Wegweiser von Votani (Battlestar Galactica) ================================================================================ Kapitel 1: Schicksale. ---------------------- »All das ist schon einmal geschehen. All das wird erneut geschehen.«   Leise, ausdruckslos geflüsterte Worte. Eine Gewissheit. Schicksal.   Leoben ist sich dessen bewusst, ohne darüber nachdenken zu müssen. Nein, er braucht nur in das hübsche, von weißblonden Haaren umrahmte Gesicht zu schauen, um es zu wissen. Um zu begreifen, dass die Worte aus seinem eigenen Mund gedrungen sind. Es ist Leoben, den die Frau, die ihm gegenübersteht, mit einem Hass so tief wie die Ozeane auf Caprica ansieht. Ihr Blick ist Säure auf seiner Haut, die sich durch sein Fleisch und seine Knochen frisst, um seine Seele zu verätzen. Aber zeitgleich ist er auch nicht der beschädigte Mann, der Wegweiser von Kara Thrace. Er ist es noch nicht. Leoben hat keine Kontrolle über seine Handlungen, dem schiefen Grinsen, welches sich auf seinen spröden Lippen ausbreitet, über die Dinge, die kratzig seine Kehle verlassen.   »All das ist schon einmal geschehen. All das wird erneut geschehen.«   Jede Silbe hallt durch Leobens Kopf, brennt sich in sein Gedächtnis ein, auf seiner Seele, denn sie ist das einzige, was von ihm niemals sterben wird.   »All das... «   »Es wird erneut geschehen.«   »All das...«   »...erneut.«   »All das—«   Leoben reißt die Augen auf. Sein Herz hämmert gegen seine Brust, Schweiß steht ihm auf der Stirn, als er sich ruckartig in seinem Bett aufsetzt. Er sieht sich gehetzt in seinem Schlafzimmer in Caprica City um, doch es ist in Dunkelheit getaucht. Undurchdringliche Schwärze, welche den Traum – nein, die Vision – zu dem Licht in einem unendlich langen Tunnel werden lässt. Es ist realer als alles andere, als die Nacht, die noch immer herrscht. Die Vision ist die Vergangenheit und die Gegenwart und die Zukunft, alles zugleich. Sie ist Leobens Schicksal – so, so eng mit dem von Kara Thrace verbunden, obwohl sie davon noch nichts ahnt. Nichts von ihm. Nichts von seiner Liebe für sie.     -     Die Luft in dem F-75 ist stickig und von Zigarrenrauch und dem Geruch von billigem Alkohol geschwängert. Sie erinnert Leoben daran, was Menschen doch für niedere und selbstzerstörerische Kreaturen sind. Anstatt zusammen in Frieden zu leben, stehen sie sich feindselig gegenüber, herrschen Klassenunterschiede, die sich über die gesamten Kolonien von Caprica erstrecken. Beinahe so, als gäbe es im Universum nichts Gefährlicheres als sie...   Die Menschheit hat ihre Kinder vergessen. Kinder, die nach all den Jahren nicht mehr so zurückgezogen und entfernt sind, wie sie annehmen.   »Sie sind näher, als ihr denkt.«   Diese Worte gehen Leoben mit einem selbstgefälligen Schmunzeln durch den Kopf, als er sich den Weg durch die Bar, diesem unansehnlichen Schuppen, bahnt. Das Stimmengewirr und die Musik, die aus eckigen Lautsprechern schnarrt, nimmt er nicht wahr. Leoben ist zu konzentriert, seine Gedanken zu klar, zu fokussiert.   »Sie wandern längst unter euch. Sehen aus wie ihr. Sind besser als ihr.«   Er lässt sich am Tresen des F-75 nieder, gänzlich am Rand, weit entfernt von der Frau mit den weißblonden Haaren. Obwohl er nicht in ihre Richtung schaut, spürt er ihre Anwesenheit in der Form eines Prickelns, welches seiner Wirbelsäule entlang tanzt. Es ist erregend und verstörend und faszinierend zur selben Zeit. Das Gefühl erinnert ihn an die Visionen, die ihn bereits seit dem Eintreffen auf Caprica plagen, seit das Shuttle vor einigen Tagen zur Landung angesetzt hat. Er ist Leoben Conoy, ein Ingenieur, der in Caprica City nach einer Arbeitsstelle sucht. Seine einfache, perfekte Tarnung.   Eigentlich sollte er nicht hier sein, das weiß er, aber er muss sie sehen. Er muss. Er ist ohnehin der einzige seiner Modellreihe, der diese Visionen hat. Es gibt keine Unterschiede zwischen seinen Modellen. Sie sind haargenau dieselben, besitzen dieselbe Software, sind keine Individuelle - und doch wurde er, nur er, von Gott auserwählt, als Kara Thraces Wegweiser zu fungieren. Es ist sein Schicksal. Seines und ihres, das der weißblonden Frau mit den Narben auf ihrer Seele. Leoben braucht sie nur anzusehen, um es zu erkennen, während die Piloten, mit denen sie hier ist, keine Ahnung von der Dunkelheit in ihrem Inneren haben.   