Unverhoffte Nachbarn von Jeanne-Kamikaze- (Wenn Nachbarn interessant werden) ================================================================================ Prolog: Ein neues Gesicht ------------------------- Prolog: Ein neues Gesicht Dr. John Watson kehrte gerade mit seinem Mitbewohner, dem berühmten Sherlock Holmes, nach einer nächtlichen Verbrecherjagd in die 221b Bakerstreet zurück und wollte eigentlich nur noch schlafen, während Sherlock sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis schien. Seine graublauen Augen funkelten aufgeregt, während er gerade die Tür zu ihrem Apartment öffnen wollte und dann inne hielt. „Sherlock? Was ist?“, fragte John irritiert und blickte an dem gut einen halben Kopf größeren Scherlock vorbei. Ein schwarzer Kleintransporter stand vor der Tür und die Klapptüren des Kofferraumes waren weit offen. „Ein Umzugswagen.“, murmelte der Arzt. „Oder ein Transporter von Dieben.“, erwiderte Sherlock mit ernstem Gesicht. „Sherlock!“, ermahnte John ihn seufzend und fuhr sich über die Augenbrauen. Nicht das wieder! „Natürlich ist es ein Umzugswagen! Dass Sie auch immer das Offensichtliche ansprechen müssen.“, fuhr Sherlock ihn ungehalten an und schnaubte. „Ich wusste gar nicht, dass wir einen neun Nachbarn haben.“ „Keinen Nachbarn.“, tadelte Sherlock ihn und drehte sich zu ihm um. Obwohl Sherlock nichts sagte, meine Watson ein schnippisches „Tzz…Tzz…Tzz“ zu hören, obwohl dafür der Blick aus Sherlocks ausdrucksstarken Augen reichte. „Sondern eine Nachbarin. Eine junge, würde ich meinen. Schätze Anfang zwanzig.“ John seufzte und verdrehte kurz die Augen. „Schön…was habe ich dieses Mal übersehen?“ „Soll ich mit dem Offensichtlichsten beginnen?“ „Bitte!“, zischte er und schüttelte bloß den Kopf. Und somit begann sie wieder: Die Sherlock Holmes Show. Wie schön, dass er mittlerweile eine Dauerkarte besaß. „Da.“, der Detektiv deutete auf eine Kiste, die ganz vorne in dem Kofferraum stand. Nachdenklich beugte sich John vor um ihn besser betrachten zu können und verdrehte dann die Augen. Auf dem schnöden, braunen Karton stand mit dicken Edding „Schuhe“ drauf. „Ok…“, gab er zu. „Das war offensichtlich. Aber wie kommst du darauf, dass sie jung ist, Sherlock?“ „Würde eine alte Frau ihre Schuhe ganz nach vorne in den Lastwagen stellen? Da wäre Porzellan oder Schmuck wahrscheinlicher.“, erwiderte Sherlock trocken. Ein Seufzer entwich seinem Assistenten. „Ok, gekauft. Aber das reicht als Beweis nicht. Die Anordnung könnte zufällig sein.“ „Stimmt schon.“, gab ihn Sherlock Recht und er neigte seine Kopf. Eine seiner dunkelbraunen Locken fiel ihm in das schmale, feine Gesicht mit den hohen Wangenknochen. „Aber sehen Sie den Karton dahinten?“ Wieder deutete er auf eine der Kisten. Ein Oberteil ragte aus dem Deckel hervor. Wahrscheinlich war dieser während der Fahrt verrutscht. Es war lila und glitzerte. „Eindeutig modebewusst. Inspiriert von Chanel, wenn auch kein Original, dafür ist der Stoff zu billig und die Verarbeitung. Also eine Kopie, aber keine so Schlechte, dass man es sofort sieht. Folgerung: Unsere neue Nachbarin ist modebewusst und das ist ein neueres Modell, also würde ich sie für sehr jung halten...“ „Moment…was…“, stotterte John. „Seit wann kennen Sie sich bitte mit Mode aus, Sherlock?“ „Man muss in vielen Dingen bewandert sein, mein guter John.“, antwortete Sherlock ruhig und begann um den Lastwagen herum zu gehen. „Was um Himmelswillen tun Sie da?“, flüsterte der ehemalige Militärarzt und folgte seinem Mitbewohner um den Wagen herum. „Was ich mich allerdings frage…“, murmelte Sherlock, als hätte er Johns Einwand nicht gehört. und begutachtete den Transporter genauer. „Wie sich eine so junge Frau eine Wohnung in dieser Gegend leisten kann.“ „Sherlock!“, zischte John und wollte versuchen seinen Mitbewohner wegzuziehen, doch dieser ließ sich nicht beirren. „Ähm…kann ich Ihnen helfen?“, kam eine misstrauische, offensichtlich weibliche Stimme vom Laderaum des Transporters. Sofort lief John rot an und richtete sich auf, während Sherlock ungeniert den Transporter beobachtete. „Entschuldigen Sie, werte Dame, wir wollten nicht unhöflich sein…wir…“ Was sollte er ihr überhaupt sagen? „Gott verdammt, Sherlock, lassen Sie das!“, zischte er wütend zu seinem Freund. „Warum sollte ich?“, erwiderte dieser unschuldig. „John Watson mein Name und dieser…“ John überlegte kurz wie er am besten Sherlock vorstellen sollte, aber sicher würde sie es eh wissen. Sherlocks Name war mittlerweile weit bekannt. Unsicher wedelte er mit der Hand in der Luft und seufzte. „Nette Herr ist Sherlock Holmes.“ Er streckte ihr die Hand zum Gruß aus und nach einigen Momenten des Zögerns ergriff sie die Hand. „Catherine Amell.“, stellte sie sich knapp vor, ließ dabei aber den Consulting Detective nicht aus den Augen. John nutzte die Zeit um sich die neue Nachbarin anzusehen. Sherlock hatte recht gehabt. Sie war jung, schätzungsweise 22, und hatte langes, hellbraunes Haar, welches in den Spitzen kleine Locken bildete. Ihr Gesicht war schmal und feingeschnitten und hellblaue Augen blickten misstrauisch auf den noch immer unbeirrten Sherlock Holmes, der sich nun zu den Reifen gehockt hatte und die Erde zwischen seinen Fingern zerrieb. Watson war kurz irritiert. Wenn Sherlock sonst immer Proben, nahm, so tat er dies nie mit den Händen. Die junge Frau zog eine Augenbraue hoch und verzog ihre perlmuttfarbenen Lippen. „Sherlock…um Himmelswillen, lassen Sie das!“, fuhr John ihn erneut an. Ihm war die Situation äußerst unangenehm, doch leider konnte sein Mitbewohner es einfach nicht lassen. Murrend ergriff er die Arme des dunkelgelockten Mannes und zog ihn von den Reifen weg. „John…lassen Sie mich los…John!