Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Kapitel 21: Klärende Gespräche ------------------------------ Donnerstag, 1. Juni 2006   Es war alles gelogen. All die Zeit, die sie in den letzten Wochen miteinander verbracht hatten. Alles, worüber sie geredet hatten. All die Küsse und Berührungen, die Vertrautheit. Alles. Und nun lag sie hier in ihrem Bett um vier Uhr morgens und weinte. Eigentlich hatte sie es gar nicht anders verdient. Immerhin war sie so dumm gewesen zu glauben, er könnte es mit ihr ernst meinen. Mit ihr wäre es anders. Von wegen. Wie hatte sie sich nur so hinters Licht führen lassen können? Und dann hatte er auch noch ganz dreist behauptet, er würde etwas für sie empfinden. Wie konnte er nur? Sora lag auf der Seite und das Kissen unter ihrem Gesicht war schon ganz feucht. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie da schon lag und über Matt und die vergangenen Wochen nachdachte. Sie war immer wieder mal eingeschlafen, aber jedes Mal hatte ein wirrer Traum sie wieder geweckt. Nicht nur, dass er ihr vorgegaukelt hatte, er würde etwas für sie empfinden. Nein, sie waren wirklich gute Freunde gewesen und er hatte sie einfach so verwettet. Alle anderen hatten Recht. Matt war ein Arschloch, das nur an sich selbst dachte. „Sora, du musst aufstehen.“ Toshiko war in Soras Zimmer erschienen und musterte sie. „Hast du deinen Wecker nicht gestellt?“ „Nein“, murmelte Sora und setzte sich langsam auf, verwundert, dass anscheinend schon wieder drei Stunden vergangen waren. „Ohje, was ist denn mit dir los? Geht's dir nicht gut? Du siehst ziemlich blass aus“, fragte ihre Mutter besorgt und kam auf sie zu, um ihr eine Hand auf die Stirn zu legen. „Ich... ähm... ja, mir geht’s wirklich nicht so gut“, antwortete Sora mit belegter Stimme. „Na gut“, sagte Toshiko. „Dann leg' dich wieder hin. Ich ruf' für dich in der Schule an. Danach geh' ich gleich in den Laden. Du kommst doch allein klar, oder?“ „Ja, alles okay“, murmelte Sora und ließ sich zurück in ihr Kissen sinken. _ „Na? Bist du wieder normal?“, wurde Kari von ihrem großen Bruder begrüßt, als sie zum Frühstück in die Küche kam. „Tai“, murmelte Yuuko und warf ihm einen scharfen Blick zu. Kari beachtete ihn einfach nicht, sondern setzte sich auf ihren Platz. In ihren Gedanken war sie bei Davis und überlegte, wie sie ihre Trennung formulieren sollte. In der Nacht hatte sie kaum ein Auge zu bekommen. „Guten Morgen, Kari“, begrüßte ihre Mutter sie mit einem Lächeln, das Kari flüchtig erwiderte. Sie strich sich eine dünne Schicht Marmelade auf ihr Toast und biss ohne Appetit ab. Ihre Mutter und Tai unterhielten sich über den heutigen Tagesablauf, während Kari gedankenverloren kaute und schwieg. Innerlich ging sie die Reaktionen durch, die Davis auf die Trennung zeigen könnte. Wut, Enttäuschung, Traurigkeit. Würde er anschließend überhaupt noch mit ihr befreundet sein wollen? Und würde T.K. wieder mit ihr reden? „Nanu“, riss Tai sie aus ihren Gedanken. „Sora hat mir gerade geschrieben. Sie ist krank.“ „Oh. Was hat sie denn?“, fragte Kari. „Keine Ahnung. Komisch. Gestern sah sie noch super gesund und fröhlich aus“, meinte er nachdenklich. „Das geht halt manchmal schnell“, sagte Yuuko schulterzuckend. „Du kannst ja heute zu ihr gehen und dich um sie kümmern. Dann geht’s ihr bestimmt schnell wieder besser.“ Sie zwinkerte vielsagend und Tai verdrehte die Augen. Wenig später machten sich die Geschwister auf den Weg zur Schule. Wie jeden Morgen trafen sie unterwegs auf Davis, der sie grinsend begrüßte und Kari küssen wollte, doch sie wich zurück. Fragend sah er sie an. Tai drehte sich zu ihnen um, weil sie stehen geblieben waren. „Kannst du schon mal vorgehen?“, bat Kari ihn. „Ich will was mit Davis besprechen.“ Er hob die Augenbrauen, drehte sich aber wortlos um und ging. Davis schien zu ahnen, dass es sich bei dem kommenden Gespräch um nichts Gutes handeln würde. „Was hast du denn?“, fragte er und sah sie zweifelnd an. Langsam gingen sie weiter. Kari versuchte, sich die richtigen Worte zurechtzulegen, was ihr jedoch nur mäßig gelang. „Hör mal, ich... also... das mit uns...“, sie holte tief Luft, „ich glaube, das ist nicht richtig.“ Davis zögerte, bevor er antwortete. „Wie meinst du das?“ „Ich bin nicht wirklich verliebt in dich“, gestand sie schließlich. „Wenn ich ehrlich bin, dann... also das mit T.K. und Shiori hat mich ziemlich mitgenommen. Und vielleicht wollte ich ihn eifersüchtig machen mit dir.“ „Was?“, fragte Davis mit brüchiger Stimme. Er blieb stehen und sah sie an. Sein Blick versetzte Kari einen schmerzhaften Stich. „Es tut mir Leid. Ich dachte, vielleicht würde ich mich noch in dich verlieben, aber ich glaube, es geht nicht“, antwortete sie. „Das war blöd von mir, ich weiß.