Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Kapitel 28: Campingfreuden und -leiden -------------------------------------- Montag, 31. Juli 2006   „Was soll ich bloß drei Tage ohne dich machen?“, fragte Nami und ein vorwurfsvoller Unterton schwang in ihrer Stimme mit. Sie stand mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt und beobachtete Joe dabei, wie er sich die Schuhe anzog. „Es sind ja nicht mal drei Tage“, entgegnete dieser lächelnd. „Übermorgen sehen wir uns doch schon wieder.“ „Aber es ist jetzt gerade mal Vormittag und übermorgen kommst du ja sicher auch erst am Nachmittag zurück. Also zählt das als drei Tage“, widersprach Nami. „Zweieinhalb“, korrigierte Joe sie und stand auf. Nami seufzte, legte die Arme um seinen Hals und verschränkte die Finger hinter seinem Nacken. „Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß. Seid nicht zu unvernünftig.“ „Wir doch nicht“, antwortete Joe abwinkend, küsste sie und machte sich dann von ihr los. „Bis in zweieinhalb Tagen.“ Er schnappte sich seine Reisetasche, in der er alles verstaut hatte, was er für das Camping brauchte, und verschwand aus Namis Wohnung. „Drei!“, hörte er sie noch rufen, doch er befand sich schon auf der Treppe nach unten. Er stieg in den Kleinbus, den sich die Gruppe gemietet hatte, um nicht zu viele Fahrer zu benötigen und fuhr los zum vereinbarten Treffpunkt. Die Einzige, die er an der verabredeten Bank vorfand, war Yolei. „Ah, na endlich!“, rief sie ihm entgegen, als er den Wagen parkte und ausstieg. „Ich dachte schon, ich muss allein campen fahren.“ Joe warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Es war noch eine Viertelstunde Zeit bis um zehn. „Wie lang bist du denn schon hier?“ „Keine Ahnung. Seit zehn Minuten oder so“, antwortete Yolei schulterzuckend. Gemeinsam luden sie ihr Gepäck in den geräumigen Kofferraum. Sie hatte so ungefähr das Dreifache von Joe. „Was ist das denn alles für Zeug?“, fragte er entgeistert und musterte mit einer gehobenen Augenbraue den Berg aus Taschen und Tüten. „Also da drin ist das ganze Essen“, erklärte Yolei und deutete auf eine riesige Tüte. „Und das ist ein Campingkocher. Da drin sind Zelt und Schlafsäcke. Da habe ich Pappgeschirr und Töpfe und so rein gepackt. Und da sind meine Klamotten drin.“ Staunend schüttelte Joe den Kopf und ließ sich auf der Kante des Kofferraums nieder. „Also wenn die anderen auch alle so viel Gepäck haben...“ „Haben sie nicht. Ich war ja für Essen und Geschirr zuständig“, antwortete Yolei unbekümmert. „So und wo bleibt jetzt der Rest?“ Der Nächste, der nach ein paar Minuten eintrudelte, war Izzy und kurz nach ihm kam Cody. Und als Joes Armbanduhr genau zehn Uhr anzeigte, waren noch Sora, T.K., Ken und Matt erschienen, deren Gepäck Joe nach und nach in den Kofferraum quetschte. Allmählich wurde es eng. _ Cody fühlte sich noch ein wenig fehl am Platz, als er gemeinsam mit den anderen herumstand und auf die Vier wartete, die noch fehlten. Er konnte sich noch nicht ganz vorstellen, dass der Campingausflug für ihn so toll werden würde. Immerhin hatte er mit den anderen kaum noch etwas zu tun, was er auch jetzt merkte. Joe, Sora und Izzy unterhielten sich gerade und auch Matt, T.K. und Yolei redeten als Dreiergruppe miteinander. Nur er und Ken standen ein wenig wie begossene Pudel daneben und wussten nicht so richtig, was sie zum Gespräch beisteuern sollten. Cody hatte sich in der siebten Klasse gut eingelebt und einige Freunde gefunden, mit denen er die Pausen verbrachte. Es war selten, dass er mit Yolei oder einem der anderen Zeit verbrachte. Er hatte einfach neue Freunde gefunden. „Mein Gott, wo bleiben die denn?“, rief Yolei genervt und tippte mit dem Fuß auf den Boden. „Dass Davis zu spät kommt, hätte ich mir denken können, aber von Mimi bin ich wirklich enttäuscht.“ „Ganz ruhig“, sagte Matt gelassen. „Wir haben doch Zeit.