Zwei Leben ... von Pretty_Crazy (eine Liebe) ================================================================================ Kapitel 12: Lebenslüge ---------------------- Sei Tagen ist Hinata wieder bei ihrer Familie. Zuhause, wie ihr Vater es immer und immer wieder nennt, als wäre sie nicht in der Lage die Bedeutung dieses Wortes zu verstehen, aber dieser Ort ist nicht ihr Zuhause. Sie fühlt sich hier nicht wohl, nicht willkommen und nicht geborgen. Hier fühlt sie sich ausgegrenzt. Gefangen hinter Mauern und umgeben von einem Gerüst aus lauter Lügen und Halbwahrheiten. Mit jedem weiteren Tag fällt es ihr immer schwerer diese Umgebung zu ertragen. Dieses Leben ist nicht ihr Leben. Es war einmal ihr Leben und das vor nicht all zu langer Zeit, doch erscheint es ihr nun selbst, wie ein früheres Leben. Ein Leben, welches sie bereits gelebt hat und nicht wieder leben möchte. Sie möchte aus diesem Sumpf, bestehend aus Oberflächlichkeit und Arroganz, entkommen. Sie will heim. Im flackernden Licht der zahlreichen Kerzen, welche auf fein verzierten Kerzenständern stecken, sitzt die einsame Fürstentochter auf dem kalten Mauerboden ihres Schlafgemaches, wobei sie sich das schwere Bärenfell über die Schultern gelegt hat. Sie zittert am ganzen Körper und das, obwohl im gesamten Raum eine äußert angenehme Wärme herrscht, welche von dem prasselndem Kaminfeuer ausgeht, in dessen Flammenspiel sie ausdruckslos zu versunken sein scheint. Nicht einmal das dichte Bärenfell vermag die Kälte in ihrem Inneren zu tilgen. Sie verachtet diesen ganzen Prunk und Protz, der sich allein in ihrem Gemach aus allen Ecken erstreckt. Das übergroße Himmelbett, mit den wunderschönen Verzierungen und die weichen, seiden bezogenen Kissen. Die kunstvoll gestalten Wände, mit den detailliert gemalten Gemälden. Die großen Flügeltüren, die verzierten Schubladen ihrer Kommoden und ihres Schrankes. Der gewebte Teppich vor ihrem Bett. Was sie einst mit Stolz betrachtet hat, ist ihr nun zu wider. Mit einem verzweifelten Laut, zieht Hinata ihre Beine noch enger an ihren Körper und während sie einen Arm fest um ihre Beine geschlungen hat, so streicht sie mit der anderen Hand in einer immer wieder gleich kehrenden Bewegung, durch das zottelig und drahtige Fell einer Promenadenmischung, welche dösend neben ihr liegt. Ein Hund, ohne Wert und Stammbaum. Manchmal gewinnt sie den Eindruck, als würde dieses Tier ihr Trost spenden wollen, denn seit ihrer Ankunft scheint der endlose Kummer für dieses göttliche Geschöpf spürbar zu sein. Der Hund weicht ihr kaum von der Seite und wacht jede Nacht an ihrer Seite. Vorher noch namenlos und kaum Beachtung findend, hat sie ihm den Namen Amice gegeben. Ihr einziger Freund in dieser Welt aus schönem funkelnden Schein. Sie hat sich darüber gefreut ihre jüngere Schwester und ihre Mutter wieder zu sehen. Sie waren glücklich darüber, nach so langer Zeit der Ungewissheit und Sorge, sie endlich wieder in die Arme schließen zu können, aber diese Freude war nur kurzzeitig von gleicher Bedeutung. Nach einer langen Umarmungen und vielen Tränen des Glückes, trat ihre Mutter zurück und betrachtete sie genausten. Abschätzend und mit Rümpfen ihrer Nase. Wir befreien dich erst einmal von diesen Lumpen, waren ihre Worte und dabei hat sie die Nase so kraus gezogen, als würde ihr der Geruch von von faulem Fisch wahrnehmen. Im ersten Moment wusste die Fürstentochter gar nicht, was genau die Frau des Hauses