“ Einige Sekunden starrte Davis sie sprachlos an. Dann drehte er sich um und rannte los in Richtung Schule. Kari seufzte tief und ging ihm dann langsam nach. _ Das schrille Piepen des Weckers riss Joe aus dem Schlaf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war, doch als Nami sich neben ihm regte, fiel es ihm wieder ein. Er stellte den Wecker aus und setzte seine Brille auf, die auf dem Nachttisch gelegen hatte. Nami grummelte und drehte sich zu ihm um. Ihre Haare lagen wirr durcheinander auf dem weißen Kissen und sie blickte ihn müde an. Joe lächelte, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. „Guten Morgen.“ Sie schlang einen Arm um seinen Hals und hielt ihn fest, sodass er sich nicht von ihr lösen konnte. „Guten Morgen, Chirurg in spe“, raunte sie und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Ein wildes Kribbeln verbreitete sich in Joes Magengegend und er ging nur zu gern auf ihren Kuss ein. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen ihm wieder in den Sinn und ließen ihn zufrieden lächeln. Doch schließlich musste er den Kuss lösen und sah ihr in die Augen. „Ich muss aufstehen“, sagte er bedauernd. „Ach, komm schon. Noch fünf Minuten“, bettelte sie und ließ ihre Fingernägel sanft über seinen Arm gleiten, woraufhin die feinen Härchen darauf sich aufstellten. „Aber ich muss um acht in der Uni sein“, antwortete Joe mit einem zweifelnden Blick auf den Wecker. Nami runzelte die Stirn und zog einen Schmollmund. „Du kannst dich doch dafür im Bad ein bisschen mehr beeilen. Und vor allem jetzt weniger diskutieren.“ Joe überlegte kurz, dann zuckte er mit den Schultern und küsste Nami erneut. Er schob die Decke beiseite, die das einzige Hindernis zwischen ihren Körpern war und Nami nahm ihm die Brille wieder ab. _ Nachdenklich ging Tai seinen gewohnten Weg zur Schule und fragte sich, was Davis und seine Schwester wohl so Wichtiges zu bereden hatten. Höchst wahrscheinlich nichts Gutes, sonst hätte Kari wohl nicht so ein Gesicht gemacht und wäre besser gelaunt gewesen. Was war da nur schon wieder los? Er musste sie bei Gelegenheit mal ausquetschen. Vor dem Eingang zum Schulgelände lungerte Matt herum und schien auf jemanden zu warten. Tai begrüßte ihn mit einem Handschlag und sah ihn fragend an. „Ich warte noch auf Sora“, erklärte Matt. „Da kannst du lange warten. Die ist heute krank“, antwortete Tai. „Was wolltest du denn von ihr?“ „Nichts Bestimmtes. Sie ist krank?“ Er runzelte die Stirn. „Ja.“ Tai nickte. „Guten Morgen.“ Tai und Matt drehten sich um. Mimi lächelte ihnen kurz zu und ging schnurstracks an ihnen vorbei ins Schulgebäude. Verwirrt blickten sie ihr hinterher. „Hat sie eigentlich abgenommen?“, fragte Tai und musterte ihre Rückseite. „Sie sieht irgendwie anders aus.“ Matt schnaubte leise und grinste. „Sag' ihr das lieber nicht. Das bekommt sie nur wieder in den falschen Hals.“ Gemeinsam gingen sie nun ebenfalls ins Schulgebäude. „Wie läuft's eigentlich mit deiner Flamme? Du erzählst gar nichts mehr von ihr.“ Fragend sah Tai ihn an. Dann fiel ihm ein, dass er Matt ja davon erzählt hatte, dass er verliebt war, ohne zu erwähnen, dass es sich bei jener Person um Sora handelte. „Keine Neuigkeiten“, erwiderte er trocken. Matt schüttelte den Kopf. „Vielleicht solltest du sie mir mal vorstellen und ich lege ein gutes Wort für dich ein.“ „Nicht nötig“, murmelte Tai. „Jedes Mädchen, das dich kennen lernt, landet mit dir im Bett.“ „Hm“, Matt schien kurz zu überlegen. „Nicht jedes. Deine Schwester zum Beispiel nicht.“ Tai warf ihm einen wütenden Blick zu. „Und wenn du mit der was anfängst, muss ich dich auch leider umbringen.“ Matt lachte nur und bog ab in seinen Klassenraum. _ Als T.K. die Klasse betrat, konnte er auf den ersten Blick sehen, dass Kari sich tatsächlich schon von Davis getrennt haben musste. Beide saßen mit versteinerten Gesichtern stumm auf ihren Plätzen. Langsam ging T.K. zu seinem Platz und setzte sich. „Hi“, begrüßte er Kari, ohne sie anzusehen. „Hi“, erwiderte Kari seinen Gruß. Auch sie machte keine Anstalten, sich irgendwie zu bewegen. T.K. packte seine Sachen für die erste Stunde aus und drehte sich zu Davis um. Dessen Gesichtsausdruck sprach nur so von Schmerz und Enttäuschung. Unwillkürlich empfand T.K. Mitleid mit ihm. Als Davis bemerkte, dass er ihn ansah, wandte er sich ihm zu. „Was ist?“ T.K. kippte seinen Stuhl ein wenig nach hinten und beugte sich zu Davis, sodass Kari ihn nicht hören konnte. „Geht's?“ Davis zuckte mit den Schulten, ohne eine Miene zu verziehen und wandte den Blick wieder von ihm ab. „Falls du jemanden zum Reden brauchst...