Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Kapitel 47: Somebody to you --------------------------- Sonntag, 24. Dezember 2006   Nervös kaute Mimi auf ihrer Unterlippe herum. Heute war der Tag der Tage. Heute würde sie zusammen mit den Tokyo Rebels vor tausenden von Menschen auf ihrem Weihnachtskonzert auftreten. „Iss doch wenigstens ein bisschen“, forderte Satoe sie auf und musterte sie besorgt über den Tisch hinweg. Aber Mimi konnte nicht. In nicht einmal drei Stunden würde das Konzert beginnen. Schon den ganzen Tag wusste sie überhaupt nichts mit sich anzufangen und suchte sich irgendwelche Beschäftigungen. Sie war schon mit ihren Eltern spazieren gegangen, hatte ihrer Mutter beim Kochen geholfen, hatte Geschenke eingepackt, doch nichts hatte sie so wirklich abgelenkt. Wann immer sie an ihren kommenden Auftritt dachte, begann ihr Herz vor Aufregung zu rasen und ihr wurde schwindelig. Wie sollte sie es nur schaffen, auf der Bühne nicht umzukippen? „Aber es ist Weihnachten und du solltest am Familienessen teilnehmen“, meinte ihr Vater und warf ihr ebenfalls einen kritischen Blick zu. „Ich bin doch hier“, grummelte Mimi und schob ein Stück Fleisch auf ihrem Teller hin und her. „Aber nicht in Gedanken“, sagte ihre Mutter. „Es wird schon alles gut gehen nachher“, meinte Keisuke abwinkend. „Du bist wunderschön und hast eine tolle Stimme. Die Leute werden dich lieben.“ „Das denke ich auch. Mimi, du kannst es gar nicht versauen. Das Lied, das ihr beide singen werdet, ist sicher super. Vor allem, weil du mitsingst“, pflichtete Satoe ihm bei. „Ja. Ich kann gar nicht glauben, dass unsere Prinzessin vor so vielen Leuten auftreten wird“, seufzte Keisuke und sein Blick wurde verträumt, sodass Mimi die Stirn runzelte. „Ich auch nicht. Das wird einfach unglaublich. Wir sind so stolz auf dich.“ Gerührt wischte Satoe sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Beide hatten sie nun ihre Blicke auf Mimi gerichtet und sahen aus, als würden sie jeden Moment in Tränen ausbrechen und ihr um den Hals fallen. Entschlossen legte Mimi ihre Stäbchen neben ihrem Teller ab und legte ihre Serviette auf den Tisch. „Ähm… ich gehe dann nochmal üben.“   _   Gut gelaunt stand Kari auf ihrem Platz in der großen Konzerthalle und wartete darauf, dass ihr Bruder, Joe, T.K. und Davis mit den Getränken zurückkehrten. Sie alle hatten beschlossen, gemeinsam das Weihnachtskonzert der Tokyo Rebels zu besuchen und sich anschließend noch zu treffen. Alle bis auf Mimi, die aus irgendeinem Grund erst zum Treffen kommen wollte, was Tai nervte. Er hatte mehrfach versucht, sie dazu zu überreden, zum Konzert zu kommen, doch sie war stur geblieben. Kari war wirklich fasziniert davon, wie Mimi es geschafft hatte, Tai so sehr den Kopf zu verdrehen, sodass der nun kaum noch etwas anderes im Kopf hatte als Mimi. Als sie im April zu ihnen gekommen war, hatte jeder in der Gruppe gehofft, dass sie sich einfach aus dem Weg gehen würden. Ständig waren sie aneinander geraten. Doch irgendwie hatten sie es scheinbar geschafft, sich innerhalb von sieben Monaten ineinander zu verlieben. Vielleicht hätte Kari Mimi eher nach Beziehungstipps fragen sollen, dann hätte sie sich das Drama mit T.K. sparen können. In diesem Augenblick kehrten die Jungs mit den Getränken in den Händen zurück. T.K. drückte Kari ihre Cola in die Hand und sie bedankte sich lächelnd. „Ich bin schon echt gespannt auf ihre neuen Lieder“, meinte Kari und sah nach vorn auf die noch leere Bühne. Die Instrumente waren jedoch bereits aufgebaut. „Soll ich mal raten? Ich tippe auf Kaspermucke“, antwortete Tai schief grinsend. „Tai! Keine Kaspermucke“, wies Sora ihn zurecht. „Naja irgendwie schon“, erwiderte er. Joe hatte einen Arm um Nami gelegt, die ebenfalls mitkommen wollte, und schmunzelte über das Gespräch. „Ich bin mir sicher, sie werden ein paar gute neue Lieder haben.