damit meinte, denn sie fühlte sich in dem glanzlosen Bauerngewand sehr wohl, aber dennoch wurde es ihr abgenommen. Sie fand das säubernde Bad, mit dem frischen Aroma aus Blüten und geheiztem Wasser, zwar sehr angenehm, aber an die körperliche Reinigung im kalten und erfrischendem Flusswasser hatte sie sich gewöhnt. Eigentlich hat sie es sogar sehr gerne gehabt. Natürlich war der Kontakt mit dem kalten Flusswasser im ersten Moment ein immer wiederkehrender Schock gewesen, der Atmung und Herzschlag beschleunigt hat, aber kurz darauf hat sie immer ein Gefühl von Belebung verspürt. Es war erquickend. Im warmen Wasser war es eher die Müdigkeit, die ihren Körper zu erobern versuchte. Gesäubert und schläfrig wollte sie das vertraute Bauernkleid überstreifen, aber das wurde auf Anordnung des Hausherren vernichtet. Stattdessen musste sie in ein langes, rot gefärbtes Gewand mit feiner Zierschnürung unterhalb der Brust anziehen. Ihre Familie hat sie rein optisch wieder in die wohlerzogene Tochter eines Fürsten verwandelt, doch kam sie sich selbst dabei vor, wie eine willenlose Puppe. Ihr Nachtgewand ist das einzige Kleidungsstück, welches sie gerne trägt. Es ist schlicht und einfach und unterscheidet sich von dem er Bauern. Sie weigert sich die Nächte in ihrem Bett zu verbringen und schläft stattdessen zusammengerollt auf dem Teppich vor ihrem Bett, bedeckt mit dem Bärenfell, wobei sie viel lieber ein Schaffell nehmen würde. Sie will mit diesem ganzen Reichtum nichts mehr zu tun haben. Ein Bärenfell zeigt ihr nur zu deutlich, wie ungerecht diese Welt eigentlich ist. Sie hüllt sich in die Felle von erlegten Tieren, die zum Spaß gejagt werden, während die Bauern sie lediglich verscheuchen dürfen. Gesprochen hat sie bis zum jetzigen Zeitpunkt kaum. Weder mit ihrer Familie noch mit den Bediensteten. Sie antwortet nicht auf Fragen und wenn doch, dann nur mit einsilbigen Antworten. Bei ihrer Mutter hat dieses Verhalten bereits tiefe Sorge ausgelöst, während ihr Vater darüber wütend ist und dem frechen Bauern die Schuld daran gibt. Wahrscheinlich bereut er es schon, ihn am leben gelassen zu haben. Lediglich ihre kleine Schwester schafft es noch zu ihr durch zu dringen, denn sie zeigt Verständnis und Mitgefühl. Sogar an diesem Abend bleibt Hinata nicht bloß mit Amice alleine. Ihre vierzehnjährige Schwester, betritt schweigend das große Zimmer und lässt sich ebenso schweigend neben ihr auf dem Boden nieder. Es wird kein Wort gewechselt und dennoch fühlt sich die Kälte ein wenig erträglicher an, als ihre Schwester sich ebenfalls unter das Fell begibt und sich vertrauensvoll an Hinata lehnt. Auch Hanabi ist jemandem versprochen und das bereits seit dem ersten Tage ihres Lebens. Auch sie wird heiraten müssen und auch ihre Eheschließung ist nicht mehr in weiter Ferne, aber der Unterschied zu Hinata ist, dass sie ihren zukünftigen Mann kennt und, Gott sei es gedankt, diesen auch liebt. Wie lange die Schwestern in dieser Nacht beieinander sitzen, weiß nur der Allmächtige allein. Hinata öffnet am nächsten Morgen verschlafen die Augen, richtet sich auf und streift das Bärenfell von sich, ehe sie sich mit einem hoffnungsvollen Blick umschaut und bitter enttäuscht wird. Wie die ganzen letzten Morgende auch, ist ihr Wunsch unerhört geblieben. Sie ist noch immer in ihrem Gemach und nicht in dem Bauernhaus und Naruto ist auch nicht bei ihr. Er wird nie wieder bei ihr sein. Es kommt ihr so vor, als wäre er