“, murrte der Größere der beiden und stellte sich schließlich hin und ließ seinen musternden Blick über die Frau schweifen. Insgeheim rollte John mit den Augen. Nicht das wieder! Als ob die ganze Situation für die neue Nachbarin nicht befremdlich genug wäre. Sichtlich unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen, hielt aber den forschenden Blick aus dem graublauen Augen stand. John nickte anerkennend. Das schafften wirklich nicht viele. „Catherine Amell, Alter 22…“, begann Sherlock auch umgehend seine Deduktion. Catherine zog eine Augenbraue runter und beobachtete das Geschehen mit Skepsis. „Stammend aus Cardiff. Vermutlich fürs Studium hergezogen. Geschichte oder Philosophie im ersten Semester, schätze ich. Eine passionierte Reiterin und modebewusst, aber nicht so sehr, dass man sie als Modepüppchen bezeichnen würde.“ Sherlock ließ den Blick schweifen und musterte Catherine nun intensiver, trat einen Schritt an sie heran. Zu Johns Überraschung wich diese nicht zurück, sondern stellte sich sogar etwas auf die Zehenspitzen und erwiderte seinen Blick herausfordernd, reckte das Kinn vor. Sie war gut eineinhalb Kopf kleiner als Sherlock, also ungefähr so groß wie John, und musste sich deshalb wirklich groß machen um in die stechende Augen von Sherlock sehen zu können. Hilflos blickte John zwischen den beiden hin und her. „Beeindruckend.“, sagte sie sarkastisch. „Aufwärmübung.“, erwiderte Sherlock seelenruhig und seine Mundwinkel zuckten. Er genoss es sichtlich, doch John sah, dass die Beeindruckung bei Catherine nicht so immense war, wie sie damals bei John selbst gewesen war. „Was haben Sie sonst noch bemerkt? Das war doch sicherlich noch nicht alles. Das meiste ließ sich ziemlich leicht am Transporter ablesen.“, bemerkte Catherine knapp und zog nur eine Augenbraue hoch. Der berühmte Sherlock Holmes neigte seinen schmalen Kopf und schien sogar beinahe ein wenig frustriert. Bei Gott, was für ein Spiel spielten die beiden? John fuhr sich durch sein kurzes, aschblondes Haar. Typisch Sherlock. Immer musste er beeindrucken, immer suchte er Bestätigung, doch von Catherine bekam er sie das Erste Mal nicht. Noch nicht. John wusste, dass Sherlock bereits weit mehr über die junge Frau herausgefunden hatte und spätestens jetzt jedes kleinste Detail offenlegen würde, egal wie intim es war. „Sherlock…“, versuchte er mit ruhigen Ton seinen Freund davon abzuhalten. Die tiefsten Geheimnisse von Catherine auf offener Straße ausgebreitet, könnte sie verstören. Sanft umgriff er den schweren Stoff von seinem dunklen Wollmantel und wollte ihn wegziehen, doch der so schlanke, beinah schmächtige Sherlock war ungewöhnlich stark und bewegte sich keinen Millimeter. „Kommen Sie, lassen Sie es.“ Das hätte er besser nicht tun sollen. Ein böser Blick seitens Sherlock war die Antwort, bevor er sich wieder Catherine zuwandte. Diese blickte ihn immer noch herausfordernd an, die Arme vor dem Körper verschränkt. Die graublauen Augen von Sherlock wanderten über ihre Arme und Hände und er zog sicherlich noch mehr Schlüsse. John seufzte und gab auf. Sherlock war nun nicht mehr zu stoppen, dafür kannte er seinen Mitbewohner gut genug. „Warum denn, John? Sie ist doch offensichtlich ganz begierig darauf, dass ich ihr sage, was ich noch alles herausgefunden habe.“, erwiderte Sherlock missmutig mit seinem tiefen Bariton, der normalerweise bedeutete, dass es bald Gefahr gab. Der Blondhaarige seufzte und trat ein Schritt beiseite. Nicht gut, gar nicht gut. Sherlock wusste nie, wann Schluss war und von gesellschaftlichen Konventionen hielt er erst recht nichts. Er wurde nicht umsonst im Morddezernat von Scotland Yard als Freak oder Soziopath bezeichnet. Catherine schnaubte nur und strich sich eine ihrer langen Haarsträhnen aus dem Gesicht, während der Arzt seufzend aufgab. Sherlock war nicht mehr zu stoppen, das wusste er. „Ich würde lieber wissen, warum Sie um meinen Transporter herum gehen. Ist das die Art wie man in London als neuer Nachbar begrüßt wird?“, fragte sie höhnisch und schloss vorsichtshalber die Türen ihres Transporters. „Nur, wenn man einen Soziopathen als Nachbarn hat, aber ja, bei Sherlock gehört das durchaus zum Begrüßungsritual.“, feixte John, bevor er einen undurchdringlichen Blick zugeworfen bekam. „Also gut, Mr. Holmes...bringen wir es hinter uns, ich würde gerne weiter auspacken, bevor es anfängt zu regnen.“ Doch statt das Sherlock antwortete, zuckten seine Mundwinkel nur amüsiert. Offensichtlich schien er Gefallen an Catherine zu finden- oder anders gesagt: sie langweilte ihn nicht völlig. Als Sherlock dann doch gerade ansetzen wollte, hob die junge Frau die Hand und ließ ihn innehalten. Irritiert sah der Schwarzhaarige sie an, doch Catherine lächelte leicht. „Wie wäre es mit einem Deal?“ „Was für einen Deal hätten Sie mir denn anzubieten?“, fragte Sherlock abschätzig und zog eine Augenbraue hoch. Catherine ließ sich wieder auf ihre Fußsohle hinabsinken und verschränkte die Arme von der Brust. „Wie wäre es, wenn ihr mir helft meine Kisten nach oben zu tragen und dann dürfen Sie so viel analysieren und mir an den Kopf knallen wie Sie wollen?“ Die vollen Lippen von Sherlock verzogen sich spöttisch und er zog sich seinen Schal fester um den Hals. „Warum sollte ich das tun? Das könnte ich genauso gut hier. Ich weiß eh schon alles.“ „Schon...“, setzte Catherine an und ein kleines Grinsen zuckte um ihre Mundwinkel. „Aber meine Wohnung ist bereits komplett eingerichtet und die verrät doch noch viel mehr über mich und ich sage dann, was richtig war.“ John grinste nun ebenfalls. Jetzt hatte sie Sherlock. „Ich habe immer Recht.“ Seine Stimme wurde eisig und er warf Catherine einen bösen Blick zu. „Sind Sie sich da wirklich sicher?