Aber nicht nur das, Leoben hat so oft von ihr geträumt, dass er sie besser kennt als sich selbst. Auch das ist eine Gewissheit. Kara Thrace ist gebrochen. Sie ist aus Schmerz geboren, aus ihm geschmiedet worden, zerbrochen und wieder zusammengesetzt, aber nie geheilt.   Die Zigarre steckt zwischen ihren Lippen, die Spielkarten hält sie in der Hand und das riesige Glas mit Ambrosia, bereits halbleer, steht zum Greifen nahe. Ihr Lachen, als sie die Männer um ihr Geld beraubt, ist laut und schallend. Leoben kann es selbst über den Geräuschen in der Bar hören, obwohl es etwas Freudloses und Hohles in sich trägt.   Eine fremde Hand findet den Platz auf Karas Oberschenkel, doch sie ignoriert es – so viel besser als Leoben selbst es kann. Ärger steigt in ihm auf, urplötzlich und gewaltig, so dass sich sein Griff um das eigene bestellte Getränk verstärkt, welches er noch kein einziges Mal angerührt hat. Es ist ohnehin zum Schein, zum Einblenden, gedacht. Keiner besucht das F-75 ohne etwas zu trinken, ohne etwas vergessen oder gar verdrängen zu wollen. Das ist, was Menschen am besten können. Sie schließen die Augen und alles wird gut, weil all ihre Probleme sich in Luft auflösen, spurlos verschwinden.   Und Leoben grinst. Heiter und belustigt, mit Grübchen in den Wangen, als er den Barkeeper zu sich herüberwinkt.   Wie recht die Menschen doch haben. Ihre Probleme werden tatsächlich verschwinden, schon sehr bald sogar. Zusammen mit ihnen selbst und dieser Welt, die sie so lieben. Mit allem, was sie lieben. Die Kinder der Menschheit werden zurückkehren. Der Plan ist schon lange in Gang gesetzt und die Sekunden, Minuten und Stunden schwinden weiter und weiter, die Zeit läuft aus und sie haben keine Ahnung.   Die Kinder der Menschheit kehren nach Hause zurück. Eine weitere Gewissheit. Schicksal. Zu diesem Zeitpunkt wird Kara Thrace sich jedoch nicht mehr auf Caprica befinden, das weiß Leoben genau. Ihre Kontakte sind weit verbreitet, die Informationen längst eingeholt. Bis dahin werden ihre freien Tage verstrichen sein und sie wird wieder als die Viperpilotin Starbuck zum Kampfstern Galactica zurückgekehrt sein. Sie wird die Katastrophe nicht miterleben, obwohl Leoben nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie den Angriff überleben wird. Doch er träumt von ihr – immer und immer wieder, jede einzelne Nacht, manchmal besucht sie ihn selbst in seinen Tagträumen. Das muss ein Zeichen sein. Irgendwann werden sie sich wiedersehen, irgendwann werden sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, Worte austauschen.   »Noch ein Glas Ambrosia für die junge Frau dort drüben.«   Leoben deutet auf Kara Thrace mit ihren weißblonden, kurzgeschnittenen Haaren herüber, die sie in seinen Visionen länger trägt. So lang, dass sich seine Finger in den Strähnen verfangen können, sich in ihnen verkrallen.   Der Barkeeper mit seinem bärtigen Gesicht folgt seinem ausgestreckten Arm wie einem Wegweiser und nickt wortlos. Jede Bewegung ist routiniert, als er ein neues Glas unter dem Tresen hervorholt, es mit der grünen Flüssigkeit aus der schweren Flasche füllt und es mit gelangweilten Schritten zu dem Spieltisch herüberträgt. Bald schon wird er von seiner Last erlöst sein, sehr, sehr bald schon.   Worte werden ausgetauscht – und Kara Thraces Augen wandern suchend in seine Richtung und finden ihn. Sie halten an Leoben fest, misstrauisch und wissend, obwohl sie rein gar nichts weiß. Es ist das erste Mal, dass sie ihn ansieht – aber es wird nicht das letzte Mal sein.   Leoben schenkt ihr ein amüsiertes Grinsen, als er einige Scheine aus der Hosentasche zieht und sie auf den Tresen legt. Er kann ihren Blick auch weiterhin in seinem Nacken spüren, als er sich umdreht und den Ausgang des F-75 ansteuert. Ein elektrisierender Schauer erfasst ihn. Es ist Vorfreude. Aufregung und Ungewissheit, da er nicht weiß, wohin ihre Wege sie letztendlich führen werden. Auch wenn er mehr weiß als alle anderen, so ist auch er nichts weiter als ein Werkzeug einer höheren Macht, einer längst geschriebenen Geschichte.   Aber ihre Schicksale sind verknüpft. Kara Thrace ist ein Engel und Leoben ihr Wegweiser. Der Mann, der ein Stück ihrer Seele zwischen seinen Fingern hält.   »All das ist schon einmal geschehen. All das wird erneut geschehen.«   Leise, ausdruckslos geflüsterte Worte, als er aus der Bar an die frische Luft tritt und die letzten sonnigen Tage auf Caprica genießt. 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