“ „Ich glaube, es wird genau wie immer.“ Tai schob die Hände in die Hosentaschen und wirkte ein wenig gelangweilt, sodass Kari die Augen verdrehte. „Wenn du dich so langweilst, kannst du ja auch ins Café gehen und unser Treffen vorbereiten“, sagte sie schnippisch. „Genau! Du könntest noch einen Kuchen backen! Ich wäre für eine Schokotorte“, stimmte Yolei ihr fröhlich zu, die mit Ken zusammenstand. „Ich hätte lieber was Herzhaftes. Könntest noch eine Pizza machen“, fügte Davis hinzu. „Oder wie wäre es mit einem leckeren Obstsalat?“, schlug Sora vor. „Hat sonst noch jemand einen Wunsch?“, murrte Tai und die anderen lachten. „Oh, ich glaube, es geht los“, sagte Izzy dann und alle richteten ihre Blicke auf die Bühne, die soeben unter tosendem Applaus von den Tokyo Rebels betreten wurde.   _   Die neuen Lieder der Band waren nicht viel anders als die alten und so folgte Tai dem Konzert mäßig interessiert. Obwohl es nicht sein Musikgeschmack war, musste er zugeben, dass er Matt und die anderen Jungs für das bewunderte, was sie auf die Beine stellten. Immerhin schrieben und komponierten sie ihre Songs ganz allein. Und die vielen Fans gaben ihnen die Gewissheit, dass das, was sie taten, richtig war. Es musste schon ein unglaubliches Gefühl sein, mit etwas, was man liebt, berühmt zu werden. Mehr oder weniger. Nach dem vierten oder fünften Song griff Matt nach dem Mikrofon und räusperte sich. „Unser nächster Song ist etwas Besonderes und auch für uns eine absolute Premiere. Wir hatten nämlich Verstärkung. Weibliche Verstärkung.“ Beifall und Jubel von den Fans, sodass Matt einen Augenblick warten musste. „Ich habe den Song mit ihr zusammen geschrieben und… er bedeutet uns eine Menge.“ Fragend runzelte Tai die Stirn und fing Soras Blick auf. Auch sie schien nicht gewusst zu haben, dass Matt Unterstützung von einem Mädchen bekommen hatte. Normalerweise brauchte er das weibliche Geschlecht nur für die Befriedigung seiner Gelüste. „Der Song richtet sich vor allem an zwei Menschen, die uns sehr wichtig sind. Sie sind heute Abend hier und ich hoffe, dass sie wissen, dass sie gemeint sind. Aber er ist auch für alle Verliebten da draußen unter euch, egal ob glücklich oder unglücklich.“ Wieder Jubel und Beifall aus dem Publikum. „Und jetzt freue ich mich, unsere bezaubernde weibliche Unterstützung vorzustellen. Mimi!“ Die Menge brach in Beifall aus und die Bühne betrat niemand anderes als Mimi Tachikawa. „Was?!“, entfuhr es Tai entgeistert. „Mimi?“, kam es von Kari. „Das gibt’s nicht!“ „Unsere Mimi?“ „Hä?“ „Ich dachte, sie hätte keine Zeit!“ Die Freunde tauschten irritierte, überraschte und fassungslose Blicke, während Mimi ein wenig steif über die Bühne zu Matt stapfte. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid und schwarze Stiefel. Ihre schulterlangen Haare waren offen und geföhnt. Tai konnte außerdem erkennen, dass ihr Gesicht stark geschminkt war. Mit beiden Händen umklammerte sie das Mikrofon. Ihr Lächeln wirkte aufgesetzt. „Äh…“, machte sie und schien sprachlos. „Stell‘ dich doch kurz vor“, sagte Matt nach einer Weile zu ihr. „Äh… i-ich… ähm…“, stotterte sie. Tai hob die Augenbrauen. Mimi sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. „Sie ist noch ein bisschen schüchtern“, meinte Matt grinsend an das Publikum gewandt und legte einen Arm um Mimis Schultern. „Komm‘ schon. Hier sind alle ganz scharf drauf, deine Stimme zu hören, oder?“ Erneut jubelnder Beifall im Publikum. „Ähm… ich bin Mimi und wir wollen euch unseren Song ‚Somebody to you‘ vorstellen“, stammelte sie dann endlich und bekam erneut Applaus. Shin gab am Schlagzeug den Takt vor und dann spielten sie die ersten Töne. Schließlich begann Matt zu singen. „I used to wanna be Living like there’s only me But now I spend my time Thinking ’bout a way to get you off my mind. I used to be so tough, Never really gave enough And then you caught my eye Giving me the feeling of a lightening strike.” Dank Mimis gelegentlicher Hilfe in Englisch konnte er das meiste vom Text verstehen. Er fragte sich, ob Matt da über Sora sang. Er warf einen Seitenblick auf seine beste Freundin, die mit großen Augen zur Bühne starrte und deren Wangen leicht gerötet waren. „Look at me now, I’m falling Can’t even talk, st-stuttering, This cloud I’m on keeps shaking oh oh oh, now.” Belustigt schüttelte Tai den Kopf. Dieser Popstil nervte ihn mehr als der rockige Stil, den die Tokyo Rebels sonst hatten. „All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. Everybody’s tryin’ to be a billionaire But everytime I look at you I just don’t care ‘Cause all I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you.” Bisher hatte Mimi noch nicht ein Wort gesungen, sondern hatte nur steif neben Matt gestanden und ins Publikum gestarrt. Nebenbei hatte sie versucht, sich ein wenig zum Takt der Musik zu bewegen, was ihr offensichtlich schwer fiel. Dabei war sie sonst in solchen Dingen so sicher. Matt warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu, den sie nicht erwiderte, sondern stattdessen nur weiter ins Publikum starrte. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie in den nächsten Sekunden anfangen zu singen. Matt schien der gleichen Meinung zu sein, denn er hob sein Mikrofon erneut, doch bevor er einen Ton von sich geben konnte, begann Mimi endlich zu singen. „I used to run around, I didn’t wanna settle down But now I wake each day Looking for a way that I can see your face.” Obwohl sie noch immer steif wirkte und nicht ganz so laut sang wie Matt, war deutlich zu hören, wie perfekt ihre Stimme zu dem Song passte. Unsicher sah sie zu Matt, der sie angrinste und ermutigend nickte. Das schien auch Mimi endlich ein wenig mehr Selbstbewusstsein zu geben, denn nun erschien auch auf ihren Lippen ein Lächeln und ihre Stimme wurde lauter. „I’ve got your photograph But baby I need more than that, I need to know your lips, Nothing ever mattered to me more than this.” Nun setzte auch Matt wieder ein und sie sangen den nächsten Part gemeinsam. „Look at me now, I’m falling Can’t even talk, st-stuttering, This cloud I’m on keeps shaking oh oh oh, now. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. All I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you. Everybody’s tryin’ to be a billionaire But everytime I look at you I just don’t care ‘Cause all I wanna be, all I ever wanna be yeah, yeah Is somebody to you.