“, grinste sie böse und nickte ihm auffordernd zu. Kurz sah John ihre neue Nachbarin verdutzt an, konnte sich dann aber ein Lachen kaum verkneifen, nachdem er Sherlocks entgleistes Gesicht sah. Allein die Vorstellung, dass Sherlock sich bei seiner Deduktion geirrt haben könnte, war undenkbar für ihn. Nun hatte die Neue wirklich einen wunden Punkt getroffen und John mochte sie auf Anhieb ein Stück mehr. Allein Sherlock so zu sehen war die unangenehme Situation wert. Sherlock schien das Angebot abzuwiegen. Nachdenklich hatte er die Hände über seinem Mund aneinander gelegt, was er immer tat, wenn er nachdachte. Seine graublauen Augen hatte er geschlossen, während ein kalter Windstoß seine dunkelbraunen Locken durchwuschelte. Nach einigen Minuten öffnete er dann schließlich die Augen. „John, helfen Sie ihr beim Auspacken.“ Und damit verschwand Sherlock in der Tür von 221b Bakerstreet. „Was...hey, Sherlock! Warum sollte ich...“, rief John ihn verdattert nach, doch da war sein Mitbewohner schon verschwunden. Irritiert blickte er dem Consulting Detective nach, der die grüne Tür bereits ins Schloss hatte fallen lassen. Das durfte doch nicht wahr sein! War er Sherlocks Handlanger oder was? Ein frustrierter Seufzer entwich ihm und er blickte zu Catherine, die amüsiert schmunzelte. „Eine wirklich interessante Begrüßung. Ich glaube, dass London spannend werden könnte.“, murmelte sie leise und zupfte an ihren Klamotten. Sie erwiderte Johns Blick, während ein noch breiteres Grinsen um ihre Mundwinkel zuckte. „Bei so einem eigenartiger Kerl.“, sagte sie dann nur schlicht und zuckte mit den Schultern. „Das ist noch untertrieben.“, lachte John. „Aber er scheint kein Soziopath zu sein.“, murmelte Catherine wieder, diesmal so leise, dass John es kaum verstehen konnte. Gerade als er nachfragen wollte, kam sie ihn zuvor: „Kommen Sie, Mr. Watson. Es sind nur noch vier Kisten und diese sind leicht. Wenn Sie mir helfen, muss ich nicht ein zweites Mal laufen.“ Damit blickte sie ihn mit einem zuckersüßen Augenaufschlag an, der aber bei John nun wirklich nicht zog. Catherine bemerkte es und grinste nur. „Der Deal galt für Sherlock, nicht für mich.“, erwiderte er frustriert und blickte zu ihrem Fenster hinauf. Mittlerweile glomm Licht in ihrer Stube und er sah Sherlocks hagere Gestalt, welche aufgebracht durchs Zimmer lief. Offensichtlich überdachte er die neue Situation. „Sie sind aber auch neugierig, auch wenn Sie es offener zeigen als ihr Freund. Also, Mr. Watson, Seien sie ein Gentleman und helfen Sie ihrer neuen Nachbarin.“ Noch einmal sah sie ihn an und grinste noch etwas breiter. „Außerdem wollen Sie die Show sicher nicht verpassen.“ Verwirrt zog John seine Stirn in Falten und neigte seinen Kopf. „Show?“ Catherine nickte wieder und ihr Grinsen wurde beinahe bösartig. Etwas tief in John sagte ihm, dass er unbedingt sehen wollte, was Catherine plante. „Ich werde die Welt Ihres Freundes erschüttern. Er hat sich geirrt und das sogar in zwei Dingen.“ Ihr Grinsen wurde nun beinah strahlend und der ehemalige Militärarzt sah sie überrascht an. „Sherlock hat sich geirrt? Im Ernst? Sherlock Holmes hat sich geirrt?“, lachte John und ging auf den Transporter zu. „Oh ja, hat er.“ „Das muss ich wirklich sehen.“ John konnte es nun nicht mehr verleugnen: Das musste er sehen. Sherlocks Gesicht, wenn sie ich eröffnen würde, dass er sich geirrt hatte, wäre ein paar Kisten tragen wert. Oh, er begann dieses Mädchen zu mögen. Sehr zu mögen. Sie würde Sherlock ordentlich auf Trab halten und die Stirn bieten. Das würde interessant werden. „Dann helfen Sie mir beim Auspacken, sonst platzt der Deal.“ „Ok, das ist es definitiv wert.“ Die junge Frau grinste nur und band sich die Haare zusammen. Während Catherine die Türen ihres gemieteten Transporters öffnete und sich die vorderen zwei Kisten schnappte, holte John die restlichen heraus. Während er mit ihr zum Eingang von 220 ging, sagte er schließlich amüsiert: „Ach und Catherine...“ „Hmmm...“ Sie drehte sich um und sah John fragend an. „Herzlich Willkommen in der Bakerstreet.“ Sein Grinsen wurde erwidert und die junge Frau meinte nur schmunzelnd: „Danke...ich glaube ich sollte mich vielleicht doch nach einer neuen Wohnung umsehen.“ „Wenn Sie die Ruhe lieben, sollten Sie das in Erwägung ziehen.“ „Nein...“, erwiderte Catherine nun sichtlich ernster und ruhiger. „Nicht wirklich.“ Sherlock kam wieder aus ihrer Wohnung. Er wartete wohl auf sie und beobachtete wie John brav die Kisten in die Wohnung trug. John grinste Sherlock an, den das irritierte und sofort versuchte er in seinem Gesicht zu lesen, doch er wandte den Kopf ab um das zu verhindern und folgte Catherine ihre Wohnung. Catherines Wohnung lag in der anderen Haushälfte von 221b im zweiten Stock. Es war eine kleine, aber niedliche Wohnung mit vier Zimmern, wenn man Bad und Küche mit einrechnete. Der Stil ihrer Möbel war eher rustikal, passte zu dem alten Viertel, in dem sie lebte. Ein lederner Sessel stand vor einem Kamin, neben dem ein deckenhohes Bücherregal stand. Am anderen Ende des Zimmers, so den Eingang zum Schlafzimmer abgrenzend, stand ein drei Meter langer Schreibtisch. Die Küche war eher schlicht. Herd, Kühlschrank, einige Schränke und eine Spülmaschine. Die Ausstattung war ungewöhnlich für einen Studenten. Die Wohnung war eher spärlich ausgestattet, aber was an Möbeln vorhanden war, war hochwertig und teuer- zu teuer für eine Studentin. John musste Sherlock rechtgeben. Wie konnte sich eine Studentin so eine Wohnung leisten? Zumal die Wohnungen im Zentrum bevorzugt verkauft wurden. Ihre Wohnung gehörte schließlich auch Mrs. Hudson und sie waren nur Untermieter. „Wo soll ich die Kisten hinstellen?“, frage John, als er die wohlige Wohnung betrat. „Ach, einfach irgendwohin. Ich habe eh noch keinen Schrank für die Schuhe.