“ „Nein! Ich hasse Unpünktlichkeit“, motzte Yolei und sah sich um, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Auto von den Yagamis irgendwo zu entdecken. „Vielleicht muss Mimi sich noch schön machen“, witzelte T.K. „Ich glaube eher, Tai muss sich noch schön machen“, murrte Yolei und die anderen lachten. Kurz darauf kam endlich das Auto der Yagamis mit Tai, Kari und Davis an Bord vorgefahren. Frau Yagami und die drei anderen stiegen aus und begrüßten die Gruppe. „Ihr seid zu spät“, knurrte Yolei an Tai gewandt und funkelte ihn an. Dieser runzelte die Stirn. „Wieso? Ich dachte, um zehn wäre Treff?“ „Es ist zehn nach zehn!“, informierte Yolei ihn gereizt und hielt ihm ihre Armbanduhr unter die Nase. „Ich weiß“, antwortete Tai und zuckte mit den Schultern. Verdutzt sah Yolei ihn an. „Um zehn bedeutet für dich also das Gleiche wie zehn nach zehn?“ „Es tut uns wirklich Leid“, entschuldigte Frau Yagami sich mit einem leichten Lächeln bei Yolei. Cody tippte Yolei an. „Yolei“, murmelte er und schämte sich ein klein wenig für sie. „Komm wieder runter. Es sind nur zehn Minuten.“ „Können wir jetzt endlich los?“, rief Davis und blickte auffordernd in die Gruppe. „Nein, weil Mimi noch fehlt!“, rief Yolei wütend und stampfte mit dem Fuß auf. „Tz“, machte Tai und schüttelte gespielt empört den Kopf. „Immer diese Zuspätkommer.“ Die anderen lachten und Yolei sah aus, als würde sie gleich explodieren. Cody tätschelte ihr den Arm und hoffte, dass sie sich wieder beruhigte. Als Mimi dann endlich auftauchte, waren weitere zehn Minuten vergangen. Etwas gehetzt stieg sie aus dem Wagen. „Entschuldigt, wir hatten Stau.“ Sie ließ sich von ihrem Vater zwei große Reisetaschen zu Joes Auto tragen und verabschiedete sich von ihm, bevor er wieder losfuhr, nicht ohne ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Stau?“, fragte Izzy verwirrt. „Es ist es doch von euch aus nur eine Viertelstunde mit dem Auto.“ „Tja, rote Ampeln und Radfahrer und so“, murmelte Mimi ausweichend und half Joe dabei, die Taschen in den sowieso schon überfüllten Kofferraum zu quetschen. Anschließend konnte es endlich losgehen. _ Auf der Rückbank zwischen Davis und Cody gequetscht hockte Kari im Auto ihrer Mutter und sah aus dem Fenster. Sie beobachtete, wie sich die Reihen der Hochhäuser allmählich lichteten und die Gegend ländlicher und grüner wurde. Das Camp, das sie gebucht hatten, lag nördlich von Tokio an einem See und versprach viel Ruhe. Kari freute sich schon wahnsinnig, aus der Stadt herauszukommen und ein wenig Landluft zu schnuppern und die Natur zu genießen. Hoffentlich wurden es drei angenehme Tage. Nach zwei Stunden Fahrt waren sie endlich da. Davis und Tai hatten auf der Hinfahrt pausenlos geplaudert, hauptsächlich über Fußball, und Kari war froh, ihnen zu entkommen. Als sie neben dem Kleinbus von Joe eingeparkt waren, kletterte sie nach Cody aus dem Auto und streckte sich. Anschließend machten sich alle bis auf Yolei daran, das ganze Gepäck auf den Campingplatz zu schleppen. Yolei ging in der Zeit zur Rezeption und checkte ein. Obwohl sie schon so viele Träger waren, mussten sie trotzdem allesamt zwei Mal gehen, um das ganze Gepäck auf die Grünfläche zu schleppen, auf der sie die Zelte aufbauen wollten. Als die unzähligen Taschen und Koffer ungeordnet zu einem Haufen zusammengestellt worden waren, verabschiedete sich Yuuko von der Gruppe und machte sich auf den Weg zu Karis Großeltern, die hier in der Nähe wohnten. In zwei Tagen wollte sie sie dann hier wieder abholen kommen. „So“, sagte Tai, stemmte die Hände in die Hüften und musterte die noch verpackten Zelte. „Wer schläft jetzt mit wem in einem Zelt?