“ Tai und Sora tauschten einen vielsagenden Blick. Matt und Mimi hörten sich zusammen einfach unglaublich an. Sie schienen irgendwie ein perfektes Duett abzugeben. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll“, meinte Sora und wirkte ein wenig hilflos. „Ich auch nicht“, stimmte Tai ihr schulterzuckend zu. Noch zweimal sangen Matt und Mimi den Refrain zusammen, dann war der Song vorbei. Mimi bedankte sich überschwänglich beim jubelnden Publikum und verschwand dann wieder von der Bühne.   _   Noch immer aufgeregt durcheinander redend standen die Freunde in einer Gruppe alle beieinander und warteten auf Matt und Mimi. Obwohl das Konzert insgesamt fast zwei Stunden dauerte, war der einzelne Song mit Mimi noch immer das Gesprächsthema der Gruppe. „Ich frage mich, wen sie wohl gemeint haben mit den zwei wichtigen Menschen“, gluckste Yolei und zwinkerte grinsend Richtung Tai und Sora, die zusammen standen und beide ein wenig unsicher waren. Sora konnte ihre aktuelle Gefühlslage einfach nicht beschreiben. Einerseits hatten Matts Worte sie sehr gerührt. Ihr war klar gewesen, dass er nur sie gemeint haben konnte. Ihr Herz hatte wild geklopft und auch jetzt war sie aus irgendeinem Grund aufgeregt, wenn sie daran dachte, dass er gleich bei ihnen sein würde. Andererseits jedoch verwirrte sie das Verhältnis zwischen Matt und Mimi. Meistens hatte sie den Eindruck, die beiden verstanden sich nicht besonders gut, doch irgendwie war diese Sache seltsam. Ja, Mimi war jetzt mit Tai zusammen und schien auch überglücklich mit ihm zu sein. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie mehrmals mit Matt geschlafen hatte. Und auch wegen des Songs mussten sie eine Menge Zeit miteinander verbracht haben. Sora wusste, dass sie nicht eifersüchtig sein sollte, konnte sich aber nicht dagegen wehren, einen leichten Stich im Herzen zu verspüren. Und sie hatte das Gefühl, dass es Tai so ähnlich ging. Endlich tauchten Matt und Mimi bei der Gruppe auf und Sora presste die Lippen aufeinander. Mimis Gesicht glühte noch immer vor Aufregung und sie strahlte breit. Sie ging zu Tai und klammerte sich an seinen Arm. Auch Sora bekam ein Lächeln von ihr. „Wie fandet ihr es?“, fragte sie mit leuchtenden Augen. „Es war… wirklich schön“, murmelte Sora zögerlich. „Ich wusste gar nicht, dass ihr sowas macht“, antwortete Tai. „Naja, es sollte ja auch eine Überraschung werden“, erklärte Mimi. „Ihr habt bestimmt lang daran gesessen“, erwiderte Tai. Mimi lachte. „Ja, das kannst du laut sagen. Matt kann echt sowas von stur sein. Aber irgendwie hat es auch echt Spaß gemacht.“ Sora lächelte leicht und murmelte ein „Freut mich“, während Tai nichts sagte. Nun runzelte Mimi ein wenig verwirrt die Stirn. „Was ist los mit euch? Stimmt irgendwas nicht?“ „Nein, nein, alles in Ordnung“, antwortete Sora hastig und hob die Hände. „Das Lied war wirklich toll. Ich werde mir auf jeden Fall die CD kaufen.