“, sagte Catherine und verschwand in der Küche. Sherlock war hinter ihnen reingekommen und sein Blick wanderte bereits durch den Raum. „Könnten Sie bitte erst die Tür schließen, Mr. Holmes, bevor Sie loslegen?“, fragte sie und spähte um die Ecke. Sherlock zögerte einige Momenten, kam dann aber der Bitte, ganz zu Johns Überraschung, nach. „Tee?“ Ihre blauen Augen funkelten amüsiert, bevor sie anfing Wasser zu kochen. „Kaffee wär mir lieber.“, sagte John. Es war eine lange Nacht gewesen und er wollte am Liebsten nur noch schlafen, aber so brauchte er eben Koffein u wach zu bleiben. „Mit zwei Stücke Zucker.“, kam es von Sherlock. John warf seinem Mitbewohner einen genervten Blick zu. Höflichkeit war noch nie seine Stärke gewesen. Catherine rollte kurz mit den Augen und verschwand in der Küche, werkelte herum, fluchte, als sie die verstauten Tassen nicht fand und kam dann wieder. Sie stellte die dampfenden Tassen vor ihren Besuchern ab und setzte sich auf die Couch. „Also, dann schießen Sie mal los. Ich bin gespannt wie viel Sie entdeckt haben.“, sagte Catherine und kreuzte ihre Beine übereinander. Vorsichtig nippte sie an ihrem Kaffee. Sherlock ließ ein letztes Mal seinen Blick über den Raum schweifen. „Sie sind künstlerisch nicht besonders begabt, zeichnen aber dennoch gerne. Sie lieben Musik, spielen auch selber. Klavier. Ihr Geschmack bei Musikstücken selbst ist breitgefächert. Technik liegt Ihnen nicht so. Sie besitzen zwar ein Smartphone, nutzen es aber nur fürs Telefonieren oder SMS schreiben. Kochen können Sie auch nicht besonders.“ Sherlock nippte an seinem Kaffee und beobachtete die Gefühlsregungen von Catherine genau. Diese versuchte so gut wie möglich, sich nicht anmerken zu lassen, ob er richtig lag oder nicht. John war sich sicher, dass Sherlock trotzdem etwas an ihr ablesen konnte, doch er selber konnte kein einziges Mal sagen, ob Sherlocks Vermutungen stimmten. „Weiter?“, fragte sie nur ruhig und nahm einen kräftigen Schluck. Sherlock grinste sadistisch. Bald würde er seinen größten Triumpf auspacken. John würde die junge Frau gern davor bewahren, denn er spürte, dass Sherlock etwas sehr Pikantes entdeckt hatte und das hob er sich genüsslich bis zum Schluss auf. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Er wollte sie beeindrucken- mit allen Mitteln. „Soll ich weiter mit dem Offensichtlichen fortfahren oder gleich zum Privaten übergehen?“, fragte er nur ruhig und nahm einen Schluck Kaffee. Falls es Catherine unangenehm war, so gab sie sich wirklich große Mühe es zu verbergen. Ihre hellblauen Augen blickten Sherlock ausdruckslos an und warteten ab. „Ich würde gern alles wissen, damit ich weiß, wie viel ich habe bewahren können und wie viel Sie bereits von mir wissen. Dann weiß ich, wo ich stehe.“, erklärte sie schließlich und seufzte leise. Sie tat John leid. Catherine war noch jung, auch wenn sie sich sehr erwachsen gab und versuchte es zu verstecken, so hatte er schon längst bemerkt, dass etwas nicht stimmte. „Eine vernünftige Entscheidung.“ Es klang beinahe wie ein Lob aus Sherlocks Mund und wieder zuckte ein kleines Lächeln um seinen Mund. Schließlich stand er auf und wanderte durch die Wohnung, betrachtete einige Einrichtungsgegenstände genauer und blätterte in einigen Büchern. Catherine warf John einen Blick zu, der fragte, ob er sich immer so benähme, doch er konnte nur mit den Achseln zucken und bedeuten, dass es leider üblich war. Sie nickte leicht und ihr Blick glitt wieder zurück zu Sherlock, der sich mittlerweile wieder zu ihr umgedreht hatte. „Sie sind eher der schüchtere Typ, versuchen das aber nun hier zu verändern. Neue Kleidung, neuer Haarschnitt. Die Spitzen sind noch nicht rausgewachsen, also würde ich sagen, Sie waren innerhalb der letzten zwei Wochen beim Friseur. Auch Make Up tragen Sie nicht besonders häufig. Ihr Lidstrich ist verwackelt und man sieht den Rand. Außerdem bildet ihre Haut leichte Pickel, weil sie die Stoffe nicht gewohnt ist, was darauf schließen lässt, dass Sie hier einen Neustart wagen wollten. Waren Sie während der Schule unbeliebt oder wurden Sie nicht bemerkt? Hat keiner Sie angesehen, was sie nun verzweifelt versuchen zu verbergen.“ Sherlock grinste, als er bemerkte, dass er Catherine nun doch aus der Fassung gebracht hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus. Mit einem Schluck aus der Tasse versuchte sie der Situation zu entgehen. Langsam ging Sherlock auf sie zu, den suchenden Blick weiterhin auf sie geheftet. Er war sich offensichtlich sicher, dass er sie hatte und ihr Kampfgeist dahin war. John sah aber genau, dass sein Mitbewohner längst noch nicht alles offenbart hatte. Schließlich blieb er vor Catherine stehen, beugte sich so weit vor, dass ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Ein böses Grinsen umspielte Sherlocks volle Lippen, bevor er nur ganz leise hauchte, sodass John es kaum verstehen konnte: „Sie waren sogar so unscheinbar, dass Sie noch Jungfrau sind, Catherine Amell.“ Stille. Mit geweiteten Augen sah die junge Frau ihn an und er stellte sich wieder gerade hin. „Na, wie war das?“ Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen, während John knallrot angelaufen war. Er hatte mit vielem gerechnet, was Sherlock hätte offenbaren können, doch nicht, dass er so etwas deduzieren würde. Beinahe hätte er sich an seinem Kaffee verschluckt. Kein Wunder, dass Sherlock die ganze Zeit so amüsiert gewesen war. „Sherlock!“, jappste er deshalb entsetzt, doch Sherlock betrachtete Catherine noch immer, welche nach einigen Augenblicken müde seufzte und aufblickte. „Habe ich Recht, Miss Amell?“ „Spielt das eine Rolle? Selbst wenn Ihre Annahme nicht stimmen würde, und ich es Ihnen sagen würde, würden Sie mir nicht glauben. Welchen Sinn hätte das ganze also?