Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Kapitel 44: You make me wanna ----------------------------- Montag, 27. November 2006   Angespannt kaute Tai auf seiner Unterlippe herum, während er an den Schließfächern lehnte und auf Mimi wartete. Die ganze Woche war ihm die Sache zwischen Matt und Mimi nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hätte explodieren können, als er die beiden zusammen gesehen hatte. Wie konnten sie diese hirnrissige Affäre nach allem, was passiert war, noch fortsetzen? Und was dachte sich Mimi überhaupt dabei? Immer wieder behauptete sie, sie hätte sich in ihn verliebt, doch dann trieb sie es schon wieder mit Matt. Agierte so jemand, der verliebt war? Und wieso überhaupt immer Matt? Im Laufe der Woche hatte Tai sich jedoch einigermaßen beruhigt. Zumindest stand er nicht mehr kurz vor der Detonation. Dennoch beschäftigte ihn die Sache mehr, als sie sollte. Einmal hatte er sogar von Matt und Mimi geträumt. In seinem Traum hatte er die beiden dabei beobachtet, wie sie gemeinsam Matheaufgaben geübt hatten. Dann war Izzy dazu gekommen, um Matt zu zeigen, wie es richtig ging, doch auch er hatte es falsch gemacht. Tai hatte dazwischengehen und Mimi den richtigen Lösungsweg erklären wollen, doch sie hatte ihn weggeschickt, weil sie mit Matt und Izzy schlafen wollte. Fassungslos war Tai aufgewacht und hatte beschlossen, dass er diese Sache schnellstmöglich klären musste. Am Wochenende hatte er viel Zeit mit Sora verbracht und mit ihr über Mimi und auch Matt geredet. Dass die beiden schon wieder etwas miteinander hatten, hatte er ihr allerdings verschwiegen. Das musste sie nicht wissen. Er wollte sie nicht wieder unnötig belasten, wo es ihr doch gerade besser ging und sie endlich wieder gesünder aussah. Auch mit Matt hatte er am Wochenende gesprochen. Er hatte ihm erklärt, dass es keinerlei Bedeutung hatte und von ihm ausgegangen war. Tai war nicht wirklich sauer auf ihn, doch trotzdem hatte er ein seltsames Gefühl in der Magengegend, wenn er Matt sah. Endlich kamen Mimi und Izzy angeschlendert und blieben vor ihren Schließfächern stehen. Tai fiel sofort auf, dass Mimi ihre Haare abgeschnitten hatte. Zuvor hatten sie ihr bis über die Brust gereicht, doch nun waren sie nur noch schulterlang und auch die pinken Spitzen waren weg. „Hallo, Tai“, begrüßte Izzy ihn, während Mimi ihm nur einen kurzen, ausdruckslosen Blick zuwarf. „Morgen“, murmelte Tai, nicht wissend, wie er Mimi auf sein Anliegen ansprechen sollte. Immerhin war es etwas, womit sie sehr wahrscheinlich nicht rechnete. Er plauderte kurz mit Izzy über das vergangene Wochenende, dann wollten die beiden sich auf den Weg zu ihrem Unterrichtsraum machen. Tai räusperte sich. „Mimi?“ Sie und Izzy drehten sich wieder um. Izzy sah ihn neugierig an, Mimi eher grimmig. „Kann ich… kann ich dich kurz sprechen?“ Sie tauschten einen kurzen Blick, dann ging Izzy weiter zum Klassenraum, während Mimi vor Tai stehen blieb und abwehrend die Arme vor der Brust verschränkte. „Na Tai, was willst du mir heute vorwerfen? Habe ich dich angesehen, während ich mit Matt gesprochen habe?“ Ihr Tonfall triefte nur so vor Sarkasmus. „Lass‘ uns am Wochenende was trinken gehen“, sagte er, ohne auf ihre Worte einzugehen. Irritiert runzelte sie die Stirn. „Was?“ „Wochenende. Was trinken gehen. Hast du Zeit?“ Einen Augenblick lang musterte sie Tai mit einem Blick, den er nicht deuten konnte. Dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Ja, ich habe Zeit. Aber nein, danke. Frag‘ jemand anderen.