“, begann T.K. seinen Satz. „Willst du mich verarschen?“, zischte Davis und sah ihn nun doch wieder an. Er schien darauf zu warten, dass T.K. einen Witz machte oder grinste, doch dieser sah ihn ernst an und schüttelte langsam den Kopf. „Es tut mir echt Leid“, murmelte er. Davis seufzte und Herr Kuugo beendete das Gespräch zwischen den beiden, indem er die Stunde begann. _ „Was machst du eigentlich am Wochenende?“, fragte Mimi fröhlich und musterte Izzy, der neben ihr zum Pausenhof lief, neugierig. „Ähm...“, machte er und schien nachzudenken. „Ich muss die Computer-AG für die nächste Woche vorbereiten. Aber ansonsten nichts weiter, glaube ich.“ „Mann, Izzy, du solltest Lehrer werden“, fand Mimi. „Deine Unterrichtsstunden wären sicher immer top vorbereitet.“ Izzy lachte verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Ach was. Ich glaube, ich bin zu schüchtern, um Lehrer zu werden.“ „Die Schüchternheit kriege ich schon noch aus dir raus“, meinte Mimi zuversichtlich. „Möchtest du am Wochenende etwas mit mir unternehmen?“ „Klar, warum nicht?“, erwiderte Izzy. „An was hast du denn gedacht?“ „Ich weiß nicht. Wir könnten vielleicht irgendwo was trinken gehen und anschließend feiern“, schlug Mimi vor und wartete gespannt auf Izzys Reaktion. Inzwischen waren sie bei Tai und Matt an ihrer angestammten Bank angekommen. Die beiden Jungs beachteten sie jedoch nicht weiter, da sie selbst in ein Gespräch vertieft waren. „Hm“, machte Izzy zweifelnd. „Ich weiß nicht. Trinken und feiern gehen? Das ist doch nicht so meins.“ „Ach, komm' schon, das wird witzig“, antwortete Mimi euphorisch. Mit so einer Reaktion seinerseits hatte sie gerechnet. „Ich weiß nicht“, wiederholte Izzy nur. „Was wird witzig?“, mischte Tai sich in das Gespräch der beiden ein. „Dein Gesicht bei der nächsten Englischklausur“, antwortete Mimi schnippisch. „Und hör' gefälligst auf, dich in die Gespräche anderer Leute einzumischen. Das gehört sich nicht.“ Tai musterte sie mit gerunzelter Stirn. „Noch so eine, die ihre Tage hat. Du könntest ruhig mal ein bisschen mehr Dankbarkeit dafür zeigen, dass ich dir den Arsch rette.“ Mimi lachte höhnisch und verspürte die Lust, Tai etwas an den Kopf zu werfen. Keine verbale Äußerung, sondern einen Gegenstand. Wie eigentlich jedes Mal, wenn sie miteinander redeten. Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch Izzy kam ihr zuvor. „Wo ist eigentlich Sora heute?“, fragte er und erst da fiel Mimi auf, dass sie fehlte. Suchend sah sie sich auf dem Schulhof um, konnte sie aber nirgends entdecken. „Krank“, antwortete Tai monoton. „Hat bestimmt zu viel Zeit mit Mimi verbracht.“ „Nicht witzig, Tai“, sagte Mimi trocken. „War ja auch kein Witz“, entgegnete Tai. Sie funkelten sich an, während Matt und Izzy nur die Augen verdrehten. Schließlich wandte Mimi sich wieder an Izzy und sah ihn erwartungsvoll an. „Was ist denn nun? Hast du Lust?“ _ Yolei stürmte nahezu in die Mensa. Sie hatte einen Bärenhunger. Die ganze Lernerei machte sie immer müde und hungrig. Sie holte ihr Essen an der Theke ab und setzte sich zu Kari, die allein in einer Ecke saß und so aussah, als wäre sie in Trance. „Hallo“, rief Yolei fröhlich und Kari zuckte zusammen. „Hab' dich gar nicht kommen sehen“, nuschelte sie mit der Gabel im Mund. „Hab' ich gemerkt. Warum sitzt du allein hier? Wo sind Davis und T.K.?“, fragte Yolei und sah sich nach den beiden Jungs um. T.K. entdeckte sie zwei Tische weiter, aber Davis konnte sie nicht finden. Kari antwortete nicht, sondern seufzte nur, sodass Yolei sie schief ansah. Irgendetwas war doch da im Busch. „Ich habe mich heute Morgen von Davis getrennt“, erklärte Kari schließlich. „Und gestern habe ich mich mit T.K. gestritten, nachdem ich mich mit ihm ausgesprochen hatte.“ Yolei machte große Augen und vergaß für einen Augenblick ihr Essen. „Hä?“ Und dann erzählte Kari ihr schließlich die kleine Geschichte. Dass sie nur aus Eifersucht mit Davis zusammen war, ganz wie Yolei es schon vermutet hatte. Dass T.K. von dieser Tatsache gar nicht begeistert war und sie hatte sitzenlassen. Und dass sie heute Morgen auf dem Schulweg mit Davis Schluss gemacht hatte. Yolei hatte aufmerksam zugehört und nebenbei ihr Essen verschlungen. Kari hingegen hatte die Gabel abgelegt und ihren Teller nicht einmal zur Hälfte geleert. „Mann, du machst Sachen“, sagte Yolei, als Kari schließlich fertig war, und schüttelte den Kopf. „Nimm's mir nicht übel, aber ich habe es schon vermutet.“ Kari sah sie traurig an. „Ich hatte gehofft, das mit Davis würde noch ernst werden für mich, aber wurde es nicht. Ich hatte gar keine Lust mehr auf ihn.