“ „Es stimmt also.“, stellte Sherlock zufrieden fest. Die junge Frau seufzte erneut. „Ja, es stimmt.“, sagte sie trocken- ohne dabei rot zu werden. John konnte es nicht glauben. Sie gab so etwas Intimes einfach zu? Und das ohne verlegen zu werden? „Sie sind clever.“ Der dunkelhaarige setzte sich wieder in den Sessel. „Cleverer als die meisten anderen.“ „Ich fasse das mal als Kompliment auf.“ Catherine war sichtlich verstimmt, gab sich aber alle Mühe ruhig zu bleiben, das konnte John sehen. Ihre Nasenflügel bebten, als sie sich zwang, ruhig zu Atmen und sie schloss die Augen um sich zu beruhigen. „Dürfte ich erfahren, woher Sie das wissen?“ Langsam stand sie auf und stellte sich direkt vor Sherlock auf. „Mein Hymen haben Sie ja wohl nicht betastet. Da könnte ich nämlich auch sagen, dass es aus anderen Gründen nicht mehr intakt ist.“ John wurde nur noch verlegener und würde am liebsten aus der Wohnung fliehen. Bei Gott, was waren das für Menschen? Hatten sie überhaupt keine Pietät? Sein Mitbewohner hingegen lachte nur und beugte sich etwa zu ihr hinab. „Schlagfertig ist sie auch noch. Interessant. Nein, das habe ich natürlich nicht.“ „Gut, sonst würde mir das nämlich ernsthafte Sorgen machen.“, erwiderte sie trocken und strich sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht. „Also, wie kamen Sie darauf?“ „Ich habe mehr oder weniger geraten.“ „Geraten? Sherlock, Sie raten nie ins Blaue hinein. Erst recht nicht bei so was.“, entfuhr es John. Sherlock wirbelte zu ihm herum und senkte seine Augenbrauen hinab. „Natürlich rate ich nicht ins Blaue hinein nur um ihre Reaktion zu beobachten. Himmel Herr Gott, ich dachte Sie kennen mich besser, John. Ich hatte keinen konkreten Beweis. Wie sie sagte, das Hymen kann ich ja schlecht betasten, aber es gab mehrere Hinweise, die diesen Verdacht bestätigten.“, fuhr Sherlock ihn genervt an und schnaubte wütend. „Und die wären?“ „Nun, wie ich bereits sagte, sind Sie eher schüchtern. Ich habe weder in ihrer Wohnung noch in den Kisten großartig Fotos mit Ihren Freundinnen gefunden, was mich schließen ließ, dass Sie nicht besonders beliebt gewesen waren. Da sie aber im Sinne der Gesellschaft nicht unattraktiv sind, muss es eher an ihrem Verhalten gelegen haben. Deshalb schloss ich auf schüchtern oder eher unauffällig. Ein weiteres Indiz war Ihre Aussage zu John, dass Sie noch keinen Schrank für die Schuhe haben. Wären Sie wirklich modebewusst, wäre er das Erste, was Sie aufbauen würden, oder Sie würden Ihren Facebook Status aktualisieren oder SMS ihrer Freundinnen checken. Vorhin haben Sie einmal kurz auf ihr Handy gesehen, bevor Sie in die Küche gegangen waren um zu sehen, wer Sie angerufen hatte. Dabei konnte ich Ihre Anruferliste sehen. Diese zeigte mir, dass Sie es nicht besonders oft benutzen. Sie reichte zwei Monate zurück und zeigte, dass eher Sie anriefen, als dass Sie angerufen wurden.“ Catherine zog eine Augenbraue hoch und wirkte nun wirklich beeindruckt. Dass ein kleiner Satz und ihr Handy so viel über ihre Persönlichkeit verraten könnte, hätte sie wohl nicht gedacht. Hatte John schließlich auch nicht, als Sherlock seine Deduktion bei ihm durchgeführt hatte. Vielleicht hatte Sherlock Recht. Er sah es, aber er bemerkte es nicht, doch seine Ausführungen machten bisher durchaus Sinn. „Wirklich beeindruckend.“, sagte sie ehrlich anerkennend. „Aber das reicht nicht für Ihren Schluss.“ „Natürlich nicht.“, antwortete Sherlock. „Zwischen den Klamotten, die Sie achtlos aufs Bett geworfen haben, habe ich einige ausgeleierte Pullover und ausgefranste Jeans gefunden. Natürlich besitzt jede junge Frau ein paar davon für Sport oder für gemütliche Sonntage, aber bei Ihnen war das Verhältnis doch unausgewogen, was mir zeigte, dass Sie nie besonders auf Mode geachtet hatten, wie ich zunächst unten beim Transporter dachte. Außerdem zupfen Sie ständig an ihrem Rock herum oder fingern an ihren Haaren, was zeigt, dass Sie sich an beides noch nicht gewöhnt haben, weder an den Pony noch an diesen modischen Firlefanz. Also haben Sie Ihre langen Haare vermutlich meist als Zopf getragen. Zusammen mit meiner Erkenntnis bezüglich des Make ups und dass Sie, als ein junger Mann Sie mustert hatte, verlegen weggesehen haben, verstärkte meinen Verdacht. Vermutlich haben Sie Probleme mit Menschen ihres Alters zu reden, weil Sie mit ihren Themen nichts anzufangen wissen und Ihnen auch bewusst ist, dass Ihr Sarkasmus meist nicht verstanden wird. Darum lassen Sie es meist völlig, wodurch sie sich aber unsicher fühlen. Diese Unsicherheit wird von anderen Menschen instinktiv wahrgenommen und Sie werden vermutlich oft als seltsam abgestempelt. Bei John und mir ist es etwas anderes. Wir sind zu alt und somit außer halb der...“- Er machte Anführungszeichen mit den Fingern-„Gefahrenzone“ und als Sie zeitgleich merkten, dass wir selbst des Sarkasmus mächtig sind, zeigen Sie nun Ihr wahres Ich und sind somit gleich selbstbewusster. Ein klassischer Fehler: Sie scheren sich zu sehr darum, was andere von Ihnen denken und versuchen möglichst mit allen zu Recht zu kommen- oder zumindest nicht unangenehm aufzufallen.“ „Etwas, was Ihnen wohl nie passieren würde, was, Mr. Holmes?“, erwiderte Catherine bissig und warf ihm einen abschätzenden Blick zu. „Ganz sicher nicht.“, grinste Sherlock. „Dann wäre das Leben so langweilig.“ John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen. Allmählich bekam er Kopfschmerzen. „Es gab noch weitere Anhaltspunkte. Auf ihrer Anruferliste war auch kein Jungenname zu entdecken.