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte los. Perplex starrte Tai ihren Hinterkopf an, dann setzte er ihr nach, griff nach ihrem Handgelenk und zwang sie dazu, sich umzudrehen. „Hey!“, rief Mimi und riss sich von ihm los. „Wieso nicht?“, fragte Tai gereizt. „Ist die Frage ernst gemeint?“, fragte sie entgeistert. „Denk‘ doch mal an die letzte Zeit zurück. Vielleicht kommst du dann von selbst auf die Antwort.“ „In der letzten Zeit hast du mir eindeutig gezeigt, dass du was für mich empfindest oder so! Warum weist du mich jetzt ab?“ Ungläubig schüttelte Mimi den Kopf und strich sich die Haare hinter die Ohren. „Glaubst du, du brauchst nur mit den Fingern zu schnippen und schon tanze ich nach deiner Pfeife? Du hast mir klargemacht, dass das für dich sowieso nichts Ernstes war und dann benimmst du dich wie der letzte Trottel, weil ich mit Matt schlafe, obwohl es dich überhaupt nichts angeht. Ich lasse mich doch nicht von dir verarschen, Tai!“ Und dann war das Thema für sie gegessen. Sie drehte sich um und ging endgültig davon und ließ Tai wie einen begossenen Pudel stehen.   _   Als Mimi sich von ihm abwandte, um in ihren Klassenraum zu gehen, konnte sie ihre Gesichtszüge nicht mehr unter Kontrolle halten. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Taichi Yagami hatte sie gerade tatsächlich nach einem Date gefragt! Er wollte mit ihr ausgehen! Innerlich hatte sie einen Luftsprung gemacht. Mit so einer Aktion hatte sie vor allem nach der vergangenen Woche nicht gerechnet. Sie hatte erwartet, dass sie bis zu ihrer Abreise wohl kaum noch ein Wort miteinander reden würden, hatte sich schon damit abgefunden, dass er sie einfach nicht wollte. Und jetzt? Und dennoch wollte sie es ihm nicht so leicht machen. Er war ein Arsch gewesen und hatte sie mit seinem dämlichen Verhalten mehr als nur einmal verletzt. Er hatte sie dazu gebracht, mit ihr zu schlafen, obwohl er schon gewusst hatte, was sie für ihn empfand. Nie hatte er ihr sagen können, ob der Sex mit ihr ihm etwas bedeutete und ihr trotzdem eine Szene gemacht, als sie mit Matt geschlafen hatte. Nein, eigentlich hatte er es überhaupt nicht verdient, dass sie ihn auch nur ansah. Wie würde es denn aussehen, wenn sie sich jetzt von ihm bei der Frage nach einem einfachen Date einfach so um den Finger wickeln ließ? Sie war doch kein leicht zu habendes Mädchen. Nein, sie hatte ihren Stolz. Und Tai würde sich schon etwas einfallen lassen müssen, um sie zu überzeugen, mit ihm auszugehen. „Warum strahlst du denn so?“, fragte Izzy, als Mimi sich auf ihren Platz neben ihn setzte, und musterte sie argwöhnisch. Anscheinend hatte auch er nicht mit netten Worten von Tai gerechnet. „Er hat mich nach einem Date gefragt“, berichtete Mimi lächelnd. „Aber ich habe nein gesagt.“ „Was?“ Verständnislos sah er sie an. „Wieso? Ich dachte, du wärst…“ „Weil ich mich nicht herumschubsen lasse, Izzy“, erklärte sie bestimmt. „Er muss es sich erst mal verdienen, dass ich Zeit mit ihm verbringe nach allem, was passiert ist.“ „Das heißt… du würdest schon gern mit ihm ausgehen, aber tust es trotzdem nicht?“, hakte Izzy nach. „Genau.“ Er blinzelte ein paar mal, dann seufzte er und stützte den Kopf auf den Händen auf. „Klingt total seltsam. Und ich verstehe es irgendwie nicht so ganz.“ „Das musst du auch nicht“, meinte Mimi und tätschelte ihm die Schulter.   _   „Sag‘ mal, kann ich dich mal was fragen?“, fragte Tai zögerlich. „Klar“, meinte Sora verwundert. Sie befanden sich gemeinsam auf dem Weg nach Hause. Sie hatten heute beide einen freien Nachmittag und wollten ihn gemeinsam bei Sora zu Hause verbringen. Das hatten sie schon lange nicht mehr getan, einfach so als Freunde. „Ich ähm… ich habe Mimi nach einem Date gefragt. Für Samstag. Aber sie hat mich total abblitzen lassen. Ich verstehe das nicht. Ich dachte, sie wäre verknallt in mich“, erzählte Tai. „Oh, echt? Sie hat nicht zugesagt?