“ „Kein Wunder. So eine erzwungene Beziehung kann doch nur schief gehen“, meinte Yolei. „Was willst du jetzt machen?“ „Ich weiß auch nicht. Die Sache irgendwie wieder geradebiegen“, antwortete Kari hilflos. „Aber vielleicht redet Davis jetzt auch nie wieder ein Wort mit mir.“ „Ach was, das glaube ich nicht“, meinte Yolei bestimmt. „Ich glaube, er ist nicht besonders nachtragend. Lass ihm einfach Zeit, entschuldige dich bei ihm und dann wird er irgendwann wieder mit dir reden. Und T.K. kriegt sich bestimmt auch wieder ein.“ „Gestern wirkte er, als fände er mich ätzend“, murmelte Kari deprimiert. „Aber du bist doch seine beste Freundin. Lange hält er es bestimmt nicht ohne dich aus“, sagte Yolei abwinkend. „Das wird schon.“ „Meinst du?“ „Ja, meine ich.“ Sie nickte bekräftigend. „Lass uns am Wochenende irgendwas Mädchenhaftes zu zweit machen. Was hältst du davon?“ Sie hatte das Gefühl, Kari könnte mal ein wenig Ablenkung gebrauchen. Wenn sie schon Probleme mit den Jungs hatte, dann sollte Yolei versuchen, sie wieder aufzubauen. „Hm, ich glaube, das wäre gut“, antwortete Kari langsam. „Ja, das könnte ich gut gebrauchen.“ „Prima“, fand Yolei. „Dann lass uns zusammen backen. Ich soll für den Kochclub mein Lieblingsessen zubereiten und mitbringen. Du kannst mir dabei helfen.“ Kari nickte. „Ja, ich glaube, das wäre super.“ Sie lächelte. „Danke, Yolei.“ „Ist doch nicht der Rede wert“, meinte Yolei abwinkend. „Nein, ich meine, danke, dass du mich nicht verurteilst, sondern trotzdem mit mir befreundet bleiben willst.“ Yolei sah ihre Freundin skeptisch an. „Wieso sollte ich jetzt nicht mehr mit dir befreundet sein wollen? Du weißt ja selbst, was du gemacht hast und ich weiß, dass es dir Leid tut. Da wäre es doch jetzt sinnlos, wenn ich dir auch noch sagen würde, wie enttäuscht ich von dir bin.“ _ Gleich nach der Schule machte Davis sich auf den Weg zu Ken. Er hatte sich weder von Kari noch von T.K. verabschiedet. Er konnte einfach nicht glauben, was Kari getan hatte. Das hätte er nie von ihr erwartet und es passte auch überhaupt nicht zu ihr. Doch anscheinend hatte er all die Jahre, die er sie kannte, ein falsches Bild von ihr gehabt. Und T.K. hatte auch noch die Frechheit besessen, ihm anzubieten, mit ihm über diese Sache zu reden. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er der Grund für dieses ganze Dilemma war. Nein, nun machte er sich auch noch lustig über Davis. Wahrscheinlich wurden T.K. und Kari jetzt ein glückliches Pärchen. Davis drückte auf den Klingelknopf, über welchem der Name Ichijouji angebracht war, und wartete. Wenig später öffnete Kens Mutter die Tür. „Oh, hallo Davis“, begrüßte sie ihn lächelnd. „Du möchtest sicher zu Ken.“ Davis nickte mit finsterer Miene. „Hallo.“ Frau Ichijouji trat zur Seite und ließ ihn herein. Langsam zog er sich die Schuhe aus und ging den Flur entlang zu Kens Zimmer. Er ging einfach hinein ohne anzuklopfen. Ken saß gerade an seinem Schreibtisch über ein Blatt Papier gebeugt und sah auf, als Davis eintrat. „Oh, Davis“, begrüßte er ihn. „Ich wusste gar nicht, dass du kommst.“ „Sorry, dass ich nicht Bescheid gesagt habe“, murmelte Davis. „Ich wollte nur mit dir reden.“ „Klar“, erwiderte Ken und deutete auf den zweiten Stuhl in seinem Zimmer, woraufhin Davis Platz nahm. „Was gibt es denn? Du siehst deprimiert aus.“ „Kari hat heute Schluss gemacht“, erklärte Davis kurz angebunden. „Sie war nur mit mir zusammen, um T.K. eifersüchtig zu machen.“ Ken erwiderte nichts, sondern lehnte sich nur auf seinem Stuhl zurück und sah Davis erstaunt an. „T.K. hat mir sogar noch gesagt, ich könne mit ihm reden, wenn ich reden will.“ Verächtlich schnaubend schüttelte Davis den Kopf. „Das ist... wow. Tut mir echt Leid, Davis“, antwortete Ken stirnrunzelnd. „Das hätte ich nie gedacht. Hat Kari dir das so erzählt?“ „Mhm“, machte Davis und nickte. „Tut mir wirklich Leid“, wiederholte Ken. „Das ist ziemlich unfair von ihr.“ „Ich hätte auch nie gedacht, dass sie zu so etwas in der Lage ist“, stimmte Davis zu und warf einen Blick auf sein Handy. Zwei verpasste Anrufe und eine SMS. Alles von Kari. „Sie hat versucht, mich anzurufen. Und geschrieben hat sie mir auch.“ „Was denn?“, wollte Ken wissen. „Es tut mir so Leid. Bitte lass uns noch einmal darüber reden“, las Davis vor und packte sein Handy wieder weg. Fragend musterte Ken ihn. „Willst du noch einmal mit ihr reden? Vielleicht kann sie es dir erklären.“ Resigniert zuckte Davis mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was es noch zu erklären geben sollte. Ich will eigentlich nicht mit ihr reden. Es... ist so...