“ Mimi zog eine Schnute und schien nicht vollends überzeugt. Schwatzend und gut gelaunt machte sich die Gruppe auf den Weg in Nami’s Café. Dort hatten Nami, Joe und Sora schon den Vormittag damit verbracht, den Gastraum so zu gestalten, dass sie alle beisammen sitzen konnten. Alle hatten bereits im Laufe des Tages kleine Speisen vorbeigebracht, sodass sie genug zu essen für ihre Weihnachtsfeier hatten. Nami stellte Getränke. Es gab Tee, Punsch und genügend Kaltgetränke. Weihnachtsmusik wurde angestellt und alle setzten sich um die zusammengestellten Tische herum. Jeder hatte eine Tasse mit dampfendem Punsch vor sich stehen und wärmte sich die kalten Hände. Im Café war es jedoch kuschelig warm und dank Kerzenschein und Weihnachtslichtern gemütlich. Die Stimmung war unverändert ausgelassen, sodass sie von Anfang an viel redeten und lachten. Sora stützte den Kopf auf der Hand ab und beobachtete ihre Freunde. Heute war es, als hätte es in der Gruppe nie irgendwelche Probleme gegeben. Alles schien perfekt, friedvoll und harmonisch. Sachte lächelnd nippte sie an ihrem Punsch und dachte an all die Geschehnisse des vergangenen Jahres zurück.   _   „Das mit dem Lied passt dir irgendwie nicht, oder?“ Mimi lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und musterte Tai durchdringend. Tai verhielt sich schon den ganzen Abend seltsam ihr gegenüber, ruhiger und abweisender als sonst. Eigentlich hatte sie erwartet und gehofft, dass er sich über den Song freuen würde. Immerhin hatte sie dabei an ihn gedacht. Er erwiderte ihren Blick ausdruckslos und zuckte mit den Schultern. „Schon okay.“ „Nein, das ist nicht okay. Was ist denn los?“, fragte sie ernst. „Nichts, alles gut.“ „Fandest du das Lied wirklich so schlecht?“ „Nein, alles okay“, betonte er nur erneut. „Du und Matt, ihr passt wirklich gut zusammen.“ Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist eifersüchtig.“ „Bin ich nicht“, murmelte er mit finsterer Miene. „Das solltest du auch nicht. Es gibt nämlich überhaupt keinen Grund.“ „Ach nein?“ Ertappt. Er hatte sich endgültig verraten. Er war sehr wohl eifersüchtig. Sie beugte sich zu ihm nach vorn und legte eine Hand auf sein Bein. „Tai, wir haben ein Lied zusammen geschrieben, nicht unsere gemeinsame Zukunft geplant.“ „Schon klar. Du musst nur zugeben, dass es in Ordnung ist, wenn ich ein bisschen angefressen bin, weil meine Freundin mit meinem besten Kumpel, mit dem sie schon mehrmals geschlafen hat, viel Zeit verbringt, um einen Song zu schreiben“, grummelte er und wandte den Blick von ihr ab. „Tai, bitte“, murmelte sie und hatte auf einmal Angst. Angst, dass er sich von ihr trennen könnte. Es war so mühsam gewesen, ihn von sich zu begeistern. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. „Wir haben das Lied geschrieben und dabei wirklich nur an euch gedacht. Dich und Sora. Wir haben damit angefangen, als ich dich schon aufgegeben hatte. Wir waren einfach beide verzweifelt und irgendwie hat uns das immer verbunden. Aber… mehr ist da auch nicht.“ „Außer einer leidenschaftlichen Affäre“, fügte er hinzu. „Die vorbei ist“, erinnerte Mimi ihn. „Tai, zwischen uns läuft so überhaupt gar nichts. Und alles, was je gelaufen ist, war echt rein körperlich. Matt und ich passen so gar nicht zusammen und ich empfinde wirklich nichts für ihn. Ich mag ihn einfach nur. Aber was soll ich denn mit ihm, jetzt, da ich dich haben kann?“ Sie konnte sehen, dass er auf seiner Lippe herumkaute. Er wirkte so unsicher, dass sie ihn kaum wiedererkannte. Bestimmt legte sie die Hände an sein Gesicht, zog ihn an sich und zwang ihn, sie anzusehen. Ein wenig widerwillig richtete er den Blick aus seinen schokoladenfarbenen Augen schließlich auf sie. „Bitte vertrau‘ mir. Ich wurde doch selbst mal verarscht. Ethan. Erinnerst du dich? Der Grund, warum mein Vater keine Fußballer mag? Warum sollte ich jemand anderem so etwas antun, wenn ich genau weiß, wie es sich anfühlt?