Atemzug von TommyGunArts (Grey Mr. Grey) ================================================================================ Geschockt starrte ich auf den Dicken, der leblos in einer kleinen Blutlache lag, die Augen noch immer verdreht. Er war mit Sicherheit ein netter Kerl gewesen, das Herz am rechten Fleck. Der Meuchelmörder zuckte mit den Schultern und erklärte: »Keine Sorge, der ist mausetot. Vor dem brauchst du nicht mehr wegzulaufen, aber so wie der rumgebrüllt hat wimmelt es hier gleich von Wachen. Ich an deiner Stelle würde jetzt endlich von hier verschwinden. Ich hatte dich ja schon vor einigen Wochen gewarnt, aber irgendwie hast du das nicht ganz verstanden, oder? Na jedenfalls bist du ja beinah am Galgen …« Er erzählte noch mehr, viel mehr (außerdem hatte er inzwischen zum Du gewechselt). Er war sogar ein richtiges Plappermaul. Aber in diesem Moment war ich wirklich nicht in der Lage zuzuhören. Stattdessen stand ich da, entkräftet, verwirrt und geschockt, den Mund offen und den Blick starr auf den Leichnam gerichtet. Ich schaffte es nur mit größter Anstrengung ein »Wieso?« hervorzubringen. »Wieso was?« »Wieso hast du ihn umgebracht? Wieso bist du hier? Wieso willst du mir aus der Stadt helfen? Wieso-« »Ok, das reicht erst einmal mit Fragen«, stoppte er mich. »Im Schnelldurchlauf: Umgebracht habe ich ihn weil er geschrien hat wie am Spieß, falls dir das entgangen ist. Hier bin ich, um dir aus der Patsche zu helfen und aus der Stadt helfe ich dir, weil ich es kann. Und jetzt hör auf zu flennen und komm mit!« Ich schluckte schwer, riss mich von dem Toten los und folgte dem Bleichling, der in den Nebelschwaden zu verschwinden drohte. Gegen seine Schritte klangen meine wie der Schlag auf einen Amboss – und ich bewegte mich schon leise. Er huschte lautlos in den dichter werdenden Nebel hinein und ich musste mich anstrengen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. »Ich bin übrigens Vail«, stellte er sich vor. Da er vor mir ging streckte er mir die Hand zur Begrüßung über die Schulter entgegen und ich schüttelte sie kurz. Sie war eiskalt. Einmal mehr wurde ich davon überzeugt, dass mein seltsamer Begleiter Vampirblut in sich trug. Wundervoll, ein vampirischer Meuchelmörder… So jemanden hat man doch gern in seiner Nähe. »Wohin gehen wir?«, wollte ich wissen. Die Abneigung gegenüber dem Kerl war noch größer geworden und ich musste dumm sein, ihm einfach so zu folgen. Dem Assassinen, der mir erst vor ein paar Wochen gesagt hatte, dass er mich gerne töten würde. Aber andererseits: Hätte er mich tatsächlich töten wollen, dann wäre ich bereits tot. Er blieb vor einer kleinen Säule auf dem menschenleeren Marktplatz stehen und lehnte sich dagegen. »Na, raus aus der Stadt, Dummerchen. Hab ich doch gesagt. Wir nehmen«, er hielt inne, weil er alle Kraft brauchte, um die Säule ein paar Fingerbreiten weiter zu schieben, »einen geheimen Tunnel.« In diesem Moment gab es ein leises Klack und das Gebilde setzte von Selbst zurück, sodass ein kleiner Durchgang unter die Erde freigegeben wurde. Vail hüpfte auf und ab, wie ein Kind, und gestand lachend: »Wow, ich wusste nicht, dass der Tunnel noch aktiv ist. Da haben wir jetzt wirklich Glück gehabt. Ich habe zwar gehofft, dass er sich öffnen lässt, aber daran geglaubt habe ich nicht.« »Das heißt … du wusstest nicht, ob wir hier herauskommen?« »Was erwartest du von mir? Als ob ich alles wüsste.« Ich plusterte mich auf. Außenstehende hätten wahrscheinlich nur bemerkt, dass ich mich etwas größer machte, aber wichtig ist doch, was ich fühlte. »Und was, wenn dieser Eingang jetzt verschlossen gewesen wäre?