“, fragte Sora verwundert. „Ich war auch überrascht. Hätte nie damit gerechnet, dass sie absagt.“ „Vielleicht hat sie dich einfach aufgegeben nach der ganzen Zeit. Oder sie ist noch sauer auf dich. Aber was ist denn mit dir auf einmal los? Ich dachte, du wärst nicht interessiert an ihr auf diese Weise.“ Sie musterte ihn neugierig von der Seite. Das Blatt schien sich nun doch noch gewendet zu haben, nachdem Tai letzte Woche von einer Beziehung mit Mimi noch nicht so begeistert gewesen war. „Ich weiß auch nicht so genau. Ich glaube, ich bin eifersüchtig wegen ihr. Auf… auf Izzy. Mit dem versteht sie sich so gut und die wirken so vertraut und jetzt hilft er ihr auch noch in Mathe“, erklärte Tai und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Auf Izzy?“, fragte Sora irritiert. Matt hatte mit Mimi geschlafen und sie hatten das sogar in einem Video gesehen! „Die sind doch offensichtlich nur gute Freunde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da einen Grund gäbe, eifersüchtig zu sein.“ „Ja, ich… also… naja“, stammelte er und schüttelte den Kopf. Sora war verwirrt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihm lag etwas auf der Zunge, was er nicht erzählen wollte. „Ist alles okay?“ „Jaja, klar.“ Sie kamen bei ihr an, sie schloss die Tür auf und sie betraten die Wohnung der Takenouchis. Die Taschen ließen sie achtlos im Flur fallen und gingen direkt weiter in die Küche, um sich einen Snack zu machen. „Sag‘ mal… ist es eigentlich komisch für dich, wenn ich mit dir über Mimi rede?“, fragte Tai. „Also, wenn ich mit dir auf diese Weise über Mimi rede?“ Sora zögerte. Sie kramte Toastbrot aus einem Schrank und Sandwichbelag aus dem Kühlschrank hervor, während Tai Teller und Messer holte. „Also ehrlich gesagt irgendwie schon. Immerhin waren wir auch mal ein Paar. Mehr oder weniger“, murmelte sie nach einer Weile, ohne ihn anzusehen. „Ich weiß.“ Er seufzte und ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen. „Oh Mann, schon in Ordnung. Ich werde dich mit dem Thema in Ruhe lassen.“ „Nein“, erwiderte Sora und nahm ihm gegenüber Platz. Fragend sah er sie an, während sie ihm Brotscheiben reichte. „Ehrlich gesagt bin ich froh, dass du mit mir über sowas reden kannst. Es hat echt wehgetan, nicht mehr mit dir über alles reden zu können. Du bist einfach mein bester Freund. Daran hat sich trotz allem nichts geändert.“ Ihre Blicke begegneten sich und sie lächelte. Er nickte und lächelte zurück. „Mir hat das auch gefehlt.“ „Ach, was ich noch sagen wollte“, begann sie und machte ein wissendes Gesicht, „wenn du ein Date mit Mimi willst, solltest du dir etwas Besonderes einfallen lassen.“ Verwirrt über den Themenwechsel brauchte er eine Weile, um zu antworten. „Was Besonderes? Was soll ich denn machen? Ihr was vorsingen?“   Mittwoch, 29. November 2006   Gemeinsam mit Mimi näherte Izzy sich an diesem kalten Mittwochmorgen dem Schulgebäude. „Also wann willst du heute bei mir sein? Meine Mutter hat gesagt, du bist herzlich zum Abendessen eingeladen“, fragte Mimi und rieb ihre kalten Hände aneinander. „Hm keine Ahnung… wie wäre es mit um fünf?