noch gar nicht glauben, dass du mitgekommen bist“, meinte Mimi und strahlte ihn an. „Ich auch nicht“, gestand er. Seit einer Stunde saßen sie hier in einer Bar, schlürften Drinks und unterhielten sich gut. Izzy merkte wieder einmal, dass er wirklich gern Zeit mit Mimi verbrachte, auch wenn sie impulsiv und manchmal ein wenig zickig war. Doch man konnte sich gut mit ihr unterhalten. Sie erzählte viel von New York, wie dort ein Partyabend aussah, wie ihre Freunde dort waren, wo man feiern ging. Sie bestand darauf, dass er sie irgendwann einmal dort besuchen kam. Irgendwann gegen zehn Uhr machten sie sich dann auf den Weg zu einem nahegelegenen Club, den Mimi von Sora empfohlen bekommen hatte. „Sag mal, bist du überhaupt schon mal ausgegangen?“, fragte sie irgendwann und musterte ihn von der Seite. „Ja, einmal“, antwortete Izzy und hob die Augenbrauen. „Mit Tai und Matt. Frag nicht.“ Sie kicherte. „Das war sicher ein witziger Abend.“ „Sie haben mich gezwungen, mitzukommen. Ein bisschen so wie du heute“, erklärte Izzy grinsend. „Das sieht ihnen ähnlich. Außerdem zwinge ich dich ja nicht“, entgegnete sie bestimmt. „Ich denke nur, dir könnte es gefallen, weißt du? Vielleicht mache ich dich ja in einem Jahr zum Partygänger.“ Izzy prustete. „Das werden wir ja sehen.“ Sie erreichten den Club, den Mimi gesucht hatte, zahlten den Eintritt und gingen hinein. Dort war schon recht viel los, obwohl noch niemand tanzte. Die Musik war laut und das Geplauder der Menschen war auch laut. Mimi beschloss, erst einmal eine Runde durch den Club zu drehen und Izzy folgte ihr, bemüht, möglichst cool zu wirken. Nachdem sie sich einen Überblick über den Club und seine Besucher verschafft hatten, gingen sie zur Bar und bestellten sich etwas zu trinken. Izzy hatte in der ganzen letzten Woche wahrscheinlich nicht so viel getrunken wie an diesem Abend. Ständig musste er auf die Toilette. Kaum hatte er ein paar Schlucke getrunken, war es schon wieder so weit. Er entschuldigte sich bei Mimi und machte sich auf die Suche nach den Klos. Als er die Tür zur Herrentoilette öffnete, staunte er nicht schlecht, wen er dort erblickte. „Tai“, rief er überrascht. Tatsächlich handelte es sich bei dem Jungen, der gerade am Waschbecken stand und sich die Hände wusch, um Tai. „Nanu, Izzy“, erwiderte dieser seinen Gruß und grinste. „Mit dir habe ich hier ja gar nicht gerechnet.“ „Ich mit dir auch nicht“, meinte Izzy. „Aber im Gegensatz zu dir bin ich öfter hier“, sagte Tai scherzhaft. „Bist du etwa mit Mimi hier?“ „Ja“, antwortete Izzy verwirrt über diesen Tonfall. „Hat sie es also tatsächlich geschafft, dich hierher zu schleifen“, stellte Tai kopfschüttelnd fest. „Lass dir doch von der nicht alles gefallen. Die muss auch mal lernen, dass nicht immer alle nach ihrer Pfeife tanzen.“ „Ach, weißt du, ich bin gern hier“, behauptete Izzy und lächelte schief. Skeptisch hob Tai eine Augenbraue. „Na, wenn du meinst.“ „Mit wem bist du denn hier?“ „Mit Matt. Er kommt gerade von einem Konzert, das hier in der Nähe war.“ Als Izzy fertig war, verließen sie gemeinsam das Klo. _ Während Mimi an der Bar stand, an ihrem Drink nippte und auf Izzy wartete, tippte sie jemand von der Seite an. Sie zuckte zusammen und wirbelte herum. „Matt!“, rief sie überrascht. Sofort kochte Wut in ihr hoch, denn sie musste an das denken, was Sora ihr erzählt hatte. Eigentlich hatte sie jetzt gar keine Lust, auch nur neben ihm zu stehen, geschweige denn mit ihm zu reden. „Hey, warum guckst du denn so?“, fragte er stirnrunzelnd. „Weil du ein Arsch bist“, antwortete sie abweisend und drehte sich von ihm weg. „Ich dachte, das hättest du schon vor ein paar Wochen festgestellt“, meinte Matt und positionierte sich so, dass sie ihn wieder ansah. „Dein Arschsein hat aber noch mal neue Dimensionen angenommen“, entgegnete Mimi kühl. Matt seufzte. „Hast du mit Sora geredet?“ „Zufällig ja“, sagte Mimi schnippisch und warf sich das lange Haar nach hinten. „Dass du dich nicht schämst für so eine Aktion.“ „Ich hab mich bei ihr entschuldigt“, erklärte Matt. „Aber sie wollte nicht zuhören.“ Mimi schnaubte verächtlich. Dem Typen war echt nicht mehr zu helfen. Hier war Hopfen und Malz verloren. „Ach, und da ist sie dir nicht vor Freude um den Hals gefallen? Ist ja komisch.“ „Hat sie vielleicht noch irgendwas gesagt?“, fragte Matt, ohne auf ihre sarkastische Bemerkung einzugehen. Verwirrt sah Mimi ihn an. Er sah so ernst aus. Sollte Yamato Ishida vielleicht tatsächlich so etwas wie ein Gewissen besitzen? „Sie ist ziemlich niedergeschlagen deswegen“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ehrlich, Matt, wie kommst du auch auf die Idee, eine Wette auf sie abzuschließen?“ Matt antwortete nicht, sondern richtete den Blick auf irgendeinen unbestimmten Punkt im Raum. Er sah nachdenklich aus, als dachte er nun über den eigentlichen Grund nach, weshalb er Sora verwettet hatte. „Sie hat dich echt gern, weißt du? Sie ist verknallt in dich und du nutzt das aus“, schimpfte Mimi weiter. Matt schüttelte den Kopf und nippte an seiner Bierflasche. Eine Weile sagte er nichts, sodass Mimi schon dachte, das Thema wäre nun für ihn beendet, doch dann fing er wieder an. „Du hast nicht zufällig eine Idee, wie ich das wieder gutmachen könnte?“ Verblüfft starrte Mimi ihn an. „Nein, keine Ahnung. Bei mir jedenfalls könntest du machen, was du willst, ich würde dir nicht verzeihen.“ Er warf ihr einen genervten Blick zu. „Schon klar.“ In diesem Moment tauchte Izzy endlich wieder auf mit Tai im Schlepptau. „Ich dachte schon, du wärst ins Klo gefallen“, sagte Mimi an Izzy gewandt und sah dann Tai an. „So, du bist also auch hier.“ _ Entgeistert erwiderte Tai Mimis abschätzigen Blick. „Was soll das denn schon wieder? Kannst du nicht einfach mal nett sein, so wie ein normaler Mensch?“ „Jaja, schon gut“, lenkte sie ein. „Hallo, Tai.“ „Hallo, Mimi“, erwiderte Tai und musterte sie. Mit ihrem kurzen pinkfarbenen Kleid, das hervorragend zu ihren gefärbten Haarspitzen passte und dem dezenten Make-up sah sie wirklich hübsch aus. Würde er sie nicht kennen und wäre er nicht hoffnungslos in Sora verliebt, würde er sie wohl ansprechen. Doch warum konnte sie sich nicht einfach mal normal freundlich verhalten, sondern musste ihn immer so angiften? „Los, Izzy, wir gehen tanzen“, bestimmte sie und zog den armen Izzy hinter sich her auf die Tanzfläche, die noch nicht allzu voll war. Tai sah ihnen hinterher und schüttelte den Kopf. „Die spinnt doch. Warum nur lässt Izzy sich das gefallen?“, fragte er an Matt gewandt. „Ich glaube, er will das so. Sonst könnte er sich ja auch einfach wehren“, antwortete dieser gleichgültig. Tai bedachte Matt mit einem skeptischen Blick. Er hatte da so seine Zweifel, ob Izzy in diesem Schuppen hier wirklich glücklich war. „Danke übrigens, dass du mitgekommen bist“, wechselte Matt das Thema. „Kein Problem. Ich hatte doch eh nichts Besseres zu tun“, sagte Tai schulterzuckend. Er hoffte, an diesem Abend etwas über ihn und Sora zu erfahren. Er wollte unbedingt wissen, was zwischen ihnen vorgefallen war, dass Sora ihn auf einmal mied und man sie nicht mehr auf Matt ansprechen konnte. Er hatte eine ganz dunkle Vorahnung, doch das konnte einfach nicht sein. „Na, dann sehen wir uns mal nach einer Braut für dich um“, meinte Matt entschlossen. „Oh, bitte, nicht schon wieder“, stöhnte Tai und Matt grinste. „War nur ein Witz. Obwohl ich dir natürlich tatkräftig als Wingman zur Seite stehen würde.“ Tai musterte Matt mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Matt, du bist ein dermaßen ungeeigneter Wingman. Echt. Falls ich heute ein Mädchen anspreche, dann bleib bitte außerhalb ihres Sichtfeldes.“ „Jetzt wirst du aber gemein.“ Sie stießen mit ihrem Bier an und tranken einen Schluck. Unterdessen beobachtete Tai Mimi und Izzy auf der Tanzfläche und musste sich ein Lachen verkneifen. Izzy war steif wie ein Stock und man könnte meinen, er versuchte gerade, bei einem Erdbeben nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mimi war da das genaue Gegenteil. Ihre Bewegungen waren flüssig und rhythmisch und sie wusste mit ihrem Körper umzugehen. Die beiden waren echt ein seltsames Gespann. „Sie ist so heiß“, kommentierte Matt, der Mimi ebenfalls beobachtete. „Schade, dass sie einen an der Klatsche hat.“ Tai drehte sich zu Matt um und warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Bloß gut, dass du so normal bist. Als würdest du sie heiraten, wenn sie keinen an der Klatsche hätte.“ „Vielleicht würde ich das“, erwiderte Matt geheimnisvoll lächelnd. „Das glaubst du doch selbst nicht“, murmelte Tai. _ In dem Club war es im Laufe der Nacht so heiß geworden, dass Mimi sich erschöpft die Haare zusammenband. Sie hatte jetzt vier Stunden ununterbrochen getanzt, sodass ihre Füße nun schmerzten und sie in ihren unbequemen Schuhen kaum noch laufen konnte. Izzy hatte sich schon vor einer ganzen Weile bei ihr entschuldigt, dass er eine Pause brauchte. Wahrscheinlich hockte er irgendwo mit Tai und Matt herum. Oder nur noch mit Tai, weil Matt sicherlich schon wieder ein dummes Mädchen abgeschleppt hatte. Mimi schlängelte sich auf der Suche nach Izzy durch die Menschenmassen hindurch hinunter von der Tanzfläche und bemühte sich, einigermaßen elegant durch den Club zu laufen, was ihr schwer fiel, da sie kaum noch auftreten konnte. Ein Junge nahm Blickkontakt mit ihr auf. Es war der gleiche, der auch schon auf der Tanzfläche mehrmals ihre Aufmerksamkeit gesucht hatte, doch sie beachtete ihn nicht weiter. Sie entdeckte Tai in einer Ecke sitzend und sich mit einem Mitglied der Tokyo Rebels unterhaltend, dessen Namen Mimi vergessen hatte. Zielstrebig steuerte sie auf ihn zu. Als er sie bemerkte, unterbrach er sein Gespräch mit dem Jungen und sah sie fragend an. „Hast du Izzy irgendwo gesehen?“, fragte sie und beugte sich zu ihm hinunter. Tai verdrehte die Augen. „Matt macht ihm gerade ein Mädchen klar.“ „Wie bitte?!“ Das hatte sie doch eigentlich vorgehabt. „Wo denn? Ist er schon weg?“ „Nein. Muss hier irgendwo sein“, antwortete Tai und wandte sich wieder dem anderen Jungen zu, der Mimi interessiert gemustert hatte. Sie drehte sich um und machte sich auf die Suche nach Izzy, nun ein wenig ungeduldiger. Er würde sie doch hier nicht einfach allein lassen und mit einem Mädel abhauen? Und wieso mischte Matt sich da überhaupt ein? Kurz darauf entdeckte sie die beiden zusammen mit zwei Mädchen, von denen ihr eines bekannt vorkam, an der Bar. Sie schienen sich alle vier gut zu unterhalten und wirkten äußerst gut gelaunt, als Mimi zu ihnen stieß. „Oh, Mimi!“, rief Izzy und Mimi hörte sofort, wie schwer seine Zunge war. „Ich dachte schon, du wärst gar nicht mehr da.“ „Ebenfalls“, erwiderte Mimi. „Du kannst mich doch nicht so lang allein lassen.“ „Ich bin doch hier“, entgegnete er verwundert und wandte sich an die beiden Mädchen. „Das hier ist Mimi. Sie ist im April aus den USA wiedergekommen und wir sind schon ewig befreundet. Ich hab sie echt gern.“ Mimi lächelte künstlich und warf auch Matt einen Blick zu, der cool wie immer wirkte. Sie hoffte, dass er ihre Gedanken lesen konnte und wusste, dass sie ihm gern zwischen die Beine treten würde. „Und das hier sind Kana und Nagisa“, stellte Izzy stolz die beiden Mädchen vor. Sie zeigten sich alle beide nicht sonderlich an Mimi interessiert, sondern reckten das Kinn, fuhren sich durch die Haare und wandten sich wieder den beiden Jungs zu. Mimi hob eine Augenbraue. „Izzy, hast du vielleicht Lust, noch eine Runde mit mir zu tanzen?“, fragte sie lächelnd und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Jetzt gerade nicht“, antwortete Izzy und zwinkerte ihr auffällig zu. „Oder hast du Lust zu tanzen, Kana?“ „Oh, ich würde sehr gern mit dir tanzen“, antwortete sie und strahlte Izzy an. Sie beide beachteten Mimi nicht weiter und stürmten zur Tanzfläche. Ungläubig starrte Mimi ihnen nach. Hatte er sie gerade wirklich links liegen lassen? _ Belustigt registrierte Matt Mimis entgeisterten Blick, als Izzy mit dieser Kana in Richtung Tanzfläche verschwand und sie einfach stehen ließ. Er beugte sich zu ihr, sodass Nagisa ihn nicht hören konnte. „Da siehst du, wer von uns beiden der bessere Wingman ist.“ Wütend drehte sie sich zu ihm um. „Du bist das größte Arschloch, das ich kenne! Kannst du nicht wenigstens Izzy in Ruhe lassen? An deiner Stelle würde ich wegrennen, solange du noch kannst, Nagisa!“ Mit diesen Worten stampfte sie nun selbst davon. „Dieses Mädchen ist irgendwie komisch“, kommentierte Nagisa und sah Mimi mit gerunzelter Stirn hinterher. „Woher kennst du sie eigentlich?“ „Ach, noch von früher“, meinte Matt abwinkend. Dann wandte er sich Nagisa zu und sah sie nachdenklich an. Schon wieder war sie hier in seiner Nähe aufgetaucht und berührte ihn ständig wie zufällig am Arm. Dabei hatte er gar keine Lust darauf, die Nacht mit ihr zu verbringen. „Wollen wir vielleicht noch was trinken?“, fragte sie lächelnd. „Nein, danke. Ich werde jetzt mal Tai suchen“, verkündete Matt und ließ sie einfach stehen, doch als er bei Tai ankam, sah er, dass sie ihm gefolgt war. Er verdrehte die Augen und setzte sich zu Tai und Shin an den Tisch. Nagisa setzte sich unaufgefordert neben ihn. Matt verdrehte die Augen. „Da bist du ja. Ich dachte schon, du wärst wieder irgendwo versackt“, sagte Shin grinsend. „Wo ist Izzy?“, fragte Tai. Matt deutete mit einem Kopfnicken Richtung Tanzfläche. „Mann, ich dachte, Mimi würde ihn endlich mal in Ruhe lassen.“ „Oh, er ist nicht mit Mimi auf der Tanzfläche.“ Matt lächelte breit und Tai machte große Augen. Suchend richtete er den Blick auf die Tanzfläche und auch Matt drehte sich um, um Izzy zu suchen. Nach einer Weile entdeckte er ihn und... er hing tatsächlich an den Lippen dieser Kana. „Mein Gott, wie hast du das gemacht?!“, rief Tai ungläubig. „Geheimnis“, antwortete Matt schulterzuckend und nippte an seinem Bier. „In Matts Nähe verliert eben jeder den Verstand“, mischte Nagisa sich ein, stütze den Kopf auf der Hand ab und beobachtete Matt mit verträumtem Blick. Tai räusperte sich übertrieben und Shin lachte. „Ich warte auf den Tag, an dem er die Männer verführt.“ „Haha“, sagte Matt tonlos. „Ich geh' eine rauchen.“ Mit diesen Worten stand er wieder auf und drängte sich an den Menschen vorbei nach draußen. Wieder folgte Nagisa ihm, doch er ignorierte sie einfach. Draußen war die Luft gleich viel angenehmer. Frisch und klar und nicht feuchtwarm wie in diesem Club. „Wir können zu mir gehen“, sagte Nagisa unvermittelt, als er sich eine Zigarette anzündete. „Ich wohne hier gleich um die Ecke.“ „Nein, danke“, antwortete Matt trocken und wandte sich von ihr ab. Er zog an seiner Kippe und versuchte, sich zu entspannen, doch Nagisa ließ nicht locker. Sie drängte sich an ihn. „Ich kann auch wieder mit zu dir kommen, wenn dir das lieber ist“, raunte sie ihm ins Ohr. Matt seufzte, antwortete aber nichts. Schließlich schmiegte sie sich noch enger an ihn und ließ eine Hand in die Gesäßtasche seiner Jeans gleiten. Genervt sah er sie an und schob sie von sich weg. „Welchen Teil von 'nein' hast du nicht verstanden?“ „Ich meine es doch nur gut mit dir. Wir würden perfekt zusammen passen. Sora ist doch viel zu langweilig für dich“, erwiderte sie bestimmt und lächelte süß. Matt starrte sie an. „Woher... was... sag mal, spinnst du? Was läuft falsch bei dir? Lass mich endlich in Ruhe, klar? Ich will mit dir nichts zu tun haben, kapier das endlich.“ Ihr Blick wurde finster und sie drehte sich um und ging. Kopfschüttelnd sah Matt ihr nach, doch ein wenig beunruhigte ihn ihre Bemerkung schon. Kapitel 23: Bad Boys -------------------- Freitag, 16. Juni 2006   Müde kam Sora in die Schule. In den letzten zwei Wochen hatte sie noch mehr Zeit damit verbracht, arbeiten zu gehen und Sport zu treiben als ohnehin schon. Es hatte sie einfach ein wenig von dieser Dreiecksgeschichte abgelenkt, die sie so nervte. Tai liebte sie, aber sie war in Matt verknallt. Es fehlte nur noch, dass Matt plötzlich verkündete, er wäre in Tai verliebt. Dann wäre das ganze Drama perfekt und filmreif. Daraus könnte man eine Daily Soap machen. Den Kontakt zu Tai hatte sie ziemlich eingeschränkt. Sie sahen sich in der Schule und redeten auch miteinander, doch in ihrer Freizeit sah sie ihn nun nicht mehr so oft. Sie wollte einfach nicht, dass er mitbekam, was zwischen Matt und ihr passiert war. Es würde ihn verletzen und außerdem hätte es eh nie passieren dürfen. Sora musste einfach darüber hinwegkommen, die Sache vergessen, Matt von ihrer Freundesliste streichen und dann würde sich alles schon wieder einpegeln. Vielleicht schaffte sie es ja sogar irgendwann, Gefühle für Tai zu entwickeln, der ohnehin viel besser zu ihr passte als Matt, wenn sie diese Sache einmal objektiv betrachtete. Sie beide mochten Sport, waren Sturköpfe, kamen mit den meisten Leuten prima zurecht und hintergingen andere Menschen nicht. Mit Matt hatte sie eigentlich gar nichts gemeinsam. Sie schloss ihr Schließfach auf, um die Bücher für die ersten beiden Stunden zu holen, doch da fiel ihr ein Briefumschlag entgegen. Was war das denn nun? Bekam sie jetzt auch Liebesbriefe? Neugierig öffnete sie den Umschlag und hielt eine Karte für das heutige Konzert der Tokyo Rebels in der Hand. Ungläubig starrte sie die Karte an. Hatte Matt ihr die etwa in den Spind geworfen? Sie bückte sich nach dem Zettel, der heruntergefallen war, als sie die Konzertkarte aus dem Umschlag gefischt hatte. Bitte komm. Es ist wichtig. _ „Sieh mal, Sora hat auch eine bekommen.“ T.K. blickte auf und sah zu Sora, die einige Meter neben ihm an ihrem Schließfach stand und eine Konzertkarte in den Händen hielt. Als sie ihren Namen hörte, drehte sie sich um und kam zu ihm und Kari. „Weißt du, warum?“, fragte sie und hielt ihre Karte hoch. „Nein, keine Ahnung“, antwortete T.K. schulterzuckend. Nicht einmal er verstand die Gedankengänge seines Bruders und was ihn dazu veranlasste, sie zu seinem Konzert einzuladen. „T.K. hat sogar zwei Karten bekommen“, sagte Kari. „Oh, schau mal, ein Zettel.“ Bring Kari ruhig mit. „Aber... warum...“, stammelte Kari und T.K. beobachtete, wie sie rot anlief. „Ich hab' übrigens auch eine bekommen“, sagte Tai und gesellte sich zu der kleinen Gruppe. „Plant er irgendwas?“, fragte Kari an T.K. gewandt, der nur mit den Schultern zuckte. „Los, wir müssen in den Unterricht“, sagte Sora und bog in den Gang ab, in dem sich der Raum für ihre erste Stunde befand. Tai nickte den beiden Jüngeren kurz zu und folgte ihr. „Ob Davis auch eine bekommen hat?“, überlegte T.K. Davis hatte sich komplett von ihm und Kari abgewendet und akzeptierte Karis Entschuldigungen nicht. Er verbrachte den Schulalltag nun meist mit ein paar Jungs aus ihrer Klasse und in seiner Freizeit unternahm er nun wieder mehr mit Ken. Kari machte es sehr zu schaffen, dass er nicht mit sich reden ließ und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, während T.K. ihn eigentlich nicht sonderlich vermisste, jedoch tat ihm Kari langsam Leid. _ Gemeinsam mit Izzy lief Mimi über den Schulhof auf Tai zu. Als sie bei ihnen ankam, stieß sie einen Schrei aus und fiel ihm um den Hals. „Ich habe eine Zwei bekommen!“, jubelte sie und drückte ihn so fest an sich, dass ihm die Luft ausgehen musste. „Was zum... Hör sofort auf, mich zu umarmen!“, erwiderte Tai barsch und schob sie mit einem verstörten Gesichtsausdruck von sich weg. „Bist du irre geworden?“ Auch Matt machte ein verdattertes Gesicht. „Tai, ich hab' eine Zwei in Mathe bekommen“, wiederholte Mimi ungeduldig und strahlte über das ganze Gesicht. „Das habe ich nur dir zu verdanken. Danke!“ Sein Gesicht entspannte sich ein wenig und schließlich nickte er. „Freut mich.“ „Was denn, ihr streitet gar nicht? Keine sarkastischen Bemerkungen und Anfeindungen?“, mischte Matt sich ein und lächelte spöttisch. „Ach, halt doch die Klappe, Ishida“, murmelte Tai und boxte ihm unsanft gegen den Arm. „Was soll eigentlich das mit dem Ticket für heute Abend?“, fragte Mimi an Matt gewandt. „Das ist eine Einladung“, antwortete Matt kurz angebunden. „Was du nicht sagst“, erwiderte Mimi trocken. „Es wäre eben schön, wenn ihr alle kommt“, meinte Matt beiläufig, doch Mimi beobachtete ihn mit zu Schlitzen verengten Augen. Sie warf Izzy einen Blick zu, doch auch der sah ratlos aus. „Bis später“, sagte Mimi zu den Jungs und machte sich auf die Suche nach Sora. Sie musste unbedingt mit ihr reden. Sie fand sie auf einem Fleck Gras sitzend zusammen mit ein paar anderen Mädchen aus ihrer Klasse. Als sie Mimi sah, stand sie auf. Wahrscheinlich konnte sie sich schon denken, was sie wollte. Sie entfernten sich ein wenig von der Mädchengruppe. „Hast du eigentlich auch ein Ticket für heute Abend bekommen?“, fragte Mimi. „Ja“, antwortete Sora. „Wirst du hingehen?“ „Nein.“ „Kluges Mädchen“, meinte Mimi und tätschelte ihr die Schulter. „Wer weiß, was er vorhat. Bestimmt hat er irgendeine Masche geplant, um dich wieder rumzukriegen.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Sora mit finsterer Miene. „Warum sollte er das tun? Er hat doch sicher schon wieder eine Handvoll anderer Mädels am Start.“ „Ach, das glaube ich nicht. Letztens, als ich mit Izzy feiern war, hat er mich gefragt, ob ich wüsste, wie er das wieder gutmachen könnte“, erzählte Mimi und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Achso?“, fragte Sora irritiert. „Ja. Habe ich dir noch gar nicht erzählt. Aber ich finde es super, dass du nicht hingehst. Damit zeigst du ihm, dass er nicht alles mit dir machen kann, was er will“, sagte Mimi. „Sonst lernt er's nie.“ _ Eilig wollte Davis das Schulgelände verlassen, doch es war ausgerechnet Kari, die ihn vor dem Schulgebäude abfing. Eigentlich wollte er weiterlaufen und sie einfach ignorieren, doch irgendwie konnte er das nicht. Es war wohl ihr verletzter Blick, der ihn daran hinderte. „Davis, hast du kurz Zeit?“, fragte sie. Unschlüssig sah er sie an. „Ich bin mit Ken verabredet, also eigentlich nicht.“ „Bitte, nur fünf Minuten“, bat sie ihn leise. Schließlich nickte er und sie gingen gemeinsam auf den Schulhof, wo sie sich auf eine Bank setzten. Es war seltsam, nun neben Kari zu sitzen und zu wissen, dass jetzt ein Gespräch folgte, wo er sie doch in den letzten Wochen nahezu komplett ignoriert hatte. Und das, obwohl sie in der gleichen Klasse waren. Er hatte ihr einfach nicht in die Augen sehen können. „Hör mal, ich kann so einfach nicht weitermachen“, begann sie und zupfte sich unsichtbare Flusen vom Rock ihrer Uniform. „So, wie es jetzt ist, meine ich. Es belastet mich so sehr, dass du mich einfach ignorierst.“ „Ich verstehe gerade nur 'ich, ich, ich'“, entgegnete Davis kühl und wollte wieder aufstehen, doch sie griff nach seiner Hand. Ein Schauer durchzuckte seinen Körper. „Tut mir Leid“, murmelte sie mit brechender Stimme. „Es tut mir alles Leid, was passiert ist. Ich weiß, dass ich das niemals hätte machen dürfen.“ Davis reagierte nicht, sah sie nicht einmal an. Zu oft hatte er diese Worte jetzt schon von ihr gehört und gelesen. „Weißt du, ich mag dich echt. Und ich habe wirklich gehofft, dass ich Gefühle für dich entwickeln kann, während wir zusammen sind, aber es kam irgendwie nichts“, sagte sie. „Die Gefühle hättest du haben müssen, bevor wir zusammen waren“, erwiderte er barsch. „Ich weiß. Ich hab' einfach alles falsch gemacht, was ich hätte falsch machen können“, sagte sie mit heiserer Stimme und es klang, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Er sah sie an, doch sie hatte den Blick abgewandt und starrte zu Boden. „Ich hatte ein Problem mit T.K. und Shiori und habe dich einfach ausgenutzt. Das war widerlich von mir.“ Davis antwortete nichts, gab ihr innerlich jedoch Recht. „Ich weiß auch nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen kann“, redete sie weiter. „Und ich kann natürlich verstehen, dass du das nicht einfach verzeihst. Aber ich wollte dich fragen, ob du denkst, dass wir irgendwann einmal wieder miteinander befreundet sein können?“ Davis runzelte die Stirn und musterte sie nachdenklich. „Ich vermisse dich echt, Davis. Du bist mir wichtig, auch wenn ich mich nicht in dich verlieben kann“, murmelte sie und sah ihn nun endlich an. Ihre Augen glänzten feucht. „Ich weiß es nicht“, antwortete Davis ehrlich. „Es tut mir wirklich Leid, was ich mit dir abgezogen habe“, wiederholte Kari mit reuevollem Blick. „Ich nehme deine Entschuldigung an“, sagte Davis nach einigen Sekunden des Zögerns. „Aber ich kann nicht jetzt sofort wieder mit dir befreundet sein.“ „Ich weiß. Und ich verstehe dich“, antwortete Kari missmutig. „Aber vielleicht kann ich es irgendwann wieder“, sagte Davis schließlich und stand auf. Kari sah zu ihm hoch, drückte kurz seine Hand und dann ging er. _ Vom Schulgebäude aus hatte er Davis und Kari auf der Bank beobachtet. Nun ging Davis weg und Kari blieb allein auf der Bank sitzen. Es sah nicht so aus, als wäre alles gut verlaufen. Langsam verließ T.K. das Gebäude und ging zu ihr hinüber. Er setzte sich auf den Platz, auf dem bis vor wenigen Sekunden Davis gesessen hatte. „Er ist immer noch wütend, hm?“ Sie nickte, ohne ihn anzusehen. „Er meinte, er nimmt meine Entschuldigung an.“ „Das ist doch schon mal ein Fortschritt, wenn man sich die letzten zwei Wochen so betrachtet“, meinte T.K. aufmunternd. Er beobachtete Kari, wie sie deprimiert vor sich hin starrte. „Warum habe ich das nur gemacht?“, fragte sie sich selbst. „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“ T.K. zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. Für einen Augenblick genoss er die Stille des leeren Schulhofs und das Zwitschern der Vögel in den Bäumen. Nun konnte man auch das Zirpen der Zikaden wieder deutlich hören. „Wie geht es eigentlich Shiori?“, fragte Kari nach einigen Minuten des Schweigens. „Keine Ahnung. Seit ich ihr gesagt habe, dass ich nichts von ihr will, antwortet sie mir nicht mehr auf meine E-Mails“, antwortete er. „Bestimmt ist sie ziemlich traurig. Wenn sie wirklich so schüchtern ist, war das sicher ganz schön schwer für sie, einen Korb zu bekommen“, meinte Kari. „Ja, wahrscheinlich“, stimmte T.K. zu. „Aber ich kann ja nichts erzwingen.“ „Nein, leider nicht“, murmelte Kari. „Genauso, wie man andere Sachen nicht verhindern kann. Ich glaube, du bist der einzige Junge auf dieser Welt, in den ich mich verlieben könnte.“ Überrascht sah T.K. sie an. Was hatte sie da gerade gesagt? Wie hatte sie das gemeint, man könnte andere Sachen nicht verhindern? Sie erwiderte seinen Blick und beide liefen rot an. Schnell sprang sie auf. „Also... ich muss jetzt zum Training“, nuschelte sie und machte sich auf den Weg. „Warte mal. Kommst du heute Abend mit zum Konzert?“, rief er ihr nach. „Ja“, antwortete sie, ohne sich umzudrehen und rannte in Richtung Turnhalle davon. _ Unruhig beobachtete Matt von seiner Position seitlich der Bühne aus den Zuschauerraum. Immer wieder hielt er nach einem bekannten Gesicht Ausschau, konnte aber niemanden entdecken. Ob er wohl einfach blind war? Oder kam tatsächlich keiner seiner Freunde, denen er Tickets gegeben hatte? Er konnte sich nicht erinnern, jemals so aufgeregt vor einem Konzert gewesen zu sein. Er hatte bis eben versucht, noch ein wenig zu proben, hatte es dann aber doch aufgegeben, weil er sich einfach nicht hatte konzentrieren können. Die Texte kannte er so gut auswendig wie noch nie und doch beschlich ihn die Angst, er könnte sie vergessen. Dabei war es doch gerade heute so wichtig, dass alles gut lief. „Mein Gott, Matt, komm mal klar“, sprach Ryo ihn von der Seite an und verpasste ihm einen unsanften Klaps auf die Schulter. „So kenne ich dich ja gar nicht. Wird schon alles gut werden.“ Matt beachtete ihn nicht weiter, sondern führte seine Suche nach bekannten Gesichtern fort. „Entspann dich, sonst verpatzt du wirklich noch was, okay? Alles wird gut“, sagte Ryo. „Kannst du vielleicht mal die Klappe halten?“, zischte Matt, ohne ihn anzusehen. Abwehrend hob Ryo die Hände. „Schon gut. Ich versuch' doch nur, dir zu helfen.“ Matt warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, sagte aber nichts. Er wusste, dass Ryo ihn so gut kannte, dass er auch ohne Worte verstand, was er sagen wollte. Außerdem wusste seine Band sehr gut, dass Matt mitunter leicht reizbar war. Gerade unter solchen Umständen wie heute. „Wir müssen raus“, hörte er Tsubasa rufen. Matt seufzte, wartete, bis die restlichen Mitglieder der Tokyo Rebels neben ihm standen, und trat dann unter lautem Jubelgeschrei gemeinsam mit ihnen auf die Bühne. _ „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich hier bin“, meinte Mimi verärgert und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und noch weniger weiß ich, warum du hier bist, Sora.“ Sie musterte ihre Freundin, die so aussah, als würde sie die Halle gern sofort wieder verlassen, skeptisch. „Ich weiß auch nicht, warum wir hier sind“, gestand Sora kleinlaut. „Aber ich dachte, du hättest dich wieder mit Matt vertragen?“ „Schon, aber... keine Ahnung“, murmelte Mimi. „Sind das da drüben nicht Matts Eltern? Da bei T.K. und Kari.“ Sora drehte sich um und hielt Ausschau. „Ja, das sind sie wirklich.“ „Was hat der Typ denn vor? Wieso lädt er auf einmal alle zu seinem Konzert ein? Will er, dass die Halle voller aussieht?“, murrte Mimi. Das würde sie Matt locker zutrauen. „Das glaube ich nicht“, antwortete Sora. „Das hat er doch auch gar nicht nötig. Ach, da kommt ja Tai.“ Sie hob den Arm und winkte Tai zu, der sich durch die Menschen hindurch zu den Mädchen drängte. Mimi verdrehte die Augen. Sie konnte sich nicht helfen, doch sie hatte die Befürchtung, dass der heutige Abend im Drama endete. Wer wusste schon, was Matt da vorhatte. Und dann tauchte auch noch Tai hier auf, der Sora liebte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich hier eigentlich soll“, sagte Tai mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. „Dann sind wir ja schon drei“, kommentierte Mimi. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr“, sagte Sora an Tai gewandt, der mit den Schultern zuckte. „Bin doch neugierig geworden“, antwortete er. „Ja, ich auch irgendwie“, erwiderte Sora mit einem Blick zur Bühne. Und tatsächlich verdunkelte sich in diesem Moment das Licht und die Tokyo Rebels betraten unter tosendem Beifall die Bühne. _ Diesmal war Ryo derjenige, der das Publikum begrüßte. Matts Miene war versteinert und er wirkte äußerst angespannt, wie T.K. überrascht feststellte. „Matt sieht ein bisschen blass aus“, meinte seine Mutter und Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit. „Hoffentlich wird er nicht krank.“ „Ach was, der hat doch nur Lampenfieber“, antwortete Hiroaki abwinkend. Shin stimmte am Schlagzeug den ersten Song an und dann begannen sie zu spielen. Alles war wie immer, nichts Besonderes. Und trotzdem war T.K. sich sicher, dass sein älterer Bruder irgendetwas geplant hatte. Er warf einen Blick hinüber zu Tai, Sora und Mimi, die ebenfalls zur Bühne sahen, aber nicht in den Gesang und den Jubel der Menschen um sie herum einstiegen. Kari hingegen wippte auf der Stelle im Takt der Musik und hatte einen verträumten Gesichtsausdruck. Während der ersten paar Lieder schien Matt sich zu entspannen und wirkte irgendwann fast wie immer. Nun sah er auch nicht mehr so blass aus. Doch dann hörten die Tokyo Rebels auf zu spielen und Matt nahm das Mikro in die Hand. „Das heutige Konzert ist ein wenig anders als die anderen“, fing er etwas unsicher an und fuhr sich fahrig durch die Haare. Er wartete, bis das Publikum einigermaßen leise war, bevor er weitersprach. „Ich muss nämlich ein paar Leuten etwas ganz Bestimmtes sagen. Meinen Eltern, meinem Bruder und meinen Freunden. Sie haben alle Einladungen von mir bekommen für heute Abend und ich hoffe, sie sind auch alle hier.“ Er machte eine kurze Pause. T.K. und seine Eltern tauschten einen Blick. „Wusstest du davon?“, fragte Hiroaki. T.K. schüttelte den Kopf. „Ich habe mich in der letzten Zeit nicht gerade toll verhalten. Weder als Sohn, noch als Bruder und schon gar nicht als Freund. Einigen von euch habe ich ziemlich weh getan“, sprach Matt weiter. Überrascht zog T.K. die Augenbrauen hoch.Er fing Karis Blick auf, die aufmunternd lächelte. „Aber ganz besonders habe ich ein Mädchen verletzt, das... das mir sehr am Herzen liegt.“ Wieder machte Matt eine kurze Pause und schien durchzuatmen. „Ihr wisst, ich bin kein großer Redner. Der folgende Song ist für euch.“ Shin gab den Takt vor und dann fingen sie alle an zu spielen. It's so hard to say that I'm sorry I'll make everything alright All these things that I've done Now what have I become and where'd I go wrong? Der Text wurde auf einer Leinwand hinter der Band mit einem Beamer angezeigt, sodass alle ihm folgen konnten. Wie gebannt starrte T.K. auf die Leinwand. I don't mean to hurt, just to put you first I won't tell you lies I would stand accused with my hand on my heart I'm just trying to say I'm sorry It's all that I can say You mean so much And I'd fix all that I've done If I could start again I'd throw it all away To the shadows of regret And you would have the best of me _ Mädchen? Meinte er mit dem Mädchen etwa Sora? Tai stand gerade neben ihr und beobachtete sie verstohlen aus den Augenwinkeln. Sie starrte auf den Text auf der Leinwand oder auf Matt, man konnte es nicht genau sagen. Er wüsste zu gern, was sie jetzt dachte. I know that I can't take back All the mistakes but I will try Although it's not easy I know you believe me 'cause I would not lie Don' believe their lies told from jealous eyes They don't understand I won't break your heart, I won't bring you down But I will have to say I'm sorry It's all that I can say You mean so much And I'd fix all that I've done If I could start again I'd throw it all away To the shadows of regret And you would have the best of me Wieder warf Tai einen Blick auf Sora. In ihren Augen funkelten Tränen und er wusste, dass Matt nur sie meinen konnte. Was um Himmels Willen hatte er ihr nur angetan? Tai war sich nicht sicher, ob er das wirklich wissen wollte. I'm sorry It's all that I can say You mean so much And I'd fix all that I've done If I could start again I'd throw it all away To the shadows of regret And you would have the best of me _ „Oh, das ist irgendwie... süß“, rief Mimi in den Applaus und den Jubel hinein. Der Kloß in Soras Hals hinderte sie am Antworten. Sie blinzelte die Tränen weg, die sich in ihren Augen gebildet hatten, ohne dass sie es bemerkt hatte. „Sowas hätte ich ihm überhaupt nicht zugetraut“, meinte Mimi. Langsam schüttelte Sora den Kopf. Nein, so etwas hatte sie auch nicht erwartet. Aber sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Matt hatte sich öffentlich bei ihr und auch den anderen entschuldigt, ja. Er hatte sogar einen Song dafür geschrieben. Sie glaubte ihm, dass es ihm Leid tat, aber trotzdem konnte sie ihm doch jetzt nicht so einfach verzeihen, von einer Minute auf die andere. Matt wartete, bis der Jubel verebbt war, bevor er wieder das Wort ergriff. „Der nächste Song ist nur für dieses eine Mädchen. Ich denke, sie weiß, dass sie gemeint ist.“ Mimi krallte ihre Fingernägel schmerzhaft in Soras Arm und starrte erwartungsvoll zur Bühne. Picture perfect memories, scattered all around the floor I'm reaching for the phone, 'cause I can't fight it anymore And I wonder if I ever cross your mind For me, it happens all the time It's a quarter after one, I'm all alone and I need you now Said I wouldn't call but I lost all control and I need you now And I don't know how I can do without, I just need you now Schon bei der ersten Zeile war Sora sich sicher gewesen, dass er nur sie meinen konnte. Jeder restliche Zweifel war dahin, denn es war das Lied, was er ihr vorgespielt hatte an jenem Abend, als er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Another shot of whiskey, can't stop looking at the door And I'm hoping you come sweepin' in the way you did before And I wonder if I ever cross your mind For me it happens all the time It's a quarter after one, I'm a little drunk and I need you now Said I wouldn't call but I lost all control and I need you now Still I don't know how to do without, well I just need you now Mit heiserer Stimme säuselte Mimi ihr die Übersetzung zu, obwohl Sora diese selbst wusste. Guess I'd rather hurt than feel nothing at all It's a quarter after one, I'm a little drunk and I need you now Said I wouldn't call but I lost all control and I need you now And darling I don't know how to do without, well I just need you now It's a quarter after one, I'm a little drunk and I need you now Said I wouldn't call but I lost all control and I need you now Still I don't know how to do without, well I just need you now Oh baby, I need you now Darling I don't know how to do without, well I just need you now Sora war platt. Mit offenem Mund starrte sie Matt an, der in ihre Richtung blickte. Sie wusste nicht, ob er sie sah oder nicht, aber sie bildete es sich ein. Sie hatte keine Ahnung, wie sie gucken sollte. Ihr waren sämtliche Gesichtszüge entgleist. Er hatte tatsächlich ein ganzes Lied für sie geschrieben und es ihr gerade auf einem seiner Konzerte vorgesungen. „Was sagst du dazu?“, rief Mimi und versuchte, den Applaus zu übertönen. „Ich... geh' mal kurz raus“, murmelte Sora und machte sich auch schon auf den Weg aus der Halle. _ „Mädchen? Was für ein Mädchen meint er?“, fragte Kari und sah T.K. an. Der jedoch schien nicht zugehört zu haben, sondern beobachtete seine Eltern, die sich in den Armen lagen. Seine Mutter hatte Tränen in den Augen. „Was?“, fragte T.K. irritiert und wandte sich Kari zu. „Welches Mädchen er meint“, wiederholte Kari. T.K. zuckte mit den Schultern und machte ein gleichgültiges Gesicht. „Keine Ahnung, wen er da wieder abgeschleppt hat.“ „Aber es klang so, als wäre es was Ernstes“, widersprach Kari nachdenklich. Offensichtlich hatte Matt ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht, wenn nicht einmal T.K. etwas wusste. „Kein Plan“, murmelte T.K. „Was sagst du zu seinem Entschuldigungslied?“, fragte Kari weiter. „Ich weiß nicht so richtig“, antwortete T.K. mit leerem Blick. „Irgendwie freue ich mich darüber, aber... ich weiß nicht, ob sich jetzt wirklich was ändert.“ Darauf hatte Kari nichts zu erwidern. Sie drängte sich an ihn und drückte seine Hand. Sanft erwiderte er ihren Handdruck ohne sie anzusehen. In dieser Position sahen und hörten sie sich das restliche Konzert an. _ Soras Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment platzen. Das war einfach zu viel für sie. Erst die Entschuldigung, dann noch dieses andere Lied, das er für sie geschrieben hatte. Oder von dem er zumindest behauptete, er hätte es für sie geschrieben. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Sie wusste erst recht nicht, was sie fühlen sollte. Alles fühlte sich so durcheinander an. Seit einer gefühlten Ewigkeit hockte sie hier auf dem Boden neben der Halle und ließ sich den Text der beiden Lieder wieder und wieder durch den Kopf gehen, doch sie kam einfach auf kein Ergebnis. Ihr Herz fühlte sich so schwer an. Mittlerweile war es schon dunkel geworden. „Hey.“ Sie zuckte zusammen und blickte auf. Matt stand auf einmal neben ihr, sah zu ihr herunter und schien ziemlich außer Atem. „Ich habe gehofft, dass du hier noch irgendwo bist. Ich habe dich rausgehen sehen“, erklärte er. Sora rappelte sich auf und lauschte. Tatsächlich. Aus der Halle drang keine Musik mehr, stattdessen kamen nun nach und nach Menschen nach draußen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass das Konzert zu Ende gegangen war. Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sah ihn unsicher an. Auch er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte, denn er kaute auf seiner Unterlippe herum und wechselte ständig seine Standposition. „Selbst, wenn du mir nicht verzeihen kannst, ich hoffe, du glaubst mir jetzt wenigstens, dass es mir Leid tut und dass ich... etwas für dich empfinde“, stammelte er und sah aus, als kostete es ihn viel Mühe, diesen Satz zu sagen. „Und was hast du empfunden, als du dich auf diese Wette eingelassen hast?“, fragte Sora und suchte seinen Blick. „Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Ich habe dabei nur an mich gedacht.“ „Ich kann einfach nicht glauben, dass du mich so aufs Kreuz legen wolltest“, murmelte sie und drehte sich weg. „Ich glaube dir, dass es dir Leid tut, aber nicht, dass du etwas für mich empfindest.“ Sie wollte zurück in Richtung Halle gehen, um Tai und Mimi zu suchen, doch er ergriff ihr Handgelenk und hielt sie fest. In dem Moment, als sie sich fragend zu ihm umdrehte, drückte er sie plötzlich etwas unsanft gegen die harte Betonwand der Halle und kam ihr viel zu nahe. Seine rechte Hand hielt noch immer ihr Handgelenk umklammert, die linke war neben ihr an der Wand abgestützt. Überrascht sah sie ihm einige Sekunden in die blauen Augen, dann presste er seine Lippen auf ihre. Sora riss die Augen auf und versteifte sich. Eine Welle von verdrängten Gefühlen schlug in ihr hoch. Seine blonden Haarspitzen kitzelten ihre Nase. Er löste den Kuss wieder, doch nur so weit, dass seine Lippen ihre immer noch ein wenig berührten. „Ich habe mich in dich verliebt, okay? Du machst mich wahnsinnig. Ich kann nur noch an dich denken, obwohl ich an so viele andere Sachen denken sollte. Es gibt viele Dinge in meinem Leben, die ich gern rückgängig machen würde, aber wenn ich mir eins davon aussuchen könnte, dann wäre es diese bescheuerte Wette.“ Daraufhin ließ er sie endlich los und wandte den Blick ab. Sora rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Sie starrte ihn nur mit offenem Mund an und versuchte, zu verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. Wurde er etwa gerade rot? Auf jeden Fall hatten seine Wangen eine verräterische Farbe angenommen und er wich ihrem Blick aus. „Matt, ich...“ Sie ging wieder einen Schritt auf ihn zu und er sah sie fragend an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Wie wär's mit 'Ich nehme deine Entschuldigung an'?“, schlug er vor. Sora lächelte traurig. „Ich würde dir ja gern wieder vertrauen, aber das ist nicht so leicht.“ „Bitte lass mich dir zeigen, dass es geht.“ Er sah sie so ernst an, als würde er ihr gerade verkünden, dass ihre Mutter gestorben wäre. Einen Augenblick sah Sora ihn an, dann biss sie sich auf die Unterlippe. „Naja. Immerhin hast du mich ja aufgeklärt, bevor du mit mir geschlafen hast.“ „Das war echt schwer“, antwortete er. „Und das nicht wegen der Wette.“ Sora lächelte erneut, überwand den Abstand zwischen ihnen und küsste ihn. Erneut jagten Schauer durch ihren Körper und ein Kribbeln machte sich auf ihrer Haut breit. Sie vergrub die Hände im Stoff seines Shirts und schloss genüsslich die Augen. Nein, sie konnte ihm noch nicht wieder vertrauen, doch sie glaubte ihm, dass es ihm Leid tat und dass er tatsächlich etwas für sie empfand. Das hier fühlte sich so gut an, dass sie gar nicht anders konnte. Sie musste sich wohl mit dem Gedanken abfinden, eine Schwäche für Bad Boys zu haben. „Was macht ihr da?“ _ Ruckartig hatte Sora sich von ihm gelöst, als hätte sie einen Stromschlag bekommen, und starrte in das Gesicht des geschockten Tais. Matt hingegen verstand diese Reaktionen nicht. Weder Sora noch Tai, der aussah, als hätte er ein Gespenst gesehen. Neben ihm stand Mimi und machte ebenfalls große Augen. „Was macht ihr da?“, wiederholte er seine Frage nachdrücklich. „Wonach sieht's denn aus?“, fragte Matt verwirrt. „Tai“, fing Sora an, kam jedoch nicht weiter. „Du verdammtes Arschloch“, sagte Tai leise und bedrohlich. „Bitte was?“, fragte Matt und glaubte, sich verhört zu haben. „Du verdammtes Arschloch!“, brüllte Tai nun und ging ohne Vorwarnung auf Matt los. Eine Sekunde später sah Matt Sterne, da er einen saftigen Kinnhaken abbekommen hatte. Er hörte Sora schreien und Mimi irgendetwas rufen und kassierte den nächsten Schlag. Matt taumelte und verspürte einen metallischen Geschmack im Mund. „Was zum...“, fing er an. „Wie kannst du nur so ein Arsch sein?“, rief Tai rasend vor Wut und holte erneut aus, doch diesmal wich Matt dem Schlag aus und fing den nächsten mit der Hand ab. „Tai, hör auf damit!“, kreischte Mimi. Sie und Sora hatten sich auf Tai gestürzt, der Matt anstierte, als würde er ihn umbringen wollen. Er versuchte, sich von den beiden Mädchen loszureißen, doch in diesem Moment sprang Kari zwischen ihn und Matt und breitete die Arme aus. „Hör auf!“, rief sie bestimmt. „Bist du verrückt geworden?“ Matt hielt sich die schmerzende Wange und starrte Tai völlig entgeistert an. Er hatte keine Ahnung, was seinen eigentlich besten Kumpel dazu veranlasst hatte, wie eine Furie auf ihn loszugehen. „Du bist echt das Letzte!“, fauchte Tai mit einem hasserfüllten Blick, drehte sich um und stampfte davon. „Tai, nein! Bitte! Warte doch!“, rief Sora und eilte ihm nach. Kari folgte ihr und Matt sah den dreien perplex nach. Mimi rührte sich als erstes wieder. Sie kramte in ihrer Handtasche und zog ein Taschentuch hervor. „Du blutest. Warte, ich helf' dir“, sagte sie und tupfte ihm behutsam die Unterlippe ab. Matt war noch immer zu perplex, sich zu regen und ließ es einfach über sich ergehen. „Was sollte das?“, fragte er, als Mimi von ihm abließ. „Ich glaube, du hast langsam eine Erklärung verdient“, meinte Mimi und musterte ihn nachdenklich. _ „Tai, jetzt warte doch mal!“, hörte er Sora verzweifelt rufen, doch er hielt nicht an. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Wut verspürt zu haben. Er wusste gar nicht, auf wen er wütender sein sollte: Matt, weil er Gott weiß was mit Sora angestellt hatte oder Sora, weil sie ihm anscheinend auch noch verzieh und sich auf ihn einließ oder sich selbst, weil er noch immer in Sora verliebt war und einfach nicht erkannt hatte, dass sie auf Matt stand. Wer wusste schon, wie lange das mit den beiden schon ging. Und dann auch noch hinter seinem Rücken. Er dachte, die beiden wären seine besten Freunde gewesen. „Tai!“ Er spürte eine Hand an seinem Arm, doch er schüttelte sie sofort wieder ab. Er hatte keine Ahnung, wohin er eigentlich ging. Er wollte einfach nur allein sein. „Jetzt warte doch endlich mal und hör mir zu!“, rief Sora nun ungeduldig und stellte sich ihm in den Weg. „Lass uns reden, bitte.“ Tai blieb stehen, starrte sie an und schnaubte verächtlich. „Reden? Über was sollen wir denn noch reden?“ „Komm doch bitte wieder zur Vernunft. Du bist ja völlig neben der Spur“, mischte Kari sich nun ein und beobachtete ihn. „Ach, mach dich vom Acker, Kari! Das geht dich nichts an!“, schnauzte er. Kari blickte ein wenig verdattert drein. „Nein, das werde ich nicht. Tai, du kannst nicht einfach kopflos auf Menschen...“ „Halt die Klappe!“, fuhr Tai sie nun an und sie zuckte zusammen. „Du hast doch genauso ein krummes Ding mit Davis abgezogen. Habt ihr drei den Club der Verräter gegründet oder sowas?“ Karis Kinnlade fiel herunter. Entsetzt starrte sie Tai einige Sekunden an, bevor sie sich umdrehte und wortlos weglief. „Tai, bitte. Du bist nicht mehr du selbst“, sagte Sora leise und eindringlich. Sie legte eine Hand auf seinen Arm und sah ihn verzweifelt an. Er stieß sie unsanft weg, sodass sie stolperte. Ein paar Passanten wandten sich nach ihnen um. „Ich war nicht ich selbst, als ich gedacht habe, du und Matt wärt meine besten Freunde. Das ist jetzt vorbei. Ihr könnt mich alle beide mal.“ Und nun ging auch er und ließ Sora einfach stehen. _ „Na dann schieß mal los“, forderte Matt sie auf und zog an seiner Zigarette. Sie saßen nebeneinander auf einer Bank im Park. Kein Mensch war in Sichtweite. Nur das Zirpen der Zikaden lag in der Luft und störte die Stille. „Also, ich kann dir nur das sagen, was Sora mir erzählt hat und was ich selbst mitbekommen habe, aber ich glaube, das sagt alles“, fing Mimi an. „Weißt du, es ist so, dass Tai ziemlich in sie verliebt ist.“ „In Sora?“, fragte Matt verblüfft. Mimi nickte und beobachtete seine Reaktion. Er hatte die Augen aufgerissen und starrte sie entgeistert an. Die Zigarette glimmte zwischen seinen Fingern vor sich hin. Ganz offensichtlich hatte er es nicht einmal geahnt. „Nein“, hauchte er. „Doch“, erwiderte Mimi. „Seit wann?“ „Keine Ahnung. Ich schätze seit einer ganzen Weile.“ Matt seufzte und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. „Scheiße.“ „Jap.“ Mimi nickte. „Hast du das echt überhaupt nicht geahnt? Ich meine, schon allein wie er sie immer angesehen hat...“ „Ich wusste, dass er auf ein Mädchen steht, aber er hat behauptet, ich kenne sie nicht“, antwortete Matt und Mimi zog die Augenbrauen hoch. „Okay. Ich verstehe auch nicht, warum er nicht einfach die Wahrheit gesagt hat“, sagte Mimi, doch sie bezweifelte, dass diese Tatsache irgendetwas an Matts Verhalten geändert hätte. Er schien in Gedanken versunken und schüttelte langsam den Kopf. „Vielleicht wäre es jetzt Zeit, dass du ihr einfach sagst, dass du nicht wirklich in sie verliebt bist. Dann kann sie mit der Sache abschließen und vielleicht doch noch mit Tai glücklich werden“, schlug Mimi diplomatisch vor. „Warum sollte ich sie noch mal anlügen? Die Nummer mit der Wette hat mir gereicht“, murmelte Matt und starrte auf das Glimmen seiner Zigarette. „Anlügen?“, fragte Mimi verwirrt. „Heißt das etwa... du bist wirklich in Sora verliebt?“ Matt antwortete nicht und reagierte auch sonst nicht. Mimi wurde einfach nicht schlau aus diesem Kerl. Sollte er tatsächlich ernsthaft in Sora verliebt sein? Er stand auf, warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. „Danke, Mimi.“ Mit diesen Worten ging er und Mimi sah ihm nur irritiert nach. Kapitel 24: Eine Portion Liebe, bitte ------------------------------------- Montag, 19. Juni 2006 „Tai, was ist denn los? Du warst gestern und vorgestern schon so komisch und jetzt isst du nichts“, meinte Yuuko und musterte ihren Sohn mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Wirst du etwa krank?“ „Nö“, murrte Tai, ohne sie anzusehen. Sein Toast lag unberührt vor ihm und wartete vergeblich darauf, endlich gegessen zu werden. Kari fing den Blick ihrer Mutter auf und schüttelte mit vielsagendem Blick den Kopf. Yuuko machte daraufhin ein noch verwirrteres Gesicht, fragte aber zum Glück nicht nach. Verstohlen musterte Kari ihren Bruder von der Seite. Er starrte finster vor sich hin. Nach dem Drama vom Freitag hatte er die Nacht wer weiß wo verbracht und war erst Samstag Vormittag nach Hause gekommen. Kari hatte ihren Eltern einfach vorgelogen, er würde bei Matt übernachten und hatte ihre Sorgen um ihn angestrengt verbergen müssen. Den restlichen Samstag hatte Tai in seinem Zimmer verbracht und mit niemandem ein Wort gewechselt. Kari hatte mehrfach versucht, mit ihm zu reden, doch jedes Mal hatte er sie barsch abgewiesen. Am Sonntag hatte er sich gleich morgens verzogen und war erst am Abend zurückgekehrt, als Susumu und Yuuko schon geschlafen hatten. Und jetzt saß er hier und machte ein Gesicht, als wäre jemand gestorben. Kari hatte noch immer keine Ahnung, was genau passiert war, aber allem Anschein nach war zwischen Matt und Sora etwas gelaufen. Sie seufzte tief, sodass ihre Mutter nun sie ins Visier nahm. „Und was ist mit dir? Warum seufzt du so?“, fragte sie und beobachtete sie skeptisch. „Nichts, nur so. Alles okay“, antwortete Kari schnell, nahm ihren leeren Teller und brachte ihn zum Geschirrspüler. _ Es war der erste Tag seit längerem, an dem Davis wieder einigermaßen fröhlich in die Schule ging. Er hatte das ganze Wochenende mit Ken verbracht. Sie hatten Fußball gespielt, waren Pizza essen gewesen, hatten sich ein paar Filme angeschaut und waren durch die Stadt geschlendert. Es war ihnen gelungen, sich gegenseitig von ihren Frauenproblemen abzulenken und Davis war sehr froh, dass er und Ken wieder mehr miteinander zu tun hatten. Er fand es wirklich schade, dass sie auf verschiedene Schulen gingen. Er kam in die Klasse und grüßte Kari und T.K. flüchtig, die ihn verwundert ansahen. „Hallo, Davis“, sagte Kari sofort. „Hattest du ein schönes Wochenende?“ „Ja, war okay“, antwortete er einsilbig und setzte sich auf seinen Platz hinter ihr. Sie drehte sich um und sah ihn interessiert an. Wenn er daran dachte, wie sehr er sich über diese Geste noch vor einem Monat gefreut hatte, kam er sich fast schon lächerlich vor. Eigentlich war sie es ja überhaupt nicht wert, dass er sich so viele Gedanken um sie machte. „Was hast du denn gemacht?“, fragte sie ihn lächelnd. „War mit Ken unterwegs“, murmelte Davis und packte in aller Seelenruhe seine Sachen für die erste Stunde aus. „Cool, wie geht’s ihm denn?“, fragte sie weiter, sodass Davis sich nun schon fast gelöchert fühlte. „Ganz gut“, sagte er. „Das ist schön. Bestellst du ihm bitte schöne Grüße, wenn du ihn das nächste Mal siehst?“, erwiderte sie. „Okay.“ Davis nickte. In diesem Moment betrat Frau Yamamoto den Raum und beendete das Gespräch zwischen ihnen. _ Als Tai den Klassenraum betrat, fuhr Sora unbewusst zusammen und setzte sich kerzengerade auf. Das ganze Wochenende hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, denn sie hatte zwar versucht, ihn anzurufen, doch sein Handy war ausgestellt. Dabei musste sie unbedingt mit ihm über diese Sache reden. „Guten Morgen, Tai“, begrüßte sie ihn vorsichtig, als er seinen Platz neben ihr erreichte und seine Schultasche unsanft auf den Tisch fallen ließ. Er schien lustlos, als er sich auf seinen Stuhl setzte und Sora dachte schon, er würde ihr gar nicht mehr antworten. „Hi“, erwiderte er tonlos und ohne sie anzusehen. „Tai, wir müssen reden“, sagte sie leise, während er seine Sachen auf den Tisch warf. Abweisend schüttelte er den Kopf. „Komm schon, bitte“, drängte sie ihn und sah ihn unverwandt an, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Stattdessen holte er sein Handy heraus und tippte darauf herum. „Wir können das nicht einfach so stehen lassen“, redete Sora weiter. „Ich weiß, das war ein Schock für dich und es tut mir auch wirklich Leid, dass du das gesehen hast.“ Sie sah, wie seine linke Augenbraue kurz zuckte, doch ansonsten konnte sie keine Reaktion erkennen. „Ich weiß nicht mal, wie das mit Matt und mir überhaupt kam, aber wir hätten es dir auf jeden Fall sagen müssen. Ich hätte es dir nicht verheimlichen dürfen“, redete sie unbeirrt weiter, doch plötzlich hob er die Hand, was sie zum Schweigen brachte. „Ich will's nicht hören. Echt nicht“, brummte er. „Ich will es dir aber erklären, damit du...“ „Nein“, unterbrach er sie entschieden. „Lass mich einfach in Ruhe.“ _ „Langsam habe ich es satt, dass du mich ständig irgendwohin mitnimmst, obwohl ich dir gesagt habe, dass ich nicht will“, beschwerte Izzy sich, während Mimi ihn hinter sich her zu Nami's Café schleifte. „Wir müssen doch dieser Sache auf den Grund gehen und dafür sorgen, dass die sich alle wieder vertragen“, antwortete Mimi ungeduldig. „Das sind doch auch deine Freunde. Du musst doch daran interessiert sein, ihnen zu helfen.“ „Ich finde aber, das geht uns nichts an“, erwiderte Izzy. „Sie werden schon ihre Gründe dafür haben, dass sie sich gegenseitig nicht mal mehr mit dem Hintern angucken.“ „Natürlich haben sie die, aber das können wir doch nicht einfach so stehen lassen“, meinte Mimi dickköpfig. Izzy stieß ein genervtes Seufzen aus. Es passte Mimi überhaupt nicht, dass das Dreiergespann Tai-Sora-Matt nun aus irgendeinem Grund auseinandergebrochen war. Letzte Woche hatten sie immerhin noch mit Tai und Matt die Pausen verbracht, nun war auf einmal nur noch Matt übrig. Zwar hatte sich Izzy schon etwas darüber gewundert, doch er wollte nicht nachfragen. Es ging ihn ja auch überhaupt nichts an. Mimi jedoch war da anderer Meinung. Mit verständnislosem Blick blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. „Jetzt hör mir mal zu, Koushiro Izumi, das sind deine Freunde, über dir wir hier reden. Wir waren alle ein Team. Wir gehören alle zusammen. Wie kann es dir also egal sein, dass die Gruppe immer mehr auseinanderbricht? Das ist doch schrecklich.“ „Man verändert sich eben, wenn man älter wird und lebt sich auseinander“, antwortete Izzy schulterzuckend. „Das ist doch ganz normal.“ „Nein, da ist nichts normal!“, widersprach Mimi und stampfte mit dem Fuß auf. „Das geht da drunter und drüber. Tai liebt Sora, aber Sora liebt Matt und Matt liebt auch sie! Aber jetzt reden sie alle nicht mehr miteinander.“ „Warte, was?“, fragte Izzy verdutzt. „Tai liebt... und Sora... aber Matt... hä?“ „Izzy!“ Mimi packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. „Komm endlich aus deiner Computerwelt in die reale Welt! Du wirst hier gebraucht! Wir müssen was tun!“ „Aber ich hab' doch damit gar nichts zu tun“, sagte Izzy hilflos. Erbarmungslos zerrte Mimi ihn weiter in Nami's Café. Sie stürmte direkt auf den Tresen zu und setzte sich auf einen der freien Stühle. Widerwillig nahm Izzy neben ihr Platz. Er hatte keine Ahnung, was sie jetzt eigentlich vorhatte. Er musste doch noch seine Computer-AG vorbereiten. Sora kam gerade aus dem Gastraum zurück und sah die beiden überrascht an. „Hallo ihr beiden“, begrüßte sie sie. „Was kann ich euch bringen?“ „Eine Portion Liebe mit einem Hauch Frieden, bitte“, verlangte Mimi und sah sie vielsagend an. „Ist heute leider aus. Wie wäre es stattdessen mit Verrat an Intrigen auf Eifersuchtsoße?“, antwortete Sora, lehnte sich erschöpft gegen den Tresen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Mimi ließ die Handflächen auf die Tischplatte vor sich knallen. „Das kann doch so nicht weitergehen. Könnt ihr euch nicht alle drei zusammensetzen und darüber reden?“ „Würde ich ja gern, aber Tai hat gesagt, ich soll ihn in Ruhe lassen. Und ihn zusammen mit Matt in einen Raum zu stecken, ist derzeit auch keine gute Idee“, seufzte Sora. „Was ist denn eigentlich passiert?“, fragte Izzy verwirrt. _ „Es ist lange her, dass wir uns zu zweit getroffen haben“, sagte Natsuko und lächelte ihn an. „Ja“, sagte Matt und nickte. Sie saßen an einem Zweiertisch in einer kleinen Pizzeria und hatten zum Abendessen gerade eine köstliche Pizza verspeist. Natsuko hatte darauf bestanden, sich mit ihm allein zu treffen und mit ihm zu reden. „Ich fand es am Freitag auf deinem Konzert übrigens sehr schön, Matt. Das Lied war toll, aber du musst dich doch nicht entschuldigen“, sprach sie weiter und ließ den Zeigefinger am Stiel ihres Weinglases hinab gleiten. „Ich glaube aber, ich war ein wenig unfair euch gegenüber in der letzten Zeit“, entgegnete Matt und sah sie offen an. Sie zuckte mit den Schultern. „Naja, um ehrlich zu sein... das alles hat mich schon sehr traurig gemacht. Aber ich kann dich natürlich auch verstehen“, erklärte sie. „Ich weiß nicht, wie es mir an deiner Stelle gehen würde. Keine Ahnung, ob ich dafür oder dagegen wäre, dass meine Eltern nach so langer Zeit wieder zueinanderfinden. Aber ich weiß, dass T.K. sich das immer sehr gewünscht hat.“ „Ja, das weiß ich auch“, antwortete Matt. „Ich habe mir das auch gewünscht, aber ich bin eben nicht so optimistisch wie er.“ „Ich kann dich voll verstehen, ehrlich“, betonte Natsuko. „Papa und ich haben wirklich viel darüber gesprochen, ob es einen Sinn hat, dass wir es noch einmal miteinander versuchen. Ob wir das Risiko eingehen sollen. Wir waren uns lange unsicher darüber, aber eigentlich haben wir über all die Jahre unsere Gefühle füreinander nie ganz verloren.“ Matt hörte nur zu und beobachtete sie. In ihre Augen hatte sich etwas Verträumtes, Glückliches geschlichen, während sie über sich und Hiroaki gesprochen hatte. „Und deswegen haben wir uns gedacht, wir wollen es erneut versuchen. Fast zehn Jahre haben wir jetzt getrennt gelebt und haben beide festgestellt, dass wir sehr oft an einander gedacht haben. Und das nicht nur wegen euch“, erklärte sie. „Vielleicht gibt das Universum uns jetzt die Chance, alles besser zu machen als beim ersten Mal. Eine Familie zu sein.“ Auch, wenn Matt nicht an ein Universum glaubte, das geschiedenen Ehepaaren eine zweite Chance gab, musste er zugeben, dass sein Vater in den letzten zehn Jahren tatsächlich keine einzige ernstzunehmende Beziehung gehabt hatte. Vielleicht war Natsuko wirklich die einzige passende Frau für ihn und er hatte all die Jahre nur auf sie gewartet. Matt seufzte leise und zuckte mit den Schultern. „Tja, also, an mir soll's nicht liegen.“ Sie lächelte ihn hoffnungsvoll an. „Heißt das jetzt, wir haben offiziell deinen Segen?“ Matt zögerte kurz, bevor er schließlich nickte. „Ja.“ _ Izzy machte große Augen, als Mimi die Kurzfassung der Story beendete. „Okay, davon habe ich irgendwie nichts mitgekriegt“, gestand er verblüfft. „Das wundert mich ehrlich gesagt kein bisschen“, antwortete Mimi und hob eine Augenbraue. Izzy nippte an seinem Capuccino und schien nachzudenken. „Das ist wirklich eine verzwickte Situation. Ich fürchte, wir können da gar nichts machen.“ „Aber irgendwie müssen wir die drei doch dazu bringen, sich wieder zu vertragen“, meinte Mimi überzeugt. „Wir könnten versuchen, sie in einen Raum zu sperren und sie erst wieder rauszulassen, wenn sie miteinander geredet haben.“ „Das ist doch Blödsinn“, sagte Izzy kopfschüttelnd. „Hast du vielleicht eine bessere Idee?“, murrte Mimi. „Nein, aber ich will mich da auch nicht einmischen“, antwortete er bestimmt. Mimi sah ihn verzweifelt an. „Stört dich das alles denn gar nicht? Ich meine, es sind ja nicht nur Tai, Sora und Matt. Kari, Davis und T.K. sind auch verkracht, hat Yolei mir erzählt. Und mit Joe und Ken haben wir gar nichts mehr zu tun, weil wir sie nie sehen können. Das ist doch traurig. Irgendwie macht jeder nur noch sein eigenes Ding.“ „Aber Mimi, was hast du denn erwartet?“, fragte Izzy verwirrt. „Keine Ahnung“, antwortete sie schulterzuckend. „Ich dachte, hier ist noch alles so wie früher, wenn ich zurückkomme. Deswegen habe ich mich so gefreut, für ein Jahr herzukommen. Es ist alles so traurig.“ Deprimiert ließ sie den Kopf hängen. Izzy tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. „Oh, sieh mal, da kommt Joe. Wenn man vom Teufel spricht.“ Mimi sah sich um und entdeckte Joe, der zielstrebig auf den Tresen zukam. Sie wollte aufstehen und ihn umarmen, doch Nami kam ihr zuvor. Sie warf sich ihm in die Arme und sie schauten sich verliebt in die Augen. „Ich mache jetzt Feierabend. Gehen wir dann gleich zu mir?“, hörte Mimi sie fragen und warf Izzy einen bedeutungsvollen Blick zu. „Gern“, antwortete Joe nur. Nami küsste ihn und eilte in den Raum hinter dem Tresen. „Oh, ihr seid ja auch hier“, sagte Joe nun und ging zu Izzy und Mimi, die ihn beide mit großen Augen ansahen. Mimi grinste ihn breit an. „Ihr könnt es ja gar nicht erwarten, endlich ungestört zu sein.“ „Was? Nein! Also... doch!“, rief Joe und lief rot an. Mimi kicherte und winkte ab. „Schon gut, ihr seid durchschaut. Du brauchst dich nicht mehr verteidigen.“ „Rede doch nicht solchen Blödsinn“, murmelte Joe verlegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie liebt es, sich überall einzumischen“, warf Izzy ein. Mimi verpasste ihm mit dem Ellbogen einen Stoß in die Seite, woraufhin er zusammenzuckte. In diesem Moment kam Nami zurück und gesellte sich zu Joe. „Bin bereit, wir können los.“ Joe verabschiedete sich wieder von Mimi und Izzy und verließ mit Nami das Café. „Mann, Joe hat Sex. Das ist wirklich kaum zu glauben“, sagte Mimi und sah ihm ungläubig hinterher. „Das weißt du doch gar nicht“, sagte Izzy irritiert. Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Was glaubst du denn, was die jetzt machen? Mensch-ärgere-dich-nicht spielen? Die haben sich doch schon fast mit ihren Blicken ausgezogen.“ „Man kann doch auch eine Beziehung ohne Sex haben“, meinte Izzy beschämt. „Oh, Izzy. Das sagst du jetzt. Was ist denn eigentlich mit diesem Mädel von letztens?“, fragte sie und grinste ihn verschmitzt an. „Ähm... nichts. Was soll schon mit der sein?“, fragte er und lief rot an. „Das sah in dem Club aber ganz anders aus. Ihr habt doch rumgeknutscht“, antwortete Mimi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann mich kaum noch daran erinnern“, murmelte Izzy. Mimi kicherte. Irgendwie war sie froh darüber, dass Izzy so war, wie er nun mal war. Sie war sich sicher, dass sie ihn schon noch dazu überreden konnte, mit ihr einen Plan zu entwickeln, die alte Gruppe wieder miteinander zu versöhnen. _ Sora war ziemlich erschöpft, als sie sich gegen halb elf endlich dem Haus näherte, in dem sie wohnte. Der Tag war viel zu lang gewesen und sie hatte sich einfach nicht von dem Dreiecksproblem ablenken können. Wie auch? Sie hatte den ganzen Schultag lang neben Tai gesessen. Es tat schrecklich weh, von ihm so ignoriert zu werden, doch sie hatte es ja nicht anders verdient. Erst, als sie die Eingangstür fast erreicht hatte, erkannte sie Matt, der dort gegen die Hauswand gelehnt stand und gerade eine Zigarette ausdrückte. „Matt“, sagte sie leise, als sie ihn sah. Es war das erste Mal seit Freitag, dass sie wieder miteinander redeten. Sie hatte sich am Wochenende nicht einmal bei ihm gemeldet. Zu schlecht war ihr Gewissen Tai gegenüber gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Musste sie sich jetzt entscheiden zwischen Tai und Matt? „Wir müssen reden“, verkündete er ernst. Sora nickte langsam. „Wollen wir rein gehen?“ „Nein“, antwortete er. „Das ist keine so gute Idee.“ „Wieso nicht?“, fragte Sora verwundert. „Weil ich nicht weiß, ob ich dann wieder gehen kann“, antwortete Matt und rieb sich unruhig den Nacken. „Das verstehe ich nicht“, gestand sie, obwohl sie schon eine Vermutung hatte, was er ihr sagen wollte. „Hör mal, ich... wir müssen das beenden“, sagte er unvermittelt. Sora starrte ihn mit offenem Mund an. Es beenden? Es hatte ja noch nicht mal wirklich angefangen. „Ich wusste nicht, dass Tai in dich verliebt ist“, redete er weiter. „Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich das hier nicht so weit kommen lassen.“ Sora seufzte leise. Sie hatte es schon befürchtet. „Er ist mein bester Freund. Ich kann ihm das einfach nicht antun“, erklärte Matt, schob die Hände in die Hosentaschen und sah Sora bedauernd an. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie konnte ihn ja verstehen. Sie würde ihre Freundschaft mit Mimi auch nicht für einen Jungen aufs Spiel setzen, in den sie beide verliebt waren. Doch es verletzte sie trotzdem. Wenn sie diese Sache beendeten, würden sie sich trotzdem weiterhin jeden Tag sehen und auch die Gefühle würden sicher so schnell nicht verschwinden. „Bleiben wir trotzdem Freunde?“, fragte sie leise. „Klar“, antwortete er bestimmt. Sie lächelte traurig. „Dann ist es jetzt also vorbei?“ Er sah ihr in die Augen. „Ja.“ Sie ging langsam einen Schritt auf ihn zu und brauchte eine Weile, bis sie ihre nächste Frage formuliert hatte. „Darf ich... dich noch ein letztes Mal küssen?“ „Ich weiß nicht. Das macht es doch nur schwerer“, antwortete er betrübt und wich ihrem Blick aus. Sie ging noch einen Schritt auf ihn zu, sodass sie sich nun berührten. „Bitte“, flüsterte sie. Er zögerte noch einen Moment, doch dann beugte er sich zu ihr herunter und legte seine Lippen sanft auf ihre. Es war der schönste und zugleich schmerzvollste Kuss, den sie je hatten. Zu wissen, dass es der Letzte war, machte Sora unendlich traurig. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf dieses Gefühl, versuchte alle Eindrücke in sich aufzusaugen, um sie abzuspeichern und später noch einmal abrufen zu können. Sie konzentrierte sich auf seinen Geschmack, seinen Geruch, seine Lippen, seine Nähe. Viel zu schnell war der Kuss wieder vorbei. Er sah ihr in die Augen und dann ging er, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Traurig sah sie ihm nach. Tränen rollten ihr über die Wangen. Obwohl sie ihn morgen in der Schule wiedersehen würde, fühlte es sich an, als würde er aus ihrem Leben verschwinden. Mittwoch, 21. Juni 2006 Sein Leben war ein schlechter Scherz. Eine schlechte Sitcom. Ein schlechter Roman. Oder alles zusammen. Zu dieser Ansicht war er am Wochenende gekommen, als er die Zeit im Park und am Meer totgeschlagen hatte. Ausgerechnet die beiden Freunde, die ihm am wichtigsten von allen waren, hatten ihn hintergangen. Er hatte keine Lust mehr, in die Schule zu gehen und sie jeden Tag zu sehen, jeden Tag Soras Entschuldigungen zu hören, jeden Tag das Bedürfnis zu haben, Matt zu Hackfleisch zu verarbeiten. Er hatte sie beide geliebt, auf seine eigene Art und Weise. Aber jetzt... „Tai, du hörst mir schon wieder nicht zu.“ Und dann auch noch diese nervige Mimi, die einfach keine Ahnung von e-Funktionen hatte. „Was?“, maulte er sie an. Sie runzelte die Stirn. „Nein, nicht so. Ich kann auch nichts für deine schlechte Laune.“ „Du könntest dir mal ein bisschen mehr Mühe geben und dich weniger dämlich anstellen“, zischte er. Sie öffnete den Mund und sah aus, als würde sie zu einer Schimpftirade ansetzen, doch dann schien sie sich anders zu entscheiden. Ihr Blick wurde auf einmal etwas weicher. Sie rutschte auf den Knien auf ihn zu und legte ihm ohne Vorwarnung die Arme um den Hals. „Was zum...“, sagte er verstört und wollte sie wegschieben, doch sie klammerte sich fest und legte den Kopf auf seine Schulter. „Hör auf damit! Lass mich los!“ „Nein, du brauchst das“, widersprach sie. „Erzähl mir nicht, was ich brauche und was nicht“, fuhr er sie an und versuchte weiter, sie loszuwerden, doch ihr Klammergriff schien sich nur noch zu verstärken. Er bekam schon fast keine Luft mehr. „Jeder braucht eine Schulter zum Ausweinen“, erwiderte Mimi bestimmt. „Spinnst du? Ich heule doch nicht“, rief er angewidert. „Jetzt lass mich endlich...“ Weiter kam er nicht, denn Mimi hatte sich so weit von ihm gelöst, dass sie ihm eine Hand auf den Mund pressen konnte. „Jetzt halt doch einfach mal die Klappe und nimm die Hilfe an, die man dir bietet“, wies sie ihn zurecht. „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Er packte ihr Handgelenk und zog ihre Hand von seinem Mund weg. „Ach ja? Woher will jemand wie du das denn wissen?“ _ Schwer atmend rollte Nami sich von Joe herunter und blieb neben ihm liegen. Sie wartete einen Moment, bis ihre Atmung sich wieder reguliert hatte und drehte sich dann auf die Seite. Dabei fielen ihr einige Haarsträhnen ins Gesicht. „Lenke ich dich auch wirklich nicht von deinem Studium ab?“, fragte sie. Er lächelte und strich ihr die Haarsträhnen hinters Ohr. „Nein, keine Angst. Außerdem ist das hier die beste Ablenkung, die man sich wünschen kann.“ „Aber ich will nicht, dass du wegen mir schlechte Noten kriegst“, entgegnete sie. „Ich kriege keine schlechten Noten“, sagte Joe fast schon ein wenig gekränkt. „Alles läuft gut, ehrlich. Ich habe seit kurzem dich und außerdem noch ein Auto. Da macht es irgendwie umso mehr Spaß, mich beim Studium anzustrengen.“ „Meinst du das ernst?“, fragte sie. „Klar“, antwortete er lächelnd. Sie erwiderte sein Lächeln und legte den Kopf auf seine Brust. Seine Hand fuhr sanft durch ihre Haare und streichelte ihren Kopf. Er wusste, dass sie das liebte. „Meine Eltern wollen mich am Wochenende besuchen kommen“, fing er vorsichtig an. „Würde es dir etwas ausmachen, sie kennen zu lernen?“ „Oh“, machte sie überrascht. „Ich... weiß nicht. Eigentlich nicht.“ „Das wäre super. Sie sind auch wirklich nett“, sagte Joe. „Hast du ihnen denn schon von mir erzählt?“, fragte Nami neugierig. „Bisher nicht. Hat sich noch nicht so richtig ergeben“, murmelte Joe entschuldigend. „Aber ich wollte es ihnen sowieso langsam erzählen. Immerhin verbringen wir mittlerweile ziemlich viel... ähm... Zeit miteinander.“ Sie hob den Kopf und grinste schelmisch. „Und tauschen ziemlich viele Körperflüssigkeiten aus.“ „Das auch.“ Joe lief rot an, doch das konnte Nami in diesem Dämmerlicht sowieso unmöglich sehen. „Also kannst du dir am Samstag Zeit nehmen, ja?“ „Ja. Sora übernimmt sicher in der Zeit den Laden“, antwortete Nami leichthin. „Gut. Und mach dir keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass sie dich mögen werden“, meinte Joe beruhigend. „Hoffentlich“, sagte Nami. Sie stützte das Kinn auf seiner Brust ab und beobachtete ihn. „Aber wenn sie auch nur ein bisschen so sind wie du, mache ich mir gar keine Sorgen.“ Sie erhob sich, nur um sich sogleich rittlings auf seinen Bauch zu setzen und ihn zu küssen. _ „Erinnerst du dich noch daran, dass ich dir erzählt habe, dass mein Vater keine Fußballer mag?“, fragte Mimi. „Ja. Das ist doch auch der Grund, weshalb wir immer hier sind“, antwortete Tai und sah sie skeptisch an. „Genau. Jedenfalls hat das einen Grund“, verkündete Mimi. „Mein Ex war auch ein Fußballer. Ich war wirklich total verknallt in ihn. Total. Ich war verrückt nach Ethan. Allein schon nach seinem Aussehen. Außerdem gehörte er zu den 'coolen Jungs' auf unserer Schule. Ich dachte, ich wäre das glücklichste Mädchen der Welt, als er anfing, mit mir zu gehen. Ich hatte mir sogar schon ausgemalt, wie wir mal heiraten und Kinder kriegen. Und dann habe ich ihn gesehen, wie er... wie er mit meiner besten Freundin Sarah rumgeknutscht hat.“ Allein beim Gedanken an dieses Bild verspürte Mimi fast wieder das gleiche Gefühl wie zu dem Zeitpunkt, als sie die beiden entdeckt hatte. „Es war im Bioraum. Kurz davor hatten wir da noch Unterricht. Ich war eigentlich schon auf dem Weg nach Hause, aber musste noch mal zurück, weil ich was vergessen hatte. Und dann waren sie da. Sarah saß auf dem Lehrertisch und hatte ihre Beine um seine Hüften geschlungen.“ Mimi knirschte mit den Zähnen. „Und er hat ihr an die Brust gegrabscht. Und ihre Zungen habe ich auch gesehen. Es war zum Kotzen.“ Tai erwiderte nichts, sondern hob nur eine Augenbraue. „Ich hab' die beiden angeschrien und dann bin ich heulend nach Hause gerannt. Eine Woche lang habe ich jeden Tag geheult.“ Sie schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Naja. Jetzt weißt du, warum ich dich verstehen kann. Aber bitte erzähl es keinem, okay?“ Tai nickte. „Ich hätte nie gedacht, dass zwischen Matt und Sora was laufen könnte“, sagte er schließlich und Mimi sah ihn interessiert an. Nun hatte er doch angefangen, darüber zu reden. „Ich meine, ich habe es irgendwie befürchtet, aber trotzdem war's überraschend.“ „Ja“, sagte Mimi und sah ihn mitleidig an. „Ich liebe Sora. Sie ist einfach perfekt. Hübsch, intelligent, liebenswürdig, nicht zickig, so unkompliziert eben. Warum steht sie nur auf... auf diesen... diesen... diese männliche Schlampe?“ Die letzten Worte klangen so, als würde Tai sie angeekelt ausspucken. „Der treibt es mit jeder. Der nimmt jede, die er kriegen kann. Nichts für ungut, Mimi. Was findet Sora nur an ihm?“ „Wahrscheinlich das Gleiche wie die anderen Mädchen auch?“, schlug Mimi schulterzuckend vor. „Warum ist sie so blöd und lässt sich auf ihn ein? Er wird mit ihr genau das machen, was er mit allen anderen auch macht.“ Mimi entging nicht, dass Tai sich unwillkürlich mit dem Handrücken über die Augen wischte. „Warum gerade die beiden? Von allen Menschen, die es auf dieser Welt gibt. Warum müssen gerade die beiden was miteinander anfangen?“ „Weil das Schicksal ein Arschloch ist“, antwortete Mimi bestimmt. „Deswegen.“ „Ein anderer Grund fällt mir auch nicht ein“, antwortete Tai. Eine Weile saßen sie noch dort auf dem Teppich in seinem Zimmer und starrten gedankenverloren vor sich hin, dann stand Mimi schließlich auf. Es war schon fast Nacht. Sie musste dringend nach Hause. Sonderlich weit waren sie mit Mathe heute nicht gekommen. Tai brachte sie noch zur Tür. „Wenn du mal wieder jemanden zum Reden brauchst, du kannst mir jederzeit Bescheid sagen“, sagte sie und lächelte ihn an. Er nickte. „Und deine Geschichte bleibt mein Geheimnis.“ „Genauso wie es mein Geheimnis bleibt, dass du doch geheult hast“, antwortete Mimi und grinste leicht. „Was? Ich hab' nicht geheult“, protestierte Tai. „Ich hatte was im Auge.“ „Schon klar, Yagami. Ich verrat's keinem“, antwortete sie und streckte ihm die Zunge raus. „Bis morgen.“ _ Er fand einfach keine Ruhe. Obwohl es schon nach elf war und er am nächsten Morgen zur Schule musste, saß Matt noch immer im Proberaum der Tokyo Rebels und spielte geistesabwesend Melodien auf seiner Gitarre. Darunter war immer wieder das Lied, das er eigens für Sora geschrieben hatte. Vorgestern hatte er mit ihr Schluss gemacht. Oder besser: Er hatte ihr gesagt, dass aus ihnen kein Paar werden konnte. Das konnte er mit Tai einfach nicht machen. Warum hatte dieser Idiot ihm nicht einfach gleich gesagt, dass es sich um Sora handelte, in die er verliebt war? Dann hätte er doch gleich die Finger von ihr gelassen. Bruder vor Luder oder so. Und er hatte ihm auch noch Tipps gegeben, wie Tai sie von sich überzeugen konnte. Warum hatte er nur behauptet, Matt würde sie nicht kennen? Jetzt waren sie alle beide verletzt. Tai und Sora. Und Matt irgendwie auch. Er hätte es zwar selbst nie von sich gedacht, aber er hatte sich tatsächlich in sie verliebt. Er hatte genau gesehen, dass sie geweint hatte, nachdem er ihr am Montag gesagt hatte, dass aus ihnen nichts werden konnte. Aber was sollte er denn machen? Er wollte Tai einfach nicht als Freund verlieren, was aber unweigerlich passieren würde, wenn er eine Beziehung mit Sora einging. Sie waren doch immer so ein passendes Dreiergespann gewesen. Sie hatten sich perfekt ergänzt. Tai war der, der immer seine ehrliche Meinung sagte und einfach jedem gegenüber offen war. Sora war die Vernünftige von ihnen, die Tai und Matt immer wieder mal zurück auf den Teppich geholt hatte. Außerdem hatte sie sie nie verurteilt, egal, was sie angestellt hatten. Und Matt war der, der nie die Nerven verloren hatte und einen kühlen Kopf bewahrte, wenn die anderen beiden schon fast dabei waren, durchzudrehen. Was würde nun aus ihnen werden, jetzt wo der positive Einfluss der jeweils anderen beiden fehlte? Denn das war es, was sie so gut zusammenpassen ließ. Der gegenseitige positive Einfluss. Wobei der Einfluss von Tai und Sora auf Matt wohl immer am größten war. „Du bist ja immer noch hier“, hörte Matt Shin sagen. Er hörte auf zu spielen und blickte auf. „Und du bist schon wieder hier.“ „Hab mein Textbuch vergessen“, erklärte Shin und ging zu dem kleinen Notizbuch, das auf einem Tisch in der Ecke lag. „Dir geht’s ziemlich beschissen, oder?“ Matt zuckte mit den Schultern und spielte leise weiter. „Wie war es heute mit Tai und Sora in der Schule?“, fragte Shin. Er hatte ihn vor der Probe schon neugierig gefragt, wie Sora auf das Konzert am Freitag reagiert hatte. Matt hatte ihm nur kurz erklären können, was passiert war, dann waren Tsubasa und Ryo gekommen. Matt hatte keine Lust gehabt, aus ihrer Probe eine Therapiesitzung zu machen und hatte das Gespräch abgewürgt. „Tai ignoriert mich und Sora und ich gehen uns aus dem Weg“, murmelte er vor sich hin starrend. Er dachte an die Blicke, die er und Sora in den letzten drei Tagen getauscht hatten, wenn sie sich zufällig über den Weg gelaufen waren. Shin zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Matt. „Ist es nicht ziemlich scheiße, in jemanden verliebt zu sein, aber nicht mit ihm zusammen sein zu dürfen?“ Matt hob eine Augenbraue, unterbrach aber sein Spiel nicht. „Was glaubst du wohl?“ „Vielleicht solltest du es mit Sora versuchen. Ich mein', du hast für sie ein Lied geschrieben. Das ist doch für dich fast gleichbedeutend mit einem Heiratsantrag“, meinte Shin und sah ihn schief an. „Red' doch keinen Mist“, murrte Matt. „Nein, ich mein's ernst“, beharrte Shin. „Solche Mädchen wie sie gibt’s nicht oft. An deiner Stelle würde ich mir die Chance nicht entgehen lassen.“ „Sag mal, stehst du auf sie, oder was?“ Shin grinste. „Ein bisschen.“ Matt warf ihm einen finsteren Blick zu. „Sie ist eben so ein Kumpeltyp“, erklärte Shin schulterzuckend. „Im Gegensatz zu dieser Mimi zum Beispiel. Die ist zwar ganz schön heiß, aber viel zu mädchenhaft. Zickig und tussig und so. Und solche Mädchen gibt’s einfach viel zu viele.“ „Ich werde nichts mehr mit Sora haben und fertig. Nicht solange Tai sie liebt“, erwiderte Matt entschieden. Shin seufzte und stand auf. „Wie du meinst. Mach nicht mehr so lang.“ Er klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter und verschwand durch Tür. Kapitel 25: Pläne schmieden --------------------------- Samstag, 24. Juni 2006   Kari wurde eher unsanft aus dem Schlaf gerissen, als Tai in ihr Zimmer kam, um sie irgendwas zu fragen. Sie verstand nicht, was er fragte, da sie sich noch im Halbschlaf befand und erst einmal realisieren musste, wo sie war und dass sie langsam wach wurde. Doch ihm schien ohnehin das Wort im Hals stecken zu bleiben. Er unterbrach sich selbst und starrte sie geschockt an. „Alter?! Was habt ihr da eigentlich am Laufen? Sagt nicht, ihr habt... oh mein Gott, ich fass' es nicht!“ Schlaftrunken runzelte Kari die Stirn und verstand nur Bahnhof. Dann jedoch entdeckte sie T.K. neben sich in ihrem Bett, der auch langsam erwachte. Stimmt ja. Sie hatten gestern einen DVD-Abend gemacht und er hatte anschließend bei ihr übernachtet. Nichts Ungewöhnliches, aber Tai schien sich nicht damit abfinden zu können, dass sie im gleichen Bett schliefen. Das hatten sie früher nicht getan. „Haben wir nicht“, antwortete Kari mit belegter Stimme und gähnte. „Wer's glaubt. Ich glaub', mir wird schlecht“, murmelte er, ging wieder aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. Kari stöhnte genervt und ließ sich zurück in ihr Kissen sinken. „Morgen“, nuschelte T.K., der sie aus halb geöffneten Augen ansah. „Morgen“, antwortete Kari tonlos. „Denkt Tai jetzt, was ich denke, was er denkt?“, fragte T.K. „Ich denke schon“, murrte Kari. „Dieser Trottel. Er soll sich lieber mal um seine eigenen Probleme kümmern und mich in Ruhe lassen.“ T.K. setzte sich langsam auf und blickte auf sie hinab. „Du siehst ganz zerzaust aus.“ „Guck dich mal an.“ Sie streckte die Hand aus und zerzauste ihm das zu Berge stehende Haar noch mehr. „Finger weg“, befahl er und versuchte, sich mit den Fingern die Haare wieder zu ordnen. „Jetzt siehst du schon aus wie Matt“, stellte Kari fest und lachte. „Der fährt sich auch immer so durch die Haare.“ „Liegt vielleicht in der Familie“, antwortete T.K. schulterzuckend und ließ von seiner blonden Mähne ab. „Soll ich jetzt eigentlich deinem Bruder erklären, dass er sich keine Sorgen machen muss, oder machst du das?“ „Ich mach' das schon“, antwortete sie, kletterte an T.K. vorbei aus dem Bett und ging Richtung Tür. Bevor sie jedoch das Zimmer verließ, drehte sie sich noch einmal zu ihrem besten Freund um. „Muss er sich denn wirklich keine Sorgen machen?“ Er sah sie fragend an. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Kari druckste herum und lief rot an. „Ich meine, ist es völlig ausgeschlossen, dass wir jemals... dass er sich jemals irgendwelche Sorgen machen muss?“ Verständnislos runzelte T.K. die Stirn. „Keine Ahnung.“ _ So langsam aber sicher hatte Tai genug von der Familie Ishida-Takaishi. Nicht nur, dass Matt was mit dem Mädchen anfing, in das er selbst verliebt war, nein, jetzt machte auch noch dessen jüngerer Bruder mit seiner Schwester rum. Was lief nur falsch in dieser Familie? Bestanden die denn nur aus schwanzgesteuerten Idioten? Ob T.K. wohl bei Matt in die Lehre gegangen war? Vielleicht bildete er ja junge, unwissende, naive Jungs zu Weiberhelden aus. Tai würde es ihm zutrauen. „Tai?“ Er hörte auf, unruhig in seinem Zimmer auf und ab zu laufen und starrte seine Schwester an, die die Arme verschränkte und sich gegen den Türrahmen lehnte. „Erstens“, fing sie an, „platzt du nicht ohne anzuklopfen in mein Zimmer rein, klar? Und zweitens haben T.K. und ich nichts am Laufen.“ Er musterte sie von oben bis unten. Ihre Haare waren unordentlich, ihre Augen noch ein wenig geschwollen vom Schlafen und sie trug nur ein T-Shirt und eine kurze Hose. „Deine Hose ist viel zu kurz“, knurrte er. Sie hob die Augenbrauen. „Entschuldige, dass ich nicht im Strampelanzug schlafen gehe. Das nächste Mal frage ich dich vorher, ob dir mein Schlafanzug recht ist, ja?“ „Hab ja nicht so eine große Klappe“, fuhr er sie an und stürmte an ihr vorbei aus dem Zimmer. Sie rannte ihm hinterher, als ihr klar wurde, dass er geradewegs in ihr Zimmer marschierte. „Und du“, fing er an und zeigte drohend mit dem Finger auf T.K., der noch auf ihrem Bett saß und Tai verwirrt ansah, „du lässt gefälligst die Finger von ihr, haben wir uns verstanden? Sonst wirst du es bereuen!“ „Sag mal, bist du total bescheuert?“, schrie Kari, während T.K. nur der Mund aufklappte. „Tickst du noch ganz richtig? Überleg dir lieber mal, warum Sora nichts von dir will, anstatt deine Wut an anderen auszulassen! Wenn du bei ihr genauso drauf bist, wundert es mich nicht, dass sie lieber Matt nimmt! Jeder würde lieber Matt nehmen!“ In diesem Moment brannte irgendeine Sicherung in Tai durch. Er ging auf sie zu und hob die Hand. Er holte aus, nahm gerade noch wahr, wie sie einen Schritt zurückwich und verpasste ihr eine Ohrfeige. Ihr Kopf wurde ein wenig zur Seite geworfen, doch gleich darauf hielt sie sich die Wange und starrte ihn entsetzt an. „Tai!“ T.K. war aufgesprungen und hatte sich neben Kari aufgebaut, wahrscheinlich für den Fall, dass er noch einmal auf sie losgehen sollte. Tai sah, wie Karis Augen sich mit Tränen füllten. Langsam ließ er die Hand sinken. „Du Arschloch!“, brüllte sie. „Raus aus meinem Zimmer!“ Sie verpasste ihm einen heftigen Stoß Richtung Tür. „Hau ab!“ Er stolperte nach draußen und sie warf lautstark die Tür zu. Dann hörte er sie schluchzen und T.K. auf sie einreden. Fassungslos stand Tai dort und starrte die Tür an, unfähig sich zu regen. „Kannst du mir mal verraten, was ihr hier für einen Höllenlärm am frühen Morgen veranstaltet?“ Langsam drehte Tai sich um und erblickte seine Eltern, die direkt hinter ihm standen und ihn vorwurfsvoll musterten. „Streit“, brachte er gerade so heraus und taumelte in sein Zimmer. _ „Es ist so cool, dass Tai und Davis heute ausgerechnet gegen Ken spielen“, meinte Yolei und starrte begeistert von der Tribüne hinunter zum Spielfeld, wo Davis gerade einem der Gegner den Ball abgeluchst hatte. „Ja, das stimmt. Das macht die Sache gleich ein bisschen interessanter“, stimmte Mimi zu, die Fußball noch immer nicht sonderlich viel abgewinnen konnte. Am Donnerstag erst war die japanische Nationalmannschaft endgültig aus der WM geflogen, weil sie von Brasilien plattgemacht wurde. Das Einzige, was Mimi an diesem Spiel interessiert hatte, waren die hübschen Spieler mit ihren tollen Körpern gewesen. „Warum ist Sora eigentlich nicht hier?“, fragte Yolei. „Muss arbeiten“, antwortete Mimi gelangweilt. „Wie immer.“ „Die Arme“, kommentierte Yolei, ohne den Blick vom Spielfeld abzuwenden. „Ah, Mist, daneben!“ Mimi musterte sie von der Seite. „Sag mal, für welche Mannschaft bist du eigentlich?“ „Ich? Ach, für gar keine“, stammelte Yolei und wurde ein bisschen rot. Mimi zog eine Augenbraue hoch und beobachtete sie misstrauisch. Gerade eben hatte es Kens Mannschaft verpasst, ein Tor zu schießen und Yolei hatte sich darüber geärgert. „Sag mal, findest du nicht eigentlich auch, dass Tai eine ziemlich gute Figur auf dem Spielfeld macht?“, fragte sie hastig, sodass Mimi Mühe hatte, alles zu verstehen. Sie runzelte die Stirn und suchte Tai mit seiner Rückennummer zwölf auf dem Feld. Dank seiner Mähne war er meist recht schnell zu finden. „Es ist Tai“, antwortete Mimi skeptisch. „Ja, aber wenn man ihn sich mal objektiv betrachtet, meine ich. Wenn du ihn jetzt nicht kennen würdest“, erklärte Yolei und sah Mimi erwartungsvoll an. „Ich kenne ihn aber“, widersprach Mimi und schüttelte den Kopf. „Und ich will ihm keine Komplimente machen. Nicht, dass er das noch hört.“ „Wie soll er das denn hören?“, fragte Yolei lachend. „Ich glaube, wenn es um ein Kompliment für ihn geht, hört er das, auch wenn es eigentlich unmöglich ist“, meinte Mimi fest überzeugt. Und tatsächlich: Als hätte Tai gehört, was die beiden redeten, blickte er plötzlich auf in ihre Richtung. „Siehst du, ich hab' dir doch gesagt, er kriegt das mit!“, rief sie, während Yolei losprustete. Aber insgeheim musste sie ihrer Freundin Recht geben. Wenn man sich Tai einmal ohne jede Vorkenntnis anschauen würde, würde man wohl tatsächlich über ihn sagen, dass er eine gute Figur machte. Nicht nur, weil er gut spielen konnte, den Ball fast immer passgenau schoss und schnell war, sondern auch, weil das Trikot und die kurze Hose seiner trainierten Figur sehr schmeichelten. Einmal mehr konnte Mimi nicht verstehen, weshalb Sora sich in Matt und nicht in Tai verliebt hatte, obwohl sie Tai sofort haben konnte. Sie hoffte inständig, dass ihre Freundin eines Tages doch noch einsah, dass Tai der Richtige für sie war, bevor es zu spät war und eine andere seine Qualitäten entdeckte. „Oh, da kommen ja T.K. und Kari“, riss Yolei Mimi aus ihren Gedanken. _ „Mensch, Kari, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, begrüßte Mimi T.K. und Kari, als sie bei den beiden Mädchen ankamen. Kari erwiderte nichts und T.K. schüttelte nur warnend den Kopf, als er sich neben Yolei setzte. „Was ist denn los?“, flüsterte Yolei T.K. zu und sah ihn neugierig an. „Kein guter Tag“, murmelte T.K. als Antwort. Kari kümmerte sich gar nicht darum, was er mit Yolei und Mimi beredete, sondern starrte nur mit finsterer Miene hinunter zum Spielfeld. T.K. hatte Mühe gehabt, sie überhaupt dazu zu überreden, herzukommen, so sauer war sie gewesen. Mit dem Weinen hatte sie nach ein paar Minuten wieder aufgehört, doch das Fluchen und Schimpfen über Tai hatte noch eine ganze Weile angedauert. Dabei hatte sie für Tai Worte verwendet, von denen T.K. nicht mal gewusst hatte, dass sie sie überhaupt kannte. Aber er musste zugeben, dass er sich selbst ziemlich erschrocken hatte, als Tai Kari die Ohrfeige verpasst hatte. Allerdings wusste er, dass Tai einfach für einen kurzen Moment ausgerastet war, nach dem, was Kari zu ihm gesagt hatte. Es war aber auch gerade alles ziemlich schwierig mit ihm und Matt. Kari hatte ihm erzählt, was sie nach dem Konzert miterlebt hatte und in der Schule hatte er es selbst gesehen, dass Tai mit Matt kein Wort mehr wechselte, ihn nicht einmal ansah. Und irgendwie hatte keiner mitbekommen, dass zwischen Matt und Sora irgendetwas passiert war. T.K. legte Kari einen Arm um die Schultern und zog sie ein wenig näher an sich. Er wusste, dass sie das jetzt gut gebrauchen konnte, auch wenn sie keine Miene verzog. „Was ist nur mit euch allen los?“, fragte Yolei und schüttelte den Kopf. „Irgendwie geht alles drunter und drüber und ich habe manchmal das Gefühl, ich sitze im Kino.“ „Frag mich mal. Ich dachte, alles ist so wie immer, wenn ich wieder herkomme. Ich dachte, wir machen bestimmt alle viel zusammen und alles ist schön. Stattdessen gibt es nur Streit und Drama“, seufzte Mimi resigniert. „Weißt du, wenn ich's mir recht überlege, hat das alles erst angefangen, seit du hier bist“, meinte Yolei plötzlich und sah Mimi an. T.K. runzelte nur die Stirn. So eine Bemerkung war typisch Yolei. „Wie meinst du das?“, fragte Mimi entgeistert. „Keine Ahnung. Davor war eigentlich alles gut. Naja, außer, dass wir alle etwas den Kontakt zueinander verloren hatten. Jetzt haben wir zwar wieder mehr Kontakt, aber irgendwie gibt es nur Stress“, erklärte Yolei. „Das stimmt doch gar nicht!“, widersprach Mimi gekränkt. „Joe hat jetzt eine Freundin! Das ist doch super.“ „Achso?“, sagten Yolei und T.K. wie aus einem Munde. Selbst Kari hatte den Blick vom Spielfeld abgewandt und musterte Mimi nun fragend. „Ja, nämlich Nami. Und von Sora weiß ich, dass die sich erst kennen, seit ich hier bin“, antwortete Mimi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach, Mimi, so war das doch... TOOOOOR!“ Yolei sprang auf, kreischte und hüpfte auf ihrem Platz herum, riss die Arme in die Luft und jubelte. Mimi und T.K. waren gleichermaßen vor ihr zurückgeschreckt. „Ich bin ja kein Profi, aber hat nicht gerade die gegnerische Mannschaft ein Tor gemacht?“, fragte Kari mit skeptischem Blick auf das Spielfeld. „Ja“, antwortete T.K., der Yolei beobachtete, die sich wieder hinsetzte. „Aber Ken hat doch das Tor geschossen“, erwiderte sie freudestrahlend. „Er ist unser Kumpel, also dürfen wir uns für ihn freuen, auch wenn er zur gegnerischen Mannschaft gehört.“ „Ich glaube, sie ist verknallt“, murmelte Kari T.K. zu. _ „Hallo? Bedienung? Halloho? Schlafen Sie?“ Sora schreckte aus ihren Gedanken und sah sich aufgescheucht um. An einem der Tische saßen drei Gäste und sahen etwas verärgert zu ihr herüber. Einer von ihnen winkte und schnippte mit den Fingern. Sie eilte zu ihnen und zückte ihren kleinen Block und den Kugelschreiber. „Ja, bitte? Was möchten Sie bestellen?“, fragte Sora zerstreut. „Bestellen? Wir wollen bezahlen, das haben wir doch schon vor zehn Minuten gesagt“, antwortete der ältere Herr ungeduldig. „Oh, natürlich. Entschuldigen Sie“, sagte Sora lächelnd, zog einen Zettel aus der Tasche ihrer Schürze und rechnete schnell die Summe der Bestellungen für den Tisch aus. „Das macht dann eintausendfünfhundert Yen, bitte.“ „Was?!“ „Wie bitte?“ „Das kann aber nicht stimmen.“ „Wir haben doch nur jeder einen großen Kaffee getrunken.“ Sora lächelte unbeirrt weiter, verlor innerlich aber ihre Ruhe. Mit zitternden Fingern kramte sie in ihrer Schürzentasche nach weiteren Zetteln, fand aber keinen, der passte. Sie schaute noch mal auf den ersten Zettel und stellte fest, dass sie sich verrechnet hatte. Währenddessen wurden die drei Herrschaften immer ungeduldiger, maulten herum und unterrichteten sie darüber, dass sie nicht den ganzen Tag Zeit hätten. „Entschuldigen Sie“, murmelte Sora. „Also das macht dann achthundert Yen.“ „Wenn Sie mit Ihrem Job überfordert sind, sollten Sie ihn nicht ausüben, junge Dame“, meinte der ältere Herr und drückte Sora sein Geld in die Hand. Sora entschuldigte sich noch einmal bei den drei Gästen und sah ihnen nach, während sie das Café verließen. Sie seufzte und ging zurück hinter den Tresen. Heute war nicht ihr Tag. Normalerweise tat ihr das Arbeiten ganz gut und lenkte sie ab, aber heute war es anders. Sie nahm sich einen Lappen und wischte gedankenverloren die Tischplatte ab, dann machte sie sich daran, den Tisch der drei Gäste, die eben gegangen waren, neu herzurichten, bevor sie zurück hinter den Tresen ging. Dort fühlte sie sich irgendwie sicherer. Sie stützte den Kopf auf die Hände und schloss für einen Moment die Augen. Sie atmete tief durch. Es waren doch nur noch ein paar Stunden. Das würde sie jetzt auch noch schaffen. „Aber Fräulein Takenouchi, was ist das denn für eine Arbeitsmoral?“ Sora zuckte zusammen und öffnete die Augen. „Shin“, sagte sie überrascht und blickte in das Gesicht des Schlagzeugers der Tokyo Rebels. „Was machst du denn hier?“ „Ach, ich war gerade hier unterwegs und dachte, ich komme mal vorbei und schaue, ob du da bist“, antwortete er lässig und stützte einen Arm auf dem Tresen ab. „Ich nehm' einen Kaffee.“ „Oh, okay“, sagte sie und machte ihm einen Kaffee. „Na jedenfalls, schön, dass du da bist.“ _ „So, ich glaube, jetzt ist alles fertig“, meinte Nami, stellte eine Vase auf dem fertig gedeckten Esstisch ab und sah sich prüfend um. „Oder was meinst du?“ Joe nickte und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich glaube schon.“ Nami öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch in diesem Moment klingelte es. „Deine Eltern sind schon mal genauso pünktlich wie du“, stellte sie kichernd fest, als er zur Tür lief. Er öffnete und begrüßte seine Eltern, die ihn anstrahlten und zur Begrüßung umarmten. „Immer, wenn ich dich sehe, habe ich das Gefühl, du bist noch ein Stückchen gewachsen“, seufzte seine Mutter und musterte ihn von oben bis unten. „Mama, ich bin neunzehn“, murmelte Joe kopfschüttelnd. Er wartete, bis seine Eltern sich die Schuhe ausgezogen hatten und geleitete sie anschließend in sein einziges Zimmer. Dort stand Nami mit gefalteten Händen und sah etwas schüchtern aus. Seine Eltern sahen ihn beide überrascht an. „Ich möchte... euch jemanden vorstellen“, stammelte Joe und deutete auf Nami. „Das ähm... ist Nami. Meine Freundin.“ Er hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern, wie merkwürdig diese Worte noch klangen, denn seine Eltern stürmten beide nahezu auf sie los, um sie zu begrüßen. „Hallo, schön Sie kennen zu lernen.“ „Joe hat noch gar nichts von Ihnen erzählt.“ „Das ist ja wirklich toll. Wie schön. Wie lang seid ihr denn schon zusammen?“ „Wohnen Sie auch hier?“ „Studieren Sie auch?“ Ein wenig hilflos beantwortete Nami nacheinander die Fragen, die sie gestellt bekommen hatte. Joe kratzte sich verlegen am Kopf und konnte nicht anders, als sich ein kleines bisschen für seine Eltern zu schämen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie gleich so erpicht darauf sein würden, Nami kennen zu lernen. Bevor sie sie mit weiteren Fragen bombardieren konnten, schritt Joe schnell ein. „Ich tische dann mal das Essen auf, sonst wird es kalt.“ Seine Eltern setzten sich an den fertig gedeckten Tisch und Joe und Nami holten das Essen aus der Küche. Seine Mutter versicherte ihnen, dass alles lecker roch und toll aussah und sie sich freuen würde. Das Essen selbst zog sich ewig hin, weil es so viel zu bereden gab. Natürlich waren seine Eltern neugierig auf Nami und fragten sie vieles, aber auch Joe musste berichten, wie er mit seinem Studium vorankam, wann er Prüfungen und Praktika hatte und ob alles gut lief. Es konnte sich kaum einer von ihnen wirklich aufs Essen konzentrieren. Joe hatte nicht einmal mehr Hunger. _ Obwohl sie knapp verloren hatten, hatte Davis gute Laune, als er mit den Spielern der gegnerischen Mannschaft abklatschte. „Tolles Spiel. Du warst super“, sagte er, als er bei Ken ankam, der lächelte. „Danke, du auch. Ihr hattet echt Pech in den letzten fünf Minuten“, antwortete er. „Was heißt denn hier Pech?“, mischte Tai sich ein und zerzause Davis das Haar. „Du hast einfach gepennt. Deswegen haben wir noch einen rein gekriegt.“ Verlegen kratzte Davis sich am Hinterkopf und lachte. „Sorry.“ „Jaja, steck dir dein Sorry sonstwohin“, erwiderte Tai und verpasste ihm einen derben Klaps auf die Schulter. „Aber ihr wart wirklich gut, Ken.“ „Danke“, sagte Ken. Sie gingen duschen und zogen sich um, um anschließend zu ihren Freunden zu stoßen, die schon auf sie warteten. „Es ist echt super, dass wir alle mal wieder was zusammen machen können“, sagte Davis in die Runde und grinste. Er war ungewöhnlich gut gelaunt. Wahrscheinlich, weil er und Kari sich in den letzten Schultagen wieder angenähert hatten. Und auch T.K. ging ihm nicht mehr so auf die Nerven. Immerhin waren er und Kari noch nicht zusammen. „Was machen wir jetzt?“ „Wie wäre es mit Pizza essen? Wie in den alten Zeiten“, schlug Yolei vor. „Prima Idee. Ich bin dabei“, meinte T.K. „Ich auch“, verkündete Davis. „Ich habe einen Bärenhunger.