“, fuhr der Consulting Detective ruhig fort und ließ dabei Catherine nicht aus den Augen. Diese erwiderte seinen Blick ungerührt. Ihr war wohl mittlerweile bewusst, dass sie vor seinen Augen eh nichts verbergen konnte und hatte es aufgegeben, während John sah, dass sein Freund großen Spaß an der Sache fand und zur Höchstform auflief. Er warte förmlich darauf, dass Catherine einen Einwand erhob. „Ich hätte einfach nur schon länger keine Beziehung mehr haben können.“, und schon tat sie ihm den Gefallen. „Natürlich, aber da ich weder ehemalige Geschenke, Erinnerungsfotos oder andere Hinweise auf eine Beziehung entdeckt hatte, und seien es nur zerrissene Fotos, zusammen mit meinen anderen Entdeckungen, war die Wahrscheinlichkeit höher, dass dem nicht so ist.“ Catherine schloss die Augen und stand auf, ging zum Fenster und starrte einige Zeit heraus, während die Sonne allmählich unterging. Zum ersten Mal seit langer Zeit wanderten Sherlocks Augen zurück zu John. Dieser verzog nur das Gesicht und schüttelte resigniert den Kopf. ‚Was?‘, fragten die graublauen Augen. ‚Taktgefühl, Sherlock‘, antworteten seine eigenen. ‚Nicht gut?‘ Ein verwirrter Ausdruck wanderte in Sherlocks Augen. John seufzte nur und rollte mit den Augen. Sherlock würde es niemals begreifen. Da konnte er genauso gut chinesisch reden. Obwohl die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass sein Mitbewohner das eher begreifen würde. Plötzlich durchbrach ein sarkastisches Klatschen die unangenehm aufgetretene Stille und sowohl der Consulting Detective als auch der Afghanistan Veteran drehten sich überrascht um. Catherine hatte sich mittlerweile umgedreht und warf Sherlock einen vernichtenden Blick zu. „Hervorragend, ganz hervorragend, Mr. Holmes.“ Ihre Stimme klang angesäuert und offensichtlich fühlte sie sich in ihrer Privatsphäre verletzt. „Ich habe nur getan, worum Sie baten.“, wand Sherlock ein, doch mit einem wütendem Blick, brachte die junge Frau ihm zum Schweigen. „Es ist wirklich beeindruckend wie viel Privates Sie in so kurzer Zeit entdeckt haben...umso überraschender ist es, dass Sie sich in so offensichtlichen Dingen geirrt haben.“ Eine schlanke Augenbraue hob sich und sie lehnte sich gegen die Fensterbank. „Geirrt?“, zischte Sherlock zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich irre mich nicht.“ „Doch, das haben Sie und ich kann es sogar ziemlich einfach beweisen.“ Langsam ging sie zu einem Rucksack, der achtlos in der Ecke stand, und kramte ihre Geldbörse hervor. Neben den üblichen Ausweisen und etwas Bargeld entdeckte John auch einen Studentenausweis der University of London. Zu seiner Überraschung zog sie genau diesen hervor und überreichte ihn Sherlock. Misstrauisch beäugend nahm dieser ihn an und blickte darauf. „Geschichte oder Philosophie? So was von daneben.“, grinste Catherine, die nun ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Was dann?“, fragte John nun und beugte sich in dem Sessel vor. „Biologie...“, murmelte Sherlock mit hochgezogenen Augenbrauen. „6. Semester. Aber...die Geschichtsbücher.“ Seine Augen blickten sie entgeistert an. „Was?“ Nun musste Catherine kichern und hielt sich ihre Hand vorm Mund. „Darf sich eine Biologiestudentin etwa nicht für Geschichte interessieren? Habe ich neben Bio in der Schule am liebsten gemacht...aber die Jobaussichten.“ Sie wedelte in der Hand. „...sind mehr als mies.“ „Aber...Biologie? Die Anfängerwissenschaft?“ Sherlock verzog angewidert das Gesicht und fuhr sich durch sein gelocktes Haar. „Anfängerwissenschaft? Wohl kaum, mein guter Sherlock Holmes.“, erwiderte Catherine süffisant und ihre Augen begannen zu funkeln. John sah sofort, dass dieses Fach ihre Passion war und dass sie es gar nicht gut hieß, wenn Jemand etwas Schlechtes über sie sagte. „Aber es ist keine Physik oder Chemie.“, erwiderte Sherlock. „Die Biologie umfasst AAAAALLLEEEEEES!“ Ihre Hände machten eine allumgreifende Geste. „Chemie, Physik, Medizin, Mathematik, ohne das kann man sie nicht verstehen.“, erklärte sie mit leuchtenden Augen. „Man muss alles studieren um sie zu verstehen. Sie ist die einzig wahre Wissenschaft.“ Augenblick starrten die beiden ungleichen Kontrahenten sich in die Augen, trugen ihren Kampf über ihre Blicke aus, bis beide schließlich grinsten. John sah irritiert zwischen ihnen hin und her. Worauf hatten sie sich jetzt geeinigt? Und wo hatte ihn Sherlock mal wieder hineingezogen? Himmel, sie war doch hoffentlich keine Sherlock in jung und weiblich, oder? Das würde er nicht überleben. Aber sie schien zumindest ein wenig gesellschaftsfähig. „Nun gut...legen wir das erst einmal beiseite. Da gibt es etwas, was mich viel mehr interessiert.“, sagte Sherlock ruhig und lehnte sich in den Sessel zurück. Catherine setzte sich ebenfalls wieder hin und sah ihn skeptisch an. „Etwas, was Sie nicht selbst deduzieren konnten?“ „Vielleicht, aber fragen geht schneller.“ „Also schön, ich habe ja doch keine Wahl.“ „Sie lernen schnell.“ „Die Frage, Mr. Holmes.“, sagte sie nur genervt. „Warum sind Sie so kurz vor dem Abschluss hierher gezogen? Die Universität von Cardiff hat einen guten Ruf in Naturwissenschaften, selbst in Biologie, während die von London eher auf Jura und Geisteswissenschaften spezialisiert ist.“ Plötzlich verschwand das Schmunzeln aus dem feinen Gesicht der Braunhaarigen und ein trauriger Schimmer legte sich in ihre hellblauen Augen. Natürlich bemerkte Sherlock es nicht, doch John entging es nicht. Etwas sehr traumatisches war erst vor kurzem in ihrem Leben passiert. John kannte diesen Ausdruck in den Augen nur zu gut- zu oft hatte er ihn in seinen eigenen gesehen. „Persönliche Gründe...“, murmelte sie leise mit gesenkten Kopf. „Ich musste deswegen nach London und habe zum Glück ein Stipendium bei einem angesehen Professor für meine Bachelorarbeit bekommen.“ „Welches Teilgebiet?“ „Molekulare Genomforschung. Also quasi Genetik in Mikroorganismen.