“, schlug Izzy vor. Heute würde er Mimi das erste Mal Nachhilfe geben. Er war schon ziemlich gespannt, wie das ablaufen würde. Er hoffte inständig, ihr wenigstens genauso gut helfen zu können wie Tai, der es anscheinend geschafft hatte, ihr einiges beizubringen. „Ja, ich glaube, das passt gut“, meinte sie. „Mann, meine Mutter liebt dich total und mein Vater findet dich auch in Ordnung. Du kannst echt stolz auf dich sein, von Tai haben sie nie so geredet“, erzählte sie, während sie gemeinsam mit anderen Schülern das Schulgebäude betraten. Verlegen kratzte Izzy sich am Kopf. Irgendwie schmeichelte es ihm, dass Mimis Eltern ihn so gern mochten. „Ich bin schon ganz gespannt auf das Abendessen.“ „Ach, erwarte nicht zu viel. In letzter Zeit ist meine Mutter ein bisschen…“ „To start it off I know you know me. To come to think of it, it was only last week.“ Wie angewurzelt war Mimi stehen geblieben, ebenso wie Izzy. Kaum dass sie das Foyer des Gebäudes betreten hatten, war Tai vor sie gesprungen und hatte sie nicht nur mit seiner plötzlichen Erscheinung, sondern auch mit seinem gehörschädigenden Gesang zum Stehenbleiben gezwungen. Izzy war vor Überraschung die Kinnlade heruntergeklappt, während Mimi Tai mit großen Augen anstarrte. „That I had a dream about us, oh, That’s why I’m here, I’m writing this song.” Nicht nur Mimi und Izzy starrten ihn in einer Mischung aus Verwirrung und Entsetzen an, sondern auch viele andere Schüler hatten sich im Foyer versammelt und beobachteten teils neugierig, teils verstört das Geschehen. „To tell the truth, you know I’ve been hurting all along, Someway let me know, you want me, girl.” Mimi schien sich aus ihrer Starre zu lösen und versuchte, an Tai vorbeizuhuschen, doch er sprang ihr erneut in den Weg. „Tai, was zum…“ „Everytime you see me, what do you see? I feel like I’m a poor man and you are the queen, Oh baby, you’re the only thing that I really need, And baby, that’s why…” Auch Davis, T.K. und Kari waren inzwischen im Foyer erschienen und mitten in der Schülermenge stehen geblieben. Davis’ Blick war belustigt. Er schien sich das Lachen zu verkneifen, während T.K. eher verstört wirkte. Kari sah sehr blass aus und versteckte sich hinter T.K. Das Foyer wurde immer voller. Einige Schüler beobachteten Tai lachend, andere wirkten angewidert und wieder andere vollkommen planlos. „You make me wanna call you in the middle of the night, You make me wanna hold you till the morning light, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” „Oh Gott“, hörte Izzy Mimi murmeln. Ihr Gesicht war knallrot angelaufen. Tai hingegen hatte begonnen, seinen Gesang mit einem seltsamen Tanz zu untermauern und die ganze Aktion noch lächerlicher aussehen zu lassen. Vorsichtig trat Izzy endlich einige Schritte zur Seite, um sich von ihm zu entfernen. In einer Ecke entdeckte er auch Matt und Sora. Sora hatte die Lippen fest aufeinander gepresst und sah aus, als versuchte sie angestrengt, nicht zu lachen. Matt hingegen hatte nur eine Augenbraue in die Höhe gezogen und seine Lippen umspielte ein kaum merkliches Grinsen. „I know this is a feeling that I just can’t fight, You’re the first and last thing on my mind, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Einige Mädchen hatten lachend den Refrain mitgesungen und im Rhythmus geklatscht. Izzy fing Mimis schockierten Blick auf. Ihr Gesicht war inzwischen dunkelrot. „Was hab‘ ich denn bitte verpasst?“ Yolei war an Izzys anderer Seite aufgetaucht und starrte ihn entgeistert an, mit einem Daumen auf Tai deutend. „I’ll take you home really quick, Sit you down on the couch, Pour some Don Perignon and hit the lights out, Baby, we can make sweet love.” „Izzy, bitte erschieß’ mich auf der Stelle.