“ „Ja. Pizza klingt super“, stimmte Ken zu und rieb sich den Bauch. „Kari, bist du auch dabei?“, fragte Yolei und sah Kari erwartungsvoll an. „Du bist so still heute.“ „Ja, ich komme auch mit“, antwortete sie und nickte. „Na, dann lasst uns endlich losgehen. Cody kommt nachher sogar auch noch, wenn er mit dem Kendo fertig ist“, bestimmte Yolei. Die Gruppe setzte sich langsam in Bewegung und ließ Tai und Mimi allein zurück. _ „Hey Kari, soll ich dich nachher abholen kommen?“, rief Tai seiner Schwester hinterher. „Nein“, antwortete Kari kalt und ohne sich umzudrehen. Er stieß einen Seufzer aus, drehte sich um und ging los. Mimi stand noch eine Sekunde verwirrt dort, bevor sie ihm nacheilte. „Hey, was ist denn los?“, fragte sie und hatte Mühe, mit Tai Schritt zu halten. „Ach, nix“, murrte Tai. „Und wo willst du jetzt hin?“, fragte Mimi weiter, ein wenig gekränkt, weil er sie so abgewiesen hatte. „Nach Hause“, antwortete er kurz angebunden. „Okay.“ Mimi zögerte. „Kann ich mitkommen?“ „Was?“ Er blieb stehen und sah sie verwirrt an. „Warum?“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte unschuldig. „Einfach so.“ „Na wenn du schon so fragst... nein“, antwortete er und ging weiter. Mimi zog eine Schnute und eilte ihm weiter nach. „Jetzt warte doch mal. Was willst du denn schon zu Hause machen? Dich langweilen?“ „Hausaufgaben“, knurrte Tai. „Ach, das glaubst du doch selbst nicht“, sagte Mimi trocken. „Und was willst du bei mir zu Hause machen?“, fragte Tai skeptisch. „Mit dir quatschen. Dich unterhalten. Dir die Langeweile vertreiben“, antwortete sie unbekümmert. „Sag mal, stehst du auf mich, oder was?“ Mimi schnaubte verächtlich. „Träum weiter.“ „Nee, danke. Ich träume nur von schönen Sachen.“ Mimi musste sich auf die Unterlippe beißen, um nichts zu erwidern. So folgte sie Tai schweigend nach Hause und er drehte sich erst wieder zu ihr um, als sie an der Haustür angelangt waren. „Sag mal, welchen Teil von 'nein' hast du nicht verstanden?“, fragte er und hob eine Augenbraue. „Ich hab' da noch was in Mathe, was ich nicht so ganz verstanden habe. Von gestern. Irgendwas mit Logarithmus“, log sie schnell. Tai musterte sie eine Weile misstrauisch, doch sie hielt seinem Blick stand und bemühte sich um eine möglichst unschuldige Miene. Schließlich runzelte er die Stirn und wandte sich wieder um, um die Tür aufzuschließen. „Dann komm halt mit.“ Im Treppenhaus und auch in Tais Wohnung war es angenehm kühl. Heute war ein wirklich heißer Tag und Mimi war froh, der schwülen Hitze entkommen zu sein. Tais Eltern waren nicht da und so gingen sie gleich weiter in sein Zimmer. Sie setzten sich auf den Teppich, wie sie es immer bei der Nachhilfe machten. Dann sah Tai Mimi abwartend an. „Hör mal, ich... das mit Mathe war gelogen“, gab sie zu. „Was du nicht sagst“, antwortete er, ohne eine Miene zu verziehen. „Du hast es gleich gewusst?“, fragte sie und fühlte sich ertappt. „Mimi, ich bin nicht bescheuert“, antwortete Tai und hob eine Augenbraue. „Also, was willst du?“ _ „Also, wie geht’s dir mit dieser ganzen... Sache?“, fragte Shin und musterte sie eindringlich. „Gut“, antwortete Sora schulterzuckend. „Alles okay.“ Sie konnte nicht sehr überzeugend geklungen haben, denn Shin machte ein zweifelndes Gesicht. „Wirklich?“, fragte er. „Matt geht’s nämlich ziemlich beschissen.“ „Ach ja?“, fragte Sora langsam nach. Sie nippte an dem Tee, den sie sich in der Hoffnung gemacht hatte, wieder ein wenig ruhiger zu werden. „Naja, er sitzt neuerdings stundenlang allein im Proberaum und behauptet dabei genauso wie du, dass alles okay ist“, erklärte Shin. Sora musste fast schon lächeln. Ja, das war typisch Matt. Bloß niemandem zeigen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Irgendwie überraschte es sie, dass er anscheinend ebensolche Probleme mit dieser Beziehungskiste hatte wie sie. Sie dachte, sie wäre die von ihnen beiden gewesen, der das wirklich was ausmachte und Matt hätte schon bald eine Neue. „Tja, dann... übt er wohl einfach noch ein bisschen länger“, meinte sie. „So sieht er schon aus“, antwortete Shin sarkastisch. Dann durchbohrte er Sora mit seinem Blick. „Hör mal, du bedeutest ihm echt viel. Mehr als er jemals zugeben wird. Ihr solltet euch das noch einmal ernsthaft überlegen, was ihr da macht.“ Sora stellte geräuschvoll ihre Teetasse ab und erwiderte seinen Blick. „Erstens habe nicht ich Schluss gemacht sondern er und zweitens kann das eh nichts werden. Da gibt es noch Tai, verstehst du?“ Shin schüttelte den Kopf. „Nein, das verstehe ich nicht. Tai muss blind sein, wenn er das hier nicht sieht. Wenn er ein echter Freund wäre, würde er euch nicht im Weg stehen. Matt wusste doch gar nicht, dass er in dich verknallt ist.“ Sora riss langsam der Geduldsfaden. „Es geht nicht, okay? Und jetzt will ich nicht mehr weiter darüber reden.“ Shin seufzte, zog sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche hervor und legte Sora das Geld auf den Tresen. „Wie du meinst. Aber ich glaube nicht, dass so irgendeiner von euch glücklich wird.“ Er wollte gehen, doch Sora hielt ihn auf. „Warte mal. Warum interessiert dich das überhaupt so?“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Matt ist mein Kumpel und dich mag ich auch echt gern. Außerdem kann man mit Matt nicht arbeiten, wenn er so drauf ist wie jetzt. Er ist so schon manchmal schwierig.“ Er schnitt eine Grimasse und verließ dann das Café. _ Nach dem Essen hatten sie noch einen Spaziergang draußen unternommen, um die Verdauung ein wenig anzuregen, doch es war so schwül, dass sie nach einer halben Stunde aufgegeben hatten. Somit servierten Joe und Nami seinen Eltern in der Wohnung kühle Getränke und die Kidos hatten noch mehr Gelegenheit, die arme Nami mit Fragen zu löchern. „Nami, was machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte Herr Kido nun und sah Nami über den Rand seiner Brille hinweg interessiert an. „Ich habe ein kleines Café in Odaiba“, antwortete sie. „Oh, na das klingt, als müssten wir das mal besuchen“, meinte Frau Kido freundlich. „Sora arbeitet übrigens auch dort. Deswegen habe ich Nami kennen gelernt“, berichtete Joe und wandte sich an Nami. „Und zufälligerweise arbeitet Soras Vater zusammen mit meinem Bruder Shuu in Kyoto.“ „Oh, wirklich? Vielleicht gehören eure Familien irgendwie zusammen“, sagte Nami scherzhaft und Joes Eltern lachten. „Das kann gut sein. Die Welt ist eben doch klein“, meinte Joes Vater. Dann fragten sie Nami über die Arbeit im Café aus, wobei Nami die Chance ergreifen konnte, witzig zu sein, indem sie von ihren Gästen erzählte. Zufrieden beobachtete Joe, wie das Gespräch dadurch lockerer und angenehmer wurde und am Ende sogar eine vertraute Atmosphäre herrschte, als würden sie sich schon länger kennen. Schließlich wurde es Abend und Joes Eltern beschlossen, zu gehen. „Es war wirklich sehr schön, Sie kennen zu lernen“, sagte Frau Kido zu Nami und lächelte. „Mich hat es auch gefreut“, antwortete Nami höflich. „Ich hoffe, wir sehen Sie bald wieder“, verabschiedete Herr Kido sich und die beiden verließen die Wohnung. Erschöpft schloss Joe die Tür hinter ihnen. „Tut mir Leid, dass sie dich so ausgequetscht haben“, murmelte Joe. „Ach was, das war doch nicht schlimm. Sie waren ja sehr nett“, meinte Nami fröhlich und ging in die Küche. „Ich kann dir jetzt schon sagen, dass meine Mutter nicht so nett ist.“ Joe folgte ihr und erinnerte sich schmerzlich daran, dass jetzt ein Stück Arbeit auf sie beide wartete, als er das dreckige Geschirr erblickte, das sich auf der Arbeitsfläche stapelte. „Das ist dann wohl der nächste Schritt.“ Fragend sah Nami ihn an. „Das Kennenlernen meiner Mutter oder der Abwasch?“ _ „Also, ich höre“, sagte Mimi auffordernd und musterte Tai offen. „Was hörst du?“, fragte er ein wenig schlecht gelaunt. Eigentlich hatte er jetzt keine Lust, mit Mimi zu plaudern. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto unheimlicher wurde sie ihm. „Na was los ist“, antwortete sie bestimmt. „Was ist mit dir und Kari passiert? Habt ihr euch gestritten?“ Tai stöhnte genervt auf. „Sag mal, wann hast du beschlossen, meine persönliche Therapeutin zu werden?“ Sie zuckte mit den Schultern und sah ihn an, als könnte sie nicht verstehen, wie er auf diese Frage kam. Wahrscheinlich war das auch wirklich so. „Irgendwer muss diesen Job ja machen, jetzt, wo du nicht mehr mit Sora und Matt redest.“ Erst, als sie das sagte, fiel Tai auf, dass sie im Grunde Recht hatte. Er hatte zwar viele Freunde an der Schule, viele Leute, mit denen er sich gut verstand, Jungs und Mädchen. Aber mit keinem davon würde er über seine Probleme reden. Das hatte er immer nur mit Matt und Sora gemacht. „Das geht dich aber nichts an“, grummelte er. „Komm schon. Ich will dir doch nur helfen“, antwortete sie und schob die Unterlippe vor, sodass sie wie ein schmollendes Kind aussah. Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Versprichst du, dass du mich danach in Ruhe lässt?“ Sie nickte. „Und dass du mich nicht wieder umarmst?“ Sie dachte kurz nach, nickte dann aber erneut. Also ergab Tai sich und erzählte ihr in knapper Form, was am Morgen zwischen ihm, T.K. und Kari vorgefallen war. Als er zu der Stelle mit der Ohrfeige kam, machte Mimi große Augen und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Oh, Tai, sowas macht man doch nicht“, rief sie vorwurfsvoll. „An Karis Stelle würde ich auch nicht mehr mit dir reden.“ „Das weiß ich selbst. Ich hab' doch schon gesagt, dass ich das nicht wollte und dass das nur ein Versehen war.“ „Ja, weiß ich ja“, räumte Mimi ein. „Und... naja, sie hat dich ja anscheinend vorher auch provoziert.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte das trotzdem nicht machen dürfen.“ Mimi sah ihn eine Weile mitfühlend an, dann rutschte sie ohne Vorwarnung zu ihm heran, legte den Kopf an seine Schulter und die Hand auf seine. „Was wird das?“, fragte er in bedrohlichem Tonfall. „Ich habe gesagt, keine Umarmungen.“ „Das ist doch auch keine Umarmung“, meinte Mimi bestimmt und ohne sich von ihm wegzubewegen, sodass er sie schließlich von sich schob. „Tai.“ Sie sah ihn ernst an. „Was denn? Sag mal, brauchst du Aufmerksamkeit oder sowas?“, fragte er unwirsch. „Nein, aber du“, antwortete sie. „Ich will dir doch nur helfen.“ „Indem du mich nervst?“, erwiderte er. „Kannst du dich nicht einfach mal um deinen eigenen Kram kümmern? Was ist denn nur los mit dir? Falls du jemanden brauchst, der dich flachlegt, dann geh zu Matt!“ Okay, den letzten Satz hatte er eigentlich nicht sagen wollen, aber sie nervte ihn wirklich. Er wollte kein Mitleid von ihr und schon gar keinen Körperkontakt. Jetzt sah sie ihn wütend an, umklammerte seine Hand aber noch fester. „Taichi Yagami, hörst du jetzt endlich auf, dich gegen Hilfe zu wehren! Ich bin auf deiner Seite, kapierst du das nicht?“ Verblüfft sah er sie an. „Auf meiner Seite? Was meinst du damit?“ „Ich meine damit, dass Sora verrückt ist, wenn sie denkt, Matt wäre besser für sie als du. Ich habe keine Ahnung, was mit der Frau los ist, dass sie nicht auf dich steht sondern auf Matt, aber ich kann es herausfinden und dir vielleicht helfen. Das geht aber nicht, wenn du weiter so tust, als könntest du das hier alles allein regeln!“, rief sie. Er sah sie eine Weile verdattert an. Sein Ärger war verflogen und Verwirrung gewichen. „Ich dachte die ganze Zeit, du kannst mich nicht leiden.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Jeder Mensch hat eben auch gute Seiten. Du hilfst mir mit Mathe und rettest mir den Arsch. Und jetzt versuche ich eben, dir zu helfen. Und dazu gehört nicht nur, dass ich versuchen will, Sora für dich zu begeistern, sondern auch, dass ich für dich da bin und du jemanden hast, mit dem du reden kannst.“ „Sora für mich begeistern? Wie stellst du dir das vor? Willst du sie unter Drogen setzen? Sie einer Gehirnwäsche unterziehen? Sie in ein Paralleluniversum schicken?“ Mimi lächelte geheimnisvoll. „Ich habe da so meine Mittel. Aber ich brauche dein Vertrauen. Und dein Einverständnis.“ „Was hast du vor?“, fragte er sofort. Das war ihm nicht geheuer, was sie da von sich gab. Sie hatte ihre Mittel? „Das sage ich dir schon noch. Bist du dabei?“, fragte sie und hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Tai beobachtete sie eine Weile und überlegte. War es eine gute Idee, Mimi zu vertrauen? Andererseits, was konnte sie schon Schreckliches vorhaben? Sie würde schon nicht seinen Tod planen. Und viel schlimmer konnte die Situation eigentlich nicht mehr werden, als sie es zur Zeit eh schon war. „Okay“, sagte Tai zögerlich. Sie schüttelten sich die Hände, als hätten sie soeben einen Vertrag abgeschlossen. Dann brachte Tai Mimi zur Tür. „Also dann“, sagte er, „ich hoffe, ich werde es nicht bereuen.“ „Wirst du schon nicht“, antwortete sie selbstsicher. „Eine Frage habe ich allerdings noch.“ „Na?“ „Darf ich dich umarmen?“ Tai stöhnte auf und raufte sich das Haar. „Alter...“ „Komm schon, ich hab' gefragt“, bettelte sie. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah sie mit genervtem Blick an. „Gibst du dann endlich Ruhe?“ „Ja“, versprach sie. „Na mach schon“, murmelte er. Sie grinste und fiel ihm um den Hals. Er ließ es einfach über sich ergehen und fragte sich, was er sich hier nur eingebrockt hatte. „Du musst lernen, ein bisschen Nähe zuzulassen, Tai“, sagte Mimi und ließ ihn wieder los. „Das hilft dir. Echt, in manchen Sachen ist Matt dir wirklich ein paar Schritte voraus.“ „Verzieh dich, Tachikawa“, murrte Tai, konnte sich aber ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. Die ganze Situation war einfach zu schräg. „Bis Montag“, flötete sie und lief davon. _ Alles lief super. Anders konnte man es nicht beschreiben. Vollgefressen saßen sie alle sechs um den Tisch herum und plauderten und lachten und es fühlte sich fast an wie früher. Zwar redete Davis nicht allzu viel mit Kari und T.K., doch das fiel nicht weiter auf, da es ja noch Ken, Yolei und Cody am Tisch gab. Und Kari gab sich wirklich Mühe, besonders nett und zuvorkommend Davis gegenüber zu sein. Zufrieden lehnte Yolei sich zurück und genoss die Ruhe und den Frieden. Sie fragte sich, wie die Älteren es nur schafften, sich so zu bekriegen, dass keiner mehr mit keinem zusammen sein konnte. „Hört mal, Leute“, ergriff Cody schließlich das Wort und alle wandten sich ihm zu. „Bald ist doch der erste August. Wollen wir nicht irgendwas Besonderes planen? Alle zusammen?“ „Ich finde, das ist eine super Idee“, meinte Ken. „Ja, finde ich auch. Wo der Tag doch letztes Jahr schon ausgefallen ist“, stimmte T.K. zu. Ken sah ihn fragend an. „Er ist ausgefallen?“ „Ja, es hat sich niemand darum gekümmert“, erklärte Kari. „Und dann haben wir diesen Tag am Ende einfach ignoriert.“ „Das war ziemlich traurig“, meinte Yolei. „Aber jetzt, wo Mimi da ist, passt das echt super, dass wir diesen Tag mal wieder nutzen, um was Cooles zu machen.“ „Glaubst du denn, die Älteren machen da auch wirklich alle mit?“, fragte Cody zweifelnd. „Bestimmt. Wir überreden sie einfach“, sagte Davis abwinkend. „Das denke ich auch“, meinte Yolei zuversichtlich. „Ich werde einfach noch Mimi fragen, die hilft garantiert, dass alle zusammen kommen.“ „Außerdem ist ja auch noch über einen Monat Zeit bis dahin. Das klappt bestimmt“, sagte Kari. „Aber was wollen wir denn eigentlich machen? Vielleicht ein Picknick?“, fragte T.K. in die Runde. „Hm, ich denke da eher an ein paar Tage Camping. Mit Zelten und Lagerfeuer und so. Ganz gemütlich“, antwortete Yolei nachdenklich. „Zelten?“, fragte Kari zweifelnd und runzelte die Stirn. „Also ich finde zelten super“, warf Davis begeistert ein und schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass das Besteck auf den Tellern klapperte. „Das ist doch immer wie ein Abenteuerurlaub.“ „Ich finde auch, dass zelten eine gute Idee ist“, stimmte Cody nickend zu. „Das wird bestimmt lustig.“ „Und alle sind gezwungen, miteinander zu reden und sich zu verstehen. Vielleicht können dann endlich mal alle Streitigkeiten aus der Welt geschafft werden“, sagte T.K. „Ja“, sagte Yolei eifrig. „Und ich könnte mich schon mal um die ganze Verpflegung kümmern. Das wäre kein Problem.“ „Na, dann ist ja das Wichtigste schon geklärt“, stellte Davis fest und alle lachten. „Also steht es jetzt fest? Wir überreden die anderen zu einem Campingurlaub?“, fragte Yolei mit leuchtenden Augen in die Runde. Alle nickten und gaben zustimmende Bemerkungen von sich und Yolei konnte es gar nicht erwarten, dass endlich der erste August kam. _ Es war spät am Abend, als sich Sora müde endlich auf den Nachhauseweg machte. Sie hatte kurzerhand beschlossen, noch bei Tai vorbeizuschauen. Oder es zumindest zu versuchen. Seit jenem verhängnisvollen Konzert war mittlerweile eine Woche vergangen. Vielleicht hatte er sich ja inzwischen wieder etwas beruhigt und man konnte mit ihm reden. Sie musste es einfach noch einmal versuchen. Sie kam an Tais Wohnblock an und kramte ihr Handy aus der Tasche hervor. Sie suchte seine Nummer heraus, drückte auf den grünen Hörer und wartete. Es klingelte und klingelte und klingelte. Doch er nahm nicht ab. Sie seufzte, legte auf und wartete einige Minuten, in denen sie überlegte, ob sie nicht doch besser gleich nach Hause gehen sollte. Dann versuchte sie es noch einmal. Es klingelte und klingelte und... „Ja?“ „Oh, Tai“, rief sie überrascht. „Habe ich dich geweckt?“ „Nein“, antwortete er einsilbig. „Ich ähm... steh' gerade vor deinem Haus“, sagte sie und fürchtete sich ein bisschen vor seiner Reaktion. Erst reagierte er gar nicht, sodass sie schon dachte, er hätte einfach wieder aufgelegt, doch dann sagte er: „Ich komme runter.“ Sora nickte, was er natürlich nicht sehen konnte und packte ihr Handy weg. Ungeduldig wartete sie und beobachtete dabei das Haus, als erwartete sie, er könnte gleich aus dem Fenster springen. Sie sah, wie im Hausflur das Licht anging und kurze Zeit später öffnete sich endlich die Tür und Tai trat heraus. Er trug eine Jogginghose und ein T-Shirt und sah eigentlich aus wie immer. Umso schmerzvoller fühlte es sich an, dass er zur Zeit nicht mit ihr redete. „Hey“, begrüßte sie ihn leise und lächelte traurig. „Hey“, erwiderte er, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich hab' dir was mitgebracht“, sagte Sora und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Mitbringsel. Als sie gefunden hatte, wonach sie suchte, drückte sie es Tai in die Hand. „Das ist ein Stück übrig gebliebener Schokokuchen.“ Sie wusste, dass er ihn liebte. „Oh, danke“, erwiderte er ein wenig verwundert. „Dann habe ich ja noch einen Mitternachtsimbiss.“ Sora lächelte. „Ich wusste, dass du ihn gleich essen würdest.“ Er zuckte mit den Schultern und sah sie an. „Tai, ich vermisse dich“, sagte Sora unvermittelt. „Sehr sogar. Du bist mein bester Freund. Bitte lass uns über alles reden, das haben wir doch immer gemacht.“ Sie hörte, wie er tief ein- und wieder ausatmete. „Ich kann das nicht. Ich kann nicht zugucken, wie du und Matt...“ Er sprach nicht weiter. „Mit Matt und mir ist nichts“, antwortete Sora. „Nicht mehr. Wir haben das am Montag beendet.“ Er sah sie verständnislos an. „Ach ja?“ „Ja. Er kam zu mir und hat gesagt, er kann nicht mit mir zusammen sein, wenn er dann dich verliert“, erklärte Sora betrübt. „Und... und mir geht es genauso. Es wäre schön, wenn alles wie vorher werden könnte.“ Tai schnaubte. „Das geht nicht so einfach.“ „Ich weiß. Aber wir können daran arbeiten“, erwiderte Sora und sah ihn hoffnungsvoll an. „Wir haben immer alles zu dritt geschafft, weißt du noch? Das kriegen wir doch auch jetzt hin.“ Er seufzte und nickte. „Ich habe aber gerade einen ziemlichen Hass auf Matt.“ „Ich habe ja auch nicht gesagt, dass alles von jetzt auf gleich wieder sein soll wie früher. Aber jetzt weißt du wenigstens, dass Matt das für dich beendet hat. Er wusste wirklich nichts davon.“ Tai schien nachzudenken, denn er sagte für einige Augenblicke nichts. Er schob die Hände in die Hosentaschen und starrte zu Boden. „Okay. Ich werde mein Bestes versuchen“, murmelte er schließlich. Sora lächelte und trat einen Schritt auf ihn zu. „Das freut mich.“ „Na dann“, meinte Tai langsam, „danke für den Kuchen.“ „Gern. Mach's gut.“ „Du auch.“ _ Es war viel später geworden als geplant. Die Gruppe der Jüngeren hatte noch einige Stunden in der Pizzeria verbracht, Cola getrunken, Pläne geschmiedet und gelacht. Es war ein wirklich lustiger Tag gewesen, der zwar für Kari ziemlich mies angefangen, aber sehr gut aufgehört hatte. Leiste drehte sie den Schlüssel im Schloss und schlich in die Wohnung. Sie hatte ihre Eltern schon angerufen, dass sie später nach Hause kommen würde und sie sich keine Sorgen machen sollten. Umso überraschter war sie, als sie sah, dass im Wohnzimmer noch das kleine Licht auf dem Fensterbrett brannte. Auf Zehenspitzen huschte sie durch den Flur, um nachzusehen, wer da noch wach war. Als sie Tai auf der Couch sitzen sah, verdrehte sie die Augen und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. „Nein, warte“, bat er sie leise. „Komm zurück.“ Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihm um. „Kari, es tut mir Leid“, sagte er mit flehendem Unterton in der Stimme. Nun drehte Kari sich doch etwas überrascht zu ihm um. Es kam wirklich äußerst selten vor, dass sie sich beieinander für irgendetwas entschuldigten. Meistens, wenn sie eine Meinungsverschiedenheit hatten oder sich stritten, was ebenfalls nicht häufig der Fall war, dann ignorierten sie sich je nach Thema für ein paar Minuten oder Stunden und dann war die Sache wieder vergessen. Normalerweise konnten sie sich beide gut genug im Zaum halten, um nichts zu sagen oder zu tun, wofür man sich entschuldigen müsste. Aber heute war es anders gewesen. „Ich hätte das nicht machen dürfen. Das war blöd von mir und ich mach's auch nie wieder. Ich versprech's“, sagte er mit reuevollem Blick. Einen Augenblick lang stand Kari unschlüssig in der Gegend herum und wusste nicht, was sie machen sollte. Dann ging sie langsam zur Couch und setzte sich neben Tai. „Ähm... okay“, murmelte sie und spielte mit ihren Fingern. „Und T.K. wollte ich auch nicht so dumm anmachen“, redete er weiter. „Aber bei dem Gedanken, dass du und er da... nee.“ Er schüttelte sich, als würde er sich ekeln. „Tai, du warst bei deinem ersten Mal so alt wie ich jetzt. Also, was wäre bitte daran schlimm, wenn ich mit T.K. geschlafen hätte?“, fragte Kari und hob eine Augenbraue. Sie fand es mehr als lächerlich, dass er die Dinge ihr gegenüber nicht einfach beim Namen nennen konnte. Sie war doch kein Kind mehr. Und außerdem hatte sie ihn seinen Freunden gegenüber schon ganz anders reden hören. „Du bist meine kleine Schwester, das ist was anderes“, rechtfertigte Tai sich. „Das ist überhaupt nichts anderes“, widersprach Kari trotzig. „Ich mach' mir doch nur Sorgen, dass dir jemand vielleicht nur an die Wäsche will“, seufzte Tai. Kari schüttelte vehement den Kopf. „Jemand vielleicht, aber nicht T.K. Ich weiß gar nicht, wie du darauf kommst, er könnte sowas vorhaben.“ „Das denke ich ja gar nicht, aber... ich weiß auch nicht.“ Er ließ ergeben die Schultern hängen. „Ich werde mich bei ihm entschuldigen.“ Kari nickte zufrieden. „Du, hör mal. Sora war vorhin hier. Sie hat mir Schokokuchen vorbeigebracht und ich wäre eventuell dazu bereit, ihn mit dir zu teilen“, meinte Tai auf einmal und sah Kari schräg von der Seite an. „Oh“, sagte sie überrascht. „Wie komme ich denn zu der Ehre, dass du mir freiwillig was von deinem geliebten Schokokuchen abgibst?“ Er zuckte großspurig mit den Schultern und winkte ab. „Ach, mit meiner Lieblingsschwester teile ich doch gern.“ Kari kicherte und Tai lief in die Küche, um den Schokokuchen zu holen. Kapitel 26: Mimis Plan ---------------------- Montag, 26. Juni 2006   Mimis Plan begann in der großen Pause am Montag. Tai stand gerade nichts ahnend mit Sora auf dem Schulhof herum, als Mimi und Izzy sich näherten. Schon an Mimis Blick konnte Tai erkennen, dass gleich irgendetwas passierte, mit dem er nicht rechnete. Also versuchte er, sich auf alles gefasst zu machen. Mimi strahlte ihn an und umarmte ihn, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Genervt verdrehte Tai die Augen. „Spiel mit“, zischte sie ihm ins Ohr und so drückte er sie kurz an sich. Sowohl Sora als auch Izzy beobachteten die beiden mit fragenden Blicken. Mimi ließ ihn wieder los und sah ihn fröhlich an. „Ich hoffe, du bist gestern noch gut nach Hause gekommen?“ Verwirrt hob Tai die Augenbrauen. Gestern? Wovon redete sie denn da? Er war gestern kurz einkaufen gewesen, hatte ein paar Hausaufgaben erledigt, war mit Kari Eis essen und hinterher hatten sie zusammen einen Film geschaut. Von alldem konnte Mimi aber eigentlich nichts wissen. Er vernahm ein Blitzen in Mimis Augen und erinnerte sich an das, was sie ihm gerade zugeraunt hatte. „Ja“, sagte er langsam. „Der Weg... war ja nicht so weit.“ Er fing einen verwirrten Blick von Sora auf. „Ich soll dir noch einmal von meiner Mutter sagen, dass du jederzeit wiederkommen kannst. Sie findet dich echt super. Ich weiß gar nicht, warum.“ Mimi grinste und wirkte bei dem, was sie sagte, so überzeugend, dass Tai ernsthaft überlegte, ob er gestern nicht doch bei Mimi war und es nur vergessen hatte. Aber so vergesslich konnte ja kein Mensch sein. „Alles klar. Ich kann ja nächstes Wochenende wieder kommen“, stieg Tai nun noch etwas unsicher in Mimis Spiel ein. „Aber dann musst du unbedingt wieder den Käsekuchen backen.“ „Oh, ich denke, das lässt sich machen. Wenn du diesmal pünktlich kommst, können wir ihn zusammen backen“, erwiderte Mimi ein wenig vorwurfsvoll. „Du weißt schon, dass ich eine Niete im Backen bin?“, sagte Tai wahrheitsgemäß. „Na gut. Dann gibt es halt Backnachhilfe gegen Mathenachhilfe“, beschloss Mimi gut gelaunt. „Backnachhilfe?“, fragte Izzy stirnrunzelnd. „Klar. Du wirst schon sehen. Wenn ich im März wieder zurück fliege, ist Tai ein ausgezeichneter Bäcker“, antwortete Mimi überzeugt und grinste triumphierend, als hätte sie Tai bereits zum Konditor gemacht. „Was habt ihr denn gestern gemacht?“, fragte Sora nun und musterte Mimi neugierig. „Ach, meine Eltern wollten Tai nur unbedingt zum Essen einladen, weil er mir mit Mathe hilft“, antwortete diese abwinkend. „Naja, und jetzt haben sie beschlossen, das regelmäßig zu machen.“ Sie zwinkerte Tai verschwörerisch zu. _ Mimi und Tai trafen sich also nicht nur zur Nachhilfe, sondern auch so. Damit hatte Sora nicht gerechnet. Bisher hatte sie immer den Eindruck gehabt, dass die beiden einander nicht besonders gut leiden konnten, so oft, wie sie sich stritten. Irgendwie verwirrte sie diese Neuigkeit. Sie hatte jedoch keine Zeit, weiter Fragen zu stellen, denn Davis, Kari, T.K., Yolei und Cody schritten entschlossen auf sie, Tai, Mimi und Izzy zu. „Was ist denn mit euch? Ihr seht aus, als ob ihr was vorhabt“, begrüßte Izzy die fünf Jüngeren. „Wir haben uns was überlegt“, eröffnete Davis als Wortführer das Gespräch. „So? Was denn?“, fragte Sora neugierig. „Naja, bald ist doch der erste August. In knapp einem Monat, um genau zu sein“, begann Davis. „Und wir haben an diesem Tag doch schon oft alle was zusammen gemacht.“ „Eigentlich sogar immer. Bis auf letztes Jahr“, stimmte Izzy zu. „Genau. Letztes Jahr ist der Tag ausgefallen und keiner hat sich darum gekümmert“, sagte Yolei und stemmte die Hände in die Hüften. „Deswegen haben wir beschlossen, dass wir dieses Jahr die Aktion in die Hand nehmen. Wenn man es euch überlässt, wird es ja nichts.“ „Was soll das denn heißen?“, murrte Tai. „An mir lag es nicht.“ „Ist doch egal, wer daran schuld ist“, erwiderte Kari ungeduldig. „Ganz genau. Dieses Jahr soll das zumindest nicht wieder passieren. Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir zum ersten August ein paar Tage campen gehen“, erklärte Davis und blickte erwartungsvoll in die Runde. „Campen? Cool, viel Spaß“, sagte Tai und kassierte von Mimi einen Ellbogenstoß in die Seite. „Alle zusammen“, fügte Yolei Davis' Erklärungen hinzu und hob die Augenbrauen. „Alle zwölf.“ „Alle zwölf?“, fragte Izzy verdutzt. „Alle zwölf“, wiederholte Davis und verschränkte die Arme vor der Brust, ganz so, als würde er keine Widerrede dulden. „Aber das geht doch gar nicht. Dafür müssen ja alle Zeit haben“, wandte Izzy nun ein. „Wo ist das Problem? Es sind doch Ferien“, meinte Yolei schulterzuckend. „Wir dachten uns, es könnte bestimmt witzig werden, wenn wir wie in alten Zeiten etwas alle zusammen machen“, sagte Cody und lächelte zuversichtlich. „Also ich finde, das ist eine tolle Idee“, verkündete Mimi. „Der erste August ist doch unser Tag. Wir müssen unbedingt etwas Tolles machen und Camping ist super. Das macht sicher viel Spaß in so einer großen Gruppe.“ Tai schnaubte. „Du bist doch die Erste, die wegen einer Spinne im Zelt in Panik ausbricht.“ „Ach was. Dafür habe ich ja dich. Du kommst doch dann und machst die weg“, meinte Mimi vergnügt und grinste Tai an. „Ja und nachts bring' ich sie dir zurück“, erwiderte er nun ebenfalls grinsend. „Untersteh dich!“, rief Mimi drohend. „Also seid ihr dabei?“, fragte Yolei mit leuchtenden Augen. „Klar, ich versteh' die Frage nicht“, antwortete Mimi lachend. „Ja, ich auch. Ich denke, es könnte durchaus Spaß machen“, stimmte Tai zu. „Hm, also... es sind ja Ferien und... ja... ich denke, ich bin auch dabei“, meinte Izzy und nickte langsam. „Deinen Laptop kannst du ja mitnehmen, wenn es unbedingt sein muss“, sagte Mimi und hakte sich bei ihm unter. „Dann haben wir wenigstens gleich noch Musik und Internet dabei.“ „Was ist mit dir, Sora?“, fragte T.K. nun und sah Sora an, die sich bisher noch nicht weiter dazu geäußert hatte. Auch die anderen wandten sich mit fragenden Blicken an sie. Camping mit der alten Gruppe? An sich eine tolle Idee, aber sie befürchtete, dass das in einer Katastrophe enden könnte, allein schon wegen Tai und Matt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Matt da mitmachen würde. Und wenn doch, würde es sicher komisch werden. Dann war da noch das Problem zwischen Davis, Kari und T.K. Tai und Mimi, die sich dauernd stritten. Und Sora wusste auch nicht, ob sie es so lange in Matts Nähe aushalten konnte. Sie glaubte irgendwie nicht, dass sie alle ein paar friedliche Campingtage miteinander verbringen konnten. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ _ „Was? Warum nicht?“, fragte Yolei verwundert und sah Sora an. Auch die Blicke der anderen waren auf sie gerichtet, die Sora jedoch angestrengt zu meiden schien. „Wir haben doch alle nicht mehr so viel Kontakt zueinander und es gibt so viele... Konflikte. Ich habe Angst, dass dieses Camping alles nur noch schlimmer machen könnte, als es sowieso schon ist“, gestand Sora leise und starrte dabei ihre Füße an. „Aber das ist doch eine gute Gelegenheit, Konflikte aus dem Weg zu räumen“, wandte Yolei ein. „Dann sind wir alle zusammen und können über alles reden.“ „Das ist nicht so einfach“, entgegnete Sora. „Wieso denn nicht? Man muss doch nur den Mund aufmachen“, sagte Davis grinsend. „Ist doch kein Problem. Das kriegen wir schon hin.“ „Und es ist eine gute Gelegenheit, dass wir alle wieder Kontakt zueinander aufnehmen können“, fügte Cody hinzu. „Sora, du musst unbedingt dabei sein“, redete Mimi auf sie ein und sah sie mit bettelndem Blick an. „Ohne dich macht es doch nur halb so viel Spaß.“ „Da muss ich Mimi Recht geben“, stimmte Tai seiner Vorrednerin zu. „Wenn wir sowas machen, müssen auch wirklich alle dabei sein, sonst hat es ja keinen Sinn.“ „Genau“, rief Davis. „Los, Sora, sei dabei“, sagte nun auch Kari und lächelte aufmunternd. „Echt mal. Wir brauchen jedes Mädchen, das wir kriegen können“, lachte Yolei. Sora seufzte ergeben. „Na schön. An mir soll's nicht liegen.“ „Bingo!“, jubelte Yolei und klatschte in die Hände. „Wer fehlt denn jetzt noch? Joe, Matt und Ken, wenn ich mich nicht irre.“ „Also Ken werde ich fragen. Ich sehe ihn morgen wieder“, bot Davis sich an. Yolei nickte. „Wer übernimmt Joe und Matt?“ „Ich kann Joe schreiben. Ich habe noch regelmäßigen E-Mail-Kontakt mit ihm“, meldete Izzy sich zu Wort und Yolei nickte wieder. Es fehlte nur noch, dass sie eine Liste herausholte und sich alles notierte. „Dann bleibt Matt noch für mich übrig“, sagte T.K. schließlich ein wenig mutlos. Er konnte sich noch nicht vorstellen, dass Matt sich darauf einlassen würde. Es würde einiges an Arbeit erfordern, ihn dazu zu überreden. T.K. und die anderen gingen zurück zu ihrem angestammten Pausenplatz und unterhielten sich dabei aufgeweckt über das anstehende Camping. „Ich kann es kaum erwarten, alles zu planen und vorzubereiten“, sagte Yolei aufgeregt. „Also wir brauchen Zelte und Schlafsäcke und Essen und Getränke und...“ „Yolei, komm wieder runter. Es ist noch über ein Monat Zeit“, unterbrach Davis sie genervt. „Mit dem Packen kannst du am einunddreißigsten Juli anfangen.“ „Glaubst du, Matt sagt zu?“, fragte Kari an T.K. gewandt, die anscheinend seine Gedanken gelesen hatte. Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube nicht.“ „Gibt es irgendeinen Weg, wie wir ihn dazu bringen können, zuzusagen?“, fragte Kari weiter. Ratlos schüttelte T.K. den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich werde alles versuchen.“ „Okay. Und ich werde mit Tai reden. Vielleicht ergibt sich irgendetwas.“ _ Es klingelte und Mimi machte sich schon mit Izzy auf den Weg zurück ins Schulgebäude, doch da packte Tai sie grob am Arm und zerrte sie zu sich heran. „Hey!“, beschwerte sie sich. „Das tut doch weh!“ „Was ist dein Plan?“, fragte er und funkelte sie an. „Ich weiß nicht, was du meinst, lieber Tai“, flötete Mimi und machte ein unschuldiges Gesicht. „Tu nicht so. Du weißt genau, was ich meine. Sag mir, was du vorhast, oder ich bin raus aus diesem Schwachsinn“, zischte er. Mimi verdrehte die Augen und ließ sich mit Tai langsam aus der Schülermenge zurückfallen, bis sie sich ganz hinten befanden. „Bist du denn schwer von Begriff?“, fragte sie kopfschüttelnd. „Wir tun einfach so, als würden wir einander näherkommen.“ Perplex sah Tai sie an und runzelte die Stirn. „Hä?“ „Du hast aber auch keine Ahnung, wie Mädchen ticken, oder?“, fragte Mimi genervt. „Hast du nicht bemerkt, wie Sora vorhin reagiert hat, als wir ihr erzählt haben, wir hätten gestern den Tag gemeinsam verbracht? Und hast du nicht gesehen, wie sie geguckt hat, als ich dich umarmt habe?“ „Keine Ahnung, mir ist nichts aufgefallen“, erwiderte Tai verständnislos. Mimi seufzte. „Wir machen sie eifersüchtig, okay? Sie wird denken, dass wir anfangen, uns füreinander zu interessieren. Dann sieht sie, dass du durchaus beliebt bei Mädchen bist. Zur Zeit ist sie daran gewöhnt, dass du dich nur für sie interessierst und weiß das nicht zu schätzen. Aber wenn du jetzt plötzlich Augen für ein anderes Mädchen hast, dann wird sie das stören und sie wird darüber nachdenken, ob es nicht doch ein Fehler war, dich abzuweisen.“ Tai schien eine Weile zu brauchen, das zu verarbeiten. Man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete und er nach einem Ergebnis suchte. Dann schien er eines gefunden zu haben. „Das ist doch kompletter Blödsinn.“ „Ist es nicht“, widersprach Mimi. „Mädchen sind so. Glaub mir.“ „Nur weil du so bist, ist nicht jedes andere Mädchen genauso“, entgegnete Tai und hob eine Augenbraue. „Vielleicht nicht jedes“, räumte Mimi ein, „aber die meisten.“ „Aber Sora bestimmt nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Tai und schüttelte den Kopf. „Mein Gott, was hast du denn zu verlieren? Wie viel schlimmer kann es denn schon werden? Momentan ist sie ja beziehungsmäßig offensichtlich null an dir interessiert.“ „Schon, aber... aber... das ist doch total verrückt!“ Er sah sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Vielleicht. Aber es funktioniert“, sagte Mimi überzeugt. „Also, wie lautet deine Antwort?“ „Meine Antwort lautet, dass du zu viele amerikanische Teeniefilme gesehen hast.“ „Bist du nun dabei oder nicht?“, fragte Mimi ungeduldig. Einige Sekunden durchbohrte Tai sie mit seinen Blicken, aber schließlich nickte er. „Okay. Aber wehe, du verknallst dich in mich.“ Mimi schnaubte. „Ich glaube eher, du hast zu viele amerikanische Teeniefilme gesehen.“ _ Als Yolei am Nachmittag nach der Schule nach Hause kam, fing sie sofort an eine Liste mit Dingen zu schreiben, die sie ins Camp unbedingt mitnehmen mussten. Sie konnte es kaum noch erwarten, dass endlich August war. Sie hatte sich außerdem freiwillig für die Aufgabe gemeldet, einen Zeltplatz zu suchen und zu organisieren. Konnte es nicht schon August sein? Besonders freute sie sich darauf, dass sie dann ein paar Tage mit Ken zusammen sein konnte, vorausgesetzt natürlich, dass er auch mitkam. Aber Davis würde ihn schon überreden können. In der Richtung war auf ihn ja Verlass. Zelte, Schlafsäcke, Essen und Getränke, Campingkocher, Feuerzeuge, Klamotten, Tabletten gegen Kopfschmerzen und Fieber für den Fall der Fälle, Verbandszeug und Pflaster, Badesachen, Campingstühle, Handtücher, Zahnbürsten, Insektenschutz … Konnte nicht schon endlich der erste August sein? _ „Du, Tai?“ „Hm?“ Die Geschwister waren gerade dabei, den Abendbrottisch abzuräumen, als Kari sich an ihren Bruder wandte. „Ich finde es echt gut, dass du dafür bist, dass wir alle gemeinsam campen fahren“, gestand sie und lächelte. Er zuckte nur lässig mit den Schultern. „Wieso sollte ich denn auch nicht dafür sein? Ist doch eine gute Sache, dass wir alle etwas zusammen unternehmen. Haben wir doch schon ewig nicht mehr gemacht.“ „Naja, eben wegen dieser Sache da mit dir, Matt und Sora“, antwortete Kari langsam und sah ihn vorsichtig an. Sie wusste nicht, wie er reagieren würde und ob man dieses Thema überhaupt ansprechen durfte. Schließlich hatte Tai, soweit Kari wusste, noch immer kein Wort mit Matt geredet. Tai sagte nichts, sondern fuhr unbeirrt fort, den Tisch abzuräumen und das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler zu sortieren. „Aber ich glaube, so ein Campingurlaub ist die beste Gelegenheit, so einen Streit beiseite zu räumen, oder nicht?“, redete Kari weiter und bemühte sich um einen zuversichtlichen Tonfall. „Keine Ahnung, werden wir sehen“, murmelte Tai. „Sag mal, Kari, ist es eigentlich okay, wenn ich dagegen bin, dass du und T.K. in einem Zelt schlaft?“ Verdutzt sah Kari ihn an. „Ist es okay, wenn wir es trotzdem tun?“ Tai verzog das Gesicht. „Meine Güte, was hast du denn auf einmal gegen T.K.?“, fragte sie ein wenig genervt. „Ich habe nichts gegen ihn. Ich mag ihn. Aber ihr seid noch zu jung für... nicht jugendfreie Sachen“, antwortete er und schob die Hände in die Hosentaschen. Kari stöhnte auf. „Mann, Tai! Erstens, wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass wir nicht zusammen sind? Zweitens, selbst, wenn wir es wären, würden wir sicherlich nicht im Zelt miteinander schlafen, während ihr anderen alle fröhlich von draußen zuhören könnt. Und drittens, wenn wir zusammen wären, dann könntest du eh nicht verhindern, dass wir 'nicht jugendfreie Sachen' machen, wie du es nennst.“ „Jaja, du hast ja Recht“, murrte er, ohne sie anzusehen. „Tai, T.K. ist nicht Matt, okay? Ich finde es ziemlich unfair, dass du jetzt T.K. gegenüber so misstrauisch bist, nur weil Matt dir Sora ausgespannt hat.“ „Um jemanden jemandem auszuspannen, müsste man erst mal mit demjenigen zusammen sein“, knurrte Tai. „Du weißt, wie ich es meine“, sagte Kari ungeduldig. „Und du weißt, dass ich es nicht böse meine. Ich mache mir nur Sorgen um dich“, antwortete er und nun sah er sie dabei auch an. „Ich will nicht, dass dir jemand weh tut.“ „Tai, ich brauche keinen Babysitter. Ich kann auf mich selbst aufpassen“, erwiderte sie schnippisch. „Rede endlich mit Matt und werde wieder normal.“ _ Matt saß gerade an seinem Schreibtisch, starrte aus dem Fenster und versuchte, das Wirrwarr in seinem Kopf für einen neuen Songtext aufzuschreiben, als er die Türklingel hörte. Er ignorierte sie, weil sein Vater zu Hause war, doch als es kurz darauf an seine Zimmertür klopfte, drehte er sich doch um und unterbrach seine Apathie. „Ja“, rief er und hoffte, es wäre Sora, die gekommen war, um ihm zu sagen, dass sie ihn liebte und bei ihm sein wollte. Nicht, dass das diese komplizierte Situation irgendwie einfacher gemacht hätte, doch er vermisste sie. Ziemlich sogar. Und irgendwie hatte er gehofft, sie würde die Trennung nicht so einfach hinnehmen, sondern ihm nachlaufen und versuchen, ihn umzustimmen, obwohl er nicht sagen konnte, dass er dann eine richtige Beziehung mit ihr eingegangen wäre. Es war alles so kompliziert und Matt wusste nicht mehr, was er denken und fühlen sollte. Doch es war nicht Sora, die die Tür öffnete und zögerlich sein Zimmer betrat, sondern Tai. „Hi“, sagte er monoton. Fünf Minuten später saß er auf Matts Bett, Matt auf seinem Schreibtischstuhl vor dem Bett und sie hatten jeder eine Flasche Bier in der Hand. Noch hatte keiner von ihnen etwas Bedeutungsvolles gesagt und nun schwiegen sie sich schon seit zwei Minuten an und starrten vor sich hin. Schließlich aber holte Tai Luft. „Sei ehrlich, Matt, liebst du sie?“ Matt schwieg einige Sekunden, ohne den Blick von seinem unbestimmten Punkt im Raum abzuwenden. „Mhm.“ Tai seufzte tief. „Habt ihr... hast du mit ihr geschlafen?“ Langsam schüttelte Matt den Kopf. „Ich wollte, aber es kam nicht dazu.“ Tai nickte und nippte an seinem Bier. „Warum hast du mir nicht einfach gesagt, dass sie es ist?“, fragte Matt nun und sah ihn an. „Warum hast du behauptet, ich kenne das Mädchen nicht, auf das du stehst?“ „Keine Ahnung. Ich dachte, dann würde es irgendwie komisch werden zwischen uns“, antwortete Tai schulterzuckend. „Es hätte kaum schlimmer werden können, als es jetzt ist“, meinte Matt etwas spöttisch. Wieder herrschte einige Sekunden lang Schweigen zwischen ihnen. Dann war es erneut Tai, der das Wort ergriff. „Wenn du nicht mit ihr geschlafen hast, was war dann die Sache, für die du dich entschuldigt hast? Was hast du gemacht?“ Matt hob eine Augenbraue. „Eine dämliche Wette abgeschlossen.“ Stirnrunzelnd musterte Tai ihn. Sein Blick hatte sich deutlich verfinstert. „Es ging darum, dass Shin meinte, ich würde Sora niemals rumkriegen. Ich wollte ihm das Gegenteil beweisen.“ Tai seufzte, schloss die Augen und fasste sich an die Stirn. „Was geht nur in deinem kranken Hirn vor? Was? Ich verstehe es einfach nicht.“ Nun war es an Matt, die Stirn zu runzeln. „Ich habe sie verwettet und das war scheiße. Aber ich habe mich entschuldigt und das Ding nicht durchgezogen, okay?“ Mit einem Satz sprang Tai auf und starrte ihn an. „Und damit ist die Sache durch für dich? Merkst du noch was? Dass du überhaupt bereit warst, dich darauf einzulassen!“, brüllte er. „Beruhig dich“, entgegnete Matt, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich soll mich beruhigen, obwohl du das Arschloch bist? Du liebst sie doch gar nicht! Du interessierst dich doch nur für sie, weil du sie nicht flachlegen konntest und spätestens, wenn du hast, was du wolltest, lässt du sie wieder fallen! Tu doch nicht so, als würden dich die Gefühle anderer in irgendeiner Weise interessieren!“ Matt brauchte einen Moment, um auf diese harten Worte zu reagieren. Er stand auf und funkelte Tai an. „Du solltest jetzt gehen. Du bist nicht bei Sinnen. Kannst dich gern melden, wenn du wieder normal bist.“ Fassungslos starrte Tai ihn an. „Du bist ein verdammter Soziopath, Yamato.“ Mit diesen Worten stürmte er aus dem Zimmer. Kapitel 27: Kleine und große Wünsche ------------------------------------ Donnerstag, 6. Juli 2006 Es war der Abend vor Tanabata. Und der Abend vor ihrem siebzehnten Geburtstag. Zum ersten Mal seit einigen Jahren feierte sie ihren Geburtstag wieder in Japan und das Tanabatafest gleich dazu. Sie hatte es in den USA wirklich vermisst. Ihre Eltern hatten im Wohnzimmer ein kleines Bambusbäumchen aufgestellt, an das sie bereits ihre Wünsche gehängt hatten. Mimi hockte schon seit einer gefühlten Ewigkeit vor dem Bambusbaum und fragte sich, was sie sich wünschen sollte. Nicht, weil es nichts gab, was sie sich wünschte, sondern weil sie ein viel größeres Blatt gebraucht hätte, um all ihre Wünsche aufzuschreiben. Zunächst wäre da dieses hübsche, viel zu teure Sommerkleid, das sie letztens gesehen hatte. Sie wollte es unbedingt haben. Sie wusste sogar schon, welche Schuhe sie dazu anziehen konnte. Dann war da diese Sache mit Mathe. Sie wünschte sich, dass sie bessere Noten bekam und ein wenig mehr Matheverständnis. Außerdem wünschte sie sich natürlich, dass ihre alte Gruppe sich endlich wieder zusammenraffte und alle sich besser verstanden. Sie sollten alle ihre Probleme beseitigen. Und sie wünschte sich noch, dass sie mit ihren Eltern in Tokio bleiben konnte. Ja, sie mochte New York sehr, doch Tokio war einfach ihre Heimat, der Ort ihrer Kindheit. Vielleicht gab es irgendeine Möglichkeit, dass ihr Vater hier bleiben konnte. Und wenn nicht, dann wünschte sie sich, dass sie in den USA wieder freundlich aufgenommen wurde. Und zu guter Letzt: einen Freund. Sie wollte sich verlieben und diesen hirnlosen Vollpfosten namens Ethan endlich vergessen. Sie wollte jemanden kennen lernen, der es wert war, geliebt zu werden. Einige Sekunden noch starrte Mimi den rosafarbenen Zettel an, dann zog sie schließlich die Kappe des Stifts ab und schrieb ihren Wunsch auf. Ich wünsche mir, dass alle meine Wünsche in Erfüllung gehen. _ Seine Eltern machten jedes Mal ein Ritual aus dem Abend vor Tanabata. Zuerst gab es etwas Leckeres zu essen, dann saßen sie alle drei am Esstisch mit Stift und Zettel bewaffnet und redeten über ihre Wünsche. Masami Izumi wünschte sich endlich einmal mehr Freizeit, die er mit seiner Frau und Izzy verbringen konnte. Ein normaler Wunsch, den Izzy verstehen konnte. Im Gegensatz zu dem von Yoshie. „Also ich wünsche mir, dass unser Izzy endlich mal ein bisschen lockerer wird und ein Mädchen mit nach Hause bringt“, verkündete sie und sah betreten zu Izzy. „Hä?“ Izzy lief rot an. „Du redest schon wie Mimi.“ „Mimi? Ja, lade sie doch mal wieder zu uns ein. Die ist so süß“, antwortete Yoshie und lächelte verträumt. Izzy hob eine Augenbraue. Mimi und süß? Das konnte man vielleicht über sie sagen, wenn man sie noch nicht so richtig kannte. Aber wenn man sie dann kennen lernte, merkte man, wie verdreht ihr Kopf eigentlich war. „Was wünschst du dir denn, Izzy?“, fragte Masami nun und beide musterten ihren Sohn. „Ähm... ich weiß nicht so recht. Weiterhin Erfolg in der Schule?“ Yoshie seufzte resigniert und stützte den Kopf auf der Hand ab. Masami grinste nur und tätschelte ihre Schulter. „Freu dich doch lieber, dass er glücklich ist.“ Izzy verdrehte die Augen und zückte seinen Stift. Ich wünsche mir, dass ich einfach so sein kann, wie ich will, ohne dass Mama und Mimi an mir herum mäkeln. _ „T.K., hast du deinen Wunsch schon an den Baum gehängt?“ Natsuko streckte den Kopf in sein Zimmer und sah ihn fragend an. „Bin schon dabei“, antwortete T.K., der seinen Wunsch tatsächlich gerade auf einen Zettel geschrieben hatte. Er ging zu dem Bambusbäumchen im Wohnzimmer und hängte seinen Wunsch auf. „Was hast du dir gewünscht?“ „Kannst du dir das nicht denken?“, entgegnete seine Mutter und beobachtete ihn. „Natürlich, dass wir wieder eine Familie werden und Matt das akzeptiert. Was sonst?“ T.K. lächelte. „Da haben wir den gleichen Wunsch. Ich wünsche mir eine Familie. _ Wie jeden Abend kam Sora erst spät nach Hause und wurde schräg von ihrer Mutter angeschaut, die noch wach war. „Was ist?“, fragte Sora verwirrt. „Weißt du, was ich mir gewünscht habe?“ „Gewünscht?“ Verständnislos erwiderte Sora den Blick ihrer Mutter. Diese runzelte nun die Stirn. „Morgen ist Tanabata. Jetzt sag nicht, du hast es vergessen.“ „Oh“, machte Sora und hob die Augenbrauen. „Ich glaube, das habe ich wirklich vergessen. Daran habe ich gar nicht mehr gedacht.“ Toshiko musterte sie und schüttelte langsam den Kopf. „Und da wären wir bei meinem Wunsch. Ich habe mir nämlich gewünscht, dass meine Tochter sich ein bisschen mehr wie ein Mädchen in ihrem Alter benimmt und weniger arbeitet.“ Sie warf die Hände in die Luft. „Kind, du hast überhaupt nichts mehr von deinem Leben. Du arbeitest fast jeden Abend und kommst nie vor zehn nach Hause. Wenn du nicht arbeitest, machst du Schulaufgaben. Du bist jung. Genieße es.“ „Mama, du weißt doch, dass ich nach der Schule auf eine Modeschule gehen möchte. Das kostet eben Geld“, antwortete sie ruhig. „Ja, das weiß ich, aber man darf nicht vergessen, dass man Freizeit braucht. Ich habe nicht den Eindruck, dass du im Moment besonders glücklich bist, Sora. Und ich weiß nicht, ob das an deiner Arbeit liegt oder vielleicht an etwas ganz Anderem.“ „Es ist alles okay. Mir geht’s gut“, versicherte Sora ihr. „Bitte mach dir keine Sorgen. Übernächste Woche sind Ferien und dann kann ich mich ja genug ausruhen.“ Toshiko seufzte und drückte ihr einen Zettel in die Hand. „Wie du meinst.“ Sora wusste schon ganz genau, was sie dort drauf schreiben wollte. Ich wünsche mir, dass Tai, Matt und ich irgendwann wieder ganz normal miteinander befreundet sein können. _ „Davis!“, hörte er seine Schwester kreischen. „Du bist der Einzige, der seinen Zettel noch nicht aufgehängt hat. Mach endlich! Sonst wird das nichts mehr.“ Davis stöhnte genervt. „Jaja.“ Er war gerade dabei gewesen, noch eine Hausaufgabe für morgen zu erledigen. Nun beschloss er, diesen blöden Zettel an den Bambusbaum zu hängen, damit Jun endlich Ruhe gab. Wo hatte er denn jetzt den Zettel hingelegt? Er hatte seinen Wunsch doch schon darauf geschrieben. Genervt kramte er einen neuen aus den Tiefen seines Schreibtischs hervor und zückte einen Stift. Er konnte diesem Brauch nicht sonderlich viel abgewinnen. Was hatten überhaupt zwei Verliebte in der Milchstraße mit der Erfüllung von Wünschen zu tun? Ich wünsche mir eine weniger nervige Schwester. _ Mit ihrem Wunschzettel in der Hand hüpfte Yolei ins Wohnzimmer. Ihre Geschwister waren alle drei extra für Tanabata nach Hause gekommen, da sie dieses Fest immer zusammen als Familie feierten. Der Bambusbaum sah mit sechs bunten Zetteln immer besonders hübsch aus. Das hieß, momentan hingen nur fünf dran, denn wieder mal war der Zettel ihres Bruders der letzte. Wie eigentlich jedes Jahr. Yolei hatte ihren eigenen als Erste angehängt. Sie redete sich ein, dass ihr Wunsch sich dann auch wirklich erfüllen würde, wo er doch dieses Jahr so wichtig war. Ich wünsche mir, dass sich alle wieder miteinander vertragen. _ „Ken, kommst du?“ Seine Eltern sahen ihn erwartungsvoll an, doch Ken blieb auf der Erde vor dem Grab sitzen. „Gleich, noch zwei Minuten“, antwortete er. Seine Eltern verstanden und gingen schon einmal langsam vor, um den Friedhof zu verlassen. Ken wandte sich wieder um und betrachtete den Namen auf dem Grabstein. Ichijouji Osamu. Geboren am 13.10.1988. Gestorben am 09.08.2000. Geliebter Sohn, Enkelsohn und Bruder. Ken dachte oft an ihn, fragte sich, wie er heute wohl aussehen würde. Was für ein Verhältnis sie zueinander hätten. Was aus ihm geworden wäre, wenn Sammy nicht gestorben wäre. Wie ihre Familie dann aussehen würde. Er seufzte leise und hängte seinen Zettel an den Bambusbaum neben Sammys Grab, an welchem schon die Zettel seiner Eltern hingen. Ich wünsche mir, meinen Eltern immer ein genauso guter Sohn zu sein, wie Sammy es war. _ „Hiroki würde sich bestimmt wünschen, dass Cody gut in der Schule ist“, scherzte Chikara Hida und hängte seinen Wunschzettel an den Bambusbaum neben Hirokis Grab. „Opa“, murmelte Cody stirnrunzelnd. „Ich glaube eher, er würde sich Weltfrieden wünschen und dass alle Menschen glücklich sind“, meinte Fumiko und betrachtete nachdenklich den Grabstein. „Cody, was wünschst du dir denn eigentlich?“ „Das Gleiche wie jedes Jahr“, antwortete Cody einsilbig. „Und das wäre?“, fragte Chikara interessiert und musterte ihn. „Sag' ich nicht“, antwortete Cody stur. „Aber wir haben dir unsere Wünsche auch gesagt“, warf Fumiko ein. „Du kannst ruhig darüber reden.“ „Tut mir Leid, aber ich möchte lieber nicht darüber reden“, murmelte Cody. „Jeder braucht seine kleinen und großen Geheimnisse“, sagte Chikara und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Ich wünsche mir, dass ich Papa irgendwann wiedersehe. _ „Wo bleibst du denn?“ „Ich komme ja gleich. Ich muss nur noch meinen Zettel an den Baum hängen.“ „Dann mach schnell. Ich glaube nicht, dass das Kino wartet, bis du damit fertig bist.“ „Jaja, ich mach' ja schon.“ „Also sehen wir uns gleich vor dem Kino, ja?“ „Ja. Bin in fünf Minuten da.“ „Hoffentlich, sonst gehe ich ohne dich.“ Kichernd legte Kari auf. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. „Welchen Film wollt ihr euch eigentlich ansehen?“, fragte Tai, der gelangweilt auf der Couch im Wohnzimmer lag und fernsah. „Fluch der Karibik Teil zwei“, antwortete Kari voller Vorfreude. Sie liebte Jack Sparrow alias Johnny Depp. „Der geht doch so lang. Bringt T.K. dich nach Hause?“ „Ich glaube schon“, antwortete Kari nun ein wenig verärgert, weil Tai schon wieder den Babysitter spielte. „Sag Bescheid, wenn ich dich abholen soll, okay?“, sagte er. „Ja, mach ich“, erwiderte Kari, hängte ihren Zettel an den Baum und tänzelte Richtung Wohnungstür. „Was hast du dir eigentlich gewünscht?“, hörte sie Tai noch rufen. „Geheimnis“, antwortete sie im Singsang. Ich wünsche mir, dass T.K. mich noch mal küsst. _ Seine Eltern waren ausgegangen, um weiter an ihrer Ehe zu arbeiten und nun war auch noch Kari weg, um mit Ishidas Bruder ins Kino zu gehen. Tais Laune konnte kaum noch mieser werden. Was Sora wohl heute Abend machte? Wahrscheinlich arbeiten. Vielleicht traf sie sich auch mit Matt. Tai konnte sich so gar nicht vorstellen, dass die beiden nun wirklich die Finger voneinander ließen. Bestimmt trafen sie sich noch immer heimlich. Daran würde auch dieses blöde Tanabata nichts ändern können, egal, wie sehr er es sich auch wünschte. Ich wünsche mir, dass Mimis bescheuerter Plan funktioniert, auch, wenn ich ihr den Triumph nicht gönne. _ Matt schrieb ein paar Zeilen, strich ein Wort durch, ersetzte es durch ein anderes, strich eine Zeile weg, fügte eine neue hinzu und strich irgendwann die ganze Strophe durch. So ging das schon seit über zwei Wochen. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so unkreativ gefühlt wie in dieser Zeit. Alles, was ihm einfiel, waren Texte über unerfüllte Liebe und Mädchen, die so waren wie Sora. Lustlos riss er das Blatt aus dem Schreibblock heraus, knüllte es zusammen und warf es hinter sich auf den Boden, wo schon einige andere wenig kreative Ergüsse lagen. Er wollte einfach nicht über so einen Blödsinn singen. Er hatte nichts dagegen, Lieder über die Liebe zu singen, aber nicht solch einen depressiven Quatsch. Was war nur los mit ihm? Dieses Mädchen, das er schon so lange kannte, hatte ihn zu einem Trauerkloß gemacht. Und Tai, sein bester Freund, hielt ihn für einen Soziopathen. Und seine geschiedenen Eltern waren immer noch der Meinung, sie könnten ihre Ehe neu aufleben lassen. Ich wünsche mir, eine Musikkarriere zu starten, um diesem ganzen Mist hier zu entkommen. _ „Joe, kommst du ins Bett? Ich bin hundemüde. Und du weißt, ich kann ohne dich nicht einschlafen.“ „Ja, gleich“, antwortete Joe und klickte auf „Senden“. Damit war seine Hausarbeit abgeschickt. Erleichtert seufzend schaltete er den Computer aus und erhob sich. Nami hatte sich unter die Bettdecke gekuschelt und musterte ihn mit verschlafenem Blick. „Hast du die blöde Hausarbeit jetzt endlich fertig?“, fragte sie. „Ja. Es sind zwar jetzt doch zwanzig Seiten, aber ich glaube, es wird ihm gefallen“, antwortete Joe zufrieden. „Na hoffentlich. Immerhin hast du dich jetzt wochenlang damit beschäftigt“, meinte Nami. „Das kann man wohl sagen“, erwiderte Joe und hob die Augenbrauen. Es war die erste Hausarbeit in seinem Studium gewesen, doch er hatte ein gutes Gefühl. Er war zufrieden mit seiner Arbeit und war sich sicher, eine gute Note zu bekommen. Das Thema, die Einwirkung von Stress auf das menschliche Immunsystem, hatte ihn sehr interessiert und so war es nicht so schlimm, eine Hausarbeit zu schreiben, auch wenn es viel Zeit beansprucht hatte. Glücklich schlüpfte er neben Nami unter die Decke und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht. Schlaf schön.“ Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es ist. Freitag, 7. Juli 2006 Es war Mimis Geburtstag. Deshalb hatte Izzy beschlossen, sie vor der Schule von zu Hause abzuholen und mit ihr zusammen in die Schule zu gehen, auch wenn es für ihn ein ziemlicher Umweg war. Darüber würde sie sich sicher freuen. Er hatte sogar ein kleines Geschenk dabei, das er ihr gleich geben wollte. Er drückte auf den Klingelknopf der Tachikawas und wartete, bis die Tür geöffnet wurde. „Oh, hallo Izzy“, begrüßte Frau Tachikawa ihn strahlend. „Möchtest du Mimi abholen?“ „Guten Morgen. Ja, deswegen bin ich hier“, antwortete Izzy verlegen. Mimis Mutter nickte und rief nach Mimi, die schon fertig angezogen hinter ihr auftauchte. Als sie Izzy erblickte, fing auch sie an zu strahlen. „Alles Gute zum Geburtstag“, sagte Izzy und hielt ein pinkfarbenes Geschenktütchen hoch. „Oh“, quietschte Mimi. „Du hast mir ein Geschenk mitgebracht? Wie lieb.“ Sofort machte sie sich daran, es auszupacken, obwohl die Zeit drängte. Izzy warf einen ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr. Wenn sie noch pünktlich zur Vorbereitungszeit da sein wollten, mussten sie genau jetzt losgehen. „Was ist das denn?“, fragte Mimi verblüfft und starrte das Buch an, das sie eben ausgepackt hatte. „Mathematik und ihre Vorzüge?“ Izzy grinste verlegen und zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, vielleicht hilft dir das beim Mathelernen.“ Sie ließ die Hand mit dem Buch sinken und sah Izzy einen Moment an. Frau Tachikawa blickte über ihre Schulter hinweg und musterte neugierig das Cover des Buches. Dann fiel Mimi ihm um den Hals. „Danke. Du bist doof, aber irgendwie auch ziemlich süß“, kicherte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Das ist wirklich eine tolle Idee, Izzy“, lobte Satoe ihn und nahm Mimi das Buch aus der Hand. „Das wird ihr sicher helfen.“ Dann endlich machten sie sich auf den Weg in die Schule. _ Gemeinsam mit Tai, Kari und Davis ging Sora an diesem Morgen zur Schule und starrte gedankenverloren in den wolkenverhangenen Himmel. „Hoffentlich klart es heute Abend auf“, murmelte sie vor sich hin. „Was? Wieso?“, fragte Tai verwirrt. „Weil sich Orihime und Hikoboshi sonst nicht treffen können“, antwortete Kari an Soras Stelle ungeduldig. Tai stöhnte. „Jetzt sagt nicht, ihr glaubt an diesen Quatsch.“ „Natürlich glaube ich daran“, erwiderte Kari nachdrücklich. „Die Geschichte zwischen den beiden ist so schön. Und so traurig“, stimmte Sora zu. „Ja, unglaublich toll“, murmelte Tai sarkastisch. „Eine Weberprinzessin und ein Kuhhirte, die sich nur einmal im Jahr treffen können. Der Traum einer jeden Beziehung.“ „Deswegen hat sie doch traurig gesagt“, entgegnete Kari unwirsch. „Ach, das ist doch alles Blödsinn“, mischte Davis sich nun ein. „Die beiden könnten einfach zusammen durchbrennen und sich eine andere Galaxie suchen. Dann könnten sie sich jeden Tag treffen und auf Orihimes Vater pfeifen.“ „Und außerdem spielt es doch überhaupt keine Rolle, ob es nun wolkig ist oder nicht. Die Milchstraße ist trotzdem da, auch wenn wir sie nicht sehen“, ergänzte Tai. „Ihr seid so unromantisch. Alle beide“, seufzte Sora. „Außerdem, wenn wir die Milchstraße nicht sehen können, erfüllen sich unsere Wünsche nicht“, gab Kari zu bedenken. „Schwesterchen, du bist so naiv“, meinte Tai theatralisch seufzend und tätschelte Kari die Schulter. „Ich habe nur im Gegensatz zu dir einen Wunsch, der sich erfüllen lässt“, entgegnete Kari schnippisch. „Was hast du dir denn gewünscht?“, fragte Sora neugierig. „Das bleibt mein Geheimnis“, antwortete sie verschlossen. „Ach, bestimmt wünscht sie sich ein Einhorn oder so“, sagte Tai und lachte. „Nein, ich möchte dir ja deinen Wunsch nicht wegnehmen“, erwiderte Kari und streckte ihm die Zunge raus. „Also ich habe mir eine andere Schwester gewünscht“, verkündete Davis und die anderen drei verdrehten die Augen. _ In der Pause liefen Tai und Sora schnurstracks auf Mimi und Izzy zu. Tai hatte sich für Mimis Plan heute zu ihrem Geburtstag etwas Besonderes einfallen lassen. Er wollte ihr eine einzelne rote Rose schenken. Und zwar jetzt in der Pause vor Soras Augen, obwohl ihm bei diesem Gedanken nicht ganz wohl war. Eigentlich hätte er die Rose lieber ihr gegeben. Noch war die Blume, die ein Symbol für Liebe darstellte, in buntes Papier gewickelt und man konnte nicht sehen, was sich darin verbarg, doch er hatte bemerkt, dass Sora sie bereits neugierig beäugt hatte. In den letzten Tagen hatten er und Mimi, wann immer es passte, Sora gegenüber zufällig irgendetwas von einem Treffen erwähnt, das in Wirklichkeit nie stattgefunden hatte. Doch Mimi steigerte sich meist so in ihre Lügen hinein und spickte die Erzählungen mit so vielen Details, dass sie glaubwürdig klangen und Sora tatsächlich dazu veranlassten, die beiden mit seltsamen Blicken zu mustern. Als sie bei Mimi und Izzy ankamen, umarmte Sora Mimi und gratulierte ihr zum Geburtstag. Tai tat es ihr gleich. Er hatte sich mittlerweile tatsächlich an diese Umarmungen gewöhnt, auch wenn er das nicht gedacht hätte. Als er Mimi, die ihn anstrahlte, wieder losließ, wickelte er die Rose aus, setzte ein verwegenes Lächeln auf und drückte sie ihr in die Hand. Mimi machte große Augen. Damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet und Tai freute sich, dass er sie aus dem Konzept gebracht hatte. Normalerweise war sie es, die ihn überraschte und nicht umgekehrt. „Tai, ich... oh, danke“, stammelte sie und lächelte süß. „Das ist wirklich lieb.“ „So bin ich eben“, meinte Tai abwinkend und warf einen unauffälligen Blick auf Sora, die Mimi und ihre Rose anstarrte. Als sie bemerkte, dass Tai sie ansah, wandte sie schnell den Blick ab und lächelte. Als sie zehn Minuten später wieder in ihrem Klassenraum saßen, wandte Sora sich schließlich an ihn. „Sag mal, Tai“, fing sie leise an, „hast du vielleicht Lust, mit mir heute auf das Tanabatafest in Odaiba zu gehen?“ Tai musste sich ein Grinsen verkneifen. Sollte Mimis irrer Plan tatsächlich aufgehen oder warum fiel Sora diese Frage ausgerechnet jetzt ein? „Klar. Also eigentlich wollte ich mit Mimi gehen, aber ich denke, es ist okay, wenn ich ihr absage.“ „Oh, nein. Bitte sag ihr nicht wegen mir ab. Sie hat doch heute Geburtstag und...“ „Nein, nein, kein Problem. Ich habe doch in den letzten Tagen so viel Zeit mit ihr verbracht, da ist das schon in Ordnung.“ Er zwinkerte ihr zu und sie lächelte. _ Es war schon kurz nach sieben, als T.K. die Wohnung der Yagamis erreichte und auf den Klingelknopf drückte. Die Tür wurde von Tai geöffnet. „Hi. Kari ist unterwegs“, begrüßte er ihn mit ausdrucksloser Miene. „Okay“, antwortete T.K. ein wenig verwirrt. Kari kam zur Tür gelaufen, lächelte ihn an, ließ ihre Tasche fallen und lief noch einmal zurück mit den Worten „Ich hole nur noch schnell meinen Schirm“. T.K. hatte ihr Lächeln erwidert und fing nun Tais Blick auf, der auf einmal sehr eindringlich wirkte, als versuchte er, ihn zu röntgen. T.K.s Lächeln verblasste und er hob eine Augenbraue. „Was?“ „Wenn du irgendeinen Scheiß mit ihr machst, drehe ich dir den Hals um“, raunte er bedrohlich. Verblüfft starrte T.K. ihn an. „Was ist dein Problem? Was für einen Scheiß sollte ich denn deiner Meinung nach mit ihr anstellen?“ „Wenn du auch nur ein bisschen wie dein verkorkster Bruder bist, wird dir schon was einfallen“, murmelte Tai, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Verkorkster Bruder? Ja, Matt hatte einigen Mist angestellt und war alles andere als ein Unschuldsengel, aber er war immer noch sein Bruder und T.K. fühlte sich fast schon persönlich angegriffen, wenn Tai ihm gegenüber so über Matt redete. Er machte gerade den Mund auf, doch da kam Kari gerade zurück. „Sorry, ich musste den Schirm erst suchen. Er lag unterm Schreibtisch“, erklärte sie fröhlich und schlüpfte eilig in ihre Schuhe. Als sie wieder aufblickte, starrten Tai und T.K. sich immer noch feindselig an. Kari sah verwundert von T.K. zu Tai und wieder zurück. „Alles in Ordnung?“ „Ja. Gehen wir“, antwortete T.K. düster nach einigen Sekunden des Zögerns und wandte sich schließlich von Tai ab. „Viel Spaß“, rief Tai ihnen hinterher und er hörte die Tür ins Schloss fallen. „Was war denn los?“, fragte Kari skeptisch. „Nichts, alles okay“, murmelte T.K. „Ach ja? Und warum habt ihr euch dann angestarrt, als würdet ihr euch gleich an die Gurgel springen?“, fragte Kari spöttisch. „Haben wir gar nicht“, log T.K., obwohl Kari natürlich sofort wusste, dass es nicht stimmte. „Oh mein Gott, sag nicht, Tai hat dir wieder wegen mir gedroht“, fiel ihr plötzlich ein und sie sah ihn durchdringend an. T.K. seufzte. „Kari, alles okay, wirklich.“ Aber für Kari war anscheinend gar nichts okay. „Oh Mann, dieser Idiot! Was ist bloß in ihn gefahren? Der benimmt sich neuerdings total daneben. Es tut mir so Leid, T.K. Das ist mir echt peinlich.“ Sie hatten gerade das Wohnhaus verlassen, als T.K. stehen blieb und Karis Handgelenk umfasste, um sie ebenfalls zum Anhalten zu bringen. „Kari, vergiss es, okay? Wir haben Wochenende und gehen jetzt aufs Fest. Reg dich nicht über Tai auf.“ Kari sah ihn an und kaute verärgert auf ihrer Unterlippe herum, doch schließlich nickte sie und sie gingen weiter. _ Gedankenversunken saß Mimi an ihrem Schreibtisch und starrte die Rose an, die nun in einer schmalen Vase auf dem Fensterbrett stand und einen süßlichen Duft verströmte. Sie hatte nicht damit gerechnet, von Tai etwas geschenkt zu bekommen. Und schon gar nicht ein so zweideutiges Symbol. Sie war sich nicht sicher, ob Tai damit nicht ein wenig zu dick aufgetragen hatte. Andererseits war sie fast schon ein wenig stolz auf ihn, weil er so schnell dazulernte. Mittlerweile stieg er immer ohne Probleme in ihre Schauspielerei ein und ließ sich nicht anmerken, dass er keine Ahnung hatte, wovon sie redete. Und Sora schien auch darauf hereinzufallen. Zumindest wirkte sie immer äußerst interessiert, wenn Tai und Mimi sich über ihre gemeinsamen Unternehmungen unterhielten. „Prinzessin“, hörte sie ihren Vater vergnügt rufen, als er seinen Kopf zur Tür herein streckte. „Es gibt Essen.“ „Ich komme“, antwortete Mimi und stand auf. „Oh, von wem hast du denn die schöne Rose bekommen?“, fragte er und deutete auf die Rose auf dem Fensterbrett. „Von Tai“, antwortete Mimi kurz angebunden. „Dem Fußballer?“, hakte Keisuke nach und klang sofort misstrauisch. „Ja“, seufzte Mimi. „Aber du brauchst dir keine Sorgen machen.“ „Das hoffe ich sehr“, erwiderte er streng. Mimi lächelte schwach und drängte sich an ihrem Vater vorbei aus dem Zimmer. „Ich habe einen riesigen Hunger! Was gibt’s?“ „Dein Lieblingsessen“, rief ihre Mutter fröhlich aus der Küche. „Hühnchen Teriyaki.“ „Oh, lecker“, freute sich Mimi und tänzelte in die Küche. „Und zum Nachtisch gibt es amerikanischen Käsekuchen“, fügte Satoe hinzu und stellte grinsend einen großen Topf auf dem Esstisch ab. „Super!“, rief Mimi. „Aber wir müssen uns mit dem Essen beeilen. Sonst verpassen wir auf dem Fest das Beste!“ _ Gemeinsam gingen Tai und Sora durch die bunt geschmückte Einkaufsstraße. Überall standen Bambusbäumchen, von denen Zetteln in allen möglichen Farben baumelten und im Wind wehten. Es war gerade so, als hingen die Wünsche der Menschen, die die Zettel an die Bäumchen gehangen haben, in der Luft und verbreiteten eine seltsam friedliche Stimmung. Unzählige Lampions spendeten warmes Licht und taten ihr Übriges für die angenehme Atmosphäre. Eigentlich war also alles schön. Und trotzdem blickte Sora besorgt in den Himmel. „Was ist los?“, fragte Tai und beobachtete sie. Sie seufzte leise und wandte den Blick vom Himmel ab. „Der Himmel ist total wolkenverhangen.“ „Es wird schon nicht regnen“, meinte Tai unbekümmert. „Im Wetterbericht haben sie gesagt, heute regnet es nicht.“ „Das meine ich nicht“, erwiderte Sora. „Wenn es wolkig ist, können Orihime und Hikoboshi sich nicht treffen.“ Tai stöhnte auf. „Herrje, jetzt glaub doch nicht diesen Quatsch. Da oben wohnen keine Menschen. Und selbst wenn, wie sollten sie denn die Milchstraße überqueren? Hast du eine Ahnung, wie riesig die ist? Das schafft man doch nicht mal eben so in einer Nacht. Und überhaupt: Was interessiert es die denn, ob es auf unserer winzigen Erde über Japan wolkig ist oder nicht?“ Sora stieß ihm leicht mit dem Ellbogen in die Seite. „Sei doch nicht so unromantisch.“ „Ich bin nicht unromantisch. Ich bin nur realistisch“, entgegnete er überzeugt und schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. Sora schwieg. Natürlich hatte Tai Recht und dort oben konnte niemand leben und mal eben so die Milchstraße überqueren. Doch irgendwie beschäftigte sie die Geschichte über die Weberprinzessin und den Kuhhirten dieses Jahr besonders. Zwei Liebende, die nicht zusammen sein konnten und sich nur einmal im Jahr treffen durften. Vielleicht lag es an Matt, dass ihr die Geschichte heute so naheging. Schließlich waren sie auch ineinander verliebt und durften nicht zusammen sein. Zumindest nicht, ohne einen wichtigen Menschen zu verlieren. Und was mit Tai und Mimi auf einmal los war, das verstand sie auch nicht. Seit wann verbrachten die beiden ihre Freizeit miteinander? Und warum kamen sie auf einmal so gut miteinander aus? Sie wirkten fast schon wie beste Freunde, obwohl sie sich bis vor ein paar Wochen ständig gestritten hatten. Das kam Sora alles sehr spanisch vor und irgendwie störte es sie sogar fast ein bisschen. Sie konnte allerdings nicht genau sagen, warum. „Worüber denkst du nach?“, riss Tai sie aus ihren Gedanken. „Etwa immer noch über die unglückliche Liebe zweier fiktiver Figuren im Weltall?“ Sora verpasste ihm einen leichten Schubs und er lachte. „Du bist blöd.“ „Kümmere dich lieber um zwei real existierende Figuren auf der Erde. Die eine davon hatte nämlich noch kein Abendessen.“ _ „Glaubst du, wir könnten diese Sache zwischen ihnen irgendwie lösen?“, fragte Kari nachdenklich und nippte an ihrer Cola. Sie und T.K. saßen ein wenig abseits vom Fest auf einer Wiese und beobachteten Leute. Die Nacht war warm und schwül und der Himmel machte keine Anstalten aufzuklaren. „Meinst du das mit unseren Brüdern?“, fragte T.K. verwirrt. „Ja, was denn sonst?“, erwiderte Kari. „Ich finde, wir sollten uns da nicht einmischen. Das ist doch auch ohne uns schon verzwickt genug“, meinte T.K. gelassen. „Aber Tai ist wirklich nervig“, seufzte Kari, stellte ihre Cola neben sich ins Gras und schlang die Arme um die angezogenen Knie. „Er ist dauernd schlecht gelaunt, weiß nichts mit seiner Freizeit anzufangen und jetzt macht er auch noch dich dauernd dumm an.“ „Ich glaube, Matt ist mit der Situation auch nicht zufrieden“, murmelte T.K. „Den Eindruck habe ich auch“, stimmte Kari zu. „Und über Sora brauchen wir ja gar nicht erst reden. Der sieht man ja sofort an, wie gestresst sie ist. Also müssen wir doch irgendwas tun, um ihnen zu helfen.“ Ohne zu zögern schüttelte T.K. den Kopf. „Nein, das finde ich nicht. Die kriegen das auch ohne uns hin. Und außerdem hätte ich sowieso keinen Plan, was wir da machen sollten.“ „Eine Ersatzfreundin für Tai finden“, fiel Kari plötzlich ein und sie war überrascht von sich selbst. T.K. sah sie schräg an. „Eine Ersatzfreundin?“ „Ja.“ Sie nickte überzeugt. „Das würde doch das Problem lösen. Wenn Tai endlich einsieht, dass das mit ihm und Sora nichts wird und er eine andere hat, dann können Matt und Sora zusammen sein und alles ist wieder gut.“ Er verzog das Gesicht. „Ich glaube nicht, dass das so einfach ist.“ „Wieso nicht? Wenn er erst mal in eine andere verliebt ist, kann es ihm doch egal sein, was Matt und Sora miteinander haben. Er versteht sich doch mit Mimi so gut in letzter Zeit. Vielleicht können wir sie verkuppeln.“ T.K. schnaubte. „Aber ohne mich. Da mach' ich nicht mit.“ „Wieso nicht?“ „Weil wir uns da nicht einmischen sollten. Das müssen die unter sich regeln. Wir planen doch schon die Aktion mit dem Camping, das ist doch genug Kuppelei.“ „Ach ja, hast du Matt schon gefragt?“ Sie blickte ihn neugierig an. „Nee“, seufzte er. „Eigentlich wollte ich das heute machen, aber es hat sich irgendwie nicht ergeben.“ „Ist Matt auch hier auf dem Fest?“, fragte Kari und hob die Augenbrauen. „Ja, er wollte mit Shin mal vorbeischauen, hat er gesagt“, antwortete T.K. und erwiderte ihren Blick skeptisch. Entschlossen schnappte Kari sich ihre Cola, sprang auf und zog dann an T.K.s Hand, um auch ihn zum Aufstehen zu bringen. „Lass uns ihn suchen.“ „Mann, Kari, ich glaube nicht, dass das klappt“, widersprach T.K., doch Kari war schon losgegangen. Sie hörte ihn genervt stöhnen, wusste aber, dass er ihr folgte. _ Gut gelaunt verspeiste Mimi eine kleine Portion Takoyaki und war dabei äußerst bedacht, ihren neuen Yukata nicht zu bekleckern. Ihr Vater hatte extra für das Tanabatafest neue Yukatas für die Familie springen lassen. Es war eine Überraschung gewesen, die Mimi noch vor dem Frühstück erwartet hatte. Ihr Yukata war sanft lindgrün und über und über mit rosafarbenen Blüten bedeckt. Das lange Haar hatte sie dazu hochgesteckt, zu einem Knoten gebunden und mit einer rosafarbenen Blüte versehen, die zu denen auf dem Yukata, aber auch zu ihren Haarspitzen passte. Ihre Eltern hatten betont, wie wunderschön sie aussah und auch Mimi gefiel sich. Es war ewig her, dass sie einen Yukata getragen hatte. In den USA wurde man natürlich komisch von der Seite angesehen, wenn man in traditionellen japanischen Gewändern auf Sommerfesten aufkreuzte. „Schmeckt das Takoyaki?“, erkundigte sich Satoe lächelnd. „Vorzüglich“, schwärmte Mimi und steckte sich noch eines der Teigbällchen in den Mund. „Oh, und dort vorn ist ein Stand mit Karinto“, verkündete Keisuke und Mimis Blick folgte der Richtung, in die sein Finger zeigte. Dabei entdeckte sie zwei wohlbekannte Gestalten, die sie in diesem Augenblick ebenfalls entdeckten. Schnell wandte Mimi sich an ihre Eltern. „Ähm, geht schon mal vor, ich komme gleich nach. Da sind Tai und Sora“, sagte sie hastig. Sie befürchtete, dass irgendetwas, das sie sagten, Tais und Mimis kleines Spiel vor Sora auffliegen lassen könnte. Keisuke hob fragend die Augenbrauen, doch Satoe zog ihn zum Glück mit sich und zwinkerte Mimi zu, sodass diese sich nun an Tai und Sora wenden konnte. „Hallo“, sagte sie fröhlich und musterte sie. Beide sahen entspannt aus. Anscheinend lief ihr Date gut. Sie war stolz auf sich selbst gewesen, als Tai ihr in einer SMS erzählt hatte, dass Sora mit ihm zusammen zum Fest gehen wollte. „Du siehst gut aus, Mimi“, kommentierte Sora und betrachtete ihren Yukata. „Ich habe auch überlegt, ob ich meinen anziehe, aber ich wollte ihn nicht mit ins Café nehmen.“ „Kommst du etwa gerade von der Arbeit?“, fragte Mimi skeptisch. „Ja. Tai hat mich vorhin abgeholt“, antwortete Sora und lächelte Tai an. „Naja. Es hätte mich auch gewundert, wenn du mal nicht arbeitest“, seufzte Mimi und schüttelte den Kopf. „Das würde ja schon an ein Weltwunder grenzen“, murmelte Tai. „Aber wir müssen jetzt weiter. Es muss ja gefeiert werden, dass Sora mal Zeit hat.“ „Tai“, murrte Sora, doch sie setzte sich langsam wieder in Bewegung. „Na dann bis später, Mimi.“ „Viel Spaß noch.“ Mimi zwinkerte Tai verschwörerisch zu und eilte dann ihren Eltern hinterher. _ Matt hatte keine Ahnung, was er hier eigentlich sollte. Shin hatte ihn so lange genervt, mit ihm aufs Fest zu gehen, dass er schließlich zugestimmt hatte. Dabei war er nicht gern auf Festen unterwegs. Meist war er, genau wie Shin, damit beschäftigt, sich vor aufdringlichen dreizehnjährigen Mädchen zu retten und das nervte ihn. Shin jedoch war auf der Suche nach einer Freundin und sah sich die ganze Zeit, während sie ziellos über das Fest schlenderten, suchend um. Mies gelaunt zündete Matt sich eine Zigarette an. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht einfach allein nach Mädels suchen kannst.“ „Ich brauche dich als meinen Wingman, Mann“, entgegnete Shin verständnislos. „Außerdem ziehst du die Ladys mehr an als ich. Und das, obwohl du sie lieber ausziehst.“ Er lachte über seinen eigenen Witz und Matt verdrehte die Augen. „Momentan ziehe ich überhaupt niemanden aus“, brummte er und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Selbst schuld. Ich kapiere immer noch nicht, warum du Sora die Sache mit der Wette gesteckt hast. Das hätte sie doch nie erfahren müssen. Dann wärst du jetzt mit ihr zusammen“, sagte Shin. „Und Tai würde mich trotzdem hassen“, erwiderte Matt trocken. Shin sah ihn schief an. „Also mal ehrlich. Ich mag Tai, aber ich finde, er sollte sich euch nicht in den Weg stellen. Es ist doch ziemlich egoistisch von ihm, was er da macht.“ Matt zuckte nur mit den Schultern und blies den Rauch aus. Er hatte wirklich keine Lust, jetzt mit Shin über diese Sache zu reden. „Matt!“ Normalerweise, wenn jemand in einer Menschenmenge seinen Namen rief, ging er schnell weiter und hoffte, denjenigen abzuhängen, doch da er die Stimme sofort erkannte, blieb er stehen und auch Shin hielt an und drehte sich um. Dort kamen Kari und T.K. auf sie zugerannt. Er sah sie fragend an, als sie schließlich bei ihnen angekommen waren. „Puh, endlich“, stöhnte Kari erschöpft und strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. „Wir haben dich gesucht. T.K. will mit dir reden.“ „Boah, Kari“, murrte T.K. Matt musste sich ein spöttisches Lächeln verkneifen. Kari hatte seinen kleinen Bruder in der Hand, obwohl sie nicht einmal zusammen waren. Die Kleine hatte es echt drauf. „Na, da bin ich mal gespannt, was T.K. zu sagen hat“, erwiderte Matt und musterte ihn. T.K. machte eine finstere Miene. „Könnten wir kurz...“ Matt nickte verstehend und die Brüder ließen Kari und Shin allein. Sie entfernten sich ein wenig vom Fest und setzten sich auf eine freie Bank „Wo drückt denn der Schuh?“, fragte Matt, als T.K. keine Anstalten machte, das Gespräch zu eröffnen. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich wirklich mit dir darüber reden soll, weil ich eh denke, dass du dagegen bist“, gestand T.K. ohne ihn anzusehen. „Wollen Mama und Papa jetzt etwa zusammenziehen?“, fragte Matt und hob misstrauisch eine Augenbraue. Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. „Was? Nein“, antwortete T.K. verwirrt. „Na, dann kann es ja nicht so schlimm sein“, meinte Matt schulterzuckend. „Also, wir hatten da so eine Idee. Wir haben uns überlegt, dass es ganz cool wäre, wenn wir alle mal wieder als Gruppe was zusammen unternehmen. Und da ja bald der erste August ist, dachten wir, wir könnten ein paar Tage zusammen campen“, erklärte T.K. langsam. Matt ließ diesen Vorschlag erst einmal auf sich wirken und versuchte, über die Folgen eines solchen Campingausflugs nachzudenken. Einerseits konnte er sich nicht vorstellen, dass Tai ihn dabei haben wollte. Es könnte erneut zum Streit kommen und allen den Ausflug verderben. Er konnte sich außerdem nicht vorstellen, ein paar Tage in unmittelbarer Nähe zu Sora zu verbringen, ohne sich von seinen chaotischen Gefühlen für sie etwas anmerken zu lassen. Andererseits würde er so vielleicht noch einmal die Chance bekommen, in Ruhe mit Tai über alles zu reden, ohne dass einer von ihnen die Flucht ergreifen konnte. Und T.K. würde es sicher viel bedeuten, wenn er mitkam. „Was hältst du davon?“, fragte T.K. nach einer Weile, weil Matt sich mit seiner Antwort Zeit ließ. „Ich weiß nicht“, antwortete er zögerlich. „Ich habe ziemlichen Mist gebaut, weißt du? Ich glaube, Tai wäre nicht so begeistert, wenn ich mitkomme.“ T.K. atmete hörbar aus und nickte. „Ich habe mir eh schon gedacht, dass du dagegen bist.“ „Das habe ich nicht gesagt“, widersprach Matt. „Ich finde es eine gute Idee, aber ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn ich dabei bin.“ „Naja, wenn schon, sollten alle dabei sein“, antwortete T.K. und sah ihn hoffnungsvoll an, sodass Matt lächelte. „Ich überlege es mir, okay?“ _ „Du darfst den Letzten essen“, sagte Tai großzügig und schob Sora das letzte Stück ihrer Portion Takoyaki zu. „Wie komme ich denn zu dieser Ehre?“, fragte Sora scherzhaft und kicherte. Tai zuckte nur mit den Schultern. „Du kannst das mehr gebrauchen als ich.“ Mürrisch steckte Sora sich das letzte Stück Takoyaki in den Mund und blickte an sich hinunter. „Sieh mal, der Himmel“, sagte Tai auf einmal und deutete in den Himmel. Sora sah auf und erkannte, was er meinte. Allmählich verzogen sich die Wolken und es waren ein paar Sterne zu sehen. „Die Milchstraße sieht man noch nicht“, bemerkte Sora. „Das kommt schon noch“, erwiderte Tai zuversichtlich und ließ sich nach hinten ins Gras fallen. Sie saßen auf einem kleinen Abhang, tranken viel zu süße Brause und ließen diesen warmen Sommerabend einfach auf sich wirken. Tai verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. „Es ist schön, hier mit dir einfach nur zu sitzen und zu reden“, sagte Sora nach einer Weile leise. „So ein Moment gehört zu denen, die eigentlich ewig dauern sollten.“ „Ich finde es auch schön“, murmelte Tai und öffnete die Augen. Dabei fing er ihren Blick auf. Sie wirkte ein wenig nachdenklich. „Sieh mal, jetzt kann man die Milchstraße sehen.“ Sie wandte sich wieder um und hob den Kopf. Tai setzte sich wieder auf und rückte ein wenig näher an sie heran. „Ja“, flüsterte Sora. „Wie schön.“ „Jetzt kann sich dein blödes Liebespaar doch noch treffen“, stichelte Tai und grinste. Sora warf ihm einen genervten Blick zu und legte den Kopf auf die angezogenen Knie. „Ich glaube, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, dann führt das Schicksal sie auch zusammen.“ Skeptisch hob Tai eine Augenbraue. Was redete sie denn da? Ging es hierbei noch um die beiden Außerirdischen oder wollte sie ihm damit etwas Bestimmtes sagen? Und was hatte sie nur andauernd mit dieser dämlichen Geschichte? Ein wenig traurig starrte sie vor sich hin und schien mit den Gedanken woanders zu sein. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Tai verwirrt. „Die ganze Zeit willst du, dass der Himmel klar wird, damit Orihime und Hikoboshi sich treffen können und nun ist es soweit und das passt dir anscheinend auch nicht.“ Er seufzte theatralisch. „Du bist ja schon wie Mimi.“ Nun lachte sie leicht. „Ich freue mich doch. Bestimmt küssen sie sich gerade.“ Tai verdrehte die Augen. „Vielleicht macht sie ihm aber auch gerade eine Szene, weil er sie in dem ganzen Jahr nicht einmal angerufen hat.“ „Tai!“, rief Sora lachend und verpasste ihm einen Stoß gegen den Oberarm. Dann lehnte sie den Kopf gegen seine Schulter und betrachtete den Himmel. „Ich freue mich übrigens, dass du und Mimi jetzt so gut miteinander auskommt.“ „Och, naja“, stammelte Tai und wusste nicht, was er sagen sollte. Sollte er zustimmen? Es abschwächen? Sich ein paar Lügen ausdenken? „Ich glaube, sie hat sich in mich verliebt.“ Autsch. Es war heraus, bevor es sein Hirn erreicht hatte. Sora hob den Kopf und sah ihn mit großen Augen an. „Glaubst du?“ „Ähm...“ Denk nach, Tai! „Ja, naja sie... sie macht manchmal so komische Andeutungen und so. Weißt du?“ Er versuchte, möglichst cool und beiläufig zu klingen. „Berührt dauernd ganz zufällig meine Hand und umarmt mich ständig und... und sagt so komische Sachen.“ Sora sah ihn noch für einen Augenblick mit gerunzelter Stirn an, dann lehnte sie den Kopf wieder gegen seine Schulter, erwiderte aber nichts. Und Tai befürchtete, dass er zu dick aufgetragen hatte. Kapitel 28: Campingfreuden und -leiden -------------------------------------- Montag, 31. Juli 2006   „Was soll ich bloß drei Tage ohne dich machen?“, fragte Nami und ein vorwurfsvoller Unterton schwang in ihrer Stimme mit. Sie stand mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt und beobachtete Joe dabei, wie er sich die Schuhe anzog. „Es sind ja nicht mal drei Tage“, entgegnete dieser lächelnd. „Übermorgen sehen wir uns doch schon wieder.“ „Aber es ist jetzt gerade mal Vormittag und übermorgen kommst du ja sicher auch erst am Nachmittag zurück. Also zählt das als drei Tage“, widersprach Nami. „Zweieinhalb“, korrigierte Joe sie und stand auf. Nami seufzte, legte die Arme um seinen Hals und verschränkte die Finger hinter seinem Nacken. „Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß. Seid nicht zu unvernünftig.“ „Wir doch nicht“, antwortete Joe abwinkend, küsste sie und machte sich dann von ihr los. „Bis in zweieinhalb Tagen.“ Er schnappte sich seine Reisetasche, in der er alles verstaut hatte, was er für das Camping brauchte, und verschwand aus Namis Wohnung. „Drei!“, hörte er sie noch rufen, doch er befand sich schon auf der Treppe nach unten. Er stieg in den Kleinbus, den sich die Gruppe gemietet hatte, um nicht zu viele Fahrer zu benötigen und fuhr los zum vereinbarten Treffpunkt. Die Einzige, die er an der verabredeten Bank vorfand, war Yolei. „Ah, na endlich!“, rief sie ihm entgegen, als er den Wagen parkte und ausstieg. „Ich dachte schon, ich muss allein campen fahren.“ Joe warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Es war noch eine Viertelstunde Zeit bis um zehn. „Wie lang bist du denn schon hier?“ „Keine Ahnung. Seit zehn Minuten oder so“, antwortete Yolei schulterzuckend. Gemeinsam luden sie ihr Gepäck in den geräumigen Kofferraum. Sie hatte so ungefähr das Dreifache von Joe. „Was ist das denn alles für Zeug?“, fragte er entgeistert und musterte mit einer gehobenen Augenbraue den Berg aus Taschen und Tüten. „Also da drin ist das ganze Essen“, erklärte Yolei und deutete auf eine riesige Tüte. „Und das ist ein Campingkocher. Da drin sind Zelt und Schlafsäcke. Da habe ich Pappgeschirr und Töpfe und so rein gepackt. Und da sind meine Klamotten drin.“ Staunend schüttelte Joe den Kopf und ließ sich auf der Kante des Kofferraums nieder. „Also wenn die anderen auch alle so viel Gepäck haben...“ „Haben sie nicht. Ich war ja für Essen und Geschirr zuständig“, antwortete Yolei unbekümmert. „So und wo bleibt jetzt der Rest?“ Der Nächste, der nach ein paar Minuten eintrudelte, war Izzy und kurz nach ihm kam Cody. Und als Joes Armbanduhr genau zehn Uhr anzeigte, waren noch Sora, T.K., Ken und Matt erschienen, deren Gepäck Joe nach und nach in den Kofferraum quetschte. Allmählich wurde es eng. _ Cody fühlte sich noch ein wenig fehl am Platz, als er gemeinsam mit den anderen herumstand und auf die Vier wartete, die noch fehlten. Er konnte sich noch nicht ganz vorstellen, dass der Campingausflug für ihn so toll werden würde. Immerhin hatte er mit den anderen kaum noch etwas zu tun, was er auch jetzt merkte. Joe, Sora und Izzy unterhielten sich gerade und auch Matt, T.K. und Yolei redeten als Dreiergruppe miteinander. Nur er und Ken standen ein wenig wie begossene Pudel daneben und wussten nicht so richtig, was sie zum Gespräch beisteuern sollten. Cody hatte sich in der siebten Klasse gut eingelebt und einige Freunde gefunden, mit denen er die Pausen verbrachte. Es war selten, dass er mit Yolei oder einem der anderen Zeit verbrachte. Er hatte einfach neue Freunde gefunden. „Mein Gott, wo bleiben die denn?“, rief Yolei genervt und tippte mit dem Fuß auf den Boden. „Dass Davis zu spät kommt, hätte ich mir denken können, aber von Mimi bin ich wirklich enttäuscht.“ „Ganz ruhig“, sagte Matt gelassen. „Wir haben doch Zeit.“ „Nein! Ich hasse Unpünktlichkeit“, motzte Yolei und sah sich um, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Auto von den Yagamis irgendwo zu entdecken. „Vielleicht muss Mimi sich noch schön machen“, witzelte T.K. „Ich glaube eher, Tai muss sich noch schön machen“, murrte Yolei und die anderen lachten. Kurz darauf kam endlich das Auto der Yagamis mit Tai, Kari und Davis an Bord vorgefahren. Frau Yagami und die drei anderen stiegen aus und begrüßten die Gruppe. „Ihr seid zu spät“, knurrte Yolei an Tai gewandt und funkelte ihn an. Dieser runzelte die Stirn. „Wieso? Ich dachte, um zehn wäre Treff?“ „Es ist zehn nach zehn!“, informierte Yolei ihn gereizt und hielt ihm ihre Armbanduhr unter die Nase. „Ich weiß“, antwortete Tai und zuckte mit den Schultern. Verdutzt sah Yolei ihn an. „Um zehn bedeutet für dich also das Gleiche wie zehn nach zehn?“ „Es tut uns wirklich Leid“, entschuldigte Frau Yagami sich mit einem leichten Lächeln bei Yolei. Cody tippte Yolei an. „Yolei“, murmelte er und schämte sich ein klein wenig für sie. „Komm wieder runter. Es sind nur zehn Minuten.“ „Können wir jetzt endlich los?“, rief Davis und blickte auffordernd in die Gruppe. „Nein, weil Mimi noch fehlt!“, rief Yolei wütend und stampfte mit dem Fuß auf. „Tz“, machte Tai und schüttelte gespielt empört den Kopf. „Immer diese Zuspätkommer.“ Die anderen lachten und Yolei sah aus, als würde sie gleich explodieren. Cody tätschelte ihr den Arm und hoffte, dass sie sich wieder beruhigte. Als Mimi dann endlich auftauchte, waren weitere zehn Minuten vergangen. Etwas gehetzt stieg sie aus dem Wagen. „Entschuldigt, wir hatten Stau.“ Sie ließ sich von ihrem Vater zwei große Reisetaschen zu Joes Auto tragen und verabschiedete sich von ihm, bevor er wieder losfuhr, nicht ohne ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Stau?“, fragte Izzy verwirrt. „Es ist es doch von euch aus nur eine Viertelstunde mit dem Auto.“ „Tja, rote Ampeln und Radfahrer und so“, murmelte Mimi ausweichend und half Joe dabei, die Taschen in den sowieso schon überfüllten Kofferraum zu quetschen. Anschließend konnte es endlich losgehen. _ Auf der Rückbank zwischen Davis und Cody gequetscht hockte Kari im Auto ihrer Mutter und sah aus dem Fenster. Sie beobachtete, wie sich die Reihen der Hochhäuser allmählich lichteten und die Gegend ländlicher und grüner wurde. Das Camp, das sie gebucht hatten, lag nördlich von Tokio an einem See und versprach viel Ruhe. Kari freute sich schon wahnsinnig, aus der Stadt herauszukommen und ein wenig Landluft zu schnuppern und die Natur zu genießen. Hoffentlich wurden es drei angenehme Tage. Nach zwei Stunden Fahrt waren sie endlich da. Davis und Tai hatten auf der Hinfahrt pausenlos geplaudert, hauptsächlich über Fußball, und Kari war froh, ihnen zu entkommen. Als sie neben dem Kleinbus von Joe eingeparkt waren, kletterte sie nach Cody aus dem Auto und streckte sich. Anschließend machten sich alle bis auf Yolei daran, das ganze Gepäck auf den Campingplatz zu schleppen. Yolei ging in der Zeit zur Rezeption und checkte ein. Obwohl sie schon so viele Träger waren, mussten sie trotzdem allesamt zwei Mal gehen, um das ganze Gepäck auf die Grünfläche zu schleppen, auf der sie die Zelte aufbauen wollten. Als die unzähligen Taschen und Koffer ungeordnet zu einem Haufen zusammengestellt worden waren, verabschiedete sich Yuuko von der Gruppe und machte sich auf den Weg zu Karis Großeltern, die hier in der Nähe wohnten. In zwei Tagen wollte sie sie dann hier wieder abholen kommen. „So“, sagte Tai, stemmte die Hände in die Hüften und musterte die noch verpackten Zelte. „Wer schläft jetzt mit wem in einem Zelt?“ „Ken und ich auf jeden Fall“, verkündete Davis sofort, ging zu Ken, der leicht lächelte und legte ihm einen Arm um die Schultern. Tai hob eine Augenbraue und sah Ken an. „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“ „Ich ergebe mich einfach meinem Schicksal“, seufzte Ken gespielt resigniert und alle lachten, während Davis ihn gegen den Arm boxte. „Dann könnt ihr ja schon mal anfangen, euer Zelt aufzubauen“, sagte Joe und warf den beiden eines der Zelte zu. „Sora schläft mit mir in einem Zelt“, bestimmte Mimi und ließ sich von Joe ein weiteres Zelt geben. „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“, fragte Tai nun auch an Sora gewandt, woraufhin Mimi die Arme vor der Brust verschränkte. „Ich bin der beste Zeltpartner überhaupt“, rief sie, griff nach Soras Hand und zog sie hinter sich her in die Richtung, in die Davis und Ken gegangen waren. „T.K. und ich teilen uns auch ein Zelt“, sagte Kari nun und machte sich schon auf Tais Widerspruch gefasst. Dieser sah sie genervt an. „Muss das sein?“ „Ja, das muss sein“, antwortete sie kurz angebunden. Er sah sie einen Moment lang an und Kari dachte schon, er würde nachgeben. Immerhin hörten hier noch andere Leute zu, doch sie hatte sich getäuscht. „Ich erlaube das nicht. Schlaf einfach mit Yolei in einem Zelt“, sagte Tai kühl und wollte sich schon an den nächsten wenden, doch Kari wurde wütend. „Ach, und du denkst, das interessiert mich, ob du das erlaubst oder nicht? Ich schlafe mit T.K. in einem Zelt und fertig. Und mir ist es auch vollkommen schnuppe, was du dazu sagst“, beschloss sie. Yolei war der Mund aufgeklappt und die anderen taten so, als würden sie nicht mehr zuhören und sich mit ihrem Gepäck beschäftigen. „Kari, lass doch...“, fing T.K. an, doch Kari schüttelte unwirsch den Kopf. „Nichts lass' ich“, zischte sie. „Du bist vierzehn. Du schläfst mit Yolei in einem Zelt“, sagte Tai ruhig, funkelte sie jedoch bedrohlich an. „Genau, ich bin vierzehn. Irgendwann muss ich ja mal entjungfert werden“, platzte Kari heraus. Yolei riss die Augen auf, Matt runzelte die Stirn, Joe, Izzy und Cody taten einfach weiterhin so, als hätten sie nichts gehört. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie T.K. neben ihr sich ruckartig zu ihr umdrehte. „Mein Gott, was ist los mit dir? Spinnst du?“, rief Tai. „Kannst du nicht einfach tun, was ich sage? Du machst dich gerade total zum Löffel!“ „Fragt sich, wer sich hier wirklich zum Löffel macht!“, konterte Kari und starrte ihn feindselig an. Sie konnte sehen, wie Tai tief durchatmete. „Du schläfst in einem anderen Zelt als T.K. Punkt.“ „Nein, das werde ich nicht. Ich werde mit ihm in einem Zelt schlafen und weißt du was? Wir werden die ganze Nacht Sex haben!“ Yolei prustete los, Izzy verschluckte sich an dem Wasser, das er gerade trinken wollte und Cody lief rot an. „Ähm... hallo?“, meldete T.K. sich neben ihr. „Tja, wenn er nach seinem Bruder kommt, hält er das vielleicht sogar durch“, murmelte Tai gerade laut genug, dass alle ihn verstehen konnten. Kari warf ihm einen aggressiven Blick zu, schnappte sich eines der Zelte von Joe und marschierte in die entgegengesetzte Richtung davon. _ „Ich glaube, ich spinne!“, rief Tai, nachdem Kari und T.K. sich ein wenig entfernt hatten, und raufte sich die Haare. „Das gibt’s doch nicht! Die hat doch total einen an der Klatsche!“ „Kommt schon, hört doch bitte auf zu streiten“, sagte Joe nun und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Doch Tai wollte sich nicht beruhigen. Seine Schwester regte ihn gerade zu sehr auf. „Lass sie doch einfach in einem Zelt schlafen, Tai. Das meint sie doch eh alles nicht ernst“, fügte Yolei hinzu. Dass Kari ihn nur hatte provozieren wollen, war ihm auch klar, aber trotzdem könnte er gerade explodieren. Was war nur mit Kari los? Drehte sie denn vollkommen durch? „Sieh mal. Ich schlafe einfach mit Cody in einem Zelt, ja?“, redete Yolei weiter. „Und ich gehe mit Matt in ein Zelt und du mit Izzy und schon ist alles geregelt“, ergänzte Joe und hielt nach Matt und Izzy Ausschau. Izzy kramte gerade in seiner Tasche herum und Matt hatte sich einige Schritte von dem Grüppchen entfernt, saß im Gras und rauchte eine Zigarette. Auf Tais Spitze war er nicht eingegangen. Tai stieß einen Seufzer aus und nickte schließlich beim Anblick von Yoleis verzweifeltem Gesicht. Also machten sich auch die restlichen drei Paare daran, die Zelte aufzubauen. Wenig später hatten sie alle mehr oder weniger erfolgreich ihre Zelte zusammengezimmert und sie in einem Halbkreis zum See hin aufgestellt. Als Außenstehender konnte man fast denken, hier würde sich eine Gruppe Freunde auf ein paar gemütliche Tage am See vorbereiten. Doch Tai bereute, dass er sich auf diesen Trip eingelassen hatte. Seine Schwester nervte ihn, T.K. auch und Matt hatte er noch nicht einmal angesehen bisher. Dabei hatte er diesem Urlaub zugesagt, um sich ihm wieder etwas anzunähern. Was er jedoch kurz nach der Zusage von seinem angeblich besten Freund erfahren hatte, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Es schien, als wäre der Ausflug jetzt schon zum Scheitern verurteilt. Aber vielleicht fiel Mimi ja noch etwas ein. _ Sie hockten nebeneinander im Zelt auf ihren gerade aufgepumpten Luftmatratzen und breiteten Schlafsäcke und Decken aus, als T.K. sich an Kari wandte. Während des Zeltaufbaus hatten sie nur das Nötigste miteinander geredet und sich kaum angesehen. „Sag mal, was sollte das eigentlich vorhin?“, fragte er und sah sie finster an. Sie blickte nicht auf, hielt jedoch inne. „Entschuldige, ich wollte dich eigentlich nicht mit reinziehen. Tai geht mir nur so schrecklich auf die Nerven. Ich hasse es, dass er mich behandelt, als wäre ich ein kleines Kind. Und dass er neuerdings so tut, als wärst du der Feind.“ „Aber... die ganze Nacht Sex? Ernsthaft? Musste das sein? Mein Bruder war zufällig auch dabei, falls du das nicht gemerkt hast.“ Nun sah sie ihn doch mit bedauerndem Blick an. „Tut mir Leid. Ich wollte nur, dass er rafft, wie lächerlich er sich aufführt mit dem, was er von uns denkt. Du weißt doch, dass das nicht ernst gemeint war. Und Matt weiß das auch.“ T.K. seufzte und zuckte mit den Schultern. „Ach, was soll's.“ „Hat er sich eigentlich bei dir entschuldigt?“, fragte sie nun. „Wofür?“ Verwundert sah er sie an. Kari stöhnte genervt. „Na für sein Verhalten dir gegenüber. Aber anscheinend hat er es nicht getan. Oh, ich könnte ihn...“ Sie kramte ein Kissen aus ihrem Rucksack hervor und warf es lieblos auf das Kopfteil ihrer Luftmatratze. „Und alles nur, weil er unglücklich verknallt ist. Der hat sie doch nicht mehr alle! Der soll seine Laune gefälligst nicht an Unschuldigen auslassen!“ „Es geht ihm halt nicht so gut im Moment“, meinte T.K. Verblüfft sah Kari ihn an. „Du verteidigst ihn auch noch? Echt, T.K., du bist zu nett für diese Welt. Gerade du solltest ihn doch schrecklich finden momentan.“ T.K. zuckte mit den Schultern. „Nein, irgendwie kann ich ihn ein bisschen verstehen. Er versucht ja nur, dich zu beschützen. Ich würde auch alles dafür tun, zu verhindern, dass einer irgendeinen Scheiß mit dir abzieht.“ Er wusste nicht, ob es durch das Sonnenlicht kam, das durch das orangefarbene Zeltdach seltsam rötlich erschien, oder ob Kari tatsächlich rot anlief. „Ähm... drehst du dich bitte um?“, murmelte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens. „Ich würde gern meinen Bikini anziehen.