“, sagte sie leise. Er seufzte resigniert. „Mimi, es ist nur so… ähm… ich… ich liebe dich.“ Überrascht und glücklich starrte sie ihn an. Ja, sie waren jetzt schon seit Anfang Dezember ein Paar, doch sie hatten sich noch nie gesagt, dass sie sich liebten. Sie spürte, wie ihre Knie vor Aufregung zitterten und ihr Herz raste. „Du bist einfach der größte Idiot“, flüsterte sie und küsste ihn dann stürmisch. Ihre Hände bewegte sie keinen Millimeter von seinem Gesicht weg, aus Angst, er könnte sich zurückziehen. Doch er erwiderte ihren Kuss und intensivierte ihn sogar. Mimi ließ sich komplett fallen und vergaß für einen Augenblick völlig, wo sie sich eigentlich befanden und dass sie nicht allein war. Alle anderen Eindrücke wurden ausgeblendet, es gab nur noch sie und ihn. „Hallo? Könnt ihr euch mal zusammenreißen? Das will keiner sehen!“, beschwerte sich Davis und brachte sie dazu, sich voneinander zu lösen. Mit angewidertem Blick beäugte er sie. „Da kann ich mich nur anschließen“, stimmte Kari ihm schief grinsend zu. „Klappe, alle beide“, murrte Tai und Kari lachte. Mimi wusste, dass sie mit Absicht regelmäßig zu T.K. floh, wenn Mimi bei Tai übernachtete. Die Wohnung war einfach zu hellhörig und selbst, wenn Tai und Mimi sich in normaler Lautstärke in seinem Zimmer unterhielten, konnte Kari in ihrem Zimmer nebenan fast jedes Wort verstehen. „Ich liebe dich übrigens auch“, flüsterte Mimi ihm ins Ohr und lächelte. Er verdrehte die Augen. „Ihgitt.“ „Bitte was?“ Sie verengte die Augen zu Schlitzen. „Was denn? Von dir geliebt zu werden ist nicht gerade ein Kompliment“, erwiderte er trocken, grinste dann aber schief. Verärgert boxte Mimi ihm gegen den Arm, freute sich aber innerlich, dass er wieder normaler war. Mehr Tai.   _   „Kommst du mit frische Luft schnappen?“ Offenbar hatte er sie aus ihren Gedanken gerissen, denn sie zuckte zusammen, als er sie leise ansprach und schaute ihn überrascht an. „Ähm… ja klar. Ganz schön warm hier drin“, erwiderte sie und stand auf. Langsam folgte sie ihm zur Garderobe, wo sie sich ihre Jacken schnappten und nach draußen gingen. Matt griff in die Gesäßasche seiner Hose und zog die Schachtel Zigaretten hervor, die er immer bei sich hatte. In aller Ruhe steckte er sich eine an und schob die Schachtel zurück in seine Hose. Er lehnte sich gegen die Hauswand und inhalierte den Rauch der Zigarette. Er hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Sora stand neben ihm, die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben, das Gesicht halb in ihrem Schal versteckt. Er genoss es, so nah bei ihr zu stehen. Das musste er immer wieder feststellen. Vor allem, wenn sie allein waren. „Du hast verstanden, dass ich dich mit dem Lied gemeint habe, oder?“, fragte er nach einer Weile. „Ja“, antwortete sie zögerlich. „Also ich habe es mir gedacht.“ „Und hat es dir gefallen?“ Ihre Meinung war ihm besonders wichtig. „Es… war anders als sonst. Aber ja, ich mag es.“ „Ja, es war wirklich anders. Mimi hat eben eine Popstimme“, erklärte er. „Ihr versteht euch ziemlich gut, oder?“ Er sah sie von der Seite an und versuchte, ihre Bemerkung zu deuten. Ein seltsamer Unterton schwang in ihrer Stimme mit. „Ist okay.“ „Das freut mich.“ „Tut es das wirklich?“ „Ja.