“ Mimi war wieder näher an Izzy herangerückt und hatte seinen Unterarm umklammert. Schmerzhaft bohrten sich ihre Fingernägel in seine Haut. Tai war Mimi nachgerückt und sang leidenschaftlich weiter. „Then we’ll take it nice and slow, Gonna touch you like you’ve never known before, We’re gonna make love all night.” Izzy hörte Mimi leise wimmern, während nun mehr Schüler anfingen zu lachen. „Ich glaube, ich bin im falschen Film“, kommentierte Yolei das Geschehen und schüttelte wild den Kopf. „Ist das wirklich Tai?“ „You make me wanna call you in the middle of the night, You make me wanna hold you till the morning light, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Inzwischen hatten sich auch einige neugierige Lehrer im Foyer versammelt und beobachteten Tai mit einer Mischung aus Belustigung und Verwirrung. Wollte denn niemand eingreifen und dieses Schauspiel beenden? Doch es hatte noch nicht zum Unterricht geklingelt. Bis dahin würden die Lehrer wohl nichts sagen. „I know this is a feeling that I just can’t fight, You’re the first and last thing on my mind, You make me wanna love, you make me wanna fall, You make me wanna surrender my soul.” Die letzten beiden Zeilen hatte Tai mit besonders großer Leidenschaft gesungen und ließ den letzten Ton langsam verklingen, bevor er seinen Auftritt beendete. Die Schülermenge in der Lobby brach teilweise in Gelächter und teilweise in Beifallsstürme aus. „Bist du völlig irre?!“, zischte Mimi, noch immer dunkelrot im Gesicht. Selbst auf ihrem Hals befanden sich inzwischen rote Flecken. „Was soll das?!“ Tai grinste breit und zuckte mit den Schultern. „Du hast dich darüber aufgeregt, dass ich dich nur mag, wenn keiner hinsieht. Jetzt haben alle hingesehen und jeder weiß es.“ Die anderen Schüler hatten sich wieder beruhigt und die Lehrer hatten damit begonnen, sie in ihre Klassenräume zu scheuchen. Inzwischen hatte es zum Unterricht geklingelt. Dennoch blieben einige stehen, um neugierig das Gespräch zwischen Tai und Mimi zu verfolgen und herauszufinden, was der Anlass für diese spontane Darbietung nicht vorhandener Gesangskunst war. „Aber… ich… so hab‘ ich das doch gar nicht gemeint!“, rief Mimi hilflos. „Aber ich!“, erwiderte Tai und sah sie eindringlich an. „Mimi, ich bin mir endlich sicher. Lass‘ uns am Samstag was unternehmen.“ „Oh Gott, nein!“ Sie drängte sich an ihm vorbei und lief einfach davon.   _   Schon seit fünf Minuten bekam Davis sich vor lauter Lachen nicht mehr ein. Erst jetzt, da sie noch mit Matt, Sora, Tai und Yolei zusammen im Foyer standen, beruhigte er sich langsam wieder. Kari hingegen schämte sich in Grund und Boden für ihren Bruder. Ihr war kein bisschen nach Lachen zumute. „Wenigstens ist es diesmal nicht mein Bruder, der sich vor der gesamten Schule blamiert“, hatte T.K. ihr während Tais Auftritt zugeraunt. „Danke, Blödmann“, hatte Kari genervt erwidert. „Was starrt ihr mich so an?“, fuhr Tai die Gruppe an, die sich bei ihm versammelt hatte. Ein kurzes Zögern, dann brachen alle bis auf Kari in Gelächter aus. „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde“, grummelte Tai. „Ich wusste gar nicht, dass du Mimi so sehr hasst, dass du ihr was vorsingst“, witzelte Davis und klopfte ihm auf die Schulter. „Also ich finde, es war eine süße Idee“, mischte Sora sich ein und ihre Wangen färbten sich hellrot. „Wenn man auf Demütigungen steht vielleicht“, lachte Davis. „Ich ändere meinen Nachnamen“, warf Kari ein. „Ich möchte nicht, dass man uns miteinander in Verbindung bringt.“ „Wie man es macht, es ist immer falsch!“, rief Tai wütend und warf die Arme in die Luft. Er drehte sich um und stapfte davon, während er weiter vor sich hin schimpfte. „Dämliche Weiber. Wissen doch alle selbst nicht, was sie wollen. Immer der gleiche Ärger mit denen. Kein Bock mehr auf die Scheiße. Diese blöde…“ „Hat er etwa gar nicht gesungen, um Mimi zu ärgern?