gestorben. Diese Endgültigkeit ist gleichermaßen schwer zu ertragen. Er ist nicht tot und trotzdem unerreichbar weit entfernt. Die bittere Erkenntnis trifft sie wie ein Schlag ins Gesicht, der ihr die Tränen in die Augen treibt. Dieser schmerzliche Knoten in ihrer Brust, scheint wieder ein Stück gewachsen zu sein. Mit wässrigen Augen und bebender Unterliebe, steht Hinata von ihrem Schlafplatz auf und hüllt sich nach der Morgenwäsche, widerwillig in eines ihrer edlen Kleider. Einst ist es für selbstverständlich gewesen, sich beim Ankleiden helfen zu lassen. Eine zusätzliche Arbeit für die ohnehin schwer schuftenden Diener des Hauses. Eine Arbeit die Hinata heute ablehnt. Sie hat gesunde Hände und Füße. Sie ist körperlich uneingeschränkt in der Lage, sich selbst die Kleidung anzulegen. Es aus reiner Bequemlichkeit heraus nicht zu tun, ist im Grunde ein regelrechtes Armutszeugnis. Mit einer schier unendlichen Leere in der Brust, verlässt die Fürstentochter ihr privates Schlafgemach und macht sich auf dem Weg ins untere Geschoss, um am familiären Frühstück teilzunehmen. Sie schenkt den beiden Bediensteten, die emsig den Staub von allen Objekten im Flurbereich wischen und inne halten, um sich ihr gegenüber anständig zu verneigen, ein trauriges Lächeln und wünscht ihnen freundlichen einen angenehmen Morgen. Üblicherweise werden diese Leute ignoriert, aber sie handelt anders. Sie handelt so, wie einfach ausnahmslos jeder handeln sollte. Auch diese Menschen haben Respekt und Ansehen verdient. Niemand hat das Recht sich über einen anderen zu stellen, nur weil er nicht den gleichen Reichtum besitzt. Dass es der ältesten Tochter ihres Hausherren nicht gut geht, ist unter den Angestellten, kein Geheimnis. Ihnen ist auch bekannt, dass sie sich wohl in einen Bauern verliebt und mit ihm das Bett geteilt hat. Es gibt auch einige böse Zungen unter den Bediensteten, aber die meisten empfinden Mitleid und so blicken auch die Zwei im Flur, der jungen Frau entsprechend traurig hinterher, nachdem sie an ihnen vorbei gegangen ist. Sie kann einem nur leid tun, denn ein Leben in einem golden Käfig, ist genauso wenig lebenswert, wie ein Dasein im Kerker. Ohne ein Wort und ohne eines würdigen Blickes, wobei die anderen ohnehin nur eine endlose Leere in ihrem Blick erkennen können, lässt sich Hinata an dem großen Tisch nieder und bekommt so gleich das Frühstück vorgesetzt. Dieser überladene Teller, mit Fleisch, Brot, Käse und Obst ist für sie ein kaum ertragbarer Anblick. So viel. Viel zu viel für sie. Es ist immer viel zu viel. Sie schafft nicht einmal die Hälfte von dem und was passiert mit dem Rest? Er wird weg geschmissen oder an die Hunde verfüttert. Zwei weitere Leute könnten von diesem Teller mit essen und ebenfalls satt werden. Naruto isst nur den immer den gleich schmeckenden Getreidebrei, der nur Sonntags mit ein paar Apfelstücken verfeinert wird. Er hat so wenig und gibt davon noch etwas ab. Er verteilt gütig und sie verschwenden. In ihr steigt die Galle hoch. Ausdruckslos blickt Hinata auf ihren Teller und dann zu den Bediensteten, die mit auffallenden hungrigen Blicken im Hintergrund stehen und das massige Frühstücksangebot begutachten. Einer der Männer legt sich die Hand auf den Bauch, als wolle er seinen knurrenden Magen zum schweigen bringen. Ihnen muss das Wasser im Mund zusammenlaufen und der Rest der Familie nimmt davon keine Kenntnis. Für diese treuen Gefolgsleute bleibt nur trocken