“ Schweigend rauchte Matt weiter, bis seine Zigarette nur noch ein Stummel war. Er warf ihn auf den Boden und drückte ihn mit dem Schuh aus. Dann drehte er sich zu ihr und lehnte sich mit der Schulter gegen die Hauswand. Mit einer Hand strich er ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr, sodass sie sich ebenfalls umdrehte und zu ihm aufsah. „Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass du die Einzige bist, die ich ständig küssen will?“ Einen Augenblick lang sah sie ihn nachdenklich an, dann nickte sie. „Ja. Du hast mir mal erzählt, dass du nicht küsst…“ „Zumindest niemanden außer dir.“ „Wirklich niemanden?“ „Niemanden.“ „Also… du hast mir nie gesagt, warum.“ „Hm… es ist mir zu intim“, erklärte er langsam. Argwöhnisch hob Sora eine Augenbraue. „Okay?“ „Ich weiß, was du denkst. Ich hab‘ dazu einfach eine spezielle Meinung. Sex ist für mich einfach nur Spaß. Nichts Ernstes. Mit Küssen ist das anders. Dafür braucht man Gefühle. Starke Gefühle, sonst ist es doch sinnlos.“ „Das ist wirklich eine spezielle Meinung“, erwiderte sie, sodass er schief lächelte. „War ich etwa die Erste, die du je geküsst hast?“ Er schüttelte den Kopf. „Nee. Mein erster Kuss war mit dieser Suki in der achten Klasse, falls du dich an die erinnerst. Hab’s nur gemacht, um es endlich gemacht zu haben. Aber hat mir nicht gefallen, war mir einfach zu intim. Und seitdem habe ich niemanden mehr geküsst.“ „Wow echt?“ Sora wirkte verblüfft. „Ja“, erwiderte er. „Ich… das wusste ich nicht“, nuschelte sie. „Aber… dann… warum willst du nicht, dass wir… wir könnten…“ Er seufzte betrübt und senkte den Blick. „Sora, sei ehrlich. Wäre es dir lieber, wenn wir keinen Kontakt mehr haben? Außerhalb der Schule, meine ich. Ich könnte das verstehen.“ „Es wäre mir lieber, wenn du mir sagen würdest, dass alles gut wird“, entgegnete sie. „Das kann ich dir aber nicht versprechen.“ „Ich will nicht, dass wir keinen Kontakt mehr haben“, flüsterte sie heiser. Es klang fast, als wäre sie den Tränen nahe. Plötzlich schlang sie die Arme um ihn, schmiegte sich an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. Matt biss sich auf die Unterlippe. Der blumige Duft ihres Haars stieg ihm in die Nase. Zögerlich legte er die Arme um sie und zog sie ein wenig näher an sich. Er wusste, dass es nicht fair war, was er tat. Sie liebte ihn, hatte ihm mehr als einmal klar gemacht, dass sie eine feste Beziehung mit ihm wollte, obwohl sie sich in ein paar Monaten auf unbestimmte Zeit in verschiedenen Ländern – vielleicht sogar auf verschiedenen Kontinenten – befinden würden. Doch er wusste einfach nicht, ob er ihr treu bleiben könnte. Ob er es aushalten würde, sie nur so selten zu sehen und dabei ständig der Versuchung ausgesetzt zu sein, sich ein anderes Mädchen zu nehmen. Immerhin war es das, woran er gewöhnt war. Inzwischen hatte er den Eindruck, dass es Tai tatsächlich nichts mehr ausmachen würde, wenn aus Matt und Sora etwas Festes wurde. Aber das Problem der Entfernung schien für ihn unüberwindbar. „Ich liebe dich so sehr“, nuschelte sie in seine Jacke.   _   Seufzend kuschelte Yolei sich an Ken. Schon lange war ihr nicht mehr kalt. Inzwischen war es so mollig warm im Café, dass sie schon schwitzte. Der ganze Punsch und die angenehme Stimmung in der Gruppe hatten sie zusätzlich von innen gewärmt. Zudem fühlte sie sich vollgefuttert und zufrieden. Es war wirklich ein perfekter Weihnachtsabend. Sie hatten die Zeit damit verbracht, Spiele zu spielen, viel zu essen und zu trinken, Weihnachtslieder zu singen und einfach die gemeinsame Zeit als Gruppe zu genießen. Inzwischen war es nach Mitternacht und Yolei wurde allmählich müde. „Warum kannst du heute nicht bei mir übernachten?