“, fragte Davis, der ihm verdutzt hinterhersah. „Ach du meine Güte!“, rief Yolei überrascht. „Das war also ernst gemeint! Dann ist es tatsächlich irgendwie süß. Und traurig. Aber auch süß. Ich muss dann, Leute.“ Sie grinste in die Runde und stürmte ebenfalls davon. „Kann man Verwandtschaft auflösen?“, fragte Kari deprimiert. „Hm, irgendwie hätte ich gedacht, Mimi würde das überzeugen“, meinte Sora mit besorgter Miene. Überrascht sah Matt sie an. „Mimi? Die Sturheit in Person? Überzeugen? Warte mal…“ Er hob eine Augenbraue und lächelte schief. „War das etwa deine Idee mit dem Lied?“ Auch T.K. und Kari musterten Sora nun verwirrt. „Ähm… naja… eigentlich war es seine gewesen, wenn auch nicht ernst gemeint. Ich habe ihn dann überredet, es doch zu machen. Er will sie unbedingt überreden, mit ihm auszugehen, auch wenn sie sich quer stellt. Ich dachte, das hier könnte sie umstimmen, weil es ihr doch darum ging, dass er vor anderen nie zu ihr steht“, stammelte Sora und spielte mit ein paar Strähnen ihres flammendroten Haars. „Du hast ihn überredet, vor der ganzen Schule für sie zu singen?“, fragte T.K. verblüfft. „Wow. Du musst ziemlich überzeugend sein.“ „Hätte ja klappen können“, murmelte sie. „Ich muss jetzt wirklich in den Unterricht.“ „Ja, ich auch. Bis später.“ Matt und Sora machten sich ebenfalls auf den Weg in ihre Klassenräume. „Seit wann steht Tai auf Mimi?“, fragte Davis verwirrt. „Und wir sollten uns auch endlich mal beeilen. Kommt schon.“ Er lief voraus und Kari lehnte seufzend die Stirn gegen T.K.s Schulter. „Meinst du, es wissen alle in der Schule, dass er mein Bruder ist?“, nuschelte sie resigniert. „Jetzt stell‘ dich nicht so an. Anscheinend hatte er ja eine gute Absicht dabei“, erwiderte T.K. aufmunternd. „Absicht hin oder her. Er hat sich zum Gespött der ganzen Schule gemacht.“ „Mann, Kari. Ich wollte auch vor der ganzen Schule für dich singen. Was mache ich denn jetzt?“, fragte T.K. theatralisch seufzend. Entsetzt hob sie den Kopf wieder und sah ihn an. „Was?!“ Er lachte, legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie mit sich. „Das war ein Witz. Jetzt komm‘, sonst kriegen wir Ärger.“   _   Es war das mit Abstand Peinlichste, was ihr je in ihrem Leben passiert war. Wie hatte Tai sie nur so bloßstellen können? Die Bilder, wie er sich vor ihr aufgebaut hatte und You make me wanna schmetterte, spukten ihr den Rest des Tages im Kopf herum. Vermutlich hatte sein Gesang bleibende Schäden in ihren Ohren verursacht. Jeder in der Schule war dabei gewesen und jeder hatte mitbekommen, dass er es für sie getan hatte. Wie konnte er nur erwarten, dass sie nach dieser Aktion einem Date zusagen würde? War er denn von allen guten Geistern verlassen? „Hey Mimi, jetzt hör‘ endlich auf, daran zu denken und konzentrier‘ dich lieber auf Mathe. Du hast das doch heute nicht verstanden, hast du gesagt“, riss Izzy sie nicht zum ersten Mal aus ihren Gedanken. „Ich kann aber nicht aufhören, daran zu denken. Das ist einfach entsetzlich! Mein Leben hier ist vorbei! Ich kann mich nirgends mehr blicken lassen“, stöhnte sie und lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. „Aber er hat es doch nur nett gemeint“, gab Izzy zu bedenken und zuckte mit den Schultern. „Ja, aber… hätte er sich nicht was anderes einfallen lassen können? Er hätte auch einfach meine Hand in der Schule halten können. Warum musste es ein Lied sein? Und dann auch noch dieses Lied?