“ „Ken und ich auf jeden Fall“, verkündete Davis sofort, ging zu Ken, der leicht lächelte und legte ihm einen Arm um die Schultern. Tai hob eine Augenbraue und sah Ken an. „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“ „Ich ergebe mich einfach meinem Schicksal“, seufzte Ken gespielt resigniert und alle lachten, während Davis ihn gegen den Arm boxte. „Dann könnt ihr ja schon mal anfangen, euer Zelt aufzubauen“, sagte Joe und warf den beiden eines der Zelte zu. „Sora schläft mit mir in einem Zelt“, bestimmte Mimi und ließ sich von Joe ein weiteres Zelt geben. „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“, fragte Tai nun auch an Sora gewandt, woraufhin Mimi die Arme vor der Brust verschränkte. „Ich bin der beste Zeltpartner überhaupt“, rief sie, griff nach Soras Hand und zog sie hinter sich her in die Richtung, in die Davis und Ken gegangen waren. „T.K. und ich teilen uns auch ein Zelt“, sagte Kari nun und machte sich schon auf Tais Widerspruch gefasst. Dieser sah sie genervt an. „Muss das sein?“ „Ja, das muss sein“, antwortete sie kurz angebunden. Er sah sie einen Moment lang an und Kari dachte schon, er würde nachgeben. Immerhin hörten hier noch andere Leute zu, doch sie hatte sich getäuscht. „Ich erlaube das nicht. Schlaf einfach mit Yolei in einem Zelt“, sagte Tai kühl und wollte sich schon an den nächsten wenden, doch Kari wurde wütend. „Ach, und du denkst, das interessiert mich, ob du das erlaubst oder nicht? Ich schlafe mit T.K. in einem Zelt und fertig. Und mir ist es auch vollkommen schnuppe, was du dazu sagst“, beschloss sie. Yolei war der Mund aufgeklappt und die anderen taten so, als würden sie nicht mehr zuhören und sich mit ihrem Gepäck beschäftigen. „Kari, lass doch...“, fing T.K. an, doch Kari schüttelte unwirsch den Kopf. „Nichts lass' ich“, zischte sie. „Du bist vierzehn. Du schläfst mit Yolei in einem Zelt“, sagte Tai ruhig, funkelte sie jedoch bedrohlich an. „Genau, ich bin vierzehn. Irgendwann muss ich ja mal entjungfert werden“, platzte Kari heraus. Yolei riss die Augen auf, Matt runzelte die Stirn, Joe, Izzy und Cody taten einfach weiterhin so, als hätten sie nichts gehört. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie T.K. neben ihr sich ruckartig zu ihr umdrehte. „Mein Gott, was ist los mit dir? Spinnst du?“, rief Tai. „Kannst du nicht einfach tun, was ich sage? Du machst dich gerade total zum Löffel!“ „Fragt sich, wer sich hier wirklich zum Löffel macht!“, konterte Kari und starrte ihn feindselig an. Sie konnte sehen, wie Tai tief durchatmete. „Du schläfst in einem anderen Zelt als T.K. Punkt.“ „Nein, das werde ich nicht. Ich werde mit ihm in einem Zelt schlafen und weißt du was? Wir werden die ganze Nacht Sex haben!“ Yolei prustete los, Izzy verschluckte sich an dem Wasser, das er gerade trinken wollte und Cody lief rot an. „Ähm... hallo?“, meldete T.K. sich neben ihr. „Tja, wenn er nach seinem Bruder kommt, hält er das vielleicht sogar durch“, murmelte Tai gerade laut genug, dass alle ihn verstehen konnten. Kari warf ihm einen aggressiven Blick zu, schnappte sich eines der Zelte von Joe und marschierte in die entgegengesetzte Richtung davon. _ „Ich glaube, ich spinne!“, rief Tai, nachdem Kari und T.K. sich ein wenig entfernt hatten, und raufte sich die Haare. „Das gibt’s doch nicht! Die hat doch total einen an der Klatsche!“ „Kommt schon, hört doch bitte auf zu streiten“, sagte Joe nun und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Doch Tai wollte sich nicht beruhigen. Seine Schwester regte ihn gerade zu sehr auf. „Lass sie doch einfach in einem Zelt schlafen, Tai. Das meint sie doch eh alles nicht ernst“, fügte Yolei hinzu. Dass Kari ihn nur hatte provozieren wollen, war ihm auch klar, aber trotzdem könnte er gerade explodieren. Was war nur mit Kari los? Drehte sie denn vollkommen durch? „Sieh mal. Ich schlafe einfach mit Cody in einem Zelt, ja?