“ Er legte eine Hand auf seine Brust, ungefähr auf die Stelle, wo sich sein Herz befinden musste. Es war, als wäre dort etwas verletzt. _ Mit einem kleinen Töpfchen Blaustern in den Händen stand Matt vor Soras Tür und drückte zögerlich auf den Klingelknopf. 'Vergib mir' bedeutet Blaustern in der Sprache der Blumen, hatte die Verkäuferin in dem Blumenladen gesagt. Ob Sora diese Bedeutung auch kannte? Ob sie nun tatsächlich krank war oder nicht, Matt war sich sicher, dass ihr heutiges Fehlen mit ihm zu tun hatte. Soras Mutter öffnete die Tür und musterte ihn. „Hallo. Willst du Sora besuchen?“, fragte sie. „Ja“, antwortete Matt und nickte kurz. Frau Takenouchi lächelte und trat zur Seite. „Sicher hilft es ihr beim Gesundwerden, wenn du sie besuchst.“ Matt biss sich auf die Unterlippe. Noch zweifelte er an dieser Sicherheit. Immerhin hatte er sie vorhin schon einmal angerufen, doch sie hatte ihn weggedrückt. Er ging zu Soras Zimmer und klopfte leise an. „Ja?“, kam es dumpf von innen und er öffnete die Tür. „Nein“, sagte sie, als sie ihn erkannte. Sie hockte auf ihrem Bett mit einem Buch auf den Oberschenkeln und hörte Musik. „Sora, bitte. Ich muss mit dir reden“, sagte er eindringlich, schloss die Tür hinter sich und ging auf sie zu. „Ich will nicht mit dir reden“, erwiderte sie kühl. „Bitte geh' wieder.“ „Erst, wenn du mir zugehört hast“, antwortete Matt unnachgiebig, stellte den Blumentopf auf ihrem Schreibtisch ab und ging zu ihr. „Geh' wieder“, sagte sie leise, aber bestimmt. Ohne auf sie einzugehen, setzte er sich vor ihrem Bett auf den Boden und sah sie an. „Ich weiß, dass du sauer bist und ich verstehe dich. Ich war ein Arsch. Ich habe dich verwettet. Aber bitte glaube mir, dass die letzten Wochen nicht bedeutungslos waren.“ Sora antwortete nicht, sondern starrte mit verstörtem Blick auf ihr Buch. Gern würde Matt ihre Gedanken in diesem Moment lesen können. „Am Anfang habe ich dich wirklich nur geküsst, um diese blöde Wette zu gewinnen, aber dann war es anders“, redete Matt weiter. „Ich empfinde wirklich etwas für dich. Du bist mir wichtig und...“ „Hör' auf mit diesen Lügen“, unterbrach sie ihn mit brüchiger Stimme. „Ich will nichts mehr hören.“ „Das sind keine Lügen, das ist die Wahrheit“, erwiderte Matt nachdrücklich. „Du bist so wichtig für mich, weil du einfach immer da bist, wenn was ist. Weil ich mit dir über alles reden kann. Weil du mich nie verurteilt hast. Weil du mich immer irgendwie verstanden hast.“ „Warum hast du dann eine Wette auf mich abgeschlossen?“, fragte sie und sah ihm für einen Augenblick in die Augen. „Warum? Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, aber das ist alles so sinnlos.“ „Weil ich ein Idiot bin. Einen anderen Grund gibt es nicht. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen“, antwortete Matt ehrlich. „Kannst du aber nicht.“ „Sora, bitte glaub' mir.“ Er griff nach ihrer Hand, doch sie zog sie ruckartig weg. „Was soll ich machen, damit du mir glaubst?“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Keine Wetten über mich abschließen? Mir die Wahrheit sagen? Mich nicht küssen und dabei...“ Ihre Stimme brach weg und sie wandte sich von ihm ab. „Geh' einfach.“ _ Ziellos irrte Kari durch die Straßen. Sie fühlte sich einsam und verlassen, obwohl sie wusste, dass sie es sich selbst zuzuschreiben hatte. Davis ignorierte ihre Versuche der Kontaktaufnahme und T.K. zeigte ihr seit gestern die kalte Schulter, obwohl sie geredet hatten. Und obendrein hatten sich ihre Eltern gerade wieder einmal gestritten. Zwar machten sie gerade eine Therapie, doch Kari verspürte trotzdem jedes Mal, wenn sie anfingen zu streiten, den Drang, aus der Wohnung zu fliehen. Sie achtete nicht darauf, wo ihr Weg sie hinführte und war umso erstaunter, als sie vor dem Haus ankam, in dem Yolei, T.K. und Cody wohnten. Es war, als würde ihr Inneres ihr den richtigen Weg zeigen. Doch zu wem sollte sie jetzt gehen? Cody? Nein, der würde sie sicher nur schief ansehen, wenn sie plötzlich vor seiner Tür stand. Sie hatte einfach zu wenig mit ihm zu tun. Und Yolei hatte sicher ohnehin keine Zeit, weil sie nachmittags meist in dem Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern arbeitete. Dann blieb nur noch T.K. Vielleicht konnte sie ja wenigstens diese Sache wieder geradebiegen. Sie ging die Treppen hinauf und klingelte an der Tür, die zu seiner Wohnung gehörte. Wenig später wurde sie geöffnet und T.K. sah sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Zurückweisung an. „Oh, hi“, sagte er tonlos. „Hi“, erwiderte Kari unsicher. „Kann ich reinkommen?