«, fragte ich mit möglichst selbstsicherem Klang. Er zuckte mit den Schultern, sagte »Dann hätte ich nicht das machen können« und schubste mich die schmale Treppe hinab, die in den Untergrund führte. Ich stolperte über die unebenen Stufen, stürzte und kullerte den Rest hinunter. Mit ein paar geprellten Ellenbogen und Knien kam ich am Ende der Treppe an und fand mich in tiefschwarzer Dunkelheit wieder. Einzig das bisschen Licht des wolkenverhangenen Mondes fiel durch die Luke, die sich nun langsam schloss. Dann umgab mich Finsternis. Gerade als ich glaubte, der verfluchte Assassine habe mich hier unten eingesperrt, glomm ein blaues Licht an den Wänden auf. Es fand seinen Ursprung an Vails Händen, die er auf die Wände presste, und zog sich von dort aus in schmalen Streifen den ganzen Gang entlang, bis es irgendwo weit hinten in der Tiefe verschwand. »Es geht doch nichts über ein bisschen Zauberei, findest du nicht auch, Grey?« Ich schüttelte nur verzweifelt den Kopf. Der seltsame Herr war nicht nur Vampir und Meuchelmörder, sondern allem Anschein auch noch ein verdammter Magier. Aber dafür einer der angenehmeren Sorte. Die meisten Zauberkünstler waren pure Angeber, die nicht viel zustande brachten, aber gerne mit ihren kleinen Tricks im Mittelpunkt standen. Hauptsache viel Puff und Bamm und Pling. Ein normaler Magier hätte den Lichtzauber mit einem Feuerwerk, einer Handvoll wilder Tänze, drei brennenden Heuhaufen und einer fliegenden Katze unterstrichen. Der Bleichling mit seinem Dauergrinsen im Gesicht kam elegant die Treppe hinab gehüpft und zwängte sich an mir vorbei. Mit einem kurzen Wink bedeutete er mir ihm zu folgen.   Der Gang war schmal und lang und ich hatte das Gefühl, dass er niemals enden würde. Wir liefen jetzt schon seit mehreren Stunden durch diese Enge. Mein Gesicht war mit Spinnweben geschmückt und meine Stiefel durchnässt. Kurzzeitig mussten wir eine kleine Vertiefung passieren, in der sich schlammiges Wasser angesammelt hatte. Vail war einfach darüber hinweggesprungen, aber ich, ermüdet und kraftlos, hatte es nicht geschafft die Strecke zu überspringen und war auf der Hälfte in der stinkenden Brühe gelandet. Jetzt quietschten meine Stiefel bei jedem Schritt. Das alles stresste mich: Dieser ganze Wirbel, das tote Mädchen, die Tage im Kerker, der tote Wachmann, dieser Tunnel und Vails unaufhörliches Geplapper. Als der Damm bei ihm erst einmal gebrochen war, gab es kein Halten mehr und die Worte sprudelten ungebändigt aus ihm heraus. Er erzählte mir davon, dass er Regeln und Befehle hasste und sie grundsätzlich immer missachtete. Er meinte, solange man ihn um etwas bitte, sei alles in Ordnung und er würde diesen Bitten gerne nachkommen. Bekäme er aber einen Befehl, wie zum Beispiel »Töte Stix Grey«, so würde er alles daran setzten, diesem Befehl, so gut es ging, nicht nachzukommen. Deshalb half er mir. Nicht weil er mich mochte oder Mitleid mit mir hatte, sondern weil das Oberhaupt der Assassinengilde von ihm verlangt hatte, mein Lebenslicht auszuknipsen. Darum hatte er mich zunächst in dem Betrunkenen Kobold aufgesucht und auf höchst eigenartige Weise gewarnt. Aber da seine Warnung nicht die gewünschte Wirkung erzielten – er wollte, dass ich direkt aus der Stadt verschwand – und ich schließlich im Kerker saß, schmiedete er Pläne für meine Befreiung, die aber nicht mehr von Nöten war, weil ich vor einigen Stunden mit Cips Hilfe fliehen konnte. »Ich hatte dich die ganze Zeit im Auge, wollte aber eigentlich nicht aktiv in deine Flucht eingreifen, weil mir das irgendwie zu aufwändig war. Aber als dann dieser Mopps von Wachmann gedachte, dich geradewegs zurück in den Kerker zu geleiten, habe ich ihn daran gehindert. Und jetzt sind wir hier«, brachte er seine Geschichte zum Abschluss. Mir klingelten bereits die Ohren von seinem unaufhörlichen Gelaber. »Warum hast du ihn nicht einfach Ohnmächtig geschlagen oder betäubt? Hatte er den Tod verdient?