“, redete Yolei weiter. „Und ich gehe mit Matt in ein Zelt und du mit Izzy und schon ist alles geregelt“, ergänzte Joe und hielt nach Matt und Izzy Ausschau. Izzy kramte gerade in seiner Tasche herum und Matt hatte sich einige Schritte von dem Grüppchen entfernt, saß im Gras und rauchte eine Zigarette. Auf Tais Spitze war er nicht eingegangen. Tai stieß einen Seufzer aus und nickte schließlich beim Anblick von Yoleis verzweifeltem Gesicht. Also machten sich auch die restlichen drei Paare daran, die Zelte aufzubauen. Wenig später hatten sie alle mehr oder weniger erfolgreich ihre Zelte zusammengezimmert und sie in einem Halbkreis zum See hin aufgestellt. Als Außenstehender konnte man fast denken, hier würde sich eine Gruppe Freunde auf ein paar gemütliche Tage am See vorbereiten. Doch Tai bereute, dass er sich auf diesen Trip eingelassen hatte. Seine Schwester nervte ihn, T.K. auch und Matt hatte er noch nicht einmal angesehen bisher. Dabei hatte er diesem Urlaub zugesagt, um sich ihm wieder etwas anzunähern. Was er jedoch kurz nach der Zusage von seinem angeblich besten Freund erfahren hatte, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Es schien, als wäre der Ausflug jetzt schon zum Scheitern verurteilt. Aber vielleicht fiel Mimi ja noch etwas ein. _ Sie hockten nebeneinander im Zelt auf ihren gerade aufgepumpten Luftmatratzen und breiteten Schlafsäcke und Decken aus, als T.K. sich an Kari wandte. Während des Zeltaufbaus hatten sie nur das Nötigste miteinander geredet und sich kaum angesehen. „Sag mal, was sollte das eigentlich vorhin?“, fragte er und sah sie finster an. Sie blickte nicht auf, hielt jedoch inne. „Entschuldige, ich wollte dich eigentlich nicht mit reinziehen. Tai geht mir nur so schrecklich auf die Nerven. Ich hasse es, dass er mich behandelt, als wäre ich ein kleines Kind. Und dass er neuerdings so tut, als wärst du der Feind.“ „Aber... die ganze Nacht Sex? Ernsthaft? Musste das sein? Mein Bruder war zufällig auch dabei, falls du das nicht gemerkt hast.“ Nun sah sie ihn doch mit bedauerndem Blick an. „Tut mir Leid. Ich wollte nur, dass er rafft, wie lächerlich er sich aufführt mit dem, was er von uns denkt. Du weißt doch, dass das nicht ernst gemeint war. Und Matt weiß das auch.“ T.K. seufzte und zuckte mit den Schultern. „Ach, was soll's.“ „Hat er sich eigentlich bei dir entschuldigt?“, fragte sie nun. „Wofür?“ Verwundert sah er sie an. Kari stöhnte genervt. „Na für sein Verhalten dir gegenüber. Aber anscheinend hat er es nicht getan. Oh, ich könnte ihn...“ Sie kramte ein Kissen aus ihrem Rucksack hervor und warf es lieblos auf das Kopfteil ihrer Luftmatratze. „Und alles nur, weil er unglücklich verknallt ist. Der hat sie doch nicht mehr alle! Der soll seine Laune gefälligst nicht an Unschuldigen auslassen!“ „Es geht ihm halt nicht so gut im Moment“, meinte T.K. Verblüfft sah Kari ihn an. „Du verteidigst ihn auch noch? Echt, T.K., du bist zu nett für diese Welt. Gerade du solltest ihn doch schrecklich finden momentan.“ T.K. zuckte mit den Schultern. „Nein, irgendwie kann ich ihn ein bisschen verstehen. Er versucht ja nur, dich zu beschützen. Ich würde auch alles dafür tun, zu verhindern, dass einer irgendeinen Scheiß mit dir abzieht.“ Er wusste nicht, ob es durch das Sonnenlicht kam, das durch das orangefarbene Zeltdach seltsam rötlich erschien, oder ob Kari tatsächlich rot anlief. „Ähm... drehst du dich bitte um?“, murmelte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens. „Ich würde gern meinen Bikini anziehen.“ _ Fast alle aus der Gruppe saßen mittlerweile auf der kleinen Sandfläche direkt am Wasser vor ihren Zelten und unterhielten sich grüppchenweise. Yolei genoss die momentan friedliche Atmosphäre sehr, hatte aber ein wenig Angst, sie könnte schon bald wieder vorbei sein. Es fiel auf, dass Tai und Matt einander mieden, als hätten sie ansteckende Krankheiten und auch Kari hatte gerade keinen freundlichen Blick für Tai übrig. Hoffentlich konnten alle ihre Streitigkeiten in diesem Kurzurlaub klären. Immerhin waren sie ja gezwungen, Zeit miteinander zu verbringen und waren auch zumindest ein wenig aufeinander angewiesen. Sora und Mimi kletterten aus ihrem Zelt und gesellten sich zu der Gruppe. Yolei schob ihre Brille zurecht und musterte Sora genauer. „Sag mal, isst du eigentlich noch was?