“ T.K. zuckte mit den Schultern und ließ sie herein. Er wartete nicht, bis sie sich die Schuhe ausgezogen hatte, sondern ging gleich voran in sein Zimmer, wo er sich aufs Bett setzte und Kari erwartungsvoll musterte. Kari schritt durch das Zimmer und setzte sich neben ihn. „Ich will mich nicht mit dir streiten“, begann sie ohne Umschweife das Gespräch. „Ich wusste nicht, dass dir das mit Davis so nahegehen würde. Ich dachte auch, ihr wärt nicht so gut befreundet.“ „Darum geht’s doch auch gar nicht“, entgegnete T.K. kühl. „Ich hätte einfach nur nicht gedacht, dass du sowas abziehst. Gerade mit Davis, der seit Ewigkeiten in dich verknallt ist. Sowas nutzt man nicht aus, Kari. Ich dachte, du wüsstest das.“ „Ich weiß es doch und es tut mir ja auch wirklich Leid. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht ran“, murmelte Kari und ließ den Kopf hängen. „Ich war einfach so traurig wegen der Sache mit Shiori. Ich dachte, ich würde dich jetzt nicht mehr so oft sehen können. Und ich hatte Angst, du würdest mich gegen sie auswechseln.“ „Kari“, seufzte T.K., „warum sollte ich das tun? Du bist meine beste Freundin, seit ich dich kenne. Warum denkst du, ich würde dich einfach so austauschen?“ „Wegen dieses blöden Kusses!“, platzte Kari heraus. T.K. sah sie verblüfft an. „Hä?“ „Na du hast mich doch geküsst an diesem einen Abend. Als wir bei Ken waren“, sagte sie nachdrücklich. „Ja, schon, aber... hä?“ Sein Gesichtsausdruck wirkte nicht länger kühl, sondern nur noch verwirrt. „Der Kuss war eben so besonders. Dachte ich zumindest. Und dann kam diese Sache mit Shiori und dann dachte ich, er wäre doch nicht besonders“, stammelte Kari. Als T.K. zögerte, vergrub sie das Gesicht in den Händen und wandte sich von ihm ab. Was für ein peinliches Gespräch. „Der Kuss war besonders. Und Shiori habe ich nicht geküsst“, murmelte T.K. „Und ich wollte sie auch nie küssen.“ _ Mitleidig musterte Ken seinen Freund. Er hatte keine Ahnung, was er zu dieser Geschichte sagen sollte. Auch er hätte sich niemals träumen lassen, dass Kari zu so etwas fähig war. Sie hatte sich anscheinend verändert. Sie alle hatten sich im Laufe der letzten drei Jahre verändert. „Ich denke, du solltest trotzdem noch mal mit ihr reden und ihr sagen, wie du dich fühlst. Und wie mies du das von ihr findest“, schlug Ken nach einigen Augenblicken des Schweigens vor. „Sicher bereut sie schon, was sie gemacht hat.“ „Aber das ändert nichts. Sie hat mich ausgenutzt, um T.K. eifersüchtig zu machen“, erwiderte Davis. „Eigentlich bin ich nur hergekommen, um dir das zu erzählen. Ich brauche keine Tipps, ich wollte es nur loswerden.“ Ken legte eine Hand auf Davis' Schulter. „Du kannst jederzeit gern kommen. Ich höre dir immer zu.“ „Danke“, seufzte Davis mit gesenktem Kopf. „Wie geht’s mit Saki?“ Resigniert zuckte Ken mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich finde es irgendwie immer falscher, mit ihr zusammen zu sein. Es fühlt sich einfach komisch an.“ „Dann solltest du mit ihr Schluss machen“, sagte Davis sofort. „Bevor sie sich falsche Hoffnungen macht und denkt, ihr bleibt für immer zusammen.“ „Aber das würde ich nicht übers Herz bringen“, antwortete Ken langsam. „Sie wirkt so glücklich und zufrieden. Ich will sie nicht verletzen.“ „Ich glaube, du verletzt sie mehr, wenn du mit ihr zusammen bist, obwohl du nicht in sie verliebt bist“, entgegnete Davis entschlossen. Gedankenverloren nickte Ken. Saki tauchte vor seinem inneren Auge auf, wie sie seine Hand nahm und ihn anlächelte. Er mochte sie, sehr sogar. Aber er war nicht verliebt in sie. Glaubte er zumindest. Davis sagte, wenn man verliebt war, wusste man das. Man merkte es einfach und wenn Ken sich nicht sicher war, dann war er nicht verliebt. Ob Davis Recht hatte? Oder ob sich Verliebtsein für Ken vielleicht einfach nicht so stark anfühlte wie für andere? Vielleicht konnte er sich ja gar nicht richtig verlieben und das, was er für Saki empfand, war das Höchste der Gefühle. In dem Fall wäre es dumm von ihm, mit ihr Schluss zu machen. „Vielleicht solltest du einfach mal mit ihr reden“, gab Davis Kens Rat zurück, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Sag' ihr, wie du dich fühlst. Dann versteht sie es bestimmt auch, wenn du mit ihr Schluss machst.“ Unschlüssig kaute Ken auf seiner Unterlippe herum. Er hatte eher die Befürchtung, dass Saki so ähnlich reagieren könnte wie Davis und zutiefst verletzt war. _ Sora zuckte zusammen, als es erneut an ihrer Zimmertür klopfte. Matt war erst vor zehn Minuten gegangen. War er nun wiedergekommen, um weiter auf sie einzureden? Sora wusste nicht, ob sie je wieder mit ihm sprechen wollte. Weil sie nicht reagierte, wurde die Tür schließlich geöffnet, doch herein kam nicht Matt, sondern Tai. „Hey Sora, ich dachte mir, ich komm' einfach rein, okay?