“ _ Fast alle aus der Gruppe saßen mittlerweile auf der kleinen Sandfläche direkt am Wasser vor ihren Zelten und unterhielten sich grüppchenweise. Yolei genoss die momentan friedliche Atmosphäre sehr, hatte aber ein wenig Angst, sie könnte schon bald wieder vorbei sein. Es fiel auf, dass Tai und Matt einander mieden, als hätten sie ansteckende Krankheiten und auch Kari hatte gerade keinen freundlichen Blick für Tai übrig. Hoffentlich konnten alle ihre Streitigkeiten in diesem Kurzurlaub klären. Immerhin waren sie ja gezwungen, Zeit miteinander zu verbringen und waren auch zumindest ein wenig aufeinander angewiesen. Sora und Mimi kletterten aus ihrem Zelt und gesellten sich zu der Gruppe. Yolei schob ihre Brille zurecht und musterte Sora genauer. „Sag mal, isst du eigentlich noch was?“, fragte sie skeptisch. Auch die anderen drehten sich bei Yoleis Frage zu Sora um. Sie war zwar schon immer schlank gewesen, doch jetzt, wo sie nur einen Bikini trug, war zu sehen, dass sie eigentlich nur noch aus Haut und Knochen bestand. Ihre Hüftknochen traten spitz am Rand der Bikinihose hervor, ihre Schlüsselbeine wirkten kantig und zwischen ihren Brüsten konnte man sogar einzelne Knochen des Brustkorbs ausmachen. Ihre Knie wirkten knubbelig und irgendwie etwas zu groß für die dünnen Beine. „Siehst du? Ich hab' dir doch gesagt, du bist zu dünn“, sagte Mimi an Sora gewandt und breitete mit ihr zusammen eine Decke aus. Dabei konnte man auf Soras Rücken die einzelnen Halswirbel ihrer Wirbelsäule erkennen. Sora schien die Situation unangenehm zu werden, denn sie setzte sich auf die Decke, schlang die Arme um die angezogenen Knie und murmelte etwas Unverständliches. „Nein, sie hat Recht. Du bist wirklich ganz schön dünn geworden“, sagte Tai nun mit einer Sorgenfalte auf der Stirn. „Ich studiere zwar noch nicht so lang Medizin, aber du solltest wirklich zu einem Arzt gehen“, mischte sich nun auch Joe ein. „Könntet ihr vielleicht aufhören, mich anzustarren?“ Mit rot angelaufenem Gesicht sprang Sora auf und ging zurück ins Zelt. „Jetzt warte doch!“, rief Tai ihr noch hinterher, doch sie ignorierte ihn. „Lasst sie doch einfach in Ruhe“, warf Matt nun ein. „Sie weiß doch, wie sie aussieht.“ „Aber wir machen uns doch nur Sorgen“, erwiderte Yolei und blickte noch immer auf den Zelteingang, den Sora eben geschlossen hatte. „Trotzdem solltet ihr sie nicht alle gleichzeitig darauf ansprechen“, meinte nun auch Kari neben ihr. „Ich hätte mich an ihrer Stelle jetzt auch verzogen.“ _ Sie verbrachten die Zeit bis zum späten Nachmittag an ihrem kleinen Fleckchen Strand, schwammen hin und wieder im See, hielten einen Mittagsschlaf oder unterhielten sich einfach über alles Mögliche, was so in den vergangenen Wochen und Monaten passiert war. Sora war nach einer Weile wieder zur Gruppe gestoßen, allerdings mit T-Shirt und Shorts bekleidet. Irgendwann hatte sich bei den meisten der Hunger gemeldet und so war Yolei aufgesprungen und zu ihrem Gepäck gestürmt, um ein Abendessen zuzubereiten. Es war unglaublich, was sie alles dabei hatte. Sie reservierten sich einen der Grills auf dem Grillplatz und Yolei machte sich gemeinsam mit Davis und Ken daran, alles für einen Grillabend vorzubereiten, während Tai und Izzy versuchten, den Grill anzuheizen. „Was soll ich machen?“, fragte Davis lustlos. Er hatte eigentlich keine Lust, sich an der Essensvorbereitung zu beteiligen. Lieber wäre er noch ein paar Runden im See geschwommen, doch Yolei hatte ihn nahezu dazu verdonnert, ihr zu helfen. „Du kannst schon mal das Gemüse schneiden“, antwortete sie und deutete auf einen Beutel voller Gemüse. Paprika, Zucchini, Aubergine, Champignons. „Gemüse?“ Davis verzog angewidert das Gesicht. Zum Grillen gehörte Fleisch und nur Fleisch. „Ja, Gemüse. Du musst es ja nicht essen“, erwiderte Yolei bissig. „Und was kann ich machen?“, fragte Ken viel freundlicher als Davis. „Du kannst den Tisch decken, wenn du magst. In der Tüte da sind Teller und Besteck“, wies Yolei ihn an und lächelte. Ken nickte gehorsam und schnappte sich die Tüte, auf die sie gedeutet hatte. „So und ich versuche, zu kalkulieren, wie viel wir brauchen“, sagte Yolei, stemmte die Hände in die Hüften und begutachtete den Berg an verpacktem Grillfleisch. „Wieso? Wir müssen doch eh alles grillen, sonst wird es schlecht“, meinte Davis und hob eine Augenbraue. Yolei sah ihn verblüfft an. „Mensch, Davis, du kannst ja mitdenken!“ „Was soll denn die Spitze jetzt?“, murmelte Davis verärgert und machte sich daran, eine Zucchini in Stücke zu schneiden. „Sieh es positiv: Du kannst mich immer wieder überraschen“, antwortete sie grinsend. Sie nahm sich einen Berg Fleisch und schleppte ihn zum Grill. Während Davis sich über sie ärgerte, passte er nicht auf und schnitt sich in den Finger. Er schrie auf und hielt seinen Finger hoch, von welchem Blut tropfte. „Ich blute, ich blute!“ Die anderen drehten sich zu ihm um und Yolei verdrehte genervt die Augen. „Echt jetzt? Kann vielleicht mal jemand Gemüse schneiden, der sich nicht so doof anstellt wie Davis?“ „Kannst du vielleicht mal die Klappe halten?“, fauchte Davis und hielt sich verzweifelt den Finger. Dem Blut nach zu urteilen, das aus der Wunde quoll, hatte er sich mindestens die Fingerkuppe abgetrennt. „Ich mach' schon“, meldete Cody sich und löste Davis beim Gemüseschneiden ab, während Joe sich um Davis kümmerte. Mit einem Verbandskasten in der Hand kam er auf ihn zu. „Zeig mal her“, forderte er Davis auf, der ihm seinen Finger hinhielt. „Ist es schlimm?“, fragte er nervös. „Ach was“, erwiderte Joe und drückte ein Tuch auf die Wunde, um das Blut abzutupfen. Anschließend spritzte er irgendein Desinfektionsmittel über Davis' Finger und klebte ein Pflaster über die Wunde. „So, schon fertig.“ „Danke“, nuschelte Davis und betrachtete das Pflaster. „Du warst wirklich sehr tapfer“, sagte Mimi sarkastisch, die das Geschehen beobachtet hatte. „Dafür hast du dir eine Medaille verdient.“ „Ich werde nachher eine Ode an dich singen“, fügte Matt mit todernstem Gesicht hinzu. „Ihr seid doch bescheuert“, murrte Davis und die anderen lachten. _ Dank Yolei, Ken und Cody und auch Tais und Izzys Grillkünsten schmeckte das Abendessen hervorragend, auch wenn das ein oder andere Steak etwas angebrannt war. Nachdem sie alles wieder aufgeräumt hatten, machten sie sich ein Lagerfeuer und positionierten sich darum herum auf dem Gras. Zunächst redeten sie nur, doch irgendwann bat Yolei Matt seine Gitarre zu holen und Lieder zu singen. Dieser sträubte sich zunächst, doch als auch die anderen auf ihn einredeten, gab er schließlich nach und holte seine Gitarre. „Du kannst ja was spielen, was wir alle kennen und dann singen wir alle zusammen“, schlug Mimi vor und stieß damit auf Begeisterung. Und dann begann die Suche nach Liedern, die alle kannten, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht. Am Ende landeten sie bei japanischen Kinderliedern und anderen, die sie alle im Musikunterricht in der Schule gelernt hatten. Doch sie hatten alle viel Spaß dabei. Während sie gemeinsam die Lieder mit grölten, schien vergessen zu sein, dass die Hälfte der Gruppe miteinander verkracht war und man hätte auf die Idee kommen können, hier saß eine Gruppe von Freunden zusammen, bei denen alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Nun, zumindest für Izzy war irgendwie auch alles schön. Er hatte in Mimi erneut eine gute Freundin gefunden, die zwar manchmal anstrengend war, ihm aber trotzdem den Alltag in der Schule auf ihre eigene Art und Weise verschönerte. Jetzt saß sie neben ihm im Gras, hakte sich ab und an bei ihm unter, um ihn zum Schunkeln oder Mitsingen zu bewegen und wirkte, als könnte kein Wässerchen sie trüben. Ja, sie war in den letzten paar Monaten ein wichtiger Mensch für ihn geworden. Das Feuer brannte allmählich herunter und Tai hatte aufgehört, neues Holz nachzulegen, sodass irgendwann kaum mehr als eine Glut übrig war. Die meisten aus der Gruppe, inklusive dem Gitarrenspieler, hatten sich schon in ihre Zelte verabschiedet und befanden sich wahrscheinlich schon im Land der Träume. Mimis Kopf sackte gegen Izzys Schulter. Dies schien für Joe, mit dem Izzy sich in der letzten Stunde viel unterhalten hatte, das Zeichen zu sein, zu gehen. Er streckte sich und stand auf. „Ich gehe dann auch mal schlafen. Gute Nacht und macht nicht mehr so lang.“ Er zwinkerte Izzy zu und ging zu dem Zelt, in dem er und Matt schliefen. „Hey, Mimi“, sagte Izzy und rüttelte sie leicht am Arm. „Was?“ Sie sah ihn mit müden Augen an. „Ich glaube, ich gehe auch schlafen.“ „Ja, ich auch. Wir müssen ja morgen was vom Tag haben“, stimmte Izzy ihr zu. Sie nickte verschlafen. „Ich finde es übrigens toll, dass du hier bist.“ Er zuckte lässig mit den Schultern. „Naja, es ist ja nicht so, als hättest du mir eine Wahl gelassen.“ Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Seite. „Manchmal muss man dich eben zu deinem Glück zwingen. Was ist denn eigentlich aus diesem Mädchen von damals geworden?“ Zuerst wusste Izzy nicht, was sie meinte, doch dann fiel ihm dieser Club ein, in den sie ihn geschleift hatte. Er lief rot an und kratzte sich am Kopf. „Ach, jetzt hör doch mit der auf. Ich hab' ja nicht mal ihre Nummer.“ Mimi seufzte tief. „Das müssen wir besser hinkriegen. Beim nächsten Mal klappt's, versprochen.“ Izzy klappte der Mund auf. „Aber Mimi, ich...“ „Nichts aber. Wir finden schon einen Deckel für dich.“ Sie lächelte verschwörerisch, bevor sie aufstand und zu ihrem Zelt ging. _ Es musste schon tief in der Nacht sein, vielleicht auch schon fast wieder Morgen. Zumindest glaubte Sora nicht, dass es noch lange dauern würde, bis der Morgen graute. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt und hockte zusammengekauert im Sand etwas abseits von den Zelten. Wie lange sie hier schon saß mit dem Kinn auf den Knien wusste sie nicht. Jedes Zeitgefühl schien verloren. Der Vollmond spiegelte sich in der glatten Wasseroberfläche und tauchte alles in ein silbriges Licht. Die Sterne funkelten am Himmel und ab und zu schien einer von ihnen durch die Dunkelheit zu huschen und zu erlöschen. Sora beobachtete die Umgebung, während sie in Gedanken vertieft war. Sie hatte nicht schlafen können, wie so oft in letzter Zeit. Heute gingen ihr die Bemerkungen nicht aus dem Kopf, die Mimi, Yolei, Tai und Joe über sie gemacht hatten. Sie wusste, dass sie ein wenig abgenommen hatte, doch dass sie anscheinend ungesund dünn aussah, war ihr nicht klar gewesen. Doch sie hatte einfach nie wirklichen Hunger und außerdem kam sie häufig auch nicht dazu, etwas zu essen, weshalb sie das Mittagessen oder das Abendbrot des Öfteren einfach ausfallen ließ. Doch anscheinend hatte sich der Stress, dem sie seit einiger Zeit ausgesetzt war, nun sichtbar gemacht. Joe hatte ihr sogar gesagt, sie sollte zu einem Arzt gehen. Sie hob den Kopf, als sie hörte, dass sich ihr jemand näherte. Es war Matt. Wie selbstverständlich setzte er sich neben sie, zog die Knie an und legte die Arme darauf ab. „Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte sie überflüssigerweise. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. „Aber es lohnt sich, wach zu sein“, redete Sora weiter. „Der Himmel ist so schön.“ „Mhm“, machte er und hob nun auch den Kopf zum Himmel. Dann wandte er sich wieder an sie. „Tut mir Leid, dass du wegen mir... so viel Ärger hast.“ Sie sah ihn verwundert an. „Wegen dir?“ „Naja, erst diese Sache mit der Wette und was auch immer wir da hatten und dann das mit Tai und jetzt das hier“, erklärte er leise. Sora zuckte mit den Schultern. „Das ist doch nicht deine Schuld.“ „Doch“, widersprach er. „Ich wünschte, wir wären einfach Freunde geblieben und hätten gar nicht erst mit den Dates angefangen.“ „Was? Nein, nein“, sagte Sora ein wenig erschrocken darüber, wie er dachte. Sie griff nach seiner Hand, verschränkte ihre Finger ineinander. „Das hier ist doch so schön. Es fühlt sich so gut an, das zu fühlen.“ „Wenn man auf Schmerzen steht vielleicht“, murmelte Matt mit finsterer Miene, zog jedoch seine Hand nicht weg. „Vielleicht sollte es eh nur für jetzt bestimmt sein. Eine richtige Chance hatten wir von Anfang an nicht“, überlegte Sora. „Wieso nicht?“, fragte er irritiert. „Wegen Tai?“ Langsam schüttelte sie den Kopf. „Wir gehen doch nach der Schule wahrscheinlich beide ins Ausland. Und wenn nicht direkt nach der Schule, dann wenigstens im Laufe der Jahre danach. Und spätestens dann wäre diese Beziehung sowieso vorbei.“ Sie lächelte traurig. „Ich glaube, es war von Anfang an nur für kurze Zeit gedacht.“ „Ich glaube, das mit dem Ausland hätte man schon irgendwie regeln können, wenn man will“, antwortete Matt. Sora erwiderte nichts, sondern lehnte nur den Kopf gegen seine Schulter und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Landschaft. So saßen sie einige Minuten schweigend dort, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Er hatte Recht. Es tat weh. Es tat weh, hier so dicht neben ihm zu sitzen, ihn zu lieben, aber nicht mit ihm zusammen sein zu können, ihn nicht küssen zu dürfen. Sie atmete seinen unbeschreiblichen Duft ein und versuchte, ihn sich für immer im Gedächtnis zu speichern. „Du hast mir den Kopf verdreht, Sora“, ergriff Matt plötzlich wieder das Wort. Sie hob den Kopf und sah ihn fragend an. „Ich kann kaum noch an etwas anderes denken. Ich träume nachts manchmal von dir und in der Schule hoffe ich immer, dir über den Weg zu laufen. Meine Band ist von mir genervt, weil ich nur noch tiefsinnigen Scheiß texte. Ich würde unsere Trennung um jeden Preis rückgängig machen, aber ich kann's nicht.“ Sie sahen sich in die Augen und Sora konnte in seinen den Schmerz erkennen. Ob ihre Augen wohl auch so aussahen? Sie schluckte und blinzelte ein paar Mal, weil sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte gedacht, sich nicht mehr mit Matt zu treffen würde ihr dabei helfen, diese Gefühle für ihn wieder zu verlieren, doch irgendwie war genau das Gegenteil eingetreten. Es war, als hätten sie sich dadurch erst bestätigt, wenn nicht sogar verstärkt. Ohne Vorwarnung schlang sie die Arme um seinen Hals, presste ihre Lippen auf seine und drängte sich rittlings auf seinen Schoß. Sie konnte sich auch nicht erklären, was auf einmal los war. Blindes Verlangen hatte sie gepackt und sie hatte gespürt, dass das jetzt genau die richtige Handlung für diesen Moment war. Zuerst dachte sie, Matt würde sie von sich schieben, doch er ging sofort darauf ein. Er verwickelte sie in einen leidenschaftlichen Kuss, zog sie eng an sich, ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten. Und plötzlich schien es, als gäbe es nur noch sie. Vergessen waren der Mond und die Sternschnuppen, der See und das Zirpen der Zikaden, die Zelte und die anderen. Für Sora gab es nur noch Matt. Sie hatte es so vermisst, ihm nahe zu sein. Dann fuhren sie gleichzeitig auseinander, als hätte eine unsichtbare Macht sie getrennt. „Entschuldige, ich...“, stammelte Matt. „Nein, ich hab' doch angefangen“, erwiderte Sora kopfschüttelnd. „Naja, aber... sag mal, weinst du?“ Tatsächlich, sie weinte. Ob vor Glück über das gerade Erlebte oder vor Traurigkeit, weil es eigentlich nicht hätte passieren dürfen und nicht wieder passieren durfte, wusste sie nicht. Vielleicht war es eine Mischung aus beidem. Sie schniefte und versuchte, sich die Tränen mit dem Handrücken wegzuwischen. Er legte seine Hände an ihr Gesicht und küsste die Tränen weg. Seine Lippen hinterließen ein Kribbeln auf ihrer Haut und sie wünschte sich mehr davon. „Es tut mir so Leid“, hauchte er ihr dabei ins Ohr und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Widerwillig kletterte sie von seinem Schoß herunter und setzte sich wieder neben ihn. „Denkst du immer noch, dass das hier ja ach so toll ist?“ Sie nickte langsam. „Weißt du, ich glaube, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, dann finden sie früher oder später auch zusammen. Und wenn nicht, dann sind es eben nicht die richtigen Menschen.“ Matt schnaubte. „Dann hoffe ich einfach mal, dass du Recht hast.“ Kapitel 29: Veränderungen ------------------------- Dienstag, 1. August 2006   Verschlafen öffnete Mimi die Augen, als Sora neben sich rascheln hörte. Im Zelt war es unerträglich heiß, doch trotzdem wollte Mimi gern noch ein bisschen schlafen. Sie griff nach ihrem Handy neben sich, um die Uhrzeit zu erfahren. Es war gerade mal sieben Uhr. Sora hatte sich aufgesetzt und zog sich gerade an. War sie etwa wirklich schon wach? Mimi erinnerte sich, dass sie in der Nacht für eine ganze Weile nicht im Zelt gewesen war. Sie selbst hatte nämlich auch nicht schlafen können, weil ihr die Luftmatratze trotz zusätzlicher Decken darauf und ihres Kuschelkissens einfach zu unbequem war. „Sora?“, murmelte sie mit kratziger Stimme. Halb angezogen und mit fragendem Blick drehte die Angesprochene sich zu ihr um. „Alles okay?“ „Ja“, antwortete Sora. „Ich wollte dich nicht wecken. Schlaf ruhig weiter.“ „Nein, nein, schon in Ordnung. Aber was ist mit dir? Warum bist du schon wach? Du warst doch die halbe Nacht auf.“ Sora zögerte. „Ach, ich bin nicht müde. Ich werde mich schon mal ums Frühstück kümmern.“ „Warte mal.“ Mimi stützte sich auf den Unterarmen ab, sodass sie Sora besser ansehen konnte. „Wo warst du denn heute Nacht die ganze Zeit?“ Soras wich ihrem Blick aus, doch sie setzte sich auf ihre Luftmatratze und wirkte nicht mehr so, als würde sie jeden Moment das Zelt verlassen wollen. „Matt“, flüsterte sie, als würde das alles erklären. „Matt?“, wiederholte Mimi laut und hob die Augenbrauen. Sora legte einen Zeigefinger auf die Lippen, um ihr zu bedeuten, leiser zu sein. „Wir konnten beide nicht schlafen und dann haben wir geredet.“ Mimi presste die Lippen aufeinander und starrte Sora an. Sie hatten geredet? Was bedeutete das? „Worüber denn?“, fragte Mimi möglichst beiläufig. „Über... uns.“ Mimi konnte nicht anders, als Sora mitleidig anzusehen. Ihr Blick sprach von Schmerzen, die man sich wohl nur dann vorstellen konnte, wenn man schon einmal ernsthaft verliebt gewesen war. In Tais Blick hatte sie schon öfter genau den selben Schmerz erkannt. „Und ich habe einen Fehler gemacht“, redete Sora nach einer Weile weiter. Dann war ihre Stimme kaum noch zu hören. „Ich habe ihn geküsst.“ Einen Augenblick lang starrte Mimi ihre Freundin an, dann ließ sie sich zurück auf die unbequeme Luftmatratze sinken und starrte die Zeltdecke an. Ihr Plan, Sora mit Tai zu verkuppeln, gestaltete sich immer schwieriger. In der letzten Zeit waren Sora und Matt sich ständig aus dem Weg gegangen und zumindest Mimi hatte nicht mitbekommen, dass sie irgendwelchen Kontakt zueinander hatten. Und währenddessen hatten Sora und Tai sich wieder angenähert und Tai hatte Mimi öfter mit SMS auf dem Laufenden gehalten, wie es lief. Oft hatte er euphorisch und optimistisch dabei geklungen, als würde es tatsächlich vorangehen. Es sah einige wenige Wochen lang so aus, als würde Mimis Plan aufgehen. Und nun funkte ihr dieser blonde Herzensbrecher wieder dazwischen und zerstörte in einer Nacht, was Mimi über Wochen hinweg mühevoll aufgebaut hatte. „Ich glaube, ich liebe ihn“, hauchte Sora. Oh nein, nun kam auch noch das L-Wort zum Einsatz. Hier musste etwas passieren. Ruckartig setzte Mimi sich auf. „Ich glaube, das bildest du dir ein.“ „Was?“ Verwirrt blickte Sora sie an. „Weil du ihn nicht haben kannst. Nur deswegen ist er für dich so interessant. Man will immer das, was man nicht kriegen kann“, sagte Mimi überzeugt und verschränkte die Arme vor der Brust. Sora runzelte skeptisch die Stirn. „Ich bilde mir das doch nicht ein. Was redest du denn da?“ „Doch, das tust du. Sieh dir doch mal Tai und Matt objektiv an. In welchem Universum ist Matt bitte besser als Tai? Tai ist liebevoll, tut alles für dich und ist ehrlich. Und Matt? Der verarscht dich, hurt sich durch die Gegend, raucht, trinkt und denkt, er wäre Kurt Cobain.“ Sie gestikulierte wild mit den Händen, um ihre Aussagen zu unterstützen. „Und gut aussehen tun sie beide. Daran kann es also nicht liegen.“ „So ist er doch überhaupt nicht“, protestierte Sora. „Er kann sehr sensibel sein und er braucht nur jemanden, der ihn versteht. Dann ist er ganz anders.“ „Du redest, als wäre er ein kleines Kind!“, rief Mimi energisch. „Warum versuchst du überhaupt, mir Tai einzureden, wenn du selbst in ihn verliebt bist?“, fragte Sora auf einmal und musterte Mimi eindringlich. Dieser klappte die Kinnlade herunter. „Ich bin... was?!“ „Ja“, antwortete Sora. „Ich sehe doch, dass ihr euch näher gekommen seid, so viel Zeit wie ihr miteinander verbringt. Und Tai glaubt selbst auch schon, dass du dich in ihn verliebt hast.“ „Hat er das gesagt?“, fragte Mimi nach einigem Zögern. Sora nickte und Mimi biss die Zähne aufeinander. Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten und musste sich bemühen, Sora nicht anzuschreien, um ihr zu verklickern, dass das nicht stimmte und alles nur eine Show war. „Ich gehe mich jetzt um das Frühstück kümmern“, murmelte Sora und kletterte aus dem Zelt. _ „Ich ersticke“, stöhnte Yolei und kroch schwerfällig aus dem Zelt. Es war so unerträglich heiß, dass sie sich fühlte, als würde sie geschmort werden. Vielleicht hätten sie beim Aufbau der Zelte darauf achten sollen, wo am Morgen Schatten war. Sie genoss die fast schon kühle Luft draußen und beobachtete, wie Mimi mit wutverzerrtem Gesicht an ihr vorbeirauschte und Tais Namen rief. Yolei schüttelte den Kopf, stand auf und ging zu Sora, die gerade dabei war, zwei der Picknicktische mit Plastikgeschirr zu decken. Obwohl es so warm war, trug sie einen Pulli mit langen Ärmeln. Als Yolei ihr einen guten Morgen wünschte, drehte sie sich zu ihr um und Yolei erschrak fast schon darüber, wie ihr Gesicht aussah. Blass und verquollen mit dunklen Schatten unter den Augen. Sie sah aus, als wäre sie krank. „Guten Morgen“, erwiderte sie lächelnd und Yolei war schon kurz davor, sie zu fragen, ob es ihr nicht gut ging, als sie sich an den vorigen Tag und ihre Reaktion erinnerte. „Na, hast du gut geschlafen?“, fragte sie also überflüssigerweise. „Geht so“, murmelte Sora und zuckte mit den Schultern. „Es wurde so heiß im Zelt heute Früh.“ „Wem sagst du das“, stöhnte Yolei und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. „Ich gehe mal schauen, was wir zum Frühstück essen können und wecke mal die anderen.“ Die anderen zu wecken war jedoch nicht nötig. Die Hitze in den Zelten hatte sie alle schon nach draußen getrieben und so kam es, dass morgens halb acht tatsächlich schon alle wach waren. Und auch die Arbeit mit dem Frühstück hatten T.K. und Kari ihr schon abgenommen. Die beiden hockten vor dem Haufen mitgebrachten Essens und suchten Dinge heraus, die man zum Frühstück essen konnte. Ratlos und arbeitslos sah Yolei sich um. Dann konnte sie ja jetzt in Ruhe die Sanitäranlagen des Campingplatzes ausnutzen und duschen gehen. _ „Tai!“, riss Mimis Stimme ihn aus einer Tiefschlafphase. Er war noch zu weggetreten, um irgendetwas wirklich wahrzunehmen, geschweige denn zu antworten. „Wach sofort auf!“ Er hörte sich selbst grummeln und öffnete langsam die Augen. Er hatte sich aus seinem Schlafsack gekämpft und lag auf seiner Luftmatratze, alle viere von sich gestreckt. Im Zelteingang entdeckte er verschwommen Mimi, die ihn wütend anstarrte. Von Izzy war weit und breit keine Spur. Er schreckte auf und zog unbeholfen seinen Schlafsack über seinen fast nackten Körper. „Was willst du denn hier? Hau ab!“ „Nein, du kommst sofort mit! Wir müssen reden!“, fauchte sie und rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Seit wann war sie wieder so ruppig zu ihm? Sie war doch bis gestern noch auf Kuschelkurs gewesen. „Nö, keine Lust“, murmelte er, drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Unsanft packte Mimi seinen Unterarm, grub dabei die Fingernägel schmerzhaft in sein Fleisch und zog ihn hoch. „Ey!“ „Du kommst jetzt sofort mit!“, rief sie und sah aus, als würde sie gleich auf ihn losgehen. „Worüber willst du denn jetzt reden?“, fragte er genervt und machte sich ruckartig von ihr los. „Das möchte ich auch in deinem Interesse jetzt nicht hier ausbreiten, wo alle zuhören können“, zischte sie. Tai stöhnte. „Na schön. Darf ich mir wenigstens noch was drüberziehen?“ Mit einem finsteren Blick verschwand Mimi aus dem Zelteingang und ließ die Plane herunterfallen, sodass er geschützt vor neugierigen Blicken war. Er setzte sich auf, zog sich eine kurze Hose an und kletterte aus dem ohnehin viel zu warmen Zelt nach draußen, wo Mimi schon stand und auf ihn wartete. Sie marschierte los und Tai folgte ihr gelangweilt, bis sie außer Hörweite der anderen waren. Mimi drehte sich mit giftigem Blick zu ihm um und stemmte die Hände in die Hüften. „Sag mal, was fällt dir eigentlich ein, vor Sora zu behaupten, ich wäre in dich verliebt?“ Sora. Die vergangene Nacht. Ohje. Tai fasste sich mit einer Hand an die Stirn und schloss die Augen. „Was denn? Ich habe mich doch nur an deinem Plan beteiligt.“ „Schön, aber du sollst ihr doch nicht stecken, dass ich in dich verliebt bin! Das stimmt doch überhaupt nicht!“, rief Mimi aufgebracht und gestikulierte wild mit den Händen. „Na und? Darum ging es doch bei diesem Plan, oder etwa nicht? Dass ich begehrenswert wirken soll und es so aussieht, als würden wir uns einander annähern.“ „Schon, aber jetzt muss ich Sora das verliebte Mädchen vorspielen“, blaffte Mimi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke, du bist eine so tolle Schauspielerin. Da dürfte das doch kein Problem sein“, antwortete er trocken und zuckte mit den Schultern. „Mann, Tai! Ich...“ „Außerdem hat sich das sowieso erledigt“, unterbrach er ihr Geschimpfe. „Ich hab' sie heute Nacht zusammen gesehen.“ Mimi hielt inne und sah ihn verwirrt an. „Was? Du hast sie gesehen?“ „Sora und Matt. Sie haben sich geküsst und keine Ahnung, ob dann noch mehr passiert ist. Wundern würde es mich nicht“, murmelte er und senkte bei der Erinnerung an diesen Anblick die Lider. Ohne an etwas Böses zu denken hatte er aufs Klo gehen wollen und dann plötzlich sie und ihn dort am Ufer sitzen sehen, sie rittlings auf seinem Schoß, die Hände in seinen Haaren vergraben und ihn leidenschaftlich küssend. Tai hatte sich bei diesem Anblick fast übergeben. „Oh“, machte Mimi leise und war auf einmal ganz blass geworden. Ihr Gesicht hatte einen mitleidigen Ausdruck angenommen. Sie kam auf ihn zu und legte eine Hand auf seinen Arm. „Tut mir Leid.“ „Ach was“, meinte er gezwungen locker und entfernte sich einen Schritt von ihr, sodass sie die Hand wieder sinken ließ. „Ich find' schon eine andere.“ „Nein, nein, nein!“, widersprach Mimi und hatte anscheinend ihre Energie wiedergefunden. Erneut umklammerte sie seinen Unterarm. „Du darfst doch jetzt nicht aufgeben. Wir müssen halt noch weitergehen und zu anderen Mitteln greifen. Das wird schon. Glaub mir.“ „Es ist vorbei“, entgegnete Tai entschlossen. „Ich werde den beiden sagen, dass sie halt zusammen sein sollen, wenn es sie glücklich macht und fertig. Ich habe verloren.“ „Nein, Tai!“, rief Mimi und wirkte fast schon verzweifelt. „Du hast es verdient, glücklich zu sein. Du hast sie verdient, nicht Matt. Ihr müsst ein Paar werden.“ „Nein, es soll halt nicht sein“, erwiderte Tai. „Aber Tai...“ „Ich werde mir jetzt mal ein T-Shirt anziehen gehen, sonst verliebst du dich wirklich noch in mich. Ich meine, bei diesem Adoniskörper...“ Er breitete schief grinsend die Arme aus, bevor er sich umdrehte und in Richtung Zelt davonging. Er wollte Mimi nicht zeigen, wie verletzt er in Wirklichkeit war. _ „Was fangen wir heute mit dem Tag an?“, fragte Yolei fröhlich in die Runde, als sie alle beim Frühstück saßen und und Toast aßen. „Lass mich kurz überlegen. Wie wäre es mit... baden?“, antwortete Davis sarkastisch und deutete auf den See. „Ich meine, bei der Hitze kann man sowieso nichts anderes machen.“ „Also wenn ich den ganzen Tag nur hier am See herumliege, kriege ich aber einen Knall“, verkündete Mimi und trank einen Schluck Saft aus einem Plastikbecher. „Aber Davis hat Recht. Es ist wirklich ziemlich heiß.“ „Danke, Joe“, schmatzte Davis und Yolei warf ihm einen genervten Blick zu. „Wie wäre es, wenn wir eine Runde wandern gehen?“, schlug Izzy vor, sprang auf, verschwand kurz in seinem Zelt und kam mit einer Karte in der Hand wieder zurück. Er faltete sie auseinander und breitete sie etwas umständlich auf dem Picknicktisch aus, der für zwölf Leute sowieso schon viel zu klein war. „Schaut mal, hier sind ein paar Wanderwege eingezeichnet“, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf einen Weg, der einmal um den See herum führte. „Da schwitzen wir uns doch zu Tode“, meinte Davis. „Ich bin immer noch für baden.“ „Also ich finde, wandern ist eine gute Idee“, mischte Matt sich nun ein und sah Izzy an. „Ist doch besser, als den ganzen Tag hier am Strand zu liegen.“ „Ja, finde ich auch“, stimmte Tai zu und alle sahen Tai überrascht an. Schließlich hatte jeder mitbekommen, dass Tai und Matt derzeit kein Wort miteinander wechselten. „Warum machen wir es nicht einfach so, dass die, die wandern gehen wollen, wandern gehen und der Rest, der baden will, bleibt eben hier?“, schlug Kari diplomatisch vor. „Nein, ich bin dagegen“, protestierte Mimi. „Wir sind alle zusammen hierher gefahren und wollten ein paar Tage gemeinsam verbringen, weil es so selten ist, dass wir alle zusammen kommen. Dann bleiben wir jetzt gefälligst auch die ganze Zeit zusammen.“ Tai runzelte die Stirn. „Das sehe ich auch so“, stimmte Yolei ihr zu und nickte. „Ich bin auch dafür, dass wir zusammen bleiben“, meinte T.K. „Dann machen wir es halt demokratisch“, bestimmte Tai. „Wer ist für wandern?“ Er selbst, Matt, Izzy, Mimi und T.K. meldeten sich. „Und wer ist für hier bleiben?“ Nun meldeten sich Davis, Joe und Cody. „Und was ist mit euch?“, fragte er an Ken und die drei Mädchen gewandt, die sich bei keiner Option gemeldet hatten. „Mir ist es egal, solange wir alle was zusammen machen“, antwortete Yolei schulterzuckend. Die anderen drei nickten zustimmend. „Okay. Damit steht es fünf zu drei und wir gehen wandern“, beschloss Tai und Davis verzog das Gesicht. _ Es dauerte eine Weile, bis sie den Müll ihres Frühstücks weggeräumt und sich alle geeignete Klamotten zum Wandern angezogen hatten, doch am späten Vormittag standen sie alle abmarschbereit am Startpunkt ihrer Wanderroute. „Mir ist jetzt schon heiß“, murrte Davis und fächelte sich mit der Wanderkarte Luft zu. „Hör auf zu jammern“, entgegnete Yolei ihm, als sie sich alle in Bewegung setzten. Sie, Ken und Davis gingen zu dritt nebeneinander her und bildeten das Schlusslicht der Gruppe. Angeführt wurde sie von Tai und Izzy, der dafür verantwortlich war, dass sie auf dem richtigen Weg blieben. „Bitte lächeln“, sagte Kari fröhlich und schoss ein Foto von Davis, Yolei und Ken, bevor sie weiter nach vorn ging, um noch mehr Fotos zu machen. „Warte mal!“, rief Davis und rannte ihr hinterher. „Du kannst wenigstens mal zeigen, wie das Foto geworden ist.“ „Dieser Kerl“, seufzte Yolei und sah sich nach Bäumen mit gelben Punkten um, die ihnen anzeigten, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Ken lachte. „So ist er halt.“ „Aber auf die Dauer kann das ganz schön anstrengend sein“, murmelte sie. Ken verstand, was sie meinte, doch er mochte Davis sehr aufgrund seiner aufgeschlossenen und fröhlichen Art. Dadurch, dass sie beide Probleme mit Mädchen hatten, hatten sie in der letzten Zeit oft über ihre Sorgen gesprochen und waren sich dadurch wieder vertrauter geworden. Davis hatte ihn aufgemuntert, nachdem Ken mit Saki Schluss gemacht hatte. Noch immer hatte er ein schlechtes Gewissen deswegen. Und er selbst war für Davis da gewesen, als dieser Stress mit Kari gehabt hatte. Es fiel Ken schwer, echte Freundschaften zu schließen, da vielen Leuten seine Talente einfach suspekt waren. Dabei konnte er nichts dafür, dass er in allem gut war, was er anpackte. Außer eben darin, Freundschaften aufzubauen und zu halten. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, den diese Tour jetzt schon aus seinen Poren jagte. Yolei sah ihn an. „Möchtest du was trinken?“, fragte sie hilfsbereit. „Ja, gern“, antwortete Ken und sie kramte eine große Flasche Wasser aus ihrem Rucksack hervor. „Ah, gleich viel leichter“, sagte sie und bewegte die Schultern auf und ab. „Ich trag' sie für dich weiter“, beschloss Ken und packte die Flasche in seinen eigenen Rucksack, nachdem er einen Schluck daraus getrunken hatte. „Ach was, das brauchst du doch nicht“, erwiderte Yolei verwundert. „So schwach bin ich nun auch wieder nicht.“ „Hab' ich ja auch nicht gesagt“, entgegnete Ken lächelnd. „Trotzdem möchte ich dir gern wenigstens ein bisschen helfen, wenn du dich sonst schon um alles kümmerst. Danke dafür.“ „Oh, ach was.“ Sie lächelte verlegen. „Ist doch nicht der Rede wert. Ich bin froh, dass alle mitgekommen sind.“ „Ja, das ist schön“, stimmte Ken zu. Dann ertönte plötzlich ein gellender Schrei von vorn. _ „Mann, Tai, was brüllst du denn so? Das ist doch nur eine Spinne!“, rief Mimi genervt und sah ihn wütend an. „Ich hätte fast reingefasst!“, entgegnete er entrüstet und mit einem angewiderten Blick in Richtung der Spinne, die friedlich in ihrem Netz hing. „Oh ja, davon wärst du ganz sicher gestorben“, antwortete Mimi sarkastisch und gestikulierte mit den Händen. „Zu deiner Information: Es gibt Spinnen, die einen mit einem einzigen Biss töten können“, knurrte Tai und sah sie feindselig an. „Ja, in Australien vielleicht. Das ist keine davon“, antwortete Mimi schnippisch. „Echt, du bist so ein Mädchen.“ „Ich hab' mich nur erschrocken“, verteidigte Tai sich selbst. „Hat Tai Angst vor Spinnen?“, fragte T.K. an Kari gewandt. „Das wusste ich ja gar nicht.“ „Ich möchte es manchmal auch nicht wahrhaben“, murmelte Kari mit einem genervten Blick auf ihren Bruder. Sie selbst mochte Spinnen auch nicht, doch im Vergleich zu Tai war das nichts. Es war schon vorgekommen, dass sie eine Spinne aus seinem Zimmer entfernen musste, weil er nicht so nah rangehen wollte. Dabei passte es überhaupt nicht zu ihm. Sonst war er eher der Typ, dem keine Herausforderung zu groß, kein Risiko zu gefährlich und keine Gefahr zu mächtig war. Aber bei Spinnen wurde er tatsächlich zum Mädchen. „Hey, was ist denn los da vorn? Warum seid ihr stehen geblieben?“, rief Yolei von hinten. „Weil Tai ein Mädchen ist“, rief Mimi zurück. „Ah okay, das erklärt natürlich alles und klingt äußerst logisch“, antwortete Yolei sarkastisch. Dann setzten sich Tai und Izzy endlich wieder in Bewegung und sie konnten ihre Wanderung fortsetzen. Im Vorbeigehen machte Kari noch ein Foto von der Spinne. „Willst du ihm das Foto irgendwann mal heimlich unters Kopfkissen legen?“, fragte T.K. und sah sie verwirrt an. „Nein, aber ich will ein Fotoalbum über diesen Campingausflug basteln und da passt das Spinnenfoto ganz gut rein“, erklärte sie grinsend und T.K. schüttelte lachend den Kopf. _ Die Route führte nun schon seit einer ganzen Weile bergauf und sie mussten alle im Gänsemarsch hintereinander gehen, weil der Weg zu schmal war. „Wie lang geht das denn noch bergauf? Ich kann nicht mehr“, jammerte Mimi, die hinter Izzy lief. Auch Izzy musste sich den Schweiß von der Stirn wischen und war ziemlich erschöpft. Er war wirklich alles andere als eine Sportskanone, weshalb ihn dieser Ausflug ziemlich plättete, obwohl sie noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft hatten. „Ich glaube, ich kann das Ende sehen“, rief Tai euphorisch, der mittlerweile die Führung übernommen hatte und ganz vorn lief. Er klang, als würde ihm das Wandern nicht das Geringste ausmachen. „Können wir vielleicht mal eine Pause machen? Wir sind doch schon zwei Stunden unterwegs und ich hab' Hunger“, nörgelte Mimi weiter und Izzy verdrehte die Augen. „Wenn wir oben sind, okay?“, schlug er ihr vor. „Wenn ich so lange noch durchhalte“, seufzte Mimi theatralisch. „Sora, kann ich mal die Wasserflasche haben? Nanu, geht’s dir gut? Sora!“ Tai und Izzy blieben stehen und drehten sich mit fragenden Blicken um, um den Grund für Mimis Geschrei herauszufinden. Und dort lag Sora auf einmal auf dem Boden und rührte sich nicht. Mimi war schon neben ihr auf die Knie gegangen und rüttelte sie am Arm, als Tai an Izzy vorbeistürmte und an Soras anderer Seite niederkniete. „Sie ist auf einmal zusammengebrochen“, rief Mimi verzweifelt und ihre Stimme klang ungewöhnlich schrill. „Ich konnte gar nichts machen. Plötzlich lag sie da.“ „Verdammt! Joe, mach was!“, brüllte Tai, der eine Hand auf Soras Schulter gelegt hatte. Auch die anderen aus der Gruppe waren heran geeilt und versammelten sich mit neugierigen und besorgten Blicken um Sora herum. „Was hat sie denn? Was ist los?“, fragte Kari ängstlich. „Wir drehen sie am besten mal um“, bestimmte Joe und schob Mimi beiseite, die sich neben Izzy stellte und sich an seinen Arm klammerte. Joe und Tai drehten Sora vorsichtig auf den Rücken. Matt hatte eine Wasserflasche aus seinem Rucksack hervorgekramt und hockte sich neben Joe. „Kannst du sagen, was sie hat?“ „Ich weiß nicht. Ich tippe mal auf einen Kreislaufzusammenbruch“, antwortete Joe mit gerunzelter Stirn, holte ein Taschentuch aus seinem Rucksack und benetzte es mit Wasser aus Matts Flasche, bevor er Sora damit die schweißnasse Stirn abtupfte. Ihre Lider flatterten und sie öffnete langsam die Augen. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Gruppe. „Was... ist...“, stammelte Sora mit schwerer Zunge, stützte sich auf die Unterarme und sah in die Runde. „Du bist zusammengebrochen“, erklärte Tai und griff fürsorglich nach ihrer Hand. „Das war bestimmt die Hitze.“ „Hier, trink was“, forderte Joe sie auf und reichte ihr Matts Wasserflasche. Sora setzte sich ganz auf, blinzelte ein paar Mal und trank einen Schluck Wasser. In den Gesichtern der anderen war Besorgnis abzulesen. Alle schienen sich ziemlich erschrocken zu haben über Soras plötzlichen Schwächeanfall. „Trink mehr“, sagte Joe bestimmt und Sora setzte die Flasche wieder an. „Geht es dir schon besser?“, fragte Yolei betreten. „Ich glaube ja“, murmelte Sora. „Wir sollten sicherheitshalber einen Arzt rufen“, beschloss Tai mit gerunzelter Stirn. „Ich will keinen Arzt“, protestierte Sora leise. „Ich denke, sie braucht auch keinen“, sagte Joe an Tai gewandt. „Es wird ihr besser gehen, wenn sie noch mehr trinkt und etwas isst.“ Als hätte sie auf ihr Stichwort gewartet, wühlte Mimi nun in ihrem Rucksack und fischte eine Banane heraus, um sie Sora zu geben. „Hier.“ „Ich schlage vor, wir machen erst mal eine längere Pause, wenn wir oben sind“, sagte Matt mit einem Blick in ihre aktuelle Laufrichtung. „Es sind nur noch ein paar Meter.“ „Ja, das halte ich auch für das Beste. Aber eine Minute sollten wir noch warten“, stimmte Joe ihm zu, während Sora ein Stück von der Banane abbiss und langsam darauf herumkaute. „Ich habe ja gleich gesagt, es ist zu heiß zum Wandern. Aber wollte irgendjemand auf mich hören? Nein“, mischte Davis sich ein und breitete die Arme aus. „Warum sollte man auch auf Davis hören? Der erzählt ja sowieso nur Mist.“ „Oh, Davis, wenn wir immer auf dich hören würden...“, begann Yolei, beendete ihren Satz jedoch nicht. „Ja? Was ist dann? Sprich ruhig zu Ende“, forderte Davis und warf ihr einen bedrohlichen Blick zu. „Nein, lieber nicht. Ich möchte den Frieden ja nicht stören“, erwiderte Yolei und Sora kicherte ein wenig. Das veranlasste auch die anderen, wieder etwas lockerer zu werden. „Wenn wir immer auf Davis hören würden, wären wir jetzt wahrscheinlich nicht campen, sondern hätten eine Dauerkarte für irgendein Fußballstadion gekauft“, beendete Cody Yoleis Satz. „Wenn wir immer auf Davis hören würden, würden wir den ganzen Tag essen und schlafen“, führte Izzy Yoleis Satz in einer anderen Variante fort. „Und Videospiele spielen“, ergänzte Ken. „Was, Ken, du etwa auch noch?“, rief Davis entrüstet und starrte seinen besten Freund an und die anderen mussten lachen. _ Mit Tais Hilfe hatte Sora es bis nach ganz oben auf den kleinen Berg geschafft und alle ließen sich erschöpft und grüppchenweise ins Gras fallen. Sora war der Zusammenbruch ziemlich peinlich, doch jetzt, nachdem sie etwas gegessen und getrunken hatte, ging es ihr wieder relativ gut. Sie konnte sich auch nicht erklären, woher das auf einmal gekommen war. Plötzlich war ihr schwindelig und schwarz vor Augen geworden. Sie saß mit Mimi und Tai zusammen und sie packten alle drei den Proviant aus ihren Rucksäcken aus. Obst, Gemüse und Sandwiches. „Hat irgendjemand zufällig zu viel zu essen dabei?“, rief Davis und sah zwischen den kleinen Grüppchen hin und her. „Ich glaube, ich habe meins im Camp vergessen.“ „Boah, Junge!“, murmelte Tai, griff nach einem seiner Sandwiches und warf es Davis zu. „Danke“, rief dieser. „Wie großzügig von dir“, kommentierte Mimi und sah Tai an. „Dass du dein Essen mit jemandem teilst.“ „So bin ich“, erwiderte Tai selbstgefällig und zuckte mit den Schultern. Sora kicherte. Sie fand es rührend, wie er sich um sie gekümmert hatte, als sie zusammengebrochen war. Und irgendwie war es ihr vor ihm auch nicht peinlich. Vor ihm war ihr eigentlich nichts peinlich, so lange wie sie sich schon kannten und so viel, wie sie schon miteinander erlebt hatten. Er hatte alles mit ihr durchgemacht und wann immer sie ein Problem hatte, hatte sie gewusst, dass er ihr zuhören würde. Und andersherum war es genauso. „Sag mal, hab' ich was im Gesicht, oder warum starrst du mich so an?“, fragte Tai und hob eine Augenbraue. „Oh, sorry. Hab' nur vor mich hin geträumt“, antwortete Sora verlegen und wandte den Blick ab. „Ich gehe mal Joe nach einem Pflaster fragen. Ich habe mich vorhin irgendwo gekratzt“, verkündete Mimi, klopfte Tai leicht auf den Oberschenkel und stand auf. Sora blickte ihr misstrauisch nach, wie sie zu dem Grüppchen von Joe, Izzy und Matt hinüberging. „Aufgekratzt“, wiederholte Tai und schüttelte verächtlich den Kopf. „Sie ist selber ein Mädchen.“ Sora lächelte und zuckte mit den Schultern. „Los, du musst was essen“, forderte Tai sie auf und schob ihr ein Sandwich zu. „Ich habe eigentlich gar keinen Hunger mehr“, gestand Sora. „Die Banane vorhin hat mir gereicht.“ Tais Gesicht wurde auf einmal ziemlich ernst, als er sie nun ansah. „Sora, hör mal. Wahrscheinlich nervt dich das, aber du musst mehr essen. Echt.“ „Nein, das ist nur...“ „Doch.“ Er wirkte unerbittlich. „Ich mache mir echt Sorgen, dass du davon krank werden könntest. Du wirkst in letzter Zeit weder glücklich noch gesund.“ Es war schwierig, seinem durchdringenden Blick standzuhalten und Sora musste wegsehen. Widerwillig griff sie nach dem Sandwich, wickelte es aus und biss ein kleines Stück davon ab. „Wann hast du eigentlich aufgehört zu essen?“, fragte Tai, der sie beobachtete. „Ich habe doch gar nicht aufgehört zu essen“, widersprach Sora nun unwirsch. „Sieht man“, erwiderte Tai sarkastisch. „Ehrlich gesagt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil mir das nicht eher aufgefallen ist.“ Erschrocken sah Sora ihn an. „Was? Nein, nein! Du kannst doch nichts dafür. So dünn bin ich doch auch gar nicht. Mir ist es selbst nicht mal aufgefallen.“ Tai seufzte und rupfte geistesabwesend mit den Händen ein paar Grashalme aus. Er sah aus, als ob er angestrengt über etwas nachdachte. „Mimi braucht aber lang, um sich ein Pflaster geben zu lassen“, fiel Sora auf und sie sah sich nach Mimi um. Diese saß bei Joe, Matt und Izzy, plauderte mit ihnen und sah nicht aus, als ob sie vorhätte, wieder zurückzukommen. „Tai, sag mal...“ „Ja?“ „Was läuft da eigentlich zwischen dir und ihr?“ Verständnislos sah er sie an. „Zwischen mir und wem?“ Sora lächelte belustigt. „Zwischen dir und Mimi, du Blitzbirne.“ „Mimi?“ Er sah aus, als hätte er keinen blassen Schimmer, wovon Sora da redete, doch dann fiel es ihm schlagartig einzufallen. „Ach, Mimi! Ja also... weiß nicht. Wir sind ähm... Freunde. Und sie will mehr. Denke ich jedenfalls.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Und wie sieht's mit dir aus?“, fragte Sora und musterte ihn. Er wirkte auf einmal durcheinander, als ob er nicht wüsste, was er ihr antworten sollte, stotterte ein wenig herum und zuckte mit den Schultern. Sora kam diese Reaktion spanisch vor. Empfand er etwa auch etwas für Mimi? War er etwa gerade dabei, sich in jemand anderen zu verlieben? Während Tai vor sich hin stammelte, versuchte Sora, sich ihn und Mimi als Paar vorzustellen. Er würde sicher alles für sie tun, sie auf Händen tragen, sich gänzlich ihr widmen und für Sora keine Zeit mehr haben. Mimi würde seine neue Nummer eins werden. Sora konnte nicht behaupten, dass ihr dieser Gedanke sonderlich gefiel. Er war ihr bester Freund und Mimi zumindest sowas Ähnliches wie ihre beste Freundin. Es wäre schon ziemlich schräg, wenn sie plötzlich ein Paar wären. Aber Sora liebte doch Matt. Was sollte sie also daran stören, dass Tai und Mimi mehr werden könnten als Freunde? War es nicht ein wenig egoistisch von ihr, so zu denken? Eigentlich sollte sie sich doch darüber freuen, weil sie dann vielleicht mit Matt zusammen sein konnte. Sie seufzte, lehnte ihren Kopf an Tais Schulter und schloss die Augen. _ „Es ist so schön hier“, sagte Kari mit leuchtenden Augen und sah sich um. Yolei konnte ihr nur zustimmen. Sie saßen nebeneinander im Gras und genossen den Ausblick über den See. Auf der gegenüberliegenden Seite konnten sie den Campingplatz erkennen und fern am Horizont schemenhaft sogar ein paar Wolkenkratzer Tokios. Ansonsten gab es hier jedoch nur Wald und Wiesen zu sehen. Etwas völlig anderes, als sie es sonst gewohnt waren. „Ja. Ich bin froh, dass wir diesen Ausflug hierher gemacht haben“, seufzte Yolei und legte den Kopf auf die Knie. „Jetzt müssen sich nur noch dein Bruder und Matt wieder vertragen und alles ist fast wie früher.“ Kari schnaubte. „Mein Bruder ist ein furchtbarer Sturkopf.“ „Naja, du aber auch“, entgegnete Yolei ehrlich. Verwundert sah Kari sie an. „Ach, meinst du wegen gestern? Hör mal, das tut mir Leid. Du weißt, ich gehe gern mit dir in ein Zelt. Aber Tai nervt mich so mit seiner Art in letzter Zeit, dass ich gestern einfach darauf bestehen musste, mit T.K. in einem Zelt zu schlafen.“ „Schon gut, ich nehme dir das ja nicht übel“, sagte Yolei abwinkend. „Aber du musst zugeben, dass das ein bisschen kindisch war. Und dass du T.K. ganz schön in Verlegenheit gebracht hast.“ Kari stieß ein nervöses Lachen aus und wandte den Blick ab. „Vielleicht hast du Recht.“ „Und ich glaube auch, dass Tai es nur gut meint. Auch, wenn er ein wenig übertreibt. Aber er liebt dich halt.“ Kari seufzte tief, erwiderte aber nichts. Yolei hatte keine Ahnung, was gerade in ihr vorging. _ Über eine Stunde hatten sie auf dem Hügel Pause gemacht, gegessen und getrunken und sich ausgeruht. Als sie ihre Wanderung fortsetzten, blieb Joe die ganze Zeit in Soras Nähe und beobachtete sie nach möglichen Anzeichen eines weiteren Kreislaufzusammenbruchs. Zwar war er sich sicher, dass Tai sich gut um sie gekümmert hatte während ihrer Rast, doch er wollte verhindern, dass das noch einmal passierte. Auch die anderen fragten Sora hin und wieder nach ihrem Befinden, die davon mittlerweile schon etwas genervt schien. Sie stand einfach nicht gern im Mittelpunkt. Tai wich keinen Millimeter von ihrer Seite und Joe ging an ihrer anderen Seite. „Wie fühlst du dich?“, fragte Joe. „Gut“, antwortete Sora einsilbig. „Bitte mach dir keine Sorgen, ja? Ich melde mich.“ Tai schnaubte. „Als ob.“ „Ich verspreche es“, betonte Sora. „Ich glaube dir“, sagte Joe lächelnd. Sie sah ihn an. „Nami hat mir übrigens aufgetragen, auf dich aufzupassen. Aber jetzt ist es irgendwie eher andersrum.“ Überrascht zog Joe die Augenbrauen hoch. „Du sollst auf mich aufpassen? Wieso das denn?“ Sie kicherte. „Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wovor sie Angst hat.“ „Bestimmt vor Mimi und ihrem umwerfenden Charme, mit dem sie alle Männer in ihren Bann zieht“, sagte Tai sarkastisch. Mimi, die vor ihnen neben Izzy lief, drehte sich um und funkelte ihn an. „Das habe ich gehört.“ „Solltest du auch“, erwiderte Tai grinsend. „Blödmann“, murmelte sie und drehte sich wieder um. _ Als sie am späten Nachmittag wieder im Camp ankamen, warf Davis sofort all sein Gepäck weg, zog sich bis auf die Unterhose aus und stürmte ins Wasser, als würde er brennen. „Der Junge macht es richtig“, seufzte Yolei erschöpft. „Ich gehe auch mal meinen Bikini anziehen.“ Und so trafen sich alle eine halbe Stunde, nachdem von ihrer Wanderung zurückgekehrt waren, in Badesachen am Strand vor ihren Zelten und genossen das kühle Wasser des Sees. Tai war schon ein ganzes Stück nach draußen geschwommen, als Kari dazu ansetzte, ihm zu folgen. Sie wollte mit ihm reden und vielleicht war dies die beste Gelegenheit dazu. Yolei hatte sie heute zum Nachdenken gebracht. „Tai!“, rief sie und schwamm ihm hinterher. Sie hatte jedoch keine Chance ihn mit ihrem zweitklassigen Brustschwimmen einzuholen, weshalb sie hoffte, dass er sie hörte. „Tai, warte mal!“ Er hielt noch immer nicht an. „TAI!“ Endlich hörte er mit seinen Kraulzügen auf und drehte sich um. Als er Kari erblickte, schwamm er ihr entgegen. „Was brüllst du denn so?“, fragte er und musterte sie argwöhnisch. „Du hörst mich ja sonst nicht“, grummelte sie und hielt sich an seinen Schultern fest, als sie endlich bei ihm ankam. Schwimmen gehörte einfach nicht zu ihren Stärken. „Vielleicht hätte dir Mama Schwimmflügel mitgeben sollen“, meinte er und beobachtete belustigt, wie sie mit den Beinen strampelte. „Ach, sei doch still“, zischte Kari. „Eigentlich wollte ich mit dir reden.“ „Worüber denn?“, fragte er nun ernst. „Über... dich. Und mich“, antwortete Kari langsam und er hob fragend die Augenbrauen. „Und mich für gestern entschuldigen. Das war irgendwie nicht so cool. Ich glaube, ich wollte dir eigentlich nur eins auswischen mit dieser Zeltsache. Das war blöd und kindisch.“ Tai zuckte mit den Schultern. „Vielleicht solltest du dich lieber bei dem armen T.K. entschuldigen. Immerhin wolltest du mit dem die ganze Nacht Sex haben.“ Beschämt wandte Kari den Blick von ihm ab und ließ ihn los. „Er weiß, dass ich das nur so gesagt habe. Und du weißt das auch.“ „Trotzdem war es ganz schön peinlich für ihn“, erwiderte Tai. „Ich weiß“, gab Kari kleinlaut zu. „Aber bitte hör endlich auf, so zu tun, als würde er mich ausnutzen und wegwerfen wollen. Das würde er nie machen. Da bin ich mir ganz sicher.“ Tai seufzte. „Ich gebe zu, dass ich vielleicht ein wenig übertrieben habe.“ „Ja. Nur, weil Matt vielleicht so ist, ist T.K. nicht automatisch genauso. Ich bin doch auch nicht wie du“, sagte Kari und sah ihn nun wieder an. „Du bist ganz schön unfair ihm gegenüber, weißt du das? Ich glaube, du merkst das schon gar nicht mehr.“ Er erwiderte ihren Blick einen Moment lang, dann nickte er langsam. „Ich glaube, ich will es einfach nur nicht wahrhaben, dass du langsam erwachsen wirst.“ „Wie auch? Du bist ja selbst noch ein Kind, obwohl du der Ältere von uns bist“, stichelte Kari und sah ihn schief an. „Werd nicht frech, sonst setze ich dich hier draußen aus“, drohte Tai scherzhaft und bespritzte sie mit Wasser. „Dann kriegst du einen Riesenärger von Mama und Papa“, entgegnete Kari und streckte ihm die Zunge raus. „Stimmt, ich sollte besser nicht ohne das kleine Prinzesschen nach Hause kommen.“ Er grinste herausfordernd, sodass Kari die Hände auf seine Schultern legte und ihn einfach nach unten drückte. Dann drehte sie sich blitzschnell um und schwamm Richtung Strand. „Na warte, das kriegst du wieder!“, hörte sie Tai rufen und lachend und kreischend strampelte sie, als wäre ein Hai hinter ihr her. _ Yolei und Mimi hatten sich daran gemacht, für das Abendessen eine riesige Portion Reis im Campingkocher zu kochen. Dazu sollte es Grillreste von gestern geben, um deren Aufwärmen sich Joe und Izzy gerade bemühten. Ken und Cody kümmerten sich um noch ein paar zusätzliche Gemüsespieße und Matt und Sora deckten gemeinsam den Tisch. Sora warf ihm über den Tisch hinweg immer wieder heimliche Blicke zu. Sie war noch so verwirrt von ihren Gedanken über Tai und Mimi, doch jetzt, wo sie gerade mit Matt mehr oder weniger allein war, rückten diese Gedanken in den Hintergrund. Er trug ein weißes T-Shirt und kurze schwarze Hosen und außerdem ein dünnes Lederarmband. Sein blondes Haar hing ihm ins Gesicht, sodass man seine Augen nicht sehen konnte, wenn er den Kopf senkte. Es leuchtete golden in der Sonne. Als er den Blick hob und sie ansah, fiel ihr wieder einmal auf, wie blau seine Augen waren. Sora schloss die Augen und rieb sich die Stirn. Was war nur los mit ihr? Verliebt in Matt, eifersüchtig auf Mimi wegen Tai? Das war doch alles total verrückt. „Hey, was ist los? Geht's dir nicht gut?“, fragte Matt besorgt, kam um den Tisch herum zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sofort brachte Sora wieder einen Schritt Abstand zwischen sie und sah sich um, ob Tai auch ja nichts gesehen hatte. Aber sie konnte ihn nirgends entdecken. Sie wandte sich an Matt, der sie fragend ansah. „Alles okay.“ „Du kannst dich auch gern hinsetzen gehen. Ich schaff' das hier schon allein“, sagte Matt und deutete mit einem Kopfnicken auf den Tisch. „Nein, nein, es geht mir gut“, antwortete Sora abwinkend. „Okay, aber wenn irgendwas ist, dann...“ „Matt!“, unterbrach sie ihn schroff. „Ich bin kein Kind mehr. Lass mich doch einfach.“ Er erwiderte nichts, sondern hob nur eine Augenbraue, während er sie musterte. Dann fuhr er einfach fort, den Tisch zu decken. _ Nach dem Abendessen machten sie sich wie auch am Abend davor ein Lagerfeuer, um das sie sich herum setzten. Yolei hatte Teig für Küppelbrot zubereitet und so hielt gerade jeder von ihnen einen Stock in der Hand, an dessen Ende Teig klebte, der im Feuer gegrillt wurde. „Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte mal Knüppelbrot gegessen habe. Das muss zehn Jahre her sein“, stellte Joe fest und drehte seinen Stock hin und her, damit der Teig nicht anbrannte. „Ja. Ich fühle mich gerade wie auf einer Klassenfahrt in der Grundschule“, stimmte Tai ihm zu. „Hat jemand schon einen Vorschlag, wann wir das nächste Mal alle was zusammen machen können?“, fragte Davis in die Runde. „Ich meine, der Campingausflug ist fast schon wieder vorbei. Und irgendwie... wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob sich viel geändert hat.“ Darauf erwiderte erst einmal keiner etwas. Alle schwiegen und starrten ins Feuer. Nein, auch Joe konnte nicht behaupten, dass alle Probleme zwischen ihnen geklärt wären. Er hatte bemerkt, dass Tai und Matt noch immer nicht miteinander redeten. Davis und T.K. gingen sich auch eher aus dem Weg. Sora wirkte unglücklich und auch Mimi schien die ganze Zeit über etwas zu grübeln. „Naja, wir könnten uns ja vornehmen, wenigstens einmal im Monat einen Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Oder einen Tag vom Wochenende“, schlug Izzy diplomatisch vor. „Das wäre doch ein Anfang und sicher finden wir auch einen Tag, an dem alle Zeit haben.“ „Das klingt gut, Izzy“, stimmte Yolei ihm zu. „Jetzt sind ja erst mal Ferien und da finden wir bestimmt noch einen Tag im August.“ Wieder herrschte für einige Augenblicke Schweigen, bis Matt schließlich aufstand, in seinem Zelt verschwand und mit seiner Gitarre zurückkehrte. „Yeah, Stimmung“, murmelte er und ließ die Hand über die Saiten gleiten. Mimi kicherte. „Gute Idee. Lasst uns singen, das macht gute Laune.“ Keiner reagierte so wirklich auf diesen Vorschlag. Die Stimmung wirkte gedrückt, während Matt geistesabwesend einige Akkorde spielte und Mimi fragend in die Runde sah. „Na gut. Los, Matt, hau mal einen raus. Dann singe ich eben allein“, beschloss Mimi und warf Matt einen vielsagenden Blick zu. Der runzelte nur kurz die Stirn und hielt in seinem Spiel kurz inne, bevor er mit einer schnelleren, fröhlichen Melodie begann. Und Mimi sang. Stop me on the corner I swear you hit me like a vision I, I, I wasn't expecting But who am I to tell fate where it's supposed to go with it Don't you blink you might miss it See we got the right to just Love it or leave it, you find it and keep it 'Cause it ain't everyday you get the chance to say Oh, this is how it starts Lightning strikes the heart It goes off like a gun Brighter than the sun Oh, we could be the stars Falling from the sky Shining how we want Brighter than the sun Matt warf Mimi einen anerkennenden Blick zu, den sie lächelnd erwiderte. Er wirkte nun etwas lockerer als vorher. I've never seen it But I found this love, I want to feed it You better believe I'm gonna treat it Better than anything I've ever had 'Cause you're so damn beautiful Read it It's signed and delivered, let's seal it Boy, we go together like Peanuts and paydays and Marley and reggae And everybody needs to get a chance to say Oh, this is how it starts Lightning strikes the heart It goes off like a gun Brighter than the sun Oh, we could be the stars, Falling from the sky Shining how we want Brighter than the sun Matt hörte auf zu spielen und die anderen klatschten. „Das klang echt toll“, sagte Davis begeistert und die anderen stimmten ihm zu. „Ihr solltet Mimi unbedingt mal für einen eurer Auftritte buchen“, schlug Yolei vor. „Ach, so gut bin ich doch gar nicht“, erwiderte Mimi abwinkend und kratzte sich verlegen am Kopf. „Nanu, wird Mimi Tachikawa etwa bescheiden?“ Tai, der neben ihr saß, musterte sie skeptisch von der Seite und die anderen lachten. „Okay, dann lasst uns jetzt etwas singen, wo wieder alle mitmachen können“, rief Kari in die Runde. Alle wirkten auf einmal lockerer. Die Stimmung war nicht mehr so gedrückt und das nur dank Matt, seiner Gitarre und Mimi. _ Es war schon lange nach Mitternacht, als sie sich endlich nach und nach entschlossen, schlafen zu gehen. Der Abend war doch noch sehr schön geworden und sie hatten viel geredet, gesungen und gelacht, obwohl sie eigentlich alle von ihrer langen Wanderung und der Hitze ziemlich erschöpft waren. Tai jedoch hatte in den letzten Stunden einen Entschluss gefasst. Er wollte weiter um Sora kämpfen. Er wollte sich nicht so einfach geschlagen geben. Der Tag hatte ihm nur noch einmal gezeigt, wie wichtig sie ihm war und dass sie zusammen gehörten. Und außerdem war er nicht der Typ, der aufgab. Vielleicht würde Mimis bescheuerter Plan ja tatsächlich funktionieren. Zumindest hatte er irgendwie den Eindruck gehabt, dass Sora heute anders mit ihm umgegangen war als sonst. „Ich gehe jetzt auch pennen“, verkündete er und gähnte demonstrativ. „Gute Nacht, Leute.“ „Gute Nacht“, murmelten die übrig gebliebenen. Mimi, Sora, Matt und Joe. „Schlaf gut“, fügte Mimi noch hinzu. „Hm, warte mal.“ Er sah sie kurz nachdenklich an, dann beugte er sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Erschrocken riss sie die Augen auf und starrte ihn an und auch die anderen drei sahen Tai verwirrt an. „Ja, ich glaube, jetzt kann ich gut schlafen.“ Grinsend ging er zu seinem Zelt, holte seine Zahnbürste und machte sich auf den Weg zum Sanitärbereich. Er hatte keine Ahnung, ob dieser Kuss auf die Wange Sora tatsächlich eifersüchtig machen könnte. Er hoffte einfach das Beste. Ihr Blick war zumindest verstört. „Warte mal!“ Seufzend drehte er sich um. Mimi war ihm nachgeeilt. „Was sollte das eben?“, fragte sie patzig. „Ich dachte, du willst diese Sache beenden.“ „Ich habe mich umentschieden“, antwortete er schulterzuckend. „Ich habe die Vermutung, dass dein Plan funktionieren könnte.“ Verdutzt sah Mimi ihn an. „Was? Echt? Heute Morgen klang das aber noch ganz anders.“ „Ja. Heute in der Pause habe ich es irgendwie gemerkt. Sora war anders. Ich glaube, irgendwas hat sich verändert. Ich will noch nicht aufgeben, ich will es wenigstens noch ein bisschen versuchen.“ Mimi schien nachzudenken und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Dann nickte sie. „Okay. Aber falls du mit mir rumknutschen willst, sag mir vorher Bescheid.“ Er lachte nur abwinkend. „Keine Angst. Das wird nicht passieren.“ _ Er fühlte sich wie im Kindergarten. Was bitte sollte das eben? Tai hasste ihn aus Eifersucht wegen Sora und jetzt küsste er einfach Mimi? Hatte er sich so schnell umentschieden? Was war hier nur los? Und Sora benahm sich auch seltsam ihm gegenüber. Allmählich bereute Matt, dass er hierher gefahren war. Zum Glück war dieser Ausflug morgen vorbei. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Er schnappte sich seine Gitarre und stand auf. Ohne ein weiteres Wort Joe und Sora gegenüber zu verlieren ging er in sein Zelt, um seine Zahnbürste zu holen. Beim Zähneputzen traf er Tai. Man hätte meinen können, alles wäre normal, wie sie da friedlich nebeneinander vor den Waschbecken standen und sich die Zähne putzten. Doch Matt war genervt von dieser Situation. Allmählich fragte er sich, ob Tai überhaupt ein wahrer Freund war. Warum sollte Matt sich jetzt noch aus diesem albernen Kampf heraushalten? Anscheinend hatte Tai ja jetzt jemand anderen. Seine Gedanken fühlten sich wirr an. Er wusch sich das Gesicht und fuhr sich durch die Haare. Kurz betrachtete er sein Spiegelbild, das ihm genervt entgegenblickte und verließ den Sanitärbereich wieder, wo er Joe in die Arme lief. „Hey, Matt, ist alles in Ordnung?“, hielt dieser ihn auf. „Ja“, antwortete Matt kurz angebunden und wollte weitergehen. „Wenn irgendwas ist... du kannst gern mit mir reden“, sagte Joe langsam. Matt warf ihm einen kurzen Blick zu. „Danke.“ Dann ging er zurück zu den Zelten. _ Mimi lag in ihrem Zelt und starrte an die Decke. Tai hatte sie auf die Wange geküsst. Einfach so. Es hatte sich so seltsam angefühlt. Es hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, weil sie damit nicht gerechnet hatte. Eigentlich sollte sie stolz auf ihn sein, weil er so gut in ihrem Plan mitarbeitete, aber irgendetwas störte sie. Sie berührte die Stelle an ihrer Wange. Für einen kurzen Moment hatte ihr Herz ein wenig schneller geschlagen. „Du, Mimi“, Sora drehte sich auf die Seite, stützte den Kopf auf der Hand ab und sah sie an. „Sag mal, empfindest du etwas für Tai? Und sei bitte ehrlich.“ Auch Mimi drehte sich auf die Seite, rollte sich zusammen und sah Sora an. „Ich... keine Ahnung. Dass er mich vorhin auf die Wange geküsst hat, hat sich seltsam angefühlt.“ Sora nickte nur langsam. „Und du?“, hakte Mimi nach. „Und jetzt sei du mal ehrlich.“ Soras Stimme wurde zu einem Flüstern, als sie antwortete. „Ich bin irgendwie verwirrt. Ich dachte, ich liebe Matt, aber seit du und Tai so viel miteinander macht, fühlt es sich irgendwie komisch an.“ Mimi musterte sie nachdenklich. „Also ich glaube, du weißt selbst nicht so richtig, was du willst. Was ist nur los mit dir? Die Sora, die ich früher kannte, wusste immer, was sie wollte. Aber du? Erst erteilst du Tai eine Abfuhr und dann sucht er sich eine andere und du interessierst dich für ihn.“ Sora ließ den Kopf auf ihr Kissen sinken. „Ich weiß ja selbst nicht, was mit mir los ist. Das ist alles so verwirrend. Und Matt gegenüber war ich heute auch unfair.“ „Du solltest dir dringend über deine Gefühle klar werden. Sonst verletzt du Tai noch mehr als sowieso schon“, meinte Mimi ehrlich. „Ich will nicht, dass er noch zu einem psychischen Wrack wird, wenn du ihn noch mal abweist. Das hat er nicht verdient.“ _ „Pst, nicht so laut“, zischte Kari T.K. zu, als sie aus ihrem Zelt kletterten. „Ich mach doch gar nichts“, zischte T.K. zurück und kämpfte sich hinter Kari aus dem Zelt. Auf Zehenspitzen schlichen sie über die Wiese in Richtung Wasser und gingen dann ein Stück am Ufer entlang. Kari hatte unbedingt noch einmal mit ihm raus gehen wollen, obwohl T.K. schon fast geschlafen hatte. Doch sie hatte darauf bestanden. Sie suchten sich einen Fleck Sand, weit genug weg von den Zelten, sodass sie niemand belauschen konnte und sie auch niemanden am Schlafen hinderten. Sie ließen sich nebeneinander in den Sand fallen und sahen hinaus aufs Wasser und in den Himmel. „Also, was wolltest du jetzt?“, fragte T.K. nach einer Weile. „Eigentlich wollte ich nur mit dir hier sitzen. Wir haben noch gar nicht wirklich Zeit zusammen verbracht, seit wir hier sind“, antwortete Kari, ohne ihn anzusehen. „Erstens sind wir erst seit gestern hier, und zweitens verbringen wir doch auch die ganze Zeit zusammen“, erwiderte T.K. verständnislos und musterte sie von der Seite. Er hatte keine Ahnung, was sie ihm damit sagen wollte. „Ich meinte allein“, nuschelte sie. Er runzelte die Stirn. „Wegen gestern... ich wollte mich noch mal deswegen bei dir entschuldigen. Ich wollte dich nicht blamieren“, murmelte sie schließlich. „Ach was. Ist doch schon vergessen.“ Er dachte unwillkürlich an all die Sachen, die Matt so trieb. Eigentlich brauchte ihm in der Richtung überhaupt nichts peinlich zu sein vor seinem Bruder. „Und... dann wollte ich dir noch etwas anderes sagen“, fügte Kari hinzu und wurde auf einmal wieder leiser. Verwundert sah er sie an. „Was denn?“ Jetzt sah sie ihn auch kurz an. Sie wirkte nervös, kaute auf ihrer Unterlippe herum, spielte mit ihren Fingern, fuhr sich durch die Haare. „Sag mal, erinnerst du dich noch an den Abend, an dem du mich geküsst hast?“ T.K. hob die Augenbrauen. Darüber hatten sie noch nie wirklich gesprochen und er konnte auch noch immer nicht sagen, was an jenem Abend in ihm vorgegangen war. Er hatte einfach nach seinem Bauchgefühl gehandelt und er wusste bis heute nicht so wirklich, ob es Kari gefallen hatte oder nicht. „Ja, ich erinnere mich“, antwortete er. Kari holte tief Luft. „Also ich glaube, ich empfinde seitdem mehr für dich als... als nur Freundschaft.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als hätte sie seit Jahren darauf gewartet, diesen Satz zu sagen. Überrascht sah T.K. sie an. „Kari...“ Sie runzelte die Stirn und erwiderte seinen Blick. „Hör mal, ich verstehe, wenn du das nicht so siehst. Ich mache dir keinen Vorwurf, auch wenn man eigentlich niemanden küsst, in den man nicht verliebt ist. Aber ich weiß, dass du mich magst, und wenn das eine einmalige Sache war, dann ist das schon okay. Ich komme damit klar. Ich wollte dir das jetzt nur mal sagen.“ Überrumpelt beobachtete er sie. Er müsste lügen, wenn er behaupten würde, er hätte ihre eindeutigen Anspielungen in der letzten Zeit nicht bemerkt. Er hatte einfach nur nicht gewusst, was er davon halten sollte. Sie war doch seine beste Freundin. Sie schliefen zusammen in einem Bett und er hatte dabei nie irgendwelche Hintergedanken gehabt. Sie standen sich sehr nahe und er glaubte irgendwie nicht, dass sie sich in einer Beziehung noch näher stehen konnten. Ja, vielleicht waren da ein paar Gefühle für sie, doch reichten die aus, um die innige Freundschaft zwischen ihnen aufs Spiel zu setzen? „Es wäre cool, wenn du irgendwas dazu sagen könntest“, meinte sie, als er eine Weile schwieg, und sah ihn unsicher an. „Kari, hör mal. Ich finde dich wirklich hübsch und hab' dich sehr gern. Ich meine, du bist meine beste Freundin. Ich kann mit dir über alles reden. Aber ich glaube nicht, dass wir... also... ich finde, wir sollten daraus nicht mehr machen als jetzt“, stammelte er. Karis Augen weiteten sich. Anscheinend hatte sie mit einer anderen Antwort gerechnet. „Ich meine doch nur, dass es passieren könnte, dass wir uns vielleicht irgendwann trennen und dann keine Freunde mehr sind. Das wäre es mir nicht wert, verstehst du?“, erklärte T.K. und sah sie entschuldigend an. „Ja... ja, natürlich“, antwortete sie leise, rutschte ein Stück von ihm weg und schlang die Arme um die angezogenen Knie. „Du hast Recht. War 'ne blöde Idee von mir. Sorry.“ Er hatte sie verletzt. Mehr, als sie jetzt zugab, das war ihr anzusehen. Vorsichtig legte er einen Arm um ihre Schultern und zog sie wieder näher an sich. „Sieh mal, wir sind gerade mal vierzehn. Wir verändern uns doch noch so sehr. Ich glaube irgendwie nicht, dass das gut gehen könnte.“ Sie zuckte nur mit den Schultern und starrte aufs Wasser. „Vielleicht sieht es ja in ein paar Jahren anders aus“, fügte T.K. noch hinzu. „Schon okay“, erwiderte sie, machte sich von ihm los und stand auf. „Ich glaube, ich gehe jetzt wieder schlafen. Bin ziemlich müde.“ Sie drehte sich um und ging zurück zum Zelt. T.K. blieb noch einen Augenblick im Sand sitzen und sah ihr wehmütig nach. Hatte er gerade die richtige Entscheidung getroffen? Kapitel 30: Verletzte Gefühle ----------------------------- 23. September 2006   Müde stand Matt auf dem Balkon und zog an seiner Zigarette. Nachdenklich schaute er in den grauen Himmel über Tokio und fragte sich, ob das Wetter wohl je wieder besser werden würde. Seit einigen Tagen schon war der Himmel wolkenverhangen und es regnete ständig. Sein Vater verbrachte das Wochenende bei T.K. und Natsuko. Matt würde heute noch zu ihnen gehen, denn sie bestanden darauf, dass er zum Mittagessen vorbeikam. Noch immer stand er der erneut erwachten Liebe seiner Eltern mehr als skeptisch gegenüber, doch T.K. zuliebe hielt er den Mund und beobachtete sie einfach. „Du rauchst zu viel. Du solltest doch endlich mal aufhören.“ Er drehte sich um. Er hatte sie gar nicht kommen hören. Sie stand dort in der Balkontür, nur mit einem T-Shirt bekleidet, das Matt gehörte. Anscheinend war sie gerade aufgewacht, denn ihr langes, braunes Haar war unordentlich und ihre Augen noch ein wenig verquollen. „Und du solltest aufhören, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe“, murmelte Matt, zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückte sie in dem Aschenbecher auf dem kleinen Tisch neben sich aus. „Ich bin nur an deiner Gesundheit interessiert“, verteidigte sie sich und stemmte die Hände in die Hüften. Er zuckte mit den Schultern, lehnte sich gegen die Brüstung und musterte sie nachdenklich. „Was ist?“, fragte sie und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Nichts. Ich frage mich nur gerade, wie viel Zeit wir noch haben“, antwortete er. Sie drehte sich um, um einen Blick auf die Uhr im Wohnzimmer zu werfen. „Es ist gleich zehn. Wann sollst du denn bei deiner Mutter sein?“ „So schnell wie möglich, wenn es nach meinen Eltern geht“, erwiderte er. Sie seufzte. „Okay, dann eben anders. Wann gedenkst du denn, dich auf den Weg zu ihr zu machen?“ Er hob eine Augenbraue. „Das hängt ganz von dir ab.“ „Von mir?“ Verwirrt erwiderte sie seinen Blick. Er lächelte leicht und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer. „Naja, wie lange du brauchst.“ Sie schnaubte und folgte ihm in sein Zimmer. „Du bist unmöglich, Matt. Ich rede über deine Eltern und du denkst nur an Sex.“ „Wer redet denn von Sex?“, entgegnete er und hob seine Klamotten auf, die verstreut auf dem Fußboden lagen, wo er sie heute Nacht hatte fallen lassen. „Was hast du denn bitte sonst gemeint?“, fragte sie empört und machte keine Anstalten, es ihm gleichzutun und ihre Klamotten aufzusammeln. „Wie lange du brauchst, um mir Frühstück zu machen“, erwiderte er schief grinsend. Sie gab einen entrüsteten Laut von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mach dir dein blödes Frühstück selbst. Ich bin doch nicht dein Dienstmädchen.“ „War doch nur ein Witz“, sagte Matt seufzend. „Ich habe doch von Sex geredet.“ Er wollte sich von ihr abwenden, um ins Badezimmer zu gehen, doch in diesem Moment zog sie sich einfach das T-Shirt über den Kopf, ließ es zu Boden sinken und stand splitternackt im Zimmer, in ihren Augen einen herausfordernden Blick. „Und warum diskutierst du dann jetzt so viel?“, raunte sie. Matt erwiderte nichts, sondern musterte sie nur unverhohlen, bevor er seine Klamotten achtlos über seinen Schreibtischstuhl warf, auf sie zuging und sie bestimmend auf das Bett drückte. _ „Mann, die kriegen wir doch hier nie alle unter“, seufzte Joe und sah sich in seinem Wohn- und Schlafzimmer um. „Ach, klar, das ist doch kein Problem“, widersprach Nami und winkte ab. „Ein paar sitzen auf dem Bett, der Rest auf den Stühlen und dann können auch welche auf dem Boden sitzen. Die sind doch alle noch jung.“ Nachdenklich betrachtete Joe seine Sitzgelegenheiten und nickte schließlich. „Eigentlich hast du Recht.“ „Natürlich hab' ich Recht.“ Sie lächelte. „Wann wollte Izzy kommen, um dir zu helfen?“ Joe warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Dauert noch. Der kommt erst so gegen drei.“ „Okay. Dann hast du ja noch ein bisschen Zeit, dich auszuruhen. Ich muss nämlich auch gleich los ins Café“, erwiderte sie. „Ausruhen? Von wegen. Ich muss am Freitag eine Hausarbeit einreichen“, seufzte Joe und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. „Und Anfang Oktober schreibe ich schon die erste Klausur.“ „Du schaffst das schon“, meinte sie zuversichtlich, kam auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Du musst eben erst mal ein bisschen leiden, bevor du ein cooler Chirurg sein kannst.“ „Vielleicht werde ich ja auch nur Hausarzt“, murmelte Joe. „Oder Zahnarzt. Oder Gynäkologe.“ „Nein!“, rief sie und starrte ihn bedrohlich an. „Untersteh dich!“ Er lachte und schlang einen Arm um ihre Taille. „War nur ein Witz. Ich würde gern in die Kardiologie gehen.“ Anerkennend hob Nami die Augenbrauen und nickte. „Ja, das ist ziemlich cool. Kardiologe Jyou Kido. Doktor Kido. Doktor Kido in OP vier, bitte.“ Joe sah sie schief an. „Na, das dauert noch, bis ich den Doktortitel habe.“ „Aber es klingt so schön. Ich hoffe nur, du vergnügst dich dann nicht mit den Krankenschwestern im Bereitschaftsraum“, meinte Nami und sah ihn mit geschürzten Lippen an. „Du guckst zu viel Grey's Anatomy“, erwiderte Joe kopfschüttelnd. „Ich mag die Serie eben“, sagte Nami und machte sich von ihm los. „Und jetzt muss ich ins Café, sonst stehen nachher die ersten Gäste auf der Matte und ich bin noch nicht da.“ _ Der Raum war erfüllt von leisem Stöhnen und dem gelegentlichen Knarren des Betts. Mimi beobachtete, wie sich sein Gesicht unter ihr ein wenig verzog, spürte, wie seine Hände sich an ihren Hüften verkrampften, bevor er sich erschöpft wieder entspannte und die Augen öffnete. Sie lächelte verschmitzt und kletterte von ihm herunter. „Das waren übrigens sechzehn Minuten. Nur zu deiner Info.“ „Hast du im Ernst auf die Uhr geguckt?“, fragte Matt noch ein wenig außer Atem und sah sie entgeistert an. „Jap.“ Er setzte sich auf und fuhr sich durch die zerzausten Haare. „Irgendwas mach' ich anscheinend falsch, wenn du nebenbei an die Uhrzeit denkst. Und das, obwohl es bei dir dann wahrscheinlich nur zehn Minuten waren.“ „Ist doch alles gut“, erwiderte sie grinsend und kletterte über ihn hinweg aus dem Bett. „Ich gehe jetzt erst mal duschen und dann nach Hause.“ Er nickte und beobachtete sie dabei, wie sie ihre Sachen vom Boden aufhob. „Was hast du deinen Eltern eigentlich diesmal gesagt, wo du die Nacht verbringst?“ „Bei Sora“, antwortete Mimi schulterzuckend. „Wie immer.“ „Und weiß Sora davon, dass du sie als Ausrede benutzt?“, fragte Matt stirnrunzelnd. „Natürlich nicht. Warum sollten meine Eltern denn bei ihr zu Hause anrufen und kontrollieren, ob ich auch wirklich da bin? Sie vertrauen mir“, entgegnete Mimi unwirsch. In Wirklichkeit war ihr jedoch nicht ganz wohl bei diesen Vorwänden. Vielleicht würde Sora für sie lügen, wenn ihre Eltern tatsächlich mal bei ihr anrufen würden, doch dann würde sie Mimi sicher darauf ansprechen und wissen wollen, wo sie in Wirklichkeit war. Das durfte nicht passieren. Diese Affäre mit Matt musste im Interesse aller geheim bleiben und am besten so schnell wie möglich wieder aufhören. _ „Sag mal, T.K., glaubst du, Matt kommt inzwischen freiwillig zu uns zum Essen?“ T.K. sah seine Mutter schief an und wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er war sich ziemlich sicher, dass sein großer Bruder noch immer keine Lust auf die Beziehung ihrer Eltern hatte. „Möchtest du eine schöne oder eine ehrliche Antwort haben?“ „Schon gut.“ Natsuko seufzte resigniert und deckte den Tisch, während T.K. gedankenverloren im Mittagessen auf dem Herd herumrührte. Er würde sich wirklich sehr wünschen, dass Matt endlich seine Skepsis aufgab und die Wiedervereinigung ihrer Eltern endlich akzeptierte. Und zwar nicht nur T.K. zuliebe. „Hier bin ich wieder“, rief Hiroaki von der Wohnungstür aus, durchquerte den Flur und warf eine Packung Servietten auf den Esstisch. „Das waren die letzten, die es in Orange gab.“ „Danke“, zwitscherte Natsuko und warf ihm ein Lächeln zu. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. „Hoffentlich kommt Matt demnächst. Das Essen ist fast fertig.“ „Gestern hat er mir versprochen, dass er kommt“, meinte Hiroaki mit finsterem Blick. Genau in diesem Moment klingelte es an der Tür. „Ich glaube, er hat sein Stichwort gehört“, kommentierte Natsuko amüsiert, während Hiroaki zurück zur Wohnungstür ging und Matt hereinließ. Dieser kam in die Küche und wurde von Natsuko mit einem Kuss auf die Wange begrüßt. „Schön, dich zu sehen. Geht's dir gut?“ „Ja, danke, und euch?“, antwortete er. „Klar. Gestern waren wir im Kino und hinterher sind wir essen gegangen, obwohl es schon ganz schön spät war. Aber wir hatten beide so einen Hunger“, kicherte Natsuko. „Und was hast du gestern noch gemacht? Bist zu Hause geblieben?“ „Ja, nach der Probe bin ich zu Hause geblieben. Entspannter Abend und so“, sagte Matt. T.K. warf ihm einen kurzen, prüfenden Blick zu. Er war sich ziemlich sicher, dass er den Abend nicht allein verbracht hatte, auch wenn er es nicht erwähnte. Doch seit der Sache mit Sora und Tai war Matt ziemlich mies drauf, haute sich die Nächte an den Wochenenden in Clubs um die Ohren und schleppte Mädchen ab, die dachten, sie wären etwas Besonderes für ihn. Seit der Sache mit Sora und Tai war er wieder zu dem Matt geworden, der er war, bevor er und Sora was auch immer am Laufen hatten. T.K. wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Er freute sich für Tai, der ihm mittlerweile wieder gutgesinnt war, doch er war gleichzeitig ein wenig enttäuscht von Sora. Erst hatte sie aus Tai ein psychisches Wrack gemacht und nun hatte sie seinen Bruder wieder in ein partywütiges, mädchenverarschendes Etwas verwandelt. Auch wenn er mit Matt einige Probleme gehabt hatte, so tat es ihm nun doch weh, ihn so unglücklich zu sehen. Darauf angesprochen werden wollte er jedoch nicht, wie immer. Es war schon irgendwie ironisch, dass von T.K. und Matt nun Matt derjenige war, der verlassen worden war und T.K. der, der einem Mädchen das Herz gebrochen hatte. Nun ja, wenn man Shiori mitzählte, hatte er sogar zwei Mädchen das Herz gebrochen. _ „Du feierst deinen Geburtstag ganz schön spät nach, weißt du das? Er ist doch schon über einen Monat her.“ Sie lag ausgestreckt auf seinem Bett, blätterte in einer seiner Computerzeitschriften und warf ihm hin und wieder einen prüfenden Blick zu. Izzy kontrollierte gerade seine Tasche darauf, ob noch irgendetwas fehlte, bevor er und Mimi sich gemeinsam auf den Weg in Joes Wohnung machen wollten, um die Party vorzubereiten. „Vorher war eben keine Gelegenheit“, murmelte er. „Nur, weil du schon wieder so viel in deine Arbeit am Computer vertieft bist“, warf Mimi ihm vor, schlug die Zeitschrift zu und warf sie vom Bett. „Das kann doch kein Mensch lesen!“ Er sah sie genervt an. „Zumindest niemand, der in der Grundschule nicht aufgepasst hat.“ „Du weißt, wie ich das meine“, entgegnete sie. „Lies doch mal was anderes. Und geh mehr raus. Dann hast du auch Zeit, deinen Geburtstag ordentlich zu feiern.“ „Du klingst schon wie Katsuro“, seufzte Izzy. „Tu' ich nicht“, widersprach Mimi. „Ich meine es doch nur gut mit dir. Du bist mein Freund. Ich will nur dein Bestes.“ „Jaja“, murmelte Izzy abwinkend und verschloss seine Tasche. „Übrigens hat er mich gestern echt komisch angemacht“, sagte Mimi unvermittelt und setzte sich auf. „Hat mich nach der Schule abgefangen und gefragt, ob ich schon was vorhabe.“ Izzy sah sie stirnrunzelnd an. „Ach wirklich?“ „Ja, ich fand's auch seltsam.“ „Und was hast du geantwortet?“ „Na was schon? Dass ich keine Lust auf ihn habe. Nicht mal im Traum würde ich mit dem irgendwas unternehmen“, sagte sie energisch und machte ein verärgertes Gesicht. „Der soll sich gefälligst eine andere suchen.“ „Falls er jemals eine findet, die sich von seiner Art beeindrucken lässt“, meinte Izzy schulterzuckend. „Da gibt’s leider immer welche“, meinte Mimi und stand auf. „Können wir los? Du siehst aus, als wärst du fertig.“ „Jap, alles bereit“, erwiderte Izzy und schulterte seine Tasche. „Auf geht’s in eine lange Nacht.“ _ „Mein Gott, Yolei! Komm endlich aus dem Bad. Du wohnt hier nicht allein“, beschwerte sich Chizuru und hämmerte gegen die Tür. Yolei ignorierte sie und musterte sich prüfend im Spiegel. Sie war gerade dabei, sich zu schminken, wobei sie schon zwei fehlgeschlagene Versuche hinter sich hatte. Diesmal war sie jedoch einigermaßen zufrieden, wenn auch nicht vollends überzeugt. Sie packte ihre wenigen Schminkutensilien zurück in die Schublade und ging aus dem Bad. Chizuru warf ihr einen verdutzten Blick zu. „Seit wann schminkst du dich denn?“, fragte sie und folgte ihr. „Ich dachte, du wolltest ins Bad“, erwiderte Yolei genervt. „Hab' mich gerade umentschieden. Also, was ist das für eine Party? Ich dachte, ihr seid nur bei Joe zu Hause“, bohrte Chizuru weiter. Sie waren in Yoleis Zimmer, wo diese gerade ihre Handtasche zusammenpackte und kontrollierte, ob noch irgendetwas fehlte. „Es ist einfach nur die Geburtstagsparty von Joe und Izzy“, antwortete Yolei ungeduldig. „Und warum schminkst du dich?“, wiederholte die Ältere der beiden Schwestern ihre Frage, setzte sich direkt Yolei gegenüber auf den Fußboden und musterte sie neugierig. „Mann, einfach so“, grummelte Yolei verärgert. „Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich muss sowieso gleich los.“ „Stehst du etwa immer noch auf Ken?“ Chizurus Augen leuchteten auf einmal und sie grinste über das ganze Gesicht. „Ach, ist das süß.“ „Nein! Ach, lass mich doch in Ruhe“, fauchte Yolei und spürte, wie sie rot anlief. „Ich habe also Recht.“ Sie kicherte, dann wurde ihr Gesicht auf einmal mitleidig. „Aber ich dachte, du hattest selbst schon festgestellt, dass du keine Chance bei ihm hast.“ „Oh mein Gott“, murmelte Yolei und fasste sich an die Stirn. „Hau ab, okay?“ „Ich meine das doch nicht böse. Aber hör mal. Wenn du dich wegen Ken so aufbrezelst, dann würde ich an deiner Stelle einen kurzen Rock anziehen, und keine Jeans“, riet Chizuru und klopfte Yolei auf den Oberschenkel. „Zeig, was du hast.“ „Kannst du mich jetzt bitte in Ruhe lassen?“, rief Yolei und sprang auf. „Ich mach' das nicht wegen Ken, okay? Wir sind Freunde. Liebestechnisch ist er mir egal. Und jetzt hör auf, über ihn zu reden, oder ich schmeiß' dir was an den Kopf!“ „Ist ja schon gut. Reg dich ab“, murrte Chizuru, hob abwehrend die Hände und stand ebenfalls auf. „Ich wollte ja nur nett sein und meiner kleinen Schwester einen Tipp geben. Selbst schuld, wenn du denkst, dass du immer alles besser weißt.“ Sie zuckte mit den Schultern und ging wieder aus dem Zimmer. Yolei schlug die Tür hinter ihr zu, stürmte zu ihrem Kleiderschrank und durchwühlte ihn auf der Suche nach einem Minirock. _ „Sora, Tai ist hier“, rief ihre Mutter von der Wohnungstür her. „Ich komme“, antwortete Sora, schnappte ihre Handtasche und verließ ihr Zimmer. Auf dem Flur lief sie ihrer Mutter über den Weg. „Ich wünsche euch viel Spaß, aber pass auf dich auf, okay? Fahr nicht allein nach Hause“, sagte Toshiko und strich Sora übers Haar. „Keine Sorge, ich bringe sie wohlbehalten zurück“, rief Tai, der den Kopf durch den Türspalt gesteckt hatte und sie angrinste. „Dann muss ich mir ja keine Gedanken machen“, erwiderte Toshiko lächelnd. „Bis morgen, Mama“, verabschiedete Sora sich, zog sich Schuhe und Jacke an und ging nach draußen. „Hey, Tai.“ Sie küsste ihn flüchtig, dann machten sie sich auf den Weg zur nächsten U-Bahnstation. „Hast du deiner Mutter gar nicht gesagt, dass ich heute bei dir übernachte?“, fragte er verwundert. „Ups. Habe ich anscheinend vergessen“, erwiderte Sora schief lächelnd. „Naja, spätestens morgen Früh wird sie es ja mitkriegen.“ „Na hoffentlich ist das auch okay für sie“, murmelte Tai. „Klar, wieso nicht? Wir sind keine dreizehn mehr und außerdem schon seit einem Monat zusammen. Also keine Panik“, antwortete Sora beruhigend und griff nach seiner Hand. „Ein Monat schon? Die Zeit vergeht so schnell mit dir.“ Er strahlte über das ganze Gesicht und verschränkte seine Finger mit ihren. Sora nickte langsam. Ja, vor einem Monat hatte sie sich eines Abends mit Tai getroffen und ihm gesagt, sie hätte sich in ihn verliebt und wollte mit ihm zusammen sein. Natürlich hatte er sofort eingewilligt und anschließend hatten sie die ganze Nacht im Gras gesessen und geredet. Seitdem kam Tai ihr wie der glücklichste Mensch der Welt vor. Jedoch schienen seit diesem Ereignis in der Gruppe noch mehr Unstimmigkeiten zu herrschen als ohnehin schon. Matt verhielt sich eigenartig. Sora hatte erwartet, dass er sie und Tai nun hassen und ihnen aus dem Weg gehen würde, doch nichts dergleichen war passiert. Er schien jedoch auch nicht froh darüber. Eigentlich konnte Sora überhaupt keine Gefühle mehr in ihm erkennen. Sie verbrachten die Pausen gemeinsam und redeten weitestgehend normal miteinander, wenn auch nur über Belangloses, doch an den Wochenenden hatten sie sich seitdem nicht gesehen und Sora hatte keine Ahnung, wie Matt wohl seine Wochenenden verbrachte. Sie war sich allerdings auch nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen wollte. Mimi hatte Sora versichert, wie sehr sie sich freute, dass sie und Tai jetzt ein Paar waren, doch auch zwischen den beiden Mädchen hatte sich die Stimmung irgendwie verändert. Manchmal hatte Sora das Gefühl, dass Mimi ihr aus dem Weg ging. Jemand, der Sora tatsächlich aus dem Weg ging, war T.K. Jedes Mal, wenn sie in den vergangenen Wochen versucht hatte, sich mit ihm zu unterhalten, hatte er ihr nur einsilbig geantwortet und sich recht schnell eine neue Tätigkeit gesucht, um ihr zu entkommen. Es war eindeutig, dass er nicht begeistert davon war, dass sie und Tai nun ein Paar waren. Sora hatte Tai schon darauf angesprochen, der daraufhin versucht hatte, mit Kari zu reden, doch die wollte damit nichts zu tun haben. Sie hatte behauptet, es ginge sie nichts an, was T.K. dachte und Tai sollte ihn doch selbst fragen. Zwischen ihr und T.K. schien ebenfalls irgendetwas im Argen zu liegen. Sora seufzte und lehnte den Kopf gegen das Fenster der U-Bahn. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Tai neben ihr und musterte sie interessiert. „Klar, alles bestens“, erwiderte Sora lächelnd. „Mir geht’s gut.“ _ „Mann, Joe, hast du das alles selbst gemacht?“, fragte Yolei staunend, während sie neben Joe und Nami in der Küche stand und die Häppchen bewunderte. „Naja, nicht ganz. Nami, Izzy und Mimi haben auch geholfen“, erwiderte Joe bescheiden. „Du kannst ruhig sagen, dass du das meiste gemacht hast“, warf Nami ein und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir anderen haben nur deine Anweisungen befolgt.“ Yolei nickte anerkennend und schob sich eines der Häppchen in den Mund, bevor sie sich den Getränken zuwandte. „Ist es okay, wenn ich was Alkoholisches trinke? Ja, oder?“ Joe hob eine Augenbraue. „Ein Becher. Mehr nicht.“ „Was? Ach, komm schon!“, rief Yolei enttäuscht und griff nach einer Flasche Cola. „Ich bin sechzehn.“ „Eben“, erwiderte Joe unerbittlich. „Kein Alter zum Trinken.“ „Das ist deine Geburtstagsparty. Lass die Jugend doch ein bisschen Spaß haben“, mischte Nami sich lachend ein und zwinkerte Yolei zu. „Sie werden es schon nicht übertreiben. Du kennst sie doch.“ Das war es ja, was Joe beunruhigte. Er kannte sie. Zur Zeit gab es Probleme im ehemaligen Freundeskreis und er befürchtete, dass übermäßiger Alkoholkonsum nicht gerade dazu beitragen würde, diese zu lösen. Ganz im Gegenteil: Er vermutete eher, es könnte zum großen Krach kommen, wenn alle erst einmal angetrunken waren, ihre Hemmungen verloren und ihre Meinungen kundtaten. Das wollte er lieber vermeiden. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er seinen Geburtstag gar nicht gefeiert, doch Izzy hatte ihn überredet, mit ihm zusammen zu feiern, was ihn gewundert hatte. Vermutlich war die harmoniebedürftige Mimi die Strippenzieherin hinter dieser Angelegenheit und das Ganze war mal wieder dazu gedacht, alle wieder einander näher zu bringen. Manchmal fragte Joe sich, ob es nicht einfach an der Zeit wäre, loszulassen. Es war doch normal, dass man sich im Laufe seines Lebens auseinanderlebte. Sie waren eine so große Gruppe, dass es unmöglich war, alle beisammen zu halten. Und in wenigen Monaten würden wieder vier von ihnen die Schule und teilweise sogar das Land verlassen. Wie sollte das funktionieren? _ Vor einer Weile hatte Mimi die Musik lauter gedreht, sich noch einen Cuba Libre gemischt und nun war sie damit beschäftigt, durch die Wohnung zu laufen und mit jedem zu reden. Zufällig wurde Kari gerade in diesem Moment von Yolei allein gelassen, sodass Mimi neben ihr Platz nahm. „Hey Mäuschen“, sagte sie gut gelaunt und legte einen Arm um ihre Schultern. „Was soll denn das betrübte Gesicht?“ „Ist doch gar nicht betrübt“, antwortete Kari verwirrt. „Doch, ist es. Und was trinkst du da überhaupt?“ Mimi schnappte ihr den Becher aus der Hand und kostete. „Ich wusste doch, dass da Wodka drin ist.“ „Hey!“ Kari riss den Plastikbecher wieder an sich und warf Mimi einen argwöhnischen Blick zu. „Kein Wort zu Tai, klar?“ Ihr Blick huschte durch den Raum auf der Suche nach Tai. Mimi lächelte verschwörerisch und legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Ich doch nicht. Aber sag mal, wo ist T.K.?“ „Da drüben sitzt er doch“, antwortete Kari stirnrunzelnd und deutete mit einem Kopfnicken in die gegenüberliegende Zimmerecke, wo T.K. mit Cody und Izzy zusammensaß und anscheinend ungezwungen plauderte. „Schon klar. Ich meine nur, ich habe dich in letzter Zeit so oft ohne ihn gesehen. Also wo ist T.K. in deinem Leben?“, fragte Mimi nun ernst und musterte Kari eindringlich, sodass diese den Blick abwandte. Statt zu antworten nippte sie an ihrem Orangensaft mit Wodka. „Habt ihr euch gestritten? Ist alles okay?“, hakte Mimi nun genauer nach. Kari trank noch einen Schluck, diesmal einen großen. „Hey, komm schon. Du kannst mit mir reden, wenn dich etwas bedrückt“, sagte Mimi und schob ihre funkelnden Armreifen zurecht. „Wir haben uns nicht gestritten“, murmelte Kari in ihr Getränk starrend. „Aber?“ Mimi sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und versuchte zu ergründen, was in ihr vorging. Dass etwas nicht in Ordnung war, war mehr als offensichtlich. „Mann, ich bin einfach nur total bescheuert, okay? Deswegen ist es gerade schwierig“, rief Kari plötzlich aufgebracht, sodass Mimi überrascht zusammenzuckte. „Was ist denn passiert?“ Kari trank ihren Becher leer, bevor sie anfing zu reden. „Ich hab' ihm gesagt, dass ich in ihn verliebt bin, weil ich dachte, er wäre auch in mich verliebt. Und ich wollte mit ihm zusammen sein, aber er will nicht. Hat Angst, unsere Freundschaft könnte dadurch kaputt gehen.“ Sie raufte sich die Haare. „Und ich blöde Kuh hab' gedacht, er fühlt so wie ich.“ Ihr Kopf sank auf ihre Knie, sodass sie das Gesicht verbergen konnte. „Ähm...“ Unschlüssig tätschelte Mimi ihr den Rücken. „Das tut mir Leid. Ich wusste gar nicht, dass du in ihn verliebt bist.“ „Er hat mich geküsst, weißt du? Ist schon 'ne Weile her, aber seitdem ist es halt so“, nuschelte sie, ohne den Kopf zu heben, sodass Mimi Mühe hatte, alles zu verstehen. „Ach herrje. Und trotzdem will er nicht mit dir zusammen sein?“, fragte sie nach. Kari schüttelte den Kopf. Mimi schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf, während sie zu T.K. hinübersah. „So ein Schlingel.“ Er saß dort und sah eigentlich recht entspannt aus. Wie immer eben. Doch seit die Schule wieder begonnen hatte, hatte Mimi ihn tatsächlich meist nur ohne Kari gesehen. „Schlingel? Wie alt bist du? Achtzig?“, nuschelte Kari. „Wie soll ich ihn sonst nennen? Arsch? Penner? Vollidiot?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht T.K.?“, schlug Kari sarkastisch vor und hob endlich wieder den Kopf. „Ich glaube, ich hole mir noch was zu trinken.“ Sie wollte aufstehen, doch Mimi legte eine Hand auf ihre Schulter und hielt sie zurück. „Weißt du was? Ich regle das.“ Kari runzelte skeptisch die Stirn. „Du regelst was?“ „Na das mit euch. Überlass' das mir. Ich mach' das schon“, meinte sie abwinkend und als Kari die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben standen, fügte sie hinzu: „Ich bring' euch zusammen.“ „Hä? Nein!“, erwiderte sie erschrocken. „Lass das!“ „Vertrau' mir. Ich kann das. Bei Tai und Sora hat's auch geklappt.“ Sie zwinkerte Kari vielversprechend zu, doch diese schüttelte panisch den Kopf. „Mimi, ich mein's ernst. Lass es! Das geht schief.“ „Ich mein's auch ernst. Ich mach' das schon, ehrlich. Du wirst sehen, in ein paar Wochen bist du der glücklichste Mensch der Welt und wirst mir danken“, meinte Mimi überzeugt. „Oh Gott“, seufzte Kari und stand auf. „Ich brauch' was zu trinken.“ _ Tai hob skeptisch eine Augenbraue, als er Kari mit einem Becher in der Hand aus der Küche kommen sah. Noch skeptischer machte es ihn, dass sie sich die ganze Zeit mit Mimi unterhielt. Oder eher, dass Mimi die ganze Zeit auf Kari einredete. Mimi mit den verrückten Ideen. Was sie wohl gerade wieder ausheckte? Auch, wenn sie ihn immer noch nervte, war er ihr doch sehr dankbar. Wahrscheinlich war es wirklich ihr bescheuerter Plan gewesen, der wesentlich dazu beigetragen hatte, dass Sora sich tatsächlich in ihn verliebt hatte. Aus diesem Grund versuchte er, von nun an netter zu ihr zu sein, was ihm nicht allzu schwer fiel, da er sie nun wirklich mehr mochte als zu Beginn ihrer Zeit in seiner Schule. Irgendwie hatte sie ja auch ihre positiven Seiten. „Sag mal, trinkt Kari da Alkohol?“, fragte Tai an Joe gewandt, der neben ihm auf einem Klappstuhl saß. Er spähte zu Kari hinüber und hob die Augenbrauen. „Ich hoffe nicht. Ich wusste ja gleich, dass es eine blöde Idee war, überhaupt Alkohol bereitzustellen.“ „Mhm“, machte Tai und nippte an seinem Bier, woraufhin Joe ihm einen mürrischen Blick zuwarf. „Was denn? Ich bin alt genug, um mich zusammenzureißen.“ „Aber nicht alt genug, um legal Alkohol zu trinken“, erwiderte Joe trocken. „Alter, heute ist dein Geburtstag.“ Tai klopfte ihm schwungvoll auf den Rücken, sodass Joe fast vom Stuhl fiel. „Stoß' lieber mit mir an anstatt über Regeln zu philosophieren.“ Er hob seine Bierflasche und hielt sie Joe auffordernd entgegen. Dieser seufzte resigniert, hob seine eigene Bierflasche und stieß sie klirrend gegen Tais, bevor sie gleichzeitig einen Schluck tranken. „Genau genommen war mein Geburtstag schon vor vier Tagen.“ Tai verdrehte nur die Augen und grinste. _ „Hey.“ Ruckartig drehte Matt den Kopf zur Seite, als Sora ihn so plötzlich ansprach. Zwischen den Fingern hielt er eine glühende Zigarette, aus der dünner, grauer Rauch aufstieg. Sein nun für ihn recht kurz geschnittenes blondes Haar wehte in der leichten Nachtbrise. „Hey“, erwiderte er und wandte sich wieder dem Ausblick von Joes winzigem Balkon zu. Er war gerade groß genug, dass zwei Leute darauf stehen konnten. „Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte Sora vorsichtig und stützte die Arme neben ihm auf dem Geländer ab. „Klar, wieso?“, antwortete Matt gewohnt lässig und gleichzeitig kühl. „Weil du so ganz allein hier draußen stehst.“ Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch wieder aus. „Naja, drin kann ich nicht rauchen.“ „Aber du bist schon fast die ganze Zeit hier draußen“, erwiderte Sora. Ihr Blick fiel auf die Zigarettenschachtel, die aus der Gesäßtasche seiner dunklen Jeans lugte. „Wie gesagt, drin kann ich nicht rauchen“, wiederholte Matt nur. Sora seufzte. „Kannst du mich nicht einfach hassen?“ Überrascht drehte er sich zu ihr. „Was?“ „Du hast mich schon verstanden. Kannst du mich nicht einfach hassen? Mir ins Gesicht schreien, wie wütend du bist? Wie verlogen und bescheuert ich bin?“ Sie sah ihn nicht an, während sie das sagte. Sie konnte seinen ausdruckslosen Blick einfach nicht ertragen. „Warum sollte ich?“, fragte er. „Weil... weil ich dir wochenlang Hoffnungen gemacht habe und jetzt mit Tai zusammen bin?“, antwortete Sora verblüfft. „Du tust so, als wäre gar nichts gewesen. Naja eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht. Du wirkst einfach so teilnahmslos, als würde dir das alles am Arsch vorbeigehen. Als wäre gar nichts passiert. Ist dir das denn alles egal?“ Er musterte sie einige Sekunden, dann schnaubte er abfällig und wandte sich wieder ab. „Was soll ich denn tun? Dir Briefbomben schicken?“ „Mir sagen, wie schrecklich du mich findest und dass du nie wieder etwas mit mir zu tun haben willst!“, rief Sora ungeduldig. „Oder vielleicht auch einfach gar nicht mehr mit mir reden. Allen unseren Freunden sagen, was für ein Miststück ich bin. Irgendwas!“ „Das ist mir zu blöd“, meinte Matt trocken. „Aber so tun, als wäre alles okay, obwohl es das ganz und gar nicht ist, ist dir nicht zu blöd?“, entgegnete Sora energisch. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Matts Haltung machte sie wütend. Je ruhiger er wurde, desto ungehaltener fühlte sie sich. „Was willst du eigentlich?“, fragte er nun und richtete den Blick wieder auf sie. „Du bist doch mit Tai zusammen. Warum ist es dir noch wichtig, was ich darüber denke?“ „Vielleicht weil du mein Freund bist? Weil es mir wichtig ist, dass es dir gut geht?“, erwiderte sie harsch. Wieder musterte er sie einige Sekunden. Dann schlich sich plötzlich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen, das Sora völlig aus der Fassung brachte. „Weißt du, ich glaube, du hast viel mehr ein Problem mit dir selbst als mit mir“, meinte er und zog noch einmal an seiner Zigarette, die nun nur noch ein Stummel war. „Wie bitte?“ „Du hast ein schlechtes Gewissen und jetzt versuchst du, mich dazu zu bringen, dich anzuschreien und dir irgendwelche Beleidigungen an den Kopf zu werfen, damit du dich besser fühlen kannst“, erklärte er sachlich, drückte den Zigarettenstummel am Geländer aus und schnippte ihn achtlos hinaus in die Nacht. „Aber um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass dir das irgendwie helfen würde.“ Er ging an ihr vorbei zurück in die Wohnung und ließ sie allein auf dem Balkon stehen. Fassungslos starrte sie ihm hinterher. Sie spürte, wie sich die Tränen einen Weg in ihre Augen bahnten und blinzelte hastig. _ T.K. war nicht entgangen, dass Sora zu Matt auf den Balkon hinausgegangen und er nun allein zurückgekommen war. Anscheinend war irgendetwas vorgefallen. Vielleicht hatte er ihr ja endlich mal seine Meinung gegeigt. Verdient hätte sie es. T.K. entschuldigte sich bei Cody und Izzy und folgte seinem Bruder in die Küche, wo dieser sich ein neues Bier holte. Als er T.K. sah, hob er eine Augenbraue. „Willst du etwa auch eins?