Brot, halbverfaultes Obst und Wasser. Nie dürfen sie die Reste anrühren, obwohl sie es mit Sicherheit heimlich tun und dann darum flehen, nicht erwischt zu werden. Mit trüben Blick schaut Hinata in die Runde. Sie schaut ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester an. Sie lachen, reden freudig über belanglose Dinge, wie das nächste Fest, die neuste Mode oder über den spöttischen Tratsch einiger Bekannter. Ihr Vater wirft ein Stück Fleisch zu Boden, damit der Hund es fressen kann, während die Diener dieses Tier mit neidvollen Blicken strafen und sich wohl fragt, ob er auch etwas zugeworfen bekommen würde, wenn er auf allen Vieren und bellend durch die Gegend läuft. Hinata wird schlecht. Dieses Vorspielen einer heilen Welt, treibt ihr die Übelkeit in den Magen. Warum haben die einen so viel und die anderen so wenig? Ruckartig und nicht den Benimmregeln entsprechend, springt die Fürstentochter auf die Beine, so das der Stuhl unter lautem Krachen nach hinten fällt und flieht förmlich aus dem Raum, wo plötzlich alle Stimmen verstummt und die Blicke auf sie gerichtet sind. Alle Mitglieder ihrer Familie sind von solch einer Reaktion völlig überrascht und bleiben verdutzt sitzen, während Hinata blindlings die Treppe der Eingangstür herunter stolpert und schließlich in jemanden hinein rennt. Sie wollte einfach nur noch raus. Frische Luft atmen und diese Übelkeit aus ihrem Körper verdrängen. Jetzt hält sie jemand an den Oberarmen fest, um zu verhindern, dass sie durch den Aufprall auf den Boden fällt und dieser jemand entpuppt sich für sie schnell als ihr Cousin. Der Mann, der es genossen hat, Naruto diese Wunden zu zufügen, die als Narben für Ewig auf seinem Rücken erkennbar bleiben werden. Statt Übelkeit ist es nun Hass, der sie übermannt und sie befreit sich ruckartig aus seinem Griff, um an ihm vorbei zu gehen - allerdings lässt er sie nicht gehen. Er hält sie am Handgelenk fest und Hinata ist sich sicher, dass ihr Vater Neji zum aufpassen verdonnert hat. Sie können es ja nicht riskieren, dass sie erneut davon läuft. „Wo willst du hin?“ „Spazieren. Hat Vater dich jetzt zu zu meinem Wachhund ernannt?“ Wieder reißt sie sich von ihm los und funkelt ihn wütend an. Er wirkt über ihre Worte und die direkte Art ziemlich überrascht und scheint sogar zu überlegen, ob sie es wirklich ist. Ihr schüchterner und zurückhaltender Charakter, ist irgendwie verloren gegangen. Irgendwo, zwischen den zehn Peitschenhieben, ist etwas in ihr gestorben. Blut ist dicker als Wasser heißt es, aber wenn der Preis stimmt, dann scheint die Verwandtschaft da keine Unterschiede zu kennen. Wenn die eigene Familie nicht unterstützend hinter einem steht, wem soll sie dann noch vertrauen? Neji lächelt auf ihre Frage jedoch bloß schief und macht eine ausladende Handbewegung, als wolle er das ganze Gut umschließen. „Nicht nur ich. Jeder der dich kennt, hat die Anordnung erhalten ein Auge auf dich zu haben. Nicht, dass du wieder zu ihm läufst.“ „Damit ich dir eine Freude mache und du ihn noch einmal auspeitschen kannst?“ Es ist offensichtlich, dass Hinata hauptsächlich diesen brodelnden Zorn verspürt, weil ihr Cousin an dieser körperlichen Misshandlung Gefallen gefunden hat. Ihr war bewusst, dass Naruto nicht ohne Konsequenzen davon kommen würde und da auf solche Taten eigentlich der Tod steht, ist Dankbarkeit für diese milde Strafe gar nicht so unangebracht und dennoch verspürt sie hauptsächlich Wut. Neji weiß augenscheinlich gar nicht, wie er mit ihr umgehen soll. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören ist für ihn, wie der Dialog mit einem völlig fremden Menschen. Es verschlägt ihm die Sprache. Hinata erwartet auf diese Frage jedoch keine Antwort und wendet sich zum Gehen um. Neji schließt zu ihr auf, denn auch wenn er noch immer sehr überrascht von diesem ungewöhnlichen Verhalten ist, so hat er deutliche Anweisungen von seinem Onkel erhalten und dass bedeutet für die Fürstentochter, dass er ihr nicht von der Seite weicht, bis sie wieder sicher zuhause ist. Sie kann nicht mehr tun, als die jetzigen Umstände zu dulden, aber für erste will sie einfach nur raus aus diesem Käfig, der ihr Zuhause sein soll. Sie schweigen sich einander an, während sie durch die belebten Straßen der Stadt gehen.Vorbei an Händlern, edlen Wohnhäusern, spielenden Kindern und anderen gleichgesinnten, einigermaßen wohlhabenden Menschen. Dieser Teil von Nürnberg wird von der Aristokratie bewohnt und von deren Bediensteten bewirtschaftet. Eine heile Welt aus schönem Schein. Wenn sich Bettler in diesen Teil der Stadt wagen, werden sie schonungslos verjagt. Hier gibt es keine Hilfsbereitschaft, keine Nächstenliebe oder Mitleid. Hier ernten sie nur Verachtung und Boshaftigkeit. Selbst die Kinder der Adelsleute stellen sich bereits über die vergessenen Gestalten, beschimpfen und bespucken sie. Man kann ihnen ein solches Verhalten nicht einmal verübeln, denn wie sollten sie etwas anderes lernen, wenn man ihnen nur Lügen vermittelt? Irgendwann stoppt Neji jedoch seine Schritte und blickt skeptisch, teils sogar voller Abscheu und Ekel, in die verdreckte Straße hinein, die Hinata ohne jedes Zögern ansteuert und ihre Schritte auch nur widerwillig stoppt, als ihr Cousin stehen bleibt. Den ganzen Weg über haben sie sich an geschwiegen, wie stumm Geborene und Neji hat einfach nur den Begleiter gespielt, doch jetzt, an der Schwelle zum Armutsviertel, würde er sehr begrüßen wieder den Heimweg einzuschlagen. Die Umgebung ist dominiert von Elend, Krankheit und Tod. Es stinkt nach verfaultem Fleisch und Exkrementen. Die gepflasterten Wege finden ein beinahe schlagartiges Ende und gehen über in eine Brühe bestehend aus Essenresten, Unrat, Kot, Urin und Tierkadavern, in der die Leute stellenweise knöcheltief versinken. Am aller schlimmsten ist jedoch der schrecklich Gestank. Die Seifensieder und Kürschner belästigen die Umgebung und auch die Färber verätzen die Luft mit dem, was sie zum Beizen ihrer Stoffe brauchen: Alaun, Kupfervitriol und Kuhmist. Die schlimmsten Werkstätten aber, sind die der Gerber. Wer hier vorbeigeht, atmet einen üblen Geruch von Fäulnis und Verwesung ein, den die noch nicht entfetteten und enthaarten Tierhäute verströmen. Die Gruben mit der ätzenden Gerberlohe sind zwar mit Eichenbohlen bedeckt, aber die haben nicht mehr Wirkung, als ein Laken auf einem Misthaufen. Die Häuser sind ärmlich. Sie bieten keinen Schutz. Es gibt kein Fensterglas, manche Öffnungen sind mit Lumpen oder ölgetränktem Papier verkleidet, andere gar nicht. In diesem Randbezirk der Stadt stinkt es ärger als in der Innenstadt, weil hier die Ärmsten der Armen wohnen. Ihre Häuser sind oft modrig und feucht. Menschen und Tiere leben in denselben Räumen. Da spielt der eigene Körpergeruch keine besondere Rolle mehr. Neji empfindet diesen Anblick als die Verbannung aus dem Paradies. Aus dem Garten Eden direkt und