Atemzug von TommyGunArts (Grey Mr. Grey) ================================================================================ »Tag, Partner«, sagte Thomas Cip mit rauer Stimme und beugte sich zu mir herunter. »Cip«, erwiderte ich den Gruß mit der Andeutung eines Nickens. Einst waren wir Partner und Freunde gewesen, Cip und ich. Früher, als ich noch jung war und er noch nicht ganz so alt. Als ich noch nicht so viel Traumpulver zu mir nahm und er noch nicht so viele Falten in seinem hageren Gesicht hatte. Als ich noch Träume hatte und er seinen linken Arm. »Zwei Jahre«, begann Cip, »sind wir uns nicht mehr begegnet. Weißt du noch, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben?« Ich schluckte. Natürlich wusste ich es noch, auch wenn ich schon oft gehofft hatte, es verdrängen zu können. »Ja, genau!«, rief er laut und schnipste mit den Fingern, als sei ihm plötzlich ein Licht aufgegangen. »Es war der Tag an dem du gekündigt wurdest, weil du mit einem Dolch auf meinen linken Arm losgegangen bist. Das Resultat siehst du ja hier. Bis zur Schulter – alles weg! Da ist nicht einmal ein kleiner Stumpf übrig geblieben. Kein Medicus der Welt konnte die Fetzen wieder zusammenflicken, die du in deinem Wahn hinterlassen hast, Partner.« Er betonte das letzte Wort besonders verächtlich. »Müssen wir da jetzt drauf rumkauen?«, warf ich ein und erntete eine Backpfeife, die mit einer überraschend jugendlichen Wucht auf meine Wange traf. »Zwei Jahre!« schrie Cip jetzt, das Gesicht verzerrt vor Wut. »In zwei Jahren hast du es nicht ein einziges Mal geschafft, mich zu besuchen, mich zu fragen, wie es mir geht, geschweige denn dich auch nur zu entschuldigen! Du hast dich einfach in deinem Häuschen verkrochen und gehofft, es wäre alles beim alten, wenn du nur genug von diesem Pulver schniefst.« Er hielt mir einen Beutel Traumpulver vor die Nase. Meinen Beutel Traumpulver. Der Trommelspieler in meinem Hirn hatte plötzlich seine Lautstärke erhöht, sodass es mir schwer fiel, Cips Worte aufzunehmen. Hinzu kam, dass das Pulver vor meinem Gesicht die gleiche Wirkung auf mich hatte, wie ein blutiges Stück Fleisch auf einen ausgehungerten Wolf. Ich fühlte mich magisch angezogen von dem feinen Stoff, den Cip wie ein Pendel von links nach rechts tanzen ließ. »Gib es mir«, flüsterte ich kaum hörbar, aber mit einem bedrohlichen Unterton, der mir selbst fremd war. »Das hier?«, fragte Cip gespielt verwundert, betrachtete den kleinen Beutel von allen Seiten, öffnete ihn und verteilte seinen Inhalt quälend langsam auf dem Boden. »Was zum?! Gib es mir, verdammt!«, krächzte ich heiser, während ich mit ansehen musste, wie meine einzige Chance, der Realität zu entfliehen, dahin rieselte. Cip setzte ein süffisantes Grinsen auf und entgegnete: »Nein, ich denke nicht. Findest du nicht auch, dass sich das Zeug hier im Dreck viel besser macht?« Er quälte mich, hatte scheinbar Freude daran, mir dabei zuzusehen, wie es mich innerlich zerriss. »Außerdem«, setzte er erneut an, doch ich hörte ihn kaum, »ist es dieser Mist, der Schuld daran ist, dass ich nur noch einen Arm habe. Verstehst du das?« »Was willst du hier, verflucht? Zum Dunkel mit dir! Bist du nur gekommen, um mir mein Leben zu nehmen?« Ich wollte Schreien und dabei wütend und fordernd zugleich klingen, aber der plötzliche Tränenausbruch ließ mich eher klingen wie einen aufgespießten Kobold. Doch es schien Wirkung zu zeigen, denn Cip unterbrach seine Folter und hielt das Beutelchen wieder in der Waagerechten. »Dein Leben?