“, jammerte sie. Izzy seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. „Ich meine, natürlich ist es irgendwie… naja… nett. Aber… boah, warum musste er singen?!“ Sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wie sollte sie morgen nur wieder in die Schule gehen? „Ich glaube, du hast schon peinlichere Situationen durchgestanden“, murmelte Izzy beiläufig. Verdutzt sah Mimi ihn an. Er hatte tatsächlich Recht. Das Video von Matt und ihr auf der Toilette, das durch die Schule gegangen war, war definitiv noch peinlicher gewesen. Das, was Tai gemacht hatte, würde sie später wahrscheinlich, wenn sie ihren Kindern erklärte, wie sie und ihr Vater zusammengekommen waren… Kinder? Zusammenkommen? Unwirsch schüttelte Mimi den Kopf. Nein, an sowas war jetzt nicht zu denken. Was Tai gemacht hatte, war peinlich, nicht süß. Einfach peinlich. „Wo waren wir stehengeblieben?“   _   „Warum passieren uns in der Schule eigentlich immer so seltsame Sachen?“, fragte Sora seufzend, während sie den Tresen abwischte. Es war bereits Abend und Matt war nach der Bandprobe vorbeigekommen, um sie bei der Arbeit zu besuchen und mit ihr zusammen nach Hause zu gehen. Die letzten Gäste waren soeben gegangen und Sora war noch dabei, hinter dem Tresen aufzuräumen. „Es wird wirklich nie langweilig“, murmelte Matt und nippte an seiner Wasserflasche. „Es tut mir einfach so leid für Tai. Ich fühle mich echt schuldig. Er hat gesagt, er ist nicht sauer auf mich deswegen, aber ich habe trotzdem ein total schlechtes Gewissen“, sagte sie mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. „Mach‘ dir keinen Kopf deswegen. Er kommt schon darüber hinweg. In einer Woche interessiert sich doch kein Mensch mehr dafür“, antwortete Matt abwinkend. „Meinst du?“, fragte sie zweifelnd und sah ihn unsicher an. „Ja. Tai kann das ab.“ Er lächelte leicht. Sie nickte zögerlich und räumte etwas restliches Geschirr in die Spülmaschine ein. „Hast du eine Idee, wie man sie dazu bringen könnte, sich auf das Date einzulassen und ihm eine Chance zu geben?“ „Ähm… nein“, antwortete Matt knapp. „Warum willst du dich da unbedingt einmischen? Ich glaube, das ist keine gute Idee.“ „Ich… ich bin ihm das einfach schuldig“, nuschelte sie, ohne ihn anzusehen. „Er hat es verdient, glücklich zu sein nach dem, was passiert ist.“ Matt beobachtete sie aufmerksam. Ihr Blick war betrübt und sie setzte mit fahrigen Bewegungen die Spülmaschine an. Mit gesenktem Blick wusch sie den Lappen aus und kam hinter dem Tresen hervor. „Bin soweit, wir können los.“ Sie schaltete überall im Café die Lichter aus und verriegelte die Eingangstür. Langsam machten sie sich auf den Weg nach Hause. „Wie war die Bandprobe?“, fragte Sora. „Gut. Wir sind besser vorangekommen, als erwartet. Wir arbeiten gerade an zwei neuen Songs.“ Sie redeten über die Band und die neuen Songs, bis sie an die Kreuzung kamen, an der sie in unterschiedliche Richtungen gehen mussten. „Vielleicht besuche ich am Samstag mal wieder euer Konzert“, sagte Sora lächelnd. „Ich war schon lange nicht mehr da.“ „Falls du das machst, dann sag‘ Bescheid. Dann können wir hinterher noch was machen“, erwiderte Matt. „Klar, mach‘ ich. Also dann bis morgen.“ Einen Augenblick lang sahen sie sich in die Augen und wieder spürte Matt dieses Knistern zwischen ihnen, diese Anspannung, der er jedes Mal kaum standhalten konnte. Ihre Gesichter näherten sich gefährlich. Er konnte bereits ihren Atem auf seinen Lippen spüren, doch dann, kurz bevor sie sich berührten, wich er aus und küsste sie auf die Wange. „Bis morgen“, raunte er und wandte sich ab. Erst einmal musste er tief durchatmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)