“ T.K. sah verwirrt auf die Bierflasche in Matts Hand und wieder zu ihm. „Ähm... ja.“ Matt musterte ihn einen Augenblick lang, dann zuckte er mit den Schultern, grinste leicht und holte eine weitere Flasche aus dem Kasten. Mit Hilfe einer dritten Bierflasche öffnete er beide und drückte T.K. eine in die Hand. „Aber nur eins, klar? Und wehe du sagst Mama was davon. Dann bringt sie mich um.“ „Ich sag' ihr ganz bestimmt nichts“, erwiderte T.K. Sie stießen an und tranken einen Schluck. Es war das erste Bier, das T.K. in seinem Leben trank. Klar hatte er schon öfter mal bei verschiedenen Gelegenheiten gekostet, doch eine ganze Flasche hatte er noch nicht getrunken. Aber wahrscheinlich wurde es langsam Zeit. „Danke, dass du heute Mittag gekommen bist“, sagte er und lehnte sich gegen die Anrichte. „Kein Problem“, erwiderte Matt lässig. „Ich weiß, dass du das nur wegen mir machst“, redete T.K. weiter. „Ich hoffe, du kannst es irgendwann machen, weil du es selbst willst.“ Matt nickte langsam, ohne ihn anzusehen. „Ich auch.“ Eine Weile schwiegen sie und nippten an ihrem Bier, bis Matt wieder das Wort ergriff. „Was ist eigentlich mit dir und deiner BFF los? Sieht ein bisschen so aus, als würdet ihr euch meiden.“ T.K. runzelte die Stirn. „BFF? Meinst du Kari? Ja, naja... keine Ahnung.“ Er druckste herum, wandte den Blick ab und zuckte mit den Schultern. Matt beobachtete ihn und hob skeptisch eine Augenbraue. „Schon gut, du musst es nicht erzählen. Aber falls du willst, ich bin da.“ „Also um ehrlich zu sein...“, begann T.K. unschlüssig, sah kurz zu Matt und drehte die Bierflasche in seinen Händen. Sollte er jetzt tatsächlich mit seinem Bruder, dem Herzensbrecher, über Frauenprobleme reden? „Ich bin einfach nur ein Arsch.“ „Du?“, fragte Matt ungläubig. „Das fällt mir schwer zu glauben.“ „Vor ein paar Monaten, als wir bei Ken waren, habe ich sie nach Hause gebracht und... zum Abschied habe ich sie geküsst“, erzählte T.K. langsam. Erstaunt hob Matt die Augenbrauen. „Davon wusste ich ja noch gar nichts. War das dein erster Kuss?“ „Ja“, antwortete T.K. „Süß“, erwiderte Matt grinsend. „Und romantisch. Aber nur, weil du sie geküsst hast, bist du noch kein Arsch.“ „Jedenfalls“, fuhr T.K. fort, ohne auf seine Bemerkungen einzugehen, „war es seitdem komisch. Dann kam ja diese Sache mit Shiori und Kari war kurz mit Davis zusammen und ja, irgendwie dachte ich, ich hätte Gefühle für sie. Dann, als wir campen waren, sind wir nachts noch unterwegs gewesen, als ihr alle geschlafen habt.“ „Na, ich hoffe, es bleibt jetzt jugendfrei“, meinte Matt spöttisch. T.K. warf ihm einen genervten Blick zu, bevor er weitersprach. „Sie hat mir gesagt, dass sie sich in mich verliebt hat und gern mit mir zusammen sein würde.“ „Und du hast anscheinend abgelehnt“, schlussfolgerte Matt. „Jap.“ T.K. nickte. „Warum?“, fragte Matt nach, als er keine Anstalten machte, genauere Erklärungen zu liefern. „Ich dachte, du hättest Gefühle.“ „Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich will eigentlich nicht, dass sich in unserer Beziehung was ändert. Ich glaube nicht, dass es noch besser werden könnte, verstehst du?“ Matt stellte sein Bier auf dem kleinen Tisch ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ehrlich gesagt nein. Ihr hattet doch schon fast eine Beziehung. Ihr habt jede freie Minute miteinander verbracht, euch alles erzählt und sogar im gleichen Bett geschlafen. Geküsst habt ihr euch auch schon. Alles, was noch zu einer Beziehung fehlt, ist Sex. Und glaub mir, Sex macht niemals etwas schlechter.“ T.K. verzog das Gesicht. Es war ihm unangenehm, mit seinem Bruder über solche Themen zu reden. Allerdings, wenn nicht mit seinem Bruder, mit wem dann? „Aber was ist, wenn es nicht klappt mit der Beziehung? Dann trennen wir uns und sind keine Freunde mehr“, murmelte er und starrte dabei sein Bier an. „Und was habt ihr momentan? Ihr seht weder nach einem Paar noch nach wirklichen Freunden aus, so wie ihr euch aus dem Weg geht“, gab Matt zu bedenken und sah ihn erwartungsvoll an. T.K. dachte einen Moment lang nach. Da hatte er Recht. Sie hatten keine Beziehung und redeten momentan nicht so wirklich miteinander. Vielleicht wäre es in einer Weile wieder anders und sie würden sich wieder annähern, doch diese Sache würde keiner von ihnen vergessen. Sie würde immer zwischen ihnen stehen. Er kannte Kari gut genug, um zu wissen, wie peinlich es ihr war, ihm ihre Gefühle gestanden zu haben. „Du denkst also, wir sollten es versuchen?“, fragte er unschlüssig. „Ja“, antwortete Matt sofort. „Aber... mit ihr schlafen kann ich nicht, glaube ich.“ „Wieso nicht?“ T.K. nahm einen Schluck von seinem Bier, um mehr Zeit zu haben, über seine Antwort nachzudenken. „Ich glaube, das wäre komisch. Nein, das kann ich mir echt null vorstellen.“ Matt lächelte nachsichtig, als wäre T.K. ein kleines Kind mit einem typischen naiven Gedankengang. „Das sagst du nur, weil du es noch nicht getan hast.“ _ „Sora? Was machst du allein hier draußen?“ Tai musterte seine Freundin mit fragendem Blick. Er hatte gerade in Joes Wohnung nach ihr gesucht und sie nicht gefunden. „Nichts, ich wollte gerade wieder reingehen“, antwortete Sora schnell. Vor einigen Minuten hatte Tai Matt in die Wohnung zurückkommen sehen. Hatte Sora etwa allein mit ihm hier auf dem Balkon geredet? Und über was? Offensichtlich war es nichts Erfreuliches gewesen, denn Sora sah nicht unbedingt glücklich aus. „Hat Matt irgendwas Blödes gesagt?“ „Nein, hat er nicht.“ Sie wich seinem Blick aus. „Möchtest du allein sein?“ „Nein, nein. Wie gesagt, ich wollte gerade wieder reinkommen.“ Sie drehten um und gingen zurück ins Wohnzimmer. „Ich gehe mir was zu trinken holen. Kann ich dir was mitbringen?“, fragte Tai. „Ja, einen Orangensaft bitte“, antwortete Sora lächelnd. „Das ist lieb von dir.“ „Kein Problem.“ Von Soras Verhalten irritiert ging Tai in die Küche, um für sich ein Bier und für Sora einen Orangensaft zu holen. Er traf auf Matt und T.K., die gerade ein Gespräch zu führen schienen, jedoch innehielten, als Tai die Küche betrat. Er hob die Augenbrauen. „Sorry, ich wollte nicht stören“, murmelte er und ging zum Bierkasten weiter, der neben Matt stand. „Schon okay“, erwiderte Matt. Für einen kurzen Moment sahen sie sich in die Augen und Tai wusste nicht, was er fühlen sollte. Eigentlich hatte er keinen Grund mehr, auf Matt sauer zu sein. Er selbst hatte das Mädchen abbekommen und Matt war mit leeren Händen ausgegangen. Jedoch steckte das, was passiert war, immer noch in seiner Erinnerung fest. Die Wette, die seltsame Beziehung zwischen ihm und Sora... Dabei war Matt noch bis vor einiger Zeit sein bester Freund gewesen. Und nun war ihre Freundschaft wegen der Liebe zerstört. Eilig schnappte Tai sich ein Bier, goss Orangensaft in einen Becher und verließ die Küche wieder. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer kam ihm Mimi entgegen. „Hi Turteltäubchen“, sagte sie grinsend. „Bist du voll?“, murrte er und wollte weitergehen, doch sie versperrte ihm den Weg. „Darf man nicht mal gut gelaunt sein, ohne gleich der Trunkenheit beschuldigt zu werden?“, fragte Mimi und hob eine Augenbraue. „Also voll“, meinte Tai nur. „Wir haben schon länger nicht mehr gequatscht, liebster Nachhilfelehrer“, sagte Mimi, ohne noch weiter auf ihn einzugehen. „Und nein, über Mathe reden zählt nicht dazu.“ Tai seufzte. „Kann ich schnell Sora ihren Saft bringen? Dann können wir quatschen.“ Sie sah ihm einen Augenblick in die Augen, dann trat sie endlich zur Seite und ließ ihn weiter ins Wohnzimmer gehen. _ Davis entschuldigte sich gerade mit der Aussage, dass er mal zur Toilette müsste, und ließ Yolei und Ken allein zurück. Etwas schüchtern saßen sie nun hier auf Joes Bett und dachten anscheinend beide über etwas nach, das sich als Gesprächsstoff verwenden ließ. Davis war bisher einfach der Lieferant schlechthin für Gesprächsstoff gewesen und es war nicht langweilig geworden, doch nun war er weg, wenn auch nur für fünf Minuten. „Also, Yolei, ich habe gehört, du bist mittlerweile eine super Köchin?“, eröffnete Ken das Gespräch und kam sich dabei irgendwie dämlich vor. „Oh, ach was, das ist total übertrieben“, lachte Yolei und winkte ab. „Ich besuche nur den Kochclub in der Schule und es macht mir wirklich viel Spaß. Ich liebe Kochen und Backen.“ „Ich hoffe, ich kann noch mal was von deinen Kunstwerken testen“, erwiderte Ken zwinkernd und Yolei bekam einen rosafarbenen Schimmer um die Nase. „Ähm... das geht sicher, du musst nur mal bei mir vorbeikommen“, antwortete sie und blickte in den Becher, den sie in den Händen hielt. „Gern“, erwiderte Ken und realisierte, dass er es auch wirklich so meinte. Er hatte Yolei schon immer wegen ihrer ehrlichen und fröhlichen Art gemocht. Gleichzeitig war sie aber auch nicht das typische Mädchen, so wie Mimi, sondern interessierte sich für Technik und war überaus begabt in diesem Bereich. „Oh, wirklich? Wann möchtest du denn kommen? Also unter der Woche passt es mir immer mittwochs oder donnerstags und an den Wochenenden bin ich eigentlich meistens frei. Ich freue mich immer über Besuch.“ Sie lächelte enthusiastisch. „Du kannst eigentlich auch spontan anrufen. Meistens habe ich noch irgendwo Zeit. Obwohl, lieber nicht, denn ich muss mich ja auch vorbereiten. So ein Essen kocht sich schließlich nicht von allein.“ Ken musste lachen. „Schon okay, ich komme bestimmt nicht völlig überraschend hereingeschneit. Lass uns einfach mal spontan einen Termin ausmachen, okay?“ Sie lächelte und nickte. „Okay. Das wäre super. Ich freue mich darauf.“ _ „So“, sagte Mimi, lehnte sich gegen das Geländer und sah Tai erwartungsvoll an. Sie hatten sich auf den Balkon verzogen, da es hier am ruhigsten war. Nun ja, eigentlich hatte Mimi Tai eher dazu gezwungen, mit ihr hierher zu kommen, da er nicht den Anschein gemacht hatte, als wollte er sich gern allein mit ihr unterhalten. „Wie läuft es denn nun mit Sora? Anscheinend hat mein Plan ja funktioniert.“ Tai zuckte mit den Schultern. „Ja, wider Erwarten. Ich war auch überrascht, aber irgendwie hat es geklappt, obwohl es dein Plan war. Es läuft gut.“ „Obwohl es mein Plan war? Was soll das denn heißen?“, fragte sie gespielt beleidigt und stemmte die Hände in die Hüften. „Naja, du musst schon zugeben, dass der Plan abgedreht und ein bisschen krank war“, erwiderte Tai und hob eine Augenbraue. Mimi dachte kurz nach. „Vielleicht ein bisschen. Aber Hauptsache ist doch, er hat funktioniert.“ Tai nickte und sah in die Ferne der noch immer hell erleuchteten Stadt. „Hat er.“ „Das freut mich.“ Mimi beobachtete ihn von der Seite. Er lächelte leicht vor sich hin und man konnte ihm ansehen, wie glücklich er über die Beziehung mit Sora war. Er sah so zufrieden aus, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Als wäre er mit sich und der Welt vollkommen im Reinen. Im Gegensatz zu Mimi. Denn diese hatte tatsächlich Gefühle für Taichi Yagami entwickelt. Ja, Tai, den sie vor wenigen Wochen mit ihrer besten Freundin verkuppelt hatte. Tai, der oft den Anschein machte, als könnte er sie nicht leiden. Tai, der ihr widerwillig Nachhilfe in Mathe gab und ihr damit das Schulleben mehr erleichterte, als ihm bewusst war. Tai, der ihre beste Freundin liebte und bei dem sie niemals eine Chance haben würde, weil sie von Grund auf anders war als diese. „Danke“, antwortete er leicht lächelnd. „Du bist mir was schuldig“, entgegnete sie keck. Sofort runzelte er die Stirn und sein freundlicher Blick wich einem skeptischen. „Ich dir? Ich gebe die seit Monaten Nachhilfe für lau. Also wenn überhaupt, bist du mir was schuldig, Tachikawa.“ „Ach ja? Und was bitte?“ Herausfordernd sah sie ihn an. Er zuckte mit den Schultern, nippte an seinem Bier und schob die freie Hand in die Tasche seiner Jeans. „Keine Ahnung. Überleg' du, wie du deine Schuld begleichen kannst.“ Er grinste. „Nein, du musst dir überlegen, was du als Aufwandsentschädigung von mir haben möchtest“, erwiderte Mimi bestimmt. „Obwohl ich ja finde, dass dich mit Sora zusammenzubringen schon Entschädigung genug ist, denn immerhin war das harte Arbeit.“ „Ja, zuzugucken, wie andere ihr Leben meistern, kann schon sehr anstrengend sein“, sagte Tai sarkastisch. Sie verpasste ihm einen unsanften Klaps gegen den Oberarm und sah ihn empört an. „Von wegen zugucken. Ich habe Arbeit geleistet im Gegensatz zu dir, der du nur meine ausgefeilten Pläne ausführen musstest.“ Tai lachte spöttisch. „Ausgefeilte Pläne? Meinst du deine plötzlichen Eingebungen, die dich ganze zwei Sekunden gekostet haben?“ Mimi schnaubte und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Zwei Sekunden, schön wär's. Wie oft hatte sie nicht über Tai und Sora nachgedacht und darüber, was die beiden verband, wie man sie einander näher bringen konnte, wie man Sora für Tai begeistern konnte, obwohl diese auf Matt stand, wie ein Nachtfalter auf eine Lampe. „Hey, das war nur ein Witz, okay?“ Wider Erwarten legte Tai versöhnlich einen Arm um ihre Schultern und drückte sie kurz an sich. „Ich glaube, ich habe mich noch nicht wirklich dafür bedankt. Also danke. Danke für deine Mühen und die vielen Gedanken, die du ganz sicher an diese Aktion verschwendet hast. Ich weiß das zu schätzen.“ „Gern geschehen“, murmelte Mimi verlegen, bevor er sie wieder losließ. Ihr Herz schlug etwas schneller als normal und sie wünschte sich, er hätte seinen Arm noch ein wenig länger auf ihren Schultern ruhen lassen. _ Kari fühlte sich völlig benebelt und es fiel ihr schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, das um sie herum geschah. Sie wippte im Takt der Musik mit und starrte vor sich hin, während sie hin und wieder an ihrem Drink nippte. Mimi hatte sie vor wenigen Minuten allein gelassen und jetzt wusste sie nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollte, doch das war kein Problem. Sie dachte über nichts nach, sondern ließ sich einfach treiben. „Hey Kari.“ „Hm?“ Sie sah auf und blickte direkt in T.K.s Gesicht, der sich neben sie setzte. Stirnrunzelnd musterte er sie. „Geht's dir gut? Du siehst so abwesend aus.“ Erst in diesem Moment wurde Kari bewusst, dass sie lächelte und ihre Augen nur halb geöffnet waren. Sie bemühte sich um einen wacheren Blick und sah ihm in die Augen. T.K.! Ihr eigentlich bester Freund, dem sie nun aus dem Weg ging, weil sie sich vorkam wie der letzte Trottel, nachdem sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte. „Was? Nein. Ja. Ich bin nur... äh... keine Ahnung.“ T.K. schnappte ihr den Becher aus der Hand und nippte an ihrem Getränk. Angewidert verzog er das Gesicht. „Du bist betrunken, oder?“ „Nein, nein“, nuschelte Kari. „Ich hab' nicht viel getrunken.“ „Komm schon, wir gehen ein bisschen frische Luft schnappen“, sagte T.K., packte sie am Arm und zog sie hoch. „Gute Idee. Mir ist voll warm“, erwiderte Kari und machte sich mutig auf den Weg, die Wohnung zu verlassen, obwohl sie das Gefühl hatte, alles um sie herum würde sich drehen, nun, da sie aufgestanden war. Nur am Rande bekam sie mit, dass T.K. einen Arm um ihre Taille geschlungen hatte und sie fest an sich zog. Konnte sie nur deswegen geradeaus laufen? Sie verließen die Wohnung und gingen die Treppen hinunter und schließlich aus dem großen Wohngebäude. Die Luft draußen war einigermaßen frisch, doch noch immer drehte sich Karis Welt und es fiel ihr schwer, den Blick auf einen bestimmten Punkt zu fixieren. T.K. verfrachtete sie auf die nächstbeste Bank und drückte ihr einen Becher in die Hand. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er einen mitgenommen hatte. „Hier, trink das“, forderte er sie auf. „Ich glaube, ich sollte lieber nichts mehr trinken“, murmelte Kari. „Das ist Wasser“, antwortete T.K. Kari trank einen kleinen Schluck und lehnte sich zurück. Ihre Augenlider fühlten sich schwer an, genau wie ihr ganzer Kopf. „Danke, dass du auf mich aufpasst“, nuschelte sie und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Du bist der Beste.“ „Dafür sind beste Freunde da, oder?“, entgegnete T.K. Beste Freunde. Ja, sie waren beste Freunde. Schon seit Ewigkeiten. Bis einer von ihnen auf einmal Gefühle für den anderen entwickelt hatte und auch noch so dumm gewesen war, es dem anderen mitzuteilen. „Entschuldige, dass ich dir gesagt hab', ich wäre in dich verliebt“, murmelte Kari vor sich hin. „Das hätte ich nicht tun sollen.“ „Was? Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen“, antwortete T.K. und klang verblüfft. „Das war gut so.“ „Gut? Warum soll das gut gewesen sein? Es war die dümmste Idee, die ich je hatte.“ „Weil man immer darüber reden sollte, was man fühlt.“ „Und was fühlst du?“ Kari hob den Kopf und sah ihn an. „Warum willst du nicht mit mir zusammen sein, meine ich.“ Er sah sie überrascht an. „Kari, ich...“ „Bin ich dir nicht gut genug?“ „Das hat damit nichts zu tun.“ „Findest du mich hässlich? Oder nervig?“ „Nein, im Gegenteil. Du bist hübsch und ich bin gern mit dir zusammen.“ „Was ist es dann? Bist du in eine andere verliebt? Etwa Shiori?“ „Hä? Nein.“ „Warum willst du mich dann nicht?“, rief sie lauter als beabsichtigt. Tränen liefen ihre Wangen herunter, die sie verzweifelt versuchte, mit dem Handrücken wegzuwischen. Sein Gesichtsausdruck sprach von Hilflosigkeit. Vielleicht kannte er die Antwort auf ihre Frage selbst nicht oder hatte Angst davor, ihr die Wahrheit zu sagen. Kari schluchzte und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie wünschte, er würde einfach abhauen. Er sollte sie nicht so sehen, verzweifelt, wie sie war, wegen einer unerfüllten Liebe. Eine Weile saßen sie so da, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Kari hatte sich wieder ein wenig beruhigt und es flossen keine Tränen mehr nach. Vielleicht war ihr Tränenkanal aber auch einfach leer. War das überhaupt möglich? „Warum hast du mich eigentlich geküsst?“, fragte sie leise. „Weil ich Gefühle für dich habe“, antwortete er sachlich, so als würden sie hier über die Aktienkurse der letzten zwei Wochen reden. Verständnislos sah sie ihn an. „Was? Willst du mich eigentlich total verarschen?“ Er seufzte. „Ich habe es dir doch schon erklärt. Mir ist unsere Freundschaft einfach zu wichtig, um sie in Gefahr zu bringen. Verstehst du das denn nicht?“ „Nein! Wenn man Gefühle für jemanden hat, sollte man mit demjenigen zusammen sein und nicht so tun, als wäre alles wie immer“, erwiderte Kari mit belegter Stimme. „Und ich verstehe nicht, warum es dir wichtiger ist, mit mir zusammen zu sein, als mit mir befreundet zu sein und damit zu riskieren, dass alles kaputt geht“, antwortete er trocken. „Wer sagt denn, dass alles kaputt geht? Alle sagen immer, wir wären das perfekte Paar. Es könnte doch genauso gut für immer halten. Vielleicht heiraten wir mal und kriegen Kinder und werden zusammen alt“, redete Kari und gestikulierte dabei wild mit den Händen. „Kann doch alles passieren.“ Er sah sie stirnrunzelnd an, dann kratzte er sich am Kopf und wandte den Blick ab. „Ich muss darüber nachdenken, okay? Ich kann das nicht so schnell entscheiden.“ „Darüber nachdenken? Ich habe dir schon vor über einem Monat gesagt, dass ich in dich verliebt bin. Wie lange willst du denn noch nachdenken?“, fragte Kari ungeduldig. „So lange, wie es eben dauert“, erwiderte T.K. trotzig. Ernüchtert stöhnte Kari auf und sprang auf. „Mach doch, was du willst!“ Sie drehte sich um und wankte zur Eingangstür zurück. _ „Ich fahre nach Hause, okay? Mach's gut.“ „Was? Wie?“ Verwirrt betrachtete Tai seine Schwester, die gerade sein Gespräch mit Izzy unterbrochen hatte. Ihre Augen waren verquollen, ihre Wimperntusche verlaufen und ihre Nase rot. „Wollte dir nur Bescheid sagen“, sagte sie mit verheulter Stimme und machte auf dem Absatz kehrt. Tai warf Izzy einen skeptischen Blick zu, den dieser verwirrt erwiderte, bevor er Kari nacheilte. „Warte doch mal. Du kannst doch nicht allein fahren. Was ist denn passiert? Wieso wartest du nicht, bis die anderen nach Hause fahren?“, fragte er und versperrte ihr die Wohnungstür, durch die T.K. gerade hereingekommen war. Dieser wich Tais Blick aus und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. „Okay, was hat er gemacht?“ „Nichts, ich will einfach nur nach Hause“, schniefte Kari und rieb sich über die tränennassen Wangen. Unsanft stieß sie Tai beiseite, um aus Joes Wohnung zu fliehen. „Okay, warte, ich komme mit“, seufzte Tai genervt. „Ich gehe nur noch schnell Bescheid sagen.“ „Ich will nicht, dass du mitkommst“, erwiderte Kari rau. „Und ich will nicht mitkommen, aber ich lasse dich bestimmt nicht allein fahren. Schon gar nicht, wenn du anscheinend angetrunken bist.“ Er sah sie finster an, bevor er ins Wohnzimmer lief, um sich von allen zu verabschieden. Als er Sora berichtete, dass er doch nicht bei ihr schlafen würde, nickte diese nur und zuckte mit den Schultern. Sie unterhielt sich gerade mit Joe und Nami. Als Tai zurück in den Flur ging, war Kari schon aus der Wohnung verschwunden. Er verfluchte sie innerlich und eilte ihr nach. Ja, er wäre lieber noch auf der Party geblieben, aber wenn Kari auf dem Heimweg etwas passieren würde, könnte er sich das niemals verzeihen. „Erklärst du mir jetzt endlich mal, was los ist?“, fragte er wenig einfühlsam auf dem Weg zur U-Bahn. Kari antwortete nicht. Mit gesenktem Kopf trottete sie neben ihm her in die U-Bahnstation und schließlich in die U-Bahn. Dort starrte sie nur aus dem Fenster. Ihre Wangen waren wieder trocken, sie hatte mit dem Weinen aufgehört, aber glücklich sah sie trotzdem nicht aus. Immer wieder versuchte Tai, ihr auf dem einstündigen Heimweg eine Antwort auf seine Frage zu entlocken, doch sie redete kein Wort, sondern starrte einfach nur mit düsterer Miene vor sich hin. Zu Hause angekommen verschwand sie sofort im Badezimmer und schloss sich ein. Tai grummelte vor sich hin und beschloss dann, in ihr Zimmer zu gehen und sich auf ihrem Bett zu verschanzen. Dann musste sie ihm erzählen, was los war, sonst würde sie in dieser Nacht nicht schlafen können. Er machte sich auf ihrem Bett breit, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte über die Party nach. Sein Leben war so seltsam momentan. Ja, er war glücklich, weil er mit Sora zusammen war. Aber liebte sie ihn genauso sehr wie er sie? Manchmal hatte Tai das Gefühl, dass sie andere Gründe hatte, mit ihm zusammen zu sein als Liebe. Doch er redete sich in diesen Momenten einfach ein, dass es nur daran lag, dass ihre Beziehung noch frisch und ungewohnt war. Sie würde sich schon daran gewöhnen. Die Freundschaft zu Matt hatte er bisher noch nicht retten können. Dabei war sein Zorn ihm gegenüber mittlerweile verraucht, denn Matt hatte Sora nicht mehr und war damit genug gestraft. Nun wäre es eigentlich an der Zeit, dass sie sich wieder annäherten, doch dafür musste jemand den ersten Schritt machen. Momentan gingen sie sich eher aus dem Weg. „Verschwinde“, holte Kari ihn aus seinen Gedanken, als sie ihr Zimmer betrat und ihn auf ihrem Bett vorfand. „Ich will schlafen.“ „Ich gehe erst, wenn du mir gesagt hast, was passiert ist“, antwortete Tai ruhig und gähnte. „Ich will nicht drüber reden“, knurrte Kari. „Und willst du mir dann wenigstens erzählen, wie viel du eigentlich getrunken hast?“, fragte Tai vorwurfsvoll. „Keine Ahnung.“ Auch sie ließ sich nun auf ihr Bett fallen, wandte ihm jedoch den Rücken zu. Unter dem T-Shirt, das sie immer zum Schlafen trug, zeichneten sich die Umrisse ihrer Schulterblätter ab. „Zu viel, glaube ich.“ „Das glaube ich auch.“ Er setzte sich auf und streichelte ihr sanft den Rücken. „Komm schon, Kari. Was ist los? Ich verspreche auch, dass ich niemanden umbringe.“ Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Alle Reste von Make-up und Schminke waren weggewaschen, doch gegen den traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht konnte keine Kosmetik der Welt etwas ausrichten. „Ich bin total bescheuert. Ich habe T.K. gesagt, dass ich in ihn verliebt bin, weil ich dachte, er mag mich auch. Auf diese Weise. Mag er aber nicht, er will nur befreundet sein. Und vorhin haben wir deswegen gestritten. Ich wollte wissen, was er braucht, das ich nicht habe“, erklärte sie. Verblüfft hob Tai die Augenbrauen und starrte sie an. „Du... du bist in T.K. verliebt? Ich wusste es.“ „Ja und ich war so doof, ihm das zu sagen. Er hätte das niemals wissen dürfen“, murmelte Kari. Eine Weile schwieg Tai und kratzte sich am Kopf. Er hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte. Er hätte schwören können, dass T.K. auch in Kari verliebt war. „Wann hast du ihm das gesagt?“, fragte er. „Am ersten August. Im Camp“, antwortete Kari. Tai dachte nach. Ihm fiel ein, dass er die beiden in der letzten Zeit wenig zusammen gesehen hatte. Normalerweise verbrachten sie jedes Wochenende zusammen und hockten auch in der Schule dauernd aufeinander. Aber in den letzten Wochen war das nicht der Fall gewesen. Wieso war ihm das denn nicht aufgefallen? Wieso hatte er Kari nicht schon eher darauf angesprochen? Er hätte doch mitbekommen müssen, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Die Antwort war, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Er war so glücklich, dass er und Sora endlich ein Paar geworden waren, dass er gar keine Augen mehr für etwas anderes gehabt hatte. „Tut mir Leid“, sagte er leise, schlang einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Tut mir echt Leid.“ „Tut dir Leid? Ist das alles? Ich dachte schon, du würdest wieder ausrasten und alles auf T.K. schieben“, erwiderte Kari irritiert. Er zuckte mit den Schultern. „Was soll er machen? Er kann eben auch keine Gefühle erzwingen. Und es wäre doch unfair, dir etwas vorzuspielen, nur um dich nicht zu verletzen.“ Kari schien eine Weile über seine Worte nachzudenken, dann seufzte sie leise und nickte. „Ja, das stimmt.“ „Du solltest ein bisschen schlafen. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus“, sagte er und ließ sie wieder los. Er kletterte aus dem Bett und machte sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer. „Tai?“ Er hielt in der Tür inne und drehte sich mit fragendem Blick zu ihr um. „Sag' Mama und Papa nicht, dass ich was getrunken habe, okay?“, bat sie ihn. „Hey, von uns beiden warst du immer die Petze, schon vergessen?“ Er lächelte und schloss Karis Zimmertür hinter sich. Kapitel 31: Freunde mit Vorzügen -------------------------------- Mittwoch, 27. September 2006   Gelangweilt saß Matt am Morgen auf seinem Platz und folgte dem Unterrichtsgeschehen mehr oder weniger aufmerksam. Wieder einmal fragte er sich, wozu er das eigentlich alles brauchte. Mathe. Mit dieser dämlichen Integralrechnung würde er nie wieder etwas zu tun haben, wenn er erst einmal mit seiner Band durch Amerika tourte. Nie wieder würde ihn jemand fragen, ob er denn eine Kurvendiskussion durchführen oder Vektor x berechnen könnte. Er konnte es kaum erwarten, endlich die Schule und sein ganzes Leben hier in Japan hinter sich zu lassen und abzuhauen. „Matt?“ Nagisa neben ihm sah ihn erwartungsvoll an. „Was?“, brummte er, ohne aufzublicken. „Wann ist eigentlich eure nächste Bandprobe?“, fragte sie. Er runzelte die Stirn. Darüber dachte sie im Unterricht nach? Was ging nur in ihrem Kopf vor? „Morgen, warum?“, antwortete er. „Wäre es in Ordnung, wenn ich... naja, ich würde das echt gern mal miterleben. Wie die Probe so abläuft und...“ „Nope, keine Zuschauer“, unterbrach er sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder von ihr ab. „Wieso nicht?“, fragte sie enttäuscht. „Die Proben gehen keinen was an“, erklärte er einsilbig. „Na gut. Und was machst du am Wochenende?“ Mich betrinken und sehen, wohin das führt, dachte Matt. „Das Übliche“, antwortete er. „Ah ja. Wollen wir zusammen 'das Übliche' machen?“ Matt seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. Was sollte das wieder? Sie hatte schon länger keine Annäherungsversuche mehr unternommen, sodass er schon gehofft hatte, sie hätte endlich aufgegeben. Doch anscheinend hatte sie nur eine Pause gemacht. „Ich werde ein Konzert geben und in irgendeinen Club gehen. Es steht dir frei, auf das Konzert zu gehen und den Club zu besuchen.“ „Hm“, machte Nagisa, sagte dann jedoch nichts mehr. Matt dachte nicht weiter über ihr seltsames Verhalten nach, sondern widmete sich wieder dem Unterrichtsgeschehen. _ Den ganzen Schultag über verspürte Yolei ein Kribbeln in der Magengegend. Heute war es soweit. Sie würde eine Art Date mit Ken haben. Er würde zu ihr kommen und sie würden gemeinsam essen und reden. Was, wenn sie etwas falsch machte? Sich daneben benahm? Ihn enttäuschte und er nach einer halben Stunde wieder ging? Es fiel ihr schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Die ganze Zeit ging sie in Gedanken den kommenden Nachmittag durch und spielte gedanklich alle Vorfälle durch, die sich ereignen könnten. Gute und schlechte. Im besten Fall würde er sich wieder allein mit ihr treffen wollen. Vielleicht würden sie sich sogar küssen. Im schlechtesten Fall... nun, im schlechtesten Fall tauchte er gar nicht erst auf, weil er auf dem Weg zu Yolei eine Neue gefunden hatte. Sie schüttelte den Kopf und verscheuchte den Gedanken. Nein, nein, nein. Darüber wollte sie gar nicht erst nachdenken. Und wie wahrscheinlich war das denn schon? Als die Schulglocke ertönte, sprang sie auf, warf ihre Sachen in ihre Tasche und stürmte aus dem Raum, als würde sie verfolgt. _ „Mann, Mimi. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt“, meinte Tai und hob anerkennend die Augenbrauen. „Du machst echt Fortschritte.“ „Danke“, sagte Mimi ein wenig geschmeichelt. Sie hatte heute viel weniger Probleme dabei gehabt, die Hausaufgaben gemeinsam mit ihm zu lösen. Normalerweise stellte sie sich immer ziemlich dumm an, doch die regelmäßige Nachhilfe trug nun wirklich Früchte. „Wenn du so weitermachst, können wir mit der Nachhilfe bald aufhören“, sagte Tai zufrieden. Erschrocken sah Mimi ihn an. Aufhören? Erstens glaubte sie nicht, dass sie schon gut genug in Mathe war, um ohne ihn klarzukommen, und zweitens hatte sie dann keinen Vorwand mehr, sich jede Woche einmal allein mit ihm zu treffen. Dabei machten ihr die Treffen, seit sie Gefühle für ihn hatte, wirklich Spaß und sie genoss seine Aufmerksamkeit. „Was guckst du so? Freust du dich nicht?“, fragte er verwirrt. „Doch, aber...“ Sie zögerte. „Aber was?“ „Nichts.“ „Na sag' schon.“ „Nein, alles okay.“ „Im Ernst, sag' schon.“ „Es ist nur... du kannst echt nett sein und ich verbringe gern Zeit mit dir“, murmelte sie und zupfte konzentriert an ihren Haarspitzen herum. Tai sagte erst gar nichts, dann prustete er los. „Was ist denn mit dir los? Bist du krank? Warum bist du gar nicht gemein?“ Sie sah ihn an, verzog aber keine Miene. Ihre Finger beschäftigten sich noch immer mit ihren Haarspitzen. „Okay, du machst mir Angst“, sagte Tai und sein Grinsen verblasste. Einen Augenblick schwiegen sie beide. Dann ergriff Tai wieder das Wort. „Sag' mal, bist du in mich verknallt, oder was?“ Schnell wandte Mimi sich ihrem Mathehefter zu und machte sich daran, ihn in ihre Tasche zu stopfen, nur um Tai nicht ansehen zu müssen. Sie spürte, dass sie knallrot anlief. „Sei nicht immer so von dir selbst überzeugt.“ „Das war kein Nein“, stellte er nüchtern fest. Mit zitternden Fingern schloss Mimi ihre Tasche. „Ich muss jetzt los. Es gibt gleich Abendessen bei uns zu Hause.“ Doch bevor sie aufstehen konnte, hatte Tai sie am Arm gepackt. „Alter? Würdest du mir mal eine Antwort geben?“ „Nenn' mich nicht 'Alter', okay?“, murrte sie. „Hast du dich nun in mich verknallt oder nicht?“, fragte er, ohne auf sie einzugehen. „Hör' auf, so blöde Fragen zu stellen“, erwiderte sie statt einer Antwort und machte sich von ihm los. „Das war immer noch kein Nein“, erinnerte er sie ungeduldig. Mimi schnappte sich ihre Tasche und sprang auf. „Mach's gut. Bis morgen.“ Sie stürmte aus dem Zimmer, durchquerte das Wohnzimmer mit offener Küche, wobei sie einer verwirrt dreinblickenden Yuuko Yagami einen Abschiedsgruß zurief, und gelangte zur Wohnungstür. Tai war ihr hinterhergeeilt. „Würdest du mir vielleicht mal antworten? Du machst mir echt Angst.“ Mimi seufzte und drehte sich zu ihm um. „Das spielt keine Rolle. Es ist völlig egal, okay? Vergiss das einfach wieder.“ Dann verließ sie die Wohnung und eilte durch den Hausflur davon. _ „Hä?“, machte Tai laut und schlug die Wohnungstür zu. „Boah, Frauen!“ Er ging zurück ins Wohnzimmer, wo seine Mutter gerade damit beschäftigt war, den Tisch zu decken. Sein Vater würde in den nächsten Minuten nach Hause kommen und sie hatten es sich angewöhnt, jeden Abend noch gemeinsam zu essen. Alles ihrer Ehe zuliebe. „Kannst du mir mal erklären, warum ihr Frauen so kompliziert seid?“, schnauzte er seine Mutter an. Sie hob eine Augenbraue und sah ihn schief an. „Was war denn?“ „Wenn ich die Antwort auf diese Frage wüsste, könnte ich alle Frauen dieser Welt haben“, grummelte Tai und ließ sich der Länge nach aufs Sofa fallen. „Aber du hast doch Sora“, erwiderte seine Mutter verständnislos. „Apropos, gehst du heute noch zu ihr?“ „Ja, ich hole sie nachher von der Arbeit ab und dann gehen wir zu ihr.“ Und nicht nur das. Er würde sie zum Essen einladen, doch davon wusste sie noch nichts. Es sollte eine Überraschung werden. Eine kleine Freude nach ihrer anstrengenden Arbeit. Er streckte sich aus und legte die Beine auf der Rückenlehne ab. „Okay. Bestell' ihr schöne Grüße.“ „Jaja“, murmelte Tai. „Ach und...“, langsam kam Yuuko zu ihm und sah ihn an, „hast du eine Ahnung, was mit deiner Schwester los ist?“ „Kari? Nö, wieso?“, erwiderte Tai desinteressiert. „Naja, sie benimmt sich ganz schön komisch. Hat kaum was gegessen in den letzten Tagen. Sitzt allein in ihrem Zimmer herum und starrt die Wand an. Aber wenn ich sie frage, sagt sie, alles in Ordnung“, erklärte Yuuko ratlos. Tai erwiderte den Blick seiner Mutter und hob eine Augenbraue. Ja, die arme Kari war unglücklich verliebt, aber das würde er seiner Mutter jetzt nicht erzählen. Das würde sie sicher nicht wollen. Tai würde ihr wirklich gern helfen, aber er konnte T.K. schlecht dazu zwingen, sich auf eine Beziehung mit seiner Schwester einzulassen. Er wäre neutral betrachtet sicher eine gute Partie, aber irgendwie war es ihm lieber, dass Kari Single war. Sie war noch viel zu jung, um einen Freund zu haben. Damit konnte sie sich noch mindestens vier Jahre Zeit lassen. Oder besser zehn. „Keine Ahnung. Die kriegt sich schon wieder ein“, murmelte Tai scheinbar gleichgültig. _ Ken holte tief Luft, bevor er auf den Klingelknopf drückte. Es dauerte nur eine Sekunde, bis die Tür geöffnet wurde und Yolei erschien. „Hi!“, begrüßte sie ihn und sprang zur Seite. „Komm' rein.“ Er lächelte, bedankte sich und folgte ihr dann quer durch die Wohnung auf dem Weg in ihr Zimmer. Unterwegs lief er einer ihrer Schwestern über den Weg – er hatte vergessen welche – und wurde heimlich gemustert. Er grüßte nur höflich, worauf diese grinste. „Hau ab“, hörte er Yolei zischen, dann waren sie in ihrem Zimmer angekommen. „Ähm also... setz' dich einfach, okay? Ich gehe das Essen holen“, sagte sie und deutete auf ihren Schreibtischstuhl. „Ich hoffe, du hast viel Hunger mitgebracht.“ „Das habe ich. Komme gerade vom Training“, erwiderte Ken. Yolei verschwand aus dem Zimmer und ließ ihn für ein paar Minuten allein. Ken sah sich in ihrem Zimmer um. Es wirkte sehr ordentlich und sauber. Auf der Bettwäsche war keine Falte zu sehen, die Schränke waren vom Staub befreit und nichts lag ungenutzt herum. Ob sie extra für ihn aufgeräumt hatte? Das brachte ihn zu seiner eigentlichen Frage zurück, die er sich seit Samstag stellte. Warum war er hier? War das eine Art Date oder einfach nur ein Treffen unter Freunden? Er sah es mehr als Treffen unter Freunden, aber er hatte keine Ahnung, wie Yolei das sah. Sie kam mit zwei Tellern zurück und drückte Ken einen davon in die Hand. Er stellte diesen auf seinem Schoß ab und betrachtete sein Gericht. „Das ist eine Pizza mit Meeresfrüchten. Haben wir letzte Woche gehabt“, erklärte Yolei stolz. „Alles selbst gemacht. Also naja, ich habe die Meeresfrüchte natürlich nicht selbst gefangen oder so, aber das ist ja klar.“ Sie lachte nervös, sodass auch Ken amüsiert lächeln musste. „Riecht verdammt lecker“, kommentierte er. „Dann lass' es dir schmecken. Guten Appetit.“ _ „Hallo, mein Lieblings-Workaholic“, hörte sie Tais Stimme durch Nami's Café hallen. „Ah, du kommst gerade richtig. Ich war gerade dabei, die Lichter auszumachen“, sagte Sora lächelnd und ließ sich von ihm einen Kuss auf die Lippen drücken. „Timing ist mein zweiter Vorname“, erwiderte Tai zwinkernd. Sora schaltete die Lichter aus und verließ dann gemeinsam mit Tai das Café. „Mann, ich kann es gar nicht warten, endlich nach Hause zu kommen. Ich bin total erledigt“, seufzte Sora und rieb sich die Augen. „Naja“, machte Tai zögerlich und sie sah ihn fragend an. „Ich habe da noch einen kleinen Anschlag.“ „Was?“, fragte sie verwirrt. „Wir gehen noch nicht nach Hause. Wir gehen jetzt essen. Du und ich“, verkündete er und lächelte breit. „Und ich weiß auch schon, wo. Da drüben hat nämlich ein neues Restaurant aufgemacht, das soll gut sein und ich dachte mir...“ „Warte mal“, unterbrach Sora ihn und blieb stehen. „Was ist?“ „Ich... möchte wirklich einfach nur nach Hause“, murmelte sie. „Ja, kann ich verstehen. Aber du musst auch was essen. Und ich bin sicher, du findest da drüben was Tolles“, erwiderte er noch immer lächelnd. „Nein. Tut mir Leid. Ich bin total müde, weißt du? Ich will einfach nur nach Hause und ins Bett gehen. Wenn wir jetzt noch essen gehen, bin ich erst eine Stunde später im Bett. Aber ich brauche Schlaf. Ich habe den ganzen Abend und Nachmittag gearbeitet und... und...“ „Sora, was hast du heute gegessen?“, fragte er und musterte sie gespielt streng. „Ich hab'... sag' mal, bist du neuerdings mein Ernährungsberater?“ Sie war allmählich ein wenig genervt. Wieso konnte Tai sie nicht einfach nach Hause gehen lassen? Alles, was sie wollte, war eine heiße Dusche und ein Bett. „Ich mach' mir nur Sorgen, klar? Ich will nicht, dass du vom Fleisch fällst. Also gehen wir jetzt gemeinsam in das Restaurant und...“ Er hatte nach ihrer Hand gegriffen, doch Sora hatte sich von ihm losgemacht. „Tai! Ich mein's ernst! Ich will jetzt nicht essen gehen, okay?“, fuhr sie ihn an. Sein Lächeln verblasste und es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete. „Klar.“ Sie seufzte resigniert. „Tut mir Leid, aber...“ „Schon okay.“ Er zuckte mit den Schultern, dann machten sie sich endlich auf den Weg nach Hause. Unterwegs führten sie belanglose Gespräche, in denen Sora von ein paar Gästen erzählte und Tai ihr berichtete, dass Mimi in Mathe besser wurde. Dann kamen sie in Soras Wohnung an, wo diese sofort im Badezimmer verschwand. Sie ließ sich viel Zeit mit dem Duschen. Das war stets der Lieblingsteil ihres Tags: den Dreck abwaschen. Alles wegwaschen, was sie genervt, gestört oder traurig gemacht hatte. Leider half es nur bedingt. Sie putzte sich die Zähne, schlüpfte in ihren Pyjama und kroch in ihr Bett. Als sie sich in die weichen Kissen lehnte und die Augen schloss, spürte sie, dass sie sich endlich ein wenig entspannte. Sie wartete darauf, dass Tai ihre Nachttischlampe ausknipste, doch er tat es nicht. Stattdessen spürte sie plötzlich seine Lippen auf ihren. Zögerlich erwiderte sie seinen Kuss, wollte ihn dann jedoch lösen, um zu schlafen. Tai hingegen schien andere Pläne zu haben. Er vertiefte den Kuss, ließ nicht locker. Sie spürte eine Hand über ihren Oberkörper wandern und sanft ihre Brust streicheln. Sie griff nach seinem Handgelenk und brachte ihn somit dazu, innezuhalten. Die Augen ließ sie jedoch geschlossen. „Ich möchte einfach nur schlafen, okay?“ Sie hörte Tai leise seufzen, doch schließlich knipste er das Licht aus und zog die Decke über sich. _ „Ich glaube, ich werde mich nie wieder bewegen können“, murmelte Ken und hielt sich den Bauch mit einer Hand. Nach der Pizza hatte es zum Nachtisch noch selbstgemachten Reispudding mit Früchten gegeben. „Und ich hoffe, es ist okay, wenn ich dich als meine persönliche Köchin engagiere?“ Yolei kicherte verlegen. Auch sie fühlte sich viel zu vollgestopft, um auch nur von ihrem Bett aufzustehen. „Kommt drauf an, was du zahlst.“ „Hm... da muss ich leider passen. Bin meistens ziemlich blank“, gestand er schief lächelnd. „Ich nehme auch Gefälligkeiten als Bezahlung an“, platzte Yolei vielsagend grinsend heraus, bis ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Sie riss die Augen auf und lief rot an. „Ähm...“, machte Ken, „ich könnte dich ja ins Kino einladen? Was hältst du davon?“ „Oh“, machte Yolei. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte eher erwartet, er würde nun gehen und ihren Vorschlag seltsam finden. „Hm, ich glaube, darauf könnte ich mich unter Umständen einlassen.“ Er nickte und lächelte. „Vielleicht am Samstag? Was hältst du davon?“ Yolei dachte kurz nach. Samstag war sie im Laden eingeteilt. Das würde sie schon irgendwie auf ihre Schwester abwälzen können. „Ja, klar, ich habe Zeit. Und was wollen wir uns ansehen?“ „Wie wäre es mit Nachts im Museum? Der soll gut sein“, schlug Ken schulterzuckend vor. „Klar, bin dabei“, antwortete Yolei, obwohl sie von dem Film noch nie etwas gehört hatte. Hauptsache, Ken war dabei. Sie konnte es nicht glauben, dass sie nun anscheinend ein offizielles Date mit ihm hatte. _ Was um Himmels willen hatte sie sich nur dabei gedacht, vor Tai so einen Mist zu reden? Nun konnte er sich denken, was passiert war. Nicht nur, dass er jetzt wusste, dass sie mehr Gefühle für ihn hatte, als ihnen beiden lieb war, sondern auch, dass er mit seiner dämlichen Vermutung, sie würde sich in ihn verlieben, Recht behalten hatte. Diesen Triumph wollte sie ihm nicht gönnen. Und ihre Zuneigung erst recht nicht. Nur noch sechs Monate, dann bist du hier wieder weg, Mimi. Dann kannst du das blöde Japan und den noch viel blöderen Tai einfach wieder vergessen und so tun, als wäre nie etwas gewesen. Wie sollte sie ihm denn nun am nächsten Tag überhaupt begegnen? Sie würde ihm nie wieder in die Augen sehen können. Wütend auf sich selbst lag Mimi in ihrem Bett und starrte die Zimmerdecke an. Dabei sollte sie lieber endlich schlafen gehen. Sonst würde sie bald solche Augenringe haben wie Sora. Für einen Moment dachte sie darüber nach, die Beziehung zwischen Tai und Sora einfach wieder zu zerstören, scheuchte diesen Gedanken jedoch mit einem Kopfschütteln fort. Nein, das konnte sie weder Sora noch Tai antun. Doch wenn sie die beiden beobachtete, hatte sie den Eindruck, Sora wäre nicht zu hundert Prozent zufrieden mit der Beziehung. Es wirkte, als würde er sie mehr lieben als sie ihn. Nein, nein. Das ging Mimi nichts an. Sie würde sich von jetzt an da raushalten. Sie hatte ihren Soll erfüllt und gehalten, was sie versprochen hatte. Dass sie jetzt Gefühle für Tai hatte, war ihre eigene Schuld. Nun musste sie damit leben. Das Vibrieren ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Sie schnappte es von ihrem Kopfkissen und öffnete die SMS. Sie hatte ein wenig auf eine SMS von Tai gehofft, auch wenn sie sich eingestehen musste, dass er keinen Grund hatte, ihr zu schreiben. Jedoch war die SMS von Matt. Wochenende Magnet? Sie seufzte. Das war typisch Matt. Nur das Nötigste schreiben. Jedes überflüssige Wort war Zeitverschwendung. Wie konnte so jemand nur so gute Lieder texten? Seit die Affäre zwischen ihnen Anfang September begonnen hatte, hatten sie sich jedes Wochenende zum Feiern und Trinken in einem Nachtclub getroffen und waren hinterher in sein schäbiges Motel gegangen, um lieblosen aber leidenschaftlichen Sex zu haben, der ihnen beiden irgendwie half. Mimi war dabei durchaus bewusst, dass sie für ihn nur eine Lückenbüßerin war. Ein Trost, um über die Demütigung mit Sora hinwegzukommen, die seinen Stolz aber auch sein Herz in Mitleidenschaft gezogen hatte. Er hatte bisher nicht darüber reden wollen. Sie hatten geredet, jedoch nur über banale Dinge. Für Mimi wiederum war Matt auch nur eine willkommene Ablenkung von Tai, um ihre verwirrenden Gefühle zu vergessen. Sie nutzten sich also gegenseitig aus, aber das war in Ordnung. Es war wie eine Synthese. Es durfte nur niemand dahinterkommen. _ Warum brauchte dieses Mädchen denn jetzt so lang, um auf eine einfache SMS zu antworten? Sonst saß sie doch praktisch auf ihrem Handy. Matt lag in seinem Bett, starrte in die Dunkelheit und wartete auf das Vibrieren seines Handys. Mimi nervte ihn, auch wenn sie momentan tatsächlich so etwas wie Freunde waren. Freunde mit gewissen Vorzügen. Nichtsdestotrotz war sie jedoch immer noch Mimi mit all ihren Macken und Eigenheiten. Inklusive Prinzessinnengehabe. Sora jedoch nervte ihn im Moment noch mehr. Sie wollte einfach nicht aus seinem Kopf verschwinden, obwohl sie nun schon seit einem Monat mit Tai zusammen war. Matt hatte verloren. Das war gut so. Objektiv betrachtet war Tai ohnehin ein besserer Freund als er und außerdem hatte er zuerst ein Auge auf Sora geworfen. Die beiden gehörten zusammen, das wusste Matt. Dennoch nervte es ihn ungemein, dass er ausgerechnet in Sora verliebt war. Es war das erste Mal überhaupt, dass er für jemanden solche Gefühle empfand und dann sowas. Warum konnte er diese verdammten Gefühle nicht einfach abschalten und wieder in sein altes Leben zurückkehren, indem es noch sie drei als unzertrennliches Trio gab? Er vermisste diese Zeiten. Er würde es sogar in Kauf nehmen, das fünfte Rad am Wagen zu sein, indem er Zeit allein mit einem Pärchen verbrachte, denn er wusste, dass Tai und Sora Rücksicht auf ihn nehmen würden. Doch nach allem, was passiert war, war das nicht mehr möglich. Tai hielt ihn für den größten Arsch überhaupt, obwohl er jetzt das Mädchen bekommen hatte. Ihre Beziehung hatte sich bis jetzt nicht gebessert. Und er selbst wusste nicht, was er von Sora denken sollte. Ja, sie hatte ihn verletzt, indem sie ihm erst wochenlang Hoffnungen gemacht und sich am Ende plötzlich doch für Tai entschieden hatte. Er war enttäuscht gewesen, auch wenn er insgeheim von Anfang an gewusst hatte, dass er nicht mit ihr zusammen sein konnte. Nicht auf diese Art. Und trotzdem war er noch immer in sie verliebt. Er raufte sich die Haare. Warum nur hatten Frauen so eine Auswirkung auf Männer? Warum konnten sie sie einfach um den Finger wickeln mit ihrem Aussehen und ihrem Gehabe? Warum konnten nicht einfach alle Männer und Frauen nur miteinander schlafen, ohne Gefühle? Liebe war doch völlig sinnlos und wahrscheinlich noch nicht einmal existent. Vielleicht war sie nur eine verdammte Einbildung. Sein Handy vibrierte und leuchtete auf, sodass er danach griff. Mimi hatte endlich geantwortet. Ja, geht klar. Gute Nacht Kapitel 32: Sozialversager -------------------------- Freitag, 29. September 2006   „Matt, das ist total verrückt“, flüsterte Mimi, als sie ihm vor den Toiletten entgegenkam. Hektisch sah sie sich um, ob sie irgendwo jemand beobachtete. „Von dir kam doch der Vorschlag“, erwiderte er unbeeindruckt und griff nach der Klinke zum Jungenklo. „Nein, nein, nein.“ Entschlossen griff Mimi nach seinem Arm, sodass er innehielt. „Was?“ „Nicht im Jungsklo. Wir gehen aufs Mädchenklo.“ Matt verdrehte die Augen. „Wegen mir.“ So leise sie konnte öffnete Mimi die Tür zum Mädchenklo und huschte, gefolgt von Matt, hinein. Ein unangenehmer Geruch nach unhygienischen Toiletten, Deodorant und Haarspray schlug ihnen entgegen. Sie unternahm einen letzten Versuch, dieses wahnwitzige Vorhaben doch nicht in die Tat umzusetzen. „Der Vorschlag war übrigens nur ein Scherz gewesen.“ „Tja, dafür stehen wir jetzt aber ziemlich ernst mitten im Mädchenklo“, antwortete er und ging in eine der Kabinen. Mimi blieb unschlüssig stehen, den Blick auf die mit Filzstiften beschmierten Türen der Kabinen gerichtet. Dort waren Telefonnummern und Namen festgehalten, kurze Botschaften und Herzen, nette und weniger nette Worte an die restlichen Benutzerinnen der Toiletten. Matts Kopf erschien im Türspalt einer der Kabinen. „Was ist denn nun? Wir haben nicht ewig Zeit.“ Mimi presste die Lippen aufeinander und folgte ihm dann in die Kabine. Sie konnte nicht glauben, was sie hier tat. Es war mühsam, sich zu zweit in die enge Kabine zu quetschen und anschließend auch noch die Tür zu schließen, doch sofort, nachdem sie es geschafft hatten, drehte Matt den Riegel um und drückte Mimi gegen die Tür. Er vergrub die Lippen an ihrem Hals und schob seine Hände unter ihren Rock, während ihre Finger hastig seine Hose öffneten. Trotz oder gerade wegen dieser seltsamen Situation, in der sie jeden Augenblick erwischt werden konnten, verfehlten seine Berührungen ihre Wirkung nicht. Er wusste einfach, wie er sie um den Verstand bringen konnte. Sie lehnte den Kopf gegen die Tür und stöhnte auf, woraufhin er ihr eine Hand auf den Mund legte und den Kopf hob, um sie anzusehen. „Pst“, machte er. Einen kurzen Moment lang sahen sie sich in die Augen und Mimi fragte sich, wie sie es nur schaffen sollte, keinen Ton von sich zu geben. Dann hob er sie hoch, sie schlang die Beine um seine Hüften und ließ sich von ihm noch fester gegen die Tür drücken. Es dauerte nur wenige Minuten, in denen Mimi sich fest auf die Unterlippe biss, um keinen Laut zu machen. Sie schloss die Augen, versuchte, die Luft anzuhalten und klammerte sich an Matt fest, doch schließlich konnte sie nicht mehr. Sie vergrub die Fingernägel in seinen Schultern und konnte nicht verhindern, dass ein Stöhnen ihrer Kehle entwich, woraufhin Matt ihr sofort wieder eine Hand auf den Mund presste. Er selbst schaffte es, nur leise zu keuchen, wobei sie seine Lippen an ihrem Ohr spürte. Sein heißer Atem jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Der Gedanke, in wenigen Augenblicken wieder zurück in den Unterricht gehen zu müssen, war schlichtweg unvorstellbar.   _   Izzy wandte den Kopf zur Tür des Klassenraums, als diese sich öffnete und Mimi mit einem seltsam zufriedenen Ausdruck im Gesicht und roten Wangen eintrat. Er runzelte die Stirn und beobachtete, wie sie zurück zu ihrem Platz neben ihm schwebte und sich fallen ließ. „Du warst zehn Minuten weg. Hast du dich verlaufen?“, fragte er skeptisch. Mimi sah ihn zunächst mit verklärtem Blick an, dann wich langsam das seltsame Lächeln von ihren Lippen und machte einem erstaunten Ausdruck Platz. „Fragst du mich gerade wirklich nach meinem Toilettengang?“ „N-nein!“, erwiderte Izzy heftig und nun war er es, dessen Wangen sich rot färbten. „Ich meine ja nur...“ „Tja, weißt du... ich habe meine Tage. Da kann das schon mal ein bisschen länger dauern“, erklärte sie ungeniert, sodass Izzy nur noch die Augenbrauen heben und sich abwenden konnte. Das waren ihm definitiv zu viele Informationen. Wieso hatte er nur gefragt?   „Kommst du eigentlich morgen mit?“, fragte Mimi ihn, als sie nach der Unterrichtsstunde gemeinsam nach draußen in die Pause gingen. „Ähm“, machte Izzy zögerlich, „ich denke nicht.“ Sie wollte ihn schon wieder auf ein Konzert der Tokyo Rebels und anschließend in einen Club mitschleppen, doch er hatte keine Lust. Gerade diese Clubs waren einfach nicht seine Welt. Mimi seufzte resigniert. „Dann halt nicht.“ Er war etwas erstaunt darüber, dass sie dieses Mal anscheinend darauf verzichtete, ihn zum Mitkommen zwingen zu wollen, sagte jedoch nichts. Vielleicht hatte sie ja endlich eingesehen, dass es zwecklos war und sie beide nur Nerven kostete. Sie gesellten sich zu Tai und Sora, die irgendwie alle beide nicht besonders glücklich aussahen.   _   Mit kritischem Blick verschränkte Tai die Arme vor der Brust, als er Mimi sah. Seit ihrem seltsamen Gestammel von Mittwochabend hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen, sie jedoch genau beobachtet. Zwar verbrachten sie die Pausen zu viert, doch sie wich seinem Blick aus und vermied es, direkt mit ihm zu reden. Er war sich sicher, dass etwas im Busch war. Und er war sich fast genauso sicher, dass das Problem unerwünschte Gefühle für ihn seitens Mimi waren. Ihr Abgang am Mittwoch war zu eindeutig gewesen, um irgendeinen Zweifel zuzulassen. Doch wie hatte sie das nur zulassen können? Er hatte ihr doch gesagt, sie sollte sich ja nicht in ihn verknallen. Warum hätte sie ihn am Mittwoch nicht ganz einfach anlügen und behaupten können, sie hätte keine Gefühle? Warum musste sie diese Freundschaft, die sie sich gerade mühsam zusammen aufgebaut hatten, mit ihrem dämlichen Verknalltsein zerstören? Eigentlich hatte er sie wirklich lieb gewonnen. Und Sora? Von der entfernte er sich irgendwie seltsamerweise, seit aus ihnen ein Paar geworden war. Dabei sollte es doch Menschen näher zusammenbringen, wenn sie in einer Beziehung waren, oder? Das war doch der Sinn von Beziehungen. Man verbrachte Zeit miteinander, erzählte sich alles, teilte Freud und Leid miteinander, küsste sich und hatte Sex. Ja, auch das gehörte für ihn fest zu einer Beziehung dazu. Schon von Anfang an wollte er Sora so nahe wie nur möglich sein, wollte sie überall berühren, eins mit ihr sein, doch sie weigerte sich stets gegen seine Annäherungsversuche. Natürlich wollte er sie zu nichts drängen und er wusste, dass sie noch Jungfrau war, doch trotzdem fragte er sich, warum sie sich nie darauf einließ, sondern ihn jedes Mal abwies. Stimmte etwas nicht mit ihm? Fand sie ihn vielleicht nicht attraktiv genug? Oder war sie schlicht und einfach noch nicht bereit, den nächsten Schritt zu gehen?   Samstag, 30. September 2006   Sie konnte es kaum glauben. Sie verbrachte praktisch den ganzen Tag zusammen mit Ken. Zuerst hatte sie ihm am Vormittag bei einem Fußballspiel zugesehen und ihn lautstark angefeuert, was einige der Umstehenden die Stirn runzeln ließ. Danach waren sie zusammen Mittag essen gegangen und hatten den Nachmittag damit verbracht, durch die Stadt zu schlendern, die Spätsommersonne zu genießen und sich zu unterhalten. Am frühen Abend waren sie dann schließlich ins Kino gegangen, um sich Nachts im Museum anzusehen. Natürlich interessierte Yolei sich für den Film und es stellte sich heraus, dass er wirklich lustig war. Er brachte sie mehrmals zum Lachen. Doch der Großteil ihrer Aufmerksamkeit war auf Ken gerichtet. Sie versuchte gefühlt alle fünf Minuten, sich irgendwo zu kratzen, sich die Haare zu richten oder sich zu strecken, nur um einen Vorwand zu haben, in Kens Richtung zu sehen. Sie würde gern wissen, ob es ihm genauso ging und ob er auch versuchte, sie anzusehen. Falls ja, bemerkte sie davon nichts. Falls nein, verunsicherte sie das und sie fühlte sich wie ein Trottel. Heiter kamen sie schließlich beide aus dem Film und blieben vor dem Kino stehen. Tief sog Yolei die frische Luft ein und atmete tief durch. „Das war echt ein toller Vorschlag gewesen. Der Film war so witzig“, sagte sie und lächelte Ken an. „Freut mich, dass es dir gefallen hat“, antwortete er. Einen Augenblick lang standen sie sich schweigend gegenüber, nicht wissend, wie dieser Abend weitergehen sollte. „Ähm... was wollen wir jetzt noch machen?“, fragte Ken schließlich unsicher. „Hm, hast du vielleicht Lust auf das Konzert der Tokyo Rebels? Die spielen im Magnet, das ist hier in der Nähe“, schlug Yolei vor. Kari und T.K. hatten ihr gestern in der Schule davon erzählt. Ken schien eine Weile zu überlegen, nickte dann aber schließlich. „Klar, ich würde mir das Konzert echt gerne ansehen.“ Sie fuhren ein Stück mit der U-Bahn und gingen schließlich den Rest des Weges zum Club zu Fuß. Bereits einige Meter vorher dröhnte ihnen der Bass der Musik entgegen und ein Plakat neben der Tür verkündete, dass an diesem Abend die Tokyo Rebels und noch zwei andere Bands im Club spielen würden. Yolei und Ken bezahlten den Eintritt und betraten den Club. Er war nur so überfüllt mit Massen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die der Band zusahen, tanzten, an der Bar saßen und tranken oder einfach nur herumstanden und plauderten. Als Yolei sich daran machte, sich einen Weg zur Bühne zu kämpfen, griff sie einfach nach Kens Hand aus Angst, ihn in diesem Getümmel zu verlieren. Sie konnte sich selbst nicht erklären, woher dieser Mut auf einmal kam, doch sie war froh, es gewagt zu haben, denn er erwiderte ihren Händedruck. Seine Hand war angenehm weich und warm. Bestimmt zog sie ihn hinter sich her und schob sich zwischen all den gut gelaunten Menschen hindurch, bis sie einen akzeptablen Platz fand, von dem aus sie die Band gut im Blick hatte. „Wollen wir hier bleiben?“, rief sie Ken zu, der nur nickte und die Band musterte. Ihre Hand hatte er noch nicht losgelassen und auch Yolei machte keine Anstalten, ihren Griff zu lockern. Es fühlte sich einfach zu gut an und verursachte ein wohliges Kribbeln in ihrer Magengegend. Vorsichtig verschränkte sie ihre Finger mit seinen und ihr Herz machte einen Hüpfer, als er auch darauf einging. Sie sah ihn unauffällig von der Seite an und stellte fest, dass auch er sie ansah. Beide wandten sie den Blick wieder nach vorn zur Bühne, auf der Matt mit einem leidenschaftlichen Ausdruck im Gesicht ins Mikrofon sang und nebenbei auf seiner E-Gitarre spielte. Yolei konnte nicht anders, als ihn zu bewundern. Es überraschte sie ganz und gar nicht, dass er bei den Mädchen so gut ankam. Yolei begann, leicht im Takt der Musik mitzuwippen, wurde etwas schwungvoller und rempelte schließlich das Mädchen neben sich an. „Oh, entschuldige“, rief sie ihr entgegen und sah sie an. Überrascht erwiderte das Mädchen ihren Blick. „Mimi?“ „Yolei? Hallo! Oh, und Ken. Hi“, erwiderte Mimi und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Was macht ihr denn hier?“ „Wir kommen gerade aus dem Kino und dachten, wir schauen hier mal vorbei. Wir wollten Matts Band spielen sehen“, erklärte Yolei. „Und du? Bist du etwa allein hier?“ „Ich ähm...“, machte Mimi und sah sich um, als würde sie nach ihrem Begleiter suchen. „Um ehrlich zu sein, ja. Also eigentlich mit Matt, aber er steht ja da vorne und... ja.“ Skeptisch hob Yolei eine Augenbraue. „Mit Matt?“ Unbeholfen kratzte Mimi sich am Kopf und zuckte mit den Schultern. „Nun, ja, tja... warum nicht? Wir gehen gern zusammen feiern.“ „Okay?“ Misstrauisch runzelte Yolei die Stirn. Irgendetwas war an dieser Sache seltsam.   _   Erschöpft klingelte Sora spät abends bei Tai. Sie hatte noch lange arbeiten müssen und eigentlich war alles, was sie wollte, ins Bett zu fallen. Wie auch schon letztes Mal. Sie hatte bereits ein schlechtes Gewissen, dass sie immer müde war, wenn sie mit Tai Zeit verbrachte, doch sie konnte es nicht ändern. Sie brauchte das Geld nun einmal. Er öffnete ihr lächelnd die Tür. „Hi.“ „Hi.“ Sie ging in die Wohnung und ließ sich von ihm küssen. Ein kurzer Kuss, den sie abbrach, bevor er intimer wurde. Sie zog sich Schuhe und Jacke aus und folgte ihm in sein Zimmer. „Wow, was ist hier passiert?“ Verblüfft blieb sie im Türrahmen stehen und ließ den Blick durch sein Zimmer wandern. Es war anstandslos ordentlich und sauber, kein Staubkrümelchen war zu erkennen, nichts lag irgendwo herum, wo es nicht hingehörte. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, auf dem Schreibtisch, in den Regalen und auf dem Nachttisch standen brennende Kerzen, die den Raum in ein warmes Licht tauchen. Aus dem Radio tönte leise, entspannende Musik. Was wohl die Herzen der meisten Mädchen hätte höher schlagen lassen, ließ Sora jedoch nervös werden. Was sollte das? Wollte er etwa... Alles deutete darauf hin, dass er etwas ganz Bestimmtes wollte. Unsicher sah sie ihn an. „Das hast du echt schön gemacht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Man tut, was man kann.“ Dann ergriff er ihre Hand und zog sie sanft ins Zimmer, um hinter ihr die Tür zu schließen. Sora ließ ihre Tasche fallen und blieb etwas verloren mitten im Raum stehen, nicht wissend, was sie jetzt tun sollte. Tai näherte sich ihr langsam, legte die Hände an ihre Taille und seine Lippen auf ihre. Er begann einen sehr sanften Kuss, voller Liebe und Wärme. Jetzt, da er ihr so nahe war, konnte Sora eindeutig riechen, dass er frisch geduscht war. Sein Haar kitzelte ihre Stirn, als sie sich langsam auf den Kuss einließ und ihn zögerlich erwiderte. Vielleicht war es ja an der Zeit, den nächsten Schritt zu wagen. Nach einigen Augenblicken spürte sie, wie Tais Finger begannen, mit dem Saum ihres Oberteils zu spielen. Er schob seine Hand darunter, streichelte mit den Fingerspitzen ihren Bauch, berührte ihre Hüftknochen, die seit einer Weile ungesund herausstachen und zeichnete den Rand ihrer Hose nach. Seine Berührungen kitzelten sie. Schließlich zog er sanft an ihrem Oberteil, um ihr zu verdeutlichen, dass er es ihr ausziehen wollte. Unschlüssig hob Sora die Arme und ließ zu, dass er es ihr abstreife und auf den Boden fallen ließ, bevor er damit fortfuhr, sie zu küssen. Nun strichen seine Hände ihre Seiten entlang, griffen schüchtern nach ihren Brüsten, die noch sicher in ihrem BH steckten. Er fuhr den Stoff ihres BH entlang, bis seine Hände ihren Rücken erreichten und begannen, mit dem Verschluss zu spielen. Dies war der Moment, in dem sich ein Schalter in Sora umlegte. Unwillkürlich zog sie sich zurück, unterbrach den Kuss und spannte sich an, sodass Tai aufhörte, am Verschluss herumzunesteln. „Ist... ist alles okay?“, fragte er leise. „Tai, ich kann das nicht“, antwortete sie ehrlich. „Was kannst du nicht?“ „Na das hier.“ Er schüttelte kaum merklich den Kopf und lächelte sie aufmunternd an. „Mach' dir keine Sorgen, okay? Entspann' dich einfach und lass' dich fallen.“ Schon wollte er sie wieder küssen, doch sie trat einen Schritt zurück. „Es tut mir echt Leid, aber ich glaube, ich bin noch nicht bereit dafür.“ Er ließ von ihr ab und musterte sie einen Augenblick. „Wieso nicht? Wir kennen uns seit Ewigkeiten und sind seit hundert Jahren befreundet. Was steht dir im Weg?“ „Ich...“ Verzweifelt durchforstete Sora ihr Gehirn nach einer plausiblen Erklärung. „Ich habe keine Ahnung.“ „Sora.“ Er legte seine Hände auf ihre Schultern. „Ich will dich zu nichts drängen, okay? Ich kann warten, das ist kein Problem. Ich will einfach nur wissen, worüber du dir Sorgen machst.“ Erneut spannte sie sich an. „Ich weiß es nicht genau. Es fühlt sich irgendwie noch nicht richtig an.“ Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Die Musik aus dem Radio war das einzige Geräusch und schien im kompletten Gegensatz zur Stimmung zu stehen. „Sag mal“, sagte Tai und ließ sie los, „liebst du mich eigentlich?“ Überrascht über diese Frage sah sie ihn an. Seine braunen Augen erwiderten ihren Blick hoffnungsvoll, aber auch ein wenig bang. Langsam öffnete sie den Mund. „I-ich...“ Was sollte sie antworten? Sie versuchte, in sich zu hören. Konnte sie seine Frage ruhigen Gewissens mit 'ja' beantworten und ihn somit glücklich machen? Was hieß Liebe überhaupt? Wie fühlte es sich an, wenn man jemanden wirklich liebte? Konnte man dieses Gefühl überhaupt bemerken, wenn es da war? Es war zu spät. Sie hatte zu lang gezögert. Der hoffnungsvolle Ausdruck wich aus seinen Augen und machte Enttäuschung Platz. Er trat einen Schritt zurück. „Verstehe.“ Ihre Augen weiteten sich. „Was? Nein, so war das nicht...“ „Ist es wegen ihm?“, unterbrach er sie, ohne auf ihr Gestammel zu achten. „N-nein“, stotterte Sora. „Es ist einfach nur... also...“ „Schon okay. Ich hab's verstanden.“ Er hob ihr Oberteil vom Boden auf und drückte es ihr in die Hand, bevor er sich abwandte und anfing, die Kerzen auszupusten. „Tai, was... was bedeutet das?“, fragte Sora verzweifelt. Was machte er da? „Dass es vorbei ist“, antwortete er, ohne sie anzusehen. „Aber... nein, das wollte ich nicht“, widersprach sie hilflos und ging einen Schritt auf ihn zu. Vorsichtig legte sie eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte zusammen, drehte sich jedoch noch immer nicht zu ihr um. „Geh' einfach, okay?“, sagte er leise. „Ich glaube, das Ganze war ein riesiger Fehler.“ „Tai...“ Sie spürte Tränen in ihren Augen. Er erwiderte nichts mehr, sondern schaltete das Licht im Zimmer an und blies die letzten Kerzen aus, bevor er die Tür öffnete. Auf einmal fühlte sich sein Zimmer seltsam eng und stickig an. Entsetzt starrte Sora ihn an, doch er wartete einfach an der offenen Tür, bedeutete ihr somit wortlos, die Wohnung zu verlassen. Ihn zu verlassen. Schließlich folgte sie stumm seiner Anweisung.   _   „Yolei und Ken waren vorhin hier“, erzählte Mimi und nippte an ihrem Drink. „Zu zweit. Ich glaube, da geht was bei denen.“ „Aha“, erwiderte Matt desinteressiert und trank ebenfalls einen Schluck von seinem Bier. „Mann!“ Sie schlug ihm leicht gegen den Oberarm. „Das ist interessant. Klatsch und Tratsch. Glaubst du, sie sind schon zusammen?“ „Boah, Mimi, wenn du klatschen und tratschen willst, dann such' dir ein Mädchen, okay? Hier rennen genug davon rum.“ Er machte eine ausschweifende Handbewegung. „Du bist langweilig“, warf sie ihm vor und leerte den Rest ihres Getränks in einem Zug. „Ich muss mal Pipi. Lauf' nicht weg.“ Und schon verschwand sie in der Menge und ließ Matt stirnrunzelnd zurück. Er blieb jedoch nicht lange allein. Nur wenige Sekunden nach Mimis Verschwinden tauchte plötzlich Nagisa neben ihm auf. Wo kam die denn schon wieder her? „Hi. Tolles Konzert“, sagte sie lächelnd. „Danke“, erwiderte er in abweisendem Ton und sah in eine andere Richtung, um ihr zu verstehen zu geben, dass er nicht daran interessiert war, mit ihr zu reden. Doch sie verstand es nicht. „Ihr wart wirklich gut. Mit Abstand die Besten heute“, lobte sie und stellte sich etwas dichter neben ihn, sodass ihr Arm seinen berührte. „Wo bleibst du heute Nacht? Hast du wieder ein Motel?“ Er hob eine Augenbraue und sah sie nun doch an. „Ja.“ Sie nickte langsam und lächelte verschmitzt. Ihre Hand legte sich auf seinen Arm und strich langsam darüber. „Falls du noch Begleitung brauchst...“ „Nee, danke“, sagte er trocken und nippte an seinem Bier. „Bist du sicher?“ Ihr Gesicht näherte sich seinem, sodass ihre Lippen schon fast an seinem Ohr lagen. „Ich glaube, das würde gut klappen mit uns beiden. Hat es doch schon mal. Und dir hat es auch Spaß gemacht.“ Seine Augenbraue zuckte. Diese Nacht, an die er keine Erinnerung mehr hatte. So langsam wurde ihm dieses Mädchen irgendwie unheimlich. „Kein Interesse“, entgegnete er kühl. Sie sah ihn an. Ihr Blick verfinsterte sich ein wenig. „Vielleicht solltest du noch mal genauer darüber nachdenken.“ Er erwiderte ihren Blick abweisend. „Glaub' mir, ich habe bereits gründlich darüber nachgedacht und meine Antwort bleibt nein.“ Wo zum Henker war Mimi, wenn man sie mal brauchte? „Hier bin ich wieder!“ Als hätte sie seine Gedanken gehört, tauchte sie fröhlich mit einem neuen Drink in der Hand wieder an Matts Seite auf. Ihr Blick fiel auf Nagisa. „Oh, hi. Du bist in Matts Klasse, oder? Ich bin Mimi.“ Nagisa lächelte flüchtig und entfernte sich, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren. Matt schenkte Mimi einen anerkennenden Blick. „Wow, du bist die reinste Frauenabwehr. Wenn ich mal wieder Hilfe brauche, werde ich dich anrufen.“ Irritiert hob Mimi die Augenbrauen. „Falls das ein Kompliment sein sollte, verstehe ich nicht, warum dir so viele Mädels hinterherrennen, Ishida.“ „Sollte keins sein. Komplimente sehen anders aus.“ Er grinste schief. Sie lächelte wissend und trank einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Hat mir gerade jemand an der Bar ausgegeben. Gut, oder?“ Stolz streckte sie ihm ihr Glas entgegen. „Jap.“ Er musste zugeben, dass er und sie schon irgendwie das perfekte Paar abgaben. Beide verstanden sie es, das jeweils andere Geschlecht um den Finger zu wickeln. Beide mochten sie zwanglose Geschichten, in denen es nur um Spaß ging. Und beide schlugen sie sich gern die Nacht um die Ohren. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Mimi ihr Glas geleert hatte und rülpste. „Sehr lady-like“, kommentierte Matt amüsiert. „Halt' die Klappe. Spendierst du mir den nächsten oder muss ich mir die Mühe machen, jemand anderen zu suchen?“ „Sehe ich aus, als hätte ich einen Geldscheißer zu Hause?“ Mimi tat, als müsste sie darüber erst einmal nachdenken und musterte ihn von oben bis unten. „Um ehrlich zu sein, nein.“ „Charmant.“ Sie grinste und warf mit einer Kopfbewegung ihr Haar über die Schulter. „Immer.“ Matt trank sein Bier leer und stellte die Flasche auf dem nächstbesten Tisch ab. „Los, lass uns noch was zu trinken holen gehen.“   _   Sora war wie in einer Art Trance den Weg nach Hause gelaufen. Sie konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Tai hatte tatsächlich mit ihr Schluss gemacht und sie weinte. Nicht, weil sie traurig über die plötzliche Trennung war, sondern weil sie allmählich verstand, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Er hatte sich vor einiger Zeit in sie verliebt und lange darum gekämpft, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken. Wie hart musste es für ihn gewesen sein, dass sie stattdessen Gefühle für Matt entwickelt hatte und Matt auch noch für sie? Seine beiden besten Freunde. Doch schließlich hatte sie, der Einfachheit halber und wegen verletzter Gefühle, sich auf eine Beziehung mit Tai eingelassen und ihn damit letzten Endes noch mehr verletzt als ohnehin schon. Es war nicht nur, dass sie keinen Sex mit ihm wollte. Er hätte gewartet, das wusste sie. Doch er musste gespürt haben, dass sie ihn nicht wirklich aufrichtig liebte, sondern eher ihr Glück versuchte. Sie hatte geglaubt, Tai wäre die beste Wahl für sie gewesen. Mimi hatte das auch geglaubt. Sie hatte gedacht, sie könnte vielleicht wirkliche Gefühle für ihn entwickeln, denn immerhin war er doch ihr bester Freund und Freundschaft war doch von Liebe nie weit entfernt. Ihre Erfahrung hatte sie jetzt jedoch etwas anderes gelehrt. In diesem Fall schien es, zumindest auf ihrer Seite, eine unüberwindbare Mauer zwischen Freundschaft und Liebe zu geben, die Sora einfach nicht erklimmen konnte. Oder vielleicht auch nie hatte ernsthaft erklimmen wollen. Und jetzt hatte sie vielleicht ihren besten Freund für immer verloren. Was hatte sie nur getan? Sie taumelte in die Wohnung und ging in die Küche. Sie musste etwas essen, das wusste sie. Hunger hatte sie zwar keinen, nein, ihr war sogar schlecht, doch bisher hatte sie an diesem Tag einen Apfel und eine Scheibe Toast gegessen. Dass das nicht genug war, wusste sie selbst. Lustlos nahm sie sich eine weitere Scheibe Toast aus der Packung und schmierte Butter darauf. Allein der Anblick verursachte ein seltsam unangenehmes Gefühl in ihrem Hals. Der Geruch ließ sie bereits das Gesicht verziehen. Sie schloss die Augen, biss ab und kaute auf dem Stück herum. Es schmeckte überhaupt nicht. Als sie den Bissen herunterschluckte, spürte sie ein Würgegefühl in sich aufsteigen. Sie hustete und rannte ins Badezimmer, wo sie sich in die Toilette erbrach.   _   Ein Schlag gegen die Wand und ein anschließender lauter Fluch aus dem Nebenzimmer ließen Kari aus dem Schlaf schrecken und kerzengerade im Bett sitzen. Sie hatte gerade einen wirren Traum gehabt und den Schlag gegen die Wand dort eingebunden, weshalb ihr Herz nun raste. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr klar wurde, dass das Tai gewesen sein musste. Er schimpfte in seinem Zimmer vor sich hin. Langsam kletterte Kari aus ihrem Bett und schlurfte aus ihrem Zimmer in Tais. Seine Tür stand offen. „Hallo? Du wohnst hier nicht alleine“, murmelte sie schlecht gelaunt. „Sorry“, grummelte er und warf eine Kerze in einen Karton, bevor er nach der nächsten griff. Kari hob eine Augenbraue. „Was hattest du mit den ganzen Kerzen vor? Wolltest du dein Zimmer abfackeln?“ „Geh schlafen“, fauchte er und beförderte die nächste Kerze unsanft in den Karton. Kari verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe geschlafen, bis du auf die arme Wand eingedroschen hast!“ „Ja, sorry, Mann!“, rief er ungeduldig. Er warf eine Kerze neben den Karton. „Ach, scheiße hier!“ Er trat sie mit dem Fuß, sodass sie gegen die Wand flog und einen weißen Wachsfleck hinterließ. „Sag' mal, was ist denn los mit dir?“, fragte Kari überrascht. „Sora war gerade hier und ich habe mit ihr Schluss gemacht.“ Er ließ sich auf sein Bett fallen und vergrub stöhnend die Hände in den Haaren. Kari riss entsetzt die Augen auf. „Was? Warum?“ „Weil sie mich eh bloß verarscht hat.“ Er stützte die Ellbogen auf seinen Knien ab und presste sich die Hände gegen das Gesicht. Weinte er etwa? Unschlüssig setzte Kari sich neben ihn und tätschelte seine Schulter. Doch das, was er da redete, ergab momentan keinen Sinn für sie. Sora sollte ihn verarscht haben? „Ähm... wie hat sie dich verarscht?“, fragte sie, als er keine Anstalten machte, weiterzureden. „Sie liebt Matt und nicht mich. Und jetzt hör' auf zu fragen“, erwiderte Tai harsch. Kari nickte langsam. Auch sie hatte mitbekommen, dass zwischen Matt und Sora vor einiger Zeit etwas gelaufen war, doch sie hatte gedacht, es würde der Vergangenheit angehören. Immerhin war sie mit Tai zusammen gewesen, aber anscheinend hatte er keine Chance gegen einen Yamato Ishida. „Wollen wir sie einfach alle beide hassen?“, schlug Kari ihm diplomatisch vor. „Matt und T.K., meine ich.“ Tai hob den Kopf und musterte sie stirnrunzelnd. „Was?“ „Naja, du bist von Matt genervt, ich bin von T.K. genervt. Wir könnten diese Familie einfach alle beide hassen“, erklärte Kari. „Ach, ich habe genug von dem ganzen Hass“, seufzte Tai erschöpft.   _   Auf dem Weg in Matts Motel war Mimi völlig betrunken und musste sich an ihm festhalten, um nicht umzufallen. „Boah, das war zu viel“, stöhnte sie. „Ich hab's dir ja gesagt, aber du wolltest nicht hören.“ Auch seine Zunge war schwer, doch er war nur angetrunken. „Hat so lecker geschmeckt“, verteidigte sie sich und stolperte über eine Bodenplatte, die an einer Seite etwas nach oben stand. Matt griff nach ihrem Oberarm und hinderte sie am Fallen. „Danke, Tai.“ „Matt.“ „Hab' ich doch gesagt.“ „Du hast Tai gesagt.“ Abrupt blieb sie stehen und starrte ihn an. Er erwiderte ihren Blick verwirrt. „Hab' ich das echt?“ „Ja.“ „Oh...“ Er griff wieder nach ihrem Arm und zog sie weiter. „Na komm' schon. Ich will nicht hier draußen übernachten.“ Sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich einfach von ihm führen, verwirrt von der Tatsache, dass sie an Tai gedacht hatte. Wie auch schon den ganzen Abend über. „Ich wünschte, er wäre heute hier gewesen.“ „Wer?“ „Na Tai.“ Ein argwöhnischer Blick streifte sie. „Stehst du auf ihn?“ Was spielte das für eine Rolle? Er hatte deutlich gemacht, dass er es nicht gut finden würde, wenn sie tatsächlich Gefühle für ihn hatte. Kein Wunder. Immerhin war er mit seiner großen Liebe Sora zusammen. Was sollte er da mit Mimis Gefühlen anfangen? „Ist doch egal.“ Matt zuckte mit den Schultern. „Du hast schon mitgekriegt, dass er mit... mit Sora zusammen ist?“ „Ach nein, was du nicht sagst.“ Eine Weile torkelten sie schweigend weiter. „Ich habe ihm übrigens dabei geholfen, sie rumzukriegen, ich dumme Gans“, platzte sie dann heraus. Nun war es Matt, der plötzlich stehen blieb und sie anstarrte. „Du hast was?“ „Ich bin so bescheuert“, sagte Mimi und drehte sich zu ihm um. „Ich hätte ihn haben können, wenn ich es anders angestellt hätte. Und du Sora. Und schon wären wir alle vier glücklich gewesen. Dann wären wir jetzt nicht unterwegs in dein schäbiges Motel, um zu vögeln und zu hoffen, dass wir dabei die anderen beiden vergessen.“ Wortlos starrte Matt sie an, als könnte er nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte. „Wie meinst du das, du hättest ihm geholfen, sie rumzukriegen?“ „Naja“, sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und scharrte mit dem Fuß über den Boden, „ich habe bei ihr ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet und Tai hier und da ein paar Hinweise gegeben. Nur ein paar Schubser bei beiden in die richtige Richtung und schon hat's geklappt.“ Wie in Zeitlupe schüttelte Matt ungläubig den Kopf. „Er hat mir so leidgetan. Ich wollte ihm helfen“, gestand sie. „Und vielleicht wollte ich dir auch eins auswischen.“ „Boah.“ Er legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Du steckst also dahinter. Du bist eine richtige Hexe, weißt du das? Der Teufel höchstpersönlich.“ „Ich kann nur sehr überzeugend sein, wenn ich will. Das ist alles.“ Sie zog eine Schnute und sah ihn an. „Bist du jetzt sauer auf mich?“ Er schien eine Weile zu überlegen, was er darauf antworten sollte. Mit fahrigen Bewegungen kratzte er sich am Kopf und zündete sich schließlich in aller Ruhe eine Zigarette an. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, während er tief den Rauch einsog und durch die Nase wieder ausatmete. „Nein. Ich habe doch selbst mit ihr Schluss gemacht, weil ich sie Tai nicht wegnehmen wollte. Weil ich die Freundschaft zu Tai nicht gefährden wollte. Und was ist jetzt? Sie sind zusammen und reden beide kein Wort mehr mit mir.“ Mimi nickte langsam und lief neben ihm her. „Wir sind die totalen Sozialversager.“ „Total“, stimmte er ihr tonlos zu. Sie klatschten ab und mussten dann plötzlich beide lachen über diese zugleich traurige und komische Situation. Endlich kamen sie in Matts Motel an. Im Treppenhaus roch es nach Dreck und ungewaschener Bettwäsche. Eilig liefen sie in den dritten Stock und Matt schloss die Tür zu seinem Zimmer auf. Es war genau so ein Motel, wie Mimi es schon ein paar Mal bei ihm gesehen hatte. Die Tapete schälte sich von der Wand, das Bett wirkte schmuddelig, die Tür zum Badezimmer war schief und überhaupt war der Raum winzig. „Ich komme gleich“, verkündete Matt und ging ins Badezimmer. Ohne nachzudenken griff Mimi in ihre Tasche und holte ihr Handy heraus, um eine SMS an Tai zu tippen. Auf einmal hatte sie den Drang danach gespürt, ihm genau diese Nachricht zu schicken. Sie packte das Handy zurück in die Tasche und befreite sich selbst von Schuhen, Rock und Oberteil. Anschließend warf sie einen Blick in den kleinen Spiegel, der neben dem Bett an der Wand hing. Mit den Fingern kämmte sie sich kurz die Haare und in dem Moment, in dem Matt aus dem Bad zurückkam, ließ sie sich auf das Bett fallen. Auch er entledigte sich seines T-Shirts, seiner Jeans und seiner Schuhe und kletterte zu ihr aufs Bett. Geschickt griff er mit einer Hand hinter sie und öffnete ihren BH, den er ihr sogleich abstreifte und auf den Boden beförderte. Bevor er sich aber ihren Brüsten zuwenden konnte, legte Mimi die Hände an sein Gesicht und zwang ihn, sie anzusehen. „Sag' mal, ist das eigentlich richtig, was wir hier machen?“ „Willst du es nicht?“, fragte er stirnrunzelnd. Es war nicht so, dass sie es nicht wollte. Sie fragte sich nur, was wohl passieren würde, wenn Sora und Tai etwas von ihrer Affäre mitbekamen. Vermutlich würde das alles in einem noch größeren Drama enden, als es jetzt schon der Fall war. „Nein. Doch. Ach, schon gut. Vergiss es einfach wieder.“ Sie machte Anstalten, sie zu küssen, doch er drehte den Kopf weg und widmete seine Aufmerksamkeit ihren Brüsten. „Warum küsst du mich eigentlich nie?“, fragte sie nun, überrascht, dass sie diese Frage nicht schon eher gestellt hatte. „Das gehört doch irgendwie dazu.“ Wieder sah er sie an, nun etwas genervt. „Ist mir zu intim. Küssen ist was für Verliebte.“ „Ach, und Sex ist natürlich voll nicht intim und nur für Nicht-Verliebte“, erwiderte sie sarkastisch. Er zuckte mit den Schultern. „Sex hat man aus Spaß, aber zum Küssen braucht es Liebe, sonst ist es doch sinnlos und langweilig.“ Mimi verzog irritiert das Gesicht und wollte noch weiter über seine Aussage nachdenken, doch da spürte sie bereits seine Lippen und Finger an Stellen, die ihr den Verstand raubten und sie konzentrierte sich auf andere Dinge. Kapitel 33: Wahre Freundschaft ------------------------------ Sonntag, 1. Oktober 2006   Schwerfällig öffnete Tai am Morgen die Augen und wunderte sich, warum er sich so niedergeschlagen fühlte. War nicht irgendetwas vorgefallen? Ach ja. Die Trennung von Sora vor etwa acht Stunden. Seufzend drehte er sich auf den Bauch und drückte das Gesicht ins Kissen. Er versuchte, sich einzureden, dass die Trennung die einzig richtige Lösung für diesen Schlamassel gewesen war. Vielleicht waren er und sie einfach nicht dazu bestimmt, ein Paar zu sein. Vielleicht gehörte sie einfach zu Matt und nicht zu ihm. Grummelnd griff er nach seinem Handy. Eine neue SMS. Wer hatte ihm denn nachts noch geschrieben? Sora? Hoffnungsvoll öffnete er die SMS, doch sie war zu seiner Überraschung von Mimi, abgeschickt um drei Uhr sechsundzwanzig.   Tai, i4chh wünsxchte, duw2rst jetz iier. D3u hattest rechht mitvdeine7 Vermmutung: ich mag di4ch sehrrrrrr,   Argwöhnisch und ein bisschen erschrocken starrte Tai auf sein Handy. Es war zwar schwer, ihre Nachricht zu lesen, doch wenn man sie erst einmal verstand... verstand man eigentlich nichts mehr. Er brauchte einige Minuten, um sich zu fangen und den Inhalt der SMS zu verarbeiten. Ja, sie war eindeutig betrunken gewesen, als sie das geschrieben hatte. Doch sagten Betrunkene nicht angeblich immer die Wahrheit? Und er hatte es ja sowieso schon vermutet, wie sie richtig geschrieben hatte, doch er hatte gehofft, er würde sich täuschen. Langsam fuhr er sich durch die Haare, bis er schließlich eine Antwort tippte.   _   „Wie kannst du nur am frühen Morgen schon rauchen?“, tadelte Mimi ihn und verpasste ihm einen Schlag mit ihrem Rock, bevor sie diesen anzog. „Das ist doch total eklig.“ „Und wie kannst du am frühen Morgen schon meckern?“, murrte er und nahm einen weiteren Zug. Nur mit seinen Boxershorts bekleidet stand er am offenen Fenster und rauchte in aller Seelenruhe morgens um neun eine Zigarette. „Mit dir muss man nun mal meckern“, erwiderte sie und zog sich ihr Top vom letzten Abend über. Sie kramte ihre Haarbürste aus der Tasche hervor und bürstete sich die langen Haare, bevor sie sie zu einem losen Dutt zusammenband. Anschließend prüfte sie ihr Handy und stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass sie eine SMS von Tai bekommen hatte.   Ähm wie bitte?   Verwirrt starrte sie die Nachricht an. Was wollte er ihr damit sagen? Hatte sie ihm irgendetwas geschrieben? Sie klickte sich zu ihrem Postausgang durch und überprüfte die dort liegenden SMS. Sie öffnete die, die ganz oben stand und an Tai gesendet worden war und riss vor Entsetzen die Augen auf. „Ach du Scheiße!“, rief sie und ließ ihr Handy zu Boden fallen. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Nun konnte sie sich auch wieder dunkel daran erinnern, dass sie Tai letzte Nacht tatsächlich eine solche SMS geschickt hatte. Mit fragendem Blick drehte Matt sich zu ihr um. „Hm?“ Sie stellte sich neben ihn und schob ihn ein wenig zur Seite, um ebenfalls Platz am Fenster zu haben. „Kann ich auch eine?“ Skeptisch hob er eine Augenbraue, hielt ihr aber dann doch die offene Schachtel entgegen und zündete ihr die Zigarette an. „Warum dieser plötzliche Sinneswandel?“ Hastig zog Mimi an der Zigarette und musste prompt husten. Der Rauch kratzte fürchterlich in ihrem Hals und ihrer Lunge. Wie konnte Matt das nur dauerhaft aushalten? „Betrunkene SMS.“ „Ah“, machte Matt, als wüsste er sofort, was sie meinte. „Ich habe Tai geschrieben, dass ich wünschte, er wäre hier und dass ich ihn sehr mag“, erklärte sie genauer und nahm erneut einen Zug. Matt schnaubte belustigt. „Und hat er geantwortet?“ „Ja. Seine Antwort war: 'Ähm wie bitte?'“ Matt sog scharf die Luft ein und verzog das Gesicht. „Autsch.“ „Ja. Autsch“, stimmte Mimi ihm zu und nahm einen weiteren tiefen Zug ihrer Zigarette.   _   Ein kribbelndes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus, wenn er an die vergangene Nacht dachte. Schon den ganzen Morgen stand er deswegen völlig neben sich und konnte sich kaum auf das konzentrieren, was seine Eltern beim Frühstück erzählten. „Wie war es denn mit Yolei?“, fragte seine Mutter schließlich und musterte ihn über den Tisch hinweg mit bohrendem Blick. „Schön“, antwortete er lächelnd. „Wir waren im Kino und hinterher noch in einem Club und ja... ich glaube, ich war um eins zu Hause.“ Er wusste, dass seine Eltern zu diesem Zeitpunkt noch wach gewesen waren. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht schlafen konnten, bevor er nicht sicher wieder zu Hause angekommen war. Seine Eltern fragten ihn noch weiter über die vergangene Nacht aus: welchen Film sie sich angeguckt hatten, in welchem Club sie waren, was dort los war, wie die Leute waren und so weiter. Ken beantwortete brav all ihre Fragen, ohne jedoch zu sehr ins Detail zu gehen. „Und du und Yolei, ihr seid jetzt also...“, fragte seine Mutter neugierig und konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. Verlegen wandte Ken sich an sein Frühstück. „Naja, irgendwie sowas in der Art, ja.“ Zumindest glaubte er das. Sie hatten sich noch nicht geküsst, aber bereits fürs nächste Wochenende verabredet. Und wer wusste schon, was bei ihrem nächsten Date passieren würde. Falls Yolei das gleiche wilde Kribbeln im Magen verspürte wie er, würde es sicher nicht mehr lange dauern, bis er diese Frage seiner Mutter eindeutig mit Ja beantworten konnte.   _   Sora war gerade dabei, sich anzuziehen, als ihre Mutter an die Tür klopfte und öffnete, bevor Sora etwas erwidern konnte. Sie stand in Unterwäsche in ihrem Zimmer und sah Toshiko fragend an. „Ich habe gehört, dass du wach bist“, erklärte diese. „Und ich habe gehört, wie du dich gestern Abend übergeben hast. Ist alles okay? Bist du krank?“ Erschrocken sah Sora ihre Mutter an. „Nein, mir geht’s gut. Bin kerngesund, echt. Das war nur...“ „Hast du gestern was Schlechtes gegessen?“, unterbrach ihre Mutter sie mit einer neuen Frage. Ihr Blick war auf Sora gerichtet, die Arme vor der Brust verschränkt und die Hüfte gegen den Türrahmen gelehnt. „N-nein, nicht, dass ich wüsste“, stammelte Sora unsicher. Sie bekam ein ungutes Gefühl bei diesem Gespräch. „Warum hast du dich dann übergeben?“, hakte ihre Mutter nach. „Ich... naja, war ein langer Tag gestern und ich hatte ein bisschen Ärger und... ja... es kam einfach so, aber es war nur einmal und dann war alles draußen. Und jetzt geht es mir wieder gut, also kein Grund zur Sorge.“ Sie lächelte zuversichtlich, doch Toshiko verzog keine Miene. „Es geht dir wieder gut? Hast du dich mal im Spiegel gesehen?“ Schweigend presste Sora die Lippen aufeinander und wich dem Blick ihrer Mutter aus. Tatsächlich mied sie es seit einiger Zeit, in den Spiegel zu sehen und wenn es doch sein musste, tat sie es nur ganz oberflächlich. Zu genau wollte sie sich selbst momentan nicht angucken. Sie wusste, dass sie abgenommen hatte, und außerdem hatte sie Haarausfall und Augenringe. Ihre Haut war fahl, ihre Lippen rissig, ihre Fingernägel brüchig. Das wollte sie nicht im Spiegel sehen. Toshiko schloss die Tür von Soras Kleiderschrank, auf dessen Vorderseite ein Spiegel angebracht war, sodass Sora sich nun notgedrungen ansehen musste. Sie machte Anstalten, sich das Shirt, das sie in der Hand hatte, anzuziehen, doch ihre Mutter nahm es kurzentschlossen sich. „Nein, sieh dich mal an“, forderte sie. Gezwungenermaßen betrachtete Sora ihr Spiegelbild. Ein mageres, verunsichertes Mädchen mit trübem Blick starrte sie an. Ihre Schlüsselbeine traten knochig hervor, man konnte ihre Rippen zählen, ihre Hüftknochen wirkten kantig, ihre Knie knubblig im Vergleich zu ihren dünnen Beinen, ihre Arme und Hände sehnig. Verstört biss Sora sich auf die Unterlippe bei diesem Anblick. War das wirklich sie? Ihr Blick huschte zu einem Foto, das in der oberen Ecke des Spiegels klebte. Darauf waren sie, Tai und Matt zu sehen und es war irgendwann im letzten Schuljahr bei einem Picknick entstanden. Sie grinsten alle drei in die Kamera und wirkten so glücklich und unbeschwert, dass es sich anfühlte, als käme dieses Foto aus einem Traum, nicht aus einer vergangenen Wirklichkeit. „Was siehst du?“, unterbrach Toshiko ihre Gedanken. Soras Augen füllten sich mit Tränen. Was sie sah, war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Jemand, der mit dem Mädchen, das sie gewesen war, nicht mehr allzu viel zu tun hatte. „Sora, ich kenne mich damit nicht aus, aber ich denke, du bist auf dem besten Weg in eine Magersucht und vielleicht sogar in eine Depression. Ich wollte mich nicht in dein Leben einmischen, habe dich für deinen Traum arbeiten lassen und wollte, dass du einfach glücklich bist. Aber das, was du machst, lasse ich auf keinen Fall länger zu. Erwarte nicht von mir, dass ich dabei zusehe, wie meine einzige Tochter sich selbst zerstört. Was ist nur mit dir passiert?“ Sora öffnete den Mund, um zu antworten, doch heraus kam nur ein Schluchzen und sie sackte zusammen. Und dann fing sie an zu reden.   _   Matt war gerade mal vor einer halben Stunde aus dem Motel zurückgekommen, als sein Vater ihn rief. „Matt, du hast Besuch.“ Besuch? Etwa Mimi? Das war die erste Person, die ihm einfiel. Und die Einzige. Momentan gab es nicht viele Menschen, die ihn gern besuchen würden und Mimi wahrscheinlich auch nur wegen körperlicher Gelüste. Aber vielleicht war es ja auch T.K.? Er verließ sein Zimmer und schlurfte zur Wohnungstür, wo zu seiner Überraschung Tai auf ihn wartete. Die Hände in den Taschen seiner Jogginghose vergraben und damit seine vom Fußball rührenden O-Beine betonend stand er im Türrahmen und sah Matt aus seinen braunen Augen ausdruckslos an. „Tai“, sagte Matt überrascht. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er überhaupt das letzte Mal etwas zu ihm gesagt hatte. „Hi“, begrüßte Tai ihn. Eine Weile starrten sie sich an, Matt wartend und Tai... überlegend, was er sagen sollte? Matt hatte keine Ahnung. Doch schließlich kratzte sein ehemaliger bester Freund sich am Hinterkopf und senkte den Blick. „Ähm... hast du vielleicht eine Minute? Ich will dir was sagen“, fragte er schließlich und wirkte ein wenig verlegen. Matt drehte sich zu der Uhr hinter ihm in der Küche um. Seine Bandprobe würde erst in zwei Stunden beginnen, also hatte er durchaus die ein oder andere Minute frei, die er mit Tai verbringen konnte. Er war wirklich mehr als gespannt, was er zu sagen hatte. „Klar. Lass uns raus gehen“, antwortete Matt schulterzuckend. Gemeinsam verließen sie das Gebäude und steuerten auf den Strand zu. Keiner von ihnen sagte einen Ton, bis sie am Strand ankamen und ganz ohne sich abzusprechen den Sand betraten. Sie wateten am Wasser entlang, das Tosen der Wellen überbrückte die Stille zwischen ihnen. „Also, was wolltest du mir sagen?“, fragte Matt schließlich, als Tai auch keine Anstalten machte, etwas zu sagen, nachdem sie einige Meter durch den Sand gewandert waren. Er räusperte sich und brauchte einige Sekunden, bis er antwortete. „Mir geht das alles total auf die Nerven. Was passiert ist, meine ich. Dass wir nicht mehr miteinander reden und so. Das ist einfach nur ätzend.“ Skeptisch hob Matt eine Augenbraue. Tai war derjenige, der nicht mehr mit ihm redete. Und doch überraschte es ihn, dass er es nun war, der einen Schritt auf ihn und ihre Freundschaft zuging. „Ja, finde ich auch“, stimmte Matt ihm zu. „Wie geht es dir so? Ich meine, was machst du so?“, fragte Tai nach einer Weile. Matt überlegte kurz, bevor er antwortete. „Gut, schätze ich? Und ich mache nur das Übliche. Die Welt retten, Millionen verdienen, ein Allheilmittel kreieren... du weißt schon.“ Tai schnaubte amüsiert. „Bescheiden wie immer.“ „Klar“, erwiderte Matt locker und zuckte mit den Schultern. „Und bei dir so?“ „Nun ja, ähm... das ist es, was ich dir sagen wollte. Ehrlich gesagt habe ich mich gestern von Sora getrennt.“ „Oh.“ Es kam tonlos heraus, wie vieles, das Matt sagte, doch innerlich war er überrascht. Er musste zugeben, dass es zwar nicht so ausgesehen hatte, als würde die Beziehung zwischen ihm und Sora ewig halten, doch er hätte niemals erwartet, dass Tai derjenige war, der es beendete. Und schon gar nicht so schnell. Immerhin waren sie noch nicht einmal zwei Monate zusammen. „Ja“, murmelte Tai. „Sie ist... sie hat... es war wegen dir.“ Das überraschte Matt noch mehr. Seinetwegen? Er erwiderte nichts, sondern wartete, dass Tai weitersprach. „Ich habe es einfach gemerkt. Statt uns näher zu kommen, haben wir uns irgendwie... weiter voneinander entfernt. Als sie mit mir die Beziehung eingehen wollte, dachte ich, es würde sie vielleicht glücklicher machen. Also ich meine, du weißt ja, wie sie momentan aussieht. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie glücklicher geworden ist. Und gestern, da habe ich sie auf dich angesprochen. Ob es wegen dir ist, dass sie mich nicht an sich heran lässt und... naja, sie hat zwar nicht Ja gesagt, aber es war eindeutig“, erklärte Tai langsam. „Es war ein Fehler. Ich war so bescheuert, zu denken, sie könnte einfach mal eben ihre Gefühle ändern und sich für mich statt für dich interessieren. Und mir war es wichtiger, mit ihr zusammen zu sein, als zu versuchen, unsere Freundschaft zu retten. Die Beziehung mit ihr war mir wichtiger als die Freundschaft zu euch beiden. Ich habe dich komplett in den Wind geschossen, um mit ihr zusammen zu sein. Und erst jetzt merke ich, dass das total bescheuert war.“ Er seufzte tief, nachdem er seine Ausführungen beendet hatte und blieb stehen, da Matt nun ebenfalls stehen geblieben war. Fragend sahen sie sich an. „Ich wollte damit sagen, dass du sie haben kannst. Ich habe jetzt endlich begriffen, dass sie dich liebt, nicht mich. Und dass ich euch nur sinnlos im Weg stehe. Also geht und werdet ein Paar. Ihr habt auf jeden Fall meinen Segen und ich werde mich nicht länger wie ein Arschloch benehmen. Vielleicht können wir ja sogar irgendwann daran arbeiten, dass alles wieder ein bisschen so wird wie vorher und...“ „Tai“, unterbrach Matt ihn und suchte seinen Blick. „Man fängt nichts mit der Ex seines besten Freundes an, kapiert?“ Verwirrt blickte Tai ihn an. „Aber ich bin nicht sauer. Es ist schon okay, echt. Klar, es wird sich in der ersten Zeit echt scheiße anfühlen, aber ich weiß, dass es so besser ist. Ich kann ihr eh nicht geben, was sie will.“ „Verdammt Tai!“, rief Matt nun wütend und starrte ihn an. „Du raffst es echt nicht, oder?“ Verunsichert und nun ein wenig abweisend erwiderte Tai seinen Blick. Tatsächlich schien er nicht zu verstehen, worauf Matt hinaus wollte. „Hätte ich von Anfang an gewusst, dass du auf sie stehst, hätte ich die Finger von ihr gelassen. Garantiert. Mir ist die Freundschaft zu dir wichtiger als eine Beziehung mit ihr, kapierst du das nicht? Das war von Anfang an so gewesen. Und ich weiß, wie sehr es dich verletzen würde, wenn ich jetzt was Ernstes mit ihr anfangen würde. Dafür kenne ich dich zu gut, falls dir das entgangen sein sollte. Nur wegen dir habe ich das mit ihr beendet.“ Er wandte den Blick von Tai ab und starrte aufs Meer hinaus. Es war ein trüber Tag und die graue Farbe des Himmels spiegelte sich im Wasser wieder und ließ es kalt und wenig einladend erscheinen. „Ich bin ein Idiot“, murmelte Tai nach einigen Sekunden des eisigen Schweigens. „Bist du nicht“, widersprach Matt nun ruhiger. „Doch. Ich habe sie der Freundschaft vorgezogen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Genau das, was du nicht getan hast. Und jetzt habe ich einfach beides verloren.“ Er kickte einen Stein ins Wasser und wirbelte dabei eine Ladung Sand auf. „Mich hast du nicht verloren“, sagte Matt, den Blick auf die Stelle geheftet, an der der Stein im Wasser verschwunden war. „Ich bin doch hier.“ „Du weißt schon, wie ich das meine“, erwiderte Tai ungeduldig. „Ja, weiß ich. Und ich bleibe bei meiner Antwort.“ Erneut trafen sich ihre Blicke. Tai verzog leicht das Gesicht, wirkte gequält. „Matt. Die ganze Zeit habe ich dich für das größte Arschloch der Welt gehalten. Du bist zwar, gerade was Mädchen angeht, auch wirklich manchmal ein Arsch, aber von Freundschaft verstehst du so viel mehr als ich“, stöhnte Tai und rieb sich die Stirn. „Dafür hättest du niemals im Leben eine Wette auf jemanden abgeschlossen“, entgegnete Matt mürrisch. „Wir haben halt alle unsere guten und schlechten Seiten.“ „Aber genau da ist das Problem. Ich habe dich für schlechter gehalten als mich, dabei bist du das gar nicht“, murmelte Tai. „Ich bin einfach ein mieser Kumpel.“ „Hey“, Matt legte ihm eine Hand auf die Schulter, „man macht einfach dumme Sachen, wenn man verliebt ist, okay? Und unser Problem war, dass wir uns in die Gleiche verguckt haben.“ Tai kaute auf seiner Unterlippe herum und nickte. „Wir hätten beide die Finger von ihr lassen sollen.“ Matt zuckte mit den Schultern. Nun war es ohnehin zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie es hätte anders laufen sollen. Das Kind war längst in den Brunnen gefallen und so schnell würden sie diesen Riss sicher nicht kitten können. Doch von nun an konnten sie es zumindest versuchen. „Du hast mir echt gefehlt, Alter“, murmelte Tai, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Du mir auch“, erwiderte Matt langsam.   _   T.K. lag gerade in seinem Zimmer auf dem Bett und las in einem Buch, als es an der Tür klopfte. Es war schon lange Abend und er wollte in den nächsten Minuten schlafen, weshalb es ihn wunderte, dass seine Mutter noch etwas von ihm wollte. „Ja?“, rief er und ließ das Buch sinken. Die Tür öffnete sich und Natsuko streckte lächelnd den Kopf herein. „Na, schläfst du schon?“ „Gleich“, erwiderte T.K. „Was gibt’s denn?“ „Ich wollte eigentlich nur kurz mit dir reden“, erklärte sie und kam in sein Zimmer. Auch sie trug bereits ihren Schlafanzug und hatte sich abgeschminkt. Langsam setzte sie sich auf die Bettkante und sah T.K. an. „Okay?“ Sie machte ihn ein wenig nervös. Das klang, als wäre etwas Ernstes passiert, doch sie lächelte. Trotzdem schien sie selbst ein wenig nervös zu sein, denn sie knetete die Hände in ihrem Schoß. „Also, es geht um deinen Vater und mich“, begann sie zögerlich. „Wir haben uns da was überlegt.“ T.K. erwiderte nichts, sondern hob nur fragend die Augenbrauen und setzte sich auf. Gespannt wartete er, dass seine Mutter weiterredete. „Wir verbringen ja wirklich momentan sehr viel Zeit zusammen, wie du wahrscheinlich mitbekommen hast.“ Das hatte er in der Tat mitbekommen. Es war nicht zu übersehen. Jedes Wochenende unternahmen sie etwas gemeinsam, luden jedoch meist auch T.K. und Matt dazu ein, um Zeit als Familie zu verbringen. Matt wohnte jedoch nur den nötigsten gemeinsamen Aktivitäten bei, weil er der Beziehung seiner Eltern noch immer skeptisch gegenüberstand. Jedoch hoffe T.K., dass er seine Meinung irgendwann ändern würde, sobald er bemerkte, dass ihre Eltern es ernst meinten. „Und naja, dieses ständige Hin- und Herfahren ist halt ziemlich umständlich auf die Dauer und deswegen haben wir uns gedacht, dass wir eventuell wieder zusammenwohnen wollen. Ich meine, das mit uns geht jetzt schon lang genug, dass ich mir sicher bin, dass es ein gutes Zusammenwohnen wäre, weißt du?