“, fragte sie skeptisch. Auch die anderen drehten sich bei Yoleis Frage zu Sora um. Sie war zwar schon immer schlank gewesen, doch jetzt, wo sie nur einen Bikini trug, war zu sehen, dass sie eigentlich nur noch aus Haut und Knochen bestand. Ihre Hüftknochen traten spitz am Rand der Bikinihose hervor, ihre Schlüsselbeine wirkten kantig und zwischen ihren Brüsten konnte man sogar einzelne Knochen des Brustkorbs ausmachen. Ihre Knie wirkten knubbelig und irgendwie etwas zu groß für die dünnen Beine. „Siehst du? Ich hab' dir doch gesagt, du bist zu dünn“, sagte Mimi an Sora gewandt und breitete mit ihr zusammen eine Decke aus. Dabei konnte man auf Soras Rücken die einzelnen Halswirbel ihrer Wirbelsäule erkennen. Sora schien die Situation unangenehm zu werden, denn sie setzte sich auf die Decke, schlang die Arme um die angezogenen Knie und murmelte etwas Unverständliches. „Nein, sie hat Recht. Du bist wirklich ganz schön dünn geworden“, sagte Tai nun mit einer Sorgenfalte auf der Stirn. „Ich studiere zwar noch nicht so lang Medizin, aber du solltest wirklich zu einem Arzt gehen“, mischte sich nun auch Joe ein. „Könntet ihr vielleicht aufhören, mich anzustarren?“ Mit rot angelaufenem Gesicht sprang Sora auf und ging zurück ins Zelt. „Jetzt warte doch!“, rief Tai ihr noch hinterher, doch sie ignorierte ihn. „Lasst sie doch einfach in Ruhe“, warf Matt nun ein. „Sie weiß doch, wie sie aussieht.“ „Aber wir machen uns doch nur Sorgen“, erwiderte Yolei und blickte noch immer auf den Zelteingang, den Sora eben geschlossen hatte. „Trotzdem solltet ihr sie nicht alle gleichzeitig darauf ansprechen“, meinte nun auch Kari neben ihr. „Ich hätte mich an ihrer Stelle jetzt auch verzogen.“ _ Sie verbrachten die Zeit bis zum späten Nachmittag an ihrem kleinen Fleckchen Strand, schwammen hin und wieder im See, hielten einen Mittagsschlaf oder unterhielten sich einfach über alles Mögliche, was so in den vergangenen Wochen und Monaten passiert war. Sora war nach einer Weile wieder zur Gruppe gestoßen, allerdings mit T-Shirt und Shorts bekleidet. Irgendwann hatte sich bei den meisten der Hunger gemeldet und so war Yolei aufgesprungen und zu ihrem Gepäck gestürmt, um ein Abendessen zuzubereiten. Es war unglaublich, was sie alles dabei hatte. Sie reservierten sich einen der Grills auf dem Grillplatz und Yolei machte sich gemeinsam mit Davis und Ken daran, alles für einen Grillabend vorzubereiten, während Tai und Izzy versuchten, den Grill anzuheizen. „Was soll ich machen?“, fragte Davis lustlos. Er hatte eigentlich keine Lust, sich an der Essensvorbereitung zu beteiligen. Lieber wäre er noch ein paar Runden im See geschwommen, doch Yolei hatte ihn nahezu dazu verdonnert, ihr zu helfen. „Du kannst schon mal das Gemüse schneiden“, antwortete sie und deutete auf einen Beutel voller Gemüse. Paprika, Zucchini, Aubergine, Champignons. „Gemüse?“ Davis verzog angewidert das Gesicht. Zum Grillen gehörte Fleisch und nur Fleisch. „Ja, Gemüse. Du musst es ja nicht essen“, erwiderte Yolei bissig. „Und was kann ich machen?“, fragte Ken viel freundlicher als Davis. „Du kannst den Tisch decken, wenn du magst. In der Tüte da sind Teller und Besteck“, wies Yolei ihn an und lächelte. Ken nickte gehorsam und schnappte sich die Tüte, auf die sie gedeutet hatte. „So und ich versuche, zu kalkulieren, wie viel wir brauchen“, sagte Yolei, stemmte die Hände in die Hüften und begutachtete den Berg an verpacktem Grillfleisch. „Wieso? Wir müssen doch eh alles grillen, sonst wird es schlecht“, meinte Davis und hob eine Augenbraue. Yolei sah ihn verblüfft an. „Mensch, Davis, du kannst ja mitdenken!“ „Was soll denn die Spitze jetzt?