« Vail blieb stehen, zog die Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kenne mich mit Töten aus, nicht mit Betäuben. Und jetzt stell dich bitte nicht als Verfechter der guten Sache dar, denn immerhin quäle ich meine Opfer nicht, so wie ihr Ermittler. Ich breche keine Knochen oder ziehe jemandem die Haut ab, um an Informationen zu gelangen. Gut, vielleicht töte ich Menschen und ja, vielleicht ist das falsch, aber du, mein Freund, du tötest Seelen.« »Das«, stammelte ich, »ist schon einige Jahre her! Ich arbeite nicht mehr als Ermittler.« »Aber diese Entscheidung lag ja wohl nicht bei dir.« Ich schwieg eine Weile, bevor ich feststellte: »Du hättest ihn trotzdem nicht töten müssen.« Ich für meinen Teil hatte in meinem ganzen Leben nur zwei Menschen aktiv getötet, wovon ein Mal ein Versehen war (mir war schlicht und ergreifend jemand ins Messer gelaufen). Wirklich getötet hatte ich nach meiner Rechnung also nur einen. Und der hatte es nicht anders verdient. »Müssen tue ich ohnehin nichts!«, konterte Vail, der soeben seinen Schritt aus unersichtlichen Gründen beschleunigte. Dann kehrte Stille ein. Das erste Mal seit unserem Aufbruch hielt der Assassine seinen Mund. Doch jetzt, wo es ruhig war und ich nur das Quietschen meiner nassen Stiefel hörte, keimte Unbehagen in mir auf. Ich hatte plötzlich das Gefühl, die kalten, blauglühenden Wände kämen näher. Der Gang schien sich immer weiter zu verengen, immer schmaler zu werden. Ich ging schneller. Doch je schneller ich ging, desto näher kamen sich die Wände. Mein Atem ging heftig, aber es kam mir vor, als würde kein Sauerstoff in meine Lungen dringen. Ich sog die Luft tief ein, und dennoch gelangte sie nicht in die Lungen. Als hätte jemand meinen Hals fest umschlossen und würde nun kräftig zudrücken. Meine Hände waren an die Wände gelegt und versuchten sie daran zu hindern mich zu zerquetschen. Doch die steinernen Bauten machten keine Anstalten, damit aufzuhören und bewegten sich stattdessen freudig weiter aufeinander zu. Ich fiel auf die Knie, rang nach Atem und versuchte gleichzeitig mein hämmerndes Herz zu beruhigen. Vail, der sich zu mir umgedreht hatte, schlug sich genervt die Hand vor den Kopf und murmelte: »Jetzt kriegt der auch noch Panik … Na toll!« Dann trollte er sich zu dem um sein Leben kämpfenden Häufchen Elend und sprach ihm seine ganze Aufmerksamkeit zu. Als er mich erreicht hatte, machte er kurzen Prozess, drückte mir die eisige Hand auf Mund und Nase und schnitt mir somit das letzte bisschen rettende Luft ab. Meine Fingernägel bohrten sich tief in Vails Arm, doch dieser schien es gar nicht zu bemerken. Stattdessen hob er fragend die Augenbrauen und schlug vor: »Wenn ich meine Hand wegnehme, dann atmest du am besten flach und gleichmäßig, verstanden? Du kannst natürlich auch hyperventilieren, aber besser wäre es, wenn du meinen Rat befolgen würdest.« Dann nahm er die Hand weg und ich füllte die Lungen mit Sauerstoff. Ich schöpfte das Lungenmaximalvolumen voll aus. Erst einmal, dann zweimal. Beim dritten Mal legte sich Schwärze vor meine Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)