“, erklärte sie knapp. „Zumindest keine Botanik.“, sagte Sherlock erleichtert. „Um Gotteswillen, bloß keine Botanik...“, stöhnte Catherine. „Was...wieso...?“, mischte sich nun John völlig verwirrt ein. Ein fataler Fehler. „So etwas langweiliges!“, riefen sie beide zeitgleich aus und sahen ihn nur kopfschüttelnd an. „Wer will denn schon Bäume betrachten?“, lachte Catherine, als sie sich wieder seinem Mitbewohner zugewandt hatte. „Niemand.“, erwiderte Sherlock schmunzelnd. Sein Blick schweifte durch ihre Wohnung und blieb dann wieder bei ihr hängen. „Wie können Sie sich diese Wohnung leisten?“ „Nun meine Eltern...“ „Lüge...!“, warf Sherlock ein. „Sherlock!“, zischte John genervt und stieß ihn in die Rippen. „Au!“ Catherine schüttelte nur den Kopf. „Ist schon gut...“, seufzte sie. „Meine Anruferliste richtig? Wenn meine Eltern es sponsern würden, hätte ich sie sicher in den letzten zwei Monaten angerufen oder sie mich.“ „Sie lernt wirklich schnell. Schneiden Sie sich was von ihr ab, John.“ „Besser nicht...“, murmelte dieser nur verstimmt. Sherlock und Catherine sahen sich an, grinsten aber nur. Einige Minuten blieb es still, doch dann seufzte Catherine und fuhr mit plötzlich zitternder Stimme fort: „Es weiter zu verschweigen bringt wohl nichts...auch wenn es sehr unbehaglich ist...ich habe diese Wohnung geerbt...und nicht von meinen Eltern, das ist wahr, sondern von meinem...“ „...von Ihrem Bruder.“, beendete Sherlock ihren Satz. Irritiert sahen ihre blauen Augen ihn an. „Ich glaube, dass Sätze beenden kann ich mir gleich abgewöhnen.“, sagte sie und ein kleines Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. „Das ist noch das Harmloseste.“, warf John ein und grinste, versuchte diese seltsame Atmosphäre wieder aufzulockern. Er fühlte sich in dieser Situation nicht wohl. Zwar war er nicht so intelligent wie Sherlock, doch er war gut darin sich in andere Menschen einzufinden. Vielleicht war es ihm deshalb möglich gewesen so lange in Sherlocks Nähe bleiben zu können, weil er sogar ihn ein wenig verstand. Mehr als jeder andere zumindest und vor allem mehr als Mycroft. Etwas lag in der Luft wie ein schweres Tuch, dass sie erstickte. Sicher, Sherlock bemerkte es nicht. Er war gut darin Emotionen anhand von Mimik und Gestik abzulesen, aber er begriff nie das Warum hinter all diesen Reaktionen. Er konnte die Körperreaktionen zu genau ablesen, verstand aber nie, was die Seele auszudrücken versuchte. Darin war John besser und er versuchte alles, damit Sherlock in seiner Unfähigkeit es nicht zu weit trieb, doch dieser war so auf Catherine und ihre Vergangenheit fixiert, gefangen in dem Sturm seiner Erkenntnisse, dass er John nicht wahrnahm- wieder einmal. Sherlock sah irritiert zwischen seiner neuen Nachbarin und seinem Mitbewohner hin und her, als er bemerkte wie sie sich ansahen, verstand aber nicht, was diese hatten. Die Gefühlswelt der Menschen war ihm zu irrational, zu unlogisch, als dass er sie fasse könnte und vor allem: sie war nervig. Auch wenn John es immer wieder schaffte, ihn mit seinem beißenden Sarkasmus zu amüsieren und er doch manchmal so etwas wie...Sorge???...empfunden hatte, als er John in Gefahr gebracht hatte, so würde er diese Welt jenseits aller Logik niemals begreifen können. Plötzlich jedoch veränderte sich etwas in Catherines Körpersprache. Ihre Augen blinzelten mehrmals um die Tränen zu verschleiern und ihre Hände zitterten. „Woher wissen Sie das? Ich habe keinerlei Erinnerungsstück hier...“, setzte sie stotternd an und ihre Stimme schien kurz vorm Zerbrechen. Hilfesuchend sah sie Sherlock an, der dieses Mal seinen Drang sich zu präsentieren herunterschluckte und bloß auf eine kleine Kommode deutete. Obwohl er sonst alles tat um die Ignoranz der Menschen um sich herum hervorzuheben, tat er es diesmal zu seiner eigenen Überraschung nicht. Etwas an Catherine ließ ihn seine Überlegenheit vergessen und ihr einfach eine schlichte Antwort geben. Er sah Johns irritierten Blick, der nicht verstand, was in Sherlock gefahren war- gut, das verstand er selber nicht- und dies mit einem Schulterzucken beantwortet bekam. Langsam stand sie auf, fuhr sich geistesabwesend durchs Haar und ging zu der Kommode. Als sie diese erreichte stockte sie und mit einem Mal wirkte sie so zerbrechlich wie eine Puppe. Ihr ganzer Körper zitterte und selbst aus der Entfernung entging es keinem der Männer, dass sie Tränen in den Augen hatte. Zögerlich streckte sie ihre Hand aus und nahm einen silbernen Bilderrahmen von der Kommode. „Ich wusste gar nicht...“, sagte sie und schluckte schwer, weil sie einen dicken Kloß im Hals hatte und verbittert gegen die Tränen kämpfte. „...dass er dieses Foto noch hatte...oh, Jeffrey...“ Kraftlos fiel sie in den Sessel zurück und blickte auf das Bild. John konnte von seiner Position aus zwei Menschen erkennen. Eine kleine und eine große, die sich an den Händen hielten. Schnee war auf dem Foto zusehen und die beiden Menschen waren eingepackt wie ein Michelin Männchen. Seit sie das Bild in der Hand hatte schien alle Kraft aus Catherine verschwunden zu sein. Unendliche Trauer flutete durch ihre Augen wie eine unruhige See bei Sturm und Tränen glitzerten in ihren Augen. Und da war sie. Obwohl sie innerhalb der letzten halben Stunde, trotz all der Attacken von Sherlock so tapfer widersetzt hatte, war die gespielte, selbstbewusste Erwachsene verschwunden und zurück blieb eine junge Zwanzigjährige, die mit ihrer Situation vollkommen überfordert war. John musste sich eingestehen, dass sie sich besser geschlagen hatte, als die meisten Erwachsenen, egal wie sehr Sherlock versucht hatte sie zu provozieren, sie war stets höflich oder zumindest humoristisch geblieben, doch in diesem