“, murmelte Davis verärgert und machte sich daran, eine Zucchini in Stücke zu schneiden. „Sieh es positiv: Du kannst mich immer wieder überraschen“, antwortete sie grinsend. Sie nahm sich einen Berg Fleisch und schleppte ihn zum Grill. Während Davis sich über sie ärgerte, passte er nicht auf und schnitt sich in den Finger. Er schrie auf und hielt seinen Finger hoch, von welchem Blut tropfte. „Ich blute, ich blute!“ Die anderen drehten sich zu ihm um und Yolei verdrehte genervt die Augen. „Echt jetzt? Kann vielleicht mal jemand Gemüse schneiden, der sich nicht so doof anstellt wie Davis?“ „Kannst du vielleicht mal die Klappe halten?“, fauchte Davis und hielt sich verzweifelt den Finger. Dem Blut nach zu urteilen, das aus der Wunde quoll, hatte er sich mindestens die Fingerkuppe abgetrennt. „Ich mach' schon“, meldete Cody sich und löste Davis beim Gemüseschneiden ab, während Joe sich um Davis kümmerte. Mit einem Verbandskasten in der Hand kam er auf ihn zu. „Zeig mal her“, forderte er Davis auf, der ihm seinen Finger hinhielt. „Ist es schlimm?“, fragte er nervös. „Ach was“, erwiderte Joe und drückte ein Tuch auf die Wunde, um das Blut abzutupfen. Anschließend spritzte er irgendein Desinfektionsmittel über Davis' Finger und klebte ein Pflaster über die Wunde. „So, schon fertig.“ „Danke“, nuschelte Davis und betrachtete das Pflaster. „Du warst wirklich sehr tapfer“, sagte Mimi sarkastisch, die das Geschehen beobachtet hatte. „Dafür hast du dir eine Medaille verdient.“ „Ich werde nachher eine Ode an dich singen“, fügte Matt mit todernstem Gesicht hinzu. „Ihr seid doch bescheuert“, murrte Davis und die anderen lachten. _ Dank Yolei, Ken und Cody und auch Tais und Izzys Grillkünsten schmeckte das Abendessen hervorragend, auch wenn das ein oder andere Steak etwas angebrannt war. Nachdem sie alles wieder aufgeräumt hatten, machten sie sich ein Lagerfeuer und positionierten sich darum herum auf dem Gras. Zunächst redeten sie nur, doch irgendwann bat Yolei Matt seine Gitarre zu holen und Lieder zu singen. Dieser sträubte sich zunächst, doch als auch die anderen auf ihn einredeten, gab er schließlich nach und holte seine Gitarre. „Du kannst ja was spielen, was wir alle kennen und dann singen wir alle zusammen“, schlug Mimi vor und stieß damit auf Begeisterung. Und dann begann die Suche nach Liedern, die alle kannten, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht. Am Ende landeten sie bei japanischen Kinderliedern und anderen, die sie alle im Musikunterricht in der Schule gelernt hatten. Doch sie hatten alle viel Spaß dabei. Während sie gemeinsam die Lieder mit grölten, schien vergessen zu sein, dass die Hälfte der Gruppe miteinander verkracht war und man hätte auf die Idee kommen können, hier saß eine Gruppe von Freunden zusammen, bei denen alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Nun, zumindest für Izzy war irgendwie auch alles schön. Er hatte in Mimi erneut eine gute Freundin gefunden, die zwar manchmal anstrengend war, ihm aber trotzdem den Alltag in der Schule auf ihre eigene Art und Weise verschönerte. Jetzt saß sie neben ihm im Gras, hakte sich ab und an bei ihm unter, um ihn zum Schunkeln oder Mitsingen zu bewegen und wirkte, als könnte kein Wässerchen sie trüben. Ja, sie war in den letzten paar Monaten ein wichtiger Mensch für ihn geworden. Das Feuer brannte allmählich herunter und Tai hatte aufgehört, neues Holz nachzulegen, sodass irgendwann kaum mehr als eine Glut übrig war. Die meisten aus der Gruppe, inklusive dem Gitarrenspieler, hatten sich schon in ihre Zelte verabschiedet und befanden sich wahrscheinlich schon im Land der Träume. Mimis Kopf sackte gegen Izzys Schulter. Dies schien für Joe, mit dem Izzy sich in der letzten Stunde viel unterhalten hatte, das Zeichen zu sein, zu gehen. Er streckte sich und stand auf. „Ich gehe dann auch mal schlafen. Gute Nacht und macht nicht mehr so lang.