Wintersterne von Coronet (Ein Panem Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 15: Winterseide ----------------------- 15. Dezember – Winterseide Cinna * Schillernde Flocken fielen auf das Haupt des jungen Mannes, der gerade eilig die Stufen zu dem hohen Glasgebäude erklomm, das sich vor ihm in die Höhe reckte. Game Quarters Inc. – wünscht Ihnen – eine frohe – Weihnachtszeit, blinkte immer wieder in einem laufenden Schriftband an der Fassade auf. Game Quarters Inc., das war auch das Ziel des Mannes mit dem schlichten blauen Anorak und der Pudelmütze. Von dem Äußeren konnte man nicht darauf schließen, dass hier gerade einer der Topstylisten des Kapitols kam, denn für die Verhältnisse des Kapitols war der Mann, dessen ebenso schlichter Name Cinna war, nicht der Inbegriff eines topmodischen Stylisten. Kurzum, Cinna war ein Purist, der lieber mit wenigen Mitteln große Effekte kreierte, wie er eindrucksvoll als Stylist des zwölften Distriktes bewiesen hatte. Nun ging es weiter mit dem Designen von Kleidern und das erneut für Katniss, seine siegreiche Tributin. Eine Mappe mit Entwürfen von verschiedenen Kleidern trug er unter dem Arm. Es waren nicht nur Kleider für die bevorstehende Tour der Sieger, sondern auch schneeweiße Kleider – Brautkleider. Erst vor wenigen Tagen hatte er Nachricht aus dem Distrikt dreizehn erhalten: Alles liefe nach Plan, nun könne die nächste Phase eingeleitet werden. Man wollte, dass Peeta, der zweite Sieger des Distriktes zwölf, um Katniss Hand anhielte, daher hatte sich der Stylist bereits Gedanken um die Kleiderwahl gemacht. Zuerst jedoch musste er nun seine Entwürfe für die Siegertour absegnen lassen und das bei Game Quarters Inc., deren Lobby er gerade betrat. Die Firma war dafür zuständig, all die Spielemacher einzustellen, Arenen zu bauen und die gesamten Events zu organisieren, welche die Hungerspiele betrafen – wie die Siegertour. Natürlich war die Firma riesig und unterstand zudem noch der Führung durch Präsident Snow – ein wohl organisierter Apparat also. Ein charmantes Lächeln aufgesetzt trat Cinna nun an den Empfangstresen und strahlte die dahinter sitzende Frau an, deren Haare sich in einem der Zuckerwatte ähnlichen Gebilde auf ihrem Kopf türmten – eine grausame Geschmacksverirrung, zumindest Cinnas Meinung nach. „Mr. Rutheboone erwartet sie bereits“, gab sie gelangweilt von sich, ohne auch nur aufzuschauen und betrachtete ihre Fingernägel weiter. Seufzend wandte der Stylist sich ab und lief auf einen der gläsernen Fahrstühle zu. Quäkende Weihnachtsmusik erklang, sobald die Türen sich geschlossen hatten. Cinna rollte mit den Augen und lehnte sich unter dem Gesang von Liebe unter dem Mistelzweig zurück. Der Weg bis in den zwanzigsten Stock würde ein langer werden. Als der Fahrstuhl endlich oben ankam war er wirklich dankbar und verließ fluchtartig sein gläsernes Gefängnis, um sich auf den Weg zu Rutheboones Büro zu machen. Er wäre zwar liebend gerne auf dem Absatz umgedreht, doch stattdessen klopfte er an die stahlgraue Bürotür. „Herein“, rief es mit schnarrender Stimme von drinnen. Tief Luft holend öffnete Cinna die Tür. Rutheboone, der Vorsitzende der Vereinigung von Stylisten saß wie immer hinter seinem Schreibtisch, die aalglatten schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt, ein Ziegenbärtchen am Kinn und musterte ihn erwartungsvoll mit stechend lilafarbenen Augen. „Endlich, mein lieber Cinna!“ Bemüht freundlich nickte dieser dem Präsidenten zu und betrat den Raum. „Ich habe die gewünschten Skizzen dabei“, erklärte er, die Mappe hochhaltend. „Wunderbar, lassen sie sehen!“ Widerwärtig grinsend lehnte Rutheboone sich vor, ganz gierig auf die Entwürfe Cinnas, der diese dem Vorsitzenden nun wie einem Hai im Schwimmbecken zuwarf. Angespannt setzte er sich in den schwarzen Lederstuhl vor dem Tisch und blickte aus dem Panoramafenster hinter dem Schreibtisch, an dem die künstlichen Flocken des Kapitols vorbei segelten, während sein Gegenüber begierig die Entwürfe auseinander fledderte. „Cinna, Cinna“, murmelte dieser, den Kopf schüttelnd, „was ist nur los mit ihnen? All diese Entwürfe sind so… langweilig!“ Überrascht schaute Cinna auf. Ihm war irgendwie klar gewesen, dass er mit seiner schlichten und eleganten Kollektion den Präsidenten nicht überzeugen konnte. „Jetzt wo es um die Siegertour geht, da kann es doch gewagter werden! Färben sie dem Mädchen doch einmal die Haare und experimentieren ein wenig!“ Kaum merklich schüttelte der Stylist den Kopf. Es war schon schwer gewesen, den flammenden Anzug durchzuringen, doch von Mal zu Mal sollten die Entwürfe jetzt verrückter werden, doch das konnte und wollte er nicht zulassen. „Und überhaupt, was ist das?“, fragte der Präsident weiter, eines der Hochzeitskleider in die Höhe haltend. „Ein Hochzeitskleid“, entgegnete Cinna sachlich, „falls unsere Sieger heiraten, was ich für recht wahrscheinlich halte.