unmittelbar hinein in die Hölle. Von sauberen, gepflasterten Wegen oder wenigstens befestigten Straßen, an deren Seiten prachtvoll errichtete Häuser stehen, hin zu halb verfallenen und von der Witterung geschädigten Baute, die eine Bezeichnung wie Haus gar nicht verdient haben. Der Adelsmann ist von diesem Anblick gleichermaßen entsetzt, wie angeekelt und Hinata kann dieses Gefühlsgemisch verstehen, denn ihr ging es nicht anders, als die zum ersten Mal mit der Armut eines Bauerndorfes konfrontiert wurde. In der Gemeinde waren die Ausmaße aber überschaubar und hielten sich in Grenzen, aber der Besuch bei Conlin hat ihr deutlich gezeigt, wie hässlich das wirkliche Leben ist. „Was willst du hier?“ Noch immer wagt Neji es nicht die Schwelle in diese andere, fremdartige Welt zu überqueren während Hinata dies längst getan hat und in einiger Entfernung zu ihm im Matsch der Straße steht. Der Saum ihres Kleides verfärbt sich bereits in der dunklen Brühe der Straße und ihre Schuhe sacken immer weiter im Boden ein. Sie sind auch längst nicht mehr unbeobachtet. Ausdruckslose Blicke, die hoffnungsloser nicht sein könnten, haften auf ihnen. Eine Tatsache, welche Neji in eine nervöse Anspannung verfallen lässt. Hinata bemerkt wie ihr Cousin seine Hand um den Griff seines Schwertes legt und unruhig die Gegend mit seinem Blick absucht. Sie seufzt nur und schaut zu einer zusammen gekauerten Gestalt in unmittelbarer Nähe, die zwischen Unrat und einem Rinnstein hockt und, obwohl noch Leben in dem ausgemergelten Körper steckt, aus toten Augen zu ihnen schaut. „Ich ertrage diese ganzen Lügen nicht mehr.“ „Wovon sprichst du?“ Er ist genauso unwissend, wie sie es gewesen ist. Er verschließt die Augen vor den Dingen, die er nicht sehen will. Er glaubt alles, was ihm beigebracht wurde, ohne etwas davon zu hinterfragen. Sie kann ihm das nicht einmal übel nehmen, weswegen sie ihm lediglich die Anweisung gibt ihr zu folgen, wenn er die Wahrheit wissen will. Sie wartet nicht einmal auf ihn, sondern setzt sich ohne ein erkennbares Zögern wieder in Bewegung. Eine Tatsache, bei der Neji kurz nach Luft schnappt und einiges an Überwindung aufbringen muss, um ihr hinterher zu eilen. Natürlich gibt es in dieser Gegen Überfälle, aber diesen finden in den seltensten Fällen aus Boshaftigkeit statt. Es ist die Verzweiflung die dafür sorgt, dass die Menschen gegen das Gesetzt und die göttliche Ordnung handeln. Niemand von diesen Menschen wäre so töricht anzugreifen, solange ein bewaffneter Mann da ist, der nicht einem Augenblick lang, seine Hand vom Schwertgriff löst. Für Neji ist der Gang durch die Straßen das Eintauchen in eine völlig andere Welt. Er kann nicht einmal sagen, was er bei dem Anblick dieser vielen Menschen empfindet. In erster Linie ist es Unsicherheit. Nicht zu wissen, wie er agieren soll lässt ihn nahezu hilflos erscheinen, aber dazu kommt das natürliche Entsetzen über solche Dinge und ein gewaltige Portion an Mitleid. Von dieser Schattenseite der Gesellschaft hat er keine Ahnung gehabt. Er hat die Bettler auf der Straße nie beachtet. Er hat nie jemanden beachtet, der nicht seinem Stand entsprach und jetzt wird er mit unzählig vielen Gesichter konfrontiert, die ihn neugierig anschauen. In jedem einzelnen Augenpaar kann er aber deutlich sehen, dass niemand die Hoffnung hegt, jemals aus diesem Schatten heraus treten zu können. Sie akzeptieren dieses Leben und auch wenn viele von diesen Menschen in