“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an. „Was hältst du davon? Denkst du, das ist eine gute Idee?“ T.K. konnte kaum glauben, was er da gehört hatte. Natürlich hätte er damit rechnen können, dass das früher oder später passierte, doch trotzdem überraschte ihn diese Entscheidung seiner Eltern. „Ich... klar! Das ist eine super Idee!“, sagte er begeistert. „Ehrlich, ich freue mich. Das ist großartig. Wann zieht ihr zusammen? Wollt ihr euch eine neue Wohnung suchen oder bleiben wir alle in einer unserer Wohnungen?“ Natsuko lachte erleichtert. „Hey, nicht so übermütig. Ein bisschen wird es noch dauern. Wir werden erst zusammenziehen, nachdem Matt aus der Schule ist. Ich schätze, es wäre keine gute Idee, jetzt zusammenzuziehen, da er immer noch so... dagegen ist.“ „Ja, stimmt, da hast du Recht“, antwortete T.K. ein klein wenig ernüchtert. „Das ist wirklich vernünftiger.“ Ein paar Minuten sprachen sie noch darüber, wie das Zusammenleben wohl werden würde, bevor seine Mutter ihm eine gute Nacht wünschte und das Zimmer wieder verließ. T.K. ließ sich in seine Kissen sinken und lächelte vor sich hin. Seine Eltern wollten tatsächlich zusammenziehen! Vielleicht würden sie ja sogar noch einmal heiraten. Und diesmal würde es ganz sicher für immer klappen und dann würde Matt in ein paar Monaten einsehen, dass er sich umsonst quergestellt hatte. Er würde verstehen, dass ihre Eltern sich liebten und einfach zusammengehörten und dann konnten sie endlich wieder eine Familie sein. Nach all den Jahren. Mit diesem traumhaften Gedanken wollte T.K. einschlafen, doch das Vibrieren seines Handys auf dem Nachttisch lenkte ihn ab. Er griff danach, um zu sehen, wer ihm um diese Uhrzeit schrieb. Es war eine Nachricht von Hiroshi, einem seiner Klassenkameraden. Er kam gut mit ihm klar und sie spielten auch beide Basketball, doch trotzdem wunderte er sich, warum er ihm gerade jetzt schrieb. Verwundert öffnete T.K. die Nachricht und stellte fest, dass er ihm ein Video geschickt hatte.   Hey, sag mal, ist das nicht dein Bruder mit der Amerikanerin?!   Mit einem flauen Gefühl im Magen spielte T.K. das Video ab und ließ bereits nach zwei Sekunden wie erstarrt das Handy fallen. Kapitel 34: Schon wieder Ärger ------------------------------ Montag, 2. Oktober 2006   Mit versteinertem Gesicht wartete T.K. am nächsten Morgen im Foyer der Schule auf Hiroshi. Er musste ihn zur Rede stellen und ihn fragen, was es mit diesem Video auf sich hatte, wo es herkam und wer es noch hatte. Noch immer konnte er nicht glauben, was er da gesehen hatte. Matt und die anderen liefen nach und nach an ihm vorbei, begrüßten ihn, wollten aber zum Glück nicht weiter mit ihm sprechen. Matt und Mimi sahen aus wie immer, als wären sie sich keiner Schuld bewusst. Auch Kari, Yolei und Cody liefen unbekümmert an ihm vorbei und abgesehen davon, dass Kari momentan nicht mit T.K. redete, wirkte sie normal. Davis war wie immer spät dran. Dann erschien endlich Hiroshi und entschlossen ging T.K. auf ihn zu. „Wo hast du das Video her?“, raunzte er, ohne eine Begrüßung von sich zu geben. Hiroshi sah ihn verwirrt an. „Das, was ich dir gestern geschickt habe? Von Mitsuhiko, aber ich glaube, das geht durch die ganze Schule.“ Stöhnend fuhr sich T.K. durch die Haare. Das durfte doch nicht wahr sein. „Es ist also wirklich dein Bruder, ja?“, fragte Hiroshi, als sie sich gemeinsam auf den Weg in den Klassenraum machten. „Mhm“, brummte T.K. „Mit der Amerikanerin. Aber ihr Gesicht hat man ja kurz gesehen“, meinte Hiroshi und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. T.K. hatte das Video nicht komplett gesehen. Die ersten Sekunden hatten ihm gereicht. Er wollte gar nicht wissen, wie es ausging. Im Klassenraum ging T.K. zu seinem Platz neben Kari, die gerade mit dem Mädchen hinter sich geredet hatte und ihm nun einen heimlichen Blick zuwarf. Er stellte seine Schultasche unsanft auf dem Tisch ab und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Er konnte nicht glauben, was hier passierte. Und wieder einmal war Matt der Mittelpunkt des Geschehens.   _   Sora hatte keine Ahnung, wie sie sich Tai gegenüber verhalten sollte. Auf einmal erschien ihr die Welt um sie herum nur noch grau und leer. Sie hatte mit Tai nicht nur ihren festen Freund verloren, sondern auch ihren besten Freund und sie hatte keine Ahnung, ob nach allem, was sie getan hatte, eine Freundschaft überhaupt noch möglich war. Er war einfach immer da gewesen, sie hatte immer mit ihm reden können, er hätte stets alles in Bewegung gesetzt, um ihr zu helfen, wo er nur konnte. Nichts war ihm zu schwer und immer hatte er auch noch ein Lächeln dabei auf den Lippen gehabt. Aber jetzt? Sie hatte geglaubt, sie könnte sich in ihn verlieben, da er doch der perfekte Partner zu sein schien. Sie hatte geglaubt, sie würde durch diese Beziehung über ihre Gefühle für Matt hinwegkommen. Und nun war Tai zutiefst verletzt. Sie hatte ihm das Herz gebrochen. Als sie sich auf ihren Platz im Klassenraum setzte, war Tai noch nicht da. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und nahm kaum wahr, dass die Schüler um sie herum alle zu tuscheln schienen. Doch dann sprach sie Sachiko, die vor ihr saß, an. „Sag mal... weißt du, wie lange das schon mit Matt und der Amerikanerin geht?“ „Hm?“, machte Sora verwirrt und brauchte einige Sekunden, um in der Realität anzukommen. Sie war aus ihren Gedanken gerissen worden. „Matt und die Amerikanerin. Irgendwie hat gar keiner mitgekriegt, dass da was läuft“, erklärte Sachiko mit großen Augen. „Wie heißt sie eigentlich noch mal? Mimi?“ „Ja... ja. Aber wovon redest du?“, fragte Sora irritiert. Dem dunkelhaarigen Mädchen huschte ein Grinsen über die Lippen. „Ach, hast du das noch gar nicht gehört? Akiro, gib' mal dein Handy her.“ Sie tippte ihren Banknachbarn an, der ihr sein Handy reichte und sich ebenfalls zu Sora umdrehte. „Kennst du das Video etwa noch nicht?“ Völlig perplex beobachtete Sora Sachiko dabei, wie sie auf dem Handy herum tippte und schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf. Ein Video von Matt und Mimi? Was war hier los? Wieso wusste jeder davon, nur sie nicht? Sachiko fand, wonach sie gesucht hatte, und hielt Sora das Handy vor die Nase. Vor Schock riss diese die Augen auf. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Zu sehen waren eindeutig Matt und Mimi beim Sex auf dem Schulklo. Trotz der schlechten Qualität gab es keinen Zweifel daran, dass es sich um die beiden handelte. Der Junge hatte blonde Haare und das Mädchen legte den Kopf lustvoll in den Nacken und präsentierte somit ihr Gesicht der Kamera. Ihre Augen waren geschlossen, weshalb sie das Handy, das sie anscheinend aus der Nachbarkabine filmte, nicht bemerkte. Entsetzt starrte Sora die beiden Hauptdarsteller an, beobachtete, wie er immer wieder in sie stieß, die Lippen an ihrem Hals, wie sie aufstöhnte, woraufhin er ihr eine Hand auf den Mund presste, wie ihre schlanken Beine um seine Hüften geschlungen waren, wie sie gegen die Kabinentür gepresst wurde, … Sora drehte sich beim Anblick dieses Videos der Magen um.   _   Izzy beobachtete, wie Mimi mit sorglosem Gesicht in den Klassenraum geschlendert kam, als wäre alles beim Alten. Als wäre alles ganz normal. „Guten Morgen“, begrüßte sie ihn gähnend, als sie an ihrem Platz neben ihm ankam und sich hinsetzte. „Morgen“, erwiderte er ihren Gruß, hörte jedoch nicht damit auf, sie anzusehen. „Ist irgendwas?“, fragte sie verwirrt. Als sie den Kopf hob, schienen ihr die verstohlenen Blicke einiger anderer Klassenkameraden aufzufallen. „Was ist denn los?“ Izzy öffnete gerade den Mund, als jemand anderes zu sprechen anfing. „Hey Tachikawa“, rief Katsuro hinter ihnen und Mimi und Izzy drehten sich genervt um. „Ich wusste gar nicht, dass du so 'ne Schlampe bist.“ Völlig baff aufgrund dieser ungeheuren Anschuldigung hob Mimi eine Augenbraue, während Izzy ihre Reaktion angespannt beobachtete. „Bitte?!“ „Naja mit Ishida auf dem Schulklo vögeln und sich dabei filmen lassen zeugt nicht gerade von Unschuld, oder?“, erwiderte Katsuro grinsend. Mimi entgleisten die Gesichtszüge. Geschockt riss sie die Augen auf und wurde augenblicklich blass. „F-filmen?“ So ähnlich hatte auch Izzy reagiert, als er vor einigen Minuten das betreffende Video zum ersten Mal gesehen hatte. Wahrscheinlich wusste mittlerweile die ganze Schule Bescheid, was zwischen Matt und Mimi auf dem Schulklo passiert war. Izzy hatte es einfach nicht glauben können. Und er wusste genau, wann das Video entstanden war. Nicht im Traum hätte er daran gedacht, dass sie ihren Klogang mitten im Unterricht dazu genutzt hatte, um es mit Matt zu treiben. Hilfesuchend sah sie zu Izzy, der ihren Blick beklommen erwiderte. Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte. „Ach, hast du das etwa nicht mitgekriegt? Naja, warst ja anderweitig beschäftigt“, meinte Katsuro schulterzuckend und hielt Mimi sein Handy entgegen. „Da. Du scheinst ja ganz schön abzugehen.“ Mit geweiteten Augen starrte Mimi das Handy an, während das Video abgespielt wurde. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und schüttelte langsam den Kopf. „Woher hast du das?“, fragte sie und sah Katsuro wütend an. „Hat mir irgendwer geschickt. Keine Ahnung, woher das kommt, jeder hat es“, antwortete er schulterzuckend. „Jeder hat es?“ Mimis Stimme war schrill. Katsuro grinste selbstgefällig. „Naja anscheinend jeder bis auf dich und den Nerd.“ Izzy runzelte die Stirn und wieder warf Mimi ihm einen hilfesuchenden Blick zu. „Oh Gott, Izzy, ich... das ist alles...“ „Mimi Tachikawa?“ Sie zuckte zusammen und wandte sich, wie alle anderen Schüler auch, zur Tür, wo Herr Watabe stand und mit den Augen den Raum nach Mimi absuchte. Verschreckt wie ein Rehkitz erhob sie sich langsam, die Blicke aller Klassenkameraden auf sich gerichtet.   _   Angespannt kaute Matt auf seiner Unterlippe herum, als Mimi mit hängendem Kopf aus ihrem Klassenraum getrottet kam und Herr Watabe die Tür hinter ihr schloss. Sie warf Matt einen kurzen Blick zu, als sie ihn bemerkte, dann folgten sie dem Schulleiter schweigend in sein Büro. Dort angekommen bedeutete er ihnen, sich auf die Stühle vor dem Schreibtisch zu setzen, während er selbst sich hinter den Schreibtisch setzte, die Ellbogen auf der Tischplatte abstützte und die beiden musterte. „Ich schätze, ihr könnt euch denken, warum ihr hier seid?“, begann er das Gespräch und sein Blick huschte zwischen Matt und Mimi hin und her. Matt zeigte keine Reaktion, während Mimi mit gesenktem Blick nickte. „Schön. Dann möchte ich gern einmal von euch hören, was ihr zu dem Video sagt, das hier kursiert“, forderte er sie auf. Matt lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Tja, ich hatte keine Ahnung, dass so ein Video existiert.“ „Ich auch nicht“, nuschelte Mimi, ohne den Kopf zu heben. „Ihr streitet also nicht ab, dass es sich um euch beide beim Geschlechtsverkehr auf der Schultoilette handelt?“ Matt sah Mimi an, die knallrot anlief und nichts erwiderte. Er wandte sich an Herrn Watabe. „Ich schätze, es hat keinen Sinn, irgendwas abzustreiten“, sagte er trocken. „Ihr seid leider einigermaßen gut erkennbar“, bestätigte der Schulleiter Matts Vermutung. Mimi rieb sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. „Die Schule ist ein öffentlicher Ort. Ihr wurdet belehrt, dass Geschlechtsverkehr überall auf dem Schulgelände untersagt ist. Auf dieser Schule gibt es ausschließlich minderjährige Schüler, euch eingeschlossen, die es vor solcherlei Dinge zu schützen gilt. Mit eurer Aktion habt ihr deren Schutz gefährdet.“ Abwartend musterte er Matt und Mimi, doch Mimi starrte immer noch auf ihren Schoß und Matt erwiderte Herrn Watabes Blick ausdruckslos. „Außerdem habt ihr den Unterricht geschwänzt, um anderen Aktivitäten nachzugehen“, fügte er schließlich hinzu. „Eure Eltern werden einen Brief erhalten. Ich werde sie zu einem Gespräch in die Schule einladen, bei dem ich sie über euer Fehlverhalten und die Konsequenzen aufklären werde.“ Nun riss Mimi den Kopf nach oben. „Nein!“, rief sie entsetzt. „Bitte sagen Sie das nicht meinen Eltern!“ Überrascht hob Herr Watabe die Augenbrauen. „Das hättest du dir vorher überlegen müssen, Mimi. Auch du wurdest über die Regeln dieser Schule in Kenntnis gesetzt und hast sie absichtlich gebrochen.“ „Aber wenn meine Eltern... wenn sie das herausfinden...“ Sie führte den Daumen zum Mund und kaute auf ihrem Fingernagel herum. „Es ist als Schulleiter meine Pflicht, eure Eltern über euer Fehlverhalten zu unterrichten“, antwortete Herr Watabe und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Und jetzt möchte ich euch bitten, in eure Klassen zurückzukehren.“ Stocksteif erhob Mimi sich von ihrem Stuhl und machte sich auf den Weg zur Tür, während Matt sitzen blieb und den Direktor über den Tisch hinweg ansah. Fragend erwiderte dieser seinen Blick. „Ich habe noch eine Frage. Was ist eigentlich mit demjenigen, der das Video gemacht und es an die ganze Schule verschickt hat? Ist es etwa rechtens, Schülern auf die Toilette zu folgen, sie dort zu filmen und diese Videos zu verbreiten?“, fragte er. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Mimi stehen blieb und sich umdrehte. Überrascht hob Herr Watabe eine Augenbraue und schien einen Augenblick über seine Antwort nachzudenken. „Natürlich ist es das nicht und sobald ich herausfinde, wer der- oder diejenige ist, werden auch dafür Konsequenzen folgen.“   _   Langsam verließ Tai den Klassenraum, ohne auf Sora zu warten. Bisher hatten sie kein Wort miteinander gewechselt und es fiel ihm wirklich schwer, überhaupt neben ihr zu sitzen im Unterricht. Er hätte nicht gedacht, dass einen Schlussstrich zu ziehen alles so sehr verändern würde. Und dann kamen zusätzlich noch die Geschehnisse des heutigen Tages hinzu. Matt und Mimi waren das Gesprächsthema der Schule. Natürlich hatte auch Tai mittlerweile das Video gesehen und war mehr als überrascht gewesen. Er fühlte sich verarscht. Verarscht von Mimi, die ihm SMS schrieb, in denen sie ihm erklärte, wie gern sie ihn hatte, sich dann aber wiederum von Matt vögeln ließ. Anders konnte man es nicht beschreiben, was die beiden da auf dem Schulklo getrieben hatten. Nach miteinander schlafen oder gar Liebe machen hatte das ganz und gar nicht ausgesehen. Was sollte das? Was genau war Mimis Ziel? Und was sollte er von Matt halten? Angeblich in Sora verliebt und dann etwas mit Mimi anfangen? Die Hände in den Hosentaschen vergraben und auf der Unterlippe herumkauend schlenderte Tai auf den Schulhof. Er erblickte Matt, der von ein paar Jungs umgeben in der Nähe eines Baumes stand. Kurz überlegte Tai, doch dann ging er zu ihm. Als Matt ihn entdeckte, ließ er die Jungsgruppe hinter sich und kam ihm entgegen. Keiner von beiden formulierte eine Begrüßung. Tai musterte ihn. Er hatte seinen typischen gleichgültigen Blick aufgesetzt, als ginge ihm das ganze Geschehen um seine Person sonstwo vorbei. Und wahrscheinlich war dies auch der Fall. „Du und Mimi also?“, fragte Tai schließlich betont lässig. Matt zuckte mit den Schultern. „Nichts Ernstes.“ Dass Matt das so sah, hatte Tai sich schon gedacht. Aber wie sah Mimi das wohl? War es für sie auch „nichts Ernstes“ oder steckte da doch etwas dahinter? „Nichts Ernstes auf dem Schulklo also“, meinte Tai nickend und hob eine Augenbraue. Matt schnitt eine Grimasse. „Ja, war vielleicht nicht so die beste Idee.“ „Aber... warum? Also ich meine, warum Mimi? Ich dachte, du liebst Sora“, fragte Tai schließlich. „Was erwartest du? Dass ich für den Rest meines Lebens keusch bleibe, weil ich Sora nicht haben kann?“, erwiderte Matt stirnrunzelnd. „Nein, aber...“ „Mimi ist einfach nur eine Lückenbüßerin. Nichts weiter.“ Tai verzog das Gesicht. „Eine... Lückenbüßerin?“ „Ja. Na und? Ich bin das Gleiche für sie, also alles okay. Keine Gefühle, nur Ablenkung“, erklärte Matt gleichgültig. Wenig überzeugt nickte Tai. Er konnte diese Denkweise nicht verstehen. Niemals würde er mit einem Mädchen etwas anfangen können, in das er nicht verliebt war, nur um seine Gelüste zu stillen. Auch nicht, wenn das Mädchen es genauso sah. Das lag schlichtweg jenseits seiner Vorstellungskraft. „Und wie geht’s dir?“, fragte Matt nun ruhiger. „Hast du... irgendwie mit Sora geredet oder so?“ „Nein“, antwortete Tai kopfschüttelnd. „Fühlt sich echt komisch an. Aber ich glaube, sie ist ziemlich geschockt wegen des Videos. War ganz schön blass den ganzen Morgen über. Also noch mehr als sonst, meine ich.“ Matt erwiderte nichts, sondern presste nur die Lippen aufeinander.   _   Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch betrat Mimi nach der Schule Nami's Café. Sie musste unbedingt mit Sora reden und sie wusste, dass sie heute wieder arbeiten würde. Den ganzen Tag über war sie damit beschäftigt gewesen, sich hinter Izzys Rücken vor Tai und auch allen anderen zu verstecken und zu versuchen, mit Sora zu reden. Doch Sora hatte die Pausen mit ein paar Mädchen aus ihrer Klasse verbracht und Mimi hatte nicht dazukommen und ihr Gespräch stören wollen. Sie war ohnehin schon das Topthema der Schule. Alle musterten sie mit abwertenden Blicken, sobald sie sie sahen. Jeder wusste, was am Freitag auf dem Schulklo gelaufen war. Jeder hatte das Video gesehen. Mit weichen Knien betrat sie das Café und sah sich um. Wie immer herrschte hier um diese Tageszeit reger Betrieb. Mimi ließ den Blick auf der Suche nach Sora durch den Raum schweifen und entdeckte sie schließlich hinter dem Tresen. Sie hatte ihr den Rücken zugewandt und bediente anscheinend gerade die Kaffeemaschine. Mimi presste die Lippen aufeinander, schluckte und schritt dann entschlossen auf sie zu. Sie setzte sich auf einen der Stühle am Tresen und räusperte sich laut, damit Sora sie hörte. Sogleich drehte diese sich tatsächlich um und hielt inne, als sie Mimi entdeckte. „Hey“, begrüßte Mimi sie lahm. Auf Soras Stirn erschien eine senkrechte Falte. „Was ist?“ Unwillkürlich zuckte Mimi zusammen. Sie konnte sich nicht erinnern, die warmherzige, geduldige Sora schon einmal so erlebt zu haben. Diese kalte Zurückweisung versetzte Mimi einen Stich ins Herz. „Können wir... reden?“ Einen Augenblick lang musterte Sora sie, dann widmete sie wortlos ihre Aufmerksamkeit wieder der Kaffeemaschine. Perplex wartete Mimi ab, ob Sora vielleicht nur einen Kaffee fertigmachen wollte, bevor sie mit ihr redete, doch als die Tasse gefüllt war, stellte sie sie auf einem Tablett ab und begann mit der nächsten. „Okay, es war mies, dass ich was mit Matt am Laufen hatte“, sagte Mimi nun in einem verzweifelten Tonfall. Sora hielt kurz in ihren Bewegungen inne, machte dann aber unbeirrt weiter. „Ich hätte das nicht machen dürfen. Es war respektlos dir gegenüber.“ Sora gab ein leises Schnauben von sich, beachtete sie aber ansonsten nicht weiter. „Aber hör' mal. Ich dachte, da du und Tai ja jetzt zusammen seid, wäre es dir sowieso egal. Also ich meine, du hast doch jemanden, der dich liebt und da ist doch das zwischen Matt und dir sowieso gegessen. Du hast dich für Tai entschieden und nicht...“ „Tai hat Schluss gemacht“, unterbrach Sora sie knapp. Mimi blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. „Was?“ „Wir sind nicht mehr zusammen. Seit Samstag ist es vorbei“, murmelte Sora, ohne sie anzusehen. „Aber... wieso?“, fragte Mimi verdattert. All ihre Arbeit, ihre Mühen, die beiden zusammenzubringen. Und nun soll es ausgerechnet Tai gewesen sein, der das zerstört hatte? „Ist doch egal. Geh' und lass' dich von Matt ficken. Das scheint dir doch eh wichtiger zu sein.“ Vor Überraschung riss Mimi die Augen auf und überlegte, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Hatte Sora das tatsächlich gerade zu ihr gesagt? Bevor sie etwas erwidern konnte, war Sora mit einem Tablett in den Händen unterwegs zu einem Tisch im Gastraum. Mimi war drauf und dran ihr nachzulaufen, doch sie wollte sie nicht vor ihren Gästen blamieren. Dafür legte sie sich ihre Worte für die Rückkehr ihrer Freundin sorgfältig zurecht. „Entschuldige mal, wie kommst du darauf, dass mir das mit Matt wichtiger ist als du?“, fragte sie, als Sora zurückkam, und zwang sich selbst zu einem ruhigen Ton. „Ja, ich hatte was mit ihm, aber nur, weil du ihn nicht wolltest, weil du mit Tai zusammen warst und Tai sowieso viel besser ist als Matt. Was will man mit Matt, wenn man Tai haben kann?“ „Man schläft nicht mit dem Ex der besten Freundin! Hast du davon noch nie was gehört?“, fauchte Sora und noch immer erkannte Mimi sie nicht wieder. Mimi krallte die Hände in ihre Schultasche, die auf ihrem Schoß lag. „Ich hab doch gesagt, ich hätte es nicht machen dürfen. Es tut mir Leid.“ „Warum hast du es überhaupt gemacht?“, rief Sora, sodass einige Gäste sich zu ihr umdrehten. Hastig wandte sie sich von Mimi ab, holte Gläser aus einem Schrank hervor und goss Getränke ein. „Mann, Sora, Matt und ich, wir sind zwei völlig verkorkste Menschen. Wir waren einfach beide verletzt und nutzen uns nur gegenseitig aus, okay? Wir haben beide in der gleichen Situation gesteckt“, versuchte Mimi die Sache zu erklären. Sora warf ihr einen kurzen Blick zu und hob eine Augenbraue. „Warum genau bist du denn verletzt? Du hast Matt doch jetzt bekommen.“ „Es ging mir nicht um Matt.“ Sora stellte die Wasserflasche, die sie gerade in der Hand hielt, ab und sah sie an. „Tai.“ Mimi nickte langsam. „Oh mein Gott, ich hätte es wissen müssen“, murmelte Sora, schüttelte den Kopf und kippte Wasser in ein Glas. „Na dann viel Spaß mit ihm. Nimm sie dir einfach alle beide.“ „Was hast du denn bitteschön gemacht?!“, brauste Mimi auf. Ihr war soeben der Kragen geplatzt. Soras Haltung machte sie nahezu aggressiv. „Du bist es doch gewesen, die erst was mit Matt angefangen hat! Dann hat er dich fallen lassen, weil er Tai, seinem besten Freund, nicht im Weg stehen wollte, und was machst du? Fängst prompt was mit Tai an, der dich aufrichtig liebt und alles für dich tun würde und im Gegensatz zu Matt nicht jedes Wochenende eine Andere hat! Was Matt dabei denkt, scheint dir scheißegal gewesen zu sein! Und jetzt? Jetzt hast du es irgendwie geschafft, dass Tai sich von dir trennt, obwohl er dich liebt! Und mich stellst du jetzt als die Schlampe hin?“ Sie war aufgesprungen und starrte Sora wütend an. Mit jedem Satz war sie lauter geworden und hatte die Gespräche im Gastraum verstummen lassen. Aller Augen waren auf sie gerichtet. „Du bist diejenige, die zwei Jungs, die sie lieben, das Herz gebrochen hat, nicht ich! Und du bist diejenige, die Freundschaften einfach wegwirft! Aber wenn das die wahre Sora ist, dann werde ich dieser Freundschaft keine Träne nachweinen!“   _   Wütend durchquerte Kari das Zimmer ihres Bruders, der mit einem Kissen auf dem Gesicht auf dem Bett lag und sie noch nicht einmal bemerkt hatte, und betätigte einen Knopf an seinem Computer. Als die viel zu laute Metal-Musik, die bis eben noch aus den Lautsprechern gedröhnt war, verstummte, breitete sich eine angenehme Stille im Zimmer aus und Kari entspannte sich. Tai unterdessen nahm das Kissen von seinem Gesicht und setzte sich auf. „Mach' das wieder an“, knurrte er. „Ich denk' nicht dran. Wenn ich das noch eine Sekunde länger hören muss, begehe ich Selbstmord“, fauchte Kari und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und außerdem wollte ich mit dir reden, aber das geht nicht, wenn die da dauernd dazwischen kreischen.“ Tai nickte mit finsterer Miene und sah sie abwartend an. Kari ließ sich neben ihn auf sein Bett fallen und strich sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich glaube, ich brauche dich nicht zu fragen, wie es dir geht.“ Ihre Blicke trafen sich. Tai war etwas blass und sah außerordentlich genervt aus. „Du hast eine scharfe Beobachtungsgabe, Kari.“ „Hab' ich von Mama“, erwiderte Kari schulterzuckend. „Das denke ich auch“, meinte Tai gleichgültig. „Und worüber wolltest du reden?“ „Naja also... was hältst du von dem Video, das in der Schule rumgeht?“, fragte Kari langsam. Tai hob die Augenbrauen, atmete tief ein und aus und fuhr sich durch die Haare. „Keine Ahnung. Ehrlich gesagt überrascht es mich nur, dass sie sich keinen sichereren Ort dafür gesucht haben.“ Verständnislos runzelte Kari die Stirn. „Wusstest du etwa, dass da was läuft?“ „Nein, aber... eigentlich hätte man es sich zumindest bei Matt denken können, wenn ich es mir recht überlege“, antwortete er. „Und... was denkst du darüber?“, fragte Kari und musterte ihn neugierig. Tai zuckte mit den Schultern und kratzte sich im Nacken. „Ist irgendwie ein bisschen komisch.“ Kari nickte zustimmend. „Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, Mimi steht auf dich. Sie ist so oft bei uns und redet so viel von dir beim Tanzen. Aber anscheinend habe ich mich geirrt.“ „Du denkst also, sie steht auf mich?“, hakte er nach. „Dachte“, korrigierte sie ihn. Er starrte auf einen unbestimmten Punkt im Raum und schien über etwas nachzudenken. Kari ließ ihm einen Augenblick, dann kam sie auf ihr eigentliches Thema zu sprechen. „Aber was ich dich fragen wollte: Denkst du, ich sollte mit T.K. darüber reden? Also glaubst du, er könnte vielleicht Hilfe gebrauchen oder so?“ Überrascht sah Tai sie an. „Was fragst du mich das?“ „Naja, du bist doch ein Kerl. Stell dir vor, Matt wäre dein Bruder und du hättest...“ „Nein, Kari, du kannst dich besser in die Situation hineinversetzen, weil du tatsächlich einen Bruder hast“, unterbrach Tai sie schief lächelnd. „Stell' dir vor, ich wäre das da in dem Video.“ „Ich soll mir vorstellen, wie du es mit Mimi auf dem Schulklo treibst? Willst du das wirklich?“, fragte Kari entgeistert und verzog das Gesicht. Er lief ein klein wenig rot an und schob ihre Bemerkung mit einer Handbewegung von sich. „Du weißt schon, wie ich das meine.“ Kari dachte einen Augenblick darüber nach. Es wäre ihr wohl ziemlich peinlich und sie würde sich sehr für ihren Bruder schämen, wenn er das in dem Video gewesen wäre. Sie hätte sich das Video nicht einmal angucken können. Vermutlich ging es T.K. also ähnlich. Würde sie in so einer Situation jemanden – ihren besten Freund – an ihrer Seite wissen wollen? Jemanden, der zu ihr hielt und sie nicht auf ihren verdorbenen Bruder ansprach? Ja, würde sie. „Aber... ich habe seit der Party nicht mehr mit ihm geredet. Wir gucken uns nicht einmal an“, murmelte sie ausweichend. „Kari, er ist dein bester Freund. Er braucht dich. Du solltest über deinen Schatten springen und ihm zeigen, wie wichtig er dir ist. Lass' Gefühle nicht eure Freundschaft zerstören“, meinte Tai mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen. Nachdenklich sah sie ihn an. Sie vermisste T.K. tatsächlich als Freund und sie könnte sich dafür ohrfeigen, dass sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte. Was hatte sie nur dazu getrieben? Und dann noch ihr Auftritt am Abend der Party. Peinlich. Doch sie war sich sicher, dass T.K. sie nicht aufgegeben hatte. „Ich glaube, du hast Recht“, seufzte sie schließlich und stand auf. „Danke, Tai. Ich wünschte, du würdest auf deine eigenen Ratschläge hören.“ Tai schnaubte spöttisch. „Das wünschte ich auch.“ Kapitel 35: Nichts zu verlieren ------------------------------- Mittwoch, 4. Oktober 2006   Am gestrigen Tag hatte Mimi einen Brief für ihre Eltern in der Schule bekommen, der die Nacht über ungeöffnet in ihrer Schultasche geschlummert hatte. Nun musste sie ihn jedoch an ihre Eltern weiterreichen, denn es würde wohl noch mehr Ärger geben, wenn ihre Eltern erst durch einen Anruf des Direktors von ihrem Fehltritt in der Schule erfuhren. Dennoch hatte sich Mimi dazu entschlossen, ihrer Mutter den Brief am Morgen zu geben, damit sie anschließend mit einer guten Ausrede aus dem Haus verschwinden und ihrem Zorn entkommen konnte. Langsam schlich Mimi in die Küche, den unheilverkündenden Brief hinter dem Rücken versteckend. Satoe stand gerade in der Küche und lächelte sie an, als sie sie sah. „Guten Morgen, Honey“, begrüßte sie sie und deutete auf den gedeckten Tisch. „Dein Müsli wartet schon.“ Unschlüssig blieb Mimi vor ihrem Stuhl stehen und kaute auf ihrer Unterlippe herum, sodass ihre Mutter ihr einen fragenden Blick zuwarf. „Ist irgendwas?“ „Ich ähm... hab' einen Brief. Für dich. Und für Papa“, antwortete Mimi kleinlaut und hob die Hand mit dem Brief. „Von der Schule.“ Überrascht hob Satoe die Augenbrauen. „Oh, worum geht’s denn? Macht ihr einen Ausflug oder sowas?“ Schön wär's. Reuevoll senkte Mimi den Blick. „Nein, ich hab' etwas ziemlich Dummes getan.“ „Tatsächlich? Was denn?“ Ihre Mutter nahm ihr den Brief aus der Hand und setzte sich auf ihren Stuhl, während Mimi ebenfalls Platz nahm. Mit zittrigen Fingern nahm sie den Löffel, der neben ihrer Schüssel voll Müsli lag, in die Hand und beobachtete ihre Mutter, die den Brief mit Hilfe eines Messers öffnete. „Etwas sehr Dummes“, nuschelte Mimi. Am liebsten wollte sie auf der Stelle im Boden versinken. Während sie die Gesichtszüge ihrer Mutter beobachtete, fühlte es sich an, als würde sie ihren eigenen Untergang beobachten. Satoes Augen huschten hin und her, während sie den Brief las. Ihre Miene verfinsterte sich, dann weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen und sie schlug eine Hand vor den Mund, bevor sie Mimi anstarrte. „Mimi, sag' mir, dass das nicht wahr ist!“, sagte sie leise durch ihre Hand nuschelnd. Zur Antwort wich Mimi nur ihrem Blick aus und starrte in ihr Müsli, das sie noch nicht einmal angerührt hatte. „Du hattest während des Unterrichts... Geschlechtsverkehr auf der Schultoilette?“, fasste Satoe das Geschehen zusammen. Mimi nickte langsam. „Das... das glaub' ich einfach nicht. Wer ist der Junge? Doch nicht etwa Izzy?“ Satoes Blick wurde noch entsetzter, wenn das überhaupt möglich war. „Nein, nicht Izzy“, antwortete Mimi stirnrunzelnd, verwirrt über diese Vermutung. „Tai?“ „Was? Nein!“ Wild schüttelte Mimi den Kopf, erschrocken darüber, dass ihrer Mutter so viele potentielle Sexpartner einfielen. „Wer denn dann?“, fragte Satoe verzweifelt. Mimi zögerte. „Kennst du Matt noch?“ Einen Augenblick lang schien ihre Mutter zu überlegen, doch dann fiel es ihr ein. „Ach, der Blonde von früher? Der heute in einer Band spielt?“ „Mhm“, machte Mimi und nickte bestätigend. Für einen Moment schloss Satoe die Augen und rieb sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. „Um Himmels willen, Mimi, was hast du dir nur dabei gedacht?“ „Ich hab' ja gesagt, es war dumm“, murmelte Mimi und erhob sich von ihrem Stuhl. Ihr Müsli hatte sie nicht angerührt. „Ich muss jetzt los. Sonst komme ich zu spät.“ Und schon rannte sie aus der Wohnung.   _   „Achso, bevor ich es vergesse. Du musst morgen zu einem Gespräch oder so in die Schule kommen“, sagte Matt im Vorbeigehen und warf Hiroaki, der gerade mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Küchentisch saß, den Brief vor die Nase, den er gestern in der Schule bekommen hatte. „Bitte was?“ Sein Vater hob eine Augenbraue, nippte an seinem Kaffee und nahm den Brief in die Hand. „Hast du irgendeinen Mist gebaut?“ „Könnte man so sagen“, murmelte Matt ausweichend und ging zur Wohnungstür, um sich die Schuhe anzuziehen. Er wollte die Wohnung jetzt lieber verlassen, da er mit einem Wutanfall rechnete. Während Hiroaki den Brief öffnete und den Bogen Papier herauszog, schlüpfte Matt in seine Schuhe und nahm seine Jacke vom Haken in der Garderobe. Seine Hand lag schon auf der Türklinke, als Hiroakis Stimme erklang. „Du hast was?!“, polterte er und sprang auf. „Yamato Ishida, ist das tatsächlich dein Ernst?“ Matt seufzte kaum hörbar und drehte sich zu seinem Vater um. „Ich wusste nicht, dass uns jemand filmt, okay?“ „Ist das tatsächlich alles, was dir dazu einfällt?“, rief Hiroaki und warf den Brief auf den Tisch. Wutschnaubend kam er auf ihn zu. „Bist du noch bei Trost? Ich habe mir schon gedacht, was du an den Wochenenden, wenn du die Nächte außer Haus verbringst, so treibst. Bin ja nicht bescheuert und du bist kein Kind mehr. Ich habe die ganze Zeit immer einfach nur gehofft, dass du Kondome benutzt. Das war alles. Ich habe nichts gesagt und wollte mich nicht einmischen. Es ist deine Sache. Aber auf dem Schulklo während des Unterrichts? Auf dem Schulklo? Hast du denn überhaupt kein Schamgefühl? Wie nötig hattest du es denn, dass du es nicht einmal mehr bis nach Hause geschafft hast mit wem auch immer du da deinen Spaß hattest?“ Sein Kopf war rot angelaufen und eine Ader pochte bedrohlich an seiner Schläfe. Matt hatte ihm die ganze Zeit in die Augen gesehen, auch wenn es ihm teilweise schwer gefallen war. Über dieses Thema mit dem eigenen Vater zu reden war einfach mehr als nur seltsam. Erst recht, wenn es darum ging, beim heimlichen Sex auf dem Schulklo gefilmt worden zu sein. „Kann man jetzt eh nicht mehr ändern“, erwiderte Matt schulterzuckend und ohne eine Miene zu verziehen. Hiroaki stöhnte auf und fasste sich an die Stirn. „Geh' mir aus den Augen. Mach', dass du wegkommst. Na los.“ Das ließ sich Matt nicht zweimal sagen.   _   Kari saß schon auf ihrem Platz im Klassenraum, als T.K. mit finsterem Gesicht zur Tür hereinkam und sich auf seinen Platz neben sie setzte, ohne sie zu grüßen. Sie redeten ja momentan nicht miteinander, seit sie dieses Streitgespräch auf der Party vor knapp zwei Wochen hatten. Am Anfang hatte T.K. noch versucht, mit ihr zu reden, doch sie war ihm immer ausgewichen, bis er nach ein paar Tagen aufgegeben hatte. „Guten Morgen“, sagte Kari leise und sah ihn an. Überrascht erwiderte er ihren Blick. „Hi.“ „Ist... ist alles okay? Ich meine, wie geht’s dir?“, fragte sie ein wenig verlegen. „Diese Sache mit Matt ist schon ziemlich krass.“ „Ja. Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter hat gestern einen Anruf aus der Schule bekommen. Morgen müssen meine Eltern zu einem Gespräch mit Matt und Herrn Watabe.“ Kari verzog das Gesicht. „Wie hat sie reagiert?“ „Ist ganz blass geworden und konnte es nicht glauben. Hat jetzt, bevor ich los zur Schule bin, meinen Vater angerufen. Keine Ahnung, was das morgen werden soll“, murmelte T.K. und stützte mit nachdenklichem Blick den Kopf auf der Hand ab. „Er ist so ein Idiot. Wieso musste das sein?“ „Sag' mal, wollen wir vielleicht heute nach der Schule irgendwas machen? Spazieren gehen oder so?“, fragte sie statt einer Antwort. Nun war sein Blick verwirrt. „Ähm... okay.“ „Naja wir könnten darüber reden. Also falls du willst, meine ich“, stammelte Kari eine Erklärung und kratzte sich verlegen am Kopf. T.K. nickte langsam. „Ja, das wäre vielleicht echt cool.“   _   Ungeduldig stand Mimi gegen die Wand des kleinen Gebäudes gelehnt, in dem sich die Umkleidekabinen für die Außensportanlage befanden, und wartete auf Tai. Heute war Nachhilfetag. Sie brauchte Nachhilfe und sie brauchte Tai, obwohl sie ihm diese Woche nicht einmal in die Augen gesehen hatte. Doch sie konnte die Nachhilfe nicht sausen lassen. Es war zu wichtig. Normalerweise ging sie in der Zeit zwischen Schule und Nachhilfe bei Tai nach Hause, doch das wollte sie heute, da ihre Mutter von dem Zwischenfall in der Schule erfahren hatte, unter allen Umständen vermeiden. Vermutlich hätte sie sie heute nicht mehr vor die Tür gelassen und Mimi wollte lieber so wenig Zeit zu Hause verbringen wie möglich. Also war sie in der Stadt herumgelaufen und hatte über den Streit mit Sora gestern nachgedacht. Die Eskalation der Situation nagte ziemlich an ihr. Sie hatte gewusst, dass Sora sauer werden und sie vielleicht erst einmal nicht mehr sehen wollen würde, doch sie hatte nicht erwartet, von ihr als Schlampe abgestempelt zu werden. Es verletzte sie sehr, dass ihre Freundin so über sie dachte, wo sie doch diejenige war, die beiden Jungs das Herz gebrochen hatte. Vielleicht hätte sie heute noch einmal versucht, mit ihr zu reden, doch sie hatte Sora in den Pausen nicht gesehen. „Was machst du denn hier? Bist du für 'ne schnelle Nummer mit Ishida verabredet?“ Aus ihren Gedanken gerissen wirbelte Mimi herum und entdeckte Katsuro, der einige Meter von ihr entfernt ebenfalls gegen die Wand gelehnt stand. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. „Was willst du?“, fauchte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht ist es ja auch gar nicht Ishida, sondern jemand anderes. Vielleicht vögelst du dich ja einmal komplett durch die Schule.“ Mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht kam er auf sie zu. Mit finsterem Blick beobachtete sie ihn, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sein Gerede machte sie wütend. „Halt' einfach die Klappe, okay?“ Er kam bei ihr an, baute sich auf einmal dicht vor ihr auf und presste sie gegen die Wand. Erschrocken riss Mimi die Augen auf. „Sag' mal, spinnst du? Hau' ab!“ „Wieso? Du treibst es doch anscheinend gern mit allen möglichen Leuten an allen möglichen Orten“, entgegnete Katsuro grinsend, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. „Was Ishida kann, kann ich schon lange. Wirst schon sehen.“ „Sag' mal, hast du sie noch alle?!“, rief Mimi empört und wollte ihn von sich stoßen, doch er presste sich dicht an sie, schnappte ihre Handgelenke und blockierte ihre Beine mit seinem Körper. Er war einfach zu groß und zu kräftig, als dass Mimi sich hätte wehren können. „Was denn? Wieso hast du dich denn jetzt so albern?“ Er ließ ihr Handgelenk los und schob seine Hand zwischen ihren Körpern unter ihren Rock. „Du magst es im Stehen, oder?“ „Wie krank bist du bitte?“, kreischte Mimi und Panik kroch ihr den Rücken hinunter. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien, nach ihm zu treten, ihn von sich zu stoßen, ihm irgendwie wehzutun, doch er hatte ihren Körper mit seinem so fest gegen die Wand gepresst, dass sie sich fast nicht rühren konnte. Er wollte sie doch wohl nicht etwa hier auf dem Schulgelände vergewaltigen? Mimi stieß einen Schrei aus, woraufhin er seine Lippen auf ihre presste. Entsetzt und angewidert warf sie den Kopf hin und her und stieß dabei schmerzhaft gegen die raue Wand. Seine Hand hatte sich inzwischen unter ihren Slip gekämpft und alles in Mimi verkrampfte sich. Tränen der Angst schossen ihr in die Augen. Sie versuchte, die Beine zusammenzupressen, doch er zwängte ein Bein zwischen ihre. „Lass' mich sofort los, du krankes Schwein!“, schrie Mimi, den Kopf noch immer hin und her werfend. Plötzlich sah sie, wie eine Faust seitlich Katsuros Kopf traf und wie sein Körper von ihr weggerissen wurde. Sie fiel auf den Boden und sah sich nach ihrem Retter um. Es war kein Geringerer als Tai, der Katsuro am Kragen gepackt hatte und ihn feindselig anstarrte. „Alter, was geht mit dir?“, fuhr er ihn an. „Bist du noch ganz dicht? Hast du gerade ernsthaft versucht, sie zu vergewaltigen?“ „Was mischst du dich da ein, Yagami?“, kam die Antwort von Katsuro und prompt bekam er erneut die Faust ins Gesicht und landete auf dem Boden. „Was bist du eigentlich für ein kranker Typ? Ist dir klar, was du da gemacht hast?“, rief Tai hasserfüllt. Katsuro rappelte sich auf und brachte einige Schritte zwischen sich und Tai. „Sie ist doch nur eine Schlampe, die es mit jedem treibt. Sie wollte es, klar?“ „Das hat aber ganz anders ausgesehen und du machst jetzt besser, dass du wegkommst, bevor ich dich umbringe!“, brüllte Tai und kam auf ihn zu, doch Katsuro stolperte rückwärts, drehte sich um und ergriff grummelnd die Flucht. „Fass' sie noch einmal an und du wirst deines Lebens nicht mehr froh, du Pisser!“ Dann wandte er sich an Mimi, die noch immer am Boden kauerte und stumme Tränen weinte, geschockt von dem, was sie gerade erlebt hatte. Er hockte sich neben sie und streichelte beruhigend ihre Schulter. „Ist alles okay?“, fragte er besorgt. „Tut dir irgendwas weh?“ Mit zitternden Händen wischte Mimi sich über die nassen Wangen und schüttelte den Kopf. „Wir sollten zum Schulleiter gehen und das melden“, sagte Tai entschlossen. „Nein!“ Aus geweiteten Augen starrte sie ihn an, packte seinen Arm und hinderte ihn daran, aufzustehen. „Ich habe schon genug Mist gebaut. Er wird es leugnen. Niemand wird mir glauben wegen dieser Sache. Und ich kriege noch mehr Stress.“ Ungläubig starrte Tai zurück. „Mimi, er hat dich begrabscht, gegen deinen Willen. Wer weiß, was er gemacht hätte, wenn ich nicht dazwischen gekommen wäre.“ Sie verstärkte den Griff an seinem Arm und schüttelte den Kopf. „Nein. Bitte, erzähl' niemandem hiervon, okay? Niemandem.“ „Was? Doch, wir müssen...“ „Tai!“, unterbrach Mimi ihn. „Nein! Niemandem!“ Einen Augenblick lang sah er ihr in die Augen, dann nickte er widerwillig.   _   „Sie hat die ganze Zeit versucht, Matt zu verstehen. Die ganze Zeit, obwohl mein Vater und ich sauer auf ihn waren und keine Geduld mehr hatten. Sie stand immer hinter ihm und hat ihn verteidigt und jetzt zieht er so eine Scheiße ab und sie muss seinetwegen zu einem Gespräch in die Schule“, erklärte T.K. und kickte beim Gehen einen kleinen Stein vor sich her. „Ich kann es einfach nicht glauben. Ich sehe es schon kommen, dass meine Eltern sich jetzt wegen ihm streiten. Es lief gerade so gut zwischen ihnen, alles war perfekt. Du hättest sie mal sehen müssen, wie sie sich ansehen und wie sie sich zufällig berühren und wie sie miteinander reden...“ Schon seit sie vor einer Viertelstunde zu zweit die Schule Richtung Park verlassen hatten, redete T.K. ununterbrochen wie ein Wasserfall und bestätigte damit Karis Vermutung, dass er jemanden zum Reden brauchte. So viel lastete auf seiner Seele und das alles nur wegen Matt und seiner geschiedenen Eltern. Kari hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, wollte ihm einfach nur das Gefühl geben, jemanden zu haben, der ihn verstand. „Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass sie wieder zusammenziehen wollen?“, fragte T.K. und sah Kari erwartungsvoll an. Sie machte große Augen. „Nein. Echt?“ „Ja.“ Er lächelte, als könnte er sein Glück darüber noch gar nicht fassen. „Also nicht sofort, aber nachdem Matt die Schule beendet hat und raus ist. Um Stress zu vermeiden und so.“ „So ist es sicher besser. Aber dann könnt ihr endlich wieder eine Familie sein. Und wenn Matt sieht, dass das Zusammenleben gut klappt, kriegt er sich sicher endgültig wieder ein“, meinte Kari zuversichtlich und erwiderte sein Lächeln. „Das wäre schön“, seufzte T.K. „Ehrlich gesagt... ich hasse mich dafür, dass ich so denke, aber manchmal wünschte ich, Matt würde einfach verschwinden. Ständig gibt es nur Ärger und Streit wegen ihm und ich glaube, wenn sich unsere Eltern seinetwegen wieder trennen, werde ich ihm das niemals verzeihen.“ Erschrocken sah Kari ihn an. „Ach was, so schlimm wird es ganz sicher nicht. Sie wissen schon, was sie tun und sie können mit ihm umgehen. Das Schuljahr ist bald vorbei und dann geht er von der Schule. Sicher wird dann der Stress mit ihm weniger.“ „Das glaube ich nicht“, erwiderte T.K. finster. „Er hat immer noch seine Musikerkarriere im Kopf, aber meine Eltern sind beide dagegen. Sie wollen, dass er etwas Ordentliches macht. Aber da stellt er sich quer, wie du ja weißt.“ Kari presste die Lippen aufeinander. Ja, das hatte sie natürlich schon alles mitbekommen und dazu fiel ihr auch keine Antwort ein. Sicher würde es deswegen noch mehr Stress in der Familie Ishida-Takaishi geben.   _   „Bist du dir wirklich sicher, dass du jetzt fit für Mathe bist?“, fragte Tai und musterte Mimi argwöhnisch. Sie saßen auf dem Boden in seinem Zimmer, waren auf Mimis Drängen hin direkt nach dem Vorfall mit Katsuro in die Wohnung der Yagamis gegangen. Auf dem Weg dorthin hatten sie beide geschwiegen und auch jetzt beschränkte sich ihre Konversation auf das Nötigste. „Ja, habe ich doch schon gesagt“, murmelte Mimi und blätterte in ihrem Mathebuch, bis sie die richtige Seite fand. Sie legte es zwischen sie beide auf den Boden und deutete auf eine Spalte. „Da, das haben wir heute gemacht, aber irgendwie habe ich das nicht so ganz verstanden.“ Tai las sich in die Aufgaben hinein, studierte Mimis Notizen genau und versuchte dann, ihr den Lösungsweg noch einmal zu erklären. Er hatte jedoch den Eindruck, Mimi wäre nur halb bei der Sache und in Gedanken eigentlich woanders. Kein Wunder, nach allem, was in den letzten Tagen alles passiert war. Eine Weile saßen sie da, rechneten gemeinsam Aufgaben, bestimmten Werte, bildeten Ableitungen. Mimi schrieb langsam vor sich hin, musste jedoch ständig von vorn beginnen, weil sie sich verschrieben hatte. „Kriegst du eigentlich mit, dass du diesen Fehler da jetzt schon zum dritten Mal gemacht hast?“, fragte Tai ein wenig genervt und tippte mit dem Zeigefinger auf das, was Mimi gerade aufgeschrieben hatte. „Was? Wieso Fehler?“, fragte sie verwirrt. „Ich hab' dir doch gerade eben schon zwei Mal erklärt, warum man das so nicht macht“, knirschte Tai. Sie stöhnte und schob sich das störende Haar über die rechte Schulter. „Kannst du es noch mal erklären, bitte?“ „Du bist sowieso nicht bei der Sache“, warf er ihr vor und schüttelte langsam den Kopf. „Wir sollten das für heute lassen.“ „Nein, ich... ich brauch' das, ich hab' das im Unterricht nicht so gut verstanden und wir schreiben aber bald einen Test und...“ „Hey.“ Er legte eine Hand auf ihren Rücken und brachte sie somit zum Schweigen. „Das kriegen wir schon hin. Wir können uns auch am Wochenende treffen und wegen mir den ganzen Samstag Mathe machen, wenn du willst, okay? Aber heute hat das einfach keinen Zweck. Du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen.“ Mimi zögerte eine Weile, seufzte dann aber resigniert und schob ihren Schreibblock von ihrem Schoß. Dann warf sie ihm einen unsicheren Blick zu, den er verwirrt erwiderte. „Sag' mal, bist du eigentlich sauer auf mich?“ „Was? Ach was, nein. Du bist wegen diesem Idioten neben der Spur und kannst dich nicht konzentrieren. Das ist schon okay, wir holen das am Samstag nach“, antwortete Tai und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich meine nicht deswegen“, erwiderte sie leise und presste die Lippen aufeinander. „Was meinst du dann?“ Irritiert hob er eine Augenbraue. „Naja, wegen dieser Sache mit Matt und dem Video.“ Sie lief rot an und senkte den Blick, fummelte am Saum ihres Rocks herum. Verblüfft sah Tai sie an. „Warum sollte ich deswegen sauer sein? Ist doch deine Sache.“ Er beobachtete, wie ihre Schultern sich anspannten und ihre Finger sich verkrampften. Das war wohl nicht die Antwort gewesen, die sie hören wollte. Tai musterte sie nachdenklich und kratzte sich am Kinn. Ihm kam wieder sein Gespräch mit Matt über diesen Vorfall in den Sinn. Er hatte gesagt, dass Mimi für ihn nur eine Lückenbüßerin war. Und andersrum genauso. Doch welche Lücke hatte Matt gefüllt? Für wen war diese Lücke denn ursprünglich bestimmt gewesen? Tai atmete tief ein und aus. „Sag' mal, Mimi, eine Frage hätte ich doch.“ Sie sah ihn an. In ihrem Blick steckte Unsicherheit, aber auch etwas Hoffnungsvolles. „Diese SMS, die du mir am Wochenende geschrieben hast... war das ernst gemeint?“, fragte er langsam. Sie nickte langsam. „Okay.“ Auch er nickte. „Aber... mit 'ich mag dich sehr' meinst du...“ Er sprach nicht weiter, sondern musterte sie erwartungsvoll. „Ungefähr so, wie Sora Matt mochte. Oder Kari T.K.“, antwortete Mimi und wich seinem Blick aus. „Kay“, machte Tai tonlos, nicht wissend, was er davon halten sollte, sodass Mimi das Wort ergriff. „Ja, ich bin irgendwie in dich verliebt, schätze ich. Ich weiß, du hast gesagt, ich soll das nicht tun und ich hätte nie für möglich gehalten, dass das passieren könnte. Ich dachte, du bist einfach nur ein Idiot, der sich in seine beste Freundin verguckt hat und wollte dir helfen, obwohl du immer nur gemein zu mir warst. Aber je mehr Zeit ich mit dir verbracht habe, desto mehr habe ich erkannt, dass du gar kein Idiot bist. Du bist liebenswürdig, hilfsbereit, witzig, klug und siehst auch noch mega gut aus. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum Sora an Matt interessiert war und nicht an dir. Und als ihr dann doch zusammen gekommen seid, wusste ich nicht mehr, was ich davon halten sollte. Es hat mich gefreut für euch beide, vor allem für dich, aber irgendwie hat es mich auch echt unglücklich gemacht. Und dann war da Matt, dem es so ähnlich ging wie mir und deswegen hat das dann mit uns angefangen.“ Sie griff sich in die Haare und legte sie wieder anders, sodass sie ihr nun ins Gesicht fielen und es versteckten. Sprachlos starrte Tai sie an. Da war es gewesen, ihr Liebesgeständnis, und er hatte keine Ahnung, was eine angemessene Reaktion darauf wäre. „Mimi, ich... ähm... du musst dich nicht entschuldigen. Wäre ich nicht ich, wäre ich wohl auch in mich verliebt.“ Er lachte hölzern und kratzte sich verlegen am Kopf. Mimi reagierte nicht, sondern klappte ihr Mathebuch zu, stopfte es zusammen mit dem Schreibblock und der Federtasche in ihre Schultasche und schloss diese. „Ich gehe jetzt besser.“ „Nein, warte mal“, sagte Tai und legte eine Hand auf ihren Arm. Sie sah ihn nicht an, doch schien aufmerksam darauf zu warten, was er ihr sagen wollte. „Ich ähm... also du bist auch nicht so übel, wie ich dachte.“ Entgeistert sah Mimi ihn an. „Danke?“ Das war wohl nicht das Richtige gewesen.   _   Tai hatte wirklich null Ahnung, wie man auf ein Liebesgeständnis zu reagieren hatte. Verletzt machte Mimi sich von ihm los und stand auf. Doch eigentlich konnte sie ihm gar keinen Vorwurf machen. Was hatte sie denn erwartet? Sie wusste doch, dass er total in Sora verliebt war und sich das so schnell wahrscheinlich nicht ändern würde, auch wenn er sich am Wochenende von ihr getrennt hatte. Sie rauschte aus seinem Zimmer zur Wohnungstür, er lief dicht hinter ihr. „Jetzt warte doch mal. Es tut mir echt Leid. Ich würde gern sagen, dass es mir genauso geht, aber das wäre gelogen“, sagte er hilflos und beobachtete sie dabei, wie sie ihre Schuhe anzog. „Schon gut“, murmelte Mimi. „Nein, ich weiß, dass es nicht gut ist. Aber das ganze Theater mit Sora ist einfach noch zu frisch, verstehst du? Vielleicht würde ich unter anderen Umständen anders über dich und das, was du gesagt hast, denken“, redete er auf sie ein und sah ihr in die Augen, als sie sich wieder aufrichtete. „Ach ja? Und unter was für Umständen? In einem Paralleluniversum, in dem Sora nicht existiert vielleicht?“, fragte sie aufgebracht und spürte Tränen in ihren Augen brennen. Schnell drehte sie sich weg und versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Nein, ich meinte...“ „Schon gut, tut mir leid“, unterbrach sie ihn. „Ich bin einfach blöd. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Eilig lief sie aus der Wohnung, um nicht doch noch vor Tai in Tränen auszubrechen, stürmte die Treppen hinunter und verließ das Haus. Sie rannte einfach los in eine Richtung, ohne zu wissen, wohin sie wollte. Ja, wo wollte sie eigentlich hin? Nach Hause sicher nicht, da erwarteten sie nur ihre Eltern, die sicher mit ihr über das reden wollten, was in der Schule passiert war. Aber wo sollte sie sonst hin? Zu Sora konnte sie nicht. Selbst, wenn sie irgendwie das Bedürfnis verspürte, sich mit ihr auszusprechen, war sie einfach noch zu wütend und zu enttäuscht darüber, von ihr eine Schlampe genannt worden zu sein. Nein, Mimi fiel nur einer ein, mit dem sie jetzt über diese Situation reden konnte. Sie blieb stehen und kramte in ihrer Schultasche nach ihrem Handy. Hastig suchte sie seine Nummer heraus und hielt sich den Hörer ans Ohr. Zum Glück nahm er ab. „Ja?“, ertönte seine etwas gelangweilte Stimme. „Hi. Sag' mal, könnten wir uns vielleicht treffen?“, bat sie ihn. „Wann denn?“ Seine Stimme klang verwirrt. „Jetzt?“ Er stöhnte. „Echt jetzt? Mann, Mimi, ich habe gerade echt keinen Bock und es wundert mich, dass dir die Lust nicht vergangen ist. Du warst doch so geschockt am Montag.“ „Doch nicht dafür. Ich will einfach nur reden.“ Er schwieg einen Moment. „Ähm... okay? Worüber?“ „Können wir uns treffen?“, wiederholte sie ihre Frage. Er stöhnte erneut. „Bitte. Es ist wichtig, ich brauche jemanden. Dich“, bat sie ihn eindringlich. „Ja, okay“, gab er schließlich nach.   _   Lustlos verschwand Matt aus der Wohnung. An Tagen wie diesen war er über den gut gefüllten Arbeitstag seines Vaters wirklich dankbar, sonst hätte er sicher nicht aus dem Haus gekonnt, ohne einen erneuten Streit anzufangen. Doch Hiroaki würde erst in einer Stunde nach Hause kommen und bis dahin war Matt hoffentlich wieder zurück. Er lief die Treppen hinunter und ging zum Strand, wo Mimi schon auf einer Bank sitzend auf ihn wartete. Sie lächelte traurig, als er sich wortlos neben sie setzte und aufs Meer hinaus starrte. „Danke, dass du gekommen bist“, murmelte sie als Begrüßung. „Keine Ursache. Sag' lieber, worum's geht“, erwiderte er nüchtern und zündete sich eine Zigarette an. Er hielt Mimi die geöffnete Schachtel entgegen und nach kurzem Zögern nahm sie sich eine heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und wartete, dass Matt auch diese anzündete. Sie atmete den Rauch ein, stieß ihn wieder aus und hustete. „Danke“, sagte sie heiser. „Ich hab' Tai gesagt, dass ich in ihn verliebt bin.“ „Hast du doch schon in deiner betrunkenen SMS“, entgegnete Matt unbeeindruckt. „Nein, da habe ich geschrieben, dass ich ihn sehrrrrrrr mag“, murrte Mimi. „Ich war gerade bei ihm und hab's ihm gesagt, weil er mich auf die SMS angesprochen hat.“ „Und wie hat er reagiert?“ „Erst hat er versucht, witzig zu sein, dann hat er mir gesagt, dass ich nicht so übel bin, wie er anfangs dachte und dann meinte er, unter anderen Umständen würde er diese Gefühle erwidern“, erklärte Mimi betrübt und runzelte die Stirn. Matt stieß ein belustigtes Schnauben aus. Das klang tatsächlich nach Tai. „Ich meine, ich habe wirklich nicht erwartet, dass er sagt, er wäre auch in mich verliebt. Ich weiß ja, wie sehr er an Sora hängt und so und ihre Trennung ist gerade mal ein paar Tage her. Aber trotzdem fühlt es sich echt scheiße an“, redete sie weiter. „Jap“, machte er nur kurz angebunden. „Ich weiß, was du meinst.“ „Ich glaube, Sora liebt dich immer noch“, sagte Mimi plötzlich und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick überrascht. Mimis Vermutung deckte sich genau mit der, die auch Tai schon hatte. „Sie war mit Tai zusammen.“ „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie je mehr für ihn empfunden hat“, erwiderte Mimi. Nachdenklich wandte Matt den Blick wieder aufs Meer. Nun hatten ihm schon zwei Leute gesagt, dass Sora anscheinend noch immer in ihn verliebt war. Zwei Menschen, die Sora nahe standen. Oder nahe gestanden hatten. Zwei Menschen, die sicher eine Vorstellung von dem hatten, was Sora fühlte. Doch was nutzte es? Es gab keine gemeinsame Zukunft für Matt und Sora, das hatten sie schon mehr als einmal festgestellt. Nicht nur, weil sie beide nach der Schule irgendwo im Ausland unterwegs sein würden, sondern auch, weil sie die Ex seines besten Freundes war. Matt hatte keine Lust mehr auf dieses Drama. Gerade war er dabei, die Freundschaft zu Tai zu kitten, da konnte er sie unmöglich schon wieder gefährden, auch wenn Tai ihm seinen Segen gegeben hatte. Nein, das ging nicht. Er musste Sora vergessen, auch, wenn es schwer werden würde, nicht nur für ihn, sondern auch für sie. „Glaubst du, ich werde jemals eine Chance bei ihm haben?“, fragte Mimi nach einigen Momenten des Schweigens in die Stille zwischen ihnen. „Hm“, machte Matt und dachte ernsthaft darüber nach. „Tai hat auf mich ziemlich gefasst gewirkt, als er mir erzählt hat, dass es zwischen ihm und Sora vorbei ist. Ich denke, er wird über sie hinwegkommen und akzeptieren, dass es keinen Sinn hat. Also... ja, warum nicht? Zumindest sind deine Chancen auch nicht schlechter als die anderer Mädels.“ Zweifelnd sah Mimi ihn an und verzog das Gesicht. „Was denn? Du hast gefragt und ich sage dir, was ich denke“, erwiderte Matt trocken. „Ja, schon gut. Also glaubst du, ich habe so etwas wie eine Chance?“ „Schon irgendwie. Sei einfach du selbst und probier' dein Glück. Was hast du schon zu verlieren?“ Mimi schnaubte. „Momentan nicht sonderlich viel.“ „Eben.“ Kapitel 36: Alles auf Anfang? ----------------------------- Freitag, 6. Oktober 2006   Die verheerende Nachricht erreichte Tai völlig unerwartet am Freitagmorgen. Eigentlich hatte er erst einmal Abstand von Sora halten wollen, doch nun war sie schon seit Dienstag nicht mehr in der Schule gewesen und keiner aus der Klasse wusste etwas über sie. Er nahm an, dass sie krank war und suchte in der Pause kurz entschlossen ihre Handynummer heraus. Er wollte ihr wenigstens anbieten, bei ihr zu Hause vorbeizukommen und ihr seine Unterrichtsmitschriften zu geben. Dafür musste er ja nicht viel mit ihr reden. Es klingelte ein paar Mal, dann ging zu seiner Überraschung Soras Mutter dran. „Hallo, hier Toshiko Takenouchi?“, meldete sie sich mit fragender Stimme. „Oh ähm... hallo, Frau Takenouchi. Ist Sora auch da?“, fragte Tai verwirrt. Frau Takenouchi schwieg einen Augenblick, als wüsste sie nicht, was sie antworten sollte. „Nun ja, nein. Es ging ihr nicht gut. Sie ist im Krankenhaus.“ Tai klappte der Mund auf. „Sie ist im Krankenhaus?“ „Mhm“, machte Soras Mutter betreten. „Seit gestern Abend. Sie hat eine Lungenentzündung.“ Fassungslos stand Tai dort, mitten auf dem Schulhof und griff sich ins Haar, nicht wissend, was er sagen sollte. „Wie geht es ihr jetzt?“ „Ein bisschen besser als gestern, aber um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass die Lungenentzündung im Moment ihr größtes Problem ist“, antwortete Toshiko leise. Da konnte Tai ihr nur zustimmen, denn das glaubte er auch nicht. „Denken Sie, ich könnte... naja... sie heute besuchen?“ Frau Takenouchi seufzte. „Ich denke, das sollte gehen. Sicher tut es ihr gut, wenn ihr... wenn jemand vorbeikommt.“ Tai beendete das Gespräch mit Soras Mutter und suchte Matt und Mimi, um ihnen diese schlimme Nachricht zu verkünden. Mit Mimi hatte er seit Mittwochabend nicht mehr geredet, doch das war nun angesichts der aktuellen Umstände nebensächlich. „Was ist denn los?“, fragte Matt ungeduldig, nachdem Tai ihn zu Izzy und Mimi geschleppt hatte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Izzy, der Tai besorgt musterte. „Ja. Nein. Sora ist im Krankenhaus. Sie hat wohl eine Lungenentzündung“, erklärte er ernst und blickte prompt in erschrockene Gesichter. „Was?!“ Matt starrte ihn an. „Oh Gott, das ist ja schrecklich“, rief Mimi und schlug sich die Hände vor den Mund. „Wie geht’s ihr jetzt?“, fragte Izzy mit gerunzelter Stirn. „Anscheinend besser als gestern. Ich werde sie heute besuchen gehen. Möchte jemand von euch mitkommen?“   _   Erwartungsvoll blickte Tai in die Runde und sah einen nach dem anderen an. „Ich komme mit“, beschloss Matt sofort. „Ich auch“, stimmte Izzy ihm zu. Nun wandten sich die Blicke der Jungs an Mimi, die zögerte. Einerseits wollte sie Sora natürlich besuchen, denn nun machte sie sich schreckliche Sorgen um sie. Andererseits steckte ihr der Streit, den sie am Montag gehabt hatten, noch zu sehr im Hinterkopf und sie war noch immer sehr verletzt über Soras Worte. Und außerdem hatten ihre Eltern ihr Hausarrest erteilt. Ihr Vater war ausgerastet, als er von ihrem Vergehen mit Matt erfahren hatte und wäre am liebsten auf der Stelle zu Matt gefahren, um ihm persönlich den Hals umzudrehen. Gleichzeitig war er natürlich wütend auf Mimi und konnte nicht glauben, was sie getan hatte. Das Gespräch in der Schule am vorigen Tag war nicht nur unangenehm, sondern extrem peinlich für sie beide gewesen. Sie hatten dort alle an einem Tisch gesessen: Matt, Mimi, ihre Eltern, ihre Lehrer und Herr Watabe. Mimi hatte die ganze Zeit auf die Tischplatte gestarrt und sich an einen anderen Ort gewünscht. Das war das Schlimmste, was ihr jemals passiert war. Eine Stunde hatte das Gespräch gedauert, doch ihr war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Ihr Fehlverhalten war bis ins kleinste Detail von allen besprochen worden und sie hatte die bohrenden Blicke aller auf sich wie Messerstiche gespürt. Das Resultat war, dass sie beide für die komplette nächste Woche vom Unterricht suspendiert wurden und einen Verweis erhielten. Mimi war direkt nach dem Gespräch vor Scham in Tränen ausgebrochen. Am liebsten würde sie die Schule wechseln, doch in einem halben Jahr flog sie ohnehin wieder zurück nach New York. „Ich weiß es noch nicht. Ich hab' Hausarrest und muss mal meine Eltern fragen“, murmelte sie ausweichend. Tai nickte und wandte sich wieder an die beiden Jungs. „Also gehen wir gleich nach dem Unterricht?“ Sie nickten synchron.   _   Joe hatte einen ziemlichen Schock bekommen, als er erfahren hatte, dass Sora ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Zufällig handelte es sich bei jenem Krankenhaus um das, in dem er gerade ein Praktikum absolvierte. In einer freien Minute war er in das Zimmer geeilt, in dem Sora untergebracht war, um nach ihr zu sehen. Nun saß er schon seit einer halben Stunde an ihrem Bett und unterhielt sich mit ihr. Seltsame Neuigkeiten hatte sie ihm erzählt, von Matt und Mimi, Sex und Streit und anderen Dingen. Joe war sich nicht sicher, ob das Fieber aus ihr sprach, oder es tatsächlich der Wahrheit entsprach. Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihrem Gespräch und Joe drehte sich auf seinem Hocker zur Tür herum. „Ja?“, antwortete er an Soras Stelle. „Die Tür wurde aufgerissen und Tai, Matt und Izzy betraten hintereinander den Raum. Sie machten überraschte Gesichter, als sie Joe sahen, begrüßten sie und bauten sich um Soras Bett herum auf, die große Augen machte und alle abwechselnd anstarrte. „Was macht ihr denn alle hier?“, fragte sie mit heiserer Stimme. „Dich besuchen. Wir haben uns Sorgen gemacht“, antwortete Tai leise. Sora seufzte und legte den Unterarm über die Augen. Offenbar war ihr die Situation sehr unangenehm. „Ich denke, ihr solltet nicht allzu lang bleiben. Sie braucht immer noch viel Ruhe“, kam Joe ihr zu Hilfe und sah Tai an, der nickte. Dann hielt er es für das Beste, sich aus dem Staub zu machen. „Ich werde mal eine Kleinigkeit essen gehen. Bin am Verhungern.“ Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Hocker und ging Richtung Tür. „Ich komme mit. Muss mal auf die Toilette“, meldete Izzy sich und kam ihm nach. Joe war ein wenig verwundert, verließ jedoch mit ihm zusammen den Raum. „Alles okay, Izzy? Du bist doch gerade eben erst gekommen“, fragte Joe ihn, während sie den Gang entlang gingen. „Ja, naja... ich glaube, die drei haben sich erst mal ein paar Dinge zu sagen und ich gehe in ein paar Minuten wieder zurück“, erklärte Izzy. Joe nickte wissend. Offenbar lag noch immer einiges im Busch in seiner alten Freundesgruppe. „Willst du mich vielleicht zum Essen begleiten?“   _   Sora hatte keine Ahnung, was sie fühlen sollte, nun, da Tai und Matt neben ihrem Bett saßen, besorgt auf sie herab sahen und darauf zu warten schienen, dass sie etwas sagte. Sie verdiente es nicht, dass auch nur einer von beiden hier war und sich um sie sorgte. Sie hatte zu viel Mist gebaut in den letzten Monaten. „Wie geht’s dir?“, fragte Tai und biss sich auf die Unterlippe. Auch Matt beobachtete sie. „Es geht so. Wird schon wieder“, murmelte Sora ausweichend. „Wir haben einen ziemlichen Schrecken bekommen“, sagte Tai. Einen Augenblick schwiegen sie und Sora starrte die Wand an. Dann durchbrach sie die Stille wieder und seufzte. „Jungs, warum seid ihr hier?“ „Hab' ich doch schon gesagt. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht“, wiederholte Tai. Langsam schüttelte Sora den Kopf und schloss die Augen. „Das verdiene ich nicht. Ihr solltet nicht hier sein. Ihr solltet froh sein, dass ich nicht da bin.“ „Warum sollten wir das?“, fragte Matt tonlos. „Weil ich mich total selbstsüchtig euch gegenüber verhalten habe und es mir egal war, was ich euch damit antue“, antwortete sie und spürte Tränen in ihren Augen brennen. Sie blinzelte hastig. „Ach, Schwamm drüber“, sagte Tai leichtfertig und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nein, nix Schwamm drüber“, widersprach Sora und sah ihn an. „Tai, was ich gemacht habe, war grausam. Ich habe dir Gefühle vorgespielt, die nicht da waren, weil ich dachte, es wäre das Einfachste.“ „Aber...“ „Hör' auf, immer so verständnisvoll mit Leuten zu sein, die es nicht verdient haben. Und ich habe es definitiv nicht verdient. Ich war eine komplette Vollidiotin“, unterbracht sie ihn. Tai presste die Lippen aufeinander und sagte nichts mehr. Sora wischte sich über die Augen, um die Tränen daran zu hindern, sich einen Weg über ihre Wangen zu bahnen. „Und Matt“, murmelte sie schließlich und sah nun den Angesprochenen an. „Ich... ich habe dich einfach ersetzt, weil ich mit dir zusammen sein wollte, aber nicht konnte. Oder nicht durfte. Und dann hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen und habe irgendwie versucht, die Schuld bei dir zu suchen. Das war alles so falsch. Und das mit dir und Mimi, das...“ Sie brach ab und senkte den Blick, versuchte verzweifelt, die Tränen wegzuwischen, die ihr nun über die Wangen rannen. Tai fuhr sich tief seufzend in die Haare und Matt wandte den Blick aus dem Fenster. „Das mit dir und Mimi ist okay. Ich habe es nicht anders verdient, auch wenn es verdammt weh tut“, fuhr Sora mit erstickter Stimme fort. „Ich weiß nicht, wie das alles passieren konnte. Warum ich das gemacht habe. Ihr beide wart die wichtigsten Jungs in meinem Leben, meine besten Freunde, und ich habe euch beide verloren.“   _   Joe und Izzy holten sich beide in der Kantine des Krankenhauses etwas zu essen und suchten sich einen freien Tisch. Izzy fühlte sich ein wenig fehl am Platz, da hier gerade hauptsächlich Mitarbeiter dabei waren, einen schnellen Snack zu sich zu nehmen, bevor sie mit ihrer Schicht weitermachten. Joe trank einen großen Schluck von seinem Wasser und sah dann Izzy über den Rand seiner Brille hinweg an. „Also. Was ist da eigentlich los bei euch an der Schule? Sora hat mir schlimme Dinge erzählt.“ Izzy seufzte und kratzte sich am Kopf. Dieses leidige Thema. Er konnte es nicht mehr hören, obwohl er gar nicht selbst involviert war. „Was hat sie dir denn erzählt?“ „Dass sie erst was mit Matt hatte, dann war sie mit Tai zusammen, dann hat er sich von ihr getrennt, was ihre Schuld war, dann hatten Matt und Mimi Sex auf dem Schulklo und Sora und Mimi hatten einen riesigen Streit wegen dieser ganzen Sache... stimmt das alles? Ich frage mich, ob sie vielleicht auf die Medikamente allergisch ist und sich etwas zusammenfantasiert hat“, antwortete Joe und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Manchmal reagieren Menschen ja komisch auf bestimmte Medikamente.“ „Soweit ich informiert bin, stimmt das leider alles“, murmelte Izzy und biss von seinem Sandwich ab. „Um Himmels willen.“ Joe lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fasste sich an die Stirn. „Etwa auch das mit dem... mit dem Video von Matt und Mimi, das in der ganzen Schule herumging?“ „Ja, auch das. Die beiden sind für die nächste Woche suspendiert“, antwortete Izzy stirnrunzelnd. Joe verzog erst das Gesicht, dann lachte er zu Izzys Verwunderung. „Was ist nur bei euch los? Ich verpasse ja ganz schön viel, wie es aussieht.“ „Sei froh. Manche Dinge möchte man einfach nicht mitbekommen“, meinte Izzy trocken. „Und wie geht es dir so? Ist alles okay mit... mit dir und Nami?“ Joe lächelte vielsagend. „Ja, alles in Butter. Wir überlegen ehrlich gesagt gerade, ob wir zusammenziehen.“ Izzy machte große Augen und verschluckte sich fast an seinem Sandwich. „Was? Im Ernst?“ „Ja, naja momentan zahlen wir für zwei Wohnungen Miete, obwohl wir uns eh andauernd gegenseitig besuchen. Es wäre viel billiger, wenn wir uns eine Wohnung teilen würden. Vielleicht ziehe ich einfach zu ihr, weil meine Wohnung ohnehin so klein ist“, erklärte Joe. „Wow, das klingt echt super. Freut mich, dass es so gut bei dir läuft. Willst du vielleicht an unserer Schule als Erziehungsratgeber arbeiten? Es gibt da ein paar Leute, die gute Ratschläge gebrauchen könnten.“ Nun lachte Joe. „Nee, lass' mal. Das müssen die schon selbst wieder hinkriegen. Ich mische mich da nicht ein.“ Izzy stützte den Kopf auf den Händen ab und starrte nachdenklich vor sich hin. „Früher war alles so einfach gewesen. Wir waren einfach nur befreundet und es gab nie größere Streitereien. Warum ist das jetzt nur so kompliziert?“ „Weil wir erwachsen geworden sind.“   _   „Du hast uns nicht verloren“, murmelte Tai leise und griff nach ihrer Hand. „Sonst wären wir nicht hier.“ „Aber... warum? Warum macht ihr das?“, fragte Sora verzweifelt und sah ihn aus ihren tränennassen Augen an. „Weil... weil wir dich lieben. Du bist unsere beste Freundin und auch in Freundschaften gibt es mal schlechte Zeiten“, antwortete Tai und bemühte sich, möglichst sachlich zu klingen. „Schlechte Zeiten nennst du das? Was ich euch angetan habe, ist die Hölle. Das alles ist die Hölle. Ich kann so nicht weitermachen“, schluchzte Sora. „Es wäre das Beste, wenn ich einfach sterben würde.“ „Ach ja? Und für wen soll das das Beste sein? Etwa für dich, weil du dann vor deiner Hölle weglaufen kannst, anstatt dich ihr zu stellen und wiedergutzumachen, was du angestellt hast?“, warf Matt ein. Beide, Sora und Tai, wandten sich nun an Matt. Sora mit erschrockenem Gesichtsausdruck, Tai mit verärgertem. „Was soll das?“, blaffte er ihn an. „Ist doch wahr. Bitte, Sora. Wenn du das so willst, steht es dir frei, dein Leben zu beenden. Wenn du denkst, das ist die Lösung aller Probleme, dann werde ich dich bestimmt nicht davon abhalten“, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Matt“, hauchte Sora. „Alter, was geht mit dir?“, rief Tai wütend. „Denkst du wirklich, das ist der richtige Zeitpunkt für einen Egotrip?“ Matt sah noch immer Sora an. „Fragt sich, wer hier auf 'nem Egotrip ist.“ Dann ging er ohne ein Wort des Abschieds aus dem Zimmer. Tai stöhnte genervt und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Hör' nicht auf ihn. Er ist nur...“ „Nein, er hat Recht“, unterbrach Sora ihn mit bebender Stimme und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann sah sie Tai an. „Sag' mal, willst du trotz dessen, was ich gemacht habe, noch mit mir befreundet sein?“ Tai erwiderte ihren Blick fest. „Ja, klar.“ „Du gibst mich also nicht auf?“ „Nie.“ Sora nickte. „Dann lass' mich wiedergutmachen, was passiert ist.“ „Natürlich“, flüsterte Tai. Und dann nahm er sie in die Arme, so fest es ihr Zustand zuließ. „Danke“, schluchzte Sora gegen seine Schulter.   _   Wie konnte sie nur so etwas sagen? Sie sollte es nicht einmal denken. Mit finsterer Miene ging Matt den Flur entlang zur nächsten Treppe, um Joe und Izzy in der Kantine zu suchen. Er fragte sich, ob Sora wohl ernsthaft selbstmordgefährdet war. Wahrscheinlich war sie schon depressiv, nach allem, was passiert war und so, wie sie momentan drauf war. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Er versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn Sora plötzlich tatsächlich nicht mehr leben würde. Das wäre nicht auszuhalten für ihn. Geschweige denn für Tai. Und es wäre ganz sicher nicht das Beste. Für niemanden. Die Hände in den Hosentaschen vergraben folgte er den Schildern, die ihm den Weg in die Kantine wiesen. Dort angekommen suchte er unter den anwesenden Personen nach Joe und Izzy, bis er sie an einem kleinen Tisch entdeckte. Er schritt auf sie zu und zog sich vom Nachbartisch einen Stuhl heran, um sich zu ihnen zu setzen. „Hey Matt“, begrüßte Joe ihn lächelnd. „Alles klar da oben?“ „Alles bestens“, log Matt. „Wir haben gerade darüber geredet, dass Joe und Nami zusammenziehen“, erzählte Izzy. Matt sah Joe überrascht an. „Echt? Glückwunsch. Freut mich für dich.“ Sie redeten eine Weile ungezwungen über Joes anstehenden Umzug und scherzten über eine Hochzeit, bis Tai zu ihnen stieß mit einem nicht gerade begeisterten Gesichtsausdruck. Er machte keine Anstalten, sich hinzusetzen. „Sag' mal, was sollte das vorhin?“, fuhr er Matt an, der aus den Augenwinkeln mitbekam, wie Izzy in seinem Stuhl zusammensank. „Wieso sagst du sowas zu ihr? Hast du nicht mitgekriegt, wie sie drauf ist? Sie ist völlig fertig und du bestärkst sie auch noch in dem Mist, den sie da redet!“ „Ich hab' sie nicht bestärkt. Ich hab' ihr klargemacht, dass sie Schwachsinn redet“, erwiderte Matt so ruhig, wie er konnte. „Indem du ihr sagst, dass du sie nicht davon abhalten würdest, sich umzubringen?!“, rief Tai und schüttelte verständnislos den Kopf. „Was?“, kam es entsetzt von Joe, der aufsprang. „Sie will sich umbringen?“, rief nun auch Izzy, die Augen geweitet vor Schreck. „Nein, nein“, versuchte Tai sie zu beschwichtigen und hob die Hände. „Sie... sie sagte nur, dass es das Beste wäre, wenn sie sterben würde.“ Izzy machte ein besorgtes Gesicht und Joe ließ sich langsam wieder auf seinen Stuhl sinken. „Wir sollten in so einem Moment für sie da sein und ihr nicht sagen, dass sie vor ihren Problemen wegläuft und ihr ein noch schlechteres Gewissen machen, als sie eh schon hat“, erklärte Tai mit einem feindseligen Seitenblick auf Matt, der die Augen verdrehte. „Merkst du denn nicht, wie sie sich benimmt? Ich weiß nicht, warum, aber sie hat in den letzten Monaten nicht gerade selbstlos gehandelt. Und wir beide haben das doch mehr zu spüren gekriegt als jeder andere. Und was würde wohl passieren, wenn sie jetzt sterben würde? Wie vielen Menschen würde sie das Leben damit zur Hölle machen? Was sie auch gerade dir damit antun würde? Ich verstehe nicht, wie sie überhaupt auf den Gedanken kommen kann, dass das für irgendjemanden das Beste wäre, ganz egal, in was für einer Situation sie sich befindet. Gerade jetzt sollte sie doch leben wollen, um die Sache wieder geradezubiegen.“ Tai öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann seufzte er nur, fuhr sich durch die Haare und drehte sich weg. „Ich gehe mal den Müll wegbringen“, verkündete Joe, schnappte sich das Papier und die leeren Getränkebecher vom Tisch und entfernte sich. „Und ich gehe noch mal nach Sora sehen“, murmelte Izzy und machte sich ebenfalls aus dem Staub. Matt stand auf und legte Tai eine Hand auf die Schulter. „Tai, mir ist sie doch trotz allem genauso wichtig wie dir. Glaub' mir, ich weiß, wie du dich fühlst.“ „Glaubst du, wir kriegen das irgendwie wieder hin? Wir drei, meine ich“, fragte Tai mit trübem Blick. „Nicht, wenn sie weiterhin der Meinung ist, dass sie besser sterben sollte“, antwortete Matt nüchtern. „Sie hat mir gerade gesagt, dass sie für unsere Freundschaft kämpfen will und alles irgendwie wiedergutmachen will. Sie hat mich gefragt, ob ich ihr noch eine Chance gebe und so. Und sie war so glücklich, als ich ja gesagt habe“, erzählte er. „Vertraust du ihr?“, fragte Matt und sah ihn an. Tai erwiderte seinen Blick. „Ja.“ „Dann kriegen wir das schon irgendwie hin.“ Kapitel 37: Tai im Kleiderschrank --------------------------------- Samstag, 21. Oktober 2006   „Braucht ihr noch Hilfe?“ Tai streckte seinen Kopf in Karis Zimmer und musterte sie und T.K. fragend. Kari schüttelte den Kopf. „Nee, das schaffen wir allein. Ist ja nicht so viel.“ „Na gut. Ich bin dann jetzt mal weg. Feiert nicht so viel“, sagte er und wollte gehen, doch Kari hielt ihn auf. „Wohin gehst du denn eigentlich?“, fragte sie neugierig. „Zu Mimi. Nachhilfe und so“, erklärte er schulterzuckend. „Nachhilfe? Es ist Samstagabend.“ Kari hob eine Augenbraue und auch T.K. zog eine skeptische Miene. Es wussten doch mittlerweile alle, dass Mimi seit dem Vorfall mit Matt in der Schule von ihren Eltern bewacht wurde wie ein wertvoller Schatz von einem Drachen. Und außerdem war Mimi sonst immer zu den Yagamis gekommen, weil ihre Eltern Tai nicht in der Wohnung haben wollten. „Ja, aber seit der Suspendierung kommt sie noch schlechter in Mathe mit, weil sie sich den Stoff der Woche allein erarbeiten musste. Deswegen gibt’s jetzt ein bisschen mehr zu tun“, berichtete Tai. „Und jetzt macht's gut. Feiert nicht so wild.“ Wenig später hörten T.K. und Kari die Wohnungstür ins Schloss fallen und waren allein. „Es ist echt cool von Tai und deinen Eltern, dass sie dich hier allein lassen, damit du deinen Geburtstag feiern kannst“, meinte T.K. „Ich glaube, das ist ihnen allen lieber, als wenn ich heimlich in irgendeinen Club gehe“, antwortete Kari kichernd und verteilte ein paar Kerzen auf dem Fensterbrett. „Kommst du noch mit in die Küche? Wir müssen noch die Snacks vorbereiten, bevor die anderen kommen.“ Sie gingen in die Küche, holten die einzelnen Zutaten für Karis Snacks aus dem Kühlschrank und suchten sich Schneidebretter und Messer. Eine Weile schnitten sie beide schweigend Gemüse und hingen jeder ihren eigenen Gedanken nach. „Danke, dass du mir beim Vorbereiten hilfst. Ohne dich würde das alles doppelt so lange dauern“, sagte Kari schließlich. „Kein Problem. Mach' ich doch jedes Jahr“, erwiderte T.K., als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Naja, aber nach all dem Stress der letzten Wochen...“ „Ach, vergessen wir das doch endlich. Ist alles vorbei.“ Sie sahen sich über den Tisch hinweg an und lächelten flüchtig.   _   Nervös ging Mimi in ihrem Zimmer auf und ab und wartete auf das Klingelzeichen. Noch konnte sie nicht so ganz glauben, was sie hier im Begriff war zu tun. Sie hatte die Gunst der Stunde genutzt, dass ihre Eltern heute Abend ausgingen und Tai eingeladen unter dem Vorwand, mit ihm Mathe machen zu wollen. In Wirklichkeit hatte sie jedoch etwas völlig Anderes im Kopf. Ihre Idee war dumm und konnte gründlich schief gehen. Und selbst, wenn sie funktionierte, konnte es passieren, dass sie sich selbst unglücklich damit machte. Denn der Plan für heute Abend war: Tai betrunken machen, um mit ihm zu schlafen, ihn damit von Sora abzulenken und ihn dazu bringen, sich in Mimi zu verlieben. So viel konnte schief gehen. Vielleicht würde er nicht mit ihr trinken wollen, oder wollte selbst betrunken nicht mit ihr schlafen, oder er würde hinterher sagen, dass das ein riesiger Fehler gewesen sei. Es war wahnwitzig und würde vielleicht Mimis Herz brechen. Doch wie sie vor einer Weile mit Matt festgestellt hatte, hatte sie nichts zu verlieren. Das Verhältnis zu Tai war ohnehin angespannt, seit sie ihm gesteckt hatte, dass sie in ihn verliebt war. Also konnte sie auch ruhig etwas so Bescheuertes riskieren. Er konnte anscheinend kaum weniger an ihr interessiert sein, als er ohnehin schon war. Endlich klingelte es, sodass Mimi zusammenzuckte. Hastig warf sie einen Blick in den Spiegel, um noch einmal ihre Haare zu richten und zu überprüfen, ob ihr Make-up auch nicht verschmiert war, bevor sie zur Tür lief und öffnete. „Hallo“, flötete sie betont fröhlich und ließ ihn herein. „Du hast ja so gute Laune“, stellte Tai sofort fest und musterte sie argwöhnisch. „Dir ist schon klar, dass wir gleich was für die Schule machen? An einem Samstagabend?“ „Klar, das ist... das ist wirklich nervig“, sagte sie nun und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Lass' es uns schnell hinter uns bringen.“ „Dafür bin ich auch“, stimmte Tai ihr zu und schlüpfte aus seinen Schuhen und seiner Jacke. Er folgte ihr in ihr Zimmer, wo sie sich auf den Boden fallen ließ, ganz so, wie sie es auch bei ihm immer taten. Mimi hatte schon ihr Buch, ihre Hefter und ihren Schreibblock bereit gelegt und sah nun Tai an, sich die Haare hinter die Ohren streichend. „Also, ich denke, wir wiederholen einfach ein bisschen den Stoff, den ihr diese Woche gemacht habt und rechnen ein paar Übungsaufgaben. Ich hab' sogar noch welche aus dem Internet rausgesucht. Und dann sind wir fertig für heute, würde ich sagen. Wir sollten es nicht übertreiben. Ist schließlich Wochenende“, erklärte Tai und blätterte in dem Papierstapel, den er mitgebracht hatte. „Also, weißt du noch, wie die Formel geht?“ Eine ganze Viertelstunde saßen sie an der Wiederholung, bis Mimi es schließlich nicht mehr aushielt. Sie wollte mit ihrem Plan beginnen. Sie konnte sich ohnehin kaum auf Mathe konzentrieren, obwohl Tai tatsächlich mittendrin zu sein schien. Die ganze Zeit starrte sie ihn möglichst unauffällig an, beobachtete seine Bewegungen und seine Mimik, bewunderte das warme Braun seiner Augen, musterte seinen Adamsapfel, schmachtete heimlich seine Armmuskeln an... „Ich gehe uns mal schnell einen Drink holen, okay?“, verkündete sie, bevor sie sich an die nächste Aufgabe machte, und stand auf. „Gute Idee“, seufzte Tai. Sie ging in die Küche, wo sie erst einmal tief durchatmete. Dann holte sie zwei Weingläser aus dem Schrank und fischte eine Flasche Rotwein aus einem anderen. Zum Glück sammelten ihre Eltern Wein, sodass es ihnen kaum auffallen würde, wenn eine Flasche fehlte. Oder zwei. Eilig öffnete sie die Flasche und füllte großzügig die beiden Gläser, bevor sie mit ihnen in den Händen wieder zurück in ihr Zimmer ging. „Ein Glas Wein der Herr?“ Sie lächelte verschmitzt und drückte Tai eines der Gläser in die Hand. Dieser warf ihr einen irritierten Blick zu. „Was soll das denn?“ „Komm' schon. Du hast selbst gesagt, es ist Samstag. Da sollten wir beim Lernen auch ein kleines bisschen Spaß haben, oder nicht?“, erwiderte Mimi betont locker. Tai musterte skeptisch den Wein, als befürchtete er, er würde jeden Moment anfangen zu sprechen, dann sah er wieder Mimi an. „Erstens trinke ich keinen Wein, und zweitens... hä?“ „Nur das eine Glas, okay? Das wird dich schon nicht umbringen. Oder ist Taichi Yagami etwa doch nicht so cool, wie er immer tut?“, sagte sie herausfordernd und hob die Augenbrauen. „Das hat doch mit Coolsein nichts zu tun“, grummelte Tai, roch nun aber misstrauisch an dem Wein und schwenkte ihn im Glas herum. „Das macht uns beiden das Lernen bestimmt leichter“, versuchte Mimi ihn zu überreden und hielt ihm ihr Glas zum Anstoßen entgegen. Er runzelte die Stirn, ohne Anstalten zu machen, ihr zuzuprosten. „Das glaubst du doch selbst nicht.“ „Jetzt stell' dich nicht so an. Ich wusste gar nicht, dass du so ein Spießer bist“, spottete Mimi. Einige Sekunden lang musterte er sie noch skeptisch, doch dann knickte er endlich ein. Klirrend stieß er sein Glas gegen ihres und sie nippten beide an ihren Gläsern.   _   Davis hatte sich schon wahnsinnig auf die kleine Party bei Kari gefreut. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit waren sie alle sechs wieder zusammen, nur unter sich. Es war immer anstrengender geworden, Zeit mit den Älteren zu verbringen, weil sie einfach so viele Probleme hatten und untereinander nicht mehr zurechtkamen. Doch hier, wenn es nur um sie sechs ging, gab es keine Probleme. Okay, Kari hatte vor einer Weile so getan, als wäre sie in Davis verliebt, um T.K. eins auszuwischen, doch das hatte er bereits vergessen. Und auch den Streit mit T.K. hatte er einigermaßen beigelegt. Natürlich war er eine Zeit lang sehr eifersüchtig auf ihn gewesen und war es vielleicht noch immer ein kleines bisschen. Doch seinem Unterbewusstsein war bereits klar, dass aus Davis und Kari wahrscheinlich niemals ein Paar werden konnte. Er würde eine Andere finden, dessen war er sich sicher. Eine, die für ihn bestimmt war und ihn wirklich glücklich machte. Obwohl er am nächsten an den Yagamis wohnte, war er der Letzte, der kam. Yolei, Cody, T.K. und Ken waren bereits da und in der Wohnung herrschte lautes Geschnatter und alle machten sich über Davis lustig, weil er zu spät kam. „War ja klar, dass du zuletzt kommst“, stichelte Kari, bevor sie ihn umarmte. Sie saßen alle um den Esstisch in der Küche herum. Der Tisch war voller leckerer Snacks und Cola und überall in der Küche und im Wohnzimmer brannten Kerzen und vermittelten eine gemütliche Stimmung. Davis setzte sich auf den letzten freien Stuhl, um der kleinen Runde beizutreten.   _   Tai schwirrte bereits gehörig der Kopf, als Mimi die zweite Flasche Wein öffnete und ihm ein Glas einschenkte. Mit Mathe hatten sie schon vor einer Weile aufgehört, weil sie sich nicht mehr konzentrieren konnten. Wein war definitiv kontraproduktiv, wenn man etwas lernen wollte. Stattdessen saßen sie nun nebeneinander auf dem Teppichboden an Mimis Bett gelehnt, tranken Wein und redeten über alles Mögliche. Gerade waren sie beim Thema Sora. „Liebeskummer is' echt einer der schlimmsten Schmerzen, find' ich“, sagte Tai und seine Zunge fühlte sich schwer an. Er wusste, dass er eigentlich genug hatte. „Das is' einfach so... man kann nix dagegen machen, weißt du? Man is' so abhängig von 'nem anderen Menschen. Erst gibt man irgendwie alle Schuld sich selbst und dann hasst man den anderen auf einmal.“ „Mhm“, machte Mimi, nickte bestätigend und nippte an ihrem Glas. „Furchtbar ist das.“ „Hattest du überhaupt schon mal Liebeskummer? Nee, oder? Du bist eher eine, die Liebeskummer verursacht“, fragte Tai nun und sah sie an. „Tze.“ Sie hob eine Augenbraue. „Doch, ich hatte auch schon mal Liebeskummer.“ „Echt?“ Er wandte sich ihr ein wenig mehr zu, stützte einen Arm auf dem Bett ab und musterte sie neugierig. „Kann ich mir gar nich' vorstellen. Erzähl' mal.“ „Das hab‘ ich dir doch schon erzählt“, antwortete sie ungeduldig. „Ach, die Story mit dem Typen und deiner Freundin im Bioraum? Ich erinnere mich“, meinte Tai und winkte ab. „Deswegen hättest du keinen Liebeskummer haben sollen.“ „Das sagst du so einfach“, murmelte Mimi beschämt und spielte mit einer Haarsträhne. „Es war echt unschön, als ich ihn dann am Abend zur Rede gestellt hab‘. Er meinte, er wollte nicht, dass ich es auf diese Weise erfahre, aber er würde einfach nichts mehr für mich empfinden.“ Tai sagte nichts, sondern hob nur skeptisch eine Augenbraue. „Und meine Freundin hat sich auch entschuldigt und sagte, sie hätte sich eben auch in ihn verliebt und könnte ja nichts für ihre Gefühle. Sie wollte es mir aber angeblich sagen. Das war alles ziemlich beschissen.“  „Was für ein Penner. Der wusste einfach nicht, was er an dir hat. Genauso wie diese ‚Freundin‘“, sagte Tai und zuckte mit den Schultern. „Kannst froh sein, dass du die los bist.“ „Das Gleiche kann ich dir über Sora sagen.“ Er fing ihren vielsagenden Blick auf und fuhr sich durch die Haare. „Weißt du, Tachikawa, du bist eigentlich gar nicht so übel, wenn man erst mal ein bisschen Zeit mit dir verbringt. Ich mag dich echt.“   _   Ken genoss es, den ganzen Abend direkt neben Yolei zu sitzen und sie hin und wieder zufällig am Arm zu berühren. Jedes Mal, wenn das passierte, jagte ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken und er wünschte sich, er könnte ihre Hand halten, doch das traute er sich vor ihren Freunden auch nicht. Immerhin waren sie noch kein offizielles Paar, sondern hatten irgendwie nur indirekt etwas miteinander. Mehr oder weniger zumindest, denn mehr als Händchen halten war bisher noch nicht gelaufen. Er hatte sich einfach nicht getraut, weiter zu gehen. Und außerdem konnten sie sich nur am Wochenende treffen, da es für beide unter der Woche zu stressig war. Sie wohnten einfach zu weit voneinander entfernt. Schon den ganzen Abend spielte die Gruppe Spiele wie Tabu und lachte sich dabei kaputt. Die Stimmung war ausgelassen und Ken fühlte sich fast wie in alte Zeiten zurückversetzt. Zum ersten Mal seit langem war es, als hätte er im Leben keine Sorgen und könnte einfach nur glücklich und unbeschwert sein. Manchmal vermisste er seine alten Freunde sehr und wünschte sich, es könnte wieder wie früher sein. Es war bereits nach Mitternacht, als Cody gähnend verkündete, er würde sich allmählich auf den Heimweg machen. Yolei, Ken und schließlich auch Davis beschlossen, sich ihm anzuschließen. Das viele Lachen und Essen hatte sie alle schläfrig gemacht. T.K. würde bei Kari bleiben, damit sie nicht so allein in der Wohnung war. „Wo ist denn eigentlich Tai?“, fragte Davis neugierig, während er in seine Jacke und Schuhe schlüpfte. „Der ist bei Mimi, um mit ihr Mathe nachzuholen“, erwiderte Kari schulterzuckend. Erstaunt warf Yolei einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Um die Uhrzeit noch?“ „Ich würde jede Wette eingehen, dass die gerade kein Mathe mehr machen“, sagte Davis spöttisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ohje, da bahnt sich doch bestimmt das nächste Drama an“, stöhnte Yolei. „Das geht uns doch alles gar nichts an. Wir sollten uns da raushalten“, murmelte Cody. Die vier bedankten sich bei Kari für die Einladung und machten sich auf den Weg nach Hause. Zuerst verabschiedeten sie sich von Davis und dann von Cody. Yolei bestand darauf, Ken noch zur U-Bahn zu bringen. Auf dem Weg dorthin redete hauptsächlich Yolei und wertete den Abend aus. Auch ihr hatte es sehr viel Spaß gemacht und Ken freute sich, dass sie so gute Laune hatte. Es war schade, dass sie den Abend jetzt schon beenden mussten. Als sie an der Treppe ankamen, die auf die Gleise hinunterführte, blieben sie stehen, um sich zu verabschieden. „Ich hoffe, du kommst gut nach Hause“, sagte Yolei lächelnd und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Melde dich dann.“ „Klar, mach' ich“, antwortete Ken ein wenig verlegen. „Vielleicht können wir ja nächstes Wochenende wieder zusammen ins Kino gehen oder so“, schlug Yolei ein wenig verlegen vor. „Gute Idee. Du kannst auch zu mir kommen, wenn du möchtest, meine Eltern würden sich freuen, dich mal wieder zu sehen“, sagte Ken und war nun ebenfalls verlegen. Dabei gab es eigentlich gar keinen Grund dazu. „Oh, das wäre... ja, das klingt gut“, erwiderte Yolei grinsend. „Ich glaube, dann komme ich wirklich bei dir vorbei.“ Dann herrschte einige Sekunden Schweigen zwischen ihnen. „Also dann ähm...“, machte Ken und wollte sich zum Gehen umdrehen, als Yolei nach seiner Hand griff und ihn aufhielt. Fragend sah er sie an und ihm fiel der entschlossene Ausdruck auf, der plötzlich in ihren Augen lag. Ohne seine Hand loszulassen, näherte sie sich ihm langsam und legte dann ganz zögerlich ihre Lippen auf seine. Für einen kleinen Augenblick verharrten sie so, bis sie sich wieder voneinander lösten. Ken spürte, wie seine Wangen glühten und Yolei grinste ein wenig beschämt. „Mach's gut“, quietschte sie, drehte sich um und lief eilig davon, während Ken noch dort stand und versuchte, das kribbelige Gefühl in seiner Magengegend unter Kontrolle zu bekommen. _   Mit großen Augen erwiderte Mimi seinen Blick. Ihr Herz klopfte bei seinen Worten wild und ihre Knie fühlten sich wackelig an, obwohl sie ihr Gewicht gerade gar nicht trugen. Sie spürte es. Der Moment war gekommen, den nächsten Schritt ihres Planes auszuführen. Jetzt oder nie. Langsam beugte sie sich nach vorn und näherte sich seinem Gesicht. Sie sahen sich noch immer tief in die Augen und er machte keine Anstalten, den Kopf zurückzuziehen. Sollte sie es wirklich tun? Beflügelt vom Alkohol – nüchtern hätte sie sich das sicher nicht getraut – überwand sie schließlich den letzten Abstand zwischen ihnen und küsste ihn flüchtig auf den Mund. Tausend Schmetterlinge schienen in ihrem Inneren aufzuflattern und verursachten ein wildes Kribbeln in ihrer Magengegend. Jedoch erwiderte er ihren Kuss nicht und schien ihn schon gar nicht intensivieren zu wollen. Fragend sah sie ihn an. Seine Stirn war in Falten gelegt und sein Blick war misstrauisch. „Was zum...“ „Scheiße, entschuldige“, sagte Mimi hastig und wandte den Blick ab. Ein hysterisches Lachen brach aus ihr hervor und es war fast, als hörte sie jemand anderen lachen. „War nur ein kleiner... ähm... Test, ob du...“ „Sollte das etwa ein Kuss sein?“, unterbrach Tai sie unwirsch. Sie erwiderte nichts, sondern biss sich verwirrt auf die Unterlippe. „Wenn du so küsst, wundert es mich nicht, dass dein Macker sich eine Andere gesucht hat“, fuhr Tai fort. „Ich zeig' dir, wie das geht.“ Und dann griff er ihr mit einer Hand in den Nacken, zog sie etwas unsanft zurück zu sich und presste seine Lippen auf ihre, verwickelte sie von der einen Sekunde auf die andere in einen innigen Kuss. Mimi war so überrascht, dass sie fast aufgeschrien hätte, doch dann ließ sie sich ganz darauf ein und blendete ihre Umgebung aus. Das Feuerwerk, das in ihrem Inneren explodierte, war unbeschreiblich. Ihr Kopf drehte sich, als sie die Augen schloss und sie wusste nicht, ob es am Kuss oder am Alkohol lag. Ihre Hände begannen zu zittern, als sie sie langsam an Tais Wangen legte. Er schmeckte ein wenig nach Wein, genauso wie sie wahrscheinlich. Außerdem konnte sie seinen Tai-Duft wahrnehmen, nun, da sie ihm so nahe war. Schwer atmend lösten sie sich schließlich wieder voneinander und sahen sich an. Sofort wollte Mimi ihn wieder küssen, doch das hielt sie für keine gute Idee. Angespannt wartete sie auf eine Reaktion von ihm. „So geht das“, murmelte er nach einer Weile. Mimi strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und setzt ein spöttisches Lächeln auf. „Ist das alles, was du drauf hast? Das war ja für Dreizehnjährige.“ Er hob eine Augenbraue und musterte sie skeptisch. „Ich weiß ja nicht, was für frühreife Dreizehnjährige du kennst.“ Sie zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich dachte einfach nur, Taichi Yagami hätte ein bisschen mehr drauf als rumknutschen, aber offenbar habe ich mich da geirrt.“ Damit schien sie ihn endlich am Haken zu haben, denn nun lächelte er verwegen. „Ich kann dir gern zeigen, was ein Taichi Yagami drauf hat, wenn dich das so sehr interessiert.“ Herausfordernd erwiderte sie seinen Blick. „Na dann fang' an.“   _   „Glaubst du, Tai und Mimi könnten was anderes machen als lernen?“, fragte Kari unsicher, während sie dreckiges Geschirr in die Spülmaschine einsortierte und T.K. den Tisch abräumte. „Ich finde, Cody hat Recht. Das geht uns echt nichts an und wir sollten uns da raushalten“, antwortete T.K. „Aber dich muss das doch auch ein bisschen interessieren“, widersprach Kari und musterte ihn. Er brachte die letzten beiden dreckigen Schüsseln vom Tisch zu ihr und zuckte mit den Schultern. „Naja, wenn ich ehrlich bin, kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Die müssen doch irgendwann mal genug haben. Und Tai war doch so in Sora verliebt. Er war doch so fertig, nachdem Schluss war. Bestimmt hängt er noch zu sehr an ihr, um jetzt was mit Mimi anzufangen.“ Kari nahm ihm die Schüsseln ab, um sie in die Spülmaschine einzusortieren. „Hast wohl Recht. Aber irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, dass Mimi ein bisschen auf Tai steht.“ „Meinst du?“, fragte T.K. und hob skeptisch eine Augenbraue. „Irgendwie schon. Wir reden viel beim Training und in letzter Zeit hat sie oft von Tai gesprochen und komische Fragen gestellt“, meinte Kari schulterzuckend. Sie schloss die Spülmaschine und sie und T.K. gingen in ihr Zimmer. T.K. beschloss, nicht weiter nachzufragen. Er wollte von dem ganzen Drama nicht zu viel wissen. Eigentlich war es ihm schon viel zu viel, was er bereits wusste. „Danke, dass du mir so viel geholfen hast“, wechselte Kari nun das Thema und lächelte ihn an. „Ich bin echt froh, dass du hier bist.“ Dann schnappte sie sich ihren Pyjama und verschwand aus dem Zimmer. Nachdenklich zog T.K. ebenfalls seinen Pyjama an und ging sich nach Kari die Zähne putzen. Als er wieder zurück in ihr Zimmer kam, hatte sie bereits neben ihrem Bett den Gästefuton ausgebreitet und stand nun vor dem Spiegel an ihrem Kleiderschrank, um sich die Haare zu kämmen. T.K. ließ sich auf dem Futon nieder und sah ihr zu, beobachtete, wie sie die Bürste langsam durch ihr schulterlanges Haar gleiten ließ. Sie trug zum Schlafen ein Top, das den Ansatz ihrer Schulterblätter freigab und wenn sie die Arme wie gerade beim Haarebürsten hob, konnte man außerdem einen schmalen Streifen Haut unter dem Saum des Tops erkennen. Dazu trug sie eine kurze Hose und zeigte damit ihre schlanken, nackten Beine. T.K. schluckte, als sie sich umdrehte und über seinen Futon hinweg in ihr Bett kletterte. „Kari, ich...“, setzte er an. Sie war unter ihre Decke geschlüpft und sah ihn nun fragend an. „Hm?“ Einen Augenblick lang sahen sie sich in die Augen und T.K. trug einen inneren Kampf mit sich selbst aus. Was hatte er da nur gerade für Gefühle gehabt? Schon wieder waren sie da. Sie hatten doch gerade erst ihren Streit beigelegt und verstanden sich wieder so gut, erzählten sich wieder alles. Wollte er jetzt wirklich wieder mit diesen unangebrachten Gefühlen kommen und ihre Freundschaft gefährden? „Nichts, schon gut“, sagte er kopfschüttelnd und wandte den Blick ab. „Okay. Gute Nacht, T.K.“   _   Mimi verbrannte fast unter seinen Berührungen, als er ihr das Oberteil auszog und ihre Schlüsselbeine küsste. Sie konnte kaum glauben, dass ihr Plan tatsächlich aufging. Ihre Finger machten sich daran, Tai das T-Shirt auszuziehen, wobei ihr der unverwechselbare Tai-Geruch noch mehr in die Nase stieg. Gierig atmete sie ihn ein, bevor sie rittlings auf seinen Schoß kletterte, sich an ihn schmiegte und ihn in einen erneuten Kuss verwickelte. Seine Hände legten sich auf ihre Hüften, fuhren ihre Seiten hinauf und öffneten den Verschluss ihres BH. „Normalerweise mach' ich sowas nich'“, murmelte Tai mit schwerer Zunge in den Kuss hinein. „Was? BHs öffnen?“, fragte Mimi, obwohl sie jetzt eigentlich nicht mit ihm reden wollte. „Nee. Mit Mädchen rummachen ohne Beziehung“, antwortete er und streifte ihr den BH ab. „Und irgendwie glaub' ich, dass hier is' nich' so die beste Idee.“ Sofort griff Mimi nach seinem besten Stück und er sog scharf die Luft ein. Hoffentlich würde er jetzt nicht weiter darüber nachdenken, ob es eine gute Idee war oder nicht, jetzt das hier mit ihr zu tun. Hastig öffneten ihre Finger den Knopf seiner Jeans, zogen den Reißverschluss herunter und ihre Hand fuhr unter seine Boxershorts. Mit langsamen Bewegungen massierte sie ihn, sodass ein leises Stöhnen seiner Kehle entwich. Dabei hatte sie das Gesicht an seinem Hals vergraben, küsste die weiche Haut dort und biss sanft hinein. „Autsch!“, rief Tai, packte sie an den Schultern und schob sie von sich weg. „Mann, das tut doch weh.“ „Sorry. Willst du mich aus Rache irgendwohin beißen?“, fragte sie und grinste verschmitzt. Er hob eine Augenbraue. „Wohin denn?“ „Such' dir was aus.“ Sie grinste noch breiter, sodass er leise lachte. „Du bist ein ziemliches Luder, weißt du das?“ Er schob sie von sich herunter aufs Bett, drückte sie in eine liegende Position und zog ihr Rock, Strumpfhose und Slip aus. Er kniete auf dem Boden vor ihr und beugte sich nun über sie, um ihren Bauch zu küssen, ihre Oberschenkel zu streicheln und schließlich seine Küsse weiter runter wandern zu lassen. Als Mimi zuerst seine Lippen und dann seine Zunge an ihrer empfindlichsten Stelle spürte, schloss sie die Augen und konnte sich ein Stöhnen nicht verkneifen. Ihre Hände krallten sich in ihre Bettdecke und ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Dieser Junge machte sie wahnsinnig. Immer weiter ging er, immer mehr wuchs ihre Erregung und ihr Stöhnen wurde lauter. Gut, dass ihre Eltern nicht da waren. Hoffentlich kamen sie nicht in den nächsten Minuten nach Hause. „Tai“, hauchte sie, als sie spürte, dass sie kurz vor ihrem Höhepunkt stand. Er hielt inne und hob den Kopf. „Hm?