“ Rutheboone schnaubte jedoch nur und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ein so schlichtes Werk? Cinna, enttäuschen sie mich und all die Zuschauer nicht. Es muss doch krachen!“ Mit diesen Worten schlug der Mann auf den Tisch und schob die Unterlagen zurück zu Cinna. Diesem war klar, dass er Glück hatte, dass der Vorsitzende seiner Vereinigung solch ein Idiot war, da er all die versteckten Zeichen in seinen Entwürfen nicht erkannte, doch er hasste es, wenn er so stolz auf seine Entwürfe war, nur damit Rutheboone ihn am Ende runtermachen konnte. Mit unterdrückter Wut ergriff der junge Mann seine Mappe wieder und stand auf. „Guten Tag, Rutheboone“, wünschte er und verließ den Raum. Hastig verließ er das Gebäude, ohne sich um die Weihnachtslieder im Fahrstuhl zu kümmern und schritt energisch durch den wirbelnden Schnee, während er sein Handy aus der Tasche angelte. Er drückte die Schnellwahltaste und kurz nach dem Tuten des Freizeichens ertönte es: „Cinna? Wie lief es mit Rutheboone?“ „Gar nicht gut“, gab er zurück. „Warte, lass uns im Mary-Ann Park treffen, okay?“, entgegnete die weibliche Stimme aus den Lautsprechern. Noch bevor er zustimmen konnte, erklang bereits wieder das Tuten aus der Leitung und er schob das Handy zurück in die Tasche. Dafür hatte er sein Auto erreicht und legte seine Hand auf den eisigen Fingerabdruckscanner. Klickend öffnete sich die Tür seines orangenen Gefährts und er warf die Entwürfe schlecht gelaunt auf den Beifahrersitz. Beim Mary-Ann Park angekommen hatte sich der Schnee verdichtet und die quietsch bunte Weihnachtsdekoration des Kapitols hatte abgenommen. An den Laternenpfählen hingen lediglich noch kleine Sterne und Lichterkettenbögen überspannten die Straßen. Sobald Cinna ausgestiegen war, ließen sich Schneeflocken auf seinem Kopf nieder und schmolzen dort. Begeistert legte er seinen Kopf in den Nacken und sog die kalte Luft in seine Lungen. Der Mary-Ann Park lag in einem äußeren Bereich des Kapitols, wo noch echter Schnee fiel, anstelle des künstlich generierten Kapitolschnees. Hier gefiel es ihm schon viel besser, da hier weniger von der künstlichen und bemühten Atmosphäre des Kapitols zu spüren war. Mit einigen Schritten ging er in den verlassenen Park, in dem auf einer einzigen Bank Portia saß. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Stylisten, die für Distrikt zwölf arbeiteten, war unübersehbar: Beide waren von eher dunklerer Hautfarbe und hatten lockiges, schwarzes Haar. Zudem wiesen beide eine Vorliebe für die Farbe Gold auf: Cinnas Augen wurden von einem goldenen Eyeliner gerahmt, während Portia falsche Wimpern in dieser Farbe trug. „Hallo Schwesterherz“, grüßte Cinna sie lächelnd. Er konnte nicht allzu lange so griesgrämig sein und schon gar nicht seiner Schwester gegenüber. Freudig stand Portia auf und drückte ihn an sich. „Mach dir nichts aus der Meinung des alten Sackes“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Amüsiert lachte Cinna. „Was habe ich dir über Schimpfwörter gesagt?“, gab er fragend zurück. Portia zuckte frech mit den Schultern und ließ sich wieder sinken. „Im Ernst, bald ist Weihnachten. Du solltest deinen Beruf für einen Moment vergessen, Cinna.“ Seufzend reichte er Portia seine Mappe. „Schau es dir doch an“, schlug er vor. Interessiert schlug seine Schwester die Mappe auf und musterte all die Entwürfe. Andächtig sagte sie leise: „Die sind wunderbar.“ Dankbar lächelte Cinna und fing eine der echten Schneeflocken auf und beobachtete, wie diese in seinen warmen Händen schmolz. „Hey, Cin… du wirst das schaffen, das weiß ich. Aber nehme dir einmal einen Moment für dich!“ „Das geht nicht, Ports. All das, was ich bin liegt in diesen Kleidern.“ Milde lächelte Portia ihren Bruder an. „Komm doch morgen zu mir und Ma und Pa. Es ist Advent, das sollten wir feiern.“ Um ihn ein wenig in Stimmung zu bringen, fing sie an, eines der alten Liedr zu summen, dass ihre Mutter sie immer unter dem Weihnachtsbaum hatte singen lassen: Es ist Weihnacht, der Schnee fällt weiß, weich legt sich die Decke, über uns, und sollen wir dankbar sein… In diesem Moment war es, als würde sie nicht mehr alleine singen, sondern würde einen ganzen Chor hinter sich stehen haben. Verblüfft hielt sie inne und Cinna blickte sich um, denn der Gesang ging weiter – oder besser die Melodie. Aus einem Chor von Vögeln erklang Portias Weihnachtslied. „Spotttölpel“, flüsterte sie und deutete auf einen kahlen Baum in der Nähe. Tatsächlich saßen auf den unteren Ästen die Vögel und sangen aus voller Kehle die Melodie ihres Liedes. „Das ist es!“, rief Cinna laut aus, schnappte sich Portia und küsste sie auf die Wange. Mit leuchtenden Augen rannte er in Richtung Auto und rief noch über die Schulter: „Sag Ma und Pa, dass ich morgen komme!“ Dann verschwand er und ließ die verdutzte Portia wieder alleine. Heute würde er das Kleid entwerfen, das hatte er im Blut. Ein wahres Weihnachtswunder würde es sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)