Lumpen ihr Dasein auf der Straße fristen, so gibt es doch auch die Leute, die ihr Lachen nicht verloren haben. Mit einer gewissen Faszination beobachtet Neji ein Gruppe von spielenden Kindern. Die kleinen Körper sind verdreckt und ihre Kleidung hängt teilweise nur noch an Fetzen an ihnen. Sie laufen mit blanken Füßen durch die Straßen und trotzdem lachen sie. Sie jagen sich spielerisch. Sie haben in der Ernsthaftigkeit dieses Lebens eine Möglichkeit gefunden, dem Ganzen eine fröhliche Seite abzugewinnen. Je älter die Leute aber werden, umso mehr wird die kindliche Seite verdrängt und irgendwann vergessen sie diese ganz. „Das ist das richtige Leben. Die Wahrheit.“ Schweigend blickt Neji zu seiner Cousine, die sich unvermittelt neben ihn gestellt hat und mit einem leichten Lächeln die spielerische Rauferei der Kinder beobachtet. Er blickt nur kurz zu Boden und dann ebenfalls wieder zu dem Ursprung des glücklich klingenden Kinderlachens. Jetzt weiß er, welche Wahrheit Hinata gemeint hat und es wäre noch reichlich untertrieben, wenn er behaupten würde lediglich entsetzt zu sein. Diese Leben ist eines Menschen nicht würdig. Es ist ein Flüstern welches seine Lippen verlässt. „Ein Leben am Rande jeder Würde und im Schatten der Gesellschaft.“ „So leben die meisten. Die Aristokratie stellt eine Minderheit dar und wir besitzen sogar die Arroganz uns über diese Leute zu stellen. Wir behandeln sie wie Dreck und behaupten noch, dass das von Gott so gewollt ist.“ „Aber den Lohn erhalten sie im Paradies.“ „Wenn man all dieses Leid verhindern oder wenigstens abmildern kann, sollte man es dann nicht schon zu Lebzeiten tun? Diese Kinder werden ihr Lachen irgendwann vergessen und so enden, wie alle anderen. Sie haben keine Möglichkeit dieses Leben zu ändern, wenn man sie nicht lässt.“ Die christliche Nächstenliebe. Hilfe für die, die Hilfe brauchen. Er hat um diese Welt bisher einen großen Bogen gemacht. Er wollte einfach nur die Predigen des Klerus glauben und mit einem Mal wird ihm bewusst, dass niemand nach den göttlichen Regeln lebt. Unschuldig in Not geratene Menschen, denen jeder schon mit einem netten Wort den Tag verbessern kann. Es ist nicht viel nötig, um dieses Leid zu beseitigen. „Wir haben nicht das Recht, diese Menschen zu verurteilen. Wenn dein Sohn unter diesen Kindern wäre, würdest du dir nicht auch wünschen, dass es jemanden gibt, der ihm Hilfe anbietet?“ Die Vorstellung, dass sein zweijähriger Sohn unter den spielenden Kindern wäre und dieser als Erwachsener von allen vergessen und vom Leben verraten an irgendeiner Hauswand, ohne Hoffnung, von Krankheit geprägt und zwischen Abfall alleine sterben wird, jagt Neji einen eisigen Schauer über den Rücken. Er würde alles tun, wenn es um das Wohl seines Kindes geht. Hilfsbereitschaft ist jedoch eine Eigenschaft, die kaum jemand in dieser Gesellschaft verspürt und aus diesem Grund, würde auch sein Sohn keine Hilfe bekommen, wenn er ohne Eltern und Familie auf der Straße landen würde. Mit einem ernsten Ausdruck in den Augen und mit einer solchen Entschlossenheit, wie er sie noch nie in seinem Leben verspürt hat, blickt der Adelsmann zu seiner Cousine, die es mit wenigen Worten geschafft hat, ihn zum Umdenken zu bewegen. Größtenteils sind es aber wohl die Eindrücke gewesen, die er in den Straßen sammeln konnte und die so entsetzlich wie traurig gewesen sind. „Was können wir tun?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)