“ „Komm' endlich her“, befahl sie ihm. Er grinste verwegen. „Ich könnte dich jetzt auch einfach hier so liegen lassen und nach Hause gehen. Wär' voll witzig.“ „Ja. Ich lach' mich tot. Und jetzt komm‘ her“, erwiderte sie genervt. „Naja, für dich wär's vielleicht nich' so witzig“, sagte er und lachte leise. Dann jedoch stand er endlich auf und streifte sich seine Jeans und seine Boxershorts ab. Er schob Mimi noch ein wenig nach oben, sodass er sich über sie legen konnte. Als er jedoch gerade in sie eindringen wollte, hielt er wieder inne und brachte Mimi dazu, aufzustöhnen, diesmal jedoch nicht vor Lust, sondern vor Ungeduld. „Was denn jetzt wieder?“ „Nimmst du die Pille?“ „Ja, Mann!“ Ihre Hände schlossen sich um seinen Nacken und zogen ihn zu sich herunter, während er gleichzeitig etwas unsanft in sie eindrang. Doch das machte Mimi nichts aus. Sie hatte nichts dagegen, dass er ein bisschen grober war. Lustvoll krallte sie sich in seinen Rücken und bog ihm ihren Körper entgegen. Sie versuchte, jede Sekunde mit ihm vollends auszukosten. Wer wusste schon, wann es das nächste Mal dazu kam und ob überhaupt. Sie versuchte, sich genau auf seine Bewegungen zu konzentrieren, auf jeden Laut, den er von sich gab. Seine Haut fühlte sich so weich und erhitzt an unter ihren Fingern. Plötzlich hielt er inne, schüttelte ihre Arme von sich ab, griff nach ihren Handgelenken und legte sie über ihrem Kopf ab, wo er sie festhielt. „Du kratzt“, keuchte er ihr ins Ohr. Die Hände nicht mehr bewegen zu können, erregte Mimi noch mehr. Genüsslich schloss sie die Augen und stöhnte leise seinen Namen. „Ja, du Luder, stöhn‘ lauter“, keuchte Tai wieder. Mimi öffnete die Augen und starrte ihn entgeistert an. „Wie bitte?“ Er grinste schief. „War nur’n Witz.“ „Mann, hör‘ endlich auf, bescheuerte Witze zu machen!“ Nur wenige Minuten später waren sie beide zum Höhepunkt gekommen und er rollte sich erschöpft von ihr herunter. Schwer atmend lagen sie nebeneinander und Mimi drehte sich auf die Seite, um sich an ihn zu kuscheln. „Hast ja doch was drauf“, murmelte sie und lächelte. „Was soll dieser überraschte Unterton“, erwiderte er selbstgefällig. Mimi kicherte und schloss dann gähnend die Augen. Der Sex und auch der Wein hatten sie schläfrig gemacht und sie konnte auf der Stelle einschlafen, doch dann ließ sie das Geräusch des Schlüssels in der Wohnungstür blitzschnell wieder aufschrecken.   _   „Ich muss jetzt los, okay?“, raunte Matt dem Mädchen namens Mezumi ins Ohr und erhob sich anschließend vom Bett, um seine Klamotten wieder anzuziehen. „Was? Jetzt schon?“, fragte Mezumi enttäuscht und zog die Bettdecke enger an sich, um ihren nackten Körper zu verdecken. „Ja. Viel zu tun“, murmelte Matt und schlüpfte in Jeans, T-Shirt und Pulli. „Aber wie kann ich dich erreichen? Gibst du mir deine Nummer?“, fragte sie eindringlich. „Gib mir deine. Ich ruf' dich morgen an“, antwortete er. Sie griff in eine Schublade ihres Nachttischs, kramte einen Zettel und einen Kugelschreiber hervor, kritzelte etwas auf das Papier und reichte ihm den Zettel, den er in seiner Hosentasche verschwinden ließ. „Danke“, sagte er lächelnd und ging aus dem Zimmer, um anschließend aus der Wohnung zu schleichen. Auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle zündete er sich eine Zigarette an und zog lang an ihr. Er war zu seinem alten Ich zurückgekehrt, obwohl er das eigentlich nicht gewollt hatte. Als er sich eine halbe Stunde später seinem Wohnblock näherte, sah er, dass eine Gestalt an der Haustür stand und anscheinend wartete. Erst, als er schon fast vor der Tür stand, erkannte er die Person. „Was willst du denn hier?“, fragte er harsch und kramte seinen Schlüssel aus der Hosentasche hervor. „Ich muss was mit dir besprechen“, antwortete Nagisa mit ernster Miene. „Kein Interesse“, erwiderte er abweisend und steckte den Schlüssel ins Schloss. „Ach nein?“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie ihre Jacke und ihr Shirt anhob und somit ihren Bauch freilegte. Verwirrt sah er sie an und stellte fest, dass sie schwanger sein musste. Ihr Bauch war auffällig rund. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte er trocken, wunderte sich jedoch innerlich. Schwanger mit achtzehn? Es gehörte nicht gerade zu seinen Lebenszielen, in diesem Alter ein Kind zu haben. Er öffnete die Haustür und wollte reingehen und sie draußen stehen lassen, doch sie hielt ihn auf. „Es ist deins.“ Er hielt inne und starrte sie an. „Sag' mal, spinnst du? Jetzt versuchst du schon, mir ein Kind anzuhängen? Was läuft bei dir falsch?“ „Ich bin jetzt Anfang des siebten Monats. Wir haben Mitte April miteinander geschlafen. Es ist hundertprozentig deins“, erklärte sie. „Ich habe mit keinem anderen in der Zeit geschlafen.“   _   „Scheiße!“, fluchte Mimi leise, sprang vom Bett auf und zog sich hastig ihre Klamotten an. Verwirrt setzte Tai sich auf und alles drehte sich. „Was ist denn los?“, fragte er und fasste sich stöhnend an den Kopf. „Meine Eltern sind gerade gekommen, Mann! Sie dürfen dich hier nicht sehen! Los, steh' auf und versteck' dich“, zischte sie und griff nach seiner Hand, um ihn vom Bett zu ziehen. Eilig drückte sie ihm seine Boxershorts in die Hand. „Hier, zieh' das an.“ Sie flitzte zu ihrem Kleiderschrank, riss ihn auf und schob einige ihrer Klamotten an den Bügeln zur Seite. „Schnell, rein mit dir!“ „Was?“ Entgeistert starrte er sie an. „Bist du irre? Ich versteck' mich doch nicht im Kleiderschrank.“ „Du musst! Komm' schon, Tai. Bitte. Wir sind tot, wenn meine Eltern dich hier sehen“, flehte Mimi, während Tai sich ungeschickt und schwankend seine Unterhose anzog. Sie kickte den Rest seiner Klamotten und die Mathematiksachen unter ihr Bett und schubste Tai zum Schrank. Er protestierte, wehrte sich jedoch nicht. Zu sehr drehte sich sein Kopf. Dieser scheiß Wein! Mimi drückte ihn in den Kleiderschrank, warf die Tür zu und eine Sekunde später hörte Tai, wie die Zimmertür geöffnet wurde. Was ging hier nur vor? Was bildete dieses Weib sich ein, ihn einfach in den Schrank zu sperren? Er sollte auf der Stelle herauskommen und sie verraten, doch dann würde er wohl mit ein paar Knochenbrüchen hier herausgehen. Warum hatte er sich nur darauf eingelassen? Wie war es nur dazu gekommen, dass er jetzt mit Schwindel und Übelkeit fast nackt in Mimis Kleiderschrank hockte? Die Tür war nicht richtig zu gegangen, sodass er durch einen schmalen Spalt zwischen den beiden Türen spähen konnte. Er sah Mimi, wie sie ihre Bettdecke aufschüttelte und ihre Eltern, wie sie ins Zimmer traten. „Wir sind wieder da“, verkündeten sie. „Schön. Ähm... hattet ihr einen schönen Abend?“, fragte Mimi schrill. Frau Tachikawa begann, von dem Essen des Restaurants zu schwärmen, aus dem sie gerade gekommen waren, während Herr Tachikawa ihr nickend zustimmte. Mimi sah ihre Eltern an, lächelte und nickte ebenfalls, doch Tai war sich sicher, dass sie nicht richtig zuhörte. „Aber mal was anderes“, sagte Herr Tachikawa nun. „Wem gehören denn die Schuhe da vor der Tür?“ „Oh äh... du meinst die weißen Sneaker?“ Mit einer fahrigen Bewegung strich Mimi sich die Haare über die Schulter und kratzte sich am Kopf. „Die ähm... äh... also die... die habe ich mir von Takeo von oben ausgeliehen. Ich wollte äh... am Strand spazieren gehen, aber nicht meine Schuhe versauen. Der Sand ist doch so nass und dreckig und ähm... dann hat er mir freundlicherweise seine Schuhe geliehen.“ Sie lachte schrill. „Verrückte Idee, oder? Ich bringe sie ihm morgen Früh zurück.“ Tai fasste sich an den Kopf. Auf so eine bescheuerte Geschichte konnte auch nur Mimi kommen. „Das ist wirklich eine komische Idee“, kommentierte Frau Tachikawa. „Aber mach' sie ihm wieder sauber, hörst du?“ „Ja, klar. Morgen Früh“, sagte Mimi. „Und jetzt bin ich ganz schön müde und würde gern schlafen gehen.“ „Wir sind auch müde. War ein langer Abend“, seufzte Herr Tachikawa und gähnte herzhaft. Sie wünschten Mimi eine gute Nacht und gingen dann endlich wieder aus dem Zimmer. Mimi wartete noch einige Sekunden, bevor sie zum Schrank ging und die Tür öffnete. „Boah, du hast sie doch nicht mehr alle“, fuhr Tai sie an. „Pst!“, machte Mimi und presste sich den Zeigefinger auf die Lippen. „Jedes Mal, wenn ich denke, du bist gar nich' so übel, kommst du mit irgendeinem Scheiß um die Ecke!“, beschwerte er sich, zog seine Klamotten unter dem Bett hervor und zog sie an. „Es tut mir so leid. Ich dachte, sie würden noch ein bisschen länger weg bleiben“, flüsterte Mimi eindringlich und legte eine Hand auf seine Schulter. „Da hast du dich aber gewaltig geirrt!“, fauchte er und schüttelte ihre Hand ab. „Mich im Schrank einsperren. Geht's noch, Alter?“ „Es tut mir leid“, wiederholte sie mit brüchiger Stimme, als wäre sie den Tränen nahe. „Das bringt mir jetzt auch nichts mehr!“ Er stürmte zur Tür, doch Mimi hielt ihn auf. „Warte, meine Eltern könnten dich hören“, murmelte sie und hielt ihn am Arm fest. Er runzelte die Stirn und öffnete die Tür leise einen Spalt breit. Auf dem Flur war es dunkel und Mimis Eltern schienen sich in eines der anderen Zimmer zurückgezogen zu haben. Er nutzte seine Chance, würdigte Mimi keines Blickes mehr und schritt durch die dunkle Wohnung zur Tür. Kapitel 38: Wertvolle Freundschaften ------------------------------------ Sonntag, 22. Oktober 2006   Mimi hatte die ganze Nacht lang kaum ein Auge zu bekommen. Ihre Gedanken wirbelten nur so durch ihren Kopf und sprangen zwischen Sex mit Tai und seinem Abgang hin und her. Das Ende dieser Nacht hätte sicherlich besser laufen können, doch ihr Plan war aufgegangen. Er hatte tatsächlich mit ihr Wein getrunken und anschließend mit ihr geschlafen. Wenn sie an diese Momente zurückdachte, wurde sie erneut erregt und wollte ihn am besten sofort wieder hier neben sich wissen. Obwohl er recht ungestüm vorgegangen war, hatte es sich trotzdem so viel liebevoller als mit Matt angefühlt. Matt war gröber und härter, liebloser aber auch routinierter. Außerdem hatte Tai ihr gesagt, dass er sie mochte. Vielleicht änderten sich seine Gefühle ja tatsächlich allmählich. Morgens um sieben setzte sie sich wild entschlossen in ihrem Bett auf. Sie würde heute zu ihm gehen und sich beim ihm dafür entschuldigen, dass sie ihn im Schrank eingesperrt hatte. Wenn sie ihm diese Sache nur in Ruhe erklärte, würde er sicher Verständnis haben und ihr verzeihen. Ganz bestimmt.   _   Mit düsterer Miene stand Matt auf dem Balkon und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die halbe Nacht hatte er hier draußen verbracht und über Nagisa nachgedacht und darüber, ob er wirklich der Vater ihres Kindes sein konnte. Sie hatten noch eine Weile in seinem Zimmer gesessen und geredet und sich ein Ultraschallbild angesehen. Es wurde ein Junge. Und doch hatte Matt die Hoffnung, dass er nicht wirklich der Vater des Kindes war, noch nicht ganz aufgegeben. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, was in jener Nacht passiert war, was ihm nach wie vor äußerst eigenartig vorkam. Es war gut möglich, dass er tatsächlich mit ihr geschlafen hatte, auch wenn er es nicht vorgehabt hatte, doch es war auch gut möglich, dass sie sich das nur ausgedacht hatte. Wer konnte ihm schon versichern, dass das Kind von ihm war und nicht von jemandem, mit dem sie zwei Tage später geschlafen hatte? Erzählen konnte sie schließlich viel. Und wenn es wirklich sein Kind war? Er hatte keine Zeit für ein Kind. Er wusste nicht, ob er überhaupt mal Kinder in seinem Leben haben wollte. Das passte so gar nicht in seine Karrierepläne. Das Kind konnte ja schlecht mit auf Tournee kommen. Und Geld hatte er momentan auch keines, um sich um das Kind zu kümmern. Er seufzte tief und fuhr sich durch die Haare, bevor er seine Zigarette ausdrückte. Er musste endlich aufhören, mit so vielen Mädchen zu schlafen. Und er brauchte jemanden, an den er sich jetzt wenden konnte. Jemanden, der ihm jetzt zur Seite stand, obwohl er es nicht wirklich verdient hatte. Einen besten Freund. Jemanden wie Tai.   _   Als Tai gegen Mittag aufwachte, fühlte er sich, als hätte ein Bus ihn überfahren. Sein Kopf dröhnte und ihm war schlecht und er hatte das Gefühl, wenn er versuchte, aufzustehen, würde er sofort wieder umfallen. Ein leichter Geruch nach Essen hatte sich in seinem Zimmer ausgebreitet und ihn wahrscheinlich auch geweckt. Nach Essen war ihm gerade wirklich nicht zumute. Mühselig kroch er aus dem Bett und schlurfte nur mit Boxershorts bekleidet aus dem Zimmer in die Küche. „Na, bist du auch endlich aufgewacht? Hättest dir ja wenigstens mal was anziehen können“, begrüßte Kari ihn und warf ihm einen spöttischen Blick zu. T.K. stand neben ihr am Herd und rührte gerade in einer Pfanne herum. „Sorry“, murmelte Tai mit rauer Stimme und kratzte sich am Kopf. „Sag' mal, wie bist du überhaupt drauf? Hast du gestern was getrunken?“, fragte sie nun argwöhnisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur'n bisschen“, murmelte Tai, nahm sich ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser. „Aber ich dachte, du warst bei Mimi und ihr habt Mathe gemacht“, erwiderte Kari neugierig. Wirre Bilder der vergangenen Nacht huschten Tai nun durch den Kopf, als würde er sich ein Video ansehen. Mimi, die nackt vor ihm auf dem Bett lag und ihn lüstern ansah. Dann der Schrank und wie er durch den schmalen Spalt sie und ihre Eltern beobachtet hatte. Wie er anschließend wütend aus der Wohnung gestürmt war. „Ja, wir haben... Mathe gemacht“, nuschelte Tai und rümpfte die Nase. Kari hob eine Augenbraue und auch T.K. musterte Tai mit fragendem Blick. „Wie auch immer. Willst du mitessen? Es gibt Curry“, bot Kari Tai an und deutete auf die Pfanne. „Aber zieh' dir vorher was an.“ „Mann, wer bist du? Meine Mutter?“, grummelte Tai, gehorchte jedoch.   _   Izzy war gerade dabei, sich in seinem Zimmer auszuruhen und dachte an nichts Böses, als es an der Tür klopfte und seine Mutter, ohne auf eine Antwort zu warten, den Kopf zur Tür hereinsteckte. „Du hast Besuch“, verkündete sie. Izzy drehte sich zu ihr herum. „Was? Wer ist denn da?“ Seine Mutter trat zurück und an ihrer Stelle erschien Mimi im Türrahmen und er konnte sofort erkennen, dass irgendwas passiert war. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah ihn an, als erwartete sie, dass er sie schlug. „Hallo“, murmelte sie. „Hi“, sagte er verwundert und stand von seinem Stuhl auf. „Komm' rein. Willst du was trinken?“ „Ähm... nein, danke. Ehrlich gesagt bin ich nur hier, um zu reden“, nuschelte sie kleinlaut. Izzy warf einen kritischen Blick an ihr vorbei in den Flur, wo seine Mutter sich noch herumtrieb und anscheinend akribisch das Regal putzte. „Okay, dann lass' uns ein bisschen spazieren gehen.“ Während sie die Treppe hinuntergingen, fragte Izzy sich, was nun schon wieder passiert war. War sie jetzt etwa wirklich schwanger von Matt? Wundern würde er sich nicht darüber. Etwas anderes fiel ihm gerade nicht ein, warum sie so niedergeschlagen sein könnte. Sie steuerten langsam auf den Strand zu und Mimi hatte noch keinen Ton gesagt. „Also, worum geht’s denn?“, fragte Izzy nach einer Weile und sah sie von der Seite an. Sie seufzte theatralisch. „Oh, Izzy, ich glaube, du wirst nicht begeistert sein, wenn ich dir das erzähle. Aber ich muss einfach mit jemandem darüber reden und ich brauche einen Rat. Ich habe ein wenig Mist gebaut, glaube ich. Dabei war das so gar nicht geplant gewesen.“ „Ähm... okay“, erwiderte Izzy langsam. „Ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.“ Zögerlich nickte sie und holte Luft. „Also, ich habe dir ja erzählt, dass Tai gestern bei mir war wegen Mathe. Und meine Eltern waren nicht da, sonst hätte er ja auch nicht zu mir kommen können. Wir haben ein bisschen Wein getrunken und am Ende habe ich mit ihm geschlafen.“ Den letzten Satz hatte sie so leise gesagt, dass Izzy sich unwillkürlich fragte, ob er sie richtig verstanden hatte. Doch ihr Auftreten passte zu diesem Geständnis. „Du hast was?“, fragte er entsetzt. „Mimi!“ „Ich weiß!“, rief sie verzweifelt. „Es kam einfach so. War purer Zufall. Wir konnten uns nicht dagegen wehren.“ „Ja klar. Man kann sich gegen alles wehren. Ihr habt euch ja wohl nicht gegenseitig vergewaltigt“, entgegnete Izzy stirnrunzelnd. „Natürlich nicht. Aber... es war nur so halb geplant. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass das wirklich passiert und...“ „Warte mal“, unterbrach er sie und blieb stehen. „Halb geplant? Wovon redest du? Was meinst du damit?“ Sie war ebenfalls stehen geblieben und senkte nun schuldbewusst den Blick. „Vielleicht hatte ich einen kleinen Plan. Aber nur einen kleinen.“ Izzy hob eine Augenbraue und musterte sie skeptisch. „Und was für ein kleiner Plan war das?“ Für einen Augenblick schwieg sie, doch dann nuschelte sie doch noch eine Antwort: „Ich wollte ihn betrunken machen, damit er mich küsst, mit mir schläft und sich dann in mich verliebt.“ Entgeistert starrte er sie an und kratzte sich am Kopf. War das etwa ihr Ernst? „Warum um alles in der Welt willst du, dass Tai sich in dich verliebt?“ Sie hob den Blick und sah ihn aus so vielsagenden Augen an, dass er keine weitere Frage stellen musste, um zu wissen, was sie ihm vermitteln wollte. „Bist du etwa...“ Sie nickte langsam. „Ich hab ihn so gern.“ Izzy seufzte resigniert. Dieses Mädchen bereitete ihm mehr und mehr Kopfschmerzen. „Aber hast du nicht noch vor einer Weile ihn und Sora zusammengebracht? Oder es zumindest versucht?“ „Nicht nur versucht, ich habe es geschafft“, protestierte sie. „Aber ja, in dieser Zeit habe ich irgendwie gemerkt, dass er mir etwas bedeutet.“ Kopfschüttelnd schob Izzy die Hände in die Hosentaschen und ging weiter. „Aber wo ist dann jetzt das Problem? Wenn er mit dir geschlafen hat, mag er dich vielleicht wirklich. Ich glaube nicht, dass er mit Mädchen schläft, von denen er nichts will.“ „Glaubst du echt?“, fragte sie mit leuchtenden Augen. „Mhm“, machte er schulterzuckend. „Aber das Problem ist, ich habe ihn hinterher in meinem Schrank eingesperrt“, sagte sie plötzlich. „Was?!“ Nun war er vollends verwirrt. „Wolltest du ihn dir als Sklaven halten oder was?“ „Nein, aber... meine Eltern. Du weißt doch, seit der Sache in der Schule darf ich keine Jungs mehr zu uns nach Hause einladen. Und meine Eltern kamen wieder, als wir gerade fertig waren.“ Sie lief rot an wie eine Tomate und auch Izzy war das peinlich, was sie erzählte. „Deswegen habe ich ihn dann mehr oder weniger gezwungen, sich nackt in meinem Schrank zu verstecken, weil ich wusste, dass meine Eltern noch mal in mein Zimmer kommen würden.“ „Und haben sie ihn gesehen?“, fragte Izzy. „Nee, aber ich weiß nicht, ob sie einen Verdacht hatten. Seine Schuhe standen ja vor der Tür und ich habe ihnen eine bescheuerte Geschichte erzählt, warum da Männerschuhe stehen. Und hinterher war er total sauer auf mich und ist einfach abgehauen.“ „Warum war er sauer? Weil du ihn im Schrank eingesperrt hast?“, fragte Izzy verwirrt. „Ich glaube schon. Aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Hätten meine Eltern ihn nackt in meinem Zimmer gesehen, hätten sie ihn wahrscheinlich direkt zum Fenster raus geworfen. Und ich hätte das Haus wohl nie wieder verlassen dürfen“, seufzte sie deprimiert. „Was soll ich jetzt machen? Heute Morgen war ich noch fest entschlossen, zu ihm zu gehen und mich zu entschuldigen. Aber vielleicht will er mich ja gar nicht sehen und wird nur noch wütender, wenn ich jetzt zu ihm gehe und ihn nerve.“ „Hm.“ Nachdenklich kratzte Izzy sich im Nacken. „Ich weiß auch nicht so richtig. Aber ich glaube, es kann nicht schaden, mit ihm zu reden. Vielleicht wäre es das Beste, wenn du ehrlich bist und ihm erzählst, was du für einen Plan hattest.“ Mit großen Augen sah Mimi ihn an. „Oh Gott, meinst du echt? Ich glaube, das wird ihm gar nicht gefallen.“ „Kann sein, aber zumindest weiß er dann die Wahrheit“, meinte Izzy schulterzuckend. „Und das bist du ihm doch schuldig.“ Sie schien einen Augenblick nachzudenken und kniff die Augen zusammen, dann straffte sie die Schultern und sah ihn an. „Okay. Ich werde gleich zu ihm gehen und es ihm sagen. Vielleicht wird er ja nicht allzu böse.“ Izzy nickte nur bekräftigend. „Vielen Dank, Izzy. Das bedeutet mir wirklich viel. Wenn du mal irgendwas brauchst, melde dich. Bis morgen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um rannte los. Irritiert blickte Izzy ihr hinterher, schüttelte den Kopf und machte sich dann wieder auf den Weg nach Hause. Dieses Mädchen...   _   Nach dem Gespräch mit Izzy fühlte sie sich wesentlich stärker und selbstbewusster als vorher. Dabei hatte sie eigentlich mit Matt reden wollen, doch der hatte sie ziemlich gereizt abgewimmelt. Izzy hatte Recht, Tai hatte einfach die Wahrheit verdient nach dem, was gestern passiert war. Auch, wenn das vielleicht bedeutete, dass sie sich alle eventuellen Chancen verspielte. Sie ging die Treppe nach oben zur Wohnung der Yagamis, holte tief Luft und drückte auf den Klingelknopf. Hoffentlich war er überhaupt zu Hause. Heute war für sie der Tag der Überraschungsbesuche. Endlich wurde die Tür geöffnet und ein nicht gerade begeistert aussehender Tai blickte ihr entgegen. Sein Haar war zerzaust und er trug eine Jogginghose und ein zerknittertes T-Shirt. „Heute keine Nachhilfe“, grummelte er und wollte die Tür wieder schließen. „Tai, warte!“, rief sie und er hielt inne. „Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen. Also dafür, dass ich... dich im Schrank eingesperrt hab.“ „Entschuldigung angenommen“, brummte er und wollte schon wieder die Tür schließen. Verdutzt stellte Mimi einen Fuß in die Tür. „Jetzt warte doch mal!“ Er stöhnte genervt auf. „Mann, was denn noch? Fußball kommt!“ „Ich muss dir noch was gestehen“, sagte Mimi und sah ihn eindringlich an. Einen Augenblick lang erwiderte er ihren Blick skeptisch und schien zu überlegen, doch dann öffnete er resigniert die Tür und ließ sie herein. „Muss ich den Fernseher dafür ausmachen?“, fragte er, als er ihr voran ins Wohnzimmer schlurfte. Empört wollte Mimi ihn darauf hinweisen, dass es extrem unhöflich war, fernzusehen, während jemand mit einem reden wollte, doch dann änderte sie ihre Meinung. Wenn er nebenbei fernsah, war er vielleicht zu abgelenkt, um sauer auf sie zu sein. Er warf sich auf die Couch und sie setzte sich unschlüssig neben ihn, nicht sicher, wie viel Abstand sie wahren sollte. Immerhin hatten sie erst gestern überhaupt keinen Abstand mehr zueinander gehabt. „Mann, sind die denn blind da hinten?“, fluchte Tai und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wer spielt denn?“, fragte Mimi vorsichtig und beobachtete das Spiel. „Tokio gegen Real“, antwortete Tai ungeduldig. „Mhm“, machte Mimi langsam nickend. „Sind die mit den dunklen T-Shirts Tokio?“ „Das sind Trikots. Und nein, die anderen“, grummelte er. „Aha. Wie lang geht denn das Spiel noch?“, fragte sie weiter. „Zwanzig Minuten.“ Vielleicht sollte sie es einfach in Kauf nehmen, mit ihm zwanzig Minuten Fußball zu gucken, um danach seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. Doch nein, vielleicht rettete der Fußball sie ja wirklich. „Also... wegen gestern, was ich dir gestehen wollte“, fing Mimi zögerlich an. Er brummte als Zeichen dafür, dass er ihr zuhörte. „Ich hatte da einen Plan gehabt“, räumte sie ein. Sie beobachtete ihn ein wenig ängstlich, doch er zeigte keine Reaktion, sondern starrte nur auf den Fernsehbildschirm. Ob er wohl zuhörte? „In dem Plan ging es darum, dich ein bisschen betrunken zu machen und...“ Sie hielt inne, weil er sich nun doch ruckartig zu ihr umgedreht hatte und sie anstarrte. Erschrocken erwiderte sie seinen Blick. „Red' weiter“, forderte er sie auf. „Ähm naja“, fuhr Mimi fort und strich sich eine Haarsträhne zurück, „wenn man betrunken ist, macht man ja schnell mal ein paar dumme Sachen, nicht wahr?“ Er starrte sie nur weiter abwartend an. „Und ähm... ich hatte halt gehofft, wenn ich dich ein wenig betrunken mache, könnte ich... könnte ich dich dazu bringen, mich zu küssen und vielleicht auch mit mir zu schlafen“, gestand sie und wandte den Blick von ihm ab. Eine Weile sagte er gar nichts, sodass Mimi schon dachte, er würde einfach weiter Fußball gucken und sie würde ungeschoren davonkommen, doch dann richtete er sich plötzlich auf und schaltete den Fernseher ab. Die Apokalypse hatte also begonnen. „Wie bitte?“ Als sie den Kopf hob, sah sie, dass er sie mit seinem Blick durchbohrte. „Ich... soll ich das noch mal sagen?“ „Du hast gestern einen Plan verfolgt?“ Sie presste die Lippen aufeinander und nickte schuldbewusst. „Ich hätte nicht gedacht, dass es funktioniert. Ich dachte, du würdest mich abblocken.“ „Dein Plan war es, mich denken zu lassen, ich wäre bei dir, um dir mit Mathe zu helfen, damit du die Gelegenheit hast, mich abzufüllen und zu vögeln?“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte schief. „Wie gesagt, ich hätte selbst nicht gedacht, dass es klappt.“ „Boah Mimi. Echt. Hau' ab!“ Er schwang sich von der Couch und marschierte zur Wohnungstür, um sie zu öffnen. „Raus hier!“ „Tai!“ Sie war ebenfalls aufgestanden und sah ihn verzweifelt an. „Ich weiß, das war nicht gerade nett und auch nicht der beste meiner Pläne. Es tut mir leid.“ „Ich hab' die Schnauze voll von deinen beschissenen Plänen. Geh' jemand anderen damit nerven“, fuhr er sie an. „Und du kannst dir auch einen anderen Trottel suchen, der dir mit Mathe hilft. Aber erzähl' ihm besser vorher, dass es eigentlich dein Plan ist, mit ihm zu ficken.“ Erschrocken über seine Wortwahl hielt sie auf dem Weg zur Wohnungstür inne und starrte ihn entsetzt an. „Tai, so ist das doch gar nicht. Ich hatte gehofft, wenn du mit mir schläfst, könntest du dich vielleicht in mich verlieben. Ja, das war doof, aber manchmal passiert sowas doch und...“ „Mich in dich verlieben?“ Er lachte höhnisch. „Du bist niemand für 'ne ernste Beziehung, sondern nur für eine Nacht. Ich kann verstehen, dass dein Typ dich für 'ne andere sitzen lassen hat.“ Ihr Herz machte einen Aussetzer. Sie starrte ihn an und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Ein Kloß machte sich in ihrem Hals breit und ihre Augen brannten. Dann lief sie los und drängte sich an ihm vorbei aus der Wohnung.   _   Ein wenig verdattert schloss Tai die Tür hinter Mimi. Dieser Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte. Er hatte sofort erkannt, dass er sie mit dem, was er gesagt hatte, tief getroffen hatte. Das ging über jede Streiterei hinaus, die sie bisher gehabt hatten. Hatte er vielleicht übertrieben? Aber sie hatte angefangen. Er opferte jede Woche mehrere Stunden seiner Freizeit, um ihr mit Mathe zu helfen und sie hatte nichts Besseres zu tun, als ihn dazu zu bringen, mit ihr zu schlafen. War das etwa ihre Art, Dankbarkeit zu zeigen? Langsam ging er zurück zur Couch und schaltete den Fernseher wieder an. Er bekam jedoch nichts von dem mit, was er sich ansah, da er noch immer Mimis Gesicht vor Augen hatte. Sie wäre nur ein Mädchen für eine Nacht, nicht für eine ernste Beziehung, hatte er zu ihr gesagt. Dabei meinte er das gar nicht so. Mimi war durchaus jemand, den er sich gut in einer ernsten Beziehung vorstellen konnte. Er glaubte, dass sie sehr aufrichtig und aufopferungsvoll lieben konnte. Mit ihr wurde es nie langweilig und sicher war sie in einer Beziehung auch treu. Außerdem war sie ausgesprochen hübsch und der Sex mit ihr war auch gut gewesen, wenn er sich richtig erinnerte. Ja, bestimmt konnte man eine gute Beziehung mit ihr führen. Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken, sodass er aufsprang und losstürmte in der Hoffnung, Mimi wäre vielleicht zurückgekommen. Dann könnte er ihr sagen, dass er das nicht so gemeint hatte. Er riss die Tür auf und war ein wenig enttäuscht, nicht Mimi sondern Matt vorzufinden. „Oh“, machte er. Matt hob fragend eine Augenbraue. „Dir auch hallo.“ „Hey, sorry. Hatte gedacht, es wäre... egal. Komm' rein.“ Er ließ ihn herein und schloss die Tür hinter ihm. „Alles klar?“ „Nein“, antwortete Matt tonlos. Tai seufzte. Anscheinend war heute kein guter Tag. Er ging Matt voraus und holte aus dem Kühlschrank zwei Flaschen Bier, von denen er eine Matt in die Hand drückte. Dieser bedankte sich und sie gingen zurück auf die Couch, wo er vorher noch mit Mimi gesessen hatte. „Dann schieß' mal los“, sagte Tai, prostete Matt zu und nippte an seiner Flasche. Matt trank einen Schluck, bevor er etwas sagte. „Als ich letzte Nacht nach Hause gekommen bin, stand Nagisa auf der Matte.“ Tai verdrehte die Augen. Diese Nagisa hatte sie nicht mehr alle. „Was wollte sie diesmal?“ „Sie ist schwanger und behauptet, das Kind wäre von mir.“ Tai verschluckte sich an seinem Bier und fing an zu husten. Kohlensäure brannte ihm in der Nase und Matt verpasste ihm ein paar derbe Schläge auf den Rücken. „So ähnlich habe ich auch reagiert.“ „Sie ist schwanger?“, brachte Tai hervor, als er endlich nicht mehr husten musste. Seine Augen tränten. „Ja. Hat mir ihren Bauch gezeigt, aber ich habe es auch nicht mitbekommen“, antwortete Matt. „Naja, wir haben sie nie genau angesehen, oder? So hübsch ist sie schließlich auch nicht“, sagte Tai und zuckte mit den Schultern, während er an Nagisa und ihre etwas plumpe Figur und ihr kantiges Gesicht dachte. „Anscheinend hat sie es gut versteckt.“ „Mhm“, machte Matt. „Und was denkst du dazu? Glaubst du, dass sie lügt?“ Er zuckte mit den Schultern. „Erst dachte ich das, aber ich habe keine Ahnung. Ich habe diese eine Nacht mit ihr verbracht, an die ich keine Erinnerung mehr habe. Ich weiß nicht, ob da was gelaufen ist oder nicht. Auf jeden Fall hat sie bei mir übernachtet.“ „Dann ist garantiert was gelaufen, wie ich dich kenne“, erwiderte Tai und hob eine Augenbraue. „Tut mir leid, dir das zu sagen, aber wer jedes Wochenende mit einer anderen Sex hat, muss mit sowas rechnen.“ Matt warf ihm einen genervten Blick zu. „Ich habe immer darauf geachtet, Kondome zu benutzen. Und zwar meine eigenen. Immer.“ „Anscheinend bis auf diese eine Nacht mit Nagisa“, meinte Tai. Matt schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich verstehe einfach nicht, warum ich so eine Erinnerungslücke habe. Das hatte ich noch nie. Und so viel hatte ich an dem Abend auch nicht getrunken.“ „Vielleicht hat sie dir irgendwelche Drogen untergejubelt. Wer weiß“, schlug Tai vor. Matt zuckte mit den Schultern und nippte an seinem Bier. „Wenn du ihr nicht traust, lass' einen Vaterschaftstest machen, wenn das Kind da ist.“ „Meinst du echt?“ Fragend sah Matt ihn an. „Ja. Du solltest Gewissheit haben, bevor du dich um das Kind kümmerst.“ „Ich kann echt überhaupt kein Kind gebrauchen“, murmelte Matt vor sich hin. „Eben. Dann solltest du das unbedingt testen lassen.“ „Und wenn sie sich weigert?“ „Ich bin sicher, dann kannst du vor Gericht ziehen. In dem Fall geht das bestimmt.“ Einen Augenblick schwiegen sie beide und nippten an ihrem Bier. „Du solltest erst mal warten, bis das Kind da ist und du die Testergebnisse hast, bevor du dir zu viele Gedanken machst. Vielleicht kann man das ja auch schon testen, bevor das Kind auf der Welt ist. Dann hättest du eher Gewissheit“, sagte Tai. Einen Moment lang nickte Matt langsam und schien über das nachzudenken, was Tai gesagt hatte. „Du hast Recht. Ich warte erst mal ab. Wer sagt, dass sie nicht lügt? Ich würde ihr mittlerweile alles zutrauen. Sie kommt mir echt total wahnsinnig vor.“ „Mir auch“, stimmte Tai zu. „Vielleicht hat sie zur gleichen Zeit mit aller Macht versucht, schwanger zu werden und sich von einem anderen schwängern lassen, nur um dir ein Kind anhängen zu können, das nicht deins ist. Um dich an sich zu binden.“ Erschrocken über seine eigenen Worte riss er die Augen auf. Was, wenn Mimi das Gleiche mit ihm versuchte? Sie hatten kein Kondom benutzt, weil sie angeblich die Pille nahm. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können?   _   Es war Nachmittag und die Sonne stand bereits tief am Horizont, als Kari und T.K. durch den Park spazierten. Das Laub der Bäume leuchtete in warmen Gelb- und Rottönen, Zugvögel flogen in Scharen über sie hinweg und Kinder tollten in dem Laub, das bereits zu Boden gefallen war, umher. Schon lange hatten sie keinen so schönen Tag mehr miteinander verbracht. Am Vormittag hatten sie noch an ein paar Aufgaben für die Schule gearbeitet, dann hatten sie mit Tai zusammen Mittag gegessen und waren anschließend raus gegangen, um den Nachmittag an der frischen Luft zu verbringen und die Herbstsonne zu genießen. Sie waren Tee trinken gegangen, hatten am Meer gesessen und nun gingen sie durch den Park und kamen sich schon vor wie ein altes Rentnerehepaar. Geredet hatten sie über alles Mögliche und nicht eine Minute lang waren ihnen die Gesprächsthemen ausgegangen. Es war wieder genau wie vor der Sache mit Davis und Shiori und dem Kuss. Es gab nur sie beide und sie hatten das Gefühl, dass nichts ihre Freundschaft je zerstören könnte. Außer vielleicht Karis Gefühle für T.K., wenn sie nicht bald verschwinden würden. Doch wie sollten sie verschwinden, wenn sie so viel Zeit miteinander verbrachten und er schlicht und einfach perfekt war? Sie mochte sich gar nicht den Tag vorstellen, an dem sie ihn mit einer festen Freundin sehen würde. Sie wusste nicht, wie sie das aushalten sollte. Plötzlich spürte sie seine Finger an ihrer Hand, wie sie sich zögerlich mit ihren verschränkten. Seine Hand war warm und seine Berührung ließ ihr Herz flattern. Fragend sah sie ihn an. „Was? Soll ich loslassen?“, fragte er mit besorgtem Blick. „Ich weiß nicht... nein“, murmelte sie und spürte Hitze in ihrem Gesicht aufsteigen. „Hör mal, Kari“, fing er an und wandte den Blick von ihr ab. „Ich weiß nicht, ob du noch interessiert bist. Vielleicht hast du gar keinen Bock mehr, das könnte ich verstehen nach der ganzen Zeit. Aber... vielleicht kannst du dir ja trotzdem noch mehr vorstellen.“ Karis Gesicht glühte bei seinen Worten und ihr Herz machte einen Hüpfer. „Mehr was?“, fragte sie mit kratziger Stimme, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie ihn richtig verstand. „Naja... zwischen uns halt. Wenn nicht, wäre das okay, dann bleiben wir einfach Freunde. Kein Problem“, wandte er hastig ein. „Aber wenn doch, würde ich... also das wäre echt cool.“ Nun konnte sich Kari ein Grinsen nicht mehr verkneifen und sah ihn an. „Fragst du mich gerade, ob ich mit dir gehen will?“ „Ähm... irgendwie schon, ja“, antwortete er und grinste nun ebenfalls verlegen. „Klar will ich. Nichts lieber als das“, sagte sie und musste sich hüten, nicht plötzlich laut aufzujubeln vor Freude. Mit diesem Ausgang des Tages hatte sie nicht gerechnet. T.K. seufzte, anscheinend vor Erleichterung, und drückte ihre Hand fester. „Ich glaube nur, Tai wird die Krise kriegen, wenn er das erfährt“, meinte Kari lachend.   _   „Und wen hast du vorhin eigentlich erwartet?“, fragte Matt nun, um das Thema zu wechseln. Tai kratzte sich verlegen am Kopf. „Ähm naja, bevor du gekommen bist, war Mimi da und es gab ein bisschen Stress.“ „Oh. Was denn diesmal?“ Tai seufzte. „War gestern Abend bei ihr wegen Mathe. Haben Wein getrunken und dann hab' ich mit ihr geschlafen.“ Matt hob überrascht die Augenbrauen. Also hatte Mimi es tatsächlich geschafft, Tai so weit zu bringen. „Dann kamen ihre Eltern nach Hause und sie hat mich im Schrank eingesperrt, um mich zu verstecken und heute kam sie her, um mir zu beichten, dass das alles ein Plan war. Sie dachte, ich würde mich in sie verlieben, wenn sie das alles durchzieht wegen Sex und so.“ Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Die ist total durchgeknallt. Dann habe ich was ziemlich Dummes zu ihr gesagt und sie rausgeschmissen. Ich glaube, das hat sie ganz schön mitgenommen.“ Matt ahnte bereits Schlimmes. Er wusste, dass Tai mitunter ziemlich aufbrausend sein konnte und schnell mal Dinge sagte, die ihm dann leidtaten. „Was hast du denn gesagt?“ „Ich habe ihr gesagt, dass sie niemand für eine Beziehung sondern nur für eine Nacht ist“, gestand er und sah ihn hilfesuchend an. „Autsch“, machte Matt und hob eine Augenbraue. „Alter, die ist in dich verliebt und du knallst ihr sowas an den Kopf.“ „Ich weiß, es tut mir auch echt irgendwie leid. Ich meinte das gar nicht so“, seufzte er resigniert und biss sich auf die Unterlippe. Er nippte an seinem Bier. „Ich war nur echt angepisst wegen ihres bescheuerten Plans.“ „Der offenbar funktioniert hat.“ Matt lächelte spöttisch. „Ehrlich, Tai, hast du mir nicht vor einer Weile erzählt, du würdest Sex ohne Gefühle nicht wollen? Ich erinnere mich, dass du nicht mit diesem Mädel geschlafen hast deswegen.“ „Ja und?“ Tai zuckte mit den Schultern. „Und mit Mimi hast du jetzt einfach so geschlafen? Das ging auf einmal?“, hakte Matt nach und sah ihn vielsagend an. „Ich war ein bisschen angetrunken. Wir haben fast zwei Flaschen Wein zu zweit getrunken“, verteidigte Tai sich. „Ich glaube eher, du empfindest was für sie“, unterstellte Matt ihm grinsend. Tai verzog das Gesicht, als hätte Matt gerade über seinen Lieblingsverein gelästert. „Für Mimi? Ich denke nicht.“ „Ich denke schon. Ich glaube nicht, dass man betrunken Dinge macht, die man nüchtern nicht einmal in Betracht ziehen würde. Man verliert nur eher seine Hemmungen und ist mutiger“, erklärte Matt. „Immerhin machst du dir doch auch jetzt Sorgen, weil du sie verletzt hast, oder?“ „Ja, weil ich halt vielleicht ein bisschen arschig war. Aber doch nicht, weil ich Gefühle für sie hab'.“ „Du solltest zu ihr gehen und dich entschuldigen, wenn es dir schon leidtut“, riet er ihm. Tai nippte an seinem Bier, lehnte sich auf der Couch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht sollte ich das echt.“   _   Schon seit über einer Stunde saß Mimi heulend auf ihrem Bett, ein Kissen an sich gedrückt und an Tai denkend. Wie hatte er das nur sagen können? Sie war nur ein Mädchen für eine Nacht, aber niemals für eine ernste Beziehung? Und dann gab er auch noch ihrem Ex Recht, obwohl er vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden gesagt hatte, ihr Ex hatte einfach nicht gewusst, was er an ihr gehabt hatte. Dieser Idiot! Blöder Tai! Warum war sie ausgerechnet in ihn verliebt? Und jetzt hatte sie niemandem, mit dem sie über ihre Gefühle reden konnte. Mit Sora hatte sie seit dem Streit kein Wort mehr geredet und außerdem war diese noch bis Ende Oktober krankgeschrieben. Izzy wollte sie nicht schon wieder auf die Nerven gehen. Matt war zu gereizt und hatte sie heute schon einmal abgewimmelt. Vielleicht Kari? Doch die stand Tai zu nahe. Sie hatte niemanden sonst, an den sie sich wenden konnte. Sie war völlig allein. Das Leben war so ungerecht. Nun weinte sie nur noch mehr und wollte am liebsten auf der Stelle zurück nach New York und das ganze Elend in Tokio hinter sich lassen. Ihr Herz war gebrochen, ihre Gefühle verletzt. Das Vibrieren ihres Handys neben sich lenkte sie ab. Aus tränennassen Augen sah sie es an und griff dann danach. Eine SMS von Tai. Einen Moment lang überlegte sie, sie einfach ungelesen zu löschen, entschied sich dann aber doch dazu, sie zu öffnen. Mit klopfendem Herzen öffnete sie sie.   War nicht so gemeint...   War das etwa alles, was er dazu zu sagen hatte? War nicht so gemeint? Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? Blöder Tai. Dämlicher Penner. Sollte er doch einsam und allein sterben, weil er für immer an Sora hing, die seine Gefühle nie erwidern würde. Wenn er es so wollte, bitteschön. Kapitel 39: Die Sprache der Blumen ---------------------------------- Mittwoch, 25. Oktober 2006   Am Mittwoch war es soweit. Tai wollte die Nachhilfezeit nutzen, um sich endlich richtig bei Mimi zu entschuldigen. Zwar hatte er ihr am Sonntag gesagt, sie sollte sich einen anderen Nachhilfelehrer suchen, doch er hatte eingesehen, dass diese Reaktion überzogen war. Matt hatte Recht gehabt: sie liebte ihn und er sagte sowas Gemeines zu ihr. Heute und in den letzten zwei Tagen hatte sie ihn gekonnt ignoriert und immer, wenn er versucht hatte, Blickkontakt mit ihr aufzunehmen, hatte er den Schmerz in ihren Augen gesehen. Dass er sie so schlimm treffen würde, hatte er nicht erwartet. Nach dem Training ging er zum nächsten Blumenladen und ließ sich von der Verkäuferin über die Sprache der Blumen beraten. Er wusste von Matt, dass dieser Sora schon einmal Blaustern geschenkt hatte, da dieser bedeutete, dass einem etwas leid tat. Nun wollte Tai Matt natürlich nicht nachmachen und wollte unbedingt etwas anderes nehmen. Nachdem die Verkäuferin ihm empfahl, weiße Lilien zu verschenken, da diese als Herzensblumen gelten und für Licht und Reinheit stünden, entschied er sich dafür. Diese Symbolik passte zu Mimi und zu dem, was er ausdrücken wollte. Er ließ sich einen Strauß weißer Lilien geben und ging anschließend direkt zu Mimi. Vermutlich würden ihre Eltern, wenn sie denn da waren, ihn nicht hereinlassen, doch er musste sie einfach überzeugen. Das hier bedeutete ihm eine Menge. Entschlossen schritt er auf die Wohnung der Tachikawas zu und drückte ohne zu zögern auf den Klingelknopf. Wenige Sekunden später öffnete Frau Tachikawa die Tür. Ihr Blick wandere von ihm zu den Lilien und wieder zurück. „Hallo, Tai“, begrüßte sie ihn verwundert. „Hallo. Ist Mimi vielleicht zu Hause?“, fragte Tai ein wenig steif. „Ähm... ja. Bitte warte eine Sekunde.“ Sie lehnte die Tür an und verschwand. Ungeduldig stand Tai auf der Fußmatte, tippte mit dem Fuß und wartete darauf, dass sie oder Mimi an der Tür auftauchten und ihn hereinbaten. Nach einigen endlosen Minuten tauchte Frau Tachikawa wieder auf und machte ein bedauerndes Gesicht. „Tut mir leid, aber sie möchte dich nicht sehen“, murmelte sie. Tai runzelte die Stirn. „Könnten Sie mich bitte trotzdem rein lassen? Es ist super wichtig. Ich muss ihr dringend etwas sagen und danach gehe ich sofort wieder, versprochen.“ Sie schien nicht sicher, was sie davon halten sollte, denn sie zögerte und musterte ihn eine Weile nachdenklich. „Nur zwei Minuten und ich bin wieder weg“, versprach Tai eindringlich. „Na schön“, seufzte Frau Tachikawa und ließ ihn endlich herein. „Aber ich kann nicht garantieren, dass sie dir nichts an den Kopf wirft.“ „Schon okay. Damit komme ich klar“, erwiderte Tai gelassen. Er durchquerte die Wohnung und klopfte an Mimis Zimmertür. „Nein“, kam es dumpf von drinnen. Trotzdem öffnete er die Tür und trat ein. Mimi drehte sich von ihrem Schreibtisch zu ihm um und starrte ihn an. „Warum hat sie dich reingelassen? Raus hier! Ich will dich nicht sehen!“ „Ich bin hier, um mich zu entschuldigen. Hör' mir eine Minute...“ „Nein, raus!“ „Es ist echt nur...“ „Nein!“ „Aber ich will nur...“ „Interessiert mich nicht! Raus!“ „Mimi, das am Sonntag war...“ „Ruhe! Hör' auf!“ „Lässt du mich jetzt endlich mal ausreden?!“, rief Tai nun wütend, sodass sie zusammenzuckte. Sicher kam auch gleich ihre Mutter hereingerannt, um ihn rauszuwerfen. Was ihr Vater gemacht hätte, mochte er sich gar nicht erst vorstellen. „Es tut mir echt leid, was ich gesagt habe“, sagte er nun ruhiger. „Das war nicht so gemeint. Ist einfach rausgerutscht. Es war echt blöd und ich hätte es nicht sagen sollen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an. „Du bist kein Mädchen für eine Nacht. Und dein Ex ist ein Vollspaten, der keine Ahnung hat, was gut ist. Und einen neuen Nachhilfelehrer brauchst du dir auch nicht suchen. Nur, wenn du nicht willst natürlich“, sagte Tai. „Oh und ich hab' dir Blumen mitgebracht. Die Verkäuferin hat sie mir empfohlen. Meinte, es ist die Herzensblume und sie bedeutet Reinheit und Licht oder sowas. Ich dachte, das passt ganz gut zu dir.“ Einen Augenblick lang starrte Mimi ihn noch an, bevor sie aufstand, auf ihn zuging und ihm die Blumen aus der Hand nahm. „Tai“, sagte sie und sah ihn fest an, „ich will eine ehrliche Antwort.“ Er schluckte. „Das von Samstagnacht, hat es dir was bedeutet?“ „Was? Dass du mich abgefüllt hast?“, fragte er ein wenig genervt, dass sie schon wieder damit anfing. Er dachte, sie würden das Thema hier abhaken. Er wollte nicht mehr darüber reden, noch nicht einmal darüber nachdenken wollte er. „Es gehören immer zwei dazu. Und man kann nicht alles, was man macht, auf den Alkohol schieben, wenn man betrunken ist“, widersprach sie und starrte ihn weiter an. „Also hat es dir was bedeutet?“ „Ich... ähm... keine Ahnung, Mann“, murmelte Tai und wich ihrem bohrenden Blick aus. „Was soll das heißen? Ja oder nein? Das musst du doch wissen!“, drängte sie. „Ich weiß es aber nicht, okay? Vielleicht ja. Vielleicht nein. Will nicht darüber nachdenken, okay? Und jetzt muss ich los, meine Zeit ist um. Wollte mich nur entschuldigen“, murmelte er und stolperte rückwärts aus dem Zimmer.   _   Endlich hatten sie ein wenig Zeit für sich. Zum ersten Mal, seit sie am Sonntag beschlossen hatten, es mit einer Beziehung zu versuchen, konnten sie Zeit zu zweit verbringen, ohne dass jemand sie beobachtete. Noch hatten sie keinem von ihrer Beziehung erzählt. Sie wollten sich Zeit damit lassen und sich erst einmal an die neue Situation gewöhnen, bevor sie es den anderen verkündeten. Kari setzte sich auf T.K.s Bett und sah ihn fragend an. „Und was machen wir jetzt?“ Er zuckte mit den Schultern und setzte sich neben sie. „Keine Ahnung. Das Gleiche, was wir immer machen?“ „Versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen?“, witzelte Kari. „Zum Beispiel.“ Verlegen griff sie nach seiner Hand. Sie fragte sich, was sich für sie beide nun eigentlich ändern würde. Schon seit Jahren hatten sie eine sehr innige Beziehung zueinander, doch intim waren sie natürlich nie geworden. Was nun nach dem Händchenhalten als nächstes dazukam, war wohl herumknutschen. Einen richtigen Kuss hatte sie noch nie gehabt und das mit T.K. in jener Nacht war nur ein sehr kurzer Kuss geblieben. Sollte sie das jetzt ändern? Schüchtern sah sie ihn von der Seite an. „Ähm... ich würde gern was versuchen.“ „Was denn?“, fragte er verwirrt. Sie sah ihm tief in die Augen und näherte sich langsam, wie in Zeitlupe, seinem Gesicht. Er erwiderte ihren Blick mit seinen blauen Augen und machte keine Anstalten, zurückzuweichen. Karis Herz schien schneller zu schlagen mit jedem Zentimeter, den sie sich ihm näherte. Schließlich neigte sie den Kopf leicht zur Seite, schloss die Augen und legte ihre Lippen auf seine. Es folgte ein zögerlicher Kuss, so leicht und behutsam wie eine Feder. Gleich darauf ein weiterer, wobei sie ihre Lippen diesmal ein wenig länger aufeinander ruhen ließen. Beim dritten Kuss öffnete Kari die Lippen ein wenig und ganz automatisch tat T.K. das gleiche. Sie hatten beide keine Ahnung, was genau sie tun mussten. Beide hatten zuvor noch nie einen richtigen Kuss gehabt. Und doch funktionierte es. Automatisch passten sie sich an die Bewegungen des anderen an und Kari verspürte ein wildes Kribbeln in ihrer Magengegend. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, ihn zu küssen, ihm so nahe zu sein wie noch nie zuvor. Gleichzeitig fühlte es sich jedoch seltsam an. Die erste wirklich intime Begegnung zwischen ihnen, die nun schon so lang befreundet waren. Langsam lösten sie den Kuss wieder und sahen sich an. „Das war... schön“, murmelte Kari. T.K. schluckte hörbar und nickte. Dann küssten sie sich noch einmal, diesmal etwas mutiger.   _   „Noch mal“, rief Matt Shin zu und wies ihn an, den Takt vorzugeben, als plötzlich sein Handy ertönte. Er stöhnte genervt. „Okay, eine Minute Pause.“ Ohne die Gitarre abzulegen ging Matt zu seiner Schultasche und fischte sein Handy heraus. Mimi rief an. Er verdrehte die Augen und ging dran. „Ja?“ „Matt, ich muss mit dir reden! Es ist mega wichtig! Bitte wimmel' mich nicht wieder ab. Ich bin total verzweifelt und weiß nicht, was ich machen soll. Du bist der Einzige, der mir noch helfen kann!“ Ihre Stimme klang, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Boah, ich bin gerade in der Probe“, grummelte er. „Es ist wirklich wichtig! Es geht um Leben und Tod. Um Glück und Unglück!“ Diese Dramaqueen. „Nach der Probe, okay?“ „Okay. Wann seid ihr fertig?“ Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Halbe Stunde oder Stunde.“ „Kann ich vorbeikommen und zusehen? Dann können wir hinterher gleich persönlich reden und nicht übers Telefon“, schlug sie vor. Matt knirschte mit den Zähnen. „Von mir aus. Aber wehe du nervst.“   Zwanzig Minuten später tauchte sie tatsächlich auf und lenkte die Aufmerksamkeit von Matts Bandkollegen komplett auf sich. Typisch Mimi. Wertvolle Minuten wurden mit Smalltalk vergeudet, bevor sie endlich weitermachen konnten. Mimi hatte es sich auf einem Hocker bequem gemacht und beobachtete sie dabei, wie sie ein neues Lied probten. Ihr Kopf wippte im Takt der Musik und ihre bloße Erscheinung lenkte Matt ab. Er wünschte, sie würde einfach wieder gehen. Dieses aufdringliche Weib. „Sag' mal, du kannst doch auch singen, oder? Matt hat das mal erzählt“, sagte Shin in einer weiteren kurzen Pause an sie gewandt. Sie sah ihn überrascht an. „Ähm... ein bisschen vielleicht.“ „Willst du mal versuchen?“, bot er ihr an. Matt wandte sich an ihn und hob eine Augenbraue. „Coole Idee“, stimmte Tsubasa zu. „Kommt schon, wir wollen alle fertig werden“, mischte Matt sich genervt ein. „Wieso? Lass' sie doch mal. Wenn sie schon mal hier ist, kann sie auch was zeigen“, widersprach Ryu grinsend und winkte Mimi zu sich. Diese warf einen kurzen Blick auf Matt und stand dann auf, um zu ihnen zu kommen. „Was würdest du gern singen?“, fragte Shin sie lächelnd und wirbelte einen seiner Sticks durch die Gegend. „Keine Ahnung“, antwortete sie schulterzuckend. „Wahrscheinlich irgendwas von High School Musical“, murmelte Matt spöttisch. „Boah, das wäre es! Matt und Mimi im Duett als Cover von High School Musical!“, rief Ryu und klatschte in die Hände. „Nein.“ Entschlossen schüttelte Matt den Kopf. „Einfach nein.“ „Magst du Taylor Swift?“, fragte Shin an Mimi gewandt. „Wir könnten Love Story probieren.“ „Ja und zu unserem nächsten Konzert ziehen wir uns rosa Tutus an und fassen uns alle an den Händen“, warf Matt ein. „Ach, dieser eine Song wird dich nicht umbringen“, sagte Tsubaasa und verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter. „Genau. Hab' dich nicht immer so“, stimmte Ryu ihm zu. Mimi lächelte unschuldig, sodass Matt allen vieren einen finsteren Blick zuwarf und seine E-Gitarre gegen seine Westerngitarre austauschte. Shin gab den Takt vor, sie fingen an zu spielen und Mimi begann zu singen. Obwohl er das Lied nicht mochte und es ihn nervte, dass Mimi immer im Mittelpunkt stand, wo immer sie auch war, musste Matt zugeben, dass sie ihre Sache gut machte. Man konnte zwar hören, dass sie aufgeregt war, sie hatte ein paar kleinere Texthänger und ein paar wenige Töne nicht ganz getroffen, doch ihre Stimme konnte sich nach wie vor hören lassen. Als das Lied vorbei war, klatschte Shin anerkennend und auch Ryu und Tsubasa sahen sie erstaunt an. „Echt gut“, lobte Ryu. „Willst du nicht mal mit uns zusammen auftreten? Nur für ein Lied oder so. Ich glaube, das könnte ziemlich cool werden“, schlug Tsubasa vor. „Ja, dafür wäre ich auch“, meinte Shin. „Leute...“, fing Matt an, kam jedoch nicht weit. „Überleg' doch mal. Damit könnten wir wieder ein bisschen Werbung machen. Auf einmal ein Gast in der Band und alle kommen, um zu sehen, was los ist. Ist doch super“, sagte Ryu. „Jap. Und wir könnten die Gerüchteküche um Matts Liebesleben wieder ein bisschen anheizen, wenn wir ihn ein schnulziges Duett mit einem hübschen Mädchen singen lassen“, fügte Shin grinsend hinzu. „Das wird super“, meinte Tsubasa überzeugt. Mimi grinste und Matt musste sich geschlagen geben.   _   Inzwischen lagen sie aneinander gekuschelt quer auf T.K.s Bett und genossen einfach nur die Nähe zueinander. T.K.s Lippen fühlten sich vom vielen Küssen plötzlich ganz weich an. In seiner Magengegend hatte es wild gekribbelt und wenn er Kari nur ansah, wollte er sie am liebsten sofort noch einmal küssen. „Sag' mal“, fing sie an und stützte den Kopf auf dem Ellbogen ab, um ihn besser ansehen zu können, „warum hast du dich eigentlich auf einmal umentschieden? Ich meine, du wolltest doch nichts riskieren mit der Freundschaft. Warum hast du deine Meinung geändert?“ „Hm“, machte er und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Einen großen Teil hatte wohl Matt beigetragen, der in der Partynacht in Joes Wohnung gesagt hatte, alles, was ihnen noch zu einer richtigen Beziehung fehlte, wäre Sex. Alles andere würden sie ohnehin schon genau wie in einer Beziehung machen. T.K. hatte viel über seine Worte nachgedacht und versucht, herauszufinden, was er eigentlich für Kari empfand. Schon seit einer Weile wusste er, dass es da irgendetwas gab. Sonst hätte er sie ja nicht vor einigen Monaten schon geküsst. Doch eigentlich hatte er die gute Freundschaft zwischen ihnen nicht riskieren wollen. „Ich glaube, ich habe einfach gemerkt, dass ich wahrscheinlich niemals ein Mädchen finden werde, das besser zu mir passt als du.“ Kari hob die Augenbrauen. „Meinst du das ehrlich?“ „Ja. Ich meine, wir kennen uns in- und auswendig, verbringen so viel Zeit miteinander, erzählen uns alles, haben uns schon öfter gestritten und wieder vertragen... irgendwie hatten wir doch seit langem schon so etwas wie eine Beziehung, oder?“, erwiderte T.K. „Naja“, machte Kari nachdenklich, „zu einer Beziehung gehört aber schon noch mehr dazu, oder? Küssen und Händchen halten und... sowas eben.“ „Das kommt eben alles jetzt. Das ist der nächste Schritt“, meinte T.K. und lächelte. „Dann sind wir also schon total lang zusammen, ohne dass wir es gemerkt haben?“, fragte Kari und runzelte skeptisch die Stirn. T.K. zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht.“ Ihm entging nicht, dass sich ein zarter Rotschimmer auf Karis Wangen legte und sie den Blick senkte, bevor sie weitersprach. „Aber... können wir es langsam angehen lassen? Mit den nächsten Schritten, meine ich.“ Er lächelte und strich ihr mit dem Finger eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Klar, kein Problem. So langsam wie wir wollen.“   _   Nach der Probe hatten sie sich vom Rest der Band verabschiedet und gingen nun schweigend nebeneinander her. „Jetzt rück' endlich raus mit der Sprache. Ich hab' auch nicht den ganzen Tag Zeit“, murrte Matt schließlich, als er anscheinend keine Geduld mehr für sie hatte. „Ja, stimmt. Sei nicht schon wieder so unhöflich“, wies Mimi ihn genervt zurecht. Warum konnte er nicht einfach mal nett sein? „Unhöflich? Wer platzt denn einfach in meine Bandprobe, weil er unbedingt mit mir reden will, obwohl ich dir schon gesagt habe, dass ich keine Zeit habe?“, fuhr er sie an. Mimi musterte ihn finster von der Seite. „Weißt du, als du mir zum ersten Mal an die Wäsche wolltest, warst du viel netter. Anscheinend bist du nur nett zu Menschen, wenn du irgendwas von ihnen willst.“ Er seufzte theatralisch und warf die Arme in die Luft. „Mist, jetzt hast du meine ausgefeilte Taktik erraten. Was mache ich denn nun?“ „Spar' dir deinen Sarkasmus und sei endlich mal ein bisschen freundlicher“, fauchte Mimi. Er blieb unvermittelt stehen, sodass auch Mimi stehen blieb und sich mit fragendem Blick zu ihm umdrehte. „Mann, Mimi, ich habe momentan einen Arsch voll eigene Probleme und keinen Nerv für Belehrungen zu meinem Verhalten, okay?“ „Das ist, weil du immer einen auf einsamer Wolf machen musst und denkst, du müsstest alle deine Probleme allein lösen. Erzähl' doch einfach mal was. Ich kann dir bestimmt irgendwie helfen“, erwiderte Mimi ungeduldig. „Du mir helfen? Kennst du etwa ein Mittel für einen plötzlichen Schwangerschaftsabbruch, obwohl die Schwangere schon im siebten Monat ist, und das natürlich auch noch moralisch vertretbar ist?“ Mimi klappte die Kinnlade herunter. Entgeistert starrte sie ihn an. „Was?! Hast du etwa... was?“ „Wahrscheinlich ein Kind gezeugt? Ja.“ Für einen Augenblick war Mimi sprachlos und starrte ihn einfach nur entsetzt an. Matt wurde Vater? „Dagegen kenne ich tatsächlich ein wirksames, moralisch vertretbares Mittel: Kondome.“ Er verdrehte die Augen. „Siehst du? Deshalb kümmere ich mich lieber allein um meinen Scheiß.“ „Komm' schon. Du musst zugeben, dass das nicht gerade überraschend ist, wenn man fünfzig verschiedene Sexpartnerinnen im Jahr hat“, erwiderte Mimi schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe immer Kondome benutzt. Bis auf das eine Mal mit dieser verfluchten Nagisa, an das ich mich nicht erinnern kann“, murmelte er und ging weiter. „Na siehst du? Rätsel gelöst“, meinte Mimi und zuckte mit den Schultern. „Moment mal. Etwa die aus unserer Schule? Aus deiner Klasse?“ „Ja“, knirschte Matt. „Oh mein Gott, mit der hattest du was?“ Sie machte große Augen. „Keine Ahnung, Mann! Lange Nacht, nicht zu viel Alkohol und trotzdem komplettes Blackout. Bin am nächsten Morgen in meinem Zimmer aufgewacht und konnte mich an nichts erinnern. Und sie war auch da.“ „War anscheinend doch mehr Alkohol, als du dachtest“, kommentierte Mimi und hob eine Augenbraue. „Nein, verdammt. Es war einfach nur seltsam.“ „Ist es denn überhaupt sicher, dass du der Vater bist, wenn du dich an nichts erinnern kannst?“, hakte sie nun nach. „Das ist es ja gerade. Ich hoffe, da hatte ein anderer die Finger im Spiel“, murmelte Matt und kickte einen kleinen Stein weg. „Oder eher den Penis.“ Er sah sie schief an. „Was denn? Vom Fingern allein ist ja wohl noch niemand schwanger geworden.“ Er kniff die Augen zusammen, dann lachte er plötzlich leise. „Mann, Tachikawa, du bist echt eine Klasse für dich. Jetzt sag' schon endlich, was es bei dir so Wichtiges zu bereden gibt.“ „Ach, ich glaube, dass du vielleicht dieses schräge Mädel geschwängert hast, ist wichtiger“, meinte sie nun abwinkend. Die Nachricht, dass Matt vielleicht Vater wurde, hatte sie von den Socken gehauen. Wie sollte sie das nur für sich behalten können? Ob sie die Einzige war, die davon wusste? „Nun komm' schon. Deswegen hast du extra bei der Probe gestört, also erzähl'.“ Und dann erzählte Mimi ihm doch alles, was passiert war: dass sie mit Tai geschlafen und ihn anschließend im Schrank eingesperrt hatte, dass sie sich entschuldigt hatte und was er zu ihr gesagt hatte und dass er ihr weiße Lilien gebracht und sich wiederum bei ihr entschuldigt hatte und was sie ihn daraufhin gefragt hatte. Matt unterbrach sie kein einziges Mal, sondern hörte anscheinend aufmerksam zu. Als sie fertig war, sah er sie fragend an. „Und wie soll ich dir jetzt helfen?“ Mimi seufzte. „Du kennst Tai doch so gut. Sag' mir, was das bedeutet. Was er damit meint. Wie kann man nicht wissen, ob einem eine Nacht etwas bedeutet hat oder nicht?“ „Wenn ich ehrlich sein soll“, begann Matt und Mimi hielt die Luft an, „denke ich schon, dass es ihm was bedeutet hat. Er hat dir Blumen gebracht und sich sogar über deren Bedeutung informiert. Ich würde denken, er mag dich mehr, als er zugibt.“ „Meinst du wirklich?“, fragte Mimi mit einem Strahlen im Gesicht. „Keine Ahnung. Am besten, du wartest einfach ab. Aber ich denke, man schenkt keinem Mädchen Blumen mit Botschaft, wenn sie einem nichts bedeutet“, erklärte Matt. Kapitel 40: Überall Pärchen --------------------------- (Samstag, 4. November 2006)   Gerade hatte Sora ihre erste Schulwoche seit längerem hinter sich. Sie war nun vier Wochen krankgeschrieben gewesen. In dieser Zeit hatte sie sich nicht nur von ihrer Lungenentzündung erholt, sondern war gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater bei ihren Großeltern in Izu gewesen. Toshiko hatte ihr gedroht, sie in eine Klinik zu schleifen, wenn sich ihr Essverhalten im Erholungsurlaub nicht bessern sollte. Es hatte sich gebessert. Zwei Wochen lang hatte sie zu allem Abstand gehalten, was sie in den letzten Monaten zu sehr beansprucht hatte. Sie war nicht arbeiten gewesen, nicht zur Schule gegangen und hatte auch Abstand von den Freunden gehalten, die ihr noch geblieben waren. Lediglich bei Tai hatte sie sich hin und wieder mit einer SMS gemeldet. Heute würde sie das erste Mal seit langem mit allen wieder etwas zusammen unternehmen. Joe und Nami waren ziemlich plötzlich zusammengezogen und veranstalteten zu diesem Anlass eine kleine Party in Namis Wohnung, wo sie jetzt gemeinsam leben würden. Joe hatte alle der alten Gruppe eingeladen und es hatten auch alle zugesagt. Gegen acht Uhr abends klingelte Sora an Namis Wohnungstür. Seit Wochen hatte sie sie nun schon nicht mehr gesehen und hatte sie und die Arbeit im Café tatsächlich ein wenig vermisst. Nami öffnete und strahlte über das ganze Gesicht, als sie Sora sah. „Sora“, sagte sie und zog sie in eine Umarmung. „Schön dich zu sehen.“ „Ebenso“, erwiderte Sora lächelnd und ließ sie wieder los. Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer, wo sich auch schon der Großteil der anderen Partygäste befand. Nur Kari und T.K. fehlten noch, trafen jedoch zehn Minuten nach Sora ein. „Wo habt ihr euch denn wieder rumgetrieben?“, fragte Yolei an die beiden gewandt und grinste. „Nirgendwo“, murmelte Kari und setzte sich mit T.K. auf die letzten beiden freien Stühle. Sora hatte sich auf den Platz neben Tai gesetzt, der sie angelächelt hatte. Mimi saß zwischen Matt und Izzy und Sora fing ihren Blick auf, den diese jedoch sofort abwandte. Mit Mimi hatte sie kein Wort mehr geredet seit jenem Streit und sie hatte ein wirklich schlechtes Gewissen wegen der herzlosen Dinge, die sie zu ihr gesagt hatte. Sie musste das unbedingt irgendwie wieder in Ordnung bringen, doch es gab so viele Dinge, die sie wieder in Ordnung bringen musste. Wo sollte sie da nur anfangen?   _   Es geschah in einem Moment, in dem sich die beiden unbeobachtet gefühlt hatten. Die Party war schon in vollem Gange, jeder hatte einen Drink in der Hand und Musik spielte aus einem Laptop, als T.K. nach Karis Hand griff und sie anlächelte. Sie lächelte zurück und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass alle gekommen sind. Irgendwie wirkt die Stimmung heute echt entspannter als letztes Mal“, meinte Kari und ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Ja, finde ich auch. Vielleicht wendet sich ja doch noch irgendwann alles wieder zum Guten“, erwiderte T.K., der Kari beobachtete. Sie trug einen weißen Pulli und eine dunkle Jeans. Nichts Besonderes, doch für T.K. besonders genug. Sie sah einfach in allem gut aus, was sie trug. Dazu waren ihre Wimpern etwas getuscht und Lipgloss schimmerte auf ihren Lippen. Sie sah einfach unglaublich hübsch aus. „Was guckst du so?“, fragte Kari irritiert, als sie seinen Blick bemerkte. „Du siehst hübsch aus“, sagte er leise. Auf ihre Wangen legte sich ein zarter Rotschimmer und sie lächelte verlegen. „Danke, selber.“ „Ähm... was macht ihr da, wenn man fragen darf?“ Sie fuhren herum und blickten in Davis' Gesicht, der sie mit gerunzelter Stirn musterte. T.K. hatte Karis Hand losgelassen, doch er musste es gesehen haben. „Nichts Spannendes“, antwortete Kari. „Nichts Spannendes? Das sah aber anders aus. Nach Händchenhalten und Flirten und so.“ Davis verschränkte die Arme vor der Brust und nun mischte auch Tai sich ein. „Wer flirtet?“, fragte er, obwohl er ein paar Meter entfernt am anderen Ende des Raumes saß. „Die Turteltäubchen“, antwortete Davis und deutete auf T.K. und Kari, die anscheinend beide sehr ertappte Gesichter machten, denn plötzlich waren aller Blicke auf sie gerichtet. T.K. spürte Karis fragenden Blick von der Seite. „Warum starrt ihr denn jetzt alle so?“, grummelte T.K. genervt. Er fühlte sich fast wie ein Tier im Zoo. „Habt ihr vielleicht was zu sagen?“, fragte nun auch Mimi und musterte die beiden neugierig. „Ähm...“, machte T.K. beschämt und spürte dann Karis Hand, die sich in seine stahl. Sie tauschten einen vielsagenden Blick. „Ich wusste es! Ich hatte es schon die ganze Woche vermutet!“, rief Yolei triumphierend und klatschte in die Hände. „Glückwunsch! Aber ihr hättet es mir ruhig eher mal erzählen können.“ Auch die anderen grinsten dämlich und T.K. wünschte sich, es würde endlich irgendjemand das Thema wechseln.   _   Eine Weile musste Matt auf einen ruhigen Moment warten, um seinen Bruder anzusprechen. Entweder klebte Kari an ihm oder er redete mit irgendjemand anderem, doch irgendwann war es soweit. T.K. ging zur Toilette und als er wiederkam, fing Matt ihn an der Wohnzimmertür ab und sah ihn vielsagend an. „Was?“, fragte T.K. stirnrunzelnd. „Du und Kari?“, sagte Matt lächelnd. Er verdrehte zur Antwort die Augen, wirkte aber ein wenig verlegen. „Wie kam es, dass du deine Meinung geändert hast?“, fragte Matt und konnte seine Neugier nicht verstecken. Immerhin ging es hier um seinen kleinen Bruder und dessen erste richtige Freundin. Er hatte das Gefühl, dass er ihm wenigstens anbieten musste, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, falls er einmal irgendwelche Probleme haben sollte. T.K. zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hat sich eben auf einmal so angefühlt, als wäre es das Richtige.“ „Bist du glücklich?“ Matt musterte ihn. Ein verlegenes Lächeln umspielte seine Lippen und er kratzte sich im Nacken. Sein Blick ruhte auf Kari, die sich gerade mit Yolei und Ken unterhielt. „Ja, ziemlich. Ist irgendwie noch ungewohnt, aber es fühlt sich schön an.“ „Klar ist es ungewohnt. Ihr wart jahrelang beste Freunde und habt bestimmt nicht mal daran gedacht, mal was miteinander anzufangen“, erwiderte Matt. „Dabei glaube ich irgendwie, dass sie genau die Richtige für mich ist. Ich weiß nicht, warum ich das nicht schon eher begriffen habe und warum es erst zu diesem Streit kommen musste“, murmelte T.K. und verzog das Gesicht. „Manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und manche Dinge brauchen auch einfach eben ein bisschen Zeit.“ „Ja. Wir wollen auch jetzt alles langsam angehen lassen“, erklärte T.K. „Verstehe“, sagte Matt und nickte langsam. Daraufhin hob T.K. eine Augenbraue und warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Echt? Gerade du verstehst das?“ „T.K.“, fing Matt an und seufzte, „wenn es ein Mädchen ist, für das du wirklich etwas empfindest und das dich glücklich macht, zum Lachen bringt, das du so vermisst, dass es schon weh tut, wenn sie nicht bei dir ist, dann sollte man sich Zeit lassen. Dann kann man es besser genießen und besser darauf hinarbeiten.“ T.K. machte zunächst ein entgeistertes Gesicht, dann lachte er jedoch, was wiederum Matt verwirrte. Argwöhnisch musterte er ihn. „In dir steckt ja doch noch sowas wie Gefühl. Davon merkt man manchmal gar nichts mehr“, erklärte T.K., klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder zu Kari. Irritiert sah Matt ihm hinterher und schüttelte den Kopf, bevor er sich entschied, draußen vor der Wohnungstür auf dem Laubengang rauchen zu gehen.   _   Sora beobachtete, wie Matt die Wohnung verließ. Sie vermutete, dass er wahrscheinlich nur rauchen gehen würde, wartete einige Sekunden und stand dann auf, um ihm nachzulaufen. Leise öffnete sie die Wohnungstür, schlüpfte hinaus auf den Laubengang und schloss die Tür hinter sich. Yamato lehnte am Geländer und zog an seiner Zigarette. Gerade drehte er sich zu ihr um und sah sie an. Während der Schulwoche hatten sie nicht besonders viel miteinander geredet. Dabei gab es noch immer so viel zwischen ihnen zu klären. „Hey“, sagte Sora und lächelte schüchtern. Matt nickte und musterte sie, die glühende Zigarette zwischen seinen Lippen. Sora stellte sich neben ihn und atmete die kühle Luft ein. „Ist schon ganz schön kalt geworden.“ „Bist du raus gekommen, um mit mir über das Wetter zu reden?“, fragte Matt ein wenig belustigt. „Nee. Ich… wollte dich eigentlich was fragen“, gestand Sora nun und wich seinem bohrenden Blick aus. Yamato erwiderte nichts, sondern sah sie nur abwartend an. Sora seufzte und fasste sich ein Herz. „Ich wollte eigentlich nur wissen, ob zwischen uns jetzt wieder alles in Ordnung ist. Also… ich weiß, ich hab‘ viel falsch gemacht und eine Menge Gefühle verletzt und es gibt immer noch eine Menge, was ich wieder gutmachen muss. Vor allem bei dir und… und… okay, ich glaube, es ist tatsächlich ziemlich viel und…“ Sie fuhr sich durch die Haare und lehnte sich gegen das Geländer. „Okay, ‚alles wieder in Ordnung‘ war falsch ausgedrückt. ‚Alles wieder einigermaßen aushaltbar‘ trifft es wohl eher.“ Matt schwieg eine ganze Weile, zog an seiner Zigarette und blies bläulichen Rauch aus, während er sich auf dem Geländer abstützte und ins Dunkel starrte. Nach einigen Augenblicken sah er sie an. „Du siehst wieder besser aus“, meinte er nur. „Ähm… danke“, murmelte Sora, nicht sicher, was sie davon halten sollte. „Sora“, sagte Matt nun, „es ist alles okay, mach‘ dir keinen Kopf. Wir sollten das, was passiert ist, einfach vergessen und nach vorn sehen, okay?“ „Einfach vergessen?“, fragte sie skeptisch und hob eine Augenbraue. „Abhaken“, korrigierte Matt sich. „Es ist vorbei und es hilft keinem von uns, nachtragend zu sein. Wir haben nur noch ein paar Monate zusammen und sollten sie genießen.“ Sora lächelte leicht und nickte. „Danke.“ Er zuckte mit den Schultern. „Hauptsache, du bist endlich auf dem Weg der Besserung.“ „Ja“, murmelte sie. „Jetzt muss ich mich nur noch bei Mimi entschuldigen. Ich hoffe, sie verzeiht mir.“ „Habt ihr euch gestritten?“, fragte Matt und klang verwundert. „Mhm.“ Sora stützte den Kopf auf den Händen ab. „Als die Sache mit dir und Mimi herauskam, war ich echt ziemlich sauer und habe ein paar fiese Dinge zu ihr gesagt.“ „Oh, diese Sache.“ Matt drückte seine Zigarette aus und schnippte den Stummel über das Geländer. „Es tut mir echt leid, dass du das auf diese Art erfahren hast.“ „Nein, nein, schon gut. Ich bin die Letzte, die sich darüber aufregen darf. Es… es freut mich, wenn ihr… naja… wenn ihr glücklich seid“, murmelte sie schweren Herzens, obwohl es nicht stimmte. Natürlich freute sie sich, wenn Matt und Mimi glücklich waren, doch gleichzeitig machte es sie rasend vor Eifersucht. Doch sie hatte ihn verloren und musste ihn aufgeben. Entgeistert sah Matt sie an. „Was? Glücklich?“ „Naja du und Mimi.“ Er hob eine Augenbraue. „Das war nichts Ernstes und es ist jetzt sowieso vorbei.“ Erstaunt erwiderte sie seinen Blick. „Nichts Ernstes?“ „Natürlich nicht. Mein Ego war angekratzt und Mimi… hatte auch ein paar Probleme in der Richtung. Das war auch schon alles. Wir haben uns nur gegenseitig ein bisschen abgelenkt.“ Sora machte große Augen. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Mimi hatte behauptet, etwas für Tai zu empfinden. So richtig hatte Sora es ihr nicht geglaubt, weil es zu sehr aus dem Nichts gekommen war. Und außerdem war sie zu entsetzt darüber gewesen, dass sie etwas mit Matt am Laufen gehabt hatte. „Rede einfach mal mit ihr. Ich bin sicher, sie will das auch mit dir klären.“ Sora nickte langsam. „Und… es gibt da noch etwas, was ich dir erzählen sollte.“   _   Zufrieden saß Yolei mit Ken und Davis zusammen und plauderte über alles Mögliche. Inzwischen waren sie und Ken fest zusammen, hatten es jedoch noch keinem erzählt. Sie hatten beschlossen, noch zu warten, da sie sich sowieso nicht allzu oft sahen. Sie wohnten einfach zu weit auseinander und hatten unter der Woche zu viel mit der Schule zu tun, sodass sie keine Zeit hatten, sich zu sehen. Dafür genossen sie die Wochenenden mit ihrer gemeinsamen Zeit umso mehr. „Davis, ähm… hör‘ mal zu“, begann Ken plötzlich und sowohl Yolei als auch Davis sahen ihn verwundert an. Ken erwiderte Yoleis Blick vielsagend. „Wir müssen dir noch was sagen. Müssen wir doch, oder Yolei?“ „Ähm… klar“, erwiderte Yolei zögerlich und lächelte leicht. Sie wusste, dass Ken es Davis zuerst erzählen wollte. „Oh nein“, machte Davis und sah zwischen den beiden hin und her. „Sagt mir nicht, ihr seid…“ „Doch.“ Ken nickte. „Wieso sagst du da ‚oh nein‘?“, fragte Yolei vorwurfsvoll. „Ihr seid also zusammen?“, hakte Davis nach, ohne auf ihre Frage einzugehen. Beide nickten synchron. „Boah. Schon das zweite Überraschungspärchen. Entschuldigt mich, aber ich gehe. Das wird mir hier echt zu viel.“ Verblüfft starrten Ken und Yolei Davis hinterher, der sich flüchtig von Joe und Nami verabschiedete und aus der Wohnung verschwand. Wie war das denn nun gekommen? Es war doch bis gerade eben alles so gut gelaufen.   _   Seufzend lehnte Tai sich auf seinem Stuhl zurück. Gerade hatte Davis mit einem nicht unbedingt glücklichen Gesichtsausdruck den Raum verlassen und auch Sora und Matt waren Gott weiß wo. Was war hier schon wieder los? Hoffentlich bahnte sich nicht gerade neues Drama an. „Warum guckst du so genervt?“ Mimi hatte sich neben ihn gesetzt und musterte ihn neugierig. Er war überrascht, dass sie ihn einfach so ansprach. Aufgrund dieser schwierigen Sache hatten sie in der letzten Woche nicht viel miteinander geredet und waren sich eher aus dem Weg gegangen. „Nichts“, murmelte Tai ausweichend. Er wusste noch immer nicht so recht, wie er mit ihr umgehen sollte nach der gemeinsamen Nacht und nachdem er sie verletzt hatte. „Schon klar“, erwiderte Mimi sarkastisch. Dann wurde ihre Miene weicher und sie senkte die Stimme. „Die Lilien stehen übrigens immer noch auf meinem Schreibtisch. Die hast du gut ausgesucht.“ „Waren ja auch teuer“, erwiderte Tai ebenso leise. Sie lächelte. „Aber ich will immer noch wissen, ob es dir was bedeutet hat.“ Er verdrehte die Augen und wandte den Blick von ihr ab. „Hör‘ auf, das zu fragen. Du machst mich echt wahnsinnig.“ „Du machst mich auch wahnsinnig“, entgegnete Mimi genervt. Tai hob seine Bierflasche und hielt sie Mimi entgegen. Sie hob ihren Becher ebenfalls, dann prosteten sie sich zu und tranken. „Fühlst du dich auch angetrunken oder geht es nur mir so?“, fragte Mimi. „Geht“, murmelte Tai. „Sag‘ mal, Tai… willst du mir eigentlich noch weiter in Mathe helfen oder hast du darauf jetzt keine Lust mehr?“, fragte sie nach einem Augenblick des Schweigens. Überrascht sah er sie an. „Nee. Ja. Klar, ich dachte nur, du hast jetzt keine Lust mehr nach dem, was ich… naja.“ „Tja, wenn ich könnte, würde ich dich sofort entlassen, aber ich bin leider auf dich angewiesen“, erwiderte sie schnippisch. „Aber warum machst du das weiter nach dem ganzen Theater? Ich wundere mich, dass du mich noch nicht aufgegeben hast.“ Er zuckte mit den Schultern und knibbelte am Etikett seiner Bierflasche. „Ach ja? Du zwingst mich doch, dir Nachhilfe zu erteilen. Ich habe ja gar keine andere Wahl. Wer weiß, was du mit mir anstellst, wenn ich mich weigere.“ Nun sah sie ihn finster an, sodass er grinste. „Ich schätze, inzwischen liegt mir einfach was daran, dass du gute Noten bekommst und… und glücklich bist.“ Er sah sie an und beobachtete, wie sich ihre Wangen leicht rosa verfärbten, und auch er wurde verlegen. „Bist du denn glücklich?“, fragte er und kratzte sich am Kopf. „Ähm… naja, was Mathe angeht schon“, antwortete Mimi. „Und sonst? In Japan, meine ich. Bist du lieber hier oder in Amerika?“ Sie schien einen Augenblick nachzudenken. „Ich weiß nicht so richtig. Ich dachte, hier wären all meine wahren Freunde, aber irgendwie… ich habe das Gefühl, ich verursache auch viele Scherereien.“ Tai konnte nicht anders. Er musste einfach lachen und prostete ihr erneut zu, bevor er sein Bier austrank und aufstand. „Ich hol‘ uns mal noch was.“   _   Wütend trat Davis gegen den Mülleimer, der neben Joes und Namis Wohnhaus stand. Wollten ihn denn heute alle verarschen? Erst T.K. und Kari, bei denen er zugeben musste, einen Stich der Eifersucht im Magen verspürt zu haben, und jetzt auch noch Ken und Yolei. Was war nur auf einmal mit seinen Freunden los? Wieso waren die jetzt alle in festen Beziehungen? Wieso meinten sie jetzt alle, Davis zeigen zu müssen, wie glücklich sie waren und wie unglücklich er eigentlich war? Plötzlich fühlte er sich allein, unbegehrt, ungewollt, ungeliebt. Und auch ein bisschen zurückgeblieben. Immerhin war er doch mit fast fünfzehn wohl alt genug, erste Erfahrungen in der Liebe zu sammeln, wenn nicht sogar schon überfällig. Erste richtige Erfahrungen. Die wenigen Tage mit Kari konnte man schließlich kaum als Erfahrung ansehen. Und er hatte es verdient, dass bei ihm mal etwas glatt lief. Vielleicht sollte er mal Matt nach Tipps fragen, wie man am besten Mädchen aufriss. Vielleicht sollte er auch sein Aussehen erneuern. Momentan konnte er sich eigentlich nicht einmal ein Mädchen vorstellen, mit dem er sich gern treffen würde. Kari wäre da wohl die Einzige. Sie hatte ihn von Anfang an begeistert, doch dann hatte sie ihn so sehr enttäuscht, dass er sich wohl nicht mehr mit ihr treffen würde, selbst wenn sie es ernst meinte. Seine Freunde regten ihn auf. Es wurde Zeit, dass er nach Hause ging und sich abreagierte.   _   Gemeinsam schlenderten Tai und Mimi von der U-Bahn-Station nach Hause. Bis auf Matt und Sora waren alle anderen schon gegangen und Mimi war einfach zu müde geworden. Absichtlich hatte sie ständig vor Tai gegähnt und betont, wie schläfrig sie schon wäre, bis er sich schließlich angeboten hatte, mit ihr zu gehen, damit er sie nach Hause bringen konnte. Darauf hatte Mimi es abgesehen. Einfach noch ein wenig Zeit mit ihm verbringen und plaudern. Sie hatten sich so nett unterhalten auf der Einzugsparty, auch wenn sie dabei ganz schön viel getrunken hatten. Nun schlenderten sie etwas schwankend die Straße entlang, redeten und lachten über dumme Dinge und schafften es tatsächlich, sich nicht ernsthaft zu streiten. Vielleicht konnte sie Tai ja so dazu bringen, sich in sie zu verlieben. „Boah, Tai, wenn ich heute noch kotze, is‘ das deine Schuld“, lallte Mimi. „Wieso meine? Du wolltest doch immer mehr.“ „Gar nich‘ wahr, du hast mir einfach immer mehr gegeben.“ „Hättest es ja nicht trinken müssen, dann hätte ich dir auch nicht mehr gegeben.“ „Du hättest mir nich‘ mehr geben brauchen, dann hätte ich nich‘ trinken müssen, sodass du mir nich‘ mehr gegeben hättest. Ey, das is‘ voll der Teufelskreis.“ Sie sahen sich an und lachten laut los. „Apropos Kreis. Irgendwie dreht sich alles. Geht das nur mir so?“ „Ja, weil du nix verträgst, du Mädchen.“ „Selber Mädchen. Ich hab‘ doch viel mehr getrunken als du.“ „Hast du gar nicht.“ „Hab‘ ich wohl.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein. „Doch.“ „Nächstes Mal trinken wir genau das Gleiche, okay? Dann sehen wir ja, wer hier das Mädchen ist“, beschloss Tai. „Wirst schon sehen“, drohte Mimi kichernd. Tai bog plötzlich nach links ab, obwohl sie geradeaus hätten weiterlaufen müssen. „Ey, Tai, da wohn‘ ich gar nich‘!“, rief Mimi. „Bist du so voll, dass du vergessen hast, wo ich wohne?“ „Aber ich wohn‘ da.“ „Ich dachte, du bringst mich nach Hause“, beschwerte sie sich enttäuscht. Sie hatte gehofft, ihn zum Abschied umarmen zu können. „Du kommst mit“, befahl er und griff nach ihrer Hand. „Was? Mit zu dir?“, fragte Mimi verwirrt und fühlte sich auf einmal etwas nüchterner. „Ja.“ „Aber… warum? Soll ich bei dir schlafen?“ Sie ließ sich von ihm mitziehen. Seine warme Hand auf ihrer jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. „Ja. Nur, wenn du willst.“ Er sah sie fragend an, ging jedoch einfach weiter, ohne ihr eine wirkliche Wahl zu lassen. Mimi war völlig verwirrt. Was sollte das jetzt? „Tai, warum? Willst du mit mir… du weißt schon.“ „Frag‘ nicht.“ „Willst du mit mir schlafen?“ „Du sollst nicht fragen.“ „Ich will’s aber wissen“, verlangte Mimi. Er antwortete nicht, sondern zog sie einfach weiter mit sich. „Tai, was soll das? Warum willst du das auf einmal? Letztes Mal hast du doch…“ Er drückte sie plötzlich an die Hauswand, an der sie gerade entlangliefen und presste seine Lippen auf ihre. Fordernd verwickelte er sie in einen leidenschaftlichen Kuss, auf den Mimi sich trotz Verwirrung nur zu gern einließ. Das wilde Kribbeln in ihrer Magengegend übertönte sogar das Trunkenheitsgefühl und den Schwindel in ihrem Kopf. Schwer atmend löste sich Tai wieder von ihr, jedoch nur so weit, dass er sprechen konnte. „Ich will gerade nicht darüber nachdenken, okay? Wenn du willst, dann geh‘ nach Hause. Ich bring‘ dich. Ansonsten komm‘ einfach mit und frag‘ nicht.“ Mimi nickte und wollte ihn noch einmal küssen, doch er entzog sich ihr und ging weiter. Schweigend legten sie den Rest des Weges zu Tais Wohnhaus zurück. Bei dem Gedanken daran, was gleich kommen würde, machte sich ein wohliges Prickeln in Mimis Unterleib breit. Ob es Tai wohl genauso ging? Sie stiegen die Treppen hinauf und Tai schloss leise die Wohnungstür auf. Er schlich Mimi voran in sein Zimmer, ließ sie herein und schloss die Tür hinter ihr. Kaum hatte er den Schlüssel im Schloss herumgedreht, zog er sich seinen Kapuzenpulli und sein T-Shirt über den Kopf und küsste sie erneut ungeduldig. Die Wärme und der Duft, die von seinem nackten Oberkörper ausgingen, hatten ihre Wirkung auf Mimi. Sie schlang die Arme um seinen Hals und ließ sich von ihm zum Bett drängen, wo er sie sanft runter drückte und ihr Oberteil auszog. Er brachte sie in eine liegende Position und legte sich über sie, wollte sie erneut küssen, doch sie hielt ihn auf. „Tai, ich… ich versteh‘ das alles nicht.“ Er erwiderte ihren Blick ernst. „Ich auch nicht.“ Er griff an sich herunter und öffnete seine Hose, doch Mimi umfasste sein Handgelenk und hielt es fest. „Warte mal.“ Jetzt sah er besorgt aus. „Was ist? Willst du doch nicht?“ Mimi zögerte einen Augenblick. „Können wir es ganz langsam und zärtlich machen?“ Sie konnte sich noch gut an das erste Mal erinnern. Es war recht stürmisch abgelaufen. Er lächelte leicht. „Ja, natürlich.“ Behutsam fuhr seine Hand über ihre Seite, während er ihren Hals küsste.   _   Noch immer konnte Sora nicht glauben, was Matt ihr da erzählt hatte. Nachdem er ihr verkündet hatte, dass er eventuell Vater wurde, hatte sie sich in einer Art Schockzustand befunden. Zwar hatte er ihr genau erklärt, warum er selbst daran zweifelte, tatsächlich Vater zu werden und dass es sein könnte, dass Nagisa ihm ein Kind unterjubeln wollte, doch das hatte sie nur wenig getröstet. Anschließend hatte sie mit Nami etwas getrunken und war gemeinsam mit Matt bis zum Ende geblieben. Als letzte Gäste machten sie sich angetrunken gegen zwei Uhr endlich auf den Heimweg. Matt hatte darauf bestanden, sie nach Hause zu bringen. „Ist jetzt eigentlich alles in Ordnung?“, fragte Matt nach einigen Minuten des Schweigens. „Ich weiß nicht. Das ist einfach alles so viel. Und… stell‘ dir vor, du hast Gefühle für jemanden, der ein Kind von jemand anderem erwartet“, antwortete Sora. „Du hast immer noch Gefühle?“ Verlegen wandte Sora das Gesicht von ihm ab. „Frag‘ doch nicht noch genauer nach. Ich kann das einfach nicht so schnell abstellen. Ist ziemlich ernst und nicht nur Schwärmerei. Ich würde sogar sagen, ich liebe dich. Und ich glaube, wäre ich nicht angetrunken, hätte ich dir das jetzt gar nicht erzählt.“ Sie kicherte verlegen und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Wow“, machte Matt und wirkte verblüfft. „Ja. Schlimm, oder?“ „Nein.“ „Ich dachte nur, du solltest es wissen, bevor wir uns dann ab April nicht mehr sehen“, murmelte sie. „Ist schön, zu wissen, dass jemand solche Gefühle für mich hat und sie auch ernst meint. Und das bei jemandem, der so verkorkst ist wie ich.“ „Matt, du bist nicht verkorkst. Du bist vielleicht ein bisschen wild und rebellisch, aber du hast so viele gute Seiten an dir, von denen sich manche Leute mal eine Scheibe abschneiden könnten“, widersprach Sora lächelnd. Matt schnaubte. „Ich glaube, niemand sieht so viele gute Seiten an mir wie du.“ Sie kamen an Soras Wohnhaus an und hielten vor der Haustür an. Verlegen drehte Sora sich zu Matt um. „Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“ „Angetrunkene Mädchen sind immer so willig. Ich kann ja nicht zulassen, dass dich noch einer mitnimmt.“ „Willig?“ Sie lief rot an, kicherte und boxte ihm gegen den Arm. „Du bist blöd.“ „Ein bisschen.“ Er lächelte und Soras Knie wurden weich. Es wurde dringend Zeit, dass sie sich nicht mehr sahen. Die wenigen Wochen ohne Kontakt zu ihm hatten nichts gebracht. „Gute Nacht, Matt.“ Am liebsten würde sie ihn küssen. „Gute Nacht.“   Sonntag, 5. November 2006   Mimi erwachte aus einem tiefen Schlaf. Schon bevor sie die Augen öffnete, nahm sie Tais Duft war und spürte, dass sie sich an seinen Arm gekuschelt hatte. Sie schlug die Augen auf, hob den Kopf ein wenig und sah ihn an. Er schlief noch mit leicht geöffnetem Mund und sah so friedlich aus, als hätte er etwas Schönes geträumt. Mimi lächelte und stützte den Kopf auf der Hand ab. Ein bohrender Schmerz machte sich in ihrem Schädel breit und in ihrem Magen verspürte sie ein leichtes Gefühl der Übelkeit, doch das störte sie nicht. Ihr Herzklopfen und die wohligen Erinnerungen an letzte Nacht waren stärker. Er war so sanft gewesen, so liebevoll. Es war, als würde sie wieder seine Küsse auf ihrer Haut spüren, wenn sie seine Lippen betrachtete. Plötzlich regte er sich mit einem leisen Seufzen, seine Lider flatterten und er öffnete die Augen. Sofort flackerte sein Blick zu Mimi, die leicht lächelte. „Oh Scheiße“, stöhnte er und schloss die Augen wieder. Mimi entgleisten die Gesichtszüge. Entgeistert starrte sie ihn an. „Hast du gerade ‚oh Scheiße‘ gesagt?“ Tai setzte sich ruckartig auf und zog die Decke mit sich, wobei er Mimi entblößte. Hastig schnappte sie sich ein Stück Decke zurück und presste es sich an den Körper. „Au! Oh verdammt!“ Tai hielt sich den Kopf und beugte sich nach vorn. „Scheiße.“ Verletzt starrte Mimi ihn an, wie er dort kauerte, sich die Schläfen rieb und leise vor sich hin fluchte. Schließlich sprang sie aus dem Bett und klaubte ihre Sachen auf, die davor lagen. Innerhalb von einer Sekunde war ihre Laune von einhundert auf null gesunken. Wie hatte sie nur annehmen können, es hatte Tai auch was bedeutet? Sie hätte es doch besser wissen müssen. „Jetzt warte doch mal“, grummelte er und griff nach ihrem Handgelenk. „Nein!“, fauchte sie und wollte sich losreißen, doch er hielt ihren Arm so fest umklammert, dass es weh tat. Bestimmt zog er sie gegen ihren Willen zurück auf das Bett, sodass sie sich hinsetzte. Eilig presste sie die Decke wieder an sich. „Lass‘ mich los! Du hast gerade ‚oh Scheiße‘ gesagt, als du mich gesehen hast.“ „Mann, das war nur, weil ich dachte, das wäre ein Traum gewesen“, antwortete Tai. „Oh, toll, na das tröstet mich natürlich!“ „Boah, Mimi“, stöhnte Tai genervt. „Ich fand es schön letzte Nacht, okay?“ Misstrauisch musterte sie ihn und blickte dabei in seine braunen Augen, die sie komplett in ihren Bann zogen. „Ehrlich?“ „Ja“, antwortete er und ließ sich zurück in sein Kissen fallen. „Du musst nur zugeben, dass wir betrunken waren. Deswegen wusste ich nicht mehr, ob es real war oder nicht und…“ „Und was?“ „Schon gut.“ „Nein, sag‘.“ Er druckste herum. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee war.“ Mimi riss die Augen auf. „Was? Es ist deine Idee gewesen, falls du das schon vergessen hast. Du hast mich praktisch dazu gedrängt.“ „Jetzt tu‘ nicht so, als hätte ich dich vergewaltigt“, grummelte er und warf ihr einen mürrischen Blick zu. „Ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass es nicht besonders fair dir gegenüber war.“ Enttäuscht presste Mimi die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. „Es hat dir nichts bedeutet, oder?“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in die Luft. „Ich weiß es irgendwie nicht.“ „Was soll denn das bedeuten? Wie kann man das nicht wissen? Das hast du letztes Mal schon gesagt“, erwiderte sie eindringlich. „Es ist irgendwie gerade alles so komisch. So wirr. Irgendwie weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht im Moment.“ Eine Weile schwiegen sie und Mimi versuchte, seine Worte zu deuten. Wenn er wirklich die Wahrheit sagte, klang es zumindest nicht so, als wäre er ihr komplett abgeneigt. Eher klang es so, als bräuchte es noch ein wenig Überzeugungsarbeit ihrerseits, damit er sich auf sie einlassen konnte. Langsam ließ sie die schützende Decke sinken, sodass er den Kopf zur Seite drehte und sie ansah. Fest erwiderte Mimi seinen Blick. „Weißt du jetzt, wo dir der Kopf steht?“ Einen Augenblick lang sah Tai sie ausdruckslos an, dann prustete er plötzlich los. „Versuchst du gerade, mich mit deinem Körper zu bestechen?“ „Vielleicht“, wisperte Mimi todernst, sodass er noch mehr lachen musste. „Hör‘ auf, du machst mich an“, sagte er lachend. Sie kroch unter der Decke auf ihn zu, legte eine Hand auf seine Brust und die Lippen an sein Ohr. „Vielleicht will ich das ja.“ Langsam ließ sie ihre Hand über seine Brust, seinen Bauch und noch weiter runter wandern. Tai sog scharf die Luft ein und schloss die Augen. „Oh Scheiße.“ Kapitel 41: Streit und Versöhnung --------------------------------- Donnerstag, 9. November 2006   Am Morgen, als Mimi vor ihrem Schließfach stand und es öffnete, um ihre Bücher für den Tag herauszuholen, fiel ihr ein weißer Briefumschlag entgegen, den sie dort eindeutig nicht selbst hineingelegt hatte. Neugierig und verwundert nahm sie den Umschlag in die Hand. Mimi stand darauf geschrieben und sie konnte Soras feinsäuberliche Handschrift erkennen. Sie hob die Augenbrauen und öffnete den Umschlag. Zwei Bögen weißes Papier kamen zum Vorschein, die sie auseinanderfaltete. Gespannt begann sie zu lesen.   Liebe Mimi, ich weiß, es ist irgendwie feige, dir einen Brief zu schreiben, weil ich das lieber persönlich mit dir klären sollte. Bestimmt würdest du das auch besser finden als so. Aber ich habe einerseits Angst, dass du nicht mit mir reden willst und andererseits befürchte ich, ich könnte etwas vergessen, was mir wichtig ist. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich anfangen soll. Bestimmt reicht dieser Brief hier auch nicht aus, aber du solltest es trotzdem wissen. Ich möchte mich hiermit bei dir für das entschuldigen, was ich zu dir gesagt habe. Es tut mir unendlich leid und ich hätte es niemals zu dir sagen dürfen, denn es stimmt einfach nicht. Mit dem, was du zu mir gesagt hast, hast du vollkommen Recht gehabt. Ich bin die Schlampe von uns beiden. Irgendwie ist mein Leben vollkommen aus den Fugen geraten, womit ich absolut nicht gerechnet habe. Ich liebe Matt. Ich kann es nicht ändern und ich wünschte, es wäre nicht so, aber es ist so. Deswegen war es natürlich umso schrecklicher von mir, mich auf eine Beziehung mit Tai einzulassen. Er hat das nicht verdient. Ich dachte nur, ich könnte mich vielleicht tatsächlich in ihn verlieben, da du mit allem, was du gesagt hast, Recht hattest. Er ist ein toller Mensch, aber ich fühle mich einfach nicht zu ihm hingezogen. Ich hätte das erkennen sollen, bevor das alles passiert ist. Das war nicht nur Tai, sondern auch Matt gegenüber mehr als unfair. Jedenfalls habe ich festgestellt, dass ich meine Gefühle für Matt einfach nicht ändern kann, weshalb es mich so geschockt hat, dass du mit ihm geschlafen hast. Ja, ich war unglaublich eifersüchtig, obwohl ich das nicht hätte sein dürfen. Stattdessen hätte ich mit dir reden sollen, aber dieses Video, das in der Schule herumging, hat mir einfach das Herz gebrochen. Das soll jetzt natürlich alles keine Rechtfertigung sein. Ich habe viele Fehler begangen und mich mehr als einmal völlig falsch verhalten. Aber vielleicht hilft es dir ein bisschen, zu verstehen. Ich wollte dir wenigstens in Ansätzen so etwas wie eine Erklärung geben. Du hast ja schon ganz richtig gesagt, dass ich irgendwie eine Andere war und nicht die, die du kennst. Ich würde dir gern beweisen, dass ich wieder die Alte sein kann, aber dafür muss ich erst einmal wieder die Alte werden. Irgendwie habe ich mich selbst verloren. Ich hoffe sehr, dass wir noch einmal darüber reden können. Du bist mir sehr wichtig und du fehlst mir wirklich.   Deine Sora   Mimi presste die Lippen aufeinander, während sie den Brief noch einmal überflog. Sora hatte tatsächlich einen Schritt auf sie zu gemacht und sich entschuldigt. Der Brief rührte sie einerseits, doch andererseits wusste sie nicht, ob sie ihr so einfach verzeihen konnte. „Guck‘ nicht so, das gibt Falten.“ Mimi ließ den Brief sinken und sah in Tais grinsendes Gesicht. „Von wegen. Eine Tachikawa kriegt keine Falten“, antwortete sie schnippisch und schob den Brief wieder zurück in den Umschlag. Tai beobachtete sie neugierig. „Von wem ist der denn?“, fragte er skeptisch. „Von niemandem“, antwortete sie und stopfte den Brief in ihre Tasche. Tai hob eine Augenbraue und musterte sie argwöhnisch. „Hast du etwa einen heimlichen Verehrer?“ „Und wenn es so wäre?“ „Dann will ich für denjenigen hoffen, dass er auf Falten steht“, erwiderte er frech grinsend und Mimi verdrehte die Augen. Für einen Augenblick hatte sie gehofft, der Brief hätte ihn vielleicht eifersüchtig gemacht, doch dem schien nicht so. „Idiot“, murmelte sie. Er beugte sich dicht zu ihr, damit niemand sonst ihn hören konnte. „Das klang gestern aber noch ganz anders.“ Mimi lief knallrot an, während Tai nur leise lachte und sie allein stehen ließ. Gestern, an ihrem Nachhilfetag, hatten sie gerade einmal eine halbe Stunde mit Matheaufgaben verbracht, bevor sie im Bett gelandet waren. So war das nicht geplant gewesen, denn Mimi brauchte die Mathezeit. Genossen hatte sie es trotzdem. Und sie hatte ihn nicht gefragt, was es ihm bedeutet hatte. Sie hoffte einfach, dass er sich doch noch in sie verliebte.   _   „Sagt mal, ist euch auch schon aufgefallen, dass Davis sich die ganze Woche von uns distanziert hat?“, fragte Yolei und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nicht einmal die Pause hat er mit uns verbracht.“ „Ich habe auch das Gefühl, dass er irgendwie Abstand hält“, meinte Kari nachdenklich. „Aber keine Ahnung, warum. Haben wir ihm irgendwas getan?“ „Nicht, dass ich wüsste“, meinte T.K. „Oh, mir fällt gerade etwas ein“, sagte Yolei plötzlich und fasste sich an die Stirn. Die Erinnerung von Samstag war ihr wieder gekommen. „Ken und ich haben ihm am Samstag gesagt, dass wir zusammen sind und dann ist er plötzlich abgehauen. Er wirkte sauer.“ Kari und T.K. sahen sie verblüfft an. „Was denn?“ „Du und Ken?“, fragte Kari ungläubig und machte große Augen. „Im Ernst?“ „Ähm… ja“, antwortete Yolei ein wenig verlegen und kratzte sich am Kopf. „Warum ist das so unglaublich?“ „Ist es nicht. Es ist nur überraschend. Warum hast du denn nichts erzählt?“ Sie wirkte auf einmal aufgeregt und heiß auf Tratsch. „Ich meine, es freut mich natürlich für euch.“ „Wie lang seid ihr denn schon zusammen?“, fragte T.K. „Macht mal halblang“, erwiderte Yolei und musterte die beiden nun argwöhnisch. „Ihr habt auch niemandem von eurer Beziehung erzählt.“ „Wir mussten uns erst mal selbst dran gewöhnen“, meinte Kari verlegen. „Siehst du? Ich musste mich auch erst mal dran gewöhnen. Und jetzt wisst ihr es ja. Und wir sind schon seit ein paar Wochen zusammen“, erklärte Yolei sachlich. „Wow“, machte Kari anerkennend. „Aber Davis‘ Reaktion ist trotzdem etwas übertrieben.“ „Ja. Dass er auf Yolei steht, können wir wohl ausschließen“, fügte T.K. nachdenklich hinzu. „Danke“, brummte Yolei, während Kari ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. „Hey, so war das doch gar nicht gemeint“, wehrte T.K. ab und hob die Hände. „Ich meinte nur… naja, er war ziemlich lang verknallt in Kari.“ „Vielleicht sollten wir ihn mal darauf ansprechen“, schlug Kari vor und Yolei und T.K. nickten zustimmend.   _   Nach dem Unterricht ging Davis mit Kari allein nach Hause. T.K. hatte noch Basketballtraining, also waren sie nur zu zweit. Ein Glück. Davis hatte wirklich überhaupt keine Lust, Zeit mit diesem Pärchen zu verbringen. Sie nervten ihn einfach nur. Kari plauderte fröhlich über den Unterricht und er brummte hin und wieder zustimmend und nickte, redete aber nicht viel. Nach einer Weile sah sie ihn an. „Sag‘ mal, stimmt eigentlich irgendwas mit dir nicht?“, fragte sie. „Nö, wieso?“, murmelte Davis und wich ihrem Blick aus. „Naja, du hast bisher diese Woche keine Pause mit uns verbracht und irgendwie habe ich das Gefühl, du gehst uns aus dem Weg“, erklärte Kari und zuckte mit den Schultern. „Deswegen dachte ich, dass vielleicht irgendwas nicht in Ordnung ist.“ „Alles bestens“, log Davis. Er spürte Karis kritischen Blick von der Seite und wusste, dass sie ihm nicht glaube. Und sie würde wohl nicht locker lassen. „Ich hab‘ einfach nur noch andere Freunde. Die Jungs vom Fußball und so. Mit denen verbringe ich auch gern Zeit.“ „Okay.“ Sie klang nicht überzeugt. „Ist es vielleicht, weil… naja, weil T.K. und ich jetzt ein Paar sind?“ „Du musst nicht alles auf dich beziehen, hörst du? Die Welt dreht sich nicht um dich!“, blaffte Davis, der mit so einer Frage gerechnet hatte. Erschrocken sah sie ihn an und blieb stehen. „So war das doch gar nicht gemeint. Ich dachte nur…“ „Nein, sorry. Wollte das nicht sagen“, murmelte Davis und ließ den Kopf hängen. „Davis, was ist los mit dir?“, fragte sie mit weicher Stimme und berührte ihn vorsichtig am Arm. Er seufzte tief. „Naja, es hat ein klein wenig mit dir und T.K. zu tun. Aber auch mit Ken und Yolei. Irgendwie fühle ich mich auf einmal einsam und… keine Ahnung. Ungewollt oder so. Ihr habt alle jemanden und seht so glücklich aus und ich bin allein.“ „Aber Davis!“ Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung. „Du bist doch gar nicht allein. Wir sind doch trotzdem noch für dich da.“ „Ach ja? Ihr habt doch jetzt alle nur noch Zeit für eure Beziehungen“, murmelte Davis und kickte einen kleinen Stein weg. „Nein, das stimmt nicht“, erwiderte Kari eindringlich. „Das kann ich dir hoch und heilig versprechen. Wir bleiben trotzdem deine Freunde und nehmen uns Zeit für dich, wenn du willst.“ „Ach ja?“ „Natürlich! Rede dir doch nicht so einen Quatsch ein. Wir kennen uns nun schon so lange und du bist mir wichtig. Genauso wie den anderen. Wir gehören doch alle zusammen.“ Davis wusste nicht, was er davon halten sollte. Ein wenig beruhigte ihn, was sie sagte, doch konnte sie ihm wirklich versprechen, dass er seinen Freunden trotzdem noch wichtig war? Er musste erst einmal abwarten, was die nächste Zeit brachte, bevor er sich darüber ein Urteil bilden konnte.   _   Es war der erste Tag, an dem Sora seit langem wieder arbeitete, jedoch nur für drei Stunden. Sie wollte endlich einmal ein wenig kürzer treten, konnte das Arbeiten jedoch nicht ganz lassen. Momentan informierte sie sich über verschiedene Modeschulen weltweit und überall musste man jedes Semester viel Geld bezahlen. Zwar hatte sie schon einiges sparen können, doch für ein komplettes Studium reichte es natürlich noch lange nicht. Deshalb musste sie bis zum Sommer noch so viel arbeiten, wie sie konnte. Sie lieferte gerade eine Bestellung an einem Tisch ab und war überrascht, Mimi zu sehen, als sie wieder zurück hinter den Tresen ging. Plötzlich saß sie dort und sah Sora ernst an. Offensichtlich war sie schon zu Hause gewesen, denn sie trug ihre Schuluniform nicht mehr und hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden. Eine Strähne davon drehte sie sich gerade um den Finger. „Mimi“, sagte Sora überrascht und stellte das Tablett auf dem Tresen ab. „Hast du meinen Brief gefunden?“ Mimi nickte, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Einen Augenblick hielt Sora ihrem Blick stand, wandte sich dann jedoch ab. „Ähm… kann ich dir irgendwas bringen?“ „Ich nehme einen Kaffee“, antwortete sie. Sora machte ihr einen Kaffee und stellte die Tasse vor ihr auf dem Tresen ab. Mimi bedankte sich und kippte scheinbar gedankenverloren Zucker in den Kaffee. Sora beobachtete sie nervös. Warum war sie nur gekommen? „Es freut mich, dass es dir wieder besser geht“, sagte Mimi, als Sora wenige Minuten später von einer Bestellung zurückkam. „Danke.“ Mimi nippte an ihrem Kaffee und sah Sora über den Rand ihrer Tasse hinweg an. Sie setzte die Tasse wieder ab und seufzte. „Du fehlst mir auch.“ Ein leichtes Lächeln huschte über Soras Lippen. Das klang ganz so, als wäre Mimi dazu bereit, an ihrer Freundschaft zu arbeiten. Oder zumindest über die Sache zu reden. „Schön, dass du hier bist.“ „Vielleicht komme ich ja mal wieder öfter vorbei“, meinte Mimi schulterzuckend. „Das wäre schön.“ „Ich hoffe nur, du arbeitest nicht wieder so viel.“ Sora schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich werde besser auf mich aufpassen.“ Sie huschte zu einem Tisch, an dem drei Gäste saßen, die bezahlen wollten, und kam wieder zurück zu Mimi. „Es tut mir echt leid, was ich zu dir gesagt habe. Das war schrecklich unangebracht und daneben und ich war einfach…“ „Schon gut“, unterbrach Mimi sie und hob die Hände. „Ich habe deinen Brief gelesen. Du hast dich doch schon entschuldigt.“ „Ich wollte es dir nur noch einmal persönlich sagen“, murmelte Sora. „Sora, ich möchte dich nicht einfach aufgeben. Ich hab‘ dich echt gern. Schon immer. Ich denke, wir sollten versuchen, an uns zu arbeiten.“ Sora lächelte leicht. „Ja, das denke ich auch. Freut mich, dass du das so siehst.“ „Wo wären wir denn heute, wenn wir immer gleich aufgegeben hätten, sobald mal was schief läuft?“ Auch Mimi lächelte. Glücklich seufzte Sora, überrascht, dass Mimi hier war und ihr auch noch eröffnete, dass sie weiterhin mit ihr befreundet bleiben wollte. Gleichzeitig überkam sie jedoch das Gefühl, dass sie ihre Freunde allesamt nicht verdient hatte. Eine kleine Gruppe, die gerade Nami’s Café betrat, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich, denn sie kannte sie. Es handelte sich um Matt, T.K. und deren Eltern. „Nanu? Sieh mal, wer gerade gekommen ist.“   _   Es war am frühen Abend, als sich die gesamte Familie Ishida-Takaishi in Nami’s Café traf. T.K.s Basketballtraining war soeben zu Ende gegangen und auch Hiroaki war gerade von der Arbeit gekommen. Ausgerechnet Matt hatte dieses Treffen zur Verwunderung aller einberufen. Was war nur in ihn gefahren? Hatte er seine Meinung etwa tatsächlich geändert und wollte doch wieder Teil einer glücklichen Familie sein? Sie ließen sich an einem Tisch für vier Personen nieder und studierten zunächst die Karte. Kurz darauf erschien Sora mit einem kleinen Block und einem Stift bewaffnet an ihrem Tisch und lächelte. „Hallo, schön euch zu sehen“, begrüßte sie die Familie. „Oh, hallo Sora, uns freut es ebenso.“ Natsuko erwiderte ihr Lächeln fröhlich. „Ich habe dich schon ewig nicht mehr gesehen“, stellte Hiroaki mit einem Seitenblick auf Matt fest. „Viel zu tun“, erklärte Sora verlegen. „Was kann ich euch bringen?“ Sie bestellten Getränke und Sora verschwand wieder. „Ich freue mich ja so, dass wir heute hier zu viert sind“, sagte Natsuko und stützte den Kopf auf den Händen ab. „Das kommt so selten vor.“ „Ja, man könnte fast meinen, Matt heckt irgendwas aus“, meinte Hiroaki und klopfte Matt, der neben ihm saß, auf die Schulter. T.K. erkannte in Matts Gesicht sofort, dass Hiroaki ins Schwarze getroffen hatte, und machte sich innerlich schon auf etwas gefasst, was vielleicht keinem von ihnen gefallen würde. Er hätte gleich wissen sollen, dass Matt dieses Treffen nicht einberufen hatte, um seiner Familie zu verkünden, er würde sich von nun an nicht mehr querstellen. „Also, um ehrlich zu sein“, begann Matt zögerlich, „gibt es da etwas, das ich euch sagen muss.“ Die Stimmung am Tisch schlug augenblicklich um. Niemand rechnete damit, dass er ihnen etwas Schönes mitteilen würde. Zu gut kannten sie ihn. „Es gibt da ein Problem“, redete er weiter. „Was denn für eins?“, fragte Hiroaki langsam und T.K. konnte ihm ansehen, dass er bereits versuchte, Ruhe zu bewahren. Matt holte tief Luft und sah T.K. an, der ihm gegenüber saß. „Ich werde vielleicht Vater.“ Stille. „Was?!“, rief Hiroaki dann. „Oh mein Gott“, seufzte Natsuko und griff sich in die Haare. T.K. war unfähig, etwas zu erwidern. Er starrte seinen Bruder nur vollkommen fassungslos über den Tisch hinweg an. Hatte er ihn gerade richtig verstanden? An den Reaktionen seiner Eltern gemessen ja. „Das ist ein Scherz, oder?“, fragte Hiroaki scharf und sah ihn an. „Sag‘, dass das ein schlechter Scherz ist.“ „Okay“, sagte Natsuko und hob die Hände. Sie sah vor allem Hiroaki an. „Wir sollten ruhig bleiben. Er hat gesagt, er würde vielleicht Vater. Warum vielleicht, Matt?“ „Es gibt da eine Nacht, an die ich mich nicht erinnern kann. Und dieses Mädchen…“ „An die du dich nicht erinnern kannst?“, platzte Hiroaki wütend dazwischen. „Lass‘ ihn bitte ausreden“, sagte Natsuko. „Ich habe nicht viel getrunken. Ich weiß nicht, woran es liegt. Jedenfalls behauptet dieses Mädchen, sie wäre von mir schwanger“, erklärte Matt. „Oh, Yamato“, stöhnte Hiroaki und fasste sich an die Stirn. „Haben wir nicht letztens erst darüber geredet? Ich habe dir gesagt, ich mische mich nicht in deine Angelegenheiten ein, sondern erwarte nur, dass du immer verhütest. Und jetzt erzählst du das.“ „Hiroaki“, murmelte Natsuko, die leicht rot angelaufen war. „Ist doch die Wahrheit! Das ist jetzt die Krönung seines fragwürdigen Lebensstils! Er wird Vater mit siebzehn!“, rief er außer sich. In diesem Moment erschien Sora mit einem Tablett voller Getränke am Tisch. Sie machte ein unbehagliches Gesicht. Offenbar hatte auch sie den Streit bemerkt. Sie warf T.K. einen unruhigen Blick zu, bevor sie sich wieder entfernte. „Ich weiß nicht, ob es wirklich mein Kind ist“, ergriff Matt wieder das Wort. „Aus irgendeinem Grund hat sie es auf mich abgesehen. Ich würde ihr zutrauen, dass sie versucht, mir das Baby nur unterzujubeln.“ „Wie kommst du nur auf so einen Blödsinn?“, blaffte Hiroaki ihn an. „Du machst Fehler und gibst dem Mädchen die Schuld. Die ist auch so schon genug gestraft, ein Kind mit einem Idioten gezeugt zu haben!“ „Hiroaki!“, wies Natsuko ihn zurecht. „Reiß‘ dich zusammen!“ „Ich?“ Hiroaki war aufgesprungen. Andere Gäste im Café drehten sich bereits zu ihnen um. „Er hätte sich mal zusammenreißen und seine Wochenenden normal verbringen sollen!“ Er wandte sich an Matt, der auf seinem Stuhl saß und keine Miene verzog. „Mir reicht es mit dir! Ich kann einfach nicht mit dir umgehen! Ich erwarte, dass du noch dieses Wochenende deine Sachen packst und machst, dass du wegkommst! Zieh‘ am besten gleich zu dem armen Ding, das du geschwängert hast und mach‘ einmal in deinem Leben etwas richtig!“ Er warf ein paar Geldscheine auf den Tisch und stürmte aus dem Laden. „Hiroaki!“ Natsuko sprang auf und eilte ihm nach. Die umliegenden Tische waren verstummt und beobachteten das Geschehen unverhohlen. Nur noch Matt und T.K. waren übrig. Matt hob fragend den Blick, doch T.K. schüttelte nur den Kopf. „Manchmal möchte ich einfach nicht mehr dein Bruder sein“, sagte er und stand auf. „T.K.“, sagte Matt mit einem Drängen in der Stimme. „Lass‘ es mich erklären.“ Eine Weile musterte T.K. ihn, doch dann seufzte er leise. „Ich will’s gar nicht wissen.“ Er verließ ebenfalls das Café und ließ seinen Bruder allein zurück.   _   Frustriert sah Matt T.K. hinterher und versuchte, gegen das betäubende Gefühl von Hilflosigkeit, das langsam in ihm aufstieg, anzukämpfen. Das war noch schlimmer verlaufen, als er vermutet hatte. Sein Vater hatte ihn rausgeworfen und T.K. verachtete ihn nun wahrscheinlich noch mehr als ohnehin schon. Er stand auf und verließ ebenfalls das Café, ohne zu wissen, wohin er jetzt gehen sollte. Am besten ging er sofort nach Hause, um seine Sachen zu packen, um seinem Vater aus dem Weg zu gehen. Aber wo sollte er dann heute Nacht schlafen? Er würde auf keinen Fall zu Nagisa gehen. „Matt, warte doch mal!“ Das war Mimis Stimme. Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Was ist passiert? Hast du ihnen von Nagisa erzählt?“, fragte sie und kam vor ihm zum Stehen. „Ja“, antwortete er kurz angebunden. „Und ich hab‘ keine Lust, darüber zu reden.“ „Du musst drüber reden! Wie geht es denn jetzt weiter?“ „Boah, keine Ahnung! Ich suche jetzt einen Platz, wo ich heute Nacht schlafen kann, okay? Und das würde ich gern allein machen!“ Er ließ sie einfach stehen und ging. Er hatte keine Lust, mit ihr zu reden. Er wollte gerade mit niemandem reden, sondern einfach allein sein und nachdenken. Er ging nach Hause. Oder eher zu dem Ort, an dem er bis vor ein paar Minuten zu Hause gewesen war. Sein Vater war zum Glück gerade nicht da. Matt schnappte sich eine Tasche, packte so viele Klamotten ein, wie rein passten, und verließ die Wohnung eilig wieder. Wo sollte er jetzt hin? Er wollte niemanden von seinen Freunden fragen, ob er bei ihnen übernachten konnte. Nein, das käme ihm vor wie betteln. Vielleicht sollte er sich besser ein Hotelzimmer nehmen, doch das war zu teuer. Unter der Brücke schlafen? Nein, zu kalt um diese Jahreszeit. Der Proberaum! Natürlich, er konnte einfach im Proberaum übernachten. Das würde zwar nicht sehr bequem werden, aber zumindest hatte er ein Dach über dem Kopf.   _   „Oh mein Gott“, seufzte Kari und machte große Augen. „Das sind echt krasse Neuigkeiten.“ „Ja“, sagte T.K. grimmig und nippte an seinem Tee. Sie saßen auf Karis Bett und er hatte ihr erzählt, was in Nami’s Café passiert war. Völlig verstört hatte er vor ihrer Haustür gestanden. „Und dein Vater hat ihn jetzt rausgeschmissen?“, hakte Kari unsicher nach. „Mhm.“ „Und wo geht er jetzt hin?“ „Keine Ahnung, aber ist mir auch egal. Soll er wegen mir auf einer Parkbank pennen.“ „T.K.!“ Kari sah ihn vorwurfsvoll an. „Er ist dein Bruder!“ „Ist er das?“ Trotzig erwiderte er ihren Blick. „Eigentlich ist er nur ein Unruhestifter, der nichts als Ärger macht und sein Leben nicht im Griff hat. Wenn sich unsere Eltern seinetwegen wieder trennen, werde ich ihm das nie verzeihen.“ „Glaubst du wirklich, sie könnten sich wieder trennen?“, fragte Kari vorsichtig. „Ich weiß es nicht. Ich hoffe es nicht, aber bestimmt streiten sie gerade, weil mein Vater ihn rausgeworfen hat.“ Niedergeschlagen starrte er in seinen Tee und man könnte meinen, seine Eltern hätten sich bereits wieder getrennt. „Ach, T.K.“, seufzte Kari, schlang die Arme um ihn und küsste ihn auf die Schläfe. „Sie werden sich ganz bestimmt nicht trennen. Bestimmt sieht dein Vater bald ein, dass er überreagiert hat und holt Matt wieder nach Hause.“ „Du findest, er hat überreagiert? Ich glaub‘, ich hätte ihn auch rausgeschmissen an seiner Stelle“, murmelte er. „Immerhin ist es nicht das erste Mal, dass er Scheiße baut. Aber diesmal ist es die größte Scheiße bisher.“ „Ja, aber er ist sein Sohn und er liebt ihn doch trotz allem“, widersprach Kari mit sanfter Stimme. Darauf erwiderte T.K. nichts. Er starrte weiter nachdenklich in seinen Tee, doch legte eine Hand auf ihre Hand und streichelte ihren Handrücken. „Vielleicht solltet ihr mal ein oder zwei Tage warten, bis sich alle wieder beruhigt haben, und dann nochmal mit Matt reden. Ich finde, er sollte in Ruhe alles erklären dürfen. Ihr habt ihn ja nicht ausreden lassen“, schlug Kari vor. „Da gibt es doch gar nichts zu erklären. Er hat mit dieser Nagisa geschlafen und vorher zu viel getrunken. Deswegen kann er sich an nichts erinnern und fertig“, meinte T.K. und zuckte mit den Schultern. „Aber ich dachte, er hätte gesagt, er hat nicht so viel getrunken.“ T.K. sah sie an und hob eine Augenbraue. „Und du glaubst das?“ „Du etwa nicht?“ „Nee. So naiv bin ich nicht.“ Kari seufzte und ließ ihn los. „Du solltest ihm mal mehr vertrauen. Du gibst ihm ja gar keine Chance, sich zu erklären.“ „Ich habe ihm schon genug Chancen gegeben, aber er macht sie alle kaputt, weil er nur an sich denkt.“ „Aber er wollte sich heute mit euch treffen, um euch etwas zu erzählen, was er ausgefressen hat. Das ist doch an sich gut. Und wenn er das schon macht, dann solltet ihr ihm auch zuhören und ihn ausreden lassen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. Erst erwiderte er ihren Blick skeptisch, doch dann wandte er sich wieder ab, stellte die Teetasse auf den Boden und ließ sich nach hinten auf ihr Bett fallen. „Er gehört doch genauso zu deiner Familie wie deine Eltern“, sagte Kari und drehte sich zu ihm um. „Also kämpf‘ um ihn.“ „Ich glaube, du stellst dir das viel zu einfach vor“, murrte er. „Ich denke nur, dass man gerade in einer Familie verzeihen können und immer zusammenhalten sollte“, erwiderte sie und beugte sich über ihn. Einen Augenblick lang musterte er sie. Dann lächelte er leicht. „Danke.“ „Wofür?“, fragte sie verwirrt. „Einfach, dass du da bist.“ Er legte eine Hand in ihren Nacken, zog sie zu sich herunter und küsste sie.   _   Nach der Arbeit verließ Sora das Café und überlegte, was sie machen sollte. Mimi hatte sie dazu gedrängt, sich um Matt zu kümmern, obwohl sie protestiert hatte. „Warum, glaubst du wohl, hat er sich ausgerechnet hier, wo du arbeitest, mit seiner Familie getroffen? Er will, dass du dich um ihn kümmerst“, hatte sie gesagt und schließlich hatte Sora beschlossen, zumindest mal nach ihm zu sehen und ihn zu fragen, ob er reden wollte. Doch wo würde er jetzt sein? Mimi hatte ihr erzählt, dass er seine Sachen packen und eine Unterkunft zum Schlafen suchen wollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einen seiner Freunde darum gebeten hatte, ihn aufzunehmen. Dafür war er zu stolz. Dennoch schrieb sie eine schnelle SMS an Tai und fragte ihn, ob er etwas von Matt gehört hatte. Wenige Minuten später erhielt sie eine verwirrte Antwort, in der er ihr aber ihre Vermutung bestätigte. Wo konnte er noch sein? Vielleicht im Proberaum? Ja, das war möglich. Er hatte sich schon öfter dorthin verzogen, wenn er mal Stress hatte. Vielleicht war er jetzt auch dort und es war zumindest einen Versuch wert. Mit dem Bus fuhr Sora zu der richtigen Station, stieg aus, lief auf den Proberaum zu und konnte schon auf dem Gang dorthin die vertrauten Gitarrenklänge hören. Anscheinend behielt sie mit ihrer Vermutung Recht. Vorsichtig betrat sie den Raum und spähte hinein. Er saß auf einem Stuhl und hatte ihr den Rücken zugewandt. Er sang nicht, sondern spielte nur eine Melodie auf seiner Gitarre. Sora räusperte sich, sodass die Töne verstummten und er sich umdrehte. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“, fragte er verwundert. „Weibliche Intuition“, antwortete Sora. „Weibliche Intuition ist echt unheimlich.“ „Wie geht’s dir?“, fragte sie. Er zuckte mit den Schultern und fuhr fort, auf seiner Gitarre zu spielen. „Bei uns gibt es heute zum Abendessen gebratenen Lachs und meine Mutter macht immer viel zu viel davon. Meistens müssen wir was wegschmeißen, weil nicht alle Reste in den Tiefkühlschrank passen. Hätten wir doch nur einen dritten Esser…“ Wieder drehte Matt sich zu ihr um und hob eine Augenbraue. „Ich bin kein mittelloser Penner.“ Sora seufzte. „Ach, komm schon, Matt. Bleib‘ heute Nacht bei mir. Du solltest nicht ganz allein in diesem düsteren Loch schlafen.“ „Hey, dieses düstere Loch ist der Proberaum der legendären Tokyo Rebels“, erwiderte er in gespielter Empörung. „Die bald nur noch zu dritt sind, weil ihr Sänger von einer Straßengang ausgeraubt und ermordet wurde“, fügte Sora hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast eine blühende Fantasie“, sagte er belustigt. „Bitte, Matt. Nur für eine Nacht und morgen kannst du dann in Ruhe überlegen, wie es weitergeht. Bestimmt findet sich etwas und du musst nicht hier einziehen.“ Er zögerte. „Aber… wäre das denn für deine Mutter in Ordnung?“ „Natürlich, wieso sollte das nicht in Ordnung sein?“   _   „Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben schon mal so guten Lachs gegessen habe“, seufzte Matt, als er sich mit vollem Bauch auf dem Futon niederließ, den Sora in ihrem Zimmer für ihn ausgebreitet hatte. „Siehst du? Du hättest es bereut, wenn du nicht hergekommen wärst“, erwiderte sie und setzte sich neben ihn. Sie trugen beide schon ihre Schlafsachen: Shorts und ein T-Shirt. Matt war müde, doch er wusste, dass er nicht in der Lage sein würde, zu schlafen. Zu aufwühlend war die Situation heute gewesen. „Danke, dass ich hier übernachten kann“, sagte er ernst und sah sie an. „Du kannst gern auch noch ein paar mehr Nächte bleiben. So lang wie nötig eben“, erwiderte sie verlegen lächelnd. „Das ist wirklich kein Problem.“ „Danke“, wiederholte er. „Wie willst du jetzt weitermachen? Willst du noch mal versuchen, mit deiner Familie zu reden?“, fragte sie. Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ob das einen Sinn hat. Vielleicht würde meine Mutter mir zuhören, aber T.K. und mein Vater? Vielleicht versuche ich auch einfach, mich bis April irgendwie durchzuschlagen und dann bin ich ja eh weg.“ „Aber… was, wenn das Kind wirklich von dir ist?“, fragte sie leise und ohne ihn anzusehen. Matt seufzte tief. „Dann werde ich natürlich versuchen, sie zu unterstützen und für das Baby da zu sein.“ Sie nickte mit gesenktem Kopf und sah plötzlich so niedergeschlagen aus, wie er sich fühlte. Kein Wunder. Wie musste es sich wohl anfühlen, wenn der Junge, in den man verliebt war, ein Kind mit einer anderen bekam? Doch das hatte in diesem Fall nichts zu bedeuten. „Hey“, sagte er leise und strich ihr mit der Hand ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er ließ seine Hand an ihrer Wange verweilen, sodass sie den Kopf hob und ihn ansah. Sie sahen sich in die Augen, keiner der beiden wandte den Blick ab. Matt spürte sein Herz schneller schlagen, als sie ihn so ansah. Tief versunkene Gefühle traten wieder an die Oberfläche; Gefühle, von denen er dachte, sie wären fort. Langsam näherte er sich ihrem Gesicht. Sie machte keine Anstalten, zurückzuweichen, sondern kam ihm entgegen. Zaghaft berührten sich ihre Lippen, vereinten sich zu einem zärtlichen Kuss, der so intensiv war, dass Matt die Umgebung um sich herum völlig ausblendete. Er schloss die Augen und gab sich ganz seinen Gefühlen hin, obwohl er wusste, dass es nicht richtig war. Doch es fühlte sich so unglaublich richtig an. Sie rutschte näher an ihn heran, legte ihre Hände in seinen Nacken und zog ihn so noch näher an sich. Seine Hände glitten über ihre Seiten, als sie vorsichtig rittlings auf seinen Schoß kletterte und ihren Körper an seinen presste. Er spürte, wie sehr sein Körper auf sie reagierte. Seine Hände schoben sich unter ihr T-Shirt und strichen sanft ihren Rücken hinauf. Er fühlte, wie die feinen Härchen auf ihrer weichen Haut sich unter seiner Berührung aufstellten. Er konnte ihre Rippen spüren, die noch immer deutlich hervortraten, ihre Schulterblätter, die zu kantig wirkten. Er ließ seine Hände sinken und löste den Kuss. Ein wenig enttäuscht öffnete sie die Augen und sah ihn an. „Das ist nicht richtig“, flüsterte er. „Ich weiß“, entgegnete Sora atemlos. „Ich suche mir morgen einen anderen Platz, okay?“, sagte er. Mehr als eine Nacht bei Sora zu verbringen, würde ihnen beiden nicht guttun. „Ja, aber bitte nicht im Proberaum.“ „Keine Angst. Ich finde bestimmt eine nette Parkbank.“ „Matt!“ Er lächelte schief. „War nur ein Witz.“ „Gute Nacht. Schlaf schön.“ Sie hauchte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen, bevor sie in ihr eigenes Bett kletterte. Kapitel 42: Ein perfekter Geburtstag ------------------------------------ Mittwoch, 15. November 2006   „Ehrlich, T.K., ich versteh‘ dich einfach nicht“, tadelte Kari ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Er ist dein Bruder. Er hat heute Geburtstag. Und du hast immer noch kein Wort mit ihm geredet? Seit wann bist du so nachtragend?“ „Arschloch bleibt Arschloch, egal ob Bruder oder Geburtstag oder sonstwas“, entgegnete T.K. stur, während er seine Sachen für die erste Stunde aus seiner Tasche auf den Tisch beförderte. „Und Bruder bleibt Bruder“, erwiderte Kari. „Du hast gut reden. Dein Bruder hat ja nicht das nächstbeste Mädchen geschwängert.“ „Er hat sie nur vielleicht geschwängert.“ „Oder ist auf dem besten Weg, deine Familie wieder kaputt zu machen.“ Sie musterte ihn ein wenig genervt. „Wir feiern heute seinen Geburtstag bei uns. Wenn du möchtest, kannst du auch gern kommen, genauso wie deine Mutter und dein Vater. Sora kommt auch. Er würde sich ziemlich freuen. Ich glaube, er ist ganz schön niedergeschlagen.“ T.K. biss sich auf die Unterlippe. Seit Freitag wohnte sein Bruder nun schon bei den Yagamis und er konnte nicht leugnen, dass ihn manchmal ein schlechtes Gefühl deswegen überkam. Natsuko hatte natürlich ein furchtbar schlechtes Gewissen und versuchte jeden Tag, Hiroaki umzustimmen und ihm ins Gewissen zu reden. T.K. wusste, dass sie sich auch schon gestritten hatten, weil er Matt einfach rausgeworfen hatte. Er befand sich einfach in einem Zwiespalt und es kam ihm so vor, als müsste er sich zwischen seinen Eltern und Matt entscheiden. Warum konnte er nicht einfach beides haben? „Gib dir einen Ruck und komm‘ heute zu uns“, forderte Kari und legte eine Hand auf seine.   _   „Du bist echt dreist, weißt du das?“, sagte Tai vorwurfsvoll an Mimi gewandt. „Lädst dich einfach selbst zu einer Geburtstagsparty ein.“ „Entschuldige mal. Ich bin ja wohl auch seine Freundin. Außerdem ist heute unser Nachhilfetag und ich brauche das. Das weißt du besser als jeder andere“, erwiderte sie schnippisch, während sie in ihrem Mathehefter blätterte. „Das ist heute aber keine Party mit Freunden, sondern mit Familie“, widersprach Tai grummelnd. „Natürlich. Nach dieser Logik dürftest auch du nicht mitfeiern.“ „Ich bin sowas wie seine Familie. Schon seit Ewigkeiten.“ Mimi sah ihn an und hob eine Augenbraue. „Sei ehrlich. Du hast doch nur Angst, was zu verpassen. Oder noch schöner: du bist eifersüchtig, weil Sora auch hier ist.“ Ihr Blick verriet ihm, dass er Recht hatte. „Ich hab‘ Recht, stimmt’s?“ „Tai, was erwartest du denn? Sie ist deine Ex und ich habe keine Ahnung, ob du noch was für sie empfindest oder nicht. Und nach allem, was wir bisher hatten, ist es doch nur logisch, dass mir das nicht egal ist“, erklärte sie ihm überraschend ehrlich und sah ihn durchdringend an. „Ich…“ Er hatte auch keine Ahnung, was er für wen empfand. Momentan war alles ziemlich verwirrend. „Lass‘ uns anfangen, okay? Dann haben wir uns das Feiern nachher verdient.“   _   „Ich weiß echt nicht, wie ich Ihnen jemals danken soll. Sie machen viel zu viel für mich“, murmelte Matt, während er Yuuko Yagami dabei half, das Essen für seine Geburtstagsparty vorzubereiten. Kari deckte gerade den Tisch und Tai hockte mit Mimi in seinem Zimmer und gab Nachhilfe. „Ach was, sei nicht albern“, erwiderte Yuuko und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du hast Geburtstag und wir feiern gern mit dir.“ „Ich meine nicht nur die Party, sondern auch, dass ich hier wohnen darf. Trotz allem“, erklärte Matt. „Ach, Matt“, seufzte Yuuko. „Das ist doch selbstverständlich. Jeder hat mal Ärger und jeder macht mal Fehler. Ich bin mir immer noch sicher, dass du auch zu deiner Mutter hättest gehen können. Sie hätte dich ganz sicher nicht abgewiesen.“ Nein, sie nicht, aber T.K. Er hatte ihm deutlich gemacht, was er von ihm hielt, indem er nicht mehr sein Bruder sein wollte. Unter diesen Umständen konnte Matt doch unmöglich mit ihm unter einem Dach schlafen. Andererseits war es ihm jedoch auch mehr als unangenehm, bei den Yagamis zu wohnen. Er versuchte, sich einzubringen, wo er nur konnte, was schwierig war, da Yuuko ihn oft nicht ließ. Deshalb versuchte er meist einfach nur, nicht im Weg zu stehen, doch zweimal hatte er nun immerhin schon das Abendessen für die gesamte Familie gekocht und war damit auf Begeisterung gestoßen. Er konnte kaum glauben, dass die Yagamis ihn weiter hier wohnen ließen, obwohl sie wussten, was er getan hatte. Am Wochenende hatten Tai und er den Yagamis zusammen erzählt, was passiert war und weshalb Matt nicht nach Hause konnte. Von ihrem Schock hatten sie sich kaum etwas anmerken lassen, doch im Gegensatz zu Hiroaki und T.K. hatten sie ihn ausreden lassen und ihm aufmerksam zugehört und schienen ihm am Ende sogar zu glauben, dass er an jenem Abend nicht zu viel getrunken hatte, sondern vielleicht etwas anderes dahintersteckte. Es klingelte an der Tür. „Gehst du mal aufmachen? Ist sowieso für dich“, meinte Yuuko lächelnd und sah ihn an. Matt nickte, ging zur Tür und öffnete. Sora stand dort und lächelte breit. „Happy Birthday!“ Er erwiderte ihr Lächeln und trat beiseite. „Danke. Komm‘ rein.“ Sie ging an ihm vorbei und er schloss die Tür hinter ihr. Dann folgte sie ihm ins Wohnzimmer, wo sie von Yuuko und Kari begrüßt wurde. Eine Viertelstunde später saßen sie alle um den Tisch versammelt, der für sieben Leute recht eng war und ließen sich das Abendessen schmecken. Es war eine seltsame Geburtstagsrunde, ganz anders als in den bisherigen Jahren, doch trotzdem war es angenehm und er fühlte sich in Anbetracht der Umstände sehr wohl und geliebt. Nach dem Essen überreichten Tai, Sora und Mimi ihm sein Geschenk. Sie hatten ihm einen Gutschein für seinen Lieblingsmusikladen besorgt. Auch Susumo und Yuuko Yagami hatten sich an diesem Geschenk beteiligt. Matt wollte sich schon länger eine neue Gitarre kaufen, doch bisher hatte ihm das Geld gefehlt. Dankbar hob er den Blick von dem Gutschein und sah seine Freunde und Tais Eltern an, die ihn erwartungsvoll beobachtet hatten. „Danke. Das ist echt cool.“ Während sie gemeinsam den Tisch abräumten, klingelte es noch einmal an der Wohnungstür. Verwundert ging Yuuko, um sie zu öffnen. Eine Minute später standen Hiroaki, Natsuko und Takeru mit einigen Flaschen Wein bewaffnet in der Wohnküche der Yagamis. Ungläubig starrte Matt sie an, unfähig etwas zu sagen. Warum waren sie hier? Wollten sie etwa doch mit ihm zusammen feiern? „Hey, jetzt mach nicht so ein Gesicht“, sagte Tai und verpasste ihm einen derben Klaps auf die Schulter. „Begrüß‘ deine Gäste lieber mal.“ Wie in Trance trat Matt auf seine Familie zu, die mitten in der Küche stand und ihn ein wenig zurückhaltend musterte. „Hallo“, brachte er heraus, wohl wissend, dass auch die anderen ihn beobachteten. Er konnte die Blicke in seinem Nacken spüren. Natsuko war die Erste, die die Arme um ihn warf und in Tränen ausbrach. „Matt! Ich wünsche dir alles Liebe. Es tut mir alles so leid.“ Unbeholfen tätschelte er ihren Rücken, erneut unfähig, etwas zu erwidern. Sie ließ ihn los und T.K. trat auf ihn zu. Ohne Umschweife nahm er ihn ebenfalls in die Arme. Matt konnte Mimi irgendwo schräg hinter sich schluchzen hören. „Alles Gute zum Geburtstag, großer Bruder“, murmelte T.K. leise und ließ ihn wieder los. Ihre Blicke begegneten sich und ein leichtes Lächeln huschte über T.K.s Lippen. Dann wandte Matt sich an Hiroaki, der sich ein wenig verlegen am Kopf kratzte. Natsuko räusperte sich hörbar. „Ähm… wir müssen auf jeden Fall nochmal reden. Ich habe etwas überreagiert und… ja. Alles Gute, Großer“, stammelte er und legte eine Hand auf Matts Schulter. Matt lächelte schief. „Danke.“ Er fühlte sich unbehaglich, als er sich zu den anderen umdrehte, die ihn alle wie gebannt anstarrten, und sich jetzt auf einmal hastig eine Beschäftigung suchten. Yuuko verteilte Aufgaben, Tai und Susumo schafften mehr Stühle heran, Kari holte Gläser, Sora und Mimi räumten schmutziges Geschirr in die Spülmaschine. Matt konnte nicht anders als zu grinsen. Plötzlich sah dieser Abend ganz anders aus.   _ Stundenlang saßen sie dort, zu zehnt um den Küchentisch der Yagamis gequetscht, plauderten über alles Mögliche, tranken Sekt und Wein und spielten sogar ein Brettspiel. Sie lachten viel und je später es wurde, desto besser schien die Laune aller zu werden. Schließlich, kurz nach Mitternacht, gähnte Kari herzhaft und streckte sich. „Mama, darf ich morgen die Schule schwänzen?“ „Natürlich, Schätzchen“, gluckste Yuuko und Kari sah sie überrascht an. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. „Nein, auf keinen Fall!“, bestimmte Susumo energisch und warf seiner Frau einen mürrischen Blick zu. „Deine Mutter ist nur betrunken.“ Alle lachten, nur Kari nicht, die sich schon auf einen schulfreien Tag gefreut hatte. Wie sollte sie nur morgen aus dem Bett kommen? Sie wandte sich an T.K., der neben ihr saß, und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Wollen wir schlafen gehen?“ „Gute Idee“, stimmte T.K. zu, der ebenfalls schon ziemlich müde aussah. Sie erhoben sich vom Tisch und wünschten den anderen eine gute Nacht. Inzwischen wirkten alle ziemlich beschwipst. „Schlaft schön, ihr Süßen“, flötete Yuuko und winkte. „Und benehmt euch, klar?“, rief Natsuko ihnen nach und die anderen grölten vor Lachen. „Betrunkene Eltern sind so peinlich“, grummelte Kari. Sie machten sich bettfertig und schlüpften in Karis Bett unter die Decke. Wie immer schliefen sie im selben Bett. Es war das Natürlichste auf der Welt für sie. Kari knipste das Licht aus, kuschelte sich an T.K. und schloss die Augen. Sie wusste genau, dass sie sofort einschlafen würde. Ihre Augen fühlten sich schwer vor Müdigkeit an und brannten. Das Bettzeug raschelte, als T.K. sich auf die Seite drehte, mit dem Zeigefinger vorsichtig Karis Kinn anhob und seine Lippen auf ihre legte. Lächelnd erwiderte Kari seinen Kuss und genoss das wilde Flattern in ihrer Magengegend. Sie legte ihre Hand auf seine Wange und vertiefte den Kuss. Sie spürte, wie er seine Hand auf ihre Seite legte und begann, am Saum ihres T-Shirts herumzuspielen. Es fühlte sich angenehm an und als sie seine Finger auf ihrer Haut spürte, jagte ihr ein wohliger Schauer über den Rücken. Sie drängte sich enger an ihn, schob ein Bein zwischen seine Beine, um sich mit ihm zu verhaken und ihm noch näher zu sein. Seine Hand schob sich unter ihr T-Shirt und seine Finger glitten vorsichtig ihre Seite hinauf. Sie konnte spüren, dass seine Hand zitterte. Sie sog seinen vertrauten Duft ein, würde die Nase am liebsten an seinem Hals vergraben. Ihre Hand fuhr durch sein Haar und zog ihn ein wenig näher an sich. Seine Hand strich erst über ihren Rücken, tastete sich dann jedoch langsam nach vorn zu ihren Brüsten. Mitten im Kuss hielt Kari die Luft an. So nah waren sie sich noch nie gekommen. Bisher hatten sie sich immer nur geküsst oder gekuschelt, gefummelt jedoch noch nicht. T.K. verwickelte sie erneut in einen Kuss, während seine Hand ihre Brüste streichelte, vorsichtig massierte. Karis Herz schlug ihr bis zum Hals und sie begann zu zittern. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, ob sie schon zu mehr bereit war. Plötzlich drückte T.K. sie sanft zur Seite, sodass sie nun auf dem Rücken lag, und beugte sich über sie. Bestimmt schob er ihr Oberteil hoch, sodass er ihren Oberkörper entblößte. Er schien mutiger geworden, während Karis Mut geschwunden war. Aus der Küche ertönte lautes Gelächter. Anscheinend hatte mal wieder einer einen Witz gemacht. „T.K.“, wisperte Kari und hielt seine Hand fest. Er hielt inne. „Ja?“ „Könnten… könnten wir vielleicht noch damit warten? Ich glaube, ich bin noch nicht bereit“, murmelte sie verlegen. „Klar.“ T.K. zog seine Hand zurück und legte sich wieder hin. „Entschuldige, ich wollte nicht…“ „Alles okay. Mir ging das nur irgendwie zu schnell“, flüsterte Kari. Sie zog ihr T-Shirt wieder in die richtige Position und drehte sich wieder zu ihm um. „Okay.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Schlaf‘ gut.“ Kari starrte ihn in der Dunkelheit mit großen Augen an, was er natürlich nicht sehen konnte, und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte das bedrückende Gefühl, ihn enttäuscht zu haben. Vielleicht hätte sie ihn nicht aufhalten sollen, sondern es einfach hinter sich bringen. Wer wusste schon, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt mehr dazu bereit wäre als jetzt? Immerhin kannten sie und er sich schon seit Ewigkeiten. Wie sollte sich ihre Beziehung noch verändern? „T.K.?“ „Hm?“ „Es tut mir leid, dass ich nicht… du bist jetzt bestimmt sauer.“ „Was?“ Er lachte leise. „So ein Quatsch. Wieso sollte ich denn sauer sein?“ „Naja, weil ich nicht wollte“, murmelte sie verlegen und zog die Decke ein Stück höher. „Kari“, seufzte er und strich ihr über die Wange. „Wir lassen uns so viel Zeit, wie du willst, okay? Es eilt ja nicht und ich will dich schon gar nicht zu irgendwas drängen.“ „Bist du denn gar nicht aufgeregt? Hast du keine Angst davor?“ „Nö, warum?“ „Ich weiß nicht. Es wäre eben das erste Mal.“ „Andere haben das auch geschafft. Und außerdem ist es ja mit dir. Da muss ich keine Angst haben.“   _   Eine Stunde, nachdem Kari und T.K. sich ins Bett verabschiedet hatten, verkündete auch Sora, dass sie sich nun auf den Heimweg machen wollte. „Ich komme mit. Dann müssen wir beide nicht allein gehen“, sagte Mimi. Sie fühlte sich vom Wein und Sekt mittlerweile ordentlich beschwipst. Wie sollte sie nur morgen aus dem Bett kommen? „Ich denke, wir sollten auch langsam gehen und… verdammt, es ist ja schon eins!“ Ungläubig starrte Hiroaki auf seine Armbanduhr. „Wie die Zeit vergeht“, staunte auch Natsuko. Sie erhoben sich alle vom Tisch und machten sich auf den Weg zur Wohnungstür, wo sie sich alle Schuhe und Jacken anzogen. Der Flur war viel zu klein für die Menge an Leuten, die sich darin befand. „Vielen Dank, dass ihr euch so um Matt gekümmert habt“, sagte Natsuko mit einem glücklichen Lächeln und umarmte erst Yuuko und dann Susumo. „Matt, du kannst gern gleich mitkommen“, sagte Hiroaki und musterte seinen Sohn. Mimi sah ihn ebenfalls an und konnte so etwas wie Unsicherheit in seinem Blick ablesen. „Er sollte besser bei mir schlafen. Dann hab‘ ich wenigstens jemanden, der mich morgen zum Aufstehen zwingt“, sprang Tai ein und grinste Matt an. „Ich komme morgen, okay?“, schlug Matt vor. Hiroaki nickte, dann verabschiedeten sich er und Natsuko von Matt und den Yagamis und traten aus der Wohnung. Yuuko wandte sich an Sora und Mimi. „Danke für eure Hilfe, Mädels. Es war echt schön, dass ihr kommen konntet.“ „Kein Problem, das haben wir doch gern gemacht“, erwiderte Mimi fröhlich. „Dabei hat dich nicht mal jemand eingeladen“, mischte Tai sich ein und musterte Mimi mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Tai“, zischte Yuuko. Mimi schenkte ihm ein schelmisches Lächeln, das ihn zu verwirren schien. Sie hatte sich soeben überlegt, wie sie ihm diese Gemeinheit in einer Sekunde heimzahlen konnte. „Bis morgen in der Schule“, verabschiedete Sora sich und umarmte Tai und Matt. „Ja, bis morgen“, stimmte Mimi zu und umarmte Matt ebenfalls flüchtig. Als sie sich an Tai wandte, machte auch er bereits Anstalten, sie zu umarmen, doch Mimi legte blitzschnell die Hände an seine Wangen und presste ihre Lippen auf seine. Sie hatte ihn so sehr überrascht, dass er einen Schritt rückwärts stolperte, doch Mimi ließ ihn erst nach einem Augenblick wieder los. Matt räusperte sich hörbar, die Yagamis und Sora sagten kein Wort und auch Tai starrte sie nur sprachlos an. „Gute Nacht“, flötete Mimi, schnappte sich Sora und verließ mit ihr zusammen die Wohnung. Unten vor dem Haus verabschiedeten sie sich von Hiroaki und Natsuko und machten sich dann endlich auf den Weg nach Hause. „Hast du ihn gerade ernsthaft geküsst?“, fragte Sora schließlich verblüfft. „Ja. Er ist selbst schuld. Was fängt er auch dauernd an, mich zu ärgern“, grummelte sie. „Dann… hast du ihn geküsst, um ihm eins auszuwischen?“ „Ich habe ihn vor seinen Eltern geküsst, um ihm eins auszuwischen“, korrigierte Mimi sie mit erhobenem Zeigefinger. „Ich schätze, das ist ihm ziemlich peinlich.“ „Aber… ähm… wie weit seid ihr denn schon?“, fragte Sora und klang verwirrt. Mimi zögerte. Stimmt, Sora wusste ja noch gar nicht, was in den letzten Wochen zwischen ihr und Tai passiert war. „Wir hatten Sex.“ „Was?!“ „Und zwar nicht nur einmal.“ Sora starrte sie mit großen Augen an, dann seufzte sie leise. „Du lässt wirklich nichts anbrennen, oder?“ Mimi erzählte ihr von dem Abend, an dem sie ihn erst betrunken gemacht, verführt und schließlich im Schrank eingesperrt hatte. Diese Geschichte brachte sie zum Lachen. Dann erzählte sie von dem Streit, den sie mit Tai hatte, wie er sich entschuldigt hatte und wie sie in der Nacht der Einweihungsparty wieder betrunken miteinander geschlafen hatten. Und dann wieder vor einer Woche. Und sie erzählte Sora auch, dass Tai immer noch nicht zu wissen schien, was er empfand. „Wow, ich habe ja echt eine ganze Menge verpasst“, stellte Sora verdattert fest. „Damit habe ich irgendwie nicht gerechnet. Du bist echt ziemlich verliebt in ihn, oder?“ Mimi nickte nur knapp. „Glaub‘ schon.“   _   Sowohl seine Eltern als auch Matt sahen ihn an. Matt mit einem amüsierten Lächeln, Susumo mit einem Stirnrunzeln und Yuuko mit einem wissenden Blick. „Habe ich es mir doch gedacht“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was gedacht?“, fragte Tai genervt. „Dass da irgendwas ist. Diese Blicke, die ihr euch die ganze Zeit zuwerft. Zu offensichtlich“, erklärte sie triumphierend. „Wir werfen uns überhaupt keine Blicke zu!“, protestierte Tai energisch. „Er merkt es nicht einmal mehr.“ Yuuko schüttelte den Kopf und tauschte einen vielsagenden Blick mit Susumo. „Süß, oder?“ „Was wollt ihr eigentlich?“, grummelte Tai und ging in sein Zimmer. Seine Eltern und Matt lachten. Es war unglaublich, dass seine Eltern nicht schon früher bemerkt hatten, dass zwischen ihm und Mimi etwas lief. Immerhin hatte sie schon einmal hier übernachtet und ein anderes Mal hatten sie in seinem Zimmer Sex gehabt, während seine Mutter zu Hause gewesen war. Und nun hatte Mimi sie verraten. Er war sauer auf sie, weil sie ihn einfach vor seinen Eltern geküsst hatte. „Ich gehe jetzt schlafen, okay?“, riss Matt ihn aus seinen Gedanken, der ebenfalls in sein Zimmer gekommen war. „Ja, ich auch“, erwiderte Tai, ohne ihn anzusehen. „Tai?“ Er drehte sich fragend zu ihm um. „Danke für alles.“ „Alter, was soll das? Willst du mir an die Wäsche?“, entgegnete er schief grinsend. „Ich wollte mich nur für die letzten Tage bedanken“, sagte Matt stirnrunzelnd. „Ich glaube, ohne dich wäre ich am Arsch.“ „Natürlich wärst du das“, erwiderte Tai gespielt selbstverliebt und fuhr sich durch die Haare. „Deswegen brauchst du mir jetzt trotzdem keine Liebeserklärung machen.“ „Penner“, murmelte Matt und verließ das Zimmer, um ins Bad zu gehen. „Du mich auch“, rief Tai ihm grinsend hinterher. Kapitel 43: Hemmungslos, kopflos, herzlos ----------------------------------------- Montag, 20. November 2006   Mit verschränkten Armen stand Tai an Mimis Spind gelehnt und wartete auf sie. Es war wahrscheinlich das erste Mal in diesem Schuljahr, dass er vor ihr in der Schule war, doch er wollte sie sofort abfangen. Seine Eltern hatten ihm zu Hause keine Ruhe mehr gelassen und als dann auch noch Kari erfahren hatte, dass Mimi ihn einfach geküsst hatte, war sein Zuhause für ihn plötzlich die Hölle auf Erden geworden. Ständig fragte sie nach, ob er und Mimi jetzt ein Paar wären, ob sie sich trafen, seit wann das schon ging und so weiter. Er konnte es nicht mehr hören. Mimi würde dafür büßen müssen. Endlich kam sie fröhlich plaudernd mit Izzy angeschlendert und beide blickten überrascht auf, als sie Tai sahen. „Morgen“, begrüßten sie ihn verwundert. Das hieß, nur Izzy sah verwundert aus. Mimi hingegen runzelte skeptisch die Stirn und schien schon zu ahnen, was Tai von ihr wollte. „Wir müssen reden“, knirschte er mit einem Seitenblick auf Izzy. „Nicht jetzt. Der Unterricht geht in fünf Minuten los“, antwortete Mimi und schob ihn zur Seite, um ihren Spind öffnen zu können. „Doch, genau jetzt.“ „Ist alles okay?“, fragte Izzy zögerlich und sah abwechselnd zwischen den beiden hin und her. „Ja“, antwortete Mimi ohne zu zögern und kramte ihre Bücher aus dem Spind hervor. „Mimi“, murmelte Tai nachdrücklich. „Dann mache ich es halt hier und jetzt. Das wegen Samstag…“ „Wir treffen uns in der Pause, okay?“, unterbrach Mimi ihn mit lauter Stimme und knallte ihren Spind wieder zu. Mit ihrem starrenden Blick bedeutete sie ihm, die Klappe zu halten und er glaubte, sie würde sich in der Pause tatsächlich Zeit nehmen. „Okay“, willigte Tai ein und nickte, bevor er sich auf den Weg zu seinem Klassenraum machte.   _   Skeptisch hob Matt eine Augenbraue, als Nagisa den Raum betrat. Inzwischen war beim besten Willen nicht mehr zu übersehen, dass sie schwanger war. Immerhin musste sie jetzt ja im achten Monat sein und mit jedem Tag wuchs Matts Verachtung für sie, aber auch die Angst, dass dieses Kind tatsächlich von ihm sein könnte. Er hasste diese Ungewissheit. Einerseits sehnte er sich den Tag herbei, an dem das Baby endlich auf der Welt war, um diesen Vaterschaftstest hinter sich zu bringen, andererseits graute es ihm vor dem Ergebnis des Tests. Wäre er tatsächlich der Vater, würde sein Leben sich komplett ändern. Die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens würde er Unmengen von Geld für ein Kind ausgeben, das er mit einem Mädchen gezeugt hatte, das er inzwischen verabscheute. Und an den Zeugungsvorgang selbst konnte er sich auch nicht mehr erinnern. Wie tief war er nur gesunken? Er war doch gerade mal achtzehn. Ob Nagisa so glücklich mit ihrer Situation war, wusste er ebenfalls nicht. Sie wirkte schon seit einigen Wochen ziemlich blass und lächelte kaum. Vielleicht hatte sie ja Probleme mit der Schwangerschaft. Oder war das vielleicht ein Anzeichen dafür, dass auch sie Angst vor dem Ergebnis des Tests hatte, weil sie genau wusste, dass Matt nicht der Vater war? Immerhin hatte er ihr mehr als deutlich klar gemacht, dass er einen Test wollte, sobald das Kind auf der Welt war. Das war schließlich sein gutes Recht. Megumi, die auf dem Platz vor Nagisa saß, drehte sich um und musterte sie besorgt. „Ist alles okay? Du siehst nicht so gut aus.“ „Geht schon“, murrte Nagisa und Matt wandte sich ab. Seine Gedanken schweiften zu Sora und er sah ihr sanftes Lächeln vor sich, erinnerte sich, wie sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn liebte, wie sie sich geküsst hatten, als er bei ihr übernachtet hatte. Könnte er ihr doch nur sagen, was er für sie empfand. Könnten sie doch nur einfach zusammen glücklich sein. Aber nein, es war zu viel passiert. Und eine gemeinsame Zukunft gab es für sie ja ohnehin nicht.   _   „Du, Mimi“, begann Izzy langsam, als sie nach der zweiten Stunde ihre Sachen zusammenpackten. „Hm?“, machte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sie immer wieder störte. „Im Computerkurs hat sich was geändert. Ein neuer Lehrer ist jetzt an der Schule, der den Computerkurs übernehmen möchte, damit ich wieder mehr Freizeit habe. Es ging echt ganz schön viel Zeit für den Kurs drauf. Und naja, jedenfalls leite ich jetzt den Kurs nicht mehr, sondern helfe eventuell nur noch ab und an.“ Sie sah ihn überrascht an. „Oh, das ist toll, Izzy. Freut mich, dass du endlich mal mehr Zeit für dich hast. Die kannst du gleich mit mir verbringen und wir können zusammen shoppen gehen. Oder wir kochen was zusammen. Oder wir quatschen einfach. Ich bin immer so ungern allein und…“ „Eigentlich wollte ich dir etwas anderes anbieten“, unterbrach Izzy sie und kratzte sich verlegen am Kopf. „Was denn?“ „Naja, falls dir das mit Tai zu viel wird – und irgendwie habe ich den Eindruck, das ist so – dann kann ich dir von jetzt an auch gern Nachhilfe geben. Natürlich nur, wenn du Lust hast.“ Stirnrunzelnd sah Mimi ihn an. „W-was? Du bietest mir Nachhilfe an?“ „Du hast mich doch zu Beginn des Schuljahres gefragt, aber da hatte ich keine Zeit. Und jetzt habe ich Zeit, also falls du Lust hast… oder noch zusätzliche Stunden brauchst…“ „Oh“, machte Mimi und verstand sein Angebot endlich. Nachhilfe bei Izzy? Das hatte sie sich zu Beginn des Schuljahres tatsächlich sehr gewünscht. Doch mittlerweile klappte es mit Tai und seiner Nachhilfe so gut, dass sie sich in Mathe tatsächlich sicherer fühlte. Und außerdem hatte die Nachhilfe mit Tai noch viele andere Vorteile: Sie konnte Zeit mit ihm verbringen. Andererseits… Sie gingen langsam mit der Schülermasse nach draußen. „Danke, das ist echt super lieb von dir“, sagte Mimi nach einer Weile und lächelte Izzy an. „Ich überleg’s mir, okay?“ „Klar, und wenn du nicht willst, ist das auch kein Problem“, erwiderte er schulterzuckend. „Du bist so süß“, meinte Mimi fröhlich und trat nach draußen in den kalten Novembervormittag. Sie konnte Tai schon von weitem sehen, wie er allein auf einer Bank saß und anscheinend schon auf sie wartete. Sie entschuldigte sich bei Izzy und trennte sich von ihm, um zu Tai zu gehen. Mit finsterem Gesicht sah er sie an, als sie sich näherte, sodass sie eine Augenbraue hob, als sie vor ihm stehen blieb. „Da bist du ja endlich“, stellte er fest. „Entschuldige, dass ich Unterricht hab‘“, erwiderte sie schnippisch. „Was wolltest du denn heute Morgen so unbedingt?“ „Was sollte das am Samstag?“, fragte er und musterte sie vorwurfsvoll. „Vor meinen Eltern.“ Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Natürlich wusste sie genau, wovon er sprach. „Davon, dass du mich geküsst hast“, knurrte er. „Jetzt tu‘ nicht so, als wäre das das erste Mal gewesen“, murrte sie verletzt. „Es war das erste Mal vor meinen Eltern. Und Matt. Und Sora. Und Matts Eltern. Also was sollte das?“, entgegnete er unerbittlich. „Erstens warst du mal wieder gemein zu mir vor allen anderen und zweitens: Bin ich dir etwa peinlich?“ Er erwiderte ihren Blick, doch wirkte nun ein wenig verunsichert. Zuerst öffnete er den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann schwieg er doch. „Tai, wir haben schon ganz andere Dinge getan, als uns zu küssen. Magst du mich etwa nur, wenn keiner dabei ist?“ „So war das doch gar nicht gemeint“, murmelte er ausweichend. „Ach nein? Wie war es denn dann gemeint?“ „Ich… keine Ahnung. Es ist doch nichts Offizielles oder so. Da muss man das doch nicht in der Öffentlichkeit herumposaunen.“ Sie presste die Lippen aufeinander. Seine Worte verletzten sie mehr, als sie zugeben würde. „Ich werde ab dieser Woche mit Izzy Nachhilfe machen.“ Überrascht hob er die Augenbrauen. „Was? Mit Izzy?“ „Er muss den Computerkurs jetzt nicht mehr leiten und hat mir angeboten, mir mit Mathe zu helfen.“ „Und was ist mit mir?“, fragte Tai verblüfft und wirkte in diesem Moment wie ein trotziges Kind, das man vergessen hatte. „Was soll mit dir sein?“, sagte sie kühl. „Naja, ich war doch die ganze Zeit dein Nachhilfelehrer. Du kannst mich doch jetzt nicht einfach so ersetzen.“ „Warum nicht? Ist doch eh nichts Offizielles.“ Sie wandte sich ab und ging zurück zu Izzy.   _   „Geht’s dir gut?“ Prüfend hob Sora eine Augenbraue und musterte Tai über den Tresen hinweg. Vor fünf Minuten war er hier aufgetaucht, hatte nichts weiter gesagt, sondern nur einen Kaffee verlangt und jetzt saß er dort auf dem Barhocker, den Kopf auf der Hand abgestützt und schlürfte seinen Kaffee. Sein Blick war geistesabwesend, doch jetzt, da Sora ihn angesprochen hatte, sah er sie an. „Hm?“ „Ob es dir gut geht“, wiederholte Sora. „Du siehst ein bisschen deprimiert aus.“ „Keine Ahnung“, brummte Tai und zuckte mit den Schultern. „Was für eine Antwort.“ „Ich glaube, ich hab‘ Mist gemacht“, meinte Tai endlich mit finsterer Miene. Sora stemmte die Hände in die Hüften und hob fragend die Augenbrauen. „Mimi hat mich abgeschossen und macht jetzt mit Izzy Nachhilfe“, erklärte er kurz angebunden. „Oh“, machte sie überrascht. „Ähm… ich wusste nicht, dass dir die Nachhilfe so viel bedeutet.“ „Tut sie ja nicht“, meinte Tai abwinkend. „Aber ich glaube, ich habe sie verletzt.“ „Was ist denn passiert?“, fragte Sora verwirrt. Seine Antwort hatte sie nicht klüger gemacht. „Ich habe sie heute früh ein bisschen dumm angemacht, weil sie mich am Samstag einfach geküsst hat. Und jetzt ist sie beleidigt, denke ich.“ „Und warum hast du sie deswegen dumm angemacht?“, hakte Sora nach und musterte ihn mit durchdringendem Blick. „Ich… naja, es muss doch nicht sein, dass sie das vor meinen Eltern macht.“ „Und warum nicht?“ Tai seufzte und nippte an seinem Kaffee. Wahrscheinlich wollte er nur Zeit schinden. Sora wusste, dass es ein paar Gäste gab, die auf ihre Bestellung warteten, doch das Gespräch mit Tai war ihr gerade wichtiger. „Wir sind halt nicht zusammen“, nuschelte Tai schließlich. Sora nickte. „Tai, ich glaube, sie ist ziemlich verknallt in dich.“ „Ja, das habe ich auch gemerkt.“ Sora legte eine Hand auf seine und sie sahen sich in die Augen. „Ich bin nicht in der Position, dir zu sagen, dass das, was du machst, falsch ist, aber ich bin mir sicher, dass du das selbst weißt. Ich schätze, sie ist ziemlich verletzt und wünscht sich, dass du etwas Festes daraus machst.“ „Aber… was Festes mit Mimi?“ Zweifelnd verzog er das Gesicht. „Mimi ist ein tolles Mädchen“, sagte Sora überzeugt. „Ich weiß, dass sie manchmal ein bisschen aufbrausend ist und es am liebsten hat, wenn alles nach ihrem Willen läuft. Aber sie ist immer ehrlich und einfach eine tolle Freundin. Sie ist immer da, wenn man sie braucht und kann unglaublich einfühlsam sein. Und sie bringt einen immer zum Lachen.“ Nachdenklich starrte Tai vor sich hin und kratzte sich am Hinterkopf. „Ach, ich weiß auch nicht.“ „Empfindest du denn irgendwas für sie?“, fragte Sora. „Keine Ahnung. Bin irgendwie verwirrt“, murrte Tai und trank den letzten Schluck seines Kaffees. „Gibst du mir noch einen?“ Sora griff nach der Kaffeekanne und schenkte ihm noch eine Tasse ein. „Bei dir läuft es ja auch nicht so rund, oder?“, meinte er nun und sah sie wieder an. „Jetzt wird Matt vielleicht auch noch Vater.“ Bedrückt presste sie die Lippen aufeinander. Immer, wenn sie an Matt dachte, was ziemlich häufig vorkam, wurde sie traurig. Dass er vielleicht ein Kind mit dieser Nagisa bekam, setzte der ganzen Situation noch die Krone auf. „Sora? Die Gäste da hinten haben gerade gefragt, wo ihre Bestellung bleibt.“ Nami warf ihr einen strengen Blick zu. „Oh, ich geh‘ schon.“   _   Tai hatte keine zehn Sekunden allein am Tresen gesessen, als plötzlich Joe neben ihm auftauchte. „Nanu, du bist auch hier?“, begrüßte Joe ihn grinsend. „Das ist ja eine nette Überraschung. Lange nicht mehr gesehen.“ „Ja, hi. Alles klar bei dir?“ „Ja, passt schon. Die Uni ist gerade ein bisschen stressig, aber es läuft ganz gut“, erzählte Joe und wirkte ausgesprochen gut gelaunt. „Und bei dir?“ „Joa, alles okay“, meinte Tai und merkte selbst, wie wenig überzeugend das klang. „Hey, Joe!“ Nami erschien bei ihnen, schlang die Arme um ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Tai knabberte auf seiner Unterlippe herum, während er die beiden beobachtete. Sie führten ein kurzes Gespräch miteinander, in dem es um den Einkauf für das gemeinsame Abendessen ging. Etwas so Alltägliches und doch so Schönes. Die Gesichter der beiden strahlten so vor gemeinsamem Liebesglück, dass Tai fast schlecht wurde, wenn er sie sah. In diesem Augenblick kam Sora mit einer Ladung schmutzigem Geschirr zurück hinter den Tresen. „Wann kommst du heute nach Hause?“, fragte Joe gerade an Nami gewandt. „Ich denke mal gegen zehn“, antwortete Nami. „Schon wieder so spät? Ich dachte, wir könnten noch einen Film zusammen gucken“, jammerte Joe und machte ein enttäuschtes Gesicht. „Morgen, okay? Morgen können wir auch gemeinsam ausschlafen“, erwiderte Nami fröhlich. „Hm, das klingt gut“, meinte Joe lächelnd und küsste sie auf die Stirn. Tai fing Soras vielsagenden Blick auf. Er war sich sicher, dass sie beide das Gleiche dachten. Natürlich gönnten sie beide Joe sein Glück. Er schien gerade ein perfektes Leben zu führen, das er absolut verdient hatte. Aber trotzdem musste Tai sich eingestehen, dass er ein wenig neidisch war. Er musste diese Situation mit Mimi irgendwie klären, aber das ging wohl erst, wenn er sich sicher war, was er eigentlich wollte. Er spürte, dass es ihm nicht passte, dass Mimi jetzt mit Izzy Nachhilfe machte. Die beiden hatten ohnehin schon ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Immerhin gingen sie ja auch in die selbe Klasse. Vielleicht verliebte sie sich ja in Izzy?   _   „Also, worüber singen wir?“, fragte Mimi und sah Matt erwartungsvoll an. Sie wirkte voller Tatendrang, während Matt überhaupt keine Lust hatte, mit ihr zusammen ein Lied zu schreiben. Doch sie saßen hier bei ihm zu Hause und sie würde wohl erst wieder gehen, wenn wenigstens ein Anfang gemacht war. Seine eigene Band war ihm in den Rücken gefallen. Publicity. Werbung. Gerüchteküche um Matts Liebesleben. „Ich werde keinen Taylor-Swift-Song schreiben“, grummelte er. „Hab‘ ich ja auch gar nicht gesagt. Ich hätte gern was Rockiges. Mit Headbang und so.“ „Was Rockiges.“ Mimi nickte eifrig. „Mit Headbang.“ „Ja, das wäre echt cool.“ Matt rieb sich die Stirn und sah sie an. „Du hast deine eigene Stimme noch nie gehört, oder?“ „Was hat das denn damit zu tun?“, fragte Mimi verwirrt. „Alles. Du hast eine Popstimme. Ne richtige Mädchenstimme. High School Musical würde perfekt passen.“ Beleidigt verschränkte Mimi die Arme vor der Brust und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Bitteschön, dann singen wir halt High School Musical. Aber nicht Breaking Free. Ich hasse das Lied.“ „Eher schneide ich mir selbst die Zunge raus, als dass ich ein Lied aus High School Musical singe.“ „Hast du den Film überhaupt gesehen?“, fragte Mimi und hob missbilligend eine Augenbraue. „Nein und ich habe es auch nicht vor“, erwiderte Matt trocken. „Du solltest ihn dir mal ansehen. Er ist eigentlich echt schön.“ „Können wir aufhören, über den Film zu reden und uns lieber dem Liedtext widmen? Wir wollten selbst etwas schreiben, oder hast du das schon wieder vergessen?“, lenkte Matt wieder auf das eigentliche Thema zurück. „Wir haben zwar noch ein bisschen Zeit bis zum Weihnachtskonzert, aber bis dahin müssen wir dich auch noch bühnentauglich kriegen.“ „Ja, schon gut. Ähm…“, sie schien nachzudenken, „worüber könnten wir denn singen?“ „In Popsongs geht es meistens um Liebe oder darum, dass irgendjemand angeschmachtet wird. Fällt dir dazu was ein?“ „Hm.“ Sie kratzte sich am Kinn und verengte die Augen zu Schlitzen. „Wir sollten über etwas singen, was zu uns passt, oder?“ „Jap. Das macht die Sache zumindest einfacher und glaubwürdiger.“ „Hm“, wiederholte sie. „Gibt es etwas, das uns verbindet?“ „Ich werde nicht über verflossene Affären singen.“ „Wäre doch witzig!“, fand Mimi grinsend. „Und es würde auf jeden Fall die Gerüchteküche anheizen.“ „Ja, ganz toll“, zischte Matt. „Na schön, dann… hm… Pech in der Liebe?“ Matt dachte einen Augenblick nach. Ja, Pech in der Liebe. Das war wohl etwas, das sie beide verband. Pech in der Liebe, weil sie andauernd Mist bauten. „Ja, vielleicht unerfüllte Liebe oder so. Beziehungsunfähigkeit.“ „Oder über die Personen, die so etwas mit einem machen. Die einen verändern“, überlegte Mimi weiter. „Ja. Hm. Da könnte man ansetzen.“ „Lass‘ uns doch erst mal ein paar Wörter aufschreiben, die zu dem Thema passen. Vielleicht fällt uns dann schon was Genaueres ein“, schlug Mimi vor und deutete auf den Notizblock auf Matts Schoß. „Na schön. Also, was fällt dir ein, wenn du an unerfüllte Liebe, Beziehungsunfähigkeit und Tai denkst?“   _   Ein Niesen riss Tai aus seinen Gedanken. Er rieb sich die Nase und sah von seinem Mathehefter auf. Er hatte in der letzten halben Stunde versucht, eine Mathehausaufgabe zu erledigen und dabei nahezu ununterbrochen an Mimi gedacht. Wie viele Stunden hatte er eigentlich versucht, ihr das beizubringen, was sie im Unterricht nicht verstanden hatte? Wie viele Nerven hatte ihn das gekostet? Wie oft hätte er ihr gern gesagt, dass sie einfach zu dumm war und das keinen Sinn hatte? Wie stolz war er auf sich gewesen, als sie plötzlich Fortschritte erzielt hatte? Und jetzt hatte sie ihn ausgetauscht. Und er hatte keine Ahnung, was er für sie empfand. Wie sollte er das herausfinden? Er hatte ja schon alles mit ihr gemacht, das ihm dabei helfen konnte, das herauszufinden: Zeit mit ihr verbracht, mit ihr geredet, sie geküsst, mit ihr geschlafen. Wenn er sich bis jetzt nicht sicher war, bedeutete das, dass er nichts für sie empfand? Tai steckte die Kappe zurück auf seinen Stift und stand auf. Er würde zu Matt gehen und mit ihm reden. Vielleicht konnte er ihm ja weiterhelfen. Immerhin hatte auch er schon einige Stunden mit Mimi verbracht und er kannte ihn. Vielleicht konnte er ihm ja sagen, was er tun sollte.   _   „All I wanna be, all I ever wanna be is somebody to you. Everybody’s trying to be a millionaire but everytime I look at you I just don’t care ‘cause all I wanna be, all I ever wanna be is somebody to you.” Mimis Stimme verstummte und Matt ließ die letzten Töne seiner Gitarre ausklingen. Grinsend sahen sie sich an. „Wir haben den Refrain“, verkündete Matt und stellte die Gitarre beiseite. „Wir sind so gut“, triumphierte Mimi. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass wir heute so weit kommen“, stimmte Matt ihr zu. „Ich auch nicht. Man kann mit dir ja besser arbeiten, als erwartet.“ „Danke, ebenso.“ Einen Augenblick schwiegen sie und Mimi nippte an ihrem Wasser. „Sag‘ mal, wie läuft es jetzt eigentlich mit Tai?“, fragte Matt beiläufig. Sie verschluckte sich fast an ihrem Wasser und starrte ihn mit großen Augen an. Perplex erwiderte er ihren Blick. „Was?“ „Yamato Ishida interessiert sich für mich und mein Wohlergehen?“, fragte sie verständnislos. „Jetzt mach‘ kein Fass auf deswegen“, erwiderte Matt genervt und bereute schon wieder, dass er sie gefragt hatte. Sie rutschte näher an ihn heran und klimperte mit den Wimpern. „Könnte es sein, dass du mich magst?“ „Mimi“, seufzte er. „Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht mag, oder?“ „Das nicht, aber du handelst nicht gerade so, als wäre ich deine beste Freundin. Immer bist du nur genervt, wenn ich dich anspreche oder mich mit dir treffen möchte. Deswegen überrascht es mich, dass du dich jetzt für mich interessierst.“ Ihre Augen leuchteten. Matt verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Wie läuft es denn nun mit Tai?“ „Oh ähm… ich glaube, das hat sich erledigt. Ich finde, ich habe es nicht verdient, dass man mich nur küsst, wenn keiner dabei ist. Er kann mir gestohlen bleiben.“ Matt beobachtete sie von der Seite. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Blick betrübt aber auch überzeugt. „Also ist es endgültig vorbei?“, hakte er nach. „Ja. Ich finde jemand Besseren. Das wird schon. Ich mache jetzt auch mit Izzy Nachhilfe und nicht mehr mit Tai.“ „Tut mir leid“, meinte Matt ernst und strich ihr über den Rücken. Argwöhnisch musterte sie ihn. „Was wird das? Willst du mir an die Wäsche? Ist das deine neue Anmache?“ Er lachte leise. „Ich habe es gar nicht nötig, Mädchen anzumachen. Die kommen von ganz allein.“ „Manchmal bist du so selbstverliebt, dass ich kotzen möchte“, entgegnete Mimi falsch lächelnd. „Genau wie du.“ Einen Augenblick sahen sie sich an. Wieder einmal war Matt verblüfft davon, wie viele Gemeinsamkeiten sie hatten, obwohl sie andererseits so unterschiedlich waren. „Was macht deine Hand da?“, fragte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Seine Hand war ihren Rücken heruntergetuscht und spielte am Saum ihres Pullis. Er beugte sich näher zu ihr und begann, ihre Schulter zu küssen. „Matt, was zum…“, begann sie, bewegte sich jedoch nicht. Seine Hand wanderte wieder nach oben und zog ihr Oberteil an der Schulter ein Stück herunter, sodass er noch ein wenig mehr Haut freilegte. Er konnte nicht erklären, was in ihm vorging. Vielleicht lag es an den unterdrückten Sehnsüchten, die sich tief in seinem Inneren verbargen, wenn auch nicht Mimi gegenüber. Vielleicht war es die Tatsache, dass es mit Mimi so unkompliziert war und sie das Gleiche für ihn empfand wie er für sie. Vielleicht war es auch einfach nur seine untere Körperregion, die sein Gehirn abgelöst hatte. „Was tust du?“, fragte Mimi leise. Sie lehnte den Kopf ein wenig zur Seite, um ihm mehr Freiraum an ihrem Hals zu geben. „Keine Ahnung“, murmelte er, strich ihr mit einer Hand die Haare über die Schultern und hauchte Küsse auf ihren Hals. Seine andere Hand schob sich unter ihren Pulli und berührte ihre Brüste. „Wir sollten das nicht tun“, nuschelte Mimi schwach, doch anscheinend brannte auch in ihr eine Sehnsucht. „Was ist falsch daran?“, flüsterte er gegen ihren Hals. Sie packte ihn am Kragen seines Hemds – sie trugen beide noch immer ihre Schuluniformen – und schob ihn von sich. „Tut mir leid, wir sollten das echt nicht…“ „Mach‘ Musik an“, verlangte sie mit glühendem Blick. „Ich will mich nicht zurückhalten und ich will nicht, dass uns jemand hört.“ Matt grinste. Genauso wollte er sie: hemmungslos, kopflos, herzlos. Er stand auf, suchte schnell Musik auf seinem Laptop heraus und drehte die Lautstärke hoch. Gleichzeitig begann er, sein Hemd aufzuknöpfen und drehte sich zu Mimi um. Diese saß auf seinem Bett und sah ihn ungeduldig an. „Offspring also?“ „Du wolltest doch was Lautes.“ Sie lächelte. „Gute Wahl.“ Und so rissen sie sich zu Self-Esteem gegenseitig die Klamotten vom Leib. Gierig glitten seine Hände über ihren Körper und er knabberte etwas zu unsanft an ihren Brustwarzen. Sie hingegen wandte sich seinem besten Stück zu, wollte ihn bereit machen, doch das war gar nicht nötig. Zu Gonna go far kid stieß er sich schließlich in sie und entlockte ihr ein erregtes Stöhnen. Ihre Beine waren um seine Hüften geschlungen und pressten ihn fester an sich, spornten ihn zusätzlich an. Er war froh, dass die Musik so laut war, denn sie gab sich tatsächlich wenig Mühe, sich zurückzuhalten. Lustvoll krallten sich ihre Hände in das Kissen unter ihrem Kopf. Ihre Augen waren geschlossen. Sie schien nicht einmal daran zu denken, ihn anzusehen. Konnte ihm auch egal sein. Zu Spare me the details setzte Mimi sich auf, drehte sich mit ihm herum und saß nun auf ihm, ließ ihre Hüften kreisen und warf den Kopf in den Nacken. Matt mochte diese Stellung. Er mochte es, wie ihre Brüste sich bewegten. Er dachte nicht mehr daran, dass es falsch sein könnte, was sie hier taten. Im Gegenteil: Es schien irgendwie das einzig Vernünftige. „Alter?! Ist das euer Ernst?!“ Mimi sprang förmlich von ihm herunter und zog die Bettdecke über sich. Matt setzte sich auf und bedeckte seine Blöße ebenfalls mit der Decke. „Das könnt ihr euch sparen. Ich weiß, wie ihr nackt ausseht“, fauchte Tai, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Kannst du mal abhauen, bitte?“, rief Mimi schrill. „Nö. Erst dürft ihr mir erklären, was das hier soll. Vor allem du. Erst so ein Drama in der Schule machen, weil ich nicht in der Öffentlichkeit mit dir rumknutschen will und jetzt ziehst du sowas hier ab?“, entgegnete er. „Tai, es war meine Schuld. Ich hab‘ angefangen“, kam Matt Mimi zu Hilfe. „Kommt mir nicht damit. Dazu gehören zwei“, erwiderte Tai grimmig. „Was ist denn das hier für ein Krach?“ Hiroaki erschien hinter Tai, spähte ins Zimmer und riss die Augen auf. „Um Himmels willen…“ Er verdrehte die Augen, drehte sich um und ging wieder. „Oh Gott“, murmelte Mimi und vergrub beschämt das Gesicht in den Händen. „Also los, ich warte. Sobald du es mir erklärt hast, geh‘ ich und ihr könnt in Ruhe weiterficken“, fauchte Tai und musterte sie feindselig. „Tai, was soll das?“, fuhr Matt ihn an. „Was willst du jetzt hören?“ „Ich will einfach nur wissen, was ihr beschissenes Verhalten soll! Erst einen auf Dramaqueen machen und dann das hier. Meinst du überhaupt, was du sagst?“, entgegnete Tai wütend. „Wie kannst du sowas sagen?“, rief Mimi und Matt konnte hören, wie verletzt sie war. „Wie kannst du mir so einen bescheuerten Korb geben und mir hinterher vorwerfen, was ich mit anderen mache? Das geht dich hier einen Scheiß an, Yagami! Du hast kein Recht, mich deswegen so anzufahren! Und jetzt mach‘, dass du wegkommst!“ Einen Augenblick lang starrte Tai abwechselnd zwischen Mimi und Matt, der schwieg, hin und her, bevor er sich umdrehte und davonlief. Sprachlos sahen Matt und Mimi sich an. Kapitel 44: You make me wanna ----------------------------- Montag, 27. November 2006   Angespannt kaute Tai auf seiner Unterlippe herum, während er an den Schließfächern lehnte und auf Mimi wartete. Die ganze Woche war ihm die Sache zwischen Matt und Mimi nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hätte explodieren können, als er die beiden zusammen gesehen hatte. Wie konnten sie diese hirnrissige Affäre nach allem, was passiert war, noch fortsetzen? Und was dachte sich Mimi überhaupt dabei? Immer wieder behauptete sie, sie hätte sich in ihn verliebt, doch dann trieb sie es schon wieder mit Matt. Agierte so jemand, der verliebt war? Und wieso überhaupt immer Matt? Im Laufe der Woche hatte Tai sich jedoch einigermaßen beruhigt. Zumindest stand er nicht mehr kurz vor der Detonation. Dennoch beschäftigte ihn die Sache mehr, als sie sollte. Einmal hatte er sogar von Matt und Mimi geträumt. In seinem Traum hatte er die beiden dabei beobachtet, wie sie gemeinsam Matheaufgaben geübt hatten. Dann war Izzy dazu gekommen, um Matt zu zeigen, wie es richtig ging, doch auch er hatte es falsch gemacht. Tai hatte dazwischengehen und Mimi den richtigen Lösungsweg erklären wollen, doch sie hatte ihn weggeschickt, weil sie mit Matt und Izzy schlafen wollte. Fassungslos war Tai aufgewacht und hatte beschlossen, dass er diese Sache schnellstmöglich klären musste. Am Wochenende hatte er viel Zeit mit Sora verbracht und mit ihr über Mimi und auch Matt geredet. Dass die beiden schon wieder etwas miteinander hatten, hatte er ihr allerdings verschwiegen. Das musste sie nicht wissen. Er wollte sie nicht wieder unnötig belasten, wo es ihr doch gerade besser ging und sie endlich wieder gesünder aussah. Auch mit Matt hatte er am Wochenende gesprochen. Er hatte ihm erklärt, dass es keinerlei Bedeutung hatte und von ihm ausgegangen war. Tai war nicht wirklich sauer auf ihn, doch trotzdem hatte er ein seltsames Gefühl in der Magengegend, wenn er Matt sah. Endlich kamen Mimi und Izzy angeschlendert und blieben vor ihren Schließfächern stehen. Tai fiel sofort auf, dass Mimi ihre Haare abgeschnitten hatte. Zuvor hatten sie ihr bis über die Brust gereicht, doch nun waren sie nur noch schulterlang und auch die pinken Spitzen waren weg. „Hallo, Tai“, begrüßte Izzy ihn, während Mimi ihm nur einen kurzen, ausdruckslosen Blick zuwarf. „Morgen“, murmelte Tai, nicht wissend, wie er Mimi auf sein Anliegen ansprechen sollte. Immerhin war es etwas, womit sie sehr wahrscheinlich nicht rechnete. Er plauderte kurz mit Izzy über das vergangene Wochenende, dann wollten die beiden sich auf den Weg zu ihrem Unterrichtsraum machen. Tai räusperte sich. „Mimi?“ Sie und Izzy drehten sich wieder um. Izzy sah ihn neugierig an, Mimi eher grimmig. „Kann ich… kann ich dich kurz sprechen?“ Sie tauschten einen kurzen Blick, dann ging Izzy weiter zum Klassenraum, während Mimi vor Tai stehen blieb und abwehrend die Arme vor der Brust verschränkte. „Na Tai, was willst du mir heute vorwerfen? Habe ich dich angesehen, während ich mit Matt gesprochen habe?“ Ihr Tonfall triefte nur so vor Sarkasmus. „Lass‘ uns am Wochenende was trinken gehen“, sagte er, ohne auf ihre Worte einzugehen. Irritiert runzelte sie die Stirn. „Was?“ „Wochenende. Was trinken gehen. Hast du Zeit?“ Einen Augenblick lang musterte sie Tai mit einem Blick, den er nicht deuten konnte. Dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Ja, ich habe Zeit. Aber nein, danke. Frag‘ jemand anderen.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte los. Perplex starrte Tai ihren Hinterkopf an, dann setzte er ihr nach, griff nach ihrem Handgelenk und zwang sie dazu, sich umzudrehen. „Hey!“, rief Mimi und riss sich von ihm los. „Wieso nicht?“, fragte Tai gereizt. „Ist die Frage ernst gemeint?“, fragte sie entgeistert. „Denk‘ doch mal an die letzte Zeit zurück. Vielleicht kommst du dann von selbst auf die Antwort.“ „In der letzten Zeit hast du mir eindeutig gezeigt, dass du was für mich empfindest oder so! Warum weist du mich jetzt ab?“ Ungläubig schüttelte Mimi den Kopf und strich sich die Haare hinter die Ohren. „Glaubst du, du brauchst nur mit den Fingern zu schnippen und schon tanze ich nach deiner Pfeife? Du hast mir klargemacht, dass das für dich sowieso nichts Ernstes war und dann benimmst du dich wie der letzte Trottel, weil ich mit Matt schlafe, obwohl es dich überhaupt nichts angeht. Ich lasse mich doch nicht von dir verarschen, Tai!“ Und dann war das Thema für sie gegessen. Sie drehte sich um und ging endgültig davon und ließ Tai wie einen begossenen Pudel stehen.   _   Als Mimi sich von ihm abwandte, um in ihren Klassenraum zu gehen, konnte sie ihre Gesichtszüge nicht mehr unter Kontrolle halten. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Taichi Yagami hatte sie gerade tatsächlich nach einem Date gefragt! Er wollte mit ihr ausgehen! Innerlich hatte sie einen Luftsprung gemacht. Mit so einer Aktion hatte sie vor allem nach der vergangenen Woche nicht gerechnet. Sie hatte erwartet, dass sie bis zu ihrer Abreise wohl kaum noch ein Wort miteinander reden würden, hatte sich schon damit abgefunden, dass er sie einfach nicht wollte. Und jetzt? Und dennoch wollte sie es ihm nicht so leicht machen. Er war ein Arsch gewesen und hatte sie mit seinem dämlichen Verhalten mehr als nur einmal verletzt. Er hatte sie dazu gebracht, mit ihr zu schlafen, obwohl er schon gewusst hatte, was sie für ihn empfand. Nie hatte er ihr sagen können, ob der Sex mit ihr ihm etwas bedeutete und ihr trotzdem eine Szene gemacht, als sie mit Matt geschlafen hatte. Nein, eigentlich hatte er es überhaupt nicht verdient, dass sie ihn auch nur ansah. Wie würde es denn aussehen, wenn sie sich jetzt von ihm bei der Frage nach einem einfachen Date einfach so um den Finger wickeln ließ? Sie war doch kein leicht zu habendes Mädchen. Nein, sie hatte ihren Stolz. Und Tai würde sich schon etwas einfallen lassen müssen, um sie zu überzeugen, mit ihm auszugehen. „Warum strahlst du denn so?“, fragte Izzy, als Mimi sich auf ihren Platz neben ihn setzte, und musterte sie argwöhnisch. Anscheinend hatte auch er nicht mit netten Worten von Tai gerechnet. „Er hat mich nach einem Date gefragt“, berichtete Mimi lächelnd. „Aber ich habe nein gesagt.“ „Was?“ Verständnislos sah er sie an. „Wieso? Ich dachte, du wärst…“ „Weil ich mich nicht herumschubsen lasse, Izzy“, erklärte sie bestimmt. „Er muss es sich erst mal verdienen, dass ich Zeit mit ihm verbringe nach allem, was passiert ist.“ „Das heißt… du würdest schon gern mit ihm ausgehen, aber tust es trotzdem nicht?“, hakte Izzy nach. „Genau.“ Er blinzelte ein paar mal, dann seufzte er und stützte den Kopf auf den Händen auf. „Klingt total seltsam. Und ich verstehe es irgendwie nicht so ganz.“ „Das musst du auch nicht“, meinte Mimi und tätschelte ihm die Schulter.   _   „Sag‘ mal, kann ich dich mal was fragen?“, fragte Tai zögerlich. „Klar“, meinte Sora verwundert. Sie befanden sich gemeinsam auf dem Weg nach Hause. Sie hatten heute beide einen freien Nachmittag und wollten ihn gemeinsam bei Sora zu Hause verbringen. Das hatten sie schon lange nicht mehr getan, einfach so als Freunde. „Ich ähm… ich habe Mimi nach einem Date gefragt. Für Samstag. Aber sie hat mich total abblitzen lassen. Ich verstehe das nicht. Ich dachte, sie wäre verknallt in mich“, erzählte Tai. „Oh, echt? Sie hat nicht zugesagt?“, fragte Sora verwundert. „Ich war auch überrascht. Hätte nie damit gerechnet, dass sie absagt.“ „Vielleicht hat sie dich einfach aufgegeben nach der ganzen Zeit. Oder sie ist noch sauer auf dich. Aber was ist denn mit dir auf einmal los? Ich dachte, du wärst nicht interessiert an ihr auf diese Weise.“ Sie musterte ihn neugierig von der Seite. Das Blatt schien sich nun doch noch gewendet zu haben, nachdem Tai letzte Woche von einer Beziehung mit Mimi noch nicht so begeistert gewesen war. „Ich weiß auch nicht so genau. Ich glaube, ich bin eifersüchtig wegen ihr. Auf… auf Izzy. Mit dem versteht sie sich so gut und die wirken so vertraut und jetzt hilft er ihr auch noch in Mathe“, erklärte Tai und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Auf Izzy?“, fragte Sora irritiert. Matt hatte mit Mimi geschlafen und sie hatten das sogar in einem Video gesehen! „Die sind doch offensichtlich nur gute Freunde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da einen Grund gäbe, eifersüchtig zu sein.“ „Ja, ich… also… naja“, stammelte er und schüttelte den Kopf. Sora war verwirrt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihm lag etwas auf der Zunge, was er nicht erzählen wollte. „Ist alles okay?“ „Jaja, klar.“ Sie kamen bei ihr an, sie schloss die Tür auf und sie betraten die Wohnung der Takenouchis. Die Taschen ließen sie achtlos im Flur fallen und gingen direkt weiter in die Küche, um sich einen Snack zu machen. „Sag‘ mal… ist es eigentlich komisch für dich, wenn ich mit dir über Mimi rede?“, fragte Tai. „Also, wenn ich mit dir auf diese Weise über Mimi rede?“ Sora zögerte. Sie kramte Toastbrot aus einem Schrank und Sandwichbelag aus dem Kühlschrank hervor, während Tai Teller und Messer holte. „Also ehrlich gesagt irgendwie schon. Immerhin waren wir auch mal ein Paar. Mehr oder weniger“, murmelte sie nach einer Weile, ohne ihn anzusehen. „Ich weiß.“ Er seufzte und ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen. „Oh Mann, schon in Ordnung. Ich werde dich mit dem Thema in Ruhe lassen.“ „Nein“, erwiderte Sora und nahm ihm gegenüber Platz. Fragend sah er sie an, während sie ihm Brotscheiben reichte. „Ehrlich gesagt bin ich froh, dass du mit mir über sowas reden kannst. Es hat echt wehgetan, nicht mehr mit dir über alles reden zu können. Du bist einfach mein bester Freund. Daran hat sich trotz allem nichts geändert.“ Ihre Blicke begegneten sich und sie lächelte. Er nickte und lächelte zurück. „Mir hat das auch gefehlt.“ „Ach, was ich noch sagen wollte“, begann sie und machte ein wissendes Gesicht, „wenn du ein Date mit Mimi willst, solltest du dir etwas Besonderes einfallen lassen.“ Verwirrt über den Themenwechsel brauchte er eine Weile, um zu antworten. „Was Besonderes? Was soll ich denn machen? Ihr was vorsingen?“   Mittwoch, 29. November 2006   Gemeinsam mit Mimi näherte Izzy sich an diesem kalten Mittwochmorgen dem Schulgebäude. „Also wann willst du heute bei mir sein? Meine Mutter hat gesagt, du bist herzlich zum Abendessen eingeladen“, fragte Mimi und rieb ihre kalten Hände aneinander. „Hm keine Ahnung… wie wäre es mit um fünf?“, schlug Izzy vor. Heute würde er Mimi das erste Mal Nachhilfe geben. Er war schon ziemlich gespannt, wie das ablaufen würde. Er hoffte inständig, ihr wenigstens genauso gut helfen zu können wie Tai, der es anscheinend geschafft hatte, ihr einiges beizubringen. „Ja, ich glaube, das passt gut“, meinte sie. „Mann, meine Mutter liebt dich total und mein Vater findet dich auch in Ordnung. Du kannst echt stolz auf dich sein, von Tai haben sie nie so geredet“, erzählte sie, während sie gemeinsam mit anderen Schülern das Schulgebäude betraten. Verlegen kratzte Izzy sich am Kopf. Irgendwie schmeichelte es ihm, dass Mimis Eltern ihn so gern mochten. „Ich bin schon ganz gespannt auf das Abendessen.“ „Ach, erwarte nicht zu viel. In letzter Zeit ist meine Mutter ein bisschen…“ „To start it off I know you know me. To come to think of it, it was only last week.“ Wie angewurzelt war Mimi stehen geblieben, ebenso wie Izzy. Kaum dass sie das Foyer des Gebäudes betreten hatten, war Tai vor sie gesprungen und hatte sie nicht nur mit seiner plötzlichen Erscheinung, sondern auch mit seinem gehörschädigenden Gesang zum Stehenbleiben gezwungen. Izzy war vor Überraschung die Kinnlade heruntergeklappt, während Mimi Tai mit großen Augen anstarrte. „That I had a dream about us, oh, That’s why I’m here, I’m writing this song.” Nicht nur Mimi und Izzy starrten ihn in einer Mischung aus Verwirrung und Entsetzen an, sondern auch viele andere Schüler hatten sich im Foyer versammelt und beobachteten teils neugierig, teils verstört das Geschehen. „To tell the truth, you know I’ve been hurting all along, Someway let me know, you want me, girl.” Mimi schien sich aus ihrer Starre zu lösen und versuchte, an Tai vorbeizuhuschen, doch er sprang ihr erneut in den Weg. „Tai, was zum…“ „Everytime you see me, what do you see? I feel like I’m a poor man and you are the queen, Oh baby, you’re the only thing that I really need, And baby, that’s why…” Auch Davis, T.K. und Kari waren inzwischen im Foyer erschienen und mitten in der Schülermenge stehen geblieben. Davis’ Blick war belustigt. Er schien sich das Lachen zu verkneifen, während T.K. eher verstört wirkte. Kari sah sehr blass aus und versteckte sich hinter T.K. Das Foyer wurde immer voller. Einige Schüler beobachteten Tai lachend, andere wirkten angewidert und wieder andere vollkommen planlos. „You make me wanna call you in the middle of the night, You make me wanna hold you till the morning light, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” „Oh Gott“, hörte Izzy Mimi murmeln. Ihr Gesicht war knallrot angelaufen. Tai hingegen hatte begonnen, seinen Gesang mit einem seltsamen Tanz zu untermauern und die ganze Aktion noch lächerlicher aussehen zu lassen. Vorsichtig trat Izzy endlich einige Schritte zur Seite, um sich von ihm zu entfernen. In einer Ecke entdeckte er auch Matt und Sora. Sora hatte die Lippen fest aufeinander gepresst und sah aus, als versuchte sie angestrengt, nicht zu lachen. Matt hingegen hatte nur eine Augenbraue in die Höhe gezogen und seine Lippen umspielte ein kaum merkliches Grinsen. „I know this is a feeling that I just can’t fight, You’re the first and last thing on my mind, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Einige Mädchen hatten lachend den Refrain mitgesungen und im Rhythmus geklatscht. Izzy fing Mimis schockierten Blick auf. Ihr Gesicht war inzwischen dunkelrot. „Was hab‘ ich denn bitte verpasst?“ Yolei war an Izzys anderer Seite aufgetaucht und starrte ihn entgeistert an, mit einem Daumen auf Tai deutend. „I’ll take you home really quick, Sit you down on the couch, Pour some Don Perignon and hit the lights out, Baby, we can make sweet love.” „Izzy, bitte erschieß’ mich auf der Stelle.“ Mimi war wieder näher an Izzy herangerückt und hatte seinen Unterarm umklammert. Schmerzhaft bohrten sich ihre Fingernägel in seine Haut. Tai war Mimi nachgerückt und sang leidenschaftlich weiter. „Then we’ll take it nice and slow, Gonna touch you like you’ve never known before, We’re gonna make love all night.” Izzy hörte Mimi leise wimmern, während nun mehr Schüler anfingen zu lachen. „Ich glaube, ich bin im falschen Film“, kommentierte Yolei das Geschehen und schüttelte wild den Kopf. „Ist das wirklich Tai?“ „You make me wanna call you in the middle of the night, You make me wanna hold you till the morning light, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Inzwischen hatten sich auch einige neugierige Lehrer im Foyer versammelt und beobachteten Tai mit einer Mischung aus Belustigung und Verwirrung. Wollte denn niemand eingreifen und dieses Schauspiel beenden? Doch es hatte noch nicht zum Unterricht geklingelt. Bis dahin würden die Lehrer wohl nichts sagen. „I know this is a feeling that I just can’t fight, You’re the first and last thing on my mind, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Die letzten beiden Zeilen hatte Tai mit besonders großer Leidenschaft gesungen und ließ den letzten Ton langsam verklingen, bevor er seinen Auftritt beendete. Die Schülermenge in der Lobby brach teilweise in Gelächter und teilweise in Beifallsstürme aus. „Bist du völlig irre?!“, zischte Mimi, noch immer dunkelrot im Gesicht. Selbst auf ihrem Hals befanden sich inzwischen rote Flecken. „Was soll das?!“ Tai grinste breit und zuckte mit den Schultern. „Du hast dich darüber aufgeregt, dass ich dich nur mag, wenn keiner hinsieht. Jetzt haben alle hingesehen und jeder weiß es.“ Die anderen Schüler hatten sich wieder beruhigt und die Lehrer hatten damit begonnen, sie in ihre Klassenräume zu scheuchen. Inzwischen hatte es zum Unterricht geklingelt. Dennoch blieben einige stehen, um neugierig das Gespräch zwischen Tai und Mimi zu verfolgen und herauszufinden, was der Anlass für diese spontane Darbietung nicht vorhandener Gesangskunst war. „Aber… ich… so hab‘ ich das doch gar nicht gemeint!“, rief Mimi hilflos. „Aber ich!“, erwiderte Tai und sah sie eindringlich an. „Mimi, ich bin mir endlich sicher. Lass‘ uns am Samstag was unternehmen.“ „Oh Gott, nein!“ Sie drängte sich an ihm vorbei und lief einfach davon.   _   Schon seit fünf Minuten bekam Davis sich vor lauter Lachen nicht mehr ein. Erst jetzt, da sie noch mit Matt, Sora, Tai und Yolei zusammen im Foyer standen, beruhigte er sich langsam wieder. Kari hingegen schämte sich in Grund und Boden für ihren Bruder. Ihr war kein bisschen nach Lachen zumute. „Wenigstens ist es diesmal nicht mein Bruder, der sich vor der gesamten Schule blamiert“, hatte T.K. ihr während Tais Auftritt zugeraunt. „Danke, Blödmann“, hatte Kari genervt erwidert. „Was starrt ihr mich so an?“, fuhr Tai die Gruppe an, die sich bei ihm versammelt hatte. Ein kurzes Zögern, dann brachen alle bis auf Kari in Gelächter aus. „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde“, grummelte Tai. „Ich wusste gar nicht, dass du Mimi so sehr hasst, dass du ihr was vorsingst“, witzelte Davis und klopfte ihm auf die Schulter. „Also ich finde, es war eine süße Idee“, mischte Sora sich ein und ihre Wangen färbten sich hellrot. „Wenn man auf Demütigungen steht vielleicht“, lachte Davis. „Ich ändere meinen Nachnamen“, warf Kari ein. „Ich möchte nicht, dass man uns miteinander in Verbindung bringt.“ „Wie man es macht, es ist immer falsch!“, rief Tai wütend und warf die Arme in die Luft. Er drehte sich um und stapfte davon, während er weiter vor sich hin schimpfte. „Dämliche Weiber. Wissen doch alle selbst nicht, was sie wollen. Immer der gleiche Ärger mit denen. Kein Bock mehr auf die Scheiße. Diese blöde…“ „Hat er etwa gar nicht gesungen, um Mimi zu ärgern?“, fragte Davis, der ihm verdutzt hinterhersah. „Ach du meine Güte!“, rief Yolei überrascht. „Das war also ernst gemeint! Dann ist es tatsächlich irgendwie süß. Und traurig. Aber auch süß. Ich muss dann, Leute.“ Sie grinste in die Runde und stürmte ebenfalls davon. „Kann man Verwandtschaft auflösen?“, fragte Kari deprimiert. „Hm, irgendwie hätte ich gedacht, Mimi würde das überzeugen“, meinte Sora mit besorgter Miene. Überrascht sah Matt sie an. „Mimi? Die Sturheit in Person? Überzeugen? Warte mal…“ Er hob eine Augenbraue und lächelte schief. „War das etwa deine Idee mit dem Lied?“ Auch T.K. und Kari musterten Sora nun verwirrt. „Ähm… naja… eigentlich war es seine gewesen, wenn auch nicht ernst gemeint. Ich habe ihn dann überredet, es doch zu machen. Er will sie unbedingt überreden, mit ihm auszugehen, auch wenn sie sich quer stellt. Ich dachte, das hier könnte sie umstimmen, weil es ihr doch darum ging, dass er vor anderen nie zu ihr steht“, stammelte Sora und spielte mit ein paar Strähnen ihres flammendroten Haars. „Du hast ihn überredet, vor der ganzen Schule für sie zu singen?“, fragte T.K. verblüfft. „Wow. Du musst ziemlich überzeugend sein.“ „Hätte ja klappen können“, murmelte sie. „Ich muss jetzt wirklich in den Unterricht.“ „Ja, ich auch. Bis später.“ Matt und Sora machten sich ebenfalls auf den Weg in ihre Klassenräume. „Seit wann steht Tai auf Mimi?“, fragte Davis verwirrt. „Und wir sollten uns auch endlich mal beeilen. Kommt schon.“ Er lief voraus und Kari lehnte seufzend die Stirn gegen T.K.s Schulter. „Meinst du, es wissen alle in der Schule, dass er mein Bruder ist?“, nuschelte sie resigniert. „Jetzt stell‘ dich nicht so an. Anscheinend hatte er ja eine gute Absicht dabei“, erwiderte T.K. aufmunternd. „Absicht hin oder her. Er hat sich zum Gespött der ganzen Schule gemacht.“ „Mann, Kari. Ich wollte auch vor der ganzen Schule für dich singen. Was mache ich denn jetzt?“, fragte T.K. theatralisch seufzend. Entsetzt hob sie den Kopf wieder und sah ihn an. „Was?!“ Er lachte, legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie mit sich. „Das war ein Witz. Jetzt komm‘, sonst kriegen wir Ärger.“   _   Es war das mit Abstand Peinlichste, was ihr je in ihrem Leben passiert war. Wie hatte Tai sie nur so bloßstellen können? Die Bilder, wie er sich vor ihr aufgebaut hatte und You make me wanna schmetterte, spukten ihr den Rest des Tages im Kopf herum. Vermutlich hatte sein Gesang bleibende Schäden in ihren Ohren verursacht. Jeder in der Schule war dabei gewesen und jeder hatte mitbekommen, dass er es für sie getan hatte. Wie konnte er nur erwarten, dass sie nach dieser Aktion einem Date zusagen würde? War er denn von allen guten Geistern verlassen? „Hey Mimi, jetzt hör‘ endlich auf, daran zu denken und konzentrier‘ dich lieber auf Mathe. Du hast das doch heute nicht verstanden, hast du gesagt“, riss Izzy sie nicht zum ersten Mal aus ihren Gedanken. „Ich kann aber nicht aufhören, daran zu denken. Das ist einfach entsetzlich! Mein Leben hier ist vorbei! Ich kann mich nirgends mehr blicken lassen“, stöhnte sie und lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. „Aber er hat es doch nur nett gemeint“, gab Izzy zu bedenken und zuckte mit den Schultern. „Ja, aber… hätte er sich nicht was anderes einfallen lassen können? Er hätte auch einfach meine Hand in der Schule halten können. Warum musste es ein Lied sein? Und dann auch noch dieses Lied?“, jammerte sie. Izzy seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Ich meine, natürlich ist es irgendwie… naja… nett. Aber… boah, warum musste er singen?!“ Sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wie sollte sie morgen nur wieder in die Schule gehen? „Ich glaube, du hast schon peinlichere Situationen durchgestanden“, murmelte Izzy beiläufig. Verdutzt sah Mimi ihn an. Er hatte tatsächlich Recht. Das Video von Matt und ihr auf der Toilette, das durch die Schule gegangen war, war definitiv noch peinlicher gewesen. Das, was Tai gemacht hatte, würde sie später wahrscheinlich, wenn sie ihren Kindern erklärte, wie sie und ihr Vater zusammengekommen waren… Kinder? Zusammenkommen? Unwirsch schüttelte Mimi den Kopf. Nein, an sowas war jetzt nicht zu denken. Was Tai gemacht hatte, war peinlich, nicht süß. Einfach peinlich. „Wo waren wir stehengeblieben?“   _   „Warum passieren uns in der Schule eigentlich immer so seltsame Sachen?“, fragte Sora seufzend, während sie den Tresen abwischte. Es war bereits Abend und Matt war nach der Bandprobe vorbeigekommen, um sie bei der Arbeit zu besuchen und mit ihr zusammen nach Hause zu gehen. Die letzten Gäste waren soeben gegangen und Sora war noch dabei, hinter dem Tresen aufzuräumen. „Es wird wirklich nie langweilig“, murmelte Matt und nippte an seiner Wasserflasche. „Es tut mir einfach so leid für Tai. Ich fühle mich echt schuldig. Er hat gesagt, er ist nicht sauer auf mich deswegen, aber ich habe trotzdem ein total schlechtes Gewissen“, sagte sie mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. „Mach‘ dir keinen Kopf deswegen. Er kommt schon darüber hinweg. In einer Woche interessiert sich doch kein Mensch mehr dafür“, antwortete Matt abwinkend. „Meinst du?“, fragte sie zweifelnd und sah ihn unsicher an. „Ja. Tai kann das ab.“ Er lächelte leicht. Sie nickte zögerlich und räumte etwas restliches Geschirr in die Spülmaschine ein. „Hast du eine Idee, wie man sie dazu bringen könnte, sich auf das Date einzulassen und ihm eine Chance zu geben?“ „Ähm… nein“, antwortete Matt knapp. „Warum willst du dich da unbedingt einmischen? Ich glaube, das ist keine gute Idee.“ „Ich… ich bin ihm das einfach schuldig“, nuschelte sie, ohne ihn anzusehen. „Er hat es verdient, glücklich zu sein nach dem, was passiert ist.“ Matt beobachtete sie aufmerksam. Ihr Blick war betrübt und sie setzte mit fahrigen Bewegungen die Spülmaschine an. Mit gesenktem Blick wusch sie den Lappen aus und kam hinter dem Tresen hervor. „Bin soweit, wir können los.“ Sie schaltete überall im Café die Lichter aus und verriegelte die Eingangstür. Langsam machten sie sich auf den Weg nach Hause. „Wie war die Bandprobe?“, fragte Sora. „Gut. Wir sind besser vorangekommen, als erwartet. Wir arbeiten gerade an zwei neuen Songs.“ Sie redeten über die Band und die neuen Songs, bis sie an die Kreuzung kamen, an der sie in unterschiedliche Richtungen gehen mussten. „Vielleicht besuche ich am Samstag mal wieder euer Konzert“, sagte Sora lächelnd. „Ich war schon lange nicht mehr da.“ „Falls du das machst, dann sag‘ Bescheid. Dann können wir hinterher noch was machen“, erwiderte Matt. „Klar, mach‘ ich. Also dann bis morgen.“ Einen Augenblick lang sahen sie sich in die Augen und wieder spürte Matt dieses Knistern zwischen ihnen, diese Anspannung, der er jedes Mal kaum standhalten konnte. Ihre Gesichter näherten sich gefährlich. Er konnte bereits ihren Atem auf seinen Lippen spüren, doch dann, kurz bevor sie sich berührten, wich er aus und küsste sie auf die Wange. „Bis morgen“, raunte er und wandte sich ab. Erst einmal musste er tief durchatmen. Kapitel 45: Heiße Küsse ----------------------- Samstag, 2. Dezember 2006   Sora war sich sicher, dass Mimi sie hassen würde nach dieser Aktion. Aber sowas von. Immerhin war das, was sie hier tat, an Hinterlist kaum noch zu überbieten und sie wusste auch gar nicht, warum sie sich von Tai dazu hatte breitschlagen lassen. Das ging langsam alles zu weit. Doch sie hatte noch immer das Gefühl, Tai eine Menge schuldig zu sein. „Mann, Sora, ich freue mich so! Eislaufen gehen ist echt eine tolle Idee. Das letzte Mal war ich in New York“, sagte Mimi mit leuchtenden Augen. „Aber ich glaube, hinterher müssen wir was essen gehen. Ich kriege jetzt schon langsam Hunger.“ „Das kriegen wir hin“, nuschelte Sora. „Aber nicht so teuer, wenn’s geht. Einfach nur ‘ne Pizza wäre perfekt“, meinte Mimi. „Oder hm… Sushi wäre auch ganz nett. Aber nein, zu teuer.“ „Eine Pizzeria werden wir schon irgendwo finden“, erwiderte Sora zuversichtlich. Hoffentlich merkte Mimi ihr nicht an, dass etwas nicht stimmte. „Ich finde es echt toll, mal wieder was zu zweit mit dir zu machen. Das hat mir total gefehlt. Das sollten wir unbedingt öfter machen“, schwärmte Mimi und grinste sie an. „Wir könnten noch einen Weihnachtsmarkt besuchen oder so. Oder ins Kino gehen. Ich war schon lange nicht mehr. Oder vielleicht einfach was zusammen kochen.“ „Mhm“, machte Sora mit zunehmend schlechtem Gewissen. Sie nahm sich jedoch fest vor, demnächst wirklich etwas mit Mimi zu unternehmen. Etwas ganz Tolles. Alles, was sie wollte. Falls sie dann noch wollte. Sie erreichten die Eisbahn, liehen sich Schuhe aus und ließen sich auf einer Bank nieder, um die Schuhe zu wechseln. „Mann, ist hier aber viel los“, stellte Mimi fest. „Hoffentlich fährt mich niemand um.“ „Ja, ist echt ganz schön voll“, stimmte Sora zu und hielt nach einer ganz bestimmten Person Ausschau. Es war bereits dunkel, doch die Eisbahn war hell erleuchtet. So viele Menschen tummelten sich auf ihr und gaben elegant oder weniger elegant ihre Eiskünste zum Besten. „So, fertig.“ Mimi stand auf und Sora tat es ihr gleich. Gemeinsam stapften sie vorsichtig zur Eisfläche und hielten sich gegenseitig fest, um nicht zu fallen. Als sie endlich das Eis betraten, schlitterten sie vorsichtig los. Das hieß, Mimi schlitterte los, Sora versuchte eher, nicht sofort auszurutschen und hinzufallen. „Wo bleibst du denn?“, fragte Mimi und drehte sich verwundert zu ihr um. Sie hatte sich bereits einige Meter von ihr entfernt. „Ich komme ja schon.“ Vorsichtig setzte Sora einen Fuß vor den anderen, rutschte prompt weg und stürzte. „Oh, kannst du etwa nicht eislaufen?“ Mimi kam zu ihr und bot ihr eine Hand an, um ihr aufzuhelfen. „Ehrlich gesagt nein“, erwiderte Sora verlegen und kratzte sich am Kopf. Sie griff nach Mimis Hand und ließ sich von ihr hochziehen. Mimi runzelte verständnislos die Stirn. „Warum hast du es dann vorgeschlagen?“ „Naja, ich wollte es wenigstens mal versuchen. Und es sieht so toll aus, wenn Leute das richtig können“, stammelte Sora verlegen. Mimi stemmte die Hände in die Hüften. „Okay, dann versuche ich mal mein Bestes, dir ein bisschen was beizubringen. Komm', nimm meine Hand und halt dich fest. Wir versuchen es einfach mal gemeinsam.“ Sora krallte sich an Mimis Hand fest und gemeinsam schlitterten sie ganz langsam und vorsichtig über die Eisfläche. Ein paar Minuten liefen sie so Seite an Seite über das Eis und Mimi zeigte ihr ganz langsam, wie man sich bewegte. Es klappte irgendwann sogar einigermaßen, auch wenn Sora es als ziemlich anstrengend empfand und nicht verstand, wie andere dabei so locker und anmutig aussehen konnten. Sie fühlte sich wie ein steifer Stock. Dann endlich lief er ihnen wie zufällig über den Weg. „Oh, hallo ihr beiden“, begrüßte er sie grinsend. „Hallo, Tai“, erwiderte Sora und tat so, als wäre sie überrascht, ihn hier zu treffen. „Was machst du denn hier?“ „Hatte eben Lust auf ein bisschen Eislaufen“, antwortete er schulterzuckend. „Was für ein Zufall, wir auch!“, rief Sora und lachte hysterisch. „Ob das wohl Schicksal ist?“ „Schicksal?“, mischte Mimi sich ein und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was geht hier ab?“ „Nichts Besonderes. Was soll schon abgehen?“, fragte Tai und setzte eine Unschuldsmiene auf. „Wir sind einfach nur hier und haben Spaß“, stimmte Sora ihm zu. „Schon klar“, grummelte Mimi. „Los, lass‘ uns weitermachen.“ Sie griff nach Soras Arm und wollte sie wegziehen, woraufhin Sora prompt erneut stürzte. „Oh, tut mir leid! Das wollte ich nicht.“ „Ähm ehrlich gesagt, muss ich jetzt sowieso langsam los“, murmelte Sora vom Boden aus und sah Mimi entschuldigend an. „Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch was vorhabe. Aber du kannst ja noch ein bisschen mit Tai laufen.“ „Was zum… du hinterhältige Schlange!“, rief Mimi empört und deutete mit dem Finger auf sie. „Mimi, es war meine Idee, okay?“, sprang Tai ein und hob abwehrend die Hände. „Ich habe sie dazu überredet, mit dir herzukommen.“ „Oh, na schön. Wenn das so ist… zum Gehen braucht mich zumindest keiner zu überreden“, fauchte Mimi, drehte sich um und wollte davonschlittern, doch Tai packte sie am Arm und drehte sie wieder zu sich herum. „Hey!“ „Gib mir eine Chance“, bat er nun und sah sie eindringlich an. „Pah! Nein, danke! Du hattest schon genug Chancen!“ „Mimi, bitte!“ Er ließ sie los. „Bitte nur heute Abend. Lass‘ mich dir beweisen, dass ich kein kompletter Vollidiot bin und wirklich etwas für dich empfinde. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, um dir das zu beweisen. Gib mir noch diese eine Chance und wenn du deine Meinung bis zum Ende des Abends nicht geändert hast, werde ich dich für immer in Ruhe lassen. Versprochen. Es würde mir wahnsinnig viel bedeuten.“ Sora hockte noch immer am Boden und beobachtete die beiden auf ihrer Unterlippe kauend. Mimis Blick war noch immer alles andere als begeistert, aber zumindest stand sie noch hier. Einige endlose Sekunden vergingen, bis sie antwortete. „Ich gebe dir eine Stunde.“ Tai machte ein verdutztes Gesicht. „Eine Stunde? Welches Date dauert denn nur eine Stunde?“ „Nimm gefälligst, was du kriegst und sei nicht so gierig!“, fauchte sie. Er seufzte. „Na schön. Eine Stunde.“ „Leute? Könnte mir bitte jemand hoch helfen?“   _   Vor fünf Minuten war Sora gegangen und Tai war nun endlich allein mit Mimi. Er musste sich auf jeden Fall noch einen besonderen Dank für Sora überlegen. Ohne sie wäre das hier nicht möglich gewesen. „Kannst du überhaupt eislaufen?“, fragte Mimi, verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte ihn argwöhnisch. „Du hast doch zwei linke Füße.“ „Geht so“, meinte er grinsend. „Los, wir drehen ein paar Runden, dann zeige ich es dir.“ Mimi nickte widerwillig und sie liefen nebeneinander los. „So, du gibst mir also eine Stunde?“, fragte Tai. „Jap. Fünf Minuten sind aber schon um“, antwortete Mimi. „Kann ich mit gutem Benehmen Minuten dazugewinnen?“ Sie verdrehte die Augen. „Nein. So gut könntest du dich sowieso niemals benehmen, als dass du dir das verdient hättest.“ „Du bist echt ganz schön stur“, grummelte er. „Aber ich kann gern Minuten abziehen, wenn du gemein bist“, schnappte sie. „Ich bin nicht gemein, ich sage nur die Wahrheit“, stichelte er. „Du bist ein Idiot.“ „Und du ein Sturkopf.“ „Warum haben wir nochmal gerade ein Date?“ „Weil du mich unglaublich scharf findest und meinem Charme einfach nicht widerstehen kannst.“ Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und lächelte verwegen. „Oh Gott.“ „So nennt man mich.“ Eine Weile ging ihr Gespräch so hin und her und bestand lediglich aus gegenseitigen Sticheleien. Schließlich beklagte Mimi sich über Hunger und Tai beschloss, dass sie etwas essen gingen. „Worauf hast du Hunger?“, fragte er, während sie ihre Schuhe wechselten. „Ich weiß nicht. Pizza wäre toll, denke ich. Schön fettig, mit viel Käse.“ Sie leckte sich genüsslich über die Lippen. „Alles klar, gehen wir Pizza essen“, beschloss Tai. Sie gaben die Schlittschuhe an der Ausleihe zurück und machten sich auf den Weg zu der Pizzeria, in der sie schon öfter gewesen waren. Es war nur ein Fußweg von zehn Minuten. Die Pizzeria war zu dieser Zeit ziemlich voll und sie hatten Glück, dass an einem Tisch gerade ein Pärchen aufstand. Sofort krallte Mimi sich den Tisch und Tai nahm ihr gegenüber Platz. „Ich glaube, ich brauche zwei Pizzen“, meinte Mimi und schlug gierig die Speisekarte auf. „Zwei? Du wirst doch fett“, erwiderte Tai skeptisch. „Du weißt wirklich, wie man einem Mädchen Komplimente macht“, zischte sie. Einige Minuten studierten sie die Karte und suchten sich jeder eine Pizza aus. Nachdem sie bestellt hatten, sah Mimi Tai über den Tisch hinweg an und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. „Also, Tai“, sagte sie so ernst, als befänden sie sich in einem Bewerbungsgespräch. „Wieso hast du plötzlich deine Meinung geändert?