“, sagte er, als er in ihr Zimmer trat. Sora starrte ihn nur an und wusste nicht, was sie erwidern sollte. „Was ist denn los? Hast du geweint?“ Tai runzelte die Stirn und setzte sich neben sie auf das Bett, genau dorthin, wo Matt bis vor ein paar Minuten noch gesessen hatte. Unwirsch schüttelte Sora den Kopf und versuchte, ein unbekümmertes Gesicht zu machen. „Alles gut.“ „Ach, komm' schon. Hältst du mich für bescheuert? Deine Mutter meinte gerade, dass Matt erst vorhin hier war. Hat er irgendwas gemacht?“, fragte Tai und musterte sie durchdringend. Deprimiert wich sie seinem Blick aus. Was sollte sie ihm denn sagen? Er war nun wirklich nicht die richtige Person, um über ihre Probleme mit Matt zu reden. Doch die Tatsache, dass sie nicht sofort antwortete, ließ Tai anscheinend noch stutziger werden. „Was hat er gemacht?“, fragte er nun und sah plötzlich wütend aus. „Was ist passiert? Sora, du kannst es mir erzählen.“ „Nein, kann ich nicht“, murmelte Sora. „Doch, mach' schon. Ich verspreche auch, dass ich ihn nicht verprügel'“, drängte Tai. „Ich kann es dir wirklich nicht erzählen“, erwiderte Sora nachdrücklich. „Es tut mir Leid, Tai.“ Einen Augenblick sahen sie sich in die Augen und Sora konnte fast schon hören, wie sich in Tais Kopf die Gedanken überschlugen. Es tat ihr Leid, wie alles gekommen war. Dass sie Gefühle für Matt hatte, der sie nur verarscht hatte. Dass sie sich nicht in Tai verlieben konnte, der so etwas niemals mit ihr machen würde, sondern sie auf Händen tragen würde. Und dass Tai und Matt zu allem Überfluss auch noch beste Freunde waren. Verdammte Dreiecksgeschichte. „Ich ähm... hab' dir was mitgebracht“, sagte Tai leise und drückte ihr eine Tafel Schokolade in die Hand, die er dabei hatte. Ihre Lieblingsschokolade. „Ich dachte, das hilft dir beim Gesundwerden. Und hier sind meine Mitschriften für dich.“ Er kramte in seiner Tasche und zog einen dünnen Stapel Papier heraus. Sora sah ihn hilflos an. „Vielen Dank, Tai.“ Er nickte langsam. „Ich... gehe dann mal wieder, denke ich.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Tai?“, hielt Sora ihn auf, als er schon die Hand auf der Türklinke hatte. Mit fragendem Blick drehte er sich um. „Danke, dass du immer da bist.“ Er verzog kurz den Mund zu einem traurigen Lächeln und verließ dann ihr Zimmer. Sora starrte noch eine Weile auf die Stelle, an der bis eben gestanden hatte. _ Irgendwie war Kari ja niedlich, wie sie wie ein Häufchen Elend hier auf seinem Bett hockte, das Gesicht in den Händen vergraben und sich schämend. T.K. glaubte ihr, dass es ihr Leid tat, was sie mit Davis gemacht hatte, doch verstehen konnte er es trotzdem nicht. Kari war einfach die Letzte, der er so eine Aktion zugetraut hätte. „Kari“, sagte er, griff nach ihren Händen und zog sie sanft von ihrem Gesicht weg. „Das war überhaupt nicht nötig. Du bist für mich das tollste Mädchen und ich dachte, das wüsstest du. Bitte mach' so einen Scheiß nicht noch mal.“ Sie atmete hörbar aus und nickte. „Ich werde auf jeden Fall noch mal mit Davis reden. Es tut mir so Leid. Er ist sicher am Boden zerstört. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er ging nicht ran.“ „Ich glaube, ich wäre an seiner Stelle auch nicht rangegangen“, gestand T.K. „Vielleicht wartest du ein paar Tage und gibst ihm ein bisschen Zeit, sich zu beruhigen. Dann kannst du immer noch mit ihm reden.“ „Glaubst du, er verzeiht mir irgendwann?“, fragte Kari und starrte ins Leere. „Bestimmt“, sagte T.K. zuversichtlich. „Aber er braucht sicher Zeit.“ Kari machte ein nachdenkliches Gesicht. Entschlossen stand T.K. von seinem Bett auf und nahm ihre Hand. Verwundert sah sie ihn an. „Die Sonne scheint noch. Lass uns noch ein bisschen raus gehen und irgendwas machen“, sagte er und lächelte. Zögerlich nickte sie und erwiderte sein Lächeln. „Gute Idee.“ _ „Herzlichen Glückwunsch, Herr Kido. Sie sind nun offiziell Besitzer eines Führerscheins.“ Es dauerte eine Weile, bis Joe diese Worte verarbeitet hatte. Mechanisch stieg er aus dem Golf aus, der ihm in den letzten drei Monaten schon ein wenig ans Herz gewachsen war, und nahm den Führerschein vom Prüfer entgegen. „Jetzt machen Sie doch nicht so ein Gesicht. Freuen Sie sich lieber“, sagte der Prüfer, dessen Namen Joe schon wieder vergessen hatte, lachend. Sein Fahrschullehrer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Ich wusste, du schaffst das“, sagte er zwinkernd. Joe nickte noch ein wenig fassungslos, verabschiedete sich dann vom Prüfer und seinem Fahrlehrer und machte sich auf den Heimweg. All die Qualen der letzten drei Monate hatten nun ein Ende. Die ständige Angst, er könnte in der Prüfung versagen. Das ständige Autofahren in seinen Träumen, in denen er andauernd irgendeinen Fehler machte. Schulterblick vergessen, Auto abgewürgt, Blinken vergessen, an der grünen Ampel stehen geblieben. Nun hatte er endlich diesen verflixten Führerschein und würde nicht sofort wieder eins auf den Deckel kriegen, wenn er mal einen Schulterblick vergaß. Glücklich saß er im Bus nach Hause und zückte sein Handy. Jetzt musste er sofort Shuu anrufen. „Und?