“, fragte sie mit quengelnder Stimme. „Weil Weihnachten ist. Das haben wir doch schon geklärt“, antwortete Ken und legte einen Arm um sie. „Meine Eltern wollen, dass ich zu Hause bin und deine wollen, dass du zu Hause bist.“ „Sie wollen uns unglücklich sehen“, seufzte Yolei theatralisch, sodass er leise lachte. „Sie lieben uns eben und wollen Weihnachten mit uns verbringen. Sei doch froh, dass wir uns wenigstens hier sehen können.“ Ein wenig beleidigt zog Yolei eine Schnute. So gern würde sie mehr Zeit mit Ken verbringen, viel mehr. Deswegen sollte sie tatsächlich dankbar für jede Minute sein, die sie zusammen verbringen konnten. Und trotzdem wollte sie einfach immer mehr. Dazu war sie andauernd eifersüchtig, wenn sie nicht mit Ken zusammen war. Ihr war sehr wohl bewusst, dass er beliebt bei den Mädchen war und es an seiner Schule so einige Mädchen gab, die gern mit ihm zusammen wären. Dass er sich ausgerechnet Yolei ausgesucht hatte, konnte sie immer noch nicht fassen, wenn sie länger darüber nachdachte. Yolei seufzte und ließ den Blick über ihre Freunde schweifen, die heute allesamt so aussahen, als hätte es in der Gruppe nie irgendwelche Probleme gegeben. Vor allem Tai und Mimi verblüfften sie immer noch mit ihrer Beziehung. Bis vor kurzem hatten sie sich noch gehasst und jetzt saßen sie dort nebeneinander, zogen sich andauernd liebevoll auf und berührten den jeweils anderen immer wieder scheinbar beiläufig. Kari und T.K. waren ein Herz und eine Seele wie eh und je. Das vergangene Jahr hatte ihrer tiefen Freundschaft nichts ausmachen können und nun waren sie sogar ein Paar. Bei Joe hatte sie das Gefühl, er wäre der glücklichste Mensch der Welt. Sein Studium lief ganz gut und er war seit über einem halben Jahr mit Nami zusammen. Sogar eine gemeinsame Wohnung hatten sie schon. In all das Drama, das in der Gruppe passiert war, war er nicht verwickelt gewesen, weil er nicht mehr auf ihre Schule ging, genau wie Ken. Auch Izzy war nicht zu sehr in die Geschehnisse involviert, auch wenn Yolei wusste, dass Mimi ihm sehr viel erzählt hatte. Vermutlich musste er also oft als ihr emotionaler Mülleimer herhalten, doch er wirkte nicht, als würde es ihm etwas ausmachen. Eine Zeit lang hatte Yolei die Vermutung gehabt, er wäre in Mimi verliebt, doch inzwischen glaubte sie das nicht mehr. Vermutlich führte er eine Beziehung mit seinem Hobby. Cody hatte sich zwar von der Gruppe ziemlich distanziert, weil er in seiner neuen Klasse viele Freunde gefunden hatte, doch trotzdem schien er froh, heute bei ihnen sein zu können. Yolei fand, dass er ziemlich gewachsen war. Er kam an der Mittelschule gut zurecht. Ob und was zwischen Matt und Sora lief, wusste Yolei allerdings nicht so richtig. Die beiden waren vor einer Weile für eine halbe Stunde draußen gewesen und mit bedrückten Gesichtern zurückgekommen. Beide hatten ein schwieriges Jahr hinter sich. Sora wirkte wieder ein wenig erholter und sah nicht mehr krankhaft dünn aus. Auch Matt hatte ziemlich viel durchgemacht, doch zumindest seine Band war erfolgreich. Und irgendwie hörte man ja ständig, dass das Privatleben von Musikern das reinste Chaos war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)