«, fragte er. Seine Stimme, die eben noch dem Trommelspieler in meinem Kopf Konkurrenz gemacht hatte, war nun wieder ruhig und gefasst. Beinah konnte ich eine Spur Mitleid heraushören. Und das klang falsch. »Wenn das so ist«, meinte er noch mit einem freundlichen Lächeln, bevor er den Beutel wieder verschloss und bis ans Ende der Zelle warf. Erleichtert darüber, dass mein Ex-Partner nicht mehr davon vergossen hatte, atmete ich tief durch. Allerdings wusste ich jetzt, dass es irgendwo hier im Raum lag, auch wenn es meinem Blickfeld entflohen war. Und ich wusste, dass ich es nicht erreichen würde. »Siehst du nicht, was es mit dir macht?«, wollte Cip von mir wissen, legte den Kopf schief und sah mir in die Augen. Es fiel mir schwer, mich von dem Bereich loszureißen, an dem ich das Traumpulver vermutete, und seinen Blick zu erwidern. »Du hast mir, deinem einzigen Freund, den Arm zerfetzt. Und ich wette, wenn ich dir damals nicht den Stein über den Schädel gezogen hätte und weggelaufen wäre, dann hättest du mich getötet. Wenn du im Wahn das deinem Freund antust…« Er stockte, doch ich wusste, worauf er hinaus wollte. Ich musste mich stark konzentrieren, um mich nicht in meinen eigenen Worten zu verheddern, als ich feststellte: »Du glaubst ich habe das Mädchen ermordet, richtig?« Dass er den Blick senkte war mir Antwort genug. Er verdächtigte mich nicht nur, sondern verurteilte mich regelrecht. »Cip, ich«, stotterte ich, »ich habe sie nicht umgebracht. I-Ich weiß nicht, wie …« »Wer soll dir noch glauben?« »Ich schwöre dir, dass …« »Du schwörst es mir?« Cips Augen leuchteten plötzlich auf. »So wie du mir geschworen hast niemals deine Hand gegen mich zu erheben? Du kamst zu mir mit nichts in deinen Händen und ich habe dich aufgenommen wie einen Sohn. Als Dank für diese Großzügigkeit fällst du mir in den Rücken.« Ich sammelte ein bisschen Spucke im Mund und versuchte damit meine trockene Kehle zu wässern. »Gibt mir«, setzte ich erschöpft an, »einfach ein bisschen Traupulver, dann können wir vernünftig reden. Wenn nur endlich diese verfluchte Assel…« Den Rest nuschelte ich unverständlich in mich hinein, weil ich kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. »Wo ist denn die Assel? Hier vielleicht?«, fragte Cip, während er mir hart mit der Faust gegen die Stirn klopfte. Das rüttelte mich wieder wach. »Bei Ophosteus! Du warst mal ein schlauer Bursche. Und Würde hattest du auch mal. Doch davon ist nicht mehr so viel von übrig, nicht wahr?« Er richtete sich auf, machte sich größer als er war und sah noch einmal auf das vor ihm kniende Häufchen Elend hinab, bevor er Richtung Zellentür schritt. »Wo willst du hin?«, japste ich, den Kopf an der Wand reibend, um die Assel zu vertreiben, die nun unter meiner Kopfhaut hauste. »Nun … Ich gehe. Was soll ich noch weiter mit dir in einem Raum verweilen? Deine Gesellschaft widert mich an und ich glaube das weißt du.« »Aber«, jammerte ich, »es tut weh! Bitte, nur ein ganz bisschen von …« »Du wirst Morgen gehängt, Partner!«, unterbrach er mich freudestrahlend. »Das wird ein riesen Spektakel. Du solltest mit klarem Verstand erleben, wie du deinen letzten Atemzug tust.« Ich blinzelte die Tränen weg, gönnte mir eine Pause bei der Asseljagt und versuchte so vernünftig und glaubwürdig wie möglich zu klingen. Ja, ich richtete mich sogar etwas auf und blickte dem alten, einarmigen Mann fest in die Augen, als ich sagte: »Cip, Ich habe das Mädchen nicht getötet.« Cip senkte den Kopf, schloss die Zellentür hinter sich und nahm die Fackel auf. Dann lächelte er mich an, beinah freundschaftlich, und entgegnete: »Ich weiß.« Er ging. Und mit jedem seiner Schritte entfernte sich das Licht weiter von mir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)