“ Er dachte einen Augenblick nach, mit welchen Worten er ihre Frage beantworten sollte. „Tja, es ging damit los, dass du lieber mit Izzy Nachhilfe machen wolltest als mit mir. Das hat mich… echt genervt. Ich habe ihn dafür gehasst.“ Er kratzte sich am Kopf und zuckte mit den Schultern. „Und dann erwische ich auch noch dich und Matt beim… du weißt schon. Obwohl ich nur mit ihm reden wollte. Dieses Bild. Es will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ich dachte, das zwischen dir und ihm wäre vorbei. Und dann sehe ich euch da… ich meine, das ist total bescheuert. Ich weiß, dass das nie was Ernstes werden könnte. Das ergäbe gar keinen Sinn. Aber trotzdem. Ich hätte am liebsten gekotzt.“ Mimi schwieg und beobachtete ihn weiter. „Mimi, ich… ich bin echt eifersüchtig geworden“, fügte er gewichtig hinzu. „Warum hast du erst gemerkt, was du angeblich willst, als sich andere vermeintlich für mich interessiert haben?“, fragte sie trocken. Tai zögerte und schüttelte langsam den Kopf. „Weil ich ein Idiot bin?“ „Ja, das glaube ich auch.“ Tai seufzte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ihre Getränke wurden gebracht und er trank einen großen Schluck Cola. „Aber ich hab‘ mich für dich vor der ganzen Schule zum Vollhorst gemacht“, erinnerte er sie dann. „Nur, damit du weißt, dass ich es ernst meine.“ „Das“, sagte Mimi, „war das Dämlichste, Peinlichste, Demütigendste und Bekloppteste, was jemals jemand für mich gemacht hat.“ Tai runzelte die Stirn. „Ja, es war megapeinlich, aber ich wollte, dass du siehst, dass es mich nicht stört, wenn jeder von uns weiß.“ „Aber das hätte man auch anders machen können!“ „Hatten wir dieses Gespräch nicht schon?“ Mimi machte ein finsteres Gesicht, erwiderte aber nichts darauf. „Mimi, ich verstehe nicht, warum du es jetzt so schwer machst. Es könnte doch so einfach sein“, sagte er nach einer Weile. Sie sah ihm einen Augenblick lang in die Augen, bevor sie tief Luft holte. „Kann ich ehrlich sein, ohne dass du mich dann hasst?“ Er hob eine Augenbraue. „Schätze schon.“ „Und ohne, dass du einen dummen Kommentar abgibst?“ „Mhm.“ „Ich bin ein Kontrollfreak“, stieß sie hervor. „Und ich weiß es. Mir geht’s nur gut, wenn ich weiß, dass ich die Kontrolle über das habe, was um mich herum passiert. Dass ich das selbst so herbeigeführt habe und es steuern kann. Dass du plötzlich doch mit mir ausgehen wolltest, damit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte dich schon abgeschrieben. Aber jetzt auf einmal hast du dich umentschieden, schnippst mit den Fingern“, sie schnippte symbolisch mit den Fingern, „und schon soll ich angelaufen kommen und alles ist in bester Ordnung. Wenn ich mich jetzt auf dich einlasse, hast du es kontrolliert und nicht ich.“ Tai klappte der Mund auf, als sie ihre Ausführung beendete und ihn gequält ansah. Er wusste einfach nicht, was er darauf erwidern sollte. „Ich weiß selbst, dass das total bescheuert und egoistisch ist und keinen Sinn ergibt. Aber so bin ich nunmal. Und wenn du jetzt doch keine Lust mehr auf mich hast, kann ich es verstehen. Ich glaube, Ethan ist mit diesem Charakterzug auch nicht klargekommen“, murmelte sie. „Mimi“, Tai beugte sich nach vorn und sah sie eindringlich an, „es ist deine Schuld, dass ich überhaupt hier sitze. Es ist deine Schuld, dass ich vor der ganzen Schule You make me wanna gesungen habe. Und es ist deine Schuld, dass ich es geschafft habe, Sora von mir zu überzeugen und das dann völlig schief ging. Du hast doch alles kontrolliert, was dich und mich betrifft. Du hast mich betrunken gemacht, damit ich mit dir schlafe. Du hast es geschafft, dass ich mich mit der komplett behinderten Sprache der Blumen beschäftigt habe. Es ist allein dein Verdienst und deiner Kontrolle zuzuschreiben, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Nun war es Mimi, die sprachlos schien. Mit offenem Mund starrte sie ihn an. „Ähm… i-ich… verliebt?“ In diesem Moment wurde ihre Pizza gebracht und Mimi verpasste es vor lauter Verwirrung, sich bei dem Kellner dafür zu bedanken. Tai zuckte mit den Schultern. „Ja, verliebt.“ Mimi senkte den Blick und lief knallrot an. Eilig wandte sie sich ihrer Pizza zu und schnitt sich ein Stück davon ab. Ein wenig verlegen geworden tat Tai es ihr gleich. Einige Minuten aßen sie schweigend ihre Pizzen. „Als wir das zweite Mal miteinander geschlafen haben, war es deine Kontrolle“, griff Mimi schließlich das Thema wieder auf. „Ja. Wow. Eine ganze Stunde lang hatte ich die Kontrolle“, erwiderte er sarkastisch. „Aber… danach habe ich gedacht, es hätte dir etwas bedeutet“, nuschelte Mimi und schob sich ein Stück Pizza in den Mund. „Und dann hast du nur immer gesagt, du wüsstest es nicht. Das hat mich total aus der Bahn geworfen.“ „Es hat mir was bedeutet“, sagte Tai. „Ach ja? Zu diesem Zeitpunkt schon?“ Er nickte langsam. „Ich hatte noch nie was mit einem Mädchen, ohne mit ihr in einer Beziehung zu sein. Hab‘ es mal versucht, weil Matt mich dazu überredet hat.“ Mimi verzog angewidert das Gesicht. „Matt…“ „Es ging nicht. Ich konnte es nicht. Sie war hübsch und nett, aber es ist einfach nicht mein Ding. Aber mit dir hab‘ ich es trotzdem gemacht. Warum nur?“ Fragend erwiderte sie seinen Blick, doch er war sich sicher, dass sie die Antwort kannte. Sie wollte sie nur aus seinem Mund hören. „Weil es mehr war als nur Sex“, sagte er. „Aber… wieso hast du dann andauernd gesagt, du wüsstest nicht, was es dir bedeutet?“, fragte sie verständnislos. „Weil ich es wirklich nicht wusste. Ich hing doch eigentlich an Sora, aber dann war da diese Anziehung, die von dir ausging. Irgendwie hattest du langsam angefangen, Sora aus meinem Kopf zu verdrängen und das war alles so seltsam, weil ich nie so über dich nachgedacht habe. Und weil ich immer dachte, Sora wäre einfach perfekt für mich“, erklärte er. Mimi presste die Lippen aufeinander und schob ihren Teller von sich. Sie hatte ihre Pizza nicht aufgegessen. „Ich weiß, dass ich dich ziemlich verletzt habe. Es tut mir wirklich leid“, murmelte er. Langsam schüttelte sie den Kopf und lächelte matt. Der Kellner räumte die Teller ab und Tai verlangte nach der Rechnung. Mimi kramte in ihrer Tasche nach ihrem Portemonnaie, doch Tai hielt sie auf. „Lass‘ mal. Bist eingeladen.“ „Oh… wirklich?“ Sie machte große Augen. Er zuckte mit den Schultern. „So macht man das doch als Typ auf einem Date, oder nicht?“ Sie lächelte nur. „Die Stunde ist übrigens um“, bemerkte sie, als sie sich auf den Weg nach Hause machten. Langsam schlenderten sie die dunklen Gassen Odaibas entlang. „Ich bin mir sicher, du hast nichts dagegen, wenn wir noch eine Stunde dran hängen?“, fragte Tai verschmitzt grinsend. „Vergiss es. Eine Stunde ist eine Stunde“, antwortete sie konsequent. „Sturkopf.“ Sie kamen an Mimis Wohnhaus an und sie drehte sich zu ihm herum. „Also vielen Dank für die Einladung zum Essen, Herr Yagami“, sagte sie lächelnd. „Das dürfen Sie gern jederzeit wieder tun.“ Er verdrehte die Augen. „Gewöhn‘ dich nicht dran.“ Dann beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Lippen. Sofort erwiderte sie seinen Kuss und vergrub die Hände in seiner Jacke. Er legte seine Hände an ihre Wangen und intensivierte den Kuss noch. Es fühlte sich viel besser an als die bisherigen hastigen Küsse, die sie getauscht hatten. In dem hier steckte mehr Sehnsucht, mehr Leidenschaft, mehr Vorfreude auf das, was jetzt noch kommen würde. Zögerlich lösten sie sich voneinander. „Gute Nacht“, flüsterte Mimi und ließ ihn los. „Willst du mich gar nicht fragen, ob ich noch mit hoch komme?“, raunte er. „Nein“, antwortete sie entschieden. Er stutzte. „Was? Dein Ernst?“ „Kein Sex beim ersten Date“, sagte sie gewichtig und hob den Zeigefinger. „Erstes Date? Was zum…“ „Alles, was wir bisher hatten, waren ja wohl kaum Dates.“ „Aber Mimi… wir könnten doch… wir müssen ja nicht… ich könnte…“ „Die Stunde ist um“, unterbrach sie ihn und zuckte mit den Schultern. Tai war völlig perplex. Nach allem, was sie in der Pizzeria besprochen hatten und so, wie sie sich gerade geküsst hatten, war er fest davon ausgegangen, dass sie die Nacht gemeinsam verbringen würden. Vielleicht ohne miteinander zu schlafen, aber doch wenigstens zusammen. Immerhin würde für sie beide nun eine neue Phase beginnen. „Du… du meinst das echt ernst“, stammelte er. „Kontrollfreak“, erwiderte sie nur. „Sehen wir uns morgen?“ Sie lächelte unschuldig. „Ähm…“, verwirrt dachte er darüber nach, ob er morgen Zeit hatte, „ja… ja. Klar.“ „Gut. Meine Eltern sind morgen Nachmittag nicht da. Du kannst also zu mir kommen.“ Sie lächelte verwegen, drehte sich um und ging ins Haus. Einen Augenblick lang stand Tai noch immer irritiert an Ort und Stelle und starrte ihr hinterher, bevor er sich endlich selbst auf den Weg nach Hause machte.   _   „Mann, endlich haben wir mal Zeit, deinen Geburtstag ein bisschen zu feiern“, seufzte Kari glücklich und lächelte T.K. an. „Sonntag war eben ein blöder Tag.“ Zumindest blöd, um ihn mit Kari zu verbringen. Stattdessen hatte T.K. seinen Geburtstag mit seiner Familie verbracht. Sie hatten zu viert einen Ausflug aufs Land gemacht. Hiroaki und Natsuko hatten gesagt, er könnte Kari ruhig mitnehmen. Immerhin war sie seine Freundin und es war sein Geburtstag. Doch er wusste, dass Kari niemals zugesagt hätte, um das Familientreffen nicht zu stören. Stattdessen hatte sie ihm versprochen, seinen Geburtstag bei ihr zu Hause nachzufeiern. Ihre Eltern waren über Nacht in einem Hotel, da sie noch immer an ihrer Ehe arbeiteten, während Tai ein Date mit Mimi hatte und sicher erst spät abends wiederkommen würde. Sie waren also ein paar Stunden ganz für sich allein. Er strich Kari mit einer Hand über den Rücken, während sie vor dem Ofen stand und auf das Piepen wartete, das verkündete, dass die Pizza fertig war. Sie lächelte ein wenig schüchtern und schmiegte sich an ihn. „Hast du schon eine Idee, was du nach dem Essen machen möchtest?“ „Hm, keine Ahnung“, antwortete er. „Wir könnten einfach ein bisschen quatschen und entspannen.“ „Quatschen und entspannen? Etwa so?“ Sie drehte sich zu ihm um, legte die Hände in seinen Nacken und küsste ihn. Überrascht erwiderte er ihren Kuss und legte die Arme um ihre Taille. Es war ein zärtlicher Kuss und T.K. spürte sein Herz schneller schlagen. Kari presste sich näher an ihn und er spürte deutlich, wie sein Körper auf sie reagierte. Schon länger wollte er mehr als nur küssen und kuscheln, doch er hatte sie nicht unter Druck setzen wollen. Er hatte sich kaum getraut, sie zu berühren, weil er befürchtete, er könnte ihr damit Angst machen. Sie hatte bisher von sich aus noch keine Anstalten gemacht, weiterzugehen, weshalb es T.K. jedes Mal peinlich war, wenn sein Körper so deutlich zeigte, dass er mehr wollte. „Ich glaube, das könnte mir gefallen“, murmelte er. Sie kicherte leise und küsste ihn erneut. Ihre Hände fuhren dabei langsam über seine Brust und seinen Bauch und blieben am Bund seiner Jeans hängen. Er ließ daraufhin seine Hände zu ihrem Po wandern und musste zugeben, dass es sich unglaublich gut anfühlte. Vielleicht würden sie heute weitergehen. Zumindest schien sie auf einmal neugieriger zu sein. Er spürte ihre Fingerspitzen unter seinem T-Shirt, wie sie vorsichtig über seine Haut strichen. Er zog sie noch näher an sich und intensivierte den Kuss. Er war sich ganz sicher, dass sie seine Erregung deutlich spüren konnte, doch es schien sie nicht zu stören. Das Piepen des Ofens riss sie aus ihrer Trance und sie sahen sich in die Augen. „Ähm…“, machte Kari verlegen und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „I-ich glaube, die Pizza ist fertig.“ „Mhm“, machte T.K. Er hatte überhaupt keinen Hunger mehr. Zumindest nicht auf Pizza. Sie verfrachteten die beiden Pizzen aus dem Ofen auf zwei Teller und setzten sich an den Esstisch. Zögerlich begannen sie mit dem Essen und vermieden es in den ersten Minuten, sich anzusehen. T.K. konnte jedoch Karis Fuß unter dem Tisch spüren, der ihn immer wieder wie zufällig anstupste. Sie wirkte ein wenig nervös. „Wir können auch noch einen Film gucken, wenn du willst“, sagte er und sah sie über den Tisch hinweg an. „Und dann einfach schlafen gehen.“ „Ich glaube, mir ist heute nicht nach einem Film“, erwiderte Kari und lief rosa an. „Quatschen und… entspannen klingt besser.“ „Okay, wenn du dir sicher bist“, meinte er schulterzuckend. „Ich glaube, es wird mal langsam Zeit, dass wir… ein bisschen quatschen und entspannen“, nuschelte sie und senkte den Blick. T.K. hob eine Augenbraue. „Nur um sicher zu gehen: Wir sprechen gerade über Sex, oder?“ Sie verschluckte sich an ihrer Pizza und trank einen großen Schluck Wasser. „Kari, wir müssen das nicht machen. Wir können uns auch noch viel länger Zeit lassen. Uns drängt doch nichts“, redete T.K. weiter. „Ich… ich will aber endlich wissen, wie es ist“, sagte sie. „Wahrscheinlich total überschätzt“, meinte T.K. grinsend. „Glaubst du? Alle reden andauernd davon. Also muss es doch irgendwie toll sein.“ „Es reden auch alle andauernd über Schule.“ Unsicher sah Kari ihn an. „Du willst es also nicht versuchen?“ „Was? Doch, klar. Ich will nur nicht, dass du irgendwas tust, weil du denkst, du müsstest es tun.“ „Das denke ich doch gar nicht. Ich bin nur neugierig und bin froh, dass ich jemanden wie dich zum Ausprobieren habe.“ Er grinste verwegen. „Deswegen bist du also mit mir zusammen.“ „Was? Nein!“, rief Kari erschrocken, sodass er lachen musste. „War doch nur ein Witz.“ Langsam aßen sie ihre Pizza auf und räumten die Teller in den Geschirrspüler. Dann gingen sie in Karis Zimmer und schlossen die Tür hinter sich. Unschlüssig standen sie mitten im Raum. „Also… tun wir es jetzt?“ T.K. lächelte, legte die Hände an ihr Gesicht und verwickelte sie in einen innigen Kuss. Als er damit begann, am Saum ihres Oberteils herumzuspielen, unterbrach sie den Kuss. „Warte. Ich zünde ein paar Kerzen an“, verkündete sie und stürmte schon aus dem Raum. „Kerzen?“, fragte T.K., als sie mit einem Feuerzeug bewaffnet zurückkam und begann, die Kerzen in ihrem Zimmer anzuzünden, die sich auf dem Fensterbrett, ihrem Nachttisch, ihrem Schreibtisch und auf ihren Regalen befanden. „Naja. Für eine schönere Stimmung oder so. Und außerdem hast du ja auch Geburtstag. Zum Geburtstag gehören Kerzen“, erklärte sie. T.K. ließ sich auf ihrem Bett fallen, streckte sich aus und beobachtete sie dabei, wie sie eine Kerze nach der anderen entflammte. Als sie fertig war, schaltete sie das Deckenlicht aus und sah sich im Zimmer um. „Geht es so? Oder ist das zu dunkel?“, fragte sie unsicher. „Kommt drauf an, wie viel man sehen möchte“, antwortete T.K. trocken. „Vielleicht ist es besser, wenn wir nicht so viel sehen.“ Er lachte. „Jetzt hör‘ endlich auf, dir über die Beleuchtung Gedanken zu machen.“ „Ist ja schon gut.“ Sie legte das Feuerzeug auf ihrem Schreibtisch ab. „Soll ich noch Musik anmachen?“ Er seufzte tief. „Kari…“ „Ist ja gut, dann eben nicht“, erwiderte sie eingeschnappt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie machen wir das jetzt?“ Schwungvoll setzte er sich auf und streckte eine Hand nach ihr aus. „Komm‘ her.“ Zögerlich ging sie zu ihm und ließ sich von ihm aufs Bett ziehen. Nun saßen sie sich gegenüber und sahen sich in die Augen. „Können wir irgendwas falsch machen dabei?“, fragte sie. „Kari“, murmelte er, „ich glaube, wir lassen es besser sein.“ „Was? Wieso?“ Verwirrt starrte sie ihn an. „Ich glaube, du willst das eigentlich gar nicht.“ Einen Augenblick lang erwiderte sie seinen Blick völlig regungslos, sodass er sicher war, sie würde ihm Recht geben und sie würden den Abend doch noch mit einem Film verbringen. Doch dann richtete sie sich auf, legte die Hände auf seine Schultern und drückte ihn sanft aber bestimmt zurück in eine liegende Position. Rittlings setzte sie sich auf seine Hüften, beugte sich zu ihm herunter und begann, ihn zu küssen. Mit einer Hand fuhr er in ihr Haar und erwiderte den Kuss, ließ sich einfach fallen. Ihre Lippen fühlten sich so weich an und sie schmeckte so süß. Ihre zittrigen Finger wanderten langsam unter sein T-Shirt und schoben es vorsichtig nach oben.   _   Auch, wenn Sora allein auf dem Konzert gewesen war, nachdem sie Tai und Mimi allein gelassen hatte, hatte sie sich gut amüsiert. Sie hatte sich zu einem Platz relativ weit vorn durchgequetscht und hatte in Ruhe der Musik lauschen und die Band beobachten können. Mehr oder weniger in Ruhe, denn natürlich hatten neben ihr noch tausende andere Fans das Konzert besucht. Als es vorbei war, wartete Sora draußen an der frischen Luft auf die Tokyo Rebels. Sie wollten gemeinsam noch in einen Club gehen und den Abend bei ein paar Drinks ausklingen lassen. Die Fans strömten gut gelaunt plaudernd und lachend an Sora vorbei, während sie wartete. Fröstelnd vergrub sie die Hände in den Taschen ihrer Jacke und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie spürte ihr Handy in ihrer Tasche vibrieren und kramte es eilig hervor. Es war eine SMS von Matt.   Komm‘ in die Umkleide. Wir haben beschlossen, hier zu bleiben. Haben alles da, was wir brauchen. ;)   Verwundert packte Sora ihr Handy wieder weg und ging zurück in die Halle. Durch eine Tür erreichte sie den Gang, der zu den Umkleidekabinen und restlichen Räumen führte. Es dauerte eine Weile, doch als sie die richtige Tür gefunden hatte, klopfte sie vorsichtig an. Kurz darauf wurde die Tür von Matt geöffnet, der sie anlächelte. Der Duft von Duschgel ging von ihm aus und er hielt bereits eine Flasche Bier in der Hand. „Komm‘ rein.“ Er trat zur Seite, um sie einzulassen, und schloss die Tür hinter ihr. Musik schallte aus einer kleinen Anlage in einer Ecke des Raums. Auf einem Tisch standen drei offene Bierflaschen und eine Flasche Fruchtwein. Auf einem dunklen Sofa lagen ein paar Klamotten verstreut. „Hi Sora“, begrüßte Shin sie grinsend und umarmte sie. „Schön, dich zu sehen. Hübsch siehst du aus.“ „Danke“, erwiderte sie verlegen. Sie hatte sich heute etwas stärker geschminkt als sonst und trug einen kurzen Rock. Auch Ryo und Tsubasa begrüßten sie fröhlich und luden sie dazu ein, sich an den Tisch zu setzen. „Sag‘ mal, diese Mimi kommt heute nicht zufällig noch?“, fragte Ryo sie mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck. „Ähm… nein, die hat andere Pläne“, antwortete Sora kichernd. „Oh, wie schade“, meinte er und setzte sich neben sie. Yamato nahm an ihrer anderen Seite Platz. „Möchtest du was trinken? Hab‘ extra Wein besorgt“, bot er ihr an und griff nach der Weinflasche. „Ja, gern“, erwiderte sie erfreut, dass er bei der Wahl der Getränke an sie gedacht hatte. Er lächelte, griff sich ein Glas und schenkte ihr Wein ein. „Also dann, Prost“, rief Shin gut gelaunt. Auch er und Tsubasa hatten sich inzwischen an den Tisch gesetzt. Sie ließen ihre Bierflaschen und das Weinglas aneinander klirren und nahmen jeder einen großzügigen Schluck. „Und Sora? Wie hat es dir gefallen? Was sagst du zu den neuen Songs?“, fragte Shin neugierig. „Die waren echt super. Total schön. Der zweite hat mir am besten gefallen“, antwortete sie begeistert. Tsubasa lachte. „Den haben wir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geschrieben. Wortwörtlich. Ging relativ fix.“ Sie unterhielten sich eine Weile alle fünf über das Konzert, über die Lieder und die kreischenden Fans. Nebenbei nippten sie immer wieder an ihren Getränken und sobald Sora ihr Glas geleert hatte, schenkte Ryo ihr nach. „Ich sollte lieber nicht so viel trinken“, murmelte sie verlegen. Sie konnte die Wirkung des süßen Weins bereits deutlich spüren. „Was? Wieso?“, fragte Ryo verständnislos. „Ich vertrage das nicht so gut“, gestand sie kichernd. „Ach was, man ist nur einmal jung.“ Es wurde ein wirklich schöner Abend. Sie redeten und lachten viel und Sora fühlte sich immer beschwipster, bis sie schließlich beschloss, nichts mehr zu trinken. Sie hatte diese ausgelassenen Abende unter Freunden wirklich vermisst und gemeinsam mit Matt und seiner Band hatte sie wirklich schon ewig nichts mehr unternommen, obwohl sie Shin, Ryo und Tsubasa von Anfang an gemocht hatte. Umso mehr genoss sie die Stunden, die sie miteinander verbrachten, als wäre heute der beste Abend der Welt. Schließlich machte sich erst Ryo und dann auch Tsubasa und Shin auf den Heimweg. Matt erklärte ihr, dass er noch einmal auf die Toilette musste und sie dann auch gehen konnten. Sora stand von ihrem Stuhl auf und ließ sich der Länge nach auf das Sofa fallen. Sie seufzte tief. Der Wein war ihr zu Kopf gestiegen. Ihr war ein wenig schwindelig und sie fühlte sich ganz benebelt. Sie hätte schon eher nichts mehr trinken sollen. Als Matt aus dem Badezimmer zurückkam, musterte er sie verwirrt. „Alles okay mit dir?“, fragte er und setzte sich zu ihr auf die Couch. „Ja. War nur ein bisschen viel Wein“, nuschelte sie lächelnd. Ihr Kopf ruhte auf der einen Armlehne, ihre Füße auf der anderen. Matt grinste. „Verstehe. Du kannst ja noch fünf Minuten liegen bleiben, bevor wir uns auf den Heimweg machen.“ „Ja, das wäre gut“, murmelte sie. „Es ist echt schön, dass du heute dabei warst“, sagte er schließlich. „Ich fand es auch schön. War echt ein witziger Abend“, erwiderte sie. „Können wir gern wiederholen. Die Jungs haben dich echt gern. Ich glaube, die würden sich freuen“, meinte er. „Und du?“, rutschte es Sora heraus. „Würdest du dich freuen?“ „Ich?“ Er machte ein verblüfftes Gesicht. „Das weißt du doch.“ „Tu ich das?“ Sora dachte unwillkürlich an Mittwoch zurück, als Matt sie von der Arbeit abgeholt hatte. Sie waren kurz davor gewesen, sich zum Abschied zu küssen, doch dann hatte er sie lediglich auf die Wange geküsst und ihr eine gute Nacht gewünscht. Sie sahen sich in die Augen, bis er den Blick abwandte. „Sora, du weißt doch, dass es nicht geht.“ „Dass was nicht geht?“ Er seufzte leise. „Schon gut.“ Sie setzte sich auf, sodass er sie wieder ansah. Vorsichtig legte sie die Hände an seine Wangen und näherte sich ihm, doch er wich zurück. „Tu‘ das nicht“, murmelte er. „Ich mach‘ doch gar nichts.“ Sie ließ ihn nicht los. „Doch. Du siehst mich so an.“ „Wie sehe ich dich denn an?“ „So, als wäre ich der Einzige, der dich jemals glücklich machen könnte“, nuschelte er. „So, als hätten wir eine Chance.“ „Wir könnten eine Chance haben.“ Sie beugte sich wieder näher zu ihm und diesmal wich er nicht zurück. Er schluckte hörbar und erwiderte ihren Blick. „Sora, bitte. Wenn du so weitermachst, kann ich nicht garantieren, dass ich mich zurückhalten kann.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich will gar nicht, dass du dich zurückhältst“, antwortete sie ebenso leise und überbrückte den letzten Abstand zwischen ihnen. Gierig zog sie ihn an sich und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Seine Arme schlangen sich um ihren Körper, sodass sie kurzerhand rittlings auf seinen Schoß kletterte. Verlangend presste er sie an sich, vertiefte den Kuss und ließ seine Hände über ihren Körper wandern. Sora genoss diese Berührungen und das Gefühl, das ihren gesamten Körper erfasste, wenn er sie küsste. Alles fühlte sich kribbelig an und sie hatte das Gefühl, keine Kontrolle mehr über ihren Körper zu haben. Sanft biss sie Matt in die Unterlippe, schmeckte seinen Geschmack auf ihrer Zunge und konzentrierte sich ganz auf ihn. Doch schließlich war es vorbei und sie lösten den Kuss atemlos. Etwas beschämt sah sie ihm in die Augen. „Ich… tut mir leid.“ „Nein“, hauchte er. „Matt…“ „Ich glaube, ich bringe dich jetzt besser nach Hause“, murmelte er. Sie zögerte, doch dann nickte sie langsam. „Okay.“ Kapitel 46: Im Rausch der Gefühle --------------------------------- Sonntag, 3. Dezember 2006   Am nächsten Morgen erwachte Kari nach einem tiefen Schlaf. Sie spürte, dass T.K. eng an sie gekuschelt hinter ihr lag und sanft ihren Arm streichelte. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen zurück und Kari drehte sich lächelnd zu ihm um. „Morgen“, murmelte sie. Er erwiderte ihr Lächeln. „Hi. Hast du gut geschlafen?“ „Sehr gut“, antwortete sie und gähnte. „Freut mich.“ Liebevoll strich sie ihm durchs Haar. „T.K., das gestern… es war echt schön.“ „Ja, finde ich auch.“ Sie hatten es geschafft. Sie hatten tatsächlich ohne Unfälle ihr erstes Mal hinter sich gebracht. Zwar waren sie beide währenddessen ziemlich unsicher gewesen und hatten Angst, etwas falsch zu machen, doch am Ende war es gut gelaufen. Zum ersten Mal, seit sie keine kleinen Kinder mehr waren, hatten sie einander nackt gesehen, was ihr im ersten Moment unangenehm gewesen war. Doch dann war das in den Hintergrund getreten und sie hatte nur noch ein tiefes Gefühl von Verbundenheit gespürt. Sie waren sich näher gewesen als jemals zuvor. Obwohl es ein wenig wehgetan hatte, war es schön gewesen. „Wann wiederholen wir das?“, fragte sie ein wenig verlegen und strich ihm über die Brust. „Wann immer wir wollen“, meinte er und lächelte verschmitzt. „Das klingt gut.“ Sie zog ihn an sich und verwickelte ihn in einen Kuss. Ja, sie waren ein Paar. Sie konnten miteinander tun, was sie wollten und wann sie wollten und es war völlig normal. Niemand würde sie deswegen schräg ansehen oder verurteilen, weil alle es taten. Und sie hatten erst damit angefangen, sich gegenseitig zu entdecken. Sie hörte, wie Tais Zimmertür geöffnet wurde und er ins Badezimmer ging. Sie löste den Kuss und sah T.K. an. „Vielleicht verschieben wir es aber doch lieber auf ein anderes Mal.“ Er seufzte. „Ja, ist vielleicht besser.“   Eine halbe Stunde später gingen sie zum Frühstücken in die Küche. Tai saß mit einer Tasse Tee am Esstisch und tippte mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen auf seinem Handy herum. Als Kari und T.K. die Küche betraten, sah er auf. „Ich hoffe, ihr habt letzte Nacht wenigstens verhütet“, sagte er und hob die Augenbrauen. T.K. und Kari erstarrten. „Was?!“, rief Kari schrill. „Verhütet. Mit Kondom oder so“, erklärte er ungeduldig und nippte an seinem Tee. Kari tauschte einen Blick mit T.K., der auf einmal ziemlich rot um die Nase war und die Lippen aufeinander presste. „Was zum… was willst du eigentlich?“, fauchte Kari und machte sich am Wasserkocher zu schaffen, während T.K. Tassen aus dem Schrank holte. „Ich hab‘ euch gehört, als ich nach Hause kam“, meinte Tai trocken. „Du hast was? Oh Gott!“ Kari wollte im Erdboden versinken. „Was denn? Du weißt doch, dass die Wohnung hellhörig ist.“ Ja, das wusste sie in der Tat. Und trotzdem hatte sie gestern nicht gehört, wie Tai nach Hause gekommen war. „Ist schon okay“, meinte er abwinkend, trank seinen Tee aus und stand auf. „Tut, was ihr nicht lassen könnt.“ Er stellte seine Tasse in die Spüle und verschwand aus der Küche. Verblüfft und beschämt sahen T.K. und Kari sich an.   _   Gut gelaunt war Tai auf dem Weg zu Mimi, jedoch konnte er auch eine deutliche Nervosität spüren, von der er nicht wusste, woher sie kam. Es war doch nur Mimi und sie hatten bereits mehr als einmal miteinander geschlafen. Doch jetzt? Jetzt ging es nicht mehr nur um die Befriedigung irgendwelcher Gelüste. Nein, er wollte ihr gefallen und er wollte perfekt für sie sein. Und sie waren jetzt so etwas wie ein Paar. Auf dem Weg hatte er noch an einem Blumenladen angehalten und einen Strauß Nelken gekauft. Nelken bedeuteten in der Sprache der Blumen Faszination und Liebe und dass der Beschenkte etwas ganz Besonderes war. Zumindest hatte ihm das die engagierte Verkäuferin erklärt. Diese Blumen schienen perfekt zu ihrer derzeitigen Situation zu passen. Er drückte auf den Klingelknopf und wartete ungeduldig, dass Mimi ihm öffnete. Sie strahlte ihn an. „Hallo“, begrüßte sie ihn. „Hi“, murmelte er, zog sie an sich und verwickelte sie sofort in einen Kuss. Gleichzeitig drängte er sich in die Wohnung und Mimi schlug die Tür hinter ihm zu. „Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagte er, als sie sich voneinander lösten und hielt ihr den Nelkenstrauß vor die Nase. „Oh… Nelken.“ Ein rosafarbener Schimmer legte sich auf ihre Wangen. „Sie bedeuten…“ „Ich weiß, was sie bedeuten“, unterbrach sie ihn und lächelte fast schon schüchtern. „Nachdem du mir die Lilien geschenkt hast, hab‘ ich mich über die Sprache der Blumen informiert.“ „Oh, okay.“ Sie nahm ihm die Blumen aus der Hand und ging voraus in die Küche, um sie in eine Vase zu stellen. Tai lehnte unschlüssig im Türrahmen und beobachtete sie. „Wie lang sind deine Eltern weg?“, fragte er. „Ach, die kommen frühestens gegen sieben wieder. Wir haben also mindestens vier Stunden Zeit“, antwortete Mimi und schenkte ihm ein verwegenes Lächeln. Er kam auf sie zu, legte die Hände auf ihre Hüften und küsste ihren Hals. „Na dann lass‘ uns keine Sekunde verlieren.“ „Warte mal“, erwiderte sie und schob ihn von sich. „Ich gehe noch schnell duschen, okay? Muss mich noch frisch machen. Du kannst schon mal in mein Zimmer gehen. Fühl‘ dich einfach wie zu Hause.“ „Was? Duschen? Jetzt? Hättest du das nicht schon eher machen können?“, grummelte Tai. „Hatte noch keine Zeit“, murrte sie, ging ins Bad und ließ die Tür ins Schloss fallen. Tai seufzte und ging in ihr Zimmer. Es war ordentlich, wie immer. Auch hier hatte sie die volle Kontrolle. Kontrolle. Er konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass sie alles kontrollierte. Kein Mensch konnte alles in seinem Leben kontrollieren und das sollte sie doch wissen. Aber als verwöhntes Einzelkind hatte sie vermutlich immer das Sagen. Jeder musste irgendwann einmal lernen, die Kontrolle abzugeben. Einen Augenblick lang stand er regungslos in ihrem Zimmer, dann ging er zum Badezimmer. Er zögerte einen Augenblick, bevor er einfach hineinging und die Tür hinter sich schloss. „Tai!“, rief sie überrascht. Sie stand bereits unter der Dusche und sah ihn erschrocken an. „Was machst du…“ „Weißt du, ich hab‘ nachgedacht“, unterbrach Tai sie und zog sich sein T-Shirt aus. „Oh wow. Glückwunsch“, erwiderte sie sarkastisch. „Ich wusste nicht, dass du das kannst.“ „Klappe, Tachikawa. Ich habe über deinen Kontrollzwang nachgedacht“, meinte er und zog seine Jeans und seine Socken aus. Sie beobachtete ihn skeptisch von der Duschkabine aus. „Und hab‘ mir gedacht, jemand sollte dir klarmachen, dass du nicht alles kontrollieren kannst.“ „Was wird das?“, fragte sie und hob eine Augenbraue. „Ich bin der Mann. Ich kontrolliere“, erwiderte er und schlüpfte schließlich aus seiner Unterhose. Dann kam er auf sie zu, öffnete die Glastür und trat zu ihr in die Kabine. „Oh, wow, willkommen zurück im neunzehnten Jahrhundert. Warum sind wir eigentlich noch nicht verheiratet und haben noch keine Kinder? Wir sind ja schon alt genug“, erwiderte sie schnippisch. „Ich hab‘ dir doch erklärt, dass ich alles kontrollieren muss, weil ich sonst…“ Mit einem Kuss brachte er sie zum Schweigen und drückte sie gegen die nasse Fliesenwand. Gleichzeitig ließ er seine Hände über ihren Körper gleiten. „Tai, du solltest doch…“ Sie sog scharf die Luft ein, als seine Finger über ihre Mitte fuhren. Mit der anderen Hand massierte er ihre Brust und ging langsam vor ihr auf die Knie. „Was machst du da?“ „Die Kontrolle übernehmen.“ Er ließ seine Zunge über ihren Bauch und schließlich tiefer zu ihrer empfindlichsten Stelle gleiten. Mimi stöhnte leise auf und legte ein Bein über seine Schulter, sodass er mehr Spielraum hatte. Mit den Fingern drang er in sie ein, während seine Zunge sie streichelte. „Tai“, stöhnte sie und vergrub die Hände in seinen Haaren. Er intensivierte sein Spiel, wurde mal schneller, mal langsamer, saugte sanft und leckte wieder. Ihr Becken bewegte sich ihm sanft entgegen und er genoss die Laute, die sie von sich gab. Schließlich verkrampfte sie sich und erreichte stöhnend ihren Höhepunkt. Tai grinste, stand wieder auf und küsste sie. „Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm.“ „Hör auf zu reden“, murmelte sie. Seine Hände schoben sich auf ihren Po und er hob sie ein wenig an. Sie schlang die Beine um seine Hüften und ließ sich von ihm gegen die Wand pressen. Langsam drang er in sie ein, was sie mit einem Seufzen kommentierte. Ihr Körper fühlte sich nass auf seiner Haut an und auf seinen Rücken prasselte das heiße Wasser der Dusche. Zu heiß für Tais Geschmack, doch das war ihm im Moment egal. Er begann, sich langsam zu bewegen. „Die Fliesen sind verdammt unbequem“, keuchte Mimi. „Heul‘ leise“, erwiderte er. „Was?! Tai!“, rief sie empört. „Wir können gern die Positionen tauschen!“ „Ich könnte mich irren, aber ich glaube, das funktioniert nicht“, erwiderte er schwer atmend und stieß schneller in sie. Sie schlang die Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihm fest. „Geht’s?“, fragte er nun doch unsicher. „Ja“, hauchte sie. Er veränderte seine Position ein wenig, sodass er tiefer in sie stoßen konnte. Genüsslich schloss er die Augen, die Lippen an ihrem Hals. Mimi stöhnte erregt auf und krallte sich an seinen Schultern fest. „Autsch!“, beschwerte er sich. „Du kratzt!“ „Heul‘ leise“, keuchte sie. Er grinste und intensivierte seine Stöße, sodass ihrer Kehle ein weiteres heiseres Stöhnen entwich. Als sie ihren zweiten Höhepunkt hatte, klammerte sie sich noch enger an ihn. Kurz darauf kam auch Tai schließlich und verlangsamte seine Bewegungen. Als die Welle abgeflaut war, zog er sich aus ihr zurück und ließ sie herunter. „Du solltest öfter die Kontrolle abgeben, Tachikawa“, murmelte er. „Wer sagt, dass ich sie abgegeben habe?“, erwiderte sie noch immer ein wenig atemlos. Er hob eine Augenbraue und sah sie an. In seinem Kopf ratterte es. Er war ihr doch aber eben in die Dusche gefolgt und sie hatten Sex gehabt, obwohl sie tatsächlich einfach nur duschen wollte. Er war einfach ins Badezimmer gekommen und… „Die Tür“, sagte er schließlich. „Du hast nicht abgeschlossen.“ Sie lächelte kokett. „Du bist so durchtrieben“, brummte er und ließ sie los. „Echt, das sieht man dir gar nicht an. Hinterhältiges Prinzesschen.“ Er stieg aus der Dusche und schnappte sich das Handtuch, das sie für sich selbst bereitgelegt hatte. „Hey, lass‘ das hier. Das brauche ich doch noch“, rief sie. „Nö“, antwortete er, band es sich um die Hüften und ging aus dem Badezimmer.   _   Gemeinsam schlenderten Kari und Yolei durch die geschmückten Straßen Odaibas. Es war unverkennbar, dass Weihnachten vor der Tür stand und die Leute voll dabei waren, Geschenke für ihre Liebsten zu finden. Kari und Yolei hatten schon seit einer Ewigkeit nichts mehr zu zweit unternommen, also nutzten sie die Weihnachtszeit aus, um zusammen nach Geschenken zu suchen und zu quatschen. Yolei freute sich wirklich, Kari zu sehen. Sie wirkte heute überaus gut gelaunt, als könnte kein Wässerchen sie trüben. Dies würde ein schöner Nachmittag werden. „Ist eigentlich irgendwas Besonderes passiert? Du bist so gut drauf“, fragte Yolei und musterte ihre Freundin neugierig von der Seite. „Ähm… bin ich das?“, fragte sie verlegen lächelnd und ihre Wangen färbten sich rosa. „Ja, irgendwie schon. Und du wirst gerade rot“, sagte Yolei spitzfindig. „Versprichst du, dass du es niemandem weitererzählst?“, fragte Kari plötzlich und Yolei sah sie mit großen Augen an. „Niemandem was weitererzählen?“ Auf einmal saß sie wie auf glühenden Kohlen vor Neugier. „Ich hab‘ letzte Nacht mit T.K. geschlafen“, platzte Kari heraus und grinste schief. „Oh“, machte Yolei und war fast ein wenig enttäuscht. Sie hätte mit etwas Weltbewegenderem gerechnet. „Jetzt erst? Ihr seid doch schon seit einer Weile zusammen.“ „Ja ähm… also...“, stammelte Kari und kratzte sich beschämt am Kopf. „Schon gut, war nicht so gemeint“, erwiderte Yolei fröhlich. „Ich war nur ein bisschen überrascht, dass ihr das jetzt erst gemacht habt. Ihr seid ja schon seit einer Ewigkeit sowas wie ein Paar. Da dachte ich nur, bei euch geht das schneller.“ „Hast du es denn schon mit Ken gemacht?“, fragte Kari leise, so als könnte sie jemand belauschen. „Ja, klar“, antwortete Yolei abwinkend. „Aber erst einen Monat, nachdem wir zusammen gekommen sind. Es war aber auch ein bisschen schwieriger, weil wir uns nicht jeden Tag sehen konnten. Ansonsten hätten wir es bestimmt schon eher getan.“ „O-okay.“ Kari wirkte erstaunt, fast schon ehrfürchtig. „Wie war es denn mit T.K.?“, fragte Yolei nun wieder. „Oh, es war wirklich schön“, seufzte Kari und das Strahlen schlich sich zurück auf ihre Lippen. „Er war sehr vorsichtig und es tat fast überhaupt nicht weh.“ „Das freut mich“, erwiderte Yolei lächelnd. „Und ich kann dir versprechen, dass es mit jedem Mal schöner wird.“ Kari kicherte verlegen. „Ich bin schon gespannt.“ Yolei konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Bestimmt konnten Kari und T.K. von nun an kaum die Finger voneinander lassen. „Aber andererseits fühlt es sich auch echt irgendwie komisch an“, redete Kari dann weiter. „Gerade, weil wir uns schon so lange kennen. Plötzlich machen wir halt solche Sachen und das ist so ungewohnt.“ „Ach, daran gewöhnt ihr euch bestimmt ganz schnell“, meinte Yolei schulterzuckend. „Ich überlege im Moment, ob ich mir die Pille verschreiben lassen soll.“ „Ach wirklich?“, rief Kari überrascht. „Ja, naja bevor noch irgendwas passiert…“, sagte Yolei langsam. Auf eine ungewollte Schwangerschaft konnte sie wirklich gut verzichten. Vor allem in ihrem Alter. „Dann sollte ich das ja vielleicht besser auch tun“, murmelte Kari unsicher. „Wir können zusammen gehen. Dann wird es bestimmt nicht so schlimm“, schlug Yolei begeistert vor. „Au ja, dann muss ich nicht mit meiner Schwester gehen.“ „Mit deiner Schwester?“ „Ja. Als das mit Ken angefangen hat und meine Eltern das mitbekommen haben, hat meine Mutter meiner Schwester gesagt, sie soll mal mit mir zum Arzt gehen.“ Genervt verdrehte Yolei die Augen, als sie sich an das seltsame Gespräch zurückerinnerte.“ „Oh, wie peinlich“, sagte Kari und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Das kannst du laut sagen. Meine Schwester hat natürlich auch keine Lust darauf. Die ist bestimmt froh, wenn ich ihr sage, dass ich mit dir gehe“, erzählte Yolei. „Und wenn ich mit dir gehe, kommt meine Mutter bestimmt nicht auf die Idee, mit mir gehen zu wollen“, fügte Kari hinzu. „Wir retten uns gegenseitig vor unseren Müttern“, stellte Yolei fest und sie mussten lachen.   _   Tropfnass und wütend stampfte Mimi in ihr Zimmer und stieß die Tür auf. Tai hatte es sich, noch immer nur mit dem Handtuch bekleidet, auf ihrem Bett bequem gemacht und blätterte in einer ihrer Zeitschriften herum. „Wer zieht sowas an?“, fragte er stirnrunzelnd und drehte die Zeitschrift zu ihr um. Abgebildet war Kate Moss in einem Kleid, das man tatsächlich nicht in der Öffentlichkeit tragen konnte, ohne verachtende Blicke auf sich zu ziehen. „Und wer ist die überhaupt? Die sieht total seltsam aus.“ „Warum schnüffelst du in meinem Zimmer herum?“, erwiderte Mimi statt einer Antwort. „Und gib mir gefälligst das Handtuch.“ „Das lag hier neben deinem Bett. Versteck‘ deinen Kram halt, wenn du nicht willst, dass es jemand sieht. Und nö, ich brauche das. Sonst wäre ich ja nackt.“ Er grinste und sie wurde langsam wütend. „Mir ist kalt!“, beschwerte sie sich und streckte fordernd ihre Hand nach dem Handtuch aus. „Dann komm‘ her.“ Statt ihr das Handtuch zu geben, ergriff er ihre Hand und zog sie zu sich ins Bett. „Hey, ich bin nass!“, rief sie empört, konnte sich jedoch gegen seinen Griff nicht wehren. „Oh nein, wie schlimm. Schade, dass Wasser nicht trocknet. Du wirst dir wohl ein neues Bett kaufen müssen“, erwiderte er sarkastisch und zog sie auf sich. „Du bist echt dämlich“, schimpfte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Vollkommen splitternackt saß sie auf seinem Schoß und sah auf ihn herab. Seine Hände fuhren über ihre Oberschenkel und er erwiderte ihren Blick. „Du bist so schön“, murmelte er, während sein Blick über ihren Körper wanderte. „Du meinst bestimmt nur meine Brüste“, grummelte sie und verschränkte die Arme so vor der Brust, dass sie ihm den Blick darauf versperrte. „Nein. Ja. Aber nicht nur. Ich meine alles an dir.“ Er setzte sich auf und legte die Hände an ihre Wangen. „Deine Lippen“, er küsste ihre Lippen, „deine Nase“, er küsste ihre Nase, „dein Kinn“, er küsste ihr Kinn, „dein Hals“, er küsste ihren Hals. Genießerisch legte Mimi den Kopf in den Nacken, um ihm mehr Platz zu bieten. Er saugte leicht an einer Stelle, biss sanft in ihre Haut und erregte sie erneut. „Tai“, seufzte sie, als eine Gänsehaut sich über ihren gesamten Körper ausbreitete. „Mhm?“, raunte er, ohne von ihr abzulassen. „Wir könnten auch einfach reden“, flüsterte sie. „Du sitzt nackt auf mir. Keine gute Ausgangslage zum Reden. Kann nicht klar denken“, nuschelte er gegen ihren Hals. Mit einer Hand massierte er ihre Brust, die andere Hand lag auf ihrem Po. Hitze breitete sich in Mimis Unterleib aus. Schon wieder. Wie machte er das nur? „Bist du schwanzgesteuert oder so?“, fragte sie atemlos. Ihre Finger vergruben sich in seinem unordentlichen, feuchten Haar. Zwischen ihren Beinen konnte sie deutlich spüren, wie erregt auch er bereits war. „Ich glaube, das nennt man verliebt“, entgegnete er. Sein Daumen strich sanft über ihre Brustwarze. Mimi konnte nicht mehr. Obwohl das letzte Mal noch nicht einmal eine halbe Stunde her war, war sie erneut so erregt, dass sie nicht warten konnte. Etwas umständlich zog sie das Handtuch so von seinen Hüften weg, dass es nicht mehr als Barriere zwischen ihnen lag, und ließ ihn in sich eindringen.   _   „Oh, Joe!“ Sora lächelte den jungen Studenten an, der soeben Nami’s Café betreten hatte. Er lächelte zurück und ging zu ihr zum Tresen, um sie zu begrüßen. „Hallo, Sora.“ „Kann ich dir was bringen? Kaffee?“, bot sie an und hielt die Kaffeekanne hoch. „Oh ähm… eigentlich bin ich nur hier, um Nami etwas vorbeizubringen. Aber wenn du schon so fragst…“, erwiderte er und Sora schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. Nami saß gerade mit zwei Gästen an einem Tisch und unterhielt sich mit ihnen. „Wie geht’s dir so? Ist alles okay bei dir?“, fragte sie und schob ihm die Tasse zu. „Danke. Ja, alles in Ordnung. Ich fange nur gerade an, für die Klausuren zu lernen und das ist ein bisschen stressig. Aber ansonsten ist alles gut“, antwortete Joe und nippte vorsichtig an dem heißen Kaffee. „Du siehst überhaupt nicht gestresst aus“, stellte Sora fest und stützte den Kopf auf den Händen ab. Irgendwie wirkte Joe immer ziemlich glücklich, wenn sie ihn sah. Seine Ausstrahlung strotzte nur so vor Zufriedenheit. Ob das an seiner glücklichen Beziehung mit Nami lag? „Ach nein? Dann ist ja gut“, meinte Joe schief grinsend. „Du sag‘ mal… da ich dich schon mal treffe… wie war das mit Namis Verlobung?“ Überrascht musterte Sora ihn über den Tresen hinweg. „Was genau meinst du?“ „Naja, sie war doch verlobt vor ihrer Trennung. Weshalb hat sie sich getrennt?“, fragte er weiter und schob sich verlegen seine Brille zurecht. „Ich meine, wenn sie sich vorher verlobt hat, sollte man doch meinen, dass die Beziehung dann auch für immer hält. Schließlich möchte man dann ja für immer zusammen sein.“ Sora dachte eine Weile darüber nach, wie viel sie ihm erzählen sollte. Nami hatte ihr im Laufe der Zeit nach und nach ein wenig über ihre gescheiterte Beziehung verraten, wenn auch sicher nicht alles. Offensichtlich hatte sie jedoch mit Joe nicht weiter darüber gesprochen. „Soweit ich weiß, war der Typ ein Idiot“, erklärte sie langsam. „Sie war fünf Jahre lang mit ihm zusammen und eben auch verlobt. Er hat studiert. Dann war er ein Semester lang im Ausland, irgendwo in Europa. Und dort hat er ‘ne andere kennengelernt und mit Nami Schluss gemacht.“ Joe machte ein finsteres Gesicht und nickte. „Okay, danke.“ „Wieso fragst du überhaupt?“ Nun wurde er ein wenig rot um die Nase und lächelte verlegen. „Naja, ich möchte ihr vielleicht bald einen Heiratsantrag machen.“ „Was?!“ Mit großen Augen starrte sie ihn an. „Im Ernst?“ „Ja.“ Nun wurde sein Blick noch verlegener und er kratzte sich am Hinterkopf. „Ist das so unglaublich?“ „Nein… nein! Ich freue mich für dich. Ich bin nur ein bisschen überrascht“, gestand Sora. „Also wir haben auch noch nicht darüber geredet. Ich kann noch nicht einschätzen, wie sie zu einem Heiratsantrag stehen würde“, meinte Joe nachdenklich. „Ich schätze, sie ist erst mal ein bisschen vorsichtiger, was Verlobungen angeht. Andererseits ist sie aber auch mit dir zusammengezogen und es war ja mit euch sowas wie Liebe auf den ersten Blick. Also bestimmt stehen deine Chancen gut, dass sie ja sagt“, versuchte Sora ihm zu helfen, doch auch ihr fiel es schwer, Nami in der Richtung einzuschätzen. „Ich wollte es ja sowieso nicht sofort machen. Ich ziehe es nur in Erwägung“, erwiderte Joe. „Ich glaube, dass sie dich wirklich liebt, Joe. Sie wirkt sehr glücklich, genauso wie du. Trotzdem könnt ihr es doch auch langsam angehen lassen. Immerhin wohnt ihr ja sogar schon zusammen. Man muss ja nichts überstürzen“, erklärte sie. „Nein, ich möchte es nicht überstürzen. Ich will es ja auch nicht versauen.“ Sora kicherte und legte eine Hand auf Joes Arm. „Joe, von allen Jungs, die ich kenne, glaube ich von dir am allerwenigsten, dass du eine Beziehung versauen könntest. Du bist immer ehrlich zu jedem, hast für alle ein offenes Ohr, bist sehr gewissenhaft und ordentlich. Du wirst nichts versauen.“ „Danke“, murmelte er lächelnd.   _   Schwer atmend lagen sie nebeneinander in Mimis Bett. Sie hatten tatsächlich den ganzen Nachmittag kaum etwas anderes getan als miteinander zu schlafen. Natürlich gab es auch Pausen zwischendurch, in denen sie einfach miteinander geredet und Luft geschnappt hatten. Doch irgendwann waren sie wieder übereinander hergefallen. Tai konnte sich selbst nicht so genau erklären, woher dieses starke Verlangen auf einmal kam. Anscheinend war er schlimmer in Mimi verliebt, als er vermutet hatte. „Jetzt reicht’s aber echt“, seufzte Mimi erschöpft. „Bestimmt kann ich morgen nicht mehr sitzen.“ „War es so schlimm?“, fragte er und hob eine Augenbraue. „Nur ein bisschen zu oft.“ „Und das ausgerechnet aus deinem Mund. Ich dachte, du bist das gewöhnt“, erwiderte er argwöhnisch. „Wie bitte?!“ Empört starrte sie ihn an. „Taichi Yagami, du fliegst gleich raus. Und zwar ohne deine Klamotten!“ „War doch nur ein Witz“, erwiderte er lachend und zog sie an sich. „Sehr lustig“, grummelte sie beleidigt. „Ach komm‘ schon. Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.“ Sie seufzte tief. „Da hast du wohl Recht.“ „Ich habe immer Recht.“ „Ist das schon wieder einer deiner unlustigen Witze?“ „Nicht so frech, Tachikawa.“ Sie schwiegen eine Weile und genossen es, sich so nah zu sein und einfach nichts zu tun. Er streichelte ihren Arm, während ihr Kopf an seiner Brust lag. Ihr Haar fühlte sich weich und seidig auf seiner nackten Haut an. „Sag‘ mal, wann darf ich dich offiziell besuchen?“, fragte er. „Du besuchst mich doch gerade offiziell“, erwiderte sie verwirrt. „Ja, weil deine Eltern nicht da sind und mich sowieso nicht sehen werden. Ich möchte aber nicht jedes Mal darauf warten, dass deine Eltern mal wieder irgendwo unterwegs sind“, sagte er ernst. „Naja, ich kann ja auch zu dir kommen“, schlug Mimi vor. Er runzelte die Stirn. „Du willst mich also definitiv vor deinen Eltern geheim halten?“ „Nein. Ich weiß nicht. Du weißt doch, dass sie dich nicht mögen. Wobei sie Matt inzwischen noch weniger mögen als dich“, murmelte Mimi und zog mit dem Finger Kreise auf seiner Brust. „Vielleicht würden sie mich ja mögen, wenn sie mich richtig kennenlernen“, warf Tai ein. „Du verstehst das nicht“, sagte sie leise. „Gerade mein Vater ist da echt ein bisschen kompliziert.“ Er seufzte resigniert und beschloss, das Thema auf einen anderen Tag zu verschieben. Sie waren ja auch gerade mal ganz frisch ein Paar. Über solche Dinge konnte man auch später noch diskutieren. Sie würden ja noch genug Zeit haben. Kapitel 47: Somebody to you --------------------------- Sonntag, 24. Dezember 2006   Nervös kaute Mimi auf ihrer Unterlippe herum. Heute war der Tag der Tage. Heute würde sie zusammen mit den Tokyo Rebels vor tausenden von Menschen auf ihrem Weihnachtskonzert auftreten. „Iss doch wenigstens ein bisschen“, forderte Satoe sie auf und musterte sie besorgt über den Tisch hinweg. Aber Mimi konnte nicht. In nicht einmal drei Stunden würde das Konzert beginnen. Schon den ganzen Tag wusste sie überhaupt nichts mit sich anzufangen und suchte sich irgendwelche Beschäftigungen. Sie war schon mit ihren Eltern spazieren gegangen, hatte ihrer Mutter beim Kochen geholfen, hatte Geschenke eingepackt, doch nichts hatte sie so wirklich abgelenkt. Wann immer sie an ihren kommenden Auftritt dachte, begann ihr Herz vor Aufregung zu rasen und ihr wurde schwindelig. Wie sollte sie es nur schaffen, auf der Bühne nicht umzukippen? „Aber es ist Weihnachten und du solltest am Familienessen teilnehmen“, meinte ihr Vater und warf ihr ebenfalls einen kritischen Blick zu. „Ich bin doch hier“, grummelte Mimi und schob ein Stück Fleisch auf ihrem Teller hin und her. „Aber nicht in Gedanken“, sagte ihre Mutter. „Es wird schon alles gut gehen nachher“, meinte Keisuke abwinkend. „Du bist wunderschön und hast eine tolle Stimme. Die Leute werden dich lieben.“ „Das denke ich auch. Mimi, du kannst es gar nicht versauen. Das Lied, das ihr beide singen werdet, ist sicher super. Vor allem, weil du mitsingst“, pflichtete Satoe ihm bei. „Ja. Ich kann gar nicht glauben, dass unsere Prinzessin vor so vielen Leuten auftreten wird“, seufzte Keisuke und sein Blick wurde verträumt, sodass Mimi die Stirn runzelte. „Ich auch nicht. Das wird einfach unglaublich. Wir sind so stolz auf dich.“ Gerührt wischte Satoe sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Beide hatten sie nun ihre Blicke auf Mimi gerichtet und sahen aus, als würden sie jeden Moment in Tränen ausbrechen und ihr um den Hals fallen. Entschlossen legte Mimi ihre Stäbchen neben ihrem Teller ab und legte ihre Serviette auf den Tisch. „Ähm… ich gehe dann nochmal üben.“   _   Gut gelaunt stand Kari auf ihrem Platz in der großen Konzerthalle und wartete darauf, dass ihr Bruder, Joe, T.K. und Davis mit den Getränken zurückkehrten. Sie alle hatten beschlossen, gemeinsam das Weihnachtskonzert der Tokyo Rebels zu besuchen und sich anschließend noch zu treffen. Alle bis auf Mimi, die aus irgendeinem Grund erst zum Treffen kommen wollte, was Tai nervte. Er hatte mehrfach versucht, sie dazu zu überreden, zum Konzert zu kommen, doch sie war stur geblieben. Kari war wirklich fasziniert davon, wie Mimi es geschafft hatte, Tai so sehr den Kopf zu verdrehen, sodass der nun kaum noch etwas anderes im Kopf hatte als Mimi. Als sie im April zu ihnen gekommen war, hatte jeder in der Gruppe gehofft, dass sie sich einfach aus dem Weg gehen würden. Ständig waren sie aneinander geraten. Doch irgendwie hatten sie es scheinbar geschafft, sich innerhalb von sieben Monaten ineinander zu verlieben. Vielleicht hätte Kari Mimi eher nach Beziehungstipps fragen sollen, dann hätte sie sich das Drama mit T.K. sparen können. In diesem Augenblick kehrten die Jungs mit den Getränken in den Händen zurück. T.K. drückte Kari ihre Cola in die Hand und sie bedankte sich lächelnd. „Ich bin schon echt gespannt auf ihre neuen Lieder“, meinte Kari und sah nach vorn auf die noch leere Bühne. Die Instrumente waren jedoch bereits aufgebaut. „Soll ich mal raten? Ich tippe auf Kaspermucke“, antwortete Tai schief grinsend. „Tai! Keine Kaspermucke“, wies Sora ihn zurecht. „Naja irgendwie schon“, erwiderte er. Joe hatte einen Arm um Nami gelegt, die ebenfalls mitkommen wollte, und schmunzelte über das Gespräch. „Ich bin mir sicher, sie werden ein paar gute neue Lieder haben.“ „Ich glaube, es wird genau wie immer.“ Tai schob die Hände in die Hosentaschen und wirkte ein wenig gelangweilt, sodass Kari die Augen verdrehte. „Wenn du dich so langweilst, kannst du ja auch ins Café gehen und unser Treffen vorbereiten“, sagte sie schnippisch. „Genau! Du könntest noch einen Kuchen backen! Ich wäre für eine Schokotorte“, stimmte Yolei ihr fröhlich zu, die mit Ken zusammenstand. „Ich hätte lieber was Herzhaftes. Könntest noch eine Pizza machen“, fügte Davis hinzu. „Oder wie wäre es mit einem leckeren Obstsalat?“, schlug Sora vor. „Hat sonst noch jemand einen Wunsch?“, murrte Tai und die anderen lachten. „Oh, ich glaube, es geht los“, sagte Izzy dann und alle richteten ihre Blicke auf die Bühne, die soeben unter tosendem Applaus von den Tokyo Rebels betreten wurde.   _   Die neuen Lieder der Band waren nicht viel anders als die alten und so folgte Tai dem Konzert mäßig interessiert. Obwohl es nicht sein Musikgeschmack war, musste er zugeben, dass er Matt und die anderen Jungs für das bewunderte, was sie auf die Beine stellten. Immerhin schrieben und komponierten sie ihre Songs ganz allein. Und die vielen Fans gaben ihnen die Gewissheit, dass das, was sie taten, richtig war. Es musste schon ein unglaubliches Gefühl sein, mit etwas, was man liebt, berühmt zu werden. Mehr oder weniger. Nach dem vierten oder fünften Song griff Matt nach dem Mikrofon und räusperte sich. „Unser nächster Song ist etwas Besonderes und auch für uns eine absolute Premiere. Wir hatten nämlich Verstärkung. Weibliche Verstärkung.“ Beifall und Jubel von den Fans, sodass Matt einen Augenblick warten musste. „Ich habe den Song mit ihr zusammen geschrieben und… er bedeutet uns eine Menge.“ Fragend runzelte Tai die Stirn und fing Soras Blick auf. Auch sie schien nicht gewusst zu haben, dass Matt Unterstützung von einem Mädchen bekommen hatte. Normalerweise brauchte er das weibliche Geschlecht nur für die Befriedigung seiner Gelüste. „Der Song richtet sich vor allem an zwei Menschen, die uns sehr wichtig sind. Sie sind heute Abend hier und ich hoffe, dass sie wissen, dass sie gemeint sind. Aber er ist auch für alle Verliebten da draußen unter euch, egal ob glücklich oder unglücklich.“ Wieder Jubel und Beifall aus dem Publikum. „Und jetzt freue ich mich, unsere bezaubernde weibliche Unterstützung vorzustellen. Mimi!“ Die Menge brach in Beifall aus und die Bühne betrat niemand anderes als Mimi Tachikawa. „Was?!“, entfuhr es Tai entgeistert. „Mimi?“, kam es von Kari. „Das gibt’s nicht!“ „Unsere Mimi?“ „Hä?“ „Ich dachte, sie hätte keine Zeit!“ Die Freunde tauschten irritierte, überraschte und fassungslose Blicke, während Mimi ein wenig steif über die Bühne zu Matt stapfte. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid und schwarze Stiefel. Ihre schulterlangen Haare waren offen und geföhnt. Tai konnte außerdem erkennen, dass ihr Gesicht stark geschminkt war. Mit beiden Händen umklammerte sie das Mikrofon. Ihr Lächeln wirkte aufgesetzt. „Äh…“, machte sie und schien sprachlos. „Stell‘ dich doch kurz vor“, sagte Matt nach einer Weile zu ihr. „Äh… i-ich… ähm…“, stotterte sie. Tai hob die Augenbrauen. Mimi sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. „Sie ist noch ein bisschen schüchtern“, meinte Matt grinsend an das Publikum gewandt und legte einen Arm um Mimis Schultern. „Komm‘ schon. Hier sind alle ganz scharf drauf, deine Stimme zu hören, oder?“ Erneut jubelnder Beifall im Publikum. „Ähm… ich bin Mimi und wir wollen euch unseren Song ‚Somebody to you‘ vorstellen“, stammelte sie dann endlich und bekam erneut Applaus. Shin gab am Schlagzeug den Takt vor und dann spielten sie die ersten Töne. Schließlich begann Matt zu singen. „I used to wanna be Living like there’s only me But now I spend my time Thinking ’bout a way to get you off my mind. I used to be so tough, Never really gave enough And then you caught my eye Giving me the feeling of a lightening strike.” Dank Mimis gelegentlicher Hilfe in Englisch konnte er das meiste vom Text verstehen. Er fragte sich, ob Matt da über Sora sang. Er warf einen Seitenblick auf seine beste Freundin, die mit großen Augen zur Bühne starrte und deren Wangen leicht gerötet waren. „Look at me now, I’m falling Can’t even talk, st-stuttering, This cloud I’m on keeps shaking oh oh oh, now.” Belustigt schüttelte Tai den Kopf. Dieser Popstil nervte ihn mehr als der rockige Stil, den die Tokyo Rebels sonst hatten. „All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. Everybody’s tryin’ to be a billionaire But everytime I look at you I just don’t care ‘Cause all I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you.” Bisher hatte Mimi noch nicht ein Wort gesungen, sondern hatte nur steif neben Matt gestanden und ins Publikum gestarrt. Nebenbei hatte sie versucht, sich ein wenig zum Takt der Musik zu bewegen, was ihr offensichtlich schwer fiel. Dabei war sie sonst in solchen Dingen so sicher. Matt warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu, den sie nicht erwiderte, sondern stattdessen nur weiter ins Publikum starrte. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie in den nächsten Sekunden anfangen zu singen. Matt schien der gleichen Meinung zu sein, denn er hob sein Mikrofon erneut, doch bevor er einen Ton von sich geben konnte, begann Mimi endlich zu singen. „I used to run around, I didn’t wanna settle down But now I wake each day Looking for a way that I can see your face.” Obwohl sie noch immer steif wirkte und nicht ganz so laut sang wie Matt, war deutlich zu hören, wie perfekt ihre Stimme zu dem Song passte. Unsicher sah sie zu Matt, der sie angrinste und ermutigend nickte. Das schien auch Mimi endlich ein wenig mehr Selbstbewusstsein zu geben, denn nun erschien auch auf ihren Lippen ein Lächeln und ihre Stimme wurde lauter. „I’ve got your photograph But baby I need more than that, I need to know your lips, Nothing ever mattered to me more than this.” Nun setzte auch Matt wieder ein und sie sangen den nächsten Part gemeinsam. „Look at me now, I’m falling Can’t even talk, st-stuttering, This cloud I’m on keeps shaking oh oh oh, now. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. Everybody’s tryin’ to be a billionaire But everytime I look at you I just don’t care ‘Cause all I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you.“ Tai und Sora tauschten einen vielsagenden Blick. Matt und Mimi hörten sich zusammen einfach unglaublich an. Sie schienen irgendwie ein perfektes Duett abzugeben. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll“, meinte Sora und wirkte ein wenig hilflos. „Ich auch nicht“, stimmte Tai ihr schulterzuckend zu. Noch zweimal sangen Matt und Mimi den Refrain zusammen, dann war der Song vorbei. Mimi bedankte sich überschwänglich beim jubelnden Publikum und verschwand dann wieder von der Bühne.   _   Noch immer aufgeregt durcheinander redend standen die Freunde in einer Gruppe alle beieinander und warteten auf Matt und Mimi. Obwohl das Konzert insgesamt fast zwei Stunden dauerte, war der einzelne Song mit Mimi noch immer das Gesprächsthema der Gruppe. „Ich frage mich, wen sie wohl gemeint haben mit den zwei wichtigen Menschen“, gluckste Yolei und zwinkerte grinsend Richtung Tai und Sora, die zusammen standen und beide ein wenig unsicher waren. Sora konnte ihre aktuelle Gefühlslage einfach nicht beschreiben. Einerseits hatten Matts Worte sie sehr gerührt. Ihr war klar gewesen, dass er nur sie gemeint haben konnte. Ihr Herz hatte wild geklopft und auch jetzt war sie aus irgendeinem Grund aufgeregt, wenn sie daran dachte, dass er gleich bei ihnen sein würde. Andererseits jedoch verwirrte sie das Verhältnis zwischen Matt und Mimi. Meistens hatte sie den Eindruck, die beiden verstanden sich nicht besonders gut, doch irgendwie war diese Sache seltsam. Ja, Mimi war jetzt mit Tai zusammen und schien auch überglücklich mit ihm zu sein. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie mehrmals mit Matt geschlafen hatte. Und auch wegen des Songs mussten sie eine Menge Zeit miteinander verbracht haben. Sora wusste, dass sie nicht eifersüchtig sein sollte, konnte sich aber nicht dagegen wehren, einen leichten Stich im Herzen zu verspüren. Und sie hatte das Gefühl, dass es Tai so ähnlich ging. Endlich tauchten Matt und Mimi bei der Gruppe auf und Sora presste die Lippen aufeinander. Mimis Gesicht glühte noch immer vor Aufregung und sie strahlte breit. Sie ging zu Tai und klammerte sich an seinen Arm. Auch Sora bekam ein Lächeln von ihr. „Wie fandet ihr es?“, fragte sie mit leuchtenden Augen. „Es war… wirklich schön“, murmelte Sora zögerlich. „Ich wusste gar nicht, dass ihr sowas macht“, antwortete Tai. „Naja, es sollte ja auch eine Überraschung werden“, erklärte Mimi. „Ihr habt bestimmt lang daran gesessen“, erwiderte Tai. Mimi lachte. „Ja, das kannst du laut sagen. Matt kann echt sowas von stur sein. Aber irgendwie hat es auch echt Spaß gemacht.“ Sora lächelte leicht und murmelte ein „Freut mich“, während Tai nichts sagte. Nun runzelte Mimi ein wenig verwirrt die Stirn. „Was ist los mit euch? Stimmt irgendwas nicht?“ „Nein, nein, alles in Ordnung“, antwortete Sora hastig und hob die Hände. „Das Lied war wirklich toll. Ich werde mir auf jeden Fall die CD kaufen.“ Mimi zog eine Schnute und schien nicht vollends überzeugt. Schwatzend und gut gelaunt machte sich die Gruppe auf den Weg in Nami’s Café. Dort hatten Nami, Joe und Sora schon den Vormittag damit verbracht, den Gastraum so zu gestalten, dass sie alle beisammen sitzen konnten. Alle hatten bereits im Laufe des Tages kleine Speisen vorbeigebracht, sodass sie genug zu essen für ihre Weihnachtsfeier hatten. Nami stellte Getränke. Es gab Tee, Punsch und genügend Kaltgetränke. Weihnachtsmusik wurde angestellt und alle setzten sich um die zusammengestellten Tische herum. Jeder hatte eine Tasse mit dampfendem Punsch vor sich stehen und wärmte sich die kalten Hände. Im Café war es jedoch kuschelig warm und dank Kerzenschein und Weihnachtslichtern gemütlich. Die Stimmung war unverändert ausgelassen, sodass sie von Anfang an viel redeten und lachten. Sora stützte den Kopf auf der Hand ab und beobachtete ihre Freunde. Heute war es, als hätte es in der Gruppe nie irgendwelche Probleme gegeben. Alles schien perfekt, friedvoll und harmonisch. Sachte lächelnd nippte sie an ihrem Punsch und dachte an all die Geschehnisse des vergangenen Jahres zurück.   _   „Das mit dem Lied passt dir irgendwie nicht, oder?“ Mimi lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und musterte Tai durchdringend. Tai verhielt sich schon den ganzen Abend seltsam ihr gegenüber, ruhiger und abweisender als sonst. Eigentlich hatte sie erwartet und gehofft, dass er sich über den Song freuen würde. Immerhin hatte sie dabei an ihn gedacht. Er erwiderte ihren Blick ausdruckslos und zuckte mit den Schultern. „Schon okay.“ „Nein, das ist nicht okay. Was ist denn los?“, fragte sie ernst. „Nichts, alles gut.“ „Fandest du das Lied wirklich so schlecht?“ „Nein, alles okay“, betonte er nur erneut. „Du und Matt, ihr passt wirklich gut zusammen.“ Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist eifersüchtig.“ „Bin ich nicht“, murmelte er mit finsterer Miene. „Das solltest du auch nicht. Es gibt nämlich überhaupt keinen Grund.“ „Ach nein?“ Ertappt. Er hatte sich endgültig verraten. Er war sehr wohl eifersüchtig. Sie beugte sich zu ihm nach vorn und legte eine Hand auf sein Bein. „Tai, wir haben ein Lied zusammen geschrieben, nicht unsere gemeinsame Zukunft geplant.“ „Schon klar. Du musst nur zugeben, dass es in Ordnung ist, wenn ich ein bisschen angefressen bin, weil meine Freundin mit meinem besten Kumpel, mit dem sie schon mehrmals geschlafen hat, viel Zeit verbringt, um einen Song zu schreiben“, grummelte er und wandte den Blick von ihr ab. „Tai, bitte“, murmelte sie und hatte auf einmal Angst. Angst, dass er sich von ihr trennen könnte. Es war so mühsam gewesen, ihn von sich zu begeistern. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. „Wir haben das Lied geschrieben und dabei wirklich nur an euch gedacht. Dich und Sora. Wir haben damit angefangen, als ich dich schon aufgegeben hatte. Wir waren einfach beide verzweifelt und irgendwie hat uns das immer verbunden. Aber… mehr ist da auch nicht.“ „Außer einer leidenschaftlichen Affäre“, fügte er hinzu. „Die vorbei ist“, erinnerte Mimi ihn. „Tai, zwischen uns läuft so überhaupt gar nichts. Und alles, was je gelaufen ist, war echt rein körperlich. Matt und ich passen so gar nicht zusammen und ich empfinde wirklich nichts für ihn. Ich mag ihn einfach nur. Aber was soll ich denn mit ihm, jetzt, da ich dich haben kann?“ Sie konnte sehen, dass er auf seiner Lippe herumkaute. Er wirkte so unsicher, dass sie ihn kaum wiedererkannte. Bestimmt legte sie die Hände an sein Gesicht, zog ihn an sich und zwang ihn, sie anzusehen. Ein wenig widerwillig richtete er den Blick aus seinen schokoladenfarbenen Augen schließlich auf sie. „Bitte vertrau‘ mir. Ich wurde doch selbst mal verarscht. Ethan. Erinnerst du dich? Der Grund, warum mein Vater keine Fußballer mag? Warum sollte ich jemand anderem so etwas antun, wenn ich genau weiß, wie es sich anfühlt?“, sagte sie leise. Er seufzte resigniert. „Mimi, es ist nur so… ähm… ich… ich liebe dich.“ Überrascht und glücklich starrte sie ihn an. Ja, sie waren jetzt schon seit Anfang Dezember ein Paar, doch sie hatten sich noch nie gesagt, dass sie sich liebten. Sie spürte, wie ihre Knie vor Aufregung zitterten und ihr Herz raste. „Du bist einfach der größte Idiot“, flüsterte sie und küsste ihn dann stürmisch. Ihre Hände bewegte sie keinen Millimeter von seinem Gesicht weg, aus Angst, er könnte sich zurückziehen. Doch er erwiderte ihren Kuss und intensivierte ihn sogar. Mimi ließ sich komplett fallen und vergaß für einen Augenblick völlig, wo sie sich eigentlich befanden und dass sie nicht allein war. Alle anderen Eindrücke wurden ausgeblendet, es gab nur noch sie und ihn. „Hallo? Könnt ihr euch mal zusammenreißen? Das will keiner sehen!“, beschwerte sich Davis und brachte sie dazu, sich voneinander zu lösen. Mit angewidertem Blick beäugte er sie. „Da kann ich mich nur anschließen“, stimmte Kari ihm schief grinsend zu. „Klappe, alle beide“, murrte Tai und Kari lachte. Mimi wusste, dass sie mit Absicht regelmäßig zu T.K. floh, wenn Mimi bei Tai übernachtete. Die Wohnung war einfach zu hellhörig und selbst, wenn Tai und Mimi sich in normaler Lautstärke in seinem Zimmer unterhielten, konnte Kari in ihrem Zimmer nebenan fast jedes Wort verstehen. „Ich liebe dich übrigens auch“, flüsterte Mimi ihm ins Ohr und lächelte. Er verdrehte die Augen. „Ihgitt.“ „Bitte was?“ Sie verengte die Augen zu Schlitzen. „Was denn? Von dir geliebt zu werden ist nicht gerade ein Kompliment“, erwiderte er trocken, grinste dann aber schief. Verärgert boxte Mimi ihm gegen den Arm, freute sich aber innerlich, dass er wieder normaler war. Mehr Tai.   _   „Kommst du mit frische Luft schnappen?“ Offenbar hatte er sie aus ihren Gedanken gerissen, denn sie zuckte zusammen, als er sie leise ansprach und schaute ihn überrascht an. „Ähm… ja klar. Ganz schön warm hier drin“, erwiderte sie und stand auf. Langsam folgte sie ihm zur Garderobe, wo sie sich ihre Jacken schnappten und nach draußen gingen. Matt griff in die Gesäßasche seiner Hose und zog die Schachtel Zigaretten hervor, die er immer bei sich hatte. In aller Ruhe steckte er sich eine an und schob die Schachtel zurück in seine Hose. Er lehnte sich gegen die Hauswand und inhalierte den Rauch der Zigarette. Er hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Sora stand neben ihm, die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben, das Gesicht halb in ihrem Schal versteckt. Er genoss es, so nah bei ihr zu stehen. Das musste er immer wieder feststellen. Vor allem, wenn sie allein waren. „Du hast verstanden, dass ich dich mit dem Lied gemeint habe, oder?“, fragte er nach einer Weile. „Ja“, antwortete sie zögerlich. „Also ich habe es mir gedacht.“ „Und hat es dir gefallen?“ Ihre Meinung war ihm besonders wichtig. „Es… war anders als sonst. Aber ja, ich mag es.“ „Ja, es war wirklich anders. Mimi hat eben eine Popstimme“, erklärte er. „Ihr versteht euch ziemlich gut, oder?“ Er sah sie von der Seite an und versuchte, ihre Bemerkung zu deuten. Ein seltsamer Unterton schwang in ihrer Stimme mit. „Ist okay.“ „Das freut mich.“ „Tut es das wirklich?“ „Ja.“ Schweigend rauchte Matt weiter, bis seine Zigarette nur noch ein Stummel war. Er warf ihn auf den Boden und drückte ihn mit dem Schuh aus. Dann drehte er sich zu ihr und lehnte sich mit der Schulter gegen die Hauswand. Mit einer Hand strich er ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr, sodass sie sich ebenfalls umdrehte und zu ihm aufsah. „Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass du die Einzige bist, die ich ständig küssen will?“ Einen Augenblick lang sah sie ihn nachdenklich an, dann nickte sie. „Ja. Du hast mir mal erzählt, dass du nicht küsst…“ „Zumindest niemanden außer dir.“ „Wirklich niemanden?“ „Niemanden.“ „Also… du hast mir nie gesagt, warum.“ „Hm… es ist mir zu intim“, erklärte er langsam. Argwöhnisch hob Sora eine Augenbraue. „Okay?“ „Ich weiß, was du denkst. Ich hab‘ dazu einfach eine spezielle Meinung. Sex ist für mich einfach nur Spaß. Nichts Ernstes. Mit Küssen ist das anders. Dafür braucht man Gefühle. Starke Gefühle, sonst ist es doch sinnlos.“ „Das ist wirklich eine spezielle Meinung“, erwiderte sie, sodass er schief lächelte. „War ich etwa die Erste, die du je geküsst hast?“ Er schüttelte den Kopf. „Nee. Mein erster Kuss war mit dieser Suki in der achten Klasse, falls du dich an die erinnerst. Hab’s nur gemacht, um es endlich gemacht zu haben. Aber hat mir nicht gefallen, war mir einfach zu intim. Und seitdem habe ich niemanden mehr geküsst.“ „Wow echt?“ Sora wirkte verblüfft. „Ja“, erwiderte er. „Ich… das wusste ich nicht“, nuschelte sie. „Aber… dann… warum willst du nicht, dass wir… wir könnten…“ Er seufzte betrübt und senkte den Blick. „Sora, sei ehrlich. Wäre es dir lieber, wenn wir keinen Kontakt mehr haben? Außerhalb der Schule, meine ich. Ich könnte das verstehen.“ „Es wäre mir lieber, wenn du mir sagen würdest, dass alles gut wird“, entgegnete sie. „Das kann ich dir aber nicht versprechen.“ „Ich will nicht, dass wir keinen Kontakt mehr haben“, flüsterte sie heiser. Es klang fast, als wäre sie den Tränen nahe. Plötzlich schlang sie die Arme um ihn, schmiegte sich an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. Matt biss sich auf die Unterlippe. Der blumige Duft ihres Haars stieg ihm in die Nase. Zögerlich legte er die Arme um sie und zog sie ein wenig näher an sich. Er wusste, dass es nicht fair war, was er tat. Sie liebte ihn, hatte ihm mehr als einmal klar gemacht, dass sie eine feste Beziehung mit ihm wollte, obwohl sie sich in ein paar Monaten auf unbestimmte Zeit in verschiedenen Ländern – vielleicht sogar auf verschiedenen Kontinenten – befinden würden. Doch er wusste einfach nicht, ob er ihr treu bleiben könnte. Ob er es aushalten würde, sie nur so selten zu sehen und dabei ständig der Versuchung ausgesetzt zu sein, sich ein anderes Mädchen zu nehmen. Immerhin war es das, woran er gewöhnt war. Inzwischen hatte er den Eindruck, dass es Tai tatsächlich nichts mehr ausmachen würde, wenn aus Matt und Sora etwas Festes wurde. Aber das Problem der Entfernung schien für ihn unüberwindbar. „Ich liebe dich so sehr“, nuschelte sie in seine Jacke.   _   Seufzend kuschelte Yolei sich an Ken. Schon lange war ihr nicht mehr kalt. Inzwischen war es so mollig warm im Café, dass sie schon schwitzte. Der ganze Punsch und die angenehme Stimmung in der Gruppe hatten sie zusätzlich von innen gewärmt. Zudem fühlte sie sich vollgefuttert und zufrieden. Es war wirklich ein perfekter Weihnachtsabend. Sie hatten die Zeit damit verbracht, Spiele zu spielen, viel zu essen und zu trinken, Weihnachtslieder zu singen und einfach die gemeinsame Zeit als Gruppe zu genießen. Inzwischen war es nach Mitternacht und Yolei wurde allmählich müde. „Warum kannst du heute nicht bei mir übernachten?“, fragte sie mit quengelnder Stimme. „Weil Weihnachten ist. Das haben wir doch schon geklärt“, antwortete Ken und legte einen Arm um sie. „Meine Eltern wollen, dass ich zu Hause bin und deine wollen, dass du zu Hause bist.“ „Sie wollen uns unglücklich sehen“, seufzte Yolei theatralisch, sodass er leise lachte. „Sie lieben uns eben und wollen Weihnachten mit uns verbringen. Sei doch froh, dass wir uns wenigstens hier sehen können.“ Ein wenig beleidigt zog Yolei eine Schnute. So gern würde sie mehr Zeit mit Ken verbringen, viel mehr. Deswegen sollte sie tatsächlich dankbar für jede Minute sein, die sie zusammen verbringen konnten. Und trotzdem wollte sie einfach immer mehr. Dazu war sie andauernd eifersüchtig, wenn sie nicht mit Ken zusammen war. Ihr war sehr wohl bewusst, dass er beliebt bei den Mädchen war und es an seiner Schule so einige Mädchen gab, die gern mit ihm zusammen wären. Dass er sich ausgerechnet Yolei ausgesucht hatte, konnte sie immer noch nicht fassen, wenn sie länger darüber nachdachte. Yolei seufzte und ließ den Blick über ihre Freunde schweifen, die heute allesamt so aussahen, als hätte es in der Gruppe nie irgendwelche Probleme gegeben. Vor allem Tai und Mimi verblüfften sie immer noch mit ihrer Beziehung. Bis vor kurzem hatten sie sich noch gehasst und jetzt saßen sie dort nebeneinander, zogen sich andauernd liebevoll auf und berührten den jeweils anderen immer wieder scheinbar beiläufig. Kari und T.K. waren ein Herz und eine Seele wie eh und je. Das vergangene Jahr hatte ihrer tiefen Freundschaft nichts ausmachen können und nun waren sie sogar ein Paar. Bei Joe hatte sie das Gefühl, er wäre der glücklichste Mensch der Welt. Sein Studium lief ganz gut und er war seit über einem halben Jahr mit Nami zusammen. Sogar eine gemeinsame Wohnung hatten sie schon. In all das Drama, das in der Gruppe passiert war, war er nicht verwickelt gewesen, weil er nicht mehr auf ihre Schule ging, genau wie Ken. Auch Izzy war nicht zu sehr in die Geschehnisse involviert, auch wenn Yolei wusste, dass Mimi ihm sehr viel erzählt hatte. Vermutlich musste er also oft als ihr emotionaler Mülleimer herhalten, doch er wirkte nicht, als würde es ihm etwas ausmachen. Eine Zeit lang hatte Yolei die Vermutung gehabt, er wäre in Mimi verliebt, doch inzwischen glaubte sie das nicht mehr. Vermutlich führte er eine Beziehung mit seinem Hobby. Cody hatte sich zwar von der Gruppe ziemlich distanziert, weil er in seiner neuen Klasse viele Freunde gefunden hatte, doch trotzdem schien er froh, heute bei ihnen sein zu können. Yolei fand, dass er ziemlich gewachsen war. Er kam an der Mittelschule gut zurecht. Ob und was zwischen Matt und Sora lief, wusste Yolei allerdings nicht so richtig. Die beiden waren vor einer Weile für eine halbe Stunde draußen gewesen und mit bedrückten Gesichtern zurückgekommen. Beide hatten ein schwieriges Jahr hinter sich. Sora wirkte wieder ein wenig erholter und sah nicht mehr krankhaft dünn aus. Auch Matt hatte ziemlich viel durchgemacht, doch zumindest seine Band war erfolgreich. Und irgendwie hörte man ja ständig, dass das Privatleben von Musikern das reinste Chaos war. Kapitel 48: Frauenprobleme -------------------------- Dienstag, 16. Januar 2007   Der Morgen begann für Matt damit, dass er eine SMS von Nagisa erhalten hatte, in der sie ihm berichtete, dass das Baby in der Nacht zur Welt gekommen war. Es war ein Junge und sie hatte ihn Akeno genannt. Er wog dreieinhalb Kilo und war kerngesund. Matts Hände begannen zu zittern, als er die SMS las. Er würde am Nachmittag nach der Schule ins Krankenhaus gehen, das Baby kennenlernen und eine Speichelprobe nehmen. Zum Glück hatte er Nagisa dazu überreden können, einen privaten Vaterschaftstest durchzuführen. Allerdings hatte er ihr zuvor mit einem gerichtlichen drohen müssen, da sie sich zunächst geweigert hatte, überhaupt einen zu machen und darauf beharrt hatte, dass er der Vater des Kindes war. Nachdenklich starrte Matt auf die Nachricht auf seinem Handy. Vielleicht war dieser kleine Junge sein Kind. Vielleicht war vor ein paar Stunden sein erstes Kind geboren worden und er war nicht dabei gewesen. Vielleicht hatte er ein Kind mit einem Mädchen, das er nicht einmal leiden konnte. Er rieb sich die Stirn und seufzte leise. Ihm blieb jetzt nichts anderes mehr übrig, als inständig zu hoffen, dass das Kind nicht von ihm war.   _   Nervös kaute Mimi auf ihrer Unterlippe herum. Es war soweit. Der Unterricht war vorbei und sie würde nun mit Tai nach Hause gehen und ihn ihren Eltern als ihren Freund vorstellen. Er hatte sich in den letzten Wochen immer wieder darüber beklagt, dass sie vor ihren Eltern nicht zu ihm stand. Und Mimi musste sich eingestehen, dass er Recht hatte. Immerhin liebte sie ihn, sie hatten schon seit über einem Monat eine feste Beziehung. Außerdem hatte sie ein positives Gefühl bei ihm. Er war der Richtige. Er würde sie nicht nach ein paar Monaten mit irgendjemandem betrügen. Er war ein guter Mensch. „Jetzt sei doch nicht so ängstlich. Du machst mich kirre“, sagte Tai, als sie sich auf dem Weg nach Hause befanden. „Wegen dir denke ich schon, dein Vater schmeißt mich aus dem Fenster.“ „Das ist ja auch gar nicht so unwahrscheinlich“, erwiderte sie todernst. „Wow, danke. Das macht mir Mut.“ „Deswegen wollte ich es ihm nicht sagen, aber du hörst ja nicht auf mich“, zischte sie feindselig. „Ich will halt nicht, dass du mich vor deinen Eltern geheim hältst. Meine Eltern wissen doch auch über uns Bescheid“, erklärte er. „Deine Eltern kann man ja auch nicht mit meinen vergleichen! Und außerdem bin ich eh bald wieder in den USA. Eigentlich lohnt es sich gar nicht, ihnen von uns zu erzählen“, sagte Mimi verzweifelt nach Ausreden suchend. Tai war stehen geblieben. „Was?“ Verwirrt hielt Mimi ebenfalls an und drehte sich zu ihm um. „Es lohnt sich nicht? Was meinst du damit?“, fragte er stirnrunzelnd. „Ich… naja… wir sehen uns ja nicht mehr, wenn ich erst mal wieder weg bin. Ich meine, wie soll das funktionieren?“, murmelte sie. Einen Augenblick lang starrte er sie sprachlos an. „Soll das heißen, du machst Schluss, wenn du wieder zurückgehst?“ „Nein, aber…“ Sie wusste nicht, wie sie diesen Satz beenden sollte. „Aber was?“ „Ich weiß einfach nicht, wie das dann weitergehen soll. Das wird doch schwer. Vielleicht schaffen wir es, uns in den Sommerferien zu treffen. Und danach vielleicht in den Weihnachtsferien. Aber… kann denn das auf Dauer gut gehen?“, stammelte sie und kratzte sich am Kopf. „Sag‘ mal, verarschst du mich gerade?“, platzte Tai heraus. Mimi schluckte und presste die Lippen aufeinander. „Wochenlang verbringst du deine Zeit damit, zu versuchen, mich zu überreden, eine Beziehung mit dir anzufangen und jetzt auf einmal willst du dich trennen? Nach dann nicht einmal einem halben Jahr?!“ „Ich will mich doch gar nicht von dir trennen!“, widersprach sie energisch. „Ich sage ja nur, dass es schwierig wird.“ „Und damit, dass du nicht daran glaubst, dass wir das schaffen können. Ich meine, ich könnte versuchen, mich für ein Studium in den USA einzuschreiben, nachdem ich hier den Anfang gemacht habe. Das geht sicher irgendwie. Dann wäre ich in deiner Nähe. Aber daran scheinst du überhaupt nicht zu denken“, sagte Tai ungläubig. „Ich… also…“ Daran hatte sie tatsächlich aus irgendeinem Grund noch nicht gedacht. „Scheiße, Mimi, ich weiß gerade nicht, was ich davon halten soll.“ „Tai“, sagte sie kleinlaut, trat einen Schritt auf ihn zu und berührte ihn am Arm, doch er schüttelte unwirsch ihre Hand ab. „Nein, schon gut. Anscheinend wolltest du mich nur als Zeitvertreib, genau wie es bei dir und Matt war. Ist Matt dir zu langweilig geworden und du bist deswegen auf mich umgeschwenkt?“, fuhr er sie an, sodass sie zurückzuckte. „Tai!“, rief sie nun wütend und verletzt. „So ist das doch überhaupt nicht!“ „Ach nein? Das habe ich aber gerade ganz anders verstanden. Und weißt du was? Unter diesen Umständen brauchst du deinen Eltern auch nichts von uns erzählen. Lohnt sich wirklich nicht.“ Und dann drehte er sich einfach um und ging. Fassungslos sah Mimi ihm hinterher, unfähig sich zu bewegen.   _   Matt klopfte an die Tür des Raumes, den man ihm im Schwesternzimmer genannt hatte, und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Er befand sich in einem Zimmer mit drei Betten, von denen jedoch nur eines belegt war, und zwar von Nagisa. Unsicher sah sie ihn an, als er zögerlich an ihr Bett herantrat. In einem kleinen Babybett neben ihr befand sich Akeno, der gerade friedlich schlief, wahrscheinlich noch erschöpft von den Strapazen seiner Geburt. „Ähm… hi“, begrüßte Matt sie trocken. „Hi“, murmelte sie und richtete Akenos Decke, obwohl das nicht nötig war. „Wie geht’s?“, fragte Matt distanziert und blickte auf den Säugling hinab. Unbewusst suchte er nach Ähnlichkeiten zu sich selbst, doch er war einfach noch zu klein. Zu frisch. „Ganz gut“, antwortete Nagisa. „Möchtest du ihn mal halten?“ Matt hob eine Augenbraue. „Nein.“ Er würde erst Kontakt zu dem Kleinen suchen, wenn feststand, dass er der Vater war. Vorher wollte er damit nichts zu tun haben. Nagisa seufzte leise, offenbar enttäuscht. „Tja, ich werde dann mal einen Arzt holen für die Proben“, verkündete Matt und drehte sich um. In der Anleitung, die man ihm für den Test zugeschickt hatte, stand, dass ein Arzt bei der Entnahme der Proben dabei sein und unterschreiben sollte, dass die Entnahme korrekt abgelaufen war. Matt ging zur Tür und legte die Hand gerade auf die Klinke, als Nagisa ihn aufhielt. „Warte mal“, sagte sie. Er hielt inne, drehte sich jedoch nicht um. Erneut hörte er sie seufzen. „Möchtest du das wirklich tun?“ „Natürlich.“ „Obwohl ich dir schon hundertmal gesagt habe, dass du der Vater bist?“ „Ich gehe da lieber auf Nummer sicher“, erwiderte er tonlos und öffnete die Tür. Er stand schon fast im Gang, als Nagisa ihn erneut zurückrief. „Matt!“ Ein wenig genervt drehte er sich zu ihr um und sah sie an. „Was denn?“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, ihre Finger spielten mit der Bettdecke. Erwartungsvoll hob er die Augenbrauen. Als sie auch weiterhin nichts sagte, wollte er endlich gehen, doch dann sprach sie. „Du bist nicht der Vater.“ Matt erstarrte im Türrahmen und sah sie an. Seine Hände begannen zu zittern. Sie machte jedoch keine Anstalten, weiterzusprechen. „Würdest du das bitte genauer erklären?“ „Ich… wir haben nicht miteinander geschlafen“, gestand sie so leise, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen. Er schloss die Tür wieder, ging zurück zu ihrem Bett und baute sich vor ihr auf. Er hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich höre.“ Sie holte tief Luft. „In dieser Nacht… nun ja, du warst so fertig, dass es nicht ging.“ Er erwiderte nichts, sondern spannte nur seinen Kiefer an. Jene Nacht, an die er keine Erinnerungen mehr hatte. „Und das ist auch schon alles“, beendete sie ihre Erzählung, als würden sie über das Wetter reden. „Auch schon alles?“, wiederholte er ungläubig. „Du hast behauptet, du wärst schwanger von mir, obwohl du ganz genau wusstest, dass das nicht stimmt. Was sollte das?“ „Ich habe mir eben gewünscht, dass es von dir wäre“, sagte sie leise. „Aber es ist nicht von mir, verdammt nochmal!“, rief er wütend. „Also was sollte das?!“ „Mann, ich habe gehofft, wenn ich dir weismachen kann, es wäre deins, würdest du eine Beziehung mit mir anfangen!“, erklärte sie endlich. Matt klappte der Mund auf. Fassungslos schüttelte er den Kopf. „Ich glaub’s nicht.“ „Ich auch nicht. Ich wünschte, ich hätte dieses blöde Mittel anders dosiert“, nuschelte sie. „Was? Welches Mittel?“ Er konnte sich schon denken, wovon sie redete. Darüber hatte er ja schon mit Sora gesprochen. Sie rümpfte die Nase. „Ach, nicht so wichtig. Es ging ja eh alles schief.“ „Nicht so wichtig?!“ Matt war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. „Entweder, du erzählst mir jetzt verdammt nochmal, was genau dein krankes Hirn sich ausgedacht hat, oder wir sehen uns vor Gericht.“ „Es war nur ein leichtes Betäubungsmittel!“, platzte sie dann plötzlich heraus. „Es sollte nicht so wirken.“ „Betäubungsmittel“, wiederholte er tonlos. „Ich habe es dir heimlich in deinen Drink getan. Aber ich glaube, ich habe zu viel erwischt.“ Für einen kurzen Moment schloss Matt die Augen und ließ sich ihre Erklärung noch einmal durch den Kopf gehen. Dieses Mädel war doch vollkommen irre. Das musste eine psychische Störung sein. Anders ging es doch gar nicht. Ansonsten würde er jeden Glauben an die Menschheit verlieren. Langsam rieb er sich das Gesicht und versuchte, tief durchzuatmen. Er wollte und konnte jetzt nicht auf sie losgehen. Sie hatte vor wenigen Stunden ein Kind zur Welt gebracht. Ein Kind, das zum Glück nicht seins war. „Du hast mir heimlich Betäubungsmittel verabreicht, wolltest dann ohne Verhütung mit mir schlafen, um schwanger zu werden in der Hoffnung, dass ich dann eine Beziehung mit dir anfange“, fasste er das Geschehene noch einmal zusammen. Sie nickte langsam, ohne ihn anzusehen. „Dann konntest du nicht mit mir schlafen, weil mit mir nichts mehr anzufangen war, hast dir den nächstbesten Typen gekrallt, dich von ihm schwängern lassen und wolltest mir das Kind unterjubeln?“, fragte er. Sie nickte erneut. „Oh mein Gott“, murmelte Matt und ging zum Fenster. Es fühlte sich an, als befände er sich in einem Alptraum. Oder einem schlechten Film. „Ich schätze, der Typ weiß noch nichts von seinem Glück?“ „Hab‘ seine Kontaktdaten nicht“, erklärte sie knapp. Wie hohl konnte ein Mensch sein? Hatte sie wirklich geglaubt, sie würde mit dieser Masche durchkommen? Was ging noch in ihrem kranken Hirn vor? „Warte mal“, sagte er und drehte sich wieder zu ihr um, „das Video von Mimi und mir auf dem Klo. Warst du das?“ Sie zögerte eine Weile und zuckte dann mit den Schultern, was Matt Antwort genug war. „Und das mit den ganzen Fotos in der Schule? Kam das auch von dir?“ „Möglich.“ Fassungslos schüttelte er den Kopf. „Du bist vollkommen krank. Total durchgeknallt. Dir ist klar, dass ich dich anzeigen werde?“ Nun sah sie ihn wieder an und wirkte einigermaßen überrascht. Wieder und wieder schüttelte Matt den Kopf. Er wusste einfach nicht, wie er seinem Entsetzen über dieses geisteskranke Mädchen sonst Ausdruck verleihen sollte. Er wollte keine Sekunde länger mit ihr in einem Raum verbringen und so verließ er das Krankenhaus ohne eine Verabschiedung wieder.   _   „Wie war eigentlich Kens Geburtstag? Du hast noch gar nichts davon erzählt“, fragte Kari und blickte Yolei neugierig über den Tisch hinweg an. Sie saßen in der Küche der Yagamis und halfen Yuuko dabei, das Abendessen vorzubereiten. Yolei wollte ihnen ein tolles Rezept ihrer Mutter zeigen. „Oh, es war echt schön“, antwortete Yolei grinsend. „Wir waren mit seinen Eltern essen und haben uns danach mit ein paar seiner Schulfreunde in einer Bar getroffen. War wirklich witzig.“ Kari wollte gerade etwas erwidern, als die Wohnungstür aufflog und Tai wutschnaubend hereingestürmt kam. Ohne jeden Gruß warf er die Tür hinter sich zu und rauschte an ihnen vorbei. „Was ist denn mit dir los?“, rief Kari ihm hinterher und hob eine Augenbraue. Auch Yolei und Yuuko blickten ihm verwirrt nach. „Halt die Klappe, Kari!“, rief er nur und riss die Tür zu seinem Zimmer auf. „Du sollst nicht so mit deiner Schwester reden!“, erwiderte Yuuko verärgert, doch da hatte er seine Zimmertür schon wieder zugeworfen. Verblüfft sahen sich Kari, Yuuko und Yolei in der Küche an. „Ist irgendwas in der Schule passiert?“, fragte Yuuko und sah zwischen den beiden Mädchen hin und her. Beide zuckten nur mit den Schultern. Kari hatte nichts mitbekommen. „Vielleicht hat er ja auch nur seine Tage“, meinte Kari gleichgültig und Yolei prustete los. Zehn Minuten später klingelte es stürmisch an der Tür. „Kari, gehst du mal?“, bat ihre Mutter sie und Kari stand auf, um die Tür zu öffnen. Davor stand Mimi mit gerunzelter Stirn und besorgtem Blick. „Ist Tai hier?“, fragte sie und wirkte aufgebracht. „Ähm… ja, ist eben gekommen“, antwortete Kari verwirrt. Sie spürte die Blicke von Yuuko und Yolei im Nacken. „Kann ich rein? Ich muss mal mit ihm reden“, bat Mimi. „Klar“, erwiderte Kari zögerlich und trat einen Schritt zur Seite, doch da kam Tai wieder aus seinem Zimmer gestürmt. Noch bevor Mimi komplett über die Türschwelle getreten war, hatte er Kari beiseite geschoben und versperrte Mimi den Weg. „Was willst du?“, blaffte er sie an. „Ich will nur mit dir reden“, sagte sie verzweifelt. „Könnte ich kurz…“ „Nein!“ „Oder kannst du kurz mit raus kommen?“ „Nein, danke!“ „Tai, das war doch gar nicht so gemeint! Bitte lass‘ uns darüber reden“, bettelte sie und sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Ich glaube, es wurde alles gesagt“, fauchte er und knallte ihr die Tür vor der Nase zu, bevor er wieder in sein Zimmer stürmte. „Tai!“, rief Yuuko vorwurfsvoll und lief nun selbst zur Wohnungstür, um sie wieder aufzureißen. Mimi hatte sich bereits zum Gehen umgewandt und drehte sich nun, da die Tür erneut geöffnet wurde, mit hoffnungsvollem Blick wieder um. Doch mit Yuukos Anblick schien ihre Hoffnung wieder zu schwinden. „Was ist denn los, Mäuschen?“, fragte diese. „Komm‘ doch rein. Wir hören gerne zu.“ „Ich… nein. Vielen Dank. Ist schon okay“, murmelte Mimi verlegen. „Du kannst es uns wirklich erzählen“, redete Yuuko mit sanfter Stimme weiter. „Ich glaube, das ist keine gute Idee. Tut mir leid. Ich… ich gehe jetzt lieber“, stammelte sie und wandte sich ab. Widerwillig schloss Yuuko die Tür wieder und schüttelte den Kopf. „Dieser Junge!“ „Ich schätze, er und Mimi haben Streit“, meinte Yolei spitzfindig und schob ihre Brille ein wenig höher. „Was du nicht sagst.“ Kari verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich zurück an den Esstisch. Was war nur schon wieder zwischen den beiden passiert?   _   Tai konnte einfach nicht anders. Er fühlte sich von Mimi belogen und verarscht. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so verletzt gewesen war. Okay, wahrscheinlich, als er realisiert hatte, dass Sora ihn trotz Beziehung nicht liebte. Was war nur los mit den Frauen? Gab es für ihn denn gar keine wahre Liebe? Er hatte gedacht, er hätte mit Mimi endlich jemanden gefunden, mit dem er auch wirklich zusammen bleiben konnte. Eine Fernbeziehung hätte ihm nichts ausgemacht. Das hätten sie schon irgendwie geschafft. Aber Mimi machte nicht den Anschein, als würde sie es überhaupt versuchen wollen. Wie hatte er sich so in ihr täuschen können? Er griff nach seinem Handy, das auf seinem Schreibtisch lag, und suchte Matts Nummer heraus. Nur männlicher Beistand konnte ihm jetzt helfen. „Ja?“ Matt klang genervt. Genau, wie Tai sich fühlte. „Frauen gehen mir dermaßen auf den Sack“, sagte Tai ohne eine Begrüßung. „Hast du mal ein paar Minuten Zeit?“ „Mir auch. Und ja, hab‘ ich. Treffen wir uns am Strand?“ „Klar. Bis gleich.“ Er legte auf, stopfte sein Handy in die Hosentasche und ging aus dem Zimmer. „Bin nochmal weg“, rief er seiner Mutter und den beiden Mädchen im Vorbeigehen zu. „Wohin denn?“, fragte Yuuko verdutzt. „Einfach weg“, brummte Tai, der keine Lust hatte, genauere Auskünfte zu geben. Er hatte auf gar nichts Lust.   Eine Stunde später waren sowohl Tai als auch Matt fix und fertig. Gegen das, was Matt da mit Nagisa hinter sich hatte, war Tais Streit mit Mimi ja fast nichts. „Ich komme nicht über deine Geschichte hinweg“, murmelte Tai kopfschüttelnd und nippte an seiner Bierflasche. „Aber hey, immerhin hast du kein Kind bekommen.“ „Das wäre ja noch die Krönung gewesen“, grummelte Matt und nippte ebenfalls an seinem Bier. „Ich glaube, dann hätte ich mir die Kugel gegeben.“ „Nur über meine Leiche.“ Matts Leben hätte sich wirklich durch die Vaterschaft beachtlich geändert. Nun konnte er diese Sache abhaken und normal weiterleben. „Wirst du sie anzeigen?“ „Ich weiß nicht so genau“, antwortete Matt. „Vielleicht wäre es besser so. Irgendwas stimmt ja in ihrem Kopf nicht. Wer weiß, wozu die noch fähig ist.“ „Ja, ich denke auch, es wäre besser, sie anzuzeigen“, stimmte Tai ihm nachdenklich zu. „Und ich denke übrigens, dass das zwischen dir und Mimi nur ein Missverständnis ist“, wechselte Matt dann das Thema und sah Tai eindringlich an. „Das war kein Missverständnis“, widersprach Tai etwas zu energisch und wich seinem Blick aus. „Da gab es doch gar nichts falsch zu verstehen.“ „Ich schätze, sie wollte dich nur testen“, sagte Matt schulterzuckend. „Sichergehen, dass es dir ernst mit euch ist, auch wenn ihr euch nicht jeden Tag sehen könnt.“ „Das weiß sie doch. Ich habe mich vor der ganzen Schule für sie zum Deppen gemacht.“ Matt schien einen Augenblick nachzugrübeln und starrte aufs Meer hinaus. Der Wind spielte mit seinem blonden Haar und ließ es wild flattern. „Vielleicht hat sie ja mal ‘ne miese Erfahrung gemacht und ist deswegen jetzt vorsichtiger. Und bevor sie alles auf dich setzt und sich an dich klammert, will sie sichergehen, dass du sie auch nicht fallen lässt.“ Verdutzt starrte Tai Matt von der Seite an. „Und du bist jetzt der Frauenversteher vom Dienst oder was?“ Sein bester Kumpel lächelte verwegen und fuhr sich durchs Haar. „Du musst nur wissen, wie.“ Tai verdrehte die Augen und verpasste ihm einen Schubs, sodass Matt lachte und sich abstützen musste, um nicht von der Bank zu fallen. Dennoch dachte Tai nun über das nach, was Matt gesagt hatte. Wusste er von Mimis schlechter Erfahrung oder hatte er da wirklich ins Blaue geraten und dabei ins Schwarze getroffen? Wollte sie ihn tatsächlich nur testen?   _   Es war mitten in der Nacht, als Mimis Handy ertönte und sie erschrocken zusammenzucken ließ. Nicht, dass sie geschlafen hatte – zu aufgewühlt waren ihre Gedanken – doch das plötzliche Durchbrechen der nächtlichen Stille ließ ihr Herz vor Schreck rasen. Mit zitternder Hand griff sie nach ihrem Handy und sah mit zusammengekniffenen Augen auf das grell leuchtende Display. Tai. Der Grund ihrer schlaflosen Nacht. Zögerlich drückte sie auf die Hörertaste und ging ran. „Ja?“ „Hi ähm… habe ich dich geweckt?“ „Nein.“ „Okay. Gut. Ich steh‘ vor deiner Tür. Lässt du mich rein?“ Verdutzt schwieg Mimi. Er stand vor ihrer Tür? Sie hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Vor Verwirrung vergaß sie, ihm zu antworten, bevor sie auflegte und leise durch die dunkle Wohnung zur Tür schlich. Als sie sie öffnete, stand Tai unschlüssig davor und sah sie ein wenig überrascht an, als sie öffnete. „Komm‘ rein“, murmelte sie und ging zurück in ihr Zimmer. Sie hörte, wie er eintrat, die Tür hinter sich schloss, seine Schuhe auszog und ihr in ihr Zimmer folgte. Sie ließ ihn herein und schloss so leise wie möglich die Tür hinter sich. Hoffentlich waren ihre Eltern nicht aufgewacht. „Ich hasse dich, Tachikawa!“ Als sie sich empört zu ihm umdrehte und etwas erwidern wollte, kam er schon auf sie zu, hob sie an und presste sie gegen die Tür. Seine Lippen legten sich auf ihre und verwickelten sie in einen feurigen Kuss. Unwillkürlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals. „Wie kannst du davon ausgehen“, nuschelte er zwischen seinen Küssen, „dass das mit uns und der Entfernung… nicht funktioniert?“ „Es ist eben nicht… mal eben um die Ecke.“ „Na und? Deswegen muss man… doch nicht gleich alles… aufgeben. Man kann es… ja erst mal versuchen.“ Als er sich so an sie presste, konnte sie deutlich spüren, wie sehr es ihn erregte, was sie hier taten. Und auch sie ließ es nicht kalt. Und doch war das Thema, das sie hier besprachen, zu ernst, um nicht die volle Aufmerksamkeit beider Parteien zu bekommen. Sie legte die Hände an sein Gesicht und schob ihn ein wenig von sich weg, sodass er sie ansah und wieder herunterließ. „Ist dann die Enttäuschung nicht noch größer, wenn man es hoffnungsvoll versucht und dann klappt es nicht?“, fragte sie verzweifelt. „Verdammt Mimi! Ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr, dass ich für dich auswandern würde! Was willst du denn mehr? Die Zeit, in der wir so weit voneinander entfernt wohnen, wäre doch gar nicht so lang. Ich habe jetzt ein paar Aufnahmeprüfungen und klar, um gleich in New York anzufangen, ist es zu spät. Aber ich kann bestimmt nach ein oder zwei Semestern die Uni wechseln! Das dürfte doch kein Problem sein! Warum willst du das nach all dem Stress, den wir hatten, nicht?“ Sie konnte es nicht zurückhalten. Ohne, dass sie es wollte, füllten sich ihre Augen mit Tränen und sie presste die Lippen aufeinander. „Würdest du das echt für mich machen?“ „Wenn es der einzige Weg ist, mit dir zusammen zu bleiben“, antwortete er schulterzuckend. „Aber… deine Freunde. Deine Familie.“ „Die werden das sicher verstehen. Ich bin ja nicht aus der Welt.“ „Meinst du das wirklich ernst?“ Er runzelte die Stirn. „Natürlich meine ich das ernst, du dummes Ding.“ „Tai“, schluchzte sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor sie ihn erneut küsste. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich will einfach nur mit dir zusammen sein.“ Unwirsch schüttelte er den Kopf und erwiderte ihre Küsse. Erneut hob er sie hoch und trug sie zu ihrem Bett.   _   Erschöpft aber zufrieden seufzend ließ Tai sich in Mimis weiche Kissen sinken und schloss die Augen. Mimi kuschelte sich an ihn und ließ ihre Fingerspitzen über seine Brust gleiten. „Es stimmt, was alle über Versöhnungssex sagen. Wir sollten uns öfter streiten“, murmelte Tai scherzhaft und kassierte von Mimi einen Klaps gegen die Stirn. „Wir werden uns schon noch oft genug streiten. Da musst du das nicht noch heraufbeschwören“, grummelte sie vorwurfsvoll. „Jaja, schon gut“, erwiderte er und gähnte herzhaft. „Schläfst du jetzt hier?“, fragte sie. „Ich glaube schon. Meine Schulsachen kann ich einfach morgen Früh holen. Dann stehe ich halt eher auf.“ Mimi schnaubte spöttisch. „Was denn?“ „Du und eher aufstehen. So siehst du schon aus.“ „Muss ich ja, wenn du mich dazu zwingst, die Nacht unvorbereitet bei dir zu verbringen“, antwortete er gespielt genervt. „Du bist doch einfach hier aufgetaucht“, entgegnete sie empört. „Und du hast mich einfach verführt.“ „Habe ich gar nicht.“ „Hast du wohl.“ Sie kicherte. „Ich freue mich, dass du hier schläfst. Dann kann ich dich morgen Früh gleich meinen Eltern vorstellen.“ „Oh ja, tolle Idee. Am besten noch nackt. ‚Guten Morgen, Mutter und Vater. Das ist Tai, mein Freund. Er hat letzte Nacht hier geschlafen.“ „Was?“ Mimi musste lachen. „Ich nenne meine Eltern doch nicht Mutter und Vater.“ „Das ist das Einzige, was dich an dem Szenario stört?“ „Hm“, machte sie nachdenklich. „Ich gebe zu, ich bin ein bisschen aufgeregt. Keine Ahnung, wie sie reagieren werden.“ „Gar nicht. Ich bin weg, bevor sie wach sind, okay?“ Mimi zog eine Schnute und wollte erst protestieren, doch sie wusste, dass es so besser war. „Okay.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)