Moment wirkte sie...zerbrochen. Etwas war vorgefallen, was sie noch lange nicht überwunden hatte. Insgeheim hoffte John, dass Sherlock nicht wieder taktlos sein würde, doch zu seiner Erleichterung schwieg der Consulting Detective und hatte bloß seine Nachdenkpose eingenommen. Sherlock sah die Trauer nur zu gut in ihren Augen. Während der vergangenen halben Stunde, die sie in ihrer Wohnung waren, hatte sie sich stets bemüht es ihm nicht zu leicht zu machen und hatte entweder schnell bemerkt, worauf er seine Schlüsse gestützt hatte oder ihre Gefühle besser verborgen, als so manche es taten. So gut, dass er beinahe vergaß wie jung und unerfahren sie doch war. Doch nun sah er überdeutlich, dass ihre Gefühle sie zu übermannen drohten. Verzweifelt hielt sie das Bild umklammert, als wolle sie sich an den Erinnerungen festhalten und ihr ganzer Körper bebte vor unterdrückten Schluchzern. Sie wollte weder John noch ihn mit ihrer Trauer belästigen, etwas was er schätzte und doch konnte sie es nicht. Catherine würde diesen Kampf gegen ihre Gefühle verlieren wie all die gewöhnlichen Menschen auch, aber Sherlock musste eingestehen, dass sie stark war. Stärker, als er es vermutet hätte...und dass er keine Ahnung hatte, was vorgefallen war. „Was ist passiert?“, fragte er schließlich leise mit beinahe mitfühlendem Ton. Er konnte Gefühlsregungen gut imitieren, wenn es denn notwendig war, konnte sogar auf Kommando weinen und theatralisch schluchzen, doch dieses Mal war es echt. Blinzelnd sah sie zu ihm auf und versuchte ihre Tränen zu verstecken. //Tapferes Mädchen//, schoss es ihm plötzlich durch dem Kopf. Denn das war sie. Sie war keine Frau, auch wenn sie es so sehr versuchte, sie war noch immer ein zerbrechliches Mädchen, was ihren Weg erst noch finden musste und dieser war ihr auf Grund einer schwere Last mit Geröll versperrt worden. Wahrscheinlich hatte diese Situation ihren Sarkasmus sogar nur noch verstärkt, sie versuchte alle von sich zu stoßen um Niemanden zu zeigen, was in ihr vorging. Das vermutete er zumindest, doch vor einem Sherlock Holmes verbarg Niemand etwas. Obwohl sie zeitgleich an der Vergangenheit reifte, zerbrach sie zeitgleich daran. Sherlock kannte dieses Gefühl der Zerrissenheit. Er hatte es bei sich in jungen Jahren mit Drogen bekämpft. „Er...“, setzte sie stockend an und holte tief Luft. „Ist vor zwei Monaten verstorben.“ Sie sprach es zu schnell aus und verriet die emotionale Belastung, die noch immer dahinter steckte. „Haben Sie ein Glück.“, sagte Sherlock ruhig und nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Er war kalt. „Sherlock!“, stieß John hervor und funkelte ihn böse an. „Was? Brüder sind anstrengend und nervig.“ „Nicht jeder hat einen Mycroft Holmes als Bruder.“, erwiderte der Arzt streng und zog die Augenbrauen hinunter. „Das wär ja noch schlimmer.“, entfuhr es dem Dunkelhaarigen. „Das wäre eine verdammt große, britische Regierung.“ „Äh...“ Catherine sah sie verwirrt an, doch die Trauer blieb und unbewusst strich sie über den Rahmen. John warf ihr nur einen Blick zu und schüttelte nur den Kopf. „Nicht so wichtig.“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Catherine nickte nur. Sie hatte schon gelernt bei Sherlocks ominösen Andeutungen nicht nachzufragen. Nach einigen Minuten in denen nur das Tacken der Uhr, die Stille durchbrach, flüsterte Catherine so leise, dass sie es kaum verstanden: „Er ist das Einzige, was ich noch an Familie hatte...meine Eltern sind vor zehn Jahren gestorben...und nun...“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Habe ich Niemanden mehr. Deshalb kam ich her...um mehr herauszufinden.“ „Woran ist er verstorben...?“ John wollte Sherlock schon in die Rippen stoßen, als er hörte, wie er zum Sprechen ansetzte, doch dann hielt er inne. Es war keine kalte Berechnung in der Stimme, keine Neutralität, wie es sonst bei ihm zu hören war, sondern etwas...Ruhiges. Vielleicht gar etwas Beruhigendes? Zeigte Sherlock gerade wirklich so etwas wie Menschlichkeit? Wie Taktgefühl gegenüber einer jungen Frau, die ihren Bruder verloren hatte? „Ich weiß es nicht...“, seufzte Catherine und zuckte nur mit den Achseln. „Ich bekam einem Brief vom Yard wo stand, dass er tot sei...ich durfte ihn nicht einmal sehen und ich weiß auch nicht, wo er begraben ist.“ ~*~ Aye, aye aye wer hätte das Gedacht, dass ich mal eine Geschichte zu Sherlock Holmes schreibe...trotz unkreativen titels ^^' vielleicht fällt mir ja bald noch ein besserer ein. ich habe die Bücher nie gelesen, aber diese BBC Reihe kann nur flashen. Hab glaub Staffel 1+2 schon 3 mal gesehen in den letzten 2 wochen...ich liebe sie einfach! Aber mir fehlte ein bisschen so eine Herausforderung für Sherlock. Nicht im Sinne von Moriarty oder ähnlichen, sondern einfach Jemand, der sich partout von Sherlock nicht beeindrucken lässt und ihm die Stirn bietet. Der Prolog ist auch ziemlich lang geworden, tut mir leid ^^' und er ist noch etwas holprig. Ich muss mich noch reinfinden, in alle 3 charaktere, aber es macht unheimlichen Spaß meinen Sarkasmus auch mal ausleben zu dürfen und Catherine bot dabei eine wunderbare Möglichkeit. Nun steht also ein Fall für Sherlock an und es dürfte ziemlich schnell weitergehen. Zwar wird es keine Romance zwischen den beiden (wenn, dann wäre Sherlock ja wohl nur mit John dazu in der Lage, aber das wird hier rein platonisch wie in der Serie bleiben, sorry xD), aber ich habe keine Ahnung wohin diese Reise führen wird. ok, die habe ich definitiv nie xD was bisher aber nie schlecht ankam. nun gut, so viel dazu. Ich hoffe es hat euch gefallen. Lg Jeanne :) Ps: angesetzt ist die Story irgendwo in der 2. Staffel. Wo genau weiß ich noch nicht. :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)