“, kam es von diesem ohne eine weitere Begrüßung. Anscheinend hatte er schon vor seinem Handy gelauert. „Bestanden“, seufzte Joe. „Ich wusste es!“, rief Shuu jubelnd. „Ich hab' dir doch gesagt, du schaffst das. Von wegen du fällst durch.“ „Jetzt tu' nicht so, als wäre das komplett abwegig gewesen“, erwiderte Joe grinsend. So langsam realisierte er, dass er diese blöde Prüfung bestanden hatte. „Wenn du Streber die nicht bestanden hättest, hätte ich meinen Glauben in die Menschheit verloren“, meinte Shuu. „Wann treffen wir uns, damit ich dir die alte Karre geben kann?“ „Ich weiß nicht. Wann bist du denn mal wieder in Tokio?“, fragte Joe. „Zufällig fahre ich morgen über das Wochenende nach Hause zu Mama und Papa. Kommst du auch?“ Joe verzog das Gesicht. Ein Wochenende zu Hause? Eigentlich hatte er noch mit einer Hausarbeit zu tun. Und außerdem wollte er die Zeit, die er nicht in die Uni steckte, lieber mit Nami verbringen. „Ich weiß nicht. Eigentlich habe ich zu tun.“ „Ach, komm' schon. Mama und Papa meckern jedes Mal, wenn sie mich anrufen, darüber, dass du dich so selten meldest“, sagte Shuu. „Bring' deinen Unikram einfach mit.“ „Dass ich mich so selten melde? Ich bin doch erst vor drei Monaten zu Hause ausgezogen“, antwortete Joe stirnrunzelnd. „Naja, du weißt doch. Nesthäkchen und so. Jetzt ist der Kleinste auch raus, da kriegen sie Sehnsucht“, witzelte Shuu. „Ich überleg's mir“, gab Joe schließlich nach. „Super, dann sehen wir uns also morgen Abend“, sagte Shuu gut gelaunt. „Hey, ich hab' gesagt, ich überleg's mir.“ „Das bedeutet, dass du kommst. Ich kenne dich doch.“ Shuu lachte. „Shin kommt auch inklusive Anhang.“ Das würde bedeuten, dass Joe seinen kleinen Neffen mal wieder sehen würde. Allein dafür lohnte es sich fast schon, nach Hause zu fahren. „Na gut. Ich werde da sein“, gab er sich nun endgültig geschlagen. „Prima! Dann bis morgen.“ _ Sora und Matt. Matt und Sora. Irgendetwas musste da gelaufen sein, dessen war Tai sich sicher. Hatte er etwa auch mit ihr was am Laufen gehabt? Anders konnte Tai sich Soras Verhalten nicht erklären. Sie hatte betont, dass sie mit ihm nicht über diese Sache reden konnte, da war es offensichtlich, dass zwischen den beiden irgendetwas vorgefallen war. Und das auch noch hinter Tais Rücken. Nicht, dass er der Überzeugung war, er hätte ein Recht darauf, alles zu erfahren, was Soras Liebesleben betraf, aber immerhin waren die beiden seine besten Freunde. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, falls sie tatsächlich etwas miteinander hatten. Das wollte er sich in diesem Moment nicht einmal vorstellen. Er hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen. Kari musste endlich wiedergekommen sein. Es war schon fast dunkel draußen. Entschlossen stand Tai auf und ging aus seinem Zimmer. Er wollte seine Schwester fragen, was heute Morgen mit ihr und Davis los gewesen war. „Kari?“, hielt er sie auf, als sie gerade in ihr Zimmer gehen wollte. Sie blieb stehen und sah ihn fragend an. „Wo warst du gerade?“ „Eigentlich geht dich das nichts an, aber ich war mit T.K. Eis essen“, antwortete sie etwas schnippisch. Tai hob eine Augenbraue. Ihre Pubertät war ganz schön nervig. „Und was war heute Morgen los? Ist alles in Ordnung mit dir und Davis?“, fragte er. „Tai, sowas bespricht man nicht mit seinen Geschwistern“, murmelte sie ein wenig beschämt. „Wieso nicht? Du hast mir doch auch erzählt, dass T.K. dich geküsst hat“, erwiderte er. „Du bist eine ziemliche Chameurin. Erst T.K. und jetzt Davis.“ Kari runzelte die Stirn. „Davis und ich sind nicht mehr zusammen.“ „Nicht? Wieso nicht?“, fragte Tai wenig verwundert. Irgendwie war ihm diese Beziehung ohnehin spanisch vorgekommen. Kari hatte nie auch nur angedeutet, dass sie an Davis interessiert war. „Ich war gemein. Ich war nur mit ihm zusammen, weil ich T.K. eifersüchtig machen wollte wegen dieser Shiori“, erklärte Kari. „Kann ich jetzt in mein Zimmer gehen?“ „Was? Du wolltest... was?“ Entgeistert sah er Kari an. „Habe ich das gerade richtig verstanden? Tickst du noch ganz richtig? Der arme Davis.“ Kari stöhnte genervt, ging in ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Tai schüttelte verwirrt den Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)