“ Er zwinkerte Izzy zu und ging zu dem Zelt, in dem er und Matt schliefen. „Hey, Mimi“, sagte Izzy und rüttelte sie leicht am Arm. „Was?“ Sie sah ihn mit müden Augen an. „Ich glaube, ich gehe auch schlafen.“ „Ja, ich auch. Wir müssen ja morgen was vom Tag haben“, stimmte Izzy ihr zu. Sie nickte verschlafen. „Ich finde es übrigens toll, dass du hier bist.“ Er zuckte lässig mit den Schultern. „Naja, es ist ja nicht so, als hättest du mir eine Wahl gelassen.“ Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Seite. „Manchmal muss man dich eben zu deinem Glück zwingen. Was ist denn eigentlich aus diesem Mädchen von damals geworden?“ Zuerst wusste Izzy nicht, was sie meinte, doch dann fiel ihm dieser Club ein, in den sie ihn geschleift hatte. Er lief rot an und kratzte sich am Kopf. „Ach, jetzt hör doch mit der auf. Ich hab' ja nicht mal ihre Nummer.“ Mimi seufzte tief. „Das müssen wir besser hinkriegen. Beim nächsten Mal klappt's, versprochen.“ Izzy klappte der Mund auf. „Aber Mimi, ich...“ „Nichts aber. Wir finden schon einen Deckel für dich.“ Sie lächelte verschwörerisch, bevor sie aufstand und zu ihrem Zelt ging. _ Es musste schon tief in der Nacht sein, vielleicht auch schon fast wieder Morgen. Zumindest glaubte Sora nicht, dass es noch lange dauern würde, bis der Morgen graute. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt und hockte zusammengekauert im Sand etwas abseits von den Zelten. Wie lange sie hier schon saß mit dem Kinn auf den Knien wusste sie nicht. Jedes Zeitgefühl schien verloren. Der Vollmond spiegelte sich in der glatten Wasseroberfläche und tauchte alles in ein silbriges Licht. Die Sterne funkelten am Himmel und ab und zu schien einer von ihnen durch die Dunkelheit zu huschen und zu erlöschen. Sora beobachtete die Umgebung, während sie in Gedanken vertieft war. Sie hatte nicht schlafen können, wie so oft in letzter Zeit. Heute gingen ihr die Bemerkungen nicht aus dem Kopf, die Mimi, Yolei, Tai und Joe über sie gemacht hatten. Sie wusste, dass sie ein wenig abgenommen hatte, doch dass sie anscheinend ungesund dünn aussah, war ihr nicht klar gewesen. Doch sie hatte einfach nie wirklichen Hunger und außerdem kam sie häufig auch nicht dazu, etwas zu essen, weshalb sie das Mittagessen oder das Abendbrot des Öfteren einfach ausfallen ließ. Doch anscheinend hatte sich der Stress, dem sie seit einiger Zeit ausgesetzt war, nun sichtbar gemacht. Joe hatte ihr sogar gesagt, sie sollte zu einem Arzt gehen. Sie hob den Kopf, als sie hörte, dass sich ihr jemand näherte. Es war Matt. Wie selbstverständlich setzte er sich neben sie, zog die Knie an und legte die Arme darauf ab. „Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte sie überflüssigerweise. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. „Aber es lohnt sich, wach zu sein“, redete Sora weiter. „Der Himmel ist so schön.“ „Mhm“, machte er und hob nun auch den Kopf zum Himmel. Dann wandte er sich wieder an sie. „Tut mir Leid, dass du wegen mir... so viel Ärger hast.“ Sie sah ihn verwundert an. „Wegen dir?“ „Naja, erst diese Sache mit der Wette und was auch immer wir da hatten und dann das mit Tai und jetzt das hier“, erklärte er leise. Sora zuckte mit den Schultern. „Das ist doch nicht deine Schuld.“ „Doch“, widersprach er. „Ich wünschte, wir wären einfach Freunde geblieben und hätten gar nicht erst mit den Dates angefangen.“ „Was? Nein, nein“, sagte Sora ein wenig erschrocken darüber, wie er dachte. Sie griff nach seiner Hand, verschränkte ihre Finger ineinander. „Das hier ist doch so schön. Es fühlt sich so gut an, das zu fühlen.“ „Wenn man auf Schmerzen steht vielleicht“, murmelte Matt mit finsterer Miene, zog jedoch seine Hand nicht weg. „Vielleicht sollte es eh nur für jetzt bestimmt sein. Eine richtige Chance hatten wir von Anfang an nicht“, überlegte Sora. „Wieso nicht?“, fragte er irritiert. „Wegen Tai?“ Langsam schüttelte sie den Kopf. „Wir gehen doch nach der Schule wahrscheinlich beide ins Ausland. Und wenn nicht direkt nach der Schule, dann wenigstens im Laufe der Jahre danach. Und spätestens dann wäre diese Beziehung sowieso vorbei.“ Sie lächelte traurig. „Ich glaube, es war von Anfang an nur für kurze Zeit gedacht.“ „Ich glaube, das mit dem Ausland hätte man schon irgendwie regeln können, wenn man will“, antwortete Matt. Sora erwiderte nichts, sondern lehnte nur den Kopf gegen seine Schulter und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Landschaft. So saßen sie einige Minuten schweigend dort, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Er hatte Recht. Es tat weh. Es tat weh, hier so dicht neben ihm zu sitzen, ihn zu lieben, aber nicht mit ihm zusammen sein zu können, ihn nicht küssen zu dürfen. Sie atmete seinen unbeschreiblichen Duft ein und versuchte, ihn sich für immer im Gedächtnis zu speichern. „Du hast mir den Kopf verdreht, Sora“, ergriff Matt plötzlich wieder das Wort. Sie hob den Kopf und sah ihn fragend an. „Ich kann kaum noch an etwas anderes denken. Ich träume nachts manchmal von dir und in der Schule hoffe ich immer, dir über den Weg zu laufen. Meine Band ist von mir genervt, weil ich nur noch tiefsinnigen Scheiß texte. Ich würde unsere Trennung um jeden Preis rückgängig machen, aber ich kann's nicht.“ Sie sahen sich in die Augen und Sora konnte in seinen den Schmerz erkennen. Ob ihre Augen wohl auch so aussahen? Sie schluckte und blinzelte ein paar Mal, weil sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte gedacht, sich nicht mehr mit Matt zu treffen würde ihr dabei helfen, diese Gefühle für ihn wieder zu verlieren, doch irgendwie war genau das Gegenteil eingetreten. Es war, als hätten sie sich dadurch erst bestätigt, wenn nicht sogar verstärkt. Ohne Vorwarnung schlang sie die Arme um seinen Hals, presste ihre Lippen auf seine und drängte sich rittlings auf seinen Schoß. Sie konnte sich auch nicht erklären, was auf einmal los war. Blindes Verlangen hatte sie gepackt und sie hatte gespürt, dass das jetzt genau die richtige Handlung für diesen Moment war. Zuerst dachte sie, Matt würde sie von sich schieben, doch er ging sofort darauf ein. Er verwickelte sie in einen leidenschaftlichen Kuss, zog sie eng an sich, ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten. Und plötzlich schien es, als gäbe es nur noch sie. Vergessen waren der Mond und die Sternschnuppen, der See und das Zirpen der Zikaden, die Zelte und die anderen. Für Sora gab es nur noch Matt. Sie hatte es so vermisst, ihm nahe zu sein. Dann fuhren sie gleichzeitig auseinander, als hätte eine unsichtbare Macht sie getrennt. „Entschuldige, ich...“, stammelte Matt. „Nein, ich hab' doch angefangen“, erwiderte Sora kopfschüttelnd. „Naja, aber... sag mal, weinst du?“ Tatsächlich, sie weinte. Ob vor Glück über das gerade Erlebte oder vor Traurigkeit, weil es eigentlich nicht hätte passieren dürfen und nicht wieder passieren durfte, wusste sie nicht. Vielleicht war es eine Mischung aus beidem. Sie schniefte und versuchte, sich die Tränen mit dem Handrücken wegzuwischen. Er legte seine Hände an ihr Gesicht und küsste die Tränen weg. Seine Lippen hinterließen ein Kribbeln auf ihrer Haut und sie wünschte sich mehr davon. „Es tut mir so Leid“, hauchte er ihr dabei ins Ohr und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Widerwillig kletterte sie von seinem Schoß herunter und setzte sich wieder neben ihn. „Denkst du immer noch, dass das hier ja ach so toll ist?“ Sie nickte langsam. „Weißt du, ich glaube, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, dann finden sie früher oder später auch zusammen. Und wenn nicht, dann sind es eben nicht